Naive Politik? Die Auswirkung der Hartz Reformen auf den deutschen Arbeitsmarkt
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Naive Politik?Die Auswirkung der Hartz Reformen auf den deutschen Arbeitsmarkt
Thema 4Selected Topics in Labor Economics
Wintersemester 2014/15
Jerome Nikolai Warren1050424
16. Dezember 2014
Universitat SiegenFakultat III: Wirtschaftswissenschaften
Lehrstuhl”European Economic Policy“, Dr. rer. pol. Lars Siemers
Zusammenfassung
Die Hartz Reformen machten eine der großten Umgestaltungen eines sozialen Transfer-systems in der Geschichte der Bundesrepublik aus. Die darin enthaltenen Reformen sind sehrumstritten, und ihre Auswirkung auf die deutsche Gesellschaft und den Arbeitsmarkt unklar.Daruber hinaus stellen einige Verfassungsbeschwerden die gesetzliche Lage der Reformen inFrage. Dieser Artikel mochte die Reformen in einem umfassenden Zusammenhang betrach-ten und sie hinsichtlich ihrer angekundigten, aber auch fur weiterfuhrende Auswirkungenuntersuchen. Angesprochen werden Themen wie Suchzeit, Deregulierung, Lang- und Kurz-zeitsarbeitslosigkeit, Soziale Praferenzen und Anreize und offentliche Meinung. BesondererFokus wird auf dynamische Auswirkung von Anreizen auf Praferenzen gestellt. Das Ergebnisist, dass die Hartz Reformen einige
”durchdachte“, aber auch viele
”naive“Aspekte aufweisen,
die kunftige Regierungen verbessern konnen.
Danksagung
Ich mochte mich ganze herzlich bei Herrn Tobias Becker (Uni Siegen) und Herrn Lennart Stern(Ecole normale superieure, Paris) fur ihre Hilfe, den ersten Entwurf zu lesen, zu korrigieren undhilfreiche Vorschlage zu machen bedanken. Gleicherweise mochte ich mich auch bei Frau (fastDr.) Aiden Sisler (TU Berlin, Cambridge) fur ihre Hilfe bei der Literaturrecherche bedanken.
i
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 1
2 Hintergrund 12.1 Herkunft des Namens und die Hartz Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Die Gesetze, ihre Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
3 Offentliche Meinung 3
4 Ergebnisse 34.1 Wichtige Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
4.1.1 Jacobi & Kluve (2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44.1.2 Fahr & Sunde (2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54.1.3 Klinger & Rothe (2012) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54.1.4 Nagl & Weber (2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
4.2 Allgemeine, modellubergreifende Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64.2.1 Existenzgrundungszuschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74.2.2 Arbeitsplatzgarantie und das Problem der Ein-Euro-Jobs . . . . . . . . . . . . . 7
5 Warum sind die Reformen nicht erfolgreicher? 75.0.3 Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75.0.4 Sanktionen und Wohlfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85.0.5 Auswirkung auf Soziale Praferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105.0.6 Exklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115.0.7 Soziale Schere, Okonomische Ungleicheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
6 Fazit 12
Anhang 13
A Die Rolle der Hartz Kommission 13
B Die Drei Wellen der Hartz Reformen 13
C Das Suchtheoretische Modell 14
Abbildungsverzeichnis1 Graphische Darstellung der positiven Auswirkung von Strafen in offentlichen Gutern Spiele 152 Effekte von Anreizen auf Einhalten eines Benehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Eine Graphik, die Wohlfahrtsverluste durch
”illegitime“ Anreize verdeutlicht. . . . . . . 16
ii
1 Einleitung
[Bowles und Polania-Reyes, 2012] unterscheiden zwischen zwei Arten von politischen Linien:
”naive“ und
”durchdachte“ . Diese beiden Muster bemessen nicht notwendigerweise in welchem
Ausmaß diese oder jene Linie in das Verhalten der betroffenen Menschen eingreift1, sondern sie
reflektieren das Verhaltnis zwischen den erstrebten Zielen der Linie und den tatsachlich hervorgerufe-
nen Anderungen. Dies bedeutet, es gibt Falle wo mehr Eingreifen in das Verhalten von Menschen zu
positiven Effekten (sog.”Crowding in“) fuhrt, d.h., wo Eindringen wunschenswert ist. Zur gleichen
Zeit gibt es Falle der Verdrangung (”Crowding out“, wo Eingreifen aus unterschiedlichen Grunden die
Verwirklichung von den gewunschten Zwecken verhindert. Es wird mein Argument im folgenden sein,
dass die”Hartz“ Reformen einige durchdachte, aber zumeist naive Aspekte aufweisen, solange man
in gewissen Zugen von dem neoklassischen Modell und dem Modell Homo Oekonomicus abweicht2.
2 Hintergrund
Zum Hintergrund der Hartz Reformen sollten zwei Ereignisse erwahnt werden. Zum einen die
Wiedervereinigung Deutschlands, die 1991 geschah, und zum anderen der Globalismus als Leitidee
einer (wirtschaftlich) zunehmend verflochtenen Welt. Zum Teil als Folge der Wiedervereinigung
Deutschlands und zum Teil aus einer allgemein konjunkturell bedingten Rezession erlitt Deutschland
in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts und den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts
eine (stetig) hohe Arbeitslosenrate. Unterschiedliche Maßnahmen wurden ergriffen um dies zu
beseitigen. Dies wurde mit der Reform des Arbeitsschutzgesetzes durch die Kohl Regierung in
1996 begonnen. [Dingeldey, 2007, Seite 829ff.] Diese Reform reichte jedoch nicht aus, um die
strukturellen Schwachen des deutschen Arbeitsmarkts zu beseitigen.
Diese Reformwelle wurde von der Regierung Schroders in 2001 mit dem”Job-AQTIV“ Gesetz
weitergefuhrt. Dieses Gesetz zeichnete eine der ersten wesentlichen Zasuren im deutschen Arbeitsrecht
von dem klassischen Bismark’schen Modell aus [Fleckenstein, 2008, S. 178ff.], und gilt als eine
der ersten sog.”aktivierenden“ Arbeitsmarktmaßnahmen Deutschlands [Dingeldey, 2007]. Es
ist moglich, dass es im Falle einer langeren Probeperiode fur das”Job-AQTIV“ Gesetz spurbare
Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt gegeben hatte. Jedoch uberließ die Geschichte dem Gesetz
wenig Zeit bevor die nachste große Zasur kam.
2.1 Herkunft des Namens und die Hartz Kommission
Im Februar 2002 loste sich ein Skandal in der Nationalpresse aus, als der Bundesrechnungs-
hof Manipulationen bei der Erstellung von Vermittlungsstatistiken erwies [Kroger, 2002]. Dies
fuhrte zu einer klassischen Legitimationskrise im Sinne von [Habermas, 1973] gegenuber der
Bundesanstalt fur Arbeit (BA, heute”Bundesagentur fur Arbeit“). Hierauf reagierte die Regierung
Gerhard Schroders mit der Beschaffung einer”Kommission fur Moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt“ (spater als die”Hartz Kommission“ bezeichnet), deren Aufgabe es wurde, die BA zu
reformieren, und sog.”Verschiebungsbahnhofe“ (ineffiziente Stellen zwischen den zustandigen Sozial-
und Arbeitsamtern) zu eliminieren. Dazu kam noch das Ziel, die Anzahl der Langzeitarbeitslosen
in Deutschland (regelmaßig einer der hochsten in OECD Landern) zu reduzieren.
1Also, in welchem Verhaltnis sie in dem Spektrum”libertar“
”authoritar“zutreffen.
2Grunde fur diese Abweichungen werden im folgenden gegeben.
1
In wie fern die Hartz Kommission tatsachlich zu der Realisierung der Gesetze beigetragen hat
wird im Anhang A besprochen.
2.2 Die Gesetze, ihre Ziele
Die Hartz Gesetze wurden mit den oben angegebenen Zielen verabschiedet. Sie wurden in drei
unterschiedlichen Wellen eingefuhrt. Diese werden im Anhang B ausfuhrlich erlautert, und sind
auch aus mehreren Quellen zu entnehmen.
Die Reformen werden im folgenden kurz gefasst. Zum einen wurde Arbeitsvermittlung reformiert
(Hartz I und III), und Teilzeitarbeit wurde zum großen Teil dereguliert (Hartz II). Der Arbeitsagentur
(von jetzt an als”Jobcenter“ bezeichnet) liegen Quoten von zu vermittelnden Erwerbslosen vor. Diese
werden jetzt als”Kunden“ behandelt . Weiterhin werden die Jobcenter als Zentrale Anlaufstelle
(”One stop shop“ ) fur die Fursorge Erwerbslosen gesehen (Hartz III): Beratung, soziale Einrichtungen,
Zahlung von Sozialhilfe und Weiteres werden alles innerhalb des Jobcenters betrieben. Dazu kommen
noch”Quasi-Markte“ : Personal-Service-Agenturen, die fur
”vermittlungsorientierte Arbeitneh-
meruberlassung“ zustandig sind, konnen laut Hartz I auch private Unternehmen sein. Ein Existenz-
grunder-Zuschuss, der uber bisherige Subventionen hinaus ging, wurde auch eingefuhrt (Hartz II).
Der Bezug von Langzeitarbeitslosenbeihilfe (ALG II), was bisher eine Proportion des bisherigen
Gehalts betrug, wurde mit einer Pauschale ersetzt, die sich eher dem Betrag der vorherigen Sozialhilfe
als dem vorherigen Langzeitarbeitslosengeld (der erste der im Schnitt wesentlich niedriger war als
der zweite) annaherte (Hartz IV). [Fleckenstein, 2008]. Dazu wurden”Sanktionen und Anreize“
eingefuhrt, die mit Nichteinhaltung der Eingliederungsvereinbarungen3 bezogen sind.
Dazu kommen noch das Profilieren der”Kundschaft“ : ahnlich wie der danische Sozialstaat
seit den Arbeitsmarktreformen der 90er Jahren [Benjaminsen und Busch-Geertsema, 2009]
werden Leistungsempfanger der Jobcenter in vier unterschiedliche Kategorien eingestuft, nach ihrer
Integrationsfahigkeit in den Arbeitsmarkt: Marktkunden, Beratungskunden Aktivieren, Beratungs-
kunden Fordern und Betreuungskunden werden mit sinkender Wahrscheinlichkeit als”erwerbsfahig“
eingeschatzt. Gewisse ethische Fragestellungen entstehen aus dem Fakt, dass solche Einstufungen
einige”Kunden“ daran hindern, an bestimmten Maßnahmen teilzunehmen4. Dies konnte zu sog.
”Armutsfallen“ oder
”Teufelskreisen der Armut“ fuhren. Obwohl eine Teilnahme an der Ausfuhrung
von offentlichen Aufgaben fur solche”Betreuungskunden“ moglich ist, stellt die Situation die Gefahr,
soziale Ungleichheiten zu vergegenstandlichen und zu einer zugespitzten Exklusion zu fuhren. Wir
kommen in einem spateren Kapitel (5.0.6) wieder darauf zuruck.
Im Allgemeinen entzog diese Reform den Anspruch auf eine Eingliederung in ein statussicherndes
Versicherungskonstrukt, eben das des ursprunglichen Arbeitslosengeld II. Dieses Konstrukt wurde
in ein Steuertransferkonstrukt verwandelt und es verlor somit den Versicherungsaspekt.(z.B., dass
man sich mit einem hoheren Lohn wahrend der Erwerbstatigkeit gegen Arbeitslosigkeit absichern
kann). Dies fuhrt zu Verlusten in den Anspruchen auf Sozialhilfe bei einem breiten Band der
3Vertrage die jeder Erwerbslose unterzeichnen muss, modelliert auf den britischen Arbeitsmarkt, und oftersals Formalitat gesehen
4 [Jacobi und Kluve, 2006, Seite 7] erklart, dass”nur die Kunden, bei denen eine 70% Erfolgswahrscheinlichkeit
hervorgesagt wird, bei bestimmten Aktivierungsmaßnahmen teilnehmen konnen.“
2
Gesellschaft [Jacobi und Kluve, 2006, Seite 4]. Eine ausfuhrliche Erklarung der Hartz Reformen
findet man in Teil 3 von [Jacobi und Kluve, 2006].
3 Offentliche Meinung
Eine unter Leitung der Universitat Frankfurt ausgefuhrte Untersuchung der offentlichen Meinung
bezuglich Hartz IV stellte große Widerstande gegenuber der Reform fest [May und Schwanholz,
2013, Seite 212, ff.]. Laut den Umfragen sieht eine uberwiegende Mehrheit der deutschen Bevolkerung
maßgebliche und grundsatzliche Probleme in unterschiedlichen Aspekten der Reform. [May und
Schwanholz, 2013] schreiben,
”[d]as Niveau der ALG—II—Leistungen bewerten nahezu 60 Prozent der bundesdeutschen Bevolkerung
als schlecht oder eher schlecht. Das bedeutet, dass deutlich mehr als die Halfte der Bevolkerung mit derpolitisch festgelegten Armutsgrenze nicht ubereinstimmt und das staatliche soziokulturelle Existenzmi-nimum als schlecht, d.h. nicht ausreichend bewertet. Die Anrechnung von Einkommen und Vermogen(Starkung des Fursorgeprinzips) auf die Arbeitslosenunterstutzungen empfanden etwas mehr als dieHalfte der Bevolkerung als ungerecht und eine Mehrheit der Deutschen (68 Prozent) befurwortet eine zeit-lich unbegrenzte Umsetzung des Aquivalenzprinzips. Sie sprechen sich fur eine Statussicherung uber einleistungs- und beitragsabhangiges Arbeitslosengeld auch bei langerer Arbeitslosigkeit aus. Ein Drittel derBevolkerung schließlich befurwortet den
”Workfare“ Charakter der Grundsicherung fur Arbeitssuchende.
Sie sind der Meinung, dass eine zumutbare Arbeit unter Androhung der Einstellung staatlicher Leistun-gen auch unterhalb des Qualifikations- und des vormaligen Lohnniveaus angenommen werden sollte.“
Dies bedeutet, dass es, zumindest in Rucksicht auf die letzte Reformwelle der Hartz Reformen,
erhebliche Differenzen in der Gesellschaft gegenuber diesen Reformen gibt. Spatere Studien bestatigen
diese Einsicht.5 Daruber hinaus stellte eine in 2008 ausgefuhrte Studie fest, dass mehr als die Halfte der
Deutschen mit der Grundsicherung fur Arbeitslose unzufrieden sind [Nuchter, 2010, S. 72]. Ahnlich
sieht es bezuglich der sozialen Sicherung aus, deren Zufriedenheit seit 1990 (d.h., in der Periode seit
den Reformen) mer als 18% und seit 1998 mehr als 12% zuruckgegangen ist [Nuchter, 2010, S. 72ff.].
Auch bedeutsam sind einige dem Verfassungsgericht ubergebene Falle, welches einige Widrigkeiten
in der Gestaltung der Reformen feststellte6. Diese werden aus Platzgrunden hier nicht weiter
behandelt, aber stellen ebenso grundlegende Fragen zu dem Anspruch auf Sozialhilfe und der
Gestaltung einer gerechten Gesellschaft in den Raum.
4 Ergebnisse
Von Auswirkungen der Hartz Reformen auf die Gesellschaft ist in jedem Fall zu sprechen. Da
dies auch zum Teil beabsichtigt war, ist sicherlich von”positiven“ und
”negativen“ Effekten zu
reden. Um festzustellen, welche Auswirkungen”positiver“ und welche
”negativer“ Art sind, mussen
wir zuerst feststellen, was die Ziele der Reformen sind.
Ziel der Reformen war es, eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik einzufuhren, die Existenz
eines zwei-Schienen Systems der Sozialhilfe (unter anderem auch”Verschiebungsbahnhofe“) zu
beseitigen [Fleckenstein, 2008], sowie Arbeitsmarktstrome zu beschleunigen, die Ausdauer der
Arbeitslosigkeit zu reduzieren und dabei die Anzahl der Burger außerhalb des Arbeitsmarkts zu
5Siehe, zB., eine Umfrage vom Sterm vom 03.02.2010 http://www.stern.de/wirtschaft/news/
stern-umfrage-zu-hartz-iv-was-der-staat-zahlen-soll-und-was-nicht-1540480.html. Laut dieserUmfrage, empfanden 61% der Befragten, dass der ALGII Betrag zu niedrig sei.
6Siehe, zB., https://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg10-005.html
3
reduzieren [Fahr und Sunde, 2009]. Ein Ziel, welches wahrend der Zeit der Einfuhrung der
Reformen erwahnt wurde, war die Halbierung der Arbeitslosigkeit und das Einsparen von Geld
(Sozialausgaben sollten im Zuge der Reformen reduziert werden).
Die Reformen sind in zwei ihren Hauptzielen offensichtlich gescheitert: die Halbierung der Ar-
beitslosigkeit und die Reduzierung der Verwaltungskosten.7 Die Ergebnisse der anderen Ziele sind
umstritten. [Krause und Uhlig, 2012] stellen zwar einen signifikanten (negativen,”positiv“ in
unserem Sinne) Effekt der Reformen auf die Arbeitslosigkeit fest, bemerken jedoch, dass das seit
1910 existierende Phanomen des Kurzarbeitergelds auch eine erhebliche Rolle in der Senkung der
Arbeitslosenzahlen seit 2005 gespielt hat (besonders seit 2008). Daruber hinaus, stellen [Hertweck
und Sigrist, 2012] eine Erhohung der”Matches“, d.h., die Effizienz mit der Arbeitslose aus dem
Arbeitslosenzustand ausscheiden und neue Arbeit finden, fest.
Diese Ergebnisse entsprechen aber leider keinem Konsens, wie im folgenden gezeigt wird, wobei
einige empirische Studien zu den Auswirkungen von den vier Hartz Reformen zusammengefasst
werden. Danach werden einige Aspekte der Reformen tiefergreifend untersucht und interpretiert.
4.1 Wichtige Untersuchungen
4.1.1 Jacobi & Kluve (2006)
[Jacobi und Kluve, 2006] fassen die Ziele der Hartz Reformen in drei Hauptthesen1. Verbesserung der Arbeitsvermittlung und der Arbeitsmarktpolitik2.
”Aktivierung“ der Erwerbslosen und
3. Forderung der Arbeitsnachfrage durch Deregulierung des Arbeitsmarkts.
.”Zu diesem Zweck,“ deuten [Jacobi und Kluve, 2006, Seite 2] an,
”anderte[n] die Reform[en]
fundamental den institutionellen und gesetzlichen Rahmen der die Rechte und Pflichten der Erwerbs-
losen bestimmt, und auch, am wichtigsten, anderte[n sie] das System der Leistungen.“ Weiterhin
erklaren [Jacobi und Kluve, 2006, ibid] die Reformen als”die erste politische Reform in der BRD
die mit umfassenden wissenschaftlichen Untersuchungen begleitet war“Jedoch kritisiert [Brenke,
2013, Seite 2] das Vorgehen von vielen dieser Untersuchungen, von denen etliche”Festhalten von
Bestatigungsfehlern“ beinhalten.
[Jacobi und Kluve, 2006] wenden eine einfache numerische Analyse an. Eine Menge Reform-
elemente zeigten kleine oder keine Auswirkungen: Lohnzuschuße fur altere Angestellte [Jacobi und
Kluve, 2006, Seite 19ff], Arbeitsbeschaffungsprogramme [Jacobi und Kluve, 2006, Seite 18ff], Zeit-
arbeitsvertrage fur altere Angestellte [Jacobi und Kluve, 2006, Seite 23ff] wiesen alle keine oder nur
unbedeutende Effekte auf die Erwerbslosigkeit bei den entsprechenden demographischen Gruppen auf.
Die”Midijob“ Reform (siehe Anhang 2.2 konnte in 2005 125,000 zusatzliche Individuen hin-
zuzahlen. Dazu konnten sich 1,8 Millionen zusatzliche Personen in 2005 zu den Mini-Jobbern zahlen.
Jedoch, wie [Jacobi und Kluve, 2006] angeben, sind dies meistens Menschen, die nicht vorher
im Arbeitsmarkt waren, was [Brenke, 2013] dadurch erklart, dass dies eine”Legalisierung der
Schwarzarbeit“ beinhaltet. Dies ruft naturlich auch im Verhaltnis mit”Ein-Euro-Jobs“ gewisse
ethische Fragestellungen auf, die in 4.2.1 weiter diskutiert werden.
7
”Warum Hartz IV so teuer wurde“ , F.A.Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung 01.06.2006, S. 002;
”Kosten Hartz
IV“, Zentrum fur Politische Bildung, Baden-Wurttemberg http://www.lpb-bw.de/kosten_hartz_iv.html Zugriff29.11.2014
4
4.1.2 Fahr & Sunde (2009)
[Fahr und Sunde, 2009] schildern das (nicht unerhebliche) Datenproblem bei der Untersuchung
von Auswirkungen der vier Reformen.8 Kritik von dem Bundesrechnungshof der BA gegenuber fuhrte
zu einer Reform der Erhebung von Statistiken im Fruhling 2002. Dazu hat die BA auch in 2004 die IT
(Informationstechnologie) zur Erhebung von Statistiken geandert, was zu einigen Lucken in den Daten
fuhrte. Als drittes”Datenproblem“ kommt die Umschichtung von mehreren Langzeitarbeitslosen (sog.
”Stille Reserven“ ), die bisher als Empfanger von Sozialhilfe berechnet wurden, die die Einfuhrung
von Hartz IV begleitete. Diese Zasuren fuhrten [Fahr und Sunde, 2009] dazu, sich auf einen
beschrankten Zeitraum zu befassen, und eine Untersuchung von Hartz IV zu unterlassen.
[Fahr und Sunde, 2009] richten sich in ihren Untersuchungen auf ein Suchtheoretisches Modell
(in Anhang C erlautert) mit Rucksicht auf Wirtschaftsbranchen. Bezuglich der ersten Reformwelle
(Hartz I & II) stellen [Fahr und Sunde, 2009] einen positiven Effekt auf die Beschleunigung der
erfolgreichen Arbeitssuche von 5-10% fest. Bezuglich der zweiten Reformwelle (Hartz III) wird eine
”schwache aber positive Auswirkung“ festgestellt. Diese liegt ebenfalls zwischen 5 und 10%, je nach
Branche. Es sollte beachtet werden, dass fur beide Reformen der Bau- und Fertigungsbereich die
starksten Auswirkungen erlitt. Die Begrundung fur dies liegt daran, dass diese Branche starker
als andere auf Personal-Agenturen fur die Fullung von Arbeitsstellen angewiesen ist, die von den
Reformen betroffen wurden. [Fahr und Sunde, 2009, Seite 297] Dazu noch, dass die Auswirkung
in den neuen Bundeslandern starker war [Fahr und Sunde, 2009, Seite 314].
Auf Hartz IV wurde aus angegebenen Grunden nicht in dieser Untersuchung eingegangen.
4.1.3 Klinger & Rothe (2012)
[Klinger und Rothe, 2012] leiten ein Regressionsmodell her, das sich, im Gegesatz zu [Fahr
und Sunde, 2009], mit geographischen Unterschieden auseinandersetzt. Dies tun sie aus zwei
Grunden: 1) Langzeitarbeitslose mussen ofters in anderen Branchen nach Berufen suchen, als die,
worin sie moglicherweise ausgebildet wurden/tatig waren, und 2) Arbeitsmarktmobilitat (Anderung
des Berufes) ist uberraschend gering [Klinger und Rothe, 2012].
Ihre Ergebnisse sind folgend: die erste Welle der Reformen (Hartz I & II) erhoht die Effizienz der
Arbeitssuche um 7%. Die zweite Welle der Reformen (Hartz III) erhohte die Effizienz der Suche um
4%. Hartz IV, dem entgegen, hatte eine negative Auswirkung auf die Effizienz (auf Kurzzeitarbeits-
lose). [Klinger und Rothe, 2012, Seite 22] spekulieren, dass dies durch die Umschichtung einiger
Sozialhilfeempfanger als”arbeitslos“ zu tun hatte, das sog. Problem der
”verdeckten Arbeitslosigkeit“
oder der”Stillen Reserven“ .
4.1.4 Nagl & Weber (2014)
Die Untersuchung von [Nagl und Weber, 2014] bezieht sich nur auf Auswirkungen von der
letzten Welle der Reformen (also,”Hartz IV“ ). Das Modell ist auch ein
”Such-theoretisches“ das
die Hartz IV Reform als Dummyvariable behandelt und – anders als einige anderen Modelle – auch
das BIP (Bruttoinlandsprodukt) als verzogerte Einflussvariable berucksichtigt. Dies schließt externe
Wirkung durch konjunkturell bedingte Auf/Abschwunge als Faktor aus.
8Siehe [Fahr und Sunde, 2009, Teil 4].
5
[Nagl und Weber, 2014, Seite 19] stellen fest, dass Hartz IV wahrend der untersuchten Periode
starkere Auswirkungen bei Frauen und Personen in den neuen Bundeslandern hatte, was sich
durchaus mit den anderen erwahnten Untersuchungen untermauern lasst 9. Die durchschnittliche
Zeitdauer der Arbeitslosigkeit ist durch Hartz IV um etwa 24% beschleunigt worden. Jedoch waren
den Auswirkungen starker Heterogenitat zugeschrieben. Die Effekte auf Langzeitarbeitslose, zB., sind
unklar: fur die meisten Langzeitarbeitslosen war der Effekt von Hartz IV entweder bedeutungslos
oder sogar auch negativ. Dies wird dadurch erklart, dass beide Gruppen (Lang- und Kurzzeiterwerbs-
lose) ihre Anforderungen minimieren als Reaktion auf die Senkung des Langzeitarbeitslosengeldes
(ALG II), und dass eher Kurzzeiterwerbslose diese Positionen bekommen (wobei diese vorher den
Langzeitarbeitslose uberlassen waren). [Nagl und Weber, 2014, Seite 20ff]. Die Wohlfahrtseffekte
dieser Reaktion werden weiter in 5.0.4 besprochen.
Daruber hinaus, stellten [Nagl und Weber, 2014] fest, dass die reine Anzahl der Arbeitslosen in
der Periode nach Hartz IV kleiner war als die vor der Reform (auch mit konjunktureller Rucksicht).
Dazu wird auch festgestellt, dass die durchschnittlichen Lohne der Arbeitssuchenden, etwa im
Vergleich zu der Zeit vor Hartz IV, gesunken sind. [Nagl und Weber, 2014, Seite 13] Ostdeutsche
sind bei den meisten Effekten uberproportional betroffen. [Nagl und Weber, 2014, ibid]
Interessanterweise, stellen [Nagl und Weber, 2014] fest, dass der Ubergang von Kurz- auf
Langzeitarbeitslosigkeit vor und nach der Reform Unterschiede aufweist bezuglich der Rucksicht auf
das vorher erworbene Einkommen. Vor der Reform anderte sich die Ubergangs-/Suchzeit nicht im
Verhaltnis zu dem vorherigen Einkommen (sie war also Einkommensunabhangig). Jedoch wird nach
der Reform eine stetig steigende Beschleunigung der Arbeitssuche mit sinkender Restdauer des ALG I
bemerkt, wenn dies gegen das vorherige Einkommen bemessen wird. [Nagl und Weber, 2014, Seite
20ff.] erklaren dies durch den neuen Druck, was die Pauschalleistung des ALG II (nicht mehr
statussichernd wie vor der Reform) auf arbeitslose Individuen ausubt. Wie im Paragraphen 5.0.3
besprochen wird, konnen solche Situationen naturlich zu Wohlfahrtsverlusten (und zu allgemeinen
ethischen Dilemmas) fuhren.
4.2 Allgemeine, modellubergreifende Auswirkungen
Obwohl der allgemeine Ansatz der Eigenverantwortung ein sehr guter ist (Grunde hierfur werden
im letzten Abschnitt [5.0.5] besprochen), kann er zu schadlichen Ergebnissen fuhren. Guisseppe
Mazzini argumentierte, dass”Materialisten keine Rucksicht auf das Individuum nehmen, wahrend
Idealisten vergessen, der Mensch sei Teil eines Ganzen“ . Diese Ansicht konnte man auch auf
sozialstaatliche Fragestellung ubertragen: zum Teil ist jeder Mensch selbstverantwortungsbedurftig.
Es muss aber auch nie vergessen werden, dass Arbeitslosigkeit sowohl subjektiv-individuelle, als
auch strukturell-konjunkturelle Komponenten umfasst. [Eick, 2011] und [Booth und Scherschel,
2010] erwahnen auf Basis von Umfragen, dass viele Empfanger von Sozialhilfe der reformierten
Sozialstaaten Europas sich von unterschiedlichen Maßnahmen nicht geholfen fuhlen10. Legitimitat
spielt sicherlich auch eine Rolle in dem Ausmaß der Auswirkung einer Reform. Dies weist darauf hin,
9fur Frauen, [Nagl und Weber, 2014, Seite 14], fur die neuen Bundeslander, siehe, zB., [Jacobi und Kluve,2006, Seite 20]
10In Danemark ist es sogar eine Pluralitat.
6
dass eine demokratische Gestaltung von solchen Programmen moglicherweise zu hoheren Erfolgen
fuhren konnte. Dieses Thema wird analytisch in 5.0.5 diskutiert.
Im folgenden werden einige einzelnen Reform-Aspekte in ihrer empirischen Auswirkung diskutiert.
4.2.1 Existenzgrundungszuschuss
[Caliendo und Kritikos, 2010] beschreiben die Auswirkungen der zweiten Hartz Reform als
durchaus positiv. Es wird klar, dass der Existenzgrundungszuschuss (ExGZ), im Zusammenhang mit
dem schon existierenden Uberbruckungsgeld eine positive Rolle spielt, in der Anzahl der selbststandig
Erwerbstatigen. Nichtsdestoweniger, ist die Demographie, an die der ExGZ gerichtet ist anders als
die des letzteren. Der Bildungsgrad der Empfanger des ExGZ ist deutlich niedriger:”the SUS [ExGZ]
attracted a different clientele, which is underrepresented among the self-employed.“ Die Maßnahme
hat einen deutlich positiven Effekt auf die Anzahl der Betroffenen, die in Arbeitslosigkeit geraten.
Auch mehr als 2 Jahre nach Erhalt des Zuschusses sind die Arbeitslosenzahlen fur ExGZ-Empfanger
unter 10% fur Frauen und 15% fur Manner. Jedoch bemangeln [Caliendo und Kritikos, 2010]
das geringe Ausmaß der vorhandenen Daten bezuglich der ExGZ-Geschafte, so dass eine prazise
Einschatzung nicht ohne weiteres moglich ist.
Eine Frage, die bei der Reform ubrig bleibt, ist in wie fern die Beschaftigung der Betroffenen
finanziell unabhangig ist (also, in wie fern ExGZ-Empfager als”verdeckte Sozialhilfeempfanger“zu
sehen sind).
4.2.2 Arbeitsplatzgarantie und das Problem der Ein-Euro-Jobs
Viele von den durch Hartz IV versprochenen Reformen zur Garantie eines Arbeitsplatzes sind nicht
verwirklicht worden. In der Tat dienen Ausbildungsverfahren durch die Personell-Service-Agenturen
(PSA) und die sog.”Ein-Euro-Jobs“ der Rolle, diese Lucken zu fullen. Uber die PSA Stellen sind
in den letzten Jahren hauptsachlich die Kritiken eingetroffen, dass ihre Erfolgsraten zu niedrig
sind11, und dass sie gewisse”Lock-in Effekte“ aufweisen, was bedeutet, dass Erwerbslose, die an
solchen Maßnahmen teilnehmen, nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfugung stehen. [Benjaminsen
und Busch-Geertsema, 2009, Seite 142ff.] Die Verbreitung der”Ein-Euro-Jobs“ auf der anderen
Seite–die ursprunglich als reine Notmaßnahme gesehen werden sollten–ist mit großer Furcht zu
betrachten. In 2008 gab es mehr als 300,000 Menschen die in solchen Tatigkeiten beschaftigt
waren. [Benjaminsen und Busch-Geertsema, 2009, Seite 142]
5 Warum sind die Reformen nicht erfolgreicher?
Die obige Diskussion sollte klarstellen, dass der Saldo der Reformen weder eindeutig noch
unumstritten ausfallt. Im folgenden soll untersucht werden, warum dies der Fall sein konnte (also,
warum die Reformen nicht starker in die gewunschte Richtung gewirkt haben).
5.0.3 Sanktionen
Wie schon im ersten Teil erwahnt, besteht ein nicht unerheblicher Teil der Reformen aus”Sank-
tionen und Anreizen“ , die, zB. Kurzungen des Anspruchs auf finanzielle Forderung beinhalten,
zum Teil aber auch daraus bestehen, dass die Anspruchsdauer der Leistung (ALGII) gekurzt wurde
und Leistungen an das Haushaltseinkommen gekoppelt sind und die Ersparnisse der Haushalte
11Diese unterscheiden sich meistens von Programm zu Programm, so dass ein reiner gleitender Durchschnittnicht sehr aussagekraftig ist
7
(sog. Schonvermogen)”bis zu einem gewissen Punkt“ ausgeloscht werden mussen, bevor offentliche
Forderung beansprucht werden kann [Klinger und Rothe, 2012]. Mehrere Studien weisen darauf
hin, dass diese”Sanktionen und Anreize“ tatsachlich zu erhohten Arbeitsbewerbungen und zu
verkurzten Perioden der Erwerbslosigkeit fuhren [Kettner und Rebien, 2007]. Jedoch stellen
diese Ereignisse auch andere Fragen in den Raum, zB., die von Wirtschaftsethiker Alexander Dietz
in [Dietz, 2013, S. 147ff.], aber auch andere. Daruber hinaus haben auch schon einige empirische
Studien keine signifikante oder sogar negative Auswirkung der Sanktionen auf die Effizienz der
Arbeitssuche feststellen konnen [Van den Berg et al., 2004], [Schneider, 2008], [Hillmann
und Hohenleitner, 2012], und [van den Berg et al., 2013].
Unter Umstanden mogen Menschen gerne, andere zu bestrafen [Fehr und Camerer, 2007].
Strafen haben ofters positive soziale Effekte, und dienen dem Einhalten von akzeptablen Verhalten
[Bowles und Gintis, 2011]. Mehrere Studien bestatigen, dass das Belohnungszentrum betatigt ist,
wenn Menschen andere bestrafen, deren Verhalten sie als”ungerecht“empfinden.12 Schlussfolgerung:
wir sind soziale Tiere mit inharenten ethischen Kompetenzen, Teils deren Strafen sind. Daruber hinaus,
stellt sich in experimentellen Zustanden sogar ein evolutionarer Vorteil in Gruppen wo Bestrafung
moglich ist heraus [Bowles und Gintis, 2011, S. 29ff.]. Dies bedeutet, dass es nicht nur der Fall
ist, dass Menschen gerne bestrafen (Menschen mogen viele Dinge die ungesund oder evolutionar
fragwurdig sind: Sußigkeiten, zB., oder Rauchen); es ist auch empirisch nachweisbar, dass die
Moglichkeit zu bestrafen ofters Vorteile in den Ausgangen strategischer Situationen bietet, im Vergleich
zu Situationen wo es diese Moglichkeit nicht gibt (das sog.”Freerider Problem“). Siehe Abbildung 2.
Auf der anderen Seite, muss beachtet werden, dass dieser Vorteil immer dann verschwindet (und
auch eventuell zum Nachteil wird) sobald Strafen als”illegitim“betrachtet werden. Mehrere empirische
Untersuchungen bestatigen diesen Fakt [Bowles und Gintis, 2011, S. 26ff]. Sachlich erklart,
konnen”ungerechte“Strafen zu neurologischen Reaktionen und sogar Anderungen der Praferenzen
fuhren (Menschen werden uberzeugt, weniger altruistisch zu denken und richten sich eher auf
Nutzen maximierendes Verhalten, zB.). Es kann gewisse”Rachensstrategien“und andere suboptimale
Strategien hervorrufen13. Da die Hartz Reformen in vielen Hinsichten als”unfair“betrachtet werden
[Schneider, 2008, S. 28ff] ist diese Gefahr eine ernsthafte, fur die Bestimmung einer in den Augen
der Gesellschaft gerechten sozialpolitischen Linie, die in 5.0.5, so wie kurz in 5.0.4, besprochen wird.
5.0.4 Sanktionen und Wohlfahrt
Der Konsens um Sanktionen bildet sich darum, dass die Auswirkung auf unterschiedliche dynami-
sche Faktoren hinaus lauft. Einige Beispiele sollten dazu dienen, dies zu erlautern. Ein Personalwechsel
der Leitung der Feuerwehr Bostons in 2001 zeigte, dass eine Reduzierung des Anspruchs auf bezahlte
Urlaubstagen der Feuerwehrleute eine Erhohung der angemeldeten Urlaubstage und Krankmeldungen
verursachte [Henrich et al., 2001]. Zur gleichen Zeit fuhrte eine Geldstrafe auf Uberernten von
Ressourcen in Costa Rica zu einer Minderung der geernteten Ressourcen ex post. Solche Ergebnisse
weisen auf die Existenz von mehr-quelligen (und zum Teil elastischen) Praferenzen (wird weiter
in 5.0.5 diskutiert).
12ibid, S. 24ff.13Siehe Abbildung 3.
8
Die tatsachlichen Auswirkungen von Anreizen wie Sanktionen auf das menschliche Verhalten
hangen deswegen vom dem vorherigen dominanten Verhalten und der dynamischen Anderung des
Spielraums, was diese Anreize hervorrufen, ab. Dies lasst naturlich offen, dass Anreize negative
Wohlfahrtseffekte hervorrufen. Sachlicher ausgedruckt, kann, z.B., laut [Matouschek et al., 2009]
argumentiert werden, dass Reformen, deren Anliegen es ist, die Arbeitssuche beschleunigen zu
wollen, sogar zu Wohlfahrtsverlusten fuhren, sowohl in der Qualitat der gefundenen Arbeit als auch
in der Berufsstabilitat. Dies erfolgt nicht nur durch den erhohten Druck auf die Arbeitssuche (gut
ausgebildete Menschen sind auf schlechtere Stellen angewiesen14, fur die sie uberqualifiziert sind),
aber auch in dem Verhalten in der Arbeit, wie in dem Boston-Feuerwehr Beispiel erwahnt. Dies sind
alles Bemerkungen, die in der Formulierung von politischen Programmen eine Rolle spielen sollten.
Im Grunde, konnte argumentiert werden, dass durch Sanktionen zeitliche Ubergange zwischen
Arbeitsstellen reduziert werden, was, zB., [Jacobi und Kluve, 2006] tun. Jedoch liegt hier ein
logischer Fehler. Um dies zu verdeutlichen, machen wir einen kurzen Exkurs: jede Untersuchung von
Bankuberfallen wird feststellen, dass der Ansatz von lebensbedrohenden Waffen (Pistolen, Messer,
Baseballschlager, usw.) die Anzahl der erfolgreichen Bankuberfalle erhoht. Vielleicht konnte man das
gleiche bei Vergewaltigungen festlegen. Jedoch sagen diese Fakten nichts uber das Zusammenleben
der betroffenen Burger, die Ursachen und Hintergrunde der Bankuberfalle (oder Vergewaltigungen)
aus. Weiter: sie sagen nichts daruber aus, wie solche in der Zukunft vermieden werden konnen!
Die Diskussion um die Hartz Reformen (und besonders die um Hartz IV) ist im Grunde sehr
ahnlich zu betrachten. Die”Kunden/Marktorientierung“ der Reformen hat gewisse Subjektivisie-
rungszuge: d.h., strukturell-systematische Probleme werden als Konsequenzen eines Fehlverhaltens
des Individuums gesehen, und nur individuell wird eingegriffen. Dies ist aus zwei Hauptgrunden
verkehrt. Erstens, bedeutet dies einen methodologischen Fehler: wie am Anfang dieses Kapitels
erwahnt wurde, und wie weit bekannt ist, hat Arbeitslosigkeit weitgehend strukturelle Ursachen, die
am besten mit strukturellen Reformen (wie zB., Hartz I und III), aber schlecht durch Reformen die
individuell eingreifen (Hartz II und VI) beseitigt werden konnen. Zweitens, fuhren solche Maßnahmen
zu Zustanden, in dem 1) eine breite Bevolkerungsschicht marginalisiert wird, und 2) entsteht eine
Art Entfremdung in dieser Schicht , in dem gesellschaftliche Werte durch ihre”Illegitimitat“nicht
wahr genommen werden. Auch die Frage, ob solche Maßnahmen”erfolgreich“sind, lasst außen vor,
ob es nicht bessere oder nuanciertere Wege gibt, die gewunschten Effekte hervorzurufen.
Daruber hinaus kann auch laut dem Suchtheoretischen Modell des [Rubinstein, 1982] davon
gesprochen werden, dass Arbeitnehmer in dem Falle von Sanktionen und Anreizen gleicher Wirkung
einen Hauch an Marktmacht an die Nachfrage-Seite des Marktes verlieren. Die Effizienzauswir-
kungen von einer solchen Situation hangen naturlich davon ab, wie viel Macht die Arbeitgeber
und Arbeitnehmer jeweils vor der Reform (ex ante) hatten, und in welche Richtung die Anreize
gesteuert sind. Subventionen fur Arbeitnehmer (z.B., ein Grundeinkommen) wurden wahrscheinlich
dem Arbeitnehmer zugunsten liegen, wahrend Subventionen fur den Bau einer Fabrik sowohl
Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern dienen konnte.
14Ein wachsendes Problem, besonders in dem Niedriglohnsektor, der am starksten von den Reformen betroffen ist.
9
5.0.5 Auswirkung auf Soziale Praferenzen
In vielen Hinsichten beruht der”Fordern“ Aspekt der Hartz Reformen auf einem pessimisti-
schen Menschenbild, was zum Teil aus dem”homo Oekonomicus“ abgeleitet ist, und was jedem
reine Eigeninteressenssuche zuschreibt. Es ist schwer sich einen anderen Grund fur die explizite
Zusammenstellung von Tatbestanden aus denen besonders Hartz IV besteht, vorzustellen. Eine
andere Erklarung ist moglich, und namlich, dass Sanktionen und andere Maßnahmen die soziale
Verponung von Ausweichen von Arbeit zum Ausdruck bringen. Dann musste man aber starkere
Ruckkoppelungseffekte feststellen, als bisher der Fall ist. Jedoch wird mit wachsender Sicherheit
solch ein Schluss nicht bestatigt werden15. Daruber hinaus weist immerhin mehr Forschung darauf
hin, dass Menschen mit inherenten”Moralkompassen“ und
”sozialen Praferenzen“ ausgestattet
sind [Henrich et al., 2001]. Dies war allerdings auch schon dem Urokonom Adam Smith klar.
Dass Praferenzen elastischer sind als, zB., von dem”Homo Oekonomicus“ Modell angenommen
wird, wird mit immer steigender Sicherheit erwiesen [Bowles und Polania-Reyes, 2012]. Die
Gestaltung einer Situationen (das sog.”Framing“) tragt ofters dazu bei, wie Menschen im Nachhinein
Entscheidungen zwischen unterschiedlichen Optionen treffen, was mit gewissen kognitive Basen
zugrunde liegt (schon in 5.0.3 besprochen). Daher behaupten [Bowles und Polania-Reyes, 2012],
zB., dass die Aufstellung von gewissen Anreizkonstrukten (zB., Belohnungs/Straf Strukturen) ofters
zu perversen Ausgangen fuhrt, die nicht von sozialen Planern voraussagbar sind. Als Beweis gelten
mehrere Experimente, die in mehreren unterschiedlichen Kulturen wiederholt organisiert wurden.
Hier wurde festgestellt, dass zB. Kinder, die von alteren Menschen aufgefordert werden, den letzteren
bei gewissen Aufgaben zu helfen, 1) ohne Anreize uberwiegend sich darauf einlassen, wahrend 2)
der Einsatz von Anreizen (zB., Geld-Belohnungen) die Bereitschaft zu helfen maßgeblich reduziert
(eine mehr als 50% Reduktion in Hilfsbereitschaft). Ahnliche Ergebnisse wurden fur gewohnliche
Tatigkeiten (zB. Malen gegen Geld) bemerkt, die mit finanziellen Anreizen begleitet waren. Eine
graphische Darstellung von diesem Effekt ist aus Abbildung 1 zu entnehmen.
Die Einfuhrung von finanziellen (positiven oder negativen) Anreizen kann ofters das Gefuhl der
Autonomie dem Individuum entnehmen (und aber auch seine wahre Motivation etwas zu tun dem
Publikum maskieren: sog.”He’s doing it for the money“ Alibis) [Bowles und Polania-Reyes,
2012]. Entsprechend verschiebt sich in solchen Situationen ofters die Praferenzenkonstellation in
eine anderen Drehachse (zB.,”Gehorsamkeit mit außerem Zwang“ worauf intrinsische Motivationen
durch die Monetarisierung der Verhaltnisse maskiert werden (oder gar verdrangt werden). Dies
sollte definitiv in Tracht genommen werden16.
Es sollte von der obigen Diskussion klar sein, dass Anreize an sich weder gut noch schlecht
sind, nur dass sie mogliche”Crowding“ Effekte aufweisen, die in unterschiedlichen Richtungen
wirken konnen. Diese Effekte sollten explizit untersucht werden, bevor weitgehende Reformen
15Wenn nur daher, dass eine uberwiegende Mehrheit der Befragten in mehreren Um-fragen Sanktionen und Maßnahmen gleicher Wirkung ablehnen. Siehe [Trappmann et al.,2010a] und eine Umfrage vom Sterm vom 03.02.2010 http://www.stern.de/wirtschaft/news/
stern-umfrage-zu-hartz-iv-was-der-staat-zahlen-soll-und-was-nicht-1540480.html16Und wird es auch: zB., in dem die CDU momentan die Einfuhrung von (positiven) Belohnungen fur Hartz IV
Empfanger ernsthaft bespricht. Siehe”Weniger Bestrafung, mehr Belohnung“ , Suddeutsche Zeitung, 31. Oktober 2014
10
eines grundlegenden Gesellschaftssystem (so wie das des Arbeitsmarkts) negative Auswirkungen
und Schmerzen hervorrufen. Vor allem, mit Bezug auf Strafen, spielt, laut empirischen Studien,
”Legitimitat“ eine große Rolle in deren Effektivitat (sollte in Verhaltnis mit den großen Widerstanden
gegen Hartz berucksichtigt werden). [Bowles und Gintis, 2011, S. 26ff.]
Da die Auswirkungen von den Reformen in vielen von den empirischen Untersuchungen aus 4.1
entweder minimal, gar nicht, oder gar negativ ausfallen, konnte argumentiert werden, dass die sozialen
Praferenzen der Erwerbslosen, die von Hartz Reformen betroffen sind, durch die Anreizkonstrukte
der Reformen verdrangt werden. Wenn von der Annahme ausgegangen werden kann, dass nur die
Menschen, die keine sozialen Praferenzen haben (die Homines Oekonomicus), unverzuglich in der nut-
zenmaximierenden Richtung auf Sanktionen und desweiteren reagieren (mit erhohter Suche bei Sank-
tionen, usw.), dann ist vorstellbar, dass der Verlust von denen, die sich sonst in das Erwerbsleben inte-
griert hatten und aber durch die Effekte der Reformen abweichen großer ist als der der Gruppe ohne
soziale Praferenzen (d.h., die die nur auf materielle Anreize reagieren, a la Homo Oekonomicus). Im En-
de bedeutete dies ein Verlust in der Anzahl der Abgange aus Erwerbslosigkeit in Hohe vonn∑
i=1
O−n∑
i=1
C,
wobein∑
i=1
C die Anzahl der”Homines Civicus“ und
n∑i=1
O die Anzahl der”Homines Oekonomicus“
in der Anzahl der Erwerbslosen besagt. Wenn die gesamte Summe negativ ist, dann uberwiegt der
Vertreibungseffekt den vorgesehenen auf Gewinnmaximierung gerichteten Effekt. Es ist naiv zu
denken, dass alle Menschen in einer Gesellschaft nur auf Gewinnmaximierung orientiert sind. Insofern,
konnte diese Dynamik zumindest ein Teil der minimalen (positiven) Effekte der Reformen erklaren.
5.0.6 Exklusion
Die Zuweisung von Individuen in unterschiedliche Kategorien bezuglich ihrer”Erwerbsfahigkeit“
ruft gewisse Fragestellungen hervor. Bezuglich einer ahnlichen Tendenz in Danemark, fragt [Benja-
minsen und Busch-Geertsema, 2009, Seite 140] was die Konsequenzen so einer Politik sind:”Es
ergibt ebenso das Risiko, Leute als Erwerbsunfahig zu kategorisieren und sie dabei von intensiveren
Interventionen auszuschließen, die nur an Leute mit hoheren Chancen einen Arbeitsvertrag zu unter-
schreiben gerichtet sind.“ Im weiteren stellt sich fest, dass in Danemark mehr als 50% der Erwerbslosen
zu Kategorien gehoren, die am wenigsten Erwerbschancen haben (16% werden als”Erwerbsunfahig“
eingestuft). Wenige Maßnahmen werden ergriffen, um diesen Menschen Wege aus der absoluten
Armut vorzubereiten. Dies kann zu gewissen”Armutsfallen“ oder
”Teufelskreisen der Armut“ fuhren,
und sollte auf jeden Fall von einer durchdachten Politik versucht werden vermieden zu werden.
Und scheinbar ist es, dass der ALGII-Empfanger-Zustand sehr stark mit Armut verbunden ist.
17% und 6% der befragten ALGII Empfanger gaben in einer 2008 stattfindenden Umfrage an, keine
warme Winterkleidung, bzw. keine regelmaßigen warmen Mahlzeiten leisten zu konnen [Trapp-
mann et al., 2010a]. Ob dies eine”menschenwurdige Existenz darstellt“ steht noch zur Debatte,
und ist leider auch nicht Tatbestand der jetzigen Untersuchung. Mehrere von unterschiedlichen
Forschungsinstituten betriebenen Umfragen in denen”Hartz“ Empfanger sehr negativ abschneiden
schildern auch strukturelle Probleme und Konsequenzen der Pauschalregelung der Arbeitslosigkeit17.
17Siehe”Deutsche haben Vorurteile gegen Hartz-IV-Empfanger“ 16. Oktober 2012;
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/umfrage-deutsche-haben-vorurteile-gegen-hartz-iv-empfaenger-
11
5.0.7 Soziale Schere, Okonomische Ungleicheit
Ein wichtiger Aspekt, der in direktem Bezug mit den Auswirkungen der Reformen auf den
Arbeitsmarkt steht sind soziale Effekte (sog.”Distributive“ oder Austeilungseffekte“.) [Brenke
und Wagner, 2013] argumentieren, dass starre Lohne den aggregierten Konsum verhindern (wenig
heimische Kaufkraft fuhrt zu wenig heimischer Nachfrage), was, zB., zu einer Abhangigkeit der
deutschen Wirtschaft auf den Exportmarkt fuhrt. Dies schrankt das Wachstum ein. [Piketty,
2014] stellen ahnliche Schlusse auf.
Ein wachsender Konsens bildet sich um die Idee, dass wachsende soziale Ungleichheit mit mehreren
Widrigkeiten verbunden ist [Wilkinson und Pickett, 2012]. Wenn es der Fall ist, dass einige
der Hartz Reformen zu niedrigeren Lohnen fuhren (was mehrmals in den obig erwahnten Unter-
suchungen erwahnt wurde), dann wird dies wahrscheinlich steigende Ungleichheit bedeuten, und die
entsprechenden Konsequenzen sind als zu bekampfen zu sehen. In diesem Sinne ist die wachsende
Lohnungleicheit in Deutschland in den letzten Jahrzehnten [Trappmann et al., 2010b], [Schmid
und Stein, 2013], [Grabka und Westermeier, 2014], [Card et al., 2012] mit viel Bedenken zu
betrachten. Der Beitrag hierzu von den Hartz Reformen sollte auch weitgehend untersucht werden.
6 Fazit
Die Hartz Reformen scheinen auf der einen Seite zur Beschleunigung der Arbeitssuche beigetragen
zu haben, besonders bei Frauen und der ostdeutschen Bevolkerung. Jedoch scheinen sie durch
Pauschalisierung und mogliche soziale Exklusion (5.0.6, 5.0.7) zur Verunsicherung mehrerer Teile der
Bevolkerung gefuhrt zu haben, so wie zu einer wachsenden Lohnungleichheit und dem Politisieren
des Wohlfahrtsstaats (Abschnitt 3). Deswegen ist der letztendliche Saldo bezuglich allgemeiner
Wohlfahrt noch eine offene Frage. Zum Beispiel sind die Erfolge in Branchen wie Bau- und Fertigung
mit der wachsenden Ungleichheit und breiter gesellschaftlicher Ablehnung gegenuber Teilen der
Reformen zu sehen.
Obwohl die Deregulierung von Arbeitsverhaltnissen zu hoherer Flexibilitat fuhrte, ist der Ausbau
von”Ein-Euro-Jobs“ und anderen geringfugigen Arbeitsverhaltnissen mit hoher Skepsis zu betrachten.
Daruber hinaus, da zwei von den Hauptzielen der Reformen (die Arbeitslosenzahl zu halbieren
und Geld zu sparen) weitaus nicht gelungen sind, sollte sich die Bundesregierung schwer die Frage
stellen, wie ein gerechtes und leistbares Transfer-und-Fursorgesystem errichtet werden kann, was
den verfassungsmaßigen Grundlagen (siehe 3) so wie dem gesunden Menschenverstand entspricht,
und was nicht zur großeren sozialen Ungleichheit und zur Exklusion ganzer sozialen Schichten fuhrt.
Daruber hinaus, sollte ein solches System auch die wesentlichen Fortschritte der Neurologie und
der Neurookonomik des letzten Jahrzehnts, zB., die erlauterten Abweichungen von dem Modell
”Homo Oekonomicus“ , berucksichtigen. Gute praktische Ansatze hierzu gibt es schon!
Dies ist auf jeden Fall eine Herausforderung, aber eine notige und eine wurdige, um die weitere
Festigkeit der deutschen Gesellschaft zu gewahrleisten18, weitere Zerspaltungen zu vermeiden und
dem Prinzip eines gerechten Europas und einer gerechten Globalisierung naher zu kommen und
dadurch so vielen Menschen wie moglich ein gutes Leben anbieten zu konnen. Daruber hinaus, weisen
1.1497179 [Letzter Zugriff: 02.12.2014]18Denn mit wachsender Ungleichheit ist die soziale Harmonie kein garantierter Zustand.
12
die immerhin hohen Arbeitslosenzahlen in Deutschland auf die Notwendigkeit, eines menschlichen
und gerechten sozialen Sicherheitsnetzes, was das heute ALG I und II in den Augen der Bevolkerung
offenbar nicht ausmachen (3).
Anhang
A Die Rolle der Hartz Kommission
[Fleckenstein, 2008] argumentiert, dass die Hartz Kommission fur die Aufarbeitung der nach ihrem
Leiter genannten Reformen nicht von bedeutender Relevanz war. Vielmehr schreibt [Fleckenstein, 2008]
dies dem Bertelsmann-Forum zu. Dies, ein sog.”Expertenforum“ , was von der Bertelsmann Stiftung auf
Anweisung des Arbeitsministeriums in 1999 organisiert wurde, stellte in 2002 ein Positionspapier heraus,
was sich laut [Fleckenstein, 2008] im Inhalt viel mehr an den letztendlichen Gesetzen ahnelt, als die
von der Kommission erarbeiteten Vorschlage dies tun. Es ist auf jeden Fall zumutbar, dass das Forum
die geistige (d.h., intellektuelle) Stimmung in Richtung der von der Kommission vorgeschlagenen Reformen
aufbereitete. [Fleckenstein, 2008, Seite 184ff.].
Interessanterweise wurde eins von den wichtigsten und spater auch meist kontroversen Themen von der
Kommission von Anfang an ignoriert: die Hohe der auszuzahlenden Beitrage (des neuen Arbeitslosengelds
nach der Reform). Dies wurde daher gemacht, um mogliche Konflikte zwischen den Mitgliedern der Kom-
mission (die auch Angehorige unterschiedlicher Gewerkschaften beinhaltete) zu vermeiden. [Fleckenstein,
2008, Seite 180]
B Die Drei Wellen der Hartz ReformenIm folgenden werden die drei Wellen der Hartz Reformen kurz gefasst:
1. Januar 2003(a)
”Hartz I“ , sonst als Erstes Gesetz fur moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. De-zember 2002 bekannt. Dieses Gesetz hat einige Einschrankungen bezuglich der Leih- und Zeitarbeitaufgehoben und die Personal-Service-Agenturen (PSAs) umgestaltet und zum Teil ihre Arbeitprivatisiert (
”recommodifizieren“ [Dingeldey, 2007]).
(b)”Hartz II“ , auch als Zweites Gesetz fur moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.Dezember 2002 bekannt. Diese wichtige Reform beinhaltete drei bedeutsame Anderung: sie hobEinschrankungen gegenuber geringfugigen Beschaftigungen auf (wodurch sog.
”Mini“ und
”Midi“
entstanden), grundete die modernen”Jobcenter“ und erleichterte den Weg zur Existenzgrundung
von Erwerbslosen (durch sog.”Ich AGs“ ).
2. Januar 2004(a)
”Hartz III“ , sonst als Drittes Gesetz fur moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.Dezember 2003 bekannt, vollendete die Umstrukturierung der Bundesanstalt fur Arbeit, die zurBundesagentur fur Arbeit umbenannt wurde und zum großen Teil
”auseinander gebrochen“ (auf-
geteilt) wurde. Daraus entstand die sog.”Bundesagentur fur Arbeit“. Ihre Zustandigkeiten wurden
seither auf drei Ebenen (Bund, Land, Ort) verteilt, mit dem großten Teil der Zustandigkeiten den
”ortlichen Tragern“ zugeschrieben.
3. Januar 2005(a)
”Hartz IV“ , auch als Viertes Gesetz fur moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.Dezember 2003 bekannt, stellte den Anspruch auf Langzeitarbeitslosenhilfe und Sozialhilfe unterdem Arbeitslosengeld II (ALG II) gleich (wobei das letztere bisher 53% bis 57% des vorherigenEinkommen betrug) und reduzierte die Zeitdauer des Anspruchs des Arbeitslosengeldes auf ein
13
Jahr. Das 4. Gesetz bestimmte auch gewisse Pflichten fur Leistungsbezieher und”Sanktionen und
Anreize“ fur deren Nichteinhaltung.
C Das Suchtheoretische ModellDas Modell des [Burdett und Mortensen, 1998], was auch aus [Flinn, 2010] zu entnehmen ist, ist ein
stochastisches Gleichgewichtsmodell, in dem die Wahrscheinlichkeit, dass ein Anbieter von Arbeit (Arbeiter,Arbeitnehmer) einen Arbeitsvertrag abschließt von einem exogenen Kontaktparameter (λL fur Erwerbsloseund λT fur Erwerbstatige) und dem angebotenen Lohn w′ abhangt. Annahmen sind, dass alle Arbeiternach Abschluss eines solchen Vertrages gleich produktiv sind (eine unrealistische, aber nutzliche, Annahme)und, dass Firmen auch homogen bezuglich ihres Erwerbspotenzials sind. Im Gleichgewicht machen alleFirmen akzeptable Lohnangebote, so dass die durchschnittliche Ausdauer des Arbeitslosenzustandes als λ−1
U
zu interpretieren ist. Falls ein/e Angestellte/r die/der einen Lohn w erhalt ein Angebot w′>w bekommt,so nimmt er/sie dies an. Arbeitgeber bieten jeweils in rundenform (sie legen sich fur jede Spielperiode aufeinen Lohn fest, und reagieren in dem Modell nicht auf Angebote anderer Firmen in der selben Periode).
Bei gleicher Firmeneffizienz (gleiche Kostenfunktion) fuhren diese Annahmen zu Unterschieden inFirmenerlosen (unterschiedliche Firmen bieten unterschiedliche Lohne an) und ermoglichen die Darstellungder Lohne als eine stetige Verteilungsfunktion19. Im Gleichgewicht ist diese Funktion im Modell als F ∗(w)gegeben. Gleichwohl ist aus [Flinn, 2010, S. 110ff.] der gleichgewichtiger Kontaktparameter (fur Erwerbslose)zu entnehmen:
λU =m(U,V )
U
wobei m die Anzahl der abgeschlossenen Arbeitsvertrage, U die Anzahl der Arbeitslosen und V die Anzahlder offenen Stellen kennzeichnen. Dies ist zB. die Methode, die in [Nagl und Weber, 2014], [Klinger undRothe, 2012] und in [Fahr und Sunde, 2009] (und in vielen anderen Untersuchungen) verwendet wird20.
Es sollte beachtet werden, dass das Modell auf unterschiedliche Werte reagiert. Dies heißt, es gibt mehrereGleichgewichtspositionen! Dies ist fur die jetzige Untersuchungen von Bedeutung, denn die Suche, undvor allem der Parameter m(U,V ) von mehreren aus dem Modell herzuleitenden Parametern beeinflusstwird, die nicht in der einfachen Darstellung ersichtlich sind. Somit konnen auch Maßnahmen wie dieHartz Reformen fur ihre Effektivitat untersucht werden. In der Praxis wird λ mit einfacher Regressionauf Ein- oder Ausstromungen aus dem Arbeitslosenzustand berechnet21. Daruber hinaus werden normaleHypothesentests durchgefuhrt, wie in [S. 6ff.] [Nagl und Weber, 2014] zu finden sind.22
Es ist zB. moglich, die Ausdauer des Arbeitslosenzustandes als die Effektivitat der Suche darzustellen,denn er in direkter Verbindung mit ihr steht. Die Beschrankung der Zeitdauer und Reduzierung desGeldwertes eines an den vorherigen Lohn gekoppelten Arbeitslosengeldes (AG) kann die abgeschlossenenArbeitsvertrage dadurch beeinflussen, in dem der relative Wert der Suche erhoht wird23. Um dies zu
verdeutlichen, konnen wir die folgende Funktion zur Kenntnis nehmen: d=
{1 if ρVO≤ρVU(m)0 if ρVO>VU(m)
, wobei
d als analog von λ eine”Dummy“ Variable ist, die fur jede Person den Wert 1 bei einem abgeschlossenen
Arbeitsvertrag und den Wert 0 in dem”Suchzustand“ annimmt. Den Wert der Funktion bestimmen 1)
der”Geduldparameter“ ρ, 2) der (subjektive) Wert des Arbeitslosenzustands VO und 3) der Wert des
Vorbehaltslohns (”reservation wage“) VU(m).
Es ist leicht zu erkennen, dass eine Reduzierung des Anspruchs auf AG (sowohl zeitlich und im Geldwert)
19Der Fakt, dass Lohne, die Arbeitssuche und der Abschluss von Arbeitsvertragen als stetige Funktion dargestelltwerden konnen – was die obigen Annahmen ermoglichen – erleichtert die Untersuchung von empirischen Datendurch statistische Verfahren, gleichwohl wie Konvexivitat und Transitivitat der Praferenzen eine grundsatzlicheUntersuchung dieser ermoglicht.
20Außer, dass dieser Faktor in [Nagl und Weber, 2014] als Hazard rate bezeichnet ist, was als Synonym dienensollte, und dass [Klinger und Rothe, 2012] den logarithmischen Wert nutzen.
21Dies ist zB. in [Klinger und Rothe, 2012, S. 97] ersichtlich22Um Auswirkung von Reformen wie Hartz zu untersuchen werden
”Dummy“ Variablen haufig angewendet, die mit
standarder multipler Regression Auswirkung auf unterschiedliche soziale Schichten (Frauen, Ostdeutsche), usw. ergeben.23Burger konnen sich auf weniger Einkommen verlassen, akzeptieren somit Vertrage, die sie vorher nicht akzeptiert
hatten; also ware λU etwa als individuell-exogen aber system-endogen zu sehen
14
mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Auswirkung auf alle drei Werte ausubt. Die Einschrankung hatte laut
der obigen Diskussion eine direkte Auswirkung auf den zweiten Wert, VO, und eine indirekte Wirkung
auf ρ und VU(m). Die in 4.1 angedeuteten Ausfuhrungen bestatigen diese Vermutung.
Abbildung 1: Diese Graphik zeigt die Auswirkung von Strafen auf ein”Offentliches Gut“ Spiel. Ersichtlich ist, dass das Ausmaß
an Kooperation im Fall von Strafen lediglich hoher ist als ohne sie. Interessanterweise andert die Verwechselung der Partner (im
”Stranger“ und
”Perfect Stranger“ Fall vorhanden) diese Situation auch nicht. Aus [Bowles und Gintis, 2011, S. 25]
Abbildung 2: In dieser Graphik dient die diagonale Linie dazu, zu zeigen, welche Proportion einer Gesellschaft soziale Praferenzenaufweist (
”Konformitat mit sozialen Praferenzen“ ). Der Graph wird etwa bei 1/2 normalisiert (d.h., er lauft durch 1/2), und die
eigentliche Summe der Homines Civicus (was eine Funktion aus der Konformitat ex ante sowohl der Erneuerung der Praferenzenex post bildet), p∗(0), ist ein bisschen hoher als 1/2. Falls die Regierung einen Pauschalzuschuss fur das Einhalten einer gewissensozialen Norm anbietet, verschiebt sich die Abszisse um etwa einer bestimmten Funktion der Summe der Pauschale (s), wobei diemateriellen Ausgangen der Homo Civicus sich entsprechend erhoht, und somit ware die Anzahl der Homines Civicus jetzt p∗(s).Jedoch entsteht ein
”Konformitatseffekt“ , in dem weniger Burger als
”treue Konformer“ und mehr als Nutzenmaximierer wahr
genommen werden. Somit reduziert sich der Winkel des Graphs (der schließlich die angenommene Konformitat misst), und derletztendliche Effekt p∗(s)< dem Idealfall. Aus [Bowles und Polania-Reyes, 2012, S. 44]
15
Abbildung 3: Diese Graphik zeigt, dass der Saldo der Strafen nicht notwendigerweise positiv ausfallt, d.h., es gibt Falle wo dienegative Reaktion gegen als ungerecht empfundene Strafen mogliche positive Auswirkungen ubertrifft. Dies sieht man in der Graphikim Falle von Muskat und Athen, wo der Saldo der Strafen negativ ausfallt. In einigen anderen Fallen sind erhebliche Verlustezu entnehmen (zB., Minsk). Dies starkt das Argument, dass Anreize dort versagen, wo sie entgegen kulturellen Normen stehen.Aus [Bowles und Gintis, 2011, S. 27]
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