Ist der Existenzialismus ein Anarchismus?

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Berliner anarchistisches Jahrbuch 2010/2011

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Berliner anarchistischesJahrbuch 2010/2011

Editorial2

Liebe Leser_innen,

ihr haltet die vierte Ausgabe des Berliner anarchistischenJahrbuchs – Dokument A – in den Händen. Seit vier Jahrennun veröffentlichen wir – die Redaktionsgruppe der Anar-chistischen Föderation Berlin (afb) – jeweils rückblickendTexte aus dem anarchistischen Spektrum. Der Hintergrunddiese Unterfangens ist, euch einen kleinen Überblick zu ver-schaffen, was im vergangenen Jahr so los war: Welche Ak-tionen und Diskussionen es gab und welche Veranstaltun-gen und Kampagnen durchgeführt wurden. Das alles immerdurch die schwarz-rote Brille betrachtet. Des weiteren solldas Jahrbuch auch eine Orientierungshilfe sein im „Szene-Dschungel“, indem wir euch (zumindest einige) anarchisti-sche (oder anarchistisch beeinflusste) Gruppen und Initia-tiven näher bringen.

Die Herausgeber_innen verfolgen mit dem Jahrbuch jedochnoch ein weiteres Ziel. So soll dieses auch einer stärkerenVernetzung und Kommunikation der einzelnen Gruppen un-tereinander dienen. Dieses Ziel hatte sich die afb bei ihrerGründung 2006 auf die Fahne geschrieben – das Jahrbuchist dabei ein weiteres Werkzeug in der Vernetzungskiste. Umdas Vorhaben einer engeren Vernetzung auch auf andererEbene weiter vorantreiben zu können, hat sich nun auch inder Struktur der afb etwas getan. War es bislang in ersterLinie ein Zusammenschluss von überwiegend individuell or-ganisierten Menschen, wurde im letzten Jahr eine „Mini-Fö-deration“ entwickelt, um so den eigenen Ansprüchen undnicht zuletzt dem Titel und der damit verbundenen Vorstel-lungen anarchistischer Organisierung gerecht zu werden.So sind jetzt vier verschiedene (Klein-)Gruppen wie etwaB.O.N.E oder die „Anarchistische Radiogruppe Berlin“ in derafb föderiert. Darüber hinaus gibt es innerhalb der afb auchtemporäre Arbeitsgruppen wie z.B. die Redaktion diesesJahrbuchs.

Eine Eigenheit politisch linker und anarchistischer Gruppensollte eine stete Weiterentwicklung sein, also ein permanen-ter Prozess – Bewegung eben. Das bedeutet aber auch einKommen und Gehen. Wie ihr an dieser Ausgabe sehenkönnt, ist sie diesmal etwas dünner ausgefallen. Das liegtvor allem daran, dass einige Gruppen der vergangenenJahre nicht mehr existent oder aktiv sind oder ihren Fokusanders gelagert haben. Dafür sind neue Gruppen wie z.B.die „Anarchistische Gruppe Neukölln“ neu hinzugekommen.Andere waren nur themenbezogen aktiv, wie etwa die Kam-pagnengruppe „Nationen wegkicken“ zur Männer-Fußball-WM 2010. Letztendlich hängt Vernetzung und somit auchdieses Jahrbuch immer an der Existenz und der Zuarbeit an

derer Guppen und Menschen ab. Wenn ihr also auch imnächsten Jahr wieder eine Zusammenfassung schwarz-roterEreignisse und Texte aus Berlin in den Händen haben wollt,würden wir uns wieder über Unterstützung freuen.

Noch was: Wenn ihr die afb kennenlernen, euch ganz allge-mein über den Anarchismus unterhalten oder beispiels-weise über das Jahrbuch mit uns diskutieren möchtet, seidihr herzlich zu unserem „Anarchistischen Stammtisch“ ein-geladen. Dieser findet zwei Mal im Monat statt: jeden 2.Donnerstag im Monat in der Tempest Library (Reichenber-ger Straße 63a) sowie jeden 4. Dienstag im Café Morgenrot(Kastanienallee 85).

Temporäre Redaktion des „Dokument A“

Herausgeber_in:Anarchistische Föderation Berlinc/o New Yorck im BethanienMariannenplatz 2a10997 [email protected] | afb.blogsport.de | www.fda-ifa.org

Für den Inhalt der Texte sind die einzelnen Gruppen selbst verantwort-

lich.

Eigentumsvorbehalt:

Nach dem Eigentumsvorbehalt ist diese Zeitung solange Eigentum des

Absenders, bis sie der_dem Gefangenen persönlich ausgehändigt ist.

„Zur-Habe-Name” ist keine persönliche Aushändigung im Sinne des Vor-

behalts. Wird die Zeitschrift der_dem Gefangenen nicht persönlich aus-

gehändigt, ist sie dem_der Absender_in mit dem Grund der Nichtaus-

händigung zurückzusenden. Wird die Zeitschrift der_dem Gefangenen

nur teilweise persönlich ausgehändigt, so sind die nichtaugehändigten

Teile, und nur sie, der_dem Absender_in mit dem Grund der Nichtaus-

händigung zurückzusenden.

Titelgrafik entnommen bei: www.prole.info

Dokument A - Berliner anarchistisches Jahrbuch 2010/2011

3Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis4 Ist der Existenzialismus ein Anarchismus? Maurice Schuhmann / A-Laden Berlin

7 AnarchaFeminismus Solidarität von unten / Anarchistische Föderation Berlin

9 Niemand ist vergessen! NEA - Northeast Antifascists

10 Nationen wegkicken13 Freiheit für Ljoscha und Maksim! Anarchosyndikalistische Jugend Berlin 14 Nazis auf die Pelle rücken Vorbereitungskreis „Nazis auf die Pelle rücken!“ 16 Nazilerin üstüne gitmek Vorbereitungskreis „Nazis auf die Pelle rücken!“ 17 Schnippschnapp – die Schere geht auf Berlin on sale 22 Remembering means fighting! NEA - Northeast Antifascists

24 Schwarz-bunte Seiten Berlin Anarchistische Föderation Berlin 25 „Wer den Staat nicht zerstören kann, soll nicht ins Parlament gehen“

Der erste Landeskongreß der spanischen Anarcho-Internationalisten (Barcelona 1870) Bibliothek der Freien 29 Unzensiert lesen! M99, oh21, Schwarze Risse

31 Preguntando caminamos! Anarchistische Gruppe Neukölln 32 Kampf dem Weihnachtsterror 33 Von Grünau bis Moabit… Aufruf zur Antiknast-Demo

34 Gruppenporträts

Dokument A 4

Der Titel der heutigen Veranstaltung „Ist der Existenzialis-mus ein Anarchismus?“ ist sowohl eine Anspielung auf Jean-Paul Sartres berühmte Schrift „Ist der Existenzialismus einHumanismus?“ als auch eine bewusste Provokation – einenPhilosophen wie Sartre zum Anarchisten zu erklären, alsoeinen Autoren, der für die maoistische Gruppe „Gauche Pro-létarienne GP“ die Zeitung „La Cause du Peuple“ herausgabund sich selbst noch 1973 im Interview mit dem deutschenNachrichtenmagazin „Spiegel“ als „Marxianer” titulierte.Dennoch glaube ich, dass es sinnvoll ist, sowohl ihn, alsauch seinen zeitweiligen Kontrahenten Albert Camus auseinem anarchistischen Blickwinkel zu betrachten. Der heu-tige Vortrag kann dieses Thema nur skizzieren, nicht in allerTiefe behandeln; er soll eine Denkanregung darstellen füreine Neu- und Wiederentdeckung des (französischen) Exis-tenzialimus unter libertären Gesichtspunkten. Dabei gehtes darum, unter Berücksichtigung der Differenzen die Ge-meinsamkeiten zwischen „dem Anarchismus” und „demExistenzialismus”, die über die Vorliebe für schwarze Klei-dung hinausreichen, zu beleuchten.

Der heutige Vortrag ist somit weder eine Einführung in denExistenzialismus oder Anarchismus noch eine „Propaganda“-Veranstaltung für eine neue Strömung des Anarchismus.

Die anarchistischen Tendenzen und Bezüge im Werk Sartressind zwar kein Geheimnis – sie brachten ihm regelmäßig An-feindungen im staatskommunistischen Lager ein – dennochtun sich die Anarchisten schwer, ihn als einender Ihrigen zu akzeptieren.Der heutige Vorsitzendeder Sartre-Gesellschaft, Vin-cent von Wroblewsky,nannte in seiner Disserta-tion als ein Anliegen, denlehrreichen Weg vom Mora-listen zum Anarchisten beiSartre zu beleuchten.

Sartres Lebenspartnerin Si-mone de Beauvoir postulierterückblickend auf die 1960erJahre, dass sie [Sartre und deBeauvoir] dem Anarchismusnäher standen als kommunisti-schen Ideologien. Auch wennder Aussage ein sehr oberfläch-liches Anarchismusverständniszu Grunde liegt, kann man dassicherlich guten Gewissens un-terschreiben. Sartre selber titu-

lierte sich im Interview für den „Nouvel Observateur“ anläss-lich seines 70. Geburtstages als Anarchist. Gegenüber sei-nem Interviewer Michel Contat erklärte er, dass er zeitle-bens ein Anarchist war. Auf Nachfrage erklärt er:

„Jedoch habe ich mich in der Hinsicht geändert, daß ich Anar-chist war ohne es zu wissen, als ich „Der Ekel“ schrieb. [...]Dann entdeckte ich die Philosophie, Anarchist zu sein, die inmir angelegt ist. Aber ich fand sie nicht unter diesem Begriff,weil die Anarchie heute nicht mehr vergleichbar ist mit derAnarchie von 1890.“

Er fuhr wenig später fort mit den Worten:

„Ich habe nie eine Macht über mir akzeptiert und ich habeimmer gedacht, dass Anarchie, sozusagen eine Gesellschaftohne Macht, realisiert werden muß.“

Geistesgeschichtlich lassen sich für eine anarchistische Les-art Sartres zwei Strömungen heranziehen, sich sich aller-dings scheinbar diametrial gegenüberstehen: der Individual -anarchismus eines Max Stirners und der Anarcho-Syndikalismus (der französischen Prägung) verbunden vorallem mit dem Namen: Georges Sorel. Am Rande ließe sichvielleicht auch noch Pierre-Joseph Proudhon nennen, derden französischen Intellektuellen jener Zeit immer präsentwar.

Der aus dem marxistischen Spektrumstammende Georges Sorel hat mit seinerSchrift „Die Frage der Gewalt“ (1908) eineGrundlage für einen revolutionären Syn-dikalismus gelegt – vor allem bezüglichdes Konzepts vom „Generalstreik“. SeineGedanken fanden vor allem in der fran-zösischen und italienischen Arbeiterbe-wegung enormen Widerhall – und wur-den später auch vom italienischenFaschismus instrumentalisiert.

Gerade Sorels Konzept eines revolutio-nären Syndikalismus prägte immerwieder die Auseinandersetzung Sar-tres mit den Gewerkschaftsfragen inden 50er Jahren ~ u.a. bezogen aufFormen der Streikaktivitäten. Sartrehatte ihn in jungen Jahren intensivgelesen; aber es sind auch Denkerwie Émile Pouget, die er in seinenTexten zitiert, oder Beispiele des

spanischen Anarcho-Syndikalismus, mit

Ist der Existenzialismus ein Anarchismus?

Abb: Jean-Paul Sartre

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dem er rudimentär vertraut war. Deutlich wird dies u.a. inseiner Auseinandersetzung mit der KPF und deren Haltungin der Streikfrage in seinem Beitrag „Die Kommunisten undder Frieden“, der 1952 in „Les Temps modernes“ erschien.Darin verteidigte er einen von der KPF-Führung kritisiertenStreik.

Exkurs:Der Anarcho-Syndikalismus entstand zu Beginn des 20. Jahr-hunderts aus einer Symbiose aus anarchistischen Uto-pien und tagespolitischen Kämp-fen, die auf der gemeinsamenBasis vom Prinzip der Selbstverwal-tung und Selbstorganisation sowieder direkten Aktion zu einer Einheitverschmolzen.

Als ein Höhepunkt der SartreschenAuseinandersetzung mit dem Anar-cho-Syndikalismus gilt die Schrift„Kritik der dialektischen Vernunft“, dieneben „Das Sein und das Nichts“ alssein wichtigstes philosophisches Werkzu betrachten ist. In jener Schrift un-ternahm er den Versuch, das Verhält-nis von Existenzialismus und Marxis-mus zu erläutern, wobei er in seinerArgumentation mit libertär-anarchisti-schen Ideen konform geht. Er sieht die Ge-genseitigkeit als Grundlage der menschli-chen Beziehung. Von diesem Standpunktaus kritisiert er Institutionen und Autoritä-ten. In dieser Schrift zeigt sich aber auchdie Enttäuschung über die Politik der KPF,die er zeitweilig unterstützte.

Der andere wichtige Name ist der MaxStirners. Viele grundlegende Gedankendes Existenzialismus antizipierend hatteer Mitte des 19. Jahrhunderts bereits we-sentliche Postulate des Existenzialismusverkündet – so mündet Stirners Ge-danke der Selbstsetzung des Individu-ums letztendlich in Sartres berühmteAussage von der „Verdammnis zurFreiheit“. Bislang wurde die Stirner-Rezeption Sartres noch nicht adäquatuntersucht. In seinem Werk findensich verstreut namentliche Verweise auf ihn –ebenso in den Texten und Tagebüchern von Simone deBeauvoir und Albert Camus.

In dem bereits zitierten Interview führt er selber als Beispieldas Werk „Der Ekel“ (1938) an. Dieser Roman gilt als einerder Schlüsselromane des französischen Existenzialismus. InForm eines fiktiven Tagebuchs lässt Sartre seinen Protago-nisten seine Existenz reflektieren. Die Lektüre des Romansbietet allerdings keine signifikanten Anhaltspunkte füreinen Sartreschen Anarchismus.

Wichtiger erscheint mir die folgende Aussage:

„Ich habe nie eine Macht über mir akzeptiertund ich habe immer gedacht, dass Anarchie,sozusagen eine Gesellschaft ohne Macht, rea-lisiert werden muß.“

In der Macht- und Herrschaftskritik zeigt sichdeutlich eine Überschneidung zum Anarchis-mus. Im Namen des Existenzialismus forderter die individuelle Freiheit ein. Die Radikali-tät des dabei präsentierten Freiheitsbegrif-fes überschneidet sich mit der des klassi-schen Anarchismus.

Der Begriff der „Freiheit“ ist zentral für dasVerständnis von dem Konzept von Anar-chismus. Nach Sartre ist der „Mensch zur

Freiheit verdammt“, wie es in seinem „DasSein und das Nichts“ heißt.

Dieses Thema durch-zieht seine gesamteProsa und sein dramati-sches Werk.

Diese Freiheit will eraber mit Gleichheit ge-koppelt sehen, womit ersich erneut in die Tradi-tion eines sozial-orientier-ten Anarchismus begibt.Rückblickend auf seine Zeitin der französischen Résis-tance schreibt er:

„Die Widerstandsbewegungwar eine wahrhafte Demokra-tie: für den Soldaten wie fürden Befehlshaber gab es diegleiche Gefahr, die gleiche Ver-antwortung, die gleiche abso-lute Freiheit in der Disziplin.“

Abb: Georges Sorel

Abb: Albert Camus

Dokument A 6

Betrachten wir die Aussage de Beauvoirs bezogen auf 1968,so ist natürlich auch die voluntaristische Komponente in sei-nem Konzept wichtig. Der Voluntarismus, der die Revoluti-onstheorie des Anarchismus auszeichnet und als ein we-sentliches, anarchistisches Element in der Studentenrevoltevon 1968 gewertet werden muss, ist auch im Freiheitsbegriffdes Existenzialismus angelegt.

Einen Versuch der Bestimmung jener existenzialistischenRevolte unternimmt Albert Camus in „L'homme revolté“(1951). Implizit rechnet sich Camus im Rahmen jener Unter-suchung der libertären Tradition zu. Dies kommt auch in sei-nem offenen Brief an Sartre zum Ausdruck, indem er sichmit einer in der „Les temps modernes“ veröffentlichten Re-zension auseinandersetzt.

Stärker noch als bei Sartre lassen sich bei ihm die anarchis-tischen Tendenzen nachweisen. Er schrieb für anarchisti-sche Zeitschriften – u.a. für „Le monde libertaire“, das Organder Anarchistischen Föderation. Darüber hinaus weist seinWerk deutliche Kohärenzen zu anarchistischen Ideen auf,wie Lou Marin in seiner Untersuchung „Der Ursprung der Re-volte“ dargelegt hat.

Nach Marin kam Camus bereits in seiner Schulzeit mit denIdeen des amerikanischen Rebellen Thoreau („Über diePflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“) in Kontakt, mitTolstoi sowie mit Proudhon. Gerade die Lektüre der beidenerstgenannten Autoren mögen seine Überlegungen zur Ge-waltfreiheit, die sich auch auf die revolutionäre Gewalt be-ziehen, beeinflusst haben. Daneben prägte selbstverständ-lich der Algerienkrieg Camus' Haltung.

Das Thema der Gewaltfreiheit, was sich sowohl durch seinliterarisches als auch sein journalistisches Werk zieht, ist ge-rade für den gewaltfreien Anarchismus von großer Bedeu-tung, der sich um die Zeitschrift „Graswurzelrevolution“ inDeutschland formiert.Hieraus lässt sich ebenso wie aus seiner Auseinanderset-zung mit der Revolte einiges für einen modernen Anarchis-mus ableiten.

Ein Großteil seiner diesbezüglichen Texte liegt leider nichtin deutscher Fassung vor und harrt auch noch einer gebün-delten Publikation in Frankreich.

Camus' Hinwendung zum Anarchismus erfolgte nach sei-nem Ausschluss aus der KPF. Die Politik der KPF hat wieder-holt dazu beigetragen, dass sich ehemalige Mitglieder inRichtung Anarchismus orientierten. Neben Camus lässt sichdies auch bei den französischen Surrealisten nachvollzie-hen, die sich nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus derAnarchistischen Föderation (FA) anschlossen – u.a. namen-hafte Vertreter wie André Breton.

Es wäre verfehlt, sich nun mit der Erkenntnis zufrieden zugeben, dass die anarchistische Bewegung in jenen beidenDenkern partielle Mitstreiter gefunden hat. Die relevanteFrage stellt sich, unter welchen Aspekten der moderne Anar-

chismus von ihren Überlegungen profitieren kann. Werfendiese beiden Philosophen noch aktuelle Fragen auf? Sindwir durch diese Erkenntnis gezwungen, noch eine 50. Strö-mung des Anarchismus zu benennen – den Anarcho-Existen-zialismus?

Wenn ich persönlich die Frage beantworten müsste, würdeich zwei Aspekte benennen, unter denen eine Auseinander-setzung des Anarchismus mit Camus und Sartre fruchtbarverlaufen könnte. Zum einen ist dies der Aspekt der Hand-lungsethik: Camus wählte hierfür nicht umsonst in seinemDrama „Die Gerechten“ russische Nihilisten als Beispiel –und schrieb Dostojewskies „Die Dämonen“ zu einer Bühnen-fassung um. Zum zweiten gilt es immer wieder die Fragenach der Rolle des Individuums zu stellen. Der sog. Neo-Anarchismus zeichnet sich streckenweise durch ein wüstesKonglomerat marxistischer Versatzstücke aus. Im Zuge die-ser Vermischung hat auch das Individuum an Bedeutungverloren und wird weitgehend lediglich mit der Vorstellungvom bürgerlichen Individuum assoziiert. Das Primat deshomo oeconomicus lässt so viele Facetten des realen Men-schen außer Acht.

Maurice Schuhmann / A-Laden

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naler Frauentag; Anarchafeminismus; Antifa; Anti-

rassismus; Anti-Atom; Antimilitarismus; utopia 18, ...

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7Berliner anarchistisches Jahrbuch 2010/2011

Anarcha-Feminismus

Ein Ansatz der noch aus-gearbeitet werden muss

Einladung zur Diskussion

Anarchistische Gruppe

Solidaritätvon Unten!

www.solivonunten.org

02.022 0 1 0um 19 UhrZielona GoraGrünberger Str. 73, F-Hain

A G A n a r c h a f e m i n i s m u s d e rL i b e r t ä r e n A k t i o n W i n t e r t h u r

Anarchistische Broschüren liegenbei der Veranstaltung auseine Veranstaltung der:

AnarchistischeFöderation Berlin

afb.blogsport.de

Dokument A 8

AnarchaFeminismus:Ein Ansatz, der noch ausgearbeitet werden muss

Der Vortrag spannt einen Bogen von den Anfängen deranarchistischen und feministischen Bewegung über dieAnarcha-FeministInnen der Mujeres Libres, dem Syndikalis-tischen Frauenbund, den Anarcha-Femistinnen der 1970erJahre bis hin zu den neusten Erscheinungen der anarchisti-sche und feministischen Bewegungen. Dabei verknüpfen sieBiographien mit Bewegungsgeschichte und Theorie. So ent-steht ein lebendiges Bild einer zu Unrecht von der Ge-schichtsschreibung marginali-serten Bewegung, die darüberhinaus sowohl von eingefleisch-ten Feministinnen als auch vonAnarchistInnen nur all zu oftebenso zu Unrecht ignoriert wurde.

Die beiden jungen Anarchistinnen nehmenuns mit auf eine Reise durch Zeit, Raum undTheorie. Wenn sie selbst auch lieber fragendvoranschreiten, als all zu leichtfertig Ant-worten in die Welt zu entlassen, so gewäh-ren sie uns doch einen profunden Einblick ineine Bewegung, die mehr als eine Wurzel hat.Diejenigen, die weder etwas über die anarchistischenoch die feministische Bewegung wissen, werden dieVeranstaltung reichhaltig und fundiert informiert ver-lassen. Aktivistinnen beider Bewegungen werdenüber die jeweils andere Bewegung Neues erfahrenund ggf. das eine oder andere Vorurteil verlieren lernen. Ob-wohl der Anarchismus die „Ablehnung jeder Herrschaft desMenschen über den Menschen“ und die „Ablehnung jederAusbeutung des Menschen durch den Menschen” postuliert,haben sich Frauen von Beginn der anarchistischen Bewe-gung bis heute dazu gezwungen gesehen ihren eigenen „fe-ministischen” Standpunkte innerhalb der anarchistischenBewegung explizit zu vertreten. Dabei haben sie sich immer,mehr oder weniger stark, von bürgerlichen und (Partei-)Kommunistischen Feministinnen distanzieren müssen. Oftwendeten sie viel Energie auf, um ihre Positionen in ge-mischgeschlechtlichen Organisationen zu entwickeln und

zu vertreten. Aber es gibt auch zahlreiche Beispiele für eineautonome Organisierung der Anarchistinnen. Andererseitshaben auch immer wieder Frauen in der feministischen Be-wegung anarchistische Ideen und Prinzipien übernommenund sich früher oder später von auftauchenden reaktionä-ren Strömungen im Feminismus distanziert. So treffen sichimmer wieder Anarchistinnen und Feminsitinnen, ohne je-doch bisher eine geschlossene anarcha-feminisistischeTheorie abgeliefert zu haben.

Dies ist auch sicher nicht im Interesse der Auto-rinnen der gleichnamigen Broschüre der Ar-

beitsgruppe Anarchafeminismus der liber-tären Aktion Winterthur. Vielmehr gehtes ihnen darum, mit AnarchistInnenund Feministinnen (und vielleichtsogar auch mit antipatriachalen Män-

nergruppen?) in eine Diskussion darü-ber zu kommen, wie beide Ansätze

heute miteinander verknüpft werdenkönnen. Dabei geht es neben der Theorie

auch um praktische Konsequentzen füreine anarcha-feministische Bewegung.

Beim Anarcha-Feminismus handelt es sich, sojedenfalls die These der Referentinnen, trotzeiner langen Geschichte und einer eindrucksvol-

len Ahnenreihe aktuell noch immer um einen „Ansatz, dernoch ausgearbeitet werden muss…“

Alle zusammen werden wir uns nach dem Vortrag mit denbeiden Referentinnen über Stärken und Schwächen, sowiePotentiale und mögliche Synergieeffekte, die aus einer Ver-schmelzung von anarchistischer und feministischer Theorieund Praxis (!) entstehen können, unterhalten. Vielleicht fan-gen wir ja auch schon direkt damit an?!

Solidarität von untenAnarchistische Föderation Berlin

9Berliner anarchistisches Jahrbuch 2010/2011

Am 25.Mai 2000 ermordeten vier jugendliche Neonazis Die-ter Eich in seiner Wohnung im Berliner Stadtteil Pankow-Buch. Vor Gericht gaben sie später an, sie hätten den 60-jäh-rigen Sozialhilfeempfänger umgebracht, weil sie einen „Assiklatschen” wollten.

Zehn Jahre nach diesem Mord soll mit einer Gedenkdemons-tration und weiteren Veranstaltungen sowohl die Erinne-rung an die Tat wach gehalten werden, als auch die gesell-schaftlichen Hintergründe aufgezeigt werden, die diese Taterst ermöglichten.

Die Voraussetzungen für solch einen Mord schaffen nicht inerster Linie gewaltbereite Neonazis, sondern auch ein tiefin der Mehrheitsgesellschaft verwurzelter Arbeitsethos, derdie Würde von Menschen größtenteils anhand ihrer Ver-wertbarkeit für den Kapitalismus misst. Die aktuelle Debatteum Hartz IV zeigt den staatlichen Ausdruck der Entwürdi-gung Erwerbsloser in diesem System. So empfahl beispiels-weise Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin Hartz IV-Empfän-ger_innen öfter kalt zu duschen. Dies schmälere nicht nurdie Staatsausgaben, sondern bringe auch die Körper dervermeintlich „Arbeitsscheuen“ in Form. Roland Kochlegte nach und forderteden sofortigen Arbeits-zwang für Erwerbslose.SPD-Vize Hannelore Krafthingegen empfahl unterBezugnahme auf die all-gemeine Arbeitsknapp-heit, Hartz IV-Bezieher_innen sollten fürein entsprechendes Zubrotim Park Laub harken oderandere Tätigkeiten über-nehmen. Was Kraft blumigals „Gemeinwohl-orientier-ten Arbeitsmarkt“ be-schreibt, ist letzten Endesnichts anderes als die Forde-rung nach der Schaffungeines weiteren Niedriglohnsektors für Erwerbslose. Aufdiese Weise wird in der Öffentlichkeit ein alles und jede_numfassendes Wertesystem gefestigt, das (Lohn)arbeit zumhöchsten Gut erhebt und Menschen, die nicht arbeiten kön-nen oder wollen von sozialer Teilhabe und dem gesellschaft-lichem Reichtum ausschließt. Ohne diesen funktionalen Ar-beitsethos wäre die staatliche und gesellschaftlicheAusgrenzung nicht Leistungsfähiger/ -bereiter, die alltägli-che Konkurrenz aber auch die daraus resultierende Gewalt-bereitschaft gegen sozial Ausgegrenzte nicht denkbar. Im

Rahmen dieses mehrheitsgesellschaftlichen Diskurses wirdes den Mörder_innen so genannter „Asozialer” ermöglichtund erleichtert, ihr Handeln öffentlich zu legitimieren.

Die Vorstellung, dass mensch um jeden Preis arbeitenmüsse, so schlecht die Bedingungen auch sein mögen, hateine lange Durchsetzungsgeschichte. Über Jahrtausendewurde bereitwillig (oder auch durch Zwang) wechselweisefür Gott, Vaterland und zur Erhaltung des nationalen Stand-orts mühselig schwerste Arbeit verrichtet. Dieses Prinzip istüber eine lange Zeit durch und für Menschen geschaffenund erhalten worden – es zu beseitigen liegt darum in derHand von jedem_jeder selbst. Es ist die Verantwortung vonuns allen, Arbeitszwang, Leistungsdruck und soziale Aus-grenzung zu überwinden. So gilt es also auch mit den eige-nen Zwangsvorstellungen zu brechen und dem Staat mit allseinen Schikanen, die er gegen vermeintliche „Sozialschma-rotzer“ ausübt, eine klare Absage zu erteilen. Am 23. und 25. Mai wollen wir darum für eine Gesellschaft auf dieStraße gehen, die den Anspruch in sich trägt, jegliche Formvon Diskriminierung und Unterdrückung Geschichte werdenzu lassen.

Der Mord an DieterEich steht in einerlangen Reihe vonMorden und Ge-walttaten, die seitdem Mauerfallvon Neonazis inDeutschland ver-übt wurden, undreiht sich auchin eine seit Jah-ren nicht en-dende Wellerechter Mordein Europa ein.Wir wollen Die-

ter Eich gedenken, so wie allen anderen Opfernrechter und sozial-chauvinistischer Gewalt.Niemand ist vergessen!

Kommt zur Demonstration und Kundgebung, um in Buchund Umgebung ein deutlich wahrnehmbares antifaschisti-sches und antikapitalistisches Zeichen zu setzen!

Mehr Informationen unter:www.niemand-ist-vergessen.de

Niemand ist vergessen!Arbeitszwang, Leistungsdruck, Naziterror und soziale Ausgrenzung überwinden!

Dokument A 10

2010 war es wieder so weit, die „Männer“-Fußball WM standan. Dieses Jahr sollte sie nicht wie 2006 in unserer direktenNähe stattfinden – sondern in Südafrika – dennoch wardamit zu rechnen, dass es wieder zu den üblichen Szenenkommen wird: Menschen, eingehüllt in schwarz-rot-goldeneGrausamkeit liegen sich, die deutsche Nationalhymne brül-lend, in den Armen.

Dass die Männer-Fußball WM dieses Jahr nicht in unsererunmittelbaren Umgebung stattfand, hatte auch einen Nach-teil – die gesamte (linksradikale) Kritik, die 2006 währendder WM in Deutschland geübt wurde, war kaum oder garnicht zu vernehmen.

Natürlich haben auch wir erst einmal gewartet, dass „ir-gendwer schon bestimmt was organisiert“, doch als diesnicht geschah, mussten wir es in die eigenen Hände neh-men. Die Gruppe, die sich hierfür zusammen fand, sollte nurtemporär existieren. Daher ist dieser Bericht auch eine ein-seitige und sehr subjektive Wahrnehmung einer_s Mitorga-nisierenden.

Aus unterschiedlichen libertären Spektren fanden wir unszusammen, um eine anarchistische und somit klar antina-tionale Kritik an der „Männer“-Fußball-WM zu formulieren.Dieses sollte in Form einer Aktionswoche geschehen, die wirfür den 19. bis 26. Juni 2010 ansetzten.

Doch nicht nur die Kritik am Konstrukt Nation und Staatsollte stattfinden, auch die sonstigen Schattenseiten einessolchen „Events“ sollten beleuchtet werden: Rassismus, Pa-triotismus, Sexismus, Homo- und Transphobie, die Situationfür die Menschen, die in Südafrika leben, die Umweltbelas-tungen durch solche Massenveranstaltungen und vielesmehr, spielten ebenso eine Rolle und sollten dies in einemlibertären Diskurs auch tun.

Unsere Kritik begann beim offensichtlichsten Punkt Patrio-tismus (den viele Zeitungen auch als „Partyiotismus“ mar-kierten) und einem Nationalgefühl, welches sich in dieserZeit stark manifestiert(e).

In der Zeitung und den Kneipen fallen Sätze wie „Endlichsind wir wieder wer“ und Nationalhymnen werden aus lau-ter Kehle geschmettert, dazu ist alles in schwarz-rot-golde-ner Widerlichkeit dekoriert. Das bereits erwähnte National-gefühl verdeutlicht sich in einer Abgrenzung zu anderen

Nationalteams und ihren Fans, sie werden als das „Andereund Fremde“ definiert.

Es ist nicht erstaunlich dass Studien verdeutlichen, dasswährend der Fußball-WM ein deutlicher Anstieg von natio-nalistischen Gedanken und daraus resultierend von rassis-tischen Neigungen bis hin zu rassistisch motivierten Über-griffen zu verzeichnen ist. Während der WM, und kaumbemerkt, kam es u.a. im Wedding zu einem Übergriff vondeutschen Fußballfans auf einen schwarzen Menschen.

Dass diese „Männer“-Fußball-WM auch deutliche sexistischeHintergründe aufweist, ist dagegen leider kaum bekannt.Doch wie soll mensch es nennen das eine Fußball-WM der„Männer“ und „Männersport“ so viel präsenter (medial, wieauch in den Köpfen der Menschen) und akzeptierter ist, alsfast der gesamte „Frauensport“? Ebenso werden so ge-nannte Männer im Sport immer noch schneller akzeptiert,gerade im männerdominierten Fußball .

Dadurch wird auch eine andere Schattenseite deutlich: Dieimmer noch vorherrschende Homo- und Transphobie imProfi-Sport allgemein, und speziell im Fußball. Die Zahlenvon offen homosexuell lebenden Sportler_innen kannmensch fast an einer Hand ablesen. Und gerade im (Profi-)Fußball gibt es eine nicht zu übersehende homosexuellen-feindliche Stimmung. Inter- und transsexuelle Menschenund Transgender sind kaum bekannt und wenn dann durchtraurige Ereignisse wie die Aberkennung von Medaillenwegen „nicht eindeutiger Geschlechtszugehörigkeit“.

Die in Südafrika lebenden Menschen, die mehrheitlich vomgroßen „Geldregen Fußball-WM“ ausgeschlossen waren,mussten für Stadienneubau und einen „reibungslosen Ab-lauf“ der WM mit Umsiedlungen und Ausgehverboten kämp-fen.

Ich kann zur Situation in Südafrika das Statement der inSüdafrika aktiven anarchistischen Gruppe Zabalaza Anar-chist Communist Front (ZACF) empfehlen – welches ihrunter: http://www.zabalaza.net/leaflets&talks/zacf_world_cup_statement.htm finden könnt.

Unsere Beweggründe, diese Aktionswoche zu veranstaltenwaren also vielfältig und sollten auch ihren Ausdruck in denAktionsformen finden. Wir wollten mit einer Mischung aus„linksradikalem Standard“ und kreativen Aktionsformen er-reichen, dass wir sowohl die radikalen Kreise einbinden,eben aber auch „Otto-Normal-Bürger_innen“ eine Chancebieten, uns und unsere Ideen kennenzulernen. Wir wollten

„Nationen wegkicken“Aktionswoche gegen die „Männer“-Fußball-Weltmeisterschaft und ihre Auswüchse

11Berliner anarchistisches Jahrbuch 2010/2011

erreichen, dass wir nicht (nur) im eige-nen Saft schmoren, sondern unsere Utopie für Andere nach-vollziehbar und der Springerpresse und ihrer „Chaot_innen“-Rhetorik einen Strich durch die Rechnung machen.

Wir begannen mit einer Informationsveranstaltung im Anar-chistischen Infocafé (im New Yorck59, welches auch nochUnterstützung braucht!), welche leider nur mäßig besuchtwar. Den anwesenden Menschen konnten wir dennoch inGesprächen und kleinen Inputs unsere Beweggründe, wieauch den geplanten Aufbau der Aktionswoche vorstellen.Den Auftakt der Woche bildete am Samstag eine (fast un-vermeidliche) Demonstration gegen Nationen und die Fuß-ball-WM. Leider war aber auch die Auftaktdemo nicht son-derlich gut besucht. Dafür war sie aber umso lauter.Außerdem kann mensch sie durchaus als Erfolg werten. Beiunserem Auftakt am recht gut besuchten Rosa-Luxemburg-Platz konnten wir mit einer Rede viele Menschen über unserZiel der Demonstration informieren. Zudem gab es ein gro-ßes Bullenaufgebot, pro Teilnehmer_in war mindestenseine Wanne zu zählen, womit wir auch zu einem Anstieg derStaatskosten verholfen haben. Durch die geringe Anzahl derTeilnehmer_innen konnte zwar nicht die volle Route gelau-fen werden, dafür konnten wir die Straße aushandeln undmussten nicht auf dem Gehweg laufen. So konnten wir aufden Hauptstraßen an vielen Autos, die ihre Scheiben herun-ter gelassen hatten, bis zum Alexanderplatz ziehen. Die ge-samte Zeit über war die Demonstration nicht zu überhörenund -sehen. Alle Beteiligten waren absolut motiviert. Die unszuschauenden Fahrer_innen wurden die gesamte Zeit mitlauten antinationalen Parolen und Flyern eingedeckt. Un-sere Abschlussreden konnten wir dann sogar direkt an derWeltzeituhr abhalten. Dadurch hatten wir ein großes Publi-kum, das wir neben den Reden mit vielen Flyern und Infor-mationen versorgen konnten. Ein_e Informant_in berich-tete ebenso, dass eine Polizistin nach den Worten „Grenzen

einreißen – Nationen wegkicken“ spon-tan Applaus geklatscht haben soll, umdann ermahnend von ihrenKolleg_innen angeschaut zu werden –vielleicht sind ja noch nicht alle bei derPolizei verloren...

Direkt am nächsten Tag ging es dannmit unserem Antinationalen Fußball-fest weiter, welches sehr gut besuchtwar und in der Hasenheide stattfand.Es sollte Menschen die Möglichkeitgeben, ohne WM-Wahnsinn und Na-tionen einen schönen gemeinsamenNachmittag zu verbringen, zu essen

und vor allem auch Fußball zu spielen. Zum Fußball hattensich viele Teams (spontan) zusammengefunden und auchein professionelles Team hatte sich zu uns „verloren“ undließ uns Fußballlai_innen natürlich „schlecht“ aussehen.Dazu gab es veganes Picknick, nach Food-Not-Bombs-Ma-nier, zu dem viele Menschen etwas beisteuerten. Außerdemkonnten viele interessiert stehen gebliebene oder vorbeige-hende Passant_innen Flyer und Informationen mitnehmen.

Dieses Fest hat nach der Aussage der Beteiligten allen vielSpaß gemacht und Kraft gegeben, auch weil die Teams vorjedem Spiel im Konsens „Regeln“ und die Bedeutungslosig-keit der Trefferanzahl und somit des Sieges ausgemachthatten. Denn Verlierer_innen sollte es bei uns nicht geben– das passiert in der Gesellschaft leider schon häufig genug.Kleinere autonome Aktionen, wie von uns für die laufendeWoche erhofft, konnten zumindest von mir nicht ausge-macht werden. Für eigene kleinere Aktionen war das Kollek-tiv leider zu sehr mit den Vorbereitungen für die angekün-digten Aktionen beschäftigt. Falls es doch solche Aktionengegeben haben sollte, verzeiht mir diese Einschätzung.Auch für solche Fälle wünsche ich mir eine bessere Kommu-nikation zwischen unseren Strukturen.

Zu einer öffentlichen VoKü hatten wir Mittwoch, am Tageines Deutschlandspiels, eingeladen. Unsere eigentlicheIdee diese Aktion in der Nähe eines Public Viewings zu ver-anstalten, verwarfen wir relativ schnell, auf eine direkteKonfrontation mit vielen (betrunkenen) Deutschlandfanswollten wir uns nicht einlassen - dennoch wollten wir mitihnen ins Gespräch kommen, irgendwer musste sie ja wach-rütteln. Doch leider war der von uns gewählte BoxhagenerPlatz nicht die beste Wahl und so war die „Szene“ mal wie-der unter sich – und musste dann auch noch das Gegrölleertragen, welches aus den umliegenden Kneipen drang.Am Samstag fand wie immer der transgeniale CSD (tCSD)statt. Da wir diesen natürlich unterstützen und keine andere

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Veranstaltung gleichzeitig stattfinden lassen wollten, hat-ten wir beschlossen der Orgagruppe des tCSD einen mögli-chen Redebeitrag anzubieten. Auch sie hatten Interesse unddaher wurden unsere Forderungen auch aus dem tCSD he-raus mit Nachdruck vertreten.

Am selben Abend sollte dann noch eine Soliparty im Kasta-nienkeller stattfinden, um die restlichen Kosten zu deckenund einen möglichen Überschuss an anarchistische Struk-turen in Berlin (z.B. A-Laden, A-Café usw.) zu spenden.Ebenso wurde ein Gewinnspiel für die meisten gefundenenNationalfahnen ausgeschrieben, welches uns den ganzenAbend eine Wanne Polizist_innen gegenüber dem CaféMorgenrot bescherte. Der erwartete Übergriff blieb aller-dings aus, sie beließen es beim bloßen Glotzen und üblichenNotizspielchen.

Leider war die Soliparty sehr schlecht besucht, was viel-leicht an der anwesenden Polizei lag. Zu befürchten ist al-lerdings eher, dass eine Bewerbung im Stressfaktor alleinenicht ausreicht und intensives Flyern wurde aus verschiede-nen Gründen leider nicht betrieben. Auf einem kleinen Teilder Kosten sind wir daher leider sitzen geblieben, auchwenn der Kastanienkeller sich sehr bemüht hat, diesen soklein wie möglich zu halten (danke dafür!).

Nebenher betrieben wir eine Blog-Seite, um Infos zu streuenund eine Anlaufstelle für Interessierte zu bieten. Wen u.a.einführende Texte zur Thematik oder weitere Infos interes-sieren, kann die immer noch bestehende Seite http://nationenwegkicken.blogsport.de besuchen.

Leider gibt es von der Aktionswoche auch einiges negativeszu berichten. Auch darüber zu schreiben halte ich für sinn-voll, denn ein Beschönigen hilft uns nicht weiter. Wir müs-sen uns stetig reflektieren und hinterfragen, seien es jetztunsere Organisations- oder Aktionsformen oder unsere Wir-kung in die „linksradikale Szene“ und, noch wichtiger, in dieGesellschaft.

Nicht nur das die Beteiligung der „Szene“ zu wünschen übriglies (Leute verließen die Auftaktdemo, weil sie ihnen zu kleinwar – sinnvoller wäre doch dann eher eine Unterstützungjener gewesen), was wohl aber auch an unser fehlendenWerbung lag, muss mensch auch erkennen, dass währendder Aktionswoche die Gruppe der Organisierenden mehroder weniger auseinander brach. Dies lag wohl auch an derEnttäuschung hinsichtlich der Beteiligung oder aber auchan der Belastung, eine solche Woche zu organisieren.

Leider wurde diese Resignation von einigen Organisieren-den nicht früh genug mitgeteilt, so dass sich ein andererTeil plötzlich mit einem erheblichen Mehr an Arbeit konfron-tiert sah. Ich persönlich fand daran nicht enttäuschend, dassMenschen ausgestiegen sind (niemand sollte sich zu irgend-was verpflichtet fühlen), sie hätten dies nur kommunizierenmüssen. Hier sehe ich einen wichtigen, zu erlernenden, As-pekt in anarchistischer Organisation – die Kommunikation.Denn daran sollten wir alle stets arbeiten. Mir selbst nehme ich ein wenig übel, dass dieser Bericht

auch nicht mit der gesamten Gruppe besprochen wurde,sondern aus der Bitte heraus entstand etwas über die Akti-onswoche in diesem Anarchistischen Jahrbuch zu berichten.Ich bitte daher die klar subjektive Wahrnehmung zu ent-schuldigen und mögliche lesende beteiligte Genoss_innenbitte ich um Verzeihung für diesen Alleingang.

Ich würde diese Aktionswoche jedoch jederzeit wieder mitorganisieren, u.a. weil ich oft die Teilnehmer_innen der Auf-taktdemo wiedertreffe, die begeistert an „unsere tolle undlaute Demo“ erinnern.

Ich denke wir dürfen uns nicht nehmen lassen, nicht auchnur auf solche Ereignisse zu reagieren, sondern etwas ent-gegen zu setzen, etwas anderes, utopisches, etwas das un-sere Sehnsucht nach einer freiheitlichen, selbst bestimmtenund solidarischen Welt stillt. Wir sollten nur stets aus eige-nen Fehlern lernen, aber nicht aufgeben.

Daher gilt meine Liebe und Unterstützung all jenen, die sichtagtäglich für diesen Traum aufopfern oder auch sich nureinmal kurz erlauben zu träumen.

An das Ende dieses Artikels möchte ich gerne den letztenAbsatz unserer Rede vom tCSD stellen. Ich denke, er stehtfür sich und sollte täglich gelten:

Wir wenden uns hier und heute gegen jede Kategorisierungvon Menschen nach irgendwelchen gesellschaftlichen Re-geln, gegen die nationalistische und rassistische Hetze,nicht nur zu WM-Zeiten, gegen den Leistungsdruck und jedeGewinner_innen-Verlier_innenlogik, gegen jeden Sexismusoder sonstigen Unterdrückungsmechanismus, der uns ver-wehrt, so zu leben wie wir es wollen.

Lasst uns gemeinsam emanzipatorische Freiräume schaffen,in denen wir als Menschen frei leben und lieben können, indenen wir atmen können, in dem Rhyth-mus, der uns gefällt, in dem wiruns als das wohlfühlen kön-nen, was wir sind. Lasstuns diese Orte verteidigen.

Fußball und Leben machenohne Nationen einfach mehrSpaß und daher gilt:

Grenzen einreißen, Nationen wegkicken!“

13Berliner anarchistisches Jahrbuch 2010/2011

Am Donnerstag den 29. Juli wurden unsere Genossen Alek-sei (Ljoscha) Gaskarow und Maksim Solopow von Einheitendes „Zentrum E“ („Extremismusbekämpfung“) in Moskauverschleppt und befinden sich seitdem in Untersuchungs-haft. Diese Haft wurde am 31. Juli aufgrund eines Gerichts-beschlusses in Chimki zunächst auf drei Tage verlängert –aufgrund mangelnder Beweise. Am 3. August folgte eineweitere Haftverlängerung für die sozialen Aktivisten aufweitere zwei Monate.

Doch was war passiert:Am 28. Juli 2010 gab es einen Angriff von ca. 400 Jugendli-chen auf die Stadtverwaltung von Chimki in der Nähe vonMoskau, welcher nun als Anlass für die Verhaftungen dient.Die Stadtverwaltung von Chimki ist dafür verantwortlich,dass der naturnahe Wald von Chimki einer mautpflichtigenAutobahn von Moskau nach St. Petersburg weichen soll –trotz der Möglichkeit den Wald zu umgehen. Eine perma-nente Konfrontation um den Wald von Chimki – zwischender Verwaltung einerseits und Anwohnern sowie sozialenund ökologischen Aktivisten andererseits, besteht seit 2007.Seitens der Behörden wurde friedlichem Protest stets mitbrutaler Gewalt begegnet – zahlreiche Menschen wurdenvon gedungenen Gangstern, rechtsextremen Schlägern undPolizisten schwer verletzt, es gab zahlreiche Attentate undBrandanschläge auf Gegner der Abholzung des Waldes. Sowurde zum Beispiel im Juni 2007 auf die Wohnungstür derAktivistin Ljudmila Selina ein Brandanschlag verübt, im No-vember 2008 fand ein Anschlag auf den Chefredakteur der„Chimkinskaja Prawda“ Michail Beketow statt. Beketowüberlebte dabei nur durch ein Wunder mit eingeschlagenemSchädel – seitdem kämpft er jedoch mit den Folgen desMordanschlages und ist nicht mehr arbeitsfähig.

Doch am 28. Juli bekam die Stadtverwaltung endlich einedeutliche und notwendige Antwort – 400 Jugendliche griffenmassiv mit Steinen, Äxten und Rauchbomben das Gebäudeder Verwaltung an. Es entstand geringer Sachschaden, ver-letzt wurde niemand.

Natürlich stößt es bei der Staatsmacht auf wenig Gegen-liebe, dass es Menschen gibt, die die terroristischen Metho-den des russischen Staates nicht länger hinnehmen und of-fensiv dagegen vorgehen.

Gerade weil die Polizei bei der Aktion am 28. Juli niemandenfestnehmen konnte – sie befand sich nämlich gerade zumZwecke der Unruhestiftung in einem friedlichen ökologi-schen Camp in der Nähe – fanden die ersten Verhaftungenerst am nächsten Tag statt.

Es traf Aleksei und Maksim. Beide sind bekannte Aktivisten,die aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen. Beide be-finden sich seit langem unter den ersten auf den Todeslistenrussischer Rechtsextremer. Deswegen – weil sie bekanntsind – wurden sie auch verhaftet. Und weil der Polizei nichtbekannt war, ob die beiden an der Aktion vom 28. Juli tat-sächlich beteiligt waren, wurden schnell „Beweise“ erfun-den. Durch Urkundenfälschung wurde die Behauptung auf-gestellt, dass beide Aktivisten „am Tatort“ festgenommenworden seien. Doch die Wahrheit ist – sie wurden bei einerVorladung zur Polizei – der sie gefolgt waren – verschleppt!Wir fordern die sofortige Freilassung unserer inhaftiertenGenossen! Ohne wenn und aber!

Am Montag, dem 9. August findet vor der Russischen Bot-schaft in Berlin eine Kundgebung für die sofortige Freilas-sung unserer Genossen statt.

Treffpunkt: 17.30 Uhr, vor der Russischen Botschaft in Berlin,Unter den Linden 63-65

Freiheit für Ljoscha und Maksim!Kundgebung am 9. August 2010

Dokument A 14

Der Wedding-Stadtteil und Mythos mitten in Berlin. Als so-zialer Brennpunkt, „Hort der Kriminalität“ und Projektions-fläche rassistischer Ängste vor einer vermeintlichen Über-fremdung durch „den Islam“, ist er im Bewusstsein derStadtbewohner_innen allgegenwärtig.

Doch halt! Nazis im Wedding?! Für das Jahr 2009 wurden nach offiziellen Statistiken min-destens neun rechte und rassistische Angriffe verübt – einberlinweiter Platz zwei! Die Gewalt eskalierte bis hin zueinem Mordversuch durch zwei Neonazis im U-BahnhofRehberge an Personen mit iranischem Migrationshinter-grund am 19. September 2009. Rechter Straßenterror undAlltagsrassismus – sie gehören durchaus zum Alltag im Wed-ding. Ob rassistische Kolonialromantik anhand der Straßen-namen des „Afrikanischen Viertels“ oder die ganz praktischeEinschüchterung von Mitgliedern der afrikanischen Commu-nity in der Sprengelstraße durch Drohbriefe im rechten On-line-Portal Altermedia: Rassismus und Neonazis bleiben hierpräsent.

Roter Wedding? Fernab vom Ruf des „Roten Weddings“ entwickelte sich imletzten Jahr in Berlin und somit auch im Wedding, einejunge, aktionistische Neonazi-Kameradschaft namens „FreieNationalisten Berlin-Mitte (FN-Mitte)“. Diese erklärte u.a.Wedding und Moabit zu ihrem Aktionsraum. Die FN-Mittepflegten enge Kontakte zur brandenburgischen Kamerad-schaft KMOB, die mit ihrer Selbstauflösung Anfang Julieinem Verbot zuvor kam. Zu den ca. 15 Mitgliedern der FNgehören der Weißenseer Christian Schmidt, der KreuzbergerFalk Isernhagen, der Moabiter Demetrio Krüger und derlangjährige Nazi-Aktivist Steve Hennig aus dem Wedding.Daraus wird klar: Es gibt keinen anonymisierten rechtenStraßenterror, sondern Menschen, die für ihr Handeln ver-antwortlich gemacht werden können!

Sei es das Verkleben rassistischer Aufkleber und Plakate,wiederholtes Sprühen von Hakenreuzen und rechten Paro-len an Parteibüros, Moscheen, das Moabiter Rathaus unddie Hausprojekte Scherer 8 und Groni 50. Oder das Ver-teilen rassistischer Flugblätter, sowie Pöbeleien und An-griffe auf migrantische bzw. linke Personen: Die Aktio-nen der FN-Mitte begünstigen ein gesellschaftlichesKlima, in dem Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe und/oder linken Gesinnung von Neonazis bedroht und angegrif-fen werden können. Wo die soziale Ausgrenzung und Ver-elendung immer mehr Menschen ergreift, versuchen sie mitvölkischem Rassismus und Antisemitismus ein einfachesaber menschenverachtendes, neonazistisches Welterklä-rungsmuster zu streuen. Dem treten wir entgegen undsagen:Neonaziterror stoppen – in Wedding und überall!

Die Aktionen im Wedding reihen sich ein in eine lange Listerechter und rassistischer Übergriffe von Neonazis auch überden Wedding hinaus. Von Weißensee und Prenzlauer Bergbis hin nach Lichtenberg, Kreuzberg und Neukölln: Seitmehr als einem Jahr nimmt der rechte Terror auf der Straßezu – die FN-Mitte kann für eine Vielzahl dieser Angriffe ver-antwortlich gemacht werden.

Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Aktivitäten vonNeonazis auch im Wedding eine Tradition haben. Eine his-torische Rolle spielte hierbei der Neonazi-Kader ArnulfPriem, der bereits in den 90er Jahren als Rechtsterrorist mitBriefbombenanschlägen und Übergriffen in Verbindung ge-bracht werden konnte. Er wohnt noch immer im Wedding.Neben diesem Neonazi-Stützpunkt im Kiez rund um die Os-loer Straße bestand in unmittelbarer Nachbarschaft bis min-destens 2004 der Bandproberaum der RechtsrockbandSpreegeschwader, einer der aktivsten Nazi-Bands Berlins.Der Blick zurück zeigt aber auch, dass hartnäckige antifa-schistische Intervention Wirkung zeigt. Mitte der 90er Jahreversuchten schon einmal Neonazis in Wedding und MoabitFuß zu fassen. Als „Kameradschaft Beusselkiez“ versuchtensie politischen Einfluss zu gewinnen. Antifaschist_innen ge-lang es jedoch durch dauerhafte Präsenz, Outings, Infover-anstaltungen und nicht zuletzt durch direkte Aktionen, dieKameradschaft aus dem Kiez zu vertreiben.

Deswegen: Neonazistrukturen aufdecken und angreifen –praktische Solidarität mit allen angegriffenen Hausprojek-ten und Personen in Wedding und ganz Berlin. Der Verbrei-tung rassistischer Positionen und der Akzeptanz von Nazisstellen wir uns immer und überall entgegen!

Auf zur antifaschistischen Demonstration im Wedding!

Nazis auf die Pelle rückenNaziterror stoppen – in Wedding und überall!

15Berliner anarchistisches Jahrbuch 2010/2011

Am Freitag, 17.09., demonstrierten rund 800 Teilnehmer_innen gegen Naziangriffe und -strukturen in Berlin Wedding.Die Demonstration zog vom U-Bhf Osloer Str. durch denWeddinger Kiez, vorbei am Hausprojekt Scherer 8 zum Leo-poldplatz. Ein erklärtes Ziel der Veranstalter_innen war es,Anwohner_innen zur Demo zu bewegen. Tatsächlich betei-ligten sich zahlreiche Menschen aus dem Wedding. Organi-siert wurde die Veranstaltung von einem Bündnis aus Ein-zelpersonen, Antifagruppen und Projekten aus dem Kiez.

Anlass der Demonstration sind die zahlreichen Naziüber-griffe in Berlin in den letzten Monaten. Seit Ende 2009 häuf-ten sich im Wedding Angriffe auf linke Wohn- und Kultur-projekte, sowie migrantischeNachbarschaftsein-richtungen undnichtrechte undnichtdeutsche Men-schen. Neonazis ver-suchten einen Klein-bus in Brand zusetzen, den sie einerlinken Person zuzu-ordnen glaubten, aucheine Moschee und einafrikanischer Kulturver-ein wurden besprüht.Zum Ziel von Angriffenwurde auch wiederholtdas Hausprojekt Scherer8., so auch Mitte August,als Neonazis erneut dieScheiben des Hauseseinwarfen. Daneben häuften sich rechte Propagandaaktio-nen.

Die seit ca. einem Jahr aktive Kameradschaft „Freie Natio-nalisten Berlin Mitte“ („FN-Mitte“) wurde als neuer Akteurin der Berliner Neonaziszene und verantwortliche Gruppefür eine Reihe von Übergriffen ebenfalls thematisiert. DieKameradschaft hat Berlin Mitte und speziell den Weddingzu ihrem Aktionsraum erklärt. Seit bestehen der „FN-Mitte“wird die Gruppe mit antifaschistischem Protest konfrontiert.So gab es bereits am 28.08. eine Demo in Weißensee gegenden dort wohnhaften Neonazi Christian Schmidt. Im Vorfeldder Demo im Wedding wurde auf insgesamt vier Infoveran-staltungen über die Kameradschaft aufgeklärt. Die Protago-nist_innen der Kameradschaft sollten auf diesem Weg indas Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden.

Abschluss der Mobilisierung zur Demo bildete eine Video-kundgebung auf dem Leopoldplatz. An dieser beteilgten

sich rund 100 Menschen, gezeigt wurden thematisch pas-sende Filme, unter anderem „Kämpfen lernste auf derStraße“, ein Kurzfilm von Eva Löhr (1991) über Berliner Ju-gendgangs und ihre Konfrontationen mit Neonazis.

An der Demonstration beteilgten sich schließlich rund 800Personen, die ca. zur Hälfte dem Antifaspektrum zuzuord-nen waren. Die Übrigen bildeten Anwohner_innen, lokaleInitiativen, sowie weitere Organisationen und Vereine ausdem Kiez. Die im Vorfeld der Demonstration verteilten Flyerund Plakate in mehreren Sprachen trugen ihren Teil dazubei.

In Redebeiträgenwurden unter ande-rem das Hauspro-jekt Scherer 8 , diejüngsten Nazian-griffe im Viertelund der um sichgreifende Rechts-populismus ange-sprochen. EinThema warenauch die unhalt-baren Straßenna-men im so ge-nannten„AfrikanischenViertel“, woimmer noch

die Namen von Protago-nist_innen des menschenverachtenden deutschen Kolonia-lismus an den Straßenschildern prangen. Schließlich gab esnoch Informationen zur „FN-Mitte“ und ihrenProtagonist_innen Steve Hennig, Christian Schmidt ausWeißensee, Demetrio Krüger aus Moabit und Falk Isernha-gen aus Kreuzberg.

Gegen Ende der Demonstration versuchte die Berliner Poli-zei wie üblich, das massive Aufgebot zu rechtfertigen undnahm im Zuge dessen einige Personen fest. Die Veranstal-ter_innen sprachen von mindestens 2 Festnahmen. Obwohlder Grund der Festnahmen nicht ersichtlich war und die Ab-schlusskundgebung massiv gestört wurde, ging die Polizeimit der gewohnten Routine gegen die Teilnehmer_innender Demonstration vor.

Vorbereitungskreis „Nazis auf die Pelle rücken!“

Demobericht

Dokument A 16

Wedding – Berlin’in tam ortasında bir semt ve bir efsane.Sosyal sorunların odağı, „suç işleyenlerin meskeni“ ve„İslam“ın toplumu sözde aşırı yabancılaştırdığını öne sürenırkçı korkuların görüntü perdesi – Wedding, semt sakinlerininbilincinde kendine böyle bir yer edinmiş.

Ama durun! Wedding’te Naziler mi var?! Resmi istatistiklere göre 2009 yılında en az dokuz kez sağcıve ırkçı saldırı işlenmiş – Bu, Berlin çapında ikinciliği temsilediyor! Şiddet, 19 Eylül 2009 da Rehberge metro istasyon-unda iki neonazinin İran uyruklu kişileri öldürmeye teşebbüsetmelerine kadar tırmandı. Sağcı sokak terörü ve gündelikırkçılık – bunlar artık Wedding’te olağan hale geldi. İster„Afrika mahallesi“nde sokak isimlerinde dile gelen ırkçı sö-mürgeci bir romantizm olsun, ister Sprengelstrasse’deyaşayan ve Afrikalı camiaya ait olanların sağcı Altermediainternet anasayfasında tehdit mektuplarıyla açıkça sindiril-meye çalışılması olsun: Irkçılık burada da var ve neonazileraramızda.

Kızıl Wedding?Wedding’in “Kızıl Wedding“ olarak ün salmış olmasının çokötesine düşen bir durum meydana geldi. Son yılda Berlin’deve bununla beraber Wedding’te de „Özgür Milliyetçiler Ber-lin-Mitte“ (Freie Nationalisten Berlin Mitte, ya da kısa adıylaFN-Mitte) adında genç ve eylemci bir neonazi grubu oluştu.Wedding ve Moabit’i eylem sahaları olarak ilan ettiler. FN-Mitte, Temmuz ayının başında kendilerini fesh ederek yasa-klanmalarının önüne geçen Brandenburg’taki KMOB (Kame-radschaft Märkisch Oder Barnim) ile yakın ilişki içindedir.FNnin 15 üyesi arasında Weißensee’li Christian Schmidt,Kreuzberg’li Falk Isernhagen, Moabit’li Demetrio Krüger veuzun yıllar nazi eylemciliği yapan Wedding’li Steve Hennigbulunuyor. Bundan anlaşılıyor ki: anonim bir sağcı sokak te-rörü yok. İsimlerini bildiğimiz ve yaptıklarından sorumlu tu-tulabilen insanlar var!

İster ırkçı etiket ve afiş yapıştırma, parti ofislerine, cami du-varlarına, Moabit belediye binasına ve Scherer 8 ve Groni 50ev projelerine sprayla tekrar tekrar gamalı haç işareti vesağcı sloganlar püskürtmek olsun, veya ırkçı el ilanları dağıt-mak ya da göçmenlere ve solculara sataşmalar vesaldırılar olsun: FN-Mitte’nin eylemleri, insanlarıntenlerinin renklerinden ve/veya solcu duruşların-dan dolayı neonaziler tarafından tehdit edilebileceklerive saldırıya uğrayabilecekleri toplumsal bir iklimin oluşma-sını teşvik ediyor. Sosyal dışlanma ve sefaletin her gün dahafazla insanı yakaladığı bir ortamda, ırkçılık ve antisemitizmile basit, ama insan onurunu hiçe sayan neonazi kalıplarınagöre dünyayı anlatma modeli yaymaya çalışıyorlar. Bunakarşı çıkıyoruz ve diyoruz ki:Neonazi terörünü durduralım – Wedding’te ve her yerde!

Wedding’teki eylemler, neonazilerin Wedding’in dışında ger-çekleştirdikleri sağcı ve ırkçı saldırıların sıralandığı uzun birlistede yerlerini aldılar. Weißensee ve Prenzlauer Berg’tenLichtenberg, Kreuzberg ve Neukölln’e kadar, bir yıldan uzunbir süredir sokakta sağcı terör artış göstermekte – FN bu sal-dırıların bir çoğundan sorumlu tutulabilir.

Geçmişe bir bakış neonazi eylemlerinin Wedding’te de birgeleneği olduğunu gösterir. 90’lı yıllarda sağcı terörist ola-rak bombalı mektup suikastı ve saldırılarla ilişkisi olduğu or-taya çıkan neonazi kadrosundan Arnulf Priem de burada ta-rihi bir rol oynamıştı O, hâlâ Wedding’te oturuyor. OsloerStrasse bölgesinde bulunan bu neonazi üssünün hemen ya-nıbaşında 2004de kadar Berlin’in en aktif nazi gruplarındanbiri olan sağcı rock müziği grubu Spreegeschwader’in provaodası bulunuyordu.

Ama geriye bakış bize aynı zamanda, inatçı bir antifaşistmüdahalenin etkili olduğunu gösteriyor. 90’lı yılların ortala-rında neonaziler Wedding’te tutunmayı bir kere dene-mişlerdi. „Kameradschaft Beusselkiez“ (Beussel-Mahallesiarkadaş grubu) olarak siyasi etki kazanmaya çalışmışlardı.Ama antifaşistler sürekli hazır bulunmaları, nazileri teşhiretmeleri ve dışlamaları, bilgilendirme toplantıları ve ayrıcadoğrudan eylemleriyle „Kameradschaft“ı mahalleden kov-mayı başardılar.

Bunun için: Neonazi yapılarını ortaya çıkarmalı ve dağıtmalı,Wedding ve tüm Berlin’de saldırıya uğramış bütün ev pro-jeleri ve kişilerle somut dayanışma içinde olmalı. Irkçı gö-rüşlerin yayılması ve nazilerin kabul görmesine her zamanve her yerde karşı duruyoruz! Haydi, Wedding’te faşizme karşı yürüyüşe!

Nazilerin üstüne gitmekNazi terörüne dur demek – Wedding’te ve her yerde!

17Berliner anarchistisches Jahrbuch 2010/2011

AussichtenDie entschlossenen Anhänger der Ordnung,

mehr braucht es nicht,um die Welt in Trümmer zu stürzen.

Nur einige alte Anarchistensuchen mit zitternden Köpfen

unter den Ruinen nach ein paar Steinen,die zueinander passen.

Geörgy Dalos

Kennst du Leute: Brauchst du was, hast du es. Teilen, so ein-fach könnte es gehen. Und sobald wir heute wirklich wasbrauchen, schnell mal eine Unterkunft, jemanden der zuhörtoder auch nur ein doofes Auto, sind Freund_innen und an-dere Verwandte ohnehin die einzigen, auf die wir uns ver-lassen können. Aber teilen ist nichts wert, denn es entziehtsich der Rechnung, dem Bruttoinlandsprodukt, der Tauschlo-gik. Nicht unsere Beziehungen sollen wir mit unserer Kraft,unserer Kreativität und Lebendigkeit zu neuer Blüte brin-gen, sondern vielmehr alles dafür tun, die KrisenmaschineKapitalismus am Laufen zu halten. Aber warum sollten wirdas tun? Wir brauchen unsere Zeit selbst.

Und überhaupt. Alle wissen, dass es so nicht weitergehenwird, oder wenn doch, dass kein Stein auf dem anderen blei-ben wird. Und so suchen die Forscher_innen der Think-TanksRat in der Geschichte des untergehenden römischen Reichsund fragen sich, wie es die Statthalter einiger KolonienRoms schaffen konnten, die Implosion des Machtzentrumsfür sich zu nutzen. Andere erforschen Zusammenbrüche frü-herer Zivilisationen und machen Naturverschwendung undletztlich immer Überbevölkerung als Ursache für den Unter-gang aus. Was uns an diesen Fragen interessiert ist allen-falls, warum nicht wenigstens wir heute gelernt haben, siezum Teufel zu jagen, die neue Aristokratie und ihre Phanta-sien von Herrschaft und Bevölkerungskontrolle.

Wir wollen nicht zusehen, wie in dieser Gesellschaft neueEliten produziert werden, die alltägliche Auslese macht unskrank vor ohnmächtiger Wut. Gentrifizierung bedeutet sinn-gemäß Veradelung und spielt sich nicht nur auf dem Woh-nungsmarkt ab. Die Viertel, Kieze, Dörfer sind Orte, an denenuns Entwicklungsbüros und Investor_innen mit ihren Sozi-altechniken feindlich gegenüber treten, an denen sich dieReichen uns erst aufdrängen und uns dann abdrängen. Siesind aber auch Orte, an denen wir noch direkt was mitbe-kommen von dem, was hier eigentlich gespielt wird. Dieletzten Reste gemeinschaftlicher Güter werden uns genom-men und dann wieder zum Kauf angeboten: Krankenhäuser,Wasser, Altersversorgung, Saatgut, Bildung, sozialer Woh-nungsbau. Wirtschaftslogik von der Wiege bis zur Bahre. Sowird noch die selbstorganisierte Verbreitung von Musik,Heilstoffen und Ideen zum Eigentumsdelikt. Wenige haben

Einfluss auf die Entscheidungen,die unser Leben einschnüren,viele töten und den Planeten ab-sehbar zugrunde richten. Für jenean den großen und kleinen He-beln der Macht ein Markt mit Zu-kunft. Die Krise schafft den Vor-wand für einenumfassenden Angriffaufs Soziale, die all-gemeine Verunsiche-rung kreiert Akzeptanzfür den Raubbau amLeben. Die Eliten be-reiten sich daraufvor, ihre Pfründe vor den Besitzlosen mit Zähnen und Klauenzu verteidigen, und am besten noch fett zu verdienen anAufstandsbekämpfung, Krieg und Krisenmanagement.

Für die allermeisten eine große Scheiße. Und doch tanzenwir nicht aus der Reihe, neigen dazu der Aufforderung zufolgen, es uns bequem zu machen. Den meisten hierzulandeist neben der Arbeit die Rolle der Zuschauer_in zugedacht.Bildschirm ansehen und schöne Sachen kaufen soll reichen.Sozialer Friede war Wirtschaftsfaktor und den Mittelklassenheilig. Und solange der Wohlstand wuchs, ging die Rech-nung für eine Generation auf – in den Industriestaaten.Schon die nach Deutschland migrierten ArbeiterInnen wer-den dabei gern vergessen, sowohl ihre Arbeit als auch ihrKampfgeist. Einige 150% integrierte Multikulti-Yuppies wer-den hofiert, während anstatt einer Antwort auf die Forde-rungen nach Wahlrecht, Bewegungsfreiheit und einer Per-spektive noch von der x-ten hier geborenen GenerationUnterwerfungsgesten („Integration“) verlangt werden. Wasdie Migrant_innen und ihre Kinder der rassistischen Mehr-heitsgesellschaft abtrotzen, bleibt dabei stets widerrufbar.Diese permanente Sonderbehandlung und Ausgrenzung lie-fert das Schnittmuster der neuen selbstbewussten Klassen-gesellschaft: Die Armen aller Länder sollen sich beim Kampfum den sozialen Aufstieg gegenseitig ins Gesicht spucken,während die Reichen noch dem letzten vom Tisch fallendenKrümel hinterhersabbern.

Die Behandlung, die sich Einwandernde ohne dickes Bank-konto in diesem Land seit Jahrzehnten bieten lassen müs-sen, permanente Klassifizierung und Kontrolle, Aufenthalts-bestimmungen und Bevormundung bis in die Wohnunghinein, sind Alltag in Arbeitsämtern und Sozialgerichten.Streeworker_innen, Forschungsteams und Inis wohlmeinen-der Bürger_innen werden logeschickt, um einen Fuss in derTür zu behalten izu: Es wird von uns verlangt, uns immerrückhaltloser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. In diesemZwang gilt immer noch: Jedem das Seine – das verschleiert

Schnippschnapp – die Schere geht aufFür einen Herbst der Blätter und Steine

Dokument A 18

die Möglichkeit gemeinsam zu rebellieren. Und für den Fall,dass doch mal welche aufbegehren, werden die Waffenar-senale aufgestockt bei den Polizeien der Städte, ver-mummte und uniformierte Spezialeinheiten üben schonheute Aufrührer kontrolliert zu neutralisieren. Die Lebens-verhältnisse unten werden angeglichen, auf Biegen undBrechen. Der Entwurf der europäischen Verfassung sieht gardie rechtmäßige Tötung von Aufständischen vor. Der Appa-rat steht bereit. In Kundus, wo ein deutscher Oberst ein Mas-saker an Benzindieben veranlasste, nicht viel anders als inSchönfließ, wo Dennis J. wegen eines Strafbefehls über einpaar lumpige Euro von der Polizei erschossen wurde.

Die sich nicht fügen, handeln im neu-industriellen Sinne ver-antwortungslos, d.h. sie verfleißigen sich nicht genügend,und tragen somit selbst die Schuld am Verlust ihrer Lebens-qualität. Wir sollen uns an „doppelte Standards“ gewöhnen,wie es ein Autor der EU-Verfassung nennt, der damit dieRechte von Menschen in Kriegsgebieten meint, in denen eu-ropäische Staaten operieren. Eine Denke, die nicht an denporösen Mauern Europas endet und uns mittlerweile überallvon den Regalen der Bio-Supermärkte und Discounter an-grinst, aus dem schicken Cabriolet oder mit schlechten Zäh-nen. Das Bild von der zwischen Armut und Reichtum sichimmer weiter öffnenden Schere hat seine empörende Kraftverloren. Das Nebeneinander von Armut und Reichtum giltlängst nicht mehr allen als Skandal. Schon gar nicht mehrden eigentlich Reichen: Denen, die mit ihrem Reichtum dieVerwendung der Produktionsmittel kontrollieren – die alsobestimmen, unter welchen Bedingungen was von wem pro-duziert wird. Die unverblümte Herrschaft kehrt zurück und

errichtet fortwährend neue soziale Fronten, mit Hilfe poli-zeilicher Besatzung und sanfter Steuerung durch lokale Eli-ten.

Die Spirale von Verdrängung dreht sich munter und trifftuns mitten ins Herz: In Nachbarschaften, auf der Arbeit undin der Schule, in den Wartezimmern der Ämter undÄrzt_innen werden wir vereinzelt, aussortiert und zurecht-gebogen für den lebenslangen Kampf um Konsum und Kar-riere, Kompetenz und Marktwert. Die letzten Ressourcen,Gedanken und Gefühle sollen erschlossen, und als ProduktIndividuelle Einzigartigkeit® verkauft werden, als wäre unserIch-Sein, diese unausweichliche Selbstverständlichkeit derNatur, eine Mangelware, die man sich erarbeiten, immerwieder neu kreieren und selbstvermarktenden zur Schaustellen muss. So wird zum Lohn der Mühen das, was seitjeher in unserem Besitz ist: Wir dürfen uns stolz als wert-volles Ich fühlen – welch ein Trickbetrug: Lebenszeit ver-ramscht für 1001 Statussymbol. Hauptsache, du fühlst dichwertgeschätzt und damit zugehörig und verkaufst dafür zurNot deine Großmutter.

Die Räume, die uns allen gehören und in denen der unterkapitalistischen Bedingungen zum Naturzustand erklärteallgemeine Kampf aller gegen alle wenigstens in milderenFormen verläuft, werden unterdessen weniger. Die Stadt istlängst verkauft. 20 Jahre nach Einverleiben der DDR wollenalle nach Berlin. So erleben wir besonders in Mitte, Prenz-lauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg einen nie dagewe-senen Schwung von Sanierungen, Neubauten, Eigentums-und sogar Ferienwohnungen, Galerie-Neueröffnungen, schi-

19Berliner anarchistisches Jahrbuch 2010/2011

cken Cafés und Hostels noch und nöcher. Unwohlseinkommt auf. Die wenigen Orte und Plätze, an denen der Ver-kauf von Waren nicht im Mittelpunkt steht, füllen sich mitDetektiven, Securities und Bullen.

Sei es die dauernde Schikane durch Bulleneinsätzen amKotti und im Mauerpark, massive Razzien im Görlitzer Parkund Weinbergspark, Alkoholverbote am Alex – die Stadt sollbereinigt werden von Drogenabhängigen, Dealer_innen,Obdachlosen, trinkenden Jugendgruppen und anderenÜberflüssigen, und das bist vielleicht auch du. Gemütlich aufder Bank in der Sonne sitzen – damit ist jetzt Schluss imAlice-Salomon-Park in Schöneberg. Der Bezirk ließ alle Sitz-bänke der Grünanlage kurzerhand abmontieren. Im Friedhofder Kuscheltiere Prenzlauer Berg wollen das die Zugezoge-nen ebenfalls, wegen dem Krach auf der Straße. Nichts solldie Wiederentdeckung der patriarchalen Kleinfamilie stören.Aber auch zuhause läßt sichs nicht mehr einfach nur mal soda sitzen, denn die Mieterhöhung erschüttert den Abend-brottisch der einen und läßt alle anderen bangen, denn dienächste Erhöhung kommt bestimmt, computer-grausampünktlich alle 15 Monate um 20 Prozent – so oft und so hoches das Gesetz erlaubt. Oder irgendeine beschissene Be-hörde findet, du hast eh zu viel Platz daheim: Nach Ablaufdes Berliner Aussetzungsbeschlusses können wir uns schonmal auf reihenweise Zwangsumzüge einstellen. Unter derNummer 0800-2727278 haben Freund_innen ein kostenlosesNotruftelefon geschaltet, um gemeinsam dagegen aktiv zuwerden.

Auch der Zugang zu Bildung und Einkommen wird künstlichknapp gemacht, um ein Heer von dienstbaren Geistern,Sklav_innen und Verwaltungsfachangestellten zu schaffen,die sich keine anderen Fragen mehr stellen als die, wie siesich selbst für die permanente soziale Auslese zurichtenkönnen. Nur sehr wenige werden es schaffen, zur künftigenElite zu gehören. Diese ist nicht nur offensichtlich leistungs-exklusiv, sondern nach wie vor überwiegend weiß undmännlich, mit akzeptanzfördernden Frauen- und Minderhei-ten-Einsprengseln, die am patriarchalen Charakter des Prin-zips „Elite“ nichts ändern, ihn eher noch abdichten gegenKritik. Aber um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen sol-len alle gleichermaßen – Chancengleichheit ist die Verhei-ßung: Von früher Kindheit an werden wir diszipliniert, inSchüler_innen-Dateien erfasst, nach auffälligem Verhaltendurchgescannt und in Konkurrenz zueinander gesetzt. Jeg-liche Solidarität soll jenen entzogen werden, die sich diesemWahnsinn entziehen, die einem anderen Leitstern folgenoder einfach auf der Strecke geblieben sind. Die es schaffen

einen Abschluss zu machen, haben die Wahl der Qual. Viel-leicht hast du ja gut situierte Eltern, die Studiengebührenund Lebensunterhalt bezahlen, während du durch das neueECTS-Punktesystem des Bachelorsystems hetzt. Die Finan-zierung der Unis durch Drittmittel, d.h. durch die Wirtschaftbedeutet, dass nur ökonomisch rentable Studienfächer undForschungsfragen weiter finanziert werden, dass Exzellenz-initiativen direkt die Bedürfnisse von Staat und Kapital be-dienen.

Die andere Seite der Medaille heißt Ausbildung in die Ar-beitslosenverwaltung. Schulschwänzer werden von denCops abgeholt. Heime, Trainingscamps, Assessment, Jobcen-ter, prekäre Selbstständigkeit, Sicherungsverwahrung. Alsunter 25-jährige erhältst du besondere Fürsorge. Über dei-nen Wohnort, deine Arbeit bestimmst nicht du. Du musstzuhause wohnen unter den Fittichen der Eltern, dich vomJobcenter schikanieren lassen mit unsinnigen Weiterbildun-gen und dem vollen Programm von Profiling bis Ein-Euro-Job. Fordern und fördern heißt jetzt kürzen und sparen, dieVersprechungen fallen aus, die Kontrolle bleibt. Der Sklaven-händler mit seiner „Leiharbeit“ hat auch nicht mehr zu bie-ten: Der Lohn reicht kaum zum Überleben und du musstauch noch froh drum sein. Außerdem bildet die Zersplitte-rung der Lohnarbeitenden ein echtes Hindernis für einengemeinsamen Kampf. Schon der Aufschwung von 2001 bis2004, der sich nicht in Lohnsteigerungen oder irgendwelcheanderen lebenserleichternden Maßnahmen übersetzte,zeigte: Ihr Zuckerbrot schmeckt alt und vergammelt, wieaus dem vergangenen Jahrhundert, ihre Versprechungensind fürn Arsch. Wir kriegen nur was wir uns nehmen.

In der verkündeten Krise, so wird uns gesagt, müssen Opfergebracht werden, angeblich um Schlimmeres zu verhindern.Die notleidenden Banken brauchen unser Geld. Dafür sollendie Besitzlosen Heizkosten sparen, kalt duschen und ihreKinder nicht mehr auf Klassenfahrt schicken. Die könnendoch auch nach Afghanistan, oder? Die einen werden in derARGE als Kanonenfutter angeworben, die andern in denGymnasien als Kommandierende. In Ostdeutschland wurdedas Schaumburger Modell zuerst getestet und Lehrstellennur an jene vergeben, die sich für vier Jahre bei der Bundes-wehr verpflichten, mindestens ein Jahr davon im Auslands-einsatz. Rund um Zinksärge und die boomenden Marktseg-mente Krisenmanagement und Wiederaufbau erobert dieOffizierskaste wieder gesellschaftliche Bedeutung. Das Mi-litär hält mit seinen Prinzipien von Hierarchie, Befehl undGehorsam Einzug in den vermeintlich zivilen Alltag. Män-nerbünde in Politik und Wirtschaft und nicht zuletzt dasauch im „Zivilen“ geltende staatliche Gewaltmonopol sorgendafür, dass zusammen passt, was zunächst so gegensätzlichaussieht. Nicht nur Gefreite kommen reihenweise als psy-chische Wracks aus den Einsatzgebieten zurück. Der sozialeKrieg macht auch uns krank, und dabei musst du doch ge-sund sein, um als erste, zweite oder dritte Wahl zu funktio-nieren. Für jede Anforderung des Leistungslebens gibt’s dierichtige Droge und was nicht bei der Arbeit hilft, wird krimi-nalisiert.

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Die medizinische Wiederherstellung unserer Arbeitskraftsollen wir zunehmend allein bezahlen. Mit der sogenanntenGesundheitsreform wird der Anteil der Wirtschaft an der Fi-nanzierung der Krankenversicherung eingefroren. Dafür dür-fen Beitragserhöhungen für die Arbeitenden jetzt ohneObergrenze jährlich und pauschal festgesetzt werden. Derstaatliche Sozialausgleich hingegen ist prozentual begrenzt:die Kopfpauschale durch die Hintertür. Die Pharma-Kon-zerne bleiben von Regulierung oder gar Kürzungen ver-schont und haben die Gunst der Stunde schon länger er-kannt. Der Trend geht weg von Behandlungen, die wirklichheilen, zu Medikamenten, die nur die Symptome unterdrü-cken und dauerhaft eingenommen und bezahlt werdenmüssen. Und die Konzerne setzen die Preise beliebig hochfest – man möchte fast stöhnen: Ach, gäbe es doch offeneKonkurrenz zwichen den Gesundheitskapitalisten und folg-lich Marktpreise. Genau das verhindern die Patente. Mitihren Phantasiepreisen dürfen die Pharmakonzerne dienoch verbliebenen sozialen Gesundheitssysteme in den rei-chen Teilen der Welt aussaugen und ruinieren.

In Weltgegenden, wo die Lizenzen und Preise der über denWeltmarkt gehandelten Originale sowieso unbezahlbarsind, setzen einzelne Staaten auf den offenen Bruch mitdem Patentregime und erlauben ihren nationalen Pharma-firmen, die Wirkstoffe ohne Lizenz nachzubauen, die so ge-nannten Generika. Beispiel AIDS-Medikamente in Afrika.Jenseits dieser Auseinandersetzungen um geistiges Eigen-tum wird klar: Um Gesundheit und Wohlergehen von Men-schen ging es noch nie im Kapitalismus. Wenn, dann um dieWiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit. Und in Weltgegen-den, wo die global rotierenden Sweat-Shop-Betreiber garkeine Arbeitskraft ausbeuten wollen, weil es anderswoimmer noch rentabler ist, da ist folglich kaum Geld undnicht mal für die Pharmabranche was zu holen. Zugespitzt:In Ostafrika beobachten wir schon heute den rassistischenKampf einer weißen Biomacht gegen die nach Kriterieneiner kapitalistischen Weltwirtschaft überflüssige Bevölke-rung, die jährlich 100.000fache Tötung durch Unterlassen.Verhungern durch den Export gezielt „überproduzierter“ bil-liger Lebensmittel aus Europa, Krebs als übliche Begleiter-scheinung großflächiger Vergiftung des Wassers durchBergbau und Ölförderung, die Nicht-Versorgung „an sich“heilbar Krankheiten sind global-kapitalistische Normalität.Wenn’s zum Leben nicht mehr reicht: sterben! Und die Leutesterben tatsächlich früher in armen Gegenden – das ist sta-

tistische Realität, auch in Berlin. Armut ist wieder an derkörperlichen Verfassung und fehlenden Prothesen erkenn-bar.

Warum schreiben wir nochmal auf, was eigentlich alle ameigenen Körper erfahren, was im Grunde alle wissen? Wirglauben, dass es gerade dann, wenn wir nicht daran glau-ben, dass die Auflistung der sozialen Untaten zu einem ge-sellschaftlichen Aufbruch führen wird – nicht in unseremSinne, nicht für alle auf der Welt – dass es gerade dann not-wendig ist, unseren Ausgangspunkt für gemeinsamen Wi-derstand gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagenzu klären. Um uns nicht blöde gegeneinander ausspielen zulassen oder selbst Wege einzuschlagen, die dem Prinzipnach auch nicht anders funktionieren als der Kapitalismusselbst, müssen wir kollektive Klarheit über Struktur und Me-thode des sozialen Angriffs entwickeln: Wir müssen uns ge-meinsam klar machen, wie von oben und außen her die so-ziale Selektion, die Erforschung unserer Wünsche – tätig zusein, Pläne zu schmieden und gemeinsam mit anderen um-zusetzen, geliebt zu werden und anerkannt, das Leben zufeiern – betrieben wird, nur um diese zu Geld zu machenoder mit irgendwelchen Produkten zuzuschütten, die unsereFantasie belagern. Oder um wirklich widerständige Ansätzeimmer wieder in letzter Instanz gewaltsam zu assimilieren:Schon unser Alltag ist strukturiert durch die Erpressung, dieeigene Haut zu Markte zu tragen oder zu verhungern. DerLogik und der Gewalt der Maschine ist nicht mit Nachbes-sern beizukommen.

Hier hilft nur ein Traum, der anders und größer ist, ganz ein-fach weil er realistisch und vernünftig ist in dem Sinne, dasser in der Orientierung auf die lebende Vielfalt selbst bestehtund nicht auf ihrer Verwertung.

Weil trotz der fortschreitenden Zerstörung dieser Vielfaltnoch genug für alle da ist, sobald wir uns das Privateigen-tum schenken, das meist ohne Not Mangel erzeugt, um zuerzwingen, dass alle mitmachen bei der Jagd um Bling Bling– oder zumindest um die Mittel zum Überleben.

Weil ein solcher Traum den Horizont von Biomacht und ky-bernetischem Kapitalismus sprengt – einer Logik, in welcherdie Gesamtheit der Welt, mitsamt aller Lebensäußerungender Menschen, restlos in funktionale Fragmente zerlegt undentsprechend der jeweils gewünschten Nutzanwendungneu zusammengesetzt wird – zum Zwecke der Profitmaxi-mierung. Selbstverständlich.

Für alle, die nicht als Ingenieur_in oder für die Umsetzunggebraucht werden, realisiert sich das Ganze als sozialerKrieg, dem wir zwar ausgesetzt sind, aber nicht zwangsläu-fig passiv – es gibt keinen Ausstieg aus dem sozialen Krieg.Denn die Kriegserklärung von oben erfolgt präventiv schondann, wenn Menschen, statt ihre Kreativität und Energie insSystem einzuspeisen, tatsächlich beginnen, eigene Zielset-zungen zu entwickeln und dafür zu arbeiten; wenn sie sichmit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten nach Bedarf zusam-mentun und dabei herausfinden, wie das geht mit dem zu-sammen und was das jeweils ist, der Bedarf. In diesem Mo-

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ment, an jenem Ort, der hier sein könnte. Dies unter kriege-rischen Verhältnissen kultivieren zu wollen, erfordert oben-drein also subversive und klandestine Talente. Dabei bleibtes unerträglich naheliegend, die gescheiterten Herrschaftenin Regierung und Konzernen nach Hause zu schicken, dieden Reichtum des Planeten und den Erfahrungsschatz derLeute für eine Lebensweise opfern, die einer Rauferei von4-Jährigen gleicht. Que se vayan todos.

Selbstorganisierung also. Aber wie geht das konkret? Ma-chen wir das nicht ohnehin, um durchzukommen? Ja, aberwir sollten es noch bewusster, noch intensiver tun.

Und so stellt sich die Frage: Mit wem? Auch hier kann etwasmehr Klarheit nicht schaden, weshalb wir einige Worte zuunserer eigenen Position in den Raum werfen wollen. Ihrseid eingeladen, die Eure beizutragen. Wir sind bereit mitallen zusammen zu streiten, die dem System der Ausbeu-tung der lebendigen Arbeit die Macht entziehen wollen –ausgehend von der Ebenbürtigkeit aller Menschen. DieNähe der Herrschenden suchen wir nicht, wir wollen uns dieWelt nicht in den Worten derer erkären, die Menschen alsHumankapital etikettieren, um sie der Vernutzung zuzufüh-ren. Wir streben keinen Atemzug danach, in ihre Kreise auf-genommen zu werden. Keinen Gedanken verschwenden wirauf die Entwicklung „anschlussfähiger“ Forderungen, umdamit vor ihre kamera- und polizeibewehrten Paläste zu zie-hen. Mit ihnen zu reden bringt nicht mehr als Klarheit überdie Arroganz und Borniertheit der Macht, und folglich dieNotwendigkeit, es auf eigene Faust anders zu machen. Wirweigern uns, all die künstlich erzeugten Grenzen undKnappheiten zu akzeptieren, die dem Hauen und Stechenim Kapitalismus Nahrung geben. Um endlich Platz zu schaf-fen für eine Orientierung, die anerkennt, dass alle frei ge-boren sind, freundlicherweise inmitten der Reichtümer die-ser Welt, um klarzustellen, dass weder wir noch dieseReichtümer zum Verkauf stehen, reicht jedoch Einsicht al-lein nicht aus. Wir werden uns gegen die feindliche Über-nahme unseres Lebens organisieren müssen.

Selbstorganisierung mag zu banal erscheinen als Konzept,um die Welt und unser Leben zu retten. Wenn wir jedochbedenken, dass wir nicht besonders geübt darin sind, ohnevermittelnde Instanz („Staat“ oder „Markt“) was auf dieBeine zu stellen, und wenn wir uns darauf einstellen, dassdie Ziele und Mittel erst klarer erkennbar werden, nachdemwir uns ein Stück weit gemeinsam auf den Weg gemachthaben werden, dann folgt daraus vermutlich, dass wir garkeine andere Wahl haben als es endlich mit all unserer Kraftzu versuchen. In kleinen Grüppchen machen wir uns auf undsehen, dass es anders geht, dass wir nicht alles hinnehmen

müssen. Anfänge sind gemacht, Emily hat ihren Prozess ge-wonnen, ein Bündnis hat sie konsequent dabei unterstützt.Gymnasiast_innen einer Berliner Schule haben die Jugend-offiziere der Bundeswehr rausgeschmissen, 60 Obdachlosebesetzten das Adlon mit der Idee: „Die Kältehilfe ist vorbei,ihr habt hier noch Zimmer frei“. Auf dem Alex tauchten aus-gewilderte Bänke auf, die sofort freudig belagert werden.Alles Momente, nur – aber auch immerhin: Temporäre auto-nome Aufbrüche. Wir lernen, mit einigen unbeantwortbarenFragen zu leben – nicht sie zu verdrängen, es bleibt einSchwarm von Fragen, der auf permanente öffentliche Dis-kussion hin drängt. Die großen Fragen – „Wie wollen wirleben? Wie können wir uns das erkämpfen?“ – herunterbre-chen, auf die Straße holen, neu und anders und immer wie-der verhandeln. Wir wollen die Politik zersetzen, das Politi-sche befreien von den Institutionen, in einerkontinuierlicher Kritik die Politik umwandeln in die Fähig-keit, kollektiv selbstbestimmt zu handeln und solidarischmiteinander zu leben. Uns der Möglichkeiten erinnern, diewir haben, statt uns gegenseitig in der Resignation zu be-stätigen. Möglichkeitssinn kultivieren statt Sachzwänge undRealitätssinn. Eine Kritik der Politik, die im Zusammenlebender Menschen entsteht, kein Dauerzustand, sondern einständiges Werden, aber ein Glückszustand, da wir selbstleben. Eine Aufhebung der Politik, die Kraft gibt und sichaus einem autonomen Alltag speist, aus Widerstandserfah-rungen, gewonnen in Ereignissen der Unruhe und durchAusweitung der Räume unseres wieder entdeckten Lebens.Eine Praxis des Politischen, die unser Vertrauen stärkt, dassMenschen gemeinsam die Verhältnisse ändern können, indenen sie leben, statt die Entscheidungen über ihr Lebenzu delegieren und sich den Ergebnissen individuell zu un-terwerfen. Damit treten wir gegen die Biomacht des post-modernen Kapitalismus an: Entfesselung der kollektiven In-telligenz statt künstlicher Knappheit und Zwang zufremdbestimmter Lebenszeitverschwendung.

Wir sind nicht alleine mit dem Bedürfnis danach, unserenAlltag zu verändern, dem Sehnen danach, damit anzufan-gen für uns selbst zu denken und zu entscheiden. Damit an-zufangen, dem System das Beste vorzuenthalten, was wirhaben: uns selbst. Wir könnten es Die Große Weigerung nen-nen: Uns nicht mehr einwickeln lassen von der Propaganda,uns gegenseitig finden und ausstatten mit allem, was wirbrauchen, um den sozialen Angriff und die umfassende Ent-eignung abzuwehren: Da geht es um Bücher nicht wenigerals um Steine. Wir werden beides brauchen, und mehr, umunsere Freundschaften und unsere Freiheit, um die Schön-heit der Welt und unsere Würde zu verteidigen.Schere? Stein. Papier.

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Übergriffe, Morde und Pogrome – Ausdruck der als offiziellbesiegt geglaubten rechten Einstellungsmuster habenHochkonjunktur. Antiziganismus, Antisemitismus, Rassis-mus, Homophobie – von der Gesellschaft getragen, vomStaat legitimiert und gemeinschaftlich praktiziert. Nationa-listische und rechtspopulistische Ideologien und Tendenzenrücken gerade im europäischen Rahmen die Gesellschaftenweit nach rechts- und äußern sich in Gefahren für die phy-sische Existenz jener, die bspw. aufgrund ihrer sozialen, geo-graphischen Herkunft sowie der sexuellen oder politischenOrientierung nicht dem Rechtsruck folgen (dürfen). Dierechtsradikalen Bewegungen in Europa und global prophe-zeien den „Rassen- bzw. Kulturkrieg“ und vernetzen sich ver-stärkt. Grenzüberschreitende Kooperationen unter demBanner des sogenannten Ethnopluralismus, für „ein Europader Vaterländer“ (NPD), sorgen für erstarkende Neonazi-strukturen bei Kameradschaften und Parteien.

Versuche der rechten Parteienlandschaften im Europa-Par-lament eine Fraktion zu gründen, zeugen von realen Gefah-ren der Vernetzung und Zusammenarbeit rechtsradikalerParteien von der Front National (Frankreich) über die Fi-amma Tricolore (Italien) bis zur Partidul Romania Mare (Ru-mänien).

By any beat necessary!Rechte Musiknetzwerke, von „Blood and Honour“ bis hin zuder legalen Ersatzstruktur „Honour and Pride” mitsamt derweltweit agierenden „Hammerskin Nation“ im Hintergrund,organisieren Rechtsrock-Konzerte, die vor allem der Politi-sierung und Mobilisierung für den „weißen Widerstand“ die-nen. Konzerte zum Beispiel in den Grenzregionen Deutsch-land/Tschechien/Polen oder Belgien/Frankreich bietenErlebnisräume und Keimzellen des militanten Neonazismus.Dadurch verbreiten sich nazistische Poli-tik-Konzepte, „Autonome Nationalis-ten“ existieren nun als globalesPhänomen. In Tschechien per-fektionieren derzeit lokaleNeonazi-Kader die Infil-trierung alternativer Jugendkulturen mit ras-sistischer und nationa-listischer Propaganda.Angeboten wird einerechtsradikale „Alterna-tive“ zu allen Lebenswel-ten: ob Reggae/Ska,Elektro, Hip-Hop oderdem klassisch-rechtenRAC (Rock against Com-munism).

Im Rahmen europaweiter Events wie dem alljährlichen „Festder Völker“ (Thüringen), dem Gedenkaufmarsch in Dresdenam 13. Februar oder beim „Day of Honour“ in Budapest, ma-nifestiert sich eine erstarkende europaweite Naziszene –höchst mobil und zunehmend militant.

Die Teilnahme deutscher Neonazis an den antiziganisti-schen Pogromen im tschechischen Litvinov im November2008 ist daher Ausdruck praktizierter „nationaler Solidarität“.Europaweit solidarisieren sich Nazis mit dem Mörder des16-jährigen Carlos Palomino, der am 11.11.2007 in Madridvon einem rechten Militärangehörigen erstochen wurde –im Namen eines „weißen Europas“.

Dass diese Gewalt sich zunehmend gegenüber politischeoder ethnisierte Gegner_innen tödlich äußert, zeigte sichvor allem in den letzten Jahren. Die sytematische Gewalt ge-genüber antifaschistische, migrantische und religiöse Feind-gruppen erreicht im globalen Kontext jedes Jahr ein erneu-tes Rekordhoch.

Allein in Russland wurden mindestens 71 Personen im Jahr2009 durch Neonazis ermordet. In zahlreichen osteuropäi-schen Staaten organisiert sich eine radikale Rechte, dienicht mehr Randgruppe, sondern schon tief verwurzelt imBewusstsein und politischen Handeln der Mehrheitsgesell-schaft ist. Die „ungarische Garde“, eine landesweit agie-rende Bürgerwehr der nationalsozialistischen Jobbik-Parteisoll vermeintliche „Zigeuner-Kriminalität“ bekämpfen, be-waffnete rechte Milizen trainieren in der Ukraine und inRussland für die Machtübernahme. Nazis verüben An-schläge gegen Migrant_innen aus dem Kaukasus, Mobs ausBürger, Staatsmacht greifen gemeinsam Gay-Pride-Paradenwie z.B. in Warschau, Budapest oder Moskau an. Die perma-

nente Krise des Kapitalismus ruft, wieimmer in Zeiten der Angst vor sozia-

ler Deklassierung, Identitätskrisenhervor. Eine (radikale) Rechte,

die sich verstärkt den sozialenFragen widmet, trifft bei der

von Armut bedrohtenoder schon betroffenenMehrheitsbevölkerungmit ihren simplen Erklä-rungsmustern und Lö-sungsansätzen auffruchtbaren Boden. So-lange diese permanenteKrisensituation nicht ab-geschafft wird, nimmtdas Grauen kein Ende.Eine starke antifaschisti

Remembering means fighting!Internationaler Aktionstag „Siempre Antifascista“: 11. November 2010

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sche Bewegung hat die Pflicht und Verantwortung, denWurzeln der Probleme entgegenzutreten!

Action – Reaction!Wir, in Form einer radikalen, antifaschistischen Linken,sehen diesen Entwicklungen nicht passiv zu! Austausch, Ver-netzung und Kooperation – lokal, regional und über allenGrenzen hinweg.

Eine antifaschistische Bewegung muss Sprachbarrieren undLändergrenzen überwinden.

Darum wird es vom 12. - 14. November eine internationaleAntifa-Konferenz unter dem Motto „Siempre Antifascista -Remembering means fighting“ in Berlin geben, bei der Pro-bleme und Lösungsansätze gegen Nazis und rechte Strö-mungen gemeinsam mit Referent_innen aus verschiedenenTeilen Europas diskutiert werden sollen.

Am darauf folgenden Wochenende werden wir uns mit euchgemeinsam den Subkulturen widmen. Wir freuen uns, anti-

faschistische Praxis im Rahmen des Festivals „Siempre An-tifascista 2010“ zu begehen und zu feiern.

Im Laufe des Tages wird die Silvio-Meier-Demonstration inBerlin stattfinden. Eine starke Jugendbewegung brauchtFeuer – nachmittags in Gedenken an Silvio Meier und imKampf gegen Nazistrukturen vor Ort, abends das internatio-nale Antifa-Festival.

Kommt nach Berlin, vernetzt euch für eine starke, hand-lungsfähige Antifa-Bewegung – überall!

Am 11. November 2010 wird es darüber hinaus einen inter-nationalen Gedenktag geben. Gedenkt den Opfern und Be-troffenen rechter Gewalt – kein Mensch ist vergessen! Denn:remembering means fighting, Erinnern heißt Kämpfen! Nazistrukturen zerschlagen – weltweit!Siempre Antifascista!

Erinnern heißt kämpfen – in Gedenken an alle Opfer rechterGewalt, gegen lokale Nazistrukturen!

Siempre Antifascista braucht euch alle! Es stellt ein dezen-trales Konzept dar- macht Aktionen gegen rechte Strukturenund in Gedenken an alle Opfer rechter Gewalt. Bereits letz-tes Jahr gab es am 11. November Aktionen von Madrid bisin die ukrainischen Städte. Rechte Strukturen angreifen – obim Dorf, in der Stadt, Region oder sonst wo.

Seid kreativ! Aufkleber, Plakate, Flugblätter- Wandbilderoder Schablonen, Transparente und Demonstrationen- keinMensch ist vergessen, kein Opfer, keine betroffene Personist vergeben!

Erinnert und kämpft – und immer daran denken: legal, illegal, scheissegal!

Internationaler Aktionstag „Siempre Antifascista“: 11. November 2010

Siempre Antifascista

Dokument A 24

Was ihr hier findetUnsere Motivation für dieses Projekt ist es, all jenen Men-schen in Berlin, die sich aktiv und emanzipatorisch in dieGesellschaft einbringen möchten, eine Anlaufstelle zu bie-ten. Hier können sie sich über bereits bestehende Projekteinformieren und diese ggf. auch gleich direkt kontaktieren.Angesprochen werden sollen Menschen, die gerade neu inBerlin sind oder schon lange hier wohnen, denen aber bis-lang im unüberschaubaren Wust an Gruppen und Projektenin Berlin der Ein- und Überblick fehlte.

Darüber hinaus wollen wir anderen Gruppen und Einzelper-sonen eine Hilfe dabei geben, Ressourcen besser gemein-sam zu nutzen, indem an einer Stelle zentral gesammeltwird, was einzelne Gruppen und Projekte zu bieten haben.

Kurz gefasst findet ihr hier eine möglichst vielseitige Samm-lung, um viele verschiedene Strömungen zu integrieren –mit einem Fokus auf Strukturen, die für Neue interessantsind und eher auf Dauer angelegt sind. Dazu gehören unterAnderem: politische Gruppen, Projekte aus dem Bereich An-tipädagogik (Kinderläden), Antifa/Antira, Queeres, künstle-rische Ansätze, Bibliotheken, Volxküchen (Voküs), Kollektive,Medienprojekte, Veranstaltungsorte, Infoshops, Jugendzen-tren, Verlage, Nachrichtenagenturen, Archive usw. usf.

Was ihr hier nicht findet:Es versteht sich von selbst (oder sollte es jedenfalls), dasswir hier keine Gruppen haben möchten, die rassistisches,sexistisches und antisemitisches Gedankentum oder andereFormen der Diskriminierung fördern.

Weil für uns Emanzipation sowohl mit der Überwindung ak-tueller Ungerechtigkeiten, insbesondere des wirtschaftlichenund politischen Systems der so genannten "sozialen Markt-wirtschaft", als auch mit dem kritischen Hinterfragen eigenerIdeen und Vorstellungen zu tun hat, haben wir bewusst aufzwei Arten von Gruppen und Projekten verzichtet:

Zum einen sind das Gruppen, die von sich aus kein Interessean einer grundlegenden Änderung der Gesellschaft habenbzw. deren Arbeit eine Festigung bestehender Verhältnissebewirkt. Dazu zählen bspw. Parteien oder auch Wohlfahrts-

organisationen, die mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass dieBevölkerung statt sich aufzulehnen und sich für ihre eige-nen Belange einzusetzen, sich einrichtet, apathisch wirdoder sinnlos einer sprichwörtlichen Möhre hinterherläuft,die in Wirklichkeit nicht das Ziel hat, dass alle in der Gesell-schaft endlich ein menschenwürdiges Leben führen können.

Zum anderen sind das Gruppen, die Ideen und Regime hoch-halten, die sich durch autoritäre und unterdrückerischeIdeologien auszeichnen. Dazu zählen wir auch Staaten wiedie Sowjetunion, Nordkorea oder Kuba.

Was ihr tun könnt:Werdet aktiv! Das ist für uns das Wichtigste. Wir leben nureinmal und es gibt keine Zeit, die besser geeignet wäre alsjetzt.

Was unser Adressprojekt angeht: Wir wissen, dass es un-möglich ist, die linksradikale und emanzipatorische Szenekatalogisieren zu wollen. Der Versuch wäre eine Anmaßung.Die linksradikale Szene, besonders der antiautoritäre Be-reich, besteht aus unzähligen (also nicht zählbaren) Grup-pen. Gruppen entstehen, lösen sich wieder auf, schließensich zusammen, spalten sich ab, ändern ihre Namen, arbei-ten nur temporär an einem Projekt oder einem jährlichenEreignis, kooperieren mit anderen Gruppen, vernetzen sich,entwickeln sich weiter. Bewegung eben. Und weil sich soviel bewegt sind die Informationen dazu verurteilt, veraltetzu sein.

Wir sind daher von eurer Unterstützung abhängig, damit dieInfos möglichst aktuell sind. Darüber hinaus könnt ihr auchauf andere Weisen zu unserem Kontakt-Pool beitragen. WerTexte schreiben will, bitteschön, immer gerne. Ihr kennt einProjekt, das noch unbedingt hier rein sollte? Her mit denInfos. Schreibt uns bitte an info \-at-\ schwarz-bunte-seiten-berlin.org.

Euer Projekt Schwarz-Bunte Seiten Berlin

www.schwarz-bunte-seiten-berlin.de

Schwarz-bunte Seiten BerlinPool für linksradikale und emanzipatorische Adressen

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Schon auf ihrem ersten Landeskongreß 1870 brachten diespanischen Internationalisten ihr sozialrevolutionäres undanarchistisches Sozialismusverständnis zum AusdruckEine Veranstaltung der Bibliothek der Freien am 10. Dezem-ber 2010 über libertäre Lieblingsbücher

Mein Lieblingsbuch ist das Protokoll des Gründungskongres-ses der spanischen Landesföderation der Ersten Internatio-nale,* der in Barcelona im Jahre 1870 stattfand – also vornunmehr 140 Jahren. Es ist ein historisches Dokument überdie in Deutschland wenig bekannte Urgeschichte des Sozia-lismus und Anarchismus in Spanien. Über den viel späterenSpanischen Bürgerkrieg, die soziale Revolution in Katalo-nien usw. gibt es verhältnismäßig viel Literatur, vergessenwird dabei häufig, daß der Anarchismus Mitte der 1930erJahre nur eine solche Rolle hat spielen können, weil er zudiesem Zeitpunkt bereits fast siebzig Jahre in Spanien Wur-zeln geschlagen hatte.

Die ursprüngliche Entwicklung des Sozialismus in den ein-zelnen Ländern ist schon ein interessantes Thema. InDeutschland zum Beispiel wurde der Sozialismus von auto-ritären Doktrinären wie Weitling, Marx oder Lassalle entwi-ckelt, nach Spanien kam der Sozialismus infolge der Sep-temberrevolution von 1868, und das kam so:

Nach Jahren des wirtschaftlichen Niedergangs, der Repres-sion und innenpolitischer Krisen organisierte in Spanieneine Verschwörergruppe unter Leitung des Admirals Bau-tista Topete im September 1868 einen Putsch gegen KöniginIsabella II. und ihre Regierung. Diese Militärrevolte fand so-fort Unterstützung in der Bevölkerung: Revolutions-Aus-schüsse unter starker Beteiligung von Republikanern ver-drängten in weiten Teilen des Landes die herrschendenKräfte und proklamierten die Absetzung der spanischen Kö-nigin. In Sevilla und anderen Städten schlossen sich Arbeiterdem Aufstand an, vielerorts griffen auch Bauern zu den Waf-fen. Am 30. September 1868 floh Isabella II. mit ihrem Hof-staat nach Frankreich. Aus der erfolgreichen politischen Re-volution ging eine provisorische Regierung unter Leitungvon General Serrano Domínguez hervor, die eine Reihe voninnenpolitischen Reformen (Versammlungsfreiheit, allge-meines Wahlrecht usw.) einleitete.

Die Septemberrevolution in Spanien fand Wiederhall bei So-zialisten und Republikanern in verschiedenen LändernEuropas. Das Zentralkomitee der Genfer Sektionen der In-ternationale verabschiedete im Oktober 1868 einen Aufrufan die Arbeiter Spaniens — verfaßt war dieser Aufruf vonBakunin und seinem Freund Charles Perron, die damals in

den Genfer Sektionen der Internationale aktiv waren undauf eine Intensivierung des revolutionären Prozesses in Spa-nien und insbesondere auf eine Emanzipation der spani-schen Arbeiter von den Republikanern hofften, die währendder Septemberrevolution tonangebend gewesen waren:

»Eine rein politische Umwälzung«, hieß es in diesem Auf-ruf, »kann dem Volke nimmer mehr die volle Freiheit brin-gen, noch es aus dem Zustande materieller wie morali-scher Versunkenheit retten, in welchem dieBevorrechteten es heute noch so gerne erhalten möchten[...] Brüder, laßt euch nicht betrügen, nicht entwaffnen!Hütet euch vor euren Pfaffen, euren Generälen, und vorallen sogen. Bourgeois-Demokraten; sie alle haben ein In-teresse daran, euch zu täuschen, euch zu knechten, daihre Existenz immer [...] auf die Ausbeutung der Volksar-beit berechnet und von ihr abhängig ist. Städter undLandbewohner, sucht eure Kraft in euch selbst, in eurerEinigung.«

Ein anderer Freund Bakunins, Giuseppe Fanelli, erklärte sichauf seine Anregung hin sogar zu einer Agitationsreise nachSpanien bereit. Im November 1868 traf Fanelli in Madrid einund sprach bald darauf in einer Privatwohnung das ersteMal vor einer Gruppe von jungen militanten Arbeitern undHandwerkern über die Internationale und den sozialrevolu-tionären Sozialismus: Die wirkliche Revolution — erklärte erihnen ganz im Sinne des eben zitierten Aufrufs an die Ar-beiter Spaniens — müsse mit den Republikanern ebensoaufräumen wie mit den Monarchisten. An die begeisterteAufnahme von Fanellis Worten erinnerte sich später einerder Anwesenden:

»Das außergewöhnliche an der Sache war, daß er keinspanisch konnte, er sprach französisch, das einige vonuns Anwesenden mittelmäßig verstanden, oder italie-nisch, das wir nur mäßig, der eine mehr, der andere we-niger, durch Analogieschlüsse begriffen, und trotzdemidentifizierten wir uns nicht nur mit seinen Gedanken,sondern waren dank seiner ausdrucksstarken Mimikschließlich alle von grenzenloser Begeisterung ergriffen.«

Im Januar 1869 reiste Fanelli nach Barcelona weiter undsammelte auch hier eine Gruppe von 20-25 Personen umsich, diese gründete dann am 2. Mai 1869 die erste Sektionder Internationale in Barcelona.

Zu den aktivsten Mitgliedern der Internationale in Madridgehörte Tomás Gonzalez Morago; in einem von ihm entwor-fenen Manifest an die spanischen Arbeiter vom Dezember

„Wer den Staat nicht zerstören kann, soll nicht ins Parlament gehen“Der erste Landeskongreß der spanischen Anarcho-Internationalisten (Barcelona 1870)

Dokument A 26

1869 wurde die soziale und politische Situation der Arbeiterbeschrieben, zur Emanzipation von den politischen Parteien

aufgerufen und die Internationale vorgestellt. Das massen-haft verbreitete Manifest führte zu einem starken Auf-schwung der Internationale, die sich nun rasch in Spanienausbreitete, so daß in einer Vollversammlung der MadriderMitglieder der Internationale am 14. Februar 1870 die Ein-berufung eines Kongresses zur Gründung einer SpanischenLandesföderation der Internationale beschlossen wurde. Beieiner daraufhin durch die mittlerweile drei Zeitschriften derInternationale durchgeführten Abstimmung kamen im Mai1870 bereits 15.216 Stimmen von 153 Sektionen in 26 Ortenzusammen; mit mehr als 10.000 Stimmen wurde Barcelonadarin mit großer Mehrheit zum Kongreßort gewählt.

An diesem Gründungskongreß der Ersten Internationale inSpanien, der vom 19. bis 25. Juni 1870 im Teatro del Circo inBarcelona tagte, nahmen 90 Delegierte von mehr als 150Sektionen und Arbeitervereinen teil, die ca. 40.000 Mitglie-der repräsentierten. In der Eröffnungssitzung wurden Gruß-worte von Gremien der Internationale aus Belgien und demSchweizer Jura verlesen sowie Begrüßungsreden zahlrei-cher Delegierter gehalten. Rafael Farga Pellicer aus Barce-lona brachte gleich bei dieser Gelegenheit seine Überzeu-gung mit den Worten zum Ausdruck: »wir wollenGerechtigkeit und deswegen wollen wir, daß die Herrschaftdes Kapitals, der Kirche und des Staates aufhört, um aufihren Ruinen die Regierung aller, die Anarchie, die freie Fö-deration freier Arbeiterassoziationen zu errichten.«

Anläßlich der Debatte um die Haltung der Internationale ge-genüber der Politik — dem fünften Tagesordnungspunkt desKongresses — wurden ebenfalls sozialrevolutionäre Positio-nen laut, die in dem Kongreßprotokoll ausführlich dokumen-tiert sind und das erstaunliche Diskussionsniveau der spa-nischen Ur-Libertären offenbaren.

In Deutschland zum Beispiel — um mal einen Vergleich zubringen — findet dieser Kongreß in Barcelona ein Gegen-stück im Eisenacher Kongreß vom Vorjahr 1869, auf demunter Federführung von Bebel und Liebknecht die Sozialde-mokratische Arbeiterpartei gegründet wurde. Dort wurdeder oben erwähnten autoritären Tradition in Deutschlandentsprechend eine obrigkeitliche Perspektive vertreten;unter den Beschlüssen des Eisenacher Kongresses ist zumBeispiel zu lesen:

»Die sozial-demokratische Arbeiter-Partei erstrebt die Er-richtung des freien Volksstaats.« Die sozial-demokratischeArbeiter-Partei betrachtet sich als Zweig der Internatio-nalen Arbeiterassoziation »soweit es die Vereinsgesetzegestatten« usw.

Eine ganz andere Debatte lieferten sich dagegen die De-legierten des spanischen Kongresses in Barcelona. ZumThema Haltung der Internationale gegenüber der Politik

wurde von einer Kommission des Kongresses ein Bericht er-arbeitet, der eine scharfe Staatskritik aus sozialrevolutionä-rer Perspektive enthielt und mit folgendem Resolutionsent-wurf endete:

»In Erwägung:Daß sich das Streben der Völker nach Wohlstand, insofernes sich auf die Beibehaltung des Staates gründet, nichtnur nicht hat verwirklichen lassen, sondern daß dieseMacht ihren Untergang verursacht hat.

Daß Autorität und Privilegien die stärksten Säulen sind,auf die sich diese Sklavengesellschaft stützt, deren aufGleichheit und Freiheit gegründeter Wiederaufbau unszurecht anvertraut ist.

Daß die Organisation der Ausbeutung durch das Kapital,begünstigt durch Regierung oder Staat, nichts anderesals die ewige und immer wachsende Sklaverei ist [...].

Daß jede Beteiligung der Arbeiterklasse an der Regie-rungspolitik der Mittelschicht keine anderen Resultatehervorbringen würde als die Stabilisierung der gegenwär-tigen Ordnung, was die revolutionäre Aktion des Proleta-riats lähmen würde.

[Angesichts dessen] Empfiehlt der Kongreß allen Sektio-nen der Internationalen Arbeiterassoziation, daß sie alsKörperschaft auf jede Tätigkeit verzichten, welche dieUmwandlung der Gesellschaft durch nationale Reform-politik bezweckt, und fordert sie auf, ihre ganze Tätigkeitauf den föderativen Aufbau von Berufskörperschaften zurichten, dem einzigen Mittel, den Erfolg der sozialen Re-volution zu sichern.

Abb: Die Gründungsmitglieder derMadrider Sektion der Internationale (1868/69)

27Berliner anarchistisches Jahrbuch 2010/2011

Diese Föderation ist die wahre Vertretung der Arbeit undmuß sich außerhalb der politischen Regierungen vollzie-hen.«

Die Diskussion über den Kommissionsbericht vermittelteeinen plastischen Eindruck vom Stimmungsbild unter denDelegierten. Ignacio Tapias, Vertreter katalanischer Weber,wandte sich gegen den Kommissionsbericht mit der Argu-mentation, daß sich die Delegierten doch in ihrer ganzenTätigkeit mit Politik beschäftigen würden:

»wenn wir alle politisch handeln und mit allen legalenMitteln die Rechte des Individuums akzeptieren und ver-teidigen, unsere Rechte, welche die Rechte aller sind,warum sollte man dann hier nicht erklären können, daßdie Gesellschaft diejenige Regierungsform unterstützensollte, die uns die meisten Garantien und der Arbeiter-klasse den meisten Schutz bietet? [...] Um nach und nachden Schutz des Staates zu erlangen, ist es notwendig, wieich meine, daß wir Arbeiter an den Kommunal-, Regional-,und darüber hinaus an den Cortes-Wahlen teilnehmenmüssen und dort Arbeiter wählen oder Personen, diewegen ihrer Ideen als Beschützer der Arbeiterklasse be-kannt sind; denn es ist klar, Bürger, daß die Kapitalistenund Privilegierten immer Gesetze zu ihren Gunsten ma-chen werden, in dem Maße aber wie die Arbeiter an derGestaltung dieser Gesetze teilnehmen, werden sie sie si-cherlich zu unseren Gunsten machen. Dies ist der Grund,warum ich glaube, daß wir Arbeiter uns aktiver an denbesagten Wahlen beteiligen müssen.«

José Roca y Galés, ein Veteran der Kooperativbewegung, äu-ßerte ebenfalls seinen Wunsch,

»daß wir politisch handeln, damit wir zu dem Ziel gelan-gen, das sich unsere Vereini-gung vorgenommen hat; es be-steht darin, die Anarchie zuerreichen, eine Nicht-Regierung;zuvor ist es aber für mein Ver-ständnis notwendig, daß dasdemokratische Prinzip zurHerrschaft gelangt, welchesdem Volk die Mittel verschafft,sich zu bilden, damit auf dieseWeise die Anarchie, wenn sieregiert, gut regieren kann.Wißt ihr, was die Anarchie be-deutet, Bürger? Sie bedeutet,daß das Bewußtsein desMenschen allein ausreichenmuß, um sich nach Beliebenregen zu können; keinesfallsUnordnung oder Durchei-nander und soziales Chaos;sie bedeutet Abwesenheiteiner Regierung, weil sie un-nötig ist, und hierfür ist Bil-dung und Moral erforder-lich«.

Enrique Borrel Mateo, einer der fünf Delegierten aus Ma-drid, betonte hierauf die anarchischen Grundlagen der In-ternationale:

»Ich bin erstaunt, daß diejenigen, welche den Staat ver-teidigt haben, die Internationale anerkennen, denn, ob-wohl sie doch ihre Grundlagen kennen und sich mit ihneneinverstanden erklären, haben sie soeben erklärt, daß sieden Staat für die Emanzipation des Arbeiters als notwen-dig ansehen [...]. Ist es möglich, daß der Staat, der seineExistenz auf diese gesellschaftliche Organisation abstützt[...], die Mittel gewähren kann, um jene Emanzipation zuerlangen? Nein. Die privilegierten Klassen machen heuteden Staat aus und sie stützen ihn [...] und ermöglichen di-rekt seine Existenz. Ist es also möglich, in den Staat, derdie Ausbeutung durch die Mittelschicht und die heutigeUnterdrückung gewährleistet, die Hoffnung zu setzen,daß er uns gewährt, daß wir mit Hilfe der Politik dieEmanzipation der Gesellschaft herbeiführen? Ich glaube,daß der Gedanke daran vergebens und unnütz ist. [...]

Nehmen wir einmal an, daß in der politischen Arena einePartei erscheint, die ein sehr radikales Motiv und Zielbraucht, wenn sie aber an die Macht kommt, was ihr wah-res Ziel ist, werden wir sehen, daß sie über die Massenwieder die Oberhand gewinnt. Das zeigt, daß die Arbei-terklasse dauerhaft an einem Übel leidet, das nicht mitHilfe der Politik geheilt werden kann [...]. Wir wollen nichtpolitisch handeln, sondern revolutionär. Wir wollen nichtpolitisch handeln, weil uns die Politik zu nichts Gutemführen kann; eben deswegen wird die Regierung, wennwir sie verteidigen und welche Form sie auch annehmenwird, sei sie in den Händen der privilegierten Klasse, inden Händen der Ober- oder der Mittelschicht, oder sei siein den Händen der Arbeiter, niemals aufhören, eine Re-

gierung zu sein; immer wird das-

Abb: Gründungskongreß der Internationale in Spanien (Teatro del Circo in Barcelona, Juni 1870)

Dokument A 28

selbe passieren wie heute und auch wenn sie in dieHände der Arbeiter übergeht, wird dasselbe passieren,weil die Regierung nicht wird aufhören können, das zusein, was sie ist, nämlich eine Waffe, die gegen die Frei-heit gerichtet ist und die, ob sie von den einen oder denanderen Händen geführt wird, immer Opfer verursachenmuß [...].

Sie glauben, fügen sie hinzu, daß wir an den Kommunal-,Regional-, und Cortes-Wahlen teilnehmen müssen undeiner Arbeiterpolitik folgen müssen. Wie einfältig! Wißtihr, was mit den Abgeordneten passieren wird? Die Arbei-ter im Nationalkongreß erreichen entweder eine Minder-heitenvertretung oder sie erreichen die Mehrheit. Wenndie Arbeiter eine Minderheitenvertretung erreichen, er-weist sie sich als wertlos, denn die Repräsentanten derprivilegierten Klassen haben in ihrer Vertretung die ganzeIntelligenz, alle Privilegien der Sozialwissenschaften undalle Reichtümer zu ihrer Verfügung und werden die Re-präsentanten der Arbeiterklassen, wenn sie sie nicht kau-fen (denn sie lassen sich nicht kaufen), so doch täuschen,weil sie über größere Intelligenz verfügen, und eben des-wegen wird dasselbe passieren wie heute, wo wir einekärgliche Vertretung der Arbeiter haben. Wenn allerdingsdie Vertretung, die ihr erreicht, die Mehrheit hat, wird siesich ebenfalls als unnütz erweisen, denn dann haben wirja bereits die Mittel, um für unsere Prinzipien den Sieg zuerringen, [...] ohne mit der Regierung marschieren zumüssen. (Bravo, bravo.)«

Ramón Solá aus Barcelona wandte hierauf ein:»wir brauchen eine Regierung, die das gewährleistet, wasich bereits erwähnt habe: Vereinigungs-, Versammlungs-und Meinungsfreiheit. Können wir die Idee der Interna-tionale propagieren, wenn uns die Regierung keine Ver-sammlungen gestattet? [...] es ist nötig, daß wir diejenigeRegierung unterstützen, die uns am meisten Raum gibt,Versammlungen durchzuführen, Propaganda zu machenund uns zusammenzuschließen. [...] Ich glaube, daß wirein Verbrechen begehen würden, wenn wir nicht die Re-gierung unterstützen würden, die mit unseren Ideen ein-verstanden ist«.

Antonio Illa, Delegierter der Feinweber aus Manresa undBarcelona, antwortete:

Glaubt ihr, daß irgendeine Regierung uns Schutz bietenwird? Nein, das glaubt ihr nicht; aber wenn dem so ist,wen sollen wir dann um Schutz bitten? Die Regierungwurde schon tausendmal gebeten, aber sie hat nicht ge-antwortet. […] Es ist richtig, daß die Abgeordneten in derMinderheit, die Männer, die wir zu unserer Vertretung de-legiert haben, sich mit unserem Elend befaßt haben müs-sen und fordern sollten, daß unseren Leiden abgeholfenwird; ihr wißt, daß sie uns dessenungeachtet vollkommenvergessen haben, so daß wir zwar das Bedürfnis nachSchutz haben, darum bitten und weiterhin darum bittenwerden, aber niemals Beachtung gefunden haben. Da essich so verhält, daß alle unsere Bitten vergebens sind undniemand uns zuhört, sollen wir dann noch weiter bitten?

Ihr Delegierten, wir müssen dafür sorgen, daß die sozialePropaganda auf der ganzen Welt Beachtung findet, daßVereinigungen geschaffen werden, daß große Massenund starke Zentren der Arbeiter gebildet werden, und eswird der Tag kommen, an dem wir viele und mehr alsgenug sein werden, um die Kräfte unserer Feinde zu ver-nichten und zu zerschlagen: Nur auf diese Weise, alsstarke und widerstandsfähige Kolonne fest zusammen-geschlossen, werden wir uns Gehör verschaffen«.

Zum Schluß ergriff Francisco Tomás Oliver von Palma deMallorca das Wort:

»wissen die Mitglieder der Internationale, was sie zu tunhaben, wenn sie ins Kommunalparlament eintreten? Siehaben die Pflicht, das Kommunalparlament zu vernich-ten; denn wer ein politisches Amt annimmt, hört auf Mit-glied der Internationale zu sein. Wer einen militärischenPosten innehat, zum Beispiel, hört auf Mitglied der Inter-nationale zu sein, außer er vernichtet den Militarismus,denn wir Sozialisten wollen kein stehendes Heer undkeine Art von Militär. Und wer ein Parlamentsmandatübernimmt, glaubt ihr, daß er Mitglied der Internationalebleiben kann? Wenn wir für die vollständige Abschaffungaller Staaten eintreten, glaubt ihr, daß sich ein Mitgliedder Internationale in ein Instrument des Autoritarismusverwandeln kann? Nein, er hat den Staat vielmehr zu zer-stören, und wenn er nicht dazu in der Lage ist, kann undsoll er nicht ins Parlament gehen. Wenn wir die gegen-wärtige Ordnung nicht akzeptieren und sie vernichtenwollen, wie ist es möglich, Mandate in jenem Haus zuübernehmen, das wir vernichten wollen?«

Nach einer äußerst lebhaften und sich über vier Sitzungenerstreckenden Diskussion wurde zur Abstimmung geschrit-ten und der Kommissionsbericht, der sich gegen jede Betei-ligung der Internationale am Parlamentarismus aussprach,mit deutlicher Mehrheit (55 von 74 abgegebenen Stimmen)angenommen.

Der Kongreß verabschiedete ferner Föderationsstatuten undwählte einen Föderalrat mit Sitz in Madrid, dem Morago,Borrel und Lorenzo sowie die Brüder Angel und FranciscoMora angehörten. Alle fünf Föderalratsmitglieder hatten im1868/1869 an den Treffen mit Fanelli teilgenommen undjetzt — nur eineinhalb Jahre später — gehörte die spanischeLandesföderation bereits zu den größten der Ersten Inter-nationale.

Bibliothek der Freien

Eine detaillierte Schilderung der Entwicklung der Ersten Internationale

und des Konflikts zwischen sozialrevolutionären und parteipolitisch-

parlamentarischen Strömungen findet sich in der Neuerscheinung:

Michael Bakunin: Ausgewählte Schriften. Band 6: Konflikt mit Marx. Teil

2: Texte und Briefe ab 1871. Karin Kramer Verlag, Berlin 2011. ISBN 978-

3-87956-342-5 (vorstehender Text ist eine Bearbeitung von S. 181-204

der Einleitung)

29

Was bisher geschahAm 13. Juli 2010 erschienen Beamte des LandeskriminalamtsBerlin in den Buchläden oh21 und Schwarze Risse, sowie imInfoladen M99. Sie durchsuchten die Räume nach den zu-letzt erschienen zwei Ausgaben der Szenezeitschrift Interim(Nr. 713 + 714) und beschlagnahmten die gefundenen Exem-plare und die Computer. Einige der eingezogenen Arbeits-geräte konnten erst nach drei Tagen beim LKA („AbteilungLinksextremismus“) wieder abgeholt werden.

Es war nicht das erste Mal – und nicht das letzte Mal, am19. September und am 26. Oktober 2010 fanden wiederholtDurchsuchungen in den vier Läden statt – dass sich Justizund Polizei Zutritt zu linken Läden und Einrichtungen ver-schafften und diese nach den Zeitschriften Interim, Prisma,Radikal, nach Plakaten, Flugblättern und elektronischenDaten durchsuchten. Innerhalb des letzten Jahres wurdendie Läden von Schwarze Risse fünfmal, der Infoladen M99viermal und der Buchladen oh21 und der Antifa-Laden Fu-sion/Red Stuff zweimal durchsucht. Weiterhin kam es imRahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen der ZeitschriftPrisma zu einer Hausdurchsuchung beim Domaininhaberder Internetseite projektwerkstatt.de und in Folge der staat-lichen Repression zur vorübergehenden Abschaltung der Internetseite durch den Provider JPBerlin.1 Desweiteren wur-den im Zusammenhang mit der Suche nach Verantwortli-chen für die antimilitaristische Webseite bamm.de eine Pri-vatwohnung in Berlin sowie die Serverräume des BerlinerInternet-Providers so36.net durchsucht.2 In München wurdeim Juli 2010 das Kafe Marat durchsucht, um Exemplare derInterim und Radikal zu beschlagnahmen. Bei den meistenRazzien ging es um inkriminierte Zeitschriften. Begründetwurden sie jedes Mal mit dem § 130a StGB „Anleiten zuStraftaten“ in Verbindung mit § 40 WaffenG (Verbotene Waf-fen inklusive des Verbots, solche herzustellen oder zur ihrerHerstellung aufzufordern).3

Buchhandlungen verstoßen gegen das Waffengesetz?Neu an den jüngsten Durchsuchungsbeschlüssen vom 13.Juli ist, dass die Geschäftsführer der jeweiligen Buch- bzw.Infoläden als Beschuldigte aufgeführt werden. Die Staats-anwaltschaft behauptet, die Beschuldigten hätten die Aus-gaben der Interim selbst ausgelegt und seien über den In-halt informiert gewesen. Die Vorwürfe „Aufforderung zuStraftaten“ und „Verstoß gegen das Waffengesetz“ werdennun nicht nur gegen die Redaktion der Zeitschriften, son-dern gegen die Buchhändler erhoben! Buchhändlerinnenund andere Ladenbetreiberinnen sollen verantwortlich ge-

macht werden für den Inhalt der von ihnen vertriebenenSchriftstücke.

Die Staatsanwaltschaft bekräftigte auf Nachfrage eines An-walts, dass es ihr ernst ist mit diesem Vorstoß: Sie strebtein Gerichtsverfahren an, das die bisherige Rechtsprechungrevidieren soll. Diese geht bisher davon aus, dass Buchhänd-ler zu wenig Kontrollmöglichkeiten haben, um die Rechtmä-ßigkeit der Inhalte der von ihnen angebotenen Bücher undZeitschriften zu beurteilen; daher könne ihnen keine „Tat-herrschaft“ zugesprochen werden.

Wir haben es also mit einer politischen Initiative der Staats-anwaltschaft zu tun, die, so sie Erfolg haben sollte, die Mög-lichkeiten zur staatlichen Verfolgung von politischen Gedan-ken und Einstellungen ausweiten wird. So, wie der §130akeine konkrete Tat unter Strafe stellt, sondern die „Anlei-tung“ zu einer solchen schon zur Straftat macht, wird nunversucht, vom bloßen Vorhandensein bestimmter Schrift-stücke auf deren inhaltliche Befürwortung durch die Laden-betreiber zu schließen und diese zu kriminalisieren.

Angeblich – siehe Artikel 5 Grundgesetz – findet eine Zensurnicht statt, dafür aber aktive Verunsicherung und Einschüch-terung, wenn HändlerInnen und LeserInnen nicht wissenkönnen, ob das radikale Blatt, das sie in Händen halten nichtmorgen schon kriminalisiert werden wird, und sie gleich mit 4.

Oliver Tolmein schrieb 1987 anlässlich der Wiedereinführungdes §130a: „Erschwert werden soll dadurch die Selbstver-ständigung der außerparlamentarischen Opposition. Ein öf-fentlicher Meinungsaustausch über Aktionen soll weitge-

Unzensiert lesen!Erklärung zur Durchsuchungswelle in Berliner linken Buch- und Infoläden

1 Auf der Seite war eine PDF-Datei mit Ausschnitten der Zeitschrift eingestellt.2 Auf der Seite bamm.de, die bei SO36.NET gehostet ist, war ein Flyer eingestellt, der zum "Schampussaufen" beim Tod von Bundeswehrsoldaten aufrief.3 Im Fall der antimilitaristischen Internetseite sowie einem antimilitaristischen Flyer wurden die Maßnahmen mit "Volksverhetzung" begründet und eine Durchsuchung

im Antifa-Laden Red Stuff wg. des Blockadeaufrufs gegen den Naziaufmarsch in Dresden mit "Aufruf zu Straftaten".4 Es gibt noch andere Methoden der Zensur, wenn z.B. linke Publikationen - wie aktuell wieder das Gefangenen Info - mit Anzeigen wegen Verleumdung und ähnlichem

überzogen werden und sie zu Geldstrafen verurteilt werden, die ihre Existenz gefährden.

Dokument A 30

hend verhindert und zugleich der Anschein, es werde Zen-sur geübt, umgangen werden. So verordnet man Selbstzen-sur.“

„Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm eine Ende setzt.“ Karl Kraus

Es geht der Staatsanwaltschaft aber nicht nur um eine ge-richtliche Verurteilung. Ob sie mit ihrem Schuldkonstrukt vorGericht Erfolg haben wird, ist auch ungewiß.

Wie im Fall des §129a – „Bildung einer terroristischen Verei-nigung“ – haben wir es beim §130a mit einem sogenanntenErmittlungsparagraphen zu tun, dessen Zweck nicht zuletztdarin besteht die Szene zu durchleuchten, indem er u.a. dieStaatsanwaltschaft dazu ermächtigt, Läden, Computer undWohnungen durchsuchen zu lassen.

Schon hier ist das Ziel die Abschreckung. Allein die Drohung,radikale Teile der linken Opposition zu kriminalisieren, solldas Umfeld entsolidarisieren und Spaltungsprozesse för-dern. Es war nie das Ziel der Durchsuchungen und Beschlag-nahmungen, bestimmte Zeitschriftenausgaben möglichstvollständig aus dem Verkehr zu ziehen. Denn an vielenOrten, an denen die inkriminierten Publikationen vermutetwerden könnten, ist die Polizei offiziell nicht aufgetaucht.Linke Buchläden aber sind Schnittstellen zwischen der brei-ten Öffentlichkeit und linken Strömungen und Subkulturen.Dadurch provozieren sie die staatlichen Repressionsorgane.Sie werden angegriffen, um Berührungsängste zu verbreiten.

Für die Buchhandlungen bedeuten Durchsuchungen, be-schlagnahmte Computer und gerichtliche Auseinanderset-zungen zudem Extrakosten und Extraarbeit. Wir gehendavon aus, dass dieser ökonomische Druck die Bereitschaftder Buchhandlungen fördern soll, als vorgelagerte Zensur-behörde für Szeneveröffentlichungen zu agieren.

Die einschüchternde Wirkung der Durchsuchungen magsogar um so stärker sein, je dürftiger ihre Anlässe sind - undje häufiger sie achselzuckend und ohne öffentliche Reaktio-nen hingenommen werden.

„Man darf im sehr späten Kapitalismus fast alles sagen oderdenken, aber nichts tun.“ Dietmar Dath

Die politisch motivierte strafrechtliche Verfolgung linkerGruppen und Publikationen als Gewalttäter bzw. -blätterfällt auf den extremismustheoretisch genährten Boden. Als„extremistische Gefahr“ werden Linke mit Rechten gleich-gestellt und auf ein polizeiliches Problem für "die Mitte" derGesellschaft reduziert.

In diesen Kontext passt auch die vom Tagesspiegel-Journa-listen Hasselmann verfaßte Meldung zu den Durchsuchun-gen am 13. Juli 2010: „Nachdem Interim die Anleitung fürden Bau einer Bombe gebracht hatte, durchsuchten Beamtedie Redaktion. Auch gegen einen rechtsextremen Online-Versand in Marzahn ging die Polizei vor.“

In den beschlagnahmten Zeitschriften wurden u.a. Anleitun-gen zum Bau eines Molotow-Cocktails, eines Brandsatzesund eine Erklärung zu einem Anschlag auf einen Geldauto-maten veröffentlicht. Vorgeblich sind es solche Anleitungenzu Gewalttaten, die Polizei und Justiz auf den Plan rufen. Aber Bauanleitungen für Molotowcocktails und Brandsätzesind in Zeiten des Internets nicht unter Verschluss zu halten,indem ein paar Zeitungen einkassiert werden.

Die Dingfestmachung der gedruckten Exemplare soll viel-mehr der Selbstdarstellung der Polizei als Kämpfer gegen„linke Gewalt“ Glaubwürdigkeit und Dramatik verleihen. DieFokussierung auf „Gewalt“ ist seit jeher das Mittel, um links-radikale Kritik und Praxis als Verbrechen zu diffamieren.

„Gewalt“ wird vom Staat äußerst selektiv verfolgt. KeinStaatsanwalt schreitet ein, wenn die bürgerlichen Medienoder ein bürgerlicher Funktionär wie Thilo Sarrazin die Ge-sellschaft zur Gewalttätigkeit anleiten, indem sie Chauvinis-mus, Rassismus und sozialen Hass schüren.

Was ist ein Bekennerschreiben zu einem Anschlag auf einenBankautomaten gegenüber einem System, das in immermehr Bereichen, der Arbeit, der Schule, den Behörden undden Medien die Angst regieren lässt, mit Zwang den StatusQuo im Inneren aufrecht erhält, mit Krieg Außenpolitikmacht und sich auf Kosten von Menschenleben das wach-sende Elend der Welt vom Leib hält?

Ob eine Äußerung als „Anleitung zu Straftaten“ oder „Volks-verhetzung“ verstanden und verfolgt wird, hängt immer we-niger von ihrem Inhalt ab, und immer mehr von dem Kon-text, in dem diese Aussage getroffen wird. Die heutigeGesellschaft hat für umstürzlerische Reden und Schriftenetwas übrig, solange sich der Radikalismus auf die kulturel-len Spielwiesen der Feuilletons, der Theater- und Kongress-säle beschränkt. Radikale Kritik an den Verhältnissen wirddort zugelassen, wo niemand Ernst damit macht, diese Ver-hältnisse abzuschaffen.

An Orten aber, an denen aus Worten und Stimmen eine or-ganisierte Kraft werden könnte, ist die Repression zur Stelle.

Linke Buchläden vertreiben Bücher, Broschüren und Flug-blätter, die die politischen Verhältnisse analysieren, kritisie-ren und Handlungsoptionen diskutieren – aus unterschied-lichen Perspektiven, aber mit dem Ziel einer radikalenVeränderung der Gesellschaftsordnung.

Dafür sollen sie kriminalisiert werden. Von diesem Krimina-lisierungsversuch müssen sich alle betroffen fühlen, „dienicht einverstanden sind, und es auch noch wagen wollten,ihr Mißfallen öffentlich kundzutun.“ (O. Tolmein)

Wir lassen uns nicht einschüchtern und wir werden unsnicht selbst zensieren!Verteidigen wir unabhängige und unkontrollierte Medien! Für eine militant demokratische linke Öffentlichkeit!

M99, oh21, Schwarze Risse, September 2010

31Berliner anarchistisches Jahrbuch 2010/2011

Dokument A 32

Die Anarchistische Gruppe Neukölln gründete sich im Herbst2010. Ein wichtiger Grund war auch das Bedürfnis unsereverschiedenen Erfahrungen, die wir in Initiativen, Gruppenund anderen Zusammenhängen an verschiedenen Orten ge-sammelt haben, zu diskutieren und gemeinsam für die Per-spektive einer herrschaftsfreien und solidarischen Gesell-schaft zu streiten.

Die Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Glauben, Ge-schlecht, Sexualität, körperlicher oder geistiger Behinde-rung lässt sich mit unseren Grundsätzen nicht vereinbaren.Wir werden gegen diese Formen der Unterdrückung desMenschen durch den Menschen vehement kämpfen.

Es gilt eine basisdemokratische Organisierung voran zu trei-ben. Wir lehnen es ab politische Verantwortung von untennach oben zu delegieren, wir halten nichts von Parteien undanderen autoritären Organisationsmodellen. Wir lehnenHierarchie und Bevormundung ab. Stattdessen setzen wirauf Selbstbestimmung und Solidarität.

Wir lehnen das staatliche Gewaltmonopol in seiner Gesamt-heit ab. Wir sind der Meinung, dass soziale Bewegungen diefür eine befreite Gesellschaft kämpfen, also gegen die herr-schende Ordnung, nicht um Erlaubnis zu bitten brauchen.Genauso wenig wie Gefangene die Aufsehenden bitten wür-den, ausbrechen zu dürfen. Dabei können und wollen wiruns nicht auf einen richtigen Weg festlegen, wir wollen unsunsere Wege offen halten.

Wir wollen festhalten, dass wir die bestehenden Verhält-nisse nicht reformieren wollen, wir sind uns jedoch der Dia-lektik zwischen Reform und Revolution bewusst. Für die Ver-besserung unserer Lebensbedingungen zu kämpfen unddiese Ziele auch durchzusetzen, sehen wir als Voraussetzun-gen für die Umgestaltung der Gesellschaft. Die Art undWeise Auseinandersetzungen zu organisieren, wird uns zei-gen, ob wir auf dem richtigen Weg sind, denn nur aus denKämpfen, die wir führen, können wir auch lernen.

Uns ist es dabei wichtig, Diskussionen über die eigenenlinksradikalen Szenekreise hinaus anzustoßen und diese so-lidarisch zu führen. Schließlich geht es uns um nichts gerin-geres als „…alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen derMensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes,ein verächtliches Wesen ist” (Karl Marx)

Es ist an der Zeit, die Dinge nicht länger hinzunehmen wiesie sind! Organisiert euch in Stadtteilgruppen und Initiati-ven, sprecht mit euren Nachbar_innen und Arbeitskolleg_innen. Lasst uns zusammen Bildungsreisen, Veranstaltungs-reihen, Seminare, Workshops, Infoveranstaltungen sowieDemonstrationen, Happenings, Gassenküchen und andereAktionen organisieren. Selbstorganisierte und öffentlicheStrukturen zur politischen Organisierung und zum solidari-schen Austausch gilt es auszubauen und um viele Aspekteunseres täglichen Lebens zu erweitern!

Dieser Text soll nicht unser abschließendes Selbstverständ-nis darstellen, jedoch unsere derzeitige Diskussionsgrund-lage. Der Inhalt dient dazu sich ein grobes Bild unsererGruppe zu machen, über Kritik und Anregungen freuen wiruns. Wenn ihr Interesse bekommen habt, euch näher überuns zu informieren oder mit uns zusammenzuarbeiten, mel-det euch einfach!

Im Internet findet ihr uns aufwww.choque.org sowie auf http://lunte.indymedia.org/agnper Mail könnt ihr uns unter [email protected] erreichen!

Anarchistische Gruppe Neukölln

* Spanisch: Fragend schreiten wir voran!

Preguntando caminamos! *

Communiqué zur Gründung der Anarchistischen Gruppe Neukölln

33Berliner anarchistisches Jahrbuch 2010/2011

Dokument A 34

In einer Zeit, in der kontinuierlich immer weitere Knäste ge-baut werden, Terror-Panik und Sicherheitshysterie geschürtwird, die soziale Kontrolle unsere gesamten Lebensbereicheumfasst und härtere und längere Haftstrafen gefordert wer-den, kommen wohl nur wenige Menschen auf die Idee, Ge-fängnisse und deren Institution radikal in Frage zu stellenund diese abschaffen zu wollen.

Die Geschichte von Knästen und die der Einsperrung alsStrafmaßnahme in der Form, wie wir sie heute kennen, istkeine 250 Jahre alt. Sie ist Teil einer sich entwickelnden bür-gerlichen Gesellschaft und eines kapitalistischen Systems –keinesfalls aber der Weisheit letzter Schluss.

Gefängnisse standen seit ihrer Einführung dafür, gesell-schaftliche Konflikte wegzusperren und unliebsame Teileaus der Gemeinschaft zu isolieren und verschwinden zu las-sen. So waren die ersten, die in Zuchthäusern, den quasiVorgängerinnen von Gefängnissen, verschwanden und zuArbeit gezwungen wurden, vermeintliche Bettler_innen,„umherstreifendes Gesindel“, Alkoholiker_innen,, „arbeits-scheue Menschen“, so genannte „sittlich verwahrloste

Frauen“ und Sex-Arbeiterinnen. Nebendem wirtschaftlichen Interesse, welcheshinter diesen Einrichtungen stand undfür deren Vollbelegung sorgte, waren esimmer auch strukturelle Macht- und Ge-waltverhältnisse wie beispielsweiseAlter, Herkunft, Gender, soziale Schicht,die bestimmten, wer potenziell eher imKnast landete als andere. Mit der Fokus-sierung auf das Eigentum und dem

wachsenden Interesse einer be-stimmten Schicht daran, dieses si-

chern zu wollen, landeten im Laufeder Zeit immer mehr Menschen aufGrund von Eigentumsdelikten in denGefängnissen. So machen heute De-likte, die direkt oder indirekt mit Eigen-tumsverhältnissen zu tun haben, 90Prozent der Inhaftierungsgründe aus,dazu werden Gefängnisse privatisiertund Inhaftierte zu Arbeiten für Hunger-löhne für den freien Markt gezwungen.

Knäste sind keine Lösung für gesell-schaftliche Konflikte. Strukturelle

Gewaltverhältnisse sind integra-ler Bestandteil der Gesellschaft,

in der wir leben und Knäste sind

eben ein Teil davon. All zu oft jedoch werden diese Gewalt-verhältnisse ausgeklammert oder nur in beschränkter Weisebenannt. Abschottung vor Flüchtlingen, Gewalt in der Fami-lie, Polizeigewalt, Knast, Arbeitszwang sind nur einige For-men von gesellschaftlich legitimierter Gewalt, teils in Ge-setze gegossen, teils akzeptiert oder hingenommen.

Seit vielen Jahren gibt es an Silvester in Berlin eine Demons-tration zum Knast in Moabit, um den Inhaftierten dort –stellvertretend für alle Gefangenen – zu zeigen, dass sienicht allein und vergessen hinter den grauen Mauern weg-gesperrt sind. Dieses Jahr wollen wir bereits am Nachmittageine Kundgebung vor dem Abschiebeknast Grünau abhal-ten. Diese Einrichtung steht exemplarisch für die rassisti-sche Praxis des deutschen Staates und seiner Abschiebema-schinerie. Völlig grundlos – lediglich besitzen sie keinendeutschen Pass – werden hier Menschen teils über Monatehinweg unter schlimmsten Bedingungen isoliert und einge-sperrt, um schließlich in andere Länder abgeschoben zuwerden.

An diesem Tag wollen wir auch Dennis J. und Oscar Grantgedenken. Beide wurden vor zwei Jahren von schießwütigenBullen getötet. Dennis starb in den Abendstunden des 31.Dezember 2008 in Schönfließ bei Berlin, nur wenige Stun-den später Oscar Grant in den frühen Stunden des 1. Januar2009 in Oakland, Kalifornien in den USA. Die beiden stehenan diesem Tag symbolisch für viele weitere, die durch Ku-geln der Repressionsorgane ihr Leben verloren haben undtagtäglich mit Polizeigewalt auf den Strassen konfrontiertsind.

Reißen wir die Mauern ein, die uns trennen!Freiheit für alle!

Von Grünau bis Moabit…Dynamischer Silvestertag gegen alle Arten von Knästen und eine Gesellschaftder Einsperrung und Ausgrenzung!

35Gruppenporträts

Gegründet wurde der A-Laden (Anarchistischer Laden Berlin) im No-vember 1987 von der AnarchistischenStudentInnen Initiative (AStI, seit 1984),der Projekt A-Gruppe Berlin und frei-schwebenden AnarchistInnen aus FAU,GWR und anderen Zusammenhängen.

ACHTUNG! Der A-Laden ist seit 11/2006 von Moabit nachBerlin-Mitte umgezogen.

Neue Adresse:A-LADEN / Freie Kultur Aktion e.V.Brunnenstr. 7D-10119 Berlin (Mitte)Öffnungszeiten: jeden Donnerstag von 18:00 bis 22:00 Uhr(mindestens; außer an Feiertagen) und nach AbspracheVeranstaltungen:http://venyoo.de/user/events/1627/fkaev?mVerkehrsanbindung: U-Bahnhof Rosenthaler Platz (100 m)sowie diverse Busse und Tram.Telefon: Festnetz 030 - 228 052 37Telefon mobil 0176 - 204 594 18 (nur während Büchertisch-Einsatz oder Ähnlichem)Bei original (!) O2-Handy-Anschlüssen (0176 / 0179) und insgesamte Festnetz können wir aus der Homezone kostenloszurückrufen! (d.h. aus dem A-Laden)Internet:www.A-Laden.org [last update 12.2007 - relaunch in Arbeit]www.myspace.com/aladenberlinE-Mail:[email protected] oder [email protected] oder [email protected]

Seid realistisch: Fördert das Unmögliche!Spendet was das Zeug hält!Konto-Nr. 489 767 107 · BLZ 100 100 10Postbank BerlinFreunde der direkten Aktion (FddA)(Die monatlichen nackten Fixkosten des A-Ladens betragen z.Zt. 300 Euro !)

Der A-Laden soll in den kommenden Jahren zum modernenanarchistisch-libertären Kompetenz- und Medienzentrumausgebaut werden und somit einer zeitgemäßen Aufgabegerecht werden. Dafür fehlen bisher noch die Mittel. Daherist der Weg das Ziel und wir arbeiten perspektivisch weiter.

Das Konzept der anarchistischen Dezentrale bleibt weiter indem Sinn aktuell, als der A-Laden sich als Knoten- und Ver-netzungspunkt versteht, der undogmatisch PROpagandis-tisch eine libertäre Lebensauffassung in die Stadt Berlin,Umland und darüber hinaus ausstrahlen und die weitge-hende Unwissenheit über die Ideenwelt des politischenAnarchismus vermindern soll.

Die räumlichen Möglichkeiten (jetzt 43 qm, ehemals 105 qm)geben eine Funktion als auch libertärer Stadtteilladen nichtmehr her und das Konzept des libertären Infoladens hat sichdurch die neue gesellschaftliche Kommunikationskultur

größtenteils überlebt – nur sinnvolle Aspekte davon werdenweiterverfolgt. Auch unser umfangreiches Archiv wird nocheinzudampfen sein (u.a. durch Digitalisierung und Weiter-gabe). Daher besinnt sich der Anarchistische Laden Berlinauf seine Kernkompetenzen und bietet Informationen, Kon-takte und ReferentInnen zu verschiedenen libertären The-men an.

Monatlich finden mindestens zwei A-Laden-Veranstaltungenunter dem Label „ALEx“ (A-Laden Experience) in der nahenKulturschankwirtschaft BAIZ ( www.baiz.info ) und zusätz-lich z.T. anderswo statt, neuerdings auch mal im A-Ladenselbst. Seit 11/2006 ca. 75 Veranstaltungen. Jährlich im Au-gust versacken auch wir im schwarzen Sommerloch: keineVeranstaltungen, A-Laden aber auf!Auf Absprache machen wir einen anarchistischen Lese-abend im A-Laden, bei dem wir uns nach Lust & Laune einenText schnappen und beiläufig beim rundum Lesen diskutie-ren (Termine wechselnd: auf Anfrage).Demnächst wollen wir versuchen auch mal mehrtägige Se-minare zu einem Thema anbieten.

Zudem betreiben wir seit Jahren die anarchistische szenen-übergreifende Terminplattform „Das TerminAtor“ für Berlinund Umland (www.terminAtorberlin.wordpress.com) – neu-eingerichtet, zur Zeit (1/2010) noch under construction undwegen Geldmangel vorläufig out of print. Ebenfalls underconstruction, aber in der vorhandenen Version 12/2007 nochonline, ist www.A-Laden.org, die zu einem interaktiven A-Wikiausgebaut werden soll. Hiermit gibt es auch aktuell Aktua-lisierungsprobleme, weil 12/2007 unser Freund und GenosseUli gestorben ist, der den Kram gemanaged hat … Ersatzals admin haben wir bisher noch nicht gefunden.Zusätzlich finden sich unsere Termine nebenwww.squat.net/stressfaktor auch auf venyoo.de und beiwww.myspace.com/aladenberlin, sowie in verschiedenenProgrammplattformen und –zeitschriften.

Mit der direkten Nachbarschaft zu den Vereinsräumlichkei-ten des „Subversiv“ im ehemals besetzten Hauskomplex undseinen 80 BewohnerInnen fühlen wir uns gut aufgehobenund eingebunden in den erkämpften Freiraum einer inter-nationalen alternativen Gemeinschaft.Der A-Laden hält, zum Teil engen, Kontakt zu den weitausmeisten anderen libertären Gruppen Berlins.

Die Anarchistische Gruppe Neukölln grün-dete sich im Herbst 2010. Ein wichtigerGrund war auch das Bedürfnis unsere ver-schiedenen Erfahrungen, die wir in Initiati-ven, Gruppen und anderen Zusammenhän-

gen an verschiedenen Orten gesammelt haben, zudiskutieren und gemeinsam für die Perspektive einer herr-schaftsfreien und solidarischen Gesellschaft zu streiten.

Im Internet findet ihr uns auf:www.choque.org sowie auf http://lunte.indymedia.org/agnper Mail: [email protected] erreichen!

36 Dokument A

Anarchist Black Cross Berlin ist ein anar-chistischer Zusammenschluss von Indivi-duen, welche sich seit einigen Jahren zu-sammengefunden haben und von einemgemeinsamen Hass gegen diese kapitalis-tische Gesellschaft und deren Formen desWegsperrens geprägt sind. Unser Schwer-punkt liegt primär in der Unterstützung

anarchistischer und sozialer Gefangener, tendenziell vonallen Gefangenen die sich gegen diese Gesellschaft der Aus-beutung und Vereinzelung wehren und ihren Kampf mitemanzipatorischen Inhalten füllen. Allerdings wollen wirweder eine reine „Gefangenen-Unterstützungs“-Gruppe sein,noch eine, die sich nur mit politischen Gefangenen beschäf-tigt, weil wir generell alle Knäste, Abschiebeknäste und jeg-liche Zwangsanstalten ablehnen: Sie sind keine Lösung fürsoziale Konflikte, welche aus der aktuellen Organisierungder Gesellschaft entstehen. Auf Grund dessen ist es unswichtig Antiknastarbeit zu machen, um zu verdeutlichen,wieso Zwangsanstalten besser Baulücken sein sollten.Durch die Herausgabe einer drei-monatlichen Zeitung (der„Entfesselt“), in Form von Flyern und Broschüren, die Orga-nisierung von Aktionen wie Kundgebungen und Demos vorKnästen, von Infoveranstaltungen zum Thema Knastkritikund über Gefangene usw., versuchen wir in der Szene undim Rest der Gesellschaft bestimmte Diskussionen zu provo-zieren oder weiter zu führen. Wir versuchen auch Antirepres-sionsarbeit in einen Kontext zu stellen, indem es darumgeht, dass es nicht nur, wenn ein §129a gegen uns angewen-det wird, es wichtig ist Antirepressionsarbeit zu machen,sondern dass dies immer mit der Infragestellung des ge-samten Knastsystems verbunden werden muss. Die Ab-schaffung aller Zwangsanstalten sehen wir nur innerhalbeines Prozesses, der die gesamten aktuellen Zustände um-wirft. Für eine Gesellschaft ohne Knäste!

Anarchist Black Cross Berlinc/o M99, Manteuffelstrasse 99, 10997 Berlinwww.abc-berlin.net · [email protected]

AnarMedia – Anarchistische Medien-gruppeUnser Ziel ist es, durch das Veröffent-lichen von preiswerten anarchisti-schen Broschüren, anarchistischeIdeen in den Alltag zu bringen.

Das momentane System der Ungleichheit, in dem wir allegezwungen sind zu leben, wird so lange existieren, wie derGroßteil der Arbeiter_innen und Armen in der Bevölkerungglauben, dass es gerecht sei und das bestmögliche, oderkeine Alternative dazu sehen. Die Aufgabe derAnarchist_innen ist es, sie davon zu überzeugen, dass eseine realistische bessere Möglichkeit zum bestehenden Sys-tem gibt. Aus diesem Grund gibt es die Anarchistische Me-dien Gruppe.Die AMG sieht ihre Aufgabe darin, den Armen und den ar-beitenden Menschen im deutschsprachigen Raum bezahl-bare anarchistische Literatur zur Verfügung zu stellen. KeineIdee hat irgendeinen Sinn, wenn sie nicht auf den prakti-schen Erfahrungen von Menschen beruht und diese positivbeeinflusst. Unsere Handlungen und Aktionen sind der Ver-such, den Klassenkampf zu beeinflussen. Dies tun wir alsgleichberechtigte Menschen, nicht als „Führer“ oder „Avant-garde“. Wir wollen nicht im Namen der Arbeiter_innen undArmen die Macht ergreifen – um am Ende die neue herr-schende Elite zu werden.Stattdessen fordern wir jeden auf, ihre eigenen Kämpfe undZusammenhänge direkt und vollständig selbst zu bestim-men, zu organisieren und ihre eigenen Entscheidungen zutreffen. Als Anarchist_innen versuchen wir, den Klassen-kampf um Verbesserungen und Reformen innerhalb des ka-pitalistischen Systems in eine offen revolutionäre Bewe-gung mit dem Ziel, dass momentane System zu ersetzen, zuentwickeln und auszuweiten – während wir gleichzeitig denalltäglichen Kampf um anarchistische Prinzipien führen.Indem wir uns an den Arbeitsplätzen und in den Kiezen or-ganisieren, werden wir uns in die Lage versetzten, Kontrolleüber unser eigenes Leben zu gewinnen und uns mit anderenzu verbinden, statt als Individuen isoliert zu sein, und da-durch eine Macht aufbauen, die die Ungerechtigkeiten desverstümmelnden Kapitalismus bezwingen und eine Weltaufbauen kann, die auf Solidarität, Gleichheit, Freiheit undsozialer Gerechtigkeit beruht.Der Kampf wird lang und hart werden, aber er ist es wert.Wir von der AMG widmen unsere Arbeit dem Ziel, eine Be-wegung zu entwickeln, die diese neue Welt erzeugen wird.

Es gibt eine ganze Welt zu gewinnen

www.anarmedia.info

Als kommunistische Anarchist_innen inNeukölln haben wir, Anarchist_Innen ausdeinem Kiez , ein breites Arbeitsfeld. Dersozialrevolutionäre Kampf steht im Vor-dergrund unserer Arbeit.

Die Unterstützung von Inhaftierten, Begleitung bei Gerichts-prozessen, Organisieren von Hilfen zu Repressionskostenüber Solikonzerte und -tresen, Veranstalten von Demonstra-tionen, Organisieren von Anti-Nazi-Protesten und Infoveran-staltungen sind weitere Felder unserer Arbeit. Desweiterenversuchen wir die Theorie des Anarchafeminismus zu ver-breiten und praktisch anzuwenden.Zur Vernetzung anarchistisch geprägter Gruppen stellen wiruns eine plattformistische Organisationsform vor (frei nachder „Organisationsplattform libertärer Kommunisten – einEntwurf“).

„AnadU“ ist die Abkürzung von „AnarchistInnen aus deinerUmgebung“. Einfacher Name – einfache Idee. AnadU ist eineGruppe von Menschen, die im Berliner Bezirk Kreuzbergleben und sich deshalb genau hier für eine Wiederbelebungder anarchistischen sozialen Konzepte und Ideen einsetzen.So soll die freie anarchistische Gesellschaft wieder an Rea-lität gewinnen.

Die anarchistische Föderation Berlin(AFB) organisiert sich als hierarchiefreierBund anarchistisch orientierter Gruppenund einzelner Freund_Innen der Anarchieauf Grundlage von Freiwilligkeit und Ge-meinsinn. Voraussetzung dafür sind Of-fenheit, Transparenz und Kommunikation,sowie kontinuierliche Reflexion.

Die AFB besteht nun seit fast fünf Jahren. Im Laufe dieserZeit sind einerseits die Menschen, die in der AFB tätig sind,zu einer stabilen Gruppe zusammengewachsen. Gleichzeitighat es sowohl von innen als auch von außen immer wiederFragen nach dem „F“ in AFB gegeben. Das „F“ steht für „Fö-deration“. Doch ist die AFB eine Föderation? Will sie einesein? Auf einem Strukturtreffen im Mai 2010 hat sich die AFBmit diesen Fragen auseinandergesetzt und Entscheidungengefällt.

So wurde beschlossen, durch Veränderung der Struktur derAFB eine „Basis-Struktur“ zu bilden. Das bedeutet konkret,dass sich Gruppen aus dem Umfeld der AFB wie die Anar-chistische Radiogruppe Berlin, die Bildungsgruppe und dieGruppeX sowie B.O.N.E. in der AFB föderiert (bzw. assoziiert)haben.

Wir hoffen, die sich entwickelnden neuen Strukturen könnendie föderierenden Gruppen in ihrer Arbeit unterstützen,ihren Austausch und das gemeinsame Nutzen von Ressour-cen erleichtern und so auch für andere Gruppen interessantwirken. Was uns dabei umtreibt, ist auch der Wunsch anar-chistische Strukturen, die über die Größe von einzelnenGruppen oder Projektzusammenschlüssen hinausgehen, auf-

zubauen sowie anarchistisches Organisieren von umfang-reichen und komplexen Strukturen, wie es Grundlage vonanarchistischen Gesellschaften sein könnte, in der Praxis zuerproben und weiter zu entwickeln.

Büro: Anarchistische Föderation Berlin (afb)New Yorck · Mariannenplatz 2a · 10997 Berlin Offenes Plenum: 1. Sonntag des Monats 16 Uhr [email protected] · afb.blogsport.de

Gruppen und Projekte der AFB:

Bildungsgruppe und GruppeX über die AFB-Adresse erreichbar

B.O.N.E.Lese- und DiskussionsgruppeWeb: www.bone-net.deE-Mail: [email protected] im New Yorck im Bethanien: 1. Mittwoch im Monat

Anarchistische Radiogruppe BerlinWeb: aradio.blogsport.de/E-Mail: [email protected]

Anarchistischer Stammtisch· Jeden 2. Donnerstag im Monat in der Tempest Library:

Reichenbergerst. 63a (Kreuzberg)· Jeden 4. Dienstag im Monat im Café Morgenrot:

Kastanienallee 85 (Prenzlauer Berg)

Schwarz-bunte Seiten Berlin:Web: www.schwarz-bunte-seiten-berlin.org/E-Mail: [email protected]

Gruppenporträts 37

Das Kollektiv Abolishing the Borders from Below gibt seit2001 ein gleichnamiges anarchistisches Journal in englischerSprache heraus. Das Magazin berichtet über, kommentiertund analysiert verschiedenste soziale, politische und kultu-relle Ereignisse in Osteuropa aus anarchistischer Perspek-tive und wird weltweit verkauft. Eine der Hauptintentionendes Projekts ist, eine bessere Kommunikation und Vernet-zung zwischen verschiedenen anarchistischen Gruppen, Or-ganisationen und Individuen in Europa und der Welt zu er-möglichen und anzuregen, aber auch, im westlichen RaumInteresse an sozialen Kämpfen, Graswurzelinitiativen undder allgemeinen Situation in Osteuropa zu wecken. Über dieZeitschrift hinaus organisiert das Kollektiv verschiedene So-lidaritätsaktionen, Informationsveranstaltungen und kultu-relle Events und nimmt Teil an lokalen wie auch globalenKämpfen gegen jede Art von Unterdrückung und für einefreie Gesellschaft. ABB ist ein Kollektiv, das ursprünglich vonin Berlin lebenden anarchistischen MigrantInnen aus Ost-Europa begründet wurde; inzwischen aber sind dort auchMigrantInnen aus anderen Teilen der Welt aktiv ebenso wieeinige deutsche AktivistInnen.

[email protected]

Das Anarchistische In focafe will Im-pulse geben, wie eine herrschaftsfreieGesellschaft aussehen könnte undWege zu ihrer Umsetzung aufzeigen.

Dazu bietet es die Möglichkeit, emanzipative Ideen und Ak-tionen vorzustellen, herrschaftskritische Bewegungen invergangenen und heutigen Zeiten zu untersuchen und sonicht nur unsere Vorstellungen von einer herrschaftsfreienGesellschaft zu hinterfragen, sondern auch Organisierungs-und Aktionsformen vorzustellen. Zusammen mit anderenGruppen sind wir Teil des Hausprojekts NewYorck59 und ar-beiten gemeinsam an der Gestaltung eines selbstverwalte-ten sozialen, kulturellen und politischen Zentrums im Betha-nien von unten.Wir machen regelmäßig jeden 2. und 4. Montag im MonatVeranstaltungen und vegane Vokü. Ab 18:00 Uhr gemeinsa-mes Kochen zum mitmachen und kennenlernen. Essen undVeranstaltungen dann ab 20 Uhr.

Anarchistisches CaféNew Yorck im Südflügel vom BethanienMariannenplatz 2a · 10997 Berlinanarchistischescafe.blogsport.deE-Mail: a-infocafé@riseup.net

Dokument A 38

Das Libertären Stadtmagazin berichtet über Wohnprojekte,selbstorganisierte Betriebe, demokratische Schulen, Stadt-teilräume und antiautoritäre Kinderläden in Berlin undBrandenburg und über einiges mehr.Beim LiS können alle mitmachen, die sich mit den Idealender Herrschaftsfreiheit und Selbstorganisation identifizie-ren, also auch du.

Libertäres Stadtmagazin Berlin (LiS)Zwille – TU-Berlin, Z-Gebäude, 3. OGFasanenstr. 1 · 10623 Berlin-Charlottenburgwww.stadtmajazin.de

Als Gruppe hat sich die NEA-North EastAntifascists im Sommer 2007 formiert.Den Anstoß für diesen Schritt war die Dis-kussion darüber, wie sich linksradikale Po-litik in den Berliner Bezirken Weißensee,Prenzlauer Berg und Pankow wieder

sichtbarer gestalten lässt. Nicht dass es gerade in dieser Ge-gend nicht schon eine Vielzahl an Gruppen gäbe, nur bleibenhier auch viele der bestehenden Strukturen hinter ihren Mög-lichkeiten zurück und auch die Thematisierung anderer Miss-stände außer „Nazis“ bleibt arg auf der Strecke. Um dem Fort-schritt in den Sattel zu helfen, arbeiten wir seitdemtheoretisch und praktisch in den verschiedenen linken undlinksradikalen Aktionsfeldern. Der Streit über Begrifflichkei-ten und ideologische Befindlichkeiten sind für uns nicht sowichtig, dafür sind wir und dazu ist die radikale Linke in derBRD gesamtgesellschaftlich zu unbedeutend. Selbst verste-hen wir uns als radikal und emanzipatorisch. Dass wir unse-ren Platz in diesem Heft gefunden haben, lässt allerdingsschon tief blicken, wessen Geistes Kind wir sind. Staatsapo-logeten und Nationenfreunde wird mensch bei uns schwerfinden. Einen Staatskapitalismus wie er im Ostblock lange exis-tierte, als Alternative zum Kapitalismus ist für uns z.B. nicht sodas Gelbe vom Ei.

Die Basisorganisierung z.B. im Räteprinzip schmeckt uns we-sentlich mehr. „Libertär“ als bindende politische Selbstdefi-nition zwischen den Anarchist_Innen und Kommunist_Inneninnerhalb der Gruppe ist daher etwas allgemein, aber auchsehr treffend. Wir stehen ein für eine Welt fernab von Kapi-talismus und für eine solidarische und befreite Gesellschaft,ohne Konkurrenz und Leistungsdruck sowie Verwertungs-zwang.

Anarchism & Libertarian Communism – One-way ticket to freedom!

NEA-North East Antifascistsc/o Buchladen Schwarze RisseKastanienalle 85, 10435 Berlinnea.antifa.de · [email protected]

Seit Dezember 1993 gibt es eineanarchistische Bücherei in Berlin, zu-nächst unter dem Namen BARBATA,seit August 1996 als Bibliothek d erFreien. Ziel der Bibliothek ist es, Publikationen zur anarchistischen

Theorie und Praxis der interessierten Öffentlichkeit zugäng-lich zu machen und auf diese Weise zur Kenntnis der liber-tären Ideen beizutragen, deren Relevanz und Aktualität ge-rade in Deutschland noch immer unterschätzt wird. UnsereBibliothek umfasst mehr als 3000 Bücher und Broschüren zuGeschichte und Gegenwart des internationalen Anarchis-mus, ca. 500 aktuelle und verblichene libertäre Zeitschriften-titel sowie einen Archivbereich. Zur Beratung steht währendder Öffnungszeiten immer jemand zur Verfügung. Am letz-ten Freitag im Monat findet in der Bibliothek jeweils eineVeranstaltung (z.B. Lesung, Vortrag, Diskussion) zu libertä-ren Themen statt.

Öffnungszeiten: freitags 18 – 20 Uhr und nach Vereinbarung Veranstaltungen in der Regel am letzten Freitag im Monat.

Bibliothek der Freien Anarchistische Bücherei im Haus der DemokratieGreifswalder Str. 4, 2. Hof, Raum 110210405 Berlin-Prenzlauer BergInternet: www.bibliothekderfreien.de E-Mail: DieFreien@BibliothekderFreien

Die Anarchosyndikalistische Jugend Berlin ist eine von der anarchosyndikalis-tischen Freien ArbeiterInnen Union (FAU)unabhängige Organisation. Wir streben jedoch, wenn möglich undnützlich, eine enge Zusammenarbeit mitihr an.

Wir als SchülerInnen, Auszubildende, StudentInnen und Ju-gendliche mit oder ohne Arbeit können uns nur selbst ausunserer miserablen Lage befreien. Wir brauchen keinen derüber unsere Köpfe hinweg entscheidet. Deswegen setzenwir auf eine solidarische Selbstverwaltung. Die Mittel zumErreichen dieses Zustandes wählen wir selbst. Sie reichenvon Informationsveranstaltungen bis hin zu Direkten Aktio-nen und Streiks. Wir sind kreativ und können auf jede Situa-tion flexibel eingehen. Wichtig ist nur, dass sich die Mitglie-der aktiv einbringen.

Anarchosyndikalistische Jugend BerlinPlenum jede Woche Dienstags 18.00 Uhr FAU-Lokal Lottumstraße 11 10119 Berlin(U2 Rosa-Luxemburg-Platz / U8 Rosenthaler-Platz)http://asjberlin.blogsport.de/

39Berliner anarchistisches Jahrbuch 2010/2011

At first glance, Tempest isan anarchist library consis-ting of books and pam-phlets combining history,theory and practice in avariety of languages. The

books are available to borrow whilst the pamphlets are freeto take away. The library was first born from the desire to not be limitedby language. The project has developed in the year that ithas been open and continues, with modest attempts, tobring the ideas contained within its small space out into therealities of daily life. It is a place to meet, discuss and orga-nise; to exchange ideas and act together or individually. Thiscan encompass a myriad of activities, from discussions andreading groups to taking to the streets and acting upon ourimmediate reality.Here is a quick overview of what has been going on at Tem-pest since we moved to our new location in June 2010…Discussions have included 'The Question of Organisation'with some members of FAU, a series of events around thetheme of 'Work and Capital', and open meetings relating tothe project as a whole. Films relating to struggles againstprison and work have been screened, as well as info eventson the recent repression in Chile and the long running anti-Castor campaign. The space has been used by variousgroups such as a radical reading group, AFB and a transla-tion collective. Of course, all of this is not to overshadow thefour days a week on which the library is open to read, dis-cuss and relax.

Open: Tues 4–8pm, Thursday 4–8pm, Friday 2–6pm, Sunday 2–6pmReichenberger Strasse 63a · 10999 Berlin-Kreuzbergtempestlibrary.wordpress.comtempestlibrary@yahoo.de

In der Solidarität von Unten - SvU finden sichKlassenkampf-AnarchistInnen zusammen,um dem politischen Perspektivmangel inder so genannten linksradikalen Szene Ber-lins entgegenzuwirken.

Uns frustriert das unklare Anarchismusverständnis inner-halb der Szene, und wir halten das elitäre Verhalten einigeragierender Gruppen und Individuen für kontraproduktiv undunangebracht.Wir sind der Meinung, um eine Welt zu schaffen, die auf denanarchistischen Prinzipien von Kooperation, Solidarität,Gleichheit und Freiheit basiert, bedarf es zielgerichteterIdeen für den Weg dorthin.Ebenso wie es greifbarer Konzepte dafür bedarf, wie einesolche Welt organisiert und gestaltet sein könnte.Gemeinsam und organisiert gegen Kaptalismus, Krieg,Armut, Herrschaft und Unterdrückung!Wir streben die Zusammenarbeit mit allen BerlinerAnarchist Innen an, die wie wir die Notwendigkeit sehen,klare Konzepte und gemeinsame Aktionen zu erarbeiten.

www.solivonunten.org

Die Freie ArbeiterInnen Union (FAU-IAA) ist eine anarcho-syn-dikalistische Selbstorganisation von ArbeiterInnen mit demZiel einer herrschaftsfreien, auf Selbstverwaltung begrün-deten Gesellschaft. Wir Anarcho-SyndikalistInnen haben dieherrschaftsfreie, auf Selbstverwaltung begründete Gesell-schaft als Ziel. Die Selbstbestimmung in allen Lebensberei-chen ist die grundlegende Idee des Anarcho-Syndikalismus.Daher lehnen wir die Organisation unserer Interessen inzentralistisch aufgebauten Organisationen ab, da diese stetsMachtkonzentration und Hierarchie bedeuten. Weder soll,noch kann mensch mit StellvertreterInnen- Politik wie siez.B. von reformistischen Gewerkschaften, Parteien und Kir-chen betrieben wird, unsere Interessen durchsetzen.

Dagegen sind wir direkt und indirekt lohnabhängigen Men-schen für Selbstorganisation in unabhängigen Betriebs-,Branchen und Ortsgruppen. Diese sind bundesweit (in derFAU) und international (in der IAA - Internationale Arbeite-rInnen Assoziation) zusammengeschlossen.

Zur Durchsetzung unserer Ziele und Forderungen dienen unssämtliche Mittel der Direkten Aktion, wie z. B. Besetzungen,Boykotts, Streiks etc. Im Gegensatz dazu lehnen wir die par-lamentarische Tätigkeit in jeglicher Form ab. Mit dieser Artvon Organisation verbinden wir die Möglichkeit, Vereinze-lung und Perspektivlosigkeit aufzuheben und so für eine re-volutionäre Veränderung auf freiheitlicher Grundlage zukämpfen.

Da die Macht und die Stärke des kapitalistischen Systemsin der privaten bzw. staatlichen Verfügungsgewalt über dieProduktionsmittel und in der tagtäglichen Ausbeutung derarbeitenden Klasse begründet sind, ist der ökonomische Be-reich der Hauptansatzpunkt für den antikapitalistischenKampf.

Revolutionäre Arbeit in den Betrieben trifft den Kapitalis-mus nicht nur in seinen Erscheinungsformen, sondern anseiner Wurzel. Diese Arbeit kann nur erfolgreich sein, wennin allen gesellschaftlichen Bereichen gleichzeitig revolutio-näre Arbeit geleistet wird, da alle Kämpfe in einer Wechsel-beziehung zueinander stehen.

FAU BerlinLottumstraße 1110119 Berlin(U2 Rosa-Luxemburg-Platz / U8 Rosenthaler-Platz)fon: +49 (0) 30 287 008 04fax: +49 (0) 30 287 008 13faub(a)fau.org · www.fau.orgOffenes Büro: Freitags 16 – 20 Uhr