Margarete Maultasch und Agnes von Ungarn als Erbtöchter, Ehefrauen und Witwen/Margaret Maultasch...

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VERÖFFENTLICHUNGEN DES TIROLER LANDESARCHIVS BAND 20 HERAUSGEGEBEN VOM TIROLER LANDESARCHIV

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VERÖFFENTLICHUNGEN DES TIROLER LANDESARCHIVSBAND 20

HERAUSGEGEBEN VOM TIROLER LANDESARCHIV

1363–2013

650 Jahre Tirol mit Österreich

Herausgegeben vonChristoph Haidacher und Mark Mersiowsky

Dem Andenken anAo. Univ.-Prof. Dr. Klaus Brandstätter † 23.8.2014

gewidmet

Universitätsverlag Wagner

Für den Inhalt der einzelnen Beiträge sind allein die jeweiligen Verfasser verantwortlich.

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über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-7030-0851-1

Die Drucklegung wurde von folgenden Institutionen unterstützt:

Amt für Kultur der Südtiroler LandesregierungTiroler Geschichtsverein

Umschlagbild: Ausschnitt aus einer Votivtafel in der Basilika Wilten von 1418 (Foto: Christian Forcher)

Umschlaggestaltung und Satz: Karin Berner

© 2015 Universitätsverlag Wagner, Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

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Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Mark MersiowskyDer Weg zum Übergang Tirols an Österreich 1363: Anmerkungen zur Politik im 14. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Julia Hörmann-Thurn und TaxisDie Entscheidung von 1363 oder Macht und Ohnmacht einer Fürstin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

Ellen WidderÜberlegungen zur politischen Wirksamkeit von Frauen im 14. Jahrhundert. Margarete Maultasch und Agnes von Ungarn als Erbtöchter, Ehefrauen und Witwen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

Christian LacknerDie Integration Tirols in den habsburgischen Herrschaftsbereich . . . . . . . . . . . . 135

Klaus Brandstätter †Die Rolle der Hochstifte von Brixen und Trient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

Gustav Pfeifer1363 und der Tiroler Landesadel. Versuch eines Perspektivenwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Gertraud ZeindlHerzog Rudolf IV. als Förderer der Stadt Innsbruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Claudia FellerGeburt, Hochzeit, Krankheit und Tod in Rechnungsaufzeichnungen des Tiroler Adels im Spätmittelalter. . . . . . . . . . . . . . 195

Christoph HaidacherVom Land zur Provinz. Zentrum und Peripherie im Wandel der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Franz-Heinz v. Hye Das „Befreiungsdenkmal“ von 1948 am Landhausplatz in Innsbruck und dessen weitere Gestaltung. Ein Beitrag zum Umgang mit der Zeitgeschichte und ihren Denkmälern in Innsbruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Wendelin WeingartnerWas ist geblieben von der Eigenständigkeit Tirols? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Andreas Oberhofer(K)ein Baustein Tiroler Identität? Zur Rezeption der Ereignisse von 1363 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

Christina AntenhoferDer so genannte „Brautbecher der Margarete Maultasch“ im Blick der kulturgeschichtlichen Fragen zur materiellen Kultur des Spätmittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

Andreas ZajicInschriftenpaläographische Anmerkungen zum sogenannten „Brautbecher der Margarete Maultasch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

Magdalena Hörmann-WeingartnerBild und Missbild – die Porträtdarstellungen der Margarete Maultasch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

Leo AndergassenAspekte des Kunsttransfers zwischen Österreich und Tirol im Spätmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309

Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

6 Inhaltsverzeichnis

* Ich danke meinen studentischen Hilfskräften Jennifer Engelhardt, Walter Gaube und Wilko Kuglersehr herzlich für die Unterstützung.

1 Vgl. Claudia Sporer-Heis, Tyrol goes Austria, in: Tyrol goes Austria. 650 Jahre Tirol bei Österreich. Ausstellungskatalog, hg. von Wolfgang Meighörner (Studiohefte 13), Innsbruck 2013, 6–23.

2 So der Titel einer im Jahre 1995 veranstalteten großen Ausstellung: Eines Fürsten Traum. Meinhard II. Das Werden Tirols. Ausstellungskatalog, Dorf Tirol, Innsbruck 21995.

3 Vgl. dazu Julia Hörmann-Thurn und Taxis, Margarete von Tirol und ihre Familie. Einblicke in den Alltag der Tiroler Landesfürstin, in: Margarete „Maultasch“. Zur Lebenswelt einer Landesfürstin und anderer Tiroler Frauen des Mittelalters, hg. von Ders. (Schlern-Schriften 339), Innsbruck 2007, 13–32, hier 14 f.; Wilhelm Baum, Margarete Maultasch. Ein Frauenschicksal im späten Mittelalter, Wien 2004, 31–61.

Überlegungen zur politischen Wirksamkeit von Frauen im 14. Jahrhundert

Margarete Maultasch und Agnes von Ungarn als Erbtöchter, Ehefrauen und Witwen*

Ellen Widder

Im Jahre 2013 zeigte eine Ausstellung im Innsbrucker Zeughaus mit dem schönen Titel „Tyrol goes Austria“ einen Rückblick auf die Jubiläen zum „Anschluss“ Tirols an Öster-reich. Darin zeigte sich, dass erstmals 1863 das Jahr 1363 als historisches Ereignis und „nationales Epochenjahr“ gewürdigt wurde. Dies geschah damals in Form einer großen 500-Jahr-Feier.1 Das heute mehr als 150 Jahre zurückliegende Jubiläum ist in seiner Tragweite kaum zu überschätzen, da es das österreichische Geschichtsbild nachhaltig geprägt hat. Dieses besagt, dass die Tiroler im Jahre 1363 nichts anderes wollten, als unter habsburgische Herrschaft zu kommen, also Österreicher zu werden. Gerade auf-grund der im 19. Jahrhundert aufkommenden nationalen Tradition lohnt es sich, dieses Geschichtsbild und das historische Ereignis, auf das es sich bezieht, einer kritischen Prü-fung zu unterziehen, wenngleich dies angesichts einer inzwischen 550 Jahre währenden gemeinsamen tirolisch-österreichischen Geschichte nicht ganz einfach ist.

Das bis heute vorherrschende Geschichtsbild lautet, die alte Herrschaft hätte im Jahre 1363 gewissermaßen „ausgedient“ gehabt. Von den glänzenden Höhepunkten der Tiroler Geschichte wie der Verwirklichung des „Fürstentraumes“ Meinhards II. von einer zukunftsweisenden, d. h. „modernen“ Herrschaft wäre es in den nächsten beiden Generationen stetig bergab gegangen.2 Auf Meinrad II. folgten seine „verschwenderi-schen“ Söhne, deren letzter, Heinrich von Kärnten, sich glücklos in teure politische Abenteuer gestürzt habe, von denen ihm nur der leere Titel eines Königs von Böhmen geblieben wäre, den er Zeit seines Lebens führte.3 Heinrich wiederum hinterließ als Erbin lediglich eine skandalumwitterte Tochter namens Margarete Maultasch. Diese habe nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes und ihres einzigen Sohnes vor den Herr-schaftsaufgaben rasch kapituliert und die Grafschaft im Jahre 1363 an die Habsburger übertragen, die sie mit dem „tüchtigen“ Herzog Rudolf dem Stifter in eine bessere, nämlich österreichische Zukunft geführt hätten.

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4 Konrad H. Jarausch / Martin Sabrow, „Meistererzählung“ – Zur Karriere eines Begriffs, in: Die historische Meistererzählung. Deutungslinien in der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, hg. von Dems., Göttingen 2011, 9–32, Zitat ebd., 16.

5 „[…] Den verschiedenen Aufgaben des Staates entsprechend, teilt man die P. in äußere und innere, die letztere zerfällt wieder in zahlreiche Zweige, wie Handels-, Wirtschafts-, Zoll-, Bank-, Finanz-, Kirchen- u. s. w. Politik […]“; Brockhaus’ Konversations-Lexikon, Leipzig u. a. 141903, Bd. 13, 236.

6 Vgl. dazu auch: Hermann Wiesflecker, Meinhard der Zweite, Tirol, Kärnten und ihre Nachbarländer am Ende des 13. Jahrhunderts, Innsbruck 1955; sowie den Ausstellungskatalog: Eines Fürsten Traum (wie Anm. 2).

7 Das Diagramm „The House of Habsburg, the ruling dynasty of the Duchy of Austria“, das einen Zeit-raum von 1200 bis 1550 abbildet, kommt ganz ohne Frauen aus und konzentriert sich lediglich auf die männlichen Vertreter, deren dynastische Konzeptionen einer über Generationen durchgehaltenen Zielgerichtetheit unterliegen; vgl. Karl-Heinz Spiess, Safeguarding Property for the Next Generations: Family Treaties, Marriage Contracts and Testaments of German Princely Dynasties in the Later Middle Ages (14th–16th Centuries), in: La famiglia nell’economia europea, secoli XIII–XVIII. The Economic Role of the Family in the European Economy from the 13th to the 18th Centuries, hg. von Simonetta Cavaciocchi, Firenze 2009, 23–45, hier 43.

8 Jörg Rogge, Nur verkaufte Töchter? Überlegungen zu Aufgaben, Quellen, Methoden und Perspektiven einer Sozial- und Kulturgeschichte hochadeliger Frauen und Fürstinnen im deutschen Reich während des späten Mittelalters und am Beginn der Neuzeit, in: Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter, hg. von Cordula Nolte [u. a.] (Residenzenforschung 14) Stuttgart 2002, 235–276; Cor-

Diese Darstellung ist bewusst zugespitzt formuliert, doch treten hier wesentliche Elemente der tirolischen „Meistererzählung“ hervor. Unter diesem Begriff versteht die neuere Forschung „eine kohärente, mit einer eindeutigen Perspektive ausgestattete und in der Regel auf den Nationalstaat ausgerichtete Geschichtsdarstellung, deren Prägekraft […] öffentliche Dominanz erlangt“.4 Genereller formuliert ist damit die Aufl adung der Geschichte mit Sinn und ihre Deutung vom Ergebnis, d. h. von ihrem Ende her gemeint. Die dieser Meistererzählung zugrunde liegende Annahme ist nicht zuletzt die, dass Männer zwar politisch versagen können, aber Frauen für die Politik einfach nicht geschaffen sind. Dies lasse sich auch wissenschaftlich „beweisen“, da Margarete Maul-tasch die einzige Frau ist, die im mittelalterlichen Tirol geherrscht habe, und dies auch nur unvollkommen.

Legt man einen traditionellen Politikbegriff zugrunde, dann gilt Politik als „die Lehre von den Staatszwecken und den besten Mitteln (Einrichtungen, Formen, Thätigkeiten) zu ihrer Verwirklichung […]“, wie der Brockhaus Anfang des 20. Jahrhunderts defi-nierte.5 In der Tat stieß man lange Zeit auf ausschließlich männlich dominierte Räume, wenn man sich mit nationaler Politik im 20. Jahrhundert beschäftigte. Immerhin ist das aktive wie passive Wahlrecht für Frauen in Österreich wie in Deutschland keine hundert Jahre alt. Für historische Zeiten scheint die männliche Dominanz sogar fest zementiert zu sein. Meinhard II. von Tirol dürfte mit seinen Verwaltungsinnovationen, seiner Münzpolitik, seiner Königsnähe, seiner Rangerhöhung durch die Belehnung mit dem Herzogtum Kärnten und mit dem damit verbundenen Aufstieg zum Reichsfürsten in der Tat als ein Vollender mittelalterlicher „Staatskunst“ zu gelten haben.6

Für Frauen ist in solchen Modellen kein Platz, geschweige denn in der vermeintlich männlich dominierten mittelalterlichen Herrschaft. Spricht man überhaupt von ihnen,7 dann ist bis heute eher die Rede von „verkauften Töchtern“ mit nur sehr begrenzten Handlungsspielräumen.8 Allerdings ist man seit einigen Jahren mit den Begriffen „Poli-

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dula Nolte, Frauen und Männer in der Gesellschaft des Mittelalters, Darmstadt 2011, 56–65 (Ehe-paare zwischen hierarchischer Ordnung und partnerschaftlicher Kooperation); ebd., 65–74 (Väter, Mütter, Töchter, Söhne); ebd., 129–132 (Fürstenhöfe im Spätmittelalter: Männerwelt und Frauenzim-mer). „Männer identifizierten sich vielleicht weniger eindeutig mit ihren Frauen als vice versa, unter anderem, weil sie die Wahrung von deren Interessen mit den Familieninteressen ausbalancieren muss-ten, weil sie aufgrund größerer Handlungsvollmachten weniger abhängig von ihren Frauen waren als umgekehrt und weil sie sich vorrangig ‚männerbündisch‘ orientierten“; ebd., 60. Karl-Heinz Spiess, Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters (Vierteljahrschriften für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 111), Stuttgart 1993, 454–492 u. ö.; ferner die Sammel-bände: Fürstin und Fürst. Familienbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter, hg. von Jörg Rogge (Mittelalter-Forschungen 15), Ostfildern 2004; Das Frau-enzimmer. Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und früher Neuzeit, hg. von Jan Hirschbiegel / Werner Paravicini (Residenzenforschung 11), Stuttgart 2000. Mächtige Frauen? Königinnen und Fürstinnen im europäischen Mittelalter (11.–14. Jahrhundert). Arbeitstagung auf der Insel Reichenau vom 21.–24. September 2010, bearb. v. Claudia Zey (Protokoll über die Arbeitstagung. Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte 404), Konstanz 2010. Einen guten Forschungsüberblick bietet auch Anja Vosshall, Fürstin und Residenzstadt. Forschungsstand und Perspektiven am Beispiel Braunschweig-Lüneburg im späten Mittelalter, in: Welfische Residenzstädte im späten Mittelalter (14. bis 16. Jahrhundert), hg. von Sven Rabeler (Mitteilungen der Residenzenkommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, NF Stadt und Hof, Sonderheft 1), Kiel 2014, 73–92, hier 74–77. Zu den römisch-deutschen Königinnen vgl. Amalie Fössel, Die Königin im mittelalterlichen Reich. Herrschaftsausübung, Herrschaftsrechte, Handlungsspielräume (Mittelalter-Forschungen 4), Stuttgart 2000.

9 Vgl. den Tenor älterer Verfassungsgeschichten wie z. B. Hans K. Schulze, Grundstrukturen der Verfas-sung im Mittelalter, 2 Bde., Stuttgart [u. a.] 1985, hier Bd. 1, 54–94.

10 Für die deutsche Geschichte vgl. die seit den 1970er Jahren entstandenen grundlegenden Arbeiten von Peter Moraw und Ernst Schubert: Peter Moraw, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490 (Propyläen Geschichte Deutschlands 3), Frankfurt a. M.–Berlin 21989; Ernst Schubert, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschenVerfassungsgeschichte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 63), Göttingen 1979. Für das spätmittelalterliche Europa vgl. die Beiträge in: The New Cambridge Medieval History, Bd. 5: c. 1198 – c. 1300, hg. von David Abulafia, Cambridge 1999; ebd., Bd. 6: c. 1300 – c. 1415, hg. von Michael Jones, Cambridge 2000; ebd., Bd. 7: c. 1415 – c. 1500, hg. von Christopher Allmand, Cambridge 1998.

tik“ und „Regieren“ im Sinne eines rein von Männern gelenkten staatlichen Handelns nicht nur für das Mittelalter etwas vorsichtiger geworden. Die Vorstellung von einem starken Staat mit einem Herrscher an der Spitze, der, mit langfristigen Konzeptionen und großem Machtpotential ausgestattet, seiner Umgebung seinen Stempel aufdrückt und das Gemeinwesen nach seinem Gutdünken lenkt,9 gehört inzwischen der Vergan-genheit an. Der Herrscher war immer abhängig vom Konsens seiner Referenzgruppe, den sozialen Netzwerken, derer er sich bedienen konnte, und den materiellen wie imma-teriellen Ressourcen, die ihm zur Verfügung standen, ganz zu schweigen von anderen Gegebenheiten bis in die Bereiche des Zufalles oder schieren Glücks.10 Er musste sich arrangieren und konnte nur in diesem Kontext seine mehr oder weniger begrenzte Wirksamkeit entfalten.

Nicht die Persönlichkeit des Souveräns, der sein Zeitalter prägt, im Sinne von „Män-ner machen Geschichte“, interessiert die heutige Forschung, sondern die Formen des politischen Handelns, die Frage des Umgangs mit Macht als Kommunikationsprozess in einem gesellschaftlichen Umfeld, wozu Selbstinszenierung, Ritualisierung und Symbo-

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11 Vgl. dazu Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800–1800, hg. von Barbara Stollberg-Rilinger [u. a.], Darmstadt 2008; Politische Versammlungen und ihre Rituale. Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und der Kirche im späten Mittelalter, hg. von Jörg Peltzer [u. a.], Ostfildern 2009.

12 Achim Landwehr, Diskurs – Macht – Wissen. Perspektiven einer Kulturgeschichte des Politischen, in: Archiv für Kulturgeschichte 85 (2003), 71–117; Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, hg. von Barbara Stollberg-Rilinger (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 35), Berlin 2004; Ellen Widder, Heinrich VII. und die Welt um 1300. Traditionelle Ansätze, neue Überlegungen und das Governance-Konzept, in: Europäische Governance im Spätmittelalter. Heinrich VII. von Luxem-burg und die großen Dynastien Europas / Gouvernance européenne au bas moyen âge. Henri VII de Luxembourg et l’Europe des grandes dynasties. Tagungsband der 15. Journées lotharingiennes, 14.–17. Oktober 2008 (Publications du Centre luxembourgeois de documentation et d’études médiévales[CLUDEM] 27), hg. von Michel Pauly, Luxembourg 2010, 531–547 (mit weiterer Literatur).

13 Thomas Bernauer [u. a.], Einführung in die Politikwissenschaft, Baden-Baden 22013, 24. Ich danke Herrn Stefan Wennagel, Tübingen, sehr herzlich für seine Unterstützung.

14 Bernauer, Einführung in die Politikwissenschaft (wie Anm. 13), 25.15 Bernauer, Einführung in die Politikwissenschaft (wie Anm. 13), 26.16 Zum „Aussterben der Linien und Geschlechter“ vgl. Spiess, Familie (wie Anm. 8), 444–453.

lisierung und konkurrierende wie divergierende Interessen gehören.11 Gefragt wird nach den Themen, die die Menschen aufgriffen, wenn sie Macht innehatten oder erstreb-ten, wie sie das Handeln ihrer Umgebung im Sinne ihrer Interessen steuerten bzw. zu steuern versuchten, wie sie ihre Herrschaft legitimierten und damit konsolidierten. Man erkennt heute, dass diese Dinge nicht nur von den „Machthabern“ ausgingen, son-dern dass Macht ausgehandelt werden musste und veränderlich war, dass Macht weder a priori gegeben noch grenzenlos ist und dass auch vermeintlich Ohnmächtige ein enor-mes Wirkungspotential entfalten können bzw. konnten.12

Diese Fragestellungen korrespondieren nicht zufällig mit modernen Definitionen von Politik, die inzwischen als „soziales Handeln“ aufgefasst wird, „das auf Entscheidungen und Steuerungsmechanismen ausgerichtet ist, die allgemein verbindlich sind und das Zusammenleben von Menschen regeln“.13 Soziales Handeln wird „erst dann politisch, wenn es sich auf allgemein verbindliche Entscheidungen und Steuerungs mechanismen auswirkt“, wobei „politische Steuerungsmechanismen dauerhafter Natur […] häufig auch Institutionen genannt“ werden.14 Diese Definition von Politik „impliziert jedoch, dass die traditionelle Trennung in eine private […] und eine öffentliche […] Sphäre, wie sie den Vordenkern des liberal-demokratischen Verfassungsstaates vorschwebte, zuneh-mend verschwimmt“.15

Verwendet man einen sehr offenen Politikbegriff, dann lassen sich die Ziele politi-schen Handelns in der mittelalterlichen Herrschaft vielleicht noch am ehesten auf die Bereiche Ressourcenmanagement, Elitenintegration und Schaffung bzw. Aufrechterhal-tung von Legitimität reduzieren, ohne dass sich diese Bestrebungen in einem „luft leeren“ Raum abspielten, vielmehr sind sie in einen sozialen Raum eingebettet. Angesichts der Tatsache, dass ein großer Teil mittelalterlicher Herrschaft dynastische Herrschaft war, kommen Frauen dabei sehr schnell ins (politische) Spiel. In einer familienbasierten, d. h. dynastischen Herrschaft kam (und kommt) den Frauen als Hervorbringerinnen des Nachwuchses ein hoher Stellenwert zu, der angesichts eines traditionellen Politik-begriffs bislang unterschätzt wurde.16

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17 Wolfgang E. Weber spricht von einer „optimierten Form“ der Familie; vgl. Ders., Dynastiesicherung und Staatsbildung. Die Entfaltung des frühmodernen Fürstenstaates, in: Der Fürst. Ideen und Wirk-lichkeiten der europäischen Geschichte, hg. von Dems., Köln–Weimar–Wien 1998, 91–136, hier 95.

18 Nolte, Frauen und Männer (wie Anm. 7), 60.19 Sandra Zeumer, Die Nachfolge in Familienunternehmen. Drei Fallbeispiele aus dem Bergischen Land

im 19. und 20. Jahrhundert (Beiträge zur Unternehmensgeschichte 30), Stuttgart 2012; Arist von Schlippe [u. a.], Familienunternehmen verstehen. Gründer, Gesellschafter und Generationen, Göt-tingen 2008; Kirsten Baus, Die Familienstrategie. Wie Familien ihr Unternehmen über Generationen sichern, Wiesbaden 42013.

20 Vererbte Macht. Monarchien und Dynastien in der arabischen Welt, hg. von Hartmut Fähndrich, Frankfurt–New York 2005; Maria Josua, Autoritäre Regime im Vorderen Orient: Herrschaftssicherung trotz Herrscherwechsel, in: Bürger im Staat 60,1 (2010), 52–57; Nadine Kreitmeyr / Oliver Schlum-berger, Autoritäre Herrschaft in der arabischen Welt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 24 (2010), 16–22; Jason Brownlee, Hereditary Succession in Modern Autocracies, in: World Politics 59 (2007), 595–628.

Eine Dynastie lässt sich am ehesten als eine „politische Familie“ definieren.17 Hier-mit ist gemeint, dass die Vererbung von einer Generation auf die nächste nicht allein ihre Privatangelegenheit war, sondern auch Dritte betraf. Solche Familien verfügen sehr allgemein gesprochen über Ressourcen, in diesem Fall konkret über Herrschaftsrechte. Eine Fürstendynastie herrschte nicht allein, sondern mit Hilfe des Adels, adeligen und bürgerlichen Kreditgebern, gelehrten Räten und Hof- und Verwaltungspersonal. Wenn die Nachfolge gefährdet war, gerieten diese Klientelverbände und Netzwerke unter Druck. Denn es war zu befürchten, dass die angesichts des dynastischen Bruches zu erwartenden neuen Herren ihre eigenen Vertrauensleute mitbrachten und neue Herr-schaftsstrukturen etablierten. In diesen Phasen kann man Beschleunigungsprozesse beim sozialen und politischen Wandel beobachten. Der Begriff „Erbfolgekrieg“ mar-kiert hierbei die extremste Richtung, politische Destabilisierung war an der Tagesord-nung. Kinderlosigkeit ist daher in solchen Familien „nicht nur das größte Risiko für das Gelingen einer Ehe“,18 sondern gerät auch gleich zur „Staatsaffäre“.

Die Tatsache, dass dynastische Strukturen im heutigen Europa nur noch bei Wirt-schaftsunternehmen in Familienhand Faktoren sind,19 lässt vergessen, dass auch poli-tische Systeme heute immer noch oder wieder dynastisch funktionieren. Blickt man über Europa hinaus, dann erkennt man sehr schnell die politische Relevanz dynasti-scher Herrschaft. Dies betrifft nicht nur die arabische Welt, sondern auch eine Reihe von Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion oder beispielsweise Nordkorea.20 Im Falle eines dynastischen Bruches, d. h. bei Ausbleiben eines (männlichen) Erben, droht auch dort heute noch eine massive Destabilisierung der politisch-sozialen Verhältnisse; dies kann man derzeit in Saudi-Arabien beobachten.

Nicht der Fürst, sondern das Fürstenpaar garantierte die Dauer der Herrschaft über ein Leben bzw. eine Generation hinaus; die Dynastie war damit eine politische Insti-tution im Sinne der obigen Definition. Das Vorhandensein eines legitimen Erben war für den Fortbestand nicht nur der Dynastie, sondern auch der politischen Ordnung überhaupt sowie der daran hängenden sozialen Ordnungen notwendig, die über weitere Institutionen wie Klientelverbände, Patronagenetzwerke etc. funktionierten. Diese Ord-nungen umfassen nicht nur das bestehende Machtgefüge sowie dessen rechtliche und ideologische Fundierung, sondern auch die Pflichten und Rechte, die Herrschenden

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21 Dies untersucht derzeit ein von mir geleitetes Projekt „Die Bedrohung politisch-sozialer Ordnungen im 14./15. Jahrhundert. Dynastische Brüche“ im Sonderforschungsbereich 923 „Bedrohte Ordnungen“ an der Universität Tübingen; vgl. http://www.uni-tuebingen.de/forschung/forschungsschwerpunkte/sonderforschungsbereiche/sfb-923/teilprojekte/c02-dynastische-brueche.html (aufgerufen am 4.9.2014).

22 Zu Margarete von Kärnten-Tirol vgl. Baum, Margarete Maultasch (wie Anm. 3); Michael Menzel, Die Wittelsbacher Hausmachterweiterungen in Brandenburg, Tirol und Holland, in: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters 61 (2005), 103–159, hier 127–140; Margarete „Maultasch“. Zur Lebenswelt einer Landesfürstin (wie Anm. 3). Margarete Gräfin von Tirol – Margareta contessa del Tirolo. Ausstellungskatalog, hg. von Julia Hörmann-Thurn und Taxis, Schloss Tirol, Innsbruck 2007; Anno 1363. Tatort Tirol: Es geschah in Bozen (Runkelsteiner Schriften zur Kulturgeschichte 5), Bozen 2013; sowie den jüngeren Überblick: Ellen Widder, Vergessene Zeiten. Luxemburger und Wittelsbacher als Herren Tirols, in: ebd., 15–38.

23 Er hinterließ nicht nur eine Witwe, Euphemia von Schlesien-Breslau-Liegnitz († 1347), sondern neben zwei Ende der 1320er Jahre verstorbenen unverheirateten Töchtern auch zwei verheiratete (die wiede-rum Kinder hatten). Es handelte sich um Anna († 1331), verheiratet mit Pfalzgraf Rudolf II. bei Rhein († 1353), sowie um Elisabeth († 1352), verheiratet mit König Peter II. von Sizilien († 1342) aus dem Hause Aragon; vgl. dazu Franz Huter, Der Eintritt Tirols in die „Herrschaft zu Österreich“ (1363), in: Tiroler Heimat 31 (1963), 13–36, hier 18 f.; Josef Riedmann, Die Beziehungen der Grafen und Landes fürsten von Tirol zu Italien bis zum Jahre 1335, Wien 1977 (Sitzungsberichte der Österrei-chischen Akademie der Wissenschaften 307), 443. – Zu möglichen Ansprüchen der Görzer Grafen vgl. Emil Werunsky, Österreichische Reichs- und Rechtsgeschichte, Wien 1894, 594–597. – Zu den Familienverhältnissen vgl.: Herzogs- und Grafenhäuser des Heiligen Römischen Reiches. Andere euro-päische Fürstenhäuser, bearb. v. Frank Baron Freytag von Loringhoven (Europäische Stammtafeln N.F. 3, 1), Marburg 1984, Tafel 43.

24 Fritz Hecht, Johann von Mähren, Diss. Halle 1911; Josef Riedmann, Karl IV. und die Bemühungen der Luxemburger um Tirol, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 114 (1978), 775–796; Julia Hör-mann-Thurn und Taxis, Der fremde Fürst im Land. Zur Regierung Johann Heinrichs von Böhmen in Tirol, in: Die Erbtochter, der fremde Fürst und das Land. Die Ehe Johanns des Blinden und Elisabeths

und Beherrschten jeweils zukamen, die wechselseitigen Erwartungen und die daraus resultierenden sozialen Gefüge. Somit stellten sie komplexe und stetigen Veränderungen unterworfene Beziehungsgeflechte dar, die durch das Fehlen eines Erben, d. h. durch dynastische Brüche unter Druck gerieten.21

Nach diesen theoretischen Vorüberlegungen, die für die weitere Argumentation von Belang sind, sollen im Folgenden einige Aspekte politischer Wirksamkeit von Frauen im 14. Jahrhundert vorgestellt werden, verbunden mit Ansätzen zu einer Typologie ihres politischen Handelns. Es liegt nahe, dass die vielgeschmähte Margarete Maultasch als Gräfin von Tirol (* 1318, † 1369) angesichts der Thematik des Sammelbandes hier eine Rolle spielen wird. Sie soll mit ihrer älteren Cousine mütterlicherseits, Königin Agnes von Ungarn (* 1281, † 1364), verglichen werden; Aspekte ihrer Biographien im Hin-blick auf ihre politischen Handlungsmöglichkeiten sollen berücksichtigt werden.

Margarete wurde 1318 als jüngere von zwei Töchtern Herzog Heinrichs von Kärn-ten-Tirol und Adelheids († 1320), Tochter Herzog Heinrichs I. von Braunschweig-Grubenhagen, geboren.22 Sie und ihre Schwester blieben die einzigen legitimen Kinder des Herzogs aus insgesamt drei Ehen. Heinrich war ein jüngerer Sohn des oben bereits erwähnten Meinhard II.; von seinen älteren, damals bereits verstorbenen Brüdern hatte nur der 1310 gestorbene Otto II. Nachkommen.23 1327 wurde Prinz Johann Heinrich von Böhmen (* 1322, † 1375) als Margaretes zukünftiger Ehemann an den Tiroler Hof gebracht und wuchs dort auf.24 Er war der zweitgeborene Sohn König Johanns von

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von Böhmen in vergleichender europäischer Perspektive / L’héritière, le prince étranger et le pays. Le marriage de Jean l’Aveugle et d’Elisabeth de Bohême dans une perspective comparative européenne. Colloque international organisé par le Musée d’Histoire de la Ville de Luxembourg et l’Université du Luxembourg les 30 septembre et 1er octobre 2010 à Luxembourg, hg. von Michel PAULY (Publica-tions du Centre luxembourgeois de documentation et d’études médiévales [CLUDEM] 38), Luxem-bourg 2013, 136–180. Allg. Jaroslav Mezník, Lucemburská Morava 1310–1423, Praha 2001.

25 Vgl. dazu den Sammelband: Die Erbtochter, der fremde Fürst und das Land. Die Ehe Johanns des Blinden und Elisabeths von Böhmen in vergleichender europäischer Perspektive (wie Anm. 24). Zur Familie: Jörg Hoensch, Die Luxemburger. Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung, Stuttgart [u. a.] 2000.

26 Vgl. Detlev Schwennicke, Europäische Stammtafeln, Neue Folge, Band 1,1, Frankfurt a. M. 22005, Tafel 82: Die römischen Könige und Kaiser a.d.H. Luxemburg […].

27 Vgl. zu ihm: Un itinéraire européen: Jean l’Aveugle, comte de Luxembourg et roi de Bohême, 1296–1346, hg. von Michel Margue (Publications du Centre luxembourgeois de documentation et d’études médiévales [CLUDEM] 12), Bruxelles 1996; Johann der Blinde. Graf von Luxemburg, König von Böh-men. 1296–1346, hg. von Michel Pauly (Publications du Centre luxembourgeois de documentation et d’études médiévales [CLUDEM] 14), Luxembourg 1997; King John of Luxembourg and the Art of His Era. Proceedings of the International Conference, Prague, September 16–20, 1996, hg. von Klara Benešovská, Prag 1998; Reinhard Härtel, Die Italienpolitik König Johanns von Böhmen, in: Johann der Blinde (wie Anm. 27), 363–382.

28 Riedmann, Karl IV. (wie Anm. 24), 775–796; Ellen Widder, Itinerar und Politik. Studien zur Reise-herrschaft Karls IV. südlich der Alpen (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 10), Köln–Weimar–Wien 1993, 25–28; Widder, Vergessene Zeiten (wie Anm. 22).

Böhmen (* 1296, † 1346), einer der politisch aktivsten und mächtigsten Reichsfürsten seiner Zeit. Dieser stammte aus dem Geschlecht der Grafen von Luxemburg, war Sohn Kaiser Heinrichs VII., hatte im Jahre 1310 die Erbin des Königreichs Böhmen, Elisa-beth Přemyslovna (* 1292, † 1330), geheiratet und war dabei von Heinrich VII. mit dem reichen Kurfürstentum belehnt worden.25 Aus der Ehe zwischen Johann und Eli-sabeth ging ab 1313 eine Reihe von Kindern hervor; nach zwei Töchtern kam 1316 der erste Sohn auf die Welt, weitere folgten.26 Johann von Böhmen war nach dem frühen Tod seines Vaters, Kaiser Heinrich VII. († 1313), als dessen Nachfolger an der Spitze des Heiligen Römischen Reiches nicht zum Zuge gekommen. Er spielte aber eine eigenstän-dige politische Rolle, deren Aktionsradius sich bis weit nach Frankreich erstreckte und Anfang der 1330er Jahre sogar eine eigene „Italienpolitik“ mit einschloss.27 Tirol war als wichtiges alpines Durchgangsland daher für ihn von besonderem Interesse.28

Über Elisabeths ältere und früh verstorbene Schwester Anna Přemyslovna (* 1290, † 1313) waren Johann von Böhmen und Heinrich von Kärnten verschwägert und im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts Konkurrenten um die Nachfolge in Böhmen gewesen. Hierbei hatte sich Johann durchsetzen können, während Heinrich nur der Königstitel geblieben war. Vermutlich lag ein wesentlicher Grund für Johanns Erfolg darin, dass er und Elisabeth Kinder bekamen, Heinrich und Anna jedoch nicht.29 Johann von Böhmen schickte sich Ende der 1320er Jahre an, auch das Herzogtum Kärnten und die Grafschaft Tirol als Hinterlassenschaft des immer noch söhnelosen Heinrich für seine eigene Familie zu sichern. Im Jahre 1330 erfolgte die Hochzeits vereinbarung zwi-schen Heinrichs Tochter Margarete und Johanns zweitgeborenem Sohn Johann Hein-rich. Margarete war damals zwölf, ihr junger Ehemann ganze acht Jahre alt. Die Ehe

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29 Vgl. einen entsprechenden Diskurs in Böhmen in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bei Maria Bláhová, Nepos vindicabit avum. Die Ermordung Albrechts I. am 1. Mai 1308 im Bewußtsein der böh-mischen Gesellschaft des 14. Jahrhunderts, in: 1308. Eine Topographie historischer Gleichzeitigkeit, hg. von Andreas Speer / David Wirmer (Miscellanea Mediaevalia 35), Berlin [u. a.] 2010, 773–788, hier 785–788.

30 Vgl. dazu auch Hermann Nehlsen, Die Rolle Ludwigs des Bayern und seiner Berater Marsilius von Padua und Wilhelm von Ockham im Tiroler Ehekonflikt, in: Kaiser Ludwig der Bayer. Konflikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herrschaft, hg. von Dems. und Hans-Georg Hermann (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte NF 22), Paderborn 2002, 285–328, hier 301–328; Jürgen Miethke, Die Eheaffäre der Margarete „Maultasch“, Gräfin von Tirol (1341/1342). Ein Beispiel hochadeliger Familienpolitik im Spätmittelalter, in: Päpste, Pilger, Pönitentiarie. Festschrift für Ludwig Schmugge zum 65. Geburtstag, hg. von Andreas Meyer [u. a.], Tübingen 2004, 353–391; Volker Leppin, Papst, Kaiser und Ehedispens. Zur rechtlichen und politischen Problematik der Ehe-affaire Margarete Maultasch, in: Christlicher Glaube und weltliche Herrschaft. Zum Gedenken an Günther Wartenberg, hg. von Michael Beyer [u. a.] (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte 24), Leipzig 2008, 155–165; Ilaria Cainelli, Die Ehetraktate über Margarete „Maultasch“, in: Anno 1363 (wie Anm. 22), 235–247.

31 Vgl. zu ihm Helmut Schmidbauer, Herzog Ludwig V. von Bayern (1315–1361). Anmerkungen zu seiner Biographie, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 55 (1992), 77–87; Flamin Haug, Ludwigs V. des Brandenburgers Regierung in Tirol (1342–1361), in: Forschungen und Mitteilungen zur Geschichte Tirols und Vorarlbergs 3 (1906), 257–308; ebd., 4 (1907), 1–53.

32 Zur Verschlingung von „Machtpolitik, Kirchenrecht und Theologie“ vgl. Leppin, Papst, Kaiser und Ehedispens (wie Anm. 30), 160. Ferner ebd., 160–165.

33 Leppin, Papst, Kaiser und Ehedispens (wie Anm. 30), 165.34 Menzel, Die Wittelsbacher Hausmachterweiterungen (wie Anm. 22), 146 f.35 Laut der Königsfeldener Chronik, die ebenfalls aus der Feder eines Minoriten stammt, fand er seinen

gerechten Tod: In dem banne beleibt er bis in sinen tod wän er starb eins gähen behenden todes, vnd ist nit by

wurde wohl erst nach dem Tod des Brautvaters Heinrich von Kärnten-Tirol im Jahre 1335 vollzogen, sie blieb aber kinderlos.

1341 trennte sich Margarete von ihrem Ehemann; die kirchenrechtlich anstößige „zivilrechtliche“ Scheidung der Ehe vollzog der im Kirchenbann befindliche Kaiser Lud-wig IV., beraten von einem Kreis hochgebildeter, aber exkommunizierter Minoriten.30 Ähnlich wie bei Johann von Böhmen und seinem damals zum Nachfolger aufgebauten ältesten Sohn Karl von Mähren (* 1316, † 1378) bestand auch bei Kaiser Ludwig ein starkes Interesse an der seinem Stammland Bayern benachbarten Grafschaft Tirol mit ihren wichtigen Alpenpässen nach Italien. Die unmittelbar nach der Scheidung gefeierte Hochzeit der vierundzwanzigjährigen Margarete mit Herzog Ludwig V. von Bayern, Markgraf von Brandenburg (* 1316, † 1361), dem ältesten Sohn Kaiser Ludwigs,31 führte zum Skandal, da die neue Beziehung aufgrund der kirchenrechtlich nach wie vor bestehenden ersten Ehe ein Ehebruch war.32 Zudem haftete ihr der Beigeschmack an, dass das Reichsoberhaupt damit statt Reichsinteressen ausschließlich Eigeninteres-sen verfolgte und mit der Belehnung des Sohnes zudem sich und seine Familie enorm bereicherte.33 Für die Familie des geprellten Ehemannes, den Königen von Böhmen aus dem Hause Luxemburg, bedeutete der Skandal die Chance zum Wiederaufstieg an die Reichsspitze mit der 1346 erfolgten Wahl Karls zum römisch-deutschen Gegenkönig. Er war der ältere Bruder Johann Heinrichs.34 Hinzu kam, dass Kaiser Ludwig der Bayer 1347 überraschend verstarb.35 Anfang der 1350er Jahre hatte sich Karl IV. schließlich als deutscher König durchgesetzt, wozu 1355 noch die Kaiserkrönung kam.

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andern Küngen begraben; Chronicon Koenigsfeldense, usque ad a. 1442, in: Martin Gerbert, De Translatis Habsburgo-Austriacorum Principum, Eorumque Coniugum Cadaveribus Ex Ecclesia Cathedrali Basi-leensi Et Monasterio Koenigsveldensi In Helvetia Ad Conditorium Novum Monasterii S. Blasii In Silva Nigra, [San-Blasiae] 1772, 86–113, 94. Zum Geschichtswerk vgl. Chronicon Koenigsfeldense, usque ad a. 1442, http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_01092.html (zuletzt geändert am 05.08.2014, aufgerufen am 30.9.2014); Georg Boner, Königsfelden und Königin Agnes von Ungarn, in: Argovia 91 (1979), 100–293. [Erstmals gedruckt unter: Ders., Die Gründung des Klosters Königsfelden, in: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte 47 (1953), 1–24, 81–112, 181–209, hier 102–104.

36 Vgl. dazu Ellen Widder, Margarete „Maultasch“. Zu Spielräumen von Frauen im Rahmen dynasti-scher Krisen des Spätmittelalters, in: Margarete „Maultasch“ (wie Anm. 3), 51–79, hier 66 f. Ferner die Überblicke von Elisabeth Koch, Pater semper incertus, in: Rechtshistorisches Journal 9 (1990), 107–124; Ellen Widder: Skandalgeschichten oder Forschungsdesiderate? Illegitime Verbindungen im Spätmittelalter aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive, in: „… wir wollen der Liebe Raum geben“. Konkubinate geistlicher und weltlicher Fürsten um 1500, hg. von Andreas Tacke (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg 3), Göttingen 2006, 38–92.

37 Widder, Margarete „Maultasch“ (wie Anm. 36), 67 f. Zum juristischen Impotenz-Diskurs der Zeit vgl. Nehlsen, Die Rolle Ludwigs des Bayern (wie Anm. 30), 294–296. – „Während eine unfruchtbare Ehefrau damit rechnen musste, dass sie die Gunst ihres Mannes verlor oder gar verstoßen wurde – ohne Durchführung einer Scheidung – berechtigte erwiesene Impotenz zur Auflösung einer Ehe“; vgl. Nolte, Frauen und Männer (wie Anm. 7), 60.

38 Vgl. Josef Lenzenweger, Die Eheangelegenheit der Margarete Maultasch von Tirol, in: 11.–13. Sym-posion der Internationalen Kommission für vergleichende Kirchengeschichte, Subkommissison Öster-reich. Alfred Raddatz zum 65. Geburtstag (Veröffentlichungen des Instituts für Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät und des Instituts für Kirchengeschichte, Christliche Archäolo-gie und Kirchliche Kunst der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien NF 2), Wien 1994, 51–70, hier 63–69; Widder, Margarete „Maultasch“ (wie Anm. 36), 69–71.

In Tirol kam um 1343 Margaretes und Ludwigs Sohn Meinhard III. († 1363) auf die Welt; ihm folgten weitere Kinder, die allesamt früh verstarben. Rein rechtlich galten diese Nachkommen als im Ehebruch geboren, also als Bastarde und damit als illegitim.36 Hieraus ergaben sich nicht nur für die Erbfolge, sondern auch für das soziale Umfeld einer hochadeligen Ranggesellschaft fatale Konsequenzen. 1349 wurde Margaretes nach wie vor bestehende Ehe mit Johann Heinrich, der inzwischen zum Markgrafen von Mähren aufgerückt war, mit päpstlichem Einverständnis und nach Übereinkunft mit den Luxemburgern rechtsgültig geschieden. Die Argumente stammten von Juristen, orientierten sich eng am Eherecht der Zeit und lauteten auf Unfähigkeit zum Ehevoll-zug durch Verhexung durch Johann Heinrichs (Stief )-Schwiegermutter.37 Aber erst im Jahr 1359 wurden der Kirchenbann über Margarete und Ludwig aufgehoben sowie ihre neue Ehe und die aus der Beziehung hervorgegangenen Kinder legitimiert.38 Damit war der Weg frei für eine um die gleiche Zeit geschlossene standesgemäße Ehe Herzog Meinhards III. von Bayern, des Sohnes und Erben von Margarete und Ludwig von Brandenburg. Meinhards Braut war Margarete (* 1346, † 1366), eine Tochter Herzog Albrechts II. von Österreich. Aus der Ehe gingen keine Kinder hervor.

Im September 1361 starb Margaretes Ehemann, Markgraf Ludwig von Brandenburg. Sie war zu diesem Zeitpunkt 43 Jahre alt. Ihr gemeinsamer Sohn, Herzog Meinhard III. von Bayern, Markgraf von Brandenburg und Graf von Tirol, folgte seinem Vater in der Herrschaft, starb aber keine eineinhalb Jahre später unerwartet. Margarete übernahm daraufhin die Regentschaft. Ende Januar 1363 übergab sie Tirol an Herzog Rudolf IV. von Österreich und seine Brüder. Anfang Februar 1364 belehnte Kaiser Karl IV. die

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39 Widder, Margarete „Maultasch“ (wie Anm. 36), 74 f. Dazu Franz Wilhelm, Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf von Österreich, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichts-forschung 24 (1903), 29–86. Für freundliche Hinweise danke ich Herrn Christoph Beller, Tübingen. Es existierten darüber hinaus ältere Erbverträge zwischen Ludwig und seinen Geschwistern, auf die 1363 ebenfalls keine Rücksicht genommen wurde; vgl. Monumenta Wittelsbacensia, Urkundenbuch zur Geschichte des Hauses Wittelsbach, Bd. 2: 1293–1397 (Überlingen, 1334 Juni 23), hg. von Franz Michael Wittmann, München 1861, Nr. 292, S. 337–340. Für freundliche Hinweise danke ich Frau Dr. Christina Antenhofer, Innsbruck.

40 Dazu Widder, Margarete „Maultasch“ (wie Anm. 36), 74–77.41 Margarete „Maultasch“. Zur Lebenswelt einer Landesfürstin; Margarete Gräfin von Tirol – Margareta

contessa del Tirolo.42 Vgl. dazu Kapitel 19 der Autobiographie Karls IV.: Vita Caroli Quarti. Die Autobiographie Karls IV.,

hg. von Eugen Hillenbrand, Stuttgart 1979, hier 194–197. Dazu auch Nehlsen, Die Rolle Ludwigs des Bayern (wie Anm. 30), 288. Zu den von Margarete angeblich gewählten symbolischen Formen zur Betonung ihrer Jungfräulichkeit und damit der Impotenz ihres ersten Ehemannes äußerte sich besonders die proluxemburgische böhmische Geschichtsschreibung; vgl. das zwischen 1355 und 1375 entstandene Geschichtswerk des Prager Domkanonikers Benesch von Weitmühl (tschechisch: Beneš Krabice z Veitmile; †1375): Chronicon Benessii de Weitmil, in: Fontes rerum Bohemicarum, Bd. 4, hg. von Josef Emler, Prag 1884, 457–548, hier 490 f.: Uxor vero eius deposito peplo crinale more virginum capiti suo inposuit et asserens mendaciter, prout postea rei experiencia docuit, Iohannem, suum conthora­lem, fuisse impotentem, Ludwico Brandeburgensi, prout Ludwicus Bauarus ante plura tempora disposuerat, nupsit. Dazu Jan Keupp, Die Wahl des Gewandes. Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters (Mittelalter-Forschungen 33), Ostfildern 2010, 156 f.

43 Iohannis abbatis Victoriensis liber certarum historiarum, hg. v. Fedor Schneider, Bd. 2, Hannover–Leipzig 1910 (MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum 36), 224: Que concepit; sed prevaricacio in primogenito est multata, quia natus celeriter est sublatus. Dazu Hörmann-Thurn und Taxis, Margarete von Tirol und ihre Familie (wie Anm. 3), 22 f. Ferner Chronicon Benessii de Weitmil (wie Anm. 42), 491.

44 Vgl. dazu Johann von Neumarkt, den Hofkanzler Kaiser Karls IV., anlässlich eines Besuches Marga-retes 1362 bei ihrem einstigen Schwager und nunmehrigen Reichsoberhaupt: So hoff ich zu got, is sey ein rechte merchleich vastnacht abenteure, das Crimholt zu hofe varen welle. Sie habe, so der Hofkanzler, uns und land und leute in chumer und in arbeit geseczt, wobei er ihr Erscheinen am Hof als wunderliche mere bezeichnete; Johann Friedrich Böhmer, Briefe aus dem vierzehnten Jahrhundert, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 6 (1848), 27–30, hier Nr. 1, S. 28 f. In einem (undatierten) Schreiben an Dietrich Kagelwit (alias von Portitz), Erzbischof von Magdeburg, der selbst nicht nur langjähriger Rat

Habsburger mit der Grafschaft unter dem Protest der um ihren Besitz geprellten bayeri-schen Herzöge.39 Margarete verließ ihr Land, ohne zu ihren Lebzeiten weitere Spuren in der Überlieferung zu hinterlassen. Bestatten ließ sie sich nach ihrem Tod im Jahre 1369 im Chor der Wiener Minoritenkirche.40

Margaretes Nachleben steht quasi bis zum heutigen Tag unter einem negativen Vorzeichen. Dies ändert sich langsam, wie ein ihrer Lebenswelt „und anderen Tiro-ler Frauen des Mittelalters“ gewidmeter Sammelband aus dem Jahr 2007 und eine im selben Jahr veranstaltete Ausstellung zeigen.41 Ihr schlechter Ruf formte sich bereits zu ihren Lebzeiten, wobei besonders ihre Rolle als Ehebrecherin hervortritt.42 Der frühe Tod eines erstgeborenen Sohnes wurde von Zeitgenossen als gerechte Strafe dafür emp-funden.43 Margarete galt am Hof ihres ehemaligen Schwagers, Kaiser Karls IV., als Crim­holt. Darunter verstand man offenbar eine hochadelige Frau, die – wie die Kriemhild des Nibelungenliedes – als machtbesessene und rachsüchtige Ehebrecherin ganze Reiche in den Untergang stürzt.44 Auch die negativ konnotierte Bezeichnung Maultasch könnte

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und Vertrauter Karls IV. war, sondern auch aus der Markgrafschaft Brandenburg stammte und von daher mit den politischen Gegebenheiten vertraut war, wurde der Kanzler noch konkreter: Non igno­ret tamen Domini mei Presulis digna prudencia, qualiter Dominus communis Cesar ille Romanus filium sui fratris Marchionis Morauie, quem in Curia manere nouistis, ad presenciam dicte Chrimhuldis appor­tari mandauit, non aliter, icut estimo, nisi ut in presencia circumfuse multitudinis ipsa decestanda braxa­trix agnosceret, falso quidem suo fratri ascripsisse impotenciam coeundi, cum manifeste clareret ostensione tam preclare sobolis Domini mei Marchionis virilitas, & dicte meretricis inconstancia pudibunda; Monu-menta Historica Boemiae, hg. von Gelasius Dobner, Bd. 4, Prag 1779, Nr. 219, S. 337 f., hier S. 338. Dazu Wilhelm Baum, Margarethe „Maultasch“ im Urteil der Zeitgenossen und der Nachwelt, in: Margarete „Maultasch“ (wie Anm. 3), 99–116, hier 111; Margarethe Springeth, Die literarisch insze-nierte Frau: Mittelalterliche Konzepte weiblicher Erziehung, in: ebd., 283–299, hier 298. Zu Ebf. Dietrich vgl. Christian Radke [u. a.], Dietrich von Portitz, in: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448. Ein biographisches Lexikon, hg. von Erwin Gatz, Berlin 2001, 391 f., hier bes. 392.

45 Vgl. Baum, Margarethe „Maultasch“ im Urteil der Zeitgenossen (wie Anm. 44), 111 f., 114 f.; Nehl-sen, Die Rolle Ludwigs des Bayern (wie Anm. 30), 288 f. – Zur Bedeutung des Namens vgl. ebd., 114 f. Dies dürfte „auf die skandalträchtigen Umstände der Trennung von Johann Heinrich und ihrer zweiten Heirat anspielen“; Ulrike Wegner, Die Eheangelegenheit der Margarethe von Tirol. Über-legungen zur politischen und kulturhistorischen Bedeutung des Tiroler Eheskandals, Berlin 1996, 116 f.; Miethke, Die Eheaffäre der Margarete „Maultasch“ (wie Anm. 30), 366; Nehlsen, Die Rolle Ludwigs des Bayern (wie Anm. 30), 288 f.

46 Alois Niederstätter, Die Herrschaft Österreich. Fürst und Land im Spätmittelalter 1278–1411, Wien 2001, 242. Auch Eleonore von Aquitanien wurde „wegen ihres emanzipierten Vorgehens“ nach der von ihr betriebenen Trennung von ihrem ersten Ehemann, dem französischen König Ludwig VII., der Vorwurf gemacht, sie habe die „Unbeständigkeit einer Hure“; vgl. Nehlsen, Die Rolle Ludwigs des Bayern (wie Anm. 30), 287.

47 „Gräuelpropaganda“; so Nehlsen, Die Rolle Ludwigs des Bayern (wie Anm. 30), 288 f. (Zitat ebd., 288); vgl. dazu auch Mark Mersiowsky, Ein schrecklicher Verdacht. Margarete „Maultasch“ und der politische Giftmord im Spätmittelalter, in: Anno 1363 (wie Anm. 22), 39–64, hier 44 f., 62–64.

48 Vgl. Hoensch, Die Luxemburger (wie Anm. 25), 105–233. Karl IV. († 1378) und sein Bruder Johann Heinrich († 1375) überlebten zudem Margarete um eine Reihe von Jahren.

49 Vgl. dazu Baum, Margarethe „Maultasch“ im Urteil der Zeitgenossen (wie Anm. 44), 115 f.; Sieg-fried de Rachewiltz, Die „Maultasch“-Sagen zwischen Gräuelpropaganda und Touristenattraktion, in: Margarete „Maultasch“ (wie Anm. 3), 117–132; Oliver Haid, Margarete „Monströs“. Über das Fortdauern männlichen Imaginierens weiblicher Herrschaft als monströses Regime, in: ebd., 133–155; Nehlsen, Die Rolle Ludwigs des Bayern (wie Anm. 30), 289 f.

in dieser Zeit entstanden sein.45 Maultasch ist dabei aufzufassen als „ein Pleonasmus, ‚Maul‘ und ‚Tasche‘ bezeichnen derb die Vagina“;46 der Beiname dürfte daher mit der Bezeichnung „Hure“ am ehesten zu übersetzen sein und für eine vornehme Frau sicher eine der übelsten Beleidigungen darstellen, die man sich vorstellen kann. Dazu unter-stellte man ihr bereits kurz nach ihrem Tod den kaltblütigen Giftmord an ihrem zweiten Ehemann und ihrem Sohn Meinhard.47

Die Anstifter dieser Rufmordkampagnen wird man vor allem am Hof der um ihren territorialen Gewinn geprellten und in ihrer Ehre verletzten Luxemburger zu suchen haben. Diese erlebten in den Jahrzehnten, die dem Skandal folgten, einen steilen Auf-stieg, der sie für lange Jahre an die Spitze des Reiches zurückführte.48 In der frühen Neuzeit veränderte sich das Bild langsam von der skandalösen Frau hin zu dem einer „hässliche Herzogin“, als die Margarete sogar in die neuere Literaturgeschichte einge-gangen ist.49

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50 Eduard Widmoser, Agnes von Österreich. In: Neue Deutsche Biographie, Bd. 1, Berlin 1953, 96; Martina Wehrli-Johns, Agnes von Ungarn, in: Historisches Lexikon der Schweiz, online unter: URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D12465.php (Version vom 3.4.2001, aufgerufen am 17.9.2014); Heide Dienst / Winfried Stelzer, Agnes, Königin von Ungarn, in: Die Habsburger. Ein biographi-sches Lexikon, hg. von Brigitte Hamann, Wien–München 31988, 29 f.

51 Vgl. Detlev Schwennicke, Europäische Stammtafeln, Neue Folge, Band 1,1, Frankfurt a. M. 22005, Tafel 41: Das Haus Habsburg.

52 Wilhelm Baum, Meinhard II., in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), 668 f.53 Vgl. Niederstätter, Die Herrschaft Österreich (wie Anm. 46), 81–96.54 Heinz Dopsch, Rudolf II., in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), 177 f.55 Niederstätter, Die Herrschaft Österreich (wie Anm. 46), 96–104; Karl-Friedrich Krieger, Die

Habsburger im Mittelalter. Von Rudolf I. bis Friedrich III., 22004, 75–86.56 Michael Menzel, Die Zeit der Entwürfe (1273–1347) (Bruno Gebhardt, Handbuch der deutschen

Geschichte 7a), Stuttgart 2012, 121–128; Jana Madlen Schütte, Königsmord und Memoria. Litur-gisches und historiographisches Erinnern an Albrecht von Habsburg, in: Concilium Medii Aevi. Zeit-schrift für Geschichte, Kunst und Kultur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 15 (2012), 77–115, hier 79–82.

Ganz anders verhält es sich bei Agnes von Ungarn († 1364). Sie war 37 Jahre älter als die 1318 geborene und 1369 gestorbene Cousine Margarete, starb aber nicht wesentlich früher als diese. Agnes wurde im Jahre 1281 als zweitälteste Tochter des Königssohns Graf Albrecht von Habsburg (* 1255, † 1308) und seiner Ehefrau Elisabeth (* vor 1262, † 1313), Tochter Graf Meinhards II. von Görz-Tirol, geboren.50 Diese Elisabeth war die Schwester von Margaretes Vater, Heinrich von Kärnten-Tirol, und dessen Geschwis-tern. Das Ehepaar Elisabeth und Albrecht bekam zahlreiche Kinder, von denen sechs Söhne und fünf Töchter das Erwachsenenalter erreichten.51 Ende 1282, d. h. ein Jahr nach Agnes’ Geburt, wurde Albrecht gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Ru- dolf II. (* 1270, † 1290) vom Vater, König Rudolf von Habsburg (* 1218, † 1291), mit dem Herzogtum Österreich und der Steiermark belehnt. Elisabeths Vater Meinhard II. wurde vier Jahre später die gleiche Rangerhöhung zuteil, als er 1286 von König Rudolf mit dem Herzogtum Kärnten belehnt wurde.52

Im Sommer 1283 übernahm Herzog Albrecht in der Folge der sogenannten Rhein-felder Hausordnung alleine die Herrschaft in den neugewonnenen Gebieten, während sein Bruder Rudolf II. mit einem anderen Fürstentum oder mit Geld abgefunden wer-den sollte, was aber bis zu seinem Tod 1290 nicht geschah.53 1289 heiratete Rudolf die böhmische Königstochter Agnes Přemyslovna (* 1269, † 1296).54 Allerdings fiel Albrecht die faktische Durchsetzung seiner Herrschaft in Österreich keineswegs leicht, da er als neuer Herr auch noch in den 1290er Jahren mit dem Widerstand des regiona-len Adels zu kämpfen hatte, dessen Aufstände er erfolgreich niederschlug.55 1298 wurde er als Albrecht I. von den Kurfürsten zum Gegenkönig gewählt und konnte noch im selben Jahr seinen Gegner König Adolf von Nassau auf dem Schlachtfeld von Göllheim besiegen und töten.56

Dies ist der politische Hintergrund, vor dem die Heirat der 15-jährigen Agnes mit dem ungarischen König Andreas III. (* um 1265, † 1301) im Jahre 1296 erfolgte. Andreas entstammte väterlicherseits einer Seitenlinie der Arpaden, mütterlicherseits aus dem venezianischen Stadtadel; er war in Venedig aufgewachsen, erst 1290 nach Aussterben der Hauptlinie König von Ungarn geworden und blieb als solcher umstrit-

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57 Vgl. Enikö Czukovits, Introduzione. La dinastia degli Angiò e l’Ungheria, in: L’Ungheria angioina, hg. von Dems. (Bibliotheca Academiae Hungariae – Roma. Studia 3), Rom 2013, 7–22, hier 9 f.; Gyula Kristó, Die Arpadendynastie. Die Geschichte Ungarns von 895 bis 1301, Budapest 1993, 246–257; Pál Engel, The Realm of St. Stephen: A History of Medieval Hungary, 895–1526, London–New York 2005, 110 f.

58 Martina Wehrli-Johns, Elisabeth von Ungarn in: Historisches Lexikon der Schweiz, 2002, online unter: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D12585.php (Version vom 29.8.2002, aufgerufen am 16.6.2014).

59 Ein Jahr nach einem Herrschaftsantritt schloss Andreas einen Friedens- und Grenzvertrag mit Albrecht I. (Hainburg, 1291 August 28). Verhandlungsort war offenbar der Minoritenkonvent in Hainburg an der Donau; vgl. Eduard Marie Fürst von Lichnowsky, Geschichte des Hauses Habsburg, Bd. 2: Von dem Tode König Rudolfs I. bis zur Ermordung König Albrechts, Wien 1837, Nr. 1, S. 277–279, hier S. 277 f. Zu den vorausgegangenen Auseinandersetzungen vgl. Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 197–199, 201; Kristó, Die Arpadendynastie (wie Anm. 57), 246 f., 250 f.; Cyrille Debris, Tu Felix Austria, nube. La dynastie de Habsbourg et sa politique matrimoniale à la fin du Moyen Age (XIIIe–XVIe siècles) (Histoires de famille. La parenté au Moyen Age 2), Turnhout 2005, 140 f.

60 Vgl. dazu Ferdinand Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien: Zeitgenossen berichten, Köln–Weimar 1995, 62; Volker Honemann, A Medieval Queen and her Stepdaughter: Agnes and Elizabeth of Hungary, in: Queens and queenship in medieval Europe, hg. von Anne J. Duggan, Wood-bridge [u. a.] 1997, 109–119, hier 110 f.

61 Sarah Hadry, Ungarisches Königtum Ottos III. von Niederbayern, 1305–1307, in: Historisches Lexikon Bayerns, 1–12. URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_45631 (auf-gerufen am 25.3.2013), hier 2 f.; Erik Fügedi, Castle and society in medieval Hungary (1000–1437), Budapest 1986, 50–99. Siehe ferner den Überblick von Attila Zsoldos: Province e oligarchi. La crisi del potere reale ungherese fra il XIII e il XIV secolo, in: L’Ungheria angioina (wie Anm. 57), 23–58.

ten.57 Zur Absicherung seiner Herrschaft und zwecks Planung einer Nachfolge im Königreich Polen hatte er 1290 die polnische Prinzessin Fenena von Kujawien (* ca. 1276, † 1295) geheiratet. Die Ehe währte aufgrund des frühen Todes der Frau nur wenige Jahre, doch ging aus dieser Verbindung eine Tochter namens Elisabeth (* um 1293, † 1336) hervor.58

Auch die 1286 geschlossene Ehe zwischen Andreas III. und der Habsburgerin Agnes diente politischen Zwecken und korrespondierte mit der Interessenlage auf Seiten von Agnes’ Herkunftsfamilie.59 Das Problem dieser Ehe bestand nicht nur in ihrer kurzen Dauer aufgrund des frühen Todes des Ehemannes, sondern auch in ihrer Kinderlosig-keit. Nach nur fünf Jahren bereits verwitwet, kehrte Agnes 1301, nun mit dem Titel einer Königin von Ungarn versehen und – seit 1298 – als Tochter eines römisch-deut-schen Königs, gemeinsam mit ihrer damals achtjährigen Stieftochter Elisabeth an den elterlichen Hof zurück.60 In Ungarn brach eine Epoche an, die in der dortigen Histori-ographie als „Zeit der Territorialherren, Oligarchie bzw. der Kleinkönigtümer“ bezeich-net wird. Auslöser war der durch das Erlöschen der Arpaden herbeigeführte dynastische Bruch; er ging mit einer weitgehenden Verselbstständigung des Hochadels einher und löste das Königreich in etwa sieben Kleinherrschaften auf.61

Darin dürfte auch der Grund liegen, warum Agnes ihre Stieftochter „ausgehändigt“ bekam. Trotz seiner Söhnelosigkeit hatte Andreas III. durchaus Regelungen für seine Nachfolge im Königreich Ungarn getroffen und den böhmischen Königssohn Wen-zel (III.) (* 1289, † 1306) dafür vorgesehen. Zur Erhöhung seiner Legitimation waren dieser und die zwei Jahre jüngere Erbtochter Elisabeth von Ungarn miteinander ver-lobt worden. Der einflussreiche ungarische Adel stand dieser Entscheidung zwiespäl-

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62 Dazu auch Ivan Hlaváček, Eine entscheidende Wende, die nicht entscheidend schien. Die Zeit des Niedergangs Böhmens um das Jahr 1308 als Voraussetzung für einen neuen Aufstieg des Landes, in: 1308 (wie Anm. 29), 789–806, hier 800 f.

63 Zu den Hintergründen vgl. Czukovits, Introduzione (wie Anm. 57), 11 f.64 Ingrid Würth, Altera Elisabeth, Königin Sancia von Neapel (1286–1345) und die Franziskaner, in:

Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Festschrift für Matthias Werner, hg. von Enno Bünz / Stefan Tebruck / Hans G. Walther (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe 24), Köln [u. a.] 2007, 517–542, hier 521.

65 Erik Fügedi, Karl I., in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, München–Zürich 1991, Sp. 987–988. Dazu auch Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien (wie Anm. 60), 51.

66 Honemann, A Medieval Queen (wie Anm. 60), 111, spricht von Elisabeth als einem „precious pledge“. Damit sollte eine Personalunion von Böhmen und Ungarn verhindert werden, „with large parts of the Hapsburg domains in between“.

67 Ein vergleichbarer Fall wären die 1477 verwitwete Margarete von York (* 1446, † 1503) und ihre Stieftochter Maria von Burgund (* 1457, † 1482); vgl. dazu Andrea Pearson, Envisioning Gender in Burgundian Devotional Art 1350–1530: Experience, Authority, Resistance (Women and Gender in the Early Modern World), Aldershot [u. a.] 2005, 56 f. Vgl. ferner den Sammelband: Women of distinc-tion. Margaret of York. Margaret of Austria, hg. von Dagmar Eichberger, Leuven 2005.

tig gegenüber; einem Teil war der reiche böhmische Königssohn offenbar zu mächtig, andere Gruppen hatten, je nach Region, andere Präferenzen. Auch bei den Habsburgern bestand kein Interesse an der Umsetzung des Plans, da sie die Neuauflage alter Konflikte mit den böhmischen Přemysliden befürchten mussten. Hinzu kam, dass Wenzels gleich-namiger Vater (* 1271, † 1305), der von 1278 bis zu seinem Tod Böhmen regierte, im Jahre 1300 auch noch König von Polen geworden war.

Wenzel III. gelang es zwar, wie von Andreas III. intendiert, 1301 als Ladislaus III. den ungarischen Thron zu besteigen.62 Er konnte sich dort in der Folgezeit aber nicht halten, zumal im gleichen Jahr von einer anderen Fraktion des ungarischen Adels mit Unterstützung der Papstkurie Karl Robert von Anjou (* 1288, † 1342), ein Enkel König Karls II. von Neapel, zum (Gegen-)König erhoben wurde.63 Auch Karl Robert konnte über seine Großmutter, die arpadische Königstochter Maria von Ungarn († 1323), Ver-wandtschaft anmelden. Zudem verbanden sich durch „die Ehe zwischen Karl II. und Maria von Ungarn und in ihren Nachkommen“ zwei Königsfamilien, „deren offen-sichtlich herausgehobene Qualität und damit gottgewollte Herrscherlegitimation kaum mehr überboten werden konnte“.64 Zu den Habsburgern bestand ein enges Verwandt-schaftsverhältnis, da Karl Roberts Mutter Klementia (* ca. 1262, † 1293) eine Tochter König Rudolfs von Habsburg gewesen war.65

Offenbar war die „Entführung“ Elisabeths aus Ungarn, dieser Begriff ist wohl durch-aus passend, für die ungarischen Magnaten, die süditalienischen Anjou und die öster-reichischen Habsburger eine Win-win-Situation, anders kann man sich das Vorgehen wohl nicht erklären.66 Allerdings könnte man auch annehmen, dass Agnes als junge Stiefmutter Elisabeths sich des verwaisten Mädchens vielleicht in „mütterlicher Zunei-gung“ angenommen habe. Auch hierfür gibt es historische Beispiele.67 Dieses emotio-nale Band dürfte aber – wenn es überhaupt bestanden hat – kaum gegen politische Inte-ressen dieser Dimension angekommen sein. Ein Beleg dafür ist, dass sich Wenzel III. in den darauffolgenden Jahren auf die Nachfolge in Polen konzentriert hat und dort 1305 eine politische Heirat mit der schlesischen Herzogstochter Viola von Teschen (* 1290,

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68 Zděnka Žáčkov, Česká královna Viola Těšínská, in: Těšínsko 49,4 (2006), 1–7; Claude Michaud, The Kingdoms of central Europe in the fourteenth century, in: The New Cambridge Medieval History (wie Anm. 10), 735–763, hier 743–758.

69 Hadry, Ungarisches Königtum Ottos III. (wie Anm. 61), 4.70 Hadry, Ungarisches Königtum Ottos III. (wie Anm. 61), 4–6; Würth, Altera Elisabeth (wie Anm. 64),

522.71 Gerade von österreichischer Seite gibt es dezidierte Forschungsmeinungen wie Dienst/Stelzer, Agnes

(wie Anm. 50), 29 f.: „Aus erster Ehe hinterließ […] [Andreas III.] die Tochter Elisabeth, der ein grausames Schicksal bereitet wurde: Um niemandem durch eine Ehe zu Ansprüchen auf Ungarn zu verhelfen, steckte die Stiefmutter Agnes das Mädchen unter entwürdigenden Umständen 1318 [korr.: 1309] in das Domi- nikanerinnenkloster Töß.“ Zur Forschungsdiskussion vgl. Honemann, A Medieval Queen (wie Anm. 60), 111–114. Zu den Aussagen der zeitgenössischen Quellen, ebd., 112 f. Zur Einschätzung ebd., 118.

72 Hadry, Ungarisches Königtum Ottos III. (wie Anm. 61), 4–6. Zu den Interessen der Habsburger an Böhmen vgl. Bláhová, Nepos vindicabit avum (wie Anm. 29), 773 f. Zu Karl Roberts Verbindungen mit den Habsburgern und mit Agnes vgl. auch Angelica Hilsebein, Das Kloster als Residenz. Leben und Wirken der Königin Agnes von Ungarn in Königsfelden, in: Wissenschaft und Weisheit 72 (2009), 179–250, hier 211.

73 Wehrli-Johns, Elisabeth (wie Anm. 58). Dazu auch Chronicon Koenigsfeldense (wie Anm. 35), 109.74 Alfred Häberle, Töss (Kloster), in: Historisches Lexikon der Schweiz, 2013, online unter: http://www.

hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11878.php (Version vom 18.12.2013, aufgerufen am 16.6.2014). Das Klos-ter erhielt möglicherweise durch den Neuzugang weitere Förderung: „Die Weihe von Hauptaltar und zwei Nebenaltären 1325 bildete vermutlich den Abschluss eines Neubaus“; vgl. ebd.

75 Honemann, A Medieval Queen (wie Anm. 60), 118 f. Zur Elisabeth-Nachfolge auch Würth, Altera Elisabeth (wie Anm. 64), 518.

† 1317) schloss.68 Seine Ansprüche auf Ungarn vermachte er 1305 weder den Anjou noch den Habsburgern, sondern den Herzögen von Bayern. Von ihnen bestieg Otto III. (* 1261, † 1312) als Bela V. den ungarischen Thron, denn für „Böhmen erschien ein wittelsbachisch regiertes Ungarn gegenüber einer Herrschaft des habsburgertreuen Anjou als das kleinere Übel“.69 Auch Otto konnte sich nicht halten, da die Päpste zwi-schenzeitlich Ansprüche auf die Lehnshoheit in Ungarn stellten und ihren Kandidaten, Karl Robert von Anjou, als König propagierten.70 Diesem gelang es, sich bis 1320 in Ungarn durchzusetzen und die „Zeit der Oligarchien“ zu beenden.

Dies dürfte der Hintergrund dafür sein, dass die von König Andreas III. gewollte Eheverbindung seiner einzigen Tochter von seiner Witwe Agnes und ihrer Herkunfts-familie aus politischen Gründen und in Einklang mit den Machtinteressen der Anjou erfolgreich verhindert wurde.71 Hinzu kam, dass die Habsburger selbst damals an einer Nachfolge im Königreich Böhmen arbeiteten, wo Wenzel III. 1306 einem Mord- anschlag zum Opfer fiel, und sich dafür enger mit Karl Robert verbündeten.72 Ob freiwillig oder nicht, trat die sechszehnjährige Königstochter Elisabeth von Ungarn im Jahre 1309 in das Kloster der Dominikanerinnen in Töss bei Winterthur ein,73 das unter habsburgischer Kontrolle stand.74 Sie starb dort 1336 im Geruch der Heiligkeit. Als Vorbild diente ihr ihre Verwandte und Namenspatronin, die heilige Elisabeth von Thü-ringen (* 1207, † 1231), die wie sie selbst eine geborene Prinzessin von Ungarn gewesen war.75

1308 wurde Agnes’ Vater, König Albrecht I., nahe der im Aargau gelegenen Habs-burg von seinem Neffen Johann (* 1290, † 1313) aus Rache wegen übergangener Erb-

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76 Heinz Thomas, Das Jahr 1308 in der europäischen Geschichte. Ereignisse und Tendenzen, in: Euro-päische Governance im Spätmittelalter. Heinrich VII. von Luxemburg und die großen Dynastien Europas / Gouvernance européenne au bas moyen âge. Henri VII de Luxembourg et l’Europe des grandes dynasties. Tagungsband der 15. Journées lotharingiennes, 14.–17. Oktober 2008, hg. von Michel Pauly (Publications du CLUDEM 27), Luxembourg 2010, 17–44; Brigitte Kurmann-Schwarz, Quam diu istud cadaver equitare permittemus? Die Ermordung König Albrechts im Jahre 1308 und das Kloster Königsfelden, in: 1308 (wie Anm. 29), 541–556; Schütte, Königsmord und Memoria (wie Anm. 56), 84–86.

77 Dazu Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 121–135; Claudia Moddelmog, Königliche Stiftungen des Mittelalters im historischen Wandel. Quedlinburg und Speyer, Königsfelden, Wiener Neustadt und Andernach (StiftungsGeschichten 8), Berlin 2012, 111–203; Schütte, Königsmord und Memoria (wie Anm. 56); Kurmann-Schwarz, Quam diu istud cadaver equitare permittemus? (wie Anm. 76), 541–556.

78 Vgl. dazu Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 128; Andreas Bihrer, Zwischen Wien und Königs-felden. Die Kirchenpolitik der Habsburger in den vorderen Landen im 14. Jahrhundert, in: Habsbur-ger Herrschaft vor Ort – weltweit (1300–1600), hg. von Jeannette Rauschert / Simon Teuscher / Thomas Zotz, Ostfildern 2013, 109–135, hier 111 f.; auf der Basis von: Chronicon Koenigsfeldense (wie Anm. 35), 103. Zu ihrer Stief-Schwiegermutter Sancia von Mallorca (* um 1285, † 1345) und ihren Beziehungen zu den Franziskanern vgl. Würth, Altera Elisabeth (wie Anm. 64), 522 f.

79 Vgl. Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien (wie Anm. 60), 62.80 Vgl. L’Ungheria angioina (wie Anm. 57). Zu ihr auch die Biographie von Jan Dąbrowski: Elżbieta

Łokietkówna 1305–1380, Kraków 2007.

ansprüche auf das Königreich Böhmen ermordet.76 Zum Gedenken stiftete die Witwe Elisabeth in unmittelbarer Nähe das Kloster Königsfelden; es handelte sich um einen Doppelkonvent von Klarissen und Franziskaner-Minoriten (fratres et dominae).77 Auch andere, weit entfernt lebende Familienmitglieder waren an der Gründung betei-ligt, wie die nach Neapel an den dortigen Kronprinzen Herzog Karl von Kalabrien aus dem Hause Anjou (* 1298, † 1328) verheiratete Tochter (und damit Agnes’ Schwes-ter) Katharina (* 1295, † 1323).78 Elisabeth starb 1313, nur fünf Jahre nach ihrem ermordeten Ehemann. Von 1317 bis zu ihrem Lebensende 1364 lebte ihre Tochter Agnes in Königsfelden, ohne die ewigen Gelübde abzulegen. Eine neue Ehe ging die verwitwete ungarische Königin trotz ihres vergleichsweise jungen Lebensalters nicht mehr ein.

Fragt man nach den Gründen für Agnes’ Verzicht darauf, dann lassen sich einige benennen: Sehr wahrscheinlich war ihr Status als Königin von Ungarn ein starkes Argu-ment, das die Habsburger noch mehrere Jahrzehnte lang für Ansprüche auf westun-garische Gebiete zu nutzen wussten.79 Auch für den ungarischen Thron war Agnes als potentielle Ehepartnerin theoretisch nicht zu verachten, zumal man die legitime Erbin, die Königstochter und letzte Arpadin Elisabeth, mit den ewigen Gelübden hinter Klostermauern hatte verschwinden lassen. Hinzu kam, dass der 1288 geborene König Karl Robert von Ungarn aus zwei, 1306 und 1318 geschlossenen Ehen keine Söhne hatte. Erst aus der dritten, 1320 mit der Königstochter Elisabeth von Polen (polnisch Elżbieta Łokietkówna, * 1305, † 1380) eingegangenen Verbindung gingen ab 1321 fünf Söhne hervor, von denen die vier jüngeren das Erwachsenenalter erreichten.80 Nicht nur Ungarn war im Fokus der Habsburger, sondern auch Polen. Agnes’ Bruder, Her-zog Rudolf III. von Österreich, hatte nur kurze Zeit nach dem Tod seiner ersten Frau Blanche de France († 1305) im Jahre 1306 „Elisabeth (Ryksa) aus dem Hause der Pias-

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81 Dopsch: Rudolf III. (wie Anm. 54), 178 f.82 Vgl. Dimphéna Groffen, Maria van Brabant, in: Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland. URL:

http://www.historici.nl/Onderzoek/Projecten/DVN/lemmata/data/MariaVanBrabant (zuletzt geändert am 10.2.2012, aufgerufen am 17.9.2014).

83 Vgl. Elke Goez, Elisabeth von Bayern, Gemahlin Konrads IV. und Meinhardts II. von Görz-Tirol, in: Frauen der Staufer, hg. von Karl-Heinz Ruess, Göppingen 2006, 151–170, hier 154.

84 Vgl. allg. dazu Spiess, Familie und Verwandtschaft (wie Anm. 8), 422 f.85 Frow Angnes schatzte, das das rein keüsch leben, gar ein erlich leben vor gott were vnd vor der welt. […]

Vnd mit der wise behielt sy den bluomen irs libes, davon sy äch ir gemahel Küng Andres sunder liebi gewän, das er ir nichtz verzech, das je so kostbar mocht gesin, das begert sy öch nichtz nit zu muotwillen, den zu gottes dienst; Chronicon Koenigsfeldense (wie Anm. 35), 104. Bei seinem Tod rät ihr Andreas laut der Königs felder Chronik, nicht wieder zu heiraten und ihren Schatz nach Österreich zu bringen. Zu ihren Schätzen und ihrem Silber vgl. ebd., 105. Andreas wird bei den Minoriten in Ofen bestattet; Chro­nicon Koenigsfeldense (wie Anm. 35), ebd. Agnes hatte offenbar auch dafür gesorgt, dass er statt eines Dominikaners einen (Minder-)Bruder zum Beichtvater nahm; ebd. Vgl. dazu auch Kurt Ruh, Agnes von Ungarn und Liutgart von Wittichen. Zwei Klostergründerinnen des frühen 14. Jahrhundert, in: Philologische Untersuchungen. Gewidmet Elfriede Stutz zum 65. Geburtstag, hg. von Alfred Eben-bauer (Philologica Germanica 7), Wien 1984, 374–391, hier 378. Die Frage des Makels stellt auch Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 186. Zu weiteren Gründen ebd., 185. Zum Text als Hagiographie ebd., 375, 377 f.

86 Zur Stilisierung von Agnes als „heilige Königin“ durch die Chronik; vgl. Moddelmog, Königliche Stif-tungen (wie Anm. 77), 171. Zur Königsfelder Chronik und ihrer Darstellung von Agnes als Heiliger; Bihrer, Zwischen Wien und Königsfelden (wie Anm. 78), 130; Moddelmog, Königliche Stiftungen (wie Anm. 77), 167–172.

ten, d[ie] Witwe K[öni]g Wenzels II. [geheiratet] und führte seither auch den Titel eines Königs von Polen“.81

Doch lassen sich vielleicht auch noch andere Gründe für die Ehelosigkeit von Agnes’ finden. Hinzuweisen wäre zum einen auf ihren hohen sozialen Status, der zumindest die Zahl der ebenbürtigen Ehepartner stark einschränkte. So waren beispielsweise die mit Niederrangigeren geschlossenen Ehen von Maria von Brabant (* 1190, † 1260), der Witwe Kaiser Ottos IV.,82 und Elisabeths von Bayern (* 1227, † 1273), Witwe König Konrads IV. und Agnes’ Großmutter mütterlicherseits, von den Zeitgenossen als Mesalliancen empfunden worden.83 Zum anderen dürfte die Tatsache, dass aus ihrer Ehe, die von ihrem fünfzehnten bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr gereicht hatte, keine Kinder hervorgegangen waren, belangreich sein. Da ihr Ehemann Andreas eine Tochter mit seiner ersten Ehefrau gezeugt hatte, lag der Makel der Unfruchtbarkeit offenkundig bei ihr; damit war sie aber im dynastischen Kalkül mit einem gravierenden Nachteil ver-sehen.84 Der unbekannte Geschichtsschreiber von Königsfelden verklärte dieses Problem später zu einem Programm: Agnes habe aufgrund ihrer übergroßen Frömmigkeit keusch in ihrer Ehe gelebt und dies auch ihrem Ehemann Andreas gegenüber durchgesetzt.85 Damit stellte ihr Historiograph sie zwar in eine illustre Reihe „heiliger Königspaare“ wie Heinrich II. und Kunigunde,86 doch dürfte dies kaum den Tatsachen entsprochen haben. Dies erklärt sich aus verschiedenen Gründen: Angesichts fortdauernder Söhnelosigkeit des Königs mit seinen beiden Ehepartnerinnen verschärfte sich die politische Krise in Ungarn gewaltig. Nicht zuletzt deshalb dürfte sich Agnes in ihrer Ehe intensiv um eigene Kinder bemüht zu haben; ihre „Expertise“ in dieser Angelegenheit, die in der Folgezeit nachweisbar ist, legt dies nahe. Davon wird noch zu sprechen sein.

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87 Martina Wehrli-Johns, Agnes von Ungarn, in: Historisches Lexikon der Schweiz, online unter: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D12465.php (Version vom 3.4.2001, aufgerufen am 24.4.2014).

88 Vgl. Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 188 f.89 Vgl. dazu ihr Siegel, das sie auf der Vorderseite als thronende Herrscherin mit der Umschrift + SIGIL(L)

UM AGNETIS DEI GRATIA REGINE HVNGARIE zeigt. Auf der Rückseite findet sich das ungari-sche Doppelkreuz mit der Umschrift + S(IGILLUM) AGNETIS FILIE DOMINI ALBERTI DVCIS AUSTRIE; vgl. die Abbildungen bei Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 198; Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 195 f. „An ihrer Rolle als Königin von Ungarn hat Agnes ideell stets fest-gehalten, in den Urkunden bezeichnet sie sich als Agnes von gottes gnaden wilent chúnginn zu Ungern, auf ihrem Siegel ist sie als thronende Königin dargestellt, begleitet vom ungarischen Wappen“; Susann Marti, Königin Agnes und ihre Geschenke. Zeugnisse, Zuschreibungen und Legenden, in: Kunst und Architektur in der Schweiz 47 (1996), 169–180, hier 176.

90 Diese Bewertung findet sich im Chronicon Koenigsfeldense (wie Anm. 35), 104.91 Dopsch, Rudolf III. (wie Anm. 54), 178 f.92 Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 200 f.

Agnes wurde nicht noch einmal Ehefrau in einer neuen Verbindung, sondern zur „Repräsentantin der habsburg[ischen] Interessen in den Vorderen Landen“87. In der neueren Forschung wird darüber gestritten, was dies konkret zu bedeuten hat. Zumin-dest wird man festhalten können, dass in den langen Jahren nach der Ermordung König Albrechts, der „Katastrophe“ der Habsburger, wie es die Forschung bezeichnet,88 und dem 1314 beginnenden langjährigen und nicht wirklich erfolgreichen Gegenkönigtum des Habsburgers Friedrichs des Schönen Agnes die Repräsentantin vor Ort war. Hinzu kam, dass sie zeit ihres Lebens den Titel einer Königin von Ungarn führte.89 Damit war sie nicht nur selber Tochter eines Königs, sondern nach dem Tod ihrer Mutter Elisabeth († 1313) und neben der 1330 verstorbenen Elisabeth (* um 1296), Ehefrau ihres Bru-ders König Friedrichs des Schönen, einer Tochter König Jakobs II. von Aragon, die Frau mit dem höchsten Rang, die die Habsburger in ihrem Familienverband aufzubieten hatten. Nach 1330 war dies sogar ihr Alleinstellungsmerkmal.

Hinzu kam, dass sich die personellen Konstellationen in diesen Jahren innerhalb der sich stetig lichtenden Geschwisterreihe dramatisch veränderten. Agnes „Lieblings-bruder“90 Herzog Rudolf III. Österreich (* um 1282) war schon 1307 beim Versuch, seine Ansprüche auf Böhmen und Polen militärisch durchzusetzen, im Heerlager gestor-ben.91 In den 1320er Jahren spitzten sich die Ereignisse zu. Im Jahre 1323 starb Agnes’ jüngere Schwester Katharina (* 1295) in Neapel als Frau des Kronprinzen, Herzog Karls von Kalabrien aus dem Hause Anjou (* 1298, † 1328). Ihr folgte der ältere Bruder Leo-pold (* 1290) im Jahre 1326, während die älteste Schwester Anna (* 1275/80) im Jahre 1227 verstarb. Im selben Jahr starb auch der jüngere Bruder Heinrich (* 1299). 1329 folgte ihm die Schwester Guta, Gräfin von Oettingen, wiederum nur ein Jahr später ein weiterer Bruder, der deutsche König Friedrich der Schöne (* 1289, † 1330). Damit waren ab 1330 von den ehemals elf Geschwistern nur noch die 1281 geborene Agnes, ihre jüngere Schwester Elisabeth von Lothringen († 1353) und ihre sehr viel jüngeren Brüder Albrecht II. (* 1298) und Otto II. (* 1301) übrig.92

Georg Boner hat darauf hingewiesen, dass Agnes’ Einfluss in den habsburgischen Stammlanden außer auf „ihrer Persönlichkeit, ihrem Rang und ihrem Wirken als hoch-angesehene Mitstifterin und Betreuerin des habsburgischen Familienheiligtums Königs-felden“ auf dem kaum zu unterschätzenden Umstand beruhte, dass „sie oft lange Zeit

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93 Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 228. Vgl. dazu auch Alexander Sauter, Fürstliche Herrschaftsreprä-sentation. Die Habsburger im 14. Jahrhundert (Mittelalter-Forschungen 12), Ostfildern 2003, 137–156. Zur Rolle von Agnes vgl. ebd., 139 f. Er betont ihren Stellenwert weniger für die Verwaltung als vielmehr „für die herrscherliche Repräsentation in einem stellvertretenden Sinn“; ebd., 139. Ihre „zeichenhafte Stellvertretung“ konnte aber „die Anwesenheit der Habsburger zwar simulieren, nicht aber ersetzen“; ebd., 140. Zu Königsfelden vgl. ebd., 140–149. Zu Leopold als Regent der Vorlande und seine Memorial-vorkehrungen Moddelmog, Königliche Stiftungen (wie Anm. 77), 127 f. Zu Herzog Otto ebd., 140.

94 Franziska Hälg-Steffen, Karl IV., in: Historisches Lexikon der Schweiz, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D29206.php (Version vom 2.8.2014, aufgerufen am 18.9.2014).

95 Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 228. Dazu auch Thomas Zotz, Fürstliche Präsenz und fürstliche Memoria an der Peripherie der Herrschaft: die Habsburger in den vorderen Landen im Spätmittelalter, in: Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter, hg. von Cordula Nolte / Karl-Heinz Spiess / Ralf-Gunnar Werlich (Residenzenforschung 14), Stuttgart 2002, 349–370.

96 Der Bau der 1330 begonnenen Hallenkirche wurde erst über 100 Jahre später unter Friedrich III. vollendet; sie zählt zu den bedeutendsten gotischen Hallenkirchen Österreichs; vgl. Sauter, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 93), 42–46. Ein weiterer Grund für die Stiftung war die Buße für die zu enge Verwandtschaft zwischen Otto und seiner 1325 geehelichten Ehefrau Elisabeth von Niederbayern (* 1306, † 1334); ebd., 43.

97 Anlässlich der Geburt des zweiten Sohnes Leopold im Jahre 1328 heißt es bei Johann von Viktring: Hoc anno Ottoni duci Austrie secundus filius natus est, super quo non modicum gaudium Australibus est exortum; Iohannis abbatis Victoriensis liber certarum historiarum, Bd. 2, 133. Dazu auch Sauter, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 93), 43, Anm. 50.

98 Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 219 f., 228. Vgl. zu den Söhnen Ottos auch Chronicon Koenigs­feldense (wie Anm. 35), 97 f.

als einziges Glied des Hauses Habsburg in den Vorlanden lebte“. Diese Argumentation erhärtete er mit den Itineraren der männlichen Vertreter des Hauses. Bis zu seinem Tod 1326 war Agnes’ Bruder Herzog Leopold dort besonders präsent gewesen. Seit 1321 kam Herzog Otto hinzu, „der seit 1330 und bis 1339 […] allein noch lebende Bruder Albrechts II.“. Otto „hielt sich 1329 und 1330 im Aargau auf, dann nochmals 1334“. Ab 1335 übernahm er die Herrschaft in dem gerade von den Habsburgern erworbenen Kärnten; ihn „vertrat“ in den Vorlanden offenbar sein junger Sohn Friedrich (* 1327), der „Königin Agnes zur Erziehung anvertraut“ worden war.93 Herzog Albrecht II., nach Ottos Tod im Jahre 1339 der einzige überlebende Bruder, „kam im Sommer 1337 nach mehr als 10 Jahren erstmals wieder in den Aargau. Dann vergingen sogar 14 Jahre bis zum nächsten Besuch Albrechts in Brugg und Königsfelden.“ Dies geschah 1351 aus Anlass eines Krieges gegen die Eidgenossen, ebenso in den Jahren 1352 und 1354.94 Boner schloss mit dem bemerkenswerten Fazit, dass die österreichischen Herzöge ins-gesamt „in der Zeit zwischen 1330 und 1360 wohl nicht viel mehr als ein Jahr auf aar- gauischem Boden verbracht“ haben.95 Daran erkennt man den Stellenwert der perma-nenten Präsenz Agnes’, zumal ab dem Jahre 1339 nur noch ein erwachsener männlicher Vertreter des Hauses Habsburg lebte.

Die 1327 und 1328 geborenen Söhne von Agnes’ Bruder Herzog Otto († 1339) starben beide im Jahre 1344. Bereits die Geburt des ältesten Sohnes Friedrich hatte den Anlass zur Stiftung der Zisterze Neuberg an der Mürz in der Steiermark durch den Vater gegeben.96 Dieser Sachverhalt weist darauf hin, dass sich die Habsburger bereits Ende der 1320er Jahre ihres dynastischen Problems bewusst waren. Das gleiche galt auch für die Untertanen.97 Dieser Friedrich wuchs später am Hof von Königin Agnes auf.98

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99 So gab am 13. Oktober 1340 Herzog Albrecht II. von Wien aus nachträglich seine Zustimmung zu einem Friedensvertrag zwischen ihm sowie seinen beiden Neffen Friedrich und Leopold und der Stadt Bern, den unser liebe swester frowe Agnese, wilent künigin zu Ungern, und Burkart von Elrbach, unser houptman in Swaben und in Elsassen, mit den Burgern zu Berne geschlossen hatten; Boner, Königs-felden und Königin Agnes von Ungarn (wie Anm. 35), 218 f.; Zitat ebd., 219. Regest Lichnowsky, Geschichte des Hauses Habsburg (wie Anm. 59), Bd. 3, Reg. Nr. 1252 (1340 Okt. 13).

100 Die vier Altäre standen offenbar unter dem Lettner; Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 134. Zu ihren Patrozinien vgl. ebd., 136, Anm. 72.

101 Vgl. Brigitte Kurmann-Schwarz, Kloster und Kirche, in: Dies. / Jeannette Rauschert, Das Kloster Königsfelden (Schweizerische Kunstführer Serie 90, 900), Kanton Aargau, Bern 2011, 19–39, hier 19 f.; Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 134. Zu den Bildern als „Memoria einer stirps regia“ vgl. Brigitte Kurmann-Schwarz, Die mittelalterlichen Glasmalereien der ehemaligen Klosterkirche Königsfelden (Corpus Vitrearum Medii Aevi Schweiz 2), Bern 2008, 229–237. „Dank der Abstammung von ihm [= König Rudolf ] konnten sich alle Mitglieder der Gruppe als Angehörige einer königlichen Familie fühlen. Dem ersten Habsburger auf dem Thron schließen sich die königlichen Familienmitglieder der nächsten Generation an. König Albrecht I., Rudolf III., der König von Böhmen wurde, und Königin Agnes von Ungarn mit ihrem Gemahl“; ebd., 233 f.

102 Vgl. Kurmann-Schwarz, Die mittelalterlichen Glasmalereien (wie Anm. 101), 229–237.103 Vgl. Kurmann-Schwarz, Kloster und Kirche (wie Anm. 101), 27 f.104 Sein Nachfolger, König Heinrich VII., ließ ihn 1309 in Speyer bestatten; vgl. Rudolf J. Meyer, Königs-

und Kaiserbegräbnisse im Spätmittelalter. Von Rudolf von Habsburg bis zu Friedrich III. (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, RI, 19), Köln [u. a.] 2000, 41–52; Schütte, Königsmord und Memoria (wie Anm. 56), 88 f., 92–94.

105 Dazu Sauter, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 93), 293–299; Schwennicke, Euro-päische Stammtafeln, Bd. 1,1, Tafel 41. Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 216; Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien (wie Anm. 60), 72 (zu Guta von Oettingen). Ferner Brigitta Lauro, Die Grabstätten der Habsburger. Kunstdenkmäler einer europäischen Dynastie, Wien 2007, 244–246.

106 Edition: Hermann von Liebenau, Hundert Urkunden zu der Geschichte der Königin Agnes, Wittwe von Ungarn, 1288–1364, Regensburg 1869, Nr. 33, S. 52 f. Dazu Martina Wehrli-Johns, Von der

Dies geschah offenkundig mit dem Ziel, einerseits die jüngere männliche Generation zu Herrschaftsaufgaben heranzuziehen und andererseits die persönliche Präsenz eines männlichen Familienangehörigen in den Gebieten der heutigen Schweiz zu gewähr-leisten.99 Nach dem Tod Albrechts II. im Jahre 1358 übernahm diese Funktion dessen ältester Sohn Rudolf IV. mit 19 Jahren.

Die Entwicklung von Königsfelden vollzog sich maßgeblich zu Lebzeiten von Agnes. 1320 wurde das Langhaus der dreischiffigen Klosterkirche von Bischof Johannes von Strassburg in unser frowen ere und aller heiligen samt den vier Altären im Beisein der Königin Agnes und ihres Bruders Leopold geweiht,100 1330 folgte der Chor; dessen heute noch erhaltene Glasfenster entstanden in den nachfolgenden Jahren und wurden 1360 noch einmal einer Erneuerung unterzogen.101 Ebenfalls in der Zeit um 1360 wurden die Fenster des Langhauses mit einem aufwändigen Figurenprogramm verglast.102 1325 bis 1330 wurde das Kloster zur Grablege der Habsburger weiter ausgebaut,103 obwohl der 1308 ermordete König Albrecht I. selbst dort gar nicht ruhte.104 Dafür wurden neben der Königswitwe Elisabeth († 1313) u. a. deren Kinder Leopold († 1326) und dessen Witwe Katharina von Savoyen († 1336), Heinrich († 1327), Jutta/Guta (verheiratete Gräfin von Oettingen, † 1329) sowie Agnes selbst († 1364) in Königsfelden bestattet.105 In dem bis 1331 reichenden Jahrzeitbuch sind weitere nahe Verwandte von Agnes und ihr Beicht-vater verzeichnet, deren Anniversarien in Königsfelden gefeiert wurden.106 Ob man aller-

Ellen Widder

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Stiftung zum Alltag. Klösterliches Leben bis zur Reformation, in: Königsmord, Kloster, Klinik: Königs-felden, hg. von Simon Teuscher und Claudia Moddelmog, Baden 2012, 48–89, hier 64 f., 80; Mod-delmog, Königliche Stiftungen (wie Anm. 77), 141.

107 „Eine länger genutzte Familiengrablege konnte sie allerdings nicht initiieren, man sollte eher von der Grablege einer Generation sprechen, wobei von Agnes’ Brüdern nur Leopold I. und Heinrich in Königsfelden begraben liegen“; Bihrer, Zwischen Wien und Königsfelden. 131 f. – Zur Einschätzung durch die Forschung vgl. Bihrer, ebd., 132, Anm. 106.

108 Der Wiener Stephansdom als Grablege kristallisierte sich erst unter Rudolf IV. heraus; vgl. Chronicon Koenigsfeldense (wie Anm. 35), 96 f.; Sauter, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 93), 55 f.; ferner Moddelmog, Königliche Stiftungen (wie Anm. 77), 177–186. Allg.: Der Stephansdom. Orien-tierung und Symbolik, hg. von Karin Domany / Johann Hisch, Wien 2010.

109 „Für die habsburgischen Herzöge dürfte es immerhin akzeptabler gewesen sein, den Reichtum der Schwester in ein Kloster wandern zu sehen als in eine weitere Ehe“, so Tobias Hodel, Das Kloster in der Region. Herrschaft, Verwaltung und das Handeln mit Schrift, in: Königsmord, Kloster, Klinik (wie Anm.106), 90–127, hier 98. – Agnes verfügt auch noch später über Einkünfte aus Ungarn und Öster-reich; Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 210 f.

110 So der Titel eines Kapitels bei Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 213–229. Vgl. das Resümee der bisherigen Forschungsmeinungen bei Bihrer, Zwischen Wien und Königsfelden (wie Anm. 78), 125, Anm. 73.

111 Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 227.112 Rik Hoekstra, Margaretha van Oostenrijk, in: Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland. URL: http://

resources.huygens.knaw.nl/vrouwenlexicon/lemmata/data/MargarethavanOostenrijk (Version vom 13.1.2014, aufgerufen am 18.9.2014); Eichberger, Women of distinction; Claudia Kruzik, Marga-rete von Österreich. Statthalterin der Niederlande und Tochter Kaiser Maximilians I. aus dem Blick-winkel der Korrespondenz mit ihrem Vater, Wien 2010, online unter: http://othes.univie.ac.at/9206/ (aufgerufen am 18.9.2014).

113 Vgl. zu ihren Selbstverständnis Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 196 f.

dings wirklich „von der Grablege [nur] einer Generation“ sprechen kann, scheint eher aus dem Wissen um die weitere Entwicklung abgeleitet zu sein.107 Denn es fragt sich, ob Königsfelden nur als eine solche intendiert war, oder ob die für die Habsburger und ihren Adel katastrophal ausgehende Schlacht von Sempach 1386 die Weichen schließ-lich anders, d. h. endgültig in Richtung Österreich, stellte, da in Sempach Herzog Leo-pold III. und ein Großteil des habsburgertreuen regionalen Adels fielen.108

Man nimmt an, dass die materielle Ausstattung für die Stiftungen in Königsfelden und darüber hinaus aus Agnes’ „flüssigen Mitteln aus dem Wittum“ stammten, also aus ihrer fahrenden Habe, die sie aus Ungarn hatte mitbringen können.109 Dagegen ist über Agnes „politische Wirksamkeit“ und ihr Ausmaß in der Forschung viel diskutiert wor-den.110 Bereits Boner kam in seiner Untersuchung zu der kritischen Einschätzung, dass Agnes nie als „förmlich bestellte Statthalterin ihres Hauses geamtet“ habe111, und hob ihr Wirken damit von den Lebensmodellen späterer Witwen des Hauses wie Margarete von Österreich (* 1480, † 1530), Tochter Maximilians I., ab.112 Es stellt sich dabei die Frage, ob es für eine verwitwete Königin von Ungarn überhaupt vorstellbar gewesen wäre, eine solche Position einzunehmen. Die Übernahme von Amtsfunktionen, und um solche handelte es sich bei einer Statthalterschaft, waren mit Sicherheit nicht mit ihrem Rang und sehr wahrscheinlich auch nicht mit ihrem Geschlecht vereinbar. Doch sollte man die permanente Präsenz einer solch hochrangigen Frau in einer Herrschaftsregion, die auf-grund der dynastischen Krise und den sonstigen Ereignissen im 14. Jahrhundert mehr und mehr in das zweite Glied der politischen Familieninteressen rückte, nicht unterschätzen.113

Überlegungen zur politischen Wirksamkeit von Frauen im 14. Jahrhundert

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114 Vgl. Wehrli-Johns, Von der Stiftung zum Alltag (wie Anm. 106), 64 f., 80; Zitat ebd., 65; Moddel-mog, Königliche Stiftungen (wie Anm. 77), 143, 155. Zu einem anderen Beispiel vgl. Joachim Ehlers, Heinrich der Löwe. Eine Biographie, München 2008, 395.

115 Vgl. Emil Maurer, Der ehemalige Kirchenschatz, in: Ders., Das Kloster Königsfelden (Die Kunst-denkmäler des Kantons Aargau 3), Basel 1954, 251–254. Eine weitere Edition der Urkunde bei Lie-benau, Hundert Urkunden (wie Anm. 106), Nr. 88, S. 133–137. Die Fahnen befinden sich heute in Bern, Bernisches Historisches Museum, Inv.-Nr. 126 f. (Reich); ebd., Inv.-Nr. 125, 129 (Ungarn); ebd., Inv.-Nr. 128, 131 (Österreich).

116 Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 227; Alfred Lüthi, Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte des Klosters Königsfelden. Ein Beitrag zur Geschichte des Habsburgerstaates in den Vorlanden, Diss. Zürich 1947, 52–54.

117 Vgl. Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 213–229. Diese Tätigkeit lässt sich bereits 1333 nachweisen; ebd., 216 (u. a. auf der Basis von Liebenau, Hundert Urkunden [wie Anm. 106], Nr. 38, S. 58–60). Zur kritischen Auseinandersetzung mit den Quellen vgl. Bihrer, Zwischen Wien und Königsfelden (wie Anm. 78), 127 f.

118 Vgl. Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 229.119 Hermann Kamp, Vermittlung in der internationalen Politik des späten Mittelalters, in: Mediation in

der Geschichte, hg. von Gerd Althoff, Darmstadt, 2011, 98–123, hier 98–100; Ders., Friedensstifter und Vermittler im Mittelalter, Darmstadt 2001.

120 Vgl. Josef Wiget, Morgartenkrieg, in: Historisches Lexikon der Schweiz, online unter: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8726.php (Version vom 17.11.2009, aufgerufen am 18.9.2014).

121 Zum Reichskrieg gegen Zürich und seine Eidgenossen 1354, bei dem Karl IV. auf Seiten Albrechts II. stand, vgl. Hälg-Steffen, Karl IV. (wie Anm. 94). In diesen Konflikt war die damals 75-jährige Agnes

Hinzu kommt, dass es sich bei den bereits 1331 zusammengestellten Anniversarfeiern um keine „Privatangelegenheiten“ des Klosters und seiner Insassinnen handelte, son-dern um Zeremonien, die im großen Stil begangen wurden. So waren die Jahrtage des in Königsfelden bestatteten König Albrecht I. „gesellschaftliche Großereignisse“ mit bis zu 2.000 Personen.114 Der dabei betriebene Aufwand geht nicht nur aus dem von Agnes erstellten Schatzverzeichnis aus dem Jahre 1357 hervor, sondern auch aus einigen erhal-ten gebliebenen Wappenfahnen des Reiches, Ungarns und Österreichs aus der Mitte des 14. Jahrhunderts.115

Zwar waren Agnes, laut Boner, nie „die obersten herzoglichen Beamten der Vorlande,Hauptleute und Landvögte, ja generell unterstellt und verantwortlich gewesen. Sie stan-den ihr, wie wir hörten, gelegentlich, besonders bei Vermittlungen und Schiedssprüchen oder beim Abschluss von Bündnissen, als Berater zur Seite.“116 Durchmustert man die seitenlangen Aufstellungen in der Untersuchung von Boner, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass Agnes vor allem als Vermittlerin tätig geworden ist.117 Nun wurde eine sol-che Tätigkeit lange „typisch weiblicher Friedensliebe“ zugeschrieben.118 Inzwischen weiß man, dass diese nicht nur immens politisch war, sondern auch spezifische Fähigkeiten und Eigenschaften voraussetzte. Hermann Kamp stellte in seiner einschlägigen Unter-suchung fest, dass es im Spätmittelalter im Gegensatz zu heute keine „neutralen“ Ver-mittler gegeben hat, sondern nur „parteigebundene“. Dies entsprach den zeitgenössischen Erwartungen, die von reziproken Bindungen als Garanten für einen Frieden ausgingen.119 Allerdings setzte dies nicht zuletzt auch ein hohes Maß an Autorität voraus. Dass dies Effekte zeitigte, lässt sich belegen. Man sollte bedenken, dass sich Agnes kurz nach der Schlacht am Morgarten (1315)120 in Königsfelden niederließ und bis zu ihrem Ende dort fünfzig Jahre lang blieb. Trotz zwischenzeitlich immer wieder auftretender Konflikte121

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nicht mehr involviert. Sie stiftete in Baden in der Kapelle der Großen Bäder eine Priesterpfründe zum Gedenken an die Gefallenen im Gefecht am Stefanstag 1351; vgl. Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 226.

122 Stefan Jäggi, Sempacherkrieg, in: Historisches Lexikon der Schweiz, online unter: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8871.php (Version vom 18.12.2012, aufgerufen am 18.9.2014); Boner, Königs-felden (wie Anm. 35), 214 f.

123 Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 227.124 Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 227.125 Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 200, 213–215; Boner, Königsfelden (wie

Anm. 35), 210.126 „Auch die Durchsicht der urkundlichen Überlieferung sollte dazu mahnen, den politischen Einfluss

von Agnes nicht zu überschätzen. So fallen bei einer kritischen Überprüfung einige der herrschaftlichen Akte weg, bei denen die Forschung eine Beteiligung der Königin nur vermutet hatte“; Bihrer, Zwi-schen Wien und Königsfelden (wie Anm. 78), 128 f. Zitat ebd., 128. Zur kritischen Einschätzung ihrer politischen Tätigkeit ebd., 124–130.

127 Vgl. dazu Bihrer, Zwischen Wien und Königsfelden (wie Anm. 78), 129: „Die Besuche der Herzöge im Kloster galten in erster Linie dem Memorialort Albrechts I., die Königin von Ungarn war keine poli-tische Ratgeberin für Familienmitglieder, sie wies Rudolf IV. nicht in die Geheimnisse der Politik ein, Agnes hatte nie eine offizielle Position mit ihr zugewiesenen oder vorbehaltenen Kompetenzen inne, sie besaß keine Weisungsgewalt gegenüber habsburgischen Amtleuten und amtierte nicht als deren Vorgesetzte. Alle Verträge mussten von männlichen Familienmitgliedern mitbesiegelt werden.“ – Ähn-lich auch Schütte, Königsmord und Memoria (wie Anm. 56), 110: „Die Memoria gehörte zu den Aufgaben der Frauen der Adelsgeschlechter, welche die praktische Organisation des Totengedenkens übernahmen und auch vor Ort in Königsfelden die Initiative ergriffen.“

128 Bihrer, Zwischen Wien und Königsfelden (wie Anm. 78), 130.

kam es dort erst in den 1380er Jahren für die Habsburger zur Katastrophe.122 Damals war Agnes bereits 22 Jahre tot.

Inwieweit ihr, „offenbar erst in späteren Jahren, bestimmte habsburgische Hoheits-rechte und Einkünfte im engeren Umkreis von Königsfelden überlassen worden“ sind und wofür sie dienten, kann letztlich nicht geklärt werden.123 Es handelt sich um das seit 1348 nachweisbare Amt Bözberg, das sogenannte Eigenamt und die von beiden einge-schlossene Stadt Brugg an der Aare. Die Quellen sprechen insofern eine klare Sprache, indem sie sagen, dies sei ihr auf Lebenszeit als Entschädigung für den väterlichen Erbteil übertragen worden. Dies findet sich in einer Urkunde Agnes’ aus dem Jahre 1356.124 Vielleicht diente der Besitz aber auch als eine Art Pfand für geliehenes Geld und als Schuldendienst ihrer Brüder.125

Bewertet man Agnes und ihr Handeln unter den eingangs definierten Kriterien, dann ist man bei einem politischen Handeln im traditionellen Sinn – und kommt dabei nicht sehr weit, wie Andreas Bihrer kritisch feststellte.126 Doch war bereits die Vermittlertätigkeit politischer, als man es herkömmlich dachte. Ihre weiteren Aktivitä-ten allerdings auf „rein weibliche“ Funktionen zu reduzieren,127 d. h. ihre Rolle auf die Vorgabe „für weibliche Mitglieder einer Königsfamilie […] in der Tradition früh- und hochmittel alterlicher Königinnen […] als Bewahrerin der Familienmemoria“ begrenzt zu verstehen, einzig dem Ziel dienend, „das neue Königsgeschlecht der Habsburger in die Traditionen ihrer Vorgänger zu stellen“,128 greift meines Erachtens ebenfalls zu kurz und dürfte an den Realitäten und den Herrschaftsbedürfnissen der Habsburger „vor Ort“ vorbeigehen. Immerhin wäre aber ein solcher Ansatz durchaus als politisch zu bezeichnen. Doch auch in Bezug auf die Rolle Königsfeldens fällt das moderne His-

Überlegungen zur politischen Wirksamkeit von Frauen im 14. Jahrhundert

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129 Bihrer, Zwischen Wien und Königsfelden (wie Anm. 78), 133.130 Zur kritischen Einschätzung ihrer politischen Tätigkeit vgl. Bihrer, Zwischen Wien und Königsfelden

(wie Anm. 78), 124–130.131 Das Zitat bezieht sich (nicht nur) auf eine Kirchenpolitik; vgl. Bihrer, Zwischen Wien und Königs-

felden (wie Anm. 78), 134 f.132 Hodel, Das Kloster in der Region (wie Anm. 109), 109–111. Zu ihm und seiner Familie ferner Clau-

dia Moddelmog, Die Klarissen von Königsfelden und ihre Verwandten. Beziehungen und Besitz, in: Königsmord, Kloster, Klinik (wie Anm. 106), 128–169, hier 144–146; dies., Klarissen von Königs-felden, in: ebd., 255–261, hier 255.

133 Hodel, Das Kloster in der Region (wie Anm. 109), 110.134 Hodel, Das Kloster in der Region (wie Anm. 109), 111. Ferner Lichnowsky, Geschichte des Hau-

ses Habsburg (wie Anm. 59), Bd. 3, Reg. Nr. 1378 (Brugg im Aargau, 1344 Okt. 16); ferner ebd., Nr. 1382 f., Nr. 1458. Zu Friedrich vgl. auch Liebenau, Hundert Urkunden (wie Anm. 106), Nr. 46, S. 71–74 (Königsfelden, 1340 Januar 24).

135 Vgl. Europäische Stammtafeln. Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten, NF, hg. von Detlev Schwennicke, Bd. 3, Teilbd. 2: Nichtstandesgemäße und illegitime Nachkommen der regie-renden Häuser Europas, Marburg 1983, Tafel 201a (Rudolf I.). Zu einem illegitimen Sohn König Rudolfs von Habsburg vgl. die Nachweise bei Ellen Widder, Konkubinen und Bastarde. Günstlinge auf Zeit oder Außenseiter an Höfen des Spätmittelalters?, in: Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert, hg. von Jan Hirschbiegel / Werner Paravicini (Residen-zenforschung 17), Stuttgart 2004, 417–480, hier 437 f. Zum Einsatz Illegitimer im Rahmen von Herr-schaftsaufgaben vgl. u. a. Julia Hörmann-Thurn und Taxis, Curia domine – Der Hof der Margarethe Maultasch als Beispiel weiblicher Hofhaltung im Spätmittelalter, in: Römische Historische Mitteilun-gen 46 (2004), 77–124, hier 93 mit Anm. 69, u. ö.

toriker-Urteil negativ aus: Ein „herrschaftliches Zentrum der Habsburger mit einer politisch aktiven Statthalterin Agnes war das Kloster Königsfelden nie“.129 Dies könnte ein weiterer Beleg dafür sein, dass Agnes alles in allem nur eine passive oder gar keine politische Rolle130 gespielt hat, und die Basis dafür bieten, sie damit wiederum in ein traditionelles Frauenbild einzuordnen. Allerdings blieben die Möglichkeiten auch „für die fernen Herzöge“ selbst begrenzt, „ihre Herrschaft vor Ort auszuüben“.131

Andererseits pflegte Agnes ausgesprochen gute Beziehungen zu Männern, die die Stellvertreterschaft der Habsburger vor Ort tatsächlich ausübten und die zu Zweifeln an solchen Bewertungen Anlass geben. So wäre das Verhältnis von Agnes zum Land-vogt Johann von Hallwil († 1348) noch einmal genauer zu betrachten.132 Er gilt als der „Aufsteiger des 14. Jahrhunderts“, kämpfte vielleicht schon in Morgarten an der Seite Herzog Leopolds, fungierte als prominenter Zeuge bei politisch relevanten Urkunden der Habsburger, „bewegte sich in den 1330er und 1340er Jahren häufig als Repräsentant der Herzöge in den Vorlanden“, setzte sich nicht ganz uneigennützig für die Belange des Klosters Königsfelden ein, unterhielt dabei eine „ausgezeichnete Beziehung zu Agnes von Ungarn“133 und amtierte als Hofmeister und Erzieher des Jungherzogs Friedrich (* 1327, † 1344), Sohn des 1339 verstorbenen Herzogs Otto.134 Johann von Hallwil könnte sogar ein illegitimer Habsburgerspross gewesen sein; die Nähe zur Herrschaft und sein Aufgabenprofil sprächen zumindest dafür und wären für die Zeit nichts Unge-wöhnliches.135

Zudem darf man sich fragen, was es bedeutet, wenn Agnes einen Konvent „betrieb“, den bereits ihre Mutter Elisabeth so ausgestattet sehen wollte, „dass jede Fürstentochter darin in Ehren leben wollte“ (das eins iecklichen fürsten tochter mit eren darinne wol möcht

Ellen Widder

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136 Chronicon Koenigsfeldense (wie Anm. 35), 103. Im Frauenkloster galt die Regel Papst Urbans IV. von 1263; vgl. Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 142, 234. Zu Agnes als „Betreiberin“ des Konventes vgl. ihre starke Beteiligung bei der Ausstattung des Klosters und seiner Insassinnen, wie sie in den von ihr erlassenen Klosterordnungen zum Ausdruck kommt; dazu die Ausführungen bei Boner, Königs-felden (wie Anm. 35), 232–259, sowie die Edition: Klosterordnung der Königin Agnes von Ungarn für das Frauenkloster Königsfelden, datiert 15. August 1335, mit abgeändertem Text neu ausgefertigt um 1355, in: Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 100–293, hier 260–264. Zu Agnes „ausgeprägt herr-schaftlicher Stellung gegenüber dem Klarissenkonvent“ vgl. Moddelmog, Königliche Stiftungen (wie Anm. 77), 132 (Zitat); ferner ebd., 157 f. Zu Königsfelden als „Nobelkonvent“ vgl. auch Ruh, Agnes von Ungarn und Liutgart von Wittichen (wie Anm. 85), 388.

137 Zu ihrer sozialen Zusammensetzung vgl. Moddelmog, Die Klarissen von Königsfelden (wie Anm. 132), 128–169; dies., Klarissen von Königsfelden (wie Anm. 132), 255 f. Zu den Einflussmöglichkeiten der Stifter vgl. Moddelmog, Königliche Stiftungen (wie Anm. 77), 157.

138 Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 246 f. Vgl. dazu die Bestimmungen für zwei arme adelige Jung-frauen, für die eine Ausnahme von den üblichen exklusiven Aufnahmebedingungen gemacht wurde; Moddelmog, Königliche Stiftungen (wie Anm. 77), 150 f.; Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 246.

139 Vgl. dazu Kilian Heck, Grablegen, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe, Bd. 1, hg. von Werner Paravicini (Residenzenforschung 15.2,1), Ostfildern 2005, 273–275. Zum Kenotaph vgl. Sauter, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 93), 142, 147.

140 Marti, Königin Agnes (wie Anm. 89), 170. Sie bezieht sich dabei auf die Angaben im Schatzinventar von 1357; vgl. Maurer, Der ehemalige Kirchenschatz (wie Anm. 115), 252. Eine weitere Edition der Urkunde bei Liebenau, Hundert Urkunden (wie Anm. 106), Nr. 88, S. 133–137. Zu Königsfelden als „Memorialkloster“ vgl. Schütte, Königsmord und Memoria (wie Anm. 56), 95–109.

141 Bern, Bernisches Historisches Museum, Inv.-Nr. 125–129, 131.142 So stiftete Agnes’ Bruder, Herzog Leopold von Österreich († 1326), ein guldin mêßgewant, drú stukk,

mitt einem crútz von bêrlen und an mitten daruff der schilt und der helm von Oesterrich. Dri alben, dri umbler, dri hantvann, zwo stolen, die sint viervärwig gewúrket, und ein chorkappen mitt einer kugel, mit gold und mitt bêrlen und mitt gestein, höret zu dem selben mêßgewant; Maurer, Der ehemalige Kirchen-schatz (wie Anm. 115), 253.

143 Sauter, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 93), 145–147; Zitat ebd., 147.

sin).136 Entsprechend war auch der Status des Konventes, dem die Versorgung der Non-nen entsprach. Bedenkt man, dass vor allem der regionale Adel seine Töchter dorthin schickte, dann lässt sich ermessen, welche „friedensstiftende“, d. h. integrative Funk-tion allein der Versammlung der vornehmen Konventualinnen zukam.137 So verfügte Agnes als Tochter der Stifterin, dass immerhin 40 gewilete Schwestern aufgenommen werden durften. Gewilet aber waren nur die adeligen Nonnen, neben denen noch ein-fache „Dienstschwestern“ existierten.138 Nimmt man hinzu, welche vornehmen Toten Königsfelden in seinen Mauern beherbergte, dann lässt sich auch hieran ein politisches Programm erkennen, das entsprechend in Szene gesetzt wurde.139 So wurden bei den Anniversarfeiern für König Albrecht I. Stücke aus seinem Besitz wie sein goldfarbe-ner Wappenrock mit schwarzen Reichsadlern sowie sein Szepter und sein Reichsapfel auf dem Kenotaph mitten in der Klosterkirche aufgestellt.140 Auch Reste von Fahnen-schmuck mit den Wappen des Reiches, Ungarns und Österreichs haben sich erhalten, wovon bereits die Rede war.141 Dazu gab es die passenden Paramente, wie das Schatz-verzeichnis von 1357 überliefert.142 Ferner schmückte die Fenster des Hauptschiffes seit etwa 1360 ein großformatiger Habsburgerstammbaum, repräsentiert durch Königs- und Herzogspaare, der „memoriale, dynastische und politische Aspekte vereinigte“.143

Als Hüterin der Familientradition und der Totenmemoria agierte Agnes in und um das Kloster Königsfelden, ohne jemals selber den Schleier zu nehmen. Doch reichten

Überlegungen zur politischen Wirksamkeit von Frauen im 14. Jahrhundert

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144 Dazu auch Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 234. Offensichtlich waren die Konvente daran interessiert, wie aus der Überlieferung in Töss hervorgeht, wo es heißt, die verstor-bene Stieftochter Elisabeth sei Agnes im Traum erschienen, danach wäre diese großzügiger dem Kloster gegenüber geworden. – Zu St. Blasien vgl. die entsprechenden Urkunden in: Appendix, in: Gerbert, De Translatis Habsburgo-Austriacorum Principum (wie Anm. 35), 86–150. – Zur Memoria Albrechts im Kloster Wettingen vgl. Schütte, Königsmord und Memoria (wie Anm. 56), 90–94.

145 Liebenau, Hundert Urkunden (wie Anm. 106), Nr. 70, S. 108 (Königsfelden, 1351 Januar 11). Genannt werden König Albrecht I.; sein Sohn Rudolf (III.) von Böhmen; Albrechts Ehefrau Elisabeth; ihre Tochter Katharina zu Pulle (von Kalabrien); ihr Sohn König Friedrich der Schöne; dessen Tochter [Elisabeth]; dessen Schwester Anna, Herzogin von Breslau; ferner die Schwester Guta von Oettingen; der Bruder Herzog Leopold I. mit seiner Frau Katharina (von Savoyen); deren Tochter Katharina von kússin (von Coucy); der Bruder Herzog Heinrich; dessen Neffen, die Herzöge Friedrich und Leopold; Elisabeth (Gräfin von Virneburg), Ehefrau Herzog Heinrichs; der Bruder Herzog Otto und seine bei-den Frauen Elisabeth (von Niederbayern) und Anna (von Böhmen).

146 Bihrer, Zwischen Wien und Königsfelden (wie Anm. 78), 135.147 Bereits in der wenige Zeilen langen Vorrede der Vita findet sich der Hinweis: Anno 1327 ist das all­

hießige newe Clösterlein sambt Der Kirchen in Die asche gelegt worden, solches Vorsagendt, vnd selbiger Zeit abwesendt Die selige Leudgardta, saßendt Zu Königsfeld an dem Tisch bey der Königin Agneten, Clarihserin, Vnd auffschreiendt, o weh in dißem augenblickh Verbrennet mein Clösterlein, welches Zu ihrem trost Die

ihre geistlichen Aktivitäten weit darüber hinaus. Gebetsverbrüderungen und Seelgerät-stiftungen organisierte sie unter anderem in den Habsburgerklöstern Muri, St. Blasien und Töss.144 1351 stiftete Agnes in letzterem, wo ihre 1338 gestorbene Stieftochter Eli-sabeth als Heilige verehrt wurde, Jahrzeiten für ihre namentlich aufgeführten Eltern, Geschwister, Schwägerinnen und deren Kinder, die vor ihr gestorben waren. Lässt man die Sterbedaten der Toten Revue passieren, dann fällt die ganze Dramatik des Gesche-hens auf: 1308, 1313, 1323, 1326, 1327, 1328, 1329, 1330 (2x), 1336 (2x), 1338, 1339, 1342 (2x), 1344 (2x) und 1349.145

Auch bezüglich dieser Anniversarstiftungen meldete die Forschung Kritik an, indem sie mehr Wollen als Effekt unterstellte: In den habsburgischen Stammlanden versuchten die Habsburger

„[…] in besonders auffälligem Maße […] durch die Propagierung langer fami-liärer Traditionen und durch markante Memorialorte wie die Habsburg oder das Kloster Muri ihre Herrschaft durchzusetzen und abzusichern. Auch wenn sich die Forschung in den letzten Jahren diesen kulturellen Repräsentationen intensiv gewidmet hat, so sollte man die tatsächliche Wirksamkeit von Traditionen gerade im Mittelalter nicht überschätzen, da diese meist mehr Ansprüche formulierten als die Lebenswirklichkeit abbildeten.“146

Man könnte es aber auch anders sehen, wenn man die dynastischen Probleme in Rech-nung stellt.

Agnes’ Bemühen um die Familienmemoria und die Förderung von (weiblicher) Heiligkeit machte aber nicht bei Königsfelden, Muri oder ihrer Stieftochter und ihrem Kloster halt. Wenig bekannt ist ihre Beziehung zu der Schwarzwälder Bauerntochter Luitgart (oder Liutgart, * 1292, † 1348), die 1327 mit ihrer Unterstützung das zur Konstanzer Diözese zählende franziskanische Drittordenskloster Wittichen nach einem Brand wieder aufbaute.147 Drei Jahre später bekam das Kloster in einem Privileg Ab-

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Königin wider auffzubauwen Versprochen hat; vgl. Irmtraud Just, Die Vita Luitgarts von Wittichen. Text des Donaueschinger Codex 118. Mit Einleitung, Kommentar und frömmigkeitsgeschichtlicher Einordnung (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700, 31), Bern [u. a.] 2000, 57; ferner ebd., 134–136, Anm. 2, sowie den Kommentar, 182. Vgl. dazu den Exkurs zur Geschichte des Klosters, ebd., 263–266. Luitgart wird auch erwähnt bei Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 233.

148 Aussteller waren sieben Kurienkardinäle; vgl. Fürstenbergisches Urkundenbuch, bearb. v. Sigmund Riezler, Bd. 5: Quellen zur Geschichte der Fürstenbergischen Lande in Schwaben vom Jahre 700–1359, Tübingen 1885, Nr. 299, 2, S. 376 (Avignon, 1330 April 5).

149 Just, Vita Luitgarts (wie Anm. 147), 137, mit Kommentar 182, 185, sowie dem historischen Abriss, 265. Offenbar bestanden auch Kontakte Luitgarts zu den Dominikanerinnen von Töss; ebd., 123 f. (mit Kommentar, 183). „Acht Jahre vergehen nach der Gründung des Klosters, bis es der frommen Stifterin – ebenfalls mit Hilfe der Königin – gelingt, beim Papst Gottesdienst- und Begräbnisrechte für Wittichen zu erwirken (f. 68r). Verschiedene Schenkungen der Königin, der sich zahlreiche adlige und bürgerliche Familien der Umgebung anschließen, sichern dem Kloster einen gewissen Wohlstand, der 1330 bei der Weihung der neuen Kirche, deren Patrone die Jungfrau Maria und alle Heiligen sind (f. 88r), noch erhöht wird. Zu diesem Anlaß stellt der in Avignon residierende Papst Johannes XXII. einen Ablaßbrief aus, der beträchtliche zusätzliche Einnahmen verspricht“; ebd., 265 f. Der Ablassbrief datiert von 1330; Fürstenbergisches Urkundenbuch, Bd. 5, Nr. 299, 2, S. 376.

150 „Besonders das erzreiche Gebiet um Wittichen schien ja geradezu prädestiniert für solchen frühen Bergbau“. Er ist dort für die 1290er Jahre belegt, wobei die Silbergruben dem dortigen Kloster Ein-künfte lieferten; vgl. Gregor Markl, Bergbau und Mineralienhandel im fürstenbergischen Kinzigtal. Wirtschafts- und Sammlungsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeit zwischen 1700 und 1858 (Schriftenreihe des Mineralienmuseums Oberwolfach 2), Filderstadt 2005, 26 f. Zitat ebd., 26. Ferner die Karten im Anhang von Just, Vita Luitgarts (wie Anm. 147), 279 f. Für eine auch von finanziellen Interessen geleitete Politik der Habsburger spricht der Kauf der Stadt Villingen, die Albrecht II. am 12. Januar 1344 den Grafen von Fürstenberg für 7500 Mark Silber abkaufte; Lichnowsky, Geschichte des Hauses Habsburg (wie Anm. 59), Bd. 3, Reg. Nr. 1354.

151 Vgl. dazu Adolf Reinle, Die Heilige Verena von Zurzach. Legende, Kult, Denkmäler (Ars docta 6), Basel 1948; ferner Ders., Verena, in: Historisches Lexikon der Schweiz, online unter: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10226.php (Version vom 21.1.2014, aufgerufen am 9.8.2014).

152 Vgl. Das Weiheprotokoll von 1347, in: Reinle, Heilige Verena (wie Anm. 151), 200 f., hier 200: Item anno Domini 1294 ecclesia in Zurczach consumpta fuit per ignem partialiter. Item anno Domini 1347 consecrata fuit ecclesia sancte Verene et regina fuit praesens. […] Item serenissima domina Agnes dei gratia quondam regina Ungarie attulit reliquias sancti Petri apostoli reconditas in altari sanctorum Petri et Pauli apostolorum sub cancello et reliquias sancti Georii martyris reconditas in altari sancti Georii sub cancello

lässe für Allerheiligen und eine Reihe hoher Christus- und Marienfeste,148 acht Jahre spä-ter – laut Vita mit Unterstützung von Agnes – von Papst Johannes XXII. in Avignon die nötigen Gottesdienst- und Begräbnisrechte für ihren Konvent.149 Allerdings sollte man dies nicht nur auf fromme Bemühungen „typisch weiblicher Art“ reduzieren. Damit verbunden war möglicherweise ein klassisches „Ressourcenmanagement“ auf höchstem Niveau: Der mitten im tiefsten Schwarzwald liegende Frauenkonvent kontrollierte als geistliche Immunität durch seine Lage in einem engen Tal den Zugang zu einem der reichsten Silbervorkommen der Region.150

Ähnliche Beobachtungen lassen sich für den Kult der Heiligen Verena machen, den Agnes in Zurzach am Oberrhein förderte.151 Sie gilt als Stifterin des Neubaus der Kirche, der 1347 mit der Weihe des neuen gotischen Chorturms vollendet wurde; er ersetzte den im Jahre 1294 zerstörten Chor und das Hochschiff. Die Neuweihe erfolgte im Jahre 1347 in Anwesenheit der als serenissima domina bezeichneten Agnes dei gratia quondam regina Ungarie.152 Auch hier hinterließ Agnes weitere Spuren, denn vorne am Lettner,

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nostre ecclesie. Et interfuit consecracioni ecclesie, cimiterii et altarium prescriptorum et ecclesie aliorum. Fer-ner Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 197, 232 f.

153 „Dort mögen sich die Wappen einst befunden haben, um dem Besucher der Verena-Kirche eindring-lich die Mitwirkung der Königin von Ungarn und des österreichischen Herrscherhauses am gotischen Neubau vor Augen zu führen“; vgl. Reinle, Heilige Verena (wie Anm. 151), 170. Erst anlässlich des Abrisses im Jahre 1733 seien sie „bei der Aufmauerung des Kreuzaltars mitverwendet worden“; ebd.; vgl. ferner Nr. 55, S. 246 (mit Abb. 55). „Auch dort wurde damals ein Lettner gebaut und zur Erinne-rung an die Königliche Stifterin, die 1347 selbst an der Kirchweihe teilnahm, mit den beiden in Stein gehauenen großen Wappenschilden von Ungarn und Österreich geschmückt“; Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 136.

154 Christoph Herzig, Zurzach (Gemeinde), 2. Vom Frühmittelalter bis zum 21. Jahrhundert, in: Histori-sches Lexikon der Schweiz, online unter: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D1851.php (Version vom 3.3.2014, aufgerufen am 9.8.2014).

155 Zu Johann, Abt der in Kärnten gelegenen Zisterze Viktring, und seinem Werk vgl. Iohannis Victorien-sis, Liber certarum historiarum, online unter: http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_03046.html (aufgerufen am 4.6.2014) (mit der weiteren Literatur). Der zweite Dedizierte war Patriarch Bertrand von Aquileia (* 1260, † 1350); ebd. Zum Verhältnis von Johann und Albrecht II. vgl. auch Lichnowsky, Geschichte des Hauses Habsburg (wie Anm. 59), Bd. 3, Reg. Nr. 1281 (1341 Okt. 24). – Agnes wurde von Johann von Viktring als altera Thabita verklärt, die wie Anna als 84-jährige Witwe Tag und Nacht betete und den Tempel des Herrn nicht verließ. „So ist sie allen bis auf den heutigen Tag ein Beispiel der größten Demut und Frömmigkeit“; Iohannis abbatis Victoriensis liber certarum historiarum, Bd. 1, S. 387; ebd., Bd. 2, S. 7; dazu auch Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 106. Der Königsfelder Chronist dagegen betonte, Agnes habe sich in Königsfelden das „reine Witwenleben St. Elisabeths zum Vorbild genommen“, vgl. ebd., 187. Sie stiftete immerhin am Deutschordenshaus in Marburg, dem Hauptort von Elisabeths Verehrung, 55 Mark Silber für ein Anniversar für sich und ihren Mann, König Andreas von Ungarn. Er war ein Enkel Elisabeths; ebd. – Agnes selbst bestellte bereits um 1320 ein „Leben der heiligen Walburga“ bei Bischof Philipp von Eichstätt; vgl. Liebenau, Hundert Urkunden (wie Anm. 106), Nr. 15, S. 25–28. Auch bei ihr handelte es sich um eine Königswitwe; Boner, Königs-felden (wie Anm. 35), 191, 230. Dazu auch Andreas Bauch, Das theologisch-aszetische Schrifttum des Eichstätter Bischofs Philipp von Rathsamhausen (1306–1322). Untersuchung und Textausgabe, Eichstätt 1948.

der das Langhaus der Stiftskirche vom Chor abschloss, hingen in den Zwickelfeldern zwischen den Arkaden als einzige zwei in Stein gemeißelte großformatige Wappen-schilde von Ungarn und Österreich.153 Zurzach wurde im Mittelalter aufgrund seiner Messen ein wirtschaftlicher „Hotspot“: „Die Wallfahrt [zur heiligen Verena] und die Verkehrslage förderten den Aufstieg der zwei Zurzacher Jahrmärkte an Pfingsten und am Verenatag (1. September), die spätestens ab dem 12./13. Jh. abgehalten wurden; der erste urkundl[iche] Beleg stammt aus dem Jahr 1363. Die Jahrmärkte entwickelten sich im 16. Jh. zu den bedeutendsten Messen im oberd[eutschen] Raum“.154

Bereits hier erkennt man Elemente, die sich weder dem Für noch dem Wider einer politischen Tätigkeit zuordnen lassen, sondern Aspekte von beidem beinhalten. Durch die Historiographie, hier namentlich durch den Abt Johann von Viktring (* um 1270, † 1345/47), wissen wir Details über Agnes’ innerfamiliäres Wirken über die bislang skizzierten Funktionen hinaus. Der Zisterzienser war nicht nur Zeitgenosse, sondern stand den Habsburgern auch persönlich sehr nahe; dies betraf besonders Herzog Alb-recht II., dem er sein Geschichtswerk, das „Buch gewisser Geschichten“ (Liber certarum historiarum) widmete.155 Johann berichtet darin, dass 1337 Agnes ihren Bruder Alb-recht II. (* 1298, † 1358) wegen dessen fortdauernder Kinderlosigkeit beriet. Dieser war seit 1324 mit der Erbgräfin Johanna von Pfirt (* 1300, † 1351) verheiratet und litt

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156 Zu. Albrecht II. vgl. Winfried Stelzer, Albrecht II., in: Die Habsburger. Ein biographisches Lexikon (wie Anm. 50), 34 f.; Heinz Quirin, Albrecht II. Herzog von Österreich Albrecht V., in: Neue Deut-sche Biographie 1 (1953), 154 f. Der Verfasser der Königsfeldener Chronik drückte es folgendermaßen aus: Albrecht II. wart gemähelt des grafen tochter von Pfirt frow Johanna genant. Graff Volrich von Pfirt hatt kein ander kint. Darvmb viel die herschaft von der tochter wegen an hertzog Albrechten, der nu herre zu Pfirt was. Volrich stiftete das Minoritenkloster in Tann und liegt dort bestattet; Chronicon Koenigs­feldense (wie Anm. 35), 95.

157 Insistens itaque devocioni et oracioni se cum omnibus terrarum atque suarum causarum oppressionibus beate virgini commendavit et, sicut effectus consequens probavit, pro prolis dono suppliciter interpellans obtulit glori­ose virgini aureum calicem magni ponderis, preciose estimacionis, a domina Agnete, sorore sua, regina quondam Ungarorum, sibi datum. Expletis ibi muniis sue devocionis venit in Coloniam Agrippinam, que trium regum Christum in cunabulis ab oriente querencium corporibus est insignis, eorundem se patrocinio studiosissime commendavit. Datis ibi largis elemosinis et ad honorem trium regum templique et ecclesie illius decorem xeniis preciosis […]; Johannis abbatis Victoriensis liber certarum historiarum, Bd. 2, Buch 6, Kap. 6, bes. 203–206; Zitat ebd., 205 (hier zitiert nach: Das Buch gewisser Geschichten von Abt Johann von Victring (Die Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit, 14. Jahrhundert, 8), übers. v. Walter Friedensburg, Leipzig 1888, 269). Ferner Dorothee Kemper, Die Goldschmiedearbeiten am Dreikönigenschrein. Bestand und Geschichte seiner Restaurierungen im 19. und 20. Jahrhundert (Studien zum Kölner Dom 11), 3 Bde, Köln 2014; Leonie Becks, Die Schatzkammer des Kölner Domes, Köln 2003.

158 Das Aachener Münster war „im Mittelalter die Krönungskirche der deutschen K[önige] und darüber hinaus eine der bedeutendsten Wallfahrtskirchen Mitteleuropas“; Peter Offergeld, Aachen, Marien-stift, in: Nordrheinisches Klosterbuch: Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815. Teil 1: Aachen bis Düren (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 37,1), hg. von Manfred Groten [u. a.], Siegburg 2009, 121–139.

159 Im Kontext der von ihm behandelten virginis insigni[a] in Aachen findet sich in der Handschrift die Randbemerkung: scilicet camisa, in qua Dominum peperit, et panniculis, quibus eum involvit; vgl. Iohan-nis abbatis Victoriensis liber certarum historiarum, Bd. 2, 169. Hinweis von Herrn Wilko Kugler, Tübingen. – Textzitat Offergeld, Aachen (wie Anm. 158), 125. Ernst Günther Grimme, Der Aache-ner Domschatz (Aachener Kunstblätter 42), Düsseldorf 21973, Nr. 48, S. 71–73; Helga Lepie / Georg

seit 1330 an schweren Lähmungen der Gliedmaßen.156 Agnes riet zu einer Wallfahrt nach Aachen und Köln. „Und indem er, wie der Erfolg später auswies, flehentlich um Kindersegen bat, brachte er der glorreichen Jungfrau einen goldenen Kelch von hohem Gewicht und größtem Wert dar, den ihm seine Schwester Frau Agnes, die ehemalige Königin von Ungarn, gegeben hatte. Nachdem er so seine Andacht verrichtet hatte, begab er sich nach Köln, welche Stadt berühmt ist wegen der Leiber der drei Könige aus dem Morgenlande, welche Christus in der Wiege aufsuchten, und empfahl sich angele-gentlich deren Schutze, indem er dort reiche Almosen spendete und zu Ehren der drei Könige sowie zur Zierde ihrer Kirche kostbare Weihgeschenke stiftete.“157 Der Rat der Schwester war kundig. Die Aachener Stiftskirche ist zwar modernen Historikern eher als Stiftung und Begräbnisort Karls des Großen geläufig, doch verkennt man dabei, dass es sich um eine der ältesten Marienkirchen nördlich der Alpen handelt. Sie verfügte im Mittelalter über einen umfangreichen Reliquienschatz, den sie in Teilen bis zum heuti-gen Tag hütet.158 Dieser „machte die Kirche zu einem europaweit bekannten Wallfahrts-ort, wobei die 4 ‚großen Heiligtümer‘ bes[ondere] Verehrung genossen.“ Es handelte sich dabei um das „Kleid Marias bei der Geburt Jesu“, die Windeln des Jesuskindes, das Lendentuch Jesu am Kreuz und das Enthauptungstuch Johannes des Täufers.Bereits die beiden ersten Reliquien schufen einen starken Konnex zu Geburt und Kindern und waren Johann von Viktring eindeutig bekannt.159

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Minkenberg, Der Domschatz zu Aachen, Regensburg 2010, 104–107; Georg Minkenberg / Sisi Ben Kayed, Verlorene Schätze. Ehemalige Schatzstücke aus dem Aachener Domschatz, Regensburg 2014.

160 Johann von Viktring führte die Geburt des Sohnes auf diese Wallfahrt zurück: dum sanctorum limina visitaret, coram altissimo in effectum desiderabilem est productus; Iohannis abbatis Victoriensis liber certa-rum historiarum, Bd. 2, 215.

161 Hermann Grotefend, Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, Hannover 142007, 26.

162 Es handelte sich neben Rudolf IV. (* 1339, † 1365) um Katharina (* 1342, † 1381), Margarete (* 1346, † 1366), Friedrich III. (* 1347, † 1362), Albrecht III. (* 1348, † 1395) und Leopold III. (* 1351, † 1386); vgl. Schwennicke, Europäische Stammtafeln, Neue Folge, Band 1,1, Tafel 41 f.

163 Zu seinem Tod vgl. auch Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien (wie Anm. 60), 76 f.164 Christian Lackner, Archivordnung im 14. Jahrhundert. Zur Geschichte des habsburgischen Haus-

archivs in Baden im Aargau, in: Handschriften, Historiographie und Recht. Winfried Stelzer zum 60. Geburtstag, hg. von Gustav Pfeifer (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichts-forschung, Erg.-Bd. 42), Wien–München 2002, 255–268, hier 261–266. Aufbewahrungsort war die Burg Stein oberhalb der Stadt, der Sitz der österreichischen Landvögte im Aargau; ebd., 255 f. Zur Bedeutung dieses Herrschafts- und Verwaltungssitzes für die Vorderen Lande ebd., 256.

165 Quidam non ignotus, ducis Ottonis colende memorie notarius Nycholaus, postea Padensis ecclesie plebanus, intelligentis ingenii et acuti clericus, ante diem mortis huius principis per sompnum affirmabat certissime se vidisse. […] debat, et ecce duo angeli precincti, alacres ad laborem, habentes in manibus securium instru­menta, in ameno viridario, quod est castrum ducalis habitacionis, VI arbores, ex quibus quinque virentes in terre fundo firmiter fixas celeriter preciderunt et de soli superficie eiecerunt; et cum ad sextam arborem aliqua­liter tepidam pervenissent similiter exstirpandam, parumper deliberantes mutuo loquebantur, quatenus ad prefinitum tempus persistere sineretur, ut, si refloresceret et fructum faceret, videretur; erat quippe quasi arida in ramusculis et deflexa; et abeuntes hanc in sua stare valetudine permiserunt. ‚A‘, inquit ad socios sui [con]tubernii, ‚dominum [n]ostrum principem non [d]iu victurum, sed in brevi [a] nobis et ex hoc seculo [tra]nsiturum‘, disserens sompnium, quod videbat. Qui coniecturam huius visionis subsannaverint, derideant et Ioseph cum Daniele, qui regum casus in regno hominum clare et lucide dissolverunt cum futuris eventibus eis

Doch war der Rat nicht nur kundig, sondern auch erfolgreich.160 Albrechts und Johannas erster Sohn Rudolf IV. wurde am 1. November, d. h. ausgerechnet am Aller-heiligentag, des Jahres 1339 geboren;161 weitere Söhne und Töchter folgten bis zum Jahr 1351.162 Johann von Viktring berichtet in seinem Werk weitere aufschlussreiche Details zu den dynastischen Überlebenschancen der Habsburger, wie sie sich damals offenbar erzählt wurden: Achteinhalb Monate vorher habe ein Notar aus dem Gefolge des damals neunundzwanzigjährigen Herzogs Otto einen Traum gehabt; er träumte vom unerwar-teten Tod seines Herrn am darauffolgenden Tag. Otto starb am 16. Februar 1338; er war der einzige noch lebende Bruder von Agnes und Albrecht II.163 Der erwähnte Notar mit Namen Nikolaus wurde später Pfarrer in der Stadt Baden im Aargau, nicht weit von Königsfelden gelegen. Diese Vision ist hinsichtlich der Einschätzung der dynastischen „Überlebenschancen“ der Habsburger von hoher Relevanz. Möglicherweise geht die von Johann von Viktring überlieferte Geschichte auf die in Königsfelden sitzende Agnes zurück, zumal Baden damals der Lagerort des habsburgischen Archivs war.164 Nikolaus sah in seinem Traum sechs Bäume in einem schönen Garten beim Schloss der Herzöge. Zwei Engel fällten fünf von ihnen, die grünten, rasch mit eigener Hand und gruben sie aus. Als sie zum sechsten kamen, um ihn ebenfalls zu entwurzeln (exstirpandam), berieten sie sich, ob sie ihn nicht stehen lassen sollten, um zu schauen, ob er wieder-erblühen und Früchte tragen werde. Denn er war an den Zweigen etwas vertrocknet und verwachsen. So gingen sie fort und ließen ihn unbeschädigt stehen.165 Hier wurde

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dinivitus demonstratis; Iohannis abbatis Victoriensis liber certarum historiarum, 184 f. Dazu auch Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien (wie Anm. 60), 77.

166 Zitat Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien (wie Anm. 60), 77.167 Vgl. Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien (wie Anm. 60), 77. Zu den Daten vgl.

Schwennicke, Europäische Stammtafeln, Bd. 1,1, Tafel 41.168 Vgl. Die Chronik des Mathias von Neuenburg (MGH Scriptores rerum Germanicarum NS 4), hg. von

Adolf Hofmeister, Berlin 21955, 161: […] cum non crederetur eius contracti, ipse eum suum esse fecit in sermonibus predicari. Ich danke Herrn Wilko Kugler, Tübingen, sehr herzlich für die Unterstützung.

169 Neben Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien (wie Anm. 60), 77, vgl. Niederstätter, Die Herrschaft Österreich (wie Anm. 46), 139; Alfons Lhotzky, Geschichte Österreichs seit der Mitte des 13. Jahrhunderts (1281–1358) (Geschichte Österreichs 2/1), Wien 1967, 330; Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 201 (sehr knapp, aus zweiter Hand und statt Kelch Krone).

170 So Ernst Schubert, Einführung in die Grundprobleme der deutschen Geschichte im Spätmittelalter, Darmstadt 1992, 199 f.

171 So habe Agnes in der Weihnachtszeit eine besondere Verehrung gegenüber dem Jesuskind gezeigt. „Gebärenden Frauen in der Umgegend sei sie beigestanden, und zur Weihnachtszeit habe sie für viele

also, wenn man das Bild auf die Situation der Habsburger überträgt, der unmittelbar drohende dynastische Bruch, d. h. ihr Aussterben, in letzter Minute vereitelt.

Die Vision des Notars bezeugt, jedenfalls in der Deutung Johanns von Viktring und vermutlich auch in der seiner hochgestellten Zeitgenossen, dass damit der göttliche Wille erfüllt wurde, obwohl man sich hier eher an eine Art „russisches Roulette“ erin-nert fühlt. Denn mit „Otto war die Generation der Söhne König Albrechts I. bis auf Albrecht II. ausgestorben“.166 Keine neun Monate später wurde dem damals einundvier-zigjährigen Albrecht II. und seiner neununddreißigjährigen Ehefrau Johanna von Pfirt der erste Sohn geboren. Die Ehe bestand zum damaligen Zeitpunkt bereits fünfzehn Jahre.167 Auch den Zeitgenossen kam diese späte Geburt zumindest wundersam oder auch merkwürdig vor.168

Dieser Bericht ist in der bisherigen Forschung zwar gelegentlich erwähnt,169 aber meines Wissens nie einer eingehenderen Analyse und Bewertung unterzogen worden. Dem steht das „irrationale“ Element im Wege, das in eine Politikgeschichte herkömm-lichen Zuschnitts kaum zu integrieren ist, da es sich – wie beim Schlachtenglück ein-zelner Fürsten – um „unkalkulierbare Umstände“ handelt.170 Allerdings muss man sich fragen, ob man es dabei belassen kann. Es stellt sich zudem die Frage, ob man weitere Spuren findet, die dokumentieren, dass Agnes Expertise nicht nur auf dem Gebiet der dynastischen Jenseitsvorsorge, sondern auch auf dem der „Diesseitsvorsorge“ besessen hat. Dabei ist zunächst zu vernachlässigen, ob es sich in den Augen der heutigen Wissen-schaft um irrationale Phänomene oder Maßnahmen handelt. Wichtig ist stattdessen, ob sie für die Zeitgenossen Relevanz hatten, Deutungen jedweder Art offenstanden, sie zu Handlungen veranlassten und in ihren Augen zu Lösungen von politischen Problemen führten. Bleibt man in diesem Segment, dann bekommen nämlich andere Maßnahmen, die von Agnes ergriffen wurden, Relevanz. Wendet man sich noch einmal ihrer Förde-rung weiblicher Visionärinnen und Heiliger wie Luitgart und Verena zu, dann lassen sich neben den wirtschaftlichen und herrschaftlichen Komponenten weitere Aspekte finden, die über die herkömmliche, eher pauschale Betonung von Agnes’ Frömmigkeit oder einer „typisch weiblichen“ Kinderliebe171 hinausgehen und diese in einem differen-zierteren Licht erscheinen lassen.

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arme Kinder Hemden machen lassen, um in ihnen gleichsam den armgeborenen Heiland zu kleiden“; Boner, Königsfelden und Königin Agnes von Ungarn (wie Anm. 35), 230 (auf der Basis von Chronicon Koenigsfeldense (wie Anm. 35), 108: Jtem was si fröiden mit der kintheit vnsers herren Jhesu Chrsti hette, das kan nieman geworten geschriben noch gesprechen vnd gesagen, denn das ir geberd vnd ir wiss was mit grossen wunder begriffen, wan si vieng an in dem advent bis vff die wienacht tag sunder geistlich geberde vnd wisen haben, vnd vnserm herrn besunder namen geben rechsam ein muoter die ir liebes kind vff ir schoss hät, vnde es lieplichen näch irs hertzen lust vnd muotwillen ansicht, vnd im nach iren begirden menigen namen git […]. Im Benediktinerinnenkloster Engelberg, das im 17. Jahrhundert nach Sarnen verlegt wurde, tradiert man bis heute die Legende, Agnes habe ihr Hochzeitskleid einst dem Sarner Jesuskind verehrt; vgl. Marti, Königin Agnes (wie Anm. 89), 177 f. Die Verfasserin sieht hier die Tendenz zu ihrer Verklä-rung als „fast zu einer heiligen Königin“; ebd., 178. Sie fügte dem hinzu, dass dieses Bild stark mit dem Bild der Eidgenössischen Chronistik „einer blutrünstigen Königin, die aus Rache für die Ermordung ihres Vaters auch unschuldige Kinder umbringen lässt“, kontrastiere; ebd.

172 Vgl. den programmatischen Untertitel des Buches: Berchthold von Bombach, Das Leben der heiligen Luitgard von Wittichen (1291–1348), die Heilige des Mutterschosses, hg. von Arnold Guillet, Stein am Rhein 1976. Just, Vita Luitgarts (wie Anm. 147), bescheinigt dem Herausgeber ein „besonderes moralpädagogisches Anliegen“ und sieht in der „Abhandlung gegen Geburtenregelung und Schwanger-schaftsunterbrechung, eine Problemstellung, die in der Handschrift an keiner Stelle thematisiert wird“ (ebd., 419). Es handele sich um „eine stark tendenziöse Schrift, die jede sachliche Betrachtung der Luitgart-Vita vermissen läßt“ (ebd., 42).

173 Vgl. auch: http://kath-zdw.ch/maria/hl.luitgard.html (aufgerufen am 9.8.2014). 174 Luitgart ist von Seiten der katholischen Kirche nie offiziell heiliggesprochen worden ist. Nach ihrem

Tod hat man sich offenbar zeitweilig darum bemüht, wie der ihr gewidmete hagiographische Text nahelegt. Eine moderne Edition stammt von Just, Vita Luitgarts (wie Anm. 147), 55–192. Ferner: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31576505 (aufgerufen am 9.8.2014); Bertholdus plebanus de Bombach, Leben der seligen Liutgart, http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_00639.htm (abgerufen am 5.8.2014); http://www.handschriftencensus.de/werke/1341 (aufge-rufen am 9.8.2014). Volker Zapf, Berthold von Bombach, in: Das geistliche Schrifttum des Spätmittel-alters (Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter, Bd. 2), Berlin–Boston 2011, 134 f. Ferner Ruh, Agnes von Ungarn (wie Anm. 85).

175 Fast über die ganze Handschrift finden sich lateinische Marginalien meist zum Inhalt von zwei Hän-den der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts, z. B. facilitas partus auf Blatt 5v vgl. http://www.manuscripta-mediaevalia.de/?xdbdtdn!%22obj%2031576505%22&dmode=doc#|3 (aufgerufen am 25.9.2014).

Denn man darf man sich fragen, ob sich ihr Wirken wirklich auf die Wirtschaftsför-derung durch Ankurbelung von Wallfahrt und Messeverkehr in Zurzach oder die Siche-rung von Rohstoffvorkommen in Wittichen beschränkte. Man ist heute allzu schnell geneigt, alles dem Primat der Ökonomie unterzuordnen. Dies gilt auch für die Belange der Frömmigkeit. Hier lohnt ein genauerer Blick. So ist das Bild Luitgarts von Witti-chen seit den 1970er Jahren verstellt durch ihre Verehrung als „Heilige des ungeborenen Lebens“.172 Hierbei handelt es sich um einen modernen Diskurs, der im Zusammenhang mit dem Streit um den legalisierten Schwangerschaftsabbruch entstanden ist und sie für den Standpunkt der katholischen Kirche vereinnahmt.173 Blickt man zurück in die Zeit von Königin Agnes, dann erfährt man aus der Vita Luitgarts von Wittichen (* 1292, † 1349) doch einiges mehr darüber, was sich dahinter verbirgt. Der Text stammt aus der Feder von Luitgards Beichtvater Berthold von Bombach und entstand wenige Jahre nach ihrem Tod offenbar zum Zwecke eines geplanten Heiligsprechungsverfahrens.174 Sehr auffällig befasst sich der Text mit Luitgarts vorgeburtlichem Leben im Mutterleib. Dabei geht es aber nicht um Schwangerschaftsabbruch, sondern um eine gewollte Ana-logie zur Jungfrau Maria.175 Laut ihrem Hagiographen waren die Schwangerschaft von

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176 Just, Vita Luitgarts (wie Anm. 147), 57–61: vnd do das kind geboren ward, do kam es also lichtenclich an die welt, das der můter schmerczen also klain was, das es wieder alle natur was, das vn vnser frowen kain můter ain kind so lichtenclich zů der welt brechte alß sy, das alle die frowen, die by der gebůrt warent, in groß wunder komend vnd sprauchend, diß hettent sy nie gehört noch vernommen. Es müßte ain sunder zaichen von gott sin vnd er mainte naißmas wunders, das er mit dem kinde würcken wölte (ebd., 60).

177 Just, Vita Luitgarts (wie Anm. 147), 153–158.178 Lichnowsky, Geschichte des Hauses Habsburg (wie Anm. 59), Bd. 3, Nr. 1235, S. 446: „Schwester

Lutgard von Wittichen und der Convent St. Klarenordens daselbst bezeugen, dass Herz. Albr. und s. Gem. Johanna 400 Gl. zum Ankauf von Gülten ihnen gegeben, wovon sie zwei Priester durch ewigeZeiten halten sollen, die für den Herz. und s. Gem. beten“ (Wittichen, 1340 April 1). Sie gehörten damit offenbar „zu den ersten Wohlthätern Wittichens“; vgl. Fürstenbergisches Urkundenbuch, Bd. 5, Nr. 399, 1, S. 376.

179 Vgl. Das Mirakelbuch von Zurzach, in: Reinle, Heilige Verena (wie Anm. 151), 48–61, hier 52: Cuonradus Burgundinorum rex inclitus, cum ex legitima uxore liberos non haberet, aestuanti animo cogi­tans, quem regni sui relinqueret heredem, dixit ad coniugem: Est locus in Alemannia Deo et sanctae Verenae virgini consecratus. Eamus et eius clementiam exoremus, ut filios habere possimus. Venerunt, devotissime ado­raverunt, munera obtulerunt, vota voverunt, quae et postea impleverunt, largisque elemosinis rite peractis, domum reversi sunt. Eadem nocte regina intravit ad regem, concepit et peperit filium. Quo adulto, vivente patre, suscepit regni gubernacula, et adhuc ordinato regimine principatur. Die Übersetzung ebd.

Luitgarts Mutter und die Geburt ihrer Tochter sehr leicht.176 In dem der Vita angefügten Wunderverzeichnis an ihrem Grabe ist daher die Zahl der komplizierten Schwanger-schaften und Totgeburten, an welchen sie Wunder vollbrachte, signifikant hoch.177 Dass man sich solche Wunder nicht erst von der toten Luitgart erhoffte, könnte die Tatsache belegen, dass Herzog Albrecht der Lahme und seine Ehefrau Johanna von Pfirt 400 Gul-den für zwei Priesterpfründen in Wittichen stifteten. Dies geht aus der Bestätigungsur-kunde Luitgards vom 18. April 1340 hervor.178 Zu diesem Zeitpunkt war ihr erster Sohn Rudolf (IV.) vier Monate alt.

Die heilige Verena hatte sogar Qualitäten, die nicht nur für schwangere Frauen, son-dern für ganze Fürstengeschlechter von existenzieller Relevanz waren. Sie hatte zudem den Vorteil, dass sie, anders als die Bauerntochter Luitgart, als „nahe Verwandte“ des Ritterheiligen Mauritius Identifikationsmöglichkeiten für sozial Hochgestellte bot. Die ausgeweitete Fassung ihrer Vita und das um 1010 entstandene Mirakelbuch schil-dern Verena als „Haushälterin eines Priesters“ und als Wohltäterin in Zurzach sowie das Pilger wesen an ihrem Grab. Dieses besuchten illustre Persönlichkeiten wie König Konrad von Hochburgund. Er hatte keine Kinder von seiner Ehefrau (uxor legitima), begehrte aber sehnlichst einen Erben, dem er sein Reich vermachen konnte. Daher sagte er zu ihr, dass es in Alamannien einen Ort gebe, der Gott und der heiligen Jungfrau Verena geweiht sei. Dort wolle er mit ihr hingehen, um Söhne zu erbitten.

„Sie kamen, beteten fromm, brachten Geschenke dar, legten Gelöbnisse ab, die sie nachher einlösten, gaben wie gebräuchlich großartige Almosen und kehrten dann nach Hause zurück. In der gleichen Nacht trat die Königin ins Gemach des Königs, empfing und gebar einen Sohn. Als dieser erwachsen war, übernahm er noch zu Lebzeiten des Vaters die Regierung und herrscht heute noch in guter Weise.“179

Unmittelbar im Anschluss daran berichtet das Mirakelbuch von einem Alemannenher-zog namens Hermann, der die alleredelste Matrone Reginlinde (nobilissima matrona)

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180 Quae postea concipiens, diu adoptato partu eius miseratione protulit geminos filios; Das Mirakelbuch (wie Anm. 179), 53.

181 Das Mirakelbuch (wie Anm. 179), 53.182 Das Mirakelbuch (wie Anm. 179), 55 f., 59. Im Laufe des Mirakelbuches begegnen ferner söhnelose

Grafen aus dem Gebiet der Franken; ebd., 55.183 Das Mirakelbuch (wie Anm. 179), 61.184 Reinle, Heilige Verena (wie Anm. 151), 61–64.

zur Frau nahm, aber ebenfalls keine Söhne von ihr bekam. Auch sie pilgerten beide zur heiligen Jungfrau Verena und bekamen daraufhin eine Tochter, was der Frau zuvor im Traum erschienen war.

Ein weiteres Wunder folgt diesen beiden unmittelbar im Anschluss. Wieder geht es um das Problem der Kinderlosigkeit: Eine fromme Matrone aus dem Elsass war nach langer Ehe unfruchtbar geblieben und wandte sich an die heilige Ottilia. Die Bitten hatten Erfolg, und sie bekam eine Tochter. Dies entsprach jedoch nicht ihren Wünschen und sie flehte weiter. Daraufhin bekam sie ein weiteres Mädchen, das sie aufgrund seines Geschlechts verabscheute. Sie hörte aber nicht auf zu bitten und bekam eine weitere Tochter. Schließlich war sie untröstlich und lag halbtot am Boden, als die Heilige zu ihr kam und sagte:

„Was du von mir erbatest, tat ich soweit ich konnte. Aber wenn Du Söhne haben willst, so bitte die heilige und verehrungswürdige Jungfrau Verena. Diese näm-lich, nicht ich, hat die Gnade, Söhne und Töchter zu schenken“ (Quod a me petisti, feci, prout potui. Sed si vis habere filios, pete sanctam venerandamque virgi­nem Verenam. Ipsa, non ego, habet gratiam donandi petentibus filios et filias).

Und so geschah es. Nach langem Flehen zu Verena bekam sie schließlich gleich zwei Söhne.180 Der anonyme Schreiber versichert im Anschluss, dass dies kein Einzelfall sei. „Denn noch heute sind ihrer viele, die um die gleiche Gnade bitten.“181 Im Text begeg-nen noch weitere kinderlose hochadelige Paare, wobei auch erläutert wird, wie man sich nach erteilter Gnade zu verhalten habe.182 Weiterhin wird vom Kinderwunsch Herzog Hermanns von Alemannien berichtet, der eine der Töchter des oben erwähnten König Konrads geheiratet hatte, aber nur Töchter und keine Söhne bekam. Auch hier half Verena dem Bittenden.183

Adolf Reinle hat in seinem Kommentar zum Mirakelbuch die darin Erwähnten zu identifizieren gesucht und historische Personen nachweisen können.184 Dies soll an dieser Stelle nicht referiert werden, weil es für die hier interessierende Fragestellung keine ent-scheidende Bedeutung hat. Wichtig ist, dass diese frommen Geschichten bekannt waren und es sich dabei um Könige und Herzöge und um ihre Ehefrauen handelte. Damit wurde ein Angebot gemacht, das Identifikationsmöglichkeiten schuf. Diese Identifika-tionsmöglichkeiten wurden in vergleichbaren Situationen aktualisiert, wie sich nachwei-sen lässt. Dies geschah bei den Habsburgern bereits im ausgehenden 13. Jahrhundert. Sie waren seit 1273 ein Geschlecht von Königen und seit 1282 eines von Herzögen. Aus dem Jahr 1294 stammt ein Schutzbrief des damals vierjährigen Herzogs Johann (* 1290, † 1313) für das Kloster der Heiligen. Darin heißt es, er habe selbst von seiner Mutter erfahren, dass sie, „unsere berühmte Mutter Agnes“, die Kirche von Zurzach als

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185 Reinle, Heilige Verena (wie Anm. 151), 97. Die Urkunde wird erwähnt bei Thomas, Das Jahr 1308 (wie Anm. 76), 21 f.

186 Dana Dvořáčková-Malá, Anežka, vévodkyně rakouská, dcera českého krále (1269–1296), in: Mediaevalia Historica Bohemica 13 (2010), 47–76.

187 Thomas, Das Jahr 1308 (wie Anm. 76), 20–38; Chronicon Koenigsfeldense (wie Anm. 35), 99 f.; Schütte, Königsmord und Memoria (wie Anm. 56), 84 f.

188 Vgl. Maurer, Der ehemalige Kirchenschatz (wie Anm. 115), 151 (1357 Juli 28). Das Reliquiar hat sich nicht erhalten, wird aber auf den Anfang 14. Jahrhundert datiert; vgl. Reinle, Heilige Verena (wie Anm. 151), 97, 132, 185. Daneben listet das Schatzverzeichnis eine weitere Verena-Reliquie auf, die in einem Behälter aus Bergkristall aufbewahrt wurde (ein cleines criställin mitt sant Verenen heiltům); vgl. Maurer, Der Ehemalige Kirchenschatz (wie Anm. 115), 252.

189 Zu den Glasfenstern als „Herzstück der repräsentativen Ausstattung Königsfeldens“ vgl. Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 218.

190 Kurmann-Schwarz, Mittelalterliche Glasmalereien (wie Anm. 101), 207; ferner ebd., 136, 156, 206, 218, 346, 355 f. Abb. ebd., Nr. 56, 6c, S. 476.

Ruhestätte Verenas „mit besonderer Liebe umhegt, […] der sie wegen unserer Geburt, die sie durch ihre Gnade erlangte, beständige Verehrung gelobt hat“.185 Zeitgenössische Texte wie dieser zeigen, dass der Verena-Kult und seine konkrete dynastische Funktion keine Überinterpretation fehlgeleiteter Historikerinnen und Historiker sind.

Dieser Johann sollte das einzige Kind aus der Ehe der Königstochter Agnes von Böhmen (* 1269, † 1296) mit Herzog Rudolf II. von Österreich (* 1270, † 1290), dem Sohn König Rudolfs I. von Habsburg, bleiben. Er kam nach dem Tode seines Vaters auf die Welt. Agnes zog sich als Witwe in das Klarissenkloster in Prag zurück.186 Ihr Sohn Johann, das Wunschkind seiner Mutter, war niemand anderes als der spätere Mörder sei-nes Onkels Albrechts I. Johann war in Brugg und Baden im Aargau aufgewachsen, nach dem Tod seiner Mutter an den Hof Wenzels II. († 1305), seines Onkels mütterlicher-seits, nach Prag gekommen und gemeinsam mit dessen Sohn Wenzel III. († 1306) auf-gewachsen. Später war er im Gefolge König Albrechts I., seines Onkels väterlicherseits und Vormunds, und seit 1307 Mitregent in den Stammlanden. Er forderte von ihm die Übergabe des Witwengutes seiner Mutter und den Erhalt der versprochenen Entschädi-gung seines Vaters. Der Mord an Albrecht geschah aus Rache, da sich Johann beim Erbe beider Elternteile von diesem betrogen fühlte.187 Königsfelden war der Memorialort die-ses Verbrechens.

Doch diese Bluttat des einstigen Wunschkindes tat der Verehrung der heiligen Verena durch die Habsburger keinen Abbruch. In Königsfelden besaß man ein „sil-bernes Haupt“ von ihr (ein geschlagen silbrin houpt mitt sant Verenen heiltům), das in dem durch Agnes erstellten Schatzverzeichnis von 1357 als Geschenk der Königswitwe Elisabeth angesprochen wurde; dabei handelte es sich wahrscheinlich um einen Reli-quienbehälter in Büstenform, der eine Schädelreliquie der Heiligen enthielt.188 Bereits in den 1330er Jahren wurde Verena in den Glasfenstern des Klosters Königsfelden ein Denkmal gesetzt.189 In einem Zyklus zum Leben der Jungfrau Maria erscheint Verena als Besucherin am Wochenbett Annas, die gerade die kleine Maria zur Welt gebracht hat. „Da die Gläubigen sie vor allem für Kindersegen anriefen, wurde sie wohl nicht zufällig in die Geburtsszene eingefügt“, heißt es in der Untersuchung zu den Glasfenstern von Brigitte Kurmann-Schwarz.190 Ikonographisch ist die Darstellung von hohem Interesse, da hier verschiedene legendarische Traditionen zusammengefügt wurden. Zum einen

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191 Jacopo da Varazze [Jacobus de Voragine], Legenda aurea. Edizione critica, hg. von Giovanni Paolo Maggioni, Tavernuzze–Firenze 21998, 901–905.

192 Vgl. Konrad Kunze: Jacobus a (de) Voragine (Varagine), in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 4, Berlin–New York 21983, Sp. 447–466, hier Sp. 452–466.

193 Et ita per annos xx prolem ex coniugio non habentes uouerunt domino quod si eis sobolem concederet eam seruitio domini manciparent; Jacopo da Varazze, Legenda aurea (wie Anm. 191), 903.

194 Jacopo da Varazze, Legenda aurea (wie Anm. 191), ebd., 903–905.195 Jacopo da Varazze, Legenda aurea (wie Anm. 191), ebd., 901–903.196 Klaus Arnold, Die Heilige Familie. Bilder und Verehrung der Heiligen Anna, Maria, Joseph und des

Jesuskindes in Kunst, Literatur und Frömmigkeit um 1500, in: Maria in der Welt, hg. von Claudia Opitz, Hedwig Röckelein [u. a.], Zürich 1993, 153–174; Angelika Dörfler-Dierken, Die Vereh-rung der heiligen Anna in Spätmittelalter und früher Neuzeit (Forschungen zur Kirchen- und Dogmen-geschichte 50), Göttingen 1992.

197 Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 199, auf der Basis von Hermann von Liebenau, Lebens=Geschichte der Königin Agnes von Ungarn, der letzten Habsburgerin des erlauchten Stamm-hauses aus dem Aargaue, Regensburg 1868, S. 531, Nr. 284, und S. 531, Nr. 296.

198 Item Keyser Karolus der kam dik zu ir vnd sprach das ir an selikeit vnd an wisheit nit gelich were in der Kris­tenheit, vnd er die ander Hester, dero gelich nit waz an sinnen vnd an wisheit; Chronicon Koenigsfeldense (wie Anm. 35), 109. Zum „Modell Esther“ vgl. Knut Görich, Kaiserin Beatrix, in: Frauen der Staufer, hg. von Karl-Heinz Ruess, Göppingen 2006, 43–58, hier 47 f.; Georg Scheibelreiter, Höfisches Geschichtsverständnis. Neuf Preux und Neuf Preuses als Sinnbilder adeliger Weltsicht, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 114 (2006), 251–288, hier 282.

199 Sauter, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 93), 156–237. Auch Rudolf IV. verbrachte mit seiner Frau bei Agnes das Weihnachtsfest; Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 202.

waren es offenbar die bereits behandelten Verena-Legenden aus dem Zurzacher Mirakel-buch. Diese wurden verbunden mit dem Bericht über die Geburt Marias.

Dieser findet sich nicht in der Bibel, sondern in der Legenda aurea.191 Bei dieser im 13. Jahrhundert entstandenen Sammlung von Heiligenlegenden handelte es sich, gemessen an den überlieferten Handschriften, um das am meisten verbreitete Buch des Spätmittelalters; vermittelt wurde sein Inhalt über die Predigten der Bettelorden.192 Nach ihr hatte Anna nach zwanzigjähriger Ehe mit Joachim immer noch keine Kinder bekommen,193 wodurch das Ehepaar soziale Ächtung erlitt.194 Anna wurde schließlich durch ein Wunder doch noch mit der späteren Gottesmutter Maria schwanger und gebar aus zwei nachfolgenden Ehen weitere zwei Töchter gleichen Namens.195 Sie galt den Zeitgenossen daher als Patronin der Familie, der Schwangeren und besonders der kinderlosen (älteren) Frauen.196

Agnes’ Expertise scheint ihr nicht nur bei ihren direkten Verwandten ein hohes Renommee eingetragen zu haben. Vielleicht steht sogar der Besuch Karls IV. bei ihr damit in Zusammenhang. Der König war zwei Mal in Königsfelden, im September 1352 und im Oktober des darauffolgenden Jahres.197 Er verglich ihre Weisheit mit der der alttestamentarischen Königin Esther, wie der Königsfeldener Chronist zu berichten weiß. Diese erlöste unter Einsatz ihres Lebens das Volk Israel aus der babylonischen Gefangenschaft. Im Mittelalter zählte sie daher zu den neun Heldinnen in Analogie zu den neun Helden.198 Es ist nicht auszuschließen, dass auch bei Karl IV. eine Beratung in Sachen Kinder- bzw. Söhnelosigkeit erfolgte. Karl hatte aus seiner ersten Ehe zwei Töch-ter, von denen die ältere Margarete (* 1335) bereits 1349 verstorben war. Die jüngere, 1342 geborene Tochter Katharina heiratete 1357 Herzog Rudolf IV. von Österreich; dieser war Agnes’ Neffe und erstgeborener Sohn ihres Bruders Albrecht II.199 Während

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200 Schwennicke, Europäische Stammtafeln, Tafel 82.201 Regesta Imperii, Bd. 8, Nr. 2657a; dazu Hans-Walter Stork, Der pilgernde Kaiser. Karl IV. am Grab

der Heiligen Elisabeth, in: Elisabeth von Thüringen und die neue Frömmigkeit in Europa (Kultur-geschichtliche Beiträge zum Mittelalter und der frühen Neuzeit 1), hg. von Christa Bertelsmeier-Kierst, Frankfurt a. M. [u. a.] 2008, 150–170, hier 155, 168 f.

202 „Mit der Geburt der kleinen Elisabeth bekam die Marburgfahrt Karls IV. eine neue persönliche Ebene“; Stork, Der pilgernde Kaiser. Karl IV. am Grab der Heiligen Elisabeth (wie Anm. 201), 170. Zu den zahlreichen mittelalterlichen Wundern am Grab der Heiligen Elisabeth gehört „die auffällige Tatsache, daß der Anteil der Kinder unter den Geheilten besonders hoch ist“; Matthias Werner, Bericht über die Wunderheilungen am Grab der Elisabeth, in: Sankt Elisabeth. Fürstin, Dienerin, Heilige. Aufsätze, Dokumentation, Katalog, Sigmaringen 1981, Nr. 92, S. 448 f., hier S. 448.

203 Regesta Imperii, Bd. 8, Nr. 3565a (Nürnberg, 1361 Februar 26), in: Regesta Imperii Online, URI: http://www.regesta-imperii.de/id/1361-02-26_1_0_8_0_0_3922_3565a (aufgerufen am 7.9.2014). Dazu auch Joannis Friderici Schannat, Vindemiae Literariae. Hoc est Veterum Monumentorum Ad Germaniam Sacram Praecipue Spectantium Collectio […], Bd. 2, Fulda [u. a.] 1724, Nr. 33, S. 133 f. Die Taufe fand mit großem Gepränge am 11. April 1361 in Nürnberg statt; vgl. Regesta Imperii, Bd. 8, Nr. 3621a, in: Regesta Imperii Online, URI: http://www.regesta-imperii.de/id/1361-04-11_1_0_8_0_0_3980_3621a (aufgerufen am 7.9.2014). Dazu Emil Werunsky, Geschichte Kaiser Karls IV. und seiner Zeit; Bd. 3, Innsbruck 1892, 237 f.

204 Regesten Kaiser Karls IV. (1346–1378), […] bearb. v. Eberhard Holtz, Berlin 2013, online unter: http://www.regesta-imperii.de/fileadmin/user_upload/downloads/ri_viii_karliv_auszug.pdf (aufgerufen am 15.9.2014), unter Datum (Aachen, 1362 Dezember 20); Regesta Imperii, Bd. 8, Nr. 3896, Düsseldorf, Hauptstaatsarchiv, Bestand Aachen Marienstift, Urkunde 338.

205 Vulgata, Lukas 1,25: post hos autem dies concepit Elisabeth uxor eius et occultabat se mensibus quinque dicens quia sic mihi fecit Dominus in diebus quibus respexit auferre obprobrium meum inter homines.

die Habsburger zur Zeit des Besuches die dynastische Krise bereits überwunden hatten und wieder über insgesamt vier Söhne verfügten, steckte Karl IV. mitten im Problem. Sein bis dato einziger Sohn Wenzel, geboren am 17. Januar 1350, war nicht ganz zwei-jährig im Dezember 1351 gestorben. Anfang Februar 1353 war ihm die Mutter, Karls zweite Ehefrau Anna von der Pfalz (* 1329), gefolgt.200

Für die Annahme einer „Beratung“ mit Agnes könnte sprechen, dass Karl IV. gemein-sam mit seiner dritten Ehefrau, Anna von Schweidnitz (* 1339, † 1362), im Mai des Jahres 1357 eine Wallfahrt zum Grab der heiligen Elisabeth nach Marburg und direkt anschließend zur Marienkirche nach Aachen unternahm.201 Er hatte Anna als Vierzehn-jährige 1353 geheiratet, die Ehe blieb allerdings in den folgenden Jahren kinderlos. Sie brachte neun Monate nach der Wallfahrt eine Tochter zur Welt, die sicher nicht zufällig auf den Namen Elisabeth getauft wurde.202 Im Jahre 1361 kam dann ein Sohn, der genau wie sein einziger, früh verstorbener Halbbruder auf den Namen Wenzel getauft und sogar in Gold aufgewogen wurde. Dieses Vermögen ging an die Marienkirche in Aachen.203 Um die Weihnachtszeit des Jahres 1362 weilte Karl erneut in Aachen und stif-tete an derselben Kirche einen Altar zu Ehren des heiligen Wenzel.204 Die Heils wirkung der in Marburg verehrten ungarischen Königstochter und thüringischen Landgrafen-witwe Elisabeth könnte sich aus ihrer Mittlerinnentätigkeit zur biblischen Elisabeth her-leiten. Laut dem Lukas-Evangelium (Lukas 1,11–80) war diese unfruchtbar und stand bereits in vorgerücktem Alter, als der Engel Gabriel ihr die Geburt eines Sohnes namens Johannes (des späteren Täufers) weissagte und sie und ihren Mann Zacharias – so der Text der Vulgata – von der „Schande“ (obprobium) der Kinderlosigkeit erlöste.205

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206 Vermutung bei Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 174 f. Das Klarissenkloster in Meran wurde 1309, d. h. zeitgleich mit Königsfelden, von einer Schwägerin Elisabeths und damit einer Tante von Marga-rete und Agnes gegründet; ebd., 174; Widder, Margarete „Maultasch“ (wie Anm. 36), 79. Es wäre zu überlegen, ob sich die Mitteilung des Chronicon Koenigsfeldense (wie Anm. 35), 103, auf die Stiftung in Meran bezieht: Dero was eini Hertzogin zuo Presla vnd ir bruoder tochter Hertzogen zu Kerndern solten in Sant Claren orden, vnd ir wil da sterben.

207 Albrecht hatte in Brugg „am 17. Oktober [1354], bereits die Verlobung zwischen seiner Tochter Mar-garetha und dem bayerischen Herzog Meinhard gefeiert“; Moddelmog, Königliche Stiftungen (wie Anm. 77), 152; Liebenau, Lebens=Geschichte der Königin Agnes (wie Anm. 197), S. 241 (mit ebd., Nr. 309, S. 539 f.).

208 Vgl. Lenzenweger, Die Eheangelegenheit der Margarete Maultasch (wie Anm. 38), 63–69; Nieder-stätter, Die Herrschaft Österreich (wie Anm. 46), 243 f.; Widder, Margarete „Maultasch“ (wie Anm. 36), 69 f.

209 Vgl. Lichnowsky, Geschichte des Hauses Habsburg (wie Anm. 59), Bd. 3, Nr. 1599, S. 479 (1352 Sept. 1); ebd., Nr. 1601–1607, S. 480; ebd., Nr. 1655, S. 484. Ferner das Regest über die Verlobung ihrer Kinder bei Lichnowsky, ebd., Bd. 3, Nr. 1598, S. 479 (Baden im Aargau, 1352 August 10); ebd., Nr. 1750, S. 494 (Innsbruck, 1354 Dezember 7).

210 Liebenau, Lebens=Geschichte der Königin Agnes (wie Anm. 197), 270.

Nach dieser knappen Vorstellung von Margarete Maultasch und der ausführlicheren von Agnes von Ungarn lassen sich für die Typologie weiblicher politischer Wirksamkeit eine Reihe von Aspekten herausarbeiten, wobei zunächst von den Gemeinsamkeiten geredet werden soll. Bei beiden handelte es sich um Fürstinnen, die zwar nicht gleich alt, aber als Geschwisterkinder nah miteinander verwandt waren. Möglicherweise hatte sogar das Klarissenkloster in Brixen als Vorbild für Königsfelden gedient.206 Dass sie sich persönlich gekannt haben, ist sehr wahrscheinlich. Margaretes Sohn, Meinhard III., war seit 1352, spätestens 1354 einer Tochter Albrechts II. versprochen. Die Verlobung fand 1354 in Brugg im Aargau statt.207 In der Folgezeit war Albrecht II. an der Aufhebung des Kirchenbannes über das Tiroler Paar und an der Legalisierung ihrer Ehe beteiligt, was sich über mehrere Jahre hinzog.208 Gleichzeitig hatte Margaretes Ehemann, Mark-graf Ludwig von Brandenburg, Herzog von Bayern und Graf von Tirol, bereits vorher mehrfach in Konflikten zwischen den Habsburgern und den Eidgenossen vermittelt.209 Auch bei Festveranstaltungen wie einem 1360 veranstalteten Turnier in Zofingen war er anwesend.210

Während Agnes genau wie Margarete vermutlich das zweitgeborene Kind nach einer älteren Schwester war, folgten Agnes noch eine große Zahl weiterer Geschwister beider-lei Geschlechts. Bei Margarete war dies nicht der Fall. Sie wurde als „Erbtochter“ zum Faustpfand der Politik ihres Vaters, mit zunächst sehr begrenzten Handlungsmöglich-keiten. Auch Agnes und ihre ältere Schwester Anna hatten, zumindest für eine kurze Zeit ihres Lebens, als Erbtöchter gegolten, bevor ihr erster Bruder Rudolf III. um 1281 auf die Welt kam.

Durch die kinderlose erste Ehe der „Erbtochter“ Margarete mit dem „fremden“ Ehemann Johann Heinrich von Böhmen baute sich ein Legitimationsdefizit auf, das sich massiv auf die politische Gemengelage und die daran hängenden sozialen Ordnun-gen auswirkte. Dadurch geriet das politische System immer stärker unter Druck und verlangte nach Lösungen. Diese standen in Konflikt mit den herrschenden Normen der Zeit und waren nur zu einem geringen Teil gedeckt durch das ebenfalls politisch

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211 So ihr Neffe Friedrich (* 1327, † 1344), Sohn ihres Bruders Otto († 1339); Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 201, basierend auf Liebenau, Lebens=Geschichte der Königin Agnes (wie Anm. 197), S. 510 f., Nr. 225.

umstrittene Reichsoberhaupt Kaiser Ludwig IV., das die Gelegenheit zur eigenen dynas-tischen Machtausweitung nutzte.

Bei Agnes verhielt es sich vollkommen anders, und doch nicht ganz. Da sie keine „Erbtochter“ war, wurde sie aus politischen Gründen und durchaus zeittypisch nach „auswärts“ verheiratet. Diese Ehe mit dem ungarischen König Andreas III. diente vor-nehmlich den „außenpolitischen“ Interessen ihrer Herkunftsfamilie. In ihrer genera-tiven Struktur war sie der Margaretes nicht ganz unähnlich. In beiden Fällen gab es keine (männlichen) Nachkommen, die eine Herrschaftsnachfolge unproblematisch gestaltet hätten. Dies führte bei Margarete zur Bedrohung der Herrschaft, im Falle von Agnes zur Auflösung der politischen Ordnung nach dem Tode ihres Mannes.

Im Gegensatz zu Margarete, die ihrem Ehemann dafür die Schuld gab und eine zweite Beziehung einging, besaß Agnes diese Chance nicht, da ihr königlicher Gemahl eine Tochter aus erster Ehe hatte. Dieses Dilemma scheint Agnes zwar nicht zu lösen vermocht, aber es versucht zu haben; dabei entwickelte sie offenbar eine Art Expertise in Bezug auf Kinderlosigkeit und ihre Lösungen. Diese Expertise lässt sich heute nur noch auf dem Feld der Religiosität nachweisen; vermutlich hätte man sie – bei entspre-chender Über lieferung – auch im medizinischen Bereich finden können. Auf jeden Fall scheint ihr dieses Problem zugesetzt zu haben. Für sie bestand nach ihrer Verwitwung die Lösung darin, als Zwanzigjährige hinkünftig keine weitere Ehe einzugehen und gleichzeitig ihrer Herkunftsfamilie in vielfältiger Hinsicht zu dienen. Dies erwies sich als umso notwendiger, als das Erlöschen ihrer Geschwisterreihe im Laufe der 1320er Jahre voranschritt. Den „Makel“ der Kinderlosigkeit tilgten ihre Hagiographen, indem sie sie zu einer „heiligen Königin“ stilisierten, die in freiwilliger ehelicher Keuschheit mit ihrem Ehemann gelebt habe.

Den Rang als Königin behielt sie auch nach ihrer kurzen Ehe und stellte ihn in den Dienst ihrer Herkunftsfamilie, einem Geschlecht von Königen und Herzögen, für das sie in ihrer weiteren, langen Lebensspanne vielfältige Aufgaben übernahm. Diese waren auch in einem klassischen Sinne „politisch“. Sie agierte als Herrschaftsrepräsentantin in den Vorlanden, den eigentlichen Stammlanden, in einer Zeit, in der sich die Habsbur-ger herrschaftlich immer weiter nach Osten verlagerten und gleichzeitig immer weniger Männer zur Verfügung standen. Agnes’ Aktionen umfassten auch Vermittlertätigkeiten in Streitfällen, in die Familienmitglieder involviert waren. Ihr zur Seite standen treue Untergebene, deren Beziehungen zur Familie möglicherweise auf illegitimer Verwandt-schaft beruhten. Agnes unterhielt sogar eine Art „Frauen-Hof“, der aber eher spiritueller als realer Natur war. Sie trug Verantwortung für vierzig vornehme Jungfrauen aus den edelsten Familien des Landes, die ihr Leben Gott geweiht hatten. Für diese Funktionen wurde sie mit Herrschaftsrechten aus der habsburgischen Territorialmasse entschädigt. Gleichzeitig wurde die nächste Generation in Person der Söhne Herzog Ottos an ihrem Hof sozialisiert, d. h. auf die Herrschaftsaufgaben vorbereitet.211 Problematisch wurde die Situation, als diese nur wenige Monate hintereinander im Jahre 1344 starben und die dynastische Krise sich damit verschärfte. Für drei lange Jahre war Rudolf, der Sohn

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212 Vgl. die Begünstigten in ihrem Testament. Legate aus ihrem Besitz in Österreich gingen auch an die Wiener Minoriten und Klarissen; Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 211. Edition: Liebenau, Hun-dert Urkunden (wie Anm. 106), Nr. 107, S. 163 f. (Königsfelden, 1362 April 13). – Bereits wenige Jahre vorher hatte sie 300 Mark Silber an das Klarissenkloster in Wien zu ihrem Seelenheil gestiftet an ir buwe und daz och der frawen phrund davon gebessert werden […]; Quellen zur Geschichte der Stadt Wien, bearb. v. Adalbert Starzer, Abt. 1: Regesten aus in- und ausländischen Archiven mit Ausnahme des Archives der Stadt Wien, Bd. 5, Wien 1906, Nr. 4812, S. 17 (Königsfelden, 1359 März 22).

213 Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 191 f.214 Dieter Berg, Königshöfe und Bettelorden. Studien zu den Beziehungen der Mendikanten zu den ara-

gonesischen und kastilischen Herrscherhöfen im 13. Jahrhundert, in: Imperios Sacros, Monarquías divinas. Heilige Herrscher, Göttliche Monarchien, hg. von Carles Rabassa / Ruth Stepper (Col.leció Humanitats 10), Castelló de la Plana 2002, 129–160; Raphaela Averkorn, Adelige Frauen und Men-dikanten im Spannungsverhältnis zwischen Macht und Religion. Studien zur Iberischen Halbinsel im

Albrechts II., der einzige Erbe, erst dann folgten mit Friedrich (* 1447), Albrecht (III., * 1348) und Leopold (III., * ca. 1350) noch weitere Söhne.

Den Preis, den Agnes dafür zahlte, war der Verzicht auf eine zweite Ehe. Trotz ihrer physischen Kinderlosigkeit hatte sie allerdings solche, falls man es so nennen kann. Ihre Stieftochter Elisabeth stand unter ihrer Obhut. Damit wurde das Mädchen auch in die Herrschaftsinteressen der Habsburger eingebunden, indem eine bereits angebahnte Ehe mit einem Herrschaftskonkurrenten verhindert wurde. Stattdessen wurde sie Nonne und entwickelte sich zu einer angehenden Heiligen. Damit war auch ihrer Stiefmutter Agnes und ihrem Geschlecht gedient. Von ihrem Neffen Friedrich, der in ihre Obhut gegeben wurde, war bereits die Rede.

Neben dem Kloster Königsfelden selbst existierten für Agnes eine Reihe weiterer Bezugsräume. Zum einen war es die Region, in der sie durch Ankäufe, Stiftungstätigkeit und Schlichtertätigkeit agierte. Demgegenüber gewährte der Verband der minoritischen Ordenszweige Einfluss- und Kommunikationsmöglichkeiten ganz anderer Art. Agnes agierte hier in einem Netzwerk von Ordensangehörigen, wobei der nicht an die Stabili-tas loci gebundene erste Orden der Franziskaner intellektuelles Kapital und Wirkungs-möglichkeiten bot, die einer vertieften wissenschaftlichen Betrachtung bedürften.212 Die klausurierten Klarissen wiederum repräsentierten die adelige Welt im Kloster selbst und schufen einen prestigeträchtigen Rahmen für die Memoria an die verstorbenen Könige und Königinnen, Herzöge und Herzoginnen. Natürlich bewegte sich Agnes im fami liären Umfeld, hatte Umgang mit ihren Geschwistern, deren Ehepartnern und Kindern. Hier übernahm sie verschiedene Aufgaben wie die Obhut angehender Herrschaftsnachfolger, die Kooperation mit den habsburgischen Amtsträgern, wirtschaftliche Initiativen, die Pflege der Kontakte und offenbar auch eine Form von Beratungstätigkeit in Sachen dynas-tischer Planung angesichts bestehender Probleme. Darüber hinaus existierte ein Netzwerk von Laien, die sich für die Förderung der Orden einsetzten. Dieses Netzwerk agierte europaweit und speiste sich aus Verwandtschaft und Schwägerschaft; es lieferte Vorbilder für eigene Lebensentwürfe wie Elisabeth von Thüringen (* 1207, † 1231), Agnes von Böhmen (* um 1211, † 1282), Kinga/Kunigunde von Ungarn/Polen (* 1224, † 1292), Isabella von Frankreich (* 1242, † 1271) und Sancia von Neapel (* 1286, † 1345).213 Besonders die Frauen treten in den Fördernetzwerken hervor; sie deckten sich teilweise mit den als heilig geltenden bzw. heiliggesprochenen Fürstinnen, wie verschiedene Stu-dien nachweisen konnten.214 Die Frage stellt sich, was gerade die Frauen so besonders

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Spätmittelalter, in: ebd., 219–268; dies., Landesherren und Mendikanten in den burgundischen Ter-ritorien vom 13. bis 15. Jahrhundert, in: Könige, Landesherren und Bettelorden. Konflikt und Ko- operation in West- und Mitteleuropa bis zur frühen Neuzeit (Saxonia Franciscana 10), hg. von Dieter Berg, Werl 1998, 207–276; Boner, Königsfelden (wie Anm. 35), 178–184. – Um 1320 erscheinen Elisabeth von Thüringen und der erst 1318 kanonisierte Ludwig von Toulouse unter den Heiligen der vier Königsfeldener Altäre; ebd., 186, wenige Jahre später auf den Glasfenstern im Chor (ebd., 186 f.).

215 „Ähnliche Beobachtungen in Bezug auf die Förderung der Wiener Franziskaner und Klarissen deuten zudem darauf hin, dass die spezifische Spiritualität dieses Ordens gerade für Frauen attraktiv war, wäh-rend sich die habsburgischen Herzöge eher anderen religiösen Gemeinschaften zuwandten“; Moddel-mog, Königliche Stiftungen (wie Anm. 77), 140.

216 Zur Kirche vgl. Werner Maleczek, Zu den ersten Jahren des Wiener Minoritenklosters, in: „Una strana gioia di vivere“. A Grado Giovanni Merlo, hg. von Marina Benedetti und Maria Luisa Betri, Milano 2010, 283–296; Barbara Schedl, „Dacz Münster dasc den Minnern Prüdern zu Wienne erbawe …“. Zur „virtuellen Rekonstruktion“ der mittelalterlichen Minoritenkirche in Wien, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 52 (1998), 479–490; Maria Parucki, Die Wiener Minoriten-kirche, Wien [u. a.] 1995.

217 Ein Göttinger Geschichtsschreiber formulierte im 16. Jahrhundert angesichts der Lebensgeschichte einer Herzogin von Braunschweig-Lüneburg aus dem 14. Jahrhundert entsprechend drastisch, sie habe aufgrund von Kinderlosigkeit bzw. nicht überlebender Nachkommen keine Totenmemoria erhalten (weil sie keine kinder dan dissen Brunonem, wirth ihrer nicht gedacht); Franciscus Lubecus, Göttinger

anzog, d. h. warum „die spezifische Spiritualität dieses Ordens gerade für Frauen attraktiv war“.215 Zur Beantwortung dieser Frage wäre es reizvoll, danach zu schauen, wie viele kinderlose oder von (ihren verstorbenen) Kindern „verwaiste“ Fürstinnen sich darunter befunden haben. Zumindest bei Agnes, Kinga, Isabella und Sancia war dies der Fall.

Fragt man sich, worin die Unterschiede zu Margarete liegen, dann lassen sich darauf verschiedene Antworten geben. Problematisch war, dass Margarete im Laufe ihres Lebens und aufgrund ihrer politisch einzigartigen Stellung als Erbin eines reichen Lan-des sich mit verschiedenen reichspolitisch aktiven Parteien überworfen hatte. Dies hatte aber kaum zu erweiterten Handlungsmöglichkeiten geführt, sondern vielmehr zu Ein-schränkungen, da es dadurch offenbar eher zu verschärfter Kontrolle als zu höherer Eigenständigkeit gekommen war. Dies galt sowohl für die Luxemburger wie auch für die ihnen nachfolgenden Wittelsbacher und schließlich für die Habsburger, die nichts Besseres zu tun hatten, als Margarete bei erster Gelegenheit außer Landes zu schaffen und damit politisch „kaltzustellen“. Vielleicht teilte Margarete damit eher das Schicksal Elisabeths von Ungarn, der Stieftochter von Agnes. Deren Freiheit bestand schließlich aus einem vermutlich nicht freiwilligen Rückzug aus der „politischen“ Welt. Dasselbe galt spätestens ab 1363 auch für Margarete von Tirol.

Der Bestattungsort bei den Wiener Minoriten216 war sicher kein Zufall und ent-sprach vielleicht nur dem vielfach erwähnten „Trend“ der Zeit. Damit fügte sich Mar-garete in das Netzwerk ein, in dem Agnes über Jahrzehnte eine wichtige Rolle gespielt hatte. Dennoch darf man sich fragen, ob mit Margaretes Entscheidung nicht noch mehr verbunden war. Sie folgte damit zwei verheirateten Frauen, deren Schicksal sie teilte. Auch sie waren Fremde, von hohem Stand und hoher Abkunft. Nur etwas war falsch: Sie hatten keine, oder keine überlebenden Söhne; sie hatten ihre primäre politische Auf-gabe nicht erfüllt und fielen somit heraus aus der dynastischen Raison: „Ihrer gedachte keiner“, wie es im 16. Jahrhundert heißen sollte.217 Sie hofften auf die Fürsprache des

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Annalen. Von den Anfängen bis zum Jahr 1588, bearb. v. Reinhard Vogelsang (Quellen zur Geschichte der Stadt Göttingen 1), Göttingen 1994, 102.

218 Sancia, die (kinderlose) zweite Ehefrau König Roberts von Neapel, verfügte, dass in jedem Konvent des ganzen Ordens „an jedem Tag zu Lebzeiten Sancias und Roberts eine Messe für die Lebenden gelesen werden“ sollte und „nach dem Tode ebenso eine Totenmesse auf ewig“; Würth, Altera Elisabeth (wie Anm. 64), 523.

219 Rudolf wurde im Prager Veitsdom bestattet, Friedrich der Schöne in der Kartause Mauerbach; Schwen-nicke, Europäische Stammtafeln, Bd. 1,1, Tafel 41. Zu einem „francesanesimo di corte“ in Neapel in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts, der mit der Verehrung Ludwigs von Toulouse aus dem Hause der Anjou einherging, vgl. Christina Andenna, Secundum regulam datam sororibus sancti Damiani. San-cia e Aquilina: Due esperimenti di rotorno alle origini alla corte di Napoli nel XIV secolo, in: Franciscan Organisation in the Mendicant Context. Formal and informal structures of the friar’s lives and ministry in the Middle Ages (Vita regularis 44), hg. von Michael Robson und Jens Röhrkasten, Berlin 2010, 139–178, hier 157–160. Zu den verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Anjou und den Ara-gonesen, Ungarn und der heiligen Elisabeth vgl. Würth, Altera Elisabeth (wie Anm. 64), 517 f.

220 Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien (wie Anm. 60), 63 f.; Dopsch, Rudolf III. (wie Anm. 54), 178 f.; Lhotszky, Geschichte Österreichs (wie Anm. 169), 143–145; Sauter, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 93), 53; Barbara Schedel, Dacz Münster dasc den Minnern prüdern ze Wienne erbawe … Zur virtuellen Rekonstruktion der mittelalterlichen Minoritenkirche in Wien, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 53 (1998), 479–490.

221 Vgl. dazu die Notiz bei Johann von Viktring; Johannes Victoriensis, Bd. 2, 137: Hoc anno in die beate Margarete transiit Elizabeth relicta regis Friderici et apud fratres Minores in Wienna sub marmoreo sarcofago prope Blankam Rudolfi regis Bohemorum relictam, Francorum regis filiam, tumulatur. O quam luctuosa mors iuvenum principum. Dazu Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien (wie Anm. 60), 73. Zu den genealogischen Verbindungen vgl. Schwennicke, Europäische Stammtafeln, Bd. 1,1, Tafel 41.

222 Zu Anna vgl. Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien (wie Anm. 60), 73, 76, 78. Eine Toch-ter Herzog Albrechts II. wurde später ebenfalls Äbtissin des Klosters; Opll, Nachrichten aus dem mittel-alterlichen Wien (wie Anm. 60), 83 f.; Schwennicke, Europäische Stammtafeln, Bd. 1,1, Tafel 41.

223 Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien (wie Anm. 60), 83 f.; Schwennicke, Europäische Stammtafeln, Bd. 1,1, Tafel 41.

Poverello und die Fürsorge seiner Ordensbrüder.218 Es waren Blanche (* ca. 1278, † 1305), Tochter König Philipps III. von Frankreich, erste Ehefrau Herzog Rudolfs III. von Österreich (* 1282, † 1307), des ältesten Bruders der Agnes von Ungarn, und es war Elisabeth (* 1305, † 1330), Tochter Jaimes II. von Aragon und Ehefrau König Friedrichs des Schönen (* 1289, † 1330), auch er ein Bruder der ungarischen Königs-witwe. Weder Blanche noch Elisabeth fanden an der Seite ihrer Ehemänner ihre letzte Ruhestätte, sondern wählten die Kirche der Minoriten in Wien.219 Blanche starb bei der Fehlgeburt ihres einzigen Kindes, einer Tochter. Ihr Tumbengrab ging 1784 bei der Auf-hebung des Klosters verloren; es haben sich aber Kupferstiche davon erhalten: auf der Grabplatte war die verstorbene Herzogin mit ihrem toten Mädchen dargestellt.220 Die 1330 verstorbene Königin Elisabeth hinterließ zwei Töchter; ihr 1316 geborener Sohn Friedrich war 1322 als Sechsjähriger, d. h. lange Zeit vor seiner Mutter gestorben und in Königsfelden bestattet worden.221 Es ist vermutlich kein Zufall, dass ihre jüngste Tochter Anna (* 1318, † 1343) nach zwei kinderlosen Ehen ab 1340 Nonne, später Äbtissin des Wiener Klarissenklosters wurde.222 Katharina (* 1342, † 1381), eine Tochter Herzog Albrechts II., folgte ihr später in diesem Amt.223

Königin Elisabeth, Schwägerin Albrechts II. und Ehefrau seines Bruders Friedrichs des Schönen, sorgte in ihrem Testament, das sie zwei Jahre vor ihrem Tod machte, umfassend für ihr Seelenheil, indem sie nahezu ihre gesamten verfügbaren Mittel auf

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224 Zu ihrem am 24. April 1328 ausgestellten Testament vgl. [Regesta Habsburgica 3] n. 1914, in: Regesta Imperii Online, URI: http://www.regesta-imperii.de/id/1328-04-24_1_0_7_0_0_1920_1914 (aufge-rufen am 11.8.2014). Darin bestimmte sie als ihren Begräbnisort die „von ihr erbaute[.] St. Ludwigs-kapelle bei den Minderbrüdern zu Wien“; große Legate gingen an die Klarissen in Wien und Königs-felden, ferner gab sie „den Predigerinnen zu Töss 2 Mark und Schwester Elisabeth, der Tochter des Königs von Ungarn, die in deren Kloster ist, 5 Mark“; ebd.

225 Sin [= Albrechts I.] erst geborner sun hiess Ruodolff. Der wart Küng zu behem dem wart gemähelt frow Blanka von dem hus von frankrich, die was zemäl ein demütig gottförchtige frow. Diese frow starb jung vnd lit begraben zu Wien bi den mindern bruodern do man zalt von gottes gepurt drizehen hundert jar. […] Der ander sun was der durchlüchtig fürst Fridrich Küng Römschs Richs, dem wart gemähelt Küng Jacobs tochter von Arragonien genant Elsbeth. Diss buwet sant Katerinen capell zu Wien vff der minder bruoder hoff statt. In der selben Capell lit frow Blanka begraben, von der vor geseit ist. Do dise frow Elsbeth vil gnädricher werken durch gottes willen getät, do starb sy do man zalt von Cristus gepurt drizehen hundert vnd vier vnd drissig jar Idus Julii, vnd wart öch in ir Cappelle begraben; Chronicon Koenigsfeldense (wie Anm. 35), 93. Ferner Necrologium patrum minorum ad s. Crucem Vindobonae, hg. von Adalbertus FranciscusFuchs, in: MGH Necrologia, Bd. 5,2, Berlin 1913, 166–195, hier 177, 179, 180 f., 187 f., 191 f., 194.

226 Zotz, Fürstliche Präsenz und fürstliche Memoria (wie Anm. 95), 365; Bihrer, Zwischen Wien und Königsfelden (wie Anm. 78), 114 f. Zur Deutung von Albrechts I. Ermordung als Katastrophe nicht nur für Deutschland und das Haus Österreich, „sondern auch für die Familie“ Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 188 f.

227 Vgl. Hanspeter Danuser, Göllheim und Königsfelden. Ein Beitrag zur Geschichte König Albrechts I., Diss. Zürich 1974, 102–123; Hilsebein, Das Kloster als Residenz (wie Anm. 72), 189; Boner, Königs-felden (wie Anm. 35), 107–113.

eine Vielzahl von geistlichen Institutionen verteilte. Hiervon profitierten in starkem Maße die Bettelorden, besonders die des heiligen Franziskus.224 Auch Agnes wählte ihre letzte Ruhestätte beim heiligen Franziskus und seinen Ordensangehörigen. Über alle diese Dinge war man nicht nur in Königsfelden, sondern auch in Wien erstaunlich gut informiert.225

Wenn in der Literatur die Ansicht vertreten wird, im Jahre 1308 sei mit dem Ver-lust der Königswürde „die Phase der größten Krise des Hauses eingeleitet“, durch das Gegenkönigtum Friedrichs des Schönen gesteigert und erst durch den „verstärkten Zugriff Rudolfs IV.“ in den 1360er Jahren gelöst worden,226 dann kann man darauf nur antworten: Die größte Krise des Hauses spielte sich genau in den Jahren ab, in denen das Schicksal der Familie aufgrund des Ausfalls von Vertretern und Erben am seidenen Faden hing. Es waren die für die Habsburger dynastisch katastrophalen 1320er und 1330er Jahre. In der Wahrnehmung und Deutung der Zeit fand Agnes die angemessene Lösung; sie wurde damit zur Retterin ihrer Familie.

Kann man es dabei belassen, die „Sünderin“ Margarete gegen die „angehende Hei-lige“ Agnes zu stellen? Man muss diese Frage in der Longue durée verneinen. Auch Agnes’ Andenken ist genau wie das Margaretes verdunkelt. Bei ihr waren es die Eidge-nossen, die sie als blutrünstige Rächerin des Todes ihres Vaters diffamierten und tradier-ten.227 Daher sind in der Bewertung späterer Generationen beide Frauen diskreditiert und stehen damit ähnlich da. Dies verstellt aber den Blick auf ihre politische Wirk-samkeit. Beide handelten angesichts dynastischer Krisen, hatten dynastische Brüche in ihren politischen Auswirkungen am eigenen Leib erlebt und daraus ihre Lehren (oder Handlungsoptionen) gezogen. Damit handelten sie politisch. Bei Margarete waren es zwei hochrangige Heiraten, die erste mit dem Sohn eines Königs und Enkel eines Kai-

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sers, die zweite mit einem Kurfürsten und Sohn eines Kaisers. Bis zum frühen Tod ihres erwachsenen Sohnes war dieses Leben trotz skandalöser Elemente und nachtragender Opfer ihrer „dynastischen Politik“ ein Erfolg. Nach dem kinderlosen Tod Meinhards III. blieb davon nichts übrig, und Männer gestalteten danach ihre Handlungsoptionen. Bei Agnes verhält es sich anders; ihr Preis war der Verzicht auf eine zweite Ehe, die durch Rang, Repräsentation, innerfamiliäre Position und dynastische „Expertise“ wettgemacht wurde. Weder Margarete noch Agnes waren naiv oder unpolitisch. Sie waren auch nur sehr begrenzt „Opfer“ einer patriarchalischen Welt. Sie agierten in ihrer eigenen Logik; diese war dynastisch bestimmt und dazu gehörten Kinder, vorzugsweise Söhne.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Beziehungen zwischen den beiden Frauen her-zustellen, auch eine kontrafaktische, aber durchaus zeittypisch gedachte. Diese lautet: Wenn Agnes ihrem Bruder Albrecht II. nicht den entscheidenden Rat zur Wallfahrt gegeben hätte, der schließlich zum kaum zu erhoffenden Erfolg führte, nämlich dass ein gelähmter Zweiundvierzigjähriger und seine neunundreißigjährige Frau nach vierzehn-jähriger kinderloser Ehe doch noch Erben bekamen, dann wäre Tirol 1363 niemals an die Habsburger gekommen, und dies aus einem einfachen Grund: Es hätte damals seit mindestens fünf Jahren, nämlich ab dem Tod Albrechts II. († 1358), gar keine Habs-burger mehr gegeben, weil das Geschlecht ausgestorben wäre.

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