Metaphern und Modelle – ein Vergleich.

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Universität Zürich Philosophisches Seminar HS 13 / FS 14 Seminar „Metaphern“ bei Prof. Dr. Katja Saporiti Metaphern und Modelle – ein Vergleich. Seminararbeit von Julia Nauer

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Universität Zürich Philosophisches Seminar HS 13 / FS 14 Seminar „Metaphern“ bei Prof. Dr. Katja Saporiti

Metaphern und Modelle –

ein Vergleich.

Seminararbeit von Julia Nauer

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1   Einleitung  ..........................................................................................................................  3  

2     Die  Metapher  ...................................................................................................................  4  

2.1   Metapher  und  Verstehen  ..................................................................................................  4  2.2   Eines  sagen  und  ein  Anderes  meinen?  .........................................................................  5  2.3   Metapher  als  Filter  ..............................................................................................................  6  2.4   Die  Metapher  und  das  mit  ihr  Ausgesagte  ..................................................................  8  2.5   Metapher  und  Paraphrase  ...............................................................................................  9  

3   Modelle  ...........................................................................................................................  11  

3.1   Modelle  und  Analogie  .....................................................................................................  12  3.2   Modell,  Modelliertes  und  das  Ding  in  unserem  Kopf  ...........................................  12  

4   Diskussion:  Metapher  und  Modell  .........................................................................  15  4.1   Analogie  und  Filter  ..........................................................................................................  15  4.2   Aussagen  und  Modelle  und  Aussagen  und  Metaphern  ........................................  16  

5   Fazit  ..................................................................................................................................  22  

6   Literatur  .........................................................................................................................  23  

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1 Einleitung

Sind Metaphern und Modelle miteinander vergleichbar? Gehorchen sie ähnlichen Regeln,

unterliegen ihnen ähnliche oder gar die gleichen Prinzipien? Denn sowohl Metaphern als

auch Modelle stehen in einem Zusammenhang mit etwas Anderem und stellen dieses An-

dere auf eine bestimmte Weise dar. In beiden Fällen wird etwas auf ein Zweites angewen-

det.

Drei zentrale Fragen ergeben sich:

1. Wie steht die Metapher zu dem mit ihr Ausgesagten?

2. Wie steht das Modell zu dem mit ihm Modellierten?

3. Wie steht die Metapher zum Modell?

In einem ersten Schritt werde ich einen Zugang zur Theorie der Metapher vorstellen. Ich

werde mich hierbei vor allem auf Max Black (1962) beziehen. Ich werde versuchen zu er-

klären, wie die Metapher zu dem von ihr Ausgesagten steht und wie die Mechanismen

funktionieren, dass überhaupt etwas mit der Metapher ausgesagt werden kann. Im zweiten

Teil werde ich das Modell behandeln und mich dafür auf Mary Hesse (1964) beziehen – ich

werde versuchen auch hier die zugrundeliegenden Prinzipien darzustellen, welche in der

Beziehung zwischen Modell und Modelliertem liegen. Schliesslich vergleiche ich die beiden

vorgestellten Phänomene Modell/Modelliertes und Metapher/Ausgesagtes miteinander

und untersuche, welche Parallelitäten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu finden sind.

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2 Die Metapher

2.1 Metapher und Verstehen

(1) Philosophie ist die Mutter aller Wissenschaften.

Lesen wir Satz (1), passieren (mindestens) vier Dinge:

1. Wir lesen den Begriff „Philosophie“ und stellen uns etwas darunter vor.

2. Das Prädikat „ist“ lässt uns vermuten, dass nun der erste Begriff („Philosophie“)

gleich mit einem neuen Begriff in Zusammenhang gesetzt wird.

3. Wir lesen den Begriffskomplex „Mutter aller Wissenschaften“ und werden in der

Annahme aus 2. bestätigt.

4. Ein Gesamtverständnis von (1) ist erst nach dem Lesen des Satzes möglich: alle

Begriffe werden zueinander in Verbindung gesetzt und die Satzbedeutung wird uns

ersichtlich (oder auch nicht, je nach Fall).

Nehmen wir nun für die Untersuchung an, dass die Satzbedeutung uns auf irgendeine

Weise ersichtlich wird und dass wir uns einen Reim aus der Aussage machen können.

Was passiert nun, bei diesem Prozess des Verstehens? Sobald wir im Zeitverlauf des

Die-Aussage-Lesens beim Wort „Mutter“ angelangen, merken wir, dass es nicht mit

rechten – oder hier „wörtlichen“ – Dingen zugehen kann: Dinge wie „Philosophie“

haben normalerweise keine Mutter wie Menschen oder Tiere. Dennoch lesen wir in

Erwartung des noch bevorstehenden Klärungsmoments der Diskrepanz der Begriffe

den Satz zu Ende und gelangen zu „aller Wissenschaften“. Hier dasselbe: Wissenschaf-

ten haben eigentlich nicht Eltern, wie z. B. wir Menschen es haben. Ob wir nun den

Begriff der Metapher bewusst kennen oder nicht, merken wir, dass hier nicht der Fall

ist, dass der „gewohnte“ Gebrauch des Wortes „Mutter“ verwendet wird, sondern, dass

hier etwas Analoges zu der Beziehung Mutter[-Kind] , etwas Analoges zu dem Bedeu-

tungskomplex, den Assoziationen, welche mit dem Begriff „Mutter“ eröffnet werden,

angesprochen wird. Es entsteht, neben den Begriffsfeldern Philoso-

phie/Wissenschaften und Mutter-/Kindbeziehung, etwas Drittes: Nämlich derjenige

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Raum, welcher erst durch das In-Beziehung-Setzen der beiden Begriffsfelder erschaffen

wird und ergibt uns das, was mit der Metapher eigentlich ausgesagt wird: etwas, mit ei-

nem Set an Merkmalen, welches beim Subjekt, dem die Metapher zugeschrieben wird –

hier „Philosophie“ – diese Merkmale im Speziellen beleuchtet, hervorhebt. Die Aus-

wahl dieser Set-Merkmale wird durch den Kontext getroffen und eingeschränkt. Black

(1962: 44) spricht hier von Implikationen, die eine Auswahl an commonplaces eröffnen;

bei uns wären dies die Hauptassoziationen, welche der Begriff „Mutter“ in unserem

Beispielsatz (1) eröffnet.

So haben wir eine Art Dreiecks-Beziehung zwischen folgendem:

Abb. 1:

Das  mit  der  Metapher  Gesagte:  metaphorischer  Ausdruck:  

Zeichen1,  welche  für  die  Metapher  verwendet  werden  

„Philosophie  ist  die  Mutter  aller  Wissenschaften“  

Subjekt:  das  mit  der  Metapher  Umschriebene   „Unterliegendes“  Subjekt,  metaphorisch  verwendet  

               

„Philosophie“           „Mutter“  

 

 

Das  mit  der  Metapher  Ausgesagte/Gemeinte,  die  „Bedeutung“  der  Metapher  

Etwa:  „die  Wissenschaften  stammen  von  der  Philosophie  ab,  weil  sie,  als  Wissenschaft  des  Denkens,  den  Ur-­‐

sprung  des  wissenschaftlichen  Denkens,  Beobachtens  und  Erkennens  bildet.“  

2.2 Eines sagen und ein Anderes meinen?

Wir sagen also

(1) Philosophie ist die Mutter aller Wissenschaften.

und meinen irgendetwas wie

(2) „Die Wissenschaften stammen von der Philosophie ab, weil sie, als

Wissenschaft und Lehre des Denkens, den Ursprung des wissen-

schaftlichen Denkens, Beobachtens und Erkennens bildet.“

1 Ich werde mich im Folgenden auf die Zeichentheorie von Ferdinand de Saussure abstützen.

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Aber meint man nicht immer, was man sagt?

Sage ich wie in (1) „Mutter aller Wissenschaften“ meine ich ja schon das, was ich mit „Mut-

ter“ sage, aber halt eben im Rahmen dessen, dass es in Kombination mit dem Begriff

„Wissenschaften“ Sinn macht. Ich finde es verwirrend (vgl. hierzu Davidson (1978: 32f),

von verschiedenen Arten von Bedeutungen zu sprechen wie z. B. von metaphorischer Bedeu-

tung und wörtlicher Bedeutung. Es ist nicht die Bedeutung des Wortes, die sich ändert, sondern

die Bedeutung und der Bedeutungskomplex des gesamten Satzes, welcher eine ganz be-

stimmte Bedeutung, oder noch genauer: einen kontextabhängig eingeschränkter Bedeu-

tungszusammenhang beleuchtet mittels des Gebrauchs der Wörter und deren Kombinati-

on. Der Kontext (hier z. B. schon etabliert durch das Subjekt „Philosphie“, später verstärkt

durch „Wissenschaften“) wirkt als eine Art Filter, welche einige mögliche Bedeutungen des

Zeichens („Mutter“), welches als Metapher eingesetzt wird, hervorhebt. Mit unserem Bei-

spiel gesprochen, würde dies heissen, dass, „Mutter“ und alle möglichen Bedeutungen des

Zeichens durch den Kontext „Philosophie ist die [Mutter] aller Wissenschaften“ gefiltert

werden und der Rezipient dadurch nur einige mögliche Bedeutungen und Zusammenhänge

in Betracht zieht, wobei jedoch die ursprünglichen, restlichen Bedeutungen niemals ganz

ausgeblendet werden.

Obwohl, wie oben erwähnt, die Bedeutungen von den im metaphorischen Ausdruck ver-

wendeten Zeichen eine essentielle Rolle spielen, ist es der Gesamtkomplex, der Zusam-

menhang des Ausdrucks, der Gebrauch der Wörter, welcher das Grundgerüst für die Me-

tapher darstellt – oder in Blacks Worten den Rahmen (frame) bildet(1962: 28).

2.3 Metapher als Filter

Ich möchte noch etwas genauer auf diesen „Filter“ eingehen: darauf, was zwischen den

beiden Subjekten eines metaphorischen Ausdrucks passiert und wie diese commonplaces und

implications in einer Metapher funktionieren – ich verwende hier Blacks Terminologie (spe-

ziell in seiner Herangehensweise des interaction view; 1962: 44). Er spricht von einem principal

subject und einem subsidiary subject. Ich denke, dass meine dreiteilige Darstellung von Seite 3

(Abb. 1) auch mit Blacks Gedanken funktionieren kann – doch um dies zu sehen, müssen

wir erst Blacks Theorie noch einmal genau aufrollen. Wie schon erwähnt, nennt Black die

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zwei Teile, welche in einem Satz wie (1) den metaphorischen Ausdruck ausmachen prinicpal

subject und subsidiary subject. In (1) wäre das principal subject „Philosophie“ und das subsidiary

subject „Mutter“. Diese Subjekte betrachtet Black als ganze Systeme von Dingen. Was nun

in einer Metapher passiert, ist, dass diejenigen Assoziationen, Gemeinplätze (commonplaces),

welche mit dem untergeordneten (subsidiary) Subjekt verbunden werden auf das primäre

Subjekt angewendet werden:

Abb. 2:

Philosophie ist die Mutter aller Wissenschaften

anwenden  als  Filter         Assoziationen/  Merkmale  

Merkmale,  welche  durch  die  Anwendung  der  Assoziationen  des  untergeordneten    

        Subjekts  hervorgehoben  werden  

Die auf das primäre Subjekt angewendeten Assoziationen des untergeordneten Subjekts

betonen einzelne Merkmale des primären Subjekts oder rücken sie in den Hintergrund: es

bleibt eine Art Schnittmenge derjenigen Merkmale des primären Subjekts, auf welche die

Merkmale des untergeordneten Subjekts anwendbar sind. So wirkt das in der Darstellung

blaue Oval als Filter, welcher auf diejenigen Merkmale und deren Assoziationen gelegt

wird, welche von „Philosophie“ ausgelöst werden (rotes Oval), so dass man diejenigen

Merkmale von Philosophie hervorgehoben sieht, welche kompatibel sind mit denjenigen

des Mutter-Begriffs – in der Darstellung wäre dies die Schnittmenge des blauen und roten

Ovals:

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2.4 Die Metapher und das mit ihr Ausgesagte

Zwischen der Metapher und des mit der Metapher Ausgesagten stehen also die vorhin dar-

gelegten Schritte dieses „Filtrierens“:

Abb. 3:

Metapher Das mit der Metapher Gemeinte

„Gesagtes“ „Ausgesagtes“

„Filterprozess“

Nach Black (1962) wirkt dieser Filter als Funktion der Bedeutung:

„The author provides, not his intended meaning, m, but some function thereof, f(m); the reader’s

task is to apply the inverse function, f-1, and so to obtain f-1(f(m)), i.e., m, the original meaning“

(Black 1962: 35).

Also anstatt direkt m zu sagen liefert uns der Metaphernverwender f(m). Der Leser muss

nun den Umweg über den in der Graphik dargestellten Prozess machen, indem die Funkti-

on f(m) von der „Metapherndeuterin“ invertiert wird: f -1(f(m)), was uns das mit der Meta-

pher Ausgesagte, Gemeinte ergibt.

Doch wie eindeutig ist diese Funktion und damit deren Umkehrung? Und wie sicher kön-

nen wir uns sein, dass man beim Interpretieren einer Metapher auch die Funktion f(x) in

f(m) (richtig) identifiziert? Es wäre ja auch möglich, dass die Interpreteurin der Metapher

f(m) die Metapher als g(m) liest und demnach zu einer Lösung g -1(f(m)) kommt und demnach

nicht zur intendierten Bedeutung m kommt, sondern zu etwas völlig anderem.

Das Problem, das ich hier anspreche ist ein Problem, dass sich aus der Betrachterabhängig-

keit der Interpretation von Metaphern ergibt: Teilen wir nicht dieselben Assoziationen und

commonplaces einer Metapher, verstehen wir nicht, was mit ihr gemeint ist. Während Black z.

B. einen Wolf als ein gefährliches und bösartiges Wesen darstellt und demnach bei der me-

taphorischen Verwendung des Zeichens in „man is a wolf“ (1962: 42) diese (gefährlichen,

bösartigen) Merkmale beim Menschen, welcher als Wolf bezeichnet wird, hervorhebt, ist es

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für jemand anderes, welcher ein gutes Verhältnis zu Wölfen aufrechterhält und vielleicht

eher die Eleganz und Schlauheit des Tieres als Merkmale hervorheben würde, eine ganz

andere Metapher. So wird ersichtlich, dass die als Filter wirkende Funktion f(x) nicht nur an

ein geteiltes Vorwissen gebunden ist, sondern auch an geteilte Assoziationen, um die not-

wendigen Voraussetzungen zur Erkennung, Anwendung und Interpretation der Merkmale,

auf welche die Metapher sich aufbaut, zu bilden. Man muss also f(x) richtig identifizieren,

um dann f -1(x) anzuwenden.

Sehen wir uns f(x), f -1(x) und m bei unserem Beispielsatz (1) an:

m: Ungefähr: „Die Wissenschaften stammen von der Philosophie ab, weil sie,

als Wissenschaft des Denkens, den Ursprung des wissenschaftlichen Den-

kens, Beobachtens und Erkennens bildet.

f(m): Philosophie ist die Mutter aller Wissenschaften.

f -1(x):

Wir haben also gesehen, dass zur Interpretation mindestens folgende zwei Dinge gegeben

sein müssen: der oder diejenige, welche(r) die Metapher interpretiert, muss...

1. ... die Bedeutung(en) des metaphorisch verwendeten Zeichens kennen.

2. ... dieselben Assoziationen, Aspekte und Merkmale in den Vordergrund rücken

bei der „Dekodierung“ des metaphorischen Ausdrucks, um auf dieselbe Bedeu-

tung m zu kommen, wie der Autor der Metapher.

2.5 Metapher und Paraphrase

Wir haben soweit gesehen, dass bei der Bildung und beim Verstehen von Metaphern eine

Reihe von Dingen berücksichtigt werden und gegeben sein müssen, damit die Metapher

„erfolgreich ist“, damit sie „verständlich“ benützt und verstanden wird. Ist die Metapher

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erfolgreich, können eine ganze Menge an Dingen, welche mit nicht-metaphorischer Spra-

che nur am Rande spezifiziert werden können, gesagt werden. In Abbildung 1 sind wir

einfach davon ausgegangen, dass das mit der Metapher Ausgesagte der Paraphrase des me-

taphorischen Ausdrucks gleichkommt – jedoch müssen wir vorsichtig sein mit der Gleich-

setzung von den Begriffen „Bedeutung“ und „Paraphrase“ – eine Paraphrase ist auch, wie

eine Metapher, an realisierte Zeichen gebunden – deswegen nie deckungsgleich mit dem,

was wir „Bedeutung“ nennen bzw. ist die Paraphrase nie ganz genau deckungsgleich mit

dem, was wir mit der Metapher meinen und eben aussagen bei der Verwendung der Meta-

pher.

Das heisst – mit der Funktions-Terminologie von Kapitel 2.4 – handelt es sich immer noch

um f(m) beim Satz „Philosophie ist die Mutter aller Wissenschaften“ und bei m um das, was

wir damit verstehen. Jedoch sollten wir nun aufpassen, wenn wir m mit der Paraphrase

gleichsetzen, wie es oben der Fall war. m kann nicht an Zeichen gebunden sein, da m für

meaning steht und deswegen von der Zeichenebene getrennt betrachtet werden muss (siehe

dazu de Saussure): die Paraphrase ist auch eine Funktion von m – auch wenn vielleicht eine,

welche auf etwas weniger komplizierten Wege zu m zurückführt als die Metapher, da bei

der Zeicheninterpretation eventuell weniger gefordert wird vom Leser/Zuhörer, als beim

metaphorischen Sprechen oder Schreiben.

So müssen wir die Punkte aus Kapitel 2.4 wiederaufnehmen und anders darstellen:

f(m): Philosophie ist die Mutter aller Wissenschaften.

f -1(x):

g(m): Die Wissenschaften stammen von der Philosophie ab, weil sie, als Wissen-

schaft des Denkens, den Ursprung des wissenschaftlichen Denkens, Be-

obachtens und Erkennens bildet.

m: Das, was wir uns unter der Bedeutung vorstellen.

Auf der Bedeutungsebene, nicht auf der Zeichenebene.

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Da wir nun annehmen, dass gilt m ≠ g(m), obwohl wir oben noch dazu versucht waren m

mit g(m) gleichzusetzen, können wir uns nun fragen, was beim Weg von g-1(g(m)) zu m „ver-

loren geht“. Was geht denn beim Paraphrasieren einer Metapher verloren? Was ist also

dieser Rest r, der den Unterschied bildet zwischen der Metapher und ihrer Paraphrase for-

mal mit unserer Terminologie: m - g(m) = r (?)

Vielleicht kommen wir noch auf diesen Rest r zu sprechen, wenn wir einen anderen Zu-

gang zu der Metapher finden. Einen anderen Zugang werden wir z. B. auch mit der Frage-

stellung finden, nämlich indem wir nachfragen, wie Modelle und Metaphern zueinander

stehen. Dies wollen wir in Kapitel 4 unternehmen. Erst folgt jedoch noch ein Überblick

über die Theorie der Modelle und wie sie im weiteren Verlauf für diese Arbeit verwendet

werden.

3 Modelle

Modelle stehen für etwas, sie repräsentieren etwas, stellen etwas dar. Sie stehen für Daten,

Phänomene oder Theorien. Daten können in Form von Graphen modelliert werden, Phä-

nomene können mithilfe eines Modells besser erklärt und verstanden werden und Theorien

können illustriert, durchschaut und weiterentwickelt werden mit modellhaften Darstellun-

gen der ihnen zugrundeliegenden Prinzipien und Ideen. So können wir die Altersverteilung

in der Schweizer Bevölkerung mit einer Normalverteilung zu Papier bringen, die voraus-

sichtliche Verbreitung des Sturms Lothar vorhersagen oder können das Verhalten von

Gasmolekülen besser verstehen, indem wir uns ihr Abstoss-Verhalten mit Billardkugeln

vergleichen.

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3.1 Modelle und Analogie

Während Max Black (1962: 219) von Isomorphismus zwischen Modell und Modelliertem

spricht und von gemeinsamen Strukturen und Beziehungszusammenhängen, entwickelt

Mary Hesse2 die dem Modell zugrundeliegende Idee der Analogie weiter: Für sie spielen drei

Dinge eine wichtige Rolle in der Diskussion der Analogie zwischen Modell und Modellier-

tem: Sie redet von positiven, negativen und neutralen Analogien. Die positive Analogie eines

Modells und seinem Modellierten sind diejenigen Aspekte welche tatsächlich analog sind.

Bei dem vorhin erwähnten Modell der Billardkugeln für die Gasmoleküle wären diejenigen

Aspekte, welche das Abstossungsverhalten betreffen, Aspekte der positiven Analogie, da

sie gleich bzw. ähnlich sind sowohl bei den Billardkugeln als auch bei den Gasmolekülen

bzw. bei der die Gasmoleküle erklärenden Theorie. Aspekte der negativen Analogie sind

diejenigen, welche auf so offensichtliche Weise, wie es denn möglich scheint, nicht in ei-

nem Ähnlichkeitsverhältnis zueinanderstehen: bei unserem Beispiel wäre das z.B. das übli-

che Material der Billardkugeln, dass sie auf einem grünen Filzteppich herumgerollt werden

usw. – kurzum alle diejenigen Aspekte, die eindeutig nie auf Gasmoleküle zutreffen kön-

nen. Bei den neutralen Analogien von Modellen zu Modelliertem bleibt einiges offen: es

sind diejenigen Dinge, bei denen wir uns noch nicht sicher sind, ob sie zu den positiven

oder negativen Analogien gehören – sie lassen Freiraum offen und Interpretationsmöglich-

keiten für Resultate oder neue Voraussagen.

3.2 Modell, Modelliertes und das Ding in unserem Kopf

So bleibt folgender „Überrest“ als unser Modell für Gasmoleküle übrig: das „Roh-Modell“

der Billardkugeln minus die negativen Analogien; konkret ergeben die von uns als analog

interpretierten Merkmale der Ähnlichkeit und ein Unbestimmtes das Modell, mit dem wir

zur Weiterentwicklung oder zum Verständnis der Theorie arbeiten werden.

Doch gerade scheint es, dass hier grosse Vorsicht geboten ist: man kann nicht das Bild der

Billardkugeln der ersten Ebene (vor dem soeben illustrierten Abstraktionsgeschehen) gleich-

setzen mit dem Bild der abstrahierten Billardkugel-Analogie nach dem Abstraktionsvorgang.

Bei Hesse wird dies nicht klar ersichtlich – dennoch erwähnt sie im fiktiven Dialog des

2 Hesse, Mary B. (1963): Models and Analogies in Science. London: Sheed and Ward.

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Duhemisten und des Campbellianisten den Diskussionspunkt dieses Dritten: Entspricht

das, was wir uns letztlich vorstellen, durch die Hilfestellung des Modells, dem Modell, dem

Modellierten oder handelt es sich dabei um etwas Drittes, ein Vorgestelltes in unserem

Kopf? So ist doch das Modell immer nur Hilfestellung um das Modellierte zu verstehen.

Scheint es da nicht naheliegend, dass, insofern wir das Modell verstanden haben, dasjenige,

was wir vor unserem geistigen Auge uns vorstellen, eigentlich sehr viel näher an demjeni-

gen ist, das wir mit dem Modell modellieren möchten – sprich hier das Verhalten von

Gasmolekülen? Bei Hesse fasst es der Duhemist in folgende Worte:

When you speak of the model for gases, do you mean the billiard balls, positive and

negative anaolgy and all, or do you mean what we imagine when we try to picture gas

molecules as ghostly little objects having some but not all the properties of billiard balls

(Hesse 1963: 10).

Terminologisch könnte man Hesse folgen und das Modell minus die negativen Analogien

model1 wählen – so wird das Problem umgangen, dass das „Roh-Modell“ als einzelnes, da-

zukommendes Objekt (die tatsächlichen Billardkugeln) uns im Verstehensprozess hindernd

ist. Aber begegnen wir dann nicht dem Problem, dass nun zwischen model1 – demjenigen,

welches wir vor unserem geistigen Auge abstrahiert haben – und der Theorie, welche wir

modellieren möchten, kein Unterschied mehr besteht? Der Campbellianer in Hesses fikti-

vem Dialog würde hier entgegnen (siehe Hesse 1963:11), dass der Hauptunterschied zwi-

schen dem model1, d.h. dem Modell mit seinen positiven und neutralen Analogien, und der

Theorie genau diese noch unbekannten Parameter, welche die neutralen Analogien beher-

bergen, eben in der Theorie noch nicht berücksichtigt wurden – im Ggs. zum Modell, wo

diese ja das model1 gerade mit ausmachen.

Wenn ich Hesse richtig verstanden habe, könnte man das oben Beschriebene in diesen

Schritten zusammenfassen:

1. Wir haben ein Phänomen oder eine Theorie (welche z. B. das Verhalten von Gas-

molekülen beschreibt), die wir gerne in einem Modell darstellen möchten, um es

besser verstehen zu können und eventuell weiterzuentwickeln.

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2. Dazu suchen wir ein uns schon bekanntes, relativ einfach zu verstehendes Phäno-

men (z. B. das Spiel Billard), das in gewissen zentralen Punkten in einer Analogie-

Beziehung zu der von uns zu modellierenden Theorie steht.

3. Diese analogen zentralen Punkte, welche zwischen den beiden Dingen eine Ähn-

lichkeitsbeziehung herstellen, nennt Hesse positive Analogie.

4. All diejenigen Punkte des Vergleich-Phänomens (bei unserem Beispiel sind es die

Billardkugeln), welche nicht in einem Analogie-Verhältnis stehen, zählen wir mit

Hesses Terminologie zu der negativen Analogie.

5. Diejenigen Punkte, bei denen wir uns noch nicht entschieden können, ob sie zur

negativen oder zur positiven Analogie gehören, zählen wir zur neutralen Analogie.

6. Wenn wir vom Vergleichsphänomen die negative Analogie abziehen und uns vor-

stellen, was noch übrig bleibt, haben wir in unserer Vorstellung das von Hesse vor-

geschlagene model1 – es setzt sich aus der übrigbleibenden positiven und neutralen

Analogie des Vergleich-Phänomens zusammen.

7. Das model1 ist nicht mit der zu modellierenden Theorie gleichzusetzen, da es, im

Gegensatz zur Theorie selbst, noch Dinge einschliesst, die wir noch nicht wissen,

bei welchen jedoch die Möglichkeit besteht, dass wir sie mit der weiteren Betrach-

tung und Untersuchung der Theorie oder eben des dazu erstellten Modells, erfah-

ren werden: die neutrale Analogie stellt diese potentiell dazu tretenden Parameter

dar.

8. Wir haben also eine dreiteilige Beziehung zwischen folgenden Dingen:

Theorie         „Roh-­‐Modell“    

    enthält  positive  Analogie     enthält  positive,  negative  und  neutrale  Analogie  

 

model1  

enthält  positive  und  neutrale  Analogie  

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4 Diskussion: Metapher und Modell

4.1 Analogie und Filter

Für den Vergleich scheint es naheliegend, die Terminologien, welche wir verwendet haben

um Metapher und Modell zu erklären, einander möglichst anzugleichen.

Bei den Metaphern sprachen wir von Gesagtem (die Metapher auf der Zeichenebene),

Filtern und Ausgesagtem/Gemeintem (die Metapher auf der Bedeutungsebene). Bei den

Modellen redeten wir von Modell, Analogie (positive, neutrale und negative) und Theorie.

Könnte man beispielsweise bei dem genannten „Filterprozess“ der Metapher auch von

positiver, neutraler und negativer Analogie reden? Oder umgekehrt bei der Terminologie

von positiver und neutraler Analogie von Filter?

Dann würde der Theorie über Gasmoleküle ein Filter auferlegt, welcher die billardkugelar-

tigen Merkmale der Gasmoleküle hervorhebt. Bei der „Philosophie“ würde in unserem

Beispiel nun nach positiven Analogien zum „Muttersein“ gesucht und nach negativen, wel-

che beim Vergleich wegfallen würden. Die neutralen Analogien wären Punkte des Mutters-

eins, derer wir uns im Moment des Vergleichs nicht bewusst sind, aber uns vielleicht in

einem späteren Zeitpunkt ihres Zutreffens noch bewusst werden könnten.

Diese Idee scheint zu funktionieren, wenn wir Millers (1979: 218ff) Ideen aufgreifen: Me-

taphern sind komprimierte Vergleiche. Vergleiche basieren auf den Prinzipien der Analo-

gie. So haben wir einen ersten wichtigen Ausgangspunkt auf der Suche nach den Gemein-

samkeiten zwischen Modellen und Metaphern: Sie beide sind auf irgendeine Art Vergleiche,

auch wenn das den Vergleich ausmachende Wörtchen wie oft nur mitgedacht und nicht

expliziert wird bei den Metaphern: denn wir hatten ja (1) Philosophie ist die Mutter aller

Wissenschaften und nicht (2) Philosophie ist [so etwas] wie die Mutter aller Wissenschaften.

Die Aussagen sind natürlich nicht dieselben, jedoch denken wir das wie beim Entschlüsseln

der Metapher mit. Bei den Modellen ist das wie oft explizit gemacht. Erklärt jemand das

Billard-Gasmolekül-Modell, wird er Aussagen folgender Art machen:

(3) Stellen wir uns Gasmoleküle als Kugeln vor, die sich wie Billardkugeln von

einander abstossen.

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Die Wörtchen als und wie machen die Vergleichsbeziehung zwischen den beiden in Bezie-

hung gesetzten Begriffen explizit. Dies zeigt uns, dass wir zum Vergleich der Phänomene

Modelle und Metaphern in einem nächsten Schritt untersuchen können, wie sich Aussagen

über Modelle im Vergleich zu Aussagen über Metaphern bzw. Aussagen, welche Meta-

phern enthalten gestalten.

4.2 Aussagen

Können wir Modelle und Metaphern besser Vergleichen, wenn wir Aussagen über Modelle

mit Aussagen über Metaphern oder Aussagen über Modelle mit Aussagen, welche Meta-

phern enthalten, vergleichen um Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zu identifizieren?

Aussagen über Modelle:

(3) Stellen wir uns Gasmoleküle als Kugeln vor, die sich wie Billardkugeln von-

einander abstossen.

(4) Die x-Achse ist die Zeit und t1 ein gegebener Zeitpunkt auf der Achse.

(5) Elektrisch geladene Dinge, die Elektronen, kreisen wie die Planeten im Sonnensys-

tem auf festgelegten Plätzen in ihren „Schalen“ um den Atomkern.

Aussagen, die Metaphern enthalten:

(1) Philosophie ist die Mutter aller Wissenschaften.

(6) Achill ist ein Löwe in der Schlacht.

(7) Juliet is the sun.

Aussagen über Metaphern:

(1’) Im metaphorischen Vergleich der Philosophie als Mutter der Wissenschaften wird

betont, dass Philosophie als Ur-Wissenschaft angesehen wird.

(6’) „Achill ist ein Löwe in der Schlacht“ bedeutet, dass Achill sehr mutig und ein

guter Kämpfer ist.

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(7’) Wenn Juliet mit der Sonne verglichen wird, wird sie als metaphorische Lichtspende-

rin in Romeos Leben angesehen: sie spendet Wärme und Licht.

Bei den Aussagen (1’), (6’) und (7’) haben wir diejenige Umkehrfunktion gemacht, welche

wir in Kapitel 2.5 mit f -1(x) gemacht haben, jedoch haben wir die Überlegungen, welche

wir bei der Operation f -1(x) implizit machen, in expliziten Aussagen formuliert: wir haben

die Metaphern paraphrasiert und erklärt. Das heisst, es sind nicht nur Paraphrasen, sondern

explizites Reden über die metaphorischen Aussagen. Sind diese Arten von Aussagen geeig-

net um sie mit den Aussagen (3) – (5) zu vergleichen, d.h. sind sie auf der gleichen Ebene?

Die explizite Betonung des Redens über etwas setzt sie auf einer Metaebene an und sind

demnach nicht geeignet um mit den Aussagen (3) – (5) verglichen zu werden, da sie sich

auf einer anderen Ebene befinden. Versuchen wir es mit den Aussagen (1), (6) und (7):

Vergleichsbeispiel 1:

(6) Achill ist ein Löwe in der Schlacht.

(4) Die x-Achse ist die Zeit und t1 ein gegebener Zeitpunkt auf der Achse.

Beide Aussagen sind sowohl mit dem Vorgang, den ich im Kapitel über Metaphern entwi-

ckelt habe, als auch demjenigen Vorgang mit Hesses Terminologie von Analogien de-

chiffrierbar: Jeweils bei beiden Sätzen setzen wir zwei Dinge in eine Beziehung und deuten

die Aussagen so, dass wir das Gemeinte identifizieren können, ob nun per Analogie oder

Funktionsumkehrung – gehen wir genauer darauf ein, was jeweils bei den Aussagen pas-

siert, wenn wir beide Arten der Dekodierung auf sie anwenden.

Vorausgesetzt wir haben die nötigen Kontextinformationen um (6) zu verstehen (z. B. dass

wir wissen, wer Achill ist und was ein Löwe ist), können wir relativ problemlos von der

metaphorischen Aussage f(m) zu m kommen über die in 2.5 diskutierte Umkehrfunktion.

Natürlich, wie schon gesagt, müssen dafür die nötigen Voraussetzungen erfüllt sein: wir

müssen die commonplaces welche zum Metaphernverständnis Bedingung sind, kennen.

Auch die an sich für Modell-Überlegungen gedachte Analogie-Terminologie Hesses scheint

zu funktionieren: Wir haben das System Achill, das System Löwe und setzen sie in eine

Vergleichsbeziehung zu einander: was wir an Analogem finden (wie z. B. Stärke, Mut) zäh-

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len wir zur positiven Analogie, was wir an Unterschieden finden (bspw. der Pelz und allge-

mein die Tiergestalt des Löwen im Gegensatz zu Achills Menschengestalt) zählen wir zur

negativen Analogie und berücksichtigen diese Punkte bei der Interpretation der Aussage nicht.

Auch hier können wir von neutralen Analogien ausgehen: wir können die Annahme treffen,

dass das, was wir vorhin als „Verlust“ bezeichnet haben, wenn wir eine metaphorische

Aussage und ihre Paraphrase vergleichen nun als Teil derjenigen neutralen Analogien be-

zeichnen, von denen wir noch nicht wissen, ob sie negativ oder positiv sind.

Betrachten wir nun einmal die erste Hälfte von (4): Die x-Achse ist die Zeit. Auch hier

können wir sagen, dass zwei Begriffe miteinander in Beziehung gesetzt werden und wir die

nötigen commonplaces der jeweiligen Begriffe kennen müssen, um die Aussage zu verstehen.

Aber: ist es dieselbe Operation, welche wir mit einer metaphorischen Aussage durchfüh-

ren? Ist (4) eine metaphorische Aussage? Wir setzen die Zeit mit etwas Räumlichem, näm-

lich mit der von links nach rechts verlaufenden Geraden gleich. So scheint das Räumliche

Teil der auf die Zeit projizierten commonplaces zu sein. Wir haben ein intuitives Verständnis

der Zeit als etwas in irgendeiner Weise an den Raum Gebundenes, da es eine der wenigen

Vergleichsmöglichkeiten für die abstrakte Dimension der Zeit darstellt. In (4) sprechen wir

nun über eine Darstellungsmöglichkeit (im graphischen Sinne), um mit der Zeit als Dimen-

sion arbeiten zu können. Die x-Achse ist ein fester Begriff in der Mathematik, genau so wie

die Zeitachse in der Physik ein fester Begriff ist. Dennoch machen wir eine ähnliche Ope-

ration wie bei der Dekodierung von Metaphern: was ist der Unterschied? Ist es „der Auf-

wand“ den wir betreiben? Dies könnte eine Erklärungsmöglichkeit sein: der Aufwand beim

Dekodieren der Beziehung zwischen Achill und dem Löwen in Satz (6) ist „grösser“ in

dem Sinne, dass wir erst entscheiden müssen, wie Löwen zu Menschen in Beziehung ge-

bracht werden können – definieren wir jedoch eine Dimension in der Darstellung als x-

Achse, wissen wir es, womit wir es zu tun haben, da es sich um stehende Begriffe handelt.

Wir sind es schon so gewohnt von der „Zeitachse“ zu sprechen, dass wir keine „metapho-

rischen Umwege“ gehen müssen – die Metapher ist tot. Derselbe Gedankengang ist im

Übrigen auf den zweiten Teil von (4) anwendbar: t1 [ist] ein gegebener Zeitpunkt auf der

Achse. „Zeitpunkt“ ist genauso ein räumlicher Begriff angewendet auf die Zeit.

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Wir haben also einen ersten Unterschied entdeckt zwischen Metaphern und Modellen:

Modelle können metaphorische Anteile enthalten, es ist jedoch möglich, dass diese schon

„tot“ sind und nicht mehr als Metaphern empfunden werden.

Vergleichen wir nun zwei weitere Fallbeispiele:

(5) Elektrisch geladene Dinge, die Elektronen, kreisen wie die Planeten im Sonnensys-

tem auf festegelegten Plätzen in ihren „Schalen“ um den Atomkern.

(7) Juliet is the sun.

In (5) haben wir wieder einen wissenschaftlichen Terminus (wie oben die „x-Achse“), bei

dem wir sagen können, dass es sich um eine tote Metapher handelt: „elektrisch geladen“.

Da es sich um einen stehenden Begriff handelt, machen wir nicht noch den ganzen Umweg

über die Umkehrfunktion, wie wir es bei metaphorischen Ausdrücken tun – wir bemerken

eventuell gar nicht, dass man den betrachteten Begriff überhaupt als Metapher anschauen

könnte bzw. es einmal konnte, im Moment der Festlegung des Begriffes: Jedoch stirbt

wahrscheinlich der letzte metaphorische Gehalt bei der Festmachung wissenschaftlicher

Begriffe im Moment der Festmachung: denn von da an kann man die Definition nach-

schlagen und der Ausdruck geht als Festbestandteil in unser Vokabular ein: das Todesurteil

einer jeden Metapher.

Betrachten wir den Rest des Satzes (5):

Die Elektronen kreisen wie die Planeten im Sonnensystem [...] auf ihren „Schalen“

um den Atomkern.

Ist dieses Sprechen über das Atommodell metaphorisch? Auf den ersten Blick ist jedenfalls

schon einmal ein Vergleich explizit vorhanden: „wie die Planeten im Sonnensystem“ – so

werden die commonplaces der Vorstellungen von Elektronen und von den Planetenbahnen

übereinandergelegt. Der Filterprozess wird noch mehr eingeengt durch den Verlauf des

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Satzes: „auf ihren Schalen“ vom Universumsvergleich gelangen wir auf eine Vorstellung

einer zwiebelartigen Anordnung, wo eben schalenweise und kreisförmig planetenartige

Dinge ihre Kreise ziehen um einen Mittelpunkt, welcher per Steinfruchtmetapher (auch

wenn nun schon tot) eingeführt wird. Durch die Einführung des Schalenmodells stirbt die

Schalenmetapher, wenn wir davon ausgehen, dass dieser Begriff nun als in der Wissen-

schaft festgemachter gilt.

Es zwingt sich eine (Zwischen-)Frage auf: damit eine Metapher eine (lebendige) Metapher

ist, ist dann der „Umweg“ f -1 (f(m)) zu m, den wir in 2.5 entwickelt haben, notwendig?

Macht der Umweg die Metapher zur Metapher? Wenn er nämlich wegfällt, haben wir es

mit Begriffen zu tun, welche festgemacht sind und relativ eindeutige Beziehungen vorwei-

sen zwischen Gemeintem und Gesagtem.

Sind jedoch bei Modellen diese Beziehungen so klar? Wir versuchen ja mit Modellen Ideen

und Theorien zu illustrieren, verstehen oder erklären, derer wir uns manchmal noch nicht

100% sicher sind – gerade deswegen arbeiten wir ja manchmal mit Modellen. Jedoch schei-

nen Modelle „festgemachter“ als Metaphern – treffen wir folgende Annahme zur Bezie-

hung von Modellen und Metaphern:

4.3 Modelle und tote Metaphern

Modelle enthalten tote Metaphern oder, anders gesagt, basieren auf in einem ersten Mo-

ment Metaphern enthaltenden Material; dieses Material wird jedoch der Theorie wegen

noch mehr eingeschränkt als das Filtrieren der commonplaces beim Verständnis von Meta-

phern: wissenschaftliche Begriffe werden festgemacht und definiert, um als Werkzeuge der

Theorie- und Modellbildung zu dienen. Modellen wird das Hauptziel zugeschrieben, relativ

genau Phänomene zu beschreiben: so müssen sie möglichst viele Leerstellen und Unklar-

heiten klären bzw. füllen. Modelle erklären Dinge. Metaphern hingegen, so könnte eine

These lauten, verschleiern Dinge. Anstelle der wörtlich gemeinten Aussage schaffen Meta-

phern Raum für Missverständnisse: die Umwege, welche der Metaphern-Entzifferer gehen

muss, hegen Gefahr, dass das Gemeinte missverstanden wird. Diese Verschleierung macht

einerseits das Spiel mit dem metaphorischen Sprechen aus und, wenn erfolgreich interpre-

tiert, schafft es gar neuen Verständnisraum, zusätzlichen semantischen Gehalt als die Para-

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phrase der Metapher, jedoch, im Fall des Misslingens der Metapherninterpretation Unklar-

heit. So haben die Verwender von einerseits Metaphern und andrerseits Modellen, gemäss

der Idee, dass Metaphern und Modelle nicht denselben Prinzipien unterliegen, andere Zie-

le.

Was aber nun, wenn ich durch das Verwenden einer Metapher einen Gedanken sehr genau

illustrieren kann, jedoch nicht mit der Paraphrase der Metapher (vgl. hierzu Kap. 2.5 S. 11)?

Sprich, ich benütze die Metapher als Modell für meinen Gedanken. Ich modelliere meinen

Gedanken mit der Metapher. So vereinfache ich doch meinen Gedanken zu einem be-

stimmten Grade, in dem ich die Analogien herausarbeite zwischen meinem Gedanken und

der Metapher; dies ermöglicht mir gegebenenfalls auf sehr ökonomische Weise sehr genau

einen Gedanken auszudrücken, auch wenn über einen Umweg; dennoch ist der „semanti-

sche Gehalt“ des Endresultats der erfolgreichen Metapherninterpretation „reicher“ als bei

der wörtlichen Paraphrasierung des Gedankens.

Zudem kann man entgegnen, dass auch im Falle von Modellen die Interpretation per Um-

weg erfolgt, auch wenn die Umwege gegebenenfalls „verkürzt“ werden, da die Metaphern,

auf welche sich Theorien begründen können, schon tot sind.

4.4 Bildmetaphorik

Sind Metaphern ein rein sprachliches Phänomen? Modelle jedenfalls können alle möglichen

Dinge als Medium haben: mathematische Formeln, Zeichnungen, sprachliche Analogien,

Karton, Holz... Auch wenn Metaphern primär im Sprachlichen verwendet und diskutiert

werden: sind Metaphern tatsächlich nur auf die Sprache einzuschränken? Jeder Filmema-

cher und jede Photographin würde vehement die These verteidigen, dass es Metaphern in

Bildform gibt, Bildmetaphern. Der semiotisch überraschend weitreichende Charakter von

an sich sprachlichen Phänomenen (wie den Metaphern) gewinnt auch in der Sprachwissen-

schaft immer mehr an Wichtigkeit – v. a. mit der wachsenden Präsenz von Bildgesellschaft-

lichen material in den Kommunikationsformen. Ich werde aber nicht weiter auf den Sym-

bolcharakter und metaphorischen Gehalt von Bildmaterial eingehen, da dies in der Diskus-

sion zu weit führen würde.

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5 Fazit

Wir haben also gesehen, dass eine Ähnlichkeit besteht in der Weise, wie in Modellen und

Metaphern Dinge in eine Beziehung gesetzt werden und eine Art Drittes durch diese Be-

ziehung etabliert wird. Diese Beziehung kann in beiden Fällen mit einer „Anwendung einer

Sache auf eine zweite“ beschrieben werden. Die erste Sache soll, sowohl im Falle der Me-

tapher als auch des Modells, durch die zweite erklärt, auf eine Weise beleuchtet oder ver-

einfacht werden. Die zweite Sache wirft ein bestimmtes Licht über die erste, legt einen be-

stimmten Filter über die erste Sache und zeigt so Analogien und Ähnlichkeiten zwischen

den Sachen auf, wie auch Unähnlichkeiten und Unterschiede. Die Terminologien der Ana-

logie und des Filters sind sowohl auf Metaphern als auch auf Modelle anwendbar.

Obwohl ich der Meinung bin, dass auch Metaphern in nichtsprachlicher Form wie z. B.

Bildern vorkommen können und dass da der falsche Ort ist, nach Unterschieden zwischen

den Phänomenen zu suchen anzufangen, können Unterschiede zwischen Modellen und

Metaphern z. B. dort gefunden werden, wo es um das Medium oder die Form geht: Ein

Kartonmodell eines Hauses im Büro einer Architektin wird nicht als Metapher verstanden.

Ein anderer Unterschied bzw. Diskussionspunkt ist die Frage danach, ob Modelle, auch

wenn sie auf einer Metaphorik basieren in ihrem Grundaufbau, nicht eigentlich tote Meta-

phern als Bausteine oder gar Gerüst enthalten (Bausteine im Speziellen, wenn es um techni-

sche bzw. wissenschaftliche Begriffe wie „elektrische Ladung“ oder „Atomkern“ geht).

Diese Terme gelten als stehend und ein kompetenter Sprecher muss nicht den oben be-

schriebenen Umweg bei der Interpretation gehen, wie es bei Metaphern sonst der Vor-

schlag ist. Diese sich selbst gerechte Definiertheit der wissenschaftlichen Terme, die oft

Teil eines Modells sind, implizieren, dass Modelle einen klaren, ja klärenden, erklärenden

Charakter haben, während Metaphern über Umwege eher verschleiernd agieren, auch

wenn, bei erfolgreicher Interpretation, ein semantischer Mehrwert entdeckt werden kann

im Gegensatz zu ihrer Paraphrase.

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6 Literatur

Black, Max (1962):6

Hesse, Mary (1964):

Miller, George A. (1979): „Images and Models, Similes and Metaphors“. In: Metaphor and

Thought. Hg: Andrew Ortony. Cambridge: Cambridge University Press.

Saussure, Ferdinand de ( ): Cours de linguistique générale.