SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Freddie und Barbara Eine ...

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1 2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Freddie und Barbara Eine Münchner Romanze Autor: Wolf Eismann Redaktion: Ellinor Krogmann Regie: Tobias Krebs Sendung: Montag, 17.03.14 um 19.20 Uhr in SWR2 Wiederholung: Dienstag, 18.03.14 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de ___________________________________________________________________

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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Freddie und Barbara

Eine Münchner Romanze

Autor: Wolf Eismann

Redaktion: Ellinor Krogmann

Regie: Tobias Krebs

Sendung: Montag, 17.03.14 um 19.20 Uhr in SWR2 Wiederholung: Dienstag, 18.03.14 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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MANUSKRIPT

Musik: Frankie Goes to Hollywood: Relax

Die Musik verhallt irgendwann.

Freddie: Manchmal wache ich nachts schweißgebadet auf. Weil ich Angst

habe. Allein. Deshalb bin ich immer auf der Suche nach jemandem, der mich

liebt. Selbst, wenn es nur für eine Nacht ist. Bei meinen One-Night-Stands

spiele ich immer nur eine Rolle. Was ich wirklich suche, ist die große Liebe. Ich

verliebe mich, und am Ende bin ich wieder verletzt und deprimiert. Ich verliebe

mich einfach zu schnell und falle dabei jedes Mal wieder auf die Schnauze. In

Liebesdingen verliert man schnell die Kontrolle, und dieses Gefühl hasse ich.

Was habe ich mir schon die Augen ausgeweint…! Auf der Bühne gebe ich den

Macho, ja! Aber in Wirklichkeit bin ich ein echter Romantiker. Wie Rodolfo

Valentino. Ich habe eine verdammt weiche Seite, die schmilzt wie…

Barbara: Wie Butter in der Sonne?

Freddie: Ja, verdammt!

Beide lachen.

Musik: Queen: Somebody To Love (live)

Can anybody find me somebody to love? / Each morning I get up I die a little /

Can barely stand on my feet / Take a look in the mirror and cry / Lord what

you're doing to me / I have spent all my years in believing you / But I just can't

get no relief, / Lord! / Somebody, somebody / Can anybody find me somebody

to love?

Sehr früh am Morgen. Barbara und Freddie waren auf der Piste. Erschöpft und

gut gelaunt betreten sie gerade Barbaras Wohnung.

Barbara: Du magst ihn, oder? Du magst ihn sehr.

Freddie: Ich weiß nicht, was du meinst.

Barbara: Du weißt nicht, was ich meine?!

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Freddie: Ich mag Frankie Goes to Hollywood. Spandau Ballet sind auch sehr

beeindruckend. Ich schätze auch Joni Mitchell ungemein, ihre

Gesangsphrasierung. Und ich denke, Human League ist eine der besten Bands

der Welt. Wohingegen mich bei dir eher deine Riesentitten faszinieren.

Barbara: Ich meine Winnie.

Freddie: Oh, ist er nicht ein bisschen spießig?

Barbara: Aber er hat dieses Rustikale, was du so schätzt. Ich meine: Er sieht

doch aus wie ein LKW-Fahrer.

Freddie: Ich werde ihm eine LKW-Ladung Rosen durch sein Schlafzimmer

werfen.

Barbara: Du hast dich also doch verliebt!

Freddie: Ich verliebe mich andauernd.

Barbara: Winnie ist also nichts Besonderes?

Freddie: Diese Travestie-Gruppe war toll.

Barbara: Lenk nicht ab!

Freddie: Wie hießen die noch?

Barbara: Die Frisco-Girls.

Freddie: Diese Nummer, die sie getanzt haben. Aus „Schweinensee“.

Barbara: Schwanensee.

Freddie: Meine Lieblingsnummer. Der Typ, der sich Miss Piggy nennt…

Barbara: Peter.

Freddie: Überhaupt! - München ist einfach… -

Musik: Queen: Fun It

Now we got a movement / Don't shun it fun it / Can't you see now you're movin'

free? / Get some fun join our dynasty / Can't you tell when we get it down? /

You're the one you're the best in town.

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Freddie: München ist einfach… - Man kann zu Fuß überall hingehen. In

London wäre das absolut undenkbar. Du musst immer in deinem Auto bleiben.

Und es gibt immer jemanden, der dir das teure Auto zerkratzt. Man kann nicht

einmal zu Fuß eine Straße überqueren. Auch New York ist, was das betrifft,

schrecklich. Ich würde es nicht wagen, da einfach so herumzulaufen.

Barbara: Pussy!

Freddie: Ich bin so schwul wie ein rosa Heckenröschen, meine Süße. Was

soll ich machen. Und München… München ist nicht wie London, aber München

ist…

Barbara: München ist schwulenfeindlich.

Freddie: Oh, wenn wir nachts ins Frisco gehen, habe ich ganz und gar nicht

diesen Eindruck.

Barbara: Da taucht Gauweiler ja auch nicht auf.

Freddie: Wer ist Gauweiler?

Barbara: Ein CSU-Politiker. Und ein Schwulenhasser. Schwule stören die

öffentliche Ordnung, sagt er.

Freddie: Das will ich hoffen.

Barbara: Am liebsten würde er alle Homosexuellen aus der Stadt

verbannen. Und Aidskranke würde er gern in Internierungslager stecken. – Was

glaubst du, warum alle schwulen Bars und Kneipen verriegelt sind? Warum wir

klingeln müssen, wenn wir da rein wollen?

Freddie: Oh, das finde ich gar nicht so übel. Man geht in München nachts

auf die Piste – und bleibt doch immer irgendwie privat. Keine Paparazzi. Wir

sind unter uns.

Barbara: Bitte nicht die Presse rufen! Bitte nicht die Presse rufen…!

Freddie: (irritiert) Was…?!

Barbara: Sagt Phoebe doch immer, wenn wir abends in irgendeine

Schwulenbar kommen. Total panisch rennt er in alle Richtungen und quatscht

jeden an: Bitte nicht die Presse rufen.

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Freddie: Er ist halt besorgt um mich. Ich denke nicht, dass irgendjemand

dort jemals auf die Idee kommen würde, den Paparazzi einen Tipp zu geben.

Wir sind ja unter uns. Aber Phoebe meint es gut.

Barbara: Ich hätte auch gern einen Bodyguard.

Freddie: Hey, du hast mich!

Musik: Queen: Play The Game

Open up your mind and let me step inside / Rest your weary head and let your

heart decide / It's so easy when you know the rules / It's so easy all you have to

do

Is fall in love / Play the game, / Everybody play the game of love

Freddie: Erzähl mir von Fassbinder!

Barbara: Was willst du denn hören?

Freddie: Wie war er denn so?

Barbara: Nun, ja… - Sicher war er so was wie ein Genie...

Freddie: Umgibst dich wohl gern mit Genies?!

Barbara: Klar. – Er war ein Genie. Einerseits. Aber er war auch ein Despot.

Die Menschen, mit denen er zusammengearbeitet hat, die hat er gnadenlos

ausgebeutet. Emotional, meine ich. Er hat uns gegeneinander ausgespielt. Er

hat uns provoziert, verletzt, missachtet… - Missachtet und geliebt zur gleichen

Zeit. Aber vielleicht musste das so sein...

Freddie: Wieso?

Barbara: Er hat alles aus uns herausgeholt. Er hat uns zu Höchstleistungen

getrieben. Wir wollten, dass er uns liebt. Und dafür haben wir alles getan. Er

hatte diese Aura, die uns magisch anzog. – Ist das bei euch nicht genauso?

Freddie: Ich bin nicht der Bandleader, wenn du das meinst. Alle denken, ich

sei der Bandleader, aber ich bin nur der Leadsänger. Ich bin nicht der General

oder so was. Wir sind vier gleichberechtigte Leute. Wir wollten alle immer

Popstars werden, aber die Gruppe geht vor. Ohne die anderen wäre ich nichts.

Und das gilt sicher auch für deinen Fassbinder.

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Barbara: Es gab immer irgendwelche Machtkämpfe.

Freddie: Es ist ein andauernder Kampf, na klar. Jeder von uns komponiert

für sich allein, und dann kämpft jeder darum, so viele seiner eigenen Songs wie

möglich auf das Album zu bekommen. Es ist ein Kampf, der der Band aber sehr

gut tut.

Barbara: Auf Fassbinder durfte man sich nicht mit Haut und Haar einlassen.

Ich denke, er war ein gefährlicher Mensch für diejenigen, die sich mit Haut und

Haar auf ihn eingelassen haben.

Musik: Ingrid Caven: Alles aus Leder

Alles aus Leder, / doch nebenbei / bist du wie jeder / im Einerlei. / Schützt sie die

Seele, / die Uniform? / Wenn ich dich quäle, / hast du's doch gern. / Männer,

was ist das? / Keine Gefahr. / Machen ihr Bett nass, / pflegen ihr Haar.

Freddie: Dieser Fassbinder hat aus vielen seiner Schauspieler Stars gemacht,

oder?

Barbara: Nicht aus vielen. Aus manchen.

Freddie: Aber du warst nicht dabei.

Barbara: Ich habe lange, bevor ich Fassbinder kennengelernt habe, schon

international Erfolg gehabt als Schauspielerin.

Freddie: Okay…

Barbara: Da war ich grad Anfang zwanzig. Der Film hieß „The Festival Girls“.

Eine italienisch-amerikanische Koproduktion. In Deutschland hieß er “Küss

mich, als gäb’s kein Morgen”.

Freddie: Küss mich, als gäb’s kein Morgen?

Barbara: Kiss me like there’s no tomorrow.

Freddie: Und du hattest die Hauptrolle?

Barbara: Allerdings. Ich wurde mit Brigitte Bardot verglichen. Und mit Elke

Sommer und Karin Dor. „Wilder als Fellinis ‚La Dolce Vita’“, hat die Presse

damals geschrieben.

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Freddie: Frollein Busenwunder.

Barbara: Mr. Bad Guy!

Freddie: Ich hab übrigens ein neues Lieblingsessen.

Barbara: Wieder irgendwas Bayrisches?

Freddie: Schweinsbraten mit Knödel.

Barbara: Du wirst noch ein echter Bazi…!

Freddie: Bazi? Was heißt das? - Winnie isst es auch gern.

Barbara: Wolltest du ihm nicht Rosen ins Schlafzimmer werfen?

Freddie: Ich habe ihm eine Luxus-Limousine vor die Tür vom Sebastianeck

gestellt.

Barbara: Du bist echt verrückt.

Freddie: Ich verwöhne meine Geliebten eben schrecklich gern. Ich möchte,

dass sie glücklich sind.

Barbara: Könntest du dich nicht in mich verlieben? Ich hätte auch gern eine

Luxus-Limousine.

Freddie: Ich habe dir meine Lederjacke geschenkt.

Barbara: Hat mich beeindruckt.

Freddie: Ich möchte eine echte Beziehung aufbauen, verstehst du?

Barbara: Und deine Musik? Du hast gesagt, dass du keine Songs schreiben

kannst, wenn du verliebt bist. Dass das nur geht, wenn du unglücklich bist.

Freddie: Willst du, dass ich unglücklich bin?

Barbara: Ich will, dass du Songs schreibst.

Freddie: Ich werde ein Solo-Album machen.

Barbara: Ein Solo-Album? Und was ist mit den Jungs aus deiner Band?

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Freddie: Jeder macht irgendwann ein Solo-Album. Man kann es einen

Egotrip nennen. Man kann es nennen, wie man will. Eigentlich handelt es sich

nur um eine Handvoll Songs, die ich auf meine eigene Art machen will. Okay,

das hört sich jetzt fast so an, als würde Frank Sinatra reden. Aber ich will mal

andere Sachen ausprobieren. Reggae-Rhythmen zum Beispiel. Ehrlich gesagt,

wäre es mir ja am liebsten, wenn alle Bandmitglieder dabei wären, aber dann

wäre es ja kein Solo-Album mehr.

Barbara: Du spinnst.

Freddie: Ich werde es dir widmen. Dir und deinen Riesentitten.

Musik: Queen: Bohemian Rhapsody

Is this the real life is this just fantasy / caught in a landslide no escape from

reality / open your eyes look up to the skies and see / I'm just a poor boy I need

no sympathy / because I'm easy come easy go little high little low / anyway the

wind blows doesn't really matter to me to me.

Barbara: Wie fallen dir diese Sachen ein?

Freddie: Was meinst du?

Barbara: Deine Songs. Wie fallen dir diese Melodien ein? Durch

irgendwelche Dinge, die du erlebt hast? Oder…

Freddie: Ich bin nicht einer von diesen Songwritern, die erst auf Safari

gehen müssen, wo sie sich von den wilden Tieren inspirieren lassen, die um sie

herumschleichen. Oder auf einen Berggipfel klettern oder so was. Ich kann

auch einfach in der Badewanne sitzen. Ich brauche keine Einflüsse von außen.

Am liebsten bin ich dann ganz allein. Nur ich und mein Klavier. Ich klimpere

dann einfach ein bisschen vor mich hin…

Barbara: Und „Bohemian Rhapsody“…?

Freddie: Ich wollte immer mal etwas Opernhaftes machen. Ich meine, ich

hab gar nicht viel Ahnung von Oper. Also, mit der Zauberflöte oder so hat das

natürlich absolut nichts zu tun. Eigentlich sind das auch drei Stücke, die ich

einfach zusammengesetzt habe. Und es ist auch nur ein Song von vielen. Nichts

Besonderes.

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Er passte gerade in die Zeit. Ich denke, wenn ich ihn heute veröffentlichen

würde, würde es kein Hit werden. Andere Stücke von mir – wie „Body

Language“ zum Beispiel - sind für mich genauso wichtig.

Barbara: Aber „Bohemian Rhapsody“, das ist die Kirsche auf den Kuchen.

Freddie: Die Kirsche auf dem Kuchen ?!

Barbara: Ja.

Musik: Queen: Bohemian Rhapsody

I see a little silhouette of a man / scaramouche scaramouche will you do the

fandango / thunderbolt and lightning very very frightning me / (Galileo) Galileo

(Galileo) Galileo Galileo figaro magnifico / I'm just a poor boy nobody loves me

/ he's just a poor boy from a poor family / sparing his life from this monstrosity

Barbara: Rüdiger war völlig schockiert, glaube ich.

Freddie: Rüdiger?

Barbara: Ach, du wirst dich nicht an ihn erinnern. Aber wie er den anderen

von deiner Party im „Mrs. Henderson“ erzählte: „Sie hatten alle ihre

Hosenböden herzförmig ausgeschnitten und die blanken Hinterteile mit

Lippenstift bemalt.“

Beide lachen.

Barbara: Dass die Schwulen bei uns auf die Straße gegangen sind… - Das hat

eigentlich mit einem Film angefangen, der im Fernsehen lief. Ungefähr zehn

Jahre ist das jetzt her.

Freddie: Was für ein Film?

Barbara: Rosa von Praunheim hatte den gedreht.

Freddie: Eine Frau?

Barbara: Nein, eigentlich heißt er Holger. Holger irgendwas. Und der Film

hieß „Nicht der Schwule ist pervers, sondern die Gesellschaft“ oder so ähnlich.

Das war ein richtiger Skandal im Fernsehen. Praunheim wollte die Schwulen in

Deutschland aufrütteln.

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Er wollte nicht nur die Spießer provozieren, sondern eben vor allem die

Schwulen, die sich damals immer noch versteckt hatten: Raus aus den

Toiletten, rein in die Straßen!

Freddie: Gut!

Barbara: Fassbinder mochte den Praunheim nicht. Obwohl Fassbinder selbst

immer offen mit seinem Schwulsein umgegangen ist. Und dann hat er seinen

ersten eigenen schwulen Film gedreht. Als Reaktion darauf, gewissermaßen. Ich

war auch dabei. Er wollte eine Geschichte erzählen, in der Homosexualität

nicht als irgendwas Exotisches dargestellt wird. Eine Geschichte, die jedem

Hetero so auch passieren konnte. Er spielte selbst die Hauptrolle und hat dafür

bestimmt zehn Kilo abgenommen. Sah richtig gut aus. Das wusste er auch. „Ihr

braucht gar nicht so zu glotzen. Mit meinem Aussehen könnte ich immer noch

ein paar Mark machen“, hat er gesagt. Er spielte einen jungen Schwulen aus

einfachen Verhältnissen, der in der Lotterie eine Menge Geld gewinnt und

dadurch in die besseren Kreise aufgenommen wird. Aber sie nehmen ihn nur

aus. Bis alles Geld verbraucht ist. Und dann wird er wieder fallen gelassen.

Freddie: Böse Schwule.

Barbara: Er wollte halt zeigen, dass es unter Schwulen nicht anders zugeht,

als in der sogenannten etablierten Gesellschaft. Fassbinder hat gemeint, die

Schwulen würden immer denken, sie seien was Besonderes.

Freddie: Da hast sich jemand wohl ganz gern mal unbeliebt gemacht.

Barbara: Das war ihm egal. Vorher hatte er „Effie Briest“ gedreht. Einen

richtig schönen Film, den die Leute mochten. Danach standen ihm alle Türen

offen. Aber er wollte sich von niemandem vereinnahmen lassen. So war er

eben. Er hat die Leute immer wieder vor den Kopf gestoßen. Deshalb wurde er

in Deutschland auch nie wirklich gemocht. Aber im Ausland ist er ein Star. Viele

seiner Filme wurden zum Beispiel auf dem New York Film Festival gezeigt. Auch

sein Schwulenfilm „Faustrecht der Freiheit“.

Freddie: Erstaunlich. Ausgerechnet in den USA. Wir haben zu unserem Song

„I want to break free“ ein irres Video gedreht. Ich bin als amerikanische

Hausfrau im trauten Heim beim Staubsaugen zu sehen. Und dann sing ich: „I

want to break free“.

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Auch die anderen aus der Band haben alle im Fummel gesteckt. Wir hatten

soviel Spaß beim Dreh, und wir haben uns wirklich nichts Böses dabei gedacht.

Aber die Leute in den USA finden so was überhaupt nicht komisch. Es schlägt

uns auf einmal soviel Feindseligkeit entgegen. Das hat uns echt schockiert.

Barbara: Na ja, ein schwuler Rockstar im Fummel…

Freddie: Diese Macho-Geschichte eben. „Was? Meine Idole ziehen

Frauenkleider an?“ Wir tun, was uns Spaß macht. – Eine Zeitlang hab ich ganz

gern Kleider von Zandra Rhodes getragen, mir die Augen geschminkt und die

Fingernägel schwarz lackiert. Aber eigentlich ist das längst vorbei. Ich bin im

Sternzeichen Jungfrau geboren. Ich bin wie Greta Garbo.

Barbara: Deshalb gehst du jetzt auch bevorzugt in engen Feinripp-

Unterhemden unter die Leute.

Freddie: Genau.

Barbara: Ein biederer Durchschnittsbayer wird dich für einen Maurer halten.

Freddie: Die Muskeln dafür habe ich, oder etwa nicht?

Barbara: Im muss an den Geschäftsführer im „Käfer“ denken. Dem standen

die Haare zu Berge: „Das geht doch nicht, der Mann an Tisch 13 muss ein

Jackett tragen!“

Freddie: Ich will, dass man mich in Ruhe lässt. Also, natürlich mag ich es,

wenn Leute um mich herum sind, aber es muss in meiner eigenen Umgebung

sein.

Musik: Freddie Mercury: Mr. Bad Guy

Mr. Bad Guy / Yes I'm everybody's Mr. Bad Guy / Can't you see I'm Mr. Mercury

/ Oh, spread your wings and fly away with me. / I'm Mr. Bad Guy / They're all

afraid of me / I can ruin people's lives / Mr. Bad Guy they're all afraid of me /

It's the only way to be / That's my destiny / Mr. Bad Guy, Mr. Bad Guy, Bad Guy

Freddie: Ist er das hier?

Barbara: Was?

Freddie: Das hier auf dem Foto. Ist das dein Fassbinder?

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Barbara: Ja, das ist er. Das war bei den Dreharbeiten zu „lili Marleen“,

glaube ich.

Freddie: Was war an ihm… so anziehend? Ich meine, du hast doch gesagt,

er hätte so eine Wahnsinnsaura gehabt.

Barbara: Allerdings.

Freddie: Aber er sieht schmierig aus. Übergewichtig. Furchtbar ungepflegt.

Und eher durchschnittlich.

Barbara: Du hast ihn eben nicht erlebt. Er hätte dich auch in seinen Bann

gezogen. Mit Sicherheit. Und du wärst absolut sein Typ gewesen.

Freddie: Ach ja?

Barbara: Muskulös, behaart, Schnauzer.

Freddie: Typ LKW-Fahrer, was? Nee, vielen Dank. Kein Interesse. Ich wette,

er hat gestunken.

Barbara: Und wenn? Hättest du ihm das gesagt? Hättest du ihm das so

einfach ins Gesicht gesagt?

Freddie: (unsicher) Ja, warum nicht?

Barbara: Er hat wahnsinnig gern Chinesisches Roulette gespielt.

Freddie: Was für ein Spiel ist das?

Barbara: Ein Wahrheitsspiel. Er war ein wahrer Meister darin, weil er uns

alle sehr gut kannte. Jeder sollte dem anderen die Wahrheit ins Gesicht sagen.

Was er über ihn dachte. Auch, wenn es wehtat. Es ging darum, die wunden

Punkte des anderen zu erwischen. Und Fassbinder nutzte sein Wissen

gnadenlos aus, um Intrigen zu spinnen, die anderen in die Enge zu treiben und

bloßzustellen. Er hat es genossen zuzusehen, wenn wir anfingen, uns

gegenseitig zu zerfleischen. Er schonte sich selbst dabei auch nicht, aber er ging

immer als Sieger aus dem Spiel.

Freddie: Wollen wir es spielen?

Barbara: Nein, ich denke nicht.

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Freddie: Du gehst mir manchmal auf die Nerven. Du hängst wie eine Klette

an mir. Weißt du, was?

Barbara: Hör auf damit!

Freddie: Manchmal, wenn du im Frisco nach mir fragst, lasse ich mich

einfach verleugnen. Weil ich gerade keine Lust auf deine Gesellschaft habe.

Barbara: Hör auf damit!

Freddie: Schon gut. Ich wollte nur probieren, wie es geht.

Musik: Queen: Another One Bites The Dust

Are you ready, / Are you ready for this / Are you hanging on the edge of your

seat / Out of the doorway the bullets rip / To the sound of the beat / Another

one bites the dust / Another one bites the dust / And another one gone, and

another one gone / Another one bites the dust

Musik: Ingrid Caven: Polaroid Cocain

Bleiches Licht. / Weißer Puder bedeckt dein Gesicht. / Wie ein Polaroid, / auf

dem man noch nichts sieht. / Auf farblosem Grund / erscheint dein bleicher

Mund, / wie ein Wasserzeichen auf Banknoten. / Als Tausenderschein / ist dein

Lächeln gemein.

Freddie: Woran ist er gestorben? Nicht an AIDS, oder?

Barbara: Kokain, Schlaftabletten, Alkohol. Man hat ihn hier in München auf

dem Prominenten-Friedhof begraben. So mancher Schickimicki-Münchner war

davon überhaupt nicht begeistert: ein schwuler Drogensüchtiger, mitten unter

ihnen…! Die Beerdigung war ein reichlich bizarres Spektakel. Zwischen den

Trauergästen lief ein Kerl rum, der verzweifelt versucht hat, einen Abguss von

Fassbinders Totenmaske meistbietend zu versteigern. Und dann das ganze

Gezicke zwischen Ingrid, Hanna und Juliane. „Ich sitze in der ersten Reihe. Nein,

ich. Aber ich darf zuerst an den Sarg. Kommt gar nicht in Frage…!“ –

Furchtbar…!

Freddie: Kommt mir irgendwie bekannt vor. Wer sind die drei?

Barbara: Seine Ex-Frau, seine… Lieblingsschauspielerin, die ihm eigentlich

alles zu verdanken hat.

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Und dieses blutjunge Mädel, die er zu seiner neuen Lebensgefährtin gemacht

hatte. Die drei machten dann bei der Trauerfeier alle auf ganz großes Drama.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte eine, die andere in ihrem

unermesslichen Leid zu übertrumpfen. Grotesk, wenn man bedenkt, dass das

Gerücht umging, dass er gar nicht im Sarg gelegen hat. Weil seine Leiche von

der Gerichtsmedizin angeblich noch nicht freigegeben war.

Musik aufblenden:

Jetzt erscheint dein Körper, / er tritt aus dem Schatten ins Licht, / zögernd, nach

und nach: / erst ein spitzes Knie, / dann die Halspartie, / links ein Ohr / und ein

Schimmer von Haar und Flor, / die Zähne, die Zunge, der Schwanz, die Stirn,

etcetera, etcetera, etcetera.

Barbara: Wollen wir uns nicht zusammen eine Wohnung kaufen, was meinst

du? Wir teilen uns den Kaufpreis und die Einrichtungskosten. Und für den Fall,

dass einer von uns beiden stirbt, gehört die Wohnung dann dem anderen.

Aus weiter Ferne erklingt wieder die Musik:

Musik: Frankie Goes to Hollywood: Relax

Freddie: Lange habe ich gedacht, ich muss etwas darstellen, immer im

Mittelpunkt sein und so weiter. Aber irgendwann ist mir klar geworden: Das

musst du nicht. Warum bist du nicht einfach du selbst? Du musst keine Angst

davor haben, durchschnittlich zu sein. Sollen sie doch sagen, ich sei langweilig.

Wenn ihr meint, ich sei langweilig, dann macht es euch doch gefälligst selbst…!