Montagsmahnwachen für den Frieden. Antisemitisch? Pazifistisch? Orientierungslos?

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Priska Daphi, Dieter Rucht, Wolfgang Stuppert, Simon Teune, Peter Ullrich Montagsmahnwachen für den Frieden : Antisemitisch? Pazifistisch? Orientierungslos? Article, Published version This version is available at http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:83-opus4-72491. Suggested Citation Daphi, Priska; Rucht, Dieter; Stuppert, Wolfgang; Teune, Simon; Ullrich, Peter: Montagsmahnwachen für den Frieden : Antisemitisch? Pazifistisch? Orientierungslos? - In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen : Analysen zu Demokratie und Zivilgesellschaft. - ISSN: 0933-9361 (print), 2192-4848 (online). - 27 (2014), 3. - S. 24–31. Terms of Use German Copright applies. A non-exclusive, nontransferable and limited right to use is granted. This document is intended solely for personal, non-commercial use. Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)

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Priska Daphi, Dieter Rucht, Wolfgang Stuppert, Simon Teune, Peter Ullrich

Montagsmahnwachen für den Frieden :Antisemitisch? Pazifistisch?Orientierungslos?

Article, Published versionThis version is available at http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:83-opus4-72491.

Suggested CitationDaphi, Priska; Rucht, Dieter; Stuppert, Wolfgang; Teune, Simon; Ullrich, Peter: Montagsmahnwachen fürden Frieden : Antisemitisch? Pazifistisch? Orientierungslos? - In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen: Analysen zu Demokratie und Zivilgesellschaft. - ISSN: 0933-9361 (print), 2192-4848 (online). - 27(2014), 3. - S. 24–31.

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Hintergrund: Die Mahnwachen für denFriedenIm Frühjahr 2014 bildete sich in der Bundes-republik eine neue Protestbewegung: die„Mahnwachen für den Frieden“ bzw. „Mon-tagsmahnwachen“. Der erste Protest dieserArt fand am 16. März 2014 in Berlin statt.Dazu aufgerufen hatte der Unternehmer LarsMährholz, der in den folgenden Wochen undMonaten zum Gesicht der Bewegung avan-cierte. Die Idee der Mahnwachen breitetesich von Berlin auf andere Städte in Deutsch-land, Österreich und in der Schweiz aus.Nach Selbstauskunft der Organisator/innengibt es mittlerweile Montagsmahnwachen inüber 100 Städten.2 Die Bezeichnung als„Montagsmahnwachen“ reiht diese Aktivitä-ten in die Tradition früherer Montagspro-teste ein (1989 in der DDR, ab 2004 gegendie Agenda 2010 sowie zu verschiedenen lo-kalen Themen, etwa gegen das Projekt Stutt-gart 21). Der Bezug darauf spielt jedoch in-haltlich – wenn überhaupt – nur eine unter-geordnete Rolle.

Die Montagsmahnwachen entstanden wäh-rend der Zuspitzung der Ukrainekrise: DerSturz der ukrainischen Regierung unter Prä-sident Janukowitsch durch eine sehr hetero-gene Protestbewegung auf dem Maidan-Platz,die Einsetzung einer neuen Regierung unterBeteiligung der rechtsextremen Partei Swobo-da, das Auftreten russisch-nationalistischerSeparationsbewegungen und schließlich dieAnnexion der bis dato ukrainischen Halbin-sel Krim durch die Russische Föderation so-wie die Bestrebungen Russlands sowie derNATO und der EU zur Aufrüstung der Re-gion. Die Deutung des Konfliktes kommtim ursprünglichen, über Facebook verbreite-ten Aufruf zu den Montagsmahnwachen zumAusdruck:

AUFRUF ZUM FRIEDLICHEN WIDER-STAND! FÜR FRIEDEN! IN EUROPA!AUF DER WELT! FÜR EINE EHRLI-CHE PRESSE! & GEGEN DIE TÖDLI-CHE POLITIK DER FEDERAL RESER-VE (einer privaten Bank)!(Die Orthographie entspricht hier und inallen folgenden Zitaten dem Original.)

Die Federal Reserve (US-Notenbank FederalReserve System, kurz FED) wird als zentralerAkteur im Ukrainekonflikt benannt. Sie stehehinter der kriegerischen Außenpolitik der USAund verantworte als „private Bank“ ein „Schuld-geldsystem“. Diese Deutung war von Anfangan umstritten. In der 3sat-Sendung Kulturzeitspitzte Jutta Ditfurth die Kritik an den Mon-tagsmahnwachen zu. Sie erklärte, die Demons-trierenden bedienten sich antisemitischer Ar-gumentationsmuster und gingen auf ein losesNetzwerk von Personen mit antizionistischerund antiamerikanischer Agenda zurück. Ande-re Medien machten sich diese Kritik weitge-hend zueigen; Netzwerke aus der Friedensbe-wegung, Attac und die LINKE rieten von ei-ner Beteiligung an den Mahnwachen ab. DieKritik wurde auch dadurch befeuert, dassrechtsextreme Kader sowie Reichsbürger/innenund Chemtrail-Aktivist/innen an den Mahn-wachen teilnahmen.3 Gegen diese Kritik stell-ten sich linke Verteidiger der Bewegung, so ineinem Aufruf „Für eine solidarische Auseinan-dersetzung mit den Montagsmahnwachen“.4

Umstritten waren vor allem Organisatorender Mahnwachen und einige Redner, die dortin Erscheinung traten. Über die meisten Teil-nehmer/innen der Mahnwachen wissen wirdagegen wenig. Welche Anliegen bringenMenschen zu den Mahnwachen? Wie sind siepolitisch eingestellt? Wie schätzen sie die ak-tuelle Situation ein? Aus welchen politischen

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Aktuelle Analysen

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oder sozialen Netzwerken heraus werden siemobilisiert? Aus welchen sozialen Schichten undMilieus stammen Sie? Wie unterscheiden siesich von den Teilnehmenden anderer Protesteund der Gesamtbevölkerung?5

Die StudieUm solche Fragen zu beantworten, riefen wirdie Protestierenden bei Mahnwachen in siebenStädten zur Beteiligung an einer Online-Befra-gung auf. Zuerst verteilte das Forschungsteaman die rund 1000 Teilnehmer/innen der Berli-ner Montagsmahnwache am 26. Mai 2014Handzettel mit einem Link zum Fragenkata-log und einem individuellen Code, um dieBefragung freizuschalten. Eine Woche späterfolgten Erfurt, Jena, Frankfurt, Dortmund,Bonn und Bremen. Von den 953 Teilnehmer/innen, die in Berlin einen Handzettel erhiel-ten, füllten 330 (35 %) den Online-Fragebo-gen aus. Da der Rücklauf in den anderen Städ-ten deutlich geringer war, eine erste Prüfungaber keine grundsätzlichen Unterschiede zwi-schen den Städten erkennen ließ, beziehen wiruns im Folgenden nur auf die Befragten aus

Berlin. Abzüglich distanzierter (gegenüber denMahnwachen explizit kritischer) Befragter er-gibt sich eine Fallzahl von 306 als Grundlageder Auswertungen.

Soziale Zusammensetzungund MobilisierungVergleicht man die Ergebnisse der Befragungmit denen bei vorangegangenen Protesten, sprin-gen zwei soziodemographische Kennwerte sofortins Auge: Männer sind mit knapp 70 Prozentdeutlich überrepräsentiert, und der Anteil der25-39Jährigen (fast 50 %) ist mehr als doppeltso hoch wie in der Gesamtbevölkerung (20 %6).Auch wenn man von einer Verzerrung zuguns-ten der intensiven Internetnutzer/innen aus-geht, die im Schnitt eher jünger als die Ge-samtbevölkerung und eher männlich sind, wer-fen beide Werte ein Schlaglicht auf die Mon-tagsmahnwachen. Der hohe Männeranteil kor-respondiert mit der Rolle von Frauen bei denMahnwachen: In der Organisation und auf denBühnen geben Männer klar den Ton an.

Wie bei vielen Protesten ist der Bildungs-grad der Befragten im Vergleich mit der Ge-

samtbevölke-rung relativhoch; aberähnlich wiedie Hartz-IV-Proteste errei-chen dieMahnwacheneher als ande-re Protesteauch Men-schen ohne(Fach-) Hoch-schulreife (Ab-bildung 1).

Die Mobi-lisierung zuden Mahnwa-chen fand zueinem erhebli-chen Teil insozialen Netz-

Abb. 1: Bildungsabschlüsse bei verschiedenen Protesten und in der Gesamt-bevölkerung (Allbus 2012), in Prozent

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werken im Internet statt (z.B. Facebook, You-tube u.a.). Für 80 Prozent der Befragten bilde-ten diese Netzwerke eine wichtige Informati-onsquelle, die sie zur Teilnahme an den Mahn-wachen bewegte. Bestehende politische Orga-nisationen scheinen dagegen kaum Einfluss zuhaben. Der Protest formierte sich eher spon-tan. Darin gleichen die Montagsmahnwachenden Occupy-Protesten des Jahres 2011 undunterscheiden sich deutlich von den Protestengegen Stuttgart 21. Nur wenige Befragte sind„gestandene“ politische Aktivist/innen. Mit 42Prozent ist der Anteil derjenigen, die sich nochnie (oder zumindest nicht in den letzten fünfJahren) an Protesten beteiligt haben, auffällighoch. Bei den Montagsmahnwachen drängenalso diejenigen auf die Straße, die eher im In-ternet politisch angesprochen werden und bisdato auch nur dort aktiv waren (beispielsweisebei Petitionen).

Die Ziele der ProtestierendenIn einer offenen Frage wurden die Teilnehmen-den um eine Einschätzung gebeten, für wel-che Themen die Montagsmahnwachen ihrerMeinung nach stehen. „Frieden“ kommt in denAntworten die größte Bedeutung zu, wurdejedoch meist nur als abstraktes, unkommen-tiertes Stichwort benannt (oft im Dreiklang„Frieden – Freiheit – Gerechtigkeit“). Dochdie Montagsmahnwachen sind keine reine Frie-densbewegung. Viele andere Themen spieleneine Rolle. Von herausragender Bedeutung istdas Thema Medien und Information. VieleBefragte sehen die Medien sehr kritisch. Dieszeigen zahlreiche Forderungen nach „freierPresse“ bis hin zu Charakterisierungen der ak-tuellen Medien als „gleichgeschaltete Presse“.Beispielhaft dafür soll dieses Zitat stehen:

„darum gehe ich auch jedes mal und jedesweitere mal dorthin weil es RICHTIG istdenn Krieg egal wo er statt findet Falschist und auch keine Freiheit oder Gerech-tigkeit bringt dieser tauscht nur die Un-terdrücker aus und die Presse verbreitetwie gewohnt dann nur andere Lügen“(Rechtschreibung wie im Original).

Viele Befragte verstehen die Bewegung undihre Treffen deshalb als Ort und Medium der„Aufklärung“ – auch über sonst im Verborge-nen bleibende Dinge. Die thematische Breiteder Bewegung reicht von umweltpolitischenund globalisierungs- bzw. kapitalismuskritischenAnliegen (die sich von der in der Bewegungstark vertretenen Zins- und Geldkritik unter-scheiden lassen) bis hin zu einer Vielzahl wei-terer Themen, darunter auch spirituelle undauf Beziehungs- und Persönlichkeitsveränderunggerichtete Anliegen.

Links und rechts – überholte Kategorien?Wie bei vorangegangenen Befragungen vonDemonstrierenden bestätigt sich auch bei denthematisch eher heterogenen Montagsmahn-wachen, dass die Proteste eine starke linkePrägung aufweisen. Auf einer Links-Rechts-Skala verorteten sich nur zwei Prozent derBefragten rechts von der Mitte; 22 Prozentsehen sich in der politischen Mitte und 38Prozent ordnen sich links ein (Abbildung 2).Aber: 39 Prozent der Befragten wollen sich,ähnlich wie in der Occupy-Bewegung,überhaupt nicht auf der Links-Rechts-Skalaeinstufen (Brinkmann/Nachtwey/Décieux2013: 19). Hierzu passt, dass gut zwei Drit-tel der Befragten der Meinung sind, die Un-terscheidung zwischen links und rechts seiüberholt. Dafür steht auch folgendes Zitatüber die Ziele des Protests:

„Abschaffung des Schuldgeldes; Abschaf-fung des Kapitalismus; parteienlose, dezen-trale ‚Demokratie‘; Gesellschaftswandel;Abschaffung altpolitischer Paradigmen undBauernfängerphrasen wie beispielsweise‚links‘ und ‚rechts‘...“

Die Ablehnung des Links-Rechts-Schemas gehtmit einem starken antipolitischen Wunsch nacheiner Gesellschaft ohne Widersprüche undKonflikte einher.

Zur Prüfung der Vorwürfe rechtsextremerEinflüsse wurden mit dem leicht modifizier-ten Instrumentarium der Leipziger „Mitte-Stu-dien“ („FR-LF“, Decker u. a. 2013) vier Di-

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mensionen des Rechtsextremismus abgefragt(Diktaturbefürwortung, Chauvinismus, Anti-semitismus und NS-Verharmlosung, vgl. Ta-belle 1).

Alle Aussagen, die im Leipziger Fragebo-gen genutzt werden, um rechtsextreme Ein-stellungen abzubilden, wurden mehrheitlichabgelehnt. Nur zwei Befragte haben nach die-sem Instrument ein konsistentes rechtsextre-mes Weltbild. Ist der Vorwurf, die Mahnwa-chen seien zur extremen Rechten hin offen,angesichts dieser Ergebnisse zerstreut?

Eine Ausnahme lässt Zweifel aufkommen:34 Prozent sind folgender Ansicht: „Wir soll-ten einen Führer haben, der Deutschland zumWohle aller mit starker Hand regiert.“ Auchdie Frage nach der Wahlentscheidung bei derletzten Bundestagswahl zeigt ein ambivalentesErgebnis: Drei Parteien erzielten Werte überdem Berliner Durchschnitt: die LINKE(42,6%), die Piratenpartei (15,4%) und die Al-ternative für Deutschland (12,8%). Immerhin35 Prozent haben an den Wahlen nicht teilge-nommen oder ungültig gewählt.

Darüber hinaus gibt es weitere Indizien fürdie Verbreitung antizionistisch-antisemitischer,antiamerikanischer und verschwörungstheore-tischer Ansichten. Den Befragten wurden dahingehende Aussagen vorgelegt, die von Organi-sator/innen der Mahnwachen und Redner/innen geäußert wurden (Tabelle 2).

Die zum Teil deutliche Zustimmung zu ei-ner manichäischen, ressentimentgeladenen Kri-tik ist nicht eindeutig links oder rechts zu ver-orten. Aber sie erlaubt eine Integration vonlinken und rechten Positionen. Insofern scheintdas Szenario der Herausbildung einer Quer-front-Bewegung durchaus plausibel. Die Ko-existenz linker und rechter Inhalte wird aufden Mahnwachen anscheinend kaum als pro-blematisch empfunden.

Eine Bewegung in der Postdemokratie –Einstellungen zu Demokratie undInstitutionenEiner großen Zustimmung der Befragten zurIdee der Demokratie (96,9 %) steht die star-ke Unzufriedenheit mit der Realität des poli-

Abb. 2: Selbsteinschätzung auf der Links-Rechts-Skala (Montagsmahnwachen imVergleich mit anderen Demonstrationen, in Prozent

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Tabelle 1: Fragen zu vier Dimensionen des Rechtsextremismus (Angaben in Prozent)

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AussageLehnevöllig ab

Lehneüberwie-gend ab

Stimmeteils zu/teils nichtzu

Stimmeüberwie-gend zu

Stimmeganz zu

Befürwortung rechtsautoritäreDiktaturIm nationalen Interesse istunter bestimmten Umständeneine Diktatur die bessereStaatsform. 79,8 12,1 5,7 2,0 0,3

Wir sollten einen Führerhaben, der Deutschland zumWohle aller mit starker Handregiert. 21,7 15,5 29,0 14,5 19,3

ChauvinismusWir sollten endlich wiederMut zu einem starkenNationalgefühl haben. 1,01,42,78,586,4

Was unser Land heute braucht,ist ein hartes und energischesDurchsetzen deutscherInteressen gegenüber demAusland. 70,2 12,9 11,0 3,7 2,2

AntisemitismusAuch heute noch ist derEinfluss der Juden zu groß. 85,6 9,0 3,2 1,4 0,7

Die Juden arbeiten mehrals andere Menschen mitüblen Tricks, um das zuerreichen, was sie wollen.

NS-VerharmlosungDie Verbrechen des Nationalso-zialismus sind in der Ge-schichtsschreibung weitübertrieben worden.

Der Nationalsozialismus hatteauch seine guten Seiten.

57,5 17,8 15,8 6,8 2,1

69,0 18,1 9,6 1,8 1,4

65,5 21,4 8,2 3,2 1,8

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tischen Systems in Deutschland gegenüber.So zeigt sich ein enorm hohes Maß an Miss-trauen in beinahe sämtliche etablierte gesell-schaftliche Institutionen. Relevante ökonomi-sche und politische Akteure, aber auch Kir-chen und Medien genießen fast kein Vertrau-en. Die Befragten fühlen sich politisch nichtrepräsentiert. Etwas besserer schneiden dage-gen Gerichte und Polizei ab, die wohl eherals Ordnungsinstanzen denn als interessenge-leitete Akteure wahrgenommen werden. Al-lein die Bürgerinitiativen/Nicht-Regierungsor-ganisationen stehen dem Gesamtbild entgegen(Abbildung 3).

Der Mangel an Vertrauen geht mit einerenormen Unzufriedenheit mit politischen Pro-zessen einher. Die überragende Mehrzahl derBefragten widerspricht eher oder völlig derAnsicht, das politische System der Bundesrepu-blik funktioniere gut (93,9 %). In der Gesamt-bevölkerung liegt diese Zahl deutlich unter 50

Prozent. Gut drei Viertel der Demonstrieren-den (76,2 %) meinen zudem, keine oder nurgeringe Einflussmöglichkeiten auf das Tun derRegierung zu haben. Die Befragten sind vompolitischen System der Bundesrepublik starkentfremdet und fühlen sich nicht vertreten. Inder neuen Bewegung finden sie stattdessen einepolitische Heimat, die gegen Kritik weitgehendabgeschottet wird. Trotz der umfangreichenDokumentation problematischer Äußerungen imKontext der Mahnwachen stimmen nur achtProzent der Aussage zu, „es gibt berechtigteKritik an den Reden der Montagsmahnwachen“.

Fazit: ein ambivalentesProtestphänomenInsgesamt bleibt ein ambivalenter Eindruck.Dies betrifft die Unterschiede zwischen einzel-nen Teilgruppen der Befragten wie auch dasteilweise widersprüchliche Antwortverhalteneinzelner Personen. Es gibt deutliche Anzei-

Aussage

Tabelle 2: Zustimmung zu Aussagen von den Mahnwachen (in Prozent)

Lehnevöllig ab

Lehneüberwie-gend ab

Stimmeteils zu/teils nichtzu

Stimmeüberwie-gend zu

Stimmeganz zu

Amerika bzw. das amerikani-sche Militär ist nur der Knüp-pel der FED (US-Notenbank). 1,4 7,5 39,4 30,5 21,1

Die BRD ist kein souveränerStaat. 5,1 9,5 24,0 24,4 37,1

Die Zionisten haben sich welt-weit an die Hebel der Machtgesetzt und lassen nun Politik,Börse und auch die Mediennach ihrer Pfeife tanzen. 13,314,019,715,537,5

Friedensaktivisten werden der-zeit von einer nahezu gleichge-schalteten Presse in die rechteEcke gestellt. 3,0 0,7 7,4 37,1 51,8

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chen einer politischen Entfremdung. Dieseäußert sich, bei hoher Wertschätzung der Ideeder Demokratie, in einem nahezu totalen Miss-trauen gegenüber etablierten politischen Insti-tutionen, Medien und gesellschaftlichen Groß-organisationen, in einer deutlichen Kritik ander Selbstbezogenheit der politischen Klasseund in der Anfälligkeit für rechtsautoritäre Ein-stellungen und verschwörungsideologischeWeltdeutungen.

Eine Teilmenge der Demonstrierendenscheint einen Nährboden für populistische In-strumentalisierungen zu bieten. Dem entspre-chen auch Eindrücke vom Geschehen auf derBühne, bei dem Authentizität und politischeNaivität Hand in Hand gehen und gerade indiesen Momenten beklatscht werden. Vieleserinnert an Occupy: das rasche, fast unvermit-telte Aufflammen der Proteste, die Unsortiert-heit der Teilnehmer/innen, das Fehlen festerBindungen und Strukturen, die zuweilen re-gelrechte Inszenierung von Spontaneität, Ge-fühlsausdruck und Unprofessionalität, das Fern-halten aller Insignien bekannter politischerOrganisationen, die dominante Mobilisierung

über neue Medien und damit verbundene sozi-ale Netze, die Distanz gegenüber etabliertenpolitischen Repräsentationsgremien (Décieux/Nachtwey 2014).

Bleibt es bei der fehlenden strategischenAusrichtung und beim Nebeneinander wider-sprüchlicher Positionen, so ist es durchaus denk-bar, dass die Montagsmahnwachen auch einähnlich schnelles Ende wie Occupy finden wer-den.

Dr. Priska Daphi ist wissenschaftliche Mit-arbeiterin am Zentrum Technik und Gesellschaftder Technischen Universität Berlin sowie an derGoethe-Universität Frankfurt (Main) im DFG-Projekt „Alternativlos? Gesellschaftlicher Protestin der Globalisierungskritischen Bewegung zwi-schen Opposition und Dissidenz“.

Prof. em. Dieter Rucht ist Vorsitzender desVereins für Protest- und Bewegungsforschungund Fellow am Wissenschaftszentrum Berlinfür Sozialforschung.

Wolfgang Stuppert ist Doktorand an derBerlin Graduate School of Social Sciences, HUBerlin.

Abb. 3: Vertrauen in Institutionen (Angaben in Prozent)

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Dr. Simon Teune ist Postdoc-Stipendiat amZentrum Technik und Gesellschaft der Tech-nischen Universität Berlin

Dr. Dr. Peter Ullrich ist Ko-Leiter des For-schungsbereichs „Soziale Bewegungen, Tech-nik, Konflikte“ am Zentrum Technik undGesellschaft und Fellow am Zentrum für Anti-semitismusforschung der Technischen Univer-sität Berlin.

Anmerkungen1 Die Befragung wurde durchgeführt vom Zen-

trum Technik und Gesellschaft der Techni-schen Universität Berlin, Bereich „SozialeBewegungen, Technik, Konflikte“, in Ko-operation mit dem Verein für Protest- undBewegungsforschung e.V. Ein ausführlicherForschungsbericht steht zum Download zurVerfügung: bit. ly/SClWBt (http://protestinstitut.eu/projekte/demonstrations-befragungen/befragung-montagsmahnwa-chen/).

2 http://netzwerkvolksentscheid.de/2014/06/16/aktuell-118-montagsmahnwachen-friedens-mahnwachen-montagsdemos-am-16-06-2014-in-deutschland-oesterreich-und-schweiz/[28.06.2014]

3 Die erste Gruppe bestreitet die legitime Exis-tenz der Bundesrepublik. Sie verstehen sichstattdessen als Bürger/innen des DeutschenReichs. Die zweite Gruppe ist davon über-zeugt, dass Kondensstreifen nur mit derAusbringung von Chemikalien zu erklärensind, die in manipulativer Absicht gegen dieBevölkerung eingesetzt werden.

4 http://diefreiheitsliebe.de/bewegungen-2/fuer-eine-solidarische-auseinandersetzung-mit-den-montagsmahnwachen [02.07.2014]

5 Zum Vergleich mit der Gesamtbevölkerungwerden Daten des Statistischen Bundesam-tes, der ALLBUS, Daten der Mitte-Studien(Decker/Kiess/Brähler 2014) und Demonst-rationsbefragungen zu Stuttgart 21 (Baum-

garten und Rucht 2013) und dem Irakkrieg(Rucht 2003) herangezogen.

6 Die Vergleichsdaten beruhen auf Werten desStatistischen Bundesamtes.

Literatur

Baumgarten, Britta/Rucht, Dieter 2013:Die Protestierenden gegen „Stuttgart 21“ – ein-zigartig oder typisch?, in: Frank Brettschnei-der/Wolfgang Schuster (Hg.): Stuttgart 21.Ein Großprojekt zwischen Protest und Akzep-tanz. Wiesbaden: Springer VS, S. 97–125.

Brinkmann, Ulrich/Nachtwey, Oliver/Décieux, Fabienne 2013: Wer sind die 99%?Eine empirische Untersuchung der Occupy-Pro-teste, hgg. von der Otto Brenner Stiftung,OBS-Arbeitspapiere 6, Frankfurt am Main,http://www.otto-brenner-shop.de/uploads/tx_mplightshop/Arbeitspapier_06_Occupy_01.pdf.

Décieux, Fabienne/Nachtwey, Oliver2014: Occupy: Protest in der Postdemokratie,Forschungsjournal Soziale Bewegungen 27 (1),S. 75–88.

Decker, Oliver u. a. 2013: Fragebogen zurrechtsextremen Einstellung – Leipziger Form(FR-LF), in: Decker, Oliver/Brähler, Elmar/Kiess, Johannes (Hg.): Rechtsextremismus derMitte. Eine sozialpsychologische Gegenwarts-diagnose, Forschung psychosozial, Gießen: Psy-chosozial-Verlag, S. 197-213.

Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Brähler,Elmar 2014: Die stabilisierte Mitte Rechtsex-treme Einstellung in Deutschland 2014, hg.vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremis-mus- und Demokratieforschung der Universi-tät Leipzig, Leipzig, https://www.amadeu-an-tonio-stiftung.de/w/files/pdfs/mitte_leipzig_internet.pdf.

Rucht, Dieter 2003: Die Friedensdemonst-ranten – wer sind sie, wofür stehen sie?, in:Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen16 (2), S. 10-13.

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