Symposium über den Unabhängigkeitstag von Georgien am 26. Mai

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Heinrich-Heine-Universität Düseldorf September 2014 BEITRÄGE FÜR SYMPOSIUM „DIE 96-JÄHRIGE UNABHÄNGIGKEIT GEORGIENS“ AN DER HEINRICH-HEINE- UNIVERSITÄT DÜSSELDORF

Transcript of Symposium über den Unabhängigkeitstag von Georgien am 26. Mai

Heinrich-Heine-Universität Düseldorf September 2014

BEITRÄGE FÜR SYMPOSIUM

„DIE 96-JÄHRIGE

UNABHÄNGIGKEIT

GEORGIENS“ AN DER

HEINRICH-HEINE-

UNIVERSITÄT DÜSSELDORF

1

Inhaltsverzeichnis

1. Ein Überblick über die Unabhängigkeitsgeschichte

Georgiens(Nino Burdiladze) ................................................................. 2

2. Geostrategische Bedeutung von fossilen Energieträgern für die

EU, Russland und Südkaukasus(Gaios Tsutsunashvili) .................... 5

3. Postsowjetischer Raum zwischen Europäischer und

Eurasischer Union. Georgiens Weg nach Europa(Mikheil

Sarjveladze) ......................................................................................... 12

„Institute for Georgian Foreign Policy“ (IGFP) hat ein Symposium an der Heinrich-

Heine-Universität Düsseldorf anlässlich der 96-jährigen Unabhängigkeitsfeier Georgiens

am 26. Mai 2014 organisiert.

„Institute for Georgian Foreign Policy“ ist eine nichtkommerzielle und unparteiische

Organisation, die 2014 gegründet wurde. Das Ziel dieser Organisation ist es, sich für die

Integration Georgiens in die euro-atlantischen Strukturen einzusetzen und den

demokratischen Werten und Prinzipien in Georgien eine bessere Geltung zu verschaffen.

IGFP versteht sich als ein Think Tank, der sich u.a. mit transnationalen, politischen,

wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen befasst und die Westintegration Georgiens

mit den aktuellen analytischen Beiträgen begleitet und vorantreibt. Diesem Zweck dienen

auch Infoveranstaltungen und Podiumsdiskussionen mit Experten, Politikern und anderen

Partnerorganisationen. Dadurch erhoffen wir eine Plattform für den Meinungsaustausch zu

kreieren.

2

1. Ein Überblick über die Unabhängigkeitsgeschichte

Georgiens

Nino Burdiladze

Der 26. Mai hat für Georgier eine besondere

Bedeutung. Vor 23 Jahren genau an diesem Tag

hat die Sowjetische Sozialistische Republik

Georgien sich von der Sowjetunion losgelöst

und ihre Unabhängigkeit erklärt.

Die Tatsache, dass Freiheit für Georgien einen

besonders hohen Stellenwert annimmt, drückt

sich auch im georgischen Wort für Freiheit

„თავისუფლება“ („tavisupleba“)aus. Es lässt

sich übersetzen als das „Recht über sich selbst“.

Das heißt, dass ein georgischer Mensch die

Freiheit als den Zustand verstand, in dem man

nicht gehindert war, über eigenes Tun und

Lasseneigenständig und ungebunden

entscheiden zu können. Jegliche Art der Einschränkung seiner freien Verfügung würde als

Freiheitsberaubung empfunden. So war schon in seinem Bewusstsein vorprogrammiert,

dagegen zu rebellieren und sich wieder „zum Herrn über sich selbst“ zu machen. Die

geschichtliche Entwicklung, die geopolitischen Umstände und das religiöse Bekenntnis hat

Georgien zum östlichen Vorposten des Christentums gemacht. Das Land musste sich als

eigenständiges Volk stetig im überwiegend nicht-christlichen Umfeld behaupten bzw. ums

Überleben kämpfen. Der Kampf um die Erhaltung der Individualität und Originalität ist trotz

der komplizierten Umstände gelungen, wenn man bedenkt, dass Georgier in eigener Sprache,

dem Georgischen, sprechen, die eine eigene Sprachfamilie bildet und nicht zu anderen

Sprachfamilien gehört, die – wie beispielsweise das Indoeuropäische - räumlich weit erstreckt

sind; dass sie ihr eigenes Alphabet entwickelt haben, das eines von 14 Schriftsystemen auf der

ganzen Welt ist; und dass sie eine eigenständige Kultur hervorgebracht haben, deren Schaffen

globale Bedeutsamkeit erlangt hat. Als Beispiel seien hier nur der mittelalterliche Epos „Der

Ritter im Tigerfehl“ vom Dichter Schota Rustaweli und Dichter Washa-Pschavela erwähnt.

Nino Burdiladzeist

Doktorandin an der

rechtswissenschaftlichen

Fakultät der Universität

zu Köln. Nach der

Absolvierung des

Studiums in Georgien an

der deutschsprachigen

Fakultät für Recht und

Wirtschaft studierte sie

weiter in Deutschland

und Frankreich im Rahmen des internationalen

LLM-Masterstudiengangs „European Legal

Practice“ als Stipendiatin des von der

Europäischen Union getragenen

ErasmusMundus-Programms. Nach dem

Abschluss arbeitete sie jahrelang in der

Bankenbranche in Georgien. Zurzeit arbeitet

sie am Institute for International Peace and

Security Law in Köln und befasst sich mit der

Forschung der friedens-sicherungsrechtlichen

Fragen und bewaffneten Konflikten.

Hoffnung auf die Wiederherstellung der Unabhängigkeit

Für eine Nation mit einem hohen Selbstwertgefühl war es nicht einfach sich als Vasall eines

anderen hegemonischen Staates zu geben und sich seit dem Ende des 18. Jahrhundert dem

russischen Zarenreich zu fügen. Deswegen kam es für die Mitglieder der georgischen

politischen Elite sehr gelegen, als es sich 1918 die Möglichkeit zur Erklärung der

Unabhängigkeit und zur Gründung eines unabhängigen Staates anbot. Das in eine

Grenzprovinz des Russischen Zarenreiches umgewandelte Land strebte an, sich von der

russischen Oberherrschaft zu lösen. Während des Ersten Weltkrieges kam schließlich

überraschende Unterstützung von Deutschland. In geheimen Verhandlungen hat der deutsche

Unterhändler General von Lossow den Georgiern dazu geraten, sich von der

Transkaukasischen Föderation abzuspalten und die Unabhängigkeit zu erklären. So könnten

sie ein separates Abkommen mit Deutschen schließen und sich unter den deutschen Schutz

stellen. Die georgische Seite hat diesen Vorschlag angenommen. Am 26. Mai 1918 wurde die

Sitzung des Georgischen Nationalrates einberufen und so wurde die Unabhängigkeit

Georgiens erklärt. Dieses Datum wurde zu einem Symbol für die Gründung einer Republik

mit demokratischer Ordnung.

Das Ende des ersten Weltkrieges hat Georgien den versprochenen Schutz durch die

Deutschen entbehrt und so war das Land allein, ohne jegliche Unterstützung den „roten“

Bolchewiki ausgesetzt, die am 25. Februar 1921 nach unerbittlichem Widerstand der kleinen

georgischen Armee die Hauptstadt des Landes, Tiflis, eingenommen haben.

Sowjetische Ära

Ab dem Zeitpunkt begann die sozialistische und kommunistische Ära für Georgien. Dieser

Zeitraum war durch gegensätzliche Entwicklungen gekennzeichnet. Auf einer Seite hat das

blutrünstige kommunistische Regime viele Opfer gefordert, die vor allem in den

Geburtsstunden des Imperiums sowie insb. 1937 durch starke staatliche Repressionen gefallen

sind. Dieser Zeitraum kennzeichnet sich besonders durch die Verfolgung und Ermordung von

Intellektuellen und Andersdenkenden. Andererseits machte sich aber auch eine industrielle,

1

wissenschaftliche und kulturelle Entwicklung im Lande spürbar. Allerdings war der stille

Protest in der Gesellschaft des sowjetischen Georgiens immer präsent. Trotz starker

staatlicher Zensur war es einigen Künstlern in Bereichen der Kinematographie, Literatur und

Theater gelungen, das wahre Gesicht der kommunistischen Herrschaft in ihren Kunstwerken

darzustellen. Einige von vielen Beispielen wären die Filme vom georgischen Regisseur

Tengis Abuladse, literarische Werke von Dichtern der 30er Jahre wie Titsian Tabidze, Paolo

Iaschwili, usw.

Lang ersehnte Freiheit

Dieser stille und latente Widerstand erlangte eine erkennbare Gestalt Ende der 80er Jahre, als

die nationale Befreiungsbewegung in Georgien in Schwung gekommen war. Einige

patriotische Anführer sind hervorgegangen – unter ihnen auch der zukünftige Präsident

Georgiens, Swiad Gamsachurdia, der sich stark für die Befreiung Georgiens von der

kommunistischen Herrschaft einsetzte.

Am 31. März 1991 wurde in Georgien das allgemeine Referendum durchgeführt, in dem den

Bürgern der Georgischen SSR die Frage gestellt wurde, ob sie sich ein unabhängiges

Georgien wünschten. Das Ergebnis sprach für sich: Bei einer sehr hohen Beteiligung der

Wahlberechtigten stimmten 98% für die Unabhängigkeit. Daraufhin verabschiedete der

Oberste Rat der Georgischen SSR am 9. April 1991 einen gesetzlichen Akt über die

Wiederherstellung der Unabhängigkeit Georgiens.

Diesem Datum wurde auch ein symbolischer Wert beigemessen: Genau vor zwei Jahren, in

der Nacht vom 8. auf den 9. April 1989, waren in Tiflis junge Leute, die friedlich mit der

Forderung der Wiederherstellung der georgischen Unabhängigkeit und seiner Loslösung von

der Sowjetunion in Hungerstreik getreten waren, von den russischen Streitkräften mit

militärischen zweischneidigen Spaten niedergemetzelt und mit Giftgas vergiftet worden. 21,

überwiegend junge Bürger kamen ums Leben. Viele haben während des Tumults

Verstümmelungen erlitten. Mehrere leiden heute noch unter Folgen der schweren

Gasvergiftung. Der 9. April wurde im Bewusstsein von Georgiern als eine gesamtnationale

Tragödie geprägt und wurde als gesetzlicher Feiertag erklärt, der jedes Jahr mit Trauerfeier

zelebriert wird.

2

Nach der Verabschiedung des Aktes über die Wiederherstellung der Unabhängigkeit sind die

Ergebnisse des Referendums am selben Tag von den Vereinigten Staaten anerkannt worden,

was gleichzeitig praktisch die Anerkennung der georgischen Unabhängigkeit von der

Sowjetunion bedeutete.

Am 26. Mai 1991 ging Swiad Gamsachurdia aus den ersten Präsidentschaftswahlen als Sieger

hervor. Dieser feierliche Tag wurde als das offizielle Datum der Wiedererlangung der

Unabhängigkeit Georgiens gesetzt.

Der beschwerliche Weg der Freiheit

Die Erlangung der Unabhängigkeit ist nicht glimpfig gelaufen. Georgien musste für seine

Freiheitsbestrebungen einen hohen Preis zahlen. Nur einige Monate nach der

Unabhängigkeitserklärung kam es im Dezember 1991 zu einem Militärputsch, der mit der

Vertreibung des legitim gewählten Präsidenten S. Gamsachurdia endete. Im Lande wütete der

Bürgerkrieg und Georgien versank im Chaos. Der Militärrat wurde gebildet, der bald die

Gewalt an sog. „Staatsrat“ übergab, dessen Vorsitz der gerade für diesen Zweck aus Russland

angeflogene ehemalige sowjetische Außenminister E. Schewardnadse innehatte.

Die aktivierte georgische Freiheitsbewegung rief auch scharfe Reaktionen in Kreisen der

nationalen Minderheiten hervor. Die nationalistischen Parolen der georgischen Politiker, die

hauptsächlich gegen die imperialistischen Bestrebungen Russlands gerichtet waren, wurden

von den in Georgien lebenden Minderheiten sehr negativ aufgenommen. Die verschärfte Lage

endete 1991 in einem Konflikt zwischen Georgien und der separatistischen Regierung des

südossetischen autonomen Gebiets. Im Zeitraum von 1992 bis 1994 wurde ein Konflikt in

einer anderen autonomen Region von Georgien, in der abchasischen autonomen Republik,

militärisch ausgetragen. Als Ergebnis verlor Georgien die faktische Kontrolle über diese

Regionen und Ströme von hundert Tausenden von Flüchtlingen überwiegend georgischer

Abstammung suchten Obhut im georgischen Kernland.

Seit dieser Zeit bleibt die Lösung der Konflikte aus. Die Lage wurde eingefroren, sodass sich

während dieser ganzen Jahre der Status-quo nicht geändert hat. Russland hat bei den

Friedensverhandlungen die Vermittlerrolle übernommen. E. Schewardnadse hat den Russen

3

als Zugeständnis für die Unterstützung bei der Konfliktlösung den Beitritt Georgiens an die

GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) eingeräumt, was auch vollzogen worden ist.

Hoffnung durch die „Rosenrevolution“ im Jahre 2003

Die Turbulenzen des jungen georgischen Staates im Jahr 2003 fort und kulminierten im

November desselben Jahres in einem friedlich vollzogenen Staatsstreich. Dieses historische

Ereignis hat die Bezeichnung „Rosenrevolution“ erhalten, was den friedfertigen und

wohlwollenden Charakter unterstreichen soll. Es kamen junge, im Westen ausgebildete

Politiker mit Micheil Saakaschwili an der Spitze an die Macht, die mit radikalem

Kurswechsel den georgischen Staat Richtung Westen gesteuert und eine starke Integration in

die westliche, demokratische Gemeinschaft angestrebt haben. Neben der Lösung der

Territorialitätsprobleme Georgiens bildete deren Ziel u. a. der Beitritt Georgiens in die EU

sowie seine Integration in die nordatlantische Militärallianz – NATO.

Kaukasus-Krieg – August 2008

Die Abwendung von Russland, das den postsowjetischen Raum immer noch als seinen

Einflussbereich definiert und durch den Regierungswechsel in Georgien eigene Interessen

bedroht sah, wurde für Georgien teuer. Nach der Einführung des wirtschaftlichen Embargos

auf georgische Güter und dem Abbruch diplomatischer Beziehung zwischen beiden Staaten

kulminierte die ohnehin strapazierte Lage in einem Krieg zwischen Georgien und der

Russischen Föderation im August 2008. Diese militärische Auseinandersetzung hatte fatale

Folgen für den georgischen Staat. Er verlor ca. 20% des bisherigen Territoriums. Der Krieg

brachte menschlichen Verlust mit sich, über 158 000 Einwohner sind zu Flüchtlingen (inkl.

Binnenflüchtlinge) geworden. Die Aussichten für das junge, nach Festigung demokratischer

Institutionen strebende Land verschlechterten sich. Das Problem der territorialen Einheit des

georgischen Staates dauert bis heute an!

Unnachgiebig auf dem Kurs zur Demokratie

4

Trotz aller Schwierigkeiten und sogar trotz dem Regierungswechsel im Oktober 2013, als die

„Nationale Bewegung“ von M. Saakaschwili durch die Koalition „Der Georgische Traum“,

geführt durch Tycoon Bidsina Iwanischwili, abgelöst wurde, ist der Wille der Georgier nach

Westen und damit nach der Etablierung demokratischer Werte zu streben unerschüttert. Die

neue georgische Regierung hat die Unumkehrbarkeit des Kurses des georgischen Staates

mehrmals bekundet. Es besteht eine aktive Zusammenarbeit zwischen der Europäischen

Union und Georgien im Rahmen der Östlichen Partnerschaft. Diese Kooperation hat schon ein

intensives Niveau erreicht und im Juni 2014 wurde das Assoziierungsabkommen zwischen

der EU und Georgien unterzeichnet.

Es besteht eine sehr enge Kooperation Georgiens mit der NATO. Georgische Soldaten

nahmen an militärischen Missionen in Kosovo, im Irak und in Afghanistan teil. Somit leistet

Georgien seinen bescheidenen Beitrag zur Wahrung des Weltfriedens und Verbesserung der

globalen Sicherheit.

Der Weg Georgiens in die Freiheit und hin zu unumstößlicher Unabhängigkeit war und bleibt

mühselig.

5

2. Geostrategische Bedeutung von fossilen Energieträgern für die

EU, Russland und Südkaukasus Gaioz Tsutsunashvili

Bekanntlich gehört die EU international zu

dem wichtigsten Vorreiter auf dem Gebiet der

regenerativen Energiequellen. Dabei ist zwar

die Förderung der erneuerbaren Energien

langfristig ein Schritt in die richtige Richtung,

aber gleichzeitig ist eine völlige

Unabhängigkeit von Erdöl, Gas und Kohle

kurz- und mittelfristig nicht realistisch.

Deswegen ist die sichere Versorgung durch

fossile Energieträger lebenswichtig für den

Wohlstand der EU-Staaten. Dies erweist sich

allerdings für Europa als schwierig, denn die

EU ist aufgrund der geringeren eigenen

Reservebasis auf die Energieimporte aus dem Ausland angewiesen. Die EU-Staaten decken

ihren Energiebedarf zu 51 Prozent über die ausländischen Importe. Dabei ist insbesondere

eine zu hohe Gasimportabhängigkeit einiger Mitgliedsstaaten in Ost- und Mitteleuropa von

Russland zu erwähnen, denn 42 Prozent der Gaslieferungen stammen aus Russland. Somit ist

der östliche Nachbar das mit Abstand größte Erdgasgeberland der Union. Dabei wird

zukünftig die Gasimportabhängigkeit von Russland weiter steigen, da die europäische

Gasproduktion in der Nordsee stetig abnehmen und gleichzeitig der Gesamtbedarf hoch

bleiben wird. Zur Steigerung der Gasimporte trägt auch die positive Resonanz darüber bei,

dass Erdgas im Vergleich zu Erdöl eine „saubere“ Energiequelle ist, die weniger Emissionen

verursacht.1

Gleichzeitig ist die EU bereits heute der Tatsache konfrontiert, dass einige

energieexportierende Länder ihre Energieressourcen zur Durchsetzung ihrer machtpolitischen

Interessen instrumentalisieren. Besonders markante Beispiele sind die so genannten

1 Vgl. Westphal, Kirsten; 2006: S. 49

Gaios Tsutsunashvili promoviert als Alfred-

Töpfer-Stipendiat an der

Heinrich-Heine-Univer-

sität in Düsseldorf.

Zuvor absolvierte er

dort als Friedrich

Naumann Stipendiat

Germanistik und

Geschichte auf

Magister. Anschließend schloss er Master of

European Studies an der Bergischen Universität

in Wuppertal ab und arbeitete danach als

Lehrbeauftragter auf dem Lehrstuhl für

Politikwissenschaften. Seine akademischen

Leistungen wurden durch mehrere Preise und

Stipendien ausgezeichnet. Zurzeit arbeitet er

beim Internationalen Bund in Velbert im

Bereich der Integrationspolitik.

6

„Gaskriege“ zwischen dem Kreml und osteuropäischen Staaten. Aber auch der anschwellende

Konflikt in der Ostukraine, wo Russland seine Energieressourcen als Druckmittel gegen die

ukrainische Führung einsetzt, wird von EU-Staaten äußerst kritisch wahrgenommen.

Aufgrund dieser allzu großen Importabhängigkeit an Brennstoffen der EU von Russland gilt

die Energieversorgungssicherheit und insbesondere die Gasversorgungssicherheit als eine

Achillesferse der europäischen Energiepolitik, da Russland diese Abhängigkeit für eigene

politische Zwecke missbrauchen könnte.2 Deswegen ist die EU bestrebt,

Gasimportabhängigkeit von Russland zu verringern. Dafür müssen die EU-Staaten allerdings

ihre Gasimporte diversifizieren und eine gemeinsame europäische Energiepolitik zustande

bringen.

Ein Hindernis für den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik besteht

allerdings darin, dass die Mitgliedsländer einen diametral unterschiedlichen Energiemix

aufweisen. Während in Frankreich der Fokus auf Atomenergie liegt, prägen Kohlekraftwerke

die polnische Energieversorgung. Schließlich spielen in Deutschland die regenerativen

Energien und Erdgas eine wichtigere Rolle als in anderen EU-Ländern.Hinzu kommt noch,

dass im Falle der Energieimporte die Bezugsquellen von Land zu Land unterschiedlich sind.

Während ost- und mitteleuropäische EU-Länder zu 80 bis 100 Prozent mit dem russischen

Erdgas beliefert werden, beziehen Portugal und Spanien ihren Erdgasbedarf hauptsächlich aus

Algerien.3

Deswegen versuchen die EU-Länder eben die Energiepolitik zu betreiben, die ihren

jeweiligen Energiemix und ihre Bezugsquellen besonders berücksichtigt. Genau darin liegen

die Ursachen der unterschiedlichen nationalen Interessen der jeweiligen Mitgliedsländer, die

hinderlich für eine supranationale europäische Energiepolitik sind.

Russlands Machtwährung Energieressourcen

Brüssels Bedenken in Bezug auf die hohe Gasimportabhängigkeit von Russland sind dabei

durchaus ernst zu nehmen; denn die russische Führung und allen voran Vladimir Putin sehen

in den riesigen Energieressourcen des Landes nicht nur kommerzielle Vorteile, sondern auch

ein geopolitisches Potential der russischen Außen- und Sicherheitspolitik, denn schließlich

verfügt Russland über rund 25% der weltweiten Erdgasreserven. Daher ist Moskau bestrebt,

2 Vgl. Umbach, Frank; 2008: S. 27 3 Vgl. Geden, Oliver; Fischer, Severin; 2008: S. 19

7

Russlands verlorengegangene Großmachtstellung durch seine Erdöl- und Erdgasressourcen

wiederherzustellen. Deswegen unternimmt der Kreml Anstrengungen, sich als

Monopolversorger der EU-Staaten zu etablieren.

Zu diesem Zweck hat Putin kurz nach seiner Machtübernahme die Renationalisierung der bis

dahin marktwirtschaftlich organisierten Energiewirtschaft eingeleitet. Dabei wurden

Oligarchen, welche Putins Vorhaben im Wege standen, verfolgt oder verhaftet. Ein

Paradebeispiel ist die Verhaftung des Energiemoguls Chodorkowski, dessen Unternehmen

Yukos in der russischen Erdöl- und Gaswirtschaft mächtig mitmischte.4

Dabei wird es zunehmend offensichtlich, dass der Kreml durch seine Energieaußenpolitik die

Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in eine immer stärkere Importabhängigkeit bringen

möchte. Zur Realisierung dieses Vorhabens verfolgt Moskau mehrere Strategien.

Moskau führt einerseits eine aggressive Pipelinepolitik, die darauf ausgerichtet ist,

europäische Pipelineprojekte wie Nabucco zu verhindern und die europäische

Gasimportabhängigkeit von Russland zu erhöhen. Paradebeispiele sind dafür die russischen

Pipelineprojekte wie South-Stream oder Blue-Stream.

Andererseits versucht Kreml die europäischen Diversifizierungsversuche dadurch zu

unterbinden, dass es den einzelnen EU-Ländern eine bevorzugte Partnerschaft anbietet, um

diese Länder von einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik abzubringen. Die größeren

EU-Länder wie Deutschland oder Italien konnten dieser Versuchung nicht immer widerstehen

und sind bilaterale Verträge mit der russischen Föderation eingegangen, um ihre nationalen

Interessen zu sichern, anstatt eine langfristige gesamteuropäische

Energieversorgungssicherheit im Blick zu behalten. Bekannte Beispiele für solche nationale

Alleingänge sind die Nordstream-Pipeline und das geplante Pipelineprojekt South-Stream.

Gleichzeitig ist Putin bestrebt, Energieressourcen zwecks der politischen Einflussnahme in

den ehemaligen sowjetischen Staaten in Osteuropa und im Kaukasus einzusetzen. Durch die

rapide Preiserhöhung von Energieträgern und Lieferstopps hat die russische Führung

versucht, ihre nationalen Interessen in diesen Regionen durchzusetzen; denn in Putins Augen

gehören diese Länder zur russischen Einflusssphäre.

4 Vgl. Götz, Roland; 2008: S. 122

8

Georgien und kaspische Länder als alternative Energiebezugsquellen und Transitrouten

Die Energiereserven aus dem kaspischen Becken würden die Importabhängigkeit vom

russischen Gas deutlich verringern. Zu diesem Zweck engagiert sich die EU in den

zentralasiatischen Ländern und in Aserbaidschan, und versucht seit 1990-er Jahren eine

energiepolitische Partnerschaft mit diesen Ländern einzugehen. Auch die zentralasiatischen

Staaten sind daran interessiert, ihre Öl- und Gasreserven zu einem höheren Erlös auf dem

europäischen Markt zu verkaufen. Des Weiteren erhoffen sie durch die Kooperation mit der

EU ihre staatliche Souveränität gegenüber Russland zu stärken. Aber sowohl für

zentralasiatischen Staaten als auch für Aserbaidschan gibt es ein Problem in Bezug auf die

Lieferung von fossilen Energieträgern; denn diese Länder haben keine direkten Grenzen mit

der EU und sie haben außerdem keinen Meereszugang, um die Lieferungen auf dem Seeweg

zu tätigen.

Für den Transport der Energieträger aus dieser Region spielt vor allem der so genannte

südliche Korridor eine wichtige Rolle; denn er soll der EU einen freien Zugang sowohl zu

kaspischen als auch zu zentralasiatischen Erdöl- und Gasressourcen unter Umgehung des

russische Territoriums ermöglichen. Dieser Korridor liegt geografisch im Südkaukasus,

zwischen dem schwarzen und kaspischen Meer sowie zwischen dem Iran, Russland und der

Türkei. Andere Routen würden entweder nördlich über das russische Territorium oder südlich

über den Iran verlaufen. Der südliche Korridor erscheint aus diesem Grund als die optimale

Route aus der geostrategischen Perspektive für die EU-Länder.

Dabei soll das zentralasiatische und aserbaidschanische Gas und Erdöl über Georgien und

weiter entweder über das Schwarze Meer oder über die Türkei in die EU geliefert werden.

Georgien hat also aufgrund seines Meereszugangs und seiner Grenze zur Türkei eine

strategische Bedeutung für den Transit von kaspischen Energieträgern nach Europa.

Die Vielzahl von Aktivitäten der EU in dieser Region hat auch zur Schaffung von konkreten

Infrastrukturprojekten geführt. Besonders bemerkenswert sind dabei folgende Pipelines: die

Baku-Supsa-Pipeline, die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline und schließlich die Südkaukasus-

Erdgas-Pipeline. Mithilfe dieser Pipelines ist die EU in der Lage, beträchtliche Mengen vom

kaspischen Erdöl zu importieren. Brüssel ist nun bestrebt, auch die strategisch wichtigen

Erdgaslieferungen aus dieser Region zu tätigen.

9

Der Kreml betrachtet dabei das europäische Engagement und den wachsenden Einfluss des

Westens im Südkaukasus und im kaspischen Raum mit zunehmender Nervosität; denn er

deklariert diese Region als eigene Einflusszone; Zum einen fürchtet die russische Führung die

eigene Machtstellung in „ihrem Hinterhof“ zu verlieren. Des Weiteren sieht der Kreml seine

Monopolpolitik in Bezug auf die Energielieferungen in die EU in Gefahr, da die kaspischen

und zentralasiatischen Energieressourcen mehr Unabhängigkeit für die EU-Länder von

russischen Energielieferungen und Transitrouten bedeuten würden. Schließlich befürchtet

Moskau auch beträchtliche finanzielle Verluste, sollte es zur europäisch-kaspischen

Partnerschaft kommen, denn da die Länder aus dieser Region aufgrund der fehlenden

Pipelines ihre Gasexporte nicht direkt in die EU tätigen können, sind sie auf russische

Pipelines angewesen. Aus diesem Grunde kauft Gazprom zentralasiatisches Erdgas deutlich

billiger ein und verkauft es dann ebenso deutlich teurer an die EU-Staaten weiter. Ein Drittel

der russischen Gasimporte stammt somit eigentlich aus den zentralasiatischen Ländern.5 So

zahlt Gazprom für eintausend Kubikmeter Gas 50 bis 80 US-Dollar und verkauft es dann in

der EU und in postsowjetischen osteuropäischen Staaten für 180 bis 350 US-Dollar.6 Im Falle

einer europäisch-kaspischen Partnerschaft würden diese Gewinne für Gazprom natürlich

wegfallen. Aus diesen Gründen ist das westliche Engagement in südkaukasischen und

zentralasiatischen Ländern ein Dorn im Auge für Russland.

Da aber Georgien als einziges Transitland für die Lieferungen der Energieträger aus dem

kaspischen und zentralasiatischen Raum in Frage kommt, ist die Kontrolle über das Land für

den Kreml äußerst wichtig, wenn er seine Machtstellung als Monopolversorger der EU und

als Regionalmacht in postsowjetischen Ländern nicht verlieren möchte. Aus diesem Grund ist

Georgien am stärksten dem russischen Druck ausgesetzt.7 Deswegen wurden feindliche

Provokationen und die Eskalation der Lage noch vor dem georgisch-russischen Krieg von

einigen Experten thematisiert. Zu diesen feindlichen Provokationen zählen ökonomische und

politische Sanktionen Russlands gegen Georgien wie russisches Embargo auf georgische

Produkte, die Verletzung des georgischen Luftraums durch russische Kampfflugzeuge, die

zeitweise Sperrung von Strom- und Gaslieferungen, Einführung des Visa-Regimes mit

Georgien sowie das Anheizen der Konflikte um die abtrünnigen Regionen Abchasien und

Südossetien.

5 Vgl. Umbach, Frank; 2008: S. 28 6 Vgl. Schaffer, Marvin Baker, 2008: S. 13 7 Tsutsunashvili, Gaios, 2014: S. 23

10

Durch diese Maßnahmen versuchte Moskau, eine kontrollierte Instabilität Georgiens zu

erzeugen. Dadurch wollte die russische Führung das westliche Engagement in Georgien in

Bezug auf den Ausbau der Energieinfrastruktur risikoreich und somit unattraktiv machen.

Gleichzeitig wollte Russland durch das Anheizen des Konfliktklimas die mögliche

Osterweiterung der NATO stoppen. Als aber der Kreml merkte, dass seine Strategie keine

Früchte trug und Georgien sich immer stärker dem russischen Einfluss entzog und dem

Westen zuwandte, zog man in Moskau die militärische Option der Problemlösung immer

stärker in Betracht.

Für diese These spricht vor allem die massenhafte Verteilung von russischen Pässen an

Osseten und Abchasier, welche nach dem geltenden internationalen Recht georgische

Staatsbürger sind. Dies wird von vielen Autoren als Indiz dafür gewertet, dass Russland den

Einmarsch in Georgien schon lange vor 2008 geplant hat,8 denn schließlich ist die russische

Armee während des russisch-georgischen Krieg tatsächlich unter dem Vorwand in Georgien

einmarschiert, dass es seine „Staatsbürger“ vor georgischer Aggression schützen wolle.

Nach Ansicht vieler Experten und Politiker hatte allerdings Moskau andere Beweggründe für

die militärische Invasion in Georgien. Die tatsächliche Motivation des russischen

Einmarsches in Georgien bestand demnach darin, dass der Kreml einerseits seine

Monopolstellung als Gaslieferant Europas verteidigen und andererseits die georgische

Führung wegen seiner politischen Westorientierung bestrafen wollte. Schließlich wollte

Moskau durch den Einmarsch in Georgien die Osterweiterung der Militärallianz stoppen.

Bilanzierend lässt sich folgendes sagen: Die Europäische Union ist bestrebt, ihre

Energiebezugsquellen und Transitrouten zu diversifizieren, um sich aus der russischen

Energieimportabhängigkeit zu befreien. Deswegen möchte sich die EU einen Zugang zu den

billigeren Energiereserven im Kaspischen Becken unter Umgehung des Russischen

Territoriums verschaffen. Zu diesem Zweck sind die Europäer bemüht, neben den

bestehenden Erdölpipelines, noch weitere Gaspipelines durch den so genannten Südlichen

Korridor zu verlegen. Auch die zentralasiatische Länder und Georgien sind an der

Partnerschaft mit der EU im Bereich der Energiepolitik interessiert, denn sie erhoffen dadurch

einerseits ihre staatliche Souveränität gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht Russland zu

stärken, andererseits erhoffen sie sich kommerzielle Vorteile, die sich daraus ergeben.

8 Kříž, Zdeněk; Shevchuk, Zinaida; 2011: S. 94

11

Russland betrachtet hingegen das westliche Engagement in der Region sehr skeptisch. Der

Kreml scheut keine Mühe und nutzt alle Mittel, um seine Monopolstellung als

Energielieferant der EU zu verteidigen. Moskau ist durchaus bewusst, dass Georgien für die

europäische Energiediversifikation eine Schlüsselrolle zukommt; denn die Energieträger aus

dem kaspischen Becken können nur über Georgien nach Europa geliefert werden. Deswegen

möchte Moskau mit allen Mitteln Georgien unter seine Kontrolle bringen sowie die Europäer

und Amerikaner aus der Region raushalten und die Osterweiterung der NATO und der EU

stoppen.

12

3. Postsowjetischer Raum zwischen Europäischer und

Eurasischer Union. Georgiens Weg nach Europa

Mikheil Sarjveladze

Zerfall der Sowjetunion und der

postsowjetische Raum

Aus dem Vielvölkerreich Sowjetunion sind

nach dessen Zerfall 15 Staaten entstanden,

von denen einige bereits Erfahrung mit der

Staatlichkeit hatten und andere zum ersten

Mal zu einem Staat geworden sind. Der

letzte Außenminister der Sowjetunion

Eduard Schewardnadse bezeichnete den

Prozess des Zusammenbruchs des einstigen

Superstaates folgenderweise: "Es zerbrach

das letzte Imperium des 20. Jahrhunderts, die

Sowjetunion, dieses blutige, utopische, gegen den Willen Gottes und die Gesetze der Natur

entstandene Reich."9 Als erste erklärten sich 1990 die baltischen Staaten und Georgien

unabhängig von der Sowjetunion, denen bald die anderen osteuropäischen, südkaukasischen

und zentralasiatischen Republiken folgten. Russische SFSR erklärte keine Unabhängigkeit,

sondern formale Souveränität und wurde damit Rechtsnachfolger der Sowjetunion. Der Weg

in die Unabhängigkeit war keinesfalls friedlich und bereits die Vorereignisse wie die

Tragödien von Tbilisi 1989 oder Baku 1990, als friedliche Demonstranten von den

sowjetischen Truppen gewaltsam niedergeschlagen wurden, begleiteten neben den ethnischen

Konflikten die Auflösung des Sowjetimperiums. Fünfzehn Staaten sind auf dem Territorium

der ehemaligen Sowjetunion entstanden, die formell zwar die westlichen politischen Systeme

übernahmen, aber im Laufe der Zeit im Transformationsprozess unterschiedliche Erfolge

nachweisen konnten. Wenn man den postsowjetischen Raum im Rahmen der geographischen

Kategorien in vier Ländergruppen, in Baltikum, Osteuropäische Postsowjetstaaten (Belarus,

9 Eduard Schewardnadse: Als der Eiserne Vorhang zerriss. Begegnungen und Erinnerungen, Duisburg 2007, S. 208.

Mikheil Sarjveladze

studierte im Rahmen des

Bachelorstudiums in

Tiflis und Gießen

Germanistik und Sozial-

wissenschaften. Danach

folgte ein Master-

studium in „Geschichte

und Politik des 20.

Jahrhunderts“ an der

Friedrich-Schiller-

Universität Jena. Während des Master-studiums

in Jena war er Stipendiat der Magda und Kurt

Moellgaard-Stiftung/ZEIT-Stiftung Ebelin und

Gerd Bucerius/DAAD und absolvierte u.a. ein

Praktikum im Deutschen Bundestag

(Internationales Parlaments-stipendium). Zurzeit

promoviert er als Stipendiat der Konrad-

Adenauer-Stiftung an der a.r.t.e.s Graduate

School for the Humanities Cologne.

13

Ukraine, Moldau), Südkaukasus (Armenien, Aserbaidschan, Georgien), Zentralasien

(Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan) unterteilen würde, lassen

sich regionalen Besonderheiten in Bezug auf die politische, wirtschaftliche und kulturelle

Entwicklung nach dem Zerfall der Sowjetunion feststellen. Russland kann aufgrund seines

Status' und seiner Ansprüche als Nachfolgerstaat der Sowjetunion als eigene Kategorie

betrachtet werden.

Die baltischen Staaten wurden nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in die westlichen

Strukturen fest integriert und sind aktuell Mitglieder der EU und NATO. Weißrussland wird

oft als „letzte Diktatur Europas“10 bezeichnet. Das Land wird bereits seit 1994 vom

Präsidenten Lukaschenko regiert, dessen Herrschaft auf dem Prinzip beruht: „Die gesamte

Maschinerie des Staates ist dem Ziel des persönlichen Machterhalts untergeordnet.“11 Auf

dem Territorium Moldaus sind nach dem russischen Eingriff im Konflikt um Transnistrien,

die international nicht anerkannt ist, genauso wie in Abchasien oder Südossetien, russische

Soldaten stationiert. Moldau liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft der EU und somit im

unmittelbaren Spannungsfeld zwischen EU und Russland. Dasselbe gilt auch für die Ukraine,

die seit der Unabhängigkeit kulturell „in einen sehr russlandfreundlichen Ost- und einen (…)

europaorientierten Westteil zerrissen ist.“12 Während der Ukraine-Krise annektierte Russland

im Frühjahr 2014 die Krim und startete in der Ost-Ukraine mit dem Spaltungsprozess der

Ukraine, in dem Moskau paramilitärische Banden ins Land einschleuste und sie aktuell im

Kampf gegen den ukrainischen Staat unterstützt. Die Entwicklung der südkaukasischen

Postsowjetstaaten Armenien, Aserbaidschan und Georgien ist ebenfalls durch drei Konflikte –

um Abchasien, Südossetien und Berg-Karabach geprägt. Die sowjetische

Nationalitätenpolitik, die nach dem „Teile und Herrsche“ – Prinzip handelte, baute die

Sowjetunion als Vielvölkerstaat mit 15 Gliedstaaten und den Gliedstaaten nachgeordneten

Gebietskörperschaften (20 autonome Republiken, 16 autonome Gebiete und Kreise) auf.13

Dieses „wie Puppen in der Puppe angeordnete Matroshka-Modell“14 in dem s.g.

Titularnationen formell die ethnische Territorialhoheit besaßen, fiel nach dem Zerfall der

Sowjetunion auseinander. Im postsowjetischen Raum war der Südkaukasus der Ort, wo die

ethnisch-territorialen Konflikte am turbulentesten verlaufen sind, was die anfängliche

10 Vgl. http://www.mdr.de/kultur/inside-weissrussland100.html (Letzter Zugriff am 25.07.14) 11 Silitski, Vitali: Sonderfall Lukaschenko, in: APuZ : Ukraine und Weißrussland, 8-9/2007, S.9. 12 Vogel, Thomas/Kunze, Thomas: Von der Sowjetunion in die Unabhängigkeit, APuZ 49-50/2011, in:

http://www.bpb.de/apuz/59638/von-der-sowjetunion-in-die-unabhaengigkeit?p=all#footnodeid_1-1 (Letzter Zugriff am

27.07.14) 13 Vgl. Halbach, Uwe: Ungelöste Regionalkonflikte im Südkaukasus, SWP-Studie, Berlin 3/10, S.10. 14 Ebenda

14

Annährung Europas an die Region verhinderte, weil Europa sich vor der Wahrnehmung als

geopolitischer Spieler im Krisenherd Kaukasus aufzutreten, fürchtete.15 Östlich vom

Südkaukasus liegen die fünf zentralasiatischen Staaten – Kasachstan, Turkmenistan,

Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan. An Stelle dieser Staaten gab es vor der Sowjetunion

s.g. Khanaten, auf deren Territorien die Grenzen für die zukünftigen Sowjetrepubliken im

Rahmen der Nationalitätenpolitik von Stalin willkürlich gezogen wurden. Die Nachwirkungen

sind heutzutage in existierenden ethnischen Konflikten zu sehen. Dieser zentralasiatische Teil

des postsowjetischen Raums ist durch die autoritären Regierungssysteme gekennzeichnet, die

von jeweiligen Clans gesteuert werden. Wie es an dem Beispiel der oben angeführten

postsowjetischen Staaten offensichtlich wird, ist der wirkliche Durchbruch Richtung

westlicher Demokratien nur den baltischen Staaten gelungen, die auf das Entgegenkommen

seitens der EU und NATO gestoßen sind. Die anderen Staaten litten und leiden zum Großteil

immer noch an den Nachwirkungen der Sowjetunion.

Gemeinschaft Unabhängiger Staaten

Spricht man über den postsowjetischen Raum zwischen EU und Eurasischer Union, kommt

man an der GUS (Gemeinschaft unabhängiger Staaten) nicht vorbei. Die GUS wurde 1991

von Russland, der Ukraine und Belarus mit dem Ziel gegründet, die geordnete Auflösung der

Sowjetunion einzuleiten und die Kooperationen zwischen den postsowjetischen Staaten

sowohl in wirtschaftlichen, als auch in sicherheitspolitischen Bereichen neu zu definieren und

auszubauen. An sich blieb die GUS aber eine Plattform, die von Russland als Instrument zur

Rückgewinnung ehemaliger Einfluss-Sphären betrachtet wurde. Die Etablierung der GUS zu

einer starken Gemeinschaft scheiterte u.a. an den russischen hegemonialen Bestrebungen, so

dass die Organisation sich in einen „Papiertiger“16 verwandelte, der weder eine

wirtschaftliche, noch eine politische Integration gelungen ist. 2006 verließ Georgien die GUS,

2014 einer der Gründerstaaten die Ukraine im Zeichen der Ukraine-Krise. Dem gestiegenen

Interesse seitens der EU gegenüber ehemaligen postsowjetischen Staaten besonders seit der

Jahrtausendwende konnte Russland mit der GUS, die seit langem an der Bedeutungsverlust

leidet, nicht entgegenkommen.

15 Vgl. Halbach, Uwe: Der Blick Europas auf die Nachbarschaftsregion Südkaukasus und ihre ungelöste Regionalkonflikte,

in: http://www.gdi.economics.tsu.ge/pdf/word/halbax.pdf (Letzter Zugriff am 27.07.14) 16 Vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13680252.html(Letzter Zugriff 26.07.14)

15

Europäische Union vs. Eurasische Union

2009 startete die EU das Programm „Östliche Partnerschaft“ als Teil der europäischen

Nachbarschaftspolitik (ENP) gegenüber sechs postsowjetischen Staaten (Belarus, Moldau,

Ukraine, Armenien, Aserbaidschan und Georgien) mit dem Ziel „die notwendigen

Voraussetzungen für die Beschleunigung der politischen Assoziierung und der weiteren

wirtschaftlichen Integration zwischen der Europäischen Union und interessierten

Partnerländern zu schaffen.“17 Die Aktivität der EU im postsowjetischen Raum ist längst ein

Dorn im russischen Auge und als Gegenspieler der EU versucht Russland statt der nicht

konkurrenzfähigen GUS die Eurasische Union zu etablieren, von deren Gründung der

russische Präsident Putin 2011 sprach. Den Kern der Eurasischen Union, die laut Putin ein

politischer und wirtschaftlicher Block zwischen der EU und China bilden sollte, stellen

Belarus, Russland und Kasachstan dar, die bereits seit 2011 in einer gemeinsamen Zollunion

vertreten sind. Obwohl die eurasische Union ihre Arbeit erst ab 2015 aufnehmen sollte, trafen

ihre „Vorbereitungsmaßnahmen“ die „Östliche Partnerschaft“ hart. Verhandlungen im

Rahmen der „Östlichen Partnerschaft“ mit Belarus liegen aufgrund der politischen Lage des

Landes längst auf Eis. Armenien verzichtete auf Druck aus Moskau auf die Unterzeichnung

des bereits ausgehandelten Assoziierungs- und Freihandelsabkommens und kündigte an, der

Eurasischen Union beizutreten. Die Verhandlungen mit Aserbaidschan werden weitergeführt.

Russlands Druck auf Kiew, das Assoziierungsabkommen nicht zu unterzeichnen, endete mit

der Revolution und dem Regierungswechsel in der Ukraine. Durch die Annexion der Krim

und Entfachung des Krieges in der Ostukraine setzte Russland bereits in Georgien (während

der Kriege um Abchasien und Südossetien) angewendete Muster zur Okkupation des

Territoriums eines souveränen Staates um. Dennoch unterzeichneten sowohl die Ukraine, als

auch Moldau und Georgien Ende Juni 2014 das Assoziierungsabkommen mit der EU. Im

Vorfeld der Unterzeichnung des Abkommens drohte Moskau Moldau mit der Eskalation der

Situation in Transnistrien. In Georgien setzte Russland seine Okkupationspolitik in Form

eines Stacheldrahtzauns fort, der entlang der Okkupationslinie und in einigen Fällen weiter ins

Innere Georgiens zwischen dem georgischen Kernland und dem Sezessionsgebiet Südossetien

errichtet wurde.

17 Gemeinsame Erklärung des Prager Gipfeltreffens zur Östlichen Partnerschaft, in:

http://register.consilium.europa.eu/doc/srv?l=DE&f=ST%208435%202009%20INIT (Letzter Zugriff 28.07.14)

16

Die Eurasische Union, deren Gründungsmitglieder grob beschrieben eine Diktatur und zwei

autoritäre Staaten sind, soll laut dem russischen Präsidenten Putin eine durch Demokratie,

Freiheit und Marktwirtschaft geprägte internationale Organisation werden. Außer der

politischen Farce über Freiheit und Demokratie, sind die wirtschaftlichen Aspekte zu nennen,

die aufgrund der hohen Ungleichheit zwischen den Mitgliedsstaaten nicht nach einer rosigen

Zukunft aussehen. Allein Russland stellt rund 85% der Bewohner sowie der

Wirtschaftsleistung der Union und an weltweiten Gas- und Erdölreserven hat Belarus keinen

Anteil, sowie Kasachstan kaum Industrie.18 Die Volkswirtschaften der drei Mitgliedsstaaten

ergänzen sich nicht, vielmehr stehen sie eher in einer Konkurrenzsituation zueinander.19 Vor

allem ist aber die Eurasische Union ein geopolitisches Projekt, in dem Russland aufgrund

seiner Große und Macht die Führungsrolle übernimmt, um den „Verlust“ der Territorien der

ehemaligen Sowjetunion an die EU zu verhindern. Die Heranführung der postsowjetischen

Staaten an die EU und deren Bestrebung nach der Mitgliedschaft in der NATO wird in

Russland als Dolchstoß ins imperiale Herzen Russlands angesehen, weil Putin vor allem die

Übertragung der demokratischen Prozesse auf Russland und andere postsowjetischen Staaten

und damit eigenen und russischen Machtverlust befürchtet.

Der Südkaukasus, der aufgrund seiner geopolitischen Lage jene Grenzen markiert, die „für

die vitalen Sicherheitsinteressen Europas und die weitere Ausdehnung des europäischen

Binnenmarktes hervorgehobene Bedeutung besitzt“20, ist für Russland Teil des s.g. „Nahen

Auslandes.“21 „Nahes Ausland“ ist die russische Bezeichnung der Territorien der ehemaligen

Sowjetunion, die von Russland wie selbstverständlich als eigene Einflusssphäre betrachtet

werden. Als der einzige von drei südkaukasischen Staaten unterschrieb Georgien das

Assoziierungsabkommen mit der EU im Juni 2014 und erklärte weiterhin die Westintegration

des Landes zum Hauptziel seiner Außenpolitik. Gleichzeitig sind 20% des georgischen

Territoriums von Russland okkupiert. Obwohl die zwei Sezessionskonflikte um Abchasien

und Südossetien einigermaßen als eingefroren gelten, beinhalten sie ein großes

Gefahrpotenzial nicht nur für Georgien, sondern auch für die Sicherheitsinteressen der EU

und selbst für die Abchasen und Osseten. Russland instrumentalisierte jene

18 Vgl. http://www.fr-online.de/ukraine/russland-ukraine-eu-eurasische-union-putin-fehlt-ein-baustein-zum-

glueck,26429068,27297020.html (Letzter Zugriff am 30.07.14) 19KAS-Auslandsinformationen: Die Eurasische Union, S.4, in: http://www.kas.de/wf/doc/kas_36785-1522-1-

30.pdf?140207133937 (Letzter Zugriff am 30.07.14) 20 Meister, Stefan: Georgienkrise und die Rolle der EU, in: DGAP,

http://aussenpolitik.net/themen/eurasien/kaukasus/die_georgienkrise_und_die_rolle_der_eu/ (Letzter Zugriff am 01.08.14) 21 Smolnik, Franziska/Halbach, Uwe: Russlands Stellung im Südkaukasus, S.1., in: http://www.swp-

berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2014A01_hlb_smk.pdf (Letzter Zugriff am 01.08.14)

17

Sezessionskonflikte bereits Anfang 1990-er in Georgien22 und später 2008 während des

Georgienkrieges, um sich in die politischen Prozesse des Landes einzumischen und die

Westintegration Georgiens zu verhindern. Um die Ausweitung der NATO und der EU aus der

russischen Perspektive in seinem „nahen Ausland“ zu verhindern, scheint Russland u.a. in

Berücksichtigung des offenen Krieges in der Ukraine bereit zu sein, alle möglichen Methoden

anzuwenden. Dabei verletzt Moskau nicht nur die Souveränität der postsowjetischen Staaten

wie Georgien und Ukraine, sondern möchte auch über das Schicksal dieser Staaten selbst

bestimmen.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es im Zeichen der gegenwärtigen Krise zwischen

dem Westen und Russland auf den Punkt angekommen ist, der nicht zu vermeiden war. Es

war zu erwarten, dass einerseits nach der schwachen Phase Russlands unter Jelzin mit dem

Aufstieg Putins verbundene russische Bestrebungen, sich wieder zu einer Supermacht, zum

Super-Imperium wie in den vergangenen Jahrhunderten aufzusteigen und andererseits die

Osterweiterung der EU, die die Interessen der EU gegenüber dem postsowjetischen Raum

deutlich erhöhte, sich irgendwann aufeinander prallen würden. Der Aufprall war vor allem

aus zwei Gründen nicht vermeidbar: 1. Die EU hat in ihrer Politik gegenüber den Staaten der

ehemaligen Sowjetunion und Russland die imperialen Ansprüche Russlands und seine

Handlungsreichweite auf den postsowjetischen Raum unterschätzt. 2. Russland sieht in der

EU, die die Beziehungen mit dem „Nahen Ausland“ ausbaut, eine tödliche Bedrohung für die

eigenen imperialen Interessen. Dabei missachtet Russland im Gegensatz zur EU die

Souveränität der Staaten des Südkaukasus oder Osteuropas und bietet denen ebenfalls im

Gegensatz zu der EU eine Art Partnerschaft, die einen formellen Charakter hat und statt

Partnerschaft zur Knechtschaft unter Russland im Rahmen der Eurasischen Union führt.

Der Ukraine-Krieg zeigt deutlich, dass Russland im Gegensatz zur EU immer noch in dem

Denkmuster des Kalten Krieges steckt und wenn es um das „russische nahe Ausland“ geht,

sich nicht davor scheut, einen Krieg gegen seine Nachbarn zu führen. Einerseits führt Putin

als roter Zar, als Macht-Piranha Russland nicht in die Zukunft, sondern zurück in die

Vergangenheit, indem er der imperialen Größe Russlands nachtrauert und dem Rest der Welt

sie neu zu beweisen versucht. Andererseits zeigen die aktuellen Entwicklungen, dass es in der

Außenpolitik der EU eine allgemein funktionstüchtige Strategie gegenüber den ehemaligen

22 Vgl. Manutscharjan, Aschot: Russlands Politik im Südkaukasus, KAS-Auslandsinformationen 5/07, S.46.

18

Staaten der Sowjetunion und eine klare, einheitliche Linie diesbezüglich gegenüber Russland

fehlen. Wenn die EU sich tatsächlich als Wertegemeinschaft versteht, dann darf sie die

postsowjetischen Staaten mit ihren Hoffnungen nach Demokratie und Frieden nicht fallen

lassen. Angesichts des Krieges in der Ost-Ukraine strebt Russland die Destabilisierung der

Lage auf Dauer an, um so die Integration des Landes in die westlichen Strukturen zu

verhindern. Vor sechs Jahren zeigte Russland während des Georgienkrieges sehr deutlich,

dass es in den Staaten des postsowjetischen Raums weder die freie Wahl dieser Staaten, noch

deren Anbindung an den Westen zulassen würde. Nachdem auf dem NATO-Gipfel in

Bukarest im April 2008 zum ersten Mal verkündet wurde, dass die Ukraine und Georgien

Mitglieder der NATO werden könnten23, marschierte nach einer Serie von Provokationen die

russische Armee ins georgische Kernland ein, um die Welt im Stil der Sowjetunion daran zu

erinnern, dass Kreml eingefrorene Konflikte schnell zum Auftauen bringen kann. Aktuell

findet in der Ukraine die Verlängerung des Georgienkrieges vom August 2008 statt. Mit der

Hinnahme der russischen Aggression bzw. der Abspaltung der Ostukraine, was Putin

anscheinend beabsichtigt, wird nicht nur die Existenz der Ukraine als eines einheitlichen

Staates, sondern auch die gesamteuropäische Friedensordnung in Frage gestellt.

23 Vgl. http://www.nato.int/cps/en/natolive/official_texts_8443.htm(Letzter Zugriff am 02.08.14)