Nukleare Abrüstung in Nahost Realistische Option oder Wolkenkuckucksheim

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WeltTrends • Zeitschrift für internationale Politik • 81 • November/Dezember 2011 • 19. Jahrgang • S. 49-58 Nukleare Abrüstung in Nahost Realistische Option oder Wolkenkuckucksheim? Liviu Horovitz und Roland Popp Kernwaffenfreie Zone, Israel, Iran Welche Chancen bestehen für die Errichtung einer kernwaffen- freien Zone Nahost? Was im Kontext der globalen Supermacht- konkurrenz während des Kalten Krieges noch unerwünscht schien, ist nun aus Sicht der Obama-Administration offen- kundig eine willkommene Ergänzung des weltweiten Nicht- verbreitungsregimes. Diese neue Position der USA hat frische Hoffnungen für eine Eindämmung der Proliferation oder sogar einer Denuklearisierung der Nahostregion geweckt. Derlei Hoffnungen sind jedoch verfrüht. What should we be doing, if anything, about broader regional arms limitation other than lament how difficult the problem is? 1 Walt Rostow, 1964 D er resignativ-spitzbübische Kommentar des kommenden Nationalen Sicherheitsberaters Walt Rostows aus dem Jahr 1964 versinnbildlicht die lange Zeit negative Einstel- lung der amerikanischen Führungsmacht zur Idee regionaler Rüstungskontrolle im Allgemeinen und der Einrichtung kern- waffenfreier Zonen im Besonderen. Im Geiste der visionären Abrüstungsversion seiner vielbeachteten Prager Rede vom April 2009 hat Präsident Barack Obama Anfang Mai 2011 dem US-Senat die Kernwaffenstaaten betreffenden Protokolle der Verträge von Rarotonga und Pelindaba zur Ratifizierung vorgelegt, welche kernwaffenfreie Zonen (KWFZ) im Süd- pazifik respektive in Afrika zum Ziel haben. Die nunmehr positive amerikanische Grundeinstellung hinsichtlich regio- naler Initiativen zur Einrichtung kernwaffenfreier Zonen als Ergänzung – und in der Realität sogar über die Bestimmungen des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) hinausge- hend – zum globalen Regime hat Hoffnungen geweckt, dass ähnliche Initiativen auch in der konfliktträchtigen Region des 1 Rostow, Walt Whitman: Memo to U. Alexis Johnson, 14.02.1964. In: Records Relating to Disarmament and Arms Control, 1961-1966, Record Group 59 [State Department], National Archives at College Park, Md. Liviu Horovitz, geb. 1983, Researcher am Center for Security Studies an der ETH Zürich. [email protected]

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WeltTrends • Zeitschrift für internationale Politik • 81 • November/Dezember 2011 • 19. Jahrgang • S. 49-58

Nukleare Abrüstung in NahostRealistische Option oder Wolkenkuckucksheim?

Liviu Horovitz und Roland Popp

Kernwaffenfreie Zone, Israel, Iran

Welche Chancen bestehen für die Errichtung einer kernwaffen-freien Zone Nahost? Was im Kontext der globalen Supermacht-konkurrenz während des Kalten Krieges noch unerwünscht schien, ist nun aus Sicht der Obama-Administration offen-kundig eine willkommene Ergänzung des weltweiten Nicht-verbreitungsregimes. Diese neue Position der USA hat frische Hoffnungen für eine Eindämmung der Proliferation oder sogar einer Denuklearisierung der Nahostregion geweckt. Derlei Hoffnungen sind jedoch verfrüht.

What should we be doing, if anything, about broader regional arms limitation other than lament how difficult the problem is? 1

Walt Rostow, 1964

Der resignativ-spitzbübische Kommentar des kommenden Nationalen Sicherheitsberaters Walt Rostows aus dem

Jahr 1964 versinnbildlicht die lange Zeit negative Einstel-lung der amerikanischen Führungsmacht zur Idee regionaler Rüstungskontrolle im Allgemeinen und der Einrichtung kern-waffenfreier Zonen im Besonderen. Im Geiste der visionären Abrüstungsversion seiner vielbeachteten Prager Rede vom April 2009 hat Präsident Barack Obama Anfang Mai 2011 dem US-Senat die Kernwaffenstaaten betreffenden Protokolle der Verträge von Rarotonga und Pelindaba zur Ratifizierung vorgelegt, welche kernwaffenfreie Zonen (KWFZ) im Süd-pazifik respektive in Afrika zum Ziel haben. Die nunmehr positive amerikanische Grundeinstellung hinsichtlich regio-naler Initiativen zur Einrichtung kernwaffenfreier Zonen als Ergänzung – und in der Realität sogar über die Bestimmungen des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) hinausge-hend – zum globalen Regime hat Hoffnungen geweckt, dass ähnliche Initiativen auch in der konfliktträchtigen Region des

1 Rostow, Walt Whitman: Memo to U. Alexis Johnson, 14.02.1964. In: Records Relating to Disarmament and Arms Control, 1961-1966, Record Group 59 [State Department], National Archives at College Park, Md.

Liviu Horovitz, geb. 1983, Researcher am Center for Security Studies an der ETH Zü[email protected]

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Nahen und Mittleren Ostens Früchte tragen könnten. Tat-sächlich hat sich die NVV-Überprüfungskonferenz 2010 als eines ihrer wichtigsten Ergebnisse auf die Einberufung einer Konferenz aller nahöstlichen Staaten im Laufe des Jahres 2012 geeinigt, deren Ziel erste Schritte zur Errichtung einer Zone frei von Kern- und anderen Massenvernichtungswaffen in der Region sein soll.

Dabei wurden einige regionale Rüstungskontrollinitiati-ven aus früheren Jahrzehnten aufgegriffen. Nachdem Israel die nukleare Schwelle im Vorfeld des Juni-Kriegs von 1967 überschritten hatte, unternahm man erste konkrete Schritte hin zu einer KWFZ. Ägypten und der monarchische Iran brachten 1974 einen gemeinsamen Resolutionsentwurf in die UNO-Generalversammlung ein, der alle Staaten der Region als ersten Schritt hin zur Verwirklichung einer KWFZ zum Kernwaffenverzicht und zum Beitritt zum NVV aufforderte. In einem allgemein positiv bewerteten Schritt entschloss sich Israel 1980, seine zuvor praktizierte Enthaltung zu den KWFZ-Resolutionen zugunsten einer Zustimmung aufzugeben.

Trotz dieses vermeintlichen Konsenses blieben die Positi-onen weitgehend unvereinbar. Während die arabischen Staaten Atomwaffenverzicht und Beitritt zum NVV als Vorbedingung für eine umfassende regionale Friedensrege-lung und direkte Verhandlungen betrachteten, standen aus israelischer Warte diese Schritte am Ende eines abgeschlos-senen Friedensprozesses, der Anerkennung Israels durch die Nachbarstaaten und einer Regelung aller übrigen Streit-punkte. Der ägyptische Präsident Mubarak kam israeli-schen Bedenken 1990 entgegen, indem er das Konzept einer KWFZ im Nahen Osten auf sämtliche Massenvernich-tungswaffen ausdehnte. Somit wäre ein konkreter Verzicht nicht allein auf die einzige Nuklearmacht Israel beschränkt gewesen, sondern hätte zugleich chemische und biologische Waffenkapazitäten der anderen Staaten mit einbezogen. Eine Massenvernichtungsfreie Zone (Weapons of Mass Destruc-tion Free Zone, WMDFZ) wäre entstanden. Inkrementelle Lösungsansätze wie z. B. die im Rahmen der multilateralen Dimension des Nahostfriedensprozesses eingerichtete Arms Control and Regional Security Working Group (ACRS) (1992-95) scheiterten letztlich an der israelischen Weigerung, die eigene Nuklearkapazität zu diskutieren.

Roland Popp, geb. 1970, Senior Researcher am

Center for Security Studies an der ETH

Zürich. [email protected]

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Samson, der nukleare Nebbich

Die offizielle israelische Haltung bezüglich der Einrichtung einer KWFZ oder einer WMDFZ im Nahen Osten ist, dass eine solche grundsätzlich begrüßenswert und man selbst zu Verhandlungen bereit sei. Diese Bereitschaft steht allerdings unter der Voraus-setzung einer umfassenden und seitens der USA garantierten Friedensregelung des Gesamtkonflikts sowie, darüber hinaus, der Einhegung bzw. Beseitigung der häufig als „existenziell“ einge-schätzten Bedrohung durch „problematische“ Staaten, vor allem Iran. Externe Beobachter schlussfolgern aus dieser Haltung, dass das zentrale Hindernis zur Einrichtung einer nahöstlichen KWFZ somit ein Linkage-Problem ist: Ernsthafte Schritte hin zu nuklearer Abrüstung bedingen zwangsläufig eine qualita-tive Verbesserung der zwischenstaatlichen Beziehungen in der Region, zuvorderst eine aufrichtige Anerkennung des Existenz-rechts Israels, eine gerechte Endstatusregelung zwischen Israelis und Palästinensern auf Basis der Zweistaatenlösung sowie die Integration Israels in die Gesamtregion.

Diejenigen Beobachter, die die Umsetzung einer NWFZ im Nahen Osten trotz all dieser Hemmnisse für realistisch halten, argumentieren, dass es in Israels ureigenem Interesse sei, seine gegenwärtige Position der Stärke zur Umsetzung einer günsti-gen Friedensregelung und zur garantierten Beseitigung nicht-konventioneller Gefahren für seine Sicherheit zu nutzen. Diese Argumentation beruht allerdings im Kern auf der Annahme, dass ein umfassender Frieden in der Tat die Aufgabe des nukle-aren Monopols seitens Israels bedingt. Zwar haben sich in der Vergangenheit auch israelische Politiker dementsprechend geäußert. Allerdings ist hinsichtlich der tatsächlichen Bereit-schaft, die eigenen Kernwaffen aufzugeben, Skepsis angebracht.

Die Entscheidung für den Bau von Atomwaffen durch den ersten israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion war in erster Linie der Erkenntnis geschuldet, dass die im arabisch-israelischen Krieg von 1947-48 erreichte Sicherung des eigenen Territoriums und die erlangte konventionelle Überlegenheit gegenüber den arabischen Nachbarstaaten nicht zwangsläu-fig von Dauer sein würde. Demographische und territoriale Fakten würden sich, so Ben-Gurions Kalkül, irgendwann in der Zukunft auch auf das militärische Gleichgewicht auswirken, womit sich Israel potenziell mit einer arabischen Übermacht

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konfrontiert sähe. Somit schien der Aufbau einer nuklearen Kapazität geboten, mit der Funktion einer Ultima Ratio, falls die Zerstörung des Landes unmittelbar bevorstünde.

Im Kern war die israelische Bombe somit ein weiterer Baustein in der Grand Strategy Israels seit seiner Gründung, die wohl am treffendsten mit der Metapher der Eisernen Mauer, wie sie der frühe zionistische Revisionist Ze’ev Jabotinsky formu-liert hatte. Jabotinsky zufolge konnte die jüdische Besiedlung Palästinas und die Gründung eines Staates mit mehrheitlich jüdischer Bevölkerung nur gegen den Widerstand der lokalen Bevölkerung erreicht werden. Eine Akzeptanz des neuen Staates könne nur langfristig erreicht werden, am Ende dessen sich die regionalen Nachbarn mit dessen Existenz abfänden. Bis dahin müsse sich der junge Staat hinter einer Eisernen Mauer gegen-über der Umgebung abschotten. Die Kernwaffen dienten somit neben der Abwendung einer existenziellen Bedrohung auch als Beteuerung dieses Konzeptes mit dem Ziel, jede Hoffnung auf eine territoriale Revision in Palästina zu zerstören. Somit gehen die Bewegründe hinter der israelischen Entscheidung zugunsten einer Kernwaffenkapazität über die gängige Beschwörung einer Abwendung existenzieller Bedrohungen hinaus und passen sich in eine breitere israelische Langzeitstrategie ein.

Darüber hinaus stand die israelische Entscheidung im Kontext der unmittelbaren Erfahrung der eigenen Machtbe-schränkungen gegenüber den globalen Supermächten, die ein Ende des Suez-Abenteuers von 1956 – ein gemeinsamer israe-lisch-französischer-britischer Angriffskrieg gegen das aufstre-bende und sich sowohl anti-westlich als auch pan-arabisch gebärdende Ägypten Gamal Abdel Nassers – und den Rückzug aus dem dabei besetzten Sinai erzwangen. Es scheint plausibel, dass diese Eindrücke und insbesondere die impliziten sowjeti-schen Drohungen mit einem nuklearen Angriff einen Einfluss auf die israelische Entscheidung ausübten. Somit sind Zweifel gegenüber israelischen Behauptungen angebracht, die israeli-sche Bombe diene ausschließlich der Abwehr einer existenziel-len Bedrohung und nicht der Erlangung eines herausgehobenen Status in der Staatenwelt oder der Durchsetzung regionaler Suprematie und sei eben somit ein Fall sui generis.

Ideologische Gemengelage und militärische Erfolge weckten zumal auch eigene territoriale Ambitionen, die sich in der der de-facto Annexion Ost-Jerusalem und der Golan-Höhen sowie

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der fortgesetzten Siedlungstätigkeit in den übrigen besetzten Gebieten niederschlugen. Durch die Ausdehnung des israeli-schen Herrschaftsgebiets wurde allerdings die bereits absehbare Hinnahme der Realität Israels durch die meisten arabischen Führer konterkariert und die zentrale Konzeption der Eisernen Mauer unterminiert. Angesichts der gewaltsamen Ausdehnung Israels war es den Nachbarn im Grunde unmöglich sich mit der Existenz Israels abzufinden, das als Bedrohung wahrgenommen wurde: Das Trauma von 1967 ersetzte jenes von 1948.

Während die nukleare Option in weiten Teilen der israe-lischen Bevölkerung im Sinne einer letzten Rückversicherung weiterhin große Unterstützung erfährt, hat sich die Bedeutung der Kernwaffen offenkundig verschoben. Trotz Abwesenheit anderer nuklearer Mächte in der Nahostregion hat sich Israel zum Ausbau seines Arsenals und zum Aufbau einer See-gestütz-ten Zweitschlagskapazität entschlossen.2 Zudem gibt es immer wieder Hinweise auf die Entwicklung taktischer Atomwaffen, was im Grunde mit der vorgeblichen ultima-ratio-Nukleardok-trin einer Samson-Option unvereinbar wäre. Nicht allein die Erweiterung des nuklearen Arsenals spricht gegen jede Bereit-schaft israelischer Regierungen, in Zukunft auf die eigenen Kernwaffen zu verzichten. Hinzu kommt die partielle Aufgabe der Konzeption der Eisernen Mauer – unabhängig von der jewei-ligen Zusammensetzung der israelischen Regierung – zugunsten einer schleichenden Annexion zentraler Teile der besetzten West Bank, womit eine regionale Integration Israels im Rahmen einer umfassenden Friedensregelung im Grunde ausgeschlossen ist. In diesem Sinne rückt auch eine mögliche Aufgabe der eigenen Kernwaffen in weite Ferne.

Im unwahrscheinlichen Fall eines erfolgreichen Abschlusses der Endstatusgespräche mit den Palästinensern ist eine nukle-are Abrüstung Israels nicht zu erwarten. Selbst mit einer allge-mein als gerecht empfundenen Gesamtlösung könnte Israel wohl sein grundsätzliches Ziel einer Akzeptanz und Anerken-nung in der Region erreichen, auch ohne zusätzliche nukleare Abrüstung. Selbst bei einer erfolgreichen Lösung des Palästina-konflikts verblieben periphere Gefahren wie Iran oder mögli-cher zukünftiger politischer Wandel in anderen nahöstlichen Staaten, die sich von neuem als Bedrohung Israels herausstellen könnten. Angesichts der bisher skizzierten Situation gibt es in

2 Shavit, Ari: Power of Deterrence: Interview with Uzi Arad. In: Haaretz, 10.07.2009.

Weiterlesen:M. Müller,Entscheidung in Potsdam: Einsatz der AtombombeWeltTrends Papiere 18

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der strategischen Elite Israels weder die Bereitschaft noch sieht sie irgendeine Notwendigkeit, ernsthaft die Aufgabe der eigenen Kernwaffen zu erwägen.

Ein Spiel auf Zeit

Abgesehen von der fehlenden israelischen Bereitschaft werden die Bemühung zur nuklearen Abrüstung im Nahen und Mittleren Osten zusätzlich durch das unentwegt fortschreitende iranische Nuklearprogramm erschwert. Seit dem öffentlichen Bekanntwerden der iranischen Arbeiten zur Errichtung einer Urananreicherungsanlage in Natanz und eines Schwerwasserre-aktors in Arak im Sommer 2002 hat sich das Hauptaugenmerk der internationalen Öffentlichkeit auf die nuklearen Aktivi-täten Teherans konzentriert. Nach mehrjährigen Konsultati-onen zwischen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und Iran wurde das Nukleardossier schließlich an den UNO-Sicherheitsrat überwiesen. Internationaler Druck, unzäh-lige Vermittlungsbemühungen und vier Runden von Sanktionen konnten Iran allerdings nicht bewegen, seine Nuklearaktivi-täten einzustellen. Andererseits halten die US-Geheimdienste bis heute an ihrer 2007 öffentlich gemachten Einschätzung fest, dass Teheran bereits im Herbst 2003 sein eigentliches Waffen-programm gestoppt habe. Allerdings ist diese Entscheidung jederzeit umkehrbar. Die fortschreitende Urananreicherung bringt Iran einer Breakout Capability und in der Folge dem Status einer latenten Nuklearmacht immer näher.

Die Ursprünge des iranischen Nuklearprogramms liegen in der Ära von Schah Mohammad Reza Pahlawi und seinen Ambitionen, das Land zu einer Weltmacht, Nuklearbewaff-nung inklusive, zu verwandeln. Nach der iranischen Revolution sah sich das Land mit einer irakischen Aggression konfron-tiert. Diese historische Erfahrung und insbesondere der Einsatz chemischer Kampfstoffe durch den Irak und das Ausbleiben internationaler Ächtung dieser Kampfführung haben die neuen politischen Eliten entscheidend geprägt und tiefes Misstrauen gegenüber den Intentionen der Weltmächte gesät. Neben dem traditionellen irakischen „Erbfeind“ sehen die Machthaber in Teheran die USA als Hauptbedrohung an, da die Beziehun-gen zu Washington seit der Revolution und der Geiselkrise gespannt sind. Diverse militärische Zusammenstöße und

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Fast-Zusammenstöße wie die fehlgeschlagene Befreiungsak-tion von 1980, die teilweise Versenkung der iranischen Marine 1988 und die Krieg-in-Sicht-Krise nach dem Khobar Towers-Anschlag von 1996 haben dieses gegenseitige Feindbild verhär-tet. Diverse Versuche eines Rapprochements zwischen den beiden Staaten in den vergangenen 30 Jahren sind fehlgeschlagen.

Beim jetzigen Kenntnisstand kann über das eigentliche Kalkül hinter dem iranischen Atomprogramm nur spekuliert werden. Zum einen gibt es durchaus plausible Sicherheitsinte-ressen, die für die Anschaffung von Kernwaffen sprechen wie z. B. die Tatsache, dass sich im regionalen Umfeld Irans mit Israel, Pakistan, Indien und Russland bereits vier Atommächte befinden. Die Überzeugung, dass die USA weiterhin danach trachten, die Errungenschaften der islamischen Revolution in Iran rückgängig zu machen, ist ebenfalls ein Argument zuguns-ten eines nuklearen Abschreckungspotenzials. Viele Faktoren sprechen aber dagegen: Eine Welle nuklearer Proliferation in der Region wäre kaum im strategischen Interesse Irans. Iranische Kernwaffen würden die Bedrohungsperzeption der Golfstaa-ten nachhaltig verändern und diese zwingen, sich durch einen amerikanischen Nuclear Umbrella zu schützen. Die langfristige Etablierung amerikanischer Militärmacht am Golf wäre aus Sicht Teherans höchst unwillkommen. Die zunehmende inter-nationale Isolierung und die Einbußen aufgrund des Sanktions-regimes sind ebenfalls ins Gesamtkalkül mit einzubeziehen.

Trotz dieser Ambiguität ist eine baldige Beendigung des Nuklearstreits mit dem Iran nicht in Sicht. Die verbreitete Annahme in der westlichen Öffentlichkeit ist die eines nicht vertrauenswürdigen iranischen Akteurs, der verschiedene Vermittlungs- und Verhandlungsvorschläge immer nur dazu nutzt, mehr Zeit zu gewinnen, ohne letzten Endes wirkliche Bereitschaft zu zeigen, sein Nuklearprogramm offenzulegen und die Urananreicherung einzustellen. Allerdings gingen die bisherigen Vermittlungsangebote kaum über die Zusagen für den Verzicht auf Sanktionen im Gegenzug für eine Aufgabe des Nuklearprogramms hinaus. Spätere Angebote der EU-3 enthiel-ten zwar auch – vor allem wirtschaftliche – Anreize, die für die iranische Führung jedoch zentralen Sicherheitsgarantien seitens der USA, Zusagen auf Subversionsverzicht und Anerkennung des Status Irans als bedeutende regionale Macht wurden aber verweigert. Während der Verhandlungen wurde gerade seitens

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der USA der Druck gegenüber Iran fortwährend verstärkt, graduell multilaterale und unilaterale Sanktionsschritte unter-nommen, Sabotageakte gegen das Nuklearprogramm und verdeckte Operationen in Gebieten iranischer Minderheiten unternommen und der Iran als Hauptbedrohung des Weltfrie-dens stilisiert.

Selbst die von globalen Begeisterungstürmen begleitete Neuausrichtung amerikanischer Außenpolitik durch den neuen Präsidenten Obama konnte die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. In der Frage des iranischen Nuklearprogramms sind die Kontinuitäten zur Politik der späten Bush-Administ-ration sicherlich größer als die Unterschiede. Ein unvoreinge-nommener Beobachter der US-Iranpolitik wie das ehemalige Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates, Gary Sick, kam zu dem Schluss: „The only conclusion I can draw from this is that Obama was never sincere about his engagement strategy. It has yet to be tried.“3

Die plausibelste Erklärung ist, dass aus US-Sicht der Preis für eine erfolgreiche Verhandlungslösung schlicht zu hoch erscheint. Neben der (womöglich nur symbolischen) Anerken-nung des iranischen Rechts auf zivile Nuklearforschung und Urananreicherung wäre man gezwungen, ein im Grunde feind-selig gesinntes Regime als regionale Macht anzuerkennen. Dies würde Prestige und Einfluss der USA in der Region und gerade am Persischen Golf weiter schwächen. Innenpolitisch wäre ein solcher Kompromiss angesichts der Dominanz pro-israelischer Kräfte nicht zu vermitteln. Daraus ergibt sich die Taktik der USA, Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren, aber gleich-zeitig den Druck auf Iran aufrecht zu erhalten. Fortgesetz-ter wirtschaftlicher und diplomatischer Druck hat zudem den Vorteil, dass er die nicht erwünschte Alternative eines militäri-schen Waffengangs vorerst verhindert. Die Veröffentlichung der Geheimdiensteinschätzung von 2007 diente gerade dem Zweck, Befürwortern der Militäroption den Wind aus den Segeln zu nehmen. Letzten Endes versuchen die USA Zeit zu gewin-nen, das Nuklearprogramm durch Sanktionen und Sabotage zu verzögern, und mittel- bis langfristig auf durchgreifenden politi-schen Wandel in Teheran selbst zu hoffen, eine Option, die mit den Unruhen nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl von 2009 zumindest realistischer als zuvor erscheint.

3 Sick, Gary: Wikileaks, Iran and War. In: gary’s choices, 19.11.2010.

Weiterlesen:W. Kötter,

Rettung des Sperrvertrages?WeltTrends 74

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Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass das fortschrei-tende iranische Programm die Verwirklichungschancen für eine KWFZ erheblich reduziert. Aus Sicht der USA gibt es keinen Grund, beide Problembereiche miteinander zu vermengen, wie es immer wieder seitens Teherans versucht wird. Washington hat kein Interesse daran, die 1969 etablierte Vereinbarung zur Aufrechterhaltung der „Ambiguität“ (amimut) hinsichtlich der israelischen Kapazität aufzugeben. Da die USA die gemeinsame Behandlung des israelischen Nuklearstatus mit dem iranischen Atomprogramm strikt ablehnen, erscheint der KWFZ-Ansatz als ein kaum gangbarer Weg.

Prager Visionen – nahöstliche Realitäten

Die Zielsetzung der Nonproliferationspolitik der Obama-Administration stimmt im Kern mit Bushs Politik überein, nur wählt sie andere Mittel. Obamas Bevorzugung des multilate-ralen Wegs grenzt sich augenfällig vom Unilateralismus Bushs ab und kann bereits jetzt auf größere Erfolge verweisen, wie nicht zuletzt das Beispiel der NVV-Überprüfungskonferenz von 2010 gezeigt hat. Es besteht allerdings die Gefahr, dass der von der Administration gewählte Weg des rhetorischen Overkill – dem Propagieren weitreichender, visionärer Grundsatzreden ohne anschließende Umsetzung – mittelfristig zu Enttäuschungen und weiteren Beschädigungen amerikanischer Glaubwürdigkeit und Stellung führt. Die wenigen konkreten Schritte der USA auf dem Weg zu einer KWFZ im Nahen und Mittleren Osten resultierten im Grunde aus der Notwendigkeit, ein Scheitern der NVV-Überprüfungskonferenz zu verhindern und den nicht-paktgebundenen Staaten und vor allem Ägypten in dieser Frage entgegenzukommen. Zeitgleich versprach Obama aber Israel offenbar die Unterstützung und Aufrechterhaltung des israeli-schen Abschreckungspotentials, was im Grunde mit den eigenen sich aus dem NVV ergebenden Verpflichtungen unvereinbar ist.

Für die Einberufung der anberaumten Konferenz der nahöstli-chen Staaten zur Einrichtung einer WMDFZ spricht daher zum jetzigen Zeitpunkt wenig. Bis jetzt gelang es weder, einen Media-tor noch ein Gastgeberland zu bestimmen, und eine Verschie-bung auf 2013 ist wahrscheinlich. Die Verunsicherung, die der Arabische Frühling ausgelöst hat, wirkt sich ebenfalls negativ aus. Von einigen Beobachtern erhoffte vertrauensbildende Schritte wie

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zum Beispiel der Ratifizierung des Kernwaffenteststoppvertrages durch Ägypten und Israel oder die Schließung der – ohnehin veralteten – Nuklearanlagen von Dimona sind kaum zu erwar-ten. Ohnehin scheint der inkrementelle Weg wenig vielverspre-chend. Die USA allein besitzen genügend Status und Einfluss, um Verhandlungen für eine regionale KWFZ auf den Weg zu bringen. Dies würde allerdings sowohl amerikanische Bereitschaft für einen Grand Bargain mit dem Iran und für die Abwertung der Special Relationship mit Israel zur Voraussetzung haben.

Es zeigt sich, dass zwischen einer erfolgreichen Endstatus-regelung im arabisch-israelischen Konflikt und der Aufgabe israelischer Kernwaffen kein Junktim besteht. Die häufig herge-stellte Verbindung zwischen Kernwaffen und Friedensprozess in der öffentlichen wie professionellen Wahrnehmung beruht im Kern auf einer eher zweifelhaften Interpretation des israelischen Nuklearstatus als Fall sui generis.

Was bleibt, ist die Aussicht auf grundlegende Veränderung der strategischen Realitäten durch den arabischen Frühling. Gerade in der ägyptischen Außenpolitik zeichnet sich bereits jetzt ein neuer Ansatz ab, der sich nach den abzuhaltenden Präsi-dentschafts- und Parlamentswahlen noch vertiefen dürfte. Im Iran ist ebenfalls grundlegender politischer Wandel nicht auszu-schließen, was sich auch auf die Nuklearfrage auswirken dürfte. Wie sich eine neue Führung in Teheran, vielleicht sogar eine demokratische Regierung, in dieser Frage positionieren würde, ist derzeit nicht absehbar. Angesichts des um sich greifenden Wandels in der Region mit ungewissem Ausgang scheint die gegenwärtige Konzentration auf die Fragen nuklearer Abrüs-tung allerdings verfehlt und potenziell destabilisierend.