Die spätmittelalterliche Synagoge von Bruck an der Leitha -Bauhistorische Untersuchung und...

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Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege VERLAG BERGER · HORN/WIEN LXVII · 2013 · HEFT 1/2

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Österreichische Zeitschriftfür Kunst und Denkmalpflege

VERLAG BERGER · HORN/WIEN

LXVII · 2013 · HEFT 1/2

01_04 Titelei_Inhalt.qxp 17.12.2013 14:16 Seite 1

116. Bruck an der Leitha, Synagoge, Ansicht von Südost mit dem heute abgerissenenVorbau des Kellerzugangs und den ehemaligen seitlichen Anbauten, Aufnahme 1981

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Auf Initiative des Bundesdenkmalamtes wurde derVerfasser vom Eigentümer beauftragt, eine bauhistori-sche Untersuchung in der ehemaligen Synagoge (Abb.116) durchzuführen. Der vorliegende Artikel beruht aufdem im Juli 2013 vorgelegten Untersuchungsbericht.1

LAGE

Die ehemalige Synagoge liegt inmitten eines Häu-serblockes, der die östliche Seite des Hauptplatzes be-grenzt und wahrscheinlich noch auf mittelalterlichenParzelleneinteilungen beruhen dürfte (Abb. 117).

Bis in das 14. Jahrhundert werden jüdischen Sied-lern zur Förderung der Stadt- und Wirtschaftsent-wicklung gerne bevorzugte Bereiche nahe den Markt-plätzen und Hauptverkehrsadern zugewiesen, wobeivon einer strikten „Ghettoisierung“ noch keine Redesein kann; diese erfolgt allgemein erst am Ausgangdes Mittelalters mit Verlegung in einen städtischenRandbereich.2 In Bruck kam es durch die Vertreibungder Juden 1421 nicht zu einer Ghettobildung.

Typisch für die Lage einer Synagoge in einem vonJuden und Christen gleichermaßen bewohnten Stadt-quartier ist der Standort in einem rückwärtigen, vonder Straße abgewandten Bereich eines Grundstücks,während in einem expliziten „Judenviertel“ die Syna-

gogen auch frei im öffentlichen Raum errichtet wor-den sind.3

Die Ansiedlung von Juden in der Nähe des Haupt-platzes mag auf Anordnung des Landesfürsten ge-schehen sein, da er die Juden seit etwa Mitte des 13.Jahrhunderts durch zahlreiche Judenprivilegien unterbesonderen Schutz stellte, nicht zuletzt, um auch vondamit verbundenen Steuern zu profitieren.

HISTORISCHE DATENUND FORSCHUNGSGESCHICHTE

Zu den Brucker Juden liegen nur wenige schrift-liche Nachrichten vor. So nennt eine Urkunde HerzogRudolfs IV. von 1363 ein Judengericht; 1369 wird einJudenrichter erwähnt.4 1388 veranlasst Herzog AlbrechtIII. den Richter und Rat der Stadt ein ‚Judenbuch‘ anzu-legen.5 Die 1421 aus Bruck vertriebenen Juden sie-delten sich in Preßburg an; erst im 17. Jahrhundertwerden neuerlich Juden in Bruck erwähnt.6

Neben wenigen Hinweisen zur Funktion als Syna-goge in den Ortschroniken, wurde das Unter-suchungsobjekt allgemein als die seit 1248 urkundlicherwähnte St. Niklaskapelle betrachtet.7 Diese Zuwei-sung wurde bis 1985 nicht in Zweifel gezogen, als derungarische Kunsthistoriker und Denkmalpfleger

1 Ralf Gröninger, Bauhistorische Untersuchung der ehemaligen Sy-nagoge Bruck/Leitha (Niederösterreich). Wien 2013 (ungedr. Be-richt im Bundesdenkmalamt Krems). Mein Dank gilt: Herrn Dr.Peter Dammerer (Eigentümer), Herrn DI Franz Beicht (BDA Krems),Frau Mag. Liebich (Architekturabteilung BDA Wien), Frau Mag. Su-sanne Wutzig und Frau Mag. Maria Brand (restauratorische Be-fundungen), Herrn Dr. Michael Grabner (Dendrochronologie,BOKU Wien), Herrn Dr. Simon Paulus (TU Braunschweig) sowieFrau Mag. Andrea Sonnleitner für die Hilfe vor Ort und die Be-reitstellung von Forschungsergebnissen, Literatur und Plänen.

2 Simon Paulus, Die Architektur der Synagoge im Mittelalter – Über-

lieferung und Bestand [Zugl. Diss. TU Braunschweig 2005], Peters-berg 2007, S. 23.

3 Ebenda, S. 542.4 Erno Deak, Bruck an der Leitha, in: Die Städte Niederösterreichs

Teil 1: A–G, Österreichisches Städtebuch Band 4, Teil 1, Wien 1988,S. 143.

5 Ebenda.6 Ebenda.7 Richard Kurt Donin, Mittelalterliche Kirchenbauten in Bruck an

der Leitha, in: Unsere Heimat [Zeitschrift für Landeskunde vonNiederösterreich], N.F. 9, 1936, S. 244.

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Die spätmittelalterliche Synagogevon Bruck an der LeithaBauhistorische Untersuchungund Rekonstruktion

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Ferenc Dávid vom „Institut für Geschichte der Judenin Österreich“ zu einer Untersuchung des Objektes be-auftragt worden ist. Er erkannte das Gebäude als ehe-malige Synagoge und konnte durch seine archivari-schen Recherchen den Standort der wahren Niklas-kapelle im Bereich der 1696 erbauten Pfarrkirche aufdem Hauptplatz wahrscheinlich machen.8

Die anfängliche Verwechslung mit der ehemaligenSynagoge hatte jedoch ihr Gutes: Auf Antrag Doninswurde die vermeintliche „Niklaskapelle“ 1938 – an-geblich nach Hinweisen aus der Bevölkerung an ihren‚Führer‘ anlässlich eines Besuches auch auf persön-lichen Einsatz von Adolf Hitler hin- unter Denkmal-schutz gestellt!9

Adalbert Klaar fertigte 1944 eine Bauaufnahme der„Niklaskapelle“ mit dem Vermerk „hochgotisch, An-fang 14. Jahrhundert“ an.

Auch noch 1979 wurde unter der Annahme einer„Niklaskapelle“ im Rahmen einer „Denkmalpflege-Übung“ eine detaillierte Bestandsaufnahme durch das„Institut für Baukunst, Kunstgeschichte und Denk-malpflege der Technischen Universität Wien“ unterProf. Wehdorn durchgeführt.10

Nach Dávids Klarstellung eines jüdischen Sakral-baues 1985 wird die Brucker Synagoge in einem öster-reichischen Übersichtswerk zum Thema von Pierre Ge-née 1992 ebenfalls angeführt, der sich auf die Ergeb-nisse von Dávid beruft.11

Andrea Sonnleitner behandelt 1998 in ihrer heraus-ragenden Magisterarbeit zu mittelalterlichen Synago-gen im ehemaligen Herzogtum Österreich auch aus-führlich die Brucker Synagoge.

Ein seit 1994 am „Center for Jewish Art“ an derHebrew University of Jerusalem laufendes Projekt fürdie Dokumentation und Rekonstruktion ehemaligerjüdischer Sakralbauten in Zentraleuropa führte zur Zu-sammenarbeit mit dem „Institut für Bau- und Stadt-baugeschichte der TU Braunschweig“, das im Jahr 2002

eine laser-tachymetrische Vermessung und Untersu-chung durchführte.12 Dabei entstand auch ein Rekon-struktionsversuch, der nach Angaben Andrea Sonn-leitners ein Satteldach (mit Giebeln) und aufgrund vonVergleichsbeispielen in Wien und Sopron eine hexa-gonale Bima aufweist.13 Schließlich fand eine finalePublikation der Ergebnisse in der Doktorarbeit vonSimon Paulus zur Architektur mittelalterlicher Syna-gogenbauten in Europa ihren Niederschlag.14

2003 folgte ein Gutachten von Restaurator AlfredWeiß (der die Untersuchungen der TU Braunschweigoffenbar noch nicht kannte); er schloss sich den Aus-führungen Andrea Sonnleitners an und konstatiert da-rüber hinaus eine Profanisierung der Synagoge zueinem Speicher um 1730 und eine letzte Ausmalung(Schablonenmalerei) nicht vor Mitte des 18. Jahrhun-derts.15

BAULICHE KRITERIEN VONMITTELALTERLICHEN SYNAGOGENBAUTEN

Die Synagoge stellte im Mittelalter einen multi-funktionalen Bau dar: Sie diente neben der Ausübungdes Gottesdienstes auch als Versammlungsort, Ge-richtssitz, administratives Zentrum und als Lehranstalt,wobei sakrale und profane Funktionen als gleichbe-rechtigt betrachtet worden sind.16

Spätantike und mittelalterliche Quellen verwendenam häufigsten den lateinischen Begriff ‚scola iudeo-rum‘, der im Mittelhochdeutschen direkt in ‚Juden-schul‘ übersetzt wird; dabei erscheint auch regelmä-ßig der aus dem Griechischen entlehnte Begriff ‚Sina-goga‘/‘Synagoga‘, oftmals nebeneinander in denselbenTextquellen mit ‚Judenschul‘ verwendet.17 Im Mittel-alter haben nur wenige große Gemeinden ein sepa-rates Lehrhaus (Jeschiwa), sodass man den in denQuellen verwendeten Begriff ‚Schul‘ in der Regel mit‚Synagoge‘ gleichsetzen kann. Seit dem 15. Jahrhun-dert ist auch die Bezeichnung ‚Judentempel‘ nach-weisbar, die vor allem ab dem 18. Jahrhundert brei-tere Verwendung findet.18

Ein einheitliches „Bauprogramm“ der Synagoge,das über Regionen und Zeiten hinweg gültig wäre,gibt es ebenso wenig wie im christlichen Sakralbau.Gleichwohl orientieren sich die mittelalterlichen Syna-gogen typologisch an den zeitgleichen Bauformenchristlicher Sakralbauten und grenzen sich nur durchwenige spezifische Eigenarten vornehmlich der Ein-richtung ab; hierzu gehören die für die rituellen Hand-lungen unverzichtbare Bima (Podest mit Lesepult, inder Regel in der Mitte des Raumes) und der Schreinzur Aufbewahrung der Torarolle an der Mitte der Ost-wand (aus Holz, jedoch oftmals auch als Wandnischemit dekorativer Rahmenarchitektur ausgebildet).

Liturgische Vorgaben zur baulichen Ausgestaltunglieferten der Talmud (Lehr- und Regelwerk zur heili-

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117. Franziszeischer Kataster von Bruck/Leitha 1819, Ausschnitt

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DIE SPÄTMITTELALTERLICHE SYNAGOGE VON BRUCK AN DER LEITHA

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der Synagoge in Bruck an der Leitha, in: David [Jüdische Kultur-zeitschrift] 16 (Nr. 63–4) 2004, S. 4.

13 Ebenda, S. 6.14 Paulus 2007 (zit. Anm. 2), S. 333–338.15 Gutachten Alfred Weiß vom 03.08.2003, (ungedr.) Bericht im Ar-

chiv des BDA Krems.16 Richard Krautheimer, Mittelalterliche Synagogen, Berlin 1927, S. 91f.17 Paulus 2007 (zit. Anm. 2), S. 21.18 Ebenda, S. 22.19 Ebenda, S. 44.20 Krautheimer (zit. Anm. 16), S. 98.21 Paulus 2007 (zit. Anm. 2), S. 44.22 Alfred Grotte, Deutsche, böhmische und polnische Synagogenty-

pen vom XI. bis Anfang des XIX. Jahrhunderts, Berlin 1915, S. 14f.23 Paulus 2007 (zit. Anm. 2), S. 50f.24 Ebenda, S. 52.25 Grotte (zit. Anm. 22), S. 15.

8 Nach Andrea Sonnleitner, Mittelalterliche Synagogen im ehema-ligen Herzogtum Österreich. (Ungedr.) Magisterarbeit am Institutfür Kunstgeschichte der Universität Wien, Wien 1998, S. 84f., derein Brief Dávids zum Thema zur Verfügung stand (ein explizi-ter Bauforschungsbericht wurde von Dávid offenbar nicht vor-gelegt).

9 Georg Markus, Zeitungsartikel‚ Wie Hitler eine Synagoge rettete –Der Nazi-Irrtum von Bruck an der Leitha im „Kurier“ vom09.10.2003.

10 Regine Brustbauer u. a., Niklaskapelle in Bruck/Leitha, Denkmal-pflege-Übungen am Institut für Baukunst, Kunstgeschichte undDenkmalpflege der TU Wien (bei Prof. Dr. Manfred Wehdorn),unveröffentlichte Maschinenschrift im BDA Wien. O.J. [ca. 1979].Dazugehörige Pläne im Planarchiv der Architekturabteilung eben-dort, Inv.-Nr. 21.939–21.946 (o.J.).

11 Pierre Genée, Synagogen in Österreich, Wien 1992, S. 28.12 Simon Paulus, Das Baujuwel im Hinterhof – Zur Rekonstruktion

ARCHÄOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN

Parallel zur bauhistorischen Untersuchung durchden Verfasser wurden von Marina Kaltenegger archäo-logische Untersuchungen an der Süd- und Nordseitesowie im Untergeschoss der Synagoge durchgeführt.Die im Aushub vorgefundene Gefäßkeramik ist vor-wiegend neuzeitlich und reicht nicht über das 15. Jahr-hundert zurück.

An der Südseite konnte parallel zur Südwand derSynagoge im Abstand von etwa 1,30–1,45 m ein Mauer-fundament ergraben werden, das ursprünglich wohlzu einem Vorraum bzw. einer Eingangshalle der Syna-goge gehörte (Abb. 118). Diese Mauer scheint sichnoch weiter nach Westen fortzusetzen, da sie am west-lichen Ende des sichtbaren Bereiches von einer jün-geren Mauer quer überbaut wird, die wiederum nurGrundlage für eine barockzeitliche Mauer (typischeMauerstruktur) war. Die im östlichen Bereich querendeMauer dürfte ebenfalls Bestandteil eines Barockge-bäudes gewesen sein. Zudem konnte noch eine Trep-

gen Schrift der Tora), die Kodices und die rabbini-schen Responsentexte. Neben Vorgaben für Bima undToraschrein erfolgt auch die Forderung, die Synagogean der höchsten Stelle der Siedlung zu errichten odersie solle zumindest die umgebenden Gebäude zu über-ragen.19 Krautheimer erwähnt für Frankfurt und Fürth,dass man sogar Stangen über dem Giebel der Syna-goge angebracht hat, um eine Höherstellung zu ge-währleisten.20

Ebenso ist oftmals ein im Vergleich zum Umge-bungsgelände vertieftes Fußbodenniveau zu beob-achten, das gerne in Bezug zu Psalm 130,1 „Aus derTiefe, oh Herr, rufe ich zu Dir“ gestellt wird – wobeijedoch keine Regel überliefert ist, die das fordernwürde.21 Schon Grotte bemerkt, dass die späteren Auf-schüttungen der Umgebung der mittelalterlichen Syna-gogen aus Hochwasserschutzgründen vielfach zu Über-schätzungen der ursprünglichen Tiefenlage geführthaben.22

Ein charakteristisches Merkmal bildet auch dieüppige Beleuchtung der Synagogen, die durch zeit-genössische Texte und zahlreiche Stiftungsbelege fürKerzen und Lampenöl bestätigt wird und auf Seitender Christen zu Vorwürfen der Verschwendungssuchtgeführt hat.23

Eine Geschlechtertrennung innerhalb der Synagogebestand anfangs nicht, sie wird weder in der Tora nochim Talmud gefordert. Erst Anfang des 13. Jahrhundertswird auch eine bauliche Trennung greifbar, die sichin der Errichtung von separaten „Frauenschulen“äußert. Gründe für die Geschlechtertrennung sindnoch nicht eindeutig geklärt; es werden soziale Hin-tergründe, wobei die Frauen aus der gemeindepoliti-schen Mitbestimmung verdrängt werden sollten oderschlicht ein Platzbedarf beim Anwachsen der Ge-meinde genannt.24

Mit der Synagoge stehen oftmals (jedoch nichtzwingend) weitere Gebäude für rituelle Zwecke in un-mittelbarem baulichem Zusammenhang: ein separatesLehrhaus, das Frauenbad (Mikwe), die Backstube fürdas Osterbrot sowie die Schächterei.25

118. Bruck an der Leitha, Synagoge, Südlicher Schnitt mit freigelegtemMauerfundament des Vorraums (a), einer wohl spätgotisch/renaissance-zeitlichen Überbauung (b) und barockzeitlichen Mauerzügen (c + d)

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penstufe vor der erhöhten Schwelle des Synagogen-portals nachgewiesen werden.

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Im nördlichen Anschluss der Synagoge erbrachtendie Grabungen ein in der Achse der Ostwand wei-terlaufendes Mauerfundament (Abb. 119), das in Ver-bindung mit dem erhaltenen Teil eines Portalgewän-des an der Nordostecke der Synagoge steht. DieseMauer trennte also einen eigenen Bereich ab, der noch-mals unterteilt war, wie eine parallel zur Nordwandder Synagoge im Abstand von etwa 1,30 m (nach Wes-ten Verbreiterung auf 1,45 m) verlaufende Mauer an-zeigt, die am sinnvollsten mit der Funktion einer „Frau-enschul“ in Verbindung gebracht werden kann. Einerechtwinklig in die Längswand „eingeschmatzte“ Wanddürfte einen Raum (unbekannter Funktion) im Nord-osten des Anbaues abgetrennt haben.

Die Untersuchung des Kellerbodens erbrachtekeine Hinweise (wie etwa eine Bima, umlaufende Sitz-bank oder das ursprüngliche Laufniveau). Hier ist da-von auszugehen, dass der Kellerboden nach Einbrin-gung des sekundären Tonnengewölbes vertieft wor-

120. Bruck an der Leitha, Synagoge, Süd- und Nordfassade, photogrammetrische Aufnahme und Umzeichnung mit Befunden

119. Bruck an der Leitha, Synagoge, Nördlicher Schnitt, Anbau mit mut-maßlicher ‚Frauenschul' und Portal (links unten)

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den ist, wobei das ursprüngliche Laufniveau zerstörtworden sein dürfte.

BAUBESCHREIBUNG (vgl. Baupahsenplan Abb. 122)

Bei der Brucker Synagoge handelt es sich um eineneinfachen Saaltypus mit leicht verschobenem recht-eckigen Grundriss. Die West-Ost-Orientierung derHauptachse weicht ein wenig nach Südost ab.

Die äußeren Langseiten weisen Maße von 9,80 m(Süd) und 9,70 m (Nord) auf, die Stirnseiten messeneine Länge von 7,48 m (Ost) und 7,44 m (West). Darausresultiert eine bebaute Grundfläche von rund 73 m².

Im Lichten besitzen die Langseiten des Unterge-schosses eine Länge von 8,01 m (Süd) und 8,05 m(Nord), die Schmalseiten 5,83 m (Ost) und 5,66 m(West), woraus sich Wanddicken von 0,83 – 0,90 m er-geben.

FASSADENAn der Südwand beträgt die Höhe zwischen der

Unterkante der Portalschwelle und dem heutigen Dach-gesims rund 8,20 m. Die ursprüngliche Höhe desInnenraumes bis zum Gewölbescheitel dürfte etwa7,20 m betragen haben.

An der Südfassade fällt zunächst das freigelegtePortal im westlichen Bereich ins Auge (Abb. 120). DieWerksteine der Verdachung und der Fialen besaßenursprünglich eine erhabene plastische Ausgestaltung,die später abgeschlagen worden ist. Die Werksteinesind heute zum Teil durch jüngeren Putz überzogen.Dieser Putzüberzug und die Begradigung der Werk-steinoberflächen dürften im Barock bei Anbau der Ne-bengebäude erfolgt sein, zu dem auch noch eine er-haltene Putzkante des Dachansatzes zu rechnen ist.Im östlichen Bereich der Südfassade befindet sich ein(mittlerweile an der Außenseite vollständig freigeleg-

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121. Bruck an der Leitha, Synagoge, West- und Ostfassade, photogrammetrische Aufnahme und Umzeichnung mit Befunden

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tes) queroblonges Schlitzfenster mit aus Keilsteinenüberfangener Laibung und inliegendem Gewände. Un-mittelbar östlich des Fensters ist eine sekundäre Be-lüftungsöffnung zu erkennen, die wieder teilweise mitZiegeln vermauert worden ist. Über diesen beidenletztgenannten Befunden liegt eine ehemalige Tür-öffnung, die nach Ausweis der Mauerwerksstrukturwohl im 16./17. Jahrhundert vermauert worden ist. ImBereich des Dachbodens ist eine weitere vermauerteZugangsöffnung zu sehen. Auf zwei Ebenen sind Ge-rüst- bzw. Balkenlöcher nachweisbar, wovon einige ver-mauert sind. Im Bereich des Obergeschosses befin-den sich zwei vermauerte sekundäre Belüftungs-öffnungen. Die Mauerkronen wurden ringsum in jün-gerer Zeit mit einigen Ziegellagen abgeglichen und er-hielten zuletzt noch einen Betonkranz als oberen Ab-schluss. Das Mauerwerk besteht aus lagerhaft ange-ordneten Bruchsteinen unterschiedlicher Formate mitAuszwickelungen. Einige Stellen wurden mit Ziegelnausgebessert.

Die Nordfassade zeigt gleichartiges Bruchstein-mauerwerk mit Ausbesserungen durch Ziegel (Abb.120). Eine primäre Fensterlaibung ist aus mittelalter-lichen Ziegeln gemauert, deren Öffnung ebenfalls bisauf eine Belüftungsöffnung (Lanzettfenster mittler-weile freigelegt) vermauert worden ist . Eine weitere,

mit Ziegeln vermauerte Belüftungsöffnung findet sichauf gleicher Höhe weiter östlich. Auf insgesamt dreiEbenen konnten Gerüst- bzw. Balkenlöcher beobach-tet werden, wobei ein Balken in situ noch erhaltenwar und geborgen werden konnte.

Es stellte sich bei der dendrochronologischen Un-tersuchung jedoch heraus, dass dieser Balken erst imSpätbarock eingebracht worden war, wohl im Zu-sammenhang mit dem nördlichen Nebengebäude. Zudiesem Nebengebäude gehört auch der sichtbare An-satz eines Pultdaches. Zu den Gerüst- bzw. Balken-löchern ist zu bemerken, dass sie, was die untereReihe anbelangt, zugleich als Gerüstbalken für dieErrichtung der „Männerschul“ und nach deren Fertig-stellung als Konsolen für einen Schwellbalken ge-dient haben könnten, der als Auflager für das Dachder „Frauenschul“ fungierte. Dies trifft auch auf dieuntere Balkenlochreihe an der Westfassade zu, dienoch genügend Spiel zur Unterkante der Fenster offenlässt. Im unteren Teil liegen zwei Fensteröffnungenmit von Keilsteinbögen überfangenen Laibungen. Nuram westlichen Fenster hat sich das ursprüngliche,innen liegende Gewände mit queroblonger Öffnungerhalten. Die mittig gelegene Öffnung zum Dachbo-den ist nach heutigem Befund sekundär eingebrachtworden.

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122. Bruck an der Leitha, Synagoge, Bauphasenpläne von Unter- und Obergeschoss

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Die Ostfassade liegt in weiten Bereichen untereiner dicken Putzschicht (Abb. 121). Das Bruch-steinmauerwerk zeigt hier einen höheren Ziegelan-teil, was zum einen auf Umbauten und Ausbesse-rungen beruht und zum anderen auf den primär fürdie Fensterlaibungen verwendeten mittelalterlichenZiegeln. Im unteren Bereich der Ostfassade liegt dersekundär geschaffene Zugang zum Kellergeschoss,der im Barock einen Vorbau mit Dach erhielt. Die-ser Vorbau ist heute zum größten Teil wieder abge-brochen, auch die Wandöffnung wurde jüngst neueingefasst und überfangen. Mit diesem Anbau wurdeim Barock auch eine neue Stiege in das Obergeschossgeschaffen. Als Zugang wurde ein älterer aber eben-falls bereits sekundär eingebrachter Durchgang adap-tiert. Der teilweise freiliegende Entlastungsbogen ge-hört zu diesem ersten Sekundär-Zugang (zeitgleichmit Einbau des Gewölbes). Der jüngere, barockzeit-liche Zugang wurde in jüngster Zeit aus statischenGründen teilweise vermauert. Auf diese statischenProbleme deuten einige die Fassade durchlaufendeRisse. Die beiden ursprünglichen Spitzbogenfensterder Synagoge sind bei der Umnutzung im unterenBereich vermauert worden.

Die Westfassade (Abb. 121) wurde sekundär an-geschüttet, sodass die ursprünglichen Fenster- bzw.Hörschlitze nicht mehr offen liegen (sie wurden vorder Anschüttung auch vermauert), nur die Keilstein-bögen der Laibungen sind noch zu erkennen. Die bei-den ursprünglichen Spitzbogenfenster wurden bei Um-nutzung der Synagoge im unteren Bereich vermauert.Ihre Laibungen (ursprüngliche Höhe 2,56 m) sind ausZiegeln gemauert und greifen in unregelmäßiger Aus-dehnung in das Bruchsteinmauerwerk ein. Ein Hin-weis darauf, dass das Mauerwerk der Fassaden vonAnbeginn nicht als steinsichtig sondern mit Verputzgeplant worden ist. Über drei Ebenen sind auch ander Westfassade Reihen von Gerüst- bzw. Balken-löchern nachweisbar, wobei die untere Reihe in Zu-

sammenhang mit dem Dachansatz einer ‚Frauenschul‘stehen dürfte (Abb. 122).

UNTERGESCHOSS

Die erhaltene Geschossunterteilung des Innenrau-mes erfolgte erst nach Aufgabe der Synagoge (1420/21)und ist mit einer Neunutzung als Wirtschaftsgebäudezu begründen. Dabei wurde im Untergeschoss ein Ton-nengewölbe mit drei Lüftungsöffnungen im Scheitel-bereich eingebaut, das vollständig aus Bruchsteinenbesteht – ein geringer Ziegelanteil wurde erst bei Ver-mauerung der Lüftungsöffnungen und Ausgleichun-gen der Schale (bei Auftragung einer neuen Putz-schicht) eingebracht.

Mit Einbau des Gewölbes wurden auch der ur-sprüngliche Zugang in der Südwestecke sowie sämt-liche Fenster der Nord- und Südwand bis auf kleineLüftungsöffnungen geschlossen (L4 – später mit Zie-geln vermauert). Das südöstliche Fenster F5 wurdevollständig vermauert und knapp östlich davon eineLüftungsöffnung (L3) angelegt, die im Barock nochmalsmit einer segmentbogigen Stichkappe erweitertworden ist. Grund dafür dürfte eine zeitgleich einge-brochene Zugangsöffnung im Obergeschoss (unmittel-bar über Fenster F5) gewesen sein. Die Lüftungsöff-nung L3 wurde zudem mit zwei mittelalterlichen Zie-geln (in Zweitverwendung) giebelförmig überfangen.

Der Zugang zum Untergeschoss wurde in der Ost-wand eingefügt (im Barock und modern verändert).Ebenfalls in der Ostwand dürfte eine ursprünglicheWandnische (N3) zu einer Lüftungsöffnung oder -einem Schüttschacht erweitert worden sein (Abb. 123).Eine nördlich des sekundären Zugangs gelegene ur-sprüngliche Wandnische wurde durch das eingebauteTonnengewölbe teilweise überschnitten.

Das östliche Fenster (F4) der Nordwand dürfte auchzu einer Lüftungsöffnung verkleinert worden sein, wo-bei diese erneut im Barock erweitert worden ist.

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123, 124. Bruck an der Leitha, Synagoge, links: Untergeschoss gegen Osten; rechts: Untergeschoss gegen Westen

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In der Westwand sind drei ursprüngliche Öffnun-gen mit Gewänden erhalten (Abb. 124), wobei die mitt-lere aufgrund des fehlenden Überfangbogens an derAußenfassade als Wandnische anzusprechen ist (Öff-nung 30,8 x 46,9 cm). Die seitlichen Öffnungen wa-ren ehemals Schallfenster und dürften erst bei Auf-füllung des westlich vorgelagerten Geländes vermau-ert worden sein. Die Terrainauffüllung ist erst nach

Bau der an die Südwestecke der Synagoge anschlie-ßenden Hofmauer (barockzeitliche Mauerwerkstruk-tur) erfolgt. Eine Datierung dieser ersten sekundärenEinbauten im Untergeschoss ergibt sich aus der Auf-gabe der Synagoge 1420/21 sowie der Mauerwerk-struktur des Gewölbes in nahezu reiner Steinbauweise,die für das 15. Jahrhundert noch typisch ist und be-reits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nur nochvereinzelt auftritt und vom reinen Ziegelgewölbe ab-gelöst wird. Auch logische Rückschlüsse aus den Bau-abfolgen des Obergeschosses (drei sekundäre Zugängesind hier nachweisbar) scheinen diese Datierung zuunterstützen.

OBERGESCHOSS

Das nach Einzug des Tonnengewölbes entstandeneObergeschoss liegt in seinem Bodenniveau knapp un-terhalb der Gewölberippenkonsolen des Ursprungs-baues. Vom ursprünglichen Portal an der Südseite isthier nur noch im Bereich des Bodens der Überfang-bogen aus mittelalterlichen Ziegeln sichtbar (Abb. 125).Darüber ist eine kleine Lüftungsöffnung in Ziegel-bauweise (wohl der zweiten sekundären Ausbauphasedes 16./17. Jahrhunderts) sichtbar (an der Fassade durchVeränderungen verunklärt). Die den Raum des Ober-geschosses nochmals unterteilenden Tragbalken eineshölzernen Zwischenbodens stammen erst aus einerbarockzeitlichen Umbaumaßnahme um die Mitte des18. Jahrhunderts, wie die dendrochronologisch datier-ten Bauhölzer belegen.

Die großen gotischen Spitzbogenfenster der Syna-goge sind bei Umbauten stark verändert worden. Diebeiden Fenster der Westwand (Abb. 126, im Baupha-senplan Fenster F6 u. F7) wurden im unteren Drittelvermauert (wohl im 16./17. Jahrhundert) und die ver-bliebenen Öffnungen mit eisernen Fensterläden ver-sehen.

Die Fenster der Ostwand (F9 u. F10) wurden imunteren Bereich vollständig baulich verändert und blie-

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127. Bruck an der Leitha, Synagoge, Obergeschoss, Detail Ostwandmit zwei sekundären Zugängen und erhöhter Mittelkonsole

125, 126. Bruck an der Leitha, Synagoge, links: Obergeschoss gegen Süden; rechts: Obergeschoss gegen Westen

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ben nur im oberen Drittel in ursprünglicher Ausprä-gung erhalten. Das nördliche Fenster der Ostwand (F9)wurde im unteren Bereich wohl schon im 16./17. Jahr-hundert verändert (was heute nicht mehr im Einzel-nen nachweisbar ist) und erhielt hier im Barock eineLuftöffnung mit Gewände (L7). Das südliche Fensterder Ostwand (F10) ist nur im oberen Abschluss er-halten, der untere Teil wurde durch den Einbau se-kundärer Zugänge zerstört (Abb. 127). Das mit Einzugdes Tonnengewölbes neu entstandene Obergeschosswurde zuerst durch einen Zugang in der Südwand er-schlossen (Abb. 125). Im 16./17. Jahrhundert wurdedieser Zugang vermauert und durch einen neuen inder Ostwand ersetzt, was durch eine Baufuge und er-haltenen Türsturz aus Ziegeln belegbar ist (Abb. 127).Dieser Zugang wurde neuerlich durch teilweise Ver-mauerung und das Einbringen eines einfach profi-lierten Türgewändes verändert. Dies dürfte zeitgleichmit dem Einbau der hölzernen Zwischendecke um1749 geschehen sein. In jüngster Zeit ist aus statischenGründen der nördliche Teil der barocken Türöffnungabgemauert worden.

Die Nordwand zeigt im westlichen Abschnitt einursprüngliches Lanzettfenster, das jüngst wieder frei-gelegt worden ist und wohl ebenfalls im 16./17. Jahr-hundert zu einer kleinen Belüftungsöffnung (L5) ver-mauert worden war (Abb. 136). Etwas weiter östlichliegt eine weitere Lüftungsöffnung (L6), die an derAußenseite eine Vermauerung aus Ziegeln aufweist.

Am Gewölbe sind ausschließlich an den Traveéndes östlichen Joches radförmige Schablonenmalereienangebracht (Abb. 134), die von den Restauratorinnenaufgrund der Ausführung und einer Bleistiftinschriftmit der Jahreszahl ‚1878‘ auf der entsprechenden Farb-fassung in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts da-

tiert werden.26 Der Anlass für eine derartige dekora-tive Ausgestaltung ist derzeit nicht zu ergründen.

DACHGESCHOSS

Das Dachgeschoss birgt die Gewölbekappen. Zu-gänglich ist es heute über eine ziegelgemauerte Öff-nung in der Mitte der Nordfassade. Der ursprünglicheZugang dürfte jedoch gegenüberliegend durch eineehemalige Öffnung in der Südwand erfolgt sein. Diesemag für den Synagogenbau anfangs über Leitern er-folgt sein, da ein direkter Zugang durch das Gewölbefehlt; erst mit den jüngeren seitlichen Anbauten dürfteeine bequemere Zugänglichkeit erreicht worden sein.Der südliche Zugang wurde jedoch vermauert, da erim unteren Bereich Mischmauerwerk aus Bruchstei-nen und Ziegeln aufweist, dürfte die Vermauerungwohl Mitte des 18. Jahrhunderts geschehen sein – mitzeitgleicher Verlagerung des Zugangs nach Norden.

Bei der letzten Sanierung des Dachstuhls (kurz vor1979 infolge eines Sturmschadens)27 wurden beide Zu-gänge mit modernen Hohlblockziegeln überfangen.Das beim Sturm eingestürzte Walmdach wurde in glei-cher Form erneuert, der Mauerkranz mit einem Be-tonrost versehen. In der Mitte der Ostwand fällt zwi-schen den Gewölbekappen ein gemauerter Bogen ausKeilsteinen ins Auge (Abb. 128). Da ein solcher Bo-gen vornehmlich zur Entlastung einer darunter be-findlichen Öffnung dient, würde einem hier zuerst einsogen. „Misrach-Fenster“ über dem Toraschrein ein-fallen. Jedoch schließt das hier situierte Gewölbe einsolches Fenster aus. Möglicherweise sollte der Bogenzur Entlastung der darunter befindlichen Rippen-konsole von der Last des Daches dienen, was jedochkonstruktiv nicht zwingend notwendig gewesen wäre.An der gegenüber liegenden Westseite sind die Zwi-schenräume der Gewölbekappen aufgefüllt. WichtigeBefunde liegen mit eisernen Verankerungen für Leuch-teraufhängungen vor (Abb. 129), die nur mehr imObergeschoss an den beiden quer zur Hauptachse ge-

DIE SPÄTMITTELALTERLICHE SYNAGOGE VON BRUCK AN DER LEITHA

26 Susanne Wutzig/Maria Brand, Bericht zur restauratorischen Be-fundung – ehemalige Synagoge Schillerstraße 9, 2460 Bruck a. d.Leitha, November/Dezember 2012 [Wien 2013], S. 13.

27 Brustbauer (zit. Anm. 10), S. 6.

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128. Bruck an der Leitha, Synagoge, Dachgeschoss, Überfangbogen inder Mitte der Ostwand über den Gewölbekappen

129. Bruck an der Leitha, Synagoge, Dachgeschoss, Verankerung dernordwestlichen Leuchteraufhängung

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legenen Gewölbescheiteln des Westjoches eine Ent-sprechung mit Eisenring als Abschluss des Gestängesfinden. In den entsprechenden Gewölbescheiteln desöstlichen Joches könnten sich zwei weitere Veranke-rungen befunden haben, die jedoch nicht mehr nach-weisbar sind.

DETAILS ZUR BAUPLASTIK(GEWÖLBE – FENSTER –PORTAL)

Die Konsolen, auf denen die Gewölberippen auf-liegen, bilden ein stilistisch wichtiges Element für dieDatierung der Synagoge. Es handelt sich dabei um so-genannte „Faltkonsolen“, die aus einem Block heraus-gemeißelt worden sind. Sie laufen nach unten spitzzu und spalten sich fächerförmig auf, wobei die In-nenkante der Falte mit einem Kerbschnitt versehenist. Bekrönt werden sie von einem Zackenkranz, des-sen wandseitiges Ende in Anläufe der Rippen über-geht (Abb. 130a,b). Eine nahezu identische Ausprä-gung zeigen Konsolen der Pfarrkirche in Witzelsdorf(Gemeinde Eckartsau, etwa 17 km Luftlinie nördlichvon Bruck/L.), hier schließt jedoch der Zackenkranzan einen polygonalen Absatz und nicht an Rippen-anläufe an (Abb. 130a,b).

Der frühgotische Chor, in dem sich die Konsolenbefinden, wird hier in die Zeit um 1300 datiert.28 Die-ser Zeitansatz erhält auch durch die Maßwerkfenster,die stilistisch stark mit jenen des 1295 geweihten Hallen-chores des Klosters Heiligenkreuz verwandt sind, Be-stätigung.29

Von den ehemals 8 Konsolen der Brucker Syna-goge sind noch 6 in unterschiedlichem Erhaltungszu-stand vorhanden. Die beiden mittig angebrachten Kon-solen der Nord- und Südwand wurden mitsamt derRippenanläufe abgeschlagen, womöglich, um hier einedas Obergeschoss teilende hölzerne Trennwand ein-passen zu können (Abb. 125). Für die Deutung desUntersuchungsobjektes als Synagoge ist der Umstandbedeutend, dass die mittlere Konsole der Ostwand

rund einen halben Meter höher als die anderen an-setzt (Abb. 131). Konstruktiv bestünde dafür in einemchristlichen Sakralbau kein Anlass; ein Sinn ergibt sichhierbei nur aus der Rücksichtnahme auf den Platzbe-darf des Toraschreins (mit Verdachung). Die Konso-len tragen die Gewölberippen, die als „gekehlte Tra-pezrippen“ zu bezeichnen sind (Abb. 132). Diese Rip-penform tritt in Niederösterreich erstmals im Lang-haus der Dominikanerinnenkirche in Imbach auf (ge-gründet 1269).30

Auch in Regensburg tritt dieser Rippentypus bereitsin der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts mehrfach auf undbesteht auch in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts ohne

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130a,b. Faltkonsolen, li: Bruck/L., Synagoge, re: Witzelsdorf, Pfarrkirche

132. Bruck an der Leitha, Synagoge, Konsolen- und Rippenprofil

131. Bruck/L., Synagoge, Obergeschoss mit erhöhter Mittelkonsole (Pfeil)

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„Entwicklung“ fort.31 In der sog. „Dorotheenkapelle“des Gravenreutherhauses, die um 1300 datiert wird,liegt neben demselben Rippentypus auch ein identesGewölbegefüge vor (Abb. 133). Hier ist jedoch, im Ge-gensatz zur Synagoge in Bruck, nur an der westlichenStirnseite eine Mittel-Rippe eingefügt worden.

Ebenfalls in einer Regensburger Hauskapelle, Rote-Hahnen-Gasse 5, zeigt sich im Gegensatz zur Doro-theenkapelle eine „fünfstrahlige“ Rippenausbildungnur im südlichen Joch (Abb. 133).32 Neben den Re-gensburger Beispielen liegt nur noch in der ehema-ligen Synagoge von Miltenberg am Main (Nordbayern)

DIE SPÄTMITTELALTERLICHE SYNAGOGE VON BRUCK AN DER LEITHA

30 Sonnleitner (zit. Anm. 8), S. 101.31 Richard Strobel, Mittelalterliche Bauplastik am Bürgerhaus in Re-

gensburg (Das deutsche Bürgerhaus Bd. XXX), Tübingen 1981,S. 44ff. (Rippenformen 2. H. 13. Jahrhundert R 55, 56, 59 – Kata-logteil S. 202).

32 Richard Strobel, Das Bürgerhaus in Regensburg (Das deutsche Bür-gerhaus Bd. XXIII), Tübingen 1976, S. 48.

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28 Dehio-Handbuch, Niederösterreich nördlich der Donau, Die Kunst-denkmäler Österreichs, hg. vom Bundesdenkmalamt, Horn–Wien1990, S. 1298.

29 Zum Hallenchor in Heiligenkreuz: Markus Thome, Kirche und Klos-teranlage der Zisterzienserabtei Heiligenkreuz. Die Bauteile des 12.und 13. Jahrhunderts [Zugl. Diss. Universität Mainz 2005], Peters-berg 2007, S. 240ff. Baubeginn hier kurz nach 1280.

133. Vergleich von Gewölbe-formen an RegensburgerHauskapellen und nieder-österreichischen/ungarischenSynagogen

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ein gleichartiges Gewölbe vor (Abb. 133). Die mittlereRippe der Ostwand (mit Birnstabprofil) setzt hier je-doch stark erhöht über dem Okulus des Misrach-Fensters an; datiert wird die Synagoge in Miltenbergum 1300.33

In der Brucker Synagoge zeigt der östliche Schluss-stein innerhalb eines Wulstringes der Platte eine ab-gesetzte Doppel-Rosette (Abb. 134). Der westlicheSchlußstein trägt ein erhaben ausgearbeitetes Blatt-motiv, das durch eine Kehle am Rand von der Platteabgesetzt ist (Abb. 135). Das Gewölbe ist als ein zwei-jochiges Kreuzrippengewölbe anzusprechen, wobeidas östliche und westliche Joch durch je eine zusätz-liche Mittelrippe fünfstrahlig angelegt worden ist. Dieöstliche Mittelrippe ist heute nicht mehr vorhandenund wurde wohl bei Einbau der barockzeitlichenZwischendecke entfernt, da sich hier ein Stiegenauf-gang befand (Abb. 134). Die fünfstrahligen Gewölbesind in Regensburg auch an den Hauskapellen derNeuen Waag und des Zanthauses (hier mit dreijochi-gem Gewölbe) zeitgleich zu belegen (Abb. 133).

Bei den Fensterformen sind die Spitzbogenfenstermit Okulus-Abschluss in der West- und Südwand, dasLanzettfenster in der Nordwand sowie die queroblon-gen Schlitzfenster im Erdgeschoss zu unterscheiden.

Zunächst sollen die queroblongen Fenster behan-delt werden. Von diesem Typus liegen insgesamt viervon ursprünglich fünf vorhandenen Beispielen vor. Er-halten sind zwei Fenster an der Westseite (F1 u. F2,später nach einer Auffüllung des Vorgeländes ver-mauert). Hierbei liegen die Fenstergewände plan mitder Innenwand, wobei sich die Fensteröffnungen nachaußen trichterförmig erweitern. Dies trifft auch aufdas westliche Fenster der Nordwand (F3) zu und ver-mutlich auch auf das östliche Fenster der Nordwand(F4), wobei dieses durch mehrmalige Umbauten über-

formt und seines Steingewändes beraubt worden ist.An der Südwand befindet sich ein weiteres „Schlitz-fenster“, das jedoch mit seinem Steingewände nichtplan an der Innenwand liegt, sondern mittig in derWand sitzt. Solche Fensteröffnungen sind auch an an-deren Synagogen zu finden und stehen immer in Zu-sammenhang mit einem äußeren Anbau, vornehmlicheiner „Frauenschul“.

Auch am christlichen Sakralbau kommen solcheFensterschlitze, wenn auch in deutlich geringerem Um-fang, gelegentlich zum Einsatz. In Niederösterreichsind hier die Burgkapelle Aggstein (Schallfenster zumherrschaftlichen Wohnbau), die Göttweigerhofkapellein Krems-Stein (Schallfenster zum Oratorium), die Ka-pelle von Oberstockstall bei Kirchberg am Wagram(Schallfenster zur Sakristei), die Katharinenkapelle inImbach (Westwand) und die Michaelskapelle auf demProbsteiberg in Zwettl (Westwand) zu nennen. DieFunktion der Fenster liegt eindeutig darin begründet,das Geschehen im Sakralraum akustisch mitverfolgenzu können.

Auch für die Fenster der Nord- und Westwand derBrucker Synagoge ist eine Funktion als Schallfensterbzw. ‚Hörschlitze‘ der angebauten Frauenschule an-zunehmen. Die Gewändeöffnungen weisen im Lich-ten auch eine annähernd gleiche Größe auf (F1: 13,2x 51,6 cm; F2: 12,8 x 50,6 cm; F3: 12,7 x 52,4 cm; F4:nicht mehr feststellbar). Lediglich das Fenstergewändein der Südwand (F5) weicht von diesen Maßen ab(14,5 x 64,1 cm). Zudem liegt das Gewände in derMitte der Wanddicke. Hiermit könnte sich auch eineandere Funktion andeuten: Träfe die Rekonstruktioneines freien Vorfeldes vor dem erst weiter westlichdes Fensters ansetzenden Vorraumes zu (vgl. Rekon-struktionsversuch im Anhang), dann hätte man es hiermit einem „Spähfenster“ zu tun, um Ankömmlinge be-obachten zu können.

Im westlichen Bereich der Nordwand befindet sichein kleines Lanzettfenster (F8), das gemeinsam mitden großen Fenstern der West- und Ostwand für die

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33 Gerd Kieser/Thomas Schicker, Die mittelalterliche Synagoge in Mil-tenberg – Ergebnisse der Bauuntersuchung, in: Frankenland 55(1998), S. 232.

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134, 135. Bruck an der Leitha, Synagoge; links: Gewölbe gegen Osten vor 1981; rechts: westlicher Gewölbe-Schlussstein

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Belichtung des Innenraumes sorgte (Abb. 136). Dasflach profilierte Steingewände mit einer lichtenÖffnung von 17 x 119 cm sitzt mittig in der Wand-dicke zwischen zwei Nischen, die sich nach außenund innen trichterförmig erweitern. Bei einem Um-bau ist es an der Außenseite bis auf eine Belüftungs-öffnung vermauert worden, wobei der untere Teil desöstlichen Steingewändes zerstört worden ist. Das Fens-ter wurde jüngst vom Eigentümer wieder freigelegt.

Die Fenster der West- und Ostwand zeigen eineganz ähnliche Ausformung. In spitzbogigen Laibun-gen aus Ziegeln, die sich trichterförmig erweitern (zurInnenseite ist die Trichteröffnung etwas weniger starkausgeprägt), sitzen mittig eingebaute Steingewände mithochrechteckiger Öffnung und bekrönendem Okulus.

Während die beiden Öffnungen an den Fensternder Westwand aus einer monolithen Platte herausge-meißelt worden sind (Abb. 137), lassen die beiden öst-lichen Fenstergewände eine separate Fertigung desOkulus-Bereiches erkennen, was wohl der etwas grö-ßeren Ausformung der östlichen Fenster (und damiterschwerten bzw. unmöglichen monolithen Ausar-beitung) geschuldet sein dürfte.

Die östlichen Fenster sind im unteren Teil durchspätere Umbauten zerstört worden; lediglich am nörd-lichen Fenster der Ostwand ist noch die ehemaligeLaibung vollständig zu rekonstruieren. Hier wurde dasFenster bis auf eine Lüftungsöffnung vermauert, wienoch auf einer Fotografie von 1981 zu sehen ist (Abb.116). Das Gewände der Belüftungsöffnung L7 wurdejüngst ausgebaut. Die Okuli der östlichen Fensterzeigen ein in einem Hohlkehlenprofil sitzendes Fünf-pass-Maßwerk, nur an den Innenseiten sind die Okuli-

gewände mit geschwungenen, Rankenornamenten undBlattwerk verziert (Abb. 138).

Die Okuli der Westfenster besaßen hingegen nurein Dreipass-Maßwerk; nur das südliche Fenster F6trägt hier an der Innenseite ebenfalls Rankenorna-mente, während das nördliche Fenster F7 eineschmucklose Profilierung zeigt (Abb. 137).

Auch die westlichen Fenster sind sekundär verän-dert worden, indem man sie im unteren Bereich ander Außenseite vermauert hat. Die nun kürzere hoch-rechteckige Öffnung konnte mit einem Eisenladen ver-schlossen und die Okuli konnten durch runde Eisen-bleche verschlossen werden (an Fenster F9 der Ost-wand erhalten).

Den ursprünglichen Zugang bildete das wieder frei-gelegte Portal am westlichen Ende der Südwand (Abb.

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136, 137. Bruck an der Leitha, Synagoge; links: freigelegtes Lanzettfenster der Nordwand; rechts: die beiden Fenster der Westwand

138. Bruck an der Leitha, Synagoge, Okulus des südlichenFensters der Ostwand

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139). Das mit Wulst und Kehlen profilierte Gewändeläuft in einem Spitzbogen aus. Der Spitzbogen wirdvon einem Tympanon (Höhe 81 cm) ausgefüllt, dasvon einer zweistufigen Profilierung eingerahmt wird(Öffnung des Durchgangs 0,93 x 2,19 m; Schwelle 22cm hoch). Im Tympanonfeld liegt ein weit ausgrei-fender Dreipassbogen. Das Spitzbogengewände ist ge-meinsam mit anderen Werksteinen zu einem Giebelausgeformt, der drei Fialen trägt. Giebel und Fialentrugen ursprünglich plastischen Schmuck, der zu un-bekannter Zeit abgemeißelt worden ist, um eine planeOberfläche zu schaffen. Denkbar wäre auch – jedochzugegebenermaßen sehr spekulativ, dass die Bauplastikim Giebelbereich jüdisch-rituelle Symbolik aufwies undschon kurz nach Vertreibung der Juden 1420 bewusst„ausgelöscht“ worden ist.

Im oberen Blatt des Dreipassbogens konnten Restevon roter Farbigkeit als auch Bleistiftlinien festgestelltwerden, jedoch erlaubten hier auch die restaurato-rischen Befundungen keine weiterführenden Aussa-gen.34 Am westlichen Spitzbogengewände ist außerdemein Steinmetzzeichen in Form eines ‚N‘ angebracht.

Ein datierendes Kriterium stellt die Ausformungdes Dreipassbogens dar. Andrea Sonnleitner führt inihrer Arbeit Vergleichsbeispiele in der Burg Pisek/Böh-

men und des ehemaligen ZisterzienserinnenstiftesSt. Bernhard bei Horn/NÖ an (das von dort stammendePortal wurde im Stift Klosterneuburg verbaut), diebeide aus dem späten 13. Jahrhundert stammen; siesind jedoch als „durchbrochenes“ Maßwerk gearbeitetund bilden kein erhabenes Ornament in einer Tym-panonplatte.35 Eine direkt vergleichbare Ausarbeitungliegt am Hauptportal der Kapelle ‚Unser Lieben Frauen‘in der ehemaligen Tempelordens-Kommende zu Mü-cheln bei Wettin (Sachsen-Anhalt) vor, deren Bauzeitzwischen 1260 und 1280 angenommen wird.36

Die jüngste Freilegung des Portals erlaubte zudemdie Zuordnung eines primären Riegelbalkens, mit demdie Tür wirkungsvoll verschlossen werden konnte. DerRiegelbalken ist nicht erhalten, jedoch kündet der dichthinter dem Portal in der Wand eingefügte Führungs-schacht, in dem der Balken hin- und her geschobenwerden konnte, von dessen Existenz. Bei geöffneterTür wurde der Balken in die östliche Seite der Süd-wand versenkt, zum Verschließen führte man denBalken in eine westlich gelegene Öffnung.

STEINMETZZEICHEN

Ein einzelnes Steinmetzzeichen liegt am Südportalin Form eines ‚N‘ bzw. ‚Z‘ vor. Alle anderen zehn Stein-metzzeichen sind an den Gewölberippen des westli-chen Joches angebracht (Abb. 140). Ob auch im öst-lichen Joch Steinmetzzeichen vorliegen, konnte hieraufgrund einer die Rippen überziehenden, blättrigenTünche nicht festgestellt werden. Für eine abschlie-ßende Überprüfung müsste hier erst die Tünche ent-fernt werden. Mittelalterliche Steinmetzzeichen sind imdeutschen Sprachraum erstmals Ende des 11. Jahr-hunderts an Kirchenbauten in Bergen (bei Neu-burg/Donau) und am Dom in Speyer nachweisbar.37

Der Zweck der hochmittelalterlichen Steinmetzzeichenist nicht eindeutig geklärt. Die gängigste These deu-tet sie als Abrechnungsmarken für die Entlohnung der

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139. Bruck an der Leitha, Synagoge, ursprüngliches Portalin der Südwand

140. Bruck an der Leitha, Synagoge, Lage und Umzeichnung derSteinmetzzeichen

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Steinmetzen. Kaum ein Steinmetzzeichen ist auf denLagerflächen des Steines angebracht worden – sie soll-ten offenbar dauerhaft sichtbar sein. Der historischenÜberlieferung des 15. Jahrhunderts ist erstmals zu ent-nehmen, dass ein Zeichen in der Regel nach der ab-geschlossenen Ausbildung an einen einzelnen Stein-metzen vergeben worden ist. Seit Ende des 14. Jahr-hunderts kommen auch sogenannte ‚Meisterzeichen‘vor, die dem Baumeister oder Werkleiter einer Bau-hütte zugeschrieben werden.38

Da die Anordnung der Zeichen am Synagogen-gewölbe keinerlei Systematik erkennen lässt, ist eineDeutung als „Versatzzeichen“ auszuschließen. Auf-grund des dürftigen Forschungsstandes ist eine Zu-ordnung der Brucker Zeichen zu bestimmten Stein-metzen oder Bauhütten vorerst nicht möglich. Im Rah-men dieser Untersuchung kann nur allgemein festge-stellt werden, dass einige Brucker Zeichen auch amAlbertinischen Chor des Stephansdomes in Wien (er-richtet 1305–1340) in ganz ähnlicher Ausführung vor-kommen, freilich ohne, dass dadurch Verbindungenzur Wiener Dombauhütte oder einzelnen Steinmetzennachgewiesen werden könnten. Dies betrifft in Bruckdas ‚T‘ (Nr. 2, 4, 9)39 sowie das ‚I‘ (Nr. 4).40 Die gleich-artige Ausformung in einem annähernd gleichen Zeit-horizont mag jedoch ein zusätzlich ‚grob datierendes‘Indiz darstellen.

REKONSTRUKTIONSVERSUCH

Aufgrund der erhaltenen und kürzlich im Umfeldarchäologisch ermittelten Bausubstanz sowie Rück-schlüssen aus Baubefunden und allgemein-typolo-

gischen Erkenntnissen erfolgte die Rekonstruktion desursprünglichen Synagogenbaues (Abb. 141). Da imInneren der Synagoge infolge Zerstörung (Dach, ur-sprüngliches Bodenniveau, Toraschrein-Nische) undder bisher nur partiell erfolgten archäologischen Un-tersuchungen des Umfeldes Unsicherheiten bestehenbleiben, kann die Rekonstruktion momentan nur denStatus eines „Versuches“ haben.

Im Grundriss waren am Hauptgebäude (‚Männer-schul‘) nur das nordöstliche Schallfenster, die Tora-schrein-Nische mit Stufenpodest und die südlich da-von gelegene Wandnische zu rekonstruieren. Die inder Raummitte angeordnete Bima wurde bewußt „neu-tral“ mit rechteckigem Podest rekonstruiert, wenngleicharchäologische Befunde zu hexagonalen Bimot in Wienund den beiden Soproner Synagogen vorliegen. Dasim Vergleich zu den Schallfenstern anders gestaltetesüdöstliche Schlitzfenster mit Gewänden innerhalb derTrichteröffnungen wurde als „Spähfenster“ erkannt undbot dementsprechend Anlass, das Vorfeld frei von Be-bauung darzustellen. Ein diese Vermutung unter-stützendes Indiz mag auch in dem mittig der Südwandgelegenen und als ursprünglich erkannten Zugang zum

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34 Wutzig/Brand (zit. Anm. 26), S. 24f.35 Sonnleitner (zit. Anm. 8), S. 91.36 Edmund Baron/Jörg Hebestedt, Die Templerkapelle „Unsere Liebe

Frau“ in Mücheln bei Wettin, Halle–Saale ³2012, S. 27.37 Matthias Untermann, Handbuch der mittelalterlichen Architektur,

Darmstadt 2010, S. 275.38 Ebenda, S. 276.39 Nach Alois Kieslinger, Die Steine von St. Stephan Wien 1949, in

seiner Liste Nr. 7 (S. 169) und Nr. 32 (S. 170).40 Ebenda, Nr. 8 (S. 169) und Nr. 33 (S. 170) im Albertinischen Chor.

141. Rekonstruktionsversuch des ursprünglichen Synagogenbaus von Bruck an der Leitha

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Dachboden liegen, da nur in diesem freien Bereicheine bequeme Möglichkeit verblieb, eine Leiter anzu-stellen (wobei am Dachboden-Zugang dann eine aufKragbalken ruhende Plattform zum Anlehnen der Leitervorauszusetzen wäre).

Die archäologisch ermittelten Grundmauern süd-lich und nördlich der Männerschul lieferten die Grund-lage zur Rekonstruktion der Anbauten. Im Süden bie-tet ein dickwandiger Mauerzug den Hinweis auf einenauch bei anderen Synagogen nachweisbaren Vorraumzum Hauptportal. Die parallel zur Nordfassade situierteMauer deutet durch die geringere Mauerdicke an, dasses sich hier um eine Zwischenwand handelt, an diewiederum nördlich eine Mauer rechtwinklig anschließt.Das im Verlauf der Synagogen-Ostwand folgendeMauerstück weist durch die größere Dicke wieder aufeine Außenwand hin; hier war zudem ein Befund alsPortalschwelle zu interpretieren, dem sich unmittelbarder primär vermauerte Rest eines Portalgewändes inder Nordostecke der Synagoge anfügt. Die ‚rekon-struierende‘ Weiterführung der ‚Frauenschul‘ auch ander Westseite, wird durch die hier situierten Schall-fenster begründet.

Das von den vorhergehenden Bearbeitern rekon-struierte Satteldach, das zwei Giebel voraussetzt, er-wies sich als nicht stichhaltig. Es besteht keine histo-rische Ansicht, die eine Identifizierung mit der Syna-goge erlauben würde. Die Rekonstruktion des Daches

erfolgte deshalb auf Grundlage des heutigen; den ur-sprünglichen Zustand muss man sich vielleicht (ana-log zur Rekonstruktion in Sopron) noch steiler undhöher vorstellen.

ZUSAMMENFASSUNG

Da direkte Belege, wie etwa eine hebräische Weihe-inschrift, für den Synagogenbau in Bruck fehlen, kames anfangs zur Verwechslung mit der historisch er-wähnten Niklaskapelle, deren Standort jedoch mittler-weile anstelle der heutigen Pfarrkirche ermittelt werdenkonnte. Dennoch sprechen typische bauliche Merk-male, die von der Straße zurückversetzte Lage, die que-roblongen Schallfenster, die baulichen Hinweise aufdas ehemalige Vorhandensein eines Toraschreins undnicht zuletzt die freigelegten Grundmauern der An-bauten, eine deutliche Sprache und weisen dem Un-tersuchungsobjekt mit größter Wahrscheinlichkeit dieehemalige Funktion als Synagoge zu.

Der Bau hat einen leicht verschobenen rechtecki-gen Grundriss mit den Außenmaßen von etwa 7,50 x9,80 m, wobei die Mauerdicken zwischen 83 und 90cm liegen. Die Hauptachse weicht von der exaktenOstung leicht nach Südost ab.

Der Bau repräsentiert den einfachen Saaltypus, wieer neben anderen Synagogen auch häufig an christ-lichen Sakralbauten verwendet wurde.

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142. Mittelalterliche Synagogenin Niederösterreich und an-grenzenden Gebieten (Datie-rungen nach Paulus 2007)

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Das zweijochige Kreuzrippengewölbe trägt jeweilssenkrecht zu den Stirnseiten eine zusätzliche Mittel-rippe, sodass sich eine jeweils fünfstrahlige Ausbil-dung ergibt. Diese Gewölbeform ist nach heutigemKenntnisstand für Österreich einzigartig, nur noch amHallenchor von Heiligenkreuz tragen die beidenäußeren Schiffe in ihren Jochen jeweils eine Mittel-rippe, hier jedoch entgegen der Längsachse konstruiert.Direkte Vergleichsbeispiele des Brucker Gewölbetypusliegen in der Synagoge von Miltenberg und an Re-gensburger Hauskapellen um 1300 vor. Für die ge-kehlten Trapezrippen existieren zahlreiche Vergleichs-beispiele aus der 2. Hälfte des 13. (Kloster Imbach,Regensburger Hauskapellen) und der 1. Hälfte des 14.Jahrhunderts (Regensburger Hauskapellen). Ebensobestehen direkt vergleichbare Beispiele der Rippen-konsolen, die als Faltkonsolen ausgeführt sind, im nichtweit von Bruck liegenden Witzelsdorf, dessen Kircheverlässlich in die Zeit um 1300 eingeordnet werdenkann. Hier und an den Maßwerkfenstern des Hei-ligenkreuzer Hallenchors sind im Bogenfeld Drei- bzw.Fünfpässe eingefügt, die auch für die entsprechendenElemente in den Okuli der Brucker Fenster Vorbild-funktion gehabt haben könnten. Ansonsten sind dieBrucker Fenster aufgrund ihrer einzigartigen Erschei-nungsform nicht näher bestimmbar. Für die stilistischenFormen des Portals, für das zudem eine Riegelbal-kenführung nachgewiesen werden konnte, liegen eben-falls gute Vergleichsbeispiele aus dem Ende des 13.Jahrhunderts vor (nahezu ident: Templerkapelle Mü-cheln; mit durchbrochenem Dreipassbogen: Burg Pi-sek, Kloster St. Bernhard Horn [nach Stift Kloster-neuburg transferiert]), sodass eine Datierung derBrucker Synagoge in die Zeit um 1300 als gerecht-fertigt erscheint. Die Brucker Synagoge gehört somitin den Zeithorizont der ältesten noch baulich erhal-tenen oder archäologisch ermittelten SynagogenNiederösterreichs (Abb. 142).

Die queroblongen Schlitzöffnungen an der West-und Nordwand sind als Schallfenster anzusprechen,die dazu dienten, Zuhörern in den seitlichen Anbau-ten (wohl eine ‚Frauenschul‘) das akustische Mitver-folgen des Gottesdienstes zu ermöglichen. Gelegent-lich, jedoch in weitaus geringerer Anzahl, kamen solcheSchallöffnungen auch im christlichen Sakralbau zumEinsatz. Das Schlitzfenster im Südosten der Synagogeist hingegen als „Spähfenster“ zur Kontrolle der an-kommenden Besucher zu interpretieren. Die archäo-logisch freigelegten Mauern entlang der Süd- und Nord-seite der Synagoge belegen gemeinsam mit den Schall-fenstern die Existenz eines Vorraums im Eingangsbe-reich sowie einer Frauenschul. Zusätzlich bildet derRest eines in die Nordostecke der Synagoge einge-bauten linken Portalgewändes den Nachweis für einenAnbau. Da am Portalrest sowie an den Schallfensternkeine Indizien für einen sekundären Einbau zu er-

kennen sind, ist zunächst von einer zeitgleichen Er-richtung von Männer- und Frauenschul auszugehen,sofern die abschließende Auswertung der archäolo-gischen Untersuchungen keine anderen Ergebnisseliefern wird. Zur ehemaligen „Ausstattung“ der Syna-goge erbrachten die archäologischen Untersuchungenim Innenraum nur die Erkenntnis, dass das ur-sprüngliche Bodenniveau aufgrund einer sekundärenAbgrabung wohl nach Einbau des Tonnengewölbesim Keller nicht mehr erhalten ist und folglich auchkeine Aussagen zur Bima oder einem Toraschrein-podest möglich sind. Für eine umlaufende Sitzbankwurden hierbei auch keine Hinweise gefunden.

Bei den beiden am Gewölbe des Westjoches er-haltenen verankerten Stangen mit Eisenringen dürftees sich um die ursprünglichen Beleuchtungsträger han-deln, an denen Ketten mit Lampen bzw. Leuchternbefestigt waren. Wahrscheinlich befanden sich ur-sprünglich auch entsprechende Verankerungen im Ost-joch.

Mit Vertreibung der Juden während der soge-nannten ‚Wiener Geserah‘ 1420/21 dürfte das Unter-suchungsobjekt naturgemäß auch seine Funktion alsSynagoge eingebüßt haben. Nach Ausweis des Mauer-werks wurde ein Tonnengewölbe aus Stein noch imLaufe des 15. oder spätestens Anfang des 16. Jahr-hunderts eingebracht, sodass der ehemalige Syna-gogenraum in zwei Geschosse unterteilt wurde. Zahl-reiche Lüftungsöffnungen in den Wänden der Ge-schosse deuten auf eine Neunutzung als Wirtschafts-gebäude (Speicher). Mit Einbringung des Tonnenge-wölbes wurde das Synagogenportal vermauert und fürdas neu entstandene Kellergeschoss ein Zugang in dieOstwand gebrochen, wobei vermutlich auch die ur-sprünglich anzunehmende Toraschreinnische zerstörtworden ist. Der Zugang zum Obergeschoss wurde an-fänglich in der Südwand eingefügt, jedoch im Laufedes 16. oder 17. Jahrhunderts vermauert und durcheinen mit Ziegelsturz versehenen Zugang in der Ost-wand ersetzt. Um 1749 wurde dieses Portal erneut ver-ändert und mit einer verkleinerten Gewändeöffnungversehen. Hierbei wurde im Obergeschoss auch zu-sätzlich eine hölzerne Zwischendecke eingefügt, de-ren dendrochronologische Untersuchung die ange-führte Zeitstellung ermittelte. Spätestens in dieser Zeit,möglicherweise aber auch schon im 16. oder 17. Jahr-hundert, entstanden an der Süd- und Nordseiteschlichte Nebengebäude, die in den letzten Jahren ab-getragen wurden.

Abschließend kann gesagt werden, dass SimonPaulus zu Recht einen Aufsatz zur Brucker Synagogemit „Das Baujuwel im Hinterhof“ betitelte. Neben sei-ner kunsthistorischen Sonderstellung mit seltener Ge-wölbeform und qualitativ hochwertiger Bauplastik liegthier wohl die – trotz erheblicher Beschädigungen –besterhaltene mittelalterliche Synagoge Österreichs vor.

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Ralf GröningerTHE LATE MEDIAEVAL SYNAGOGUE IN BRUCK AN DER LEITHA – ARCHI-TECTURAL INVESTIGATION AND RECONSTRUCTION

Typical architectural features – the location set back fromthe street, the horizontal oblong acoustic windows, the archi-tectural indications of the previous existence of a TorahShrine and not least the discovery of the foundation wallsof the extensions of what was probably a “Frauenschul” –indicate that the object under investigation is a former syn-agogue.

An art-historical analysis indicates that the synagogue inBruck an der Leitha was built around 1300 and can beregarded as the best-maintained medieval synagogue in Aus-tria. It is characterised by the high quality of the buildingstatuary and a rare vault shape.

Alfred FischenederTHE ALBERTINE CHOIR OF VIENNA’S ST STEPHEN’S CATHEDRAL –RESULTS OF A CRITICAL STYLISTIC INVESTIGATION OF THE BUILDING

The Albertine choir is a major High Gothic structure inAustria and formed an important basis for the design ofchoirs in the second half of the 14th century. The choir wasbegun under Albrecht I and continued under Albrecht II,and was a major starting point for the large-scale expansionof St Stephen’s Cathedral. Its history begins in 1304 with thedocumented demolition of houses in the area of what istoday the hall choir. Other dates are documented by endow-ments, indulgences and consecrations dating from 1323 and1326 respectively, Albrecht II’s accession to the throne, theindulgence of 1339 and the consecration of the choir in 1340.The stylistic investigation found that the basic elements ofthe history of the building could not be refuted by morerecent research. Contrary to what has been proposed, thepillars were built close to the time when the choir was givenits vault. The completion of the choir walls, the vault andthe pillars of the Albertine choir are directly related to theconsecration of the choir in 1340. After it was consecrated,the choir was furnished with additional altars, tombs andfurther ornamentation.

Henriette WiltschekA POST MORTAL FRACTURE OF THE LEG.THE SPLICING AND CONSERVATION OF AN ENGRAVED BONE OBJECT:THE ELEPHANT CHAIR FROM KREMSMÜNSTER MONASTERY (1554)

What is known as the Elephant Chair was made fromthe bones of the first „Viennese elephant“ in 1554. As a curios-ity and a prestigious piece of furniture, the object is todayan oft-admired part of the Kremsmünster Monastery Cabi-net of Curiosities. In 2012/13, it was the focal point of a the-sis at the Department for Conservation and Restoration atthe University of Applied Arts. The work had suffered con-siderable damage as a result of secondary interventions, cli-matic fluctuations and transport. The multiple fractures ofone bone were problematic.

The art and cultural history background of the objectwas investigated and stock taken of its condition. The focalpoint of the thesis was the conducting of a series of teststo splice the bones. A suitable adhesive was determined bymeans of tests on specimens exposed to a defined climatecycle and then tested for flexural strength. In addition to thesplicing, stabilising measures were applied to the assembly.Conservatory proposals for the future presentation and loan-ing of the Elephant Chair are intended to protect the objectagainst further damage.

Géza HajósJEAN F. TREHET UND JOHANN GEORG HÄTZL

FRENCH PARTERRE ART IN THE BAROQUE GARDENS OF THE

HABSBURG MONARCHY AROUND 1700

The French Gobelin specialist and horticultural designerJean F. Trehet left his home city of Paris in 1680 and foundwork at the Vienna Imperial Court in 1685, where he firsttried to set up a carpet-making workshop. Ultimately, how-ever, the French artist was forced to switch to garden design,which gradually became the centre of his life from around1690.

His functions were the geometric surveying and plan-ning of the site, the concepts for the horticultural architec-ture (avenues, hedges, parterres de broderie, boscages etc.)and the procurement of the materials needed. The greatarchitects – such as J. B. Fisher v. Erlach or J. L. v. Hilde-brandt – left these activities (at least) between around 1685and 1715/20 to the officially recognised Imperial horticul-tural designer, who in a short time also became very popu-lar amongst the high aristocracy.

Unfortunately, we know of only two garden plans signedpersonally by Trehet, one for the Mansfeld-Fondi (Schwarzen-berg from 1715) garden palace on Vienna’s Rennweg (alsodated „1697“) and one for the Harrach family house, nowdisappeared, in Rossau-Alsergrund, likewise in Vienna, fromthe late 17th century. Both gardens have broderies in the style

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