Kampf um Marktmacht und Gebetsmühlen der Theorie. Einige Bemerkungen zu den Debatten um eine neue...

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Kampf um Marktmacht und Gebetsmühlen der Theorie

Einige Bemerkungen zu den Debatten um eine neue Militärgeschichte

von

DIETER LANGEWIESCHE

Warum gibt es keinen Streit in der Geschichtswissenschaft, wenn historische Demographen ihr Arbeitsgebiet zu einer Spezialdisziplin entwickeln, Agrar-oder Unternehmenshistoriker eigene Fachverbände und Fachzeitschriften gründen, die Parlaments- und Parteiengeschichte eine Kommission mit Stellen und Geld für Veröffentlichungen bekommt oder die Militärgeschichte ein In-stitut und Archiv mit Zeitschrift und Schriftenreihen erhält? Niemanden hat es auch aufgeregt, als Historikern der internationalen Arbeiterbewegung in der Zeit des Kalten Krieges im neutralen Österreich ein Treffpunkt finanziert wur-de, auf dem es Gesprächsmöglichkeiten gab, die man sonst nicht hatte.

Solche Spezialisierungen und sogar deren Institutionalisierung über Ver-bände und Publikationsorgane zu Subdisziplinen nimmt die Gemeinschaft der Historiker bereitwillig hin - und in anderen Fächern ist es ebenso -, während es sofort scharfe Kontroversen mit heftigsten Polemiken gibt, so-bald Reformrudel - einzelne schaffen es nicht - den Anspruch erheben, die gesamte Wissenschaftsdisziplin neu ordnen zu wollen. Natürlich unter Füh-rung der eigenen Leitwölfe.

Die Antwort, warum die Reaktionen so gegensätzlich ausfallen, ist einfach: Wer seinem Fach ein neues Profil geben will , stellt die Machtfrage. Wer die Normen vorgibt in seinem Fach, der bestimmt, was als hochwertig gilt und was nicht, wofür Geld gegeben wird und wofür nicht, wer gute Chancen hat, in der Hierarchie nach oben zu kommen und wer nicht. Und wer in der Hier-archie aufsteigt, dessen Möglichkeiten wachsen wiederum, seine eigene Wis-senschaftskonzeption zu stärken. Wer also Wissenschaftsgeschichte mit Aus-griff in die Zukunft betreiben wil l - und darum geht es in diesem Buch -, muß sich auch mit Machtfragen beschäftigen. Sie werden keineswegs nur nach wis-senschaftlichen Kriterien entschieden. Denn die konkurrierenden Wissen-schaftler sind darauf angewiesen, in ihren Auseinandersetzungen untereinan-der die Hilf e derer zu bekommen, welche die Mittel bereitstellen, um Wissenschaft zu institutionalisieren. Und das ist ein gesellschaftlicher Prozeß. Kein Wissenschaftler wird die Chance haben, eine neue Richtung durchzu-setzen, findet er nicht eine hinreichende Unterstützung in der Gesellschaft.

Marktnischen zu erschließen, ist relativ einfach. Dazu bedarf es nur einer genügend großen Zahl von Mitspielern in einem Segment des Wissen-schaftsmarktes. Die Internetkommunikation wird ihn wohl noch aufnah-mefähiger für kleine Teilmärkte werden lassen, da sie möglicherweise nicht

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mehr darauf angewiesen sein wird, Verlage zu finden, die durch Zeitschrif-ten und Schriftenreihen Hilf e bei der Markterschließung und -behauptung leisten. Ganz anders sieht es aus, wenn es um den Gesamtmarkt eines Fa-ches oder eines großen Anteils davon geht. So durfte sich der Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte unbehelligt für eine Form von Sozialgeschich-te engagieren, die sich als ein Ansatz neben anderen verstand. Als jedoch unter dem Banner Gesellschaftsgeschichte und Historische Sozialwissenschaft die Herrschaft im Gesamtmarkt Geschichtswissenschaft der Neuzeit einge-fordert wurde, löste diese Herausforderung heftige Abwehr aus. Die frühe-ren Marktführer wollten sich nicht zu Nischenrepräsentanten herabstufen lassen. Inzwischen ist daraus eine friedliche Koexistenz mit sozialgeschicht-licher Grundierung geworden, zumal sich die alten Grenzlinien verwischt haben und neue Herausforderer um die Dominanz im Gesamtmarkt Ge-schichtswissenschaft angetreten sind. Am stärksten konnten sich die Ver-fechter einer historischen Kulturwissenschaft ins Gespräch bringen. Sie fin-den Zuspruch in der Öffentlichkeit, insbesondere auch in den Feuilletons, von denen sie gehegt werden, und sie sind in ein weites internationales Netz eingebunden, das zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen einschließt. Doch diese Weite verhindert scharfe Konturen. Angesichts der vielen Spielarten, die unter dem Dach Kulturwissenschaft nebeneinander bestehen, präsentiert sie sich als Alternative bunt und unübersichtlich. Das erleichtert ihr, sich zu etablieren - ein bißchen Kultur kauft jeder ein -, erschwert aber Marktbe-herrschung.

Die Militärgeschichte gehört nicht zu den neuen Anwärtern auf Mei-nungsführung. Sie hatte sich, wie etliche Beiträge in diesem Band mehr oder weniger detailliert in Erinnerung rufen, in West- wie in Ostdeutschland in ei-ner Nische etabliert, die andere nicht beanspruchten und die allermeisten der sog. Allgemeinhistoriker nicht einmal betreten wollten. Daß man dabei ist, sie zu verlassen, indem man sich als wissenschaftlich honorige Subdisziplin einrichtet und in die Interessen- und Arbeitsgebiete der .allgemeinen' Ge-schichtswissenschaft aufgenommen wird, gilt als Erfolg. So schildert Wolf-ram Wette aus persönlichem Erleben den Weg der Militärgeschichte in West-deutschland als eine Leidensgeschichte mit Happyend in der neuen Bundesrepublik, während Jürgen Angelow - auch aus eigener Anschauung -die Folgen der deutschen Vereinigung für die Militärgeschichte, wie sie sich als „Fußnote im Kombinat der ostdeutschen Geschichtsschreibung" ent-wickelt hatte, als Marginalisierung einer Berufsgruppe mit Reformchancen für die Zukunft einschätzt. Daß mit dem nahezu vollständigen Ausscheiden dieser Gruppe ostdeutscher Fachleute, verbunden mit der Auflösung ihres institutionellen Orts, nämlich des Militärgeschichtlichen Instituts der DDR, zumindest zur Zeit noch die Marginalisierung ihrer Forschungsergebnisse einhergeht, verdeutlicht dieser Band.

Vor allem aber zeigt er, daß noch nicht abzusehen ist, ob sich auf dem ge-schichtswissenschaftlichen Teilmarkt Militärgeschichte, auf den viele Anbie-ter derzeit drängen, ein neuer Konsens über die Konturen dieser Subdiszi-plin zu finden sein wird - und ob sie überhaupt als eine solche gelten soll.

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Eine Reihe von Autoren bietet nützliche Überblicke zu militärgeschichtli-chen Ergebnissen und Trends in bestimmten geschichtswissenschaftlichen Bereichen wie der Frühen Neuzeit, der Wirtschafts- oder Geschlechterge-schichte. Andere berichten noch einmal, wie sich Politische Geschichte und Sozialgeschichte in ihren verschiedenen Varianten entwickelt haben, welche theoretischen Angebote und Defizite damit verbunden sind, um so eine Fo-lie zu gewinnen, vor der sich die Leistungen der bisherigen und vor allem die Möglichkeiten einer künftigen Militärgeschichte einschätzen lassen. Diese Rückversicherung an gestrigen Theoriedebatten mag für die Selbstverständi-gung von Militärhistorikern hilfreich sein, fügt aber den vergangenen und gegenwärtigen Theoriedebatten nichts neues hinzu. Um im Bild zu bleiben, das der Band thematisch aufruft: Hier geht es allenfalls um theoretische Nachhutgefechte und Begleitscharmützel.

Herausfordernd finde ich hingegen die Beiträge, die keine theoretischen Gebetsmühlen in Gang halten oder erneut zu drehen beginnen, sofern sie stehen geblieben waren, sondern vorführen, auf welche Erkenntnismög-lichkeiten die Geschichtswissenschaft verzichtet, wenn sie die Geschichte von Feldzügen und Schlachten Hobbyhistorikern innerhalb und außerhalb des Militärs überläßt. Man muß nicht allen Thesen D. E. Showalters und Bernd Wegners zustimmen, um dennoch ihr Plädoyer überzeugend zu fin-den, auch in der deutschen Geschichtswissenschaft die Operationsgeschich-te nicht mehr rechts liegen zu lassen. Gerd Krumeich schließt sich dem an, wenn er eine „sachlich informierte" und „nicht-applikatorische" Operati-onsgeschichte des Ersten Weltkriegs fordert. Für andere Kriege sollte das ebenso gelten. Er erinnert auch daran, daß die Militärgeschichte alten Stils, dominiert vom Militär , das die Geschichte als ein Lehrfeld für künf-tige Kriege betrachtete, eine Fülle von quellengesättigten Werken hinterlas-sen hat, die sich anders lesen und auswerten lassen, als es ihre Autoren geplant hatten. Das allerdings ist keine Besonderheit der Militärgeschich-te.

Unter den Beiträgen, die Militärgeschichte als eine eigene Disziplin the-matisch und vor allem theoretisch verankern möchten, scheint sich zu wie-derholen, was man an den früheren Debatten über die Etablierung einer neu-en Sozialgeschichte beobachten konnte. Das ist oft nachgezeichnet worden, und etliche Beiträge dieses Bandes tun es erneut, so daß einige Bemerkungen genügen dürften.

Es gab und gibt die Variante von Sozialgeschichte, die sich mit der Rolle einer Sektoraldisziplin bescheidet, die in einer bestimmten Perspektive und darauf abgestimmten Methoden und Theorien das historische Geschehen ordnet und damit begreifbar macht. Sie hält ihren Ordnungsblick auf das Chaos der Vergangenheit für zentral, begreift ihn aber als einen von mehre-ren „Sehepunckten", um mit Johann Martin Chladenius' Allgemeine Ge-schichtswissenschaft (Leipzig 1752) zu sprechen. Diese Form von Sozialge-schichte konnte sich mit anderen Zugangsweisen zur Vergangenheit als gleichberechtigt arrangieren oder sie integrieren. Deshalb sprach Werner Conze, einer ihrer westdeutschen Pioniere, von der „Sozialgeschichte in der

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Erweiterung", zu der er selber beitrug, indem er z.B. frauen- und familien-geschichtliche Forschungen anregte, nachdem er zuvor bereits begriffsge-schichtliche Studien angestoßen hatte. Er sah darin keine Alternativen, son-dern Erweiterungen. Die Herausgeber greifen diese Formulierung auf, wenngleich sie sie nicht auf Conzes Konzept von Sozialgeschichte zurück-führen. Er hätte gewiß keine Probleme gesehen, Militärgeschichte zu den wünschenswerten Erweiterungen zu rechnen.

Werner Conze kannte allerdings auch eine Sozialgeschichte als Struktur-geschichte, die ein höheres Maß an Deutungs- und damit Marktmacht bean-sprucht als ihre bescheidenere sektorale Variante. Diese Linie kulminierte im Postulat einer umfassenden Gesellschaftsgeschichte, die alle anderen Zu-gangsweisen in eine zuliefernde Minderposition verweisen wollte. Das Sig-nalwort für den Superioritätsanspruch dieser Form von Sozialgeschichte hieß gesamtgesellschaftlich. Wer es nicht auf seine Fahne schreiben konnte, galt als Zweitligist, bestenfalls. Das gab natürlich Krach in der Zunft. Er wurde von beiden Seiten gepflegt. Militärhistoriker waren an ihm nicht beteiligt. Dafür galt ihr Metier als zu sehr randständig. Sie wurden nicht beachtet und rede-ten auch nicht mit.

Unter den Autoren dieses Bandes hofft am ehesten Roger Chickering die Militärgeschichte so zu erhöhen, daß sie sich den Zugang zur Hauptarena, in der es um die Gesamtherrschaft geht, erstreiten kann: „Der totale Krieg er-fordert eine Totalgeschichtsschreibung." Seit der Krieg die „Angelegenheit ganzer Bevölkerungen" geworden sei, müsse Militärgeschichte als „Totalge-schichte" geschrieben werden. Er denkt dabei, wenn ich ihn richtig verstehe, an das 20. Jahrhundert. Frühneuzeitler unter den Militärhistorikern werden diese Adelung ihres Spezialgebiets auch für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges beanspruchen, und es dürfte auch keine Probleme bereiten, die böhmische Geschichte in der Zeit der Hussitenkriege für den Geltungsbe-reich einer solchen Militärgeschichte als Totalgeschichte zu reklamieren. Die Beispiele ließen sich mehren. Es ist nicht zu sehen, daß Chickering mit seiner Werbung Erfolg hat. Selbst in diesem Band findet er keinen Zuspruch. So wird man annehmen dürfen, daß sein Vorschlag eine Arabeske in der Wis-senschaftsgeschichte der Historiographie bleibt.

Die Alternativen, zwischen denen sich die heutige Militärgeschichte in ihren Entwicklungsperspektiven bewegt, wird m.E. durch die Aufsätze von Anne Lipp und Stig Förster umrissen. Förster stellt sich auf die Schultern ei-nes Großen - in seinem Gebiet wohl der Größte. Er geht aus von Carl von Clausewitz' genialem Buch Vom Kriege - ein nach wie vor unverzichtbares „Großwerk", wie Panajotis Kondylis es in seiner grundlegenden Studie Theorie des Krieges nennt.1 Clausewitz verstand Kriegsgeschichte, wie För-ster zu Recht schreibt, als Gesellschaftsgeschichte. Förster plädiert jedoch nicht dafür, erstere in letzterer aufgehen zu lassen. Er wirbt vielmehr für ei-ne gesellschaftsgeschichtliche Militärgeschichte, die sich auf das Phänomen

1 Panajotis Kondylis, Theorie des Krieges. Clausewitz - Marx - Engels - Lenin, Stuttgart 1988, S. 9.

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Krieg ausrichtet. Der „Krieg und die Kriegsvorbereitung" (wohl auch seine spezifischen Nachwirkungen?) seien das „zentrale Thema der Militärge-schichte". Sie soll sich nicht auf Kriegszeiten beschränken, wohl aber auch im Frieden den Krieg als „Sehepunckt" nutzen, um noch einmal Chladeni-us' erhellendes Wort zu bemühen.

Doch was heißt Militärgeschichte als Gesellschaftsgeschichte} Diese Forde-rung lädt ein, sich zu vergewissern, was die Debatten über eine Gesell-schaftsgeschichte als Integrationsgeschichte mit Deutungshoheit im historio-graphischen Gesamtmarkt erbracht haben. Selbst die früheren Wortführer dieses kampfwilligen Erneuerungsprogramms sind inzwischen auf einen Kurs der „Erweiterung" eingeschwenkt, der klare Geltungshierarchien nicht mehr erkennen läßt. Die Militärhistoriker, die hoffen, sich hier anlehnen zu können, werden sich in einem diffusen Feld wiederfinden, wenn sie es denn erst einmal betreten.

Wie anregend es dort sein kann, illustrieren die Aufsätze von Anne Lipp und Christa Hämmerle. Letztere zeigt perspektivenreich, daß auch die Männerbastion Militärgeschichte es sich nicht leisten sollte, auf die Anre-gungen und Herausforderungen der Geschlechtergeschichte zu verzichten. Es reicht nicht mehr, das Militä r „als Faktor des wirtschaftlichen, gesell-schaftlichen und öffentlichen Lebens" zu definieren, jedoch den Soldaten „i n all seinen Lebensbereichen" in den „Mittelpunkt der Militärgeschichte" zu stellen. Diese Formulierungen stammen aus der wirkungsmächtigen und deshalb in diesem Band zu Recht immer wieder zitierten Standortbestim-mung, die Rainer Wohlfeil 1967 im ersten Band der Militärgeschichtlichen Mitteilungen veröffentlicht hat. Eine Militärgeschichte, die den Soldaten als Täter und Opfer aussparte, würde ihre Aufgabe verfehlen, doch darin sollte sie nicht aufgehen. Sie wird wohl nur dann einen gewichtigen Ort im Ge-samtfach Geschichtswissenschaft, in seinen Diskursen und Machtspielen, erreichen können, wenn es ihr gelingt, an deren theoretischen Debatten teil-zuhaben. Zur Zeit gehen dabei von der - wie auch immer definierten - Kul-turwissenschaft zweifellos die stärksten Impulse aus. Sich ihnen zu öffnen, führt - das erläutert Anne Lipp überzeugend - zu einer Kulturgeschichte des Krieges, an der die Militärgeschichte mitwirken muß, die sie jedoch nicht al-lein bestimmen wird. Es sei denn um den Preis, vor dem Lipp mit guten Gründen warnt, man öffnete die Militärgeschichte so weit, daß die Grenzen ihres Aufgabenfeldes verschwömmen. Dann hätte die ,neue' Militärgeschich-te ein vorschnelles Ende erreicht. Das ist ihr nicht zu wünschen. Dafür hat sie zu viele Anregungen zu bieten. Was verloren ginge, demonstriert in die-sem Band Stefan Kaufmann mit seiner Analyse der Forschungen, die sich mit dem Verhältnis von Technik und Militär befassen. Beherrscht wird dieser Be-reich von der angelsächsischen Wissenschaftswelt, die sich die deutschspra-chige Militärgeschichte erst noch erschließen muß. Sie sollte es tun.