Geheimnis. Eine Einzelstimmung

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FLORIAN HADLER GEHEIMNIS Textem Verlag SA_Geheimnis_20.01.14_Layout 1 20.01.14 13:38 Seite 3

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F LO R I A N H A D L E R

GEHEIMNIS

Textem Verlag

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Kleiner Stimmungs-Atlas in EinzelbändenHg. Jan-Frederik Bandel, Nora Sdun

Gestaltung: Christoph Steinegger/InterkoolBd. 8 – G: Geheimnis, Florian Hadler

© Textem Verlag, Hamburg 2014Druck: Druckhaus KöthenISBN: 978-3-941613-88-1

www.textem-verlag.de

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I N H A LT

I . E X P O S I T I O N

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I I . N E G AT I V I TÄT E N

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I I I . S P R A C H E , N E U G I E R , PA R A N O I A

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I V. S C H W E I G E N U N D V E R S C H WÖ R E N

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V. E R O S , K A B B A L A & E M B L E M

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V I . C O DA

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B I B L I O G R A F I E8 3

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Hergé, Les Cigares du Pharaon, Tournai 1934, Cover

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»Jedes Wort ist ein Strahlenbündel: Der Sinnbricht in verschiedenen Richtungen aus ihmhervor und eilt nicht auf den einen, offiziellenPunkt zu.«1

1933 umschreibt Ossip Mandelstam die poetische Materiein Dante Alighieris Göttlicher Komödie. Seine Gedanken zurPoesie und zur Sprache Dantes lesen sich streckenweise wieeine kabbalistische Tora-Exegese – Dantes Text wird zu einemOrganismus mit vielfältiger Einheit, der Literaturkritiker zueinem Arzt der lebendigen Medizin.2 Die Sprache selbst wirdzu einem Quell nie endender Lektüre, unendlicher Meta-morphosen, ermöglicht durch die Hilfe »jener Instrumente,die umgangssprachlich Bilder heißen«.3 Die poetische MaterieDantes ist im Fluss, ist wand lungs fähig, umkehrbar, immerim Entwurf. Das macht die poetische Materie zur »genau-esten aller Materien, der prophetischsten und der unzähm-barsten«.4 Dantes Komödie bewahrt den Reiz des noch nieGesagten,5 in ihr wird eher noch das Sprechen vorbereitet,als dass gesprochen wird. Statt Syntax gibt es in DantesSprache nur »den magnetisierten Ausbruch, … die Sehn-sucht nach dem noch nicht erlassenen Gesetz, die Sehnsuchtnach Florenz«.6 Statt Definitionen, statt klaren Wörtern alsolediglich das Verlangen, der Wille zur Sprache. Keine

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1) Ossip Mandelstam, Gespräch über Dante. Gesammelte Essays II 1925–1935, 2. Aufl., Frankfurt am Main 2004, S. 127

2) Ebd., S. 1293) Ebd., S. 1134) Ebd., S. 1505) Ebd., S. 1646) Ebd., S. 169

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Lösungen, keine klaren Antworten, nur die Sehnsucht, dieFrage, für immer auf der Suche nach dem Unauffindbaren,nach den absoluten Ge heimnissen.

Diese spezifische Verknüpfung poetischer und sprach-philosophischer Aspekte in Mandelstams Explikation vonDantes Text öffnet (und schließt) die Klammer der folgendenSeiten. Geheimnisse im symbolischen Raum der menschli-chen Kultur, in der Sprache und im Text bilden den Rahmendieser Skizze, die versucht, zu einem Verständnis dessen bei-zutragen, was gemeinhin als Geheimnis bezeichnet wird.Neben den historischen Dimensionen, den profanen, all-täglichen und sozialen Theoremen werden dafür auch diemetaphysischen, transzendenten und theologischen Funk-tionen von Geheimnissen in den Blick ge nommen.

Im Begriff des Geheimnisses verbergen sich Aporien derAufklärung, Spuren magischer Weltverhältnisse, machtpo-litische Arkana und nicht zuletzt messianische Versprechenvon Offenbarung, Entdeckung, Lösung und Befreiung. DerBlick hinter die Kulissen der Macht, in die verborgenen Kam-mern der Prominenz, wie er einem in der journalistischenRhetorik begegnet, die Obduktion der kleinsten Dinge undder Einblick in die verborgensten Zusammenhänge der phy-sikalischen Welt im Large Hadron Collider, die verschlüs-selten Botschaftsdepeschen, die ärztliche Schweigepflicht,Betriebsgeheimnisse, Zaubertricks, kriminelle und subver-sive Kommunikation, Tabus, die Idee des Privaten undIntimen, das Expertenwissen und das Je ne sais quoi des gutenGeschmacks, nicht zuletzt Geheimdienste, Überwachungs-systeme und Verrat – diese Reihe lässt sich augenschein-lich endlos weiterführen, und man stellt schnell fest, dass eineRede über das Geheimnis an und für sich nicht möglich zusein scheint.7 Die pauschale Rede vom Geheimnis an sichliefert sich einem (meistens gerechtfertigten) Pathosverdachtaus. Das Geheimnis erweist sich in diesen Fällen als oszil-

7) Ich schließe mich hier Jacques Derrida an, der zumindest versucht zu vermeiden, vom »Geheimnis als solchem« zu sprechen: Wie nicht sprechen. Verneinungen, Wien 1989, S. 38

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lierender, polarisierender Kampfbegriff, der immer wiederin der Literatur hervorragt und von Georg Simmel als eineder größten Errungenschaften der Menschheit,8 von Fried-rich Nietzsche als Beginn der Kultur9 und von WilhelmEmrich als Element jeder großen Dichtung10 beschriebenwird. Diese polemischen Überhöhungen des Geheimnissesbieten genügend Projektionsfläche für zeitgeistige Kom-mentare, die aufgrund ihrer integrativen Unschärfe oft einemfeuilletonistischen Niveau verhaftet bleiben, insbesonderewenn sie sich mit aktuellen Themen wie Transparenz undDatenschutz verbinden. Bei näherer Betrachtung dessen, wasals geheim bezeichnet wird, zeigen sich hingegen wiederholtdie Bedingungen der Unzugänglichkeit des Untersuchungs-gegenstandes Geheimnis – ein Phänomen der Begriffsarbeit,das jede philosophische oder undisziplinierte Methodebegleitet, die nach der Unvollständigkeit des eigenen Themassucht und beabsichtigt ihre eigenen Leerstellen offenzulegen.11

Dem dekonstruktiven Prinzip der genealogischen Unter-suchung folgend, transformiere ich das Geheimnis also inein unbekanntes Objekt X, das als Thema lediglich vagedurchklingt, vor allem aber in einer Variantologie des Ge heimnisses erscheint.12 Das Geheimnis an und für sich

8) Georg Simmel, Gesamtausgabe in 24 Bänden. Bd. 11: »Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung«, Frankfurt am Main 1992, S. 406

9) Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1869–1874. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden, Hg. Giorgio Colli und MazzinoMontinari, Bd. 7, München 1996, S. 435

10) Wilhelm Emrich, Franz Kafka, Bonn 1958, S. 1111) Vgl. zum Prinzip der Unvollständigkeit: Roland Barthes, Wie

zu sam men leben. Simulationen einiger alltäglicher Räume im Roman.Vorlesung am Collège de France 1976–1977, Frankfurt am Main 2007,S. 216

12) Vgl. zum transdisziplinären Konzept der Variantologie und den tiefenzeitlichen Beziehungen zwischen Kunst, Wissenschaft und Technologie: Siegfried Zielinski, Silvia M. Wagnermeier, Varianto-logy. On Deep Time. Relations of Arts, Sciences and Technologies, Köln2005

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bleibt ein Phantasma, das sich immer wieder an verschie-denen Orten auskristallisiert und aus unterschiedlichen Per-spektiven eine jeweils andere Gestalt zeigt.13 Ludwig Wittgen stein paraphrasierend, könnte man sagen, dass esdas Geheimnis nicht gibt.14 Aber auch wenn es das Ge heimnisnicht geben sollte, die Geheimnisse gibt es.

Aufgrund dieser Mannigfaltigkeit der Geheimnisse inihren konkreten Phänomenen lassen sich auch die zahlrei-chen Kategorisierungen und Differenzierungen erklären, dieim Begriffsfeld des Geheimen bereits vorgenommen wurden.

Die christlich konzipierte und vor allem während derAufklärung verwendete Dreiheit des Geheimnisses, wie siebeispielsweise von Kant mit den Unterteilungen arcana, secretaund mysterium – Naturgeheimnisse, Staatsgeheimnisse undgöttliche Geheimnisse – benutzt wird,15 erweist sich in Hin-blick auf die unterschiedlichen genealogischen Verbindungenzwischen diesen einzelnen Sphären der Wissenschaft, derPolitik und der Religion für die Absicht des vorliegendenTextes als hinfällig. Gerade die Übertragungen, Transfor-mationen und Brüche zwischen diesen Sphären sind es,denen das Interesse gilt. Die Fortschreibung des Rätsels gött-lichen Waltens in den fürstlichen Staatstheorien, die Anwen-dung empirischer, naturwissenschaftlicher, aufklärerischerMethodik auf Fragen der Religion und des Sozialen, die mystischen Verklärungen einer verborgenen Natur, das rät-selhafte Orakel, der erotische Reiz der Verhüllung bewegensich alle zwischen arcana, secreta und mysterium, ohne sichdem einen oder anderen zuordnen zu lassen. Vielmehrsorgen diese Zwischenraumphänomene, diese Medien desGeheimnisses für eine Auflösung der drei Kategorien und

13) Ebd. S. 4214) Vgl.: »Das Rätsel gibt es nicht.«, in: Ludwig Wittgenstein, Tractatus

logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung, Frankfurt amMain 1963, S. 110

15) Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Stuttgart 1974, S. 184 f.

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suchen nach neuen, partikularen Betrachtungen, die demjeweils spezifischen Charakter der Phänomene, der Erschei-nungen des Geheimnisses gerecht werden.

Ebenso erweisen sich die Kategorisierungen der aris-totelischen Tradition und des secreta-Begriffs, der sowohl dieWirkung von unsichtbaren Kräften bezeichnete (wie bei-spielsweise den Magnetismus) als auch die geheimnisvollenKünste der Handwerker (wie beispielsweise das Glasblasen),16

als ungenügend und einengend für die Richtung diesesTextes. Mit diesem praktisch gewendeten Geheimnisbegriffwird zwar ein sehr guter und klarer Zugriff auf die ökono-mische Dimension von Geheimnissen geliefert, wie DanielJütte in seiner umfassenden Studie zur Ökonomie desGeheimnisses eindrucksvoll beweist, aber die philosophi-schen, theologischen und epistemologischen Implikationendes Begriffs kommen in diesem Kontext nicht zum Tragen.

In den drei Bänden von Aleida und Jan Assmann zumGeheimnis (erschienen innerhalb ihrer Reihe zur Archäo-logie der literarischen Kommunikation und im Bereich derUntersuchungen zum Geheimnis inzwischen Teil einesKanons) unterscheiden die beiden Autoren mit den BegriffenSchleier und Schwelle kategorisch zwei Bereiche des Geheim-nisses – ein prinzipiell, durch Initiation, durch das Über-schreiten einer Schwelle, erschließbares Geheimnis und einprinzipiell unerschließbares Geheimnis, welches sich durchden Schleier konstituiert, im Schleier besteht und durch eineLüftung desselben nicht offenbart wird, sondern ver-schwindet.17 Neben oder innerhalb dieser Dualität unter-scheidet Alice Lagaay in Anlehnung an die Trilogie derAssmanns weiterhin vier Phänomene oder Quellen für dasGeheimnis: arcana mundi (Weltgeheimnisse), arcana dei (gött-liche Geheimnisse), arcana imperii (Staatsgeheimnisse) und

16) Vgl. Daniel Jütte, Das Zeitalter des Geheimnisses. Juden, Christen und die Ökonomie des Geheimen, Göttingen 2011, S. 12 ff.

17) Aleida Assmann und Jan Assmann, Geheimnis und Öffentlichkeit.Bd. 1, »Schleier und Schwelle«, München 1997, 7 ff.

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arcana cordis (Herzensgeheimnisse).18 So ertragreich die dreiBände im Rahmen des Assmann’schen Projekts unter diesenbeiden Schlagwörtern auch sind – weder der Dualismus nochdie Vierteilung erweisen sich in den konkreten phänome-nologischen und archäologischen Untersuchungen als son-derlich hilfreich, wie Alice Lagaay selbst anmerkt.19 Zusätzlichwerden die vorgeschlagenen Kategorien von Aleida und JanAssmann bereits von den Untertiteln der einzelnen Bändekonterkariert, die mit den Gegenbegriffen zum jeweiligenGeheimniskonzept – Neugier, Offenbarung und Öffentlichkeit –die letztlich kantianische Trinität wiederholen.20

In den drei Bänden von Aleida und Jan Assmann zeigtsich der Begriff Geheimnis jedoch als ein Schlüssel, der dieeingrenzenden Felder ausfasern lässt, neue Kontinuitäten,Verbindungen und Brüche erzeugt und somit einen wert-vollen Beitrag zur Auflösung des Begriffs liefert. Im Schattendes Geheimnisses lösen sich hier die Spuren und weisen ausdem Begriff hinaus, zerfasern in heterogene Disziplinen undöffnen sich anderen, zum Teil verwandten Begriffen. Zu denassoziierten Begriffen gehören unter anderen das Rätsel, dieAllegorie, das Verbot, der Befehl und die Lüge – sie alle ver-weisen auf einen spezifischen Erfahrungsraum menschlicherKultur: den symbolischen Raum, in dem Bedeutung statt-findet, in dem Text entsteht und in dem sich die Spracheereignet.

Und tatsächlich spielen Geheimnisse – sowohl ihre Funk-tion als auch ihre Reflexion – immer wieder eine große Rolle

18) Alice Lagaay, »Die Kraft des Geheimnisses. Eine Spurensuche auf enigmatischem Terrain«, in: Ökonomien der Zurückhaltung. Kulturelles Handeln zwischen Askese und Restriktion, Bielefeld 2010, S. 263 ff.

19) Ebd., S. 26220) Assmann und Assmann, Geheimnis und Öffentlichkeit; Aleida

Assmann und Jan Assmann, Geheimnis und Offenbarung. Bd. 2,»Schleier und Schwelle«, München 1998; Aleida Assmann undJan Assmann, Geheimnis und Neugierde, Bd. 3, Schleier und Schwelle.München 1999

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in der Sprachphilosophie, insbesondere in der Auseinan-dersetzung mit theologischen Ideen, wie in der mittelalter-lichen Grammatica Speculativa,21 aber auch bei jüngerenProtagonisten einer mehr oder weniger expliziten Sprach-philosophie wie beispielsweise bei Jacques Derrida, Emma-nuel Lévinas, Giorgio Agamben und natürlich auch WalterBenjamin.

Geheimnisse sind darüber hinaus beteiligt an der Konstitution von sozialen Realitäten, an der Bildung vonHierarchien und der gesellschaftlichen Segmentierung durchWissen und Nicht-Wissen. Diese Funktion wird explizit diskutiert in den fürstlichen Staatstheorien der frühen Neu-zeit, in der Diplomatie und der politischen Theorie, spieltimplizit aber auch eine wichtige Rolle im Geschmack, in derMode, in der Exklusivität und generell in Theorien zumsozialen Verhalten. Analog zur staatlichen, politischen Entitätwird auch die Idee des Subjekts oft mit Geheimnissen ver-schränkt – sei es, dass Geheimnisse das Subjekt verletzlichmachen, sei es, dass sie das Subjekt überhaupt erst durch dieGeheimnisfähigkeit konstituieren.

Und natürlich sind Geheimnisse im Kern diverser theo-logischer, mystischer, religiöser Theorien enthalten, in denensie beispielsweise einen negativen Gottesbegriff stützen oderein Konzept des Heiligen liefern, das durch das Geheimnisgeschützt wird, vor dem aber zugleich auch der Gläubigegeschützt werden muss.

Kurzum, eine Rede von dem Geheimnis an und für sichebenso wie eine nach gesellschaftlichen Parametern unter-schiedene Kategorisierung des Geheimnisses erweist sich alsnicht zielführend, um dem Phantasma, der Vorstellung undder Einbildung der Geheimnisse durch die Sprache, durchdie sozialen Realitäten und die psychologischen und theo-logischen Ideen zu folgen.

21) Eine mittelalterliche Lehre der Sprache, die davon ausging, dass sich die Struktur des Seins in der Struktur der Sprache widerspie-gelt (speculum lat.: Spiegel). Vgl.: Jochem Hennigfeld, Geschichteder Sprachphilosophie, Berlin 1994, S. 77–93

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Angelehnt an die Anthologien von Aleida und Jan Assmannerscheint es daher sinnvoll, die Weite der Felder zu be -trachten, in denen Geheimnisse eine Rolle spielen, den Hori-zont der Geheimnisse in den Blick zu nehmen.

Zugleich erscheint es aber auch notwendig, eine Theorie,einen Werkzeugkasten für diese Betrachtung der Felder derGeheimnisse, der phänomenologischen Dimension derUntersuchung zugrunde zu legen.

Um also die Betrachtung des Feldes zu ergänzen, werdeich das, was geheim ist, vorläufig segmentieren. Diese Seg-mentierung bezieht sich allerdings nicht auf das zu unter-suchende Feld, sondern auf die strukturelle Dimension desBegriffs Geheimnis. In Anlehnung an Umberto Ecos Aus-führungen zur Semiotik könnte man in diesem Fall von einerdialektischen Methode sprechen, welche sich zwischenTheorie und Feld abspielt.22 Und natürlich müssen auch diezu betrachtenden Felder differenziert werden, um einigeLinien und Spuren sinnvoll verfolgen zu können. Ich ver-zichte allerdings darauf, diese Differenzierungen im Feldnach Disziplinen vorzunehmen (Soziologie, Kulturwissen-schaft, Philosophie, Theologie oder Politik würden sichanbieten, sich aber doch nur andauernd überschneiden), son-dern behaupte lediglich eine narrative Trennung, die sichaus der Erzählung des Textes ergibt und dementsprechendvorläufig und spekulativ bleibt.

Die Differenzierung im Begriff zeigt eine strukturelle,inhärente Dimension, während die Differenzierung desFeldes eine phänomenologische, narrative Dimension liefert.

22) »Wir glauben, daß man keine theoretische Untersuchung durch-führen kann, ohne den Mut zu haben, eine Theorie – und folglichein elementares Modell als Leitfaden für die folgenden Überle-gungen – vorzuschlagen. Wir glauben auch, daß jede Untersuchungden Mut haben sollte, die eigenen Widersprüche aufzuzeigen undsie da, wo sie nicht ins Auge springen, offenzulegen.« UmbertoEco, Einführung in die Semiotik, Stuttgart 2002, S. 18

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Die erste, inhärente Dimension des Geheimnisses teile ichanhand dreier Negativitäten oder negativer Qualitäten – derpositivierten, der exklusiven und der absoluten Negativität.Ihre spezifischen Eigenschaften werden gleich dargelegt.

Die zweite Dimension ist die Gliederung der daran an -schließenden Kapitel, die sich grob in die drei AbschnitteSprache, Verschwörung und Verführung unterteilen lassen –wobei diese Segmente lediglich eine narrative und keine systemische Funktion haben. Im ersten Schritt geht es umdie rasende Vernunft in der Sprache, eine kurze Skizze zuden unterschiedlichen Verhältnissen von Paranoia und sym-bolischem Raum, die antike und neuzeitliche Positionen kon-frontiert. Im zweiten Schritt geht es um Schweigen, Beichtenund Verschwören als Handlungsparadigmen von der Spät-antike bis zum aufklärerischen Projekt der Moderne sowiedie Vermischung von monastischer Weltflucht, Staatsarkanaund ihren technischen und administrativen Mitteln, Inqui-sition und Geheimlogen. Im dritten Schritt geht es um diekabbalistische Lektüre des Mittelalters und ihr Verhältniszum heiligen Text sowie die Verbindungen von Rätsel, Erosund Verführung im emblematischen Zeitalter der frühen Neu-zeit, in dem sich Merkmale einer kabbalistisch inspiriertenLektüre fortschreiben.

Im Anschluss an diese drei genealogischen Skizzen folgteine kurze Coda, die zum einen die durchlaufenen StationenRevue passieren lässt und zum anderen versucht, den Kreiszu schließen, ohne so etwas wie Schlussfolgerungen oderResultate zu sehr zu betonen. Mit dem eingangs eingeführtenBegriff der poetischen Materie versuche ich, das Paradigmaeiner poetischen Philosophie zu umreißen, wie sie in ver-schiedener Weise im Laufe des 20. Jahrhunderts immerwieder propagiert wurde, und ihre Spuren als Genealogieeiner geheimen Epistemologie, einer Epistemologie desGeheimnisses zu denken.

In der Verschränkung dieser beiden Dimensionen – derstrukturell-inhärenten des Begriffs und der narrativ-phäno-menologischen des Feldes – möchte ich den Blick schärfen

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für die spezifische (Nicht-)Ausrichtung dieses Textes, für dieundisziplinierte und abschweifende Verfolgung des Phan-tasmas Geheimnis.

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