Kap.4 Rechtsextreme Bewegungen und physische Gewalt (M.A.Thesis 2010)
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4. Rechtsextreme Bewegungen und physische Gewalt
In diesem Abschnitt erfolgt nun die Beschreibung des Verhältnisses von rechtsextremen
Bewegungen und ihrem Verhältnis zur Ausübung physischer Gewalt. Um aber die These einer
Gewaltaffinität rechtsextremer Bewegungen plausibel machen zu können, bedarf es an erster Stelle
einer allgemeinen Darstellung rechtsextremer Bewegungen. Dabei sollen nicht nur Spezifika der
Organisationsstrukturen des rechtsextremen Netzwerks aufgezeigt werden, sondern es erfolgt
zusätzlich eine Rekonstruktion der semantisch fixierten Binnenperspektive. Erst vor diesem
Hintergrund kann untersucht werden, welche Relevanz physische Gewalt im rechtsextremen
Kontext hat und welche konkreten Relationen sich dadurch zu gesellschaftlichen Teilbereichen, wie
der Politik oder den Massenmedien ergeben. Rechtsextreme Gewalt soll also gerade nicht als
Endprodukt einer Kausalkette, wie im Heitmeyerschen Desintegrationstheorem, oder als reines
Interaktionsphänomen, wie bei Collins aufgefasst werden, sondern in mehrfacher Hinsicht
eingelassen in gesellschaftliche Kommunikationsprozesse. Als erstes werde ich hier den
semantischen Horizont rechtsextremer Bewegungen in unterschiedlichen Spektren der Bewegung
nachzeichnen, welche sich unter einer zentralen Differenz von Volksgemeinschaft/Gesellschaft
subsumieren lassen. Zweitens erfolgt eine Darstellung des rechtsextremen Netzwerks und seiner
spezifischen Inklusionsmechanismen. Im dritten Abschnitt schließlich soll dargestellt werde, wie
die der einheitssemantischen Perspektive und die Referenz auf Personen im Kontext Unsicherheiten
produzieren. Diese können durch einen Konflikt absorbiert werden, der sich u.a. durch die
massemediale Beobachtung rechtsextremer Gewalt stabilisieren lässt.
4.1 Die Semantik der Volksgemeinschaft und der Konflikt mit dem ‚System’
Ein einheitliches semantisches Schema rechtsextremer Bewegungen erscheint auf den ersten Blick
angesichts sehr heterogener Strömungen innerhalb der rechtsextremen Bewegung nur schwer
identifizierbar zu sein. Der Blick über die deutschen Grenzen hinaus dürfte dies zusätzlich
erschweren, da die Deutungsmuster an den jeweiligen nationalen Kontexten orientiert erscheinen.
Diese stehen angesichts der europäischen Geschichte oftmals Konflikthaft gegenüber, so dass sich
z.B. polnische und deutsche oder us-amerikanische und deutsche Neonazis gegenseitig eigentlich
als Gegner betrachten müssten. Dies ist aber nicht der Fall, so dass man im Gegenteil sogar
miteinander kooperiert und z.B. spezifische nationale Rechtslagen nutzt, um Propagandamaterial
herzustellen und zu verbreiten1 oder in Form der ‚European National Front’ sogar ein
internationales Forum für eine vernetzte politische Aktivität erschafft. Es liegt deshalb nahe, dass
sich so etwas wie ein zentrales Deutungsschema beschreiben lässt, das eine Gemeinsamkeit
heterogener rechtsextremer Kontexte gegenüber einem gemeinsamen Außen plausibel macht.
Dieses zentrale Deutungsschema wird durch die Einheitssemantik der Volksgemeinschaft realisiert,
welche als Selbstbeschreibung gleichzeitig auch eine Beschreibung der Umwelt der Bewegung von
innen her ermöglicht und von daher gewissermaßen den ‚kognitiven Horizont’ rechtsextremer
Bewegungen bildet. Die Semantik der Volksgemeinschaft lässt sich dabei als konstitutiv
beschreiben, da sie die Einheit der Bewegung bei sehr unterschiedlicher Themenwahl ermöglicht
und dadurch die für soziale Bewegungen typische ‚Außenperspektive’ auf die Gesellschaft
stabilisiert.
4.1.1 Die ‚Welt’ als Kampf zwischen völkischer Vergemeinschaftung und entfremdender
Vergesellschaftung
Das semantische Spektrum rechtsextremer Bewegungen erweist sich als einigermaßen vielfältig und
zeigt dennoch stark analoge Muster auf. Auf den ersten Blick scheint zwischen einem
biologistischen Rassismus, dem sogenannten ‚Ethnopluralismus’, esoterischen Vorstellungen vom
‚neuen Menschen’, Bürgerinitiativen gegen den Bau von Moscheen oder Vertriebenenverbänden nur
eine sehr diffuse Schnittmenge zu bestehen, da sie doch offenbar sehr unterschiedliche politische
Anliegen vertreten. Dass sich die jeweiligen Deutungsmuster aber dennoch an einer zentralen
Leitunterscheidung orientieren soll hier kurz am Beispiel der Argumentationsweise ‚traditioneller’
Neonazis, dem ‚moderneren’ Denken der ‚Neuen Rechten’ bzw. dem ‚Ethnopluralismus’ und dem
Mystizismus okkultistisch-esoterischer Kreise dargestellt werden2.
Vorerst lässt sich sagen, dass die Bezeichnung ‚traditionelle’ Neonazis zwar widersprüchlich klingt,
aber angesichts der Reartikulation moderner Themen in die Vorstellung eines globalen
‚Rassenkampfes’, wie sie eben auch schon durch die NSDAP propagiert wurde, durchaus Sinn
macht. Der Mensch wird in der klassischen Konzeption, wie sie u.a. durch das NS – Regime
aufgegriffen wurde, als wesentlich durch seine biologische Abstammung bzw. seine
Rassenzugehörigkeit definiert. Mit der Zugehörigkeit zu einer ‚Rasse’ wird aber nicht einfach nur
1 Wie dies aussehen kann, lässt sich z.B. an dem Dokumentarfilm ‚White Terror’ von Daniel Schweitzer
nachvollziehen. 2 Anstatt von drei generell unterscheidbaren Deutungsmustern, sollte vielleicht eher von drei Strömungen in einem
zentralen Deutungsmuster gesprochen werde, da diese sich in hohem Maße ergänzen und zudem Schnittmengen aufweisen.
das äußere Erscheinungsbild eines Menschen umrissen, sondern es werden damit immer auch
bestimmte menschliche Wesensmerkmale verbunden, welche unterschiedliche rassenspezifische
physische, intellektuelle und kulturelle Potentiale determinieren (vgl. Hund 2007, S.15/Miles 1991,
S.9)). Diese Potentiale kann eine ‚Rasse’ allerdings nur entfalten, indem sie homogen bleibt und
sich nicht mit anderen Rassen vermischt, so dass eine strikte Rassentrennung die oberste Prämisse
für jeden herkunftsbewussten Menschen darstellt. Diese ‚Reinhaltung des Blutes’ wird aber in der
modernen Gesellschaft konsequent missachtet oder sogar verhindert, um speziell die prinzipiell
überlegene ‚weiße’ oder ‚kaukasische’ Rasse zu schwächen. Während man also von einer
natürlichen Homogenität der Rassen ausgeht, konfrontiert die Moderne den Menschen zunehmend
mit Heterogenisierungsprozessen, die aber als widernatürlich, deshalb pathologisch und von daher
‚behandlungsbedürftig’ beschrieben werden3. Es lässt sich zusammenfassen, dass die Welt aus der
Perspektive der am traditionellen Rassismus orientierten Neonazis sich als Kampf um die
Bewahrung der eigenen guten Werte und Eigenschaften unter Reinhaltung der ‚weißen Rasse’
gegenüber expansiven fremden und dadurch minderwertigen Elementen darstellt. Obwohl aber
gleiche oder zumindest analoge Motive genutzt werden, ist diese Vision einer natürlichen ‚white
supremacy’ gegenüber der Rassensemantik des historischen Nationalsozialismus universalistischer
angelegt, so dass man den politischen Kampf nunmehr weniger als rein nationales, sondern
zunehmend stärker als globales Projekt auffasst. Von daher ist es auch nicht verwunderlich, dass
sich eine immer stärkere wechselseitige Adaption und Vermischung derartiger Deutungsmuster über
nationale Grenzen beobachten lässt (vgl. Watts 2001, S.608f). Wer also ‚weiß’ ist und wer nicht, ist
dann nicht mehr so sehr eine Frage der nationalen Zugehörigkeit, sondern vielmehr eine Frage des
Bekenntnisses zur Bewegung und gegen fremdartige Elemente, wobei dem Trend einer ‚globalen
Rassenvermischung’ eine globale ‚White Power’ – Bewegung entgegengesetzt werden soll4.
Der Ethnopluralismus, wie er u.a. aus dem Kreis kulturalistisch argumentierender Intellektueller der
sogenannten ‚Neuen Rechten’ (z.B. Alain de Benoist) entsprungen ist, verzichtet auf den ersten
Blick auf eine derart rigide Klassifikation von Menschen und wiederholt sie auf den Zweiten. So
wird die biologische Verankerung bestimmter menschlicher Wesensmerkmale durch die Instanz der
Kulturgemeinschaft ersetzt: „Kultur wird verstanden als autoritäre Setzung totalisierender
Sinnentwürfe, die das kollektive Schicksal eines Volkes darstellt. Kultur ist ‚ethnisch und
3 So z.B. im Kontext der ‚White Power’ – Bewegung in den USA, die sich als Antwort auf die ‚Black Power’ -
Bewegung begreift und den Anspruch hegt, die Rassensegregation wiederherzustellen, da ansonsten ein Aussterben der ‚weissen Rasse’ drohe. Als Beispiel dafür wird u.a. die geringe Kinderzahl von Euro-Amerikanern gegenüber Afro-Amerikanern oder die steigende Zahl ‚gemischter’ Partnerschaften angeführt (dazu: KuKluxKlan: http://www.kkk.bz/coming_white_genocide.htm). 4 Man findet dann auch bei Neonazis aus den USA, Deutschland oder Russland eine vergleichbare Argumentation.
Gerade in Russland lässt sich seit einigen Jahren eine Zunahme von mehr oder weniger koordinierten Morden und anderen Gewalthandlungen an ‚nichtrussischen’ Bevölkerungsteilen beobachten, die unter dem Vorsatz eines einheitlich slawischen Russlands vollzogen werden
homogen’, der Einzelne partizipiert an ihr dadurch, dass er an den ‚Mythen der Abstammung,
Sprache, Geschichte’ eines Volkes Teil hat, in das er hineingeboren wurde“(Funke 2009, S.25).
Entscheidend für das Wesen eines Menschen sind nicht mehr so sehr seine biologischen
Grundlagen, sondern vielmehr die Zugehörigkeit zu einem Volk als Kulturgemeinschaft, dass sich
durch klar abgrenzbare Traditionen, Weltanschauungen oder ein bestimmtes Verhältnis zur Natur
auszeichnet. Erst vor dem Hintergrund einer intern homogenen und zentralen Prinzipien folgenden
Volksgemeinschaft lässt sich aus der Perspektive des Ethnopluralismus eine ‚gesunde’ Identität
entfalten (vgl. Greven 2006, S.25). Fremde Einflüsse wirken dabei schädigend, weil sie das
Individuum von seinem eigentlichen, durch seine Volkszugehörigkeit definiertes Wesen entfremden
(vgl. Klärner 2008, S.19). Diese Entfremdung ist also ein Resultat von Überfremdung, was
angesichts einer globalisierten Welt, d.h. globalisierter Migrations- und Kapitalströme, dramatische
Formen annimmt und eines Korrektivs bedarf, dass den Menschen seinem natürlich Wesen wieder
näher bringt. Die Entwicklung von ‚Nationalbewusstsein’ bzw. das Engagement für die ‚nationale
Sache’ sind dabei abstrakten Strategien für ein solches Projekt, was sich konkret z.B. in der
Abschiebung von Migranten5 bzw. der Eliminierung ‚fremdartiger Elemente’ im eigenen
Kulturkreis äußern könnte. Dies sollte allerdings auch anderen Kulturkreisen vorbehalten sein, so
dass sich keine grundsätzliche Hierarchisierung von unterschiedlichen Kulturen nach ihrer Güte
vornehmen lässt und man sich widerspruchslos mit unterschiedlichsten politischen Gruppierungen
mehr oder weniger unabhängig von deren politischer Ausrichtung solidarisieren kann6. Statt einer
‚white supremacy’ schwebt den Anhängern des Ethnopluralismus folglich auch eher die Vision
eines ‚Europas bzw. einer Welt der hundert Fahnen’ (vgl. Camus 2003, S.256) vor, die gegenüber
dem universalisierenden globalen Diktum der Menschenrechte erst noch erkämpft werden muss
(vgl. Wagner 2008, S.6f).
Der okkultistisch-esoterische Mystizismus ist nun ähnlich wie der eher traditionalistische
Rassismus kein besonders neues Phänomen, konnte sich Anfang des 20. Jahrhunderst in Europa
einer erstaunlichen Popularität erfreuen und das nationalsozialistische Gedankengut nachhaltig
beeinflusst hat (vgl. Pfahl-Traughber 2003, S.225). Ähnlich wie der biologistisch argumentierende
Rassismus unterstellt man eine Gütehierarchie unter den Menschen, wobei das entscheidende
Kriterium nicht mehr so sehr die genetische Perfektion, sondern der Grad an Erleuchtung oder der
Reife des Geistes darstellt (vgl. ebenda). Diese Hierarchie sollte sich dabei aus der Urzeit des
5 Bemerkenswert ist, dass man dies als auch im Interesse der Abzuschiebenden beschreibt, da sie sich in einer
für sie fremden sozialen Umwelt befänden und deshalb gleichermaßen von Entfremdungsprozessen betroffen seien. Von daher fordert man nicht nur ‚Deutschland den Deutschen, sondern plakativ auch ‚Die Türkei den Türken’ oder ‚Kurdistan den Kurden’ (vgl. Internetvideo der rechtsextremen Gruppe ‚Volxfrontmedia’: http://www.youtube.com/watch?v=IwfvNkmPIoY) 6 Dazu zählen natürlich grundsätzlich rechtsextreme Gruppen aber auch diverse nationale
Unabhängigkeitsbewegungen. Die Solidaritätsbekundungen sind allerdings zumeist einseitig.
Menschen ableiten, welche durch eine Vermischung von Urmenschen mit außerirdischen
Lebensformen bzw. göttlichen Wesen gekennzeichnet war7. Je nach dem, wie stark der Einfluss
dieser Lebensformen erhalten geblieben ist, desto höher sind Menschen in der Hierarchie
angesiedelt, weil sie ihr Erkenntnispotential erhalten konnten Dem entgegen steht aber eine
geheime Macht, die danach strebt den Erhalt des Göttlichen im Menschen konsequent zu
unterwandern, so dass sich so etwas wie ein Jahrtausende währende Kampf zwischen ‚göttlichen’
und ‚dämonischen’ Tendenzen bzw. zwischen ‚Gut’ und ‚Böse’ ergeben hat. Hinter allem, was
passiert, seien es bestimmte politische Entscheidungen oder die ökonomische Globalisierung,
werden geheime Mächte bzw. sogenannte Geheimgesellschaften8 vermutet, die das Böse irdisch
repräsentieren und die Menschheit im System eines jüdischen bzw. christlichen Kapitalismus
versklaven wollen (vgl. Heller 2002, S.206). Dem kann nach der Gedankenwelt des okkultisch-
esoterischen Mystizismus nur die Rückbesinnung auf die wahrhaftigen Wurzeln eines Volkes
entgegengesetzt werden, wobei z.B. die Ablehnung des Christentums, ein Bekenntnis zu
heidnischen (Ur-)Religionen oder die Praktizierung ‚uralter’ Rituale als Maßnahme zur Heraufkunft
des ‚neuen Menschen’ nahe gelegt werden. Während man also das Motiv einer Gemeinschaft, die
ihre Güte und Wahrhaftigkeit nur unter dem Aspekt der Reinhaltung vor zersetzenden Einflüssen
bewahren kann, übernimmt, wird der Kampf um Homogenität gewissermaßen transzendiert bzw. in
eine kosmische Dimension erhoben, so dass er sich als Kampf zwischen Gut und Böse darstellt, in
welchen sich nahezu alles artikulieren lässt.
Obwohl diese Strömungen mitunter sehr unterschiedlich argumentieren, lässt sich aus der
Unterscheidung zwischen homogener Gemeinschaft und heterogener bzw. entfremdender
Gesellschaft ein zentrales Schema ableiten, dem alle weiteren Unterscheidungen (z.B. moralisch
gut/schlecht/, gesund/krank) untergeordnet sind. Die Welt wird als Konflikt zwischen
Volksgemeinschaft und Gesellschaft beschrieben, wobei man sich selbst auf der Seite der
Volksgemeinschaft verortet und von dort näher definieren kann, woran sich eigentlich das
Völkische an der Volksgemeinschaft bemisst. Ob dies dann entlang biologischer, kultureller oder
spritueller Kategorien definiert wird, ist an sekundäre Unterscheidungen gebunden. In jedem Falle
geht es um die Herstellung einer homogenen Volksgemeinschaft gegenüber heterogenen
gesellschaftlichen Bezugspunkten (vgl. ebenda, S.219f). Die ‚Welt’ bzw. die Gesellschaft wird
7 Die hier rezipierte Variante lässt sich weitestgehend auf den Autor mit dem Pseudonym ‚Van Helsing’ zurechnen,
der sich letztlich aber stark an der Theosophie der Mme Blavatsky orientierte, die u.a. auch für die Anthroposophie Rudolph Steiners maßgebend war. Van Helsings abstruse Erzählung von ‚arischen’ Ausserirdischen, Atlantis, nationalsozialistischen UFOs und einer durch die ‚Schwarze Sonne’ der SS erstrahlten Hohlwelt ( vgl. Heller 2002, S.206), soll hier allerdings nicht weiter nachvollzogen werden da es für diese Arbeit nicht besonders informativ sein dürfte.
8 Dabei werden immer wieder Freimaurer oder die Familie Rothschild bzw. die Juden generell angeführt. Zudem greift man auf klassische semantische Formen des Antisemistismus zurück, indem man sich immer wieder auf die offenkundig gefälschten ‚Protokolle der zwölf Weisen von Zion’ beruft, die schon im NS – Regime als Beleg für eine jüdische Weltverschwörung fungierten.
gewissermaßen um diesen Kampf herum zentralisiert und damit als Einheit beschrieben, so dass
man alles, was beobachtet wird, in dieses Schema artikuliert und klar auf eine der Seiten zurechnet,
wobei sich auf der Seite der Volksgemeinschaft eine Präferenz für bestimmte positive Werte
stabilisieren kann.
4.1.2 Die gefährdete Volksgemeinschaft als Resultat einer planmäßigen Entwicklung
Nachdem beschrieben wurde, wie rechtsextreme Bewegungen die Gesellschaft als einen zentralen
Widerspruch beobachten, dürfte es nun notwendig sein, die Semantik der Volksgemeinschaft mit
Blick auf die Mobilisierung zu politischem Engagement hin zu untersuchen. Deshalb werden
einerseits Bedrohungsszenarien identifiziert, die so etwas wie einen Problemkontext eröffnen, vor
dem sich zum Protest mobilisieren lässt und andererseits Zurechnungskonstellationen, die intern
plausibilisieren wer in welcher Weise am gegenwärtigen gesellschaftlichen Prozess beteiligt ist.
Es wurde bezüglich der Bedrohungsszenarien schon angedeutet, worin für rechtsextreme
Bewegungen das Ausgangsproblem besteht, nämlich in der schrittweisen Zersetzung homogener
Volksgemeinschaften, durch eine heterogene Gesellschaft, der Folge einer Entfremdung des
Menschen von seinem natürlich Wesen. Zwar währt dieser Konflikt prinzipiell schon seit einigen
tausend Jahren, doch wurde das Prinzip der Volksgemeinschaft immer wieder verteidigt und neu
konsolidiert9. Mit der Etablierung einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung und der Globalisierung
sozialer Kontexte bzw. ‚des weltlichen Jahwe Kultes, des Mammonismus’ (vgl. Mahler 2001), habe
sich aber eine Ordnung entwickelt, die so dynamisch und zerstörerisch sei, dass kein Volk sich
davor wirksam schützen könne. Zentral ist dabei aber, dass diese Zerstörung der ‚natürlichen
Volksgemeinschaften’ als nicht einfach nur eine Nebenfolge darstellt, die es zu beklagen gilt,
sondern als zentrale Grundlage der ‚mammonistischen Weltherrschaft’ betrachtet wird (vgl.
Edathy/Sommer 2009, S.48f). Es wird gewissermaßen ein Antagonismus unterstellt, der, sofern
nicht frühzeitig eingeschritten wird, in einer vollständigen und vor allem planmäßigen Zerstörung
der Volksgemeinschaft mündet: „Der nationale Widerstand ist sich darüber einig, dass die ethnische
Durchmischung des Deutschen Volkes erzwungen ist, dass unser Volk es ist, das Opfer eines
Völkermordes zu werden“(Deutsche Stimme, zit.nach: Grumke 2002, S.45). Empirische Belege für
diesen Umstand einer planmäßigen Zerstörung der Volksgemeinschaften werden dabei u.a. in der
9 Im Frühjahr 2009 haben z.B. die NPD und Freie Kameradschaften anlässlich des 2000sten Jahrestags der
Varusschlacht in Osnabrück zu einer Demonstration unter der Parole ‚2000 Jahre Kampf gegen Überfremdung’ aufgerufen.
‚oktroyierten’ Aufnahme von ausländischen Arbeitskräften gefunden, womit Aspekte wie z.B.
‚Werteverfall’ (z.B. in Form einer ‚Muslimisierung’ Deutschlands), steigende Kriminalität oder
andere negativ konnotierte Phänomene (z.B. Drogenkonsum) einhergehen. Es wird also ein
Bedrohungs- bzw. Gefahrenszenario etabliert, wonach eigentlich alle als negativ empfundenen
Phänomene als von aussen aufgezwungen beobachtet werden, die zudem einem systematischen
Plan folgen, der zum Ziel hat, eine als natürlich empfundene Volksgemeinschaft zu zerstören, wobei
wie auch immer gearteter ‚nationaler Widerstand’ als ebenso natürlich plausibilisiert und folglich
nahe gelegt wird (vgl. Virchow 2006, S.71).
Wenn allerdings von ‚planmäßiger’ Zerstörung natürlicher Volksgemeinschaften gesprochen wird,
so muss dieser Prozess als Plan auf Adressen zurechenbar sein, gegen die dann auch ‚Widerstand’
geleistet werden kann. Dabei greift man weitestgehend auf antisemitische Deutungsmuster zurück
und identifiziert als Hauptverantwortlichen für die Zerstörung der Volksgemeinschaften das
Judentum, welches im Hintergrund des weltpolitischen Geschehens, mit der Kontrolle über den
internationalen Finanzmarkt die Fäden für dieses Vorhaben ziehe. Dem sogenannten
‚Weltjudentum’ wird unterstellt, so etwas wie eine ‚zionistische Weltherrschaft’, d.h. eine
‚Einweltregierung’ etablieren zu wollen und dass die Verantwortlichen an der US – amerikanischen
Ostküste, d.h. konkreter im Finanzzentrum New Yorks lokalisierbar seien (vgl. Chatwin 2002,
S.184f)10. Durch jahrzehntlange Manipulation von Massenmedien, der Etablierung von
Massenkonsum und die Kontrolle der meisten Regierungen der Welt sei es den Juden dabei
gelungen, sich effektiv gegen die Völker der Welt zu verschwören. Im Auftrag dieser geheimen
Instanz würden dann Menschenrechte und Demokratie durch sogenannte ZOGs, d.h.‚zionist
occupation gouverments’(vgl. Erb 2003, S.303)11 gegenüber selbstbewusst auftretenden Völkern,
wie z.B. den Deutschen im Nationalsozialismus geltend gemacht, um diese durch
Heterogenisierung soweit zu schwächen, dass sie sich widerstandslos ausbeuten lassen. Sollte sich
dagegen Widerstand regen, würde man einfach ‚Auschwitzlügen’ säen, ‚entschlossene
Nationalisten’ kriminalisieren oder einfach einen ‚war on terror’ entfachen. Alle Probleme, seien es
intern gültige oder auch allgemein anerkannte, werden durch die geheime Konspiration der Juden
oder anderer Geheimbünde (von denen die Juden aber auf jeden Fall einen Teil darstellen sollten)12,
begründet und beträfen dabei immer nur die nach interner Homogenität strebenden, d.h.
nationalbewussten Völker (vgl. Erb 1994, S.39/Virchow 2007, S.157). Während die einen nur
einem natürlichen Bedürfnis nach Einheit und Freiheit folgen, wird den anderen unterstellt, genau
10 Der Begriff ‚Ostküste’ hat sich deshalb auch als Synonym im Kontext des öffentlichen Sprechens über das
‚Weltjudentum’ etabliert. 11 Als das Beispiel schlechthin gelten natürlich die USA. 12 Am bemerkenswertesten erscheint dabei die Idee, dass der grosse Tsunami 2006 durch eine jüdisch-amerikanischen
Atombombentest ausgelöst worden sei (vgl. dazu: http://www.youtube.com/watch?v=QIwqGW_JehY&NR=1)
dies verhindern zu wollen, da dies eine Gefahr für das eigene Unternehmen darstellt und alles in
Kauf nimmt, um die Heraufkunft der Volksgemeinschaft(en) zu unterbinden. Der Konflikt der
Volksgemeinschaft mit dem ‚System’ bzw. der modernen Gesellschaft gestaltet sich aus der
Perspektive der Volksgemeinschaft letztlich als Konflikt mit den ‚Zionisten’, wobei alles, was dem
eigenen Deutungsmuster widerspricht, notwendigerweise infiltriert von diesen ist und nur zur
eigenen Unterdrückung beitragen soll: „Modernism is the essential strategy of the parasite“(Pierce
1980, S.114)13. So kann man dann z.B. einerseits die Shoah relativieren oder als Lüge entlarven und
andererseits das Bombardements Dresdens im 2. Weltkrieg als ‚Bombenholocaust’14 beklagen oder
einerseits Nationalstolz predigen und andererseits gegen die BRD als durch den Zentralrat der
Juden beherrschte ‚Judenrepublik’ mobilisieren.
4.1.3 Die Einheitssemantik der Volksgemeinschaft und rechtsextremer Protest
Wenn in dieser Arbeit von einer Einheitssemantik der Volksgemeinschaft gesprochen wird, lässt
sich dies an erster Stelle durch die semantische Zentrierung gesellschaftlicher Zusammenhänge um
einen zentralen Konflikt zwischen Volksgemeinschaft und Gesellschaft begründen. Jede weitere
Unterscheidung die getroffen wird, lässt sich letztlich in dieses Schema artikulieren, indem es
entweder der natürlichen Volksgemeinschaft oder der entarteten Gesellschaft zugerechnet wird.
Die Volksgemeinschaft bzw. das Volk wird dabei als Einheit unterstellt, die zwar unterschiedlich
definiert sein kann, aber dennoch den natürlichen Grund für das Menschsein per se bildet:
„Zentraler Bezugspunkt der politischen Ideologie der extremen Rechten ist ... das Kollektiv und
dessen Selbstbestimmung und Erhaltung. Der Mensch wird lediglich als Teil dieser imaginierten
Gemeinschaft ‚Volk’ in die er hineingestellt wurde und die seine Prägung bestimmt,
gedacht“(Virchow 2006, S.67). Erwartungen an Verhalten, als auch Erwartungsenttäuschungen
werden durch den Rekurs auf die Volkszugehörigkeit plausibilisiert. Die Volksgemeinschaft liegt
also in der ‚Natur’ des Menschen, wobei Natur oder ‚natürlich’ an der ‚alteuropäischen’
Natursemantik, d.h. an einer hierarchischen Differenz von Perfektion/Korruption (vgl. dazu
Luhmann 1999b S.11) orientiert ist oder zumindest Analogien dazu aufweist. Nur die Einheit der
Volksgemeinschaft kann natürliche Perfektion hervorbringen, während Differenz als per se
13 William Pierce lässt sich als einen der führenden Ideologen des internationalen Rechtsextremismus beschreiben,
wobei mit dem ‚parasite’ natürlich das ‚Weltjudentum’ gemeint ist. Das Zitat stammt aus dem Kontext seiner unter dem Pseudonym ‚Andrew Macdonald’ verfassten ‚Turner Diaries’. Dabei handelt es sich im eine fiktive Erzählung über die Konfrontation einer rechtsradikalen Terrorgruppe mit der Regierung, die sich zu einem Bürgerkrieg auswächst. Dieses Buch wird als das zentrale Werk us-amerikanischer und mittlerweile auch internationaler Neonazis gehandhabt.
14 Unter diesem Titel wird am 13. Februar alljährlich zu einer der größten rechtextremen Demonstrationen Europas mobilisiert.
fremdartig und korrumpiert erscheint, wenn sie sich nicht unter das Primat der Einheit der
Volksgemeinschaft zu artikulieren lässt. Die Einheit der Volksgemeinschaft wird damit zum
universellen Prinzip, das „eine an sich nicht ohne weiteres zu erwartende Einheit der
Kommunikation trotz funktionaler Differenzierung ermöglicht“(Japp 2006, S.23).
Wenn die Volksgemeinschaft nun als universelles Prinzip gehalten wird, so muss davon
ausgegangen werden, dass sie differenzlos gehandhabt wird. Da es in rechtsextremen Bewegungen
aber darum geht, die Einheit der Volksgemeinschaft gegenüber gesellschaftlicher Über- bzw.
Entfremdung zu wahren oder wiederherzustellen, wird sie von etwas unterschieden, was als
Gesellschaft bezeichnet wurde. Diese wird allerdings ihrerseits nicht als zu unterscheidendes
universelles Prinzip gehandhabt, sondern schlichtweg als geplante Subversion des universellen
Prinzips der Volksgemeinschaft, der sich auf eine planmäßige jüdische Weltverschwörung
zurechnen lässt: „Jede Gleichzeitigkeit von Ereignissen oder ihr räumliches Zusammentreffen wird
als kausale Folge gedacht. Nichts geschieht durch Zufall, sondern alles durch bewusste
Absicht“(Erb 1994, S.63). D.h., dass Abweichungen nur insofern beobachtbar, als dass sie als
Widerspruch bzw. als Negation der Homogenität der Volksgemeinschaft erfahren werden, die es,
weil sie eben korrumpiert sind und den Menschen von seinem natürlichen Wesen entfernen, zu
bekämpfen gilt. Das Differente bzw. das Unterschiedene dient nicht dazu, die eigene Perspektive zu
differenzieren oder als kontingent zu beobachten, sondern lediglich als Negativhorizont, wobei
Widerspruch nur die eigene Einheit konfirmiert.
Was also die Einheitssemantik der Volksgemeinschaft ermöglicht, ist die Blockade des ‚crossing’
(vgl. dazu: Japp 1993, S. 240), wodurch Protestbewegungen ihre Einheit auf der Basis von
Widerspruchskommunikation erhalten können. Im Kontext solcher Semantiken erscheint die
Gesellschaft dann durch einen zentralen Widerspruch charakterisiert, der sich bei rechtsextremer
Bewegungen an der Unterscheidung von natürlicher Volksgemeinschaft und korrumpierter
Gesellschaft darstellt. Gerade dadurch, dass sich alles durch dieses Schema erklären lässt und
kausalistisch auf einen zentralen Punkt zurückgeführt wird, realisiert man einerseits eine Einheit der
Perspektive bei andererseits sehr unterschiedlichen Optionen der Themenauswahl und des
politischen Aktivismus (vgl. Erb/Kohlstruck 2009, S.435). Unabhängig davon, ob man sich als
nationaler Sozialist, Geschichtsrevisionist15 oder einfach nur ‚Nationalist’ identifiziert, man sieht
die Volksgemeinschaft, d.h. sich selbst immer schon durch externe Entscheider bedroht und räumt
sich von daher auch einen Sonderstatus ausserhalb der Gesellschaft ein. Man kann aus der
Perspektive der Volksgemeinschaft so beobachten, als würde man im Konflikt oder sogar Kampf 15 Dazu können sowohl die Holocaustleugner als auch diejenigen, die sich für Wiedereingliederung ehemaliger
Reichsgebiete unter deutsche Vorherrschaft einsetzen (z.B. Aktionskreis Deutsches Königsberg, Heimattreue Deutsche Jugend), wie sie sich besonders im Kontext von Vertriebenenverbände finden lassen, gezählt werden. Das Bekenntnis zum Deutschen Reich gehört allerdings weitestgehend zum Konsens in rechtsextremen Kreisen.
mit der Gesellschaft, d.h. ausserhalb dieser stehen. Dabei blendet man aus, dass man beobachtet,
indem zwischen einer erstrebenswerten ‚sicheren’, weil homogenen und auf natürlichen Prinzipien
beruhenden Volksgemeinschaft und einer zu bekämpfenden ‚riskanten’, weil korrumpierten
Gesellschaft unterscheidet. Als Beobachter erster Ordnung kann man dann so etwas wie eine
‚eigene Objektivität’ (vgl. Luhmann 2003, S.76) etablieren, die unter dem Diktum einer
Wiederherstellung von Sicherheit in Form der Volksgemeinschaft angesichts einer unsicheren
Gegenwart den ‚nationalen Widerstand’ gegen die Gesellschaft ausruft, ohne zu reflektieren, dass
man diese Unterscheidung selbst im Kontext der Gesellschaft vornimmt (vgl. Japp 2000, S.57).
4.2 Die Stabilisierung von Erwartungsstrukturen im Kontext rechtsextremer Netzwerke
Nachdem verdeutlicht wurde, wie sich eine rechtsextreme Bewegung von ihrer gesellschaftlichen
Umwelt über die Einheitssemantik der Volksgemeinschaft abgrenzen kann, stellt sich nun die Frage,
welche strukturellen Korrelate sich ergänzend dazu ergeben können. Es soll in diesem Abschnitt
folglich um die interne Struktur einer rechtsextremen Bewegung gehen. Dabei fällt auf, dass man
intern ‚offene’ Organisationsstrukturen, wie z.B. Parteien, Bürgerinitiativen oder Verlagen von eher
‚verdeckten’ Kontexten, wie z.B. dem Blood & Honour – Netzwerk oder autonomen Nationalisten
bis hin zu paramilitärischen und terroristischen Gruppen unterscheiden kann. Dennoch lassen sich
Bezüge zwischen diesen unterschiedlichen Kontexten herstellen, wobei am Ende dieses Abschnitts
deutlich sein sollte, in welcher Form sich im Netzwerk rechtsextremer Bewegungen Erwartungen
stabilisieren können. Dazu werde ich eingangs darstellen, wie sich der Bedeutungsverlust von
Parteien im Kontext rechtsextremer Bewegungen begründen lässt, um anschließend
nachzuvollziehen, wie sich substitutiv für Mitgliedsstrukturen Erwartungen im rechtsextremen
Netzwerk stabilisieren lassen. Abschließend soll dann erörtert werden, wie sich die
Binnendifferenzierung rechtsextremer Bewegungen adäquat darstellen lässt.
4.2.1 Organisationsstrukturen zwischen Kaderpartei und Bewegungsnetzwerk
Während man bei Parteien wie ‚Bündnis 90/die Grünen’ oder der ‚Linkspartei’ in Deutschland eine
Entwicklung von der sozialen Bewegung zur etablierten Partei nachvollziehen kann, lässt sich für
rechtsextreme Kontexte eher das Gegenteil postulieren. Man kann dort angesichts einer Konkurrenz
von drei rechtsextremen Parteien (DVU, NPD, REP) vielmehr eine Fragmentierung
organisatorischer Zentren der Bewegung erkennen. Dies ist natürlich auch durch regelmäßige
Parteiverbote (z.B. SRP, FAP) bedingt, doch stellt sich vielmehr die Frage, warum rechtsextremen
Parteien die Etablierung im parteipolitischen Spektrum so schwer fällt, wie sie sich besonders bei
den ‚Grünen’ bzw. der Ökologiebewegung beobachten liess.
Zwar sind alle drei noch bestehenden rechtsextremen Parteien schon in Landtage eingezogen und
die NPD hat in Sachsen sogar einige Mandate über eine zweite Wahlperiode hin halten können,
doch ist man kaum in der Lage, mehrheitsfähige programmatischen Positionen in den politischen
Diskurs einzubringen. Wenn man im Anschluss an Luhmann die Dimension der politischen
Organisationen unter einer Zentrum/Peripherie – Differenzierung fasst, so gewährleisten die
rechtsextremen Parteien in der Peripherie des politischen Systems keine ernsthaften
‚Zulieferungsdienste’ für das staatliche Entscheidungszentrum (vgl. dazu: Luhmann 2002, S.245).
Wenn Entscheidungen immer als Selektion aus einem Horizont an Alternativen zustande kommen
(vgl. Luhmann 2006, S.135), so realisieren rechtsextreme Parteien zumeist keine Alternativen,
sondern beschreiben sich selbst oft als Alternative zu den Alternativen, so dass der Begriff der
‚Anti-Partei’ durchaus zutreffend erscheint: „...extremist.right parties not only present themselves as
anti-party, they outrightly condemn all established political parties, governement as well as
opposition, either because political parties as such are seen as divisive and therefore evil, or because
these parties do not represent ordinary people“(vgl. Mudde 1996, S. 266). Man begreift sich
gewissermaßen als Opposition zur Regierung und zur Opposition, wobei diese Paradoxierung des
Codes des politischen Systems (vgl. dazu: Luhmann 1989, S. 19) sich in einem generellen Konflikt
zwischen den ‚etablierten’ politischen Parteien auf der einen und rechtsextremen Parteien auf der
anderen Seite äußert. Obwohl zwischen den Parteien in der Peripherie notwendigerweise Dissens
besteht, suggeriert man mit Blick auf den Widerspruch zu rechtsextremen Parteien wie NPD oder
DVU Konsens, so dass z.B. die Verweigerung zur Koalitionsbildung sicherlich beidseitig begründet
liegt. Der Umstand, dass konsensfähige Programme Seitens rechtsextremer Parteien kaum zu
erwarten sind16 und man eben die paradoxe Position einer ‚Anti-Partei’ einnimmt, hat insofern
Konsequenzen, als dass man sich eine relativ schwache Routinisierung organisationsinterner
Verfahren17 und einen geringen Grad der Professionalisierung parteiinterner Ämter18 leistet. Diese
für eine Partei eigentlich prekäre Ausgangslage kann aber gerade wegen einer starken
programmatischen Orientierung an der Semantik der Volksgemeinschaft kompensiert, so dass der
erlebte Widerspruch zu den etablierteren Parteien wieder unter dem Schema des Konflikts
16 Ausnahmen bilden hier sicherlich die FPÖ in Österreich, die sogenannte ‚Schill – Partei’ im Hamburger Senat oder
andere ‚Rechtspopulisten’ , wobei diesen Parteien auch keine generelle Ablehnung des ‚Systems’ zu unterstellen ist. 17 Die desaströse interne Finanzpolitik der NPD könnte als Beleg dafür gezählt werden. 18 Die Besetzung hochrangiger Parteiämter mit vorbestraften und sogar verurteilten Gewalttätern wäre im Kontext
anderer Parteien beispielsweise kaum denkbar. Auch die teilweise zu beobachtende Inkompetenz einiger NPD – Funktionäre, sich entsprechend den Erwartungen an öffentliche politische Auftritte zu verhalten zeugt sicherlich davon.
zwischen den eigentlichen Interessen des Volkes (i.S.d. Volksgemeinschaft) und der Manipulation
durch die antidemokratischen ‚Systemparteien’ abgearbeitet wird (vgl. Mudde 1996, S.272).
Dadurch aber, dass man das eigene Programm als Alternative zu den Alternativen auffasst, gerät
man in Konkurrenz zu anderen Parteien und Gruppierungen aus dem Kontext der sozialen
Bewegung, die sich ebenfalls dieser Semantik bedienen. Das Resultat ist letztlich, dass den Parteien
in der rechtsextremen Bewegung keine privilegierte Stellung zukommen kann. Parteien wie die
NPD lassen sich natürlich als politische Organisationen beschreiben, so dass diese als soziale
Systeme durchaus adressabel, d.h. kommunikationsfähig sind (vgl. dazu: Luhmann 1998, S.834)
und sie auch versuchen, Entscheidungsalternativen in der Peripherie des staatlichen
Entscheidungszentrums stark zu machen. Doch unterbindet die Verwendung allgemeinerer
einheitssemantischer Formen letztlich die vollständige Etablierung als politische Partei einerseits,
während andererseits die Möglichkeit der Repräsentation der rechtsextremen Bewegung als
Zentrum der Bewegung (vgl. ebenda, S.863) verhindert wird, indem man sich eben doch teilweise
einem gewissen Routinisierungsdruck aussetzen muss, um als Fraktion in den Parlamenten
überhaupt Handlungsfähig zu sein. Zusätzlich dürften allerdings das Erleben von rechtlichen
Repression gegenüber rechtsextremen Parteien zu einer zusätzlichen Schwächung
organisationsinterner Strukturen beigetragen haben, so dass sich im Kontext rechtsextremer
Bewegungen alternative Formen der Handlungskoordination etabliert haben, die die formale
Parteimitgliedschaft aber sehr wohl substituieren konnten. Man könnte von daher im Vergleich zu
den Grünen fast schon eine gegenläufige Entwicklung von der Partei zur sozialen Bewegung
postulieren (vgl. Erb 2003, S.301).
In Form freier Kameradschaften, Bürgerinitiativen oder im professionellen Engagement in
einschlägigen Unternehmen (u.a. Verlage, Bekleidungsfirmen, Schallplattenlabels) haben sich sehr
unterschiedliche Kontexte etablieren können, in denen bestimmte, an der Semantik der
Volksgemeinschaft orientierte politische Positionen und Statements generiert werden. So kann man
eher von einem Netzwerk unterschiedlicher Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen sprechen,
welches sowohl formell-legale als auch informelle Strukturen aufweist19 und nicht nur zu
bestimmten Protestthemen mobilisieren vermag, sondern noch weitreichender so etwas wie eine
rechtsextreme ‚Subkultur’ (vgl. Klärner 2008, S.51) etabliert oder sogar ‚nationale befreite Zonen’
ausruft. Offenbar kann der einheitssemantisch fixierte Konflikt mit dem System sehr
unterschiedliche soziale Kontexte in einem komplexen Netzwerk des ‚nationalen Widerstands’
koordinieren, wobei dieser weitestgehend ohne verbindliche Parteimitgliedschaften auskommt. 19 Diese Koordinierung erfolgt zunehmend stärker auf internationaler Ebene, da z.B. bestimmte Literatur oder
Tonträger in bestimmten Staaten legal hergestellt werden dürfen. Der stark kontrollierte deutsche Markt für rechtsextremes Propagandamaterial kann dann u.a. von den USA oder Schweden aus bedient werden, so dass man sich in Deutschland nur noch um die Verbreitung kümmern muss.
4.2.2 Symbole und Verhaltenscodes im rechtsextremen Netzwerk
Wenn formale Parteimitgliedschaft als Mechanismus der Verhaltenskonditionierung im Kontext
rechtsextremer Bewegungen nicht allgemein unterstellt werden kann, so stellt sich die Frage auf
welcher Basis dies im rechtsextremen Netzwerk realisiert wird. Wenn es derlei Mechanismen nicht
gäbe, wäre nämlich der Konflikt mit dem ‚System’ kaum plausibel zu machen, da Freund und Feind
kaum zu unterscheiden wären bzw. welches Handeln entsprechend des Konfliktschemas
anschlussfähig erscheint. Es müssen also Motive zuschreibbar sein, die ein politische Engagement
oder zumindest eine potentielle Zustimmung zum ‚nationalen Widerstand’ andeuten, ohne dass dies
noch direkt kommuniziert werden muss. Andernfalls wäre es angesichts einer kontinuierlichen
Beobachtung durch Justiz und Polizei viel zu riskant und kostspielig, konspirative Treffen
abzuhalten, illegale Konzerte zu veranstalten oder einfach nur bestimmte Texte zu publizieren. Es
bedarf bestimmter Mechanismen, die erwartbar machen, dass man sich zur Bewegung zählt und
entsprechende Motive an den Tag legt, ohne dies explizit zu machen, so „dass die Informationen
eine untergeordnete Rolle spielen und dass es vor allem auf das Symbolisieren des Netzwerkes
ankommt...“(Luhmann 1995, S.24).
Rechtsextreme Bewegungen haben dabei ein spezifisches Kontingent an Bekleidungs-, Verhaltens-
und Sprachcodes hervorgebracht, welche kommunikative Anschlusspotentiale soweit
konditionieren, dass die richtigen Motive zugeschrieben werden können, ohne dass sie selbst zum
Thema der Kommunikation werden. Wenn z.B. T-Shirts der Marken ‚Consdaple’, ‚Masterrace’
oder ‚Thor Steinar’ getragen werden, so ließe sich auf den ersten Blick auf moderne
Sportmodelabels schließen, deren offene Präsentation vielerorts zum guten Ton dazugehört. Für den
informierten Beobachter offenbart sich allerdings, dass man nur die ersten und letzten beiden
Buchstaben von ‚Consdaple’ abdecken muss und ‚NSDAP’ erhält, ‚Masterrace’ in deutscher
Übersetzung ‚Herrenrasse’ heisst und die von ‚Thor Steinar’ verwendeten Symbole große
Ähnlichkeiten mit den von der SS verwendeten Runenzeichen aufweisen.. Auch die Verwendung
bestimmter Zahlencodes20, Wörter21 oder Runen sind in rechtsextremen Kontexten ebenfalls
20 Dabei wird häufig der erste Buchstabe des auszudrückenden Wortes durch eine Zahl symbolisiert. Sehr verbreitet
sind z.B. 88 für ‚Heil Hitler’, 28 für ‚Blood & Honour’, 18 für ‚Adolf Hitler’ oder die aus dem Kontext von US – Rassisten geprägten ‚14 Words’ (We must secure the existence of our people and a future for white children).
21 Juden werden z.B. häufig unter Anspielung auf antisemitische Propaganda als ‚Nasen’ und das ‚Weltjudentum’ als ‚Hintergrundkräfte’ bezeichnet, während man Holocaustleugner als ‚nonkonformistische Denker’ würdigt (vgl. Erb
üblich, wobei sie insgesamt immer irgendeinen Bezug zur Semantik der Volksgemeinschaft, sei es
anhand der Referenz auf nordische Mythen (vgl. am Beispiel der BNP: Atton 2006, S.577ff), die
NS – Vergangenheit oder einschlägige Deutungsweisen aktuellerer Ereignisse, herstellen. Diesen
Symbolen und Verhaltenscodes ist gemeinsam, dass bestimmte semantische Formen insofern gegen
Widerspruch (z.B. in Form von rechtlicher Sanktionierung) abschirmen, als dass strikt-kausale
Kopplungen gerade latent gehalten werden22. Dies ist deshalb möglich, weil man eben auf der Basis
dieser Symbole die ‚richtige’ Einstellung, d.h. sehr spezifische Motive auf Personen zurechnen
kann. Diese ergeben sich allerdings erst in einem sinnhaft-wechselseitigen Bezug bzw. einem
häufigen Engagement an Kommunikationsprozessen im rechtsextremen Netzwerk. Das offene
Tragen derartiger Symbole oder bestimmte Verhaltensweisen werden dann intern als offenes
Bekenntnis zur Bewegung verstanden, womit auf die ‚richtige’ politische Einstellung geschlossen
werden kann und sich stark konditionierte kommunikative Anschlusspotentiale ergeben. Die
Verwendung bestimmter Symbole verweist also auf die Inklusion in ein Netzwerk, dass sich über
die Semantik der Volksgemeinschaft beschreibt, wobei dadurch die fehlende innere Kohärenz, wie
sie in Organisationen über die Mitgliedschaftsrolle gewährleistet wird (vgl. Luhmann 1998, S.829),
kompensiert wird. Dadurch ist zwar nicht das Netzwerk an sich adressierbar, aber zumindest lassen
sich Erwartungen an eine Person limitieren und ganz andere Umgangsformen pflegen als mit einer
Person, die vielleicht nur Sympathien für die Bewegung hegt, einzelne politische Positionen teilt
oder überhaupt kein Interesse oder ‚Wissen’ an den Tag legt23.
Da aber dort nun nicht eine Entkopplung von Person und Rolle vollzogen, wird, bedarf es einer
bestimmten Form des Vertrauens, welche sicherstellt, dass das Verhalten als ‚Inkludierter’ auch
ernst gemeint ist und man es nicht mit einem Blender oder V-Mann des Verfassungsschutzes zu tun
hat. Geld oder andere symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien sind dabei allerdings viel
zu universalistisch angelegt, als dass sich auf ein persönliches Motiv i.S. der richtigen Einstellung
schließen liesse. Während symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien Bedingungen
generieren, unter denen sie auf sich selbst anwendbar sind und damit u.a. spezifische, d.h. am
Medium orientierte Rollenerwartungen etablieren (vgl. Luhmann 1975, S.15f), geht es bei der Frage
um die richtige Einstellung analog zu moralischer Kommunikation um die „Inklusion von Personen
schlechthin“(Luhmann 1998, S.397). Erwartungen werden im rechtsextremen Netzwerk folglich
stärker auf der Basis des Vertrauens in persönliche Einstellungen stabilisiert, wobei dies impliziert,
dass die Kenntnis einer Person mit dem Bekenntnis zur Volksgemeinschaft schon ausreichend
2003, S.298).
22 Man verwendet gewissermaßen ‚Mythen’ als ‚sekundäre semiologische Systeme’ im Sinne von Roland Barthes (vgl. Barthes 1976, S.92).
23 Hinsichtlich der Frage, ob Deutschland unter Überfremdung leide oder das Deutsche Volk von den Alliierten kleingehalten wird, muss z.B. keine Überzeugungsarbeit mehr geleistet werden.
beschrieben ist: Entweder man ist ‚Kamerad’ im Kampf gegen das System oder man ist es nicht und
hat dann aber auch nichts weiter zu erwarten. Der langwierige Prozess des Kennenlernens, auf
dessen Basis dann personelles Vertrauen entstehen kann wird gewissermaßen durch das in anderen
sozialen Kontexten mitunter riskante Bekenntnis zur Volksgemeinschaft abgekürzt (vgl. Erb 2003,
S.296).
Vor diesem Hintergrund lassen sich dann komplexe Netzwerkstrukturen auf der Basis eines
wechselseitigen personellen Bezugs etablieren, wobei sich unterschiedliche funktionale Referenzen
unter dem Diktum der ‚Kameradschaft’ in Kohärenz bringen lassen (vgl. Rucht 2002, S.79). Man
kann dann z.B. einschlägige Kleidung, CDs und Literatur über politisch ‚korrekten’ Onlineshops
beziehen, Informations- oder Konzertveranstaltungen besuchen oder einfach nur Kampfsport unter
Gleichgesinnten betreiben, ohne Widerspruch zur eigenen ‚persönlichen’ Einstellung fürchten zu
müssen. Falls es dennoch Probleme geben sollte, steht meistens schon ein national gesinnter Anwalt
zur Seite oder man kann einfach im Unternehmen eines Kameraden Arbeit finden. Für politische
Kampagnen lassen sich immer wieder solvente Geldgeber finden, die aus welchen Quellen auch
immer (sei es ‚normale’ Erwerbsarbeit oder seien es illegale Geschäfte) die notwendigen
Ressourcen für die gemeinsame Sache bereitstellen. Politische Veranstaltungen wie
Demonstrationen oder Gedenkveranstaltungen an die ‚Helden’ des 2. Weltkriegs ermöglichen dabei
eine zusätzliche Möglichkeit die personellen Netzwerke zu erweitern oder zu verdichten. Kurz:
Rechtsextreme Netzwerke suggerieren eine auf Kameradschaft und Gegenseitigkeit basierenden
Lebens- und Erlebenswelt, die mittlerweile so viele unterschiedliche Kontexte unter der Referenz
auf eine ‚nationale Gesinnung’ relationiert, dass die Person dort ohne weiteres aufgehen kann. Man
ist dann nicht mehr Handwerker, Diabetespatient und Vater, sondern in erster Linie Nationalist, so
dass komplementäre Rollenerwartungen durch eine zentrale Inklusionsform überformt werden.
Dass es intern faktisch aber sehr wohl differente Erwartungen gibt und so etwas wie eine interne
(Rollen)Differenzierung, werde ich versuchen im nächsten Abschnitt zu zeigen.
4.2.3 Inklusionsmechanismen zwischen Kadern, Aktivisten und Sympathisanten
Rechtsextreme Netzwerke sind also in der Lage eine hochexklusive bzw. hochselektive
Inklusionsform zu etablieren, welche mit dem Verweis auf die richtige Einstellung zur ‚nationalen
Sache’ unterschiedlichste Referenzen subsumieren kann. D.h. aber nicht, dass sich intern so etwas
wie eine Gleichförmigkeit von Erwartungen i.S. eines Fehlens von Rollendifferenzierungen
etablieren könnte. Personelles Vertrauen bzw. Vertrauen in die richtige Einstellung ist sicherlich der
zentrale Mechanismus, auf welchem derartige Netzwerke stabilisierbar sind. Dennoch stellt sich die
Frage, wie sich diese im Zweifelsfall eigentlich überprüfen lassen soll, wenn Bewusstsein und
Kommunikation zwar strukturell gekoppelt aber dennoch operativ eigendynamisch sind ( vgl. dazu:
Luhmann 2004b, S.116f). Die richtige Einstellung ist schließlich nur über Kommunikation
identifizierbar und impliziert schließlich nur, dass eine Konditionierung von Anschlusspotentialen
vor einem Kontingenzhorizont vorgenommen wird. Der Umstand, dass keine Überzeugungsarbeit
mehr geleistet werden muss bzw. kein Widerspruch zu bestimmten politischen Positionen erwartbar
ist, lässt sich gewissermaßen als Minimalerwartung beschreiben. Bestimmte Einstellungen müssen
einfach nicht mehr zum Thema der Kommunikation werden, was aber noch nichts über
weitergehende interne Verhaltenserwartungen aussagt. Die ‚richtige’ Einstellung muss folglich im
Zweifelsfall überprüfbar sein, wobei sich dies eben nur über zurechenbares Handeln, d.h. der
Beobachtung von Engagement in der Bewegung gewährleisten lässt. Die Inklusion in das
rechtsextreme Netzwerk über die Zurechnung der richtigen Einstellung auf eine Person ist also nur
dann möglich, wenn diese als Zurechnungspunkt in einschlägigen sozialen Kontexten verfügbar ist
(vgl. Klärner 2008, S.298). Kriterien, um die ‚richtige’ Einstellung unter Beweis zu stellen bzw.
messbar zu machen, könnten u.a. die kontinuierliche Teilnahme an Demonstrationen, die Teilnahme
an und auch Mitwirkung in Schulungsveranstaltungen, der Besuch von Stammtischen oder einfach
nur das Engagement in rechtsextremen Kleinstgruppen sein. Die persönliche Einstellung ist also in
hohem Maße an Entschlossenheit bzw. an Handlungsbereitschaft gekoppelt, welche über
Motivzurechnung im rechtsextremer Netzwerke als einem bestimmten Sinnkontext zustande
kommt.
Wenn also Engagement als internes Kriterium für bestimmte Erwartungshaltungen ist, so erscheint
klar, dass nicht an jede Person die gleichen Erwartungen gerichtet werden können. Vielmehr kann
zwischen Rollen, von denen hohes Engagement erwartet wird, von Rollen unterschieden werden,
denen weniger starkes Engagement zugeschrieben wird. Hier bietet sich an, von einer
Zentrum/Peripherie – Differenzierung auszugehen, die ohne ein organisiertes Zentrum auskommt,
sondern Verhalten stattdessen über personelles Vertrauen konditioniert. „Eine Zentrum/Peripherie –
Differenzierung kann“ dabei „relativ vorraussetzungslos entstehen, ist mit Personalfluktuationen
zwischen Sympathisanten, Anhängern und Kern kompatibel und erlaubt relativ unscharfe Grenzen,
die sich erst im Prozess der Selbstaktivierung der Bewegung klären“(Luhmann 1998, S.864). Für
rechtsextreme Bewegungen lässt sich allerdings postulieren, dass diese sich über die Semantik der
Volksgemeinschaft in einem Zustand der kontinuierlichen Selbstaktivierung befinden und von daher
relativ scharfe Grenzen aufweisen, die sich in erster Linie zwischen Kadern, d.h. ‚Bewegungseliten’
(vgl. Rucht 1994, S.85f) und Aktivisten bzw. zwischen Aktivisten und Sympathisanten ziehen
lassen. Während Kader entscheidende Positionen im rechtsextremen Netzwerk, wie z.B. als
Organisatoren von Demonstrationen, Konzerten oder Schulungsveranstaltung, Planer von
Aktionsprogrammen, Autoren oder Verleger, Geldgeber von einzelnen Gruppen und sogar
umfassenderen Projekten24 oder einfach als personelle Adressen für die interne Vernetzung
fungieren, stellen Aktivisten den breiteren Kreis der sozialen Bewegung dar. Ihnen obliegt
weitestgehend die Durchführung von Protestereignissen (vgl. Klärner 2008, S.44) und fungieren
dabei als Rekrutierungspotential für einschlägige Positionen im rechtsextremen Netzwerk, wobei
sie als Einzelpersonen noch nicht weiter adressierbar sind. Man kann sagen, dass Aktivisten als
relevanten Personen bzw. Persönlichkeiten im ‚nationalen Widerstand’ über Karrieren erst
hervorgebracht werden müssen. Der Aktivist muss als Bestandteil einer weitestgehend anonymen
Masse gewissermaßen erst personalisiert werden, wobei dies über Schulungen und regelmäßige
Kontakte zu Kadern geregelt wird. Obwohl ‚Aktivisten’ natürlich in den jeweiligen Gruppen
(Kameradschaften, Lokalverbänden von Parteien, Lokalen Szenen) durchaus bekannt sein müssen,
erscheinen sie mit Blick auf die Bewegung als generalisierte, d.h. anonyme Basis mit vermeintlich
einheitlichen Motiven. Sympathisanten hingegen realisieren intern eigentlich keine zurechenbaren
Adressen, sondern lassen sich als eine Form der Aussenreferenz der Bewegung beschreiben, die
suggeriert, dass die ‚richtige’ Einstellung potentiell auch ausserhalb der Bewegung zuschreibbar ist.
Mit den ‚Sympathisanten’ ist gewissermaßen ein Mobilisierungs- bzw. Anschlusspotential
beschrieben, das letztlich nur die Möglichkeit der externen Zustimmung zu bestimmten Meinungen
impliziert. Man könnte evtl. Rechtsrockkonzerte, Volksfeste oder politisierten Lifestyle als Formen
der Produktion von ‚Sympathie’ beschreiben, da hier bestimmte Motive ohne ein notwendiges
politisches Engagement unterstellt werden können.
Rechtsextreme Netzwerke unterscheiden intern also zwischen Kadern und Aktivisten, wobei Kader
sich als die eigentlichen ‚Träger’ des rechtsextremen Netzwerks beschreiben lassen, während
Aktivisten suggerieren, dass es auch intern um mehr geht als nur um Einzelinteressen. Nach aussen
stellt sich dies dann als Unterscheidung von Aktivisten und Sympathisanten dar, wobei dies
verdeutlichen soll, dass die Bewegung nicht nur Selbstzweck ist, sondern darauf abzielt,
Zustimmung zu produzieren. Diese kann für Aktivisten pauschal unterstellt werden, da man sich ja
engagiert, während andere noch überzeugt werden müssen. Die subjektive Überzeugung ist dabei
aber nur kommunizierbar, indem Kommunikation als Handlungen beobachtet und auf Motive
zugerechnet wird (vgl. Luhmann 1987, S.191), so dass Überzeugungsarbeit auch immer
‚Sozialisation’ i.S. einer Motivkonditionierung impliziert. Dies eröffnet interne Karrierechancen, die
aber die Person als Ganzes in Beschlag nehmen und Rollenerwartungen nicht mehr nur
24 Dazu lassen sich z.B. die Immobilienkäufe des mittlerweile verstorbenen Jürgen Riegers zum Zwecke der
Etablierung von Schulungszentren oder die ‚Rücksiedlungsprogramme’ von Russlanddeutschen ins ehemalige Ostpreußen des Verlegers Dietmar Munier (Arndt – Verlag bzw. ‚Lesen und Schenken’) zählen.
komplementär, sondern substitutiv zu anderen etablieren können, indem jedem Handeln politische
Motive unterlegt werden. Obwohl gerade über Kader unterschiedliche funktionale Referenzen im
Netzwerk gelegt werden und man diesen höhere Freiheitsgerade zugestehen kann25, stehen sie
dennoch in höherem Maße im Dienste der gemeinsamen Sache, da die Bewegung ihre Einheit über
deren wechselseitigen personellen Bezug strukturell absichert26.
Dies liegt darin begründet, dass an Kader noch wesentlich spezifischere Erwartungen gerichtet
werden als an ‚reine’ Aktivisten, wobei die Konditionierung von Verhalten eben nicht über formale
Mitgliedschaften bzw. Parteiämter vollzogen wird, sondern über die Beobachtung als Person mit
bestimmten Einstellungen. Dadurch können innerhalb rechtsextremer Bewegungen unter der
Semantik der Volksgemeinschaft bestimmte Werteordnungen als persönliche Einstellungen
zugeschrieben bzw. „in das semantische Absicherungssystem der Motivation aufgenommen“ (vgl.
Luhmann 1996, S.94) werden, wobei je nach Positionierung als Kader oder Aktivist mehr oder
weniger Korrelation zwischen Wert und Motivation, d.h. Entschlossenheit erwartet wird27.
Gegenwerte dazu, wie die ‚falsche’ Einstellung oder fehlende Entschlossenheit kommen dabei nicht
vor bzw. werden dem korrumpierten ‚System’ zugeschrieben28, da deren Externalisierung eine
Externalisierung von Widerspruch bedeutet (vgl. ebenda, S.95), die konstitutiv für die Einheit der
Bewegung erscheint. Damit kann nicht nur die Welt um einen zentralen Konflikt herum zentralisiert
werden, sondern auch Handlungsmotive. Während die Differenzierung nach Kadern und Aktivisten
eben die interne Konditionierung dieser Motive vor dem Hintergrund unterschiedlicher Aktions-
und Organisationsformen impliziert, suggeriert die Unterscheidung von Aktivisten und
Sympathisanten die Notwendigkeit der Mobilisierung bzw. kontinuierlichen Bereitstellung von
Motiven, die zu unterschiedlichsten Themen zum Protest animieren.
4.3 Konflikt und rechtsextreme Gewalt
Es wurde versucht, darzustellen, wie einerseits eine spezifische Perspektive auf die Gesellschaft und
25 Die ‚Bewegungseliten’ können durchaus strategische und programmatische Dispute führen, d.h. auch Dissens
erzeugen. Als Beispiel lässt sich z.B. die von Christian Worch und anderen geführte Diskussion um die Stellung der NPD zu den ‚freien Kräften’ (d.h. Kameradschaften und autonome Nationalisten) anführen.
26 Deshalb muss man sich auch, um sich für entsprechende Positionen zu empfehlen als besonders konsequenter Streiter geben und auch mal Gerichtsverhandlungen oder öffentliche Anfeindungen in Kauf nehmen, um jeden Zweifel an der persönlichen Motivation ausser Kraft zu setzen.
27 Im Neonazijargon werden dabei u.a. soldatische Tugenden wie z.B. ‚Treue’ und ‚Ehre’ eingefordert. Wer dies nicht leisten kann, der will es auch nicht und gehört damit nicht dazu.
28 Politische Gegner werden dann als jüdisch infiltriert betrachtet und sind folglich gleichermaßen zu bekämpfen, wie der eigentliche Gegner. Dieses Schema findet sich schon bei den historischen Nationalsozialisten, die mit Blick auf die KPD oder die Sowjetunion auch schon vor der ‚jüdisch-bolschewistischen’ Gefahr warnten .
andererseits im Kontext eines rechtsextremen Netzwerkes interne Zustimmung zu dieser
Perspektive unter der Zuschreibung auf persönliche Motive hervorgebracht wird. Sowohl
semantisch als auch hinsichtlich von Erwartungen an Personen kann man sich so von seiner Umwelt
abgrenzen, wobei sich hier nun die Frage stellt, inwiefern dies zu Kompatibilitätsproblemen mit
heterogenen gesellschaftlichen Erwartungen und Selbstbeschreibungen führt. Dazu ist es
erforderlich, darzustellen, wie einerseits Resonanzen in der gesellschaftlichen Umwelt erzeugt
werden und wie dies intern operationalisiert wird, ohne die Einheit der Bewegung zu gefährden.
Gewalt spielt dabei eine besondere Rolle, weil sie als reines Verhalten nicht negiert aber unter der
Mobilisierung von Motiven unterschiedlich plausibilisiert werden kann. Gerade für ein politisches
System, dass sich für den Umgang mit Gewalt privilegiert, kann rechtsextreme Gewalt eine
besondere Relevanz erzeugen.
Zuerst wird hier nachvollzogen, was es in einer Gesellschaft ohne Zentrum eigentlich bedeutet,
diese unter einem zentralen Konfliktschema zu beschreiben. Anschließend wird beleuchtet, welche
Probleme die Inklusion in rechtsextreme Netzwerke angesichts einer durch Grundrechte
nahegelegten Komplementarität von gesellschaftlichen Rollenerwartungen mit sich bringt.
Abschließend werde ich darstellen, wie Gewalt genutzt wird, um die Einheit der Bewegung
gegenüber einer gesellschaftlichen Polykontextualität dennoch aufrecht zu erhalten.
4.3.1 Die Einheitssemantik der Volksgemeinschaft im Kontext gesellschaftlicher Polykontextualität
Es wurde schon erwähnt, dass in der modernen Gesellschaft Ansprüche auf zentral verbindliche
Repräsentation notwendigerweise enttäuscht werden müssen. Da es kein Zentrum in funktional
differenzierten Gesellschaften gibt, kann man nur noch von unterschiedlichen Selbstbeschreibungen
aber eben nicht mehr von einer zentralen Weltbeschreibung sprechen, da sich diese eben nicht
zurechnen lässt: Es „...erfordert im Rahmen einer gepflegten Semantik jeder Sinn die Angabe einer
Systemreferenz unterhalb der Ebene des gesamtgesellschaftlichen Systems“(Luhmann 1993, S.57).
Das impliziert, dass es immer auch andere Möglichkeiten der Selbstbeschreibung gibt bzw.
Deutungsmuster als kontingent erfahren werden können, so dass die Einheit der Gesellschaft nur
noch unter Angabe einer Systemreferenz in Differenz zu einer anderen postulierbar ist. Gerade die
Ausdifferenzierung der Massenmedien hat maßgeblich dazu beigetragen, dass jede Beobachtung als
solche wiederbeobachtet werden kann (vgl. Luhmann 2004c, S.208f), wobei die Funktionssysteme
sich dem sowohl strukturell als auch semantisch eingestellt haben. Die Einheit der Gesellschaft wird
dann zugunsten der Einheit des jeweiligen Funktionssystems externalisiert, wodurch sich die
Struktur funktionaler Differenzierung reproduzieren kann. Einheitssemantiken hingegen
„...reagieren auf das Problem des Verlustes einer konkurrenzfreien representatio identitati, indem sie
den Einschluss der ausgeschlossenen Einheit der Gesellschaft simulieren“(Nichelmann/Pasquée
2005, S.305).
Weiter oben wurde schon dargestellt, wie rechtsextreme Bewegungen dies über den Konflikt
zwischen Volksgemeinschaft und korrumpierter Gesellschaft realisieren, wobei alles, was nicht zur
Volksgemeinschaft gehört, als widernatürliches Faktum bekämpft werden muss. Da man sich als
Verfechter der Volksgemeinschaft als nicht zur korrumpierten Gesellschaft gehörig beschreibt,
nimmt man die für soziale Bewegungen typische Außenperspektive ein, die deshalb paradox ist,
weil sie nur innerhalb der Gesellschaft möglich ist (vgl. dazu: Japp 2003, S.70). Das ist daran
erkennbar, dass man sich thematisch an den Folgeerscheinungen funktionaler Differenzierung bzw.
der Themenauswahl der Massenmedien (z.B. Arbeitslosigkeit, Globalisierungsfolgen,
Umweltverschmutzung, Werteverfall) oder auch semantischen Formen der Politik (z.B. Volk,
Nation) bedient. Dies kondensiert allerdings nicht in Entscheidungsalternativen, die dann in der
Peripherie des politischen Systems zur Disposition stehen könnten, da man sich selbst als
Alternative zu allen anderen Alternativen der ‚Systemparteien’ beschreibt. Es geht also nicht um die
Ablehnung einzelner Entscheidungen, sondern um die grundsätzliche Ablehnung der politischen
Entscheidungsprämissen (vgl. dazu: Luhmann 1983, S.31), da diese einem ‚zionistischen’ Diktat
zuzurechnen sind. Die Transformation von gesellschaftlichen Konflikten in politische, d.h. temporär
entscheidbare Konflikte (vgl. Luhmann 1999a, S.103) bzw. von Gefahren in Risiken wird auf der
Seite der korrumpierten Gesellschaft selbst zum Teil eines Konfliktes: „Der Staat wird dann nicht
mehr als Instanz der Beseitigung der Gefahr gesellschaftlich riskanten Handelns betrachtet, sondern
der Gefahrenbeseitiger wird selbst als gefährlich wahrgenommen“ (Nichelmann/Pasquée 2005,
S.314). Das Beobachtungsparadox sozialer Bewegungen wird durch rechtsextreme Bewegungen
gewissermaßen dahingehend entfaltet, dass man zu Gunsten der eigenen Einheit andere
Möglichkeiten des Beobachtens als ‚jüdisch’ oder sonst wie (z.B. durch ‚Freimaurer’) infiltriert
bzw. entfremdet ablehnt und nur noch die eine Möglichkeit des radikalen Wandels durch ‚nationalen
Widerstand’ gegen den Nationalstaat sieht (vgl. Overmann 1998, S.88).
Vor dem Hintergrund einer funktional differenzierten Gesellschaft erscheint eine solche auf Einheit
forcierte Perspektive allerdings gesellschaftlich kaum anschlussfähig, da die „... Einheit der
Gesellschaft ... nicht mehr als Prinzip, sondern nur noch als Paradox behauptet werden kann“
(Luhmann 1998, S.1144). An der Semantik der Volksgemeinschaft orientierte Erwartungen müssen
deshalb notwendigerweise enttäuscht werden, was innerhalb rechtsextremer Bewegungen aber
dadurch kompensiert werden kann, dass man einfach wieder auf das Weltjudentum zurechnet und
dagegen verschärft protestieren kann, indem man das einheitssemantisch fixierte Konfliktschema
bestätigt sieht. Die Chancen, dass Protestthemen aber für die Formulierung von
Entscheidungsalternativen im Kontext des politischen Systems berücksichtigt werden, sinken
allerdings ab, was wieder Anlass zu einer erneuten Radikalisierung bietet (vgl. Della Porta 1995,
S.194).
Diese bleibt allerdings nicht folgenlos, so dass sich z.B. im deutschen Kontext nicht nur am
Beispiel des ‚Aufstandes der Anständigen’, des offiziellen Verbots von rechtsextremen Parteien
(SRP, FAP, NF)29, einzelner Gruppen (Skinheads Sächsische Schweiz), der Zensur von Liedtexten30
oder einschlägiger Literatur, sondern auch am Beispiel von ‚Initiativen gegen Rechts’
nachvollziehen lässt, dass der eigene Protest seinerseits auf Widerspruch31 bzw. Protest stößt. In der
medialen Berichtserstattung treten dann rechtsextreme Bewegungen und Gegenbewegungen
gleichzeitig auf, wodurch die eigene Inszenierung unter Konkurrenzdruck gerät. Man wird selbst
zum Protestthema, so dass die eigene Themenrepräsentation und d.h. die Einheit des Protestes
besonders dann konterkariert werden kann, wenn die mediale Aufmerksamkeit primär über die
Inszenierung von Protestereignissen, wie z.B. Demonstrationen erregt wird (vgl. dazu: ebenda,
S.862)32.
Über eine Einheitssemantik der Volksgemeinschaft orientierte Kommunikation hat also nicht nur
deshalb Anschlussprobleme, weil sie die polykontextuelle moderne Gesellschaft unter
Einheitsgesichtspunkten betrachtet und die Gesellschaft von daher mit paradoxen Forderungen
konfrontiert. Zusätzlich hat sich die Ablehnung der Gesellschaft derart radikalisiert, dass das
staatliche Entscheidungszentrum selbst als Gefahr beobachtet wird und von daher als Adresse für
die Äußerung politischer Ansprüche bzw. Entscheidungsalternativen kaum mehr in Frage kommt.
Die Formierung von Protest und kommunikativem Widerstand gegen rechtsextreme Proteste
bewirkt dabei bzgl. der medialen Berichterstattung eine dazutretende Marginalisierung der eigenen
Themen.
29 Sozialistische Reichspartei (SRP), Freie Arbeiterpartei (FAP), Nationalistische Front (NF) 30 Als spektakuläres Beispiel lassen sich die Gerichtsverfahren gegen die Rechtsrock – Gruppe ‚Landser’ anführen,
was aber die Popularität der Gruppe und besonders ihres Sängers ‚Lunikoff’ eher gesteigert hat. 31 Dieser Widerspruch kann dabei seinerseits unter Aktualisierung tradierter semantischer Formen wie
‚Antifaschismus’, ‚Toleranz’ u.ä. plausibel gemacht werden und sogar Vertreter etablierter Parteien mobilisieren. Dabei handelt es sich allerdings nur um eins von vielen möglichen Themen in der Politik, so dass man sich an entsprechenden Protesten wesentlich vorraussetzungsloser beteiligen kann.
32 Zumeist kann man sogar von einer zahlenmäßigen Überlegenheit der Gegendemonstrationen ausgehen, was sich natürlich auf die Form der Berichterstattung auswirkt. Das rechtsextreme Protestereignis wird so relativ schnell zu einem der Gegenseite.
4.3.2 Rechtsextreme Netzwerke vor dem Hintergrund komplementärer Erwartungsstrukturen
Es wurde schon dargestellt, wie rechtsextreme Bewegungen netzwerkartige Strukturen auf der Basis
der Disziplinierung von persönlichen Motiven konstituieren können und damit unterschiedlichste
soziale Referenzen unter dem Primat der ‚nationalen Gesinnung’ einrichten können. Diese
Netzwerkbildung kann allerdings gerade deshalb vollzogen werden, weil es eben keinen zentralen
gesellschaftlichen Inklusionsmodus mehr gibt:„ Beziehungsnetzwerke dieser Art nutzen die
strukturelle Offenheit systemischer Inklusionsmodi als Einflugschneise für parasitär konstituierte
Möglichkeiten“(Tacke 2000, S.313). Auch dies deutet klar darauf hin, dass man nicht ausserhalb der
Gesellschaft operiert, sondern gerade die Entkopplung von Person und Rolle nutzt, um eben
persönliche Motive als Grundlage für bestimmte Rollenerwartungen wieder stark zu machen. Nichts
wird umsonst gemacht, weil sich an allem Handeln die ‚Gesinnung’ einer Person ablesen lässt. Man
kann also unterstellen, dass es im rechtsextremen Netzwerk um die kontinuierliche Produktion und
Reproduktion von Hintergrundidentitäten auf der Basis von als Handlung zugerechneten
Mitteilungen geht: „...this attribution produces identities which act as relatively stable cornerstones
of the communication process. These identities are not limited to a single neighborhoods either in
network or domain. Instead they are subject to repeated switching processes between domains – and
it is precisely these switchings by whitch identities get triggered”(White et al. 2007, S.550). Um
sich also als wahrhaftiger Nationalist unter Beweis zu stellen, reicht es nicht aus einfach nur auf
Demonstrationen mitzulaufen oder Rechtsrock – Konzerte zu besuchen, sondern es besteht letztlich
die Erwartung, dies auch in anderen sozialen Kontexten wie z.B. im Beruf, der Familie oder beim
Bekleidungskauf unter Beweis zu stellen. Reziprozität entsteht dann dadurch, dass sich als
Gegenleistung für die Beweisführung Anerkennungs- und Karrierechancen im Netzwerk eröffnen
und man für weiteres zur Verfügung steht (vgl. dazu: Tacke/Bommes 2007, S.16).
Die Person steht folglich unter kontinuierlichem Druck der Motivdisziplinierung, was aber genau
dann problematisch werden kann, wenn es gerade nicht um persönliche Motive geht, sondern z.B.
im Kontext des Berufslebens um Organisationsziele. Zum Problem wird dies aber nicht, weil das
Bewusstsein in einen Zwiespalt gerät33, sondern weil Erwartungen sowohl im Netzwerk als auch im
jeweiligen sozialen Kontext enttäuscht werden können. Einerseits kann man beispielweise durch
fremdenfeindliche Äußerungen am Arbeitsplatz auffallen und eine Kündigung riskieren oder die
eigenen Kinder vertreten in der Schule die Überlegenheit der ‚arischen’ Rasse, wodurch Probleme
mit dem Lehrpersonal entstehen. Andererseits kann es zu Problemen mit den politischen
33 Zumindest ist dieses kommunikativ nicht direkt zu erreichen bzw. bleibt letztlich intransparent.
Mitstreitern kommen, wenn man z.B. homosexuell ist34, für einen Arbeitgeber mit
Migrationshintergrund arbeitet oder einfach nur eine Vorliebe für R’n’B – Musik hegt. Die
Inklusion in das Netzwerk kann als widersprüchlich zu anderen gesellschaftlichen Teilbereichen
erscheinen, wodurch es zu einer Selbstexklusion aus diesen zugunsten eines verstärkten politischen
Engagements kommen kann (vgl. Wagner/Borstel 2009, S.290), wobei die Semantik der
Volksgemeinschaft dann die Motive dafür bietet. Andersherum lassen sich Exklusionsphänomene
wie Arbeitslosigkeit oder Schulverweise nahtlos in das Konfliktschema der rechtsextremen
Einheitssemantik artikulieren, indem Kausalschemata wie Überfremdung oder die
‚Meinungsdiktatur’ aktualisiert werden, wobei dann auf der anderen Seite die Inklusion in das
rechtsextreme Netzwerk stehen kann. Der Widerspruch zur Gesellschaft kann somit auf der Basis
von Mechanismen der Motivdisziplinierung im Kontext rechtsextremer Netzwerke in das
persönliche Erleben übersetzt werden, indem ausserhalb soziale Kälte und innerhalb Kameradschaft
suggeriert wird.
Dies soll nun gerade nicht so verstanden werden, als würde sich im Kontext rechtsextremer
Netzwerke so etwas wie eine Parallelgesellschaft mit vollkommen anderen Prinzipien etablieren.
Man befindet sich vielmehr voll und ganz in der Gesellschaft, weil die Etablierung rechtsextremer
Netzwerke unter dem Diktum der Volksgemeinschaft gerade die durch funktionale Differenzierung
produzierten Nebenfolgen und Unsicherheiten parasitär35 nutzen kann und in ein mehr oder weniger
kohärentes Deutungsmuster transformiert. Die Einheitssemantik der Volksgemeinschaft ermöglicht
es, „viele ansonsten unzusammenhängend bleibende Erwartungsenttäuschungen, persönliche
Konflikte und private Feindschaften in einen übergreifenden und mit anderen geteilten
Sinnzusammenhang zu stellen“(Schneider 2007, S.143). Rechtsextreme Netzwerke können sich
somit vor einem einheitssemantisch fixierten Konflikt bilden und so etwas wie alternative
Vollinklusion gegenüber gesellschaftlichen Komplementärrollen suggerieren. Diese wird aber nur in
den seltensten Fällen realisiert (z.B. im Kontext von kriminellen Netzwerken oder Terrorzellen),
sondern ermöglicht zumeist nur eine temporäre Überformung von Komplementärrollen unter
Etablierung unterschiedlicher Referenzen. Über die interne Differenzierung nach Kadern und
Aktivisten wird es aber nahegelegt, sich der Disziplinierung persönlicher Motive zu unterziehen,
wobei diese unter einer gleichzeitigen Etablierung unterschiedlicher funktionaler Referenzen so
etwas wie eine gemeinsame Lebenswelt mit eigenen moralischen Werten und Tugenden
symbolisieren kann. Wenn es rechtsextremen Bewegungen also um das ‚Erwachen’
34 Am Beispiel von Michael Kühnen, einem der wichtigsten Kader der deutschen rechtsextremen Bewegung der 80er
und frühen 90er Jahre, hat dieser Umstand zu heftigen Debatten innerhalb der Bewegung geführt. 35 Mit dem Parasiten ist im Sinne Michel Serres gemeint, dass jede Selektion nichtaktualisierte Möglichkeiten bzw.
Sinnüberschüsse impliziert, auf deren Basis sich neue Formen der Sinnverarbeitung etablieren können. Diese produzieren Unsicherheit im Wirtssystem und nutzen diese gleichzeitig für eigenen Strukturaufbau (vgl. dazu: Serres 1987, S.14f).
volksgemeinschaftlichen ‚Geistes’ (z.B. das ‚Germanentum’) im Sinne primordialer Bindungen
geht, so wird dieser intern und d.h. über Kommunikation erst erzeugt und hat gerade dadurch
Bestand, dass er gerade keine Entsprechung in der gesellschaftlichen Umwelt findet. Dadurch
entstehende Unsicherheiten können für eine Reproduktion, Plausibilisierung und Intensivierung des
Konfliktschemas genutzt werden, wobei dann auch die Form der Person (vgl. dazu: Luhmann 2008)
einbezogen wird.
4.3.3 Physische Gewalt und Motivation im Kontext rechtsextremer Bewegungen
Rechtsextreme Bewegungen haben also einerseits wegen ihrer Einheitsbeschreibung der modernen
Gesellschaft und andererseits wegen der im Kontext rechtsextremer Netzwerke etablierten
Erwartung der Disziplinierung von Motiven entsprechend der Semantik der Volksgemeinschaft
Probleme in ihrer gesellschaftlichen Umwelt auf Zustimmung36 zu stoßen. Darum geht es aber auch
nicht, da man so etwas wie kommunikativen Widerspruch gegen die Gesellschaft etabliert, der z.B.
in Form von ‚Antifaschismus’ als Thema von Gegenprotesten aber auch erwidert wird, was aber aus
einheitssemantischer Perspektive ausreicht, um den Konflikt zwischen Volksgemeinschaft und
Gesellschaft zu bestätigen. Die in der Einheitssemantik schon angelegte Konfliktkonstellation kann
zum Anlass für „interne Rigidisierung unter Nutzung eines Gegners“ (Japp 2003, S.65) werden, der
überall dort ist, wo intern gültige Erwartungen nicht mehr greifen. Vor dem Hintergrund dieses
Konfliktes kann die Semantik der Volksgemeinschaft sich folglich erst vollständig etablieren, so
dass die Einheit der Bewegung sich in vielen Segmenten mit Blick auf die Umwelt fast nur noch
unter der Generalisierung der Erwartbarkeit von Erwartungsenttäuschungen, d.h. einem Konflikt
stabilisieren kann. Rechtsextreme Bewegungen als Beobachter werden gewissermaßen auf sich selbst
zurückgeworfen, so dass die eigene Einheit nur noch unter Verschärfung des Konfliktes bewahrt werden
kann, was sich u.a. durch Gewaltbereitschaft bzw. der Kommunikation über Gewalt gewährleisten lässt
(vgl. dazu: Japp 2003, S.70/Schneider 2007, S.128).
Gewalt bzw. die nichtlegitimierte Androhung von physischer Gewalt hat dabei eine doppelte Funktion:
Einerseits wirkt sie als Attraktor für die massenmediale Beobachtung, indem Motive für Gewalt
mobilisiert und anhand entsprechender Schemata plausibilisiert werden, wobei gerade ‚rechte Gewalt’
immer wieder die Aufmerksamkeit der Politik erzwingt und Missachtung staatlicher Ordnung
36 Bezüglich einzelner Themen wie z.B. die ‚Ausländerfrage’, der ‚Erhaltung nationaler Kulturen’ , ‚law and order’
oder auch antisemitischer Motive lassen sich immer wieder Anknüpfungspunkte für den ‚talk’ in der Peripherie des politischen Systems finden.
reartikuliert werden kann (vgl. allgemein: Schneider 2007, S.133/Fuchs 2004, S.40) und Reaktionen,
z.B. in Form politischer Entscheidungen oder Gerichtsverfahren geradezu provoziert (vgl. Juris 2005,
S.423), was wiederum massenmedial beobachtet wird und das Bild von ‚Rechtsextremismus’
entsprechend verdichtet bzw. als Schema erst beobachtbar werden lässt37. Andererseits lässt sich
dadurch innerhalb rechtsextremer Bewegungen der Konflikt mit der Gesellschaft plausibilisieren, da
Reaktionen von staatlicher Seite, z.B. in Form von Sanktionen als persönliche Betroffenheit erlebt wird,
da es einen Gleichgesinnten getroffen hat. Dies kann zum Anlass werden, den Protest zu intensivieren38,
was weitere Gewalt zur Folge haben kann: „The activists’ acceptance of violence grew along with their
emotional investment in politics, and their emotional investment intensified with their experience of
violence“ (Della Porta 1995, S.204)39.
Gewalt spielt also in der Erzeugung kommunikativer Anschlussfähigkeit für rechtsextreme Bewegungen
eine entscheidende Rolle. Einerseits erzwingt sie die Beobachtung der Massenmedien bzw. die
Mobilisierung bestimmter Schemata und Motive, was für die Politik Lärm in operable Informationen
transformiert. Andererseits wird Gegengewalt provoziert, die das einheitssemantisch fixierte
Konfliktschema bestätigt und die Mobilisierung entsprechender Handlungsmuster, wie eben die
Verstärkung des Protestes oder auch die erneute Gewaltanwendung nahe legt, indem Betroffenheit
erzeugt wird. Dies ist insbesondere deshalb möglich, weil auf Basis der einheitssemantisch orientierten
Bildung personeller Netzwerke schon im Voraus zwischen Gleichgesinnten und dem ‚System’
unterschieden werden konnte. Die Virtualisierung einer gemeinsamen, rechtsextremen Lebenswelt spielt
dabei eine entscheidende Rolle, da so jeder externe Zwangszugriff persönlich genommen wird obwohl
die eigene Person gar nicht adressiert ist. Einheitssemantiken und personelle Netzwerke lassen sich
somit als Mechanismen beschreiben, durch welche die Anwendung von Gewalt einerseits plausibel
gemacht aber eben auch motiviert werden kann, indem zwischen berechtigter und willkürlicher Gewalt
unterschieden wird. Die eigene Gewalt wird dann gewissermaßen als natürlicher
Selbstverteidungsmechanismus gegenüber einer gesellschaftlichen Entfremdung beschrieben40 (vgl. Erb
2003, S.303), die ihren Ausdruck in gesellschaftlichen Reaktionen auf rechte Gewalt findet. Je nach
Zurechnungsrichtung wird Gewalt von rechtsextremen Bewegungen dann entweder als ‚violence’ oder
als ‚force’ (vgl. Sorel 1981, S.203) erlebt, wobei beide Zurechnungsrichtungen die Ursache für Gewalt
kausal ausserhalb der Bewegung selbst zurechnen und damit gute Bedingungen für die Fortsetzung des
Konfliktes eben auch in gewaltsamer Form bieten. Das symbiotische Verhältnis zwischen
37 So lässt sich dies am Beispiel der sogenannten ‚national befreiten Zonen’ beobachten, die ansonsten keine so starke
Resonanz erzeugt hätten (vgl. Döring 2008, S. 263). 38 Unter Verweis auf das eigene, einheitssemantisch fixierte Konfliktschema kann man dann z.B. gegen politische Verfolgung, für die Freigabe ‚politischer Gefangener’ demonstrieren, die Heuchelei anderer Parteien oder auch die Kriminalisierung des eigenen Protestes beklagen. 39 Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass die Motivation zum gewaltsamen Kampf nicht erst als Folge
der staatlichen Repression zu sehen ist. Vielmehr wird diese als Bestätigung einer eh schon an Konflikt und Kampf orientierten Selbstbeschreibung (vgl. Virchow 2006, S.75) erlebt.
40 Deshalb kommt prinzipiell auch fast jeder, der nicht zur Bewegung gehört, als Ziel in Frage.
Massenmedien und rechtsextremer Gewaltaffinität lässt sich dabei insofern plausibel machen, als
dass auf die Berichtserstattung über rechtsextreme Gewalt, immer auch neue Gewalt folgte und
erstaunlicherweise auch ein erhöhtes Zustimmungspotential (zumindest statistisch) zu
rechtsextremen Themen erkennen liess (vgl. Ohlemacher 1994, S.232). Noch drastischer formuliert
lässt sich rechtsextremer Gewalt bzw. deren Darstellung in den Massemedien sogar so etwas wie
eine Mobilisierungsfunktion zuschreiben (vgl. Willems 1994, S.220), die unter der Zuschreibung
von Täterschaft einerseits bestimmte Motive bzw. Skripte und Schemata (vgl. Luhmann 2004c,
S.193f) aktualisiert, die insofern gleich doppelt anschlussfähig sind, als dass sie Gewalt sowohl
erklären, als auch bei entsprechender Motivlage als Verhaltensoption gleichzeitig nahe legen
können. Mit dem Motiv sind in sozialen Situationen auch daran gekoppelte Verhaltensrepertoires im
Sinne von „behavioural thresholds“(Granovetter , S.1420) situativ aktualisierbar41.
Dennoch stellt sich die Frage, warum Gewalt zwar als eine oftmals gewählte aber zumindest
momentan nicht als die zentrale Option im Kontext rechtsextremer Bewegungen betrachtet wird.
Zur Erklärung dieses Phänomens lässt sich aber vor dem Hintergrund des bisher gesagten die
Netzwerkstruktur in Erwägung. Da es keine Mitgliedschaft, d.h. kein organisiertes Zentrum der
Bewegung, sondern nur eine Vernetzung auf der Basis personellen Vertrauens unter der Prämisse
eines gemeinsamen Konfliktes gibt, lassen sich bestimmte Verhaltensweisen auch nicht allgemein
verbindlich machen. Organisationen wie z.B. die NPD sind adressabel und können deshalb auch
beobachtet werden, so dass rechtliche Sanktionen und staatliche Zwangsgewalt im Zweifelsfall
direkt anwendbar wären. Da dies aber deren Zerschlagung, d.h. den Abbruch organisationsinterner
Kommunikation bedeuten würde, ist man einem gewissen Konformisierungsdruck ausgesetzt, der
bestimmte Optionen, wie z.B. die Verbreitung offen verfassungsfeindlicher Forderungen oder dem
Aufruf zur Gewalt unterbinden kann. Zumindest im Rahmen von formalen Organisationen wird die
Möglichkeit der Zuschreibung von Gewalt durch die Massemedien dann vermieden. Dabei sollte
man nicht irgendein Kalkül unterstellen, sondern ganz einfach den Umstand berücksichtigen, dass
man in erster Linie mit der eigenen Reproduktion auf der Basis von Entscheidungen, d.h. auch mit
dem Bereithalten von Alternativen zu tun hat, von denen Gewalt nur eine ausgesprochen Riskante
darstellt. Anders sieht es dagegen in nicht-formalisierten Segmenten der Bewegung aus, in denen
der zentrale Mechanismus der Verhaltenskonditionierung allein auf der Basis wechselseitiger
personeller Motivdisziplinierung vollzogen wird. Kleinere Gruppen, wie freie Kameradschaften
oder ‚autonome Nationalisten’ höchstens auf der Basis von einzelnen Personen adressierbar, so dass
auch Täterschaft nur auf Einzelpersonen zuschreibbar erscheint. Auf der Basis persönlicher Motive
41 So lässt sich dann auch erklären, dass bei den Brandanschlägen auf Asylbewerberheime in der BRD der frühen
90er Jahre oder auch bei der Hetzjagd auf indischstämmige Bewohner der Stadt Mügeln auch Personen beteiligt waren, die vorher nicht der rechtsextremen Szene zurechenbar waren.
lässt sich in solchen Gruppen die Option der Gewaltausübung einerseits wesentlich leichter nahe
legen, weil sie ‚Entschlossenheit’, d.h. die richtigen Motive im Kontext der Gruppe vermittelt. Die
Person ist folglich einem hohen Erwartungsdruck ausgesetzt, der den semantisch fixierten Konflikt
soweit totalisieren kann, dass Gewalt als Option wählbar erscheint (vgl. dazu: Mann 2004, S.28).
Diese Zuschreibung von Täterschaft auf Personen hat aber andererseits den Effekt, dass sie für die
rechtsextreme Bewegung weniger riskant ist, weil man eben nicht als ganzes sanktioniert wird. Vor
einem solchen Hintergrund kann man sich dann mit den Sanktionierten solidarisieren aber trotzdem
noch zivilere Verhaltensoptionen wählen, um evtl. noch auf anderem Wege, d.h. auf der Basis von
Protest oder sogar durch die Formulierung von Entscheidungsalternativen im Kontext des
politischen Systems aufzufallen. Die interne Unterscheidung von Kadern und Aktivisten lässt sich
in diesem Kontext dann auch so verstehen, als der einen Seite Entschlossenheit einfach unterstellt,
wird, während die andere ihre Entschlossenheit in der Form von Militanz bzw. Risikobereitschaft
(vgl. dazu: Japp 2000, S.81) erst noch unter Beweis stellen muss42.
42 Vor diesem Hintergrund mag es nicht verwundern, wenn gerade im Kreis der Aktivisten Anknüpfungspunkte zu in
unterschiedlicher Hinsicht (z.B. Gewalt, Vandalismus oder Drogen- bzw. Alkoholkonsum) ‚risikobereiten’ Subkulturen, wie z.B. der Skinhead-, Hardcore- oder Rockerszene ergeben.