Individuum - Gruppe - Gesellschaft - Raum. Raumsoziologische Perspektivierungen einiger...

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17 Individuum – Gruppe – Gesellschaft – Raum Raumsoziologische Perspektivierungen einiger (provinzieller) HA.tj-a-Bürgermeister des Neuen Reiches 1 Johannes Auenmüller (FU Berlin) e article attempts to study the regionally and functionally separated social group of the HA.tj-a-mayors of the New Kingdom from a spatial-sociological perspective. After an introduction on spatial theory, the location of their tombs is discussed. Subsequently the connection between space and action and its thematization in the medium of text will be demonstrated by two examples. 1. Vorbemerkungen: Raum als Konzept Der Titel der folgenden Ausführungen enthält die drei zentralen thematischen Begriffe des MAJA-Workshops Individuum – Gruppe – Gesellschaft, ist aber um einen vierten Aspekt erweitert, den des Raumes. Dieser Terminus ließe sich nach einer partiellen inhaltlichen Transformation auch voranstellen, um das vierte Schlüsselwort Sozialisationen zu ersetzen. So ergäbe sich Verräumlichungen: Individuum, Gruppe, Gesellschaft. Sofort stellt sich die Frage nach dem Zweck dieser Übung. Dies ist ein ganz pragmatischer, wie sich zeigen wird: Die Beschäftigung mit Gesellschaft(en), Gruppen und Individuen ist aus den verschiedensten wissenschaftlichen Blickwinkeln unter Bezug auf einerseits fachtraditionelle, andererseits soziologische oder kultur- anthropologische Konzepte breit in der wissenschaftlichen Textproduktion verankert. 2 Wie sieht es aber mit dem Begriff des Raumes als analytische Kategorie aus? Es steht doch außer Frage, dass bestimmte räumliche Bedingungen und Kontexte konkrete Handlungen und Reaktionen hervorrufen, ermöglichen, determinieren oder verhindern können. 3 Es sind die physisch-mate- riellen, symbolischen oder imaginierten Räume, welche die Menschen – und um solche dreht 1 Ich möchte Alexandra Verbovsek, Gregor Neunert und Kathrin Gabler für die Einladung nach München und die Möglichkeit, einige Gedanken dort zur Diskussion stellen zu können, danken. Dem Excellenzcluster TOPOI gilt für die finanzielle Förderung meines Promotionsvorhabens Dank, wäh- rend Stephan J. Seidlmayer besonderer Dank für die kritische Begutachtung dieses Textes und seine stete Diskussionsbereitschaft geschuldet ist. 2 Als kleine Auswahl seien genannt: J. Lustig (Hg.), Anthropology and Egyptology. A Developing Dialogue, MMArch 8, Sheffield 1997; N. Alexanian, Social Dimensions of Old Kingdom Mastaba Architecture, in: Z. Hawass (Hg.), Egyptology at the Dawn of the Twenty-first Century. Proceedings of the Eighth Inter- national Congress of Egyptologists Cairo 2000, Vol. 2: History, Religion, Kairo 2003, 88–96; S. J. Seidl- mayer, People at Beni Hassan: Contributions to a Model of Ancient Egyptian Rural Society, in: Z. Hawass / J. Richards (Hgg.), e Archaeology and Art of Ancient Egypt. Essays in Honor of David B. O’Connor, CASAE 36/2, Kairo 2007, 351–368; G. Neunert, Mein Grab, mein Esel, mein Platz in der Gesellschaft. Prestige im Alten Ägypten am Beispiel Deir el-Medine, Manetho 1, Berlin 2010. 3 Vgl. M. Löw, Raumsoziologie, Frankfurt a. M. 2001; M. Schroer, Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raumes, Frankfurt a. M. 2006; J. Dünne / S. Günzel (Hgg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2006; M. Schroer, „Bringing Space Back in“ – Zur Relevanz des Raums als soziologischer Kategorie, in: J. Döring / T. ielemann

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Individuum – Gruppe – Gesellschaft – Raum

Raumsoziologische Perspektivierungen einiger (provinzieller) HA.tj-a-Bürgermeister des Neuen Reiches1

Johannes Auenmüller (FU Berlin)

The article attempts to study the regionally and functionally separated social group of the HA.tj-a-mayors of the New Kingdom from a spatial-sociological perspective. After an introduction on spatial theory, the location of their tombs is discussed. Subsequently the connection between space and action and its thematization in the medium of text will be demonstrated by two examples.

1. Vorbemerkungen: Raum als Konzept

Der Titel der folgenden Ausführungen enthält die drei zentralen thematischen Begriffe des MAJA-Workshops Individuum – Gruppe – Gesellschaft, ist aber um einen vierten Aspekt erweitert, den des Raumes. Dieser Terminus ließe sich nach einer partiellen inhaltlichen Transformation auch voranstellen, um das vierte Schlüsselwort Sozialisationen zu ersetzen. So ergäbe sich Verräumlichungen: Individuum, Gruppe, Gesellschaft. Sofort stellt sich die Frage nach dem Zweck dieser Übung. Dies ist ein ganz pragmatischer, wie sich zeigen wird: Die Beschäftigung mit Gesellschaft(en), Gruppen und Individuen ist aus den verschiedensten wissenschaftlichen Blickwinkeln unter Bezug auf einerseits fachtraditionelle, andererseits soziologische oder kultur-anthropologische Konzepte breit in der wissenschaftlichen Textproduktion verankert.2 Wie sieht es aber mit dem Begriff des Raumes als analytische Kategorie aus? Es steht doch außer Frage, dass bestimmte räumliche Bedingungen und Kontexte konkrete Handlungen und Reaktionen hervorrufen, ermöglichen, determinieren oder verhindern können.3 Es sind die physisch-mate-riellen, symbolischen oder imaginierten Räume, welche die Menschen – und um solche dreht

1 Ich möchte Alexandra Verbovsek, Gregor Neunert und Kathrin Gabler für die Einladung nach München und die Möglichkeit, einige Gedanken dort zur Diskussion stellen zu können, danken. Dem Excellenzcluster TOPOI gilt für die finanzielle Förderung meines Promotionsvorhabens Dank, wäh-rend Stephan J. Seidlmayer besonderer Dank für die kritische Begutachtung dieses Textes und seine stete Diskussionsbereitschaft geschuldet ist.

2 Als kleine Auswahl seien genannt: J. Lustig (Hg.), Anthropology and Egyptology. A Developing Dialogue, MMArch 8, Sheffield 1997; N. Alexanian, Social Dimensions of Old Kingdom Mastaba Architecture, in: Z. Hawass (Hg.), Egyptology at the Dawn of the Twenty-first Century. Proceedings of the Eighth Inter-national Congress of Egyptologists Cairo 2000, Vol. 2: History, Religion, Kairo 2003, 88–96; S. J. Seidl-mayer, People at Beni Hassan: Contributions to a Model of Ancient Egyptian Rural Society, in: Z. Hawass / J. Richards (Hgg.), The Archaeology and Art of Ancient Egypt. Essays in Honor of David B. O’Connor, CASAE 36/2, Kairo 2007, 351–368; G. Neunert, Mein Grab, mein Esel, mein Platz in der Gesellschaft. Prestige im Alten Ägypten am Beispiel Deir el-Medine, Manetho 1, Berlin 2010.

3 Vgl. M. Löw, Raumsoziologie, Frankfurt a. M. 2001; M. Schroer, Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raumes, Frankfurt a. M. 2006; J. Dünne / S. Günzel (Hgg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2006; M. Schroer, „Bringing Space Back in“ – Zur Relevanz des Raums als soziologischer Kategorie, in: J. Döring / T. Thielemann

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sich ja das ägyptologische Interesse an Individuen, Gruppen und Gesellschaft(en) – vorfinden, die sie ausfüllen, die sie sich angeeignen, in denen sie agieren und die sie damit gleichsam neu produzieren und transformieren.

Raum ist also eine fundamentale Kategorie zum Beschreiben und Verstehen soziologischer und kultureller Tatbestände, wobei er unter bestimmten theoretischen Vorzeichen als eine der Bedingungen dafür anzusehen ist, dass Individuen, Gruppen und Gesellschaft(en) überhaupt sozial existieren und agieren.4 An dieser Stelle ließe sich jedoch gleich der Einwand formulie-ren, dass Raum – gerade in der Wahrnehmung seiner physisch-materiellen Dimension als Be-dingung – doch dann kein analytisches Instrument mehr darstelle, welches Aussagen anthro-pologischer Art ermöglichen würde. Nun, hier gilt es jedoch zu erkennen, dass Raum eben nicht immer einfach so da ist, sondern ohne Ausnahme sozialen und kulturellen Produktionsprozessen unterworfen ist.5 Gerade auch der physisch-materielle Raum wird von diesen stärker determi-niert als das in der Alltagswahrnehmung eine bewusste Rolle spielt, und er kann immer nur kulturspezifisch erfahren, erlebt und konstruiert werden. Die daraus resultierenden kulturell distinkten Denkmuster, Verhaltensweisen und Wahrnehmungen bezüglich des Raumes bilden sich im Kontext von Sozialisationen heraus6 bzw. werden durch mimetisches Verhalten ange-nommen und inkorporiert7 und sind dann letztendlich für die vom Raum aus perspektivierte Analyse von Individuen, Gruppen und der jeweiligen Gesellschaft als fundamental einzuschät-zen. An dieser Stelle wird auch die Beziehung evident, die zwischen dem Thema Sozialisationen und Raum vorhanden ist, da eine jegliche Sozialisation nicht von ihm abgekoppelt verstanden werden kann, da sie in kulturelle Kontexte, soziale Rahmenstrukturen und auch physisch-geo-grafische Bedingungen eingebettet ist. Diese drei Aspekte lassen sich schließlich metaphorisch als die verschiedenen Räume bezeichnen, die einen vierten Aspekt, den Handlungsraum, her-vorbringen.8 Mit diesen Überlegungen soll dem Begriff des Raumes jedoch keineswegs eine wissenschaftliche Oberhoheit zuerkannt werden, indem z. B. die symbolischen Konzepte der Zeit,9 des Textes,10 und des Bildes11 ungebührend vernachlässigt werden, sondern lediglich auf-gezeigt werden, dass der Raumbegriff gerade aus soziologischer Perspektive eine analytische und deskriptive Relevanz besitzt. Im Folgenden sollen also einige Gedanken dazu vor dem

(Hgg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008, 125–148.

4 Vgl. M. Schroer, „Bringing Space“, 132–135. Vgl. dazu z. B. auch G. Simmel, Über räumliche Projektionen sozialer Formen, in: J. Dünne / S. Günzel, Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2006, 304–315.

5 H. Lefebvre, The Production of Space, Malden 1991; P. Bourdieu, Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum, in: M. Wentz (Hg.), Stadt-Räume, Frankfurt a. M. 1991, 25–34.

6 D. Geulen, Das vergesellschaftete Subjekt. Zur Grundlegung der Sozialisationstheorie, Frankfurt a. M. 1988.

7 G. Gebauer / C. Wulf, Mimesis: Kultur – Kunst – Gesellschaft, Reinbek 1992. 8 B. Werlen, Gesellschaft, Handlung und Raum. Grundlagen handlungstheoretischer Sozialgeographie,

Stuttgart 1997. 9 P. Sorokin / R. K. Merton, Social Time: A Methodological and Functional Analysis, in: American Journal

of Sociology 42 (1937), 615–629; N. Elias, Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie II, Frankfurt a. M. 1984.

10 C. Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Symbole, Frankfurt a. M. 1987; D. Bachmann-Medick (Hg.), Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft, Tü-bingen 2004; J. Assmann, Kulturelle und literarische Texte, in: A. Loprieno (Hg.), Ancient Egyptian Lite-rature. History and Forms, PdÄ 10, Leiden 1996, 59–82.

11 H. Belting, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001.

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Hintergrund der altägyptischen Kultur zur Diskussion gestellt werden, gleichwohl wissend, damit dieses Feld nur oberflächlich anzureißen.12

2. Raum und Territorialität

Daher gilt es, diese skizzierten Gedanken für eine ägyptologische Auseinandersetzung frucht-bar zu machen. Im Kontext des Themas des MAJA-Workshops dürfte klar werden, welchen Beitrag eine raumsoziologische Betrachtung zu leisten im Stande ist. Es soll hier ein exem-plarischer Versuch unternommen werden, einige ausgewählte Repräsentanten einer distink-ten sozialen und funktionalen Gruppe unter diesen Gesichtspunkten zu kontextualisieren, die der gesellschaftlichen Elite des Neuen Reiches angehören und eine spezifische Verortung im geografischen Raum aufweisen: die HA.tj-a-n-Stadt NN. Deren Pflichten und Funktionen sind vergleichsweise gut bekannt,13 sodass eine erneute Aufzählung hier unterbleibt. Vorher bedarf es jedoch noch einer kurzen Bestimmung des Begriffes der Territorialität, da dieser zen-trale Terminus die inhaltliche und konzeptionelle Brücke zwischen Individuum, Gruppe und Gesellschaft und Raum schlägt.Das Konzept der Territorialität, das implizit in ägyptologischen Arbeiten zum Imperialismus,14 zu Grenzziehung und Ausdehnung des ägyptischen Staates,15 zur Zentrum-Provinz-Differenz,16 zu Urbanisierungsprozessen17 und zu siedlungsgeografischen Fragestellungen18 eine wesent-liche Rolle spielte, wurde unlängst durch zwei Arbeiten von Silvia Lupo in die ägyptologi-sche Diskussion explizit eingeführt.19 Im Kontext der territorialen Aneignung von Raum am Beispiel der königlichen Nekropolen und Pyramidenstädte des Alten Reiches versteht sie Territorialität als Mittel, Raum durch zentral gelenkte Projekte zu okkupieren und ihn durch

12 Der Verfasser bereitet in Berlin, gefördert durch das Excellenzcluster „TOPOI – The Formation and Trans-formation of Space and Knowledge“, eine Dissertation mit dem Arbeitstitel „Die Territorialität der ägyp-tischen Eliten des Neuen Reiches“ vor, welche die hier angerissenen Gedankengänge auf breiterer Basis diskutiert.

13 W. Helck, Zur Verwaltung des Mittleren und Neuen Reiches, PdÄ 3, Leiden 1958, 194–245.14 B. J. Kemp, Imperialism and Empire in the New Kingdom Egypt (c. 1575–1087 B.C.), in: P. Garnsey (Hg.),

Imperialism in the Ancient World, The Cambridge University Research Seminar in Ancient History, Cam-bridge Classical Studies, Cambridge 1978, 7–57; P. J. Frandsen, Egyptian Imperialism, in: M. T. Larsen (Hg.), Power and Propaganda. A Symposium on Ancient Empires (University of Copenhagen, 19th–21th September 1977), Mesopotamia (C) 7, Kopenhagen 1979, 167–190.

15 J. M. Galán, Victory and Border. Terminology Related to Egyptian Imperialism in the XVIIIth Dynasty, HÄB 40, Hildesheim 1995, 101–160; A. B. Kootz, Der altägyptische Staat. Untersuchung aus politikwis-senschaftlicher Sicht, Menes 4, Wiesbaden 2006, 168–182.

16 R. Bussmann, Die Provinztempel von der 0. bis zur 11. Dynastie. Archäologie und Geschichte einer gesell-schaftlichen Institution zwischen Residenz und Provinz, PdÄ 30, Leiden 2010.

17 D. O’Connor, The Geography of Settlement in Ancient Egypt, in: P. J. Ocko / R. Tringham / G. W. Dimbleby (Hgg.), Man, Settlement and Urbanism. Proceedings of a Meeting of the Research Seminar in Archaeology and Related Subjects Held at the Institute of Archaeology, London University, London 1972, 681–698.

18 S. J. Seidlmayer, Der Beitrag der Gräberfelder zur Siedlungsarchäologie Ägyptens, in: E. Czerny / I. Hein / H. Hunger / D. Melman / A. Schwab (Hgg.), Timelines. Studies in Honour of Manfred Bietak, OLA 149/1, Leuven 2006, 309–316.

19 S. Lupo, Territory and Territoriality in Ancient Egypt. An Alternative Interpretation for the Early Dynastic and Old Kingdom Periods, in: GM 214 (2007), 71–83; S. Lupo, Territorial Appropriation during the Old Kingdom (XXVIIIth–XXIIIrd Centuries BC): The Royal Necropolises and the Pyramid Towns in Egypt, BAR 1595, Oxford 2007.

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staatliche Kontrolle von Menschen und Ressourcen zu formen. In dieser Konzeption wird der altägyptische Staat als Macht-Raum verstanden, der eine Gesellschaft in all ihren Facetten und räumlichen Aspekten umschließt und kontrolliert. Sieht man den Staat also als die räumliche Materialisierung einer Gesellschaft an, in der die staatskonstitutiven Elemente wie Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsmacht vorhanden sind, so trifft der Begriff der Territorialität direkt in den Kern dieser Definition. Damit wäre einer der drei MAJA-Grundbegriffe Gesellschaft schon aus einer räumlichen Warte perspektiviert.

Dieser staatlichen Territorialität steht u. a. die individuelle Territorialität gegenüber, die eine Perspektivenumkehr vollzieht, welche auf die Wahrnehmung von und den Umgang mit Raum durch Individuen und nicht durch äußere Kontrollsysteme abhebt. Primär stammt diese Verwendung der Vokabel aus der Verhaltensbiologie, wo sie sich auf die Absteckung, Kontrolle und Verteidigung eines Reviers durch bestimmte Tierarten bezieht, die solche Verhaltensweisen an den Tag legen.20 In der Psychologie ist das Konzept der Territorialität ebenso weit verbreitet: So beschäftigt man sich hier mit der Frage, wie Menschen ihre privaten und beruflichen Räume abgrenzen, gliedern, individualisieren und kontrollieren.21 Welchen kulturellen, sozialen und temporalen Faktoren der menschliche Lebensraum unterliegt, wurde in der skandinavischen Soziologie der späten 70er Jahre in den Blick genommen, indem individuelle Bewegungsprofile in mehrdimensionalen Karten abgetragen wurden, wobei sich die Aktionsradien – um mit Pierre Bourdieu zu sprechen – je nach Art und Volumen des Kapitals, der Kapitalstruktur und der sozialen Laufbahn der jeweiligen Person individuell ausgeprägten, und sich somit ein räum-licher Ausdruck sozialer Strukturen darstellen ließ.22 Von geografischer Seite wird Territorialität mit einem dezidierten Fokus auf den physisch-materiellen Raum in der Definition von Robert D. Sack wie folgt konzeptualisiert: „Territoriality is a means of affecting (enhancing or impe-ding) interaction and extends the particulars of action by contact. Territoriality is defined (...) as the attempt to affect, influence, or control actions, interactions, or access by asserting and attempting to enforce control over a specific geographic area.“23

In den kurz referierten Definitionen von Territorialität dominiert der Aspekt der Raumkontrolle. Doch genau diese Ebene soll im Folgenden nicht das zu fokussierende Element darstellen, da sie sich in der Perspektive auf Einzelpersonen oder soziale Gruppen im ägyp-tischen Material zwar auch, aber nicht vordringlich ausdrückt. Vielmehr wird Territorialität als Oberbegriff für verschiedene Aspekte verstanden, die ein mehrdimensionales begriff-liches Netz umfassen, welches aus den Elementen der Raummarkierung, Raumnutzung, Raumdurchdringung und Raumwahrnehmung besteht. Davon ausgehend lassen sich vier analytische Dimensionen der Territorialität, die sich strukturell und inhaltlich ergänzen bzw. wechselseitig in unterschiedlichem Maß aufeinander einwirken, für unseren Zweck formulie-ren: 1. Die archäologisch-geografische Dimension beinhaltet die Idee, den Aktionsradius bzw. die

20 W. H. Burt, Territoriality and Home Range Concepts as Applied to Mammals, in: Journal of Mammalogy 24/3 (1943), 346–352.

21 I. Altman, Territorial Behavior in Humans: An Analysis of the Concept, in: C. Pastalan / D. H. Carson (Hgg.), Spatial Behavior of Older People, Ann Arbor 1970, 1–24; M. J. Stillmann, Territoriality and Per-sonal Space, in: American Journal of Nursing 78/10 (1978), 1670–1672.

22 B. Lenntorp, Paths in Space-Time Environments. A Time-Geographic Study of Movement Possibilities of Individuals, Lund Studies in Geography, Ser. B, Human Geography 44, Lund 1976; P. Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1982.

23 R. D. Sack, Human Territoriality: A Theory, in: Annals of the Association of American Geographers 74/1 (1983), 55–74, bes. 55. Vgl. auch R. D. Sack, Human Territoriality: Its Theory and History, Cambridge 1986.

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Bewegungsprofile einzelner Personen und die Verbreitung und Verortung sozialer Gruppen im geografischen Raum Ägyptens zu fassen. 2. Die praxeologische Dimension versucht, diese archäologischen Belege in Handlungs- und Aktionskontexte – den Handlungsraum – einzu-betten. 3. Die soziologische Dimension beschreibt die soziale und funktionale Differenzierung der Individuen als determinierenden Faktor auf die Aktionsradien und die von ihnen ausge-führten Handlungen. 4. Die kognitive Dimension nimmt die Parameter der Wahrnehmung des Raumes in den Blick, die anhand der gerade erwähnten Dimensionen und der reichen textli-chen Überlieferung ermittelbar sind.

3. Die Bürgermeister des Neuen Reiches im Raum: Verteilung und Gräber

Nach dieser theoretischen Einführung soll die geografische Dimension der Territorialität der HA.tj-a-Bürgermeister als soziale Gruppe in den Blick genommen werden, die als Repräsentanten des staatlichen Machtgefüges in ihren jeweiligen Regionen die administrative Kontrolle des Raumes innehatten. Die folgende Liste weist nach, mit welchen Ortschaften solche Funktionäre im Neuen Reich assoziiert sind, ohne auf einzelne Belegzeiträume oder die Art der Quellen einzugehen.24 Im Großraum des Nildeltas sind Behbeit El-Hagar25, Sile, Bubastis, Athribis, MAa.tj26 und Heliopolis zu nennen. Im Bereich des ägyptischen Niltals sind für Memphis, Tura, Atfih, Meidum, das Fayum, Gurob, Herakleopolis, 4gr-n-AanAynA27, Spermeru, Hardai, Nefrusi, Amarna, Assiut, Schashetep, Pr-Mw.t,28 Qau El-Kebir, Djarucha,29 Achmim, Thinis, Abydos, Hu, Koptos, Naqada, Theben-Ost und West, Armant, Esna, Elkab, Hierakonpolis, Edfu, Kom Ombo und Elephantine Bürgermeister nachgewiesen. Das nubische Niltal ist mit den Orten Aniba, Faras, Buhen, Sai, Soleb und Kawa vertreten, während für die Oasen Dachla und Kharga, Baharija und Kurkur30 im Neuen Reich ebenfalls Bürgermeister belegt sind. Anhand dieser Liste lässt sich eine regelmäßige Verteilung über das gesamte ägyptische Einflussgebiet erkennen, die bestimmt ist durch die großen Metropolen und provinziellen Zentren im ägyptischen und nubischen Niltal, aber auch durch einige abseits liegende Orte der westlichen Wüste. Doch nicht nur die seit dem Alten oder Mittleren Reich existierenden Zentralorte, sondern auch kleinere Ortschaften wie MAa.tj in der Region um Memphis, 4gr-n-AanAynA südlich des Fayum und auch die Kurkur-Oase weisen, wenn auch in chronologisch streuenden Einzelbelegen, die administrative Position eines HA.tj-a nach. Für die Region südlich des Fayum mit den Ortschaften Spermeru und Hardai sind nur durch die Daten des pWilbour einige HA.tjw-a bekannt.

Diese Verteilung im geografischen Raum lässt sich durch eine eigentliche archäologische Perspektive substantiieren, indem in Abb. 1 alle Orte kartiert sind, an denen sich ein Grab

24 Eine Vorstellung und Diskussion aller Belege und Personen mit entsprechender Literatur wird in der im Abschluss befindlichen Dissertation des Verfassers („Die Territorialität der ägyptischen Eliten des Neuen Reiches“) im Kapitel zur territorialen Typologie der HA.tjw-a des Neuen Reiches gegeben werden.

25 R. W. Smith / D. B. Redford, The Akhenaten Temple Project I: Initial Discoveries, ATP 1, Warminster 1976, 119–120, Abb. 19:15; Tf. 55.

26 Zu dieser Ortschaft vgl. C. Zivie, Giza au deuxième millénaire, BdE 70, Kairo 1976, 301.27 A. H. Gardiner, The Wilbour Papyrus. Commentary, London 1948, 49; 138, §85; 146, §155.28 A. H. Gardiner, Ancient Egyptian Onomastica. Text, Vol. II. Oxford 1947, 62*–64*.29 M. Gabolde, La statue de Merymaât gouverneur de Djâroukha (Bologne K.S. 1813), in: BIFAO 94 (1994),

261–275.30 J. C. Darnell, A Stela of the Reign of Tutankhamun from the Region of Kurkur Oasis, in: SAK 31 (2003),

73–91.

22 Johannes Auenmüller

eines HA.tj-a-Bürgermeisters nachweisen lässt.31 Schon mit einem flüchtigen Blick auf das kar-tierte Ergebnis lässt sich erkennen, dass eine sehr enge Verbindung zwischen dem Ort der Amtsausübung eines solchen Funktionärs und dem Ort der Bestattung dieser Person vorhanden ist, die sich auch im Sinne eines Begräbnisses am Geburts- bzw. Heimatort verstehen ließe.32 Besonders in den Randgebieten wie Nubien und der Oase Baharija ist dieser Bezug evident. Anhand dieser räumlichen Verteilung kann einer der Hauptaspekte der Territorialität dieser sozialen Gruppe, nämlich ihre direkte räumliche Anbindung an die verwaltete Stadt und ihr Territorium, die sich in Gestalt eines in der lokalen Elitenekropole angelegten Grabes mani-festiert, definiert werden. Wenn man sich in dieser Kartierung die Orte vergegenwärtigt, von denen auch in der Ramessidenzeit Gräber dieser sozialen Gruppe bekannt sind – es sind dies Heliopolis, Memphis/Saqqara, Gurob, Herakleopolis/Sedment, Qau El-Kebir, Theben-Ost und Theben-West und Aniba –, dann lässt sich erkennen, dass in dieser Zeitschiene eigentlich nur die großen Metropolen und Provinzzentren aufscheinen. Die Assoziierung von Bürgermeistern mit den ägyptischen Hauptstädten wie Memphis und Theben ist an sich trivial, doch dass kein thebanischer Amtsträger jenseits von Theben, jedoch mindestens zwei memphitische Bürgermeister in Theben bestattet sind, ist zumindest auffällig.33

4. Die (provinziellen) Bürgermeister und Theben: Sonderfälle

Nicht nur Funktionäre aus Memphis, sondern auch einige Bürgermeister anderer Städte und Siedlungen haben sich während der 18. und 19. Dynastie in Theben-West ein Grab errichten lassen (Tab. 1). Mit Ausnahme von Sile (Tell Hebua) ist zu jeder ihrer Städte ein Gräberfeld des Neuen Reiches mit elitärer Belegung bekannt,34 welches sie wie einige ihrer Amtskollegen hätten nutzen können (Abb. 1). Was sind also die Gründe für die Bestattung dieser Individuen in Theben, warum weichen sie vom Nexus zwischen Grab und Funktionsort ab? Dabei müssen zunächst ihre weiteren Titel betrachtet werden mit der Frage, ob sich eine spezifische funktio-nelle Verbindung zu einer religiösen oder königlichen Institution in Theben erkennen lässt.35 In einigen Fällen liegen tatsächlich solche Zusammenhänge vor, in anderen Fällen wie bei Mn-xpr und Jmn-Htp, der lediglich das Epitheton Hsy-n-Jmn-Ra „Begünstigter des Amun-Re“ trägt, ist die Relation nicht offenkundig. Beide Bereiche, die königlichen Institutionen und die Verwaltung des thebanischen Amuntempels, sind vertreten, wobei es scheint, dass der Bezug zum König tendenziell überwiegt.36 Ob dieses Faktum allein für die Wahl der thebanischen Nekropole als Begräbnisplatz verantwortlich gemacht werden kann, ist zu bezweifeln. Vielleicht handelt es sich ja auch nicht um eine Wahl im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern eher um ein Privileg, welches der König einigen seiner verdienten Beamten gewährte.37

31 Vgl. die Einzelbelege in der im Abschluß befindlichen Dissertation des Verfassers „Die Territorialität der Ägyptischen Eliten des Neuen Reiches“.

32 Vgl. die allgemeine Charakterisierung in A. Dodson / S. Ikram, The Tomb in Ancient Egypt. Royal and Private Sepulchres from the Early Dynastic Period to the Romans, London 2008, 23–29.

33 B. Geßler-Löhr, Bemerkungen zur Nekropole des Neuen Reiches von Saqqara vor der Amarnazeit II: Grä-ber der Bürgermeister von Memphis, in: OMRO 77 (1997), 31–71.

34 J. Malek, Nekropolen. New Kingdom and 3rd Int. Period, in: LÄ 4 (1982), 427–440.35 Hier sind nur einige wenige ausgewählt, die entweder einen Bezug zum König oder zu Theben enthalten

mögen.36 Zu den jeweiligen Titeln vgl. W. Helck, Verwaltung, passim.37 Vgl. D. Polz, Bemerkungen zur Grabbenutzung in der thebanischen Nekropole, in: MDAIK 46 (1990),

335–336.

23Individuum – Gruppe – Gesellschaft – Raum

Name Titel in Auswahl Ort Grab DatierungNby HA.tj-a-n-7Ar.w; jm.j-r’-pr-n-jp.t-Hm.t-nsw;

Xrd-n-kApSile TT 91?38 T.IV.–A.III.

Qn-Jmn RAkA HA.tj-a-n-Mn-nfr; wbA.w-nsw-wab-a.wj-n-nTr-nfr-(Mn-xpr-Ra)|; jr.j-a.t-n-Jmn; wab-n-Jmn; jm.j-r’-Snw.tj

Memphis TT NN39 T.III.

Mn-xpr HA.tj-a-n-Mn-nfr; sS-nsw; Xr.j-tp-nsw Memphis TT -81-40 A.III.4bk-Htp B HA.tj-a-n-S-rs.j-S-n-4bk; jm.j-r’-xtm.t; TA.y-xw-Hr-

wnm.j-n-nsw; jt-nTr-mry-nTrFayum TT 6341 A.II.–T.IV.

MnT.w-Hr-xpS=f HA.tj-a-n-7bw; jm.j-r’-s.t; jm.j-r’-rw.yt-n-[xnr.t]; TA.j-xw

Qau El-Kebir TT 2042 T.III.

Jn.j-jt.j=f HA.tj-a-n-7nj; jm.j-r’-pr-wr; jm.j-r’-Snw.tj; wHm.w-tp.j-n-nsw

Thinis TT 15543 Hat./T.III.

Mnw HA.tj-a-n-7nj; jt-mna-n-sA-nsw-Jmn-Htp Thinis TT 10944 T.III.Jmn-Htp HA.tj-a-n-7nj; Hsy-n-Jmn-Ra Thinis TT A1945 A.II.–T.IV.4j HA.tj-a-n-wHA.t-mHtt; jm.j-r’-pr-n-Jmn-Hr-wHA.t;

jm.j-r’-Snw.tj-n-JmnNördliche Oase

TT NN46 NR

4n-nfrj HA.tj-a-n-Gbtw; wHm.w-nsw; jm.j-r’-xAs.wt-nb.t-n-Jmn; jm.j-r’-xtm.t; jt-mna-sA-nsw-Nb-Jmn

Koptos TT 9947 T.III.

9Hw.tj-ms HA.tj-a-n-Jwn.yt; jm.j-r’-pr-wr-n-Jmn-Ra; jm.j-r’-Snw.tj-n-Jmn; wpw.tj-nsw-r-xAs.wt-nb.t

Esna TT 3248 Ra.II.

Tab. 1: Nichtthebanische Bürgermeister mit Gräbern in Theben-West3839404142434445464748

Außerdem kann man die Frage nach einer thebanischen Herkunft bzw. einer familiä-ren Beziehung zu diesem Ort in Betracht ziehen, wobei sowohl der Bestattungsort der Elterngeneration als auch deren administrative Verortung die entscheidenden Hinweise darstel-len. Nur bei 4bk-Htp B wissen wir sicher, dass das Grab seines Vaters jm.j-r’-xtm.t Mnw in der thebanischen Nekropole gelegen hat,49 wobei Wolfgang Helck dessen Herkunft im Fayum,50 Betsy Bryan selbige im Delta ansetzt.51 In allen anderen Fällen sind keine Gräber für irgend-einen Elternteil in Theben bekannt. Für Nby könnte man eine thebanische Verbindung postu-

38 G. Björkmann, Neby, the Mayor of Tjaru in the Reign of Thutmosis IV, in: JARCE 11 (1974), 43–51, bes. 46–47.

39 B. Geßler-Löhr, in: OMRO 77 (1997), 34–36.40 B. Geßler-Löhr, in: OMRO 77 (1997), 51–56.41 E. Dziobek / M. Abdel Raziq, Das Grab des Sobekhotep. Theben Nr. 63, AV 71, Mainz 1990.42 N. d. G. Davies, Five Theban Tombs, ASE 21, London 1913, 1–19, Tf. 1–17.43 T. Säve-Söderbergh, Four Eighteenth Dynasty Tombs, PPT 1, Oxford 1957, 11–21, Tf. 10–20.44 B. Porter / R. L. B. Moss, Topographical Bibliography of Ancient Egyptian Hieroglyphic Texts, Reliefs, and

Paintings I/1, Oxford 1985, 226–227.45 L. Manniche, Lost Tombs. A Study of Certain Eighteenth Dynasty Monuments in the Theban Necropolis,

StudEgypt, London 1988, 52–53.46 N. d. G. Davies / M. F. L. Macadam, A Corpus of Inscribed Funerary Cones, Oxford 1957, Nr. 5.47 N. Strudwick, The Theban Tomb of Senneferi: An Overview of Work Undertaken from 1992 to 1999, in:

Memnonia 11 (2000), 241–266.48 L. Kákozy / T. A. Bács / Z. Bartos / Z. I. Fábián / E. Gaál (Hgg.), The Mortuary Monument of Djehutimes

(TT 32), StudAeg Series Maior 1, Budapest 2004.49 N. d. G. Davies / M. F. L. Macadam, Funerary Cones, Nr. 499.50 W. Helck, Min (2), in: LÄ 4 (1982), 140–141.51 B. Bryan, The Tombowner and His Family, in: E. Dziobek / M. Abdel Raziq (Hgg.), Das Grab des Sobek-

hotep. Theben Nr. 63, AV 71, Mainz 1990, 81–82.

24 Johannes Auenmüller

lieren, da sein Vater Jmn-m-HA.t ein wab-n-Jmn war.52 Da die Namen beider Eltern des 4n-nfrj theophore Bildungen mit dem Namen des Gottes des 15. oberägyptischen Gaues sind, ließe sich mit aller Vorsicht vermuten, dass sie aus der Region Hermopolis stammten. Funktional ist sein Vater 9Hw.tj-HAy als jm.j-r’-s.t-WAt.t-1r jedoch mit dem Ostdelta verbunden, was Nigel Strudwick als einen Hinweis auf die Herkunft des 4n-nfrj ansieht.53 Seine Mutter, die Xkr.t-nsw 4A.t-9Hw.tj, ist anhand dieses Titels eher dem königlichen Palastumfeld zuzuordnen.54 Im Fall des 9Hw.tj-ms liegt eine eindeutige Herkunft aus Esna vor, da sein Vater Jmn-ms sein Vorgänger als Bürgermeister von Esna war. Seine Mutter 1n.wt-wADb war als Sma.yt-n-Nb.t-ww, einer Lokalgöttin von Esna, mit dem örtlichen Tempelpersonal assoziiert.55

Überblickt man die präsentierte Evidenz, lassen sich die in Theben bestatteten auswärti-gen Bürgermeister, deren Elterngeneration bekannt ist, bis auf Nby sicher als echte Provinziale bezeichnen. Damit dürfte ihre Sozialisation auch in anderen sozialen Räumen verlaufen sein als die der originär memphitischen oder thebanischen Bürgermeister. Daran schließt sich die Überlegung an, ob sich nicht auch ihre Rekrutierung für den Verwaltungsapparat im provin-ziellen Milieu abgespielt hat, welche sie schließlich in die unmittelbare Umgebung des Königs brachte. Diese – auch funktional bedingte – Königsnähe mag für einige dann der ausschlag-gebende Punkt gewesen sein, sich in Theben bestatten zu lassen, wobei hier sicher Mnw und 4n-nfrj als jt-mna-n-sA-nsw den unmittelbarsten Zugang zum Königshof hatten,56 und auch Nby in seiner Funktion als jm.j-r’-pr-n-jp.t-Hm.t-nsw in einer ähnlichen sozialen Nähe zum König und seinen Institutionen agierte.57 Bei 9Hw.tj-ms, der seine Jugend in Esna verbrachte und dort seine Sozialisation erlebte, ist der administrative Bezug zum Tempel des Amun in Theben bestimmend für sein Grab in der Stadt dieses Gottes.58 Für Qn-Jmn RAkA, Mn-xpr und Jmn-Htp dürfte, aufgrund mangelnder anderweitiger Indizien, ein Bezug zwischen Grab und Heimatort postuliert werden.

Ein vorherrschendes Muster ist somit nicht zu erkennen, daher sind die auswärtigen HA.tjw-a mit einem Grab in Theben als individuelle Fälle anzusehen, indem sie mit der starken Ortsbindung, welche für ihre provinziellen Kollegen charakteristisch erscheint, aus den ver-schiedensten Gründen brechen. Schließlich sollte noch angemerkt werden, dass das Amt eines Bürgermeisters einer bestimmten Stadt auch nur eine biografische Station in der Laufbahn eines solchen Beamten darstellen konnte, der nicht von dort stammte und sich dadurch in den lokalen sozialen Räumen nur temporär bewegte und sozialisierte.59 Eine allgemeine Aussage jedoch betrifft den Status Thebens als Gravitationszentrum eines über ganz Ägypten reichen-den Magnetfeldes: Indem sich Bürgermeister von Memphis, von Thinis und den verschiedenen

52 G. Björkmann, in: JARCE 11 (1974), 44. Ob man dieser Person den Grabkegel 414 (N. d. G. Davies / M. F. L. Macadam, Funerary Cones, Nr. 414) zuschreiben kann, und dadurch ein thebanisches Grab annehmen darf?

53 N. Strudwick, in: Memnonia 11 (2000), 243–244.54 E. Reiser, Der königliche Harim im Alten Ägypten und seine Verwaltung, Dissertationen der Universität

Wien 77, Wien 1972, 17–18.55 L. Kákosy, Owner of TT 32, 355–356.56 Vgl. C. H. Roehrig, The Eighteenth Dynasty Titles Royal Nurse (mnat nswt), Royal Tutor (mna nswt),

and Foster Brother/Sister of the Lord of the Two Lands (sn/snt mna n nb tAwj), Ann Arbor 1990, 95–104, 193–198.

57 Neben E. Reiser, Harim, 68–76, vgl. auch V. G. Callender, The Nature of the Egyptian ‚Harim‘, Dynasties 1–20, in: BACE 5 (1994), 7–25.

58 L. Kákosy, Owner of TT 32, 335–356.59 Vgl. K. Sethe, Urkunden der 18. Dynastie II, Berlin 1961, 529,17–531,14.

25Individuum – Gruppe – Gesellschaft – Raum

Provinzzentren in Theben ein Grab errichten lassen, jedoch kein thebanischer Bürgermeister irgendwo anders bestattet ist als in Theben selbst, tritt die Intensität der Anziehungskraft die-ser Stadt im funerären Kontext in den Blick. Dass dies kein besonderes Phänomen des Neuen Reiches ist, zeigt die strukturell vergleichbare Evidenz des Alten Reiches mit Bezug zur mem-phitischen Nekropole,60 wobei es auffällig ist, dass es sich sowohl im Alten als auch im Neuen Reich um thinitische Verwalter handelt, die in der jeweiligen königlichen Residenz oder Metropole ein Grab besitzen.

5. Raum, Handlung und Wahrnehmung

Die Überlegungen hinsichtlich der Herkunft und der Verortung der Gräber einiger Bürgermeister haben die praxeologische Dimension inhaltlich und thematisch nicht nur gestreift, sondern sie haben Aspekte des Handelns im Raum substantiell beinhaltet. Anhand zweier Beispiele, die sich konkret im geografischen Raum verorten lassen, soll dem Nexus zwischen Raum und Handlung sowie der Wahrnehmung dieses Handlungsraumes abschließend kurz nachgegangen werden. Die Felsinschrift des 1by, des memphitischen Bürgermeisters (Abb. 2),61 befindet sich in direkter Nachbarschaft zu den beiden Stelen Amenophis’ III. in Aswan, von denen sich die nördliche auf den ersten siegreichen Feldzug Amenophis’ III. gegen das Elende Kusch in seinem 5. Regierungsjahr bezieht.62 Der Text des 1by nimmt auf diese Kampagne direkt Bezug:

rdj.t jA.w n nb-tA.wj sn-tA (n) nTr-nfr jn jr.j-pa.t HA.tj-a jr.tj-nsw-m-Sma.w-mHw sS-nsw-mAa-mrj=f HA.tj-a-n-Mn-nfr 1by xft jrj.t sxd.yt [n Hm=f] jw=f m wD.yt=f tp.jt nxt m KS

„Preisen des Herrn der Beiden Länder, die Erde Küssen vor dem vollkommenen Gott durch den jr.j-pa.t HA.tj-a, die Augen des Königs in Ober- und Unterägypten, den wirklichen geliebten Schreiber des Königs, den Bürgermeister von Memphis 1by, beim Durchführen der Nordfahrt seiner Majestät, nachdem er bei seinem ersten siegreichen Feldzug in Kusch war.“63

Die Felsinschrift verrät uns also, in welchen spezifischen Handlungskontext 1by in der Region von Aswan eingebunden war, wobei in diesem Falle sogar auch die soziologische Dimension der Territorialität zu greifen ist, als der memphitische Bürgermeister rund 850 km südlich von seinem Amtssitz in Anbetung der königlichen Kartuschen gezeigt wird,64 sein Aktionsradius also eine tatsächlich beträchtliche Erstreckung aufweist. Das Felstableau selbst ist im Raum der angesprochenen Aktion verortet und weist den Verwaltungsrepräsentanten der zweiten ägyptischen Landeshauptstadt 1by als Handlungsträger nach; der geografische Raum Nubiens oder der ägyptisch-nubischen Grenze in Aswan wird jedoch nicht als eine individuelle, son-dern als eine königliche Handlungssphäre konzeptualisiert. Es ist der König, der sich in dieser Region bewegt und in Nubien kämpft, während 1by sich lediglich als Organisator der Fahrt von Aswan nach Norden, wohl Memphis, bewähren muss. Das Epitheton jr.tj-nsw-m-Sma.w-

60 H. G. Fischer, Four Provincial Administrators at the Memphite Cemeteries, in: JAOS 74,1 (1954), 26–34.61 Zu seiner Person B. Geßler-Löhr, in: OMRO 77 (1997), 36–38.62 A. Klug, Königliche Stelen in der Zeit von Ahmose bis Amenophis III, MonAeg 8, Turnhout 2002, 418–

424; zur Lage der Felsinschrift des 1by vgl. ebd. Abb. 8.63 W. Helck, Urkunden der 18. Dynastie, Heft 21, Berlin 1958, 1793, 8–12. Zu den nubischen Kampagnen

Amenophis’ III. vgl, auch Z. Topozada, Les deux campagnes d’Amenhotep III en Nubie, in: BIFAO 88 (1988), 153–164.

64 Solche Szenen sind nur für höchstrangige Mitglieder des ägyptischen Staatsapparates belegt, vgl. C. Spieser, Les noms du Pharaon comme êtres autonomes au Nouvel Empire, OBO 174, Fribourg 2000, 84–118, bes. 97–100.

26 Johannes Auenmüller

mHw schließlich lässt sich als weiteres Element einer Raumwahrnehmung lesen, die kulturellen Mustern und Begrifflichkeiten unterworfen ist. 1by wird als wahrnehmendes Sinnesorgan des Königs konzeptualisiert, welches als Substitut der königlichen Augen im geografischen, politi-schen und sozialen Raum Ägyptens operiert und aktiv wird.65

Ein wirklich provinzielles Lokalkolorit lässt sich im zweiten Beispiel, der biografischen Inschrift des Bürgermeisters des Fayum namens 4bk-Htp A, feststellen, der nicht mit seinem Amtsnachfolger und Namensvetter aus TT 63 identisch ist.66 Er ist der Sohn eines sAb HA.tj-a-n-S KApw, was zeigt, dass das Amt des Bürgermeisters vom Vater auf den Sohn übertragen wurde. Dies ist im provinziellen Elitemilieu geübte Praxis, wobei dadurch ein weiterer Aspekt der starken Ortsbindung der Bürgermeister an ihre in diesem Fall sicher nachweisbare Heimat erkennbar wird.67 Die Herkunft der beiden einzigen von ihm bekannten Denkmäler ist ebenso von Bedeutung, da sie aus dem Fayum selbst stammen, eines wahrscheinlich aus dem Tempel des Sobek in Medinet El-Fayum, das andere aus Dimeh.68 Die rechte Seite des Würfelhockers Marseille 208 enthält die folgende autobiografische Inschrift:

Dd=f jw Sms[.n=j] nsw-bjt jw=(j) (m) mH-jb-n-nb-tA.wj jst jrj Hm=f A[.t] m sDA-Hr=f sxmx=f r nw=f m sj[n.t] [n.]t sAb.t sS.w n.w tA-S xns SA smA [Apd.w] st.t rmw.t Apd.(w)t twt nsw mry 4x.t HqA mry n 4bk wHa nb.tj jrj m a.wj=f( j) tj.w(j) jm

„Er sagt: Ich folgte dem König von Ober und Unterägypten,69 indem ich ein Vertrauensmann des Herrn der Beiden Länder war. Nun, seine Majestät verbrachte Zeit bei seinem Sich-Vergnügen, und er erheiterte sich zu seiner Zeit70 in einem sjn.t-Boot zum Durchqueren der Sümpfe des Seenlandes71, zum Durchziehen des Sumpflandes, zum Töten von Vögeln72 und zum Speeren von

65 Vgl. dazu H. Grapow, Die bildlichen Ausdrücke des Aegyptischen. Vom Denken und Dichten einer altori-entalischen Sprache, Leipzig 1924, 114–116; C. Raedler, Zur Struktur der Hofgesellschaft Ramses’ II., in: R. Gundlach / A. Klug (Hgg.), Der ägyptische Hof des Neuen Reiches. Seine Gesellschaft und Kultur im Spannungsfeld zwischen Innen- und Außenpolitik, KSG 2, Wiesbaden 2006, 47–49.

66 B. Bryan, The Tombowner and His Family, in: E. Dziobek / M. Abdel Raziq, Das Grab des Sobekhotep. Theben Nr. 63, AV 71, Mainz 1990, 83.

67 Vgl. die Einzelbelege in der Dissertation des Verfassers („Die Territorialität der Ägyptischen Eliten des Neuen Reiches“).

68 R. P. Charles, Les monuments égyptiens du Musée de Marseille. La statue-cube de Sobek-hotep, gouver-neur du Fayoum, in: RdE 12 (1960), 1–26, Tf. 1: Kuboid Marseille, Musée Borély 208, Herkunft Medinet El-Fayum (vgl. R. Schulz, Die Entwicklung und Bedeutung des kuboiden Statuentypus. Eine Untersu-chung zu den sogenannten „Würfelhockern“, HÄB 33, Hildesheim 1992, 414–415, Kat.-Nr. 245) und Tf. 2: Statue Berlin 11635, Herkunft Dimeh (vgl. A. Erman, Ausführliches Verzeichnis der Aegyptischen Altertümer und Gipsabgüsse, Berlin 1899, 139).

69 Die Ergänzung Hm=f in W. Helck, Urkunden der 18. Dynastie, Heft 19, Berlin 1957, 1587,15 ist durch die Zeichenreste von nsw-bjt in R. P. Charles, in: RdE 12 (1960), 7 abzulehnen.

70 Im Ägyptischen ist hier der Begriff A.t „Zeit, Augenblick“ (Wb 1, 1.12–2.2) im Verbund mit jrj-A.t „Zeit verbringen“ (vgl. pWestcar 2,6) dem Terminus nw „Zeit, Zeitpunkt“ (Wb 2, 219.1–15) gegenübergestellt, welcher in R. A. Caminos, Literary Fragments in the Hieratic Script, Oxford 1956, Tf. 11, Section C1, 9 in einem inhaltlich und phraseologisch vergleichbaren Text The Sporting King auftaucht: [m]k jb=k r nw [n] nsw „[Siehe], dein Herz ist auf die Zeit [des] Königs (gerichtet)“.

71 Für diese Passage liegen im Sporting king zwei nahezu identische Parallelstellen vor: R. A. Caminos, Literary Fragments, Tf. 9, Section B2, 3: [...] m sjn.t n.t s[Ab.t] [sS] „[...] in einem sjn.t-Boot zum Durch[queren des Sumpfes]“ und Tf. 14, Section E1, 3–E2, 1: [...] r sx.t m sjn.t n.t sAb.t sS „[...] zum Feld in einem sjn.t-Boot zum Durchqueren des Sumpfes“. In Marseille 208 ist sAb mit Gardiner Sign-list E17 (Schakal) geschrieben und durch das .t als Infinitiv eines IVinf.-Verbes ausgewiesen. Die folgenden Verbformen xns, smA und st.t führen diese Infinitivkonstruktion fort.

72 So ergänzt in W. Helck, Urkunden, Heft 19, 1587,19.

27Individuum – Gruppe – Gesellschaft – Raum

Fischen und Vögeln.73 Das Abbild eines Königs, geliebt von Sechet, ein Herrscher, geliebt von Sobek, der Fisch- und Vogelfänger der Beiden Herrinnen,74 der mit seinen beiden Armen agiert, indem ich mit dabei war.“75

In diesem Text, der diesen einen herausragenden Moment im Leben des Bürgermeisters be-schreibt, erwähnt 4bk-Htp ausdrücklich, dass er mit dem König als dessen Vertrauensmann vor Ort war. Auch eines seiner Epitheta bezieht sich explizit auf dieses Event, er ist als „Begleiter des Herrn der Beiden Länder in den Inseln inmitten des Fayum“ bezeichnet.76 Da bis auf die beiden aus dem Fayum stammenden Statuen des 4bk-Htp keine weiteren Denkmäler von ihm bekannt sind und das biografische Ereignis in der dortigen Kulisse spielt, ist in diesem Fall ein sehr kleinräumiger, auf das Fayum beschränkter Aktionsradius zu erkennen. Versucht man, den Kategorien der Raumwahrnehmung und den einen Raumbezug konzeptualisie-renden Begrifflichkeiten an diesem Beispiel nachzugehen, trifft man auf das zentrale Motiv des Folgens, Sms. Heike Guksch hat die einschlägigen Belege dazu gesammelt und sie als Ausdruck einer Königsgefolgschaft im konkreten Kontext von Feldzügen, aber auch eines Loyalitätsverhältnisses eines pflichterfüllenden Beamten verstanden.77 Dieses Motiv soll hier räumlich perspektiviert werden und als Aspekt einer autobiografisch motivierten Äußerung zur individuellen Territorialität aufgefasst werden. 4bk-Htp verwendet eine solche Phrase, wo-bei die darin thematisierte Raumwahrnehmung erneut nur in Anbindung an einen königli-chen Aktionsraum denkbar ist. Der Text beschreibt das Fayum zwar als eine aus Marschen und Wasserwegen bestehende Region, reich an Fischen und Vögeln, die durch die Aktion des Königs mit mythologischer Bedeutung aufgeladen ist, letztlich aber wird das Fayum als ein uneingeschränkter Ort des königlichen Amüsements konzeptualisiert, welcher dem Herrscher die Möglichkeit des Jagens und der Unterhaltung bietet. Dieser königliche Aktionsraum bildet nun das bestimmende Moment der Raumerfahrung der ägyptischen Elite, auf das der Text Bezug nimmt, indem 4bk-Htp seine eigene Erfahrung an diesen anbindet und von ihm abhän-gig macht, so dass dies ein Teil seiner Eigenrepräsentation im sozialen Raum der ägyptischen Elite wird.

73 Der hier vorhandene einzelne Vogel (Gardiner Sign-list G35, Kormoran) ist wie rmw durch .t (X1) komple-mentiert. Mit D. Meeks, Année Lexicographique, Tome 2, Paris 1981, Nr. 78.0806 ließe sich hier durchaus auch aq „Kormoran“ lesen, wobei .t entweder zu emendieren wäre (so R. P. Charles, in: RdE 12 [1960], 20) oder eine feminine generalisierende Form vorläge. W. Helck, Urkunden, Heft 19, 1588,1 dagegen liest wr.t „sehr“.

74 Zu diesem Epitheton, mit dem z. B. auch Amenemhet II. während seines Fischzuges im Fayum bezeichnet ist, vgl. H. Altenmüller, Der König als Vogelfänger und Fischer (nbty wHa) – Zu frühen Belegen eines tradi-tionellen Motivs, in: E.-M. Engel / V. Müller / U. Hartung (Hgg.), Zeichen aus dem Sand. Streiflichter aus Ägyptens Geschichte zu Ehren von Günter Dreyer, Menes 5, Wiesbaden 2008, 1–4, 11–15.

75 R. P. Charles, in: RdE 12 (1960), 7, 18–20. Zu inhaltlich vergleichbaren Texten siehe auch S. Quirke, Egyp-tian Literature 1800 BC: Questions and Readings, GHP Egyptology 2, London 2004, 206–217.

76 W. Helck, Urkunden, Heft 19, 1587,7.77 H. Guksch, Königsdienst. Zur Selbstdarstellung der Beamten in der 18. Dynastie, SAGA 11, Heidelberg

1994, 58–65.

28 Johannes Auenmüller

6. Schluss

Der hier entworfene anthropologische Blick auf einzelne Individuen bzw. eine funktionale Gruppe der ägyptischen Elite des Neuen Reiches fokussiert nicht nur die elitäre Laufbahn und die administrativen Funktionen der Amtsträger, sondern bettet diese in eine raumsoziologische Perspektive ein. Dabei wird sowohl den konkreten archäologischen Räumen als auch den ver-schiedenen sozialen Handlungsräumen Aufmerksamkeit geschenkt, welche die Bürgermeister des Neuen Reiches vermittels charakteristischer kultureller Ausdrucksformen hervorbrin-gen, markieren und einnehmen und deren Wahrnehmung sie im Medium der Texte in spe-zifischen Kategorien thematisieren. Der Begriff der Territorialität vermag es dabei besonders gut, den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Räumen und den ‚in‘ ihnen agierenden Individuen, Gruppen oder Gesellschaften zu beschreiben und zu erklären.

AbbildungsverzeichnisAbb. 1: J. AuenmüllerAbb. 2: J. de Morgan / U. Bouriant / G. Legrain / G. Jéquier / A. Barsanti, Catalogue des monuments

et inscriptions de l‘Égypte antique I. De la frontière de Nubie à Kom Ombos, Wien 1894, 28, Nr. 8.

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Abb. 1: Kartierung der Gräber von HA.tj-a-Bürgermeistern des Neuen Reiches

33Individuum – Gruppe – Gesellschaft – Raum

Abb. 2: Felstableau des 1by bei Aswan