Ding-Denken. Architektur und Spekulation (Masterarbeit)

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Ding-Denken. Architektur und Spekulation (Masterarbeit) Neda Genova // M.A. Medienkulturanalyse / 4. Semester / Matrikel-Nummer: 1867145 Betreuer: Prof. Dr. Reinhold Görling / M.A. Sven Seibel

Transcript of Ding-Denken. Architektur und Spekulation (Masterarbeit)

Ding-Denken.

Architektur und Spekulation

(Masterarbeit)

Neda Genova // M.A. Medienkulturanalyse / 4. Semester / Matrikel-Nummer: 1867145

Betreuer: Prof. Dr. Reinhold Görling / M.A. Sven Seibel

Danke an Carla und Irina.

In der Begegnung mit ihnen ist der Chor um einige Fäden und Kurven vielfältiger,

bewohnbarer und gesprächiger geworden.

Ding-Denken

beginnt mit der Sorge.

(Manning 2011)

(vgl. Heidegger 1954)

Ding-Denken

trägt der Materialität und Produktivität der Welt Rechnung und lässt keine

ursprüngliche Duplizität in der Konzeption von Denken und Erfahrung, keine

Selbstaufspaltung in “Bewusstsein” und “Inhalt”, zu.

(vgl. James 2006: 8; 11)

Ding-Denken

räumt ein, dass ein Ding zugleich Gedanke und Gedachtes sein kann, ohne dass

es sich dabei um ein Paradox handeln würde. (19)

Es ist an Schnittstellen, an Kreuzungen, Überlagerungen und Zusammenkünfte

interessiert.

Ding-Denken

ist genauso sehr auf Beziehungen, wie auf “Erfahrungsglieder” gerichtet:

[…] jede Art von erfahrener Beziehung muß für genauso 'wirklich' wie alles

andere im System auch erklärt werden. (29)

Ding-Denken

stellt Affekt und Denken, Intellekt und Intuition nicht einander gegenüber. Es ist

ein Denken, das von Ereignissen durchzogen ist und das Potenzial hat, zu

1

affizieren und “das Intervall des Noch-nicht-Gedachten im Denken fühlbar” zu

machen.

(Manning 2011)

Ding-Denken

bedeutet, dass keine vorgegebenen, feststehenden Positionen von Wissendem/r

und Gewusster/m mehr möglich sind und dass diese Beziehungen erst

“gemeinsam im und durch das Ereignis konstituiert” werden (ebd.).

Es unterwandert Vorgänge, die darauf aus sind, priviligierten Positionen im

Denken zu befestigen.

Ding-Denken

bedeutet ein Denken, das versammelt und die “Welt als eine Gemeinschaft

aktualer Dinge” erscheinen lässt.

(Whitehead 2000: 80)

Von der Sorge angetrieben, nimmt seine Bewegung die Form eines Tendierens-

hin-zu an; es verkoppelt.

(vgl. Manning 2011)

Ding-Denken

gibt Anlass zur Spekulation – als Versuch, sich erzählend dem anzunähern, das in

seiner Unbestimmtheit und seinem Selbst-Genuß, aus einer Fragilität und

Widerspenstigkeit heraus, erst Bedeutung zu erlangen beginnt.

2

Ursachen

Indem ich diese Propositionen für das Ding-Denken an den Anfang dieses Textes

setze, möchte ich sie zu einer Art Startplatz für seine kommende Entfaltung

machen. Sie sind von Erin Mannings Auseinandersetzung mit dem radikalen

Empirismus von James und Whitehead angestoßen. Ihre Formulierung aktiviert

einen spezifischen Modus des Denkens. Zum einen stelle ich mich dabei der

Frage, welche konkreten Begriffe, Gedanken und Dinge dieses Denken

vorantreiben und zu einer seiner möglichen Ursachen werden können. Zum

anderen zeigt sich in dieser Einstellung ein Interesse für Unbestimmtheiten und

Offenheiten. Ich habe mich also entschieden, das Ding-Denken als Modus – und

nicht als Thema – dieser Arbeit zu betrachten.

So wie William James darauf beharrt, dass es “keinen allgemeinen Stoff gibt, aus

dem die Erfahrung in ihrer Gesamtheit gemacht ist” (21), so musste ich

feststellen, dass dies auch für das Denken gilt, wenngleich bereits als Ding-

Denken präzisiert. Auch für dieses lässt sich keine allgemeine Zusammensetzung

oder begrifftliche Definition festmachen.

Es gibt so viele Stoffe, wie es 'Eigenschaften' an den erfahrenen Gegenständen

gibt. (ebd)

– schreibt James weiter und setzt “Eigenschaften” in Anführungszeichen, da er

weiß, dass sie genauso wenig gegeben sind, wie ein allgemeiner Stoff es wäre. Als

Teil der Erfahrung sind sie relationale Elemente aus dem Stoff der Gegenstände

und der Gedanken, sie sind wirkliche Beziehungen.

Es gibt so viele Formen des Ding-Denkens, wie es potenziell gedachte

Verkettungen von Gedanken und Dingen gibt. Deswegen wäre der Versuch, das

3

Ding-Denken theoretisch zu formulieren, ein müßiger, seinen eigenen Prämissen

widersprechender Akt. Das Ding-Denken an sich gibt es nicht, es kann vielmehr

als eine Form oder als eine Beschreibung von Prozessen des Denkens bezeichnet

werden, die sich immer in konkreten Situationen und Relationen aktualisieren.

Eine solche Situation ist für mich eine Videoarbeit von Elizabeth Price – The

Woolworths Choir of 1979 (2012), mit der ich mich intensiver beschäftigt habe

und die ich aus einem Modus des Ding-Denkens heraus spekulativ herangehen

möchte.

Wie wird der Fluss oder der Virus zu einer Ursache für das Denken? (Stengers

2008: 181)

Wie wird der Chorus oder der Film, der Raum oder das Ornament zu einer

Ursache für das Denken? Wie kann man Denken als einen materiellen,

produktiven Prozess fassen, in dem versammelt und verknüpft wird?

Mein Vorschlag ist, Spekulation als eine Methode aufzufassen, die den materiell-

relationalen Möglichkeitsbedingungen des Ding-Denkens Rechnung trägt.

In der Auseinandersetzung mit Elisabeth Price' Videoarbeit möchte ich

verschiedene Möglichkeiten ausprobieren, wie ihre eigenen Denkformen zu

beschreiben sind und welche spekulativen Methoden sie selbst entwickelt, um

Raum und Erzählung miteinander zu verbinden.

Ich möchte mich im Schreiben der Herausforderung stellen, Theorien

gemeinsam mit dem Film zu entwickeln, anstatt sie auf ihn anzuwenden. Auch

möchte ich danach fragen, welche Methoden und Theorien der Film selbst

entfaltet, um zu spekulieren und ein Verhältnis zu Anderen – seien diese

Anderen Architekturen oder Publikum – aufzubauen.

4

Mir wurde im Prozess der Beschäftigung mit der Videoarbeit und vor allem im

Schreiben klar, dass diese Herangehensweise zwar produktiv und sinnvoll sein

mag, dass sie zugleich aber gewisse Spannungen mitproduziert. So musste ich

feststellen, dass Fragen nach dem Gleichgewicht im Text immer wichtiger

wurden, etwa das Verhältnis der Titelsetzung zum Rest der Arbeit.

Ist es gerechtfertigt, in seinem Titel nicht die Topik oder das Thema, sondern den

“Modus” (des Ding-Denkens), in dem der Text entstanden ist, zu bezeichnen? Ist

es plausibel, dem begrifflichen Erfassen von “Spekulation” wesentlich weniger

Platz einzuräumen, als ihre Präsenz in der Überschrift vermuten lässt und sich

stattdessen weiteren Theorien und Fragen, die in The Woolworths Choir of 1979

entwirrt werden, zu widmen?

Doch folgt man einer theoretischen Auseinandersetzung mit der Tätigkeit der

Spekulation, so wie sie unter anderen bei Whitehead und Haraway zum

Vorschein kommt, erscheint eine solche Herangehensweise fast unabdingbar.

Denn Spekulation, so wird sich später herausstellen, ist eine Praktik, eine Form

des Geschichtenerzählens – spekulieren, erzählen, sollte ich also auch.

Ich musste im Zuge des Schreibens feststellen, dass, setzte ich mich mit The

Woolworths Choir of 1979 auseinander, zugleich Gefahr liefe, mich von anderen

Theorien oder Vorannahmen zu entfernen oder sie auch ganz fallen lassen zu

müssen. Vor allem verlor ich im Schreibprozess die Vorstellung, es gäbe etwas in

diesem Film, das ich für die Erläuterung von Konzepten wie “Architektur”,

“Denken” und “Spekulation” verwenden könnte. Ich habe mich stattdessen

entschloßen, mich mit der Frage zu beschäftigen, auf welche Art Theorie und

Film zusammengebracht werden können. Dafür muss ein spekulativer Zugang

gefunden werden und als Ziel meiner Arbeit möchte ich gerne die Suche nach

diesem formulieren.

5

Notwendigerweise musste ich mich im Schreiben viel mit Prozessen der

Versammlung, der Wissensproduktion und der Positionierung auseinandersetzen

– Themen, die sowohl für Price' Videoarbeit zentral sind, als auch ebenso bei

jedem Versuch, sich schreibend jemandem Anderen anzunähern, wichtig werden.

Auf den folgenden Seiten werde ich mich vorerst mit der Methode der

Spekulation beschäftigen. Ich werde mich dabei der Frage nähern, was mich an

dieser Herangehensweise besonders anspricht und warum ich sie für eine

produktive Schreibmethode halte. Dabei untersuche ich Affinitäten zwischen

Whiteheads Begriff der Spekulation und der Harawayschen spekulativen

Fabulation (sf).

Daraufhin setze ich die Videoarbeit von Elizabeth Price als Ursache für mein

Denken und werde versuchen, ihr in ihrer Komplexität und Verschachteltheit zu

folgen. Ich greife Elemente – Themen und Methoden, Gesten und Töne – aus ihr

heraus und mache sie zum Anlass einer spekulativen Auseinandersetzung mit

The Woolworths Choir of 1979. Eine Qualität dieser Arbeit, die immer wieder

meine Bewunderung hervorruft, ist die Unmöglichkeit, sie völlig zu erfassen oder

zu erschöpfen. Mit jedem wiederholten Sichten entfalten sich komplexere und

interessantere Bezüge, Schichten und Dimensionen, sodass es nie zu einer

Ermüdung oder Abnutzung in unserer gegenseitigen Beschäftigung kommen

kann.

Ihr Denken hat mich selbst auf spezifische Art und Weise versammelt: ich musste

ihren Themen und Bewegungen folgen, um überhaupt mit ihnen schreiben zu

können. Ohne Zweifel verdanke ich dem Chor, dass ich die Notwendigkeit

gespürt habe, aufmerksamer schauen zu lernen sowie Präzision und Spiel nicht

als entgegengesetzt zu empfinden.

6

Im Folgenden skizziere ich kurz die einzelnen Kapitel dieser Arbeit und gehe

dabei insbesondere auf meine Fragestellungen und Gedankengänge ein.

Zunächst wird die spezifisch dreiteilige Organisation der Videoarbeit

beschrieben, sowie, ihrer Chronologie folgend, einige bedeutsame Ereignisse.

In den beiden darauffolgenden Kapiteln wird es um zwei Gesten gehen, die des

Zeigens und des Kreisens. Diese Bewegungen sind als besonders wichtig

empfunden – sowohl für die Art und Weise wie das Video strukturiert und

organisiert wird, als auch für die Produktion von Zeit, Raum und Geschichten,

die mithilfe dieser beiden Gesten ermöglicht werden. Ich beziehe mich auf

Whitehead, um bestimmte Operationen wie z.B. die Abstraktion zu beschreiben.

In dem Kapitel zu “Archiv, Vergangenheit, Zukunft” wird Raum geschaffen für

eine konkretere Beschäftigung mit den Vorgängen, die in The Woolworths Choir

of 1979 in Gang gesetzt werden, um Bezüge herzustellen, die quer durch

Raumzeitkontinuen verlaufen. Eine mögliche spekulative Methode mit

Vergangenheit umzugehen, ist die der Sprache und der wird in einem Umweg

über Heideggers etymologisch inspirierte Beschäftigung mit dem Ding und

seinen Affinitäten zum “Ereignis” und “Versammlung” gefolgt. In diesem

Abschnitt wird noch Whiteheads Konzeption des Erfassen-Ereignisses

eingeführt, mit ihren Implikationen für die Erfahrung von Zeit.

“Architektur” ist der Titel des darauffolgenden Kapitels, in dem die Frage

aufgeworfen wird, auf welchen Arten und Weisen räumliche Konstellationen in

der Videoarbeit zum einen thematisiert, zum anderen hervorgebracht und

vertauscht werden. Zwei herausragende Operationen des Films werden

aufgegriffen – die Rahmung und den Rhythmus – und es wird der Versuch

unternommen, ihre Rolle in den Prozessen der Territorialisierung

nachzuvollziehen. Weitere Themen in diesem Abschnitt sind auf der eine Seite

der Einsatz von Karten und Plänen, die das Verhältnis zur Architektur

7

vervielfältigen, und auf der anderen das Einbeziehen des Chors als

Organisationsprinzip und Thematik auf mehreren Ebenen des Films.

Schließlich ist das letzte Kapitel der Beschäftigung mit der Relation von Wissen

und Erzählung und ihrer Inszenierung in The Woolworths Choir... gewidmet.

Vielleicht werde ich an dieser Stelle wieder meinen anfänglichen Fragestellungen

zu “Spekulation und Architektur” näher kommen können, doch, so hoffe ich,

folge ich dabei einer anderen Fluchtlinie – und zwar der des Films – wenn ich

dies tue.

Spekulation

Spekulation ist eine Form des Ding-Denkens, die einige seiner Aspekte aufgreift,

sie narrativisiert und in eine produktive, risikobehaftete Tätigkeit der

Wissensproduktion einbettet.

Spekulation ist als Methode zu begreifen, in Beziehung zu treten. Methoden

zeigen eine Gerichtetheit hin zu... auf, sie befinden sich im Modus des Fragens

und resultieren aus einer Sorge um... etwas. Sie entstehen dort, wo

Bedeutsamkeit zu spüren ist oder auch dort, wo diese erst anfängt notwendig zu

werden. Nach Whitehead ist die Methode an die Frage nach dem Leben, oder,

noch dringlicher, nach dem „guten“ Leben gebunden:

Die Geburt einer Methode besteht im wesentlichen in der Entdeckung eines

bestimmten Manövers, eines Kniffs, wie man leben kann. Wenn sie es zur Reife

gebracht hat, erfüllt sie die für das gute Leben unmittelbar erforderlichen

Bedingungen. Aber dieses gute Leben ist nicht stabil [...] (Whitehead 1974: 18)

8

Das Leben ist „nicht stabil“, nicht vorauszusetzen; in gewisser Weise gibt es

dieses Leben noch nicht, da es gilt, Wege herauszufinden, um zu ihm zu

gelangen. Mit dem Streben nach dem „guten“ und „besseren“ Leben erklärt

Whitehead die Notwendigkeit von Zweckursachen und einer Aufwärtsbewegung

in die Natur (vgl. Whitehead 1974). Im gleichen Aufsatz „Die Funktion der

Vernunft“ stellt er zwei Aspekte der Vernunft vor: es gibt eine praktische,

methodisch vorgehende Vernunft, die sich mit den Fragen nach den

Zweckursachen und den Bedingungen des Lebens befasst, und eine spekulative

Form, die über die methodischen Grenzen hinausgehen soll (33f) und deren

Aufgabe es ist, „erfrischende Neuheiten begrifflich zu fassen“ (22). Beide

Funktionsweisen der Vernunft sind aufeinander bezogen und angewiesen. Die

erfrischenden Neuheiten sind Teil der Frage nach dem guten Leben, aber ebenso

nach dem zukünftigen und besseren Leben, denn es ist eine Aufgabe der

Spekulation „das Denken schöpferisch in die Zukunft wirken zu lassen“ (67).

Es gibt also einen weiteren Aspekt der Spekulation: ihre Gerichtetheit auf die

Zukunft. Spekulation ist somit an der Herstellung von neuen Denk- und

Lebensweisen, von Beziehungen und Formen der Verknüpfung beteiligt. Man

könnte demnach Frische und Experiment1 als zusätzliche Faltungen in die

Formulierung der Tätigkeit der Spekulation miteinbeziehen.

Spekulation als Methode schließt immer auch die Sorge darum ein, wie figuriert

und verknüpft wird. Als Denkform kümmert sie sich, sie macht die Frage nach

den angemessenen Mitteln (in Beziehung zu treten) zu ihrer Angelegenheit. Es

entsteht dabei ein Ort, wo gespielt und mit Erzählungen experimentiert wird.

1Spekulation hat etwas mit experimentieren zu tun, da es bei ihr um die vorsichtige Erprobung

von Methoden geht (ohne „mit“ oder „an“, um keine Trennung zwischen Experimentierendem

und Experimentierten zu ziehen). So wie der Gebrauch des Verbes von Isabelle Stengers

vorgeschlagen wurde, bezeichnet es „eine Praxis der aktiven, offenen, erhöhten

Aufmerksamkeit“. (Stengers 2008: 116) 9

Spekulation ist eine Form der Narration, die sich darum bemüht Sorge, Zukunft

und Experiment in andersartigen Erzählungen anzusiedeln. Die Spekulation ist

darauf aus „bewohnbare Narrationen“ (Haraway 1995b: 93) zu entwerfen, also

immer Ort und Topik miteinander zu verschränken. Diese Tätigkeit kann nicht

nachlässig oder beiläufig sein, da die Frage nach der Bewohnbarkeit zugleich eine

ethische ist. Es muss sich bei der Konzeption einer Ethik, so meine ich, nicht

unbedingt um das Erstreben eines „guten Lebens“ handeln. Eine spekulativ-

ethische Haltung impliziert die Aufmerksamkeit für Details, die Sorgfältigkeit in

dem Umgang mit Potenzialitäten und die Offenheit für die Möglichkeit anders zu

werden. Diese Situierungen ziehen automatisch die Notwendigkeit mit sich neue

Methoden, Mittel und Modelle zu erproben, sie erzeugen eine fortwährende

Produktion.

Haraway beschreibt die sf-Praxis als „ein Modell für das 'Worlding'“ (Haraway

2012: 12) – denn es geht bei ihrer spekulativen Fabulation um die spielerischen

Neu-Konfigurationen von Welten. 'Worlding' ist Prozess und Multiplikation, es

bezeichnet das Schöpferische und Offene an Beziehungen. Sf ist das Zeichen, das

für die Verdichtung mehrerer Materialitäten, Zeiten und Strategien der

Verknüpfung steht:

Sf ist jenes potente materielle semiotische Zeichen für spekulative Fabulation,

spekulativen Feminismus, Science-Fiction, Science-Fact, Science-Fantasy und, so

würde ich vorschlagen, String-Figuren. (ebd.)

Sf ist eine Methode, die sich nicht vor der Erzählung als Praxis der

Wissensproduktion scheut. Fiktion und Narration werden als wirksame „Kniffe“

eingesetzt, um andere Welten, Existenzformen und Erkenntniszusammenhänge

denkbar zu machen, miteinander zu vertauschen und Beziehungen neu zu

fabulieren. Erzählpraktiken dieser Art machen Wissen zu ihrer Angelegenheit, da

10

sie sich bewusst sind, dass Wissen und Denken Teil der Produktion von Welt

sind. Es geht nicht um die Dekonstruktion jeglichen Wissens oder jeglicher Basis

für Gemeinplätze, sondern um die Herstellung und Vervielfältigung dieser Stätte,

um einen spielerisch-ernsthaften Umgang.

Spekulation ist eine risikobehaftete Aktion, die „Gefahr [läuft], bei der Aktion

und Passion des Sorgens Fäden fallen zu lassen und Dimensionen zu verpassen“.

(ebd.) Sie muss sich also häufig ihrem potenziellen Scheitern oder der

Aushöhlung ihrer Methoden aussetzen. Auch die Möglichkeit Räume zu

verstauen oder zu verstellen liegt nicht fern. Das Spiel mit den Fäden erfordert

Aufmerksamkeit für ihre Webart, Dichte, Elastizität und Widerständigkeit. Es

geht dabei um Koordination von den ausführ- und denkbaren Bewegungen und

den „erfrischenden Neuheiten“ (Whitehead 1974: 22), die extravagante

Verknüpfungen und String-Figuren wagen. Beide Bewegungsarten sind wichtig,

um die Fäden weiterhin halten zu können, ohne sie zu verknoten oder zu

verlieren.

Die Fragen nach den Konsequenzen des Spiels können mit dem Zugriff auf

Fiktion und Erzählung nicht vom Tisch fallen, denn es ist von Bedeutung, welche

Geschichten wie erzählt werden und wem sie zu gelten haben. Die Ausrichtung

auf die Zukunft bringt Verantwortung und Spiel in die Nähe zueinander.

Offenheit bedeutet noch keine Distanz. Entfernung, Geschwindigkeit, Frequenz

und Ausrichtung sind auch Fragen der Zukunft.

Sf muss auch „so far“ („bislang“) bedeuten und damit das eröffnen, was in den

Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünften proteischer Zeiten erst noch

kommen wird.“ (ebd.)

Zu spekulieren bedeutet also Zeiten zu verwirbeln und mit Ursachen, Wirkungen

und Abfolgen zu spielen. Es heißt auch, die Zeiten mit Bedeutungen zu belagern,

11

die ihnen vielleicht fremd sind, und zu Stätten von Geschehnissen zu machen,

von denen sie womöglich nichts wussten. Das, „was […] erst noch kommen wird“

(ebd.) kann auch aus der Vergangenheit einströmen. Eine spekulative Methode

verpflichtet sich also der Erforschung und Erzählung von Vergangenem ebenso

wie Zukünftigem.

Die spekulative Tätigkeit gibt Anlass zu „jenseitigen Konversationen“ (Haraway

1995b: 81ff), sie „verwandelt dadurch alle Partner und Einzelheiten und schafft

sie neu“. (84) Spekulation produziert hybride, nicht einheitliche Gemeinschaften,

die sich Affinitäten und Assoziationen2 bedienen, um neue Formen und

Strategien der Versammlung zu entwickeln.

Spekulation lässt Unterscheidungen wie jene zwischen Theorie & Praxis,

Beschreiben & Ausführen, Produzieren & Repräsentieren zusammenfallen. Eine

Beschreibung kann schon spekulativ sein. Theorie versteht sich als Worlding und

somit als eine Praktik unter anderen. Der Idee einer getreuen, keine Differenzen

produzierenden Repräsentation wird das Vertrauen entzogen.

Ich verstehe diesen Text als eine spekulative Arbeit. Die Art und Weise, wie ich

versucht habe, mich mit The Woolworths Choir of 1979 zu verknüpfen, hat mich

genauso wenig unverändert gelassen, wie das Video selbst. Auch ich musste erst

im Schreiben vorsichtig Methoden erproben, in Beziehung zum Film zu treten

und mich Gemeinschaften hineinbegeben, die mehr als die bereits vermuteten

Konversationspartner_innen einzuschließen schienen. Es entstanden dabei

überraschende Gesprächsthemen und -Orte, Gedanken-Dinge und Fäden, denen

ich folgen musste.

2„Affinität: eine Beziehung auf der Grundlage von Wahl, nicht von Verwandtschaft, die

Anziehungskraft einer chemischen Gruppe für eine andere, Begierde.“ (Haraway 1995a: 40)

Assoziation: siehe S. 76f in dieser Arbeit. 12

Geh spielen: Geh figurieren, so fordert Haraway (2012: 14) auf. „[E]in ernster

Scherz“ (12), aber auch ein Angebot, eine Verheißung. Man spielt, genießt und

spekuliert nie alleine; das bedeutet zugleich, dass wenn Fäden fallen, auch

Andere davon betroffen werden. Die Möglichkeit, im sf-Modi neue Allianzen und

Bündnisse herzustellen, birgt die Gefahr, dass diese vielleicht nicht fortbestehen,

dass sie nicht gleichermaßen als relevant empfunden oder gar von Anderen mit-

gedacht werden.

Doch da sf zugleich Experiment, Reise, Herausforderung, Hoffnung, Wagnis,

Frische, Spiel, Humor und Gespräch bedeutet, zieht Spekulation auch eine

gewisse unwiderstehliche Notwendigkeit mit sich.

Für diesen Text bleibt es noch aus zu erproben, welche Räume, Fragen und

Gesten sich als spezifische Methoden für eine spekulative Auseinandersetzung

mit The Woolworths Choir of 1979 am ehesten eignen.

The Woolworths Choir of 1979

The Woolworths Choir of 1979 ist der Titel einer 18-minütigen Videoarbeit der

Künstlerin Elizabeth Price, die im Jahr 2012 für die mit dem britischen Turner

Preis3 ausgezeichnet wurde. Die Arbeit verbinde ich persönlich vor allem mit

einer Kinoerfahrung, da ich sie zum ersten Mal im Rahmen des transmediale

Festivals 2013 in einem Berliner Kinosaal sichten konnte. Der Abspann “the next

screening will commence in 1.29... 1.28... 1.27 minutes” gibt jedoch Auskunft

darüber, dass sie ebenso als geloopte Installation angelegt ist.

3Er wird seit 1984 jährlich an einem_r in Großbritannien geborenen, lebenden oder schaffenden

Künstler_in unter 50 Jahren von dem TATE Britain vergeben. (siehe Quellenverzeichnis)13

Das Video ist formell in drei Teile gegliedert, die auf dem ersten Blick ziemlich

unterschiedlich und gar zusammenhangslos erscheinen mögen. Es gibt jedoch

Elemente und thematische Schnittstellen, die quer durch die dreiteilige

Organisation des Werkes laufen und immer wieder auftauchen: der Einsatz von

split screen, die Arbeit mit Schrift und Rhythmus, mit Archivbildern oder mit

solchen, die aus anderen visuellen Medien wie z.B. der Fotographie, Animation

und dem Musikvideo, die in Price' Video eingeführt und neu komponiert werden.

Im Folgenden möchte ich versuchen, die Arbeit in ihrer formellen Organisation

zu beschreiben, bevor ich mich später ihrer vielfältigen Themen und spekulativen

Methoden widmen kann.

Auditorium

Im ersten Teil wird die räumliche Anordnung eines Kirchenchors aus dem 13ten

Jahrhundert (Gansing et al. 2013: 235) in Szene gesetzt. Es werden

Informationen vermittelt, wie dieser aufgebaut ist und aus welchen Elementen er

besteht. Auf der Seite von MOT International4 wird der Anfang der Arbeit als

Auditorium bezeichnet, es ginge in ihm darum, eine Stätte für das kommende

Geschehen zu etablieren und die Situation eines Zuschauerraumes zu erzeugen.

Es wird tatsächlich das Gefühl hervorgerufen, man befinde sich als Zuhörer_in in

einer Vorlesung. Es wird um Aufmerksamkeit und um Zuschauen gebeten, die

Konzentration wird durch die rasche Abwechslung von kommentierenden oder

erläuternden Bildern gefordert und nicht selten strapaziert. Es hat den Anschein,

dass es darum geht, nicht nur in einen Raum eingeführt zu werden, sondern auch

etwas über diesen zu lernen, zu erfahren, festzuhalten. Das Bild wird oft durch

einen split screen oder durch das Nebeneinanderlegen von unterschiedlichen

4 Vgl. Quellenverzeichnis.14

Fotographien gebrochen. Es handelt sich hauptsächlich nicht um Bewegtbildern,

sondern um viele einzelne abfotographierte Buchillustrationen, die zu

bestimmten Bereichen der Inneneinrichtung der Kirche gruppiert werden. Es

wird eine Spannung zwischen dem Bemühen, den Eindruck eines

dreidimensionalen Raumes zu schaffen und diesen Bildern erzeugt, bei denen es

keinen kontinuierlichen Fluss, kein Volumen, kein Eintauchen in eine

Atmosphäre gibt. Vielmehr handelt es sich um viele ausgeschnittene, auf neutrale

Flächen gelegte Fotographien, auf die gezeigt wird und die mit an

Lexikoneinträgen erinnernden Verweisen beschriftet sind. (Abb. 1-3) Dabei gibt

es oft keine Zeit, sich auf diese einzulassen oder sie kontemplativ zu betrachten.

Manchmal sind sie nur für einen Sekundenbruchteil zu sehen, bevor ein auf der

Klangebene zu hörendes Schnipsen das Eintreffen des darauffolgenden Bildes

ankündigt. Die ganze Arbeit ist von dem Geräusch des Schnipsens durchzogen, es

rhythmisiert sie5 und schafft den Eindruck einer Präsentationssituation, die unter

Zeitdruck entstanden ist. Diese Impression wurde von der Künstlerin selbst im

Rahmen eines Publikumsgespräches6 untermauert: sie habe mit ihrem Schnipsen

und mit der Wahl der Schrift nicht zuletzt an Programme wie PowerPoint

gedacht. Diese beiden Elemente – das Schnipsen und die Textverweise – sollten

nämlich das Gefühl einer didaktischen Situation verstärken, wodurch der Modus

des Zeigens/Sehens eingeleitet wird.

Eine andere Präsentationsart fügt sich zusätzlich den zum Teil anstrengenden

Aneinanderreihungen von Bildern hinzu und versucht einen Eindruck von den

5Es ruft zudem die relativ eindeutige Assoziation mit dem Auslösen eines Kameraverschlusses

hervor und wechselt sich oft mit anderen Geräuschen ab, wie z.B. mit Klatschen oder dem

Zerbrechen von Glas. Zum Verhältnis von Architektur und Rhythmus werde ich später zu

sprechen kommen. (vgl. S. 62ff)

6Das am 2. Februar 2013 im Rahmen des transmediale Festivals in dem Haus der Kulturen der

Welt (HKW) in Berlin stattfand. 15

Zusammenhängen zu verschaffen, die zwischen den unterschiedlichen

räumlichen Details bestehen. Es handelt sich um den Einsatz von Animationen

(Abb. 4; 22): schlicht gehalten, mit hellfarbigen, geraden Linien auf einem

schwarzen, gleichmäßigen Hintergrund werden die Konturen von

unterschiedlicher Komponenten des Raumes skizziert. In zwei Zügen wird dabei

die Architektur des Chors in Bewegung gesetzt: zum einen werden immer neue

Figuren in beeindruckender Geschwindigkeit entworfen und tauchen auf der

schwarzen Fläche auf, zum anderen werden wir selbst bewegt, wenn wir von

einem raschen, kameraartigen, diesmal das Volumen des Raumes schneidenden

Blick, mitgezogen werden. Er schafft sich eine Sicht von oben auf verschiedene

Seiten des Chors und stärkt das Gefühl von Klarheit, Überblick und Präzision.

Im Auditorium7 wird Wissen über die Konstruktion des Chors vermittelt: er ist

ein besonderer Bereich einer Kirche ist, in welchem normalerweise die

Geistlichen Platz nehmen. Auf Englisch kann er choir oder auch quire heißen.

Vom Mittelschiff ausgehend ist dieser Bereich durch eine Leinwand (parclose)

abgetrennt und besteht aus zwei Hauptteilen – chorus abbatis und chorus

prioris. Wir lesen außerdem wie er ausgestattet und dekoriert ist, erfahren was

Dreipass (trefoil), S-Kurve (ogee) und Vierpass (quatrefoil) sind und dass die

ornamentalen Figuren, die oft an “untergeordneten” Stellen im Raum (wie unter

den Kirchenstühlen oder an den Enden der Bänke) zu sehen sind und profane,

fantastische sowie animalische Szenen darstellen, auch als Miserikordien

(misericords) bekannt sind.

Es scheint mir, dass es einige Momente in diesem ersten Teil gibt, die eine Form

der Überraschung oder auch des Staunens hervorrufen sowie Schauen, Wissen

und Humor miteinander verbinden: ein solcher Moment ist gerade mit der 7Darunter verstehe ich sowohl den ersten Teil der Videoarbeit, als auch den Ort, der durch die

didaktische Präsentationsart hervorgebracht ist. Dieser breitet sich auf die Zuschauersituation aus,

sodass wir, die Betrachter_innen des Videos, in diese hineingezogen werden. 16

Verdichtung der Miserikordiebilder (vgl. Abb. 5-7) assoziiert. Der Anblick von

diesen “profanen” Szenen rief bei jeder Sichtung mit Anderen Gelächter und

Schnaufen im Auditorium hervor.

Ein anderes Moment findet dann statt, wenn eine Beziehung zwischen den

unterschiedlichen Bedeutungen von quire/choir gespannt wird und wir erfahren,

dass die Wörter nicht nur etymologisch mit dem griechischen chorus verwandt

sind, sondern dass der Begriff auch in der Buchbinderei verwendet wird. Diese

Stelle fällt auf, da sie eine Intensität schafft, indem sie Informationen aus

anderen Orten und Wissensbereichen einleitet und die Verknüpfung von Zeigen,

Wissen und Schauen zur Schau stellt. Sie blendet dazu noch Bilder aus dem im

zweiten Teil des Videos eine zentrale Rolle spielenden Pop-Chor ein. Es wird ein

erzählendes “wir” suggeriert, das uns adressiert, auffordert und dem wir die

Einblicke in diese Bezüge zu verdanken haben:

now see how the chorus abbatis

and the chorus prioris [.] return [.]8 [.]

how they run around the rood screen

so that the stalls encircle [*] the space

WE KNOW9 [*]

indeed we know [*]

that the word choir and quire

are derived from the [*] greek word chorus

WE KNOW [*]

8[.] wird im Folgenden für ein Schnipsen stehen, [*] für Klatschen.

9Siehe Abb. 8. Das gleiche Bild mit dem Schriftzug WE KNOW kommt an zahlreichen Stellen in

der Arbeit vor, es wird meistens für einen Sekundenbruchteil eingeblendet und vom Klatschen

begleitet. Mit halbfettem Sternchen markiere ich die Momente, in denen Klatschen und

eingeblendetes Bild gleichzeitig geschehen. 17

meaning a circle of dancers [*]

speaking and singing in unison [*]

and that the term quire

WE KNOW [*]

is also used in bookbinding [.]

to denote a fourfold

a gathering of four folded papers

assembled to form a booklet

(Price 2012: 03:37-04:09)

Der Übergang vom ersten zum zweiten Teil der Arbeit passiert kurz nachdem die

misericords vorgestellt worden sind, indem die Beschreibung des choir/quire

immer häufiger durch andersartiges Bildmaterial unterbrochen wird. In der

Übergangssektion wird noch über andere Figuren (sepulchral effigies) und

Monumente berichtet, die sich am Boden des Chors oder auch im Mittel- und

Querschiff befinden können. Es handele sich dabei um liegende Gestalten, die

jedoch höchst lebhaft wirken. An dieser Stelle des Videos werden immer mehr

Bilder aus dem Popsong10 eingeschnitten, wir hören immer öfter ihr Klatschen,

Singen und Summen. Wir nähern uns also.

Chorus11

Der Chor, deren Mitglieder (noch) nicht zu bestimmen sind, versammelt sich aus

dem Verweis auf eine “auffällige” Geste heraus: bei einer der liegenden

supulchral effigies (Abb. 9) sei die Verdrehung des rechten Handgelenks 10Out In The Streets von Shangri-Las.

11Eine Niederschrift der Minuten 06:32 bis 08:52 ist im Anhang zu finden. Ohne sich scharf von

dem Rest der Arbeit abgrenzen zu lassen, umfasst dieser Abschnitt die Herausbildung des Chors.18

überraschend und expressiv. Man könne nicht genau festlegen, was diese Geste

bedeutet, dennoch könne man versuchen, ihr in den Bögen zu folgen, in den

ornamentalen Faltungen der Drei- und Vierpässe und der S-Kurven. Die

Aussagen des versammelten Chors sind besonders wichtig für das

Zusammenhalten des Geschehens, weil sie zeigen, dass gerade die Geste der

Knotenpunkt ist, der die drei Teile der Arbeit miteinander verschränkt. So wird

nahegelegt, dass die Bewegungsart dieser Geste zum Organisationsprinzip der

Videoarbeit wird, indem eine Beziehung zwischen dem sich windenden Arm und

dem ineinander verflechtenden Bildmaterial hergestellt wird. Die Stelle wirkt

durch den schnellen Montagerhythmus und die hohe Lautstärke so intensiv, dass

die konkreten Äußerungen des Chors nicht in ihren Einzelheiten festgehalten

werden können. Sie sind nicht als separate, informationshaltige Einheiten

wahrzunehmen, sondern wird vielmehr durch die spezifische Montageart ihre

Wissensbeladenheit erfahren. Wir hören Verse aus einem Lied der Shangri-Las:

Out In The Streets. Zeitgleich wechseln sich zusammengeschnittene Bilder aus

unterschiedlichen Musikvideos ab, in denen besonders die ähnlichen

Handbewegungen der diversen Interpreten ins Auge fallen. Gerade durch diesen

Nachdruck auf die Gesten sei die Empfindung einer Versammlung erzeugt, die

uns als Zuschauer_innen adressiert – so liest man auf der Seite von MOT

International:

The emphasis upon consistent and similar hand gestures, in particular, across

many diverse performances is used to establish the dancers as a coherent

expressive assembly, addressing the viewer. (MOT International)

Zugleich wird das Klatschen immer häufiger und aufdringlicher. Es entsteht das

Gefühl von einem einzigen, aus heterogenen Figuren bestehenden Chor – dessen

Teil nicht nur die Musik_innen sind, sondern auch die S-Kurven des 19

Kirchenchors, seine Drei- und Vierpässe. WE KNOW, WE ARE TREFOIL, WE

ARE QUATREFOIL, WE ARE QUATREFOIL, WE KNOW, WE ARE

CINQUEFOIL, WE ARE FIVEFOLD, CINQUEFOLD, WE KNOW, WE ARE

CHOIR, WE ARE QUIRE, WE ARE CHORUS. Der Chorus vermengt die Räume

und die Zeiten, die Formen und die Klänge, er verführt und überfordert,

verspricht sein Wissen mit uns zu teilen – AND WE WILL SHOW YOU – ohne

aber auf uns zu warten. Es scheint so, als würden die tanzenden, singenden

Gestalten den anderen Raum, den des Kirchenchors, bevölkern: aber auch, dass

durch diese Eindringen der Raum verwirbelt und zerfetzt, multipliziert worden

ist. So kann eine Öffnung hin zu anderen Zeiträumen und Geschichten entstehen.

Feuer

Im dritten und letzten Teil der Arbeit wird der Versuch unternommen, sich

einem historischen Ereignis anzunähern: einem Brand, der 1979 im Kaufhaus

Woolworths im Zentrum von Manchester stattfand und das Leben von zehn

Menschen nahm. Der Chor verspricht uns eine Erzählung oder eine Einsicht in

das Geschehen (WE WILL SHOW YOU), doch es dauert lange, bis wir überhaupt

erfahren, was passiert ist. Die ersten Bilder, die wir zu sehen bekommen, sind

von Menschen, die darüber berichten, was ihnen an jenem Tag widerfahren ist.

Wir hören keine Stimmen (außer denen des singenden Pop-Chors), sondern

lesen neben wiederkehrenden verblüfften Gesichtern immer wieder die gleichen

Sprachfetzen, wodurch wir dem Versuch beiwohnen wie mit immer den gleichen

Gesten und Worten das Feuer, die Klänge, der Rauch in den Augen sowie das

Geräusch des aus den Fenstern fallenden Geschirrs zu beschreiben versucht wird.

(Abb. 13; 14)

20

it all went up... it all went up... it all went up... in a matter of minutes... and we

saw the smoke... it all went up... we went down... but it was full of smoke... we just

couldnt see... in a matter of minutes... smoke was in your eyes... so we just came

down... and we saw all the flames coming up... it all went up... and all the girls...

throwing the cups down... and i kept hearing the sound... they were breaking all

the glass... throwing the cups down... they just kept breaking... and i kept hearing

the sound... down to the ground here... (Price 2012: 09:25-12:40)

Das Geschehene kann nicht zusammenhängend oder von einer einzigen Person

wiedergegeben werden, es scheint vom Chor umtanzt zu sein. Denn der Chor

begegnet den Zeugen, nimmt ihnen die prägnanten Wörter aus dem Mund und

setzt sie neu zusammen, sodass er eine Art mehrstimmige Erzählung oder auch

einen Polylog zwischen den unterschiedlichen Überlebenden erstellt. Er richtet

unsere Blicke auf die kreisenden Bewegungen ihrer Hände, die vielleicht aus dem

Bemühen hervorgebracht worden sind, den Rauch oder die Gesten der im

Woolworth eingesperrten Menschen, die verzweifelt ihre Arme aus einem

vergitterten Fenster streckten und Gläser auf die Straße warfen, nachzuahmen.

(Abb. 15) Diese Aufnahmen vom Brand 1979 werden uns ebenso wie die

kreisenden Bewegungen der berichterstattenden Zeugen immer wieder gezeigt.

Der Popchor schwindet in diesem letzten Teil nicht, sondern erinnert an sich mit

kurzen eingeschnittenen Bildern aus den Musikvideos, die wir bereits kennen. Es

entsteht eine Assemblage, in der die Aufnahmen der Interpreten nicht fremd

oder deplatziert wirken, sondern Teil des Geschehens bleiben und zwar als

Erzähler_innen und Zeugen, welche die über mehrere Zeiträume hinweg

entstandene Gesprächssituation leiten, halten und als ambivalenter Tanz

erscheinen lassen.

Später erfahren wir was genau im Jahre 1979 in Manchester passiert ist: ein

tödlicher Brand, um derer Rekonstruktion sich nicht nur seine Zeugen, sondern

21

auch Experten bemühen mussten. Für die Auflösung des Geschehens werden im

Video zusätzliche Archivaufnahmen ins Spiel gebracht. Dabei handelt es sich um

nachträglich erstellte Fernsehberichte, welche mit Hilfe von Raumplänen und

Informationen über die Brenneigenschaften der gelagerten Möbel die Umstände

des Brandverlaufs erklären. Die letzten paar Minuten des Videos sind ganz dieser

Maßnahme gewidmet, die die Bedingungen für das Entstehen des Feuers zu

rekonstruieren und seine Besonderheiten – von der Dichte des Rauches bis hin

zu der Geschwindigkeit, mit der er sich ausgebreitet hat – filmisch festzuhalten

sucht.

Im Vergleich zum Rest des Videos ist dieser Teil still und von Dauer sowie eher

selten von den vertrauten Schnappschüssen unterbrochen. Die Flammen wallen

in der speziell dafür gebauten Einhausung, die sich erkennbar in einem größeren

Lagerraum befindet. Der Rauch breitet sich in großen Zügen aus. Wir sehen eine

Uhr, die vermutlich die Zeit, die das Feuer braucht, um den Raum komplett zu

vernichten, messen soll. Das Bild ist noch gespalten. Anfänglich zeigt es links

Aufnahmen in Farbe, rechts in Schwarz-Weiß, es zoomt immer mehr in das Feuer

heran, konzentriert sich auf zwei in Flammen geratenen, aufeinander gestapelten

Stühle. Dann: auf beiden Seiten nur noch Schwarz-Weiß, click, die Uhr

verschwindet, click, der Rauch beschlägt die Fläche, click, unbemerkt zeichnet

sich die Trennlinie zwischen den beiden Bildern ab, click, wieder Rauch, diesmal

auf dem ganzen, nicht gespaltenen Bildschirm verteilt: the next screening will

commence in 1.29 minutes...

22

Zeigen

Im Film sind mir zwei Arten der Bewegung aufgefallen, die durchgehend

auftauchen, prominente visuelle Elemente darstellen und ihn zugleich

strukturieren und organisieren. Zum einen ist es die Geste des Zeigens oder des

Verweisens. Zum anderen gibt es auch eine Menge kreisender, reigende

Bewegungen, die gerade die Unmöglichkeit (oder die fehlende Notwendigkeit)

der Lokalisierung und des Aufdeckens offenlegen.

Die Videoarbeit fängt mit dem Satz this is the choir an und seit ihren ersten

Sekunden gibt sie den Anschein, dass sie uns durch ihr Zeigen als interessierte

Zuschauer_innen adressiert. Die Momente des Zeigens sind stark mit einer Logik

des Lehrens / Lernens verwoben: sie äußern sich in der bereits erwähnten

didaktisch anmutenden Situation, der Art und Weise wie die Bilder im

Auditorium präsentiert werden, der kontinuierliche Einsatz von erläuternder

Schrift, die Akzente setzt, Verweise formuliert und Definitionen liefert. Das

Zeigen ist scharf, es bildet einen Punkt, hat eine Spitze, es kratzt sich in das Bild

ein, es ist aggressiv und fokussierend. Es bietet eine Richtung an, es führt

Bedeutung herbei, es ist parteiisch und lenkend. Somit ist es spekulativ, wenn

Spekulation als eine Methode verstanden wird, Beziehungen und Tendenzen

herzustellen. Das Zeigen verschafft auch Raum, es zeugt von einem Geschehen,

das hier, genau an jenem Ort, an dieser Stelle passiert ist. (Abb. 17-18) RIGHT

HERE lesen wir immer wieder von neuem: das Feuer ist hier ausgebrochen, in

der Möbelabteilung und den Rauch haben sie da, genau da gesehen. (Abb. 15)

Es sind Schriftzüge, Fotos, Stifte, Karten, und ganz viele Hände, mit denen

gezeigt wird und die selbst zeigen. Irgendwann ist es nicht mehr möglich zu

unterscheiden: verweist die Hand auf etwas anderes oder ist es gerade sie, auf die

23

gezeigt wird? Der Film vermischt viele Instrumente und Modi des Zeigens und

verbündet sich lustvoll mit ihnen. Es ist vergebens, eine Grenze zwischen ihm

und einer PowerPoint ähnlichen Präsentation ziehen zu wollen. Ganz und gar ist

er sie geworden. Wenn wir Bilder aus wissenschaftlichen Rekonstruktionen des

Feuers sehen, wenn wir Experten begegnen, die uns mithilfe von Karten,

Animationen und Lehrfilmen erklären, wie es zu dem tödlichen Brand

gekommen ist, dann ist der Film selbst Teil dieser investigativen Arbeit

geworden. Der Film forscht mit.

Zeigen abstrahiert

Im Film ist die Geste des Zeigens eine sonderbare: einerseits wird stets auf etwas

anderes verwiesen. So wird in die Richtung eines anderen Ortes, eines weit

zurückliegenden oder noch zu kommenden Geschehens gewiesen. Andererseits

impliziert die Geste immer auch eine gewisse Selbstreferentialität. Da der Film

selbst durch seine Operationen der Rahmung und der Organisation von Zeit, also

der Rhythmisierung darauf aus ist, aus einer Mannigfaltigkeit heraus Bilder und

Töne zu abstrahieren und sie neu zusammenzusetzen – und zwar im Hinblick

auf etwas oder jemanden anderen – muss er sich ständig mit dem Zeigen als

Modus des In-Beziehung-Tretens auseinandersetzen.

Wenn wir jedoch in The Woolworths Choir... exzessiv Hände zu Gesicht

bekommen, bedeutet das nicht, dass der Film einfach nur sich selbst behaupten

oder eine abgehobene Metaebene erschaffen würde. Vielmehr experimentiert er

andersartige Bewegungen und folgt ihnen: zum Beispiel den sich

ausstreckenden, klatschenden, kreisenden, umschreibenden Händen. Er wird

dabei unweigerlich anders und verweist darauf, dass mit dem Zeigen nie das

Wiedergeben von etwas bloß Vorhandenem gemeint werden kann. Die zeigende

24

Geste ist eine denkende und sich kümmernde Geste. Sie objektiviert das, worauf

sie zeigt.

Whitehead schreibt, dass jede Objektivierung eine Abstraktion sei. Es handele

sich dabei um die spezifische Art und Weise, wie jedes aktuale Ding in die

Erfahrung von anderen eingeht. Die Abstraktion ist der Interaktionsmodus der

Natur und nur wenn das Denken abstrahiert, folgt es der Natur. (Whitehead

2000: 84f) Das Eingehen in die Erfahrung von Anderen als Tätigkeit der

Abstraktion zu begreifen, bedeutet zugleich der Tatsache Rechnung zu tragen,

dass das aktuale Ding in seiner “Vollständigkeit” (84) nie komplett erfasst

werden kann. Es handelt sich um die Welt, begriffen als “funktionale Aktivität”:

Damit meine ich, daß jedes aktuale Ding etwas aufgrund seiner Aktivität ist.

Deshalb besteht die Natur des aktualen Dings in seiner Relevanz für andere

Dinge, und die Individualität des aktualen Dings besteht in seiner Synthese

anderer Dinge, soweit wie diese für es relevant sind. (85)

Zeigen bedeutet

Beim Zeigen handelt es sich ebenso um das Herausstellen als auch um das

Zurschaustellen von Relevanz. Gerade im Fall der Erzählung und Rekonstruktion

des Brandes prägt sich das Gefühl von Dringlichkeit und Bedeutung. Seine

Zeugen und Ermittler ringen darum, den Ort des Geschehens aufzuzeigen, so als

ob seine einfache Lokalisierung dem Ereignis eine höhere Glaubwürdigkeit

verleihen würde. Als könnte das Ereignis, wenn nur einmal die Frage nach dem

Ort geklärt ist, auch in seiner Ganzheit gefasst werden.

Wir sind schon längst in das Geschehen eingezogen von seiner Wichtigkeit und

Ungeheuerlichkeit eingenommen worden, als die kurzen erklärenden Notizen im

dritten Teil erscheinen und wir erfahren, was der tatsächliche Auslöser der

25

Anstrengung ist, Worte für den Rauch und das zerbrochene Glas zu finden.

Wieder einmal bekommen wir zuerst ein Bild (des Kaufhauses) zu sehen und

lesen dazu die Erläuterung: this is Woolworths. (Abb. 20) Und weiter: In the

centre of Manchester... ten people died... although there were several escape

routes... from the second floor... where the fire started...(Price 2012: 14:12 –

14:30)

Durch die mehrfache Wiederholung der gleichen Gesten, die der Feststellung des

Brandes vorausgehen, hat man den Eindruck, dass sie stückweise nachgemacht

und weitergeführt werden – ob von dem Chor oder dem Film ist nicht zu

bestimmen. Ihr Beharren – die Tatsache, dass sie immer wieder neu gezeigt

werden – birgt eine Faszination dafür oder auch den Wunsch, sie zu studieren

und zu verstehen. Als wäre in den fragilen Gesten ein Wissen von dem Ereignis

sedimentiert und als seien die kreisenden Hände seine tatsächlichen Zeugen.

Zeigen denkt mit

Bei dem Moment des Zeigens handelt es sich um einen Akt des gemeinsamen

Denkens. Der mehrstimmige Chor – der uns bereits versprochen hat – WE WILL

SHOW YOU und der uns dazu verleitet hat, von den Ornamenten der kirchlichen

Inneneinrichtung des 13. Jahrhunderts zum Manchester im Jahre 1979 zu

gelangen – versammelt weiter. Ob in der kreisenden Bewegung, die nirgendwo

ankommt oder an einer ganz bestimmten Stelle (RIGHT HERE) fügt der Chor

immer mehrere Zeiten, Formen und Interessen zusammen: der Chor ist der

Dreipass, der mit den Händen der Shangri-Las spielt und sich obsessiv auf die

Gesten der Überlebenden des Brandes konzentriert.

Der Chor assoziiert sich mit dem Kugelschreiber, um auf eine Stelle des

Woolworths-Raumplans zu deuten, die den Ort bezeichnet, wo das Feuer

26

ausgebrochen ist (Abb. 19). An der Spitze des Stiftes konzentriert sich die von

allen Anwesenden geteilte Aufmerksamkeit, es wird ein Moment der gespannten

Erwartung geschaffen.

Durch den Split-Screen und innerhalb von diesem werden die Aussagen der

Überlebenden verdoppelt, zersplittert, farblich verzerrt, zeitlich verschoben,

vervielfacht, in Bezug zueinander gesetzt. Der Chor beteiligt sich an der Tätigkeit

des Schneidens und der Montage, er ist produktiv und denkend im Geschehen

eingebunden. Die präzisen, scharfen Schnitte, die er vollzieht, das wiederholte

Insistieren auf die gleichen Bilder – selbst dann, wenn man meinen könnte, sie

seien bereits längst ihrem Inhalt ausgehöhlt worden und es gäbe gar nichts mehr

übrig, was zu sehen oder zu erkennen wäre – diese Operationen geben den

Anschein, dass ein genaueres Hinschauen immer noch notwendig ist und dass

gerade der Chor der Träger dieses Blickes sein könnte. Zugleich lädt er uns dazu

ein, seine Bemühen und seine Sicht zu teilen – als Zuschauer_innen von Anfang

an adressiert, bemühen wir uns, dem Chor und dem Geschehen zu folgen, bleiben

aber stets zurück. Erschöpft, angestrengt und überfordert gehen wir ihnen

trotzdem weiterhin nach, weil gerade das Gefühl der Dringlichkeit das ist, was es

uns ermöglicht, die Suche nach einem Zugang nicht aufzugeben. Die Ausrichtung

auf die Aussagen und Gesten der Zeugen produziert die Situation eines Sich-

Kümmern um..., in der es nicht mehr wichtig ist, was unsere ursprüngliche

Intentionen gewesen sind: ob wir vielleicht ganz zufällig im Jahr 1979 in

Manchester gelandet sind, ob uns der Tod von zehn Menschen überhaupt

interessiert, ob uns der Chor einen Streich gespielt hat um uns dahin zu führen

oder auch nicht. Die Absichten vermischen sich und interferieren miteinander,

sodass ein Bereich der Ununterscheidbarkeit geschaffen wird, in dem eine

saubere Trennung der Prämissen nicht mehr notwendig ist. Da kann eine

gemeinsame, sehnende Richtung hin zu geschlagen werden. Es handelt sich bei

27

diesen Tendenzen nicht um homogene oder reibungslose Bewegungen, die in

eine einzige, geradlinige Richtung münden würden – und die Videoarbeit selbst

hört nie auf, uns daran zu erinnern. Das Schnipsen, das Klatschen, die

zersplitterten Bilder führen immer wieder Brüche ein, die darauf hinweisen, dass

die gegenwärtige Situation aus einer Vielfalt von Blicken, Wissens- und

Begehrensformen, Geschichten und Interessen geschaffen ist. Sie ist fragil,

vergänglich und seltsam, unheimlich, genüsslich und fiktiv.

Die Geste des Zeigens ist auch eine Form der Spekulation, in der die Tätigkeit des

Ding-Denkens spürbar wird: sie versammelt heterogene Elemente, tendiert hin

zu anderen und weist Sorge oder Interesse für sie auf. Papier, Tinte,

Kugelschreiber, Hand, Blick und Oberfläche schaffen gemeinsam einen Raum der

Aufmerksamkeit und der Relevanz. (Abb. 19)

Zeigen erzählt

Das Zeigen verknüpft Erzählung und Raum, indem es ein ganz bestimmtes

Element eines Raumes mit Bedeutung assoziiert. Auf eine Frage reagierend,

verortet die verweisende Geste ihre mögliche Antwort an einer konkreten Stelle

und ist damit schon dabei, eine Geschichte zu produzieren, trópos und topos

explizit aufeinander zu beziehen.

Wenn Donna Haraway von der Natur als einem Gemeinplatz, der nicht nicht

begehrt werden kann, schreibt, dann meint sie damit, dass “Natur” als eine Figur

das Potenzial hat zu versammeln und zugleich den Ort für mehrstimmige

Geschichten und jenseitige Konversationen zu bieten. Sie sei als wirkmächtige,

konstruierte, nicht unschuldige Metapher ein “topos, ein Ort in dem Sinne, wie

der Rhetor für die Erörterung allgemeiner Themen einen Ort, eine Topik

28

benötigt”, aber auch trópos, Trope als “Figur, Konstruktion, Artefakt, Bewegung,

Verschiebung” (Haraway 1995b: 13f).

Mich interessiert gerade die Möglichkeit einer spekulativen Verschränkung von

Ort und Geschichtenerzählen. Man kann vielleicht das Zeigen und auch das

Kreisen als narrativisierende, versammelnde Gesten verstehen, die Gemeinplätze

im Sinne Haraways entstehen lassen können. So wie die Natur vor ihrer

Konstruktion nicht existieren kann (ebd.), so gibt es auch weder den

Kirchenchor, noch die Popsong-Assemblage, noch Woolworths als Ort eines

traumatischen Geschehens, bevor sie alle als Chor in/mit der Filmarbeit von

Elizabeth Price erzählt werden. Es handelt sich nicht einfach um die Aufdeckung

oder die Rekonstruktion eines fixierten historischen Ereignisses, das an einen

feststehenden Ort gekoppelt wäre, sondern geht es darum, ihr Verhältnis

zueinander erst mit den Mitteln des Filmes zu spekulieren.

Zeigen zeitet

Zeigen abstrahiert, dingdenkt, spekuliert, erschafft Raum und erzählt. Die Geste

ist aber auch an der Produktion von Zeitlichkeiten gekoppelt. Sie bringt mehrere

Zeiten in die Nähe zueinander. So wie die Pläne von Woolworths (Abb. 17, 19)

oder der Bericht über die Brennmerkmale der Möbel schon auf andere Räume

verweisen, ziehen sie auch unterschiedliche Zeiten mit. Mit der verknüpfenden

Geste des Zeigens werden sie in eine Gegenwart miteinander gebracht – sie

gehen in die jeweilige Erfahrung des Anderen ein, um es in Whiteheads Worten

auszudrücken.

In seiner Abhandlung über die Art und Weise, wie menschliche Symbolisierung

funktioniert, schreibt Whitehead, dass es das Zusammenspiel zwischen zweier

Modi der direkten Wahrnehmung der Welt ist, das diese möglich macht.

29

(Whitehead 2000: 89) Es handelt sich um das, was er “präsentative

Unmittelbarkeit” zum einen und “kausale Wirksamkeit” zum anderen nennt. In

beiden geht es um die Herstellung von Beziehungen zur Welt, verstanden als

Tätigkeit der Abstraktion und der Objektivierung. Bei der ersteren geschehe dies

jedoch unter dem Anschein von Gleichzeitigkeit und der Gegebenheit von

aktualen Dingen (vgl. ebd. 77, 80f), während es sich bei dem anderen

Erfahrungstypus um die Notwendigkeit von Konformation handelt, die den

Eindruck von Signifikanz und Kausalität herstellt. (105f)

Die synthetische Aktivität, durch die die zwei Modi in eine Wahrnehmung

verschmolzen werden, ist das, was ich als “symbolische Referenz” bezeichnet

habe. Durch die symbolische Referenz werden die verschiedenen Aktualitäten,

die in den zwei Modi auf jeweils verschiedene Weisen erschlossen werden […] als

in unserer Umgebung aufeinander bezogene Elemente korreliert. Das Ergebnis

der symbolischen Referenz ist, was die aktuale Welt für uns ist: dasjenige

Gegebene in unserer Erfahrung, das Gefühle, Emotionen, Befriedigungen und

Aktionen produziert... (77f)

Ich glaube, dass beide Modi der Erfahrung von Zeit und Welt eine Rolle im Akt

des Zeigens in The Woolworths Choir... spielen. Auf der einen Seite handelt es

sich, wie erwähnt, um das Näherbringen unterschiedlicher Dinge, denen jeweils

heterogene Zeiten inhärent sind. Sie können dann eine Gegenwart teilen und zu

Zeitgenossen in einer bestimmten Umgebung werden. Auf der anderen Seite

handelt es sich um das Herstellen von Relevanz, die aus einer Sorge oder aus

einer Frage resultieren kann: die Dinge werden aus ihren Vergangenheiten und

gegebenen Positionierungen abstrahiert, um aufs Neue verbunden zu werden.

Das aktuale Ding kann jedoch nie vollständig objektiviert werden, es handelt sich

also um das Aufrechterhalten seiner relativen Unabhängigkeit. Das Ornament,

30

das Blatt Papier, die Hand, das Gebäude werden nur auf einer bestimmten Art

und Weise von einer anderen Menge der Komponenten (z.B. der Fotographie,

dem Stift, der Schrift, der Hand) erfasst und individualisiert. Im Zeigen werden

einige besondere Qualitäten der Dinge thematisiert und abstrahiert:

Diese Qualitäten sind relational zwischen dem wahrnehmenden Subjekt und den

wahrgenommenen Dingen. Sie können nur dadurch isoliert werden, daß sie von

ihren Implikationen im Schema der räumlichen Relationen der

wahrgenommenen Dinge zueinander und zum wahrnehmenden Subjekt

abstrahiert werden. (81; Herv. N.G.)

Doch was bedeutet es, wenn die infrage kommenden Qualitäten, die von

Interesse sind – RIGHT HERE – selbst räumliche Relationen sind? Für

Whitehead bieten diese Relationen im Modus der präsentativen Unmittelbarkeit

lediglich Perspektiven für die Sinnesdaten (81), “durch die die äußeren

gleichzeitigen Dinge in diesem Ausmaß Teil unserer Erfahrung” werden. Damit

dieser Modus zum Vorschein kommt, ist ein neutraler Raum der Ausdehnung

notwendig, als Bedingung der geteilten Gleichzeitigkeit:

Daher ist das Bekanntwerden einer gleichzeitigen Welt durch die präsentative

Unmittelbarkeit eng verknüpft mit dem Bekanntwerden der Solidarität aktualer

Dinge aufgrund ihrer Partizipation in einem neutralen System räumlicher

Ausdehnung. (82; Herv. N.G.)

Wenn im Film auf die Position der Miserikordien verwiesen oder wenn es um die

Feststellung des genauen Ortes, an dem die gelagerten Möbel in Flammen

geraten sind, gerungen wird, dann ist der Raum alles anderes neutral. Er wird in

diesen Momenten bereits abstrahiert und geschnitten. Der Raum bildet nicht

31

einfach den Hintergrund, vor welchem andere bedeutsame Qualitäten isoliert

werden können, sondern ist selbst ein Thema der Objektivierung. Es stellt sich

also heraus, dass der Raum selbst eine Abstraktion ist, die z.B. durch Tanzen,

Zeigen oder Kreisen erst hergeleitet wird. So wie eine Metapher zugleich trope

und trópos ist und an einen konkreten Ort divergierende Geschichten, Absichten,

Sprachen und Bilder zusammenbringen kann, so handelt es sich auch im

Moment des abstrahierenden Zeigens um die Vermischung von Artikulationen, in

denen Klang, Bewegung, “affektive Tönung” (Whitehead 1971: 326) und Lokalität

ineinander greifen und neue Aspekte des jeweiligen aktualen Dinges erzeugen. Es

handelt sich somit um die Konstruktion eines hybriden, nicht neutralen,

multitemporalen Raumes.

Dank der Tätigkeit der symbolischen Referenz schließen sich die Erfahrungen der

präsentativen Unmittelbarkeit mit ihren Implikationen einer gleichzeitigen und

gegenwärtigen Welt, in der die “Solidarität aktualer Dinge” (82) spürbar wird

und der Modus der kausalen Wirksamkeit gegenseitig nicht aus. Im letzteren

geht es gerade darum, “wie die anderen aktualen Dinge sich selbst als

Komponenten zu unserer individuellen Erfahrung beitragen, d.h. wie andere

Aktualitäten einzelne Objekte für uns sind.” (77) Es bleibt aus zu beobachten, ob

und wie ein Moment des Raumes als Aktualität begriffen wird, individualisiert,

in unsere Erfahrung eintreten kann. Gleichzeitig legt die Formulierung „sich

selbst... beitragen” das Verständnis der Welt als funktionale Aktivität nahe, in der

Handlung nie nur im Menschen, im Wahrnehmenden oder im Subjekt ruht.

Laut Whitehead ist den Abstraktionen die Erfahrung von Raum (als “Umgebung”

formuliert) zu verdanken:

„Mit dem Wort ‚Umgebung‘ sind diejenigen anderen aktualen Dinge gemeint, die

in irgendwelchen relevanten Weisen ‚objektiviert werden‘, um einzelne Elemente

in unserer individuellen Erfahrung zu bilden.“ (ebd.)32

Die Verknüpfung von Zeit und Raum erweist sich also als äußerst komplex und

als Teil einer immerwährenden Aktivität der Welt, in der Erfahrung als mal

gegenwärtig, solidarisch und gleichzeitig, mal als bedeutungsvoll,

relevanzbeladen und vielschichtig aufgefasst wird. Das Zeigen kann vielleicht

demnach als eine Geste begriffen werden, die die beiden Modi der Wahrnehmung

in Austausch bringt und einen Wechsel oder sogar eine Verdichtung der

Zustände ermöglicht.

Kreisen

Neben dem Zeigen ist das Kreisen eine andere Technik, die The Woolworths

Choir... entwickelt um Film, Architektur und Denken zu verbinden: als Loop,

Drehung, Windung, Wiederholung, Bewegung der Hand und Form der

Strukturierung der Arbeit.

Im Auditorium, dem ersten Teil der Videoarbeit, werden wir an einer Stelle, die

von animierten, bewegten Ansichten des Innenraumes des Kirchenchors begleitet

wird, zu folgendem aufgefordert:

now see how the chorus abbatis

and the chorus prioris [.] return [.] [.]

how they run around the rood screen

so that the stalls encircle [*] the space (Price 2012: 03:37-03:43)

Ich rufe diese Zeilen deswegen in Erinnerung, da sie, so scheint es mir, den

ersten Moment kennzeichnen, in dem der Raum in Bewegung gesetzt wird und

33

aus den festhaltenden, aufzeigenden Fotographien entgleist. Aus der

Aufforderung zum Schauem heraus (now see) werden die einzelnen

Raumkomponenten versammelt und zu einem Chor aneinandergefügt. “Chor”

meint sowohl ein besonderes Element der Architektur der Kirche, als auch die

dynamische Zusammensetzung von tanzenden Figuren, die gemeinsam reden

und singen. In allen Bedeutungen des Wortes steht Chor für eine Versammlung

und Assemblage: er erschafft einen Gemeinplatz, eine Konversationstopik; er legt

die Bewegung des Kreisens nahe. Zu tanzenden Figuren werden nicht nur die

Shangri-Las oder die anderen Musizierenden, die sich bereits in das Auditorium

einschleichen und schnipsend oder klatschend auf ihre Anwesenheit hindeuten,

sondern auch die Ornamente und Monumente, welche die Kirchenarchitektur

bevölkern. Sie alle bringen ihre eigenen verwirrenden, seltsamen Geschichten,

Formen und Perspektiven mit weisen nicht zu entschlüsselnde Gesten und

Wendungen auf. Es gibt eine irreduzible Alterität, die jedem einzigartigen,

gegenwärtigen Ding, das an den Zeitraumspekulationen teilhat, innewohnt.

“Chor” als choir, quire, chorus bedeutet stets die Versammlung heterogener

Akteure, die sich aus einer Angelegenheit heraus zusammengefunden haben.

Diese Akteure mögen unterschiedliche Konsistenzen oder Absichten haben. Sie

mögen gar fernen Zeiten entrissen worden und mit verschiedenartigen

Bewegungs- und Denkfertigkeiten ausgestattet sein. Diese Fremdheiten sind

jedoch nicht an der Konstruktion eines radikalen Bruches und Widerspruches

beteiligt, sodass das Aufwerfen einer gemeinsamen Frage als unauflösbares

Paradox erscheinen würde. Gerade die Vielstimmigkeit und die Heterogenität der

Versammelten ermöglicht es ihnen, der Angelegenheit, um die es später gehen

wird, treu zu bleiben/zu werden. Das traumatische Geschehen kann nicht einfach

wiedergegeben werden. Angemessene Bilder, Klänge, Gesten und Worte müssen

34

erst produziert und gefunden werden. Auch ihre spezifischen Verknüpfungen und

ob sie eine Gesprächssituation ermöglichen, kann nicht vorab gesichert werden.

Kreisen übersetzt

Treue und Verantwortung gegenüber dem, was noch kommen wird, werden auch

in Benjamins Übersetzer-Aufsatz (Benjamin 2007: 119ff) in Frage gestellt. In was

für einem Verhältnis sind Treue und Freiheit eingeflochten – als potenzielle

Formen, welche die Relation von Übersetzung und Original beschreiben

vermögen? Stehen sie im Gegensatz zueinander, so wie es wäre, wenn man mit

“Treue” eine genaue, auf Ähnlichkeit abzielende Wiedergabe der Form meinen

würde, und mit “Freiheit” die “zuchtlose” (119) Art und Weise, in der sich

schlechte Übersetzer anmaßen, die “sinngemäße Wiedergabe” (ebd.) des

Originals vorzunehmen?

Wenn das Wesentliche einer Dichtung und überhaupt allen sprachlichen

Gebilden das Nicht-Mitteilbare (111; 120) ist, so müssen beide Konzeptionen, die

Treue und die Freiheit, neu gedacht werden. In Benjamins Theorie stehen sich

die Sprachen als Bruchstücke eines Gefäßes gegenüber (120), eine radikale

Fremdheit zieht sich durch ihre alle Arten des Meinens, also ihre

“symbolisierende Gebilden” (121). Zugleich sind sich die Sprachen verwandt,

stehen sich nahe und bilden somit das bruchstückhafte Gefäß einer größeren

Sprache: das in allen Sprachen Gemeinte ist das, was eine gemeinsame Intention

oder Ausrichtung hin zur reinen Sprache ermöglicht. In ihrer Tätigkeit bemüht

sich die Übersetzerin darum, das Licht der wahren Sprache auf das Original

fallen zu lassen, die Übersetzung müsste dabei “durchscheinend” bleiben und den

originalen Text nicht verdecken. (120)

35

Wie die Tangente den Kreis flüchtig und nur in einem Punkte berührt und wie ihr

wohl diese Berührung, nicht aber der Punkt, das Gesetz vorschreibt, nach dem sie

weiter ins Unendliche ihre gerade Bahn zieht, so berührt die Übersetzung flüchtig

und nur in dem unendlich kleinen Punkte des Sinnes das Original, um nach dem

Gesetze der Treue in der Freiheit der Sprachbewegung ihre eigenste Bahn zu

verfolgen. (121)

Die Treue gegenüber dem Original kümmert sich um das strahlende Licht, um

die flüchtige Bahn, mit der es die Übersetzung berührt. Die Freiheit der

Übersetzung resultiert aus dieser Bewegung und ermöglicht der “eigenen”

Sprache fremd und seltsam zu werden, die Anderen in ihr schwingen zu lassen.

Wie es Whitehead um die gegenseitige Relevanz von aktualen Dingen inmitten

einer Unabhängigkeit ging, so ist auch Benjamin wichtig, die Spannungen von

Treue und Freiheit, Original und Übersetzung nicht zu leugnen oder fallen zu

lassen, sondern diese (aus)zu halten.

Die Beziehung von Kreis und Tangente, von der Benjamin schreibt, legt zwar die

Bewegung einer sich ins Unendliche richtenden Fluchtlinie nahe, während der

Chor sich dreht und windet, er reigt und kreist. Die Art, in der er sich dem

Ereignis des Brandes in Woolworths im Jahre 1979 nähern möchte, erinnert

nichtsdestotrotz mit ihrer Flüchtig- und Sorgfältigkeit an die Art der Beziehung,

um die es in der Kreis-Tangente Relation geht. Es handelt sich vielleicht im Chor

um eine Versammlung von Übersetzerinnen und Übersetzern aus ihren

Unterschieden und Fremdheiten heraus sich gemeinsam bemühen werden

Ausdrucksformen und Gesprächsorte zu finden, die dem Geschehen angemessen

sind. Es kann im Sprechen, Singen, Erzählen, Kreisen und Zeigen des Chors nicht

um die Produktion von Ähnlichkeiten gehen, die ein historisch verankertes

Datum reflektieren. Es muss eine andere Art der Treue gefunden werden. Die

Methoden, die der Chor entwickelt, sind höchst spekulativ und zielen nicht auf

36

das Wiedergeben des Ereignisses in seiner Ganzheit ab. Gerade dadurch, dass die

Versammlung beispielsweise auf eine konkrete verdrehte und auffällige Geste der

Hand fokussiert ist und sie zu ihrem Organisationsprinzip macht, deutet sie

darauf hin, dass sie an spezifischen, fiktiven und uneindeutigen Aktualitäten

interessiert ist.

Die Versammlung leugnet jedoch nicht die Tatsache, dass es sich bei dem

tödlichen Brand um ein tatsächliches Ereignis von Gewicht handelt und dass es

an diesem etwas Nicht-Mitteilbares gibt, einen Überrest, der sich in keinem Bild

und in keiner Aussage lokalisieren lässt. Es handelt sich um etwas Irreduzibles –

als Trauma, Verletzung und Überschreitung.

Das Verstummen oder die Aussicht, dass vielleicht bald weder dem Chor noch

uns Bilder zur Verfügung stehen werden, sind als reale Gefahr stets präsent. In

Elizabeth Price' Arbeit schneiden sich immer wieder längere Abschnitte ein, die –

anders als die sonst extrem rasch und präzise geschnittenen Aufnahmen – uns

Bildern von Dauer aussetzen. Diese zeigen entweder nichts, sind komplett

schwarz oder ganz weiß (vgl. z.B. Price 2012: 09:32-09:37) oder legen eine

Bildfläche offen, die nur ganz minimale Veränderungen aufweist. So

beispielweise in einer halbminütigen Sequenz (12:55-13:25), die dann eintritt,

wenn sich der Chor mit der Überschrift WE ARE THE CHORUS angekündigt und

darauf folgend wiederholt: WE KNOW. An dieser Stelle ist nur noch weißer

Rauch zu sehen, der langsam durch das Bild zieht. Die Verschiebungen sind

gerade noch zu erkennen: es gibt kaum Kontraste und auch keinen Anhaltspunkt

für den Blick. Nur ein schriller, metallartiger Ton ist zu hören. Dem Beharren auf

das Wissen wird etwas entzogen. Das Wissen wird ins Wanken gebracht und es

besteht die Gefahr, dass es ins Leere läuft, mit dem Rauch verzieht.

Gleichzeitig ist gerade dieses Wanken das, was eine eigentümliche Produktivität

in Gang setzt und die Videoarbeit nicht zum endgültigen Stillstand kommen lässt.

37

Diese Kraft schlägt sich in der Form des Filmes nieder, seine Struktur resultiert

aus dem Aufeinanderbeziehen mehrerer Empfindungen, die Linien ziehen sowie

Geschwindigkeiten und Rhythmen vorgeben. Solche Kräfte sind auf der einen

Seite das beschriebene Gefühl von Relevanz, Dringlichkeit und Bedeutsamkeit –

das sehnende Tendenzen miteinander verschränken wird. Auf der anderen: der

Eindruck, dass es sich bei dem traumatischen Geschehen um etwas handelt, das

zwar umtanzt oder umkreist werden kann, bei welchem es aber keinen Sinn

machen würde nach einem tatsächlichen Kern oder nach einer Mitteilung zu

suchen, die zu transportieren wäre.

Kreisen versammelt

Es ist die “auffällige” (conspicuous) Geste des sich wendenden Handgelenks, in

der sich die Bewegung des Kreisens konzentriert verkörpert. Vom Chor in der

liegenden Gestalt (Abb. 9) in der Kirche bemerkt, wird sie aufgenommen und in

vielerlei unterschiedlichen Arten und Weisen ausgeführt. Die Hände der

Popsänger_innen tanzen miteinander und mit den Kirchenfiguren, über mehrere

Zeite, Räume und Existenzformen hinweg. Shangri-Las und der Dreipass

gehören beide zum Chor: sie bedienen sich verschiedener Materialien, um

Elemente daraus zu abstrahieren, die sie als relevant empfinden: von der

expressiven, in Stein festgehaltenen Geste, hin zu den Handbewegungen, die auf

den verpixelten, abgefilmten Internetvideos zu erkennen sind. Eigentlich gibt es

gar keinen Chor, der von diesen Abstraktionen und Verknüpfungen zu trennen

wäre, genauswowenig wie es einen übergeordneten Ich-Erzähler gibt, der sich die

passenden Worte und Klänge auslesen würde, um eine Ebene auf die andere zu

setzen und so eine Vielschichtigkeit zu erzeugen. Vielmehr handelt es sich um

eine kontingente Entstehung des Chors, welcher immer mehr Elemente

38

heranzuziehen scheint, bei dem es jedoch keine vorgegebene Position gibt, von

wo aus so etwas wie eine abgeschloßene Subjektivität erzählt werden würde.

Die kreisförmige Bewegung ist der Chor selbst. In ihr ist er verdichtet und er

dehnt sie auf die Form der Videoarbeit aus. In der Art und Weise wie mit den

zeigenden und verweisenden Gesten spekuliert wird, wie sie sich darum

bemühen, einen Ort für das Geschehen zu etablieren, Wissen zu produzieren und

besondere Formen des Raumes und der Zeit herzustellen, so entwickelt sich auch

aus der Figur des Kreises eine eigene Methode des In-Beziehung-Setzens. Beide

Gesten differieren miteinander und ihrem Zusammenspiel ist die Komplexität

der Arbeit zu verdanken.

Besonders an der Stelle, wo wir im Film den Überlebenden des Woolworthsfeuers

begegnen und ihre Aussagen über die Erfahrung anfangen nachzuvollziehen,

wird die Versammlung durch die mühsame Wiederholung von gleichen Sätzen

und Bildern um noch mehr Gesichter, Eindrücke, Hände erweitert. Der

VierpassMiserikordieShangriLasPopChor wird nicht aufgelöst und steht nicht

diesen noch zu fassenden Elementen gegenüber, sondern fügen sie sich einander

an. Das passiert zum einen durch die zahlreichen sich überlagernden

Wiederholungen unterschiedlicher Aussagen und Bildern. Zum anderen durch

die rhythmischen Töne des Klatschens und des Schnipsens, welche die Situation

einer geteilten Gleichzeitigkeit und Gemeinschaft akustisch hervorbringen.

Durch die kreisenden Wiederholungen werden Aufmerksamkeit und

Konzentration, aber auch Raum und Zeit geschaffen. An der Schwelle zwischen

Chorus und The Fire wird eine den Kopf verdrehende Assemblage geschaffen, die

so viele heterogene Gesten nebeneinander stellt, dass der Eindruck eines

geteilten Zeitraumes entsteht. In diesem können Ähnlichkeiten wieder erstaunen,

da sie auf eine zuvor nichterkannbare Verwandtschaft hindeuten. Dabei handelt

es sich nicht um Angleichung oder ein Imitieren, sondern um überraschende

39

Kontinuitäten in der Ausführung sonderbarer Handverdrehungen – im Moment

des Singens oder des Beschreibens, des Tanzens oder der Suche nach Worten.

Diese Bewegungen fallen nicht zusammen, sie sind nicht uniform, sondern

behalten ihre Fremdartigkeit bei. Und trotzdem: dadurch, dass sie mit dem Chor

und als Chor zusammengebracht worden sind, schleicht sich die Empfindung

einer Verwandtschaft ein, sodass man, durchaus im Sinne von Benjamin fragen

könnte: kann es sein, dass sie ein Gemeintes teilen?

Das Gemeinte in dem Raum des Filmes zu teilen bedeutet nicht, dass jede Geste

aus ihrem jeweiligen Kontext ein für alle Mal entrissen wird. Ganz im Gegenteil

ist es gerade wichtig zu verstehen was genau supulchral effigies sind und auf die

Einzigartigkeit des Brandes zu bestehen, auf seine Bedingungen, die auf die

besonderen Brennmerkmale der gelagerten Möbel zurückzuführen sind. Wären

die Entstehungsbedingungen des Brandes und die Konsistenz des Rauches

anders, so wären vermutlich ja auch die Gesten der Zeugen andere. (Abb. 13; 14)

In dem schwingenden, sich aufdringenden Tanz der Hände wird jedoch ein

gemeinsamer Raum erschaffen, in dem so etwas wie ein von allen Gemeintes

durchzuscheinen beginnt. Gerade weil es sich um eine ständige Abwechslung von

verschiedenen Zuständen handelt, kann aus dieser produzierten Unbestimmtheit

des nie ankommenden Kreisens heraus ein gemeinsam Gedachtes, Erträumtes,

Fabuliertes spekuliert werden. Mal hat das Kreisen etwas mit der traumatischen

Unmöglichkeit zu tun, dem ungeheuren Ereignis, das passiert, aber nicht

vergessen ist, gerecht zu werden. Mal wird es von einer überraschenden,

genüsslichen Leichtigkeit abgelöst. Da kreisen Hände aneinander vorbei, die

Bilder verschränken sich und lösen so einen ambivalenten Tanz aus.

Ohne jede Unschuld (Haraway 1995a: 35) ist dieser Tanz, aber auch ohne jede

Möglichkeit Verantwortung abzulegen oder Treue gegen Freiheit auszuspielen. Es

geht darum, weite Falten zu werfen (Benjamin 2007: 117), Formen und Klänge zu

40

experimentieren, “das Symbolisierende zum Symbolisierten selbst zu machen”

(121). Nur wenn sich die Übersetzung ernsthaft mit den Fremdheiten der eigenen

Sprache auseinandersetzt, kann sie hoffen, näher an die reine Sprache zu

kommen, das in allen Sprachen Gemeinte zu artikulieren. Das gilt auch für den

Chor als Versammlung von Übersetzerinnen und Erzählern, von Tänzern und

Spekulierenden, von Zuhörern und Zuschauerinnen.

Es ist die Geste der Hand – die auffällige, expressive, fremdartige und komische

Geste. Sie tritt an überraschenden Stellen von neuem hervor und pflegt

unerwartete Verknüpfungen zwischen weitgelegenen, unzusammenhängenden

Orten und Zeiten zu ziehen. Sie nistet sich ins Gedächtnis ein und erinnert immer

wieder an sich. Sie wird mit Bedeutungen und Möglichkeiten spielen, um sich

dann jeglicher Eindeutigkeit zu entziehen. Sie wird eine Mannigfaltigkeit aus

dem nichtigsten Ausdruck entstehen lassen. Ihr muss man folgen – in den

Kurven des Dreipasses, in den Wendungen der Vierpässe, in den Ausdrücken der

absurden, niederkauernden Gestalten. Sie wird zur Wiederholung herausfordern

und zum Tanzen einladen, sie wird Geschichten hervorlocken. Aus der Intensität

ihrer Fremdheit, aus ihrer zügellosen Produktivität könnte dem Gemeinten einen

Ort eingeräumt werden – ein Ort für das, was noch kommen wird.

Archiv, Vergangenheit, Zukunft

Inwiefern bilden die Gesten des Kreisens und des Zeigens in The Woolworths

Choir of 1979 spekulative Momente, bei denen eine besondere Beziehung

zwischen Zeiten und Dingen hergestellt wird? Eine Möglichkeit wäre, diese

verknüpfende Tätigkeit als eine archäologische oder archivarische Arbeit

aufzufassen. Bei ihr würde es genauso sehr um das Erforschen von Vergangenem

41

gehen, verstanden als produktiver und teilhabender Prozess, als auch um Fragen,

die der Zukunft geschuldet sind. Es bleibt aus zu verstehen, was für ein Raum

inmitten dieser Verfahren entsteht, welche Charakteristika er aufweist und wie

von ihm aus das Verhältnis von Gegenwart/Gleichzeitigkeit, Zukunft und

Vergangenheit formuliert werden kann.

Vergangenheit und Geschichte bilden nicht nur eine Topik der Videoarbeit – es

handelt sich ja bei der Narration des versammelten Chors um das

Wiederaufrufen eines historischen Ereignisses. Sie sind auch Mittel, die

Erzählung, Raum und ihre besondere affektive Aufladung herstellen. Der Einsatz

von Archivaufnahmen, von Fotographien aus Katalogen zu mittelalterlicher

Kirchenarchitektur, von nachträglich erstellten Berichten zum Brand und sogar

von Musikvideocollagen – sie alle sind in vergangene Zeiten eingebunden und

werden durch die Tätigkeit der Montage neu im und als Film aktualisiert und in

Verbindung gesetzt.

Wenn diese Materialien des Vergangenen ins Gespräch gebracht werden,

beginnen sie aufeinander zu verweisen und entwickleln die Fähigkeit, einzelne

Elemente aus der jeweiligen Eingebundenheit der konkreten medialen Formen in

ihren unterschiedlichen aktualen Umgebungen zu abstrahieren. Sie bringen sich

gegenseitig als relevant hervor: beispielsweise versammeln sich die ornamentalen

Figuren des Kirchenchors, um auf die Gestik der Überlebenden des Feuers

hinzudeuten. Durch das Zeigen werden “Dinge [zusammengebracht], von denen

andere sagen, daß man sie auseinanderzuhalten habe” (Haraway 1995a: 103).

Das Kreisen wiederum ist auf einer anderen Art und Weise in der Praxis der

Dingzeitproduktionen eingebettet. Als Bewegung- und Organisationsprinzip

wiederholt und komprimiert es Gesten und Orte: es verdichtet Zeit und macht sie

spürbar. Auf diese Weise ermöglicht das Kreisen eine Wiederkehr und ein

Verweilen; es eignet sich den Nachklang an und verlängert ihn in die Zukunft. Im

42

Kreisen geschieht etwas. Wobei sich auf seine Wendungen einzulassen bedeutet

sich ebenso der Möglichkeit auszusetzen, dass sich die Bewegung nicht schließt,

sondern zu einer unerwarteten, noch nicht gedachten Stelle gelangt.

Beide Gesten gehen in ihrer eigenen Art abstrahierend vor, also denken sie.

Zudem sind sie auf Welt und Dinge angewiesen – sie konfigurieren sie neu und

setzten sich mit ihnen auseinander. Es handelt sich um ein materielles,

bedeutungsproduzierendes Ding-Denken, aus dem heraus Zeiträume und

Geschichten spekuliert werden.

Sprache, Ding, Vergangenheit

Heidegger und Whitehead hätten sich wahrscheinlich nichts zu sagen, so

vermutet Latour an einer Stelle in seinem Aufsatz “Elend der Kritik” (2007: 53),

wo er die Praxis der Kritik neu zu konzeptualisieren sucht, so dass es bei ihr nicht

mehr darum geht matters of fact aufzustellen, um sie dann in einer entlarvenden

Geste zu dekonstruieren, sondern an ihrem Platz matters of concern, also Dinge

von Belang, auftreten zu lassen.

Sie hätten sich vielleicht nichts zu sagen, dennoch bringt sie Latours Text über

die Frage nach den Operationen des Versammelns zusammen: durch das Ding,

dessen verknüpfendes Potenzial Heidegger mit der altgermanischen Etymologie

des Wortes zu beschreiben versucht, und Whiteheads “wirkliches Ereignis”, das

er mit “societé” in “Prozess und Realität” bezeichnet hat (vgl. ebd.). Beiden geht

es um die Aktivität des Versammelns, die vom Ding/Ereignis angeleitet wird.

In seinem Aufsatz “Das Ding” bemüht sich Heidegger darum, das Ding als ein

relationales Ereignis zu fassen. Um seine Vorgehensweise des Versammelns zu

beschreiben, benutzt er ein unvermutetes Vokabular: das Ding weltet, es ringt, es

dingt, es verweilt, es hat was mit An-Denken zu tun.

43

Heideggers spekulative Methode ist die der Etymologie. Mit ihrer Hilfe

experimentiert er Sprache und weist Sorge um... auf. Man kann versuchen, seine

Bewegungen nachzuvollziehen, um sich am Ende auch die Figur des Reigens

vorzustellen, die sich dabei gezeichnet hat.12

Mit der Frage nach der Nähe beginnt sich ein Diskurs aufzurollen, der aus einer

Vielzahl von aneinander gekoppelten Propositionen zu bestehen scheint. Man

kann sich vielleicht die Bewegung von Heideggers Text als eine Art Anreihung

von Erfassens-Ereignissen im whiteheadschen Sinne vorstellen: jede Aussage

weist bereits eine Richtung auf, sie zeigt auf einen vermeintlichen Endpunkt,

doch kurz bevor sie an dem geglaubten Ziel ankommt, wird sie von einer anderen

Proposition gepackt, die sie mit sich zieht, um gemeinsam eine neue Richtung zu

entwerfen. Das Ankommen wird so lange verschoben, bis die erste

Erfahrung/Aussage die letzte kennt: “Bis zum Ende [des] Prozesses ist die

Kenntnis in eine Qualität der Offenheit und Unentschiedenheit eingehüllt.”

(Manning 2011)

Bei der etymologischen Arbeit handelt es sich um eine archäologische Tätigkeit.

Es wird ein besonderer Zugang zur Sprache geschaffen, der sich der Aufgabe

stellt, potenzielle Bedeutungen und Beziehungen aus ihrem Vergangenen für die

Zukunft fruchtbar zu machen. In seinem Text lotet Heidegger die Möglichkeiten

der Sprache als Formen der Auseinandersetzung mit Dingen und ihrem Tun aus.

Sprache wird mal als Methode eingesetzt, um Zusammenhänge freizulegen, die in

ihrer “Vergangenheit” zu liegen scheinen, mal um neue Elemente in ihr wirksam

werden zu lassen. Aus dem Althochdeutschen oder -Lateinischen ausgegraben,

erscheinen Worte wie res, causa, dinc und besonders welten geradezu als

Neuschöpfungen. Bei ihrem Gebrauch handelt es sich um unterschiedliche

12Vgl. Anhang für eine spekulative Aneignung von Heideggers Aufsatz. Es wird versucht, das

Dichterische seines Textes in einer Zusammenfassung sichtbar zu machen. 44

Methoden der Spekulation von Beziehungen. Die Worte sind schon kleine

Ereignisse, die von der Produktivität und Zeitlichkeit der Sprache zeugen – auf

die Zukunft gerichtet, ist Sprache nicht ein für alle Mal gegeben. Wir befinden

uns nicht an einem vermeintlichen Endpunkt ihrer Entwicklung, von wo aus

sämtliche Bezüge ihrer zurückgelegten Vergangenheit ersichtlich sind, vielmehr

handelt es sich bei der etymologischen Arbeit ebenso um das Herstellen von

Beziehungen, die erst noch Bedeutung zu erlangen haben. Zudem besteht die

etymologische Arbeit darin, eine gewisse Kontinuität und Sukzession

nahezulegen – wie die zwischen dem dinc und dem Ding, dem Versammeln und

dem Ereignen – wodurch die aufgezeigten Beziehungen erst plausibel erscheinen.

Der Vorschlag der Abfolge ist vielleicht am besten ebenso als Abstraktion nach

Whitehead zu begreifen – “Denken folgt der Natur, wenn es abstrahiert...”

(Whitehead 2000: 85):

Für Whitehead ist die Vorstellung reiner zeitlichen Sukzession eine Abstraktion –

und nicht auf eine Naturgegebenheit zurückzuführen. So wie es keine “bloße

Farbe” gibt, sondern nur eine besondere, so “gibt es keine reine Sukzession,

sondern immer nur eine besondere relationale Grundlage, in [B]ezug auf die die

Zeitspannen aufeinander folgen.” (94; Herv. N.G.) Es handelt sich bei der

Herstellung dieser kohärenten Abfolge um eine “Konformation”,. Der Begriff der

Konformation beschreibt einen Prozess in dem “widerspenstige Tatsachen”13,

indem sie sich auf das beziehen, was abgeschlossen und aktual ist, mit diesem “in

angemessenen Umfang konform gehen” müssen. (95) Whitehead gibt keine

Anweisungen dafür, wie das Maß des angemessenen Umfangs festzustellen ist, es

handelt sich dabei eher um die Notwendigkeit der Konformation. Offensichtlich

13“Die primäre Phase, aus der jedes aktuale Ding entsteht, ist die widerspenstige Tatsache, welche

seiner Existenz zugrunde liegt.” (96)45

ist dieser Prozess aber nicht einer, der zwingend gleich ablaufen würde. Es geht

um die Zurückverfolgbarkeit der Schritte, wie Bruno Latour sagen würde (vgl.

Latour 2000: 36ff): wenn etwas Unvorhersehbares geschieht – wie zum Beispiel

die plötzliche Explosion einer Dynamitstange, dann können trotzdem, laut

Whitehead, die Bedingungen des Ereignisses in seiner unmittelbaren

Vergangenheit aufgesucht und zurückverfolgt werden. (vgl. Whitehead 2000:

105)

Vielleicht sind die Worte, die in dem Text von Heidegger auftauchen – sowohl

das dinc, als auch das Dingen – solche Explosionen, die in Beziehung zu dem

treten, was “vergangen und festgelegt” (88) ist, die jedoch mit der spekulativen,

auf die Zukunft gerichteten, Geste neu aktualisiert und artikuliert werden:

Die Vergangenheit besteht aus der Gemeinschaft abgeschlossener Akte, welche

aufgrund ihrer Objektivierungen in dem gegenwärtigen Akt die Bedingungen

herstellen, denen dieser Akt Rechnung tragen muss. (94)

Die Notwendigkeit, der Gemeinschaft abgeschlossener Akte Rechnung zu tragen,

schließt also die Ereignishaftig- und Plötzlichkeit des gegenwärtigen Momentes

nicht aus.

Wenn man Sprache als eine besondere relationale Grundlage auffasst, dann

entstehen neue Elemente immer aus einem In-Beziehung-Treten zu dem, was

bereits ausgesprochen, niedergeschrieben ist, aber vielleicht auch zu dem, was

verschwiegen oder vergessen wurde. Es bleibt aus zu verstehen, wie diese

eigentümliche Aktivität der Welt geschieht und inwiefern das Vergangene

tatsächlich festgelegt und abgeschlossen ist – wenn es doch immer wieder in

neue Ereignisse und “gegenwärtige Akte” übergeht.

Es liegt auf der Hand, dass man mit Whitehead jeden – geschriebenen oder

gesprochenen – Text als eine Entität begreifen kann, die einerseits selbst schon

46

Ereignis ist und aus der Relation zu anderen textuellen Ereignissen hervorgeht;

gleichzeitig aber auch in sich Beziehungsformen entwickelt, die in gewisser Weise

unabhängig und selbstbezüglich sind14. Ein Text schreibt sich weder ohne

jeglichen Bezug zu seinem Umfeld aus sich selbst heraus, noch geht er völlig mit

der Gemeinschaft anderer Texte konform. Der Satz, der sich eintippt, ist dem

vorherigen, aber auch dem kommenden verpflichtet und entwickelt gleichzeitig

einen Selbst-Genuss im Sich-Entfalten, wenn er sich der vorgegebenen Seiten-

Formatierung fügt, sich an bestimmten Worten erfreut oder auch nach anderen

verzweifelt sucht. Ein Text stellt nicht einfach fest, was sowieso schon da ist. Es

kann aber durchaus sein, dass er sich darum bemüht, eine Beständigkeit

herzustellen. Dieser Ort muss nicht unbedingt von Dauer oder stabil sein, er lädt

aber manchmal dazu ein, in ihm zu verweilen. Es kann sein, dass ein Text eine 14 Man kann wieder mit Hilfe von Whitehead diese Unabhängigkeit besser verstehen. Sie bedeutet

keine absolute Autonomie und auch keine Verleugnung der Relationalität von Ereignissen.

Whitehead spricht in “Kulturelle Symbolisierung” von der “präsentativen Unmittelbarkeit” als

Modus der Wahrnehmung. Wenn es sich beispielweise um die besondere Beziehung von Mensch

und Wand handelt, in der Eigenschaften der Wand, wie Farbe oder Ausdehnung, in unsere

(menschliche) Erfahrung eingehen, stellt es sich als unmöglich heraus, diese Charakteristika von

der Wand selbst zu isolieren. Es ist die Farbe der Wand, die wir erfahren: “Daher sind Farbe und

räumliche Perspektive abstrakte Elemente, die die konkrete Art charakterisieren, in der die Wand

in unsere Erfahrung eingeht.” Die Wand in jenem Moment ist nicht von ihrer Farbe oder

Ausdehnung zu trennen. Whitehead geht noch weiter, indem er sagt, dass es durchaus sein kann,

dass bestimmte Aspekte der gegenwärtigen Relation dem einen oder dem anderen aktualen Ding

gleichgültig sein mögen: er unterstellt zum Beispiel der Wand, ihr sei ihre Farbe nicht unbedingt

so wichtig, wie sie dem Wahrnehmenden in dem konkreten Moment des Aufeinandertreffens ist.

Dennoch handelt es sich bei dieser Zusammenkunft um eine simultane Relevanz und

Unabhängigkeit von Ereignissen:

“Diese Relevanz inmitten einer Unabhängigkeit ist das besondere Charakteristikum von

Gleichzeitigkeit.” (ebd.)47

besondere Bewegung nahe legt, wie ein Reigen, oder auch, dass er eine

bestimmte Anzahl an Propositionen, zum Beispiel sieben, anbietet, an denen man

sich entlanghangeln kann.

In ihrem Video arbeitet Elizabeth Price auch viel mit Sprache, die sich als Schrift

materialisiert. Niedergeschrieben erscheinen die Beiträge der unterschiedlichen

Beteiligten am Chor, während auf der Tonspur selten sprachliche Gebilde zu

differenzieren sind. Die auditive Ebene ist stattdessen von verschiedenartigen

rhythmisierenden Tönen durchzogen, von Musik und schrillen, schwer

beschreibbaren Geräuschen, die in die Herstellung einer besonderen Atmosphäre

und affektiver Ladung verwickelt sind.

Die geschriebenen Zeilen leiten die Erzählung an, sie kommentieren oder

erklären oft das Geschehen und stellen erst die relevanten Zusammenhänge

zwischen Bildern und Tönen verschiedener Art her. Diese Verhältnisse wären

ohne die Schriftzüge meistens nicht zu erschließen.

Eine der zahlreichen Erzählformen der Videoarbeit könnte als etymologische

Tätigkeit verstanden werden. Der Moment, in dem die vielfältigen Bedeutungen

des Wortes “choir” offengelegt werden, ist eines, in dem Beziehungen zu

verschiedenen Dingformen gespannt werden. Vielleicht kann man in diesem

etymologischen Verfahren Ähnlichkeiten zu der Geste des Kreisens finden,

insofern, als dass es sich bei beiden um eine bestimmte versammelnde Bewegung

handelt, die in ihrem Vollzug eine gewisse zeitliche Abfolge sichtbar macht. Es ist

ein Entfalten, aber auch ein Verdichten von materiell-semiotischen Zeichen mit

und in der kreisenden Geste. In ihrem Fortschreiten weist sie jedoch keine

einfache Linearität auf. Das Kreisen als archäologische Aushöhlung und

Fabulation von Bedeutungen ist verdreht und verzwickt. Es verbiegt Zeiten, die

mit bestimmten Signifikanzen beladen sind und lässt sie auswuchern oder an

48

unvermuteten Orten miteinander verwachsen. Diese ruhelose Tätigkeit löst eine

besondere Wirkung aus: wenn auf einmal die Beziehung zwischen einem aus

vierundzwanzig Bögen bestehenden Buch (quire) und dem Chor (choir) über die

Ansammlung von zusammen im Kreis singenden und sprechenden Tänzern

(chorus) aufgezeigt wird, passiert das in einem unmittelbar gegenwärtigen

Augenblick des wissensbeladenen Staunens. Diese Wirkung entsteht, indem der

infrage kommende Moment vergangener Entitäten andersartig aneinander

koppelt und sie somit für die Gegenwart beansprucht. Es ist die Schrift, ihre

vermeintlich neutrale und erläuternde Stimme den anderen hinzufügend, die

diese Verweise vornimmt und – Dinge und Worte durcheinanderbringend –

jegliche Gegenüberstellungen explodieren lässt.

Offensichtlich geht es Heidegger und Price um sehr unterschiedliche

Unterfangen. Ihre Vorgehensweisen und Selbstverständlichkeiten in Bezug auf

die Verantwortungsträger_innen bei der Wissensproduktion und ihrer

Präsentation sind sehr verschieden. Dennoch scheint beiden die Materialität von

Sprache als Grundlage eines kreativ-spekulativen Umgangs mit der Welt wichtig

zu sein. In ihrem “dinglichen” Verständnis von Sprache handelt es sich ebenso

um einen Prozess, der affektives Erleben und Denken nicht als sich gegenseitig

ausschließende Vorgänge voraussetzt. Ganz im Gegenteil: es ist gerade ihre

Vermengung, die die Bedingung dafür liefert, dass Relevanzen und komplexe

(Un-)Abhängigkeiten erfasst und nachvollzogen werden können.

Der Einsatz von Schrift in The Woolworths Choir... kann vielleicht als eine Form

des Erfassens im Sinne Whiteheads verstanden werden. Bei diesem Modus der

Aktivität handelt es sich immer um die besondere Zusammenkunft von

zueinander in spezifische Relation gebrachten, nicht von vornherein an festen

Positionen gekoppelten Entitäten, die wir als “Subjekte” und “Objekte”

bezeichnen können. (Whitehead 1971: 327)

49

Man kann vielleicht versuchen, die Weise, in der sich verschiedene Elemente im

und als Film aufeinander beziehen, als Erfassensereignisse zu formulieren. Es

mag sein, dass diese eigentümliche Bezeichnung des Verhältnisses nicht nur für

die Bezüge verschiedener distinkter Einheiten (wie Fotographie-Musik,

Archivaufnahme-Schrift, Schrift-Animation usw.) zutreffend ist, sondern auch

für die Möglichkeitsbedingung der Erfahrung von Film?

Erfassen

In “Abenteuer der Ideen” (1971) definiert Whitehead auf folgende

bemerkenswerte Weise die Grundlage von Erfahrung der Welt:

Die Basis des Erlebens und der Erfahrung ist emotional; allgemeiner gesagt: das

fundamentale Faktum ist das Aufkommen einer affektiven Tönung, die von

Dingen ausgeht, deren Relevanz bereits gegeben ist. (326; Herv. N.G.)

Zu Recht verweist Judith Butler in ihrem Vortrag mit dem Titel “On This

Occasion...”15 auf die Komplexität und Wichtigkeit dieser Passage. Es ginge dabei

nicht einfach um eine Umkehrung der Verteilung von Aktivität Subjekt und

Objekt. (Butler 2012: 5) In dieser Konzeption der Subjekt-Objekt-Struktur der

von Erfahrung geht um ein Bezugssystem, das die jeweiligen Elemente erst in

Beziehung zueinander als solche (Objekte / Subjekte) hervortreten lässt. Da es

15Er wurde am 3. Dezember 2009 an der Claremont Graduate University in Kalifornien im

Rahmen der dritten Konferenz von 'Whitehead Research Project' (WRP) gehalten. Die Tagung

lief unter dem Titel “Becomings, Misplacings, Departures: Butler and Whitehead as Catalysts for

Contemporary Thought” und resultierte 2012 in die Veröffentlichung des Bandes “Butler on

Whitehead: On the Occasion”. (siehe Quellenverzeichnis)50

sich um Dinge/Objekte16 handelt, die durch ihre affektive Tönung die “subjektive

Form des Erfassens” (Whitehead 1971: 327; Herv. N.G.) bestimmen, deren

Relevanz jedoch bereits gegeben sein muss.

Once again, we have to be able to think the situation in which both subject and

object emerge from, or arise out of, occasions. (Butler 2012: 9)

Das Ereignis ist der Moment des Erfassens, in dem Aktivitäten und agencies auf

beiden Seiten von statten gehen und zwar immer in Bezug auf Andere. Der

Charakter der Beziehung sei, laut Whitehead, am besten mit concern zu

beschreiben: “eine substanstivische Wendung für 'es geht hier ernstlich um'.”

(Whitehead 1971: 326) (Es geht hier ernstlich um eine besondere verdrehte

Geste, es geht hier ernstlich um die Feststellung der Gründe eines tödlichen

Brandes, es geht hier ernstlich um einen Ort und auch, ernstlich, um das

Behaupten eines Wissens.)

Relevanz entsteht dort, wo es um etwas geht.

Sie besteht fort, wenn sie, indem sie Anlass einer affektiven Tönung von Dingen

wird, eine bestimmte Aktivität im Subjekt anleitet. Wobei die Bezeichnung “im

Subjekt” bereits den Prozess der gegenseitigen Konstituierung vor dem

Hintergrund der Relevanz verfehlt. Es findet nicht einfach etwas innerhalb einer

existierenden Entität statt, sondern diese nimmt erst dann Form und Konsistenz

16Whitehead scheint “Ding” und “Objekt” synonym zu benutzen. Wenn wir ihm folgen, würde

sich nicht nur die gängige Vorstellung von passiven, aufnehmenden Objekten, denen aktive

Subjekte als Handlungsträger entgegengesetzt sind, auflösen, sondern würde auch jeder Versuch,

die Grenze zwischen Ding und Welt vorzubestimmen, leerlaufen. So eine abstrahierende

Operation könnte sich nicht mehr vorgefertigten Kategorien wie menschlich/nicht-menschlich,

organisch/anorganisch, lebendig/tot, materiell/nicht-materiell bedienen, sondern müsste sich erst

mal der Frage nach der Aktivität und dem Tun von Objekten/Dingen und Subjekten stellen.51

an, wenn sie auf eine besondere Art und Weise auf die Bedeutsamkeit der Welt

reagiert oder aber die Bedeutsamkeit bzw. die Aktivität von Anderen provoziert.

Ein Erlebnisvorgang ist Subjekt im Hinblick auf die Aktivität, in der es um ein

bestimmtes Objekt geht; und alles ist Objekt, was eine bestimmte Aktivität in

einem Subjekt hervorruft. (327)

Es ist eine fortwährende Aktivität, in der die Welt immer am Werden wird: als

sich entfaltende Multitude dynamischer Verkettungen von bedeutungs- und

relevanzbeladenen Dingen von Belang.17 Wenn wir damit beginnen, jegliche

Prozesse und Konzepte, die mit der Vorstellung der Eingebundenheit und der

Teilnahme an dem Werden der Welt verknüpft sind, aus diesem Verständnis der

Subjekt-Objekt-Beziehung heraus konsequent neuzudenken, dann müssen

folgende Schlüsse gezogen werden:

I. Da die Basis der Erfahrung affektiv und da die Rolle der Dinge in ihr eine

der besonderen Aktivität ist, kann Erkenntnis nicht als eine Tätigkeit verstanden

werden, die von einem abgekoppelten Subjekt ausgehen.

Jede Erkenntnis ist ein bewußt artikulierendes Auffassen erlebter Objekte. Aber

dieses [...] ist nichts weiter als ein zusätzlicher Faktor in der subjektiven Form des

Wechselspiels zwischen Subjekt und Objekt. (328)

Wenn die Grundannahmen über die Subjekt-Objekt-Struktur des Erlebens der

Welt beibehalten bleiben, dann folgt daraus, dass auch der Erkenntnis eine

17Bruno Latour benutzt in Anlehnung an Whitehead diesen Ausdruck (engl. matters of concern),

um gerade die Unterscheidung zwischen den Dingen von Belang und den bloßen Tatsachen

(matters of fact) treffen und auf die verschiedenen Auffassungen von Welt zu verweisen, die mit

dem jeweiligen Verständnis des Stellenwertes von Dingen verbunden sind. (Vgl. Latour 2007)52

affektive Basis zukommt. Bei ihr handelt es sich ebenso um Erfassensereignisse,

die von einer Auseinandersetzung mit relevanten Dingen angeleitet worden sind.

II. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass es sich bei dieser

Auffassung von “Subjekten” und “Objekten” um eine radikal relationale handelt.

Die Basis des Erlebens ist affektiv, da die Erfahrung jedes einzelnen aktualen

Ereignisses und Erlebensaktes von vielen Anderen konstitutiert ist:

Die Objekte sind diejenigen Faktoren des Erlebens, die in ihrer Funktion zum

Ausdruck bringen, daß jeder Erlebensvorgang in seinem Entstehen ein

transzendentes Universum anderer Dinge einschließt. Es gehört also zum Wesen

jedes Erlebensvorgangs, daß es in ihm um ein Anderes geht, das ihn

transzendiert. (332; Herv. N.G.)

Die Eingebundenheit fremdartiger Existenzweisen in jedem gegenwärtigen

aktualen Ereignis ist das, was das schöpferische Potenzial und die ethische

Herausforderung dieses Verständnisses des Erfahrungsaktes ausmacht. Denn

daraus resultiert, dass jedes Erfassen, als Verknüpfung mit dem Universum der

zukünftigen und vergangenen Anderen, sich auch der Frage stellen muss, ob und

wie es den Anderen Rechnung zu tragen hat. So wie nicht alle gleichzeitigen

Dinge von Relevanz für einander sind oder überhaupt etwas voneinander wissen

müssen, kann und sollte auch nie jeder Forderung zur Konformität zu der

“Gemeinschaft abgeschlossener Akte” (Whitehead 2000: 94) gefolgt werden.

Ebenso wird sich nicht jede Notwendigkeit, die Zukunft auf eine bestimmte Art

und Weise zu verkörpern, Gehör verschaffen können.

Deswegen ist die Frage danach, welche Potenzialitäten aktualisiert werden und

welche Gestalt die Beziehungen zu anderen Anderen zu nehmen haben, eine

dringliche. Auch wenn sie nicht bei jedem Erfassen ausdrücklich gestellt wird, so

wohnt sie ihm zumindest bei und erinnert daran, dass sich Erfahrung vor dem

53

Hintergrund von concerns abspielt: als Sorge um das Aufrechterhalten von

Bedeutung und Relevanz in und mit der Welt.

III. Es geht bei der Konstitution des Erfassensereignisses nicht nur um

räumlich lokalisierbare Dinge. Mithilfe der Idee von der Subjekt-Objekt-Struktur

der Erfahrung auch das Erleben von Zeit beschrieben werden. Für den

gegenwärtigen Augenblick sind Zukunft und Vergangenheit unterschiedlich

emotional gefärbt. Sie erheben einen unterschiedlichen Anspruch an ihn und

bringen unterschiedliche Notwendigkeiten mit sich. Als Objekte für den

gegenwärtigen Moment agierend, erzeugen sie ihn beisammen.

Der gegenwärtige Augenblick konstituiert sich durch das Einströmen des

Anderen in die sich erhaltende Identität des unmittelbar Vergangenen mit der

unmittelbaren Gegenwart. (334; Herv. d. A.)

Die Bedeutsamkeit der Vergangenheit für die Gegenwart sei das einleuchtendste

Beispiel des unbestreitbaren Einflusses von der nicht-sinnlichen Wahrnehmung

auf die Erfahrung von Welt. (ebd.) Selbst bei der Betrachtung kleinerer

Zeitspannen können wir merken, wie durch die Tätigkeit des Erinnerns bereits

vergangene, nicht-(mehr)-sinnlich erfahrene Geschehnisse auf die Gegenwart

einwirken. Die Kenntnis von ihnen zwingt sich immer weiter in

unterschiedlichem Ausmaß der Gegenwart auf – sie sind ihr immanent und

haben je für sich eine objektive Existenz. (348; 354) Im Vergleich dazu steht die

Zukunft ebenso als Objekt der Gegenwart gegenüber, sie ist “jedem

gegenwärtigen Vorgang immanent” (352), da sie ihm die Notwendigkeit

aufbürdet von ihm verkörpert zu werden, sowie den Anspruch darauf erhebt,

“daß es eine Zukunft gibt” (ebd.). In ihr gibt es aber keine separate reale, für sich

existierende, bereits entfaltete Vorgänge – die Zukunft ist, als Ganzes genommen,

reine Potenzialität. (354)54

Nach diesem kurzen Abstecher in Whiteheads abenteuerliche Darstellung der

gegenseitigen Hervorbringung von Subjekten und Objekten und ihrer

weitreichenden Konsequenzen, kann versucht werden mit The Woolworths

Choir 1979 davon Gebrauch zu machen. Insbesondere interessiert mich die

bereits aufgeworfene Frage nach der Möglichkeit eines Denkens komplexer

Zeitlichkeiten und den aus unterschiedlichen Zeitmodi resultierenden

schöpferisch-kreativen Prozessen.

Es scheint mir, dass sich mit Whiteheads Verständnis des gegenwärtigen

Augenblicks auch die Art und Weise, wie die Videoarbeit von Elizabeth Price

funktioniert, sehr treffend beschreiben lässt. Sie verbindet unterschiedliche

Verfahren der Organisation von Zeit – nicht nur bedient sie sich filmischen

Mitteln, sondern, wie schon beschrieben, auch anderer Medien, beispielsweise

der Fotographie und Architektur. Wenn wir The Woolworths Choir... oft als Film

(und nicht als Fotocollage oder als architektonischen Raum) bezeichnen, dann

vielleicht weil trotz der Vermischung heterogener Elemente, die Zeiterfahrung

beim Rezipieren der Arbeit zum größten Teil mit dem, was wir filmische

Zeiterfahrung nennen, konform gehen lässt.

Whitehead beschreibt den Moment der Gegenwart als einen, der sich im

“Umschlag von der Wiederholung zur Antizipation” (352) befindet, jeder Vorgang

“[entsteht] als eine in die Vergangenheit zurückblickende Wirkung und [endet]

als eine in die Zukunft vorausschauende Ursache” (ebd.) Wenn wir uns ein

filmisches Bild als einen gegenwärtigen Vorgang vorstellen, merken wir, dass

eines seiner besonderen Merkmale gerade jene Unmöglichkeit ist, auf die auch

Whitehead verweist (vgl. 334), und zwar, es als klar umrissen und für sich

stehend heraus zu präparieren. Zu der gewohnten Erfahrung von Film gehört das

Vermögen, sich auf den Fluss von aufeinander verweisenden und ineinander

55

übergehenden Tönen und Bildern einzulassen und in jedem Augenblick die

Bewegungen der Wiederholung (der Aufnahme des unmittelbar Vergangenen in

die Gegenwart) und der Antizipation (des Beziehens des unmittelbar

Bevorstehenden) (nach)zuvollziehen.

Wenn ein Film beginnt, sich zu entfalten, erlegt jedes Bild dem darauf folgenden

die Notwendigkeit auf, sich irgendwie auf es zu beziehen. Anfangs steht nicht

fest, wie die Bezugnahme aussehen wird und es gehört zu der Tätigkeit jeden

Films, an spezifischen Formen der Beziehungen mithilfe der Montage zu

arbeiten. Vielleicht zeichnet sich das, was wir unter 'Experimentalfilm' verstehen,

gerade durch Vervielfältigung solcher Verbindungsformen aus. In The

Woolworths Choir of 1979 erscheint z.B. das Klatschen und das zeitgleiche oder

leicht verrückte kurze Einblenden von den Worten WE KNOW (Abb. 8) als ein

besonderer BildTon-Komplex, das dem restlichen Umfeld eine zusätzliche

affektive Ladung gibt. Dem Bild, das noch kommen wird, wird vielleicht erhöhte

Aufmerksamkeit geschenkt. Vielleicht wird uns der Verweis auf den wissenden

Chor für den jeweiligen Augenblick stückweise in seine Gegenwart versetzen. Die

intensive rote Farbe mit ihrem starken Kontrast zum vorherigen und

nachfolgenden Bild, begleitet von dem abrupten Geräusch der klatschenden

Hände, könnte ebenso einen kurzen Schock erzeugen. Es könnte auch sein, dass

mit jedem schlagartigen Einblenden das Gefühl einer Wiederholung oder

Wiederkehr angestoßen wird. Oder auch, dass dabei Ermüdung, Spannung und

Ungeduld entstehen. In jedem Fall zwingt der BildTon-Komplex, so flüchtig und

eigenwillig er auch ist, dem Zukünftigen eine emotionale Richtung auf. Für das

Nächste ist es insofern ein Objekt, als dass es bereits auf einer bestimmten Art

und Weise abgeschlossen und verwirklicht ist und deswegen in der Lage ist,

andere Komplexe zu affizieren und sie zur Subjektivierung zu bringen. Für die

Gemeinschaft vergangener BildTon-Akte ist das aktualisierte, gegenwärtige Bild

56

eine Antwort auf die Notwendigkeit, dass es eine Zukunft bzw. einen Film gibt.

Wenn es um die Beziehung von Zukunft und Vergangenheit geht, ist es schwer,

aus der Perspektive des bereits verwirklichten Momentes zu schreiben. Denn in

der Zukunft gibt es keine realen Vorgänge, nur eine Potenzialität, die kein klar

umrissenes Bild und auch kein herauszuhörender Ton ist.

Als gegenwärtiges Bild (Abb. 8) ist das aktuale Geschehen der Zukunft und der

Vergangenheit geschuldet, es ist der Umschlag, in dem die Spannung zwischen

Antizipation und Wiederholung am Werk ist, um Neues zu schöpfen. Immer geht

es um “das Einströmen des Anderen” (334) in den jeweiligen Augenblick; gerade

auf diese andersweltlichen, anderszeitlichen Fremdheiten ist das Kristallisieren

der Gegenwart angewiesen.

In dem Herausbilden des gegenwärtigen BildTon-Komplexes gibt es aber ebenso

das Element des Selbst-Bezuges, das ein integraler Bestandteil seiner

Individualisierung ist:

...den entscheidenden Augenblick seiner Selbsterfüllung genießt [der

Erlebensvorgang] als emotionale Einheit. (328)

Als emotionale Einheit beschreibt Whitehead den Zustand der actual entities (dt.

“wirklich Seiende”), die absolute Realität besitzen und zwar nachdem sie durch

einen affektiven Selbstgenuss zu ihr gelangt. In einer solchen Lage befindet sich

auch das Geschehen, das im filmischen Ereignis eingebunden ist – nicht als

Leugnung seiner Verwickeltheit, sondern gerade aus dieser verzwickten Position

heraus. Seine Seltsamkeit und Eigentümlichkeit ergibt sich aus der Operation der

gegenseitigen Konstituierung als Subjekt und Objekt im Verhältnis zu anderen

Komplexen. Zugleich wird es weder vollkommen objektiviert (es gibt nicht sein

ganzes affektives Potenzial Anderen ab) noch subjektiviert (es antwortet nicht auf

57

alle Impulse, die von Anderen ausgehen, um sie in seinen Prozess der

Subjektivierung zu integrieren). Es stellt sich eine gewisse Unabhängigkeit und

Selbstbezüglichkeit her, in dem das BildTon-Ereignis im Selbstgenuss seiner auf

der Klippe stehenden Aktualität verharrt.

Archiv und Erfassen

Das, was für die kleinsten Zeitspannen gilt, wenn die Frage nach der Beziehung

von Zukunft – Vergangenheit – Gegenwart aufgeworfen wird, muss auch auf ihre

dezidierte Thematisierung zutreffen – so wie sie in The Woolworths Choir of

1979 zu geschehen scheint.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Chor verschiedene Zeitformen

miteinander verknüpft, indem er zwei spezifische Bewegungen in Austausch mit

einander bringt: durch die kreisenden und zeigenden Gesten, die auf je eigener

Art Gleichzeitigkeiten, verdrehte Reihen und disparate Verkettungen schaffen.

Zudem ist der Chor als Ergebnis dieser Verknüpfungen zu verstehen.

Es handelt sich um Erfassensereignisse auf unterschiedlichen Ebenen: zum einen

kann man die Verweise, die zwischen den einzelnen BildTon-Komplexen von

statten gehen, als Erfassensvorgänge bezeichnen. Zum anderen sind auch größere

Gruppierungen dieser Vorgängen in komplexeren Gemengen als

Erfassenseriegnisse zu beschreiben. Solche sind zum Beispiel die drei Teile der

Arbeit: The Auditorium, The Chorus und The Fire, aber auch die verschiedenen

herausgebildeten Elemente, die in ihrem Verlauf etabliert werden. So kann es

sich dabei sowohl um die Schrift handeln, die eine erzählende und erläuternde

Funktionen erfüllt, als auch um die Präsentationsart von nebeneinander gelegten

Fotographien, die Katalogen zur mittelalterlichen Kirchenarchitektur

58

entstammen oder aber auch um das Einfügen von archiventnommenen

Aufzeichnungen vom Tag des Brandes in Woolworths.

Auffällig ist der häufige Einsatz von Bildern und Aufnahmen, die etwas mit

Vermitteln oder Bewahren von konkretem Wissen über die Vergangenheit zu tun

haben: die Dokumentar- und Lehrfilme (Abb. 18), das komplette Geschehen im

Auditorium (1-7), die alten Raumpläne (17; 19; 21) – sie sind auf Vergangenes

verweisende Materialien, deren Angelegenheit das Aufrechterhalten und die

Herstellung seiner Relevanz ist.

Die abgefilmten Musikvideos oder die Aufnahmen, auf denen die Gesichter von

den Zeugen zu sehen sind, sind vermutlich anfänglich einem anderen Bemühen

entsprungen – es stand höchstwahrscheinlich nicht das Anstreben einer

Erkenntnis oder die Erforschung bestimmter Zusammenhänge im Vordergrund,

sondern, im Fall der Pop-Songs, die Produktion eines genussvollen,

animierenden musikalischen Ereignisses. Was den tonlosen Ausschnitten aus

den Interviews mit den Zeugen betrifft, sind sie mutmaßlich Reportagen

entnommen worden, die sich gerade um die Herstellung eines ausgedehnten

aktualen Momentes bemühen und ihre Wirksamkeit aus dem Anspruch auf

Gleichzeitigkeit mit relevanten Geschehen gewinnen.

Durch die Art und Weise, wie die jeweiligen Gruppierungen unterschiedlicher

Filmereignissen geschnitten sind, wird einerseits der Eindruck von einer

Nachträglichkeit ihrer Produktion und andererseits eine andere Form von

Wissensbeladenheit erzeugt. Die Musikvideos sind mit den aufschlussreichsten

Aussagen des Chors gespickt, die Auskunft über seine Zusammensetzung und

seinen Anliegen geben (siehe Anhang). Es werden unermüdlich einzelne Gesten

der Interpreten abstrahiert und dazwischen die Titel WE KNOW eingeschoben.

Die stark mit versetzten Loops und Überlagerungen arbeitende Montage der

Reportagenausschnitte kreist einerseits um die Unmöglichkeit der Erzählung und

59

des Wissens. Gerade aber durch die Übertreibung in der Wiederholung weist die

Montage andererseits immer wieder auf ihre eigenen Produktionsbedingungen

und die Gemachtheit hin.

Wenn BildTon-Komplexe, die in der Vergangenheit bereits verwirklicht sind,

vom und als Chor wiederaufgenommen werden, kann dabei eine methodische

Auseinandersetzung mit den Vorgängen des Erfassens nachgespürt werden. Die

vorgefundenen Archivmaterialien dienen als Objekte für den gegenwärtigen

Moment, zu dem auch The Woolworths Choir of 1979 als Ganzes gezählt werden

kann. Der Film als komplexes Ensemble kurzlebiger und fragiler

Erfassensereignisse kann auch als eine Aktualität begriffen werden, die aus

Relationen zu den vergangenen Anderen hervorgeht – zu den Orten und

Geschehnissen, die anderen Zeiten entstammen und welche die affektive

Grundlage für ihre Subjektivierung bilden. Solche Stätte sind zum Beispiel

Woolworths im Jahre 1979, der Bildschirm eines MacBooks (Abb. 12) oder der

mittelalterliche Kirchenchor, in dem das Auditorium platziert ist und dessen

Topik er bildet.

Architektur

Es ist an der Zeit, sich genauer die Art und Weise anzuschauen, wie

Architekturen in Elizabeth Price' The Woolworths Choir of 1979 hergestellt

werden.

Der Film richtet uns von Anfang auf einen konkreten Raum aus – den des

mittelalterlichen Kirchenchors, den er sich mithilfe von abfotographierten

Bildern und punktuell eingesetzten Animationen erschließt. Verschiedene

architektonische Elemente werden zu t/r/opoi der Versammlung: durch die

60

Ausstellung der Konfiguration von Kirchenstühlen und Trennwand, der einander

gegenüberstehenden Seiten des Chors, (abbatis und prioris) sowie der Figuren

des Dreipasses, der Miserikordie und der S-Kurve wird ein Wissen über den

Raum akkumuliert. Dabei schleichen sich in seine Präsentationsweise

erzählerische oder gar dramatische Momente ein. Zugleich bleibt aber der so

artikulierte Chor in gewisser Weise unbetretbar – womöglich gibt es den Chor gar

nicht. Die bereits18 beschriebene Spannung zwischen der Flachheit der

nebeneinandergelegten Bilder und dem Volumen, das von den bewegten

Animationen erzeugt wird, äußert sich auch als die Erfahrung eines nicht-

einheitlichen, nicht-lokalisierbaren und dennoch von spezifischen

Charakteristika durchzogenen Raumes. In der Tat ist es so, dass die

detailreichen, oft ein bestimmtes Element aufzeigenden Bilder durchaus an sehr

unterschiedlichen Orten hätten aufgenommen sein können und nicht zu einem

einzigen, “tatsächlich” in dieser Zusammensetzung existierenden Raum gehören.

Die Fotographien bieten oft keinerlei Perspektive, die eine Immersion in der

Architektur erlauben würde. Spezifisch und konkret sind die Details, fügen sich

aber nicht zu der Idee eines im Voraus bestimmten Raumes. Die

architektonischen Elemente werden eher individuell erfasst, als dass sie

zusammen ein größeres Bild ergeben würden. Sie sind nicht darauf aus, einen

Prototyp des mittelalterlichen Chors zu konstruieren, selbst wenn sie durchaus

Merkmale der Kirchenarchitektur ansprechen, die einen seriellen Charakter zu

haben scheinen. Dennoch sind die Verweise auf die seltsamen hervorstechenden

Ornamente, sowie der Einsatz von versetzten, verblasten, nebeneinander

gelegten, ausgeschnittenen und abfotographierten Bildern, Mittel, die darauf

hindeuten, dass es sich nicht um die getreue Rekonstruktion eines bereits

existierenden Raumes handelt.

18Vgl. S. 15.61

Gleichzeitig wird durchaus eine räumliche Situation geschaffen, die eine neue,

andersartige Architektur aufkommen lässt. Wir bleiben im ersten Teil der Arbeit,

um eine Beschreibung der Art und Weise zu versuchen, wie das Auditorium

hervorgebracht wird – als Raum, wo Wissen und Erzählung zusammenfinden.

Rhythmus/Rahmen

Das Gefühl, dass wir uns als Zuhörer_innen irgendwo befinden, wo es

Fluchtlinien gibt, welche die Richtung und den Modus unserer Aufmerksamkeit

beeinflussen, wird durch verschiedene Elemente erzeugt. Eins davon ist die Geste

des Zeigens19, indem es verknüpft, auf eine Frage antwortet und Relevanzen

herstellt oder legt sie offen legt. Es gibt zwei weitere Verfahren, die eine

besondere Rolle in The Woolworths Choir of 1979 zu spielen scheinen und die ich

gerne in der Nähe zueinander betrachten möchte. Es handelt sich dabei um die

Operation des Rhythmus und die des Rahmens, oder der Einrahmung. Sie ziehen

die ganze Arbeit durch, treten aber im ersten Teil in ein sehr explizites Verhältnis

zueinander. Dieses ermöglicht es ihnen sich an der Fabulation der Architektur

des Auditoriums zu beteiligen.

Die Geräusche des Klicks, des Klatschens und des Schnipsens, die mit ihrer

Prägnanz und relativ leichter Zuordenbarkeit fast bildlich wirken, werden

kontinuierlich während der ganzen Arbeit eingesetzt, um sie zu rhythmisieren

und in Bewegung zu setzen. Sie dienen als Intervalle, die das Geschehen

unterbrechen und es der Stille aussetzen. Von einer Zerlegbarkeit und

Sezierbarkeit des Gezeigten zeugend, führen sie Momente einer zweispitzigen

Produktivität ein: dadurch, dass die Geräusche gerade keinen ununterbrochenen

Fluss von einem Bild zum nächsten erlauben, weisen sie darauf hin, dass es sich

19Vgl. S. 23ff.62

um eine gelenkte, in hohem Maße produzierte Situation handelt. Sie ist mit

Wissen überlagert oder auch von der Notwendigkeit geprägt dieses herzustellen.

Diese rhythmischen Töne sind hybride Schnittstellen: als Intervalle sind sie nicht

das bloße Gegenteil von den sichtbaren Bildern, sondern treten in Verbindung zu

ihnen, um sie zu kommentieren, neue Verknüpfungen zu anderen Komplexen zu

ermöglichen und um einen konzentrierten Sehmodus zu provozieren. Bei

genauerem Zuhören wird auch spürbar, dass es sich nicht immer um die gleichen

Art von Schnipsen und Klatschen handelt. Mal rufen sie die unmittelbare

Assoziation mit Händen hervor, die tatsächlich die entsprechenden Bewegungen

vollziehen; mal driften die Töne in eine Zone ab, wo es nicht mehr möglich ist, sie

auf einen menschlichen Körper zurückzuführen. Sie wirken dann mechanischer,

ihre Wahrnehmung ist aber noch von jener der bereits vergangenen Geräusche

beeinflusst. Es gibt auch die seltenen Bilder von klatschenden Händen20. Diese

Aufnahmen sind synchron mit dem entsprechenden Geräusch zu sehen, sodass

ein Kurzschluss zwischen Bild und Ton entsteht. Diese Erfahrung hallt im

darauffolgenden Geschehen nach, selbst wenn keine direkte indexikalische

Verbindung mehr festzustellen ist. Vielleicht lässt sich damit erklären, wieso von

“Klatschen” die Rede sein kann, selbst wenn keine klatschende Händen im Blick

sind und auch wenn das Geräusch selbst fremd und unbestimmter zu werden

beginnt.

In The Woolworths Choir... sind sowohl der Rahmen als auch die Prozesse der

Einrahmung und Isolierung oft explizit thematisiert. Das Zeigen ist, wie wir

bereits gesehen haben, eine Geste, die abstrahiert und individualisiert. Wenn die

Rede vom “Modus des Zeigens” ist, ist damit nicht nur ein zeigender Finger, ein

Stift, eine richtungsweisende Hand oder eine erläuternde Schrift (Abb. 17-19) 20Vgl. 06:31. Es lässt sich (leider) keinen Screenshot von diesem Moment der Arbeit aufnehmen,

da das angehaltene Bild viel zu unscharf und wenig differenziert wirkt. Den Film betrachtend,

sind die klatschenden Hände von Musikerinnen jedoch eindeutig zu erkennen.63

gemeint. Vielmehr kann sich auch die An- und Nebeneinanderreihnung von

Fotographien als eine zeigende Geste verstehen. Die Bilder, die bestimmte

bedeutende Details aufweisen, sind häufig als solche ausgestellt: ihre Kanten sind

deutlich zu sehen (Abb. 5; 6). Sie werden auch nicht selten verdoppelt – ob durch

den Einsatz von split screen handelt oder einfach durch das Nebeneinanderlegen

von zwei sich ergänzenden Ausschnitten (Abb. 1; 2). In der Tat ist der Rahmen

nicht etwas, was ausgeblendet wird, sondern etwas, das in das Auditorium als ein

ihm wesentlicher Bestandteil eingeführt wird.

Der Rahmen und die rhythmischen Töne treten in eine Beziehung zu einander –

beide vollziehen Schnitte. Sie operieren zwar auf unterschiedlichen Ebenen, aber

gerade durch die Affinität in ihrer Vorgehensweise vermengen sie sich und

erschaffen sie zusammen die besondere Architektur des Auditoriums.

In ihrem Buch “Chaos, Territory, Art” (2008) nähert sich Elizabeth Grosz in einer

Auseinandersetzung mit den Schriften von Deleuze und Guattari an die Frage wie

das Verhältnis zwischen Rahmen, Rhythmus und Bildschirm (screen) aussehen

könnte. Sie bezieht sich auf das Buch “Was ist Philosophie?” (2000), in denen

Deleuze und Guattari den ersten künstlerischen Impuls als einen

architektonischen bezeichnen:

Die Kunst beginnt nicht mit dem Leib, sondern mit dem Haus; deshalb ist die

Architektur die erste der Künste. (222)

Laut Deleuze und Guattari ist das so, da die Architektur und – ihr folgend – alle

anderen Künsten, darauf aus sind, dem Chaos Perzepte und Affekte zu

entnehmen und sie rahmend in ein Territorium überzuführen. In den Künsten

handelt es sich um ein ständiges Wechselspiel und Ineinandergreifen von den

Bewegungen der Territorialisierung und der Deterritorialisierung:

64

It is the frame that consitutes painting and cinema just as readily as

architecture... The frame is what establishes territory out of the chaos that is the

earth21. (Grosz 2008: 11)

Mit der Rahmung wird ein Territorium als Raum geschaffen, dem Empfindungen

entspringen, um wiederum als einzelne Elemente abstrahiert werden zu

können22. Im Territorium werden Objekte abgegrenzt (17) und in ein bestimmtes

räumliches Verhältnis zueinander gesetzt, sodass komplexe Architekturen

entstehen können. Der Rahmen hat auch eine Affinität zum Rhythmus, der

ebenso aus dem Chaos schöpft und es auf vielfältige Arten und Weisen ordnet.

Musik sei das Resultat davon, dass Töne und Vibrationen aus dem Kosmos

gezogen und als rhythmische Elemente zusammengebracht worden sind. (20)

The refrain is how rhythm stakes out a territory from chaos... (19)

Der Refrain ist dasjenige rhythmische Element, das meistens eine auditive

Territorialisierung vollzieht. Der Refrain ist Wiederholung und Wiederkehr. Er

zergliedert das Lied oder das Gedicht, schafft aber auch einen Gemeinplatz, einen

Moment des Verweilens. Die Bewegung, die er vornimmt, ist eine des Kreisens –

kreisend ist der Refrain mit dem versammelnden Chor verbündet.

21Man könnte den letzten Satz missverständlich als Gleichsetzung von Erde und Chaos lesen,

wobei das nicht im Sinne von der Territorialisierung, die Deleuze und Guattari bescheiben, wäre.

Deswegen sollte man “that is the earth” gerade auf den Prozess der Rahmung – als Erde –

beziehen.

22“...a rhythm, a tone, coloring, weight, texture may be extracted and moved elsewhere, may

function for its own sake, may resonate for the sake of intensity alone.” (12)65

Interessant ist, dass in The Woolworths Choir of 1979 als Refrain das bereits

beschriebene rot gefärbte, von Klatschen begleitete, mit WE KNOW beschriftete

Bild aufgefasst werden kann. (Abb. 8) Es ist ein zusammengesetzter BildTon-

Komplex, in dem die Qualitäten der einzelnen Elemente nur dann erfahren

werden, wenn sie miteinander zu resonieren beginnen. So ist die rote Farbe in

WE KNOW klangvoll und beim Klatschen handelt es sich um den geteilten

Augenblick, in dem kurzlebige Gruppierungen verschiedener Entitäten zum

Vorschein kommen. Sie finden zueinander, um flüchtige Handlungen

auszuführen: Hände zielen auf einander ab, um sich geräuschvoll zu berühren,

zwei Buchstaben behaupten ein wissendes Wir.

Die Wiederkehr dieses Refrains ist eine der Bewegungen, welche die Videoarbeit

territorialisieren. Der BildTon-Komplex steht in einer Spannung zu den

Geräuschen des Klatschens und des Schnipsens, die kurzlebiger, sporadischer

und weniger eindeutig sind als ihn, und auch zu der windenden Form, die der

Chor dem ganzen Film auferlegt. Diese “chorige” Organisation bedient sich allen

weiteren Komponenten und bezieht sie in eine Narration ein.

Zurück ins Auditorium, wo eine Verschränkung von Rahmen und Rhythmus

aufgeführt wird: die Vielfalt an Rahmen, die sich ins Bild einschneiden sowie die

Töne, die das Bild ebenso zerlegen und unterbrechen, schaffen verflochtene

Territorien. Diese kleinsten Elemente sind zugleich Brüche und Brücken, Leer-

und Schnittstellen – sie erzeugen einen Raum, indem sie ihn zersplittern und

mit Unterbrechungen versehen. Sowohl Rahmen als auch Rhythmus wirken

isolierend, indem sie bestimmte Qualitäten aus dem Chaos abstrahieren. Dabei

setzen sie die abstrahierten Elemente in Bewegung und ermöglichen es ihnen,

mit einander zu resonieren und architektonisch-intensive Zusammenhänge zu

fabrizieren.

66

If framing creates the very condition for the plane of composition and thus any

particular works of art, art itself is equally a project that disjars, distends, and

transforms frames, that focuses on the intervals and conjunctions between

frames. (18)

Die Art und Weise, wie das Auditorium als Raum für den Chor und das erzählte

Geschehen konstituiert wird, scheint gerade in einer Auseinandersetzung mit den

Operationen der Rahmung und des Rhythmus stattzufinden. Seine Erschaffung

ist zugleich noch komplexer, da es sich um eine Vielzahl von ihn strukturierenden

Bewegungen handelt.

Die sichtbaren Rahmen prägen horizontal ihre Ecken und Kanten in das

filmische Bild ein und führen eine Spannung zum Bildschirm oder zu der

Leinwand ein.23

Die vertikalen Geräusche des Schnipsens und Klatschens fallen von oben auf die

Bilder herab und unterbrechen sie. Manchmal bleiben sie etwas länger und

haften an ihnen.

Der territorialisierende Refrain weist Affinitäten zum noch kommenden Chor

auf. Somit richtet der Refrain mit seiner Ankunft das Auditorium in die Zukunft.

Und schließlich machen die verdrehten Ornamente die Architektur mehrdeutiger

und vielschichtiger. Sie versehen sie mit fremdartigen Zeitlichkeiten und lassen

den Raum in sich falten. Sie antworten als Elemente der Inneneinrichtung einem

territorialisierenden Impuls, sind “architecture of architecture” (15), da sie aus

dem Inneren eines Raumes Momente abstrahieren und sie in ein bewohnbares

System einführen:

23“Architectural framing produces the very possibility of the screen, the screen functioning as a

plane for virtual projection, a hybrid of wall, window, and mirror. [...] The history of the frame is

the evolution of an increasing dematerialization, a territory-wall-painting-window-mirror-screen-

becoming.” (17)67

Within the architectural frame, in miniaturized form, the frame reenacts itself

and its territorializing function through furniture... (ebd.)

Die ornamentalen Figuren und die Möbel, die in dem Woolworths Geschäft

gelagert wurden, entspringen also dem Rahmen und seiner isolierenden,

beziehenden, koordinierenden Funktionen. Zum anderen sind sie als solche aber

auch narrative Momente. Aus ihren Unentschlüsselbarkeiten und Ambivalenzen

heraus werden Fragen und Geschichten entworren. Sie machen sie zu

Angelegenheiten.

Da es sich gerade beim Auditorium nicht um das Abbilden von einem tatsächlich

existierenden, realen Ort handelt, sondern um die Herstellung eines gemeinsam

geteilten Wissens, ist es der Raum, wo sich all diese Bewegungen kreuzen und

verschiedene Richtungen bieten, denen Zuhörer_innen nachgehen können. Seine

spekulierte Architektur fällt nicht mit der des vorgestellten Kirchenchors

zusammen. Man kann aber das Auditorium genauso wenig als eine bloße

Verlängerung in den Raum der Rezipient_innen verstehen. Als Zuschauer_innen

sind wir zwar in das Auditorium versetzt: wir sind ein Teil des adressierten

Publikums, das mithilfe von screens in eine räumliche Relation zum Geschehen

gesetzt wird. Wenn wir jedoch behaupten würden, dass die Wirkungskraft des

Films darin besteht, erst durch dieses In-Verhältnis-Setzen die Situation des

Auditoriums zu etablieren, würde das bedeuten, dass wir einen bestimmten

Schnitt oder Rahmen (z.B. den der Bildschirmoberfläche) und auch eine konkrete

Position (die des zuschauenden Menschen) privilegieren. Das würde die

komplexen Zusammenhänge, die im Chor und auch im Auditorium hergestellt

werden sowie die spezifische Produktivität von den rahmenden, kreisenden und

zeigenden Gesten leugnen. Adressiert werden im Auditorium nicht nur “wir” 68

sondern auch die Drei- und Vierpässe, die Hände der Popsänger_innen und die

Blicke der Überlebenden des Feuers. Nicht nur “wir” lernen etwas und nicht nur

auf “unsere” Aufmerksamkeit oder Anerkennung kommt es an, um Relevanzen

und Bedeutungen im Film zu erzeugen. Wenn wir dieser Heterogenität Rechnung

tragen, ist es nicht mehr möglich, eine scharfe Trennung zwischen

(menschlichen) Betrachter_innen und betrachteten Objekten zu vollziehen.

Unsere Positionen verschieben und vervielfältigen sich. Es steht nicht mehr fest,

was dieses “wir” ist und aus was für Wesen, Bewegungs- und Begehrensformen es

zusammengesetzt ist.

“Innen” und “Außen”, “Subjekt” und “Objekt”, sowie “Wissende/r” und

“Gewusstes” werden in den Prozessen der Rahmung konstituiert. Im Kreisen, im

Zeigen und mit dem Rhythmus werden diese Positionen bestärkt, neu

komponiert, durcheinander gebracht, in Frage gestellt, ununterscheidbar oder

auch irrelevant gemacht.

Das Auditorium wird also nicht durch einen entscheidenden Bruch (Film –

Bildschirm/Leinwand – Zuschauer_in) konstituiert. Seine Wirkungskraft hängt

vielmehr gerade von dem Spiel mit den möglichen Schichten und Positionen ab,

die sich herauskristallisieren sowie von der Artikulation verschiedener

Methoden, mit welchen die Positionen gehandhabt, erzählt, vertauscht und

exponiert werden.

Die Verfahren, die im Auditorium von besonderer Prägnanz sind, sind die der

Rahmung und des Rhythmus als Schnitt- und Montageformen. Durch ihr Einsatz

wird eine brüchige, für Wissen und Interesse offene Architektur geschaffen, die

auch als Versammlungsort oder auch als Ort, von wo aus Geschichten erzählt

werden, auftreten kann.

69

Karten und Pläne

Eine andere Operation, mit Hilfe welcher Architektur zum Thema der

Videoarbeit gemacht wird, ist die der Territorialisierung durch Karten und Pläne.

Der Einsatz dieser Materialien ist mit der Geste des Zeigens verschränkt. Der

Eindruck eines klaren Territoriums wird außerdem durch den wiederholten

Verweis auf einen bestimmten Ort – RIGHT HERE – heraufbeschworen: aus

einem räumlichen Zusammenhang wird eine Stelle als besonders relevant

hervorgehoben (Abb. 17; 19). Gleichzeitig wird in den Karten und den animierten

Ansichten aber auch eine Komplexität ausgestellt, in der verschiedene räumliche

Momente nebeneinander bestehen können. Selbst wenn sie nicht direkt

thematisiert werden, sind sie dennoch Teil des räumlichen Schemas und bieten

die Bedingungen, aus denen heraus der besondere Ort isoliert werden kann (der

Ort, an dem die Möbel gelagert wurden oder auch dort, wo das Feuer

ausgebrochen ist).

So wie im Auditorium die Fotographie das Medium ist, das am häufigsten

mobilisiert wird, um einen verschnittenen, versammelnden Raum zu erzeugen,

so werden im dritten Teil der Videoarbeit oft Pläne und Karten eingesetzt, um die

Aufmerksamkeit auf die Ermittlung des Ortes des traumatischen Geschehens zu

lenken. Der Ort des Brandes wird zur Topik, zur Angelegenheit des Chors. An

seiner genauen Lokalisierung ist das Gefühl von Bedeutsamkeit und Dringlichkeit

gekoppelt. Dabei wird der Ort ständig präzisiert: von Woolworths zu der

Möbelabteilung zu der Art und Weise, wie die Möbel aufeinander gestapelt

waren.

Sowohl die Karten und die von Price erstellten Animationen (Abb. 22), als auch

der Lehrfilm, der sich darum bemüht, die Bedingungen für das Feuer

nachzubilden, versuchen, sich den Ort in Woolworths zu erschließen. Während

70

es bei der nachträglichen Rekonstruktion des Brandes (Abb. 18) und deren

Aufnahme für Lehrzwecke gerade auf die Spezifität der damaligen Situation

ankommt, sind die dabei verwendeten Raumpläne bar, fast ohne jegliche Details.

In allen Herangehensweisen (in den Animationen, den Plänen, den Lehrfilmen)

wird auf der einen Seite auf Präzision bestanden, auf der anderen bedingt die

getroffene Selektion von bestimmten relevanten Elementen die Notwendigkeit,

sich für konkrete Stilmittel in ihrer Erkundung zu entscheiden. Es handelt sich

also um Annäherungsversuche, die zwar Aspekte des Raumes artikulieren, sie

jedoch nie eins zu eins abbilden werden. Bei der Territorialisierung wird

abstrahiert und objektiviert – es handelt sich bei ihr somit um

Erfassensereignisse. Bestimmte Komponenten greifen andere auf und erfassen

sie wiederum so, dass die letzteren die affektive Tönung für eine neue

Subjektivierung bieten. Woolworths' Möbelabteilung stellt die Vergangenheit und

die emotionale Grundlage für die spätere Aufnahme einiger ihrer Elemente im

Akt der Territorialisierung dar. Sie werden als Karten, Animationen,

Raumplänen aktualisiert. Einerseits werden einige Elemente im Hinblick auf das

in der Welt wieder aufgeführt, was “vergangen und festgelegt” (Whitehead 2000:

88) ist, sie müssen damit konform gehen und auch der notwendigen Zukunft

Rechnung tragen. Andererseits gibt es in der mittleren Phase eines jeden

Erfassensereignisses die Möglichkeit der Aufnahme neuer Inhalte (Whitehead

1971: 351). In dieser leistet jedes Ding seinen “individuellen Beitrag” zur

Umformung der vorgegebenen Tatsachen (ebd.) und genau diese Stelle kann man

vielleicht als eine schöpferische Öffnung zum Neuen oder zum Kosmos (mit

Deleuze und Guattari) bezeichnen. Sie steht nicht im Gegensatz zur oder abseits

der Notwendigkeit der Konformation mit der Vergangenheit und der Antizipation

der Zukunft. Ihre Existenz erklärt aber womöglich wieso, wenn Woolworths

71

gefilmt, kartographiert und animiert wird, dabei nie genau das gleiche Bild

entsteht.

...das Territorium beschränkt sich nicht nur aufs Isolieren und Verbinden, es

bietet eine Öffnung hin zu kosmischen Kräften, die aus dem Inneren aufsteigen

oder von außen eindringen, und macht den Bewohner für deren Wirkung

empfänglich. (Deleuze/Guattari 2000: 221)

Chor

Eine Art und Weise, in der die Öffnung beansprucht wird und in die Struktur der

Videoarbeit einfließt, ist ihr Einbeziehen in den Chor24. Die “auffällige” Bewegung

der Hand, die sowohl in einer liegenden Statue in der Kirche zu erkennen ist, als

auch von den Musikinterpret_innen und den Zeugen des Kaufhaus-Brandes

aufgeführt wird, wird vom Film selbst aufgenommen und zum

Organisationsprinzip gemacht.

Die Arbeit besteht zwar aus drei relativ selbstständigen Teilen, die gar disparat

wirken können, doch sind diese durch verschiedene Elemente miteinander

verwoben: durch den Rhythmus, durch die fortwährende Beschäftigung mit dem

Verhältnis zwischen Raum und Geste und auch dadurch, dass Bilder, die dem

mittleren Abschnitt entstammen, sich in die beiden anderen einschleichen. Sie

markieren die besonders wichtige Stellen und schaffen mit ihrem Erscheinen den

Eindruck von Bedeutsamkeit und Gemeinschaft.25 Bedeutsamkeit, weil gerade die

24Für eine Beschreibung des Chors siehe das Kapitel zu “Kreisen” (S. 33ff)

25Ein solcher Moment im Auditorium ist beispielsweise zwischen 03:42 und 03:58, wenn der

klatschende Pop-Chor über die verschiedenen Bedeutungen des Wortes “choir/quire” berichtet. In

dem letzten Teil der Arbeit werden unter anderem im Abschnitt von 10:03 bis 10:15 die Gesten

der Überlebenden aus dem Feuer mit den Handbewegungen des tanzenden und singenden Chors 72

fremdartigen Bilder und Töne diejenigen sind, die provozieren und

Aufmerksamkeit für sich und ihre Umgebung beanspruchen. Gemeinschaft, da

das Gefühl entsteht, dass der gegenwärtige Moment von mehreren Wesen, Orten

und Zeiten getragen wird, die sich aus einer Angelegenheit heraus versammelt

haben.

Im ersten Teil würde das Auditorium als Ort inszeniert, wo das Ereignis

stattzufinden hat.; der zweite Teil würde den Chor versammeln, um über das

Geschehen zu erzählen, während der dritte schließlich die Erzählung selbst

liefern würde.26 Diese formale Aufteilung ist tatsächlich spürbar, doch meiner

Meinung nach lassen sich ihre Komponente nicht sehr strikt voneinander

trennen. Eine formale Aufteilung der Videoarbeit ist zwar spürbar, doch, meiner

Meinung nach, jedoch vor allem durch die Präsenz des Chors nicht aufrecht zu

erhalten. Denn er versammelt quer durch alle drei Abschnitte und wird dadurch

im selben Zug auch selbst versammelt. Der Chor streckt sich in diese anderen

Zeiten aus und vervielfältigt sich somit. Die Gesten von verschiedenen Zeugen,

Ornamenten und Sänger_innen werden miteinander verflochten, sodass sich der

Chor als Assemblage von miteinander im Einklang singenden und tanzenden

Teilnehmer_innen herausbilden kann.

Deswegen scheint sich die spezifische Organisationsform des Chors auf den

ganzen Film auszubreiten. Ihre Bewegung ist die des Verknüpfens und des

Kreisens. Dabei entsteht die Öffnung hin zu den “kosmischen Kräften” nicht aus

der Leere des Kreises heraus, sondern ist das Resultat von komplexen

Produktions- und Territorialisierungsprozessen, die sich unterschiedlicher

Methoden aneignen, um Architekturen zu entwerfen. Der Raum wird strukturiert

und organisiert, aber auch gesprengt und auseinandergenommen. Es entstehen

zusammengeschnitten.26Vgl. MOT International (siehe Quellenverzeichnis).

73

Verflechtungen, Überlagerungen; Fluchtlinien bahnen sich eine Richtung hin zu

anderen Zeiträumen und Existenzformen. Das, was sie zusammenhält, ist der

Chor als Versammlung, in der es um das Austragen, Übersetzen und Erzählen

von Wissen geht.

Wissen, Erzählen

Als Stadtstreicherin Geschichten erzählen heißt [...], unerwartete Partner und

irreduzible Einzelheiten in eine ausgefranste und löchige Einkaufstasche zu

packen. Dies Zusammentreffen bringt stockende Konversationen in Gang,

verwandelt dadurch alle Partner und Einzelheiten und schafft sie neu. Die

Geschichten haben keinen Anfang und kein Ende, sondern werden fortgesetzt,

unterbrochen, reformuliert [...] (Haraway 1995b: 84)

Die Tätigkeit der Wissensakkumulation als Geschichtenerzählen aufzufassen

bedeutet die Produktionsweisen und Möglichkeitsbedingungen von Wissen nicht

zu leugnen. Es heißt, den Fragen nach den Mitteln nicht zu entgehen, sondern

sich mit ihrer Materialität und Wirkungskraft zu beschäftigen und sie selbst in

die Geschichten einzubeziehen. Es ist von Bedeutung, welche Bilder, Rhythmen,

Bewegungsarten, Schnitten und Sprachfiguren sich an der Narration beteiligen,

sie erschaffen gemeinsam einen Ort der Erzählung und des Wissens. Als

Partner_innen in einer Konversation sind sie immer dabei, sich im Gespräch zu

verändern, aber auch das Gespräch selbst, seine Topik und seinen Ort zu

verwandeln.

Bei der Produktion von Wissen handelt es sich um einen Prozess, an deren

Entfaltung mehrere Akteur_innen beteiligt sind. Das bedeutet nicht, dass es sich

in diesem um ein symmetrisches Verhältnis handelt oder dass alle Partner_innen 74

in gleicher Weise sichtbar und präsent sind. Einige Stimmen verschaffen sich

mehr Gehör – einigen Gewichten wird mehr Platz eingeräumt.

Wenn wir Wissen als in einen produktiven Prozess eingebunden verstehen, dann

ist dieses Wissen kein Gegebes. Es ist nicht irgendwo versteckt und es wartet

auch nicht darauf, ans Licht geholt zu werden. Es wird erst in seiner Entfaltung

intelligibel und mitteilbar. Dabei ist es immer ein kollektives, materielles und

narrativisiertes Wissen – was nicht bedeutet, dass den produzierten Tatsachen

konsequent Rechnung getragen wird. Es kann durchaus sein, dass seine

relationalen Grundlagen geleugnet werden oder dass in seiner Artikulation ein

Anspruch auf “Objektivität” erhoben wird, der “objektiv” mit “losgebunden”,

“distanziert” und “entkoppelt” verwechselt.

Demgegenüber versteht sich ein Wissen, das erst in der Erzählung und mit der

Verknüpfung Bedeutung erlangt, als eines, in dem Objektivität gerade einer

relationalen Grundlage entspringt. Mit Whitehead könnten wir diesen Prozess so

beschreiben: um einen “objektiven” Status erlangt zu haben, muss das Ding sich

auf eine komplexe Verkettung von Erfassensereignissen eingelassen haben, in

denen eine Vielzahl fremdartiger, relevanter Existenzen in die Erfahrung eines

jeden aktualen Dinges eingegangen sind, um eine Synthese herbeizuführen –

zwischen abgeschlossenen, gegebenen Vorgängen, die ihre affektive Tönung dem

kommenden Ereignis abgeben, zwischen der Forderung nach einer Zukunft und

zwischen den eingeflossenen neuen Inhalte im gegenwärtigen Moment. (vgl.

Whitehead 1971: 351)

So verstanden ist objektives Wissen ein Konglomerat stabilisierter Ereignisse, die

vor dem Hintergrund von Interesse und Relevanz auf eine bestimmte Art und

Weise Form an- und Stellung genommen haben.

Gleichzeitig ist dieses Wissen auch spekuliert und fiktiv. So wie Haraways

Geschichten keinen Anfang und auch kein Ende haben, so wird es ständig

75

“fortgesetzt, unterbrochen, reformuliert”. In diesen Fortsetzungen handelt es sich

um risikobehaftete Einmischungen und um das Einbeziehen von

nichteingeladenen Anderen. Das Wissen ist heterogen, es versammelt. Immer ist

es auf Andere angewiesen; deswegen ist die Rede von Entfaltung: es wendet sich

an andere Blicke, Interessen und Arten, um ihre Sympathie und Komplizenschaft

zu gewinnen. Die Erzählung verlockt und verführt, sie muss genossen und

lustvoll verfolgt werden.

Wissen, als materiell-produktiver Prozess aufgefasst, ist ein möglicher Terminus

des spekulativen Ding-Denkens. Jede Kenntnis ist spekulativ; jede Erzählung

produziert Modi des Wissens.

In The Woolworths Choir of 1979 wird das Zusammenspiel von Wissen und

Erzählung aufgeführt. Der Chor ist Erzählender und Erzählter, er narrativisiert

den Raum, der er zum Teil selbst ist, und setzt an problematischen Stellen an, um

sie als Ausgangspunkt für seine Geschichten zu nehmen. Das Behaupten eines

Wissens – WE KNOW – ist der Refrain, der den Chor zusammenhält, ihn zu

einem Topos macht und ihn in seiner Vielstimmigkeit ausstellt.

Die Momente im Film, die ein kollektiv-spekuliertes Wissen produzieren, sind

mehrdeutig und unentwirrbar, doch gerade als solche können sie provozieren

und Interesse erwecken. So zum Beispiel die Miserikordien, die, laut der

Erzählung profane, absurde und gewaltsame Bilder darstellen. Sie sind Teil einer

ungleichartigen, subversiven Versammlung, ihre fantastischen und seltsamen

Gestalten regen fantastische Assoziationen an. Sie wären nicht in einem

Kirchenchor einzuordnen oder zu erwarten. Doch mit ihrer Präsenz und dadurch,

dass sie vom Film ins Zentrum gerückt werden, verfransen sie die Architektur: sie

sind wie die löchrige Einkaufstasche von Haraway, aus der gelegentlich

76

unvermutete Artefakte fallen. Die Miserikordien stoßen verschiedenartige

Erzählungen an, da sie nicht einer homogenen Raumkonzeption entsprechen.

Die S-Kurve (ogee) windet sich wie wallende Flammen (vgl. Price 2012: 02:20).

Dieser Vergleich schafft eine Assoziation, die in die Zukunft reicht und sich an

einer noch kommenden Erzählung orientiert. Das Aufrollen von den

Worten ...which curls like flowing flames ist so flüchtig und wird für so kurze

Zeit auf der Unterlage von mindestens drei verschiedenen Bildern (darunter auch

eins, auf dem quatrefoil zu lesen ist) eingeblendet, dass sie fast unterhalb der

Wahrnehmungsschwelle der (menschlichen) Zuschauer_innen bleibt. So

vergänglich die Assoziation von ogee zu den Flamen der Aufnahmen

Woolworthsbrandes auch ist, ist sie nicht bedeutungslos. Als kleinstes Detail ist

sie auch Teil des Geschehens und verknüpft sich mit anderen Ereignissen quer

durch und mithilfe des Films. In diesem Moment, wie in vielen anderen der

Videoarbeit, wird die Ununterscheidbarkeit zwischen Erzählung und Vermittlung

von Wissen ausgestellt. Der zerbröckelte “Satz”, der sich an die geschnitzten

Figuren wendet, hat eine narrative Tönung – erzählend führt er Informationen

über die unterschiedlichen Figuren aus, er eignet sich den Raum als einen

gewussten Raum an, doch trennt er dabei nicht zwischen vermeintlich neutralen

Inhalten und spekulativen Interpretationen oder Assoziationen. Er bringt sie

zusammen, um die Architektur ambivalenter und vielschichtiger erscheinen zu

lassen: they are decorated with foliate carvings... with tracery based on the

trefoil... on the quatrefoil... and on the ogee... an 's' shaped curve... which curls

like flowing flames (ebd. 01:57-02:21; Herv. N.G.)

Wenn sich der Chor um die “auffällige” Geste einer liegenden Statue versammelt

(Abb. 9), tut er das auch aus einer problematischen Situation heraus. Es ist

unmöglich, die verdrehte, ausdrucksvolle Geste auf eine feste Bedeutung zu

reduzieren: man muss ihr eher folgen:

77

the greatest expression... is precisely confined... to a conspicuous twist... of the

right wrist... [...] yet it is difficult to discern... what the gesture means... the

point of this inflection... lies in the curvature...and we shall trace it in the

ornamental foliations... (06:48-07:33; vgl. Anhang)

Aus dem Folgen entstehen neue Assoziationen und Bewegungsassemblagen, neue

Geschichten und Wissensformen. “Assoziation” im Sinne von Verknüpfung,

Gemeinschaft und Affinität wird zum kleinstmöglichen narrativen Element. Sie

wirkt auf unterschiedlichen Registern – sowohl intuitiv, als auch höchst präzise,

ist sie launenhaft, unberechenbar und spitzfindig. In ihrer Suche nach dem

entscheidenden Wendepunkt27 schafft sie ihn zugleich, indem sie mehrere

bedeutungsvolle Kurven zusammenbringt. Die Assoziation ist ein Moment des

Erfassens, in dem überraschende, unvorhersehbare Ereignisketten freigesetzt

werden. Als solche nimmt sie auch an der Tätigkeit der spekulativen Fabulation

teil, wie sie von Donna Haraway entworfen wird.

27 Point of inflection wird auf Deutsch als Wendepunkt übersetzt. In der Mathematik ist damit

folgendes gemeint: “...ein Punkt in einer Kurve, wo sich die Richtung der Kurve ändert. Das heißt

wenn die Kurve vorher nach rechts gekrümmt war, krümmt sich die Kurve hinterher nach links.”

[Online-Ressorce: Wendepunkt – Wendestelle und Wendepunkte (siehe Quellenverzeichnis)]Der

Wendepunkt in einer Erzählung ist jener Moment, in dem ein entscheidendes Geschehen passiert,

das die Geschichte nicht unverändert lassen kann und in Folge dessen sie eine andere Richtung

aufschlagen muss.

Es wird also die mögliche Assoziation von Geometrie und Literaturtheorie realisiert. Diese

Verknüpfung heftet sich wiederum an konkreten Elementen der Dekoration der Kirche an

(“ornamental foliations”) und versammelt dadurch die ansonsten eher weit voneinander

entfernten Wissensbereichen. Die assoziierende Bewegung macht Erzählung und Mathematik

zum steinernen Drei- und Vierpässe. Ssie lässt sie sich anders materialisieren und legt zugleich

diesen Verkörperungsprozess offen.78

In ihrem (d)OCUMENTA-Aufsatz (2012) schlägt Haraway eine “fiktive multiple

Integralgleichung” (12) vor, mit der sie die Konstruktion eines

mehrdimensionalen Zeitraumes umschreibt: Terrapolis ist diese

Integralgleichung. Sie ist ein Ort des Werdens-Mit, aber auch ein “Multispezies-

Geschichtenerzählen, Multispezies-Worlding in sf-Modi”. Und noch: fiktiv,

abstrakt und konkret. (13)

Die Integralgleichung ist die Methode und das Modell, mit welchen Haraway

spekuliert.

Eine Integralgleichung ist ein Modell: Dieses Modell ist hier ein sf-Satz über

unvorstellbare, blasenbildende, hyperreale, aufgeblasene Platzierungen und

Formierungen. Das sind jene Art n-dimensionaler Taten, die dafür sorgen, dass

fleischige sterbliche Welten Schleife um Schleife durch n Anheftungsstellen

zusammengehalten werden. Geh spielen: Geh figurieren. (14)

Die spekulative Fabulation wird somit an der Produktion von solchen fiktiven,

mehrdimensionalen, mehrdeutigen, heterogenen und nicht unschuldigen Orten

und Zeiten gebunden. In The Woolworths Choir of 1979 geht der Chor gerade aus

einem solchen risikobehafteten Spiel hervor, in welchem Dimensionen und

Zeiten, Wissensformen und fiktionale Realitätsentwürfe im sf-Modus

miteinander vertauscht und in Beziehung gesetzt werden. Durch die Tätigkeit der

Assoziation werden “aufgeblasene Platzierungen und Formierungen” erstellt: der

Zeitraum bläht auf, um sich in andere Dimensionen einzupressen. Die S-Kurve

ist wie Flamme – sie windet sich wie die auffälligen Gesten der Popsänger_innen,

wie die Hände der Zeugen, wie der Rauch, der aus den Fenstern des Woolworths-

Geschäftes strömt, wie die Spiralen, gezeichnet auf dem Blatt Papier. Sie ist

verdreht wie das Handgelenk der liegenden Statue. Das wie bildet keine

feststehenden Ähnlichkeiten ab, sondern schafft erst die Bezüge zwischen den

79

Zeiten, Figuren, Bewegungsformen. Das wie assoziiert, es spekuliert und erfreut

sich an hybriden Bündnissen und künstlich erzeugten Verwandtschaften.28 Jedes

der BildTon-Komplexe ist von Fremdheiten und Unstimmigkeiten durchzogen,

aber ebenso von Begehren nach anderen “irreduzible[n] Einzelheiten” (Haraway

1995b: 84), die in ihrer Bruchstückhaftigkeit zueinander finden.

In The Woolworths Choir of 1979 wird mit solcher Beharrlichkeit auf Präzision

auf Wissen bestanden, dass es umso erstaunlicher wirkt, dass dieses nicht gesetzt

oder fetischisiert wird, sondern ständig spielerisch neu konfiguriert, spekuliert

wird. Durchgängig wird der affektiven Grundlage von Erkenntnis Rechnung

getragen: “das Einströmen des Anderen” in den gegenwärtigen Augenblick

(Whitehead 1971: 334), wird nicht nur zugelassen, sondern zum integralen

Bestandteil der Organisation und Entfaltung der Videoarbeit gemacht. The

Woolworths Choir of 1979 funktioniert, in dem es immer wieder, mithilfe

unterschiedlichster Methoden, Modelle und Gesten neue Verkettungen von

Assoziationen schafft. Diese Ketten stoßen Geschichten an, die nicht auf eine

Dimension, auch nicht auf die des Films, zu begrenzen sind. Das Wissen um die

Architektur der mittelalterlichen Kirche oder um den Brand in Woolworths wird

durch den spekulativen Umgang mit ihm nicht nichtig, sondern seine

relationalen Möglichkeitsbedingungen und Angewiesenheit auf jenseitige Andere

werden im sf-Modus aufgezeigt.

Auch ich musste mich, verkettet und erfasst, an der Spekulation möglicher

Beziehungen zu Price' Video versuchen. In der noch pulsierenden Dimension, in

der ich mich gerade befinde, gibt es keine Position, von der aus ich auf den Chor

und das Geschehen in Woolworths zurückblicken könnte. Die kreisenden,

28Verwandtschaft ist nicht nur nicht heterosexuell, sondern auch nicht auf eine Spezies oder ein

Material zu begrenzen. 80

territorialisierenden, auf andere Materialien, Gesprächspartner_innen und Orte

verweisenden Bewegungen lassen mich immer noch mitschwingen, sodass ein

abschließendes Ankommen unvorstellbar bleibt. Der Chor ist womöglich um eine

oder mehrere Konversationen mehrstimmiger geworden. Neue Assoziationen

haben vielleicht zum Verweilen oder Weiterreisen eingeladen. Ding-gedacht

denke ich schreibend daran, dass die erste Erfahrung/Frage/Proposition die

letzte kennt: denkbar wäre also, vielleicht, noch eine Erzählung, ein Dreh, ein

click.

81

Anhang

Chorus (06:32 – 08:52)

whole human figures [*][*]

which lie recumbent

WE KNOW

which lie recumbent

[*][*][*][*] WE KNOW

but with an animated attitude

WE KNOW

[.] the greatest expression confined [*] [Musik setzt an: The Shangri-Las: Out in

the Streets ]

to a conspicuous twist (Abb.9)

WE KNOW [*]

to a twist

WE KNOW [*]

of the right twist

WE KNOW [*] x2

the greatest expression (Abb. 10)

WE KNOW [*]

is precisely confined

WE KNOW [*]

to a conspicuous twist

WE KNOW [*]

of the right wrist

WE KNOW [*]

82

a twist of the right wrist [.]

WE KNOW [*]

yet it is difficult to discern x2

WE KNOW [*]

what the gesture means

WE KNOW [*] x2

the point of this inflection

WE KNOW [*]

lies in the curvature

WE KNOW [*]

and we shall trace it

in the ornamental foliations

HERE THEY ARE [*]

[*][*]

HERE THEY ARE

of the trefoil

and follow it in the arcs

WE KNOW

of the flowing ogee flames

WE KNOW

and all the four folds

of the quatrefoil

WE KNOW x2

it is expressive

WE KNOW x2

it is expressive above all

of this assembly

83

WE KNOW

of this assembly

WE KNOW

WE ARE TREFOIL (Abb. 11)

WE ARE QUATREFOIL x2

WE KNOW

WE ARE CINQUEFOIL

WE ARE FIVEFOLD

CINQUEFOLD

WE KNOW

WE ARE CHOIR

WE ARE QUIRE (Abb. 12)

WE ARE CHORUS

WE KNOW

and we will show you

WE KNOW x4

and we will show you x4

how it went up x2

it went up

84

Heidegger: Das Ding

Das Fassen des Kruges macht sein “Wesen” aus und

das Fassen ist auf einer Leere angewiesen. (41)

Das Fassen der Leere bedeutet Ausgießen und

Ausgießen ist Schenken. (44)

Das Geschenk des Kruges verweilt. (46)

Es verweilt Erde und Himmel,

die Göttlichen und die Sterblichen.

Verweilen ereignet. (ebd.)

Das Geschenk versammelt.

Das Ding, the thing, ist eine Versammlung. (ebd.)

“Der Krug west als Ding. […]

Das Ding dingt.

Das Dingen versammelt.

Es sammelt, das Geviert ereignend...” (ebd.)

In einer Versammlung werden Angelegenheiten verhandelt,

etwas geht uns an. (48)

Verweilen bringt nahe.

Das Wesen des Dinges ist in diesem Näher-Bringen zu suchen. (50)

Erde und Himmel,

die Göttlichen und die Sterblichen 85

spiegeln sich gegenseitig wieder. (52)

Doch wird in diesem Spiel nichts abgebildet:

“Das Spiegeln ereignet.” (ebd.)

Das Spiegel-Spiel ist die Welt.

Und “Welt west, indem sie weltet.” (ebd.)

Im Spiel mit dem Gevier werden Ereignisse gereigt.

Das Reigen fügt die Vier “schmiegsam” mit der weltenden Welt.

Geschmeidig, fügsam, schmiegsam sind auch Worte für “ring”.

Aus dem Spiel mit den Ringen “ereignet sich das Dingen des Dinges.” (53)

Wenn wir das Ding Welt welten lassen,

denken wir an das Ding als Ding.

Andenkend, lassen wir uns vom Ding angehen.

Denkend, sind wir vom Ding gerufen. (ebd.)

“Dingen ist Nähern von Welt.” (54)

86

AUDITORIUM

(Abb. 1; 0:14) (Abb. 2; 01:52)

(Abb. 3; 02:37) (Abb. 4; 01:35)

MISERICORDS

(Abb. 5; 5:14) (Abb. 6; 5:21)

(Abb. 7; 5:44) (Abb. 8; 3:44)

(Abb.9; 06:54) (Abb. 10; 07:02)

(Abb. 11; 08:02) (Abb. 12; 08:20)

FEUER

(Abb. 13; 10:37) (Abb. 14; 10:51)RIGHT HERE

(Abb. 15; 10:02) (Abb. 16; 10:42)

(Abb. 17; 14:42) (Abb. 18; 14:45)

(Abb. 19; 15:00) (Abb. 20; 14:14)

Inhaltsverzeichnis

Ding-Denken : 1

Ursachen : 3

Spekulation : 8

The Woolworths Choir of 1979 : 13

Zeigen : 23

Kreisen : 33

Archiv, Vergangenheit, Zukunft : 41

Architektur : 61

Wissen, Erzählen : 74

Anhang: Chorus : 82

Anhang: Das Ding : 85

Anhang: Bilder : 87

Quellenverzeichnis : 93

Selbstständigkeitserklärung : 97

92

Quellenverzeichnis

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Gerechtigkeit. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag 2012.

Benjamin, Walter: Die Aufgabe des Übersetzers (1921/23), In: Aura und

Reflexion. Schriften zur Kunsttheorie und Ästhetik, Suhrkamp Verlag Frankfurt

am Main 2007, S. 111-123.

Butler, Judith: On This Occasion... In: Butler on Whitehead: On the Occasion,

Lexington Books 2012, S. 3-17.

Deleuze, Gilles/Guattari, Félix: Was ist Philosophie? Suhrkamp Verlag Frankfurt

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Gansing, Kristoffer / Go, Teresa / Weier, Sabine / Zupple, Lina (Ed./Transl.):

transmediale 2013 BWPWAP, medialis Berlin, Germany 2013.

Grosz, Elizabeth: Architecture from the Outside: Essays on Virtual and Real

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Grosz, Elizabeth: Chaos, Territory, Art. Deleuze and the Framing of the Earth.

Columbia University Press 2008.

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Campus Verlag 1995a, Frankfurt am Main/New York.

93

Haraway, Donna: Monströse Versprechen. Die Gender- und Technologie-Essays.

Argument Verlag Hamburg 1995b.

Haraway, Donna: SF: Speculative Fabulation and String Figures/ SF:

Spekulative Fabulation und String-Figuren, Ostfildern: Hatje Cantz Verlag 2012.

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James, William: Pragmatismus und radikaler Empirismus, Suhrkamp Verlag

Frankfurt am Main 2006.

Latour, Bruno: Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit

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Latour, Bruno: Elend der Kritik. Vom Krieg um Fakten zu Dingen von Belang,

diaphanes, Zürich-Berlin 2007.

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Whitehead, Alfred North: Die Funktion der Vernunft, Philipp Reclam jun.

Stuttgart 1974.

94

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http://whiteheadresearch.org/occasions/conferences/butler-whitehead/ [Stand:

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International: http://www.motinternational.org/ep-projects-woolworths-

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Der Radikale Empirismus des Netzwerks. In: Erin Manning: Sieben

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http://eipcp.net/transversal/0811/manning/de [Stand: 12.08.2013]

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95

Wendepunkt. In: Wendepunkt – Wendepunkte und Wendestelle:

http://www.mathematik-wissen.de/wendepunkt.htm [Stand: 12.08.2013]

96

Selbstständigkeitserklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Masterarbeit selbständig und ohne

Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt und alle Stellen,

die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten Schriften entnommen sind, als

solche kenntlich gemacht habe.

Düsseldorf, ............................

den 12. August 2013 (Neda Genova)

97