Messianisches in Bruno Schulz' "Genialna epoka"

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0. Verlockende Paradigmata (Nullpunkt und Meta-Metaebene) ...................................... 1 1. Kafka, Schulz dia- und synchron lesen - (zwei) Deterritorialisierungen........................ 6 2. Messianismus/Mystik/Mythos .................................................................................. 9 3. „Nach Art der Kinder wollten alle Kuriere sein“ - (De)Potenzierungen des Vaters ...... 15 4. „Genialna epoka“.................................................................................................. 21 LITERATUR ............................................................................................................ 29 ANMERKUNGEN .................................................................................................... 32 „…er wird erst einen Tag nach seiner Ankunft kommen…“: Messianisches in Bruno Schulz’ Genialna epoka nach/mit/gegen Kafka gelesen (Mystik und/oder Mythos) 1 Die messianische Welt ist die Welt allseitiger Aktualität. Erst in ihr gibt es eine Universalgeschichte. Was sich heute so bezeichnet, kann immer nur eine Sorte von Esperanto sein. Es kann ihr nichts entsprechen, eh die Verwirrung, die vom Turmbau zu Babel herrührt, geschlichtet ist. Sie setzt die Sprache voraus, in die jeder Text einer lebenden oder toten ungeschmälert zu übersetzen ist. Oder besser, sie ist diese Sprache selbst. Aber nicht als geschriebene sondern vielmehr als festlich begangene. Dieses Fest ist gereinigt von aller Feier und er kennt keine Festgesänge. Seine Sprache ist die Idee der Prosa selbst, die von allen Menschen verstanden wird wie die Sprache der Vögel von Sonntagskindern. W. Benjamin 2 Das Kommen des Messias bedeutet für Luria nicht mehr als die Unterschrift unter einem Dokument, das wir selber schreiben. G. Scholem 3 Le messianique, y compris sous ses formes révolutionaires (et le messianique est toujours révolutionaire, il doit l’être), ce serait l’urgence, l’imminence, mais, paradoxe irréductible, une atteinte sans horizon d’attente. On peut toujours tenir la sécheresse quasiment athée de ce messianique comme la condition des religions du Livre, un désert qui ne fut même pas le leur (mais la terre est toujours prêtée, louée par Dieu, elle n’est jamais possédée par l’occupant, dit justement l’Ancien Testament dont il faudrait aussi entendre l’injonction); on peut toujours y reconnaître le sol aride sur lequel ont poussé, et passé, les figures vivantes de tous les messies, qu’ils fussent annoncés, reconnus ou toujours attendus. (…) Mais sans ce désespoir- là, et si l’on pouvait compter sur ce qui vient, l’espérence ne serait que le calcul d’un programme. On aurait la prospective mais on n’attendrait plus rien ni personne. Le droit sans la justice. Derrida, Spectres de Marx 0. Verlockende Paradigmata (Nullpunkt und Meta-Metaebene) Weder eine naive (d. h. nicht meta-metasprachliche) Mythopoetik noch eine analog gestaltete Psychopoetik 4 kann bei der Analyse des Bruno Schulz’schen literarischen Messianismus greifen. Wer in Schulz’ fiktional-literarischen Werken nach nicht hinterfragten oder - fragbaren Archetypen 5 bzw. nach einer Art von Mythos, die mehr als eine geschickt, gar listig, eingesetzte „Denkgewohnheit“ (Graevenitz 6 ) sein soll, sucht, begibt sich auf einen (von

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0. Verlockende Paradigmata (Nullpunkt und Meta-Metaebene)......................................1 1. Kafka, Schulz dia- und synchron lesen - (zwei) Deterritorialisierungen........................6 2. Messianismus/Mystik/Mythos..................................................................................9 3. „Nach Art der Kinder wollten alle Kuriere sein“ - (De)Potenzierungen des Vaters......15 4. „Genialna epoka“..................................................................................................21 LITERATUR ............................................................................................................29 ANMERKUNGEN....................................................................................................32 „…er wird erst einen Tag nach seiner Ankunft kommen…“:

Messianisches in Bruno Schulz’ Genialna epoka nach/mit/gegen Kafka gelesen (Mystik und/oder Mythos)1

Die messianische Welt ist die Welt allseitiger Aktualität. Erst in ihr gibt es eine Universalgeschichte. Was sich heute so bezeichnet, kann immer nur eine Sorte von Esperanto sein. Es kann ihr nichts entsprechen, eh die Verwirrung, die vom Turmbau zu Babel herrührt, geschlichtet ist. Sie setzt die Sprache voraus, in die jeder Text einer lebenden oder toten ungeschmälert zu übersetzen ist. Oder besser, sie ist diese Sprache selbst. Aber nicht als geschriebene sondern vielmehr als festlich begangene. Dieses Fest ist gereinigt von aller Feier und er kennt keine Festgesänge. Seine Sprache ist die Idee der Prosa selbst, die von allen Menschen verstanden wird wie die Sprache der Vögel von Sonntagskindern. W. Benjamin2 Das Kommen des Messias bedeutet für Luria nicht mehr als die Unterschrift unter einem Dokument, das wir selber schreiben. G. Scholem3 Le messianique, y compris sous ses formes révolutionaires (et le messianique est toujours révolutionaire, il doit l’être), ce serait l’urgence, l’imminence, mais, paradoxe irréductible, une atteinte sans horizon d’attente. On peut toujours tenir la sécheresse quasiment athée de ce messianique comme la condition des religions du Livre, un désert qui ne fut même pas le leur (mais la terre est toujours prêtée, louée par Dieu, elle n’est jamais possédée par l’occupant, dit justement l’Ancien Testament dont il faudrait aussi entendre l’injonction); on peut toujours y reconnaître le sol aride sur lequel ont poussé, et passé, les figures vivantes de tous les messies, qu’ils fussent annoncés, reconnus ou toujours attendus. (…) Mais sans ce désespoir-là, et si l’on pouvait compter sur ce qui vient, l’espérence ne serait que le calcul d’un programme. On aurait la prospective mais on n’attendrait plus rien ni personne. Le droit sans la justice. Derrida, Spectres de Marx

0. Verlockende Paradigmata (Nullpunkt und Meta-Metaebene)

Weder eine naive (d. h. nicht meta-metasprachliche) Mythopoetik noch eine analog gestaltete

Psychopoetik4 kann bei der Analyse des Bruno Schulz’schen literarischen Messianismus

greifen. Wer in Schulz’ fiktional-literarischen Werken nach nicht hinterfragten oder -

fragbaren Archetypen5 bzw. nach einer Art von Mythos, die mehr als eine geschickt, gar

listig, eingesetzte „Denkgewohnheit“ (Graevenitz6) sein soll, sucht, begibt sich auf einen (von

Schulz selbst durch die häufige Verwendung des Modebegriffs mit – vornehmlich in den

nicht-fiktionalen Werken – gelegten) Holzweg. Dafür gibt es verschiedene Gründe, deren

Benennung eine Lösung des Problems zwar verspricht, dieses Versprechen jedoch nicht

einlösen kann, da die Schulz’sche Schreibweise dies (anti)systematisch verhindert. Dies ist ex

negativo eines der wichtigsten ‚Themen‘ des Schulz’schen Textes.

Die Gründe sind erstens die Tatsache, dass Schulz, wie bereits angedeutet wurde, sowohl eine

mythopoetische als auch eine psychopoetische Les- und Schreibart demonstrativ durchspielt

(inszeniert), und zweitens die Notwendigkeit einer diachronen ‚Standortbestimmung‘ des

Schulz’schen Schreibens, die die Gültigkeit einer ‚ewigen‘ Mytho- oder Psychopoetik stark

relativiert. Diese ‚Standortbestimmung‘ (aufgrund der Dynamik des hier besprochenen [Anti-]

Systems sollte man eher von einem ‚Protokollieren des Nomadentums‘7 sprechen) sollte zwar

mehrgleisig8 laufen, doch ich beschränke mich hier auf zwei Gleise: die Verortung des

Schulz’schen Schreibens innerhalb der gesamteuropäischen (Spät- bzw. Post-)Avantgarde,

einerseits und das historische Spezifikum der Schulz’schen Arbeit mit der jüdischen Mystik

andererseits, und zwar sowohl in bezug auf die Wiederbelebung der Kabbala in der

Wissenschaft (z. B. bei Scholem) und Literatur (bei Meyrink, Kafka, Leiwick, Borges u. v. a.)

des 20. Jahrhunderts9 (in diesem Kontext wird eine Brücke zur ersten ‚Standortbestimmung‘

geschlagen) als auch hinsichtlich der historischen Etappe der jüdischen Mystik selbst, die

Schulz aktualisiert.

In der Erzählung „Genialna epoka“ (sowie in „Ostatnia ucieczka ojca“, die als Vergleichstext

herangezogen wird) im Erzählband Sanatorium pod klepsydrą entwickelt Bruno Schulz eine

Konstellation des Verschwindens, der Zerstückelung und der Auflösung (diese Konstellation

erlaubt es, die beiden Schulz’schen Texte mit- und gegeneinander zu lesen), und verweist

dabei explizit auf messianische Konzeptionen, sowie auf Vorstellungen eines ‚Goldenen

Zeitalters‘.10 Da das Messianische und das Goldene Zeitalter oft dem mythischen Bereich

zugeordnet werden – es sei dahingestellt, ob dies im ersteren Fall berechtigt ist –, und da sich

Schulz selbst häufig auf den Mythos (mit) bezieht (etwa im vielzitierten Aufsatz „Mityzacja

rzeczywistości“11), scheint der Weg einer ‚mythischen‘ Deutung dieser Werke

vorprogrammiert zu sein.12

Aber gerade dieses scheinbare „Vorprogrammiert-Sein“, dessen sich Schulz offensichtlich

bewusst ist, ist eine zentrale (genauer gesagt, dezentrierende13) Position im Schulz’schen

diskursiv-signifikativen ‚Gestöber‘14.

Die Präsenz des ‚Mythischen‘ bei Schulz wird häufig konstatiert, so z. B. in solchen

autoritativen Texten wie Jastrzębskis (1989:XLV) Einführung in der Biblioteka narodowa-

Ausgabe der Werke Bruno Schulz‘: „Łatwo stwierdzić, że przestrzeń u Schulza ma charakter

‚przestrzeni mitycznej‘ w sensie nadawanym temu pojęciu przez Ernsta Cassirer i Gastona

Bachelarda, jest tedy raczej funkcją psychiki niż neutralną siatką współrzędnych, w której

lokalizuje się przedmioty i zajścia.“15 Später differenziert er zwischen dem Schaffen und dem

Zitieren der Mythen, und bezieht sich dabei auf A. Sandauers „psychoanalytische Studie“16:

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -3-

Schulz nie tylko wykorzystuje dawne mity, ale też tworzy nowe – na ich podobieństwo. Tak np. Kometa może być odczytana jako mitologiczna synteza mód okresu fin-de-siècle’u. Wszelkie cechu mitu będzie też miała przytoczona przez pisarza historia Anny Csillág. W pierwszym przypadku autor tworzy mityczną fabulę z elementów zjawisk i zdarzeń realnych, w drugim – tylko cytuje, możliwe jest także konstruowanie „mitów-apokryfów“ na podobieństwo funkcjonujących w czasach współczesnych Schulzowi wzorcowych mitologii (a. a. O, LXXVI).

Jastrębski verweist auf Bachelard und Cassirer, und später – was charakteristisch für diese

Sichtweise ist – auf C. G. Jung17 (d. h. nicht auf Freud). Die Mythenauffassung dieser

Denkrichtung wird am elegantesten in der Definition des Mythos bei Eliade (1988:16-17), auf

den sich Lindenbaum (1994) wiederholt bezieht18, wiedergegeben: Le mythe raconte une histoire sacrée; il relate un événement qui a eu lieu dans le temps primordial, le temps fabuleux des „commencements“. Autrement dit, le mythe raconte comment, grâce aux exploits des Etres Surnaturels, une réalité est venue à l’existence (…) C’est donc toujours le récit d’une „création“: on rapporte comment quelque chose a été produit, a commencé à être. Le mythe ne parle que de ce qui est arrivé réellement, de ce qui s’est pleinement manifesté. Les personages des mythes sont des Etres Surnaturels. (…) Les mythes révèlent donc leur activité créatrice et dévoilent la sacralité (ou simplement la „sur-naturalité“) de leurs œuvres. En somme, les mythes décrivent les diverses, et parfois dramatiques, irruptions du sacré (ou du „sur-naturel“) dans le Monde. C’est cette irruption du sacré qui fonde réellement le Monde et qui le fait tel qu’il est aujourd’hui.

Die dezidiert lebendigen (weil aktuell realitätsstiftenden) Mythen erzählen also von

Interventionen übernatürlicher Wesen, die auch als „Eruptionen des Heiligen“ (irruptions du

sacré) beschrieben werden. Eine oberflächliche Betrachtung der Werke Schulz‘ könnte die

Auswüchse seiner „ekstatischen Imagination“ (Lachmann19) mit solchen ‚sakralen

Explosionen‘ gleichsetzen, genau so wie man in bestimmten Motiven (etwa dem in Bachelard

1981 eigens thematisierten und in „Genialna epoka“ im Motiv des „słup ognisty“ auftretenden

Feuer20) mit den von Jung (1971) ausgearbeiteten archetypischen kollektiven Symbolen

verbinden könnte.

Bachelard selbst stützt sich häufig auf Positionen von C. G. Jung, verweist beispielsweise auf

die in Jungs Über die Beziehungen der analytischen Psychologie zum dichterischen

Kunstwerk enthaltene Warnung, man solle den Dichter nicht zum „klinischen Fall“ bzw.

„zum soundsovielten Beispiel der Psychopathia sexualis“ machen (Bachelard 1960:25).

Bachelard kritisiert im gleichen Kapitel die Psychoanalyse dafür, dass sie „das Sein eher in

Unruhe als zur Ruhe“21 bringt, und favorisiert eine ‚phänomenologische‘ „Topo-Analyse“ des

Raums des Hauses, wo „das Unbewußte gut und glücklich untergebracht ist“22. Ein Ansatz,

der Schulz’ ständig in dynamischer Bewegung bleibenden Regression zur messianischen bzw.

‚genialen‘ Epoche mit einer solchen Position vergleicht, ist aber wenig plausibel, denn „das

Haus“, in dem sich „Genialna epoka“ abspielt, ist alles andere als ein (H)Ort der

‚archetypischen‘ oder ‚archaischen‘ Ruhe. Schon eher ein Schauplatz des durchgespielten und

-gearbeiteten und nie zur Ruhe kommenden Wahnsinns.

Beide von Jastrębski genannten deutschsprachigen Mythentheoretiker – Cassirer und Jung –

zeichnen sich ebenfalls durch ein Rekurrieren auf ‚ewige Archetypen‘ aus, d. h. durch eine

weitgehende Ausschaltung der Historie – auch im ästhetischen Bereich. So weist die von

Cassirer in seinem Aufsatz „Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum“ im Jahre 1931

formulierte Definition des ‚mythischen Raums‘, sowie seine globale Unterscheidung

zwischen diesem und dem (unter Berufung auf Autoren der deutschen Klassik wie Lessing,

Schiller und Goethe beschriebenen) ‚ästhetischen Raum‘ keinerlei Berücksichtigung der

literarischen Diachronie (geschweige denn der literarischen Strömungen seiner eigenen Zeit,

etwa des ihm an sich – zumindest beschaffungstechnisch – problemlos zugänglichen Kafka)

auf:23 Was zunächst den mythischen Raum angeht, so entspringt er einerseits der charakteristischen mythischen Denkform, andererseits dem spezifischen Lebensgefühl, das allen Gebilden des Mythos innewohnt und ihnen ihre eigentümliche Tönung verleiht. Wenn der Mythos das Rechts und Links, das Oben und Unten, wenn er die verschiedenen Gegenden des Himmels, Osten und Westen, Nord und Süd voneinander scheidet – so hat er es hier nicht mit dem Orten und Stelle im sinne unseres empirisch-physikalischen Raumes, noch mit Punkten und Richtungen im Sinne unseres geometrischen Raumes zu tun. Jeder Ort und jede Richtung ist vielmehr mit einer bestimmten mythischen Qualität behaftet und mit ihr gewissermaßen geladen. Ihr ganzer Gehalt, ihr Sinn, ihr spezifischer Unterschied hängt von dieser Qualität ab. Was hier gesucht und was hier festgehalten wird, sind nicht geometrische Bestimmungen, noch sind es physikalische ‚Eigenschaften‘: es sind bestimmte magische Züge, Heiligkeit oder Unheiligkeit, Zugänglichkeit oder Unzugänglichkeit, Segen oder Fluch, Vertrautheit oder Fremdheit, Glücksverheißung oder drohende Gefahr – das sind die Merkmale, nach denen der Mythos die Orte im Raume unterscheidet. (1985:103)

Von dieser (übrigens ausgesprochen dualistischen – darauf kommen wir zurück) ‚mythischen‘

(Raum-)Auffassung unterscheidet sich laut Cassirer die ‚ästhetische‘ folgendermaßen: Auch der künstlerische Raum ist erfüllt und durchsetzt mit intensivsten Ausdruckswerten, ist von den stärksten dynamischen Gegensätzen belebt und bewegt. Und doch ist diese Bewegung nicht mehr jene unmittelbare Lebensbewegung, die in den mythischen Grundaffekten von Hoffnung und Furcht, in dem magischen Hingezogen- und Abgestoßenwerden, in der Begier des Eingreifens des ‚Heiligen‘ und im Grauen vor der Berührung mit dem Verbotenen und Unheiligen, sich äußert. Denn als Inhalt der künstlerischen Darstellung ist das Objekt in eine neue Distanz, in eine Ferne vom Ich gerückt – und in ihr erst hat es das ihm eigene selbständige Sein, hat es eine neue Form der ‚Gegenständlichkeit‘ gewonnen. Diese neue Gegenständlichkeit ist es, die auch den ästhetischen Raum kennzeichnet. Die Dämonie der mythischen Welt ist in ihm besiegt und gebrochen.24

Würde man nämlich diese a- bzw. antihistorische ‚Story‘ akzeptieren, so müsste man die

Prosa des Bruno Schulz als ein ‚Wiedereinkehren‘ „der Begier des Eingreifens des

‚Heiligen‘“ des „Grauen(s) vor der Berührung mit dem Verbotenen und Unheiligen“, d. h. ein

‚Zurückgehen‘ hinter die durch die „Ferne vom Ich“ gewährleisteten ‚Errungenschaften‘ der

‚Ästhetik‘ einstufen. Es handelt sich aber beim Cassirer-Zeitgenossen Schulz offensichtlich

um ein ironisches und im höchsten Maße reflektiertes Spiel mit dem ‚Mythischen‘ und dem

‚Magischen‘,25 das sowohl die Freudsche Reduzierung/Übersetzung der Archetypen auf/in

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -5-

libidinös und familiär bedingte ‚Verhältnisse‘ miteinkalkuliert als auch die konstituierende

und verarbeitende Rolle des Aufschreibens inszenierend einbaut.26

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Cassirers – wie übrigens später auch Lévi-

Strauss‘27 – mythischer Raum grundsätzlich dualistisch aufgebaut ist. Dieser Konzeption in

diesem Punkt geradezu diametral entgegengesetzt ist die Mythoskonzeption von Jean-Pierre

Vernant, der die Aufhebung auch dieses Prinzips im Mythos hervorhebt und von einer

„logique de l’ambigu“ bzw. von einer „logique qui ne serait pas celle de la binarité, du oui ou

non, une logique autre que la logique de logos“ 28 spricht. Diese Vorstellung schließt Derrida

mit dem in Platons Timaios (ab 48a) ausgearbeiteten Konzept des Chora kurz, das ebenfalls

ein Drittes (������ '�����) eine dualistische Vorstellungswelt (Vernunft/Notwendigkeit,

Intellegibel/Sensibel usw.) aufzulösen droht??? – Satz.29

Weiterführend für unsere Fragestellung ist die von Deleuze und Guattari (1992) ausgeführte

und bei der Kafkaanalyse (1976) ins Feld geführte Vorstellung der „Deterritorialisierung“, die

der archetypisch-paranoiden und archetypische „Reterritorialisierung“ entgegengesetzt wird.

Eine reine Cassirersche ‚Sinngebung‘ wäre nichts anderes als eine mythisierende

„Reterritorialisierung“, eine Mythenbeschreibung, die sich selber in die in den Mythen

aufgespürten Archetypen einschreibt und die Bewegung der Signifikation dadurch künstlich

zum Stillstand bringt. Die Anwendung eines solchen archetypisch-mythischen Modells wäre

besonders gravierend bei der Behandlung der Frage des Messias, denn diese nicht zufällig

dezidiert mit der nachexilischen Zeit des Judentums verbundene Strömung ist die

Deterritorialisierung par excellence, ist vielleicht sogar die Erfindung der Deterritorialisierung

überhaupt.

Zu kurz greifen auch diejenigen Ansätze, wie der von Kuźma (1993:642), die den scheinbar

entgegengesetzte Weg gehen, und von einem ‚Individualmythos‘ ausgehen, was, so Kuźma,

zu einer „unerschütterlichen Gegenständlichkeit“ des Mythos vor dem Hintergrund einer

generellen Rationalisierung, Desakralisierung und Entgegenständlichung in den 20er und 30er

Jahren führe. Diese generelle Tendenz, von der Schulz (auch Leśmian wird in diesem

Zusammenhang genannt) sich absetze, sei eine deutliche Distanzierung von der Behandlung

des Mythos in der „Młoda Polska“, im Rahmen derer der Mythos als irrationales, sakrales

„kollektives Werk“ auftritt, das nach ethnischen Prinzipien differenziert wird.30 Der

individuelle Mythos scheint eine ‚Deterritorialisierung‘ zu bedeuten, denn das kollektive

Element entfällt. Aber einige Momente fehlen noch, um das Spezifikum der Schulz’schen

(und der spät- bzw. postavantgardistischen Position) zu beschreiben.

Es gilt also weiter zu differenzieren. Fünf zentrale Kriterien für eine solche Differenzierung

(Kuźma berührt nur die erste, die aber ohne die anderen vier kaum zu erfassen ist) wären:

1. die Arbeit der jeweiligen Epoche mit dem Mythos,

2. der Grad der Reflektiertheit (und damit auch der Distanz) beim Einsatz des (Begriffs des)

‚Mythischen‘,

3. der Grad der bewussten literarischen Intertextualität,

4. das Spezifikum des ‚myth(olog)ischen‘ Materials, das eingesetzt wird, sowie

5. das Textgenre, in dem das Material auftritt.

Es stellt sich die Frage, ob man den von Schulz in den literarischen Objekttexten eingesetzten

Begriff ‚Mythos‘ in den metasprachlichen Apparat der Beschreibung Schulz’ aufnehmen kann

bzw. darf. Eine meiner Thesen ist nämlich, dass der überaus hohe Grad der Reflektiertheit

und Intertextualität (u. a. in bezug auf Kafka) eine ummittelbare Verortung des Bruno Schulz

im ‚mythischen Diskurs‘ – wenn es so etwas überhaupt gibt31 – unmöglich macht. Außerdem

ist die feste Verankerung des (eher mystischen als mythischen) Materials in der jüdischen

Tradition weder als eine besondere Position innerhalb eines ‚mythischen Diskurses‘ der 30er

Jahre in Polen32, noch als eine bachtinianisch-karnevaleske spiegelbildliche (d. h. nur

scheinbar und vordergründig subversive) Gegenposition dazu aufzufassen. Ich würde sogar

argumentieren, dass Schulz sein Publikum in eine ‚mythische Falle‘ lockt, in die mancher

heutige Leser immer noch tappt.

Ein wichtiges Korrektiv liegt meines Erachtens in der richtigen Lesart des im Schulz’schen

Werk offen und zugleich strategisch zur Schau gestellten Verhältnisses zu Kafka, und zwar

einer solchen, die davon ausgeht, dass gewisse Momente im Kafkaschen Werk Schulz

aufgefallen sind, die in der wissenschaftlichen Kafkaforschung erst viel später ans Licht

gebracht wurden. Etwa die Wiederholung der hypertextuellen33 Position des ödipalen „Über-

Vaters Kafka“ (Lachmann)34 in den umgekehrten ödipalen Beziehungen unter den handelnden

Figuren in seiner Prosa (v. a. zwischen Józef und dem Vater) ist ein Moment, dessen Fehlen

in einer Analyse der explizit messianisch orientierten Werke – wie etwa in den im religiös-

mystischen Bereich sehr informativen, aber die literarische Diachronie völlig außer acht

lassenden Beiträgen Lindenbaums (1994) und Panas’ (1994) – zu Fehlschlüssen und

Vereinfachungen in der Rekonstruktion der signifikativen Strategien des Bruno Schulz führen

kann.35

1. Kafka, Schulz dia- und synchron lesen - (zwei) Deterritorialisierungen

…der Vater – der Jude, der das Dorf verlassen hat, um in der Stadt zu wohnen – befindet sich zwar in einer realen Deterritorialisierung, aber zugleich reterritorialisiert er sich unentwegt in seiner Familie, in seinem Geschäft, im System seiner Unterwerfungen und seiner Autoritäten. Und was die Archetypen betrifft, so sind sie Prozeduren einer geistigen Reterritorialisierung Deleuze/Guattari 1976:19 Wie konnte Fortinbras sagen, Hamlet hätte sich höchst königlich bewährt. Kafka, Tagebuch 191536

(Das Werk des) Bruno Schulz ist als (Fortsetzung des Kafkaschen) Anti-Ödipus, und

keineswegs als Wiederherstellung irgendwelcher als authentisch hingestellten (d. h. nicht

hinterfragten und nicht hinterfragbaren) Archetypen, Mythen und dergleichen zu sehen,

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -7-

ebenso wie die messianische Leere/Lehre der späten Kabbala eine mehrfach potenzierte

Entfernung von jedem Gedanken an eine Rückkehr in eine (re)territorial(isiert)e Heimat

vollzieht.

In ihrem Buch über und v. a. für Kafkas „littérature mineure“ wenden sich Deleuze und

Guattari entschieden gegen eine Kafkaauffassung, die von einer Position der „negativen

Theologie“, von der „Transzendenz des Gesetzes“ und vom „Apriori der Schuld“37 ausgeht,

und plädieren emphatisch für eine Deutung, die auf eine absolute „Kontiguität des

Verlangens“38 und eine bestimmte „Topographie“39 hinausläuft, die nach ihrer Auffassung im

Proceß mit „Perfektion“ ausgearbeitet wird.40 Die erste, falsche Deutung laufe auf eine

mystisch-mythische „Reterritorialisierung“ der Sprache hinaus, während es bei Kafka

vielmehr um die „absolute, molekulare Deterritorialisierung“41 gehe. Der Grenzwert der

Kafkaschen „Topographie“ ist eine „Landkarte der Intensitäten“, auf der folgendes passiert:

„Zwei diametral entgegengesetzte Punkte erweisen sich, seltsamerweise, als eng benachbart.“

Sie führen als Beispiel an die plötzliche Erscheinung des Gerichtssaals im Proceß zu den

unerwartetsten Zeitpunkten (etwa beim Herausgehen aus dem Büro) und an den

unwahrscheinlichsten Orten (etwa beim Maler Titorelli).42 Und sie bringen Kafkas

„Topographie“ ausdrücklich mit der Literatur und Kunst der russischen klassischen

Avantgarde (Tatlin, Chlebnikov) in Verbindung.43

Das ist etwas ganz anderes als eine „mythische Qualität“ (Cassirer) des Raumes, dessen

„magische Züge“ zur Ausschaltung der „geometrischen Bestimmungen“ führt. Denn es ging

in der Avantgarde – besonders bei denjenigen, die auch in der bildenden Kunst tätig waren –

um einen hohen Grad der Reflektiertheit bei der Gestaltungen von Räumlichkeiten und ihren

„physikalischen Eigenschaften“

Liest man Kafka so, und liest man in „Ostatnia ucieczka ojca“, dass der Vater, der in einer

offensichtlichen Abwandlung (Umkehrung) der Verwandlung Kafkas als „ein Krebs oder ein

großer Skorpion“44 (był teraz rakiem czy wielkim skorpionem)45 auftritt, sich mit Vorliebe in

oder bei „Schränken“ aufhält, und sich am Ende buchstäblich physisch auflöst, so könnte man

auf die Idee kommen, den Übergang von Kafka zu Schulz als denjenigen von der klassischen

zur späten Avantgarde (d. h. er russischen Situation zur gleichen Zeit analog) zu denken.

Denn der Schrank war bekanntlich der Lieblingsgegenstand, der Verlust von Körperteilen ein

verbreitetes Motiv der russischen Obėriuten.46

Es geht hier nicht in erster Linie um einen Vergleich zwischen Prager-Drohobyczer (d. h. K.

und K.-österreichsch-postimperialen) und Moskauer-Leningrader (d. h. russisch-sowjetisch-

post- und präimperialen) kulturell-literarischen Evolutionsprozessen. Allerdings scheint es

mir sinnvoll, die vom Galizischen polnisch-jüdischen Schriftsteller der 30er Jahre bewusst

und explizit vollzogene Transformation (genauer gesagt: ‚Depotenzierung‘) des Prager

deutsch-jüdischen Autors der 10er und 20er Jahre im Rahmen der diachronen Konfiguration

‚Moderne-klassische Avantgarde-Spätavantgarde47‘ zu betrachten.

Damit kann man den häufig groben Biographismus des Vergleichs dieser beiden Figuren

modifizieren, ohne die alles andere als irrelevante Tatsache außer acht zu lassen, dass sowohl

Kafka als Schulz die kabbalistisch-mystische Tradition als Absetzbewegung (bei Kafka gar

als Waffe) gegen ihre (freilich unter völlig verschiedenen Umständen und in verschiedenem

Maße) assimilierten Väter einsetzten. Denn eben im Rahmen eines avantgardistischen

Vatermordes (bzw. einer spätavantgardistischen Einnahme der Stelle des Vaters) wird die

globale Funktion des Einsatzes der deterritorialisierten und deterritorialisierenden jüdischen

Mystik48 deutlich.

Mit einem solchen diachronen Ansatz wird außerdem bei der Analyse der literarischen Werke

des Bruno Schulz jede irreführende Vermutung eines naiven Gebrauchs – oder einer

polemischen, d. h. konservativ-antiavantgardistischen Rehabilitierung – des für die fin de

siècle-Kultur charakteristischen (und vom zur Zeit der Entstehung des Sanatorium pod

klespydrą bereits nationalsozialistisch gesinnten C. G. Jung noch propagierten) mythisch-

archetypischen Systems von vornherein ausgeschlossen.

Ebensowenig kann man in der Hypostasierung der Kindheit als der „genialen Epoche“ ein

unmittelbares Rekurrieren auf den Mythos sehen – und zwar allein (aber nicht nur) deshalb,

weil Schulz sein Ideal explizit als „regresja“ bezeichnet.49

Es besteht bei Schulz nämlich immer die Gefahr, die Deleuze und Guattari bereits im Falle

Kafkas zu bannen versuchen, nämlich die Gefahr der Projektion einer unreflektiert

eingesetzten Archetypen- und Mythenlehre auf signifikative Strategien, die eben gerade jene

Archetypen und Mythen (bei Schulz sogar in einer zweiten Entwicklungsstufe) zu

dekonstruieren versuchen.

Und vor diesem Hintergrund wiederum könnte man die Ausarbeitungen und Funktionen des

Messianischen, der Eschatologie und der Zeit bei Bruno Schulz nach/mit/gegen Kafka lesen.

Die Grundfigur der Überbietung Kafkas bei Schulz ist die explizite Depotenzierung der (bei

Kafka durch groteske Überhöhung bereits implizit depotenzierten50) Vaterinstanz, d. h. die

demonstrative Umkehrung der ödipalen Konfiguration, die in der Erscheinung des Vaters als

(eindeutig als Pendant zu Gregor Samsa zu denkender) zerkochter und nach den jüdischen

Gesetzen nicht genießbaren Krebs/Skorpion am Ende von „Ostatnia ucieczka ojca“ ihren

Höhe- und vorläufigen Endpunkt erreicht.51 Gemäß dieser intertextuellen Metamorphose -

ähnlich kann man die wie ein Gegenmodell zum Kafkaschen Urteil aussehende

vordergründige Aufwertung der Kindheit in „Genialna epoka“ (das Richten fällt angesichts

des Fehlens des Vaters den Kindern zu) bewerten – weist die Schulz’sche Arbeit mit der

Figur des Messianisch-Eschatologischen wichtige (aber nicht grund-legende) Differenzen zur

Kafkaschen Arbeit im selben Bereich auf.

In ihrer inzwischen klassischen Studie, die mit bahnbrechenden Anti-Ödipus-Projekt,

insbesondere dessen zweiten Teil Tausend Plateaus eng zusammenhängt, wird Kafka in einer

Position verortet, die in gewisser Hinsicht ‚(anti)radikal‘52 revolutionär ist, denn sowohl der

amerikanische „Kapitalismus“, als auch die sowjetische „Bürokratie“ als auch der Faschismus

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -9-

werden als Systemformen in dieser und durch diese signifikative(n) Konfiguration

unterminiert. Auch hier ist die stärker ökonomisch angelegte Position Schulz‘ als

Weiterführung anzusehen, wobei man die Faszination des staatlich-messianischen Piłsudski-

Mythos für ihn in Rechnung ziehen müsste.

Kafka und Schulz: beide sind Vertreter einer „littérature mineure“. Beide nehmen an einem

konsequent antiödipalen (d. h. v. a. antiarchetypischen und antimythischen)

deterritorialisierenden avantgardistischen Projekt teil, in dem die jüdische Mystik und der

jüdische Messianismus eine entscheidende Rolle spielen. Von diesem Ausgangspunkt kann

und muss man ausgehen, um die notwendige Differenzierung der beiden Positionen

vorzunehmen.

Zuerst muss aber unsere Terminologie geklärt werden.

2. Messianismus/Mystik/Mythos

Kain, der sich von Gott abwendet, der sich von ihm abwendet, folgt bereits der Deterritorialisierungslinie, geschützt durch ein Zeichen, das ihn vor dem Tod bewahrt. Das Kainszeichen (…) Der jüdische Gott erfindet den Aufschub, die befristete Existenz, die Verschleppung. Deleuze/Guattari , Tausend Plateaus53 Ale Kain zawsze zwycięża Schulz, „Wiosna“54

Die drei Begriffe, die es hier zu entwirren gilt, sind Messianismus, Mystik und Mythos. Dabei

bilden die erste beiden Begriffe in bestimmten zentralen Bereichen einen Gegensatz zum

letzten.

Die Unterscheidung zwischen dem Messianismus und dem Mythos in der prä- bzw.

nichtmystischen Philosophie wird von Hermann Cohen immer wieder betont, und zwar meist

im Anschluss an Maimonides, von dem es heißt: Er trennte das ewige Leben von der messianischen Zeit. (…) D a s e w i g e L e b e n i s t d e r G l a u b e d e s M y t h o s ; die Zeit des Messias ist der geschichtsphilosophische Gedanke der prophetischen Sittlichkeit. (…) Im Talmud läßt sich die Tendenz verfolgen, beide Begriffe, beide ‚Zeiten‘ voneinander zu scheiden. (…) Der Messias ist nicht der Erlöser des Menschen im Jenseit (sic), sondern der Erlöser des Menschen im Diesseit. Diese grundsätzliche ethische Bedeutung hat die Unterscheidung, welche Maimuni allen Ungenauigkeiten, Unbestimmtheiten, Unklarheiten und Vermischungen gegenüber in seinem Kommentar zur Mischna festlegt. Und wie sehr diese Unterscheidung die Konsequenz seiner Ablehnung der Eudaemonie ist, das zeigt sich in der durch das Prinzip der Selbstvervollkommnung geleiteten Bestimmung der beiden unterschiedenen Ideen, des Jenseits wie des messianischen Diesseits.55

An anderer Stelle heißt es: Kein Höhepunkt unserer Religion ist in den neuen Zeiten zu solcher Anerkennung gekommen wie der Begriff fes Messianismus. Und dennoch fehlt noch viel daran, dass das Verständnis dieser Idee

und des Gegensatzes in ihr völlig durchdrungen wäre. Unser großer Philosoph Maimonides (…) hat auch hier die Richtung vorgezeichnet: indem er die Zukunft (athid labo) unterschied vom Jenseits (olam haba). Der Messianismus wird erst dann völlig verstanden, wenn vom Begriffe der messianischen Zukunft jeder Jenseitssinn abgetrennt sein wird. Die Zukunft, welche die Propheten im Symbol des Messias vorzeichnen, ist die Zukunft der Weltgeschichte. Sie ist das Ziel, sie ist der Sinn der Geschichte, welche den Gegensatz bildet zur Geschichte in ihrer isolierten Wirklichkeit. Und die Menschen selbst sind es, welche dieses Zeitalter des Messias herbeizuführen haben.56

Die nicht materialistische Diesseitigkeit des Messias wird also bei Cohen in Opposition zum

(christlich-jenseitigen) Mythischen gesetzt. Wenn man bedenkt, dass das Ziel der von Schulz

befürwortete „regresja“ diejenige messianische bzw. „geniale“ Epoche ist, von der hier die

Rede ist, und wenn man davon ausgeht, dass Schulz in „Mityzacja rzeczywistości“ dieselbe

Regression (hier im Bereich der Sprache) anpeilt (wie Cohen schreibt auch Schulz vom

„universellen Sinn“57), könnte man grundlegende Differenzen zu Cohens (und Maimonides‘)

hier sehen. Sie gibt es auch, aber nicht in der Frage der Dies- bzw. Jenseitigkeit: Ten tysiąckrotny a integralny organizm słowa rozerwany został na poszczególne wyrazy, na głoski, na potoczną mowę i w tej nowej formie, zastosowany do potrzeb praktyki, przeszedł on już do nas jako organ porozumienia. Życie słowa, jego rozwój sprowadzony został na nowe tory, na tory praktyki życiowej, poddany nowym prawidłowościom. Ale gdy jakimś sposobem nakazy praktyki zwalniają swe rygory, gdy słowo, wyzwolone od tego przymusu, pozostawione jest sobie i przywrócone do praw własnych, wtedy odbywa się w nim regresja, prąd wsteczny, słowo dąży wtedy do dawnych związków, do uzupełnienia się w s e n s – i tę dążność słowa do matecznika, jego powrotną tesknotę, tesknotę do praojczyzny słownej, nazywamy poezją. Poezja – to sa˛ krótkie spięcia sensu między słowami, raptowna regeneracja pierwotnych mitów.58

Die von Schulz vertretene Position ist heterogen. In bestimmten Formulierungen glaubt man,

eine frühformalistische Forderung der „Auferweckung des Wortes“ (Šklovskij) oder ein

frühfuturistisches Manifest zu lesen. An anderen Stellen scheint Schulz den ‚häuslichen‘

Mythos anzusprechen, der bei Cassirer und Bachelard vorherrscht. Bei den letzteren Stellen

scheint Schulz der „Denkgewohnheit“ Mythos völlig unreflektiert verfallen zu sein, die in der

mythopoetischen fin-de-siècle-Kultur die Szene beherrschte.

In beiden Punkten scheint Schulz einen mythisch-regressiven und deshalb auch einen

christlichen Messianismus bzw. Apokalyptik59 zu vertreten.60

Ich möchte vorschlagen, diese Stelle mit Passagen aus Texten, die zwei anderen Genres

zuzuordnen sind, nämlich dem Brief und der (sich in einem Zyklus befindenden) fiktionalen

Erzählung. Es ist wichtig, die Genrezugehörigkeit der Texte zu betonen, denn unser Zieltext

ist – im Gegensatz zu „Mityzacja rzeczwistości“ – nicht nur als fiktional und wortkünstlerisch

taxonomisch einzuordnen, sondern, wie es sich eben für einen Avantgardisten gehört, wird

von dieser textuellen Verfahrensorientierung offen und wesentlich bedingt, bestimmt und

konstituiert.61

Die erste Stelle stammt aus einem zum 26.1.1934 datierten (d. h. praktisch gleichzeitig mit

„Genialna epoka“ entstandenen62) Brief an den Skamander-Mitglied (also an einen Vertreter

der klassisch-futuristischen Avantgarde) Julian Tuwim, mit dem Schulz sich für dessen

begeisterte Reaktion auf die Erscheinung von Sklepy cynamonowe bedankt63:

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -11-

Gdy Pan przed laty przyjechał do Drohobycza, byłem na sali, patrzyłem na Pana mściwie i buntowniczo, pełen adoracji. Stare dzieje. Pewne wiersze Pańskie doprowadzały mnie wówczas do rozpaczy z bezradnego podziwu. Bolało – czytać je powtórnie i za każdym razem toczyć pod górę tę ciężką bryłę podziwu, która przed samym szczytem leciała w głąb, nie mogąc utrzymać się na stromej pochyłości zachwytu. Unicestwiały mnie one, a zarazem dawały upojenie, przeczucie nadludzkich triumfalnich sił, którymi kiedyś rozporządać będzie wyzwolony i szczęśliwy człowiek. N o s i ł e m w s o b i e w ó w c z a s j a ką ś l e g e n dę o „ g e n i a l n e j e p o c e “ , k t ó r a k i e d yś b y ł a r z e k o m o w m o i m ż y c i u , n i e z l o k a l i z o w a n a w ż a d n y m r o k u k a l e n d a r z a , u n o s zą c a s ię p o n a d c h r o n o l o g ią , epoka, w której wszystkie rzeczy oddychały blaskiem bożych kolorów, a całe niebo wchłaniało się jednym westchnieniem, jak haust czystej ultramaryny. N i g d y j e j n a p r a w dę n i e b y ł o . A l e w P ań s k i c h w i e r s z a c h b y ł a o n a u r z e c z y w i s t n i o n a i jaskrawa, jak pawie oko broczące lazurem i urzęsione krzycząco – była, jak rozkrzyczane gniazdo kolibrów… Pan mnie nauczył, że każdy stan duszy, dostatecznie daleko ścigany w głąb, prowadzi poprzez cieśniny i kanały słowa – w mitologię. N i e w z a s t y g łą m i t o l o g i ę l u d ó w i h i s t o r y j – a l e w tę , k t ó r a p o d w a r s t wą n a w i e r z c h n i a s i e ˛ s z u m i w n a s z e j k r w i , p lą c z e s ię w g ł ę b i a c h f i l o g e n e z y , r o z g a łę z i a s ię w m e t a f i z y c z ną n o c .64

Hier wäre nicht nur der Hinweis auf die „geniale Epoche“, sondern auch die Einordnung der

Poesie zu betonen, die ja am Ende der Passage aus „Mityzacja rzeczwistości“ thematisch

dominiert. Auch hier heißt es, dass das angestrebte Ideal in der Dichtung – in diesem Fall in

der Dichtung eines bestimmten Dichters – „realisiert“ (urzeczywistniona) wird. Diese

‚Realisierung‘ in der Dichtung kann sogar als Gegenbewegung zur ‚Mythisierung‘ im nicht

literarischen Text eingestuft werden. Daher hat sie einen völlig anderen, dezidiert

genrebedingten Charakter.

Man beachte aber die hier in Anschlag gebrachte Metaphorik, um eine „Mythologie“ zu

beschreiben, die nicht „erstarrt“ (zastygła) und nicht einem bestimmten Volk zuzuordnen (d.

h. weder archetypisch noch reterritorialisiert) ist, sondern „in den Tiefen der Philogenese irrt

und sich in metaphysischer Nacht verästelt“65 (plącze się w głębiach filogenezy, rozgałęzia się w metafizyczną noc). Ein rhizomatischeres, deterritorialisierteres Zeichenmodell hätte man in

den 30er Jahren gar nicht formulieren können.

In der zweiten Stelle (aus der Erzählung „Martwy sezon“) wird die Apokalypse eher

christlicher Prägung explizit thematisiert: Upał wzmagał się, wyostrzał wściekłość much, wyiskrzał świetliste punkty na ich metalicznych odwłokach. Czworobok światła doszedł do biurka i papiery płonęły j a k A p o k a l i p s a . Oczy oświetlone nadmiarem światła nie mogły już utrzymać jego białej jednolitości. Przez swe grube szkła chromatyczne widzi ojciec wszystkie przedmioty obrzeżone purpurą, w fioletowo-zielonych obwódkach, i ogarnia go rozpacz66 nad tą eksplozją kolorów, nad tą anarchią barw, szalejącą nad światem w świetlanych orgiach. Ręce drżą. Podniebienie jest gorzkie i suche, jak przed atakiem. W szparach zmarszczek zaczajone oczy śledzą z uwagą rozwój wypadków w głębi.67

Diese Vision des apokalyptische Lichtviereckes68 wird mehr oder weniger explizit mit dem

Christentum assoziiert, denn es heißt kurz zuvor: „W jasnym czworoboku drzwi omdlewały w

blasku dalekie lipy parku miejskiego, o d l e g ł a s y g n a t u r k a k oś c i o ł a

m a j a c z y ł a c a ł k i e m b l i s k o w tym przejrzystym i drgającym powietrzu jak w

soczewce lunety.“69 Der Zusammenhang dieser Stelle ist wichtig, denn es geht hier erstens

ausdrücklich um den – in „Genialna epoka“ fehlenden – Vater und zweitens um die

Bedingungen des Zusammenbruches (d. h. der Auflösung der Textur) seines

Seidengeschäftes. Die jenseitige christliche Apokalypse erhält dort Einzug, wo der Sohn fehlt,

was möglicherweise als Kritik an die Assimilierung aufgefasst werden könnte.

Dieses apokalyptische Viereck taucht in „Genialna epoka“ wieder auf. Es wird zur

„Feuersäule“, in der eine fulminante ‚Bücherverbrennung/-verbildlichung‘ (jedenfalls einer

Schriftenauflösung‘) stattfindet, bei der das Viereck der Buchseite zu einer Maloberfläche

wird. Dieses transmediale Viereckskonstellation (Bild/Fenster-Text-Bild), eine Art

wortwörtliche Verwirklichung des ut pictura poesis, ist ein mit dem Vater

zusammenhängender Geldschein, mit dem Schulz wuchert, ist aber nicht ‚das ganze Bild‘

(allein deshalb, weil sie Teil einer größeren – in „Genialna epoka“ messianischen, in

„Martwa sezon“ ökonomischen – Konstellation ist).

Ohne sofort die nicht unplausible These hier zu vertreten, dass Schulz in „Mityzacja

rzeczywistości“ bewusst mit Falschgeld70 (d. h. mit einer seiner eigenen jüdischen

Konzeption des Messianischen fremden Konzeption) spielt, d. h. den Mythos hier gar nicht so

meint, wie er ihn mehr oder weniger eindeutig definiert, muss man zumindest davon

ausgehen, dass er nicht die ganze Wahrheit erzählt (erzählen kann), und zwar allein deshalb,

weil die hier als rein mythisch verpackte (und verkaufte) Regression im literarischen Text

nicht in diesem eindeutigen Sinn ‚umgesetzt‘ wird. Schulz spielt nicht nur nicht mit offenen

Karten (das macht man nie beim Spielen), sondern rechnet fest damit, dass wir die Dimension

und die Denomination seines Einsatzes auf den ersten Blick verkennen.

Der Beweis muss auf sich warten lassen. Bei der konkreten Analyse wird dieser Punkt

präzisiert. Bleiben wir noch beim Entwirren zweier weiterer „M“-Begriffe, und zwar

„Mystik“ und „Mythos“.

Es ist ein Gebot der methodologischen und terminologischen Genauigkeit, dass man zwischen

der historisch nachvollziehbaren und funktional beschreibbaren (jüdischen) Mystik und dem

wie Lévi-Strauss konstatiert – seinerseits oft mit mythischen Mitteln erfassten, ahistorischen

Mythos, von dem Schulz unentwegt schreibt aber im Endeffekt mit seinen literarischen

Werken nur bedingt und auf einer reflektierten Ebene etwas zu tun hat, scharf unterscheidet.71

Die Differenz zwischen dem Mythos und der Mystik in der jüdischen Tradition kann man

stark machen, sogar als einen Gegensatz formulieren. Der große Historiker und Theoretiker

der jüdischen Mystik Gershom Scholem beschreibt das Verhältnis in verschiedenen Arbeiten

grundsätzlich anders. Im Aufsatz „Kabbala und Mythos“ (1950) schildert er das Aufkommen

der Kabbala in der jüdischen Tradition als ein „Wiederaufkommen mythischer Schichten aus

dem Judentum selber“ (Scholem 1995:125), und führt aus:

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -13-

So haben wir denn im Herzen der Kabbala einen Mythos der göttlichen Einheit als eine Verbindung der Urmächte allen Seins und einen Mythos der Tora als des unendlichen Symbols, in dem alle Bilder und Namen auf den Prozeß hinweisen, in dem Gott sich selber mitteilt.72

In seinem umfangreichen Standardwerk Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen

(1941) argumentiert er, dass die Geschichte der Religion drei Stufen kennt, nämlich 1. „die

Welt des Mythos, der Jugend der Völker“, für die „die Welt göttlich ist“ und „der Mystik

wiederstrebt“; 2. Religion „in ihren klassischen Gestaltungen“ , d. h. die „Religion der

Offenbarung“ bzw. die „positive Religion“, die „am weitesten von der Möglichkeit der

Mystik entfernt“ ist, da für sie der Abgrund zwischen Gott und dem Menschen

„unüberschreitbar“ ist; und 3. die Zeit nach der festen Etablierung der Religion, die auch als

die „romantische Periode der Religion“ genannt wird. Im Rahmen dieser Entwicklung

versucht die Mystik es zu erreichen dass „die Welt des Mythos und die der Offenbarung sich

in der Seele des Menschen begegnen.“ Scholem betont die Differenz zwischen der

mythischen und der mystischen Phase: „In einem gewissen Grad ist (…) die Mystik eine

Wiederaufnahme mythischer Erfahrungen, wobei freilich nicht übersehen werden darf, daß

ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen einer Einheit, die vor aller Entzweiung liegt,

und einer Einheit, die in einem neuen Aufschwung des Bewußtseins wiederhergestellt

wird“73.

Etwas später, im Rahmen der konkreten Argumentation, verschärft er diese Differenz in der

Form des Gegensatzes, der für das Verhältnis zwischen der orthodoxen jüdischen Philosophie

und der Kabbala geltend machen wird. Während die orthodoxe jüdische Philosophie Gott als

„das Gegenteil von allem Negativen“ bzw. die „Negation der Negationen“ betrachte, habe für

den Kabbalisten „die Scheidung, ja der Konflikt zwischen dem lebendigen und dem

verborgenen Gott eine besondere Bedeutung angenommen (…), von der die jüdische

Philosophie nichts wissen will.“

Im Bestehen auf eine grundsätzliche Positivität sind sich aber Mythos und Orthodoxie in

einem wichtigen Punkt einig, in dem die der Negativität der Kabbala entgegentreten.74

Scholem (1995:133) schreibt zwar in „Kabbala und Mythos“, die orthodoxe jüdische

Philosophie hätte „für die Vornehmheit, mit der sie sich von den primitiven Schichten des

menschlichen Lebens abgewandt hat, einen hohen Preis gezahlt“, und zwar deshalb weil sie

„die Ängste, aus denen Mythen geschaffen werden, nicht zum Problem gemacht“ hätte. Aber

das Aufkommen der ‚mythenschaffenden‘ Ängste75 und die Reaktion darauf kann man

keineswegs mit einem „mythischen Denken“ gleichsetzen.

Entscheidend ist diese Differenz beim Durchbruch des Messianismus auf breiter Basis, der in

einer bestimmten historischen Etappe – nämlich als Ergebnis der Vertreibung der Juden aus

Spanien 1492 – eine entscheidende Wende in der kabbalistischen Tradition mit sich bringt.

Scholem schreibt über die messianische Wende in der jüdischen Mystik des 17. Jahrhunderts,

die v. a. mit dem Namen Isaak Luria (1534-1572) verbunden ist, qualitative Unterschiede zur

bisherigen Tradition aufweist, und zwar gerade bezüglich des Grades der Reflektiertheit:

In manchen Fällen, möchte es mich bedünken, ist die spekulative Neuformulierung der Mythen in theoretischer Form auch im Bewußtsein ihrer Schöpfer selbst d u r c h a u s s e k u n d ä r und als exotische Verdeckung des von ihnen als heiligen Mysterium empfundenen mythischen Gehalts entworfen. (meine Hervorhebung)

Spätestens die lurianisch-messianische Wende (in) der Bewegung zeigt also, dass das

‚Mythische‘ in der späten Kabbala, wenn überhaupt noch vorhanden, im höchsten Maße

reflektiert ist, und dass das Mysterium ‚(anti)radikal‘ deterritorialisiert ist. Bei einer

literarischen Verarbeitung dieser Strömung in der Nachfolge Kafkas muss der Reflexionsgrad

noch höher sein.

Dabei ist es keineswegs ausgeschlossen, dass offen zur Schau gestellte intertextuelle

Beziehungen (etwa Schulz-Kafka) auch Fallen sind. Aber wenn dem so ist, dann handelt es

sich um einen ganz anderen Fall und eine grundsätzlich anders gestaltete Falle76. Denn –

ähnlich wie bei der offenen Einbeziehung der Psychoanalyse – bildet das spannungsreiche

Spiel zwischen Hyper- und Hypotexten (d. h. die Auseinandersetzung mit unhintergehbaren

Text-Vätern) den Motor der Schulz’schen Semiose, während (so meine These) die

Thematisierung des Mythos oder gar die scheinbare ‚Remythologisierung‘ kein taugliches

Differenzierungsmerkmal unter polnischen bzw. mitteleuropäischen literarischen Systemen

der 20er und 30er Jahre darstellt.

Es handelt sich bei den mythisch anmutenden Vatergestalten Kafkas und Schulz‘77 um

‚Gespenster‘, und zwar nicht einmal im Ibsenschen Sinne (das wäre wieder das

Mythologische der frühen Moderne), sondern eher im Sinne des nur scheinbar gestorbenen

und wiederholt erscheinenden Vatergespenstes in Hamlet, das Derrida (1993a) – und dies ist

für uns alles anders als irrelevant – mit der Gespenst-Metaphorik und dem impliziten

‚säkularisierten‘ Messianismus bei Marx (insbesondere im Kommunistischen Manifest und in

„Sankt Max“, dem dritten Teil der Deutschen Ideologie78) kurzschließt: Même si Marx cite plus souvent Timon d’Athènes, le Manifest semble évoquer ou convoquer, dés son ouverture, la première venue du fantôme silencieux, l’apparition de l’esprit qui ne répond pas, sur cette terrasse d’Elsinore qu’est alors à vieille Europe.

Schulz‘ Thematisierung des zugrundegehenden „alten Europa“ aus einer scheinbar völlig

anderen Perspektive kann man ruhig hier dazudenken.

Man darf nämlich bei aller berechtigter Betonung des Primats des Wortes (Schulz schreibt ja

selbst von der Wirklichkeit als Schatten des Wortes, wobei unter Wort vielerlei verstanden

werden kann) nicht außer acht lassen, dass die Grundbedingung der Handlung der

Prosazyklen Sklepy cynamonowe und Sanatorium pod klepsydrą eine ökonomische ist: die

Vernichtung der Geschäfte des Vaters durch den ‚modernen Kapitalismus‘79. Nicht nur Freud

und Kafka, auch Marx – und v. a. sein ebenfalls von vornherein negiertes messianisches Ver-

Sprechen – spukt80 kaum verhüllt (d. h. als theatralischer Spuk) auf den Seiten des

Schulz’schen ‚Buches‘.

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -15-

3. „Nach Art der Kinder wollten alle Kuriere sein“ - (De)Potenzierungen des Vaters

Tois qui devines tout, devine sur quoi je tombe ce matin! Tu ne vas pas me croire parce que tu n’as jamais admis que je puisse être si amnésique et si fidèle en même temps. M a i s s i , m a i s s i , c’est un peu la même chose.

Derrida, La Carte postale81

Im Kampf zwischen Dir und der Welt, sekundiere der Welt. F. Kafka82 Ein Mönch stieg hinab in die Gruft zu den Toten und rief: ‚Christ ist erstanden!‘ Und alle antworteten ihm im Chor: ‚Er ist erstanden, wahrhaftig erstanden.‘ D. Charms83

Mit dem 4. Dezember 1917 datierte Kafka (1992:56), dessen ebenso starkes aber zugleich

unterschiedliches Interesse an Verschwinden und Auflösung u. a. im Titel des Amerika-

Romans Der Verschollene dokumentiert wird, folgenden Eintrag in dem Heft, das von der

heutigen Wissenschaft als „Oktavheft G“ bezeichnet wird: Der Messias wird erst kommen, wenn er nicht mehr nötig sein wird, er wird erst einen Tag nach seiner Ankunft kommen, er wird nicht am letzten Tag kommen, sondern am allerletzten.84

Diese Notiz ist von zwei anderen umgeben, die den Themenkomplex ‚Zeit und

Messianismus‘ weitere Konturen verleihen. Unmittelbar nach der gerade zitierten Stelle wird

folgende aufgezeichnet: An Fortschritt glauben heißt nicht glauben, dass ein Fortschritt schon geschehen ist. Das wäre kein Glauben.85

Zwei Tage zuvor, also am 2. Dezember, entsteht folgende Aufzeichnung: Es wurde die Wahl gestellt Könige oder der Könige Kuriere zu werden. Nach Art der Kinder wollten alle Kuriere sein. Deshalb gibt es lauter Kuriere, sie jagen durch die Welt und rufen da es keine Könige gibt, einander selbst die sinnlos gewordenen Meldungen zu. Gerne würden sie ihrem elenden Leben ein Ende machen, aber sie wagen es nicht wegen dies Diensteides.86

Die Serie dieser drei Passagen,87 die übrigens in ihrer chronologischen Reihenfolge von einer

abnehmenden Fiktionalität gekennzeichnet sind, werden Kafkas messianische (und Zeit-)

Vorstellungen in ihrer Beziehung zur Rolle des Ödipalen deutlich zum Ausdruck gebracht.

Dieselben Denkfiguren tauchen im Proceß, im „Urteil“, in der „Verwandlung“ u. a. auf: der

(inszenierte) Rückzug vor dem übermächtigen Vater.88 In diesem Zusammenhang ist auch der

paradoxe quasi-permanente Aufschub der Ankunft des Messias zu sehen: „er wird erst einen

Tag nach seiner Ankunft kommen“.

Die Instanz des allmächtigen Vaters bei Kafka ist eine Position die zwar fehlen kann, wie im

dritten zitierten Fragment, aber deren Fehlen zu einer negativ gewerteten („ihrem elenden

Leben ein Ende machen“) Absurdität, die allerdings eines gewissen tiefsinnig-ironischen

Humors nicht entbehrt. Der König im dritten Abschnitt ist dieselbe Instanz wie der Messias

im zweiten Abschnitt, und an sie/ihn glaubt man, wenn man nach dem Prinzip des ersten

Abschnitts an den „Fortschritt“ glaubt. Denn der ‚messianische Fortschritt‘ (d. h. das immer

schon dagewesene, durch die Beschaffenheit des Kosmos vorprogrammierte Hinziehen zum

am Ende der Zeit eintretenden End-Punkt) ist genau derjenige, der von für die Menschen

erkennbaren Linien des irdischen Fortschritts in der Vergangenheit absolut unabhängig ist. An

diesem Punkt , findet der end-gültige Sieg des Vaters auch Statt (sic).

Die Figur eines, wenn überhaupt, dann nur mit dem Tod zu Ende gehenden, d. h. im

Endeffekt permanenten Aufschubs ist beispielsweise in der Türhüterparabel im neunten

Kapitel des Proceß, aber auch als Grundfigur des gesamten Romans – übrigens eines Textes,

der Bruno Schulz als (Mit-)Übersetzer89 bestens bekannt war – unübersehbar, und spielt in

anderen Texten wie dem Schloß-Roman und den Erzählungen „Der Jäger Gracchus“, „Die

Verwandlung“, „Das Schweigen der Sirenen“, „Beim Bau der chinesischen Mauer“, „Eine

kaiserliche Botschaft“, „Ein Hungerkünstler“, „Das nächste Dorf“ und vielen anderen eine

herausragende Rolle.

Im Proceß- und im Schloß-Roman, sowie in „Eine kaiserliche Botschaft“, „Beim Bau der

chinesischen Mauer“, „Die Verwandlung“ und „Das Urteil“ treten vaterähnliche Instanzen ,

und zwar jeweils das Gericht, das Schloss, der chinesische Kaiser (zweimal) und schließlich

der Vater ‚selbst‘ (zweimal) – auf, die als (z.T. todbringender) Grenzwert im System agieren.

In vieler Hinsicht summiert oder konzentriert sich diese Position der im Grunde immer und in

allen Werken gleichbleibenden Kafkaschen Konstellation in den eingangs zitierten Notizen

aus dem „Oktavheft G“, und besonders im ‚Messias‘-Abschnitt.

Bei Schulz hat man mit dem umgekehrten Fall zu tun. Die Impotenz, die Abschwächung der

Vater-Instanz nimmt immer mehr zu, bis am Ende der zerkochte Vater aus einer Soße

krabbelt, dabei ein Bein verliert (ein deutlicher Kastrationsvorgang) und in aller Ewigkeit –

ständig weitere Glieder verlierend – weiterwandert.90 Bei Schulz wird der Messias, d. h. der

Siegreiche Vater, trotzdem am Ende einziehen, aber Schulz entwirft eine andere – die

diametral entgegengesetzte (aber damit hypotextuell abhängige) – Strategie, um ihr zu

begegnen. Darin ist, so meine These, eine bewusste Arbeit mit dem Kafkaschen antiödipalen

Dispositiv zu sehen.

Eugenia Prokopówna (1985:124, 125-126) schreibt, dass die in Schulz‘ Nachwort zur Proceß-

Übersetzung formulierte Deutung als „religiös“ bzw. „metaphysisch mit einer religiösen

Schattierung“ einzustufen ist, wobei es v. a. um die Inkongruenz zwischen der göttlichen und

der menschlichen Sphäre geht.91 Sie zitiert auch die Stelle in Schulz‘ Text, wo es um die

Regionen geht, wo „życie ludzkie styka się z bytem Boskim“. Im Lichte der bisherigen

Ausführungen zum Messianischen kann man Linien ausmachen, die über die Grenzen des

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -17-

rein Religiösen hinausgehen, und die eine Strukturähnlichkeit des messianischen und des

literarischen Textes vermuten lassen.

Der Messias ist der (aller)letzte Beweis dieser Inkongruenz und das wortwörtlich ultimative

Aufeinandertreffen der beiden Sphären. Er war auch Schulz‘ ultimatives Thema. Seit der

Kindheit malte er die Messias-Gestalt bzw. die Ankunft des Messias. Und in der Zeit, als er

ermordet wurde, arbeitete er bekanntlich an einem nur aus mündlichen Berichten bekannten

größeren Text, der Mesjasz hätte heißen sollen.92 Panas (1994) vertritt sogar die These, dass

weite Teile des Schulz’schen Œuvres – und zwar sowohl in der Literatur als auch in der

bildenden Kunst – eine Art messianischen Gesamtkunstwerkes bildet.

Sieht man sich die Stelle näher an, auf die sich Prokopówna bezieht, so sieht man auch den

messianischen – und gleichzeitig den antiödipalen – Bezug: Wzrok Kafki, zafascynowany raz na zawsze przez pozażyciowy, religyjny sens rzeczy - zgłębia z nigdy nie sytą dociekliwością strukturę, organizację, głębokie porządki tej ukrytej rzeczywistości, przemierza pogranicze, gdzie życie ludzkie styka się z bytem boskim. Jest on piewcą i wielbicielem porządku boskiego, piewcą dziwnego zaiste gatunku. Najzjadliwszy oszczerca i satyryk nie mógłby tego świata odmalować w tak karykaturalnej deformacji, w kształtach tak pozornie kompromitujących i absurdalnych. Wzniosłość porządku boskiego nie może być, według Kafki, oddana inaczej, jak siłą ludzkiej negacji. Porządek ten jest tak dalece pozaludzki, tak daleko przekraczający wszelkie ludzkie kategorii, że miarą jego wzniosłości staje się siła dezaprobaty, sprzeciwu i żywiołowej krytyki, jaką człowiek przeciwstawia tym wysokim instancjom. Jakże inaczej mógłby reagować byt ludzki na uzurpację tych mocy, jak nie protestem, niezrozumieniem, druzgocącą krytyką? (Schulz 1989:411; meine Hervorhebung).

An zwei Sätzen kann man die hier zum Ausdruck gebrachte Einstellung erläutern:

1. „Wzniosłość porządku boskiego nie może być, według Kafki, oddana inaczej, jak siłą ludzkiej negacji.“ – Der Einschub „według Kafki“, der die Zugehörigkeit dieser Position (d.

h. die ideellen ‚Besitzverhältnisse‘) klarstellt, muss nicht darauf hinweisen, dass hier eine

krasse Differenz zwischen der Position des Kritikers und der des kommentierten Autors

besteht, aber man könnte sich dazu aufgefordert fühlen, zu prüfen, ob dieser Satz für Schulz‘

Werk ebenso zutreffend ist. Das Junktim zwischen der göttlichen Erhabenheit und der

menschlichen Negation trifft sicherlich stärker für Kafka als für Schulz zu, denn Schulz spielt

die göttliche bzw. schöpferische Ekstase bedeutend häufiger durch, und betont mit größerem

Nachdruck das Moment der ambivalenten Verschleppung (vgl. das Nie-ganz-Verschwinden

des Vaters), während Kafka endgültiges durchaus vorführt (vgl. den Schluß des Proceß-

Romans, des „Hungerkünstlers“, der „Strafkolonie“, der „Verwandlung“, des „Urteils“ u. a.),

und zwar oft in direkter Verbindung mit einer Strafvollzugshandlung. Das für die klassisch-

jüdische Auffassung des Messianismus zentrale Moment des Richtens steht bei Kafka stärker

im Vordergrund, während das Messianische bei Schulz mit einer von der Schuldfrage

vollständig abgekoppelten Regression verbunden ist. Gerichtet wird der Vater, und zwar nicht

von den Mächten des polizeilichen Strafvollzugs, sondern von den Mächten des

ökonomischen ‚Fortschritts‘. Der Messianismus wird zu einer ludistisch-ästhetisch

umgesetzten Denkfigur.

2. „Jakże inaczej mógłby reagować byt ludzki na uzurpację tych mocy, jak nie protestem,

niezrozumieniem, druzgocącą krytyką?“ – In diesem für das Problem des (Anti-)Ödipalen

offenkundig relevanten Satz ist sicher der Ausdruck „druzgocącą krytyką“ zentral. Das

Moment der aggressiv-negativen Atomisierung als Reaktion auf die usurpatorische Macht

(des Vaters), d. h. die Vorführung eines tragischen Konfliktes in dem der Sohn dem

potenzierten Vater immer wieder unterliegt (d. h. von ihm gerichtet wird, am explizitesten im

„Urteil“),

Aus dieser Sicht kann man den Übergang von Kafka zu Schulz – auch in der für beide zu

zentrale Frage des Messianismus – als ein Überschreiten der Grenze zwischen Früh- und

Spätavantgarde beschreiben, d. h. als die Ausschaltung des ernstgemeinten juristisch-

politischen Diskurses (vgl. den Dieb Schloma in „Genialna epoka“, der im Winter „po

awanturach i szaleństwach lata i jesieni“93 ins Gefängnis geworfen wird, um im Frühling

wieder freigelassen zu werden) zugunsten eines absurden Verschwindens, das die

katastrophale (ödipale) Gewalt zwar ebenfalls voraussetzt, aber in einem quasi-kindlichen

vordergründig Diskurs ‚verharmlost‘94.

Daher sind auch mystisch-kabbalistische – d. h. an der Oberfläche mehr oder weniger

‚realitätsferne‘ – messianische Vorstellungen für Schulz bedeutsamer als für Kafka, der sich

zwar auch für mystische Strömungen interessiert, aber die orthodoxe Ethik nicht außer acht

lässt.

Sowohl Lindenbaum (1994) und Panas (1994) heben die Wichtigkeit der Kabbala für Schulz‘

messianische Vorstellungen hervor. Lindenbaum, dessen Text viel eher denn Panas‘ als

Analyse von „Genialna epoka“ zu lesen ist, beschränkt sich nicht auf rein mystische Quellen,

und erläutert Schulz‘ Messianismus im Lichte sowohl orthodoxer als auch kabbalistischer

Positionen. Einerseits betont er den traditionellen Glauben, dass der Messias zur Zeit des

Pesach kommt,95 andererseits hebt er die historische Stellung der lurianisch-kabbalistischen

Wende hervor, die nach seiner Meinung das Moment des Volkes (moment narodowy) und

den „messianisch-apokalyptischen Gedanken“96.

Das Messianische in diesem Sinne ist das Ergebnis einer der dramatischsten

Deterritorialisierungen im/des Judentum(s), die Deleuze und Guattari bereits in der Kain-

Legende – d. h. am Ausgangspunkt des Judentums – sehen, und durch jede Vertreibung bzw.

Diaspora potenziert wird. Kain „folgt bereits der Deterritorialisierungslinie, geschützt durch

ein Zeichen, das ihn vor dem Tod bewahrt“ (Deleuze/Guattari 1992:171). Auch vor diesem

Hintergrund ist jeder Versuch einer mythisch-archetypischen ‚Reterritorialisierung‘ unsinnig.

Panas betont viel stärker die kabbalistisch-mystische Linie, und zieht einen Vergleich des

Begriffs des ‚Tikkun‘ aus der Lurianischen Kabbala mit Schulz’ Messianismus. Diese

Konzeption geht aus der in der Zeit nach der Katastrophe (d. h. der erneuten Diaspora) von

1492 aufkommenden Vorstellung des „Zurücktretens des göttlichen Wesens in sich selbst“ als

der „Selbstverbannung“ Gottes, auch Zimzum genannt.97 Dieser Prozess führt dazu, dass „die

richtenden Gewalten, die in Gottes Wesen in unendlicher Harmonie mit dem ‚Wurzeln‘ aller

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -19-

anderer Potenzen vereinigt waren, gesammelt und an einen Punkt, eben in jenem Urraum,

konzentriert, aus dem sich Gott zurückzieht.“98 Diese sind „mit dem Residuum des

unendlichen Lichts der Gottheit, das sich aus ihm zurückgezogen hat, vermischt.“ Weiterhin

heißt es dass sich im Urraum „sich die Bilder allen Seins“ bilden, jene von der Struktur der Sefiroth bestimmten Formen des Adam Kadmon, des Gottes, der in die Schöpfung als Schöpfer tritt. (…) Der Hauptentwurf der Schöpfung schreibt sich von den Lichtern her, die aus den Augen das Adam Kadmon in eigentümlicher Brechung hervorkommen. Denn jene Gefäße, die, selbst aus niederen Arten von Lichtmischungen bestehend, bestimmt waren, diese Lichtfluten der Sefiroth aus seinen Augen aufzunehmen und so als Gefäße und Instrumente der Schöpfung zu dienen, zerbrachen unter ihrem Aufprall. (…) Alle Lichter aus de Augen des Adam Kadmon fluten entweder nach oben zurück, vom Anprall an die Gefäße reflektiert, oder aber brechen nach unten durch, und die Gesetzmäßigkeiten dieses Vorgangs werden von Luria ausführlich entwickelt. Nichts aber ist mehr dort, wo es eigentlich sein sollte. Alles ist irgendwo anders (…) alles ist irgendwie gebrochen, alles hat einen Makel, alles ist unvollendet.99

Der Vorgang der Restitution wird von Scholem (1995:152) folgendermaßen

zusammengefasst: Die Gefäße der Sefiroth, die die Welt der von Adam Kadmon ausstrahlenden Emanation aufnehmen sollten, sind also zerbrochen. Um diesen Bruch zu heilen oder um das Gebäude wiederherzustellen, das nach dem Ausscheiden der nun dämonisierten Gewalten des reinen Gerichts zu endgültiger harmonischer Ausgestaltung eher fähig ist, brachen aus der Stirn des Adam Kadmon Lichter aufbauender und heilender Natur. Von ihrer Wirkung her schreibt sich das dritte Stadium des symbolischen Prozesses, von den Kabbalisten Tikkun, Restitution genannt. Dieser Prozeß verläuft für das Bewußtsein Lurias teils in Gott, teils aber im Menschen als der Krone aller Kreatur. Freilich ist auch dies keineswegs ein simpler, eindeutiger Prozeß, sondern vielfältigsten Verschränkungen ausgesetzt. Denn wenn auch beim Bruch der Gefäße die sich nunmehr verselbständigen Gewalten des Bösen ausgeschieden wurden, so doch nicht ganz vollständig. Immer noch muß dieser Ausschaltungsprozeß sich fortsetzen, da Reste der reinen richtenden Gewalt noch immer in den nun sich bildenden Konfigurationen der Sefirothwelten verbleiben, die entweder solcher Ausscheidung oder ihrer Verwandlung in aufbauende Kräfte der Liebe und Gnade bedürftig sind. In fünf Gestalten oder Konfigurationen, von Luria Parzufim, Gesichter Gottes oder des Adam Kadmon, genannt, bildet sich in der Welt des Tikkun die Gestalt des Urmenschen neu.

Panas bietet keine ausführliche Argumentation, um den Leser von der Stichhaltigkeit

Verbindung zwischen den Schulz’schen und den kabbalistischen Konzeptionen zu

überzeugen, sondern referiert die hier bereits erläuterten Schulz’schen Auffassungen der

„progressiven Regression“, und konstatiert: „Niezwykłe idee i obrazy, które odnajdujemy w

prozie i pismach Brunona Schulza mają swoją analogię w kabbalistycznej doktrynie Tikkun.“

Er referiert die in einem Schulz zugeschriebenen Klappentext des Sammelbands Sanatorium

pod klepsydrą enthaltene Aussage, es gehe in dem Buch um den „alten Glauben der Mystiker“

an eine Erneuerung der Welt, und dieser Glaube laut des Textes „obleka się w tej książce w

ciało, formuje się w swoistą eschatologię, w krąg legendarny utkany z fragmentów wszystkich

kultur i mitologij, rozwija się w fabulistykę pogmatwaną i oszałamiającą.“100 Sonst hebt er die

allgemeinen Momente der „Restitution“ und des „Anwachsens“ hervor. Er gibt aber keine

Auskunft darüber, ob er in den einzelnen Motiven der Tikkun-Legende (Gefäß, Licht, Auge,

Gesicht, Stirn) eine besondere Bedeutung sieht, geschweige denn was für eine Art von

Intertextualität er hier postuliert.

Damit will ich nicht sagen, dass Panas zu unrecht die These von der Relevanz des Tikkun

vertritt, sondern, im Gegenteil, dass man sie unter Berücksichtigung der hier erläuterten

terminologischen Differenzierungen und diachronen Konfigurationen und anhand gewisser,

von ihm nicht besprochenen Aspekte des komplexen Textes „Genialna epoka“ vertiefen kann

– mit anderen Worten, dass sich Panas möglicherweise der vollen Tragweite seiner

bahnbrechenden Entdeckung nicht voll bewusst ist, und sich (und erst recht dem Leser) nicht

klarmacht, auf welcher Ebene sich die von ihm beschriebenen signifikativen Vorgänge

abspielen. Die nachfolgende Lektüre des Textes „Genialna epoka“ soll die Dimensionen

dieser Vertiefungen bzw. dieser Tragweite zumindest andeuten.

Vorausgeschickt sei folgende Einschränkung: Es scheint mir evident zu sein, dass dieses

mythisch zu sein scheinende Material beim Eintritt in den Schulz’schen Text seinen

mythischen Charakter – wenn überhaupt vorhanden – verliert, aber nicht so sehr dadurch, dass

es „in eine Ferne vom Ich gerückt“ (Cassirer) ist, sondern vielmehr dadurch, dass es

gleichzeitig ‚internalisiert‘ (d. h. näher ans Ich herangerückt) und mit der Ich-Arbeit anderer

literarischer und nichtliterarischer Texte wird. Damit sind die Linien der Vertiefung (genauer

gesagt: Konsolidierung) des Panas’schen Ansatzes schon angegeben.

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -21-

4. „Genialna epoka“ Było to rysowanie pełne okrucieństwa, zasadek i napaści. Schulz, „Genialna epoka“101 Księga jest mitem, w który wierzymy w młodości, lecz z biegiem lat przestaje się ją traktować poważnie. Schulz, „Księga“102

Panas (1994:117) konstatiert lapidar: „Mesjasz faktycznie w Genialnej epoce nie przybywa“.

Damit zeigt er, dass er die Komplexität des Schulz’schen Spiels mit dem ‚Faktischen‘ bzw.

der ‚Realisierung‘103 etwas unterschätzt. Die endgültige Ankunft (nach Kafka der „allerletzte

Tag“) ist ebenso undenkbar wie der endgültige Tod des Vaters. Die ewige

V e r s c h l e p p u n g des messianischen Ereignisses (vgl. das Verschleppung des Prozesses

bei Kafka) wird darin realisiert, dass der Ahasverus-ähnliche Vater sich auch nach dem

Verkocht-Werden f o r t s c h l e p p t und sich auf eine „obdachlosen Wanderung“ (w

bezdomną wędrówę104)

Ausgehend von dem so gut wie spurlos verschwundenen Projekt Mesjasz und den

messianischen Motiven und Tendenzen im übrigen Werk Schulz‘, vertritt Panas gleichzeitig

eine These, die dem Messianismus allerhöchste Priorität im Werk Schulz‘ zuweist: „Widzimy

więc, że Schulz nie tylko chciał pisać o Mesjaszu w Mesjaszu, ale w ogóle całą sztukę postrzegał w perspektywie Odkupienia. Sztuka mesjańska, dojść ze swoją sztuką do ‚czasów

mesjaszowych‘, wpisać się w Boży proces zbawczy.“105 Panas plädiert daher für eine

„reinterpretowanie dzieła i myśli Schulza w kontekscie mesjańskim“106.

Wie eine solche Uminterpretierung nun auszusehen hat, erläutert Panas im letzten Abschnitt

seines Aufsatzes. Bisher habe er – man bemerke die atemberaubende Heterogenität dieser

Aufstellung – von der Anwesenheit „kabbalistischer Inspiration, Verwandtschaften,

Analogien, Bilder, Topoi und Archetypen“107 gesprochen, nun gehe es darum, „das größte

Geheimnis der Kabbalistik von Schulz zu offenbaren“108 . Das Geheimnis bestehe darin, so

Panas, dass die messianische Restitution (Tikkun) mit dem Erzählen über den Messias selbst

zusammenfallen kann, was sowohl ein Gleichsetzen des Kommens des Messias mit dem

Kunstwerk als auch eine voreilige „Antizipation“ des Prozesses der Restitution in der Form

des Pseudomessianismus (hier wird die in der Folge von Lurias Lehren erscheinende Gestalt

des Sabbat Zwi erwähnt) mit sich bringen kann, die dieser ein vorzeitiges Ende setzen kann.

Dadurch eröffne sich ein „Raum der Ambivalenz“, und das „Denken und Vorstellungskraft

Schulz‘ bis zu dieser Grenze gehen“, wobei sich Schulz laut Panas auch dessen bewusst ist,

dass „ein intensiver Messianismus seine gefährlichen Dimensionen“109 hat. Die ultima ratio

des Schulz’schen Messianismus nach dieser Sichtweise ist also dessen Prozessualität.110

Es spricht in der Tat einiges dafür, das Schreiben über den Messias bei Schulz als

messianischen Akt zu sehen. Aber es handelt sich um einen avantgardistischen

‚messianischen Schriftmaterialismus‘, der gewisse Züge einer poststrukturalistischen

‚Übersetzung ohne Original‘ trägt111, scheint es mir angebracht, mit der von Cohen

hervorgehobenen Diesseitigkeit112 (d. h. dem dezidiert nicht-mythischen Charakter) des

jüdischen Messianismus zu argumentieren, die Panas bei aller Betonung der Differenz

zwischen dem Judentum und dem Christentums113 nicht sonderlich hervorhebt. Obwohl man

hier mit der ethisch-rationalistischen Aspekten der Position Cohens – d. h. der Gleichsetzung

des sich Herannahens des Messias mit der ethischen Besserung der Menschheit – sicher nicht

weit kommt, ist die Schulz’sche phantastische ‚Ökonomisierung‘ der Vatergestalt sowie die

Relativierung des ‚Urbildes‘ (swięty Autentyk) als ausgeträumtes Kindermythos von einer

diesseitigen Axiologie gekennzeichnet, die sogar die implizite Transzendenz des weniger

messianischen als apokalyptischen Marx’schen Traums von der Rückkehr zum „Goldenen

Zeitalter“ mehr oder wenige explizit zurücknimmt und in einen wiedererkennbaren diesseitig-

messianischen Bereich ansiedelt.

Es stellt sich unter anderem nämlich heraus, dass die apokalyptisch anmutende

‚Feuersymbolik‘ bei der ‚Bücherverbrennung/-verbildlichung‘ dem ‚mythisch gestimmten‘

Leser wieder eine ‚apokalyptisch-mythische Falle‘ dadurch legt, dass er ein christliches

Paradigma vorführt und relativiert.

Der Text besteht aus vier Teilen, deren (dezentrierte) Zentren thematisch gebildet werden

von:

1. dem Diskurs über die Zeiten, die keinen Platz in der Zeit finden;

2. der ‚Bücherverbrennung‘ im apokalyptischen Quadrat;

3. dem Diskurs über den Messias;

4. dem Vorzeigen des „Originals“ und der Entwendung der Pantöffelchen, Kleider und

Korallen.

Obwohl es hier nicht um die überaus wichtige Frage der Zyklisierung der Erzählungen in

Sklepy cynamonowe und Sanatorium pod klepsydrą geht (schon eher um die vier Abschnitte

als einen Mikrozyklus, der vordergründig ein Modell der Gesamtzyklisierug anbietet), kann

man folgendes Konstatieren: zwischen den beiden erdrückenden ‚Bücher‘ in „Księga“ und

„Wiosna“ wird die messianische Erzählung „Genialna epoka“ gepresst.

Der Text sendet seinen Schatten voraus. So wie bei Kafka der Messias „ erst einen Tag nach

seiner Ankunft“ kommt, so beginnt beim programmatisch regressiven Schulz die „geniale

Epoche“ bereits vor dem Anfang der „Genialna epoka“, und zwar in „Księga“. Die Sache

(genauer gesagt: das Ding) ist (buchstäblich) gelaufen, bevor sie/es überhaupt beginnen kann.

Nachdem nämlich angekündigt wird: „Zbliżamy się teraz w naszym opowiadaniu szybkimi

krokami do tej wspaniałej i katastroficznej epoki, która w biografii naszej nosi nazwę epoki

genialnej“114, wird die „geniale Epoche“ erläutert: Więc czy genialna epoka zdarzyła się, czy nie zdarzyła? Trudno odpowiedzieć. Bo są rzeczy, które się całkiem, do końca, nie mogą zdarzyć. Są za wielkie, ażeby się zmieścić w zdarzeniu, i za wspaniałe. Próbują one tylko się zdarzyć, próbują gruntu rzeczywistości, czy je uniesie. I wnet się

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -23-

cofają, bojąc się utracić swą integralność w ułomności realizacji. A jeśli nadłamały swój kapitał, pogubiły to i owo w tych próbach inkarnacji, to wnet, zazdrosne, odbierają swą własność115, odwołują ją z powrotem, reintegrują się i potem w biografii naszej zostają te białe plamy, wonne stygmaty, te pogubione srebrne ślady bosych nóg anielskich, rozsiane ogromnymi krokami po naszych dniach i nocach, podczas gdy ta pełnia chwały przybiera w triumfie zachwyt po zachwycie.116

Mit diesem Abschluss schreibt sich „Księga“ in die (Sub-)Gattung bzw. Paratext-Sorte des

Vor-Wortes ein („W imię Boże tedy – wsiadamy i odjazd!“117) – was sich aber auch als Falle

erweist, denn – ganz nach dem messianischen Prinzip – es tritt nie die (hier versprochene)

authentische (Er)Lösung ein.

Man sollte an dieser Stelle festhalten, dass nur hier, also nicht in der Erzählung „Genialna

epoka“, der Begriff „genialna epoka“ i m T e x t vorkommt. Damit dient „Księga“ als

Paratext zu „Genialna epoka“, wo der Begriff „genialna epoka“ ausschließlich als Paratext,

nämlich als Titel, auftritt. Die Differenzierung zwischen Text und Paratext löst sich auf. Die

Text dienen einander als Glossen, als Randbemerkungen (das gleiche Prinzip könnte man in

den vier Teilen von „Genialna epoka“ sehen). Das wäre eine ‚Dezentrierung‘ auf der Ebene

der Verfahren, die man den Lachmannschen „dezentrierten Bildern“ zur Seite stellen könnte.

Halten wir aber die Bedingungen des Versprechens fest: Der Erzähler bezweifelt, ob er die

„geniale Epoche“ überhaupt benennen darf (wieder typisch messianisch), denn er sagt: es gibt

„Dinge“ (są rzeczy). Dann wird angezweifelt, ob sich die „Dinge“, die vermutlich der

„genialen Epoche“ zumindest analog sind, ‚ereignen‘ (zdarzyć się)118 können bzw. ob deren

„Inkarnation“ (inkarnacja) stattfinden kann und zwar deshalb, weil sie möglicherweise zu

groß und zu großartig ist. Eine finanzielle Metaphorik (kapitał) wird eingesetzt, um die

versuchte „Inkarnation“ zu umschreiben, und der Rückzug des Kapitals (spectre de Marx?)

wird noch weiter metaphorisiert (d. h. mit weiteren metaphorischen Schichten belegt), und

zwar negativ im Sinne der Spuren, die beim Rück-Zug hinterlassen werden: „weiße Flecken“,

„duftende Stygmen“, „verlorene Silberstapfen bloßer Engelsfüße, die in riesigen Abständen

über unsere Tage und Nächte verstreut sind“119

Es wäre – wie übrigens auch bei Kafka, aber hier sind wir um eine Stufe der Reflexion weiter

davon entfernt – zu einfach, von einer negativen Theologie zu sprechen, denn wir haben mit

einer besonders reflektierten Apophatik zu tun, bei der es nicht nur um die Bedingungen der

Nicht-Benennbarkeit (Unaussprechbarkeit des Namens120) der Gottheit bzw. dessen

‚Gesalbten‘ geht, sondern auch um die Spuren, die eine von dieser Nicht-Benennbarkeit

hinterlassen werden. Wie weiter oben angedeutet wurde, fehlt bei Panas‘ (1994)

verdienstvoller Verbindung des Wortes und des Namens121 mit der jüdischen Mystik jeder

Hinweis auf dieses Moment der Spur(losigkeit), das aber das ganze Spezifikum, bzw. seine

Verortung in einer bestimmten diachronen Konstellation, ausmacht.

Die Avantgarde träumt von der spurlosen tabula rasa (d. h. vom Vatermord) und hat in

diesem Sinne Reste eines ‚mythischen Bewusstseins‘. Die Spät- bzw. Postavantgarde spielt

die Spurlosigkeit durch, rechnet aber gleichzeitig mit der Spur, ist also anti- oder

metamythisch.

Will Schulz auf der einen Seite nach dem Grundsatz der „anxiety of influence“ die Spuren des

„Übervaters Kafka“ an den allerzentralsten Stellen verwischen und den Eindruck einer tabula

rasa vermitteln,122 so überspielt er auch die Spuren des Vaters in Formen von der

‚Multiverwandlung‘ bis hin zu dessen vordergründigem Fehlen (übrigens einem nur von der

Zyklisierung ableitbaren Minusverfahren) in „Genialna epoka“. Der ‚Endpunkt‘ der

Verwandlungsserie ist aber lehrreich: Der skorpionförmige123 Vater hinterlässt nicht

i r g e n d w e l c h e Spuren, sondern ganze Beine. Der Vatermord verwandelt sich in eine

mehrfache Kastration ohne ersichtliche folgen.

Kehren wir nun in diesem Zusammenhang kurz zur „Mityzacja rzeczywistości“ zurück. Die

Vorstellung einer Zeit, in der „alle Plätze ausverkauft“ sind und von „Ereignissen, die keinen

eigenen Platz in der Zeit haben“, die aber illegal hereingeschmuggelt werden müssen,

überhaupt die hier vorgenommene „Legalisierung“ und „Ökonomisierung“124 der Zeit

(ażiotaż???, kontrabanda, usw.) kann man als Vorbote der Kulmination der Erzählung (d. h.

des Diebstahls) betrachten, scheint aber mit den ‚mythischen‘ Ansprüchen des nicht

fiktionalen regressiv-messianischen Textes „Mityzacja rzeczywistości“ schwer vereinbar zu

sein.

Der Begriff „tor“ (Bahn) wird hier wiederholt, aber während es in „Mityzacja rzeczywistości“

um das Leben des Wortes geht, von dem es heißt es sei auf das „Gleis der Lebenspraxis“

geraten („jego rozwój sprowadzony został na nowe tory, na tory praktyki życiowej“) und

dessen Wiedererweckung im mythischen Zusammenhang (was einer Rückkehr von der

schiefen Bahn implizit gleichgesetzt wird) in Aussicht gestellt wird, geht es hier um „parallele

Bahn(ung)en“ (w czasie dwutorowym) der Zeit und das „blinde Gleis“ (ślepym torem)125, auf

dem man (erst am Ende des Abschnitts oder vielleicht eher immer) schon fährt126.“ Das Motiv

der Irrfahrt dominiert den ganzen Abschnitt, heißt es doch von den angesprochenen „Ereignis-

sen“ (und wir wissen vom Ende der „Księga“, dass es sich bei den „zdarzenia“ um das

Eintreten der „genialen Epoche“, d. h. des Messias handelt), sie seien „niejako na lodzie, nie

zaszeregowane, zawieszone w powietrzu, bezdomne i błędne“127. Würde ein eindeutiges

‚mythisches Denken‘ hier herrschen, so würde man erwarten, eine Auflösung des

problematischen Irrwegs werde zumindest in Aussicht gestellt.

Der Schlüssel – wie übrigens bei „Mityzacja rzeczywistości“ – liegt beim metasprachliche

Charakter der hier geführten Rede, der im weiteren noch potenziert wird. Wurde im

‚philosophischen‘ Aufsatz unter dem Deckmantel einer „Mythisierung der Wirklichkeit“ eine

‚Mystifizierung‘ oder ‚Messianisierung‘ des ‚Wortes‘ gefordert, so wird in „Genialna epoka“

die Narrativik selbst als schiefe und sich auflösende Verkettung128 hingestellt: „Ma to swoje

znaczenie i dla narracji, którą duszą jest ciągłość i sukcesja“129. Wurde dort die ‚Wirklichkeit‘

zu einem „Schatten des (mythologischen) Wortes“ ‚degradiert‘, so wird das Sich-Ereignen

und das Gelingen der Verkettung der Ereignisse davon abhängig gemacht, ob sich ihre

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -25-

Repräsentation irgendwo einschreiben kann, d. h. sich einen Standort – oder eben eine Bahn,

ein Gleis, käuflich oder per Betrug erwerben130 kann.

Damit wird der ökonomische Diskurs zu einem Motor messianischer Bestrebungen, natürlich

auf eine Art und Weise, die Marx nie hätte erträumen können. So aber richtet sich das hier

abwesende (durch Spurlosigkeit glänzende) Gespenst des Vaters (nur die Mutter lässt sich

hier blicken) doch vor den Augen des Lesers auf, und zwar als unsichtbarer unbewegter

Beweger der hier geschilderten messianisch-ökonomischen „Ereignisse“.131 Außerdem ist die

von Cohen eingeklagte messianische Diesseitigkeit doch hier gegeben. Am Ende liegt

(N/n)ichts außerhalb der Zeit; vielmehr wird allem mit recht mundanen Mitteln seinen Platz

zugewiesen.

Keine Spur vom Mythos (genauer gesagt, Mythos als nicht auf einen Urheber rückführbare

Spur), aber doch eine scharfsinnige Verflechtung von Mystik und Messianismus. Denn die

mehrfach potenzierte „Heimatlosigkeit“, die den spätkabbalistischen (lurianischen)

Messianismus mit seiner Konzeption des Zimzum und Tikkun ist explizit vorhanden

(bezdomne i błędne).

Es ist schwer nachvollziehbar, warum Panas die konstituierende Lichtmetaphorik der Tikkun-

Legende nicht mit dem vom „schiefen, brennenden, glanzatmenden Viereck“ und der

„Feuersäule“ in Verbindung gebracht wird, die ja den Erzähler „zutiefst aufwühlt“. Zudem

ruft er, die Familienmitglieder sollten „Eimer bis zum Überfluss füllen“ um „Vorräte“ zu

sammeln132, was – wenn man schon die Verbindung herstellt – als relativ deutlicher Hinweis

auf die Gefäß-Metaphorik aufgefasst werden könnte. Man bemerke aber wieder die bei Schulz

häufige Tendenz zur Ökonomisierung des Metaphysischen, die sich in der Gleichsetzung von

„alten Bibeln“ mit „zerflatterten Handelsbücher des Vaters“ als erste Objekte der

Bücherauflösung fortsetzt.

Es war bereits vom apokalyptischen Viereck aus „Martwy sezon“ die Rede, die in „Genialna

epoka“ wieder auftaucht. Es wurde auch angemerkt, dass die in der „Feuersäule“ stattfindende

‚Bücherverbrennung/-verbildlichung‘ die wiederum das Viereck der Buchseite in eine

Maloberfläche133 verwandelt, dass man also mit einer translatio hier zu tun hat, die sich nicht

nur über Mediengrenzen hinweg, sondern zwischen messianischen Paradigmen bewegt.

Wurde das Lichtviereck in „Martwy sezon“ über den Hinweis auf eine Kirche mit der

christlichen Tradition in Verbindung gebracht, so kann man diese Assoziation mit der

wahrlich christlich-apokalyptisch anmutenden Feuersbrunst in Verbindung bringen. Geht man

aber davon aus, dass Schulz doch eine vornehmlich jüdische Konzeption als Modell vor

Augen hat, so könnte man von einer Instrumentalisierung oder gar Unterordnung der

(außerdem mit dem Vater assoziierten) christlich-apokalyptischen Feuermetaphorik sprechen.

Denn anschließend aufgerufen wird die alttestamentarische Sintflut in der Arche Noahs („jak

za dni Noego“134), was eigentlich heißt dass die alttestamentarische Sintflut die christliche

Apokalypse wiedereinholt. An sich geschieht dies schon in dem Moment, wo die in die

Feuersäule geschleuderten unleserlichen Texte durch „geniale Kritzeleien“ (w genialnych135

gryzmołach), „halsbrecherische Zickzacklinien“ sich „plötzlich zu Anagrammen von

Visionen“ und „Rebussen von lichten Offenbarungen“ verdichten“. Hier hat die pneumatische

Geistorientiertheit gegen die mystische Verselbständigung des einzelnen Buchstaben bereits

verloren.

Dass bereits diese Zeichnungen – wie später die Kleider usw. von Adela – entwendet werden,

zeigt, dass die Ökonomisierung auch diesen Bereich erreicht hat, dass auch diese mystischen

transmedialen Seiten von der Instrumentalisierung nicht befreit werden.

Es wäre aber verfehlt zu argumentieren, dass dieser literarische Text eine Polemik gegen den

pragmatischen Gebrauch der Zeichen führt. Man denke hier nun an die bereits zitierte Stelle

in „Mityzacja rzeczywistości“, wo es um die verwerflichen Anwendung des Wortes für

praktische Zwecke handelt (zastosowany do potrzeb praktyki) geht. In „Genialna epoka“ ist

man um einige Grade der Reflexion von jenem relativ simplen essayistischen Versuch

entfernt. Allein die Realisierung der abgebildeten Sintflut in der am Ende des zweiten

Abschnitts – d. h. unmittelbar vor dem Eintritt des ‚messianisch angehauchten‘ Szloma –

stattfindenden „Beruhigung der Bilderflut“ bzw. im „Versiegen des Stroms der Visionen“136

blockt jedwede archetypische Mythenauffassung im Ansatz ab, denn eine dermaßen

demonstrative Semiotisierung des Weltendes bricht jedes in sich ruhendes Symbol

unwiederbringlich auf.137 „Genialna epoka“ führt die Macht der Textsorte Literatur gegen das

Ernstgemeinte (auch das eigene) vor, was für eine Standortbestimmung des Mythos bei

Schulz von kapitaler Bedeutung ist.

Die zentrale Stelle für unsere Fragstellung scheint diejenige Passage im dritten Teil zu sein,

wo die Ankunft des Messias von Józef beschrieben wird, wobei der geübte Schulz-Leser bei

solchen allzu offensichtlichen Signalen immer auf der Hut sein muss.

Die Ankunft des Szloma hat jedenfalls einige Attribute einer sakralen Erscheinung, wobei

zumindest am Anfang Verweise auf den christlichen Bereich zu dominieren scheinen, und

zwar auf den Platz der Heiligen Dreifaltigkeit und den Osterfeiertag. Geht man aber von einer

radikalen Restitution nach dem Muster des Tikkun aus, so kann man von einer

Rückgängigmachung der christlichen Entfaltung des jüdischen Messianismus ausgehen. Da es

in der Tat davon die Rede ist, dass der Messias kommen w i r d („podchodzi Mesjasz“), und

da die christlichen Eigenschaften danach verschwinden, scheint sich diese Vermutung zu

bestätigen, zumal die Pesach-Zeit traditionell als die Zeit der Ankunft des Messias betrachtet

wird.138

Außerdem hat Szloma etwas ‚Zeichenhaftes‘ (und zugleich Groteskes, Deplaziertes) an sich.

Nicht nur gibt Gott den Frühlingsanfang durch Szlomas Niesen bekannt139, sondern – und

dies ist bedeutsamer – dieses Zeichen läutet eine (groteske) Verschriftlichung der Natur ein

(auch hier ein Zurückdrängen der pneumatischen Geistreligion durch die zugleich ironisierte

Buchstabenreligion): „Był to znak pewnejszy niż przylot bocianów, i odtąd dni miały być

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -27-

pzetykane tymi detonacjami140, które zgubione w szumie miasta, to bliżej, to dalej

g ł o s o w a ł y jego zdarzenia swym dowcipnym komentarzem“141. Die Ereignisse, die

zeitliche Verkettung werden in ein Codex verwandelt, Szlomas Niesen in hingekritzelte

Glossen (es handelt sich hier übrigens um eine neue Gestaltung der Nase-Phallus-Schreibstift-

Verbindung). Das sind deutliche Signale dessen, das weitere Signale ebenso wie dieses nicht

ganz ‚ernst zu nehmen‘ sind. Die narrative und axiologische Einbettung ist hier von

entscheidender Bedeutung, denn es geht hier um komplexe Rollenbesetzungen, die nicht

einmal vor Gott (dem Vater) halt machen.

Spätestens jetzt sollte es klar sein, dass wir mit keiner bluternsten ‚Mythisierung der

Wirklichkeit‘ zu tun haben, sondern mit einer Einbettung dieses Szenarios in eine

Konstellation, die zwar mit dem Messia(ni)s(mus), wohl auch mit der Mystik, aber mit

keinem „mythischen Denken“ zu verbinden ist.

Nach Szlomas erhaben klingendem, mit einem traurigen Lächeln geäußertem (und

durchgestrichenem) Spruch, „Ja i ty (…) jak pusty jest dziś świat“, tut Józef seine

messianische Vision kund, jedoch nicht bevor er den fast beiläufigen aber entscheidenden

Satz spricht: „Moglibyśmy podzielić go i nazwać na nowo“. Es ist nicht klar, ob Józef die

Welt oder den Platz der Heiligen Dreifaltigkeit meint. Jedenfalls ist die Bewegung der

Umbenennung auch eine Rückeroberung, ein ebenso illusorische wie triumphale

Ankündigung des jüdischen Messias, die anschließend erläutert wird: W taki dzień podchodzi Mesjasz aż na brzeg horizontu i patrzy stamtąd na ziemię. I gdy ją tak widzi białą, cichą, z jej błękitami i zamyśleniem, może się zdarzyć, że mu się zgubi w oczach granica, niebieskawe pasma obłoków podłożą się przejściem i sam nie wiedząc, co czyni, zejdzie na ziemię. I ziemia nawet nie zauważy w swej zadumie tego, który zszedł na jej drogi, a ludzie obudzą się z popołudniowej drzemki i nie będą nic pamiętali. Cała historia będzie jak wymazana i będzie jak za prawieków, nim zaczęły się dzieje.142

Auch wenn Szloma den vorübergehenden ‚Ernst‘ der Situation mit seiner Frage nach Adela

sofort zunichte macht (darauf kommen wir gleich zurück) sind einige Momente dieser Vision

im Lichte des bereits Gesagten hervorzuheben. Obwohl die Auflösung der Grenze zwischen

Himmel/Messias und Erde eine unia mystica anzukündigen scheint, sind einige Momente hier

festzuhalten, die auf das Durchspielen einer (anti)ödipalen Konstellation hinweisen, v. a. die

Tatsache, dass der Messias selbst bei seiner Niederkunft nicht weiß, was er tut („sam nie

wiedząc, co czyni, zejdzie na ziemie“), dass die Menschen den Vorfall sowohl Vergessen als

auch in der Form eines Urereignisses (also im Unbewussten) speichern.

Aber das ist nur der Ausgangspunkt der Bewegung. Es geht hier nicht um eine

psychoanalytische Interpretation, sondern um das Aufspüren eines meta-psychoanalytischen

(bzw. meta-psychopoetischen) und meta-mythopoetischen Diskurses. Wenn es heißt: „Cała

historia będzie jak wymazana i będzie jak za prawieków, nim zaczęły się dzieje“, dann

handelt es sich erstens, wie bereits angedeutet wurde, um ein verschriftlichtes

Gedächtnismodell, das etwa nach dem Muster von Freuds ‚Wunderblock‘143 abläuft (jak

wymazana), zweitens um ein mehrfach reflektierte ‚mythische Topik‘ (nim zaczęły się dzieje),

von der nur eine reine mnemotechnisch-rhetorische Anordnung übrigengeblieben ist, und

drittens – als Realisierung oder sogar Emblem dieser beiden Nullstellen – um eine

Vorführung der (avantgardistischen) tabula rasa, die aber auch nicht ganz gelingt, sondern

mit den ‚Spuren der Spurenlosigkeit‘ versehen ist. Das Hinterlassen der Spuren bleibt als

reine Bewegung (als deterritorialisiertes Nomadentum für eine nomadische Wissenschaft)

erhalten, sowie der Vater am Schluss (genauer gesagt bei der Schließung) des Zyklus, wie

bereits angemerkt wurde, seiner sinnlosen „wędrówka“ nie ein Ende setzen kann.144

Gegen Ende des vierten Teils sagt Szloma kurz vor seinem heimtückischen Diebstahl der

‚Bekleidung‘ des ‚Autentyk‘ (womit er sagen will, dass das ‚święty Autentyk‘ aus nichts

außer Bekleidung und den damit gleichzusetzenden Abbildungen des Józef besteht, also eine

Travestie im ureigensten Sinne ist): „O, Józefie, strzeż się siódmego dnia…“145, womit er das

Scheitern Gottes an der Schöpfung (übrigens ein Motiv aus der Legende von Zimzum und

Tikkun146). Es wäre möglich, aus dieser Aussage einen Hinweis auf eine gescheiterte Ankunft

des Messias abzuleiten.

Lindenbaum (1994:63) gibt eine Erzählung des tschechisch-chassidischen Dichters Jiří Langer wieder, aus dem hervorgeht, „że rabbi Aron z Bełza, który miał być Mesjaszem, też uległ diabłu, który zjawił się przed nim jako ładna kobieta biegła w Piśmie. Bo Eros to grzech

prowadzący do upadku.“ Für Lindenbaum ist Szloma ebenso ein verfehlter Messias, der den

Versuchungen des Eros unterliegt. Nach dieser Logik wäre Józef der geduldige Gläubige, der

nach diesem Malheur nun weiterhin auf den Messias zu warten hat. Lindenbaum sagt auch:

„Józef jakby naprawdę odwoływał się do egzegetów Kabały“147. Aber, wie bereits erwähnt

wurde, hebt Lindenbaum selbst hervor, dass die Gestalt des Malers148 mit dem des Demiurgen

und des Schöpfers kurzgeschlossen werden kann.149

Mit anderen Worten: Man würde es sich zu einfach machen, wenn man die komplexe

narrative Konfiguration in „Genialna epoka“ auf eine konventionelle Allegorie (eigentlich

eine konventionelle Allegorie einer konventionellen Allegorie, denn sowohl Platons Mythos

Timaios als auch die Bibelexegesen sind eine explizite Ausführungen der Allegorie bzw. der

Allegorese) reduzieren würde. Da die spätavantgardistische Einnahme der Position des Vaters

durch den Sohn (d. h. die vordergründige Umkehrung der Potenzierung des Vaters bei Kafka

mit ähnlichen Resultaten) eine der Grundfiguren bei Schulz ist, muss man eher von einer

Dynamisierung der Allegorie ausgehen, die im Sinne von Benjamin und de Man eine

dezidiert nicht-transzendentale allegorische Verweisstruktur selbst zum Thema macht.

Nach dieser Sichtweise geht es um den Bezug von Bedeutung ‚anderswoher‘, wobei dieses

‚Anderswo‘ ein nur scheinbar transzendentales Nichts sein kann. Am Ende von „Księga“ hieß

es scheinbar bedeutungs- und hoffnungsvoll: „W Boże imię tedy - wsiadamy i odjazd!“.

Unser Text, sowie „Ostatnia ucieczka ojca“ schließt ebenfalls mit einem Weggang. Es bleibt

(nicht nur) hier eine Apotheose der Sinnleere und des Verschwindens: „W drzwiach odwrócił

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -29-

raz jeszcze szarą, c a ł k i e m n i e w y r aź n ą t warz i podniósł rękę do ust ruchem

uspokojającym. Juz był za drzwiami.“

Und Kafkas – zumindest an der Oberfläche – weniger spielerisches Pendant dazu: „‚Gib’s

auf, gib’s auf‘, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwung ab, so wie Leute, die mit

ihrem Lachen allein sein wollen.“150

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ANMERKUNGEN 1 Dieser Text ist 1997 entstanden und wurde in den Sammelband – wohl aufgrund der Länge – nicht aufgenommen, für den er bestimmt war. Deshalb ist die Literatur nach 1997 nicht berücksichtigt worden. Eine neue Version ist in Vorbereitung, die insbesondere Renate Lachmanns Beitrag im von P. Kosta, N. Drubek-Meyer und mir herausgegebenen Sammelband Juden und Judentum in Literatur und Film des slavischen Sprachraumes. Die geniale Epoche (Wiesbaden 1999) berücksichtigt. Dieser Text zeigt wesentliche neue Aspekte des Schulzschen Schreibens und seiner Beziehung zu Strömungen der jüdischen Mystik auf. 2 Benjamin 1991/I:1239 (Es handelt sich hier um einen Teil der Ausführungen, die mit den Thesen „Über den Begriff der Geschichte“ zusammenhängen. 3 Scholem 1995:157. 4 Zur Mytho- und Psychopoetik bei Schulz vgl. Lachmann 1992. Lachmann scheint das erstere Glied, um das es wiederum uns hier geht, gegen das zweitere ausspielen zu wollen, z. B. wo sie schreibt: „Schulz‘ Strategien laufen auf eine Zersetzung des Symbolbegriffs hinaus, der dem aufklärerischen, decouvrierenden und eine Lesart anstrebenden Kausaldenken der Psychoanalyse zugrunde liegt. Es gibt Passagen aus den theoretischen Überlegungen von Schulz, in denen, zusammen mit dem Konzept der Remythisierung der Wirklichkeit, eine Mythopoetik der Sprache entwickelt wird, die gleichzeitig ein Konzept des Phantastischen umschließt“ (Lachmann 1992:445; Kursiv der Autorin). Allerdings muss man vor Augen halten, dass Lachmann eine antisymbolische Mythopoetik beschreibt (inwiefern die Psychoanalyse – etwa in der Lacanschen, aber auch bereits in der Freudschen Formulierung – als symbolische und aufklärerische Denkart beschrieben werden kann, ist eine komplexe Frage, die hier nicht behandelt werden kann), d. h. eine baumförmige Rückführung auf Archetypen von vornherein ausschließt. Lachmann (a. a. O., 452) konstatiert später explizit, dass bei Schulz „die Strukturen der tradierten Mythen zersetzt“ werden. Am Ende des Aufsatzes spricht sie von einer „negativen Mythopoetik“ (a. a. O., 457) und betont, dass Schulz in der Erzählung „Książka“ vom „trivialen Mythos“ ausgeht, „der Fälschung konnotiert, wenn nach der Kindheitsphase der Glaube an ihm erlahmt.“ 5 Eliades (1986) aus den 30er Jahren – also aus der Zeit der Entstehung der Schulz’schen Prosa – stammende Polemik gegen Frazer und Taylor, die darauf abzielt, eine Systematik des Mythischen den abwertenden naiv-zivilisatorischen Tendenzen der Vorgänger entgegenzusetzen, arbeitet – ähnlich wie C. G. Jung in seiner Absetzbewegung gegen Freud – Archetypen wie „Weltzentrum“ und „Weltbaum“ heraus, die er in der Alchimie, der Mystik und in der jüdischen und altindischen Religion (die altindischen Veden sind auch ein häufiger Gegenstand der Analyse von Cassirer, Toporov u. a.) aufspürt. Die Gleichsetzung dieser ‚Ursymbolik‘ mit einer ‚Urwahrheit‘ ist für seine Sichtweise, sowie die von Bachelard, Jung u. a. charakteristisch. Die „archaische Ekstasetechnik“, die Eliade (1978) anhand des Schamanentums beschreibt, scheint bei Lachmanns (1992) Ausführungen zur „ekstatischen Imagination“ in der Prosa Schulz‘ wiederzukehren. 6 Graevenitz (1987) zieht zurecht in Zweifel, ob man d e n Mythos als Idee überhaupt definieren kann (deshalb der Begriff „Denkgewohnheit“), und konstatiert, man könne nur dann ihre Geschichte schreiben, „wenn die Arbeit daran sich der Traditionen des wissen-schaftlichen, methodischen Umgang mit Heterogenem und Synkretistischem vergewissert“ (a. a. O., XXVI). Er unterscheidet „vier große flexible Schichten“ der Überlieferung der Mythen, und zwar 1. die „ein metaphysisches Problem unermüdlich umkreisende“ s y m b o -l i s c h e (Giordano Bruno), 2. die gattungsgeschichtlich orientierte, d. h. das Typische der Gattung herausarbeitende t o p i s c h e (Giambattista Vico), 3. die die „allegemeinen Wahr-nehmungshaltungen“ in Rechnung ziehende ö f f e nt l i c h e und schließlich 4. die

H. Meyer - Messianismus in/und „Genialna epoka“ -33-

„synkretistische“ romantische, die sich v. a. „in den Versuchen, die Heterogenität der Überlie-ferungen noch einmal synkretistisch zu vereinigen“ (a. a. O., XXIII-XXV) auszeichnet (Arnim, Grimm, Wagner). Im Rahmen des zweiten Komplexes werden nach einer Nachzeichnung des Übergangs von Gerardus Vossius zu Giambattista Vico als derjenige von der naturphilosophischen zur gattungstheoretisch-typologischen Topik die Theorien von Lévi-Strauss und Derrida besprochen. Graevenitz kommt zu der überraschenden Schlussfolgerung, dass die strukturalistische Mythenforschung lediglich diesen Übergang vom ‚Mythen-Bastler‘ Vossius zum ‚Mythen-Ingenieur‘ Vossius wiederholt, wobei bei Lévi-Strauss der ‚archaische‘ Umgang der Naturvölker mit den Mythen die Stelle der barocken Topik in der Darstellung Vicos einnimmt (a. a. O., 95). Aus Graevenitz‘ Sicht führt dann Derridas „Kritik am Erbe des Lévi-Strauss’schen Zeichenbegriffs unmittelbar zurück zu jenen europäischen Grundlagen des Mythos-Begriffs, die in der patristisch-mittelalterlichen Bildtheologie und in Giordano Brunos Neuer Mythologie sichtbar waren.“ (a. a. O., 114). Vor diesem Hintergrund kommt Graevenitz zu dem Schluss: „Lévi-Strauss und Derrida zusammen gelesen zeigen noch einmal dieselbe Grundbewegung der Denkgewohnheit ‚Mythos‘, die immer nach dem Grundmuster der Varronischen Kompromisses in seiner Augustinischen Deutung verläuft: die Kataloge, das Inventar der Überlieferung bereiten eine Systemordnung vor, der sich ein theologischer oder philosophischer Zeichenbegriff anverwandeln läßt. (…) Lévi-Strauss und Derrida reprä-sentieren (…) die jüngste Variante des immer wieder aktuellen Kompromisses von symbolischer und topischer Mythologie“ (a. a. O., 119). 7 Zum ‚Nomadentum‘ vgl. die Ausführungen zu Deleuze/Guattari weiter unten. 8 Zum ‚Gleis‘ vgl. die Erläuterungen zum Schulz’schen Gebrauch des Begriffes „tor“ weiter unten. 9 Damit soll nicht gesagt werden, dass die Wirkung der Kabbala in der westeuropäischen Literatur frührer Epochen, z. B. im Barock (J. Boehme), in hermetischen Strömungen der Aufklärung (Cazotte, Potocki), sowie in der Romantik (Novalis, A. v. Arnim, E. T. A. Hoffmann) weniger wichtig ist, sondern lediglich dass der Einsatz dieser Tradition im 20. Jahrhundert bestimmte Konturen hat, die es herauszuarbeiten gilt, um vor diesem Hintergrund weiter zu differenzieren. Was die Romantik anbelangt, könnte man sich an dieser Stelle vergegenwärtigen, dass Benjamin in seiner Dissertation Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik vom Messianismus als der grundsätzliche Standpunkt bzw. „Gesichtspunkt“ (Benjamin 1991:12; Anm. 3) der frühromantischen Idee der Kunst schrieb. In der Kunstkritik-Schrift ist immer wieder von der Mystik und vom Mysterium die Rede, z. B. in einer Formulierung, die eine gewisse Relevanz für Schulz haben könnte: „Die Ironisierung der Darstellungsform ist gleichsam der Sturm, der den Vorhang vor der transzendentalen Ordnung der Kunst aufhebt und diese und in ihr das unmittelbare Bestehen des Werkes als eines Mysteriums enthüllt. (…) Der Glaube an die Unzerstörbarkeit des Werkes, wie er in Tiecks ironischen Dramen, in Jean Pauls zerfetzten Romanen sich ausspricht, war eine mystische Grundüberzeugung der Frühromantik“ (a. a. O., 86-87). 10 Vgl. die von H. Cohen in seinem Buch Die Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums (1919) vorgenommene Unterscheidung zwischen der Eschatologie und dem Messianismus, nach der der zweitere „die Projektion einer ‚neuen Wirklichkeit‘, nicht in einem (zurückliegenden) goldenen Zeitalter, sondern in der Zukunft.“ Vgl. auch die Meinung Cohens, der Messianismus sei weder mit der Utopie noch mit der Eudämonie zu vergleichen, sondern die „Grundzüge des ethischen Sozialismus in sich trage.“ (Zitat und Zusammenfassung aus Biller/Dierse 1980:1164). 11 Schulz 1989:365-368. Vgl. auch Schulz’ (1992:326) eigenes „Exposé über das Buch ‚Zimtläden‘“: „Hier glaubt der Verfasser sich dem antiken Lebensgefühl nahe, erglaubt aus dem heidnischen Lebensempfinden herausgestaltet, phantasiert und gesponnen zu haben, wie ja für den antiken Menschen die Genealogie des eigenen Stammes schon hinter der zweiten

oder dritten aszendenten Generation ins Mythische sich verlor, die nach rückwärts gewandte Blick die Geschichte der Familie im Mythologie auflösen sah.“ 12 Vgl. auch Lachmanns (1992:451) Hinweise auf die Mythenzitate – z. B. die Konstellationen Zeus-Ganymed, Orpheus-Euridike u. a. – in der Prosa Schulz’, die sie zusammen mit den alttestamentarischen Anspielungen (allen voran natürlich Jakob und Josef) als „mythologische Subtexte“ anführt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die alttestamentarischen Geschichten überhaupt als Mythen zu betrachten sind, und wenn ja, ob sie Mythen derselben Sorte sind wie die griechischen. 13 Zu „dezentrierten Bildern“ bei Schulz vgl. Lachmann 1992. Der Begriff der Dezentrierung wird bei Deleuze und Guattari massiv eingesetzt, denn die Differenz zwischen dem Modell Baum-Kopie und dem Modell Rhizom-Karte besteht v. a. darin, dass das letztere das erstere dezentriert. Vgl. z. B.: „Eine Methode vom Typus Rhizom (…) kann die Sprache nur dadurch untersuchen, dass sie diese auf andere Dimensionen und Register hin d e z e n t r i e r t “ (Deleuze/Guattari 1992:17). 14 Zur für Schulz relevanten Konzeption des ‚Gestöber‘ bei W. Benjamin vgl. Menke 1994. Da es Menke hier v. a. um die Verfahren des Ornaments, sowie um die Benjaminsche Formulierung „Gestöber von wandelbaren, farbigen und streitenden Lettern“ geht, präsentiert sie ein Modell, das mit der klassisch-analytischen Avantgarde verwandt ist. Beim Spätavantgardisten Schulz handelt es sich jedoch auch um ein diskursives Gestöber, bei dem der Text auf einer anderen Ebene ‚auseinanderfliegt‘. Zur diskursiven, synthetischen Avantgarde im Gegensatz zur analytischen klassischen Avantgarde vgl. Hansen-Löve 1993a; 1993b; 1995. Vgl. auch die Kritik an der Isolierung des einzelnen Wortes in Schulz’ „Mityzacja rzeczywistości“ (1989:365): „Izolowane, mozaikowe słowo jest wytworem późnym, jest już rezultatem techniki. Pierwotne słowo było majaczeniem, krążącym dookoła sensu światła, była wielką uniwersalną całością. Słowo w potocznym dziszejszym znaczeniu jest już tylko fragmentem, rudymentem jakiejś dawnej wszechobejmującej, integralnej mitologii.“ 15 Lindenbaum (1994:34) spricht vom „mityczny charakter czasu i przestrzeni“ bei Schulz. Korecki (1981:156ff.) verwendet auch diese Begrifflichkeit bei der Beschreibung der Zeit bei Schulz. In einem Abschnitt, den er „czas mityczny“ nennt, glaubt er eine „zweite Weltschöpfung“ zu sehen, und bringt dies mit der Gestaltung der Zeit in Verbindung, die er als „‚własny‘ czas narratora, odtąd płynący dla niego i jemu tylko podległy“ (a. a. O., 157) beschreibt. Die „geniale Epoche“ ist für Korecki eine persönliche Version der konventionellen Eschatologie. An anderen Stellen spricht er brav jungianisch vom „kosmischen Zyklus“ (a. a. O., 141) und von einer Traum-Zeitlichkeit (temporalistyka oniryczny) im Einsatz der Jahreszeiten (a. a. O., 149ff.). Auch hier macht sich eine unreflektierte, von Schulz‘ nichtliterarischen Texten übernommene Mythenauffassung bemerkbar, die auch nicht unbedingt mythische alttestamentarische Gegebenheiten mit einschließt. Er gibt keine Definition des Mythos bzw. der Mythologie an, und sein einziger Hinweis auf eine Mythenauffassung außer der von Schulz ist – wie konnte es anders sein – auf Eliade (vgl. dazu das Eliade-Zitat weiter unten). 16 Es geht hier um Sandauer 1976. 17 „Dla Carla Gustawa Junga z kolei w symbolice domu-psychiki najważniejsze jest nawarstwienie elementów z różnych epok życia ludzkości czy jednostki, wskutek czego możemy psychikę przekopywać coraz to głębiej, odkrywając jej niejako archeologiczną strukturę, gdzie to, co aktualne, ufundowane jest na zamierzchłej przesłości.“ (Jastrzębski 1989:XLVIII). Typisch für diese Denkfigur ist die Ausschaltung bzw. Nivellierung der Historie, bei gleichzeitigem Verweis auf „graue Vorzeiten“ (zamierzchła przesłość). 18 Lindenbaum (1994:51-52) hebt ausdrücklich das Moment des „Archetypischen“ bei Eliade hervor, spricht vom „powrót do archetypu“. Vgl. auch die Kategorie des Archetypischen bei

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Skwarek 1976. 19 Lachmanns Betonung der „Dezentrierung“ zeigt allerdings, dass sie von keinem einfachen archetypischen Denken im Werk Schulz‘ ausgeht. 20 Auch Eliade (1988:88-89) betont: „Mais le Christ viendra et purifera le Monde par le feu (…) Le feu destructeur est attesté une seule fois dans le Nouveu Testament, dans la deuxième Epître de Pierre (III, 6-14). Mais il constitue un élément important dans les Oracles Sibyllins, le stoïcisme et la littérature chrétienne postérieure. Il est probablement d’origine iranienne.“ Am Ende des Kapitels bringt Eliade diesen Bestandteil der christlichen Mythologie mit der Tendenz der „modernen Kunst“ in Verbindung alle bisherige Kunst zu vernichten. Sie wolle „faire tabula rasa de toute l’histoire de la peinture“ und „recommencer à zéro“ (a. a. O., 96). Später, unter der Überschrift „survivances du mythe eschatolgique“, erwähnt Eliade das Werk Merežkovskijs, v. a. dessen Konzeption des „dritten Testaments“ (a. a. O., 222). 21 A. a. O., 43. 22 A. a. O., 42. Diese Differenz wird an anderer Stelle als diejenige zwischen dem als Objekt der Psychoanalyse geeigneten „Traum“ und der für die phänomenologische Topo-Analyse geeignete „Träumerei“ beschrieben (a. a. O., 59). 23 Dies obwohl seine Formulierungen – genauso wie der unsägliche, seinerseits mythisierende Kurzschluss der drei ‚großen Genres‘ Epik, Lyrik und Drama jeweils mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Cassirer 1985: 108) – alles andere als Ewigkeitswert genießen. Zu anderen Mythisierungen der drei ‚großen‘ Genres, etwa bei Goethe, vgl. Meyer 1995. 24 Der letzte Satz lässt eine deutliche diachrone Komponente erkennen, und zwar ganz nach dem Muster des zivilisatorisch-kolonialen Fortschrittsdenkens, gemäß dessen die „Kulturvölker“ die „Naturvölker“ besiegen müssen (vgl. Cassirers Aufsatz „Form und Technik“). Vgl. auch Graevenitz’ (1987) Demaskierung des (seinerseits mythischen und außerdem latent kolonialen) Forschrittsdenkens (und anderer für mit der Analyse des Mythos inkommensurablen ‚Ideen‘) hinter zahlreichen Ausformungen der „Denkgewohnheit Mythos“. Besonders hart geht Graevenitz in diesem Zusammenhang mit Blumenberg (1979) ins Gericht. 25 Dies betrifft auch die Arbeit mit dem Raum (przestrzeń), der in der Schulz’schen Prosa immer wieder thematisiert wird, z. B. in „Wiosna“: „zagubieni i zdezorientowani w pustych p r z e s t r z e n i a c h atmosfery“, „w zamyśleniu dalekiego szumu gwiazd, którym rosły jak na drożdżach p r z e s t r z e n i e tej nocy“ (Schulz 1989:135, 136; meine Hervorhebung). Vgl. auch am Ende von „Księga“: „te pogubione srebrne ślady bosych nóg anielskich, rozsiane ogromnymi krokami po naszych dniach i nocach“ (a. a. O., 119). 26 Vgl. z. B. den letzten Satz des ersten Abschnittes von „Wiosna“: „Dlatego będzie ta historia, wzorem tego tekstu, ciągnęła się na wielu rozgałęzionych torach i cała przetykana będzie wiosennymi myślnikami, westchnienami i wielokropami.“ (Schulz 1989:135). Dem deutschen Übersetzer war dies wohl zuviel des Manierismus bzw. zu wenig an Authentizität, denn aus den Schulz’schen „myślnikami, westchnienami i wielokropami“ (Gedankenstriche, Seufzer und Auslassungspunkte) machte er sinnentstellend und glättend „Gedanken, Seufzer und Gedankenstriche“ (Schulz 1992/I:131). Die Sinnentstellung ist hier deshalb so gravierend, weil die ikonische (Re)Präsentation – d. h. das ‚Einkreisen‘ – der „Seufzer“ zwischen den in Wörter/Worte übersetzten „Gedankenstrichen“ und „Auslassungspunkten“ ein wesentlicher Teil der signifikativen Konfiguration an dieser Stelle ist. Vgl. in diesem Zusammenhang die Formulierung am Anfang des Abschnittes: „wiosny, która po prostu wzięła serio swój tekst dosłowny“ (Schulz 1989:133). Vgl. auch meine Ausführungen zur jüdischen Verschriftlichung vs. pneumatisch-christlicher Vergeistigung im letzten Abschnitt. 27 Vgl. dazu Graevenitz 1987:113ff., sowie Anm. 6 dazu. 28 Zitiert in Derrida 1993c:13. 29 Derrida fragt grundsätzlich: „Une telle logique du mythe existe sans doute, mais notre

question revient: la pensée de khôra, qui ne relève évidemment pas la ‚logique de non-contradiction des philosophes‘, appartient-elle pour autant à l’espace de la pensée mythique? Le logos ‚bâtard‘ qui règle sur elle, est-ce encore un mythos?“ (a. a. O., 38) und fragt bezüglich der Differenz Form-Inhalt: „si khôra n’a pas de sens ou d’essence, si ce n’est pas un philosophème et si pourtant elle n’est ni l’objet ni la forme d’un récit fabuleux de type mythique, où la situer dans ce schéma?“ (a. a. O., 43). Er geht dann zur von Platon verwendeten Metaphorik des Abgrunds über, und spricht von der Rede über den Chora-Mythos als einem mise-en-abyme. Zur mit der „nomadischen Wissenschaft“ verwandten Philosophie des Werdens bzw. des „Ungleichen“ im Timaios vgl. auch Deleuze/Guattaris (1992:508) Ausführungen: „Es geht hier nicht mehr darum, Konstanten aus Variablen abzuleiten, sondern darum, die Variablen selber in einen Zustand kontinuierlicher Variation zu versetzen.“ 30 „Mit należy do sfery sacrum, ma wspólne źródło z religią (…) Mit jest tworem kolektywnym, wszakże zróżnicowanym etnicznie. Na tym poglądzie ciążyła pozytywistyczna myśl H. Taine’a o determinantach rasy i śródowiska. Kontynuowali ją w modernizmie Przybyszewski i Przesmycki (Miriam). Pierwszy mówił za Platonem o anamnezie, drugi – za Maeterlinckiem – o architypie“ (a. a. O., 639). Von einem „privaten Mythos“ gehen auch Korecki 1981 und Skwarek 1976 aus. 31 Würde man an diesem Punkt mit der Diskursanalyse ansetzen, so müsste man wohl eher davon ausgehen, dass sich bestimmte Diskurse der „Denkgewohnheit“ Mythos zu ihren eigenen Zwecken bedienen. 32 Vgl. Schulz’ (1992/II:231ff.) Wierzyński-Rezension, in der es um Mythos und Mysterium geht. Kuźma (1993:642) verweist auf die ungewöhnlich Kombination des ‚individuellen Mythos‘ mit dem Einsatz der Piłsudski-Legende bei Schulz. 33 Vgl. Genette 1993. 34 „Gegen Kafkas Bildasketismus bietet Schulz seine ikonodulische Phantasie auf. Aber immer wieder gibt es auch Beweise dafür, dass der Autor sich mit dem Über-Vater Kafka bis zur Stufe der imitatio identifizieren kann (z. B. Samotność). Der Text, der, so gelesen, den Kampf mit und gegen Kafka (den Vater), d. h. den Kampf für die eigene origo, vorführt, läßt die Intertextualität selbst zum Thema werden“ (Lachmann 1992:456). Auf derselben Seite spricht Lachmann auch vom „Über-Autor“. 35 Ähnliche Probleme tauchen in der Kafkaforschung auf, z. B. zuletzt bei der dankenswerterweise materialreichen, aber leider ahistorischen Studie von Grötzinger (1992) oder der zwar historisch angelegten, aber nur die politisch-sozialen Geschichte berücksichtigenden (d. h. die literarische Diachronie völlig außer acht lassenden) Abhandlung von Wambach 1993. Keiner der beiden Arbeiten erwähnen mit auch nur einem Wort das Problem des Messias, und das trotz der Tatsache, dass Grötzinger das Problem des Gerichtes und des Gesetzes (v. a. im Proceß-Roman) zum Hauptthema seiner Arbeit macht und den Anspruch erhebt, über „das Jüdische in Werk und Denken Franz Kafkas“ insgesamt zu schreiben. 36 Kafka 1983:299. 37 Deleuze/Guattari 1976:60. 38 A. a. O. 70. 39 Diesen Ansatz soll man nicht mit der ihm entgegengesetzten ‚phänomenologischen‘ „Topo-Analyse“ Bachelards verwechseln. 40 „Im Prozeß erreicht diese topographische Perfektion gewiß einen höheren Grad als im Schloß.“ A. a. O., 108. 41 A. a. O., 81. Im System des Anti-Ödipus-Projekts ist die Reterritorialisierung mit der Paranoia, die Deterritorialisierung mit der Schizophrenie verbunden. 42 A. a. O., 102.

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43 „Kafkas Problem war dasselbe, denn es ging ja auch ihm, wenngleich mit ganz anderen Mitteln, um die Sprache, die Architektur, die Bürokratie und die Fluchtlinien.“ A. a. O., 105. 44 Vgl. dazu Deleuze/Guattari (1992:61): „Gott ist ein Hummer oder eine Doppelzange, ein double bind.“ 45 Schulz 1992/I:296; 1994:297. Lachmann (1992:449) verweist auf wichtige Differenzen in den Verwandlungsstrategien: „Anders als die Verwandlung in Kafkas Erzählung, die als ein einmaliger Prozeß (!) mit entsprechenden Konsequenzen für die veränderten Lebensumstände und familiären Bindungen akribisch beschrieben und mit subtiler, fiktiv-logischer Argumentation begründet wird, ist die Verwandlung bei Schulz ein poetisches Ereignis, das sich alltagslogisch nicht legitimieren muß, und sie tritt nicht als einmaliges Ereignis auf. Die Schulz’sche Verwandlung ist ein Polymetamorphose, sie ereignet ich vielfach und bedient sich vieler Gestalten.“ 46 Vgl. dazu Hansen-Löve 1995. 47 Man könnte auch von der Postavantgarde, in gewisser Weise auch von der Postmoderne sprechen. 48 Vgl. Siegerts (1990:227) explizit im Anschluss an Deleuze/Guattari formulierten Ausführungen zu Kafkas Einsatz des Jiddischen als „Kartographie der Zerstreuung“: „Es schreibt die Zerstreuung ein in ein Sprechen und zerstreut umgekehrt den Körper des Sprechers in eine Geographie der Intensitäten.“ Siegert knüpft auch direkt an die Konzeption des ‚Nomadentums‘ bei Deleuze an, und konstatiert, dass es sich hier um eine „Bewegung ohne Vergangenheit und Zukunft“ handelt, und dass die Sprache dieser Bewegung „die subjektlose Passion des nomadischen Volkes kartographiert“ (a. a. O., 226). Siegert bringt diesen ‚Sprachgebrauch‘ unmittelbar mit der Reaktion auf die Assimilierung des Vaters in Verbindung: „Ausgerechnet die Unfähigkeit der Sprachverwendung, den Boden des eigenen Subjekts zu begründen, führt Kafka als Begründung einer Literatur an.“ (a. a. O., 232). 49 Diese Position wird am deutlichsten Formuliert im Brief an Andrzej Pleśniewicz vom 4.2.1936: „…es scheint mir, daß jene Art von Kunst, wie sie mir am Herzen liegt, eben ein Rückzug (regresja), wiedergekehrte Kindheit ist. Wenn es möglich wäre, die Entwicklung rückläufig zu machen, durch einen Umweg die Kindheit wiederholt einzufangen, noch einmal deren Fülle und Maßlosigkeit zu besitzen – dann wäre das die Erfüllung der ‚genialen Epoche‘, der ‚messianischen Zeiten‘, die uns von allen Mythologien versprochen und verheißen werden.“ (Schulz 1992/II:107). 50 Man denke hier an Chlebnikovs ironischen Entwurf der Rolle eines „Vorsitzenden des Erdballs“ bzw. des „Königs der Zeit“. 51 Vgl. auch den ‚untoten‘ Zustand des Vaters in „Sanatorium pod klepsydrą“. 52 Radikal im Sinne der grundlegenden Subversivität, antiradikal im Sinne einer Ablehnung der Wurzelmetaphorik (radix), die dem Lexem ‚radikal‘ zugrunde liegt, denn der archetypische Baum mit seinen ‚taxonomischen‘ Abzweigungen soll durch das ‚Rhizom‘-‚Modell‘ ersetzt werden, nach dem jeder Punkt mit jedem anderen verbindbar ist. Das Baum- bzw. Wurzelmythologem wird nicht zufällig sowohl von sowjetischen, nazistischen als auch amerikanisch-kapitalistischen Ikonographien massiv eingesetzt, und kann übrigens als Realisierung der mythisch-archetypischen Reterritorialisierung betrachtet werden. 53 Deleuze/Guattari 1992:171. Kursiv der Autoren. 54 Schulz 1989:207. 55 Cohen 1924:281 (meine Hervorhebung). Der hier zitierte Aufsatz heißt „Charakteristik der Ethik Maimunis“. 56 A. a. O., 173. Hier zitiere ich aus dem Aufsatz „Das Gottesreich“. 57 „Każdy fragment rzeczywistości żyje dzięki temu, że ma udział w jakimś s e n s i e uniwersalnym“ (Schulz 1989:365; Hervorhebung des Autors). 58 A. a. O., 366 (Hervorhebung des Autors).

59 Im Abschnitt „Eschatologie et cosmogonie“ des Standardwerkes Aspecte du Mythe von Eliade (1988:74ff.) wird das grundsätzliche Spezifikum der jüdischen Konzeptionen gegenüber den christlichen kaum erwähnt. Vielmehr werden sie aus dasselbe Prinzip zurückgeführt: „Pour les Juifs, l’arrivée du Messie annoncera la Fin du Monde et la restauration du Paradis. Pour le chrétiens, la Fin du Monde précédera le deuxième venue du Christ et le Jugement dernier. Mais pour les uns comme pour les autres le triomphe de l’Histoire Sainte – rendu manifeste par la Fin du Monde – implique en quelque sorte la restauration du Paradis“ (a. a. O., 87). Die einschränkende Phrase „en quelque sorte“ m Ende der Passage entlarvt den strukturalistisch-nivellierenden Charakter der Darstellung. 60 Cohen betont immer wieder, so im Aufsatz „Charakteristik der Ethik Maimunis“, dass die jüdische messianische Position in ihrem scharfen Gegensatz zur christlichen immer wieder präzisiert wurde, und zwar gegen jedweden Eudaimonismus und jedwede mythische Jenseitigkeit. 61 Brown (1991:27) geht zwar in die richtige Richtung, macht aber lange vor dem Ziel halt, wenn er eine Passage aus „Mityzacja rzeczywistości“ folgendermaßen kommentiert: „Schulz’s work is a conscious reconstruction of mythology, is mythopoesis, which he sees as the purpose of all (modern) writing. Analogous to the particular myths he chose to cluster around the story of his early life with his father and the lost Book, the method itself is one of search for the original, a recovery of lost values. It should be noted that in the actual treatment of mythic materials connected with the father that have been presented here, there is a final pessimism, even despair, which is not reflected in the enthusiastic essay on the uses of myth…“. Da Brown über eine primitive Axiologie nicht hinauskommt („lost values“, „pessimism“), ist er nicht in der Lage, Schulz’ hypertrophe und sehr reflektierten Strategien in der Arbeit mit dem Mythos zu erfassen. 62 „Genialna epoka“ wurde zum ersten mal in der 13. Nummer des Jahrgangs 1934 der Zeitschrift Wiadomości literackie veröffentlicht. 63 Der Brief ist nicht erhalten. Sein Inhalt wurde aber von J. Fickowski aus anderen Quellen eruiert und in einer Anmerkung zu dieser Stelle zusammengefasst. 64 A. a. O., 416-417; meine Hervorhebung. 65 Schulz 1992/II:38. 66 Vgl. im Brief an Tuwim: „Pewne wiersze Pańskie doprowadzały mnie wówczas do rozpaczy z bezradnego podziwu. “. 67 A. a. O., 236; meine Hervorhebung. 68 Vgl. die Differenz zwischen diesem christlich-symbolischen Viereck und der Zerstreuung des Lichtes nach der Konzeption des Zimzum und Tikkun. 69 A. a. O.; meine Hervorhebung. 70 Diese Metapher, die Derridas Buch zur kreisförmigen Ökonomie und der Möglichkeit ihrer Unterbrechung in der Form der ‚Gabe‘ (1993d) seinen Titel verleiht, ist für Schulz’ (anti)radikale Infragestellung der Authentizität recht passend. Man könnte sogar die mit einem Diebstahl endende Erzählung „Genialna epoka“ (nicht zuletzt im Kontext des ökonomischen Diskurses im ganzen Zyklus) als Pendant zum um das Schenken einer falschen Goldmünze kreisenden Text Baudelaires „La fausse monnaie“ auffassen, die den Ausgangspunkt des Derridaschen Textes bildet (besonders dann, wenn man Poes „Purloined Letter“ dazwischenschaltet, was Derrida [a. a. O., 140, 164 u. a.] ebenfalls tut). Man denke im Hinblick auf Schulz’ Arbeit mit dem Messias und dem Mythos an einen der Kernsätze in Baudelaires Text: „il n’est pas de plaisir plus doux que de surprendre un homme en lui donnant plus qu’il n’espère“. Vgl. auch Derridas Bemerkungen zu der Repräsentation des Handels: „Der Tabakladen repräsentiert noch die moderne Form des Handels [mit dem Rauchen – H.M.], jedenfalls im Einzelverkauf und in einer modernen französischen Stadt“ (a. a. O., 146).

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71 Zu einer anderen Besetzung der Mystik vgl. die Ausführungen zur Goetheschen Farbenlehre bei Graevenitz (1987:37ff.). Graevenitz analysiert Goethes Deutungstrias ‚allegorisch-symbolisch-mystisch‘ vor dem Hintergrund der Zeichenlehre des Heiligen Augustinus und Giordano Bruno und kommt zu dem Schluss, dass die bereits bei Augustinus beschriebene und problematisierte Differenzen (bzw. Übergänge) zwischen significatio und vox und zwischen res und significatio divina hier wiederzufinden sind. In einem weiteren Schritt bringt Graevenitz die bei Goethe postulierten und mit dem Mystischen in Verbindung gebrachten „Urverhältnisse“ mit der „Urgottheit“ bei Pseudo-Dionysius kurzgeschlossen, was zu einer Ähnlichkeit deren beiden Konzeption der unia mystica führt. Für Graevenitz ist diese Vorstellung der Mystik ein Teilgebiet eines Sonderfalls der „Denkgewohnheit Mythos“, wird also zwar im Hinblick auf die Wichtigkeit der Patristik für die neuzeitliche bzw. moderne Mythenüberlieferung eingeordnet – was für die Historisierung der Mythenvorstellung von ungeheurer Wichtigkeit ist –, figuriert aber nicht in einer global-religionshistorischen Konzeption (wie etwa bei Scholem). 72 A. a. O., 128. 73 Scholem 1993:8-9. 74 Hier könnte man an den von I. Smirnov beschriebenen Gegensatz zwischen der mythischen und der folkloristischen Sichtweise denken, bei der das Mythische alle Gegensätze in einer Einheit auflösen will, während sich die Formation der Folklore diesem wiedersetzt, und überall Konflikte und Gegensätze einbaut. 75 Man denke an die von Hansen-Löve (1989:386; 1991:184) im Rahmen des Symbolismus besprochene Kategorie des „horror antiquus“. 76 Vgl. das Wortspiel „Fallen-Falle-Fall“ in P. Urbans deutschen Übersetzungen der Prosa von D. Charms. Wie weiter unten erläutert wird, ist dieser ‚Fall‘ (slučaj) nicht zufällig auch für B. Schulz relevant. 77 Kijowska (1991:38) hebt die analoge Vaterbeziehung der beiden Autoren in einer Reihe von biographischen Parallelen hervor: „Die Koordinaten der Kafkaschen Biographie – die jüdische Abstammung, d a s z w i s c h e n F a s z i n a t i o n u n d A b l e h n u n g o s z i l l i e r e n d e V e r h ä l t n i s z u m V a t e r , die mehrmalige Ver- und Entlobung, die Angst vor den Zwängen bürgerlicher Daseinskonventionen, die existentielle Hingabe an die Literatur, schließlich die erst späte Anerkennung und der frühe Tod – lassen sich bei Schulz mit verblüffender Exaktheit nachzeichnen.“ Beim biographischen Vaterverhältnis müsste man allerdings differenzieren: Während Kafka seinen übermächtigen, arrivierten und assimilierten Vater bekämpft, war Schulz’ Vater seit dessen 18. Lebensjahr so krank, dass er sein Geschäft auflösen musste und seit dessen 23. Lebensjahr tot. Er war aber insofern relativ assimiliert, als zuhause polnisch gesprochen wurde und, wie Jastrzębski (1989: VI) es ausdrückt: „niezbyt pilnie przykładano się do tradycyjnych obrzędów religii mojżeszowej.“ Zum Bild des Vaters schreibt Lachmann (1992:450): „Der Vater, verwandlungsanfällige Schwundfigur, ist auch jüdischer Tuchhändler in der galizischen Kleinstadt Drohobycz, als solcher aber Ekstatiker, der im Rausch auf einen Tuch- und Seidenballen tanzt; er ist Demiurg, Heresiarch, Prophet, Masochist, er ist Patient und zu guter Letzt Alchemist“, was man wahrlich nicht vom Kafkaschen Vaterbild sagen kann. 78 Es wäre interessant in diesem Zusammenhang, die Gleichsetzung Stirners mit Cervantes’ Sancho Pansa mit dem Kafkaschen Abschnitt „Die Wahrheit über Sancho Pansa“ zu vergleichen. 79 Vgl. dazu auch Schönle 1994. 80 Zum „Spuk(en)“ bei Max Stirner, Karl Marx und Sigmund Freud vgl. Derrida (1993a: 260), der vom Marxschen Satz (aus dem Anfang des Kapitals) ausgeht: „Alle Mystizismus der Warenwelt, all der Zauber und Spuk, welcher Arbeitsprodukte auf Grundlage der Warenproduktion umnebelt, verschwindet daher sofort, sobald wir zu anderen

Produktionsformen flüchten.“ Dazu Derrida: „Par l’expression ‚brume fantomatique‘, la traduction récente que nous citons marque bien la référence littérale au revenant (Spuk), là où tant de traductions antérieures l’effaçaient régulièrement. Il faut souligner aussi l’immédiateté instantanée avec laquelle, Marx voudrait du moins le croire ou nous le faire croire, le mysticisme, la sorcellerie et le revenant disparaîent: ils s’évanouiront (indicatif), ils s dissiperont en vérité, selon lui, comme par enchantement, comme ils étaient venus, selon lui, c o m m e p a r e n c h a n t e m e n t , c o m m e i l s é t a i e n t v e n u s , à la seconde même où l’on verra(it) la fin de la production marchande. À supposer même, avec Marx, que celle-ci ait jamais une fin possible. Marx dit bien: ‚des que‘, sobald, et c o m m e t o u j o u r s , i l p a r l e d e l a d i s p a r i t i o n à v e n i r d u f a n t ô m e , du fétiche et de la religion comme d’apparitions nuageuses. Tout est voilé de brumes, tout est enveloppé de nuages (umnebelt), à commencer par la vérité. Nuages dans la nuit froide, paysage ou décor de Hamlet à l’apparition du ghost (‚It is past midnight, bitterly cold, and dark except for the faint light of the stars‘).“ (meine Hervorhebung) Derrida deutet hier ein Moment an, auf das er einige Seiten später explizit eingeht: Die messianischen Denkfiguren sind auch an dieser Stelle bei Marx unverkennbar. Zu Marx und Messianismus vgl. auch Kołakowski 1979, sowie das Wort des marxistischen Benjamin (1991:694) von der „schwachen messianischen Kraft“ (Kursiv des Autors) in der Geschichte, sowie den letzten Satz der Schrift „Über den Begriff der Geschichte“: „Die Jetztzeit, die als Modell der messianischen in einer ungeheueren Abbreviatur die Geschichte der ganzen Menschheit zusammenfaßt, fällt haarscharf mit der Figur zusammen, die die Geschichte der Menschheit im Universum macht.“ (a. a. O., 703). Noch deutlicher ist Benjamin in Stellen, die in die kanonische Version nicht aufgenommen wurden, z. B. „Marx hat in der Vorstellung der klassenlosen Gesellschaft die Vorstellung der messianischen Zeit säkularisiert. Und das war gut so.“ (a. a. O., 1231) und „ ??? 81 Derrida 1992:65 (meine Hervorhebung). Die Phrase „mais si“ in La Carte Postale ist ein sich durch das ganze Buch hinziehendes Wortspiel: „mais si“ ist gleichlautend mit dem Begriff „Méssie“ (der Messias). 82 Kafka 1992:58. 83 Charms 1992:110. Übersetzung von P. Urban. 84 Kafka 1992:56-57. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Derridas (1994:83) im Zusammenhang mit dem Judentum formulierten Bemerkungen zum „Paradox der différance“: „Auf der einen Seite wird die différance von einem Wunsch, einer Bewegung, einer Strebung bewegt, die auf einen Ursprung zielt, der ohne Unterlaß verzögert wird, auf eine Zukunft oder eine Vergangenheit, auf ein eschaton, das das Äußerste, das Letzte bedeutet (‚eschatologisch‘ meint dasjenige, was die Qualität des Letzten besitzt), zugleich aber versperrt die différance gewissermaßen den Ursprung. Das Äußerste ist folglich weder Ende noch Ursprung. Der natürlich etwas ironische Satz ‚ich bin der letzte der Eschatologen‘ wie ‚ich bin der letzte der Juden‘ bedeutet, ich bin der letzte der Letzten. D a s h e i ß t , i c h b i n d e r A l l e r l e t z t e , a l s o d e r a m w e n i g s t e n L e t z t e . Es gibt keine Letzten. Ebensowenig wie einen Ersten, einen Ursprung.“ (meine Hervorhebung). 85 A. a. O., 57. 86 A. a. O., 56. Die fehlende Kommasetzung nach „gestellt“ und „rufen“ ist im Original so überliefert. 87 Zwischen der ersten und zweiten Stelle befindet sich die Notiz „stürmische Nacht, vormittag Telegramm von Max, Waffenstillstand mit Rußland“, a. a. O., 56. 88 Der Vater ist wohl der mit Großbuchstaben geschriebene „Er“ in der Notiz, die unmittelbar vor der „Kurier„-Eintragung steht: „Das Wort ‚sein‘ bedeutet im Deutschen beides: Dasein und Ihm-Gehören.“, a. a. O. 89 Auch wenn Schulz, wie Fickowski behauptet, lediglich die Übersetzung seiner Verlobten

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korrigierte, wären seine Kenntnisse des Textes nicht minder tief. Vgl. dazu Prokopównas (1985:93) Meinung, der ich mich anschließe: „Zatem: przełożył Proces czy jedynie szlifował pracę narzeczonej? Kwestia ta – jak sądzimy – pozostaje nie wyjaśniona do końca, otwarta. Jaką zresztą wartość dla historyka literatury może mieć rozstrzygnięcie tego sporu? I – gdzież szukać po latach dowodów i argumentów w tej sprawie? Ważniejszy jest przecież fakt, iż tłumaczenie powieści opatrzył Schulz własnym komentarzem, w którym zdeklarował się jako entuzjasta Kafki.“ 90 Damit trägt er Züge des „Ewigen Juden“. Dabei ist die widersprüchliche Logik des Ahasverus einzukalkulieren, der gleichzeitig als Vater und als Sohn Christi agiert. Vgl. dazu Isaac-Edersheim (1986: 205): „Within the Wandering Jew wanders the father-god rejected by the young generation.“ Zu Kafka und Ahasverus vgl. Wambach 1993. 91 „Schulz dal egzegezę metafizyczną o odcieniu religyjnym“ (124); „Dla Schulza Proces stanowił dokument religijnego doświadczenia, dociekania religijnego sensu rzeczy, zagłębiania ‚ukrytego życia‘, penetrowania tych regionów, gdzie ‚życie ludzkie styka się z bytem Boskim‘. Kategorie Boskie i kategorie ludzkie okazują się niewspółmierne, ich zetknięcie unaocznia inkongruencję sfer, jakie wyznaczają.“ (125-126). 92 Vgl. dazu Lindenbaum (1994:67): „Od dzieczyństwa rysował postać Mesjasza, dni mesjaszowe. Okazuje się, że był to też temat opowieści Mesjasza, którą kontynuował w czasie wojny i w getcie. Słuchacze, którym czytał fragmenty tej opowieści, mówią, że była tam ‚mowa o tym, jak to ludzie podawali sobie z ust do ust radosną wieść, że oto Mesjasz nadchodzi i jest już o trzydzieści zaledwie kilometrów od Drohobycza.‘“ (das Zitat stammt von J. Fickowski, Regiony wielkiej herezji. Szkice o życiu i twórczości Brunona Schulza, Kraków 1975, S.267). 93 Schulz 1989:128. 94 Auch dies eine Gemeinsamkeit mit Obėriu – vgl. das absurde Verschwinden in Vvedenskijs Elka u Ivanovych bzw. die Absurdität der Geheimpolizei in Charms’ Elizaveta Bam. Zum absurden Einsatz des Kindlichen vgl. Deleuze 1993. 95 „Już w czasie drugiej świątyni Pascha była świętem oczekiwania na przyjście Mesjasza“ (Lindenbaum 1994:54). Vgl. dazu die konkrete Analyse weiter unten. 96 Lindenbaum 1994:43. 97 Ich folge in meiner Darstellung Scholem 1995 147ff. Vgl. dort für viele Details, die hier aus Platzgründen weggelassen werden mussten. 98 A. a. O., 149. 99 A. a. O., 150-151. 100 Zitiert in Panas 1994:126. 101 A. a. O., 124. 102 A. a. O., 138. 103 Für eine Konzeption der ‚Realisierung‘, die u. a. aufgrund der Berücksichtigung der Verbildlichung für Schulz relevant ist, vgl. Meyer 1994. 104 Schulz 1994:318. Das Wort „wędrówka“ kommt zweimal im Absatz vor. Der erste Satz lautet: „Nie na tym jednak miała się zakończyć z i e m s k a wę d r ó w k a mego ojca“ 105 Panas 1994: 122. 106 A. a. O., 123. 107 „Obecność inspiracji kabbalistycznej, pokrewieństw, analogii, obrazów, toposów, archetypów“ (a. a. O., 127). 108 „Pora ujawnić największą z tajemnic kabalistyki Brunona Schulza“ (a. a. O.). 109 „Jaką (…) musi mieć moc opowieść o samym Mesjaszu? Taka powieść o przybyciu Mesjasza może sprowadzić Mesjasza. Kabala zna ten problem. To niebezpieczeństwo pseudomesjanizmu. Otwiera przestrzeń ambiwalencji. Myśl i wyobraźnia Schulza dochodzi do tej granicy. (…) Wydaje się, iż Schulz pamięta, że intensywny mesjanizm ma także swój

niebezpieczny wymiar.“ (a. a. O., 128) 110 Der letzte Satz des Panas’schen Aufsatzes lautet: „Proces tikkun jeszcze się nie zakończył“ (a. a. O.). Es ist wohl nicht davon auszugehen, dass hier auf Kafkas Proce(s/ß) angespielt wird. 111 Eine gewisse Analogie wäre in Malevičs avantgardistischer Uminterpretierung der Ikonenmalierei zu sehen. 112 Vgl. in diesem Zusammenhang das bereits referierte (vgl. Anm. weiter oben) Thema des nicht überlieferten Messias-Textes: „oto Mesjasz nadchodzi i jest już o trzydzieści zaledwie kilometrów od Drohobycza“ (Lindenbaum 1994:67). 113 Panas (1994:115) betont im Zusammenhang mit dem Messias: „…przecież tu przebiega zasadnicza różnica między judaizmem i chrześcijaństwem“. Er spricht aber selber vom Kommen des Messias als „rzeczywistość apokaliptyczna i eschatologiczna“ (a. a. O., 123), was eher aus dem christlichen Begriffsregister stammt. 114 Schulz 1989:118. 115 Vgl. hier den Kurzschluss des metaphysischen mit dem ökonomischen Diskurs, was auf die ökonomischen Grundbedingungen der Zyklen verweist und damit eine Anspielung auf jene Verbindung zwischen dem Messianismus und der ökonomischen Erlösung darstellt, wie die etwa im Marxismus zu finden ist (vgl. meine Bemerkungen im ersten Abschnitt zu Derridas Spectres de Marx). 116 A. a. O., 118-119. 117 A. a. O., 120. 118 Die Übersetzung „Ist also die geniale Epoche gelungen oder nicht gelungen?“ (Schulz 1992/I:117) scheint ganz besonders unglücklich zu sein, denn die ganze philosophische – und für den Anfang von „Genialna epoka“ überaus relevante – Tragweite des „zdarzenie“, „Ereignis“, geht damit unter. Der Übersetzer scheint nicht das Verb „zdarzyć się“, sondern „zdążyć´“ im Sinne von „Zdążył przed mrokiem do domu“ zu übertragen. Dabei wird das Wort „zdarzenie“ in „Genialna epoka“ als „Ereignis“ übersetzt (z. B. „Czyżby czas był za ciasny dla wszystkich z d a r z eń?“ (Schulz 1989:120; meine Hervorhebung); „War die Zeit zu eng für alle E r e i g n i s s e ?“ (Schulz 1992/I:118; meine Hervorhebung). 119 A. a. O., 117. 120 Auch so kann man den letzten Satz von „Księga“ lesen: „W i m ię B o ż e t edy – wsiadamy i odjazd!“ (Schulz 1989: 120; meine Hervorhebung). 121 Zum Namen in der negativen Theologie und der Mythologie vgl. Derrida 1993b; 1993c. 122 In diesem Zusammenhang sind die offensichtlichen Zitate – etwa der „Verwandlung“ in „Ostatnia ucieczka ojca“ in gewisser Weise als Ablenkungsmanöver zu bewerten. Zur „anxiety of influence“ im Verhältnis Kafka-Schulz ??? 123 Obwohl explizit gesagt wird, dass der Vater „był teraz rakiem czy wielkim skorpionem“ (Schulz 1994:297), bringt Panas die von ihm selbst angeführte Stelle aus dem Talmud („Troje przychodzi niespodzienie: Mesjasz, rzecz znalezion i skorpion“) nicht damit in Verbindung. Es handelt sich übriges hier um Panas’ einziges direktes Zitat aus den Schriften Scholems, das bezeichnenderweise auch für Scholem ein ‚fremdes Wort‘ ist. 124 Vgl. auch „kapitał“ und ähnliche Begriffe im weiter oben zitierten Abschnitt aus „Księga“. 125 Zur Eisenbahn bei Schulz vgl. Robertson 1994. 126 Da ein ‚ślepy tor‘ als eine geschlossene Bahn definiert wird, von der es keine Ausfahrt gibt, da sie auf einem Ende abgesperrt ist oder überhaupt aufhört, haben wir hier mit einem Oxymoron zu tun: man kann auf einem „blinden Gleis“ nicht fahren. Vgl. auch die Bemerkung von Deleuze/Guattari (1992: 25): „Von einer Karte oder einem Rhizom reproduziert die Kopie nur die Sackgassen und Blockierungen.“ 127 Schulz 1989:120. 128 Zur Verkettung in der Narrativik vgl. u. a. Lyotard 1983. Jean-François Lyotard, Le

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différend, Paris 1983. Vgl. Luhmanns Zusammenfassung dieser Position in Luhmann/Fuchs 1992, 10: „…jede Operation, bei ihm ‚phrase‘, erzeugt einen ‚différend‘. Die Operation selbst ist nur Ereignis. Sie ist nur möglich in Verkettung (enchaînement) mit anderen Operationen desselben Typs, also nur dank einer rekursiven Vernetzung in einem Zusammenhang mehrerer phrases. Diese Verkettung kann nur selektiv erfolgen, produziert also immer andere Möglichkeiten mit, die sie dann mit dem, was folgt, außer acht läßt. Sie erzeugt Opfer (victimes). Dafür gibt es regulative Ordnungen – régimes de phrases und genres de discours. Keine dieser Ordnungen kann die eigene prozessuale Selektivität vermeiden, jede legt den sie ermöglichenden Schnitt in die Welt, jede opfert auf ihre Weise, jede lebt von je ihrem différend.“ 129 A. a. O. 130 Damit wären wir bei der Frage des „Falschgeldes“, das in der Anmerkung 70 weiter oben besprochen wurde. 131 Ebenso negativ ist der literarische Vater Kafka anwesend, denn die sprühende Bildproduktion ist ein Paradebeispiel der Schulz’schen „ikonodulischen Phantasie“, die er gegen „Kafkas Bildasketismus“ aufbietet (Lachmann 1992:456). 132 „Spieszcie się, nabierajcie pełne wiadra tej obfitości, gromadźcie zapasy!“ (Schulz 1989:123). 133 Lindenbaum (1994:40-41) verweist auf den in Platons Timaios enthaltenen Vergleich zwischen dem Demiurg und dem Maler, und bringt diese Position mit derjenigen der jüdischen Bibelexegese (Hagda, Midrasch) in Verbindung, nach der Gott die Welt nicht nach den Ideen, sondern nach der bereits vor der Schöpfung existierenden Tora geschaffen hat. Aus dies eine ausgesprochen semiotische und diesseitige (d. h. zwar mystische, aber nicht mythische) Einstellung, die auf die Analyse der Malergestalt bei Schulz angewandt werden kann. 134 Schulz 1989:125. 135 A. a. O., 123. Hier taucht ein Teil des Titels doch im Text auf. Wenn man von der Ersetzung von „epoka“ durch „grzymoły“ ausgeht, so könnte man von einer vollständigen Verschriftlichung und Verräumlichung, also einer Vernichtung der Zeit in Schrift sprechen. 136 „Powódź obrazów ospokoiła się nieco, wlew wizyj złagodniał i ucichł“ (a. a. O., 127) 137 Weiter oben in Anm. 3 wurde Lachmanns Wort von der „Zersetzung des Symbolbegriffs“ bei Schulz bereits referiert. 138 Vgl. dazu Lindenbaum 1994:54 und Anm. 95. 139 „Bóg dawał znać przez wstrząs jego nozdrzy, że wiosna nastała“ (Schulz 1989:130). Damit wird der Startschuss zur Erzählung „Wiosna“ abgegeben, die also auch vor ihrem Anfang beginnt. 140 Anhand der Verwendung dieses Begriffs kann man sehen, wie viel von den dramatischen „irruptions sacrales“ von Eliade übriggeblieben sind. 141 Schulz 1989:130. 142 A. a. O. 143 Vgl. dazu Derridas (1979) Ausführungen zu Freud und dem „Schauplatz der Schrift“. 144 Kafkas Pendant dazu: „Gerne würden sie ihrem elenden Leben ein Ende machen, aber sie wagen es nicht wegen des Diensteides.“ 145 Schulz 1989:133. 146 Da im Vergleich Szlomas der Faden vorkommt („uczuł On obcy wątek pod rękami“), könnte man durchaus an eine Assoziation mit dem Seidenhändler-Vater denken. 147 A. a. O., 50. 148 Vgl. in diesem Zusammenhang die Gestalt des Malers Titorelli im Proceß-Roman bei dem sich, wie Deleuze/Guattari an einer oben zitierten Stelle hervorheben, das Gericht unerwarteterweise materialisiert.

149 A. a. O., 40-41. 150 Kafka 1994:461.