Kap.4 Rechtsextreme Bewegungen und physische Gewalt (M.A.Thesis 2010)

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4. Rechtsextreme Bewegungen und physische Gewalt In diesem Abschnitt erfolgt nun die Beschreibung des Verhältnisses von rechtsextremen Bewegungen und ihrem Verhältnis zur Ausübung physischer Gewalt. Um aber die These einer Gewaltaffinität rechtsextremer Bewegungen plausibel machen zu können, bedarf es an erster Stelle einer allgemeinen Darstellung rechtsextremer Bewegungen. Dabei sollen nicht nur Spezifika der Organisationsstrukturen des rechtsextremen Netzwerks aufgezeigt werden, sondern es erfolgt zusätzlich eine Rekonstruktion der semantisch fixierten Binnenperspektive. Erst vor diesem Hintergrund kann untersucht werden, welche Relevanz physische Gewalt im rechtsextremen Kontext hat und welche konkreten Relationen sich dadurch zu gesellschaftlichen Teilbereichen, wie der Politik oder den Massenmedien ergeben. Rechtsextreme Gewalt soll also gerade nicht als Endprodukt einer Kausalkette, wie im Heitmeyerschen Desintegrationstheorem, oder als reines Interaktionsphänomen, wie bei Collins aufgefasst werden, sondern in mehrfacher Hinsicht eingelassen in gesellschaftliche Kommunikationsprozesse. Als erstes werde ich hier den semantischen Horizont rechtsextremer Bewegungen in unterschiedlichen Spektren der Bewegung nachzeichnen, welche sich unter einer zentralen Differenz von Volksgemeinschaft/Gesellschaft subsumieren lassen. Zweitens erfolgt eine Darstellung des rechtsextremen Netzwerks und seiner spezifischen Inklusionsmechanismen. Im dritten Abschnitt schließlich soll dargestellt werde, wie die der einheitssemantischen Perspektive und die Referenz auf Personen im Kontext Unsicherheiten produzieren. Diese können durch einen Konflikt absorbiert werden, der sich u.a. durch die massemediale Beobachtung rechtsextremer Gewalt stabilisieren lässt. 4.1 Die Semantik der Volksgemeinschaft und der Konflikt mit dem ‚System’ Ein einheitliches semantisches Schema rechtsextremer Bewegungen erscheint auf den ersten Blick angesichts sehr heterogener Strömungen innerhalb der rechtsextremen Bewegung nur schwer identifizierbar zu sein. Der Blick über die deutschen Grenzen hinaus dürfte dies zusätzlich erschweren, da die Deutungsmuster an den jeweiligen nationalen Kontexten orientiert erscheinen. Diese stehen angesichts der europäischen Geschichte oftmals Konflikthaft gegenüber, so dass sich z.B. polnische und deutsche oder us-amerikanische und deutsche Neonazis gegenseitig eigentlich als Gegner betrachten müssten. Dies ist aber nicht der Fall, so dass man im Gegenteil sogar miteinander kooperiert und z.B. spezifische nationale Rechtslagen nutzt, um Propagandamaterial

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4. Rechtsextreme Bewegungen und physische Gewalt

In diesem Abschnitt erfolgt nun die Beschreibung des Verhältnisses von rechtsextremen

Bewegungen und ihrem Verhältnis zur Ausübung physischer Gewalt. Um aber die These einer

Gewaltaffinität rechtsextremer Bewegungen plausibel machen zu können, bedarf es an erster Stelle

einer allgemeinen Darstellung rechtsextremer Bewegungen. Dabei sollen nicht nur Spezifika der

Organisationsstrukturen des rechtsextremen Netzwerks aufgezeigt werden, sondern es erfolgt

zusätzlich eine Rekonstruktion der semantisch fixierten Binnenperspektive. Erst vor diesem

Hintergrund kann untersucht werden, welche Relevanz physische Gewalt im rechtsextremen

Kontext hat und welche konkreten Relationen sich dadurch zu gesellschaftlichen Teilbereichen, wie

der Politik oder den Massenmedien ergeben. Rechtsextreme Gewalt soll also gerade nicht als

Endprodukt einer Kausalkette, wie im Heitmeyerschen Desintegrationstheorem, oder als reines

Interaktionsphänomen, wie bei Collins aufgefasst werden, sondern in mehrfacher Hinsicht

eingelassen in gesellschaftliche Kommunikationsprozesse. Als erstes werde ich hier den

semantischen Horizont rechtsextremer Bewegungen in unterschiedlichen Spektren der Bewegung

nachzeichnen, welche sich unter einer zentralen Differenz von Volksgemeinschaft/Gesellschaft

subsumieren lassen. Zweitens erfolgt eine Darstellung des rechtsextremen Netzwerks und seiner

spezifischen Inklusionsmechanismen. Im dritten Abschnitt schließlich soll dargestellt werde, wie

die der einheitssemantischen Perspektive und die Referenz auf Personen im Kontext Unsicherheiten

produzieren. Diese können durch einen Konflikt absorbiert werden, der sich u.a. durch die

massemediale Beobachtung rechtsextremer Gewalt stabilisieren lässt.

4.1 Die Semantik der Volksgemeinschaft und der Konflikt mit dem ‚System’

Ein einheitliches semantisches Schema rechtsextremer Bewegungen erscheint auf den ersten Blick

angesichts sehr heterogener Strömungen innerhalb der rechtsextremen Bewegung nur schwer

identifizierbar zu sein. Der Blick über die deutschen Grenzen hinaus dürfte dies zusätzlich

erschweren, da die Deutungsmuster an den jeweiligen nationalen Kontexten orientiert erscheinen.

Diese stehen angesichts der europäischen Geschichte oftmals Konflikthaft gegenüber, so dass sich

z.B. polnische und deutsche oder us-amerikanische und deutsche Neonazis gegenseitig eigentlich

als Gegner betrachten müssten. Dies ist aber nicht der Fall, so dass man im Gegenteil sogar

miteinander kooperiert und z.B. spezifische nationale Rechtslagen nutzt, um Propagandamaterial

herzustellen und zu verbreiten1 oder in Form der ‚European National Front’ sogar ein

internationales Forum für eine vernetzte politische Aktivität erschafft. Es liegt deshalb nahe, dass

sich so etwas wie ein zentrales Deutungsschema beschreiben lässt, das eine Gemeinsamkeit

heterogener rechtsextremer Kontexte gegenüber einem gemeinsamen Außen plausibel macht.

Dieses zentrale Deutungsschema wird durch die Einheitssemantik der Volksgemeinschaft realisiert,

welche als Selbstbeschreibung gleichzeitig auch eine Beschreibung der Umwelt der Bewegung von

innen her ermöglicht und von daher gewissermaßen den ‚kognitiven Horizont’ rechtsextremer

Bewegungen bildet. Die Semantik der Volksgemeinschaft lässt sich dabei als konstitutiv

beschreiben, da sie die Einheit der Bewegung bei sehr unterschiedlicher Themenwahl ermöglicht

und dadurch die für soziale Bewegungen typische ‚Außenperspektive’ auf die Gesellschaft

stabilisiert.

4.1.1 Die ‚Welt’ als Kampf zwischen völkischer Vergemeinschaftung und entfremdender

Vergesellschaftung

Das semantische Spektrum rechtsextremer Bewegungen erweist sich als einigermaßen vielfältig und

zeigt dennoch stark analoge Muster auf. Auf den ersten Blick scheint zwischen einem

biologistischen Rassismus, dem sogenannten ‚Ethnopluralismus’, esoterischen Vorstellungen vom

‚neuen Menschen’, Bürgerinitiativen gegen den Bau von Moscheen oder Vertriebenenverbänden nur

eine sehr diffuse Schnittmenge zu bestehen, da sie doch offenbar sehr unterschiedliche politische

Anliegen vertreten. Dass sich die jeweiligen Deutungsmuster aber dennoch an einer zentralen

Leitunterscheidung orientieren soll hier kurz am Beispiel der Argumentationsweise ‚traditioneller’

Neonazis, dem ‚moderneren’ Denken der ‚Neuen Rechten’ bzw. dem ‚Ethnopluralismus’ und dem

Mystizismus okkultistisch-esoterischer Kreise dargestellt werden2.

Vorerst lässt sich sagen, dass die Bezeichnung ‚traditionelle’ Neonazis zwar widersprüchlich klingt,

aber angesichts der Reartikulation moderner Themen in die Vorstellung eines globalen

‚Rassenkampfes’, wie sie eben auch schon durch die NSDAP propagiert wurde, durchaus Sinn

macht. Der Mensch wird in der klassischen Konzeption, wie sie u.a. durch das NS – Regime

aufgegriffen wurde, als wesentlich durch seine biologische Abstammung bzw. seine

Rassenzugehörigkeit definiert. Mit der Zugehörigkeit zu einer ‚Rasse’ wird aber nicht einfach nur

1 Wie dies aussehen kann, lässt sich z.B. an dem Dokumentarfilm ‚White Terror’ von Daniel Schweitzer

nachvollziehen. 2 Anstatt von drei generell unterscheidbaren Deutungsmustern, sollte vielleicht eher von drei Strömungen in einem

zentralen Deutungsmuster gesprochen werde, da diese sich in hohem Maße ergänzen und zudem Schnittmengen aufweisen.

das äußere Erscheinungsbild eines Menschen umrissen, sondern es werden damit immer auch

bestimmte menschliche Wesensmerkmale verbunden, welche unterschiedliche rassenspezifische

physische, intellektuelle und kulturelle Potentiale determinieren (vgl. Hund 2007, S.15/Miles 1991,

S.9)). Diese Potentiale kann eine ‚Rasse’ allerdings nur entfalten, indem sie homogen bleibt und

sich nicht mit anderen Rassen vermischt, so dass eine strikte Rassentrennung die oberste Prämisse

für jeden herkunftsbewussten Menschen darstellt. Diese ‚Reinhaltung des Blutes’ wird aber in der

modernen Gesellschaft konsequent missachtet oder sogar verhindert, um speziell die prinzipiell

überlegene ‚weiße’ oder ‚kaukasische’ Rasse zu schwächen. Während man also von einer

natürlichen Homogenität der Rassen ausgeht, konfrontiert die Moderne den Menschen zunehmend

mit Heterogenisierungsprozessen, die aber als widernatürlich, deshalb pathologisch und von daher

‚behandlungsbedürftig’ beschrieben werden3. Es lässt sich zusammenfassen, dass die Welt aus der

Perspektive der am traditionellen Rassismus orientierten Neonazis sich als Kampf um die

Bewahrung der eigenen guten Werte und Eigenschaften unter Reinhaltung der ‚weißen Rasse’

gegenüber expansiven fremden und dadurch minderwertigen Elementen darstellt. Obwohl aber

gleiche oder zumindest analoge Motive genutzt werden, ist diese Vision einer natürlichen ‚white

supremacy’ gegenüber der Rassensemantik des historischen Nationalsozialismus universalistischer

angelegt, so dass man den politischen Kampf nunmehr weniger als rein nationales, sondern

zunehmend stärker als globales Projekt auffasst. Von daher ist es auch nicht verwunderlich, dass

sich eine immer stärkere wechselseitige Adaption und Vermischung derartiger Deutungsmuster über

nationale Grenzen beobachten lässt (vgl. Watts 2001, S.608f). Wer also ‚weiß’ ist und wer nicht, ist

dann nicht mehr so sehr eine Frage der nationalen Zugehörigkeit, sondern vielmehr eine Frage des

Bekenntnisses zur Bewegung und gegen fremdartige Elemente, wobei dem Trend einer ‚globalen

Rassenvermischung’ eine globale ‚White Power’ – Bewegung entgegengesetzt werden soll4.

Der Ethnopluralismus, wie er u.a. aus dem Kreis kulturalistisch argumentierender Intellektueller der

sogenannten ‚Neuen Rechten’ (z.B. Alain de Benoist) entsprungen ist, verzichtet auf den ersten

Blick auf eine derart rigide Klassifikation von Menschen und wiederholt sie auf den Zweiten. So

wird die biologische Verankerung bestimmter menschlicher Wesensmerkmale durch die Instanz der

Kulturgemeinschaft ersetzt: „Kultur wird verstanden als autoritäre Setzung totalisierender

Sinnentwürfe, die das kollektive Schicksal eines Volkes darstellt. Kultur ist ‚ethnisch und

3 So z.B. im Kontext der ‚White Power’ – Bewegung in den USA, die sich als Antwort auf die ‚Black Power’ -

Bewegung begreift und den Anspruch hegt, die Rassensegregation wiederherzustellen, da ansonsten ein Aussterben der ‚weissen Rasse’ drohe. Als Beispiel dafür wird u.a. die geringe Kinderzahl von Euro-Amerikanern gegenüber Afro-Amerikanern oder die steigende Zahl ‚gemischter’ Partnerschaften angeführt (dazu: KuKluxKlan: http://www.kkk.bz/coming_white_genocide.htm). 4 Man findet dann auch bei Neonazis aus den USA, Deutschland oder Russland eine vergleichbare Argumentation.

Gerade in Russland lässt sich seit einigen Jahren eine Zunahme von mehr oder weniger koordinierten Morden und anderen Gewalthandlungen an ‚nichtrussischen’ Bevölkerungsteilen beobachten, die unter dem Vorsatz eines einheitlich slawischen Russlands vollzogen werden

homogen’, der Einzelne partizipiert an ihr dadurch, dass er an den ‚Mythen der Abstammung,

Sprache, Geschichte’ eines Volkes Teil hat, in das er hineingeboren wurde“(Funke 2009, S.25).

Entscheidend für das Wesen eines Menschen sind nicht mehr so sehr seine biologischen

Grundlagen, sondern vielmehr die Zugehörigkeit zu einem Volk als Kulturgemeinschaft, dass sich

durch klar abgrenzbare Traditionen, Weltanschauungen oder ein bestimmtes Verhältnis zur Natur

auszeichnet. Erst vor dem Hintergrund einer intern homogenen und zentralen Prinzipien folgenden

Volksgemeinschaft lässt sich aus der Perspektive des Ethnopluralismus eine ‚gesunde’ Identität

entfalten (vgl. Greven 2006, S.25). Fremde Einflüsse wirken dabei schädigend, weil sie das

Individuum von seinem eigentlichen, durch seine Volkszugehörigkeit definiertes Wesen entfremden

(vgl. Klärner 2008, S.19). Diese Entfremdung ist also ein Resultat von Überfremdung, was

angesichts einer globalisierten Welt, d.h. globalisierter Migrations- und Kapitalströme, dramatische

Formen annimmt und eines Korrektivs bedarf, dass den Menschen seinem natürlich Wesen wieder

näher bringt. Die Entwicklung von ‚Nationalbewusstsein’ bzw. das Engagement für die ‚nationale

Sache’ sind dabei abstrakten Strategien für ein solches Projekt, was sich konkret z.B. in der

Abschiebung von Migranten5 bzw. der Eliminierung ‚fremdartiger Elemente’ im eigenen

Kulturkreis äußern könnte. Dies sollte allerdings auch anderen Kulturkreisen vorbehalten sein, so

dass sich keine grundsätzliche Hierarchisierung von unterschiedlichen Kulturen nach ihrer Güte

vornehmen lässt und man sich widerspruchslos mit unterschiedlichsten politischen Gruppierungen

mehr oder weniger unabhängig von deren politischer Ausrichtung solidarisieren kann6. Statt einer

‚white supremacy’ schwebt den Anhängern des Ethnopluralismus folglich auch eher die Vision

eines ‚Europas bzw. einer Welt der hundert Fahnen’ (vgl. Camus 2003, S.256) vor, die gegenüber

dem universalisierenden globalen Diktum der Menschenrechte erst noch erkämpft werden muss

(vgl. Wagner 2008, S.6f).

Der okkultistisch-esoterische Mystizismus ist nun ähnlich wie der eher traditionalistische

Rassismus kein besonders neues Phänomen, konnte sich Anfang des 20. Jahrhunderst in Europa

einer erstaunlichen Popularität erfreuen und das nationalsozialistische Gedankengut nachhaltig

beeinflusst hat (vgl. Pfahl-Traughber 2003, S.225). Ähnlich wie der biologistisch argumentierende

Rassismus unterstellt man eine Gütehierarchie unter den Menschen, wobei das entscheidende

Kriterium nicht mehr so sehr die genetische Perfektion, sondern der Grad an Erleuchtung oder der

Reife des Geistes darstellt (vgl. ebenda). Diese Hierarchie sollte sich dabei aus der Urzeit des

5 Bemerkenswert ist, dass man dies als auch im Interesse der Abzuschiebenden beschreibt, da sie sich in einer

für sie fremden sozialen Umwelt befänden und deshalb gleichermaßen von Entfremdungsprozessen betroffen seien. Von daher fordert man nicht nur ‚Deutschland den Deutschen, sondern plakativ auch ‚Die Türkei den Türken’ oder ‚Kurdistan den Kurden’ (vgl. Internetvideo der rechtsextremen Gruppe ‚Volxfrontmedia’: http://www.youtube.com/watch?v=IwfvNkmPIoY) 6 Dazu zählen natürlich grundsätzlich rechtsextreme Gruppen aber auch diverse nationale

Unabhängigkeitsbewegungen. Die Solidaritätsbekundungen sind allerdings zumeist einseitig.

Menschen ableiten, welche durch eine Vermischung von Urmenschen mit außerirdischen

Lebensformen bzw. göttlichen Wesen gekennzeichnet war7. Je nach dem, wie stark der Einfluss

dieser Lebensformen erhalten geblieben ist, desto höher sind Menschen in der Hierarchie

angesiedelt, weil sie ihr Erkenntnispotential erhalten konnten Dem entgegen steht aber eine

geheime Macht, die danach strebt den Erhalt des Göttlichen im Menschen konsequent zu

unterwandern, so dass sich so etwas wie ein Jahrtausende währende Kampf zwischen ‚göttlichen’

und ‚dämonischen’ Tendenzen bzw. zwischen ‚Gut’ und ‚Böse’ ergeben hat. Hinter allem, was

passiert, seien es bestimmte politische Entscheidungen oder die ökonomische Globalisierung,

werden geheime Mächte bzw. sogenannte Geheimgesellschaften8 vermutet, die das Böse irdisch

repräsentieren und die Menschheit im System eines jüdischen bzw. christlichen Kapitalismus

versklaven wollen (vgl. Heller 2002, S.206). Dem kann nach der Gedankenwelt des okkultisch-

esoterischen Mystizismus nur die Rückbesinnung auf die wahrhaftigen Wurzeln eines Volkes

entgegengesetzt werden, wobei z.B. die Ablehnung des Christentums, ein Bekenntnis zu

heidnischen (Ur-)Religionen oder die Praktizierung ‚uralter’ Rituale als Maßnahme zur Heraufkunft

des ‚neuen Menschen’ nahe gelegt werden. Während man also das Motiv einer Gemeinschaft, die

ihre Güte und Wahrhaftigkeit nur unter dem Aspekt der Reinhaltung vor zersetzenden Einflüssen

bewahren kann, übernimmt, wird der Kampf um Homogenität gewissermaßen transzendiert bzw. in

eine kosmische Dimension erhoben, so dass er sich als Kampf zwischen Gut und Böse darstellt, in

welchen sich nahezu alles artikulieren lässt.

Obwohl diese Strömungen mitunter sehr unterschiedlich argumentieren, lässt sich aus der

Unterscheidung zwischen homogener Gemeinschaft und heterogener bzw. entfremdender

Gesellschaft ein zentrales Schema ableiten, dem alle weiteren Unterscheidungen (z.B. moralisch

gut/schlecht/, gesund/krank) untergeordnet sind. Die Welt wird als Konflikt zwischen

Volksgemeinschaft und Gesellschaft beschrieben, wobei man sich selbst auf der Seite der

Volksgemeinschaft verortet und von dort näher definieren kann, woran sich eigentlich das

Völkische an der Volksgemeinschaft bemisst. Ob dies dann entlang biologischer, kultureller oder

spritueller Kategorien definiert wird, ist an sekundäre Unterscheidungen gebunden. In jedem Falle

geht es um die Herstellung einer homogenen Volksgemeinschaft gegenüber heterogenen

gesellschaftlichen Bezugspunkten (vgl. ebenda, S.219f). Die ‚Welt’ bzw. die Gesellschaft wird

7 Die hier rezipierte Variante lässt sich weitestgehend auf den Autor mit dem Pseudonym ‚Van Helsing’ zurechnen,

der sich letztlich aber stark an der Theosophie der Mme Blavatsky orientierte, die u.a. auch für die Anthroposophie Rudolph Steiners maßgebend war. Van Helsings abstruse Erzählung von ‚arischen’ Ausserirdischen, Atlantis, nationalsozialistischen UFOs und einer durch die ‚Schwarze Sonne’ der SS erstrahlten Hohlwelt ( vgl. Heller 2002, S.206), soll hier allerdings nicht weiter nachvollzogen werden da es für diese Arbeit nicht besonders informativ sein dürfte.

8 Dabei werden immer wieder Freimaurer oder die Familie Rothschild bzw. die Juden generell angeführt. Zudem greift man auf klassische semantische Formen des Antisemistismus zurück, indem man sich immer wieder auf die offenkundig gefälschten ‚Protokolle der zwölf Weisen von Zion’ beruft, die schon im NS – Regime als Beleg für eine jüdische Weltverschwörung fungierten.

gewissermaßen um diesen Kampf herum zentralisiert und damit als Einheit beschrieben, so dass

man alles, was beobachtet wird, in dieses Schema artikuliert und klar auf eine der Seiten zurechnet,

wobei sich auf der Seite der Volksgemeinschaft eine Präferenz für bestimmte positive Werte

stabilisieren kann.

4.1.2 Die gefährdete Volksgemeinschaft als Resultat einer planmäßigen Entwicklung

Nachdem beschrieben wurde, wie rechtsextreme Bewegungen die Gesellschaft als einen zentralen

Widerspruch beobachten, dürfte es nun notwendig sein, die Semantik der Volksgemeinschaft mit

Blick auf die Mobilisierung zu politischem Engagement hin zu untersuchen. Deshalb werden

einerseits Bedrohungsszenarien identifiziert, die so etwas wie einen Problemkontext eröffnen, vor

dem sich zum Protest mobilisieren lässt und andererseits Zurechnungskonstellationen, die intern

plausibilisieren wer in welcher Weise am gegenwärtigen gesellschaftlichen Prozess beteiligt ist.

Es wurde bezüglich der Bedrohungsszenarien schon angedeutet, worin für rechtsextreme

Bewegungen das Ausgangsproblem besteht, nämlich in der schrittweisen Zersetzung homogener

Volksgemeinschaften, durch eine heterogene Gesellschaft, der Folge einer Entfremdung des

Menschen von seinem natürlich Wesen. Zwar währt dieser Konflikt prinzipiell schon seit einigen

tausend Jahren, doch wurde das Prinzip der Volksgemeinschaft immer wieder verteidigt und neu

konsolidiert9. Mit der Etablierung einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung und der Globalisierung

sozialer Kontexte bzw. ‚des weltlichen Jahwe Kultes, des Mammonismus’ (vgl. Mahler 2001), habe

sich aber eine Ordnung entwickelt, die so dynamisch und zerstörerisch sei, dass kein Volk sich

davor wirksam schützen könne. Zentral ist dabei aber, dass diese Zerstörung der ‚natürlichen

Volksgemeinschaften’ als nicht einfach nur eine Nebenfolge darstellt, die es zu beklagen gilt,

sondern als zentrale Grundlage der ‚mammonistischen Weltherrschaft’ betrachtet wird (vgl.

Edathy/Sommer 2009, S.48f). Es wird gewissermaßen ein Antagonismus unterstellt, der, sofern

nicht frühzeitig eingeschritten wird, in einer vollständigen und vor allem planmäßigen Zerstörung

der Volksgemeinschaft mündet: „Der nationale Widerstand ist sich darüber einig, dass die ethnische

Durchmischung des Deutschen Volkes erzwungen ist, dass unser Volk es ist, das Opfer eines

Völkermordes zu werden“(Deutsche Stimme, zit.nach: Grumke 2002, S.45). Empirische Belege für

diesen Umstand einer planmäßigen Zerstörung der Volksgemeinschaften werden dabei u.a. in der

9 Im Frühjahr 2009 haben z.B. die NPD und Freie Kameradschaften anlässlich des 2000sten Jahrestags der

Varusschlacht in Osnabrück zu einer Demonstration unter der Parole ‚2000 Jahre Kampf gegen Überfremdung’ aufgerufen.

‚oktroyierten’ Aufnahme von ausländischen Arbeitskräften gefunden, womit Aspekte wie z.B.

‚Werteverfall’ (z.B. in Form einer ‚Muslimisierung’ Deutschlands), steigende Kriminalität oder

andere negativ konnotierte Phänomene (z.B. Drogenkonsum) einhergehen. Es wird also ein

Bedrohungs- bzw. Gefahrenszenario etabliert, wonach eigentlich alle als negativ empfundenen

Phänomene als von aussen aufgezwungen beobachtet werden, die zudem einem systematischen

Plan folgen, der zum Ziel hat, eine als natürlich empfundene Volksgemeinschaft zu zerstören, wobei

wie auch immer gearteter ‚nationaler Widerstand’ als ebenso natürlich plausibilisiert und folglich

nahe gelegt wird (vgl. Virchow 2006, S.71).

Wenn allerdings von ‚planmäßiger’ Zerstörung natürlicher Volksgemeinschaften gesprochen wird,

so muss dieser Prozess als Plan auf Adressen zurechenbar sein, gegen die dann auch ‚Widerstand’

geleistet werden kann. Dabei greift man weitestgehend auf antisemitische Deutungsmuster zurück

und identifiziert als Hauptverantwortlichen für die Zerstörung der Volksgemeinschaften das

Judentum, welches im Hintergrund des weltpolitischen Geschehens, mit der Kontrolle über den

internationalen Finanzmarkt die Fäden für dieses Vorhaben ziehe. Dem sogenannten

‚Weltjudentum’ wird unterstellt, so etwas wie eine ‚zionistische Weltherrschaft’, d.h. eine

‚Einweltregierung’ etablieren zu wollen und dass die Verantwortlichen an der US – amerikanischen

Ostküste, d.h. konkreter im Finanzzentrum New Yorks lokalisierbar seien (vgl. Chatwin 2002,

S.184f)10. Durch jahrzehntlange Manipulation von Massenmedien, der Etablierung von

Massenkonsum und die Kontrolle der meisten Regierungen der Welt sei es den Juden dabei

gelungen, sich effektiv gegen die Völker der Welt zu verschwören. Im Auftrag dieser geheimen

Instanz würden dann Menschenrechte und Demokratie durch sogenannte ZOGs, d.h.‚zionist

occupation gouverments’(vgl. Erb 2003, S.303)11 gegenüber selbstbewusst auftretenden Völkern,

wie z.B. den Deutschen im Nationalsozialismus geltend gemacht, um diese durch

Heterogenisierung soweit zu schwächen, dass sie sich widerstandslos ausbeuten lassen. Sollte sich

dagegen Widerstand regen, würde man einfach ‚Auschwitzlügen’ säen, ‚entschlossene

Nationalisten’ kriminalisieren oder einfach einen ‚war on terror’ entfachen. Alle Probleme, seien es

intern gültige oder auch allgemein anerkannte, werden durch die geheime Konspiration der Juden

oder anderer Geheimbünde (von denen die Juden aber auf jeden Fall einen Teil darstellen sollten)12,

begründet und beträfen dabei immer nur die nach interner Homogenität strebenden, d.h.

nationalbewussten Völker (vgl. Erb 1994, S.39/Virchow 2007, S.157). Während die einen nur

einem natürlichen Bedürfnis nach Einheit und Freiheit folgen, wird den anderen unterstellt, genau

10 Der Begriff ‚Ostküste’ hat sich deshalb auch als Synonym im Kontext des öffentlichen Sprechens über das

‚Weltjudentum’ etabliert. 11 Als das Beispiel schlechthin gelten natürlich die USA. 12 Am bemerkenswertesten erscheint dabei die Idee, dass der grosse Tsunami 2006 durch eine jüdisch-amerikanischen

Atombombentest ausgelöst worden sei (vgl. dazu: http://www.youtube.com/watch?v=QIwqGW_JehY&NR=1)

dies verhindern zu wollen, da dies eine Gefahr für das eigene Unternehmen darstellt und alles in

Kauf nimmt, um die Heraufkunft der Volksgemeinschaft(en) zu unterbinden. Der Konflikt der

Volksgemeinschaft mit dem ‚System’ bzw. der modernen Gesellschaft gestaltet sich aus der

Perspektive der Volksgemeinschaft letztlich als Konflikt mit den ‚Zionisten’, wobei alles, was dem

eigenen Deutungsmuster widerspricht, notwendigerweise infiltriert von diesen ist und nur zur

eigenen Unterdrückung beitragen soll: „Modernism is the essential strategy of the parasite“(Pierce

1980, S.114)13. So kann man dann z.B. einerseits die Shoah relativieren oder als Lüge entlarven und

andererseits das Bombardements Dresdens im 2. Weltkrieg als ‚Bombenholocaust’14 beklagen oder

einerseits Nationalstolz predigen und andererseits gegen die BRD als durch den Zentralrat der

Juden beherrschte ‚Judenrepublik’ mobilisieren.

4.1.3 Die Einheitssemantik der Volksgemeinschaft und rechtsextremer Protest

Wenn in dieser Arbeit von einer Einheitssemantik der Volksgemeinschaft gesprochen wird, lässt

sich dies an erster Stelle durch die semantische Zentrierung gesellschaftlicher Zusammenhänge um

einen zentralen Konflikt zwischen Volksgemeinschaft und Gesellschaft begründen. Jede weitere

Unterscheidung die getroffen wird, lässt sich letztlich in dieses Schema artikulieren, indem es

entweder der natürlichen Volksgemeinschaft oder der entarteten Gesellschaft zugerechnet wird.

Die Volksgemeinschaft bzw. das Volk wird dabei als Einheit unterstellt, die zwar unterschiedlich

definiert sein kann, aber dennoch den natürlichen Grund für das Menschsein per se bildet:

„Zentraler Bezugspunkt der politischen Ideologie der extremen Rechten ist ... das Kollektiv und

dessen Selbstbestimmung und Erhaltung. Der Mensch wird lediglich als Teil dieser imaginierten

Gemeinschaft ‚Volk’ in die er hineingestellt wurde und die seine Prägung bestimmt,

gedacht“(Virchow 2006, S.67). Erwartungen an Verhalten, als auch Erwartungsenttäuschungen

werden durch den Rekurs auf die Volkszugehörigkeit plausibilisiert. Die Volksgemeinschaft liegt

also in der ‚Natur’ des Menschen, wobei Natur oder ‚natürlich’ an der ‚alteuropäischen’

Natursemantik, d.h. an einer hierarchischen Differenz von Perfektion/Korruption (vgl. dazu

Luhmann 1999b S.11) orientiert ist oder zumindest Analogien dazu aufweist. Nur die Einheit der

Volksgemeinschaft kann natürliche Perfektion hervorbringen, während Differenz als per se

13 William Pierce lässt sich als einen der führenden Ideologen des internationalen Rechtsextremismus beschreiben,

wobei mit dem ‚parasite’ natürlich das ‚Weltjudentum’ gemeint ist. Das Zitat stammt aus dem Kontext seiner unter dem Pseudonym ‚Andrew Macdonald’ verfassten ‚Turner Diaries’. Dabei handelt es sich im eine fiktive Erzählung über die Konfrontation einer rechtsradikalen Terrorgruppe mit der Regierung, die sich zu einem Bürgerkrieg auswächst. Dieses Buch wird als das zentrale Werk us-amerikanischer und mittlerweile auch internationaler Neonazis gehandhabt.

14 Unter diesem Titel wird am 13. Februar alljährlich zu einer der größten rechtextremen Demonstrationen Europas mobilisiert.

fremdartig und korrumpiert erscheint, wenn sie sich nicht unter das Primat der Einheit der

Volksgemeinschaft zu artikulieren lässt. Die Einheit der Volksgemeinschaft wird damit zum

universellen Prinzip, das „eine an sich nicht ohne weiteres zu erwartende Einheit der

Kommunikation trotz funktionaler Differenzierung ermöglicht“(Japp 2006, S.23).

Wenn die Volksgemeinschaft nun als universelles Prinzip gehalten wird, so muss davon

ausgegangen werden, dass sie differenzlos gehandhabt wird. Da es in rechtsextremen Bewegungen

aber darum geht, die Einheit der Volksgemeinschaft gegenüber gesellschaftlicher Über- bzw.

Entfremdung zu wahren oder wiederherzustellen, wird sie von etwas unterschieden, was als

Gesellschaft bezeichnet wurde. Diese wird allerdings ihrerseits nicht als zu unterscheidendes

universelles Prinzip gehandhabt, sondern schlichtweg als geplante Subversion des universellen

Prinzips der Volksgemeinschaft, der sich auf eine planmäßige jüdische Weltverschwörung

zurechnen lässt: „Jede Gleichzeitigkeit von Ereignissen oder ihr räumliches Zusammentreffen wird

als kausale Folge gedacht. Nichts geschieht durch Zufall, sondern alles durch bewusste

Absicht“(Erb 1994, S.63). D.h., dass Abweichungen nur insofern beobachtbar, als dass sie als

Widerspruch bzw. als Negation der Homogenität der Volksgemeinschaft erfahren werden, die es,

weil sie eben korrumpiert sind und den Menschen von seinem natürlichen Wesen entfernen, zu

bekämpfen gilt. Das Differente bzw. das Unterschiedene dient nicht dazu, die eigene Perspektive zu

differenzieren oder als kontingent zu beobachten, sondern lediglich als Negativhorizont, wobei

Widerspruch nur die eigene Einheit konfirmiert.

Was also die Einheitssemantik der Volksgemeinschaft ermöglicht, ist die Blockade des ‚crossing’

(vgl. dazu: Japp 1993, S. 240), wodurch Protestbewegungen ihre Einheit auf der Basis von

Widerspruchskommunikation erhalten können. Im Kontext solcher Semantiken erscheint die

Gesellschaft dann durch einen zentralen Widerspruch charakterisiert, der sich bei rechtsextremer

Bewegungen an der Unterscheidung von natürlicher Volksgemeinschaft und korrumpierter

Gesellschaft darstellt. Gerade dadurch, dass sich alles durch dieses Schema erklären lässt und

kausalistisch auf einen zentralen Punkt zurückgeführt wird, realisiert man einerseits eine Einheit der

Perspektive bei andererseits sehr unterschiedlichen Optionen der Themenauswahl und des

politischen Aktivismus (vgl. Erb/Kohlstruck 2009, S.435). Unabhängig davon, ob man sich als

nationaler Sozialist, Geschichtsrevisionist15 oder einfach nur ‚Nationalist’ identifiziert, man sieht

die Volksgemeinschaft, d.h. sich selbst immer schon durch externe Entscheider bedroht und räumt

sich von daher auch einen Sonderstatus ausserhalb der Gesellschaft ein. Man kann aus der

Perspektive der Volksgemeinschaft so beobachten, als würde man im Konflikt oder sogar Kampf 15 Dazu können sowohl die Holocaustleugner als auch diejenigen, die sich für Wiedereingliederung ehemaliger

Reichsgebiete unter deutsche Vorherrschaft einsetzen (z.B. Aktionskreis Deutsches Königsberg, Heimattreue Deutsche Jugend), wie sie sich besonders im Kontext von Vertriebenenverbände finden lassen, gezählt werden. Das Bekenntnis zum Deutschen Reich gehört allerdings weitestgehend zum Konsens in rechtsextremen Kreisen.

mit der Gesellschaft, d.h. ausserhalb dieser stehen. Dabei blendet man aus, dass man beobachtet,

indem zwischen einer erstrebenswerten ‚sicheren’, weil homogenen und auf natürlichen Prinzipien

beruhenden Volksgemeinschaft und einer zu bekämpfenden ‚riskanten’, weil korrumpierten

Gesellschaft unterscheidet. Als Beobachter erster Ordnung kann man dann so etwas wie eine

‚eigene Objektivität’ (vgl. Luhmann 2003, S.76) etablieren, die unter dem Diktum einer

Wiederherstellung von Sicherheit in Form der Volksgemeinschaft angesichts einer unsicheren

Gegenwart den ‚nationalen Widerstand’ gegen die Gesellschaft ausruft, ohne zu reflektieren, dass

man diese Unterscheidung selbst im Kontext der Gesellschaft vornimmt (vgl. Japp 2000, S.57).

4.2 Die Stabilisierung von Erwartungsstrukturen im Kontext rechtsextremer Netzwerke

Nachdem verdeutlicht wurde, wie sich eine rechtsextreme Bewegung von ihrer gesellschaftlichen

Umwelt über die Einheitssemantik der Volksgemeinschaft abgrenzen kann, stellt sich nun die Frage,

welche strukturellen Korrelate sich ergänzend dazu ergeben können. Es soll in diesem Abschnitt

folglich um die interne Struktur einer rechtsextremen Bewegung gehen. Dabei fällt auf, dass man

intern ‚offene’ Organisationsstrukturen, wie z.B. Parteien, Bürgerinitiativen oder Verlagen von eher

‚verdeckten’ Kontexten, wie z.B. dem Blood & Honour – Netzwerk oder autonomen Nationalisten

bis hin zu paramilitärischen und terroristischen Gruppen unterscheiden kann. Dennoch lassen sich

Bezüge zwischen diesen unterschiedlichen Kontexten herstellen, wobei am Ende dieses Abschnitts

deutlich sein sollte, in welcher Form sich im Netzwerk rechtsextremer Bewegungen Erwartungen

stabilisieren können. Dazu werde ich eingangs darstellen, wie sich der Bedeutungsverlust von

Parteien im Kontext rechtsextremer Bewegungen begründen lässt, um anschließend

nachzuvollziehen, wie sich substitutiv für Mitgliedsstrukturen Erwartungen im rechtsextremen

Netzwerk stabilisieren lassen. Abschließend soll dann erörtert werden, wie sich die

Binnendifferenzierung rechtsextremer Bewegungen adäquat darstellen lässt.

4.2.1 Organisationsstrukturen zwischen Kaderpartei und Bewegungsnetzwerk

Während man bei Parteien wie ‚Bündnis 90/die Grünen’ oder der ‚Linkspartei’ in Deutschland eine

Entwicklung von der sozialen Bewegung zur etablierten Partei nachvollziehen kann, lässt sich für

rechtsextreme Kontexte eher das Gegenteil postulieren. Man kann dort angesichts einer Konkurrenz

von drei rechtsextremen Parteien (DVU, NPD, REP) vielmehr eine Fragmentierung

organisatorischer Zentren der Bewegung erkennen. Dies ist natürlich auch durch regelmäßige

Parteiverbote (z.B. SRP, FAP) bedingt, doch stellt sich vielmehr die Frage, warum rechtsextremen

Parteien die Etablierung im parteipolitischen Spektrum so schwer fällt, wie sie sich besonders bei

den ‚Grünen’ bzw. der Ökologiebewegung beobachten liess.

Zwar sind alle drei noch bestehenden rechtsextremen Parteien schon in Landtage eingezogen und

die NPD hat in Sachsen sogar einige Mandate über eine zweite Wahlperiode hin halten können,

doch ist man kaum in der Lage, mehrheitsfähige programmatischen Positionen in den politischen

Diskurs einzubringen. Wenn man im Anschluss an Luhmann die Dimension der politischen

Organisationen unter einer Zentrum/Peripherie – Differenzierung fasst, so gewährleisten die

rechtsextremen Parteien in der Peripherie des politischen Systems keine ernsthaften

‚Zulieferungsdienste’ für das staatliche Entscheidungszentrum (vgl. dazu: Luhmann 2002, S.245).

Wenn Entscheidungen immer als Selektion aus einem Horizont an Alternativen zustande kommen

(vgl. Luhmann 2006, S.135), so realisieren rechtsextreme Parteien zumeist keine Alternativen,

sondern beschreiben sich selbst oft als Alternative zu den Alternativen, so dass der Begriff der

‚Anti-Partei’ durchaus zutreffend erscheint: „...extremist.right parties not only present themselves as

anti-party, they outrightly condemn all established political parties, governement as well as

opposition, either because political parties as such are seen as divisive and therefore evil, or because

these parties do not represent ordinary people“(vgl. Mudde 1996, S. 266). Man begreift sich

gewissermaßen als Opposition zur Regierung und zur Opposition, wobei diese Paradoxierung des

Codes des politischen Systems (vgl. dazu: Luhmann 1989, S. 19) sich in einem generellen Konflikt

zwischen den ‚etablierten’ politischen Parteien auf der einen und rechtsextremen Parteien auf der

anderen Seite äußert. Obwohl zwischen den Parteien in der Peripherie notwendigerweise Dissens

besteht, suggeriert man mit Blick auf den Widerspruch zu rechtsextremen Parteien wie NPD oder

DVU Konsens, so dass z.B. die Verweigerung zur Koalitionsbildung sicherlich beidseitig begründet

liegt. Der Umstand, dass konsensfähige Programme Seitens rechtsextremer Parteien kaum zu

erwarten sind16 und man eben die paradoxe Position einer ‚Anti-Partei’ einnimmt, hat insofern

Konsequenzen, als dass man sich eine relativ schwache Routinisierung organisationsinterner

Verfahren17 und einen geringen Grad der Professionalisierung parteiinterner Ämter18 leistet. Diese

für eine Partei eigentlich prekäre Ausgangslage kann aber gerade wegen einer starken

programmatischen Orientierung an der Semantik der Volksgemeinschaft kompensiert, so dass der

erlebte Widerspruch zu den etablierteren Parteien wieder unter dem Schema des Konflikts

16 Ausnahmen bilden hier sicherlich die FPÖ in Österreich, die sogenannte ‚Schill – Partei’ im Hamburger Senat oder

andere ‚Rechtspopulisten’ , wobei diesen Parteien auch keine generelle Ablehnung des ‚Systems’ zu unterstellen ist. 17 Die desaströse interne Finanzpolitik der NPD könnte als Beleg dafür gezählt werden. 18 Die Besetzung hochrangiger Parteiämter mit vorbestraften und sogar verurteilten Gewalttätern wäre im Kontext

anderer Parteien beispielsweise kaum denkbar. Auch die teilweise zu beobachtende Inkompetenz einiger NPD – Funktionäre, sich entsprechend den Erwartungen an öffentliche politische Auftritte zu verhalten zeugt sicherlich davon.

zwischen den eigentlichen Interessen des Volkes (i.S.d. Volksgemeinschaft) und der Manipulation

durch die antidemokratischen ‚Systemparteien’ abgearbeitet wird (vgl. Mudde 1996, S.272).

Dadurch aber, dass man das eigene Programm als Alternative zu den Alternativen auffasst, gerät

man in Konkurrenz zu anderen Parteien und Gruppierungen aus dem Kontext der sozialen

Bewegung, die sich ebenfalls dieser Semantik bedienen. Das Resultat ist letztlich, dass den Parteien

in der rechtsextremen Bewegung keine privilegierte Stellung zukommen kann. Parteien wie die

NPD lassen sich natürlich als politische Organisationen beschreiben, so dass diese als soziale

Systeme durchaus adressabel, d.h. kommunikationsfähig sind (vgl. dazu: Luhmann 1998, S.834)

und sie auch versuchen, Entscheidungsalternativen in der Peripherie des staatlichen

Entscheidungszentrums stark zu machen. Doch unterbindet die Verwendung allgemeinerer

einheitssemantischer Formen letztlich die vollständige Etablierung als politische Partei einerseits,

während andererseits die Möglichkeit der Repräsentation der rechtsextremen Bewegung als

Zentrum der Bewegung (vgl. ebenda, S.863) verhindert wird, indem man sich eben doch teilweise

einem gewissen Routinisierungsdruck aussetzen muss, um als Fraktion in den Parlamenten

überhaupt Handlungsfähig zu sein. Zusätzlich dürften allerdings das Erleben von rechtlichen

Repression gegenüber rechtsextremen Parteien zu einer zusätzlichen Schwächung

organisationsinterner Strukturen beigetragen haben, so dass sich im Kontext rechtsextremer

Bewegungen alternative Formen der Handlungskoordination etabliert haben, die die formale

Parteimitgliedschaft aber sehr wohl substituieren konnten. Man könnte von daher im Vergleich zu

den Grünen fast schon eine gegenläufige Entwicklung von der Partei zur sozialen Bewegung

postulieren (vgl. Erb 2003, S.301).

In Form freier Kameradschaften, Bürgerinitiativen oder im professionellen Engagement in

einschlägigen Unternehmen (u.a. Verlage, Bekleidungsfirmen, Schallplattenlabels) haben sich sehr

unterschiedliche Kontexte etablieren können, in denen bestimmte, an der Semantik der

Volksgemeinschaft orientierte politische Positionen und Statements generiert werden. So kann man

eher von einem Netzwerk unterschiedlicher Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen sprechen,

welches sowohl formell-legale als auch informelle Strukturen aufweist19 und nicht nur zu

bestimmten Protestthemen mobilisieren vermag, sondern noch weitreichender so etwas wie eine

rechtsextreme ‚Subkultur’ (vgl. Klärner 2008, S.51) etabliert oder sogar ‚nationale befreite Zonen’

ausruft. Offenbar kann der einheitssemantisch fixierte Konflikt mit dem System sehr

unterschiedliche soziale Kontexte in einem komplexen Netzwerk des ‚nationalen Widerstands’

koordinieren, wobei dieser weitestgehend ohne verbindliche Parteimitgliedschaften auskommt. 19 Diese Koordinierung erfolgt zunehmend stärker auf internationaler Ebene, da z.B. bestimmte Literatur oder

Tonträger in bestimmten Staaten legal hergestellt werden dürfen. Der stark kontrollierte deutsche Markt für rechtsextremes Propagandamaterial kann dann u.a. von den USA oder Schweden aus bedient werden, so dass man sich in Deutschland nur noch um die Verbreitung kümmern muss.

4.2.2 Symbole und Verhaltenscodes im rechtsextremen Netzwerk

Wenn formale Parteimitgliedschaft als Mechanismus der Verhaltenskonditionierung im Kontext

rechtsextremer Bewegungen nicht allgemein unterstellt werden kann, so stellt sich die Frage auf

welcher Basis dies im rechtsextremen Netzwerk realisiert wird. Wenn es derlei Mechanismen nicht

gäbe, wäre nämlich der Konflikt mit dem ‚System’ kaum plausibel zu machen, da Freund und Feind

kaum zu unterscheiden wären bzw. welches Handeln entsprechend des Konfliktschemas

anschlussfähig erscheint. Es müssen also Motive zuschreibbar sein, die ein politische Engagement

oder zumindest eine potentielle Zustimmung zum ‚nationalen Widerstand’ andeuten, ohne dass dies

noch direkt kommuniziert werden muss. Andernfalls wäre es angesichts einer kontinuierlichen

Beobachtung durch Justiz und Polizei viel zu riskant und kostspielig, konspirative Treffen

abzuhalten, illegale Konzerte zu veranstalten oder einfach nur bestimmte Texte zu publizieren. Es

bedarf bestimmter Mechanismen, die erwartbar machen, dass man sich zur Bewegung zählt und

entsprechende Motive an den Tag legt, ohne dies explizit zu machen, so „dass die Informationen

eine untergeordnete Rolle spielen und dass es vor allem auf das Symbolisieren des Netzwerkes

ankommt...“(Luhmann 1995, S.24).

Rechtsextreme Bewegungen haben dabei ein spezifisches Kontingent an Bekleidungs-, Verhaltens-

und Sprachcodes hervorgebracht, welche kommunikative Anschlusspotentiale soweit

konditionieren, dass die richtigen Motive zugeschrieben werden können, ohne dass sie selbst zum

Thema der Kommunikation werden. Wenn z.B. T-Shirts der Marken ‚Consdaple’, ‚Masterrace’

oder ‚Thor Steinar’ getragen werden, so ließe sich auf den ersten Blick auf moderne

Sportmodelabels schließen, deren offene Präsentation vielerorts zum guten Ton dazugehört. Für den

informierten Beobachter offenbart sich allerdings, dass man nur die ersten und letzten beiden

Buchstaben von ‚Consdaple’ abdecken muss und ‚NSDAP’ erhält, ‚Masterrace’ in deutscher

Übersetzung ‚Herrenrasse’ heisst und die von ‚Thor Steinar’ verwendeten Symbole große

Ähnlichkeiten mit den von der SS verwendeten Runenzeichen aufweisen.. Auch die Verwendung

bestimmter Zahlencodes20, Wörter21 oder Runen sind in rechtsextremen Kontexten ebenfalls

20 Dabei wird häufig der erste Buchstabe des auszudrückenden Wortes durch eine Zahl symbolisiert. Sehr verbreitet

sind z.B. 88 für ‚Heil Hitler’, 28 für ‚Blood & Honour’, 18 für ‚Adolf Hitler’ oder die aus dem Kontext von US – Rassisten geprägten ‚14 Words’ (We must secure the existence of our people and a future for white children).

21 Juden werden z.B. häufig unter Anspielung auf antisemitische Propaganda als ‚Nasen’ und das ‚Weltjudentum’ als ‚Hintergrundkräfte’ bezeichnet, während man Holocaustleugner als ‚nonkonformistische Denker’ würdigt (vgl. Erb

üblich, wobei sie insgesamt immer irgendeinen Bezug zur Semantik der Volksgemeinschaft, sei es

anhand der Referenz auf nordische Mythen (vgl. am Beispiel der BNP: Atton 2006, S.577ff), die

NS – Vergangenheit oder einschlägige Deutungsweisen aktuellerer Ereignisse, herstellen. Diesen

Symbolen und Verhaltenscodes ist gemeinsam, dass bestimmte semantische Formen insofern gegen

Widerspruch (z.B. in Form von rechtlicher Sanktionierung) abschirmen, als dass strikt-kausale

Kopplungen gerade latent gehalten werden22. Dies ist deshalb möglich, weil man eben auf der Basis

dieser Symbole die ‚richtige’ Einstellung, d.h. sehr spezifische Motive auf Personen zurechnen

kann. Diese ergeben sich allerdings erst in einem sinnhaft-wechselseitigen Bezug bzw. einem

häufigen Engagement an Kommunikationsprozessen im rechtsextremen Netzwerk. Das offene

Tragen derartiger Symbole oder bestimmte Verhaltensweisen werden dann intern als offenes

Bekenntnis zur Bewegung verstanden, womit auf die ‚richtige’ politische Einstellung geschlossen

werden kann und sich stark konditionierte kommunikative Anschlusspotentiale ergeben. Die

Verwendung bestimmter Symbole verweist also auf die Inklusion in ein Netzwerk, dass sich über

die Semantik der Volksgemeinschaft beschreibt, wobei dadurch die fehlende innere Kohärenz, wie

sie in Organisationen über die Mitgliedschaftsrolle gewährleistet wird (vgl. Luhmann 1998, S.829),

kompensiert wird. Dadurch ist zwar nicht das Netzwerk an sich adressierbar, aber zumindest lassen

sich Erwartungen an eine Person limitieren und ganz andere Umgangsformen pflegen als mit einer

Person, die vielleicht nur Sympathien für die Bewegung hegt, einzelne politische Positionen teilt

oder überhaupt kein Interesse oder ‚Wissen’ an den Tag legt23.

Da aber dort nun nicht eine Entkopplung von Person und Rolle vollzogen, wird, bedarf es einer

bestimmten Form des Vertrauens, welche sicherstellt, dass das Verhalten als ‚Inkludierter’ auch

ernst gemeint ist und man es nicht mit einem Blender oder V-Mann des Verfassungsschutzes zu tun

hat. Geld oder andere symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien sind dabei allerdings viel

zu universalistisch angelegt, als dass sich auf ein persönliches Motiv i.S. der richtigen Einstellung

schließen liesse. Während symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien Bedingungen

generieren, unter denen sie auf sich selbst anwendbar sind und damit u.a. spezifische, d.h. am

Medium orientierte Rollenerwartungen etablieren (vgl. Luhmann 1975, S.15f), geht es bei der Frage

um die richtige Einstellung analog zu moralischer Kommunikation um die „Inklusion von Personen

schlechthin“(Luhmann 1998, S.397). Erwartungen werden im rechtsextremen Netzwerk folglich

stärker auf der Basis des Vertrauens in persönliche Einstellungen stabilisiert, wobei dies impliziert,

dass die Kenntnis einer Person mit dem Bekenntnis zur Volksgemeinschaft schon ausreichend

2003, S.298).

22 Man verwendet gewissermaßen ‚Mythen’ als ‚sekundäre semiologische Systeme’ im Sinne von Roland Barthes (vgl. Barthes 1976, S.92).

23 Hinsichtlich der Frage, ob Deutschland unter Überfremdung leide oder das Deutsche Volk von den Alliierten kleingehalten wird, muss z.B. keine Überzeugungsarbeit mehr geleistet werden.

beschrieben ist: Entweder man ist ‚Kamerad’ im Kampf gegen das System oder man ist es nicht und

hat dann aber auch nichts weiter zu erwarten. Der langwierige Prozess des Kennenlernens, auf

dessen Basis dann personelles Vertrauen entstehen kann wird gewissermaßen durch das in anderen

sozialen Kontexten mitunter riskante Bekenntnis zur Volksgemeinschaft abgekürzt (vgl. Erb 2003,

S.296).

Vor diesem Hintergrund lassen sich dann komplexe Netzwerkstrukturen auf der Basis eines

wechselseitigen personellen Bezugs etablieren, wobei sich unterschiedliche funktionale Referenzen

unter dem Diktum der ‚Kameradschaft’ in Kohärenz bringen lassen (vgl. Rucht 2002, S.79). Man

kann dann z.B. einschlägige Kleidung, CDs und Literatur über politisch ‚korrekten’ Onlineshops

beziehen, Informations- oder Konzertveranstaltungen besuchen oder einfach nur Kampfsport unter

Gleichgesinnten betreiben, ohne Widerspruch zur eigenen ‚persönlichen’ Einstellung fürchten zu

müssen. Falls es dennoch Probleme geben sollte, steht meistens schon ein national gesinnter Anwalt

zur Seite oder man kann einfach im Unternehmen eines Kameraden Arbeit finden. Für politische

Kampagnen lassen sich immer wieder solvente Geldgeber finden, die aus welchen Quellen auch

immer (sei es ‚normale’ Erwerbsarbeit oder seien es illegale Geschäfte) die notwendigen

Ressourcen für die gemeinsame Sache bereitstellen. Politische Veranstaltungen wie

Demonstrationen oder Gedenkveranstaltungen an die ‚Helden’ des 2. Weltkriegs ermöglichen dabei

eine zusätzliche Möglichkeit die personellen Netzwerke zu erweitern oder zu verdichten. Kurz:

Rechtsextreme Netzwerke suggerieren eine auf Kameradschaft und Gegenseitigkeit basierenden

Lebens- und Erlebenswelt, die mittlerweile so viele unterschiedliche Kontexte unter der Referenz

auf eine ‚nationale Gesinnung’ relationiert, dass die Person dort ohne weiteres aufgehen kann. Man

ist dann nicht mehr Handwerker, Diabetespatient und Vater, sondern in erster Linie Nationalist, so

dass komplementäre Rollenerwartungen durch eine zentrale Inklusionsform überformt werden.

Dass es intern faktisch aber sehr wohl differente Erwartungen gibt und so etwas wie eine interne

(Rollen)Differenzierung, werde ich versuchen im nächsten Abschnitt zu zeigen.

4.2.3 Inklusionsmechanismen zwischen Kadern, Aktivisten und Sympathisanten

Rechtsextreme Netzwerke sind also in der Lage eine hochexklusive bzw. hochselektive

Inklusionsform zu etablieren, welche mit dem Verweis auf die richtige Einstellung zur ‚nationalen

Sache’ unterschiedlichste Referenzen subsumieren kann. D.h. aber nicht, dass sich intern so etwas

wie eine Gleichförmigkeit von Erwartungen i.S. eines Fehlens von Rollendifferenzierungen

etablieren könnte. Personelles Vertrauen bzw. Vertrauen in die richtige Einstellung ist sicherlich der

zentrale Mechanismus, auf welchem derartige Netzwerke stabilisierbar sind. Dennoch stellt sich die

Frage, wie sich diese im Zweifelsfall eigentlich überprüfen lassen soll, wenn Bewusstsein und

Kommunikation zwar strukturell gekoppelt aber dennoch operativ eigendynamisch sind ( vgl. dazu:

Luhmann 2004b, S.116f). Die richtige Einstellung ist schließlich nur über Kommunikation

identifizierbar und impliziert schließlich nur, dass eine Konditionierung von Anschlusspotentialen

vor einem Kontingenzhorizont vorgenommen wird. Der Umstand, dass keine Überzeugungsarbeit

mehr geleistet werden muss bzw. kein Widerspruch zu bestimmten politischen Positionen erwartbar

ist, lässt sich gewissermaßen als Minimalerwartung beschreiben. Bestimmte Einstellungen müssen

einfach nicht mehr zum Thema der Kommunikation werden, was aber noch nichts über

weitergehende interne Verhaltenserwartungen aussagt. Die ‚richtige’ Einstellung muss folglich im

Zweifelsfall überprüfbar sein, wobei sich dies eben nur über zurechenbares Handeln, d.h. der

Beobachtung von Engagement in der Bewegung gewährleisten lässt. Die Inklusion in das

rechtsextreme Netzwerk über die Zurechnung der richtigen Einstellung auf eine Person ist also nur

dann möglich, wenn diese als Zurechnungspunkt in einschlägigen sozialen Kontexten verfügbar ist

(vgl. Klärner 2008, S.298). Kriterien, um die ‚richtige’ Einstellung unter Beweis zu stellen bzw.

messbar zu machen, könnten u.a. die kontinuierliche Teilnahme an Demonstrationen, die Teilnahme

an und auch Mitwirkung in Schulungsveranstaltungen, der Besuch von Stammtischen oder einfach

nur das Engagement in rechtsextremen Kleinstgruppen sein. Die persönliche Einstellung ist also in

hohem Maße an Entschlossenheit bzw. an Handlungsbereitschaft gekoppelt, welche über

Motivzurechnung im rechtsextremer Netzwerke als einem bestimmten Sinnkontext zustande

kommt.

Wenn also Engagement als internes Kriterium für bestimmte Erwartungshaltungen ist, so erscheint

klar, dass nicht an jede Person die gleichen Erwartungen gerichtet werden können. Vielmehr kann

zwischen Rollen, von denen hohes Engagement erwartet wird, von Rollen unterschieden werden,

denen weniger starkes Engagement zugeschrieben wird. Hier bietet sich an, von einer

Zentrum/Peripherie – Differenzierung auszugehen, die ohne ein organisiertes Zentrum auskommt,

sondern Verhalten stattdessen über personelles Vertrauen konditioniert. „Eine Zentrum/Peripherie –

Differenzierung kann“ dabei „relativ vorraussetzungslos entstehen, ist mit Personalfluktuationen

zwischen Sympathisanten, Anhängern und Kern kompatibel und erlaubt relativ unscharfe Grenzen,

die sich erst im Prozess der Selbstaktivierung der Bewegung klären“(Luhmann 1998, S.864). Für

rechtsextreme Bewegungen lässt sich allerdings postulieren, dass diese sich über die Semantik der

Volksgemeinschaft in einem Zustand der kontinuierlichen Selbstaktivierung befinden und von daher

relativ scharfe Grenzen aufweisen, die sich in erster Linie zwischen Kadern, d.h. ‚Bewegungseliten’

(vgl. Rucht 1994, S.85f) und Aktivisten bzw. zwischen Aktivisten und Sympathisanten ziehen

lassen. Während Kader entscheidende Positionen im rechtsextremen Netzwerk, wie z.B. als

Organisatoren von Demonstrationen, Konzerten oder Schulungsveranstaltung, Planer von

Aktionsprogrammen, Autoren oder Verleger, Geldgeber von einzelnen Gruppen und sogar

umfassenderen Projekten24 oder einfach als personelle Adressen für die interne Vernetzung

fungieren, stellen Aktivisten den breiteren Kreis der sozialen Bewegung dar. Ihnen obliegt

weitestgehend die Durchführung von Protestereignissen (vgl. Klärner 2008, S.44) und fungieren

dabei als Rekrutierungspotential für einschlägige Positionen im rechtsextremen Netzwerk, wobei

sie als Einzelpersonen noch nicht weiter adressierbar sind. Man kann sagen, dass Aktivisten als

relevanten Personen bzw. Persönlichkeiten im ‚nationalen Widerstand’ über Karrieren erst

hervorgebracht werden müssen. Der Aktivist muss als Bestandteil einer weitestgehend anonymen

Masse gewissermaßen erst personalisiert werden, wobei dies über Schulungen und regelmäßige

Kontakte zu Kadern geregelt wird. Obwohl ‚Aktivisten’ natürlich in den jeweiligen Gruppen

(Kameradschaften, Lokalverbänden von Parteien, Lokalen Szenen) durchaus bekannt sein müssen,

erscheinen sie mit Blick auf die Bewegung als generalisierte, d.h. anonyme Basis mit vermeintlich

einheitlichen Motiven. Sympathisanten hingegen realisieren intern eigentlich keine zurechenbaren

Adressen, sondern lassen sich als eine Form der Aussenreferenz der Bewegung beschreiben, die

suggeriert, dass die ‚richtige’ Einstellung potentiell auch ausserhalb der Bewegung zuschreibbar ist.

Mit den ‚Sympathisanten’ ist gewissermaßen ein Mobilisierungs- bzw. Anschlusspotential

beschrieben, das letztlich nur die Möglichkeit der externen Zustimmung zu bestimmten Meinungen

impliziert. Man könnte evtl. Rechtsrockkonzerte, Volksfeste oder politisierten Lifestyle als Formen

der Produktion von ‚Sympathie’ beschreiben, da hier bestimmte Motive ohne ein notwendiges

politisches Engagement unterstellt werden können.

Rechtsextreme Netzwerke unterscheiden intern also zwischen Kadern und Aktivisten, wobei Kader

sich als die eigentlichen ‚Träger’ des rechtsextremen Netzwerks beschreiben lassen, während

Aktivisten suggerieren, dass es auch intern um mehr geht als nur um Einzelinteressen. Nach aussen

stellt sich dies dann als Unterscheidung von Aktivisten und Sympathisanten dar, wobei dies

verdeutlichen soll, dass die Bewegung nicht nur Selbstzweck ist, sondern darauf abzielt,

Zustimmung zu produzieren. Diese kann für Aktivisten pauschal unterstellt werden, da man sich ja

engagiert, während andere noch überzeugt werden müssen. Die subjektive Überzeugung ist dabei

aber nur kommunizierbar, indem Kommunikation als Handlungen beobachtet und auf Motive

zugerechnet wird (vgl. Luhmann 1987, S.191), so dass Überzeugungsarbeit auch immer

‚Sozialisation’ i.S. einer Motivkonditionierung impliziert. Dies eröffnet interne Karrierechancen, die

aber die Person als Ganzes in Beschlag nehmen und Rollenerwartungen nicht mehr nur

24 Dazu lassen sich z.B. die Immobilienkäufe des mittlerweile verstorbenen Jürgen Riegers zum Zwecke der

Etablierung von Schulungszentren oder die ‚Rücksiedlungsprogramme’ von Russlanddeutschen ins ehemalige Ostpreußen des Verlegers Dietmar Munier (Arndt – Verlag bzw. ‚Lesen und Schenken’) zählen.

komplementär, sondern substitutiv zu anderen etablieren können, indem jedem Handeln politische

Motive unterlegt werden. Obwohl gerade über Kader unterschiedliche funktionale Referenzen im

Netzwerk gelegt werden und man diesen höhere Freiheitsgerade zugestehen kann25, stehen sie

dennoch in höherem Maße im Dienste der gemeinsamen Sache, da die Bewegung ihre Einheit über

deren wechselseitigen personellen Bezug strukturell absichert26.

Dies liegt darin begründet, dass an Kader noch wesentlich spezifischere Erwartungen gerichtet

werden als an ‚reine’ Aktivisten, wobei die Konditionierung von Verhalten eben nicht über formale

Mitgliedschaften bzw. Parteiämter vollzogen wird, sondern über die Beobachtung als Person mit

bestimmten Einstellungen. Dadurch können innerhalb rechtsextremer Bewegungen unter der

Semantik der Volksgemeinschaft bestimmte Werteordnungen als persönliche Einstellungen

zugeschrieben bzw. „in das semantische Absicherungssystem der Motivation aufgenommen“ (vgl.

Luhmann 1996, S.94) werden, wobei je nach Positionierung als Kader oder Aktivist mehr oder

weniger Korrelation zwischen Wert und Motivation, d.h. Entschlossenheit erwartet wird27.

Gegenwerte dazu, wie die ‚falsche’ Einstellung oder fehlende Entschlossenheit kommen dabei nicht

vor bzw. werden dem korrumpierten ‚System’ zugeschrieben28, da deren Externalisierung eine

Externalisierung von Widerspruch bedeutet (vgl. ebenda, S.95), die konstitutiv für die Einheit der

Bewegung erscheint. Damit kann nicht nur die Welt um einen zentralen Konflikt herum zentralisiert

werden, sondern auch Handlungsmotive. Während die Differenzierung nach Kadern und Aktivisten

eben die interne Konditionierung dieser Motive vor dem Hintergrund unterschiedlicher Aktions-

und Organisationsformen impliziert, suggeriert die Unterscheidung von Aktivisten und

Sympathisanten die Notwendigkeit der Mobilisierung bzw. kontinuierlichen Bereitstellung von

Motiven, die zu unterschiedlichsten Themen zum Protest animieren.

4.3 Konflikt und rechtsextreme Gewalt

Es wurde versucht, darzustellen, wie einerseits eine spezifische Perspektive auf die Gesellschaft und

25 Die ‚Bewegungseliten’ können durchaus strategische und programmatische Dispute führen, d.h. auch Dissens

erzeugen. Als Beispiel lässt sich z.B. die von Christian Worch und anderen geführte Diskussion um die Stellung der NPD zu den ‚freien Kräften’ (d.h. Kameradschaften und autonome Nationalisten) anführen.

26 Deshalb muss man sich auch, um sich für entsprechende Positionen zu empfehlen als besonders konsequenter Streiter geben und auch mal Gerichtsverhandlungen oder öffentliche Anfeindungen in Kauf nehmen, um jeden Zweifel an der persönlichen Motivation ausser Kraft zu setzen.

27 Im Neonazijargon werden dabei u.a. soldatische Tugenden wie z.B. ‚Treue’ und ‚Ehre’ eingefordert. Wer dies nicht leisten kann, der will es auch nicht und gehört damit nicht dazu.

28 Politische Gegner werden dann als jüdisch infiltriert betrachtet und sind folglich gleichermaßen zu bekämpfen, wie der eigentliche Gegner. Dieses Schema findet sich schon bei den historischen Nationalsozialisten, die mit Blick auf die KPD oder die Sowjetunion auch schon vor der ‚jüdisch-bolschewistischen’ Gefahr warnten .

andererseits im Kontext eines rechtsextremen Netzwerkes interne Zustimmung zu dieser

Perspektive unter der Zuschreibung auf persönliche Motive hervorgebracht wird. Sowohl

semantisch als auch hinsichtlich von Erwartungen an Personen kann man sich so von seiner Umwelt

abgrenzen, wobei sich hier nun die Frage stellt, inwiefern dies zu Kompatibilitätsproblemen mit

heterogenen gesellschaftlichen Erwartungen und Selbstbeschreibungen führt. Dazu ist es

erforderlich, darzustellen, wie einerseits Resonanzen in der gesellschaftlichen Umwelt erzeugt

werden und wie dies intern operationalisiert wird, ohne die Einheit der Bewegung zu gefährden.

Gewalt spielt dabei eine besondere Rolle, weil sie als reines Verhalten nicht negiert aber unter der

Mobilisierung von Motiven unterschiedlich plausibilisiert werden kann. Gerade für ein politisches

System, dass sich für den Umgang mit Gewalt privilegiert, kann rechtsextreme Gewalt eine

besondere Relevanz erzeugen.

Zuerst wird hier nachvollzogen, was es in einer Gesellschaft ohne Zentrum eigentlich bedeutet,

diese unter einem zentralen Konfliktschema zu beschreiben. Anschließend wird beleuchtet, welche

Probleme die Inklusion in rechtsextreme Netzwerke angesichts einer durch Grundrechte

nahegelegten Komplementarität von gesellschaftlichen Rollenerwartungen mit sich bringt.

Abschließend werde ich darstellen, wie Gewalt genutzt wird, um die Einheit der Bewegung

gegenüber einer gesellschaftlichen Polykontextualität dennoch aufrecht zu erhalten.

4.3.1 Die Einheitssemantik der Volksgemeinschaft im Kontext gesellschaftlicher Polykontextualität

Es wurde schon erwähnt, dass in der modernen Gesellschaft Ansprüche auf zentral verbindliche

Repräsentation notwendigerweise enttäuscht werden müssen. Da es kein Zentrum in funktional

differenzierten Gesellschaften gibt, kann man nur noch von unterschiedlichen Selbstbeschreibungen

aber eben nicht mehr von einer zentralen Weltbeschreibung sprechen, da sich diese eben nicht

zurechnen lässt: Es „...erfordert im Rahmen einer gepflegten Semantik jeder Sinn die Angabe einer

Systemreferenz unterhalb der Ebene des gesamtgesellschaftlichen Systems“(Luhmann 1993, S.57).

Das impliziert, dass es immer auch andere Möglichkeiten der Selbstbeschreibung gibt bzw.

Deutungsmuster als kontingent erfahren werden können, so dass die Einheit der Gesellschaft nur

noch unter Angabe einer Systemreferenz in Differenz zu einer anderen postulierbar ist. Gerade die

Ausdifferenzierung der Massenmedien hat maßgeblich dazu beigetragen, dass jede Beobachtung als

solche wiederbeobachtet werden kann (vgl. Luhmann 2004c, S.208f), wobei die Funktionssysteme

sich dem sowohl strukturell als auch semantisch eingestellt haben. Die Einheit der Gesellschaft wird

dann zugunsten der Einheit des jeweiligen Funktionssystems externalisiert, wodurch sich die

Struktur funktionaler Differenzierung reproduzieren kann. Einheitssemantiken hingegen

„...reagieren auf das Problem des Verlustes einer konkurrenzfreien representatio identitati, indem sie

den Einschluss der ausgeschlossenen Einheit der Gesellschaft simulieren“(Nichelmann/Pasquée

2005, S.305).

Weiter oben wurde schon dargestellt, wie rechtsextreme Bewegungen dies über den Konflikt

zwischen Volksgemeinschaft und korrumpierter Gesellschaft realisieren, wobei alles, was nicht zur

Volksgemeinschaft gehört, als widernatürliches Faktum bekämpft werden muss. Da man sich als

Verfechter der Volksgemeinschaft als nicht zur korrumpierten Gesellschaft gehörig beschreibt,

nimmt man die für soziale Bewegungen typische Außenperspektive ein, die deshalb paradox ist,

weil sie nur innerhalb der Gesellschaft möglich ist (vgl. dazu: Japp 2003, S.70). Das ist daran

erkennbar, dass man sich thematisch an den Folgeerscheinungen funktionaler Differenzierung bzw.

der Themenauswahl der Massenmedien (z.B. Arbeitslosigkeit, Globalisierungsfolgen,

Umweltverschmutzung, Werteverfall) oder auch semantischen Formen der Politik (z.B. Volk,

Nation) bedient. Dies kondensiert allerdings nicht in Entscheidungsalternativen, die dann in der

Peripherie des politischen Systems zur Disposition stehen könnten, da man sich selbst als

Alternative zu allen anderen Alternativen der ‚Systemparteien’ beschreibt. Es geht also nicht um die

Ablehnung einzelner Entscheidungen, sondern um die grundsätzliche Ablehnung der politischen

Entscheidungsprämissen (vgl. dazu: Luhmann 1983, S.31), da diese einem ‚zionistischen’ Diktat

zuzurechnen sind. Die Transformation von gesellschaftlichen Konflikten in politische, d.h. temporär

entscheidbare Konflikte (vgl. Luhmann 1999a, S.103) bzw. von Gefahren in Risiken wird auf der

Seite der korrumpierten Gesellschaft selbst zum Teil eines Konfliktes: „Der Staat wird dann nicht

mehr als Instanz der Beseitigung der Gefahr gesellschaftlich riskanten Handelns betrachtet, sondern

der Gefahrenbeseitiger wird selbst als gefährlich wahrgenommen“ (Nichelmann/Pasquée 2005,

S.314). Das Beobachtungsparadox sozialer Bewegungen wird durch rechtsextreme Bewegungen

gewissermaßen dahingehend entfaltet, dass man zu Gunsten der eigenen Einheit andere

Möglichkeiten des Beobachtens als ‚jüdisch’ oder sonst wie (z.B. durch ‚Freimaurer’) infiltriert

bzw. entfremdet ablehnt und nur noch die eine Möglichkeit des radikalen Wandels durch ‚nationalen

Widerstand’ gegen den Nationalstaat sieht (vgl. Overmann 1998, S.88).

Vor dem Hintergrund einer funktional differenzierten Gesellschaft erscheint eine solche auf Einheit

forcierte Perspektive allerdings gesellschaftlich kaum anschlussfähig, da die „... Einheit der

Gesellschaft ... nicht mehr als Prinzip, sondern nur noch als Paradox behauptet werden kann“

(Luhmann 1998, S.1144). An der Semantik der Volksgemeinschaft orientierte Erwartungen müssen

deshalb notwendigerweise enttäuscht werden, was innerhalb rechtsextremer Bewegungen aber

dadurch kompensiert werden kann, dass man einfach wieder auf das Weltjudentum zurechnet und

dagegen verschärft protestieren kann, indem man das einheitssemantisch fixierte Konfliktschema

bestätigt sieht. Die Chancen, dass Protestthemen aber für die Formulierung von

Entscheidungsalternativen im Kontext des politischen Systems berücksichtigt werden, sinken

allerdings ab, was wieder Anlass zu einer erneuten Radikalisierung bietet (vgl. Della Porta 1995,

S.194).

Diese bleibt allerdings nicht folgenlos, so dass sich z.B. im deutschen Kontext nicht nur am

Beispiel des ‚Aufstandes der Anständigen’, des offiziellen Verbots von rechtsextremen Parteien

(SRP, FAP, NF)29, einzelner Gruppen (Skinheads Sächsische Schweiz), der Zensur von Liedtexten30

oder einschlägiger Literatur, sondern auch am Beispiel von ‚Initiativen gegen Rechts’

nachvollziehen lässt, dass der eigene Protest seinerseits auf Widerspruch31 bzw. Protest stößt. In der

medialen Berichtserstattung treten dann rechtsextreme Bewegungen und Gegenbewegungen

gleichzeitig auf, wodurch die eigene Inszenierung unter Konkurrenzdruck gerät. Man wird selbst

zum Protestthema, so dass die eigene Themenrepräsentation und d.h. die Einheit des Protestes

besonders dann konterkariert werden kann, wenn die mediale Aufmerksamkeit primär über die

Inszenierung von Protestereignissen, wie z.B. Demonstrationen erregt wird (vgl. dazu: ebenda,

S.862)32.

Über eine Einheitssemantik der Volksgemeinschaft orientierte Kommunikation hat also nicht nur

deshalb Anschlussprobleme, weil sie die polykontextuelle moderne Gesellschaft unter

Einheitsgesichtspunkten betrachtet und die Gesellschaft von daher mit paradoxen Forderungen

konfrontiert. Zusätzlich hat sich die Ablehnung der Gesellschaft derart radikalisiert, dass das

staatliche Entscheidungszentrum selbst als Gefahr beobachtet wird und von daher als Adresse für

die Äußerung politischer Ansprüche bzw. Entscheidungsalternativen kaum mehr in Frage kommt.

Die Formierung von Protest und kommunikativem Widerstand gegen rechtsextreme Proteste

bewirkt dabei bzgl. der medialen Berichterstattung eine dazutretende Marginalisierung der eigenen

Themen.

29 Sozialistische Reichspartei (SRP), Freie Arbeiterpartei (FAP), Nationalistische Front (NF) 30 Als spektakuläres Beispiel lassen sich die Gerichtsverfahren gegen die Rechtsrock – Gruppe ‚Landser’ anführen,

was aber die Popularität der Gruppe und besonders ihres Sängers ‚Lunikoff’ eher gesteigert hat. 31 Dieser Widerspruch kann dabei seinerseits unter Aktualisierung tradierter semantischer Formen wie

‚Antifaschismus’, ‚Toleranz’ u.ä. plausibel gemacht werden und sogar Vertreter etablierter Parteien mobilisieren. Dabei handelt es sich allerdings nur um eins von vielen möglichen Themen in der Politik, so dass man sich an entsprechenden Protesten wesentlich vorraussetzungsloser beteiligen kann.

32 Zumeist kann man sogar von einer zahlenmäßigen Überlegenheit der Gegendemonstrationen ausgehen, was sich natürlich auf die Form der Berichterstattung auswirkt. Das rechtsextreme Protestereignis wird so relativ schnell zu einem der Gegenseite.

4.3.2 Rechtsextreme Netzwerke vor dem Hintergrund komplementärer Erwartungsstrukturen

Es wurde schon dargestellt, wie rechtsextreme Bewegungen netzwerkartige Strukturen auf der Basis

der Disziplinierung von persönlichen Motiven konstituieren können und damit unterschiedlichste

soziale Referenzen unter dem Primat der ‚nationalen Gesinnung’ einrichten können. Diese

Netzwerkbildung kann allerdings gerade deshalb vollzogen werden, weil es eben keinen zentralen

gesellschaftlichen Inklusionsmodus mehr gibt:„ Beziehungsnetzwerke dieser Art nutzen die

strukturelle Offenheit systemischer Inklusionsmodi als Einflugschneise für parasitär konstituierte

Möglichkeiten“(Tacke 2000, S.313). Auch dies deutet klar darauf hin, dass man nicht ausserhalb der

Gesellschaft operiert, sondern gerade die Entkopplung von Person und Rolle nutzt, um eben

persönliche Motive als Grundlage für bestimmte Rollenerwartungen wieder stark zu machen. Nichts

wird umsonst gemacht, weil sich an allem Handeln die ‚Gesinnung’ einer Person ablesen lässt. Man

kann also unterstellen, dass es im rechtsextremen Netzwerk um die kontinuierliche Produktion und

Reproduktion von Hintergrundidentitäten auf der Basis von als Handlung zugerechneten

Mitteilungen geht: „...this attribution produces identities which act as relatively stable cornerstones

of the communication process. These identities are not limited to a single neighborhoods either in

network or domain. Instead they are subject to repeated switching processes between domains – and

it is precisely these switchings by whitch identities get triggered”(White et al. 2007, S.550). Um

sich also als wahrhaftiger Nationalist unter Beweis zu stellen, reicht es nicht aus einfach nur auf

Demonstrationen mitzulaufen oder Rechtsrock – Konzerte zu besuchen, sondern es besteht letztlich

die Erwartung, dies auch in anderen sozialen Kontexten wie z.B. im Beruf, der Familie oder beim

Bekleidungskauf unter Beweis zu stellen. Reziprozität entsteht dann dadurch, dass sich als

Gegenleistung für die Beweisführung Anerkennungs- und Karrierechancen im Netzwerk eröffnen

und man für weiteres zur Verfügung steht (vgl. dazu: Tacke/Bommes 2007, S.16).

Die Person steht folglich unter kontinuierlichem Druck der Motivdisziplinierung, was aber genau

dann problematisch werden kann, wenn es gerade nicht um persönliche Motive geht, sondern z.B.

im Kontext des Berufslebens um Organisationsziele. Zum Problem wird dies aber nicht, weil das

Bewusstsein in einen Zwiespalt gerät33, sondern weil Erwartungen sowohl im Netzwerk als auch im

jeweiligen sozialen Kontext enttäuscht werden können. Einerseits kann man beispielweise durch

fremdenfeindliche Äußerungen am Arbeitsplatz auffallen und eine Kündigung riskieren oder die

eigenen Kinder vertreten in der Schule die Überlegenheit der ‚arischen’ Rasse, wodurch Probleme

mit dem Lehrpersonal entstehen. Andererseits kann es zu Problemen mit den politischen

33 Zumindest ist dieses kommunikativ nicht direkt zu erreichen bzw. bleibt letztlich intransparent.

Mitstreitern kommen, wenn man z.B. homosexuell ist34, für einen Arbeitgeber mit

Migrationshintergrund arbeitet oder einfach nur eine Vorliebe für R’n’B – Musik hegt. Die

Inklusion in das Netzwerk kann als widersprüchlich zu anderen gesellschaftlichen Teilbereichen

erscheinen, wodurch es zu einer Selbstexklusion aus diesen zugunsten eines verstärkten politischen

Engagements kommen kann (vgl. Wagner/Borstel 2009, S.290), wobei die Semantik der

Volksgemeinschaft dann die Motive dafür bietet. Andersherum lassen sich Exklusionsphänomene

wie Arbeitslosigkeit oder Schulverweise nahtlos in das Konfliktschema der rechtsextremen

Einheitssemantik artikulieren, indem Kausalschemata wie Überfremdung oder die

‚Meinungsdiktatur’ aktualisiert werden, wobei dann auf der anderen Seite die Inklusion in das

rechtsextreme Netzwerk stehen kann. Der Widerspruch zur Gesellschaft kann somit auf der Basis

von Mechanismen der Motivdisziplinierung im Kontext rechtsextremer Netzwerke in das

persönliche Erleben übersetzt werden, indem ausserhalb soziale Kälte und innerhalb Kameradschaft

suggeriert wird.

Dies soll nun gerade nicht so verstanden werden, als würde sich im Kontext rechtsextremer

Netzwerke so etwas wie eine Parallelgesellschaft mit vollkommen anderen Prinzipien etablieren.

Man befindet sich vielmehr voll und ganz in der Gesellschaft, weil die Etablierung rechtsextremer

Netzwerke unter dem Diktum der Volksgemeinschaft gerade die durch funktionale Differenzierung

produzierten Nebenfolgen und Unsicherheiten parasitär35 nutzen kann und in ein mehr oder weniger

kohärentes Deutungsmuster transformiert. Die Einheitssemantik der Volksgemeinschaft ermöglicht

es, „viele ansonsten unzusammenhängend bleibende Erwartungsenttäuschungen, persönliche

Konflikte und private Feindschaften in einen übergreifenden und mit anderen geteilten

Sinnzusammenhang zu stellen“(Schneider 2007, S.143). Rechtsextreme Netzwerke können sich

somit vor einem einheitssemantisch fixierten Konflikt bilden und so etwas wie alternative

Vollinklusion gegenüber gesellschaftlichen Komplementärrollen suggerieren. Diese wird aber nur in

den seltensten Fällen realisiert (z.B. im Kontext von kriminellen Netzwerken oder Terrorzellen),

sondern ermöglicht zumeist nur eine temporäre Überformung von Komplementärrollen unter

Etablierung unterschiedlicher Referenzen. Über die interne Differenzierung nach Kadern und

Aktivisten wird es aber nahegelegt, sich der Disziplinierung persönlicher Motive zu unterziehen,

wobei diese unter einer gleichzeitigen Etablierung unterschiedlicher funktionaler Referenzen so

etwas wie eine gemeinsame Lebenswelt mit eigenen moralischen Werten und Tugenden

symbolisieren kann. Wenn es rechtsextremen Bewegungen also um das ‚Erwachen’

34 Am Beispiel von Michael Kühnen, einem der wichtigsten Kader der deutschen rechtsextremen Bewegung der 80er

und frühen 90er Jahre, hat dieser Umstand zu heftigen Debatten innerhalb der Bewegung geführt. 35 Mit dem Parasiten ist im Sinne Michel Serres gemeint, dass jede Selektion nichtaktualisierte Möglichkeiten bzw.

Sinnüberschüsse impliziert, auf deren Basis sich neue Formen der Sinnverarbeitung etablieren können. Diese produzieren Unsicherheit im Wirtssystem und nutzen diese gleichzeitig für eigenen Strukturaufbau (vgl. dazu: Serres 1987, S.14f).

volksgemeinschaftlichen ‚Geistes’ (z.B. das ‚Germanentum’) im Sinne primordialer Bindungen

geht, so wird dieser intern und d.h. über Kommunikation erst erzeugt und hat gerade dadurch

Bestand, dass er gerade keine Entsprechung in der gesellschaftlichen Umwelt findet. Dadurch

entstehende Unsicherheiten können für eine Reproduktion, Plausibilisierung und Intensivierung des

Konfliktschemas genutzt werden, wobei dann auch die Form der Person (vgl. dazu: Luhmann 2008)

einbezogen wird.

4.3.3 Physische Gewalt und Motivation im Kontext rechtsextremer Bewegungen

Rechtsextreme Bewegungen haben also einerseits wegen ihrer Einheitsbeschreibung der modernen

Gesellschaft und andererseits wegen der im Kontext rechtsextremer Netzwerke etablierten

Erwartung der Disziplinierung von Motiven entsprechend der Semantik der Volksgemeinschaft

Probleme in ihrer gesellschaftlichen Umwelt auf Zustimmung36 zu stoßen. Darum geht es aber auch

nicht, da man so etwas wie kommunikativen Widerspruch gegen die Gesellschaft etabliert, der z.B.

in Form von ‚Antifaschismus’ als Thema von Gegenprotesten aber auch erwidert wird, was aber aus

einheitssemantischer Perspektive ausreicht, um den Konflikt zwischen Volksgemeinschaft und

Gesellschaft zu bestätigen. Die in der Einheitssemantik schon angelegte Konfliktkonstellation kann

zum Anlass für „interne Rigidisierung unter Nutzung eines Gegners“ (Japp 2003, S.65) werden, der

überall dort ist, wo intern gültige Erwartungen nicht mehr greifen. Vor dem Hintergrund dieses

Konfliktes kann die Semantik der Volksgemeinschaft sich folglich erst vollständig etablieren, so

dass die Einheit der Bewegung sich in vielen Segmenten mit Blick auf die Umwelt fast nur noch

unter der Generalisierung der Erwartbarkeit von Erwartungsenttäuschungen, d.h. einem Konflikt

stabilisieren kann. Rechtsextreme Bewegungen als Beobachter werden gewissermaßen auf sich selbst

zurückgeworfen, so dass die eigene Einheit nur noch unter Verschärfung des Konfliktes bewahrt werden

kann, was sich u.a. durch Gewaltbereitschaft bzw. der Kommunikation über Gewalt gewährleisten lässt

(vgl. dazu: Japp 2003, S.70/Schneider 2007, S.128).

Gewalt bzw. die nichtlegitimierte Androhung von physischer Gewalt hat dabei eine doppelte Funktion:

Einerseits wirkt sie als Attraktor für die massenmediale Beobachtung, indem Motive für Gewalt

mobilisiert und anhand entsprechender Schemata plausibilisiert werden, wobei gerade ‚rechte Gewalt’

immer wieder die Aufmerksamkeit der Politik erzwingt und Missachtung staatlicher Ordnung

36 Bezüglich einzelner Themen wie z.B. die ‚Ausländerfrage’, der ‚Erhaltung nationaler Kulturen’ , ‚law and order’

oder auch antisemitischer Motive lassen sich immer wieder Anknüpfungspunkte für den ‚talk’ in der Peripherie des politischen Systems finden.

reartikuliert werden kann (vgl. allgemein: Schneider 2007, S.133/Fuchs 2004, S.40) und Reaktionen,

z.B. in Form politischer Entscheidungen oder Gerichtsverfahren geradezu provoziert (vgl. Juris 2005,

S.423), was wiederum massenmedial beobachtet wird und das Bild von ‚Rechtsextremismus’

entsprechend verdichtet bzw. als Schema erst beobachtbar werden lässt37. Andererseits lässt sich

dadurch innerhalb rechtsextremer Bewegungen der Konflikt mit der Gesellschaft plausibilisieren, da

Reaktionen von staatlicher Seite, z.B. in Form von Sanktionen als persönliche Betroffenheit erlebt wird,

da es einen Gleichgesinnten getroffen hat. Dies kann zum Anlass werden, den Protest zu intensivieren38,

was weitere Gewalt zur Folge haben kann: „The activists’ acceptance of violence grew along with their

emotional investment in politics, and their emotional investment intensified with their experience of

violence“ (Della Porta 1995, S.204)39.

Gewalt spielt also in der Erzeugung kommunikativer Anschlussfähigkeit für rechtsextreme Bewegungen

eine entscheidende Rolle. Einerseits erzwingt sie die Beobachtung der Massenmedien bzw. die

Mobilisierung bestimmter Schemata und Motive, was für die Politik Lärm in operable Informationen

transformiert. Andererseits wird Gegengewalt provoziert, die das einheitssemantisch fixierte

Konfliktschema bestätigt und die Mobilisierung entsprechender Handlungsmuster, wie eben die

Verstärkung des Protestes oder auch die erneute Gewaltanwendung nahe legt, indem Betroffenheit

erzeugt wird. Dies ist insbesondere deshalb möglich, weil auf Basis der einheitssemantisch orientierten

Bildung personeller Netzwerke schon im Voraus zwischen Gleichgesinnten und dem ‚System’

unterschieden werden konnte. Die Virtualisierung einer gemeinsamen, rechtsextremen Lebenswelt spielt

dabei eine entscheidende Rolle, da so jeder externe Zwangszugriff persönlich genommen wird obwohl

die eigene Person gar nicht adressiert ist. Einheitssemantiken und personelle Netzwerke lassen sich

somit als Mechanismen beschreiben, durch welche die Anwendung von Gewalt einerseits plausibel

gemacht aber eben auch motiviert werden kann, indem zwischen berechtigter und willkürlicher Gewalt

unterschieden wird. Die eigene Gewalt wird dann gewissermaßen als natürlicher

Selbstverteidungsmechanismus gegenüber einer gesellschaftlichen Entfremdung beschrieben40 (vgl. Erb

2003, S.303), die ihren Ausdruck in gesellschaftlichen Reaktionen auf rechte Gewalt findet. Je nach

Zurechnungsrichtung wird Gewalt von rechtsextremen Bewegungen dann entweder als ‚violence’ oder

als ‚force’ (vgl. Sorel 1981, S.203) erlebt, wobei beide Zurechnungsrichtungen die Ursache für Gewalt

kausal ausserhalb der Bewegung selbst zurechnen und damit gute Bedingungen für die Fortsetzung des

Konfliktes eben auch in gewaltsamer Form bieten. Das symbiotische Verhältnis zwischen

37 So lässt sich dies am Beispiel der sogenannten ‚national befreiten Zonen’ beobachten, die ansonsten keine so starke

Resonanz erzeugt hätten (vgl. Döring 2008, S. 263). 38 Unter Verweis auf das eigene, einheitssemantisch fixierte Konfliktschema kann man dann z.B. gegen politische Verfolgung, für die Freigabe ‚politischer Gefangener’ demonstrieren, die Heuchelei anderer Parteien oder auch die Kriminalisierung des eigenen Protestes beklagen. 39 Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass die Motivation zum gewaltsamen Kampf nicht erst als Folge

der staatlichen Repression zu sehen ist. Vielmehr wird diese als Bestätigung einer eh schon an Konflikt und Kampf orientierten Selbstbeschreibung (vgl. Virchow 2006, S.75) erlebt.

40 Deshalb kommt prinzipiell auch fast jeder, der nicht zur Bewegung gehört, als Ziel in Frage.

Massenmedien und rechtsextremer Gewaltaffinität lässt sich dabei insofern plausibel machen, als

dass auf die Berichtserstattung über rechtsextreme Gewalt, immer auch neue Gewalt folgte und

erstaunlicherweise auch ein erhöhtes Zustimmungspotential (zumindest statistisch) zu

rechtsextremen Themen erkennen liess (vgl. Ohlemacher 1994, S.232). Noch drastischer formuliert

lässt sich rechtsextremer Gewalt bzw. deren Darstellung in den Massemedien sogar so etwas wie

eine Mobilisierungsfunktion zuschreiben (vgl. Willems 1994, S.220), die unter der Zuschreibung

von Täterschaft einerseits bestimmte Motive bzw. Skripte und Schemata (vgl. Luhmann 2004c,

S.193f) aktualisiert, die insofern gleich doppelt anschlussfähig sind, als dass sie Gewalt sowohl

erklären, als auch bei entsprechender Motivlage als Verhaltensoption gleichzeitig nahe legen

können. Mit dem Motiv sind in sozialen Situationen auch daran gekoppelte Verhaltensrepertoires im

Sinne von „behavioural thresholds“(Granovetter , S.1420) situativ aktualisierbar41.

Dennoch stellt sich die Frage, warum Gewalt zwar als eine oftmals gewählte aber zumindest

momentan nicht als die zentrale Option im Kontext rechtsextremer Bewegungen betrachtet wird.

Zur Erklärung dieses Phänomens lässt sich aber vor dem Hintergrund des bisher gesagten die

Netzwerkstruktur in Erwägung. Da es keine Mitgliedschaft, d.h. kein organisiertes Zentrum der

Bewegung, sondern nur eine Vernetzung auf der Basis personellen Vertrauens unter der Prämisse

eines gemeinsamen Konfliktes gibt, lassen sich bestimmte Verhaltensweisen auch nicht allgemein

verbindlich machen. Organisationen wie z.B. die NPD sind adressabel und können deshalb auch

beobachtet werden, so dass rechtliche Sanktionen und staatliche Zwangsgewalt im Zweifelsfall

direkt anwendbar wären. Da dies aber deren Zerschlagung, d.h. den Abbruch organisationsinterner

Kommunikation bedeuten würde, ist man einem gewissen Konformisierungsdruck ausgesetzt, der

bestimmte Optionen, wie z.B. die Verbreitung offen verfassungsfeindlicher Forderungen oder dem

Aufruf zur Gewalt unterbinden kann. Zumindest im Rahmen von formalen Organisationen wird die

Möglichkeit der Zuschreibung von Gewalt durch die Massemedien dann vermieden. Dabei sollte

man nicht irgendein Kalkül unterstellen, sondern ganz einfach den Umstand berücksichtigen, dass

man in erster Linie mit der eigenen Reproduktion auf der Basis von Entscheidungen, d.h. auch mit

dem Bereithalten von Alternativen zu tun hat, von denen Gewalt nur eine ausgesprochen Riskante

darstellt. Anders sieht es dagegen in nicht-formalisierten Segmenten der Bewegung aus, in denen

der zentrale Mechanismus der Verhaltenskonditionierung allein auf der Basis wechselseitiger

personeller Motivdisziplinierung vollzogen wird. Kleinere Gruppen, wie freie Kameradschaften

oder ‚autonome Nationalisten’ höchstens auf der Basis von einzelnen Personen adressierbar, so dass

auch Täterschaft nur auf Einzelpersonen zuschreibbar erscheint. Auf der Basis persönlicher Motive

41 So lässt sich dann auch erklären, dass bei den Brandanschlägen auf Asylbewerberheime in der BRD der frühen

90er Jahre oder auch bei der Hetzjagd auf indischstämmige Bewohner der Stadt Mügeln auch Personen beteiligt waren, die vorher nicht der rechtsextremen Szene zurechenbar waren.

lässt sich in solchen Gruppen die Option der Gewaltausübung einerseits wesentlich leichter nahe

legen, weil sie ‚Entschlossenheit’, d.h. die richtigen Motive im Kontext der Gruppe vermittelt. Die

Person ist folglich einem hohen Erwartungsdruck ausgesetzt, der den semantisch fixierten Konflikt

soweit totalisieren kann, dass Gewalt als Option wählbar erscheint (vgl. dazu: Mann 2004, S.28).

Diese Zuschreibung von Täterschaft auf Personen hat aber andererseits den Effekt, dass sie für die

rechtsextreme Bewegung weniger riskant ist, weil man eben nicht als ganzes sanktioniert wird. Vor

einem solchen Hintergrund kann man sich dann mit den Sanktionierten solidarisieren aber trotzdem

noch zivilere Verhaltensoptionen wählen, um evtl. noch auf anderem Wege, d.h. auf der Basis von

Protest oder sogar durch die Formulierung von Entscheidungsalternativen im Kontext des

politischen Systems aufzufallen. Die interne Unterscheidung von Kadern und Aktivisten lässt sich

in diesem Kontext dann auch so verstehen, als der einen Seite Entschlossenheit einfach unterstellt,

wird, während die andere ihre Entschlossenheit in der Form von Militanz bzw. Risikobereitschaft

(vgl. dazu: Japp 2000, S.81) erst noch unter Beweis stellen muss42.

42 Vor diesem Hintergrund mag es nicht verwundern, wenn gerade im Kreis der Aktivisten Anknüpfungspunkte zu in

unterschiedlicher Hinsicht (z.B. Gewalt, Vandalismus oder Drogen- bzw. Alkoholkonsum) ‚risikobereiten’ Subkulturen, wie z.B. der Skinhead-, Hardcore- oder Rockerszene ergeben.