Die Makedonische Frage. Ihre Entstehung und Entwicklung bis 1908 (Wiesbaden: Franz Steiner, 1979)

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Frankfurter Historische

Band 20 Abhandlungen

Fikret Adanir

Die Makedonische Frage

Ihre Entstehung und Entwicklung bis 1908

Steiner Wiesbaden

£U. ^ 10 FRANKFURTER HISTORISCHE ABHANDLUNGEN

BAND 20

FRANKFURTER HISTORISCHE ABHANDLUNGEN HERAUSGEGEBEN VON LOTHAR GALL, WERNER GEMBRUCH, NOTKER HAMMERSTEIN, WALTHER LAMMERS, KLAUS SCHWABE, KLAUS ZERNACK

BAND 20

FIKRET ADANIR

DIE MAKEDONISCHE FRAGE IHRE ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG BIS 1908

FRANZ STEINER VERLAG GMBH • WIESBADEN 1979

FIKRET ADANIR

DIE MAKEDONISCHE FRAGE IHRE ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG BIS 1908

FRANZ STEINER VERLAG GMBH • WIESBADEN 1979

Diese Arbeit wurde mit einem Preis der Südosteuropa-Gesellschaft, München, aus­gezeichnet.

Gedruckt mit Unterstützung der Vereinigung von Freunden und Förderern der Johann Wolf­gang Goethe-Universität Frankfurt am Main e.V. und des Instituts für Auslandsbeziehungen, Stuttgart.

Bayerisch© Staatsbibliothek

München

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Adanir, Fikret: Die Makedonische Frage : ihre Entstehung u. Entwicklung bis 1908 / Fikret Adanir. -Wiesbaden : Steiner, 1979.

(Frankfurt historische Abhandlungen; Bd. 20) ISBN 3-5 15-02914-1

Alle Rechte vorbehalten Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Werk oder ein­zelne Teile daraus nachzudrucken oder auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikro-kopie usw.) zu vervielfältigen. © 1979 by Franz Steiner Verlag GmbH, Wiesbaden. Druck: Rheinhessische Druckwerkstätte E. Dietl & Co., Alzey Printed in Germany

INHALT

Vorwort IX

Karte: Das Osmanische Reich auf dem Westbalkan um 1900 XI

Einleitung 1

I. Die Entstehung der Makedonischen Frage 15 1. Agrarstrukturen auf der Balkanhalbinsel unter osmanischer

Herrschaft 15 a) Das Fiskalland (arazi-i miriyye) 15 b) Die Privatisierung der min -Ländereien: die Entstehung des çiftlik

als eine neue Grundbesitzkategorie 24 c) Die sozio-ökonomischen Verhältnisse in Makedonien gegen Ende

des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts 35 2. Die Gründung des bulgarischen Exarchats 42

a) Das m/'/fer-System 42 b) Der Aufstieg des griechisch-orthodoxen Kaufmannsstandes auf der

Balkanhalbinsel 49 c) Die Gründung des bulgarischen Exarchats 57

3. Die ökonomisch-politische Krise im Osmanischen Reich in den Jahren 1875—1878 und ihre Folgen für Makedonien 72

4. Das Regime Abdulhamids II. (1876-1909) 88

II. Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes, 1880-1902. 100 1. Der Schul- und Kirchenkampf in Makedonien in der Folgezeit des

Berliner Vertrages . . . 100 2. Die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien 104 3. Die Gründung der makedonischen Befreiungsorganisation t . . . . 109 4. Der Übergang zum offenen <?eto-Krieg in Makedonien 116 5. Der Dzumaja-Aufstand, 1902 134

a) Die Beziehungen zwischen der Inneren Organisation und dem bulgarischen Exarchat 134

b) Das Obere Makedonische Komitee und der Dzumaja-Aufstand 139

III. Der Ilinden-Aufstand 1903 160 1. Auseinandersetzungen um die Opportunität eines allgemeinen

Aufstandes im Jahre 1903 160

VI Inhalt

2. Die Attentate von Saloniki (Ende April 1903) und ihre Folgen für die makedonische Bewegung 170

3. Der Ilinden-Aufstand (Eliastag 1903) 179

IV. Die politischen Verhältnisse in Makedonien nach dem Ilinden-Aufstand. . . 200 1. Die Situation der Inneren Organisation 200 2. Der russisch-japanische Krieg und seine Auswirkungen auf die

Makedonische Frage 210 3. Die Verschärfung der konfessionell-nationalistischen Auseinander­

setzungen in den Jahren 1905-1906 217 a) Die Erfolge der hellenistischen Bewegung in Südmakedonien 217 b) Die Erfolge der serbischen Bewegung in Nord- und Zentral­

makedonien 222 c) Die Innere Organisation in der Defensive 226

4. Die Neuorientierung der Balkanpolitik Rußlands und Österreich-Ungarns ab 1906 und ihre Bedeutung für die Makedonische Frage 234

Schluß 253

Abkürzungen 255

Quellen- und Literaturverzeichnis 256

Für Jeanne

.

VORWORT

Die vorliegende Arbeit wurde im Februar 1977 vom Fachbereich Geschichtswissen­schaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität zu Frankfurt am Main als Disser­tation angenommen. Für den Druck wurde die Dissertation überarbeitet, die neueste Literatur (bis Sommer 1978) wurde nach Möglichkeit dabei berücksichtigt. Bei der Nennung geographischer Namen wurde der leichteren Verständlichkeit der Vorzug gegenüber rigorosem Festhalten an früheren oder heutigen offiziellen Be­zeichnungen gegeben. So erscheint das osmanisch-türkische „Üsküb" im Text durch­weg in der heutigen makedonischen Form als „Skopje". Dagegen wird nicht die makedonische Bezeichnung „Bitola", sondern die in den Konsularberichten übliche Form „Monastir" (türkisch „Manastir") verwendet. In jedem Fall wird darauf ge­achtet, daß die heute amtlichen Bezeichnungen wenigstens einmal erwähnt werden. Titel, Namen und Begriffe in bulgarischer, makedonischer, russischer und serbokroa­tischer Sprache werden nach der in deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken ge­bräuchlichen Ordnung transliteriert. Einige, dem deutschen Leser vertraute Schreib­weisen (z.B. „Zar" anstatt „car"') bleiben von dieser Regel ausgenommen. Die osmanisch-türkischen Wörter werden in der heutigen türkischen Schreibweise wiedergegeben, deren Aussprache die folgenden Besonderheiten aufweist:

c wie deutsches dsch ç wie deutsches tsch g" nach e, i, ö, ü wie deutsches j ; nach a, 1, o u unhörbar, jedoch Dehnung des

betreffenden Vokales bewirkend h auch am Silbenende deutlich hörbar, fast wie deutsches ch l dumpfes i wie rumänisches f oder russisches Kl j wie französisches j in „journal" s immer stimmlos wie deutsches ss oder ß s wie deutsches seh v wie deutsches w y wie deutsches j z wie stimmhaftes deutsches s in „Wiese" Vokale mit übergesetztem Zirkumflex (â, f) sind lang auszusprechen.

Den Herren Professoren Dr. Paul Kluke und Dr. Klaus Zernack, die diese Arbeit nachhaltig förderten, galt allen voran mein Dank. Viele haben außerdem durch ihren Rat, durch sachliche Hinweise und durch praktische Unterstützung zur Fertig­stellung des Manuskriptes sowie der Druckfassung wesentlich beigetragen; vor allem möchte ich nennen: Herrn Dr. Michael G. Müller (Gießen), Herrn Dr. Dieter Reben­tisch (Frankfurt am Main) und Herrn Studienrat Heinz-Dieter Wildermuth (Oberts-hausen bei Offenbach). Ferner danke ich den Damen und Herren des Archivs des

X Vorwon

Auswärtigen Amtes, Bonn, und des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, Wien, die mir das Quellenmaterial zur Verfügung stellten und bei seiner Erschließung halfen. Die Durchfuhrung meiner Forschungsarbeit wurde im wesentlichen ermöglicht durch ein Promotionsstipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bad Godesberg. Verpflichtet bin ich zudem der Vereinigung von Freunden und Förderern der Johann Wolfgang Goethe-Universität e.V. und dem Institut für Auslandsbeziehungen, Stutt­gart, für die Gewährung von Druckkostenzuschüssen, sowie den Herausgebern der „Frankfurter Historischen Abhandlungen" und dem Verlag für die Übernahme die­ser Arbeit in ihre Publikationsreihe. Schließlich möchte ich besonders herzlich meiner Frau danken, die in zahllosen Ge­sprächen die anstehenden Probleme zu klären half und meiner Arbeit jede mögliche Unterstützung gewährte.

Frankfurt am Main, im April 1979 Fikret Adanir

•\ SERBIEN

DAS OSHANISCHE REICH AUF DEM WESTBALKAN UM 1900

BULGARIEN Vi 1ayetsgrenzen

0 50 100 km

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EINLEITUNG

Die Unabhängigkeitsbewegung der Bulgaren, die mit der Errichtung eines autonomen Fürstentums in Nordbulgarien im Jahre 1878 ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte, verfolgte auf lange Sicht das Ziel, die Territorien des mittelalterlichen Bulga­renreichs für den jungen Nationalstaat zu gewinnen.1 In diesem Zusammenhang kam der Befreiung Makedoniens von der osmanischen Herrschaft und dem staatlichen Anschluß dieses Gebiets, welches im Mittelalter zeitweilig dem Bulgarenreich zuge­hört hatte, große Bedeutung zu. Man gründete in den 90er Jahren des 19. Jahrhun­derts geheime Revolutionskomitees in den europäischen Provinzen des Osmanischen Reiches - Makedonien und Adrianopel - , um den slawischen Teil der Bevölkerung für einen bulgarisch-nationalen Befreiungskampf zu mobilisieren. Diesem bulgarischen Streben stellten sich jedoch bald griechische und serbische Na­tionalisten entgegen, die ihrerseits Anspruch auf Makedonien erhoben; ihre Regierun­gen warteten eigentlich nur auf einen politisch günstigen Zeitpunkt, um Makedonien zu annektieren. Hieraus erwuchs eine den europäischen Frieden gefährdende Krisen­situation. Diese „Makedonische Frage" bildete somit ein Teilproblem der Orientali­schen Frage, welche die Neugestaltung der politisch-territorialen Verhältnisse auf dem Balkan im Zuge des fortschreitenden Machtverfalls des Osmanischen Reiches zum Gegenstand hatte,2 als solches sollte sie jahrzehntelang die Aufmerksamkeit der Großmächtediplomatie sowie der politisch interessierten Öffentlichkeit Europas beanspruchen.3

1 Unter dem Zaren Simeon (893-927) beherrschten die Bulgaren ein Gebiet auf der Balkan­halbinsel, dessen Grenzen im Osten am Schwarzen Meer, im Westen an der albanischen Adriaküste, im Norden am Rand der Karpathen und im Süden westlich von Thessaloniki an der Ägäis lagen. Vgl. V. N. Zlatarski, Istorija na bülgarskata düriava prez srednite vekove [Geschichte des bulgarischen Staates im Mittelalter!, I, 2, Sofija 1927, S. 519.

2 C. R. von Sax, Geschichte des Machtverfalls der Türkei bis Ende des 19. Jahrhunderts und die Phasen der „orientalischen Frage" bis auf die Gegenwart, Wien 1913.

3 Nach den Balkankriegen (1912/13) wurde Makedonien unter Griechenland, Serbien und Bulgarien aufgeteilt. Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges sanktionierten diese Auftei­lung. Trotzdem blieb der Streit um Makedonien auf dem Balkan latent. Von 1941 an wur­de dieses Gebiet von Bulgarien besetzt gehalten, bis die Ausrufung einer autonomen Volks­republik Makedonien im Rahmen des jugoslawischen Staatenbundes erfolgte (1944). Damit war jedoch die Makedonische Frage keineswegs endgültig gelöst; denn das Ägäisch-Make-donien (griechisch) und das Pirin Makedonien (bulgarisch) befanden sich immer noch außer­halb der Grenzen des neuen Jugoslawien. Der Streit um Makedonien wird in unseren Tagen weitergeführt, und zwar hauptsächlich von Jugoslawien und Bulgarien. Siehe u.a. FAZ vom 6. Januar 1975: „Belgrad läßt Mazedonien-Zwist aufleben", und vom 18. April 1977: „Schnittpunkt Makedonien". Für einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Make­donischen Frage siehe H. Hartl, Nationalitätenprobleme im heutigen Südosteuropa, Mün­chen 1973, S. 111-139.

2 Einleitung

Als geographischer Begriff wird „Makedonien" seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts wieder verwendet und bezeichnet ungefähr das Gebiet, dessen Grenzen wie folgt an­gegeben werden: im Norden sind es das §ar-Gebirge, Karadag (Skopska Crna Gora), Kozjak-Gebirge, Osogov-Gebirge; im Osten ist es der Fluß Mesta (Nestos);die Süd­grenze bilden die Ägäis und der Fluß Aliakmon (Bistrica); im Westen liegen die Ge­birge von Korab, Jablanica,MokraundPindos.4 Diese geographische Definition muß jedoch als völlig willkürlich betrachtet werden. Sie kam dadurch zustande, daß eu­ropäische Geographen des beginnenden 19. Jahrhunderts sich in Bezug auf Makedo­nien wieder an Schriften von Ptolemäus und Strabon orientierten.5 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte Makedonien weder geographisch noch ethnisch eine Einheit dar:

Die Oberflächengestaltung von Mazedonien, die vielen isolierten Becken bewirken es, daß sich bei der Bevölkerung besondere Eigenschaften entwickeln. Unter den Becken sind zu­nächst bedeutende klimatische Unterschiede vorhanden, da die einen ein mitteleuropäi­sches, die anderen ein mediterranes, die dritten ein Übergangsklima besitzen. Die einzel­nen Becken sind auch von verschiedener Fruchtbarkeit mit verschiedenen, stellenweise mannigfaltigeren Kulturpflanzen. Es herrschen beträchtliche Unterschiede auch in ihrer geographischen Lage vor, weshalb sie unter stärkerer oder schwächerer Einwirkungen der einen oder der anderen Kulturen stehen. . . Die slawische Bevölkerung der einzelnen Bek-ken ist häufig von verschiedener Herkunft, aus anderen Gegenden eingewandert; in man­chen Becken sind es zumeist Einwanderer, an anderen Stellen herrschen altansässige Be­wohner vor. . . . Manche Becken sind nahezu ganz slawisch; andere werden hauptsäch­lich von den türkischen Stämmen Juruken und Konjaren bevölkert; in der Mehrzahl ist die slawische Bevölkerung mit Osmanlis, in den südlichsten Becken auch mit Griechen und Walachen gemischt.. .6

Angesichts solcher Mannigfaltigkeit überrascht es nicht, daß die osmanische Verwal­tung die Bezeichnung „Makedonien" nicht gekannt hat.7 Die europäischen Besitzun­gen dieses Reiches gliederten sich ab 1864 in sechs Verwaltungseinheiten (Vilayets) auf:8 Adrianopel (Edirne), Saloniki (Thessaloniki), Monastir (Bitola), Janina (Ioan-

4 Vgl. Istorifa na makedonskiot narod [Geschichte des makedonischen Volkes], Skopje 1972, S. 7. In der einschlägigen Literatur gilt der Fluß Mesta als die Ostgrenze Makedoniens. Vgl. u.a. V. Küncov, Makedonija. Etnografija i statistika, Sofija 1900, in: V. Kunöov, Izbrani proizvedenija v dva toma, Bd. 2, Sofija 1970, S. 304. Hiervon abweichend definiert N. G. L. Hammond Makedonien folgendermaßen: „As a geographical entity Macedonia is best defined as the territory which is drained by the two great rivers, the Haliacmon and the Vardar, and their tributaries." A History of Macedonia, Bd. 1: Historical Geography and Prehistory, Oxford 1972, S. 3#

5 Vgl. H. R. Wilkinson, Maps and Politics. A Review of the Ethnographic Cartography of Macedonia, Liverpool 1951, S. 1

6 J. Cvijic, Grundlinien der Geographie und Geologie von Mazedonien und Altserbien (Pe­termanns Mitteilungen, Erg. Bd. XXXIV, Nr. 162), Gotha 1908, S. 248.

7 Vgl. Wilkinson, a.a.O., S. 3. 8 Die größte Verwaltungseinheit im Osm. Reich ab 1864 war das Vilayet. Ein Vilayet be­

stand in der Regel aus mehreren Sancaks (Untergouvernements oder Regierungsbezirke), diese wiederum bestanden aus mehreren Kazas (Landkreise). Zur Entwicklung dieses Sy­stems siehe H.-J. Kornrumpf, „Zur territorialen Verwaltungsgliederung des Osmanischen Reiches, ihrem Entstehen und ihrem Einfluß auf die Nachfolgestaaten", in: Ethnogenese und Staatsbildung in Südosteuropa, Göttingen 1974, S. 52-61, und ders.,ZWe Territorial-Verwaltung im östlichen Teil der europäischen Türkei vom Erlaß des Vilayetsordnung

Einleitung 3

nina), Skutari (Shkodra) und Kosovo. Erst nach der Entstehung der Makedonischen Frage mit dem Abschluß des Berliner Vertrages und insbesondere nach dem Beginn der europäischen Reformaktion in Makedonien (1903) drang „Makedonien" als Be­griff in das Bewußtsein der Osmanen ein. Freilich sprach man amtlich auch jetzt nicht von „Makedonien", sondern von vilâyât-i setâse, den „drei Vilayets", in denen die Durchführung bestimmter Reformen vorgesehen worden war.9

Verläßliche Angaben über die Einwohnerzahl Makedoniens, vor allem die zahlen­mäßige Stärke makedonischer Volksgruppen, sind selten. Dafür gibt es ethnographi­sche Statistiken und Karten in Fülle, die aber eher zur Entstehung falscher Vorstel­lungen über die damalige Bevölkerungsstruktur jenes Gebiets als zu einer Klärung bei­tragen. Die Sichtung der reichhaltigen Literatur über die Makedonische Frage, beson­ders desjenigen Teils aus der Epoche bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, ergibt nämlich, daß sie großenteils der politischen Pamphletliteratur zuzurechnen ist. Den meisten Autoren ging es in erster Linie darum, einem teilweise nur oberflächlich in­formierten Publikum nachzuweisen, daß Makedonien je nachdem mehrheitlich von Bulgaren, Serben oder Griechen bewohnt sei.10 Auch Europäer —Diplomaten,Kauf­leute, Journalisten und andere Reisende - griffen mit der Autorität unbeteiligter Beobachter zur Feder, um die Ansprüche dieser oder jener Seite entsprechend ihren persönlichen Neigungen oder den Interessen ihrer Vaterländer zu unterstützen.11

(1864) bis zum Berliner Kongreß (1878), Freiburg i. Br. 1976. Zur Verwaltungsgliederung im Balkanraum vor 1864 siehe L. inciciyan, „Osmanh Rumelisi Tarih ve Cografyasi" [Geschichte und Geographie des osmanischen Rumelien], aus der Ausgabe 1804 Übersetzt von H. D. Andreasyan, GDAAD 2-3 (1973-74), S. 11 88, und 4-5 (1975-76), S. 101-152.

9 Nach dem Bombenattentat auf den Sultan Abdulhamid im Juli 1905 unternahmen die os­manischen Behörden den Versuch, das Wort „Makedonien" sogar aus der türkischen Über­setzung der „Apostelgeschichte" zu entfernen. Die von der englischen Mission verlegten Bibeln „wurden konfisziert und [es wurde - F.A.] verlangt, daß an Stelle von Mazedonien geschrieben würde: die Wilajets Usküb, Monastir und Kossowo, und so wird es auch ge­schehen." Halbmond im letzten Viertel. Briefe und Reiseberichte aus der alten Türkei von Theodor und Marie Wiegand 1895 bis 1918, herausg. und erläutert von G. Wiegand, Mün­chen 1970, S. 72-73.

10 Es seien erwähnt: D. M. Brancoff, La Macédoine et sa population chrétienne, Paris 1905; J. Cvijic, Remarks on the Ethnography of the Macedo-Slavs (1906); A. Ilirkov, Zapadnite kraiSta na bülgarskata zemja [Die westlichen Gebiete des bulgarischen Landes], Sofija 1915; S. J. Radosavljevic-Bdin, Der Streit um Alt-Serbien (das sogenannte Mazedonien), Wien 1918; V. Colocotronis, La Macédoine et l'Hellénisme, Paris 1919.

11 Siehe H. N. Brailsford, Macedonia. Its Races and their Future, London 1906; S. V. Ramon, L'Agitation bulgare en Turquie, Paris 1906; R. Pinon, „La question de Macédoine. I. Les nationalités. II. Les réformes", Revue des deux mondes, 15. Mai 1907, S. 351-387,1. Ju­ni 1907, S. 659-688; H. Marcuse, Serbien und die Revolutionsbewegung in Makedonien, Berlin 1908. In welchem Maße manche Autoren durch politische Entwicklungen beein­flußt wurden, zeigt das Beispiel R. W. Seton-Watsons. Er hatte in seinem Werk, The Southern Slav Question and the Habsburg Monarchy, noch 1911 Makedonien als ein hauptsächlich von Bulgaren bewohntes Gebiet bezeichnet. Im Jahre 1917 jedoch revidierte er seine Auf­fassung und meinte, vermutlich weil die Bulgaren nunmehr an der Seite der Mittelmächte gegen England kämpften, Makedonien sei „peopled by a fluid population of Turks, Alba­nians, Jews, Greeks, Bulgares, Serbs and Vlachs". Siehe sein Werk, The Rise of Nationality in the Balkans, London 1917, S. 129.

4 Einleitung

Wie anders kaum zu erwarten, werden in den Veröffentlichungen all dieser „Ethno­graphen" Karten und Statistiken unterschiedlichster Herkunft bemüht, um die be­haupteten politischen Thesen wissenschaftlich zu untermauern.12 Obgleich der Wert solcher Darstellungen heute allenfalls darin liegt, Aufschluß über Strategie und Taktik der jeweiligen nationalen Propaganda in dieser Frühphase der Makedonischen Frage zu geben, dienen ihre ideologischen Aussagen manch historischer Untersuchung im­mer noch als wissenschaftliche Grundlage.13 Deshalb soll die Lösung der schwieri­gen Aufgabe, ein wirklichkeitsnahes Bild von den demographischen Verhältnissen in Makedonien gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu entwerfen, in kritischer Auseinandersetzung mit dieser Literatur erfolgen. Makedonien war auf den drei bekanntesten ethnographischen Karten der Balkan­halbinsel vor 1878, den Karten von A. Boue' (1847), G. Lejean (1861) und H. Kie­pert (1876), als ein Gebiet eingezeichnet, das fast ausschließlich von Bulgaren be­wohnt war.14 Nicht zuletzt diesem Umstand ist es zuzuschreiben, daß Graf Ignat'ev, der russische Botschafter bei der Pforte, von den Delegierten der internationalen Konferenz von Konstantinopel im Jahre 1876 verlangen konnte, daß alle jene Ge­biete, die auf der Karte H. Kieperts als „bulgarisch" markiert waren, dem geplanten autonomen Staat Bulgarien zugeteilt werden sollten.15 Im Vorfrieden von San Ste­fano (1878) wurde auf dieser Grundlage die Schaffung eines bulgarischen Staates ins Auge gefaßt, der ganz Makedonien mit einschloß.16

Boue', Lejean und Kiepert betrachteten die Sprache als das ausschlaggebende Krite­rium für die Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer nationalen Gemeinschaft. Sie waren damit typische Vertreter einer Nationsauffassung, wie sie den Einigungsbewe­gungen Italiens und Deutschlands im 19. Jahrhundert zugrunde lag.17 Eine sprach­lich-ethnisch interpretierte Gruppensolidarität bildete demnach die vorpolitische Phase im Konstituierungsprozeß der Nation.18 Das Konzept einer gemeinsamen Spra-

12 Wilkinson leistet in seiner Arbeit, Mapsand Politics, eine vorzügliche Analyse solcher Wer­ke.

13 Beispielsweise behauptet Lj. Doklestic, daß Makedonien im 19. Jahrhundert sowohl geo­graphisch als auch ethnisch eine Einheit dargestellt hätte. Siehe Srpsko-makedonskite odnosi vo XIX-ot vek do 1897 godina [Die serbisch-makedonischen Beziehungen im 19. Jh. bis 1897], Skopje 1973, S. 15.

14 Für die Karten von Boue', Lejean und Kiepert siehe Wilkinson, a.a.O., S. 36,44, 66. 15 Vgl. Hirkov, a.a.O., S. XCIII. 16 Siehe „Die Umgestaltung der politisch-geographischen Verhältnisse auf der Balkan-Halbin­

sel", Petermanns Geogr. Mitt. 24 (1878), S. 192. Bezeichnenderweise hatte Kiepert das Material für seine „Ethnographische Übersichtskarte des Europäischen Orients", Berlin 1876, die den Verhandlungen der Konferenz von Konstantinopel, den Friedensprälimina­rien von San Stefano sowie dem Berliner Friedensvertrag als Grundlage diente, während seiner Tätigkeit als Bevölkerungsstatistiker im Dienste des bulgarischen Exarchats in Kon­stantinopel gesammelt. Vgl. Chr. Gandev, „Evropejski proucvanija na Bülgarija prez vreme na vüzraidaneto" [Europäische Studien über Bulgarien während der Wiedergeburt], in seinem Werk, Problemi na bülgarskata vüzraidane [Probleme der bulgarischen Wiederge­burt], Sofija 1976, S. 481.

17 Vgl. den „Risorgimento "-Nationalismus bei H. Lemberg,JVi»fib/w/is/«t/sI, Reinbek b. Ham­burg 1964, S. 165 ff.

18 H. Mommsen, „Nation", Das Fischer-Lexikon 24, Frankfurt/Main 1961.

Einleitung 5

che als Medium der nationalen Integration unter den Slawen Südeuropas fand bereits im 18. Jahrhundert Anwendung in einer „Apologie des .Slavischen' als einer der von Gott gegebenen ursprünglichen Sprachen".19 Später erfreute sich der Ausspruch „in seiner Sprache lebt ein Volk" allgemeiner Anerkennung.20 In ihrer politischen Ma­nifestation bedeutete diese Auffassung letztendlich, daß die bloße Existenz eines Sprachvolkes, sein manchmal nur angenommenes Übergewicht in einem bestimmten Raum, prinzipiell zu der Forderung nach einem Nationalstaat berechtigte.21 Diesem sprachbezogenen Nationsverständnis gab ein Zagreber Professor im Jahre des Berli­ner Kongresses im Hinblick auf Bulgarien folgendermaßen Ausdruck:

In dem ganzen Gebiete zwischen Niä, Pirot, Varna, Adrianopel, Saloniki und Ohrida herrscht eine und dieselbe Bulgarische Sprache . . . Allem dem gegenüber ist es wohl mehr als gewagt, zu behaupten, daß die Begrenzung Bulgariens nach den Bestimmungen des Frie­densvertrages von San Stefano ethnographisch nicht gerechtfertigt sei.2'

Zwar ist die Warnung vor einer Überbewertung des Einflusses der Herderschen Na­tionsauffassung auf die südosteuropäischen Nationalbewegungen berechtigt — 23 be­sonders wenn man die spätere Entwicklung des Makedonischen Problems in Betracht zieht. Die erstrangige Bedeutung des Sprachkriteriums für europäische Ethnographen jedoch, die ja in ihrer Mehrheit als die wissenschaftlichen Begründer des bulgarischen Anspruchs auf Makedonien fungierten, steht außer Zweifel. Das Sammeln statistischen Materials über Makedonien wurde gegen Ende des 19. Jahr­hunderts, dem zunehmenden Interesse an diesem Krisengebiet entsprechend, noch intensiver betrieben. Dabei ließ man die Ergebnisse der Arbeit osmanischer Zensus-Beamten außer Acht, da diese „aus Höflichkeit und Faulheit genau so viel Frauen zählen wie Männer und die Völker lediglich nach dem Bekenntnisse einteilen,"24

und man verließ sich lieber auf eigene oft willkürliche Schätzungen. Beispielsweise erstellte der englische Vizekonsul in Monastir, G. S. Blunt, 1897 eine Statistik, „Population of the Vilayet of Monastir", derzufolge in den westmakedo­nischen Ortschaften Resen, Ochrid und Struga keine Türken lebten.25 In dem drei Jahre später erschienenen Werk Künöovs dagegen, wohlgemerkt eines bulgarischen

19 H. Sundhaussen, „Sozio-ökonomische und kulturelle Grundlagen der Nationsbildung in Ostmittel- und Südosteuropa", Deutsch-Rumänisches Colloquium, München 1974, S. 100.

20 Ebd. 21 Über diese Frage siehe N. Reiter, „Sprache in nationaler Funktion", in: Ethnogenese und

Staatsbildung in Südosteuropa, S. 104-115. 22 F. BradaSka, „Erläuterungen zu den statistisch-ethnographischen Daten des Sandschaks

Seres von Stephan J. Verkovic", Petermanns Geogr. Mitt. 24 (1878), S. 305. 23 Davor warnen M. Bernath, „Das mazedonische Problem in der Sicht der komparativen Na­

tionalismusforschung", SOF 29 (1970), S. 242, und Sundhaussen, a.a.O., S. 100. 24 R. von Mach, „Beiträge zur Ethnographie der Balkanhalbinsel", Petermanns Geogr. Mitt.

45 (1899), S. 98\ Auch L. S. Stavrianos erhebt denselben Vorwurf: „Turkish authorities rarely bothered with a census, and when they did, the returns were computed on the basis of religious affiliation rather than language or nationality." The Balkans 1815-1914, New York 1963, S. 96.

25 H. Andonov-Poljanski, „Edennepoznatstatistifki pregled za naselenieto vo Bitolskiot vilaet od 1897 godina" [Ein bisher unbekannter statistischer Überblick aus dem Jahre 1897 über die Bevölkerung des Vilayets Monastir], GZ 21 (1969), S. 73-119.

6 Einleitung

Ethnographen, steht zu lesen, daß das Städtchen Resen ein türkisches Stadtviertel hatte und daß es in Ochrid und Struga ebenfalls türkisch sprechende Einwohner gab .26

Bei dieser Sachlage überrascht es nicht, daß als seriös bekannte Zeitungen und Zeit­schriften extrem voneinander abweichende Angaben über die Bevölkerung Makedo­niens machten. In der Frankfurter Zeitung vom 25. Februar 1903 hieß es:

Nach unseren statistischen Angaben zählt Mazedonien etwa anderthalb Millionen Seelen; darunter sind: 410.000 christliche und 46.000 muhammedanische Bulgaren, 350.000 Al-banesen, 280.000 Türken, 145.000 Griechen, 120.000 Serben, 95.000 Zinzaren [Was­chen - F. A.] und 40.000 spanische Juden (in und um Saloniki); die Bulgaren bilden al­so nicht einmal den dritten Theil der Bevölkerung.

K. Oestreich in der Geographischen Zeitschrift hingegen gab folgende Bevölkerungs­zahlen für Makedonien an:27

Christliche Slawen (Bulgaren und Serben) 1.500.000 Mohammedanische Slawen 500.000 Griechen 200.000 Albaner 300.000 Walachen 100.000 TUrlten 250.000

Während diese beiden Quellen bezüglich der Zahl der Slawen unterschiedliche Anga­ben machen - die eine bezeichnet sie mit nur 576.000, die andere spricht von 2.000.000 - , stimmen sie hinsichtlich der Zahl der Türken im großen und ganzen überein: bei beiden liegt sie bei etwa einer Viertelmillion. Dabei stand bereits damals ein wissenschaftliches Werk, nämlich das von V. Küncov, zur Verfügung, das durch­aus dazu geeignet war, diese falschen Zahlenangaben über die Größe des türkisch spre­chenden Bevölkerungsanteils in Makedonien zu korrigieren. KünCov lenkte nämlich in seiner Statistik die Aufmerksamkeit auf die Existenz einer kompakten Masse tür­kischer Bauern in dem Gebiet zwischen Vardar und Struma sowie an der Ägäischen Küste, die bis dahin oft übersehen worden war.28 Seine Angaben über die zahlenmä­ßige Stärke der makedonischen Volksgruppen lauten wie folgt:29

26 Vgl. Küncov, a.a.O., S, 359. Der Verfasser der vorliegenden Untersuchung hat im Sommer 1973 und 1978 selbst feststellen können, daß in Resen heute noch Türken leben.

27 Jg. 11(1904), S. 292. 28 Vgl. a.a.O., S. 352-354. Das Werk Kündovs wurde auch von der österreichisch-ungarischen

Diplomatie, die über die Balkanverhältnisse gewöhnlich bestens informiert war, hoch einge­schätzt. Siehe eine Würdigung des Werkes vom März 1901 durch Dr. Murko, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien, PA XII, Liasse XXV: „Beschreibende Berichte über die Türkei", Kar­ton 272. Aber auch die heutige makedonische Geschichtswissenschaft betrachtet die Anga­ben Küncovs als am ehesten zutreffend. Vgl. M. Pandevski, Nacionalnoto praianje vo make-donskoto osloboditelno dvizenje, 1893-1903 [Die nationale Frage in der makedonischen Befreiungsbewegung, 1893-1903], Skopje 1974, S. 41.

29 Hierzu u.z. folg. siehe die Aufstellung Küneovs, a.a.O., S. 590.

Einleitung 7

Christen Mohammedaner Zusammen

Bulgaren 1.032,533 148.803 1.181.336 Türken 4.240 494.964 499.204 Griechen 214.329 14.373 228.702 Albaner 9.510 119.201 128.711 Walachen 77.267 3.500 80.767 Juden - 67.840 Zigeuner 19.500 35.057 54.557 andere 13.570 3.337 16.907

1.370.949 819.235 2.258.224

Nach obiger Statistik machten die Bulgaren, d.h. alle Slawen, ob sie nun dem bulga­rischen Exarchat oder dem griechisch-orthodoxen Patriarchat unterstellt waren oder sich zum Islam bekannten, etwa 52% der Bevölkerung Makedoniens aus, wobei anzu­merken ist, daß entsprechend der damaligen bulgarisch-nationalen Gepflogenheit30

auch die Serben als Bulgaren aufgeführt wurden. Eine andere slawische Quelle korrigiert - wenn auch geringfügig - die Angaben Küncovs in einigen Punkten: der in St. Petersburg tätige „Makedonische Studenten­verein" (Makedonskoto studenstko dmltvo) veröffentlichte gegen Ende 1902 ein Memorandum über Makedonien, aus dem hervorgeht, daß von den 2.500.000 Einwoh­nern Makedoniens die Slawen mit 1.200.000 zwar die größte Gruppe bildeten, je­doch weniger als die Hälfte der Bevölkerung ausmachten (48%). Die Bevölkerungs­gruppe der Türken wird an zweiter Stelle mit 700.000 aufgeführt.31

Aufgrund obiger Angaben bulgarischen bzw. makedonischen Ursprungs können wir also zusammenfassend feststellen, daß die Slawen zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit einem Anteil zwischen 40 und 50% an der Gesamtbevölkerung die größte ethnische Gruppe in Makedonien darstellten. An die zweite Stelle ist die türkisch sprechende Bevölkerungsgruppe einzuordnen. Danach können der Reihe nach angegeben wer­den: die Griechen und Albaner mit je einer gleichgroßen Gruppe, die Walachen, die Juden und die Zigeuner,32

Nun zielen diese Ausführungen keineswegs darauf ab, die zahlenmäßige Stärke der türkischen Volksgruppe in Makedonien möglichst groß erscheinen zu lassen. Die Zahl der ethnisch-türkischen Gruppe in Makedonien war für das osmanische Herrschafts­system, wie wir noch sehen werden, irrelevant. Vielmehr haben diese Überlegungen ihre Begründung darin, zu veranschaulichen, daß erstens Makedonien um die Jahr­hundertwende keineswegs fast ausschließlich von Bulgaren bewohnt war, und daß zweitens die türkisch sprechende Gruppe nicht nur aus Beamten, Offizieren und

30 Küncov war für lange Zeit Inspektor der bulgarisch-exarchistischen Schulen in Makedo­nien, vertrat also im allgemeinen den bulgarisch-nationalen Standpunkt.

31 Siehe B. Ristovski, „Makedonskiot ,nacionalen separatizam' kako ideja i kako dvizenje vo vrska so pojavata i dejnosta na K. P. Misirkov" [Der makedonische ,nationale Separatis­mus' als Idee und Bewegung im Zusammenhang mit dem Auftreten und der politischen Aktivität des K. P. Misirkov], im Sammelband Krste Misirkov, Skopje 1966, S. 50.

32 Diese Reihenfolge entspricht auch derjenigen, die von G. Weigand aufgestellt wurde. Siehe Ethnographie von Makedonien. Geschichtlich-nationaler, sprachlich-statistischer Teil, Leip­zig 1924, S. 30.

H Einleitung

Großgrundbesitzern - einer Schicht landesfremder Unterdrücker - bestand, sondern zum größten Teil aus friedliebenden Bauern, die seit fünfhundert Jahren und noch länger hier angesiedelt waren.33 Die Bedeutung dieses Faktums im Hinblick auf die Erfolgsaussichten einer bulgarisch-makedonischen Befreiungsbewegung kann kaum überschätzt werden. Dennoch ließ man damals in den Plänen über die Zukunft Ma­kedoniens, ob diese nun von den Regierungen benachbarter Balkanländer oder von den Großmächten gemacht wurden, die Existenz der türkischen Volksgruppe - im­merhin zahlenmäßig die zweitgrößte im Lande - als eine quantité négligeable stets außer acht.34

Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß die obigen Angaben über die ethnische Struk­tur Makedoniens auf dem Sprachkriterium beruhen. Sie erweisen sich aber für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung weitgehend als unbrauchbar. Jene ethnogra­phische Methode, in Sprachgruppen nationale Gemeinschaften zu erblicken, zeitigte in Bezug auf Makedonien Ergebnisse, welche mit den tatsächlichen Verhältnissen wenig gemein hatten. Gegen eine solche Verfahrensweise hatte sich schon im Jahre 1878 C. Sax gewandt:

Professor H. Kiepert hat in der Einleitung zu seiner ethnographischen Karte des europä­ischen Orients, welche sich ebenfalls als Sprachenkarte ankündigt, selbst dargelegt, wie schwierig es ist, die Nationalität in der Levante nach der Sprache zu bestimmen. In Wirk­lichkeit ist dies auch nicht der richtige Weg, die ethnographischen Verhältnisse der Bewoh­ner des türkischen Reiches festzustellen, und doch ist es wichtig, die Nationalität dieser Menschen zu kennen, welche fur diesen Begriff ihr Blut vergießen und die Welt in Aufruhr versetzen. Die Sprache ist nur eines der verschiedenen Kennzeichen der Nationalität; ein anderes, ebenso wichtiges ist im Oriente die Religion, und noch ein nicht zu übersehendes Merk­mal ist das eigene nationale Bewußtsein, welche drei Kennzeichen mit einander combiniert werden müssen.35

In der vorliegenden Untersuchung wird denn auch nicht von irgend einem ethnisch­sprachlich verstandenen Nationsbegriff ausgegangen, sondern von dem osmanischen ww'/fef-Begriff, dJi. von der Realität nationaler Einheiten, die sich auf Zugehörigkeit zu jeweils einer sozio-politisch relativ autonomen religiös-kulturellen Gemeinschaft gründeten.36 Beispielsweise verstand sich ein türkisch sprechender Makedonier nicht

33 Die sog. Vardar-Türken z.B. kamen im 10. Jh. nach Makedonien, dreihundert Jahre vor der Errichtung des osmanischen Staates in Kleinasien. Vgl. G. Lejean, Ethnographie de la Tur­quie d'Europe, Gotha 1861, S. 33-34, und Zlatarski, a.a.O., I, 1, S. 341, und I, 2, S. 67.

34 „Il est intéressant d'observer d'abord qu'aucune des races chrétiennes concurrentes ne re­connaît au Turc un droit quelconque sur la terre macédonienne. La conquête et cinq sièc­les de possession de fait ne leur paraissent pas suffisans pour établir la prescription et créer le droit." R. Pinon, „La question de Macédoine. I. Les nationalités", Revue des deux mon-des, 15. Mai 1907, S. 378.

35 „Erläuterungen zu der .Ethnographischen Karte der europäischen Türkei und ihrer Depen-denzen zur Zeit des Kriegsausbruches im Jahre 1877'", Mittheilungen der k.k. geographi­schen Gesellschaft, Wien 1878, S. 177.

36 Vgl. die hervorragende Untersuchung über das Nationalismus-Problem im Osmanischen Reich von K. Karpat, An Inquiry Into the Social Foundations of Nationalism in the Otto­man State: From Social Estates to Classes, From Millets to Nations, Princeton University, Center of International Studies, Research Monograph, No. 39, July 1973.

Einleitung 9

als Türke, sondern als Mohammedaner bzw. als osmanli, d.h. als Untertan des osma-nischen Sultans. Auch die mohammedanischen Bulgaren (pomak), „les très dévoue's sujets du Sultan",37 bezeichneten sich entweder als Mohammedaner oder als osmanli, aber keineswegs als Angehörige der bulgarischen nationalen Gemeinschaft; sie wur­den im Alltag der Nationalitätenkämpfe in Makedonien von der bulgarisch-makedo­nischen Organisation dementsprechend als Gegner betrachtet. Wie dauerhaft sich eine solche religiös-kulturelle millet- Gemeinschaft unter gewissen historischen Bedin­gungen erweisen kann, ist am Beispiel heutiger bosnisch-herzegowinischer Moham­medaner zu sehen, denen im Rahmen der Jugoslawischen Föderation, den bestehen­den ethnisch-sprachlichen Gemeinsamkeiten mit den übrigen Südslawen zum Trotz, offiziell der Status einer separaten „muselmanischen" Nationalität zugestanden wor­den ist.38

So gesehen, stellen sich die zahlenmäßigen Relationen zwischen den Volksgruppen in Makedonien im letzten Viertel des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wesent­lich anders dar. Dies soll im folgenden anhand einiger Statistiken über den Sancak Seres, in dem die slawisch sprechende Bevölkerung die Mehrheit bildete, veranschau­licht werden: Eine italienische Quelle aus dem Jahre 1881 gibt für diesen Sancak ei­ne Gesamtbevölkerungszahl von 295.043 an. Davon gehörten 182.820 der christli­chen (62%) und 111.093 (38%) der mohammedanischen Konfession an.39 In einer bulgarischen Quelle, die aus dem Jahre 1890 datiert, wird die Bevölkerung des San­cak Seres sowohl der Konfession als auch der sprachlich-ethnischen Zugehörigkeit nach folgendermaßen aufgegliedert:40

orthodoxe Bulgaren 272.476 mohammedanische Bulgaren 58.331 orthodoxe Griechen 29.714 Türken 56.750 Zigeuner 6.884 Juden 1.598

Es fällt hierbei auf, daß die türkisch sprechende Gruppe eine ziemlich kleine Minder­heit war und daß alle Mohammedaner zusammen nur 26% (im Gegensatz zu den 38% der italienischen Quelle) der Bevölkerung ausmachten.41

Der österreichisch-ungarische Konsul in Saloniki, B. Para, der im Herbst 1906, in ei-

37 Pinon, a.a.O., S. 379. 38 Vgl. hierzu den Liteiaturbericht A. Popovics, „Les musulmans du Sud-Est Européen dans

la période post-ottomane", JA 263 (1975), S. 317-360. Siehe auch V. Meier, „Renaissance der bosnischen Muselmanen. Eine Volksgruppe im nationalen Hochgefühl", FAZ vom 7. Dezember 1977.

39 „Statistica della provincia (Vilayet) di Salonicco", Bollertino délia Società geografica ita-liana, Serie II, Vol. 6, Roma 1881, S. 223, abgedruckt in: N. V. Michoff, La population de la Turquie et de la Bulgarie au XVIIIe et au XIXe s., Bd. 3, Sofia 1929, S. 380.

40 Kapitän Benderev, Voennaja geografija i statistika Makedonii i sosednich s neju oblastej Balkanskago poluostrova (Die Militärgeographie und Statistik Makedoniens und der be­nachbarten Gebiete der Balkanhalbinsel], S.-Peterburg 1890, S. 610.

41 Am Rande sei erwähnt, daß eine serbische Quelle aus dem Jahre 1906 für die Stadt Seres (30-35.000 Einwohner) folgende Angaben macht: ca. 10.000 Türken, 1.000 Griechen,

10 Einleitung

ner Phase verschärfter nationalpolitischer Kämpfe, die östlichen Gegenden Makedo­niens bereist hatte, berichtete dagegen über die dortigen Bevölkerungsverhältnisse wie folgt :42

Während der aus den Bezirken Drama, Praviäta, Cavalla, Sariäaban und Rupcus bestehen­de Sandzak Drama bei einer Gesamtbevölkerung von rund 166.000 Einwohnern eine er­drückende mohammedanische Majorität von 71% besitzt,... ist das Verhältnis der Bevöl­kerung im Sandzak Seres nach Religion das folgende: von 372.300 Einwohnern entfallen auf exarchistische Bulgaren . . . 132.170 somit 35%, auf Patriarchisten einschließlich der Walachen (5589) 85.490, somit 23%, auf Mohammedaner 150.045 somit 40%; den Rest bilden Zigeuner und Israeliten.

Nach diesen Angaben des Konsuls, der sich in erster Linie für politisch relevante Ge­gebenheiten interessierte, bildeten die mohammedanischen osmanlis im Sancak Seres nicht nur politisch, sondern mit einem Anteil von 40% an der Gesamtbevölkerung auch zahlenmäßig die stärkste Gruppe.43

Bezogen auf die „drei Vilayets" waren die zahlenmäßigen Verhältnisse der milletsin Makedonien nach einer im Jahre 1904 amtlich durchgeführten Volkszählung:44

Mohammedaner 1.508.507 Exarchisten (Bulgaren) 896.497 Patriarchisten (Griechen) 307.000 Serben 100.717 Walachen 99.000

Die verhältnismäßig hohe Zahl der Mohammedaner in dieser osmanischen Statistik ist darauf zurückzuführen, daß man Albaner und Serben mohammedanischer Konfes­sion, die in den nordwestlichen Bezirken des Vilayets Kosovo lebten, sowie die mo­hammedanischen Albaner in den westlichen Gegenden des Vilayets Monastir mit ge­zählt hatte, während europäische Ethnographen diese, als Bewohner außerhalb Ma­kedoniens liegender Gebiete, in der Regel nicht mit berücksichtigten. Die restlichen Daten der Volkszählung hingegen sind den demographischen Gegebenheiten in Ma­kedonien als relativ nahekommend zu bezeichnen. Dies trifft für die Zahl der Ex­archisten, dJi. der Anhänger der bulgarisch-nationalen Partei, um so mehr zu, als in der vom Exarchat selbst aufgestellten Statistik von nur 817.000 Anhängern des Ex­archats in Makedonien die Rede ist.45

1.000 Juden, nur 10 Haushalte von Bulgaren und 20.000 Serben, die jedoch die griechi­sche Partei unterstützten. I. Ivanic, Macedonia i macedonci. Putopisne beleihe [Makedo­nien und die Makedonien Reisenotizen], Beograd 1906, S. 27.

42 Para an Aehrenthal, Salonik, 22. November 1906, Nr. 51 geheim, HHStA, PA XXXVHI/ 408.

43 Freilich erst wenn man die Patriarchisten (35 % der Bevölkerung), die aus besonderen Gründen ebenfalls für die Erhaltung der herrschenden osmanischen Ordnung eintraten, zu den Mohammedanern (40 %) hinzuzählt, gewinnt man ein richtiges Bild von den politi­schen Kräfteverhältnissen im Sancak Seres.

44 Y. H. Bayur, Turk Inkilàbi tarihi, I, 1 (Geschichte der türkischen Revolution], Ankara, 2. Aufl., 1963, S. 164.

45 Vgl. R. von Mach, The Bulgarian Exarchate: Its History and the Extent of its Authority in Turkey, London-Neuchatel 1907, S. 78-81.

Einleitung 11

Die Analyse der makedonischen Bevölkerungsverhältnisse auf der Grundlage des os-manischen mi'/fef-Systems ergibt demnach, daß die Mohammedaner, die loyal hinter dem Sultan-Kalifen standen, den zahlenmäßig größten Teil der Bevölkerung bildeten. Die christliche Bevölkerung war in zwei millets, der bulgarisch-exarchistischen und der griechisch-patriarchistischen, organisiert und daher politisch gespalten. Zur wei­teren Schwächung der politischen Positionen der Christen, insbesondere der bulga­rischen Sache, trug der Umstand bei, daß ab 1905 die Serben als gesonderte Partei immer stärker in Erscheinung traten. Diese Sachlage wird freilich von den modernen nationalen Geschichtswissenschaften der Balkanländer selten in gebührendem Maße berücksichtigt. Sie orientieren sich vielmehr an den Bedürfnissen jeweiliger nationaler Ideologiebildung. So sind die bul­garischen Historiker vorwiegend damit beschäftigt, angesichts des neuen Faktums ei­ner im Rahmen des Jugoslawischen Staatenbundes ausgebildeten makedonischen Na­tionalität zu widerlegen, daß es eine solche Nationalität gebe.46 Ihr Interesse gilt be­sonders jenen Zeugnissen, welche den seit dem Mittelalter bulgarischen Charakter Makedoniens zu belegen scheinen.47 Daß in Makedonien auch andere Völker lebten, wird dann nur am Rande, meist auf Umwegen, zugegeben/8

Für die Geschichtswissenschaftler in Griechenland erledigt sich dieses Problem schon dadurch, daß man alle nichtgriechischen Christen Makedoniens für Griechen dekla­riert, die im Verlauf der Geschichte „slawophon" geworden49 und im 19. Jahrhun­dert zum Teil unter Gewaltandrohung zum bulgarischen Exarchat übergetreten seien.50 Der Einfluß des Hellenismus auf die Historiographie ist anscheinend immer noch ungebrochen.51

46 Vgl. Bernath, „Das mazedonische Problem . . .", S. 244. 47 Typisch ist der Aufsatz von M. Vojnov, „Küm vüprosa za bulgarskata narodnost v Make-

donija" [Zur Frage der bulgarischen Nationalität in Makedonien), IP 22 (1966), 5, S. 6 1 -72. In der Einleitung zu einer Dokumentensammlung steht zu lesen: „ . . . Même au cours des premiers siècles de l'esclavage turc la population de Macédoine a été bulgare". G. D. Todorov, Nikolaï Zecev, „Documents ayant trait aux luttes des Bulgares pour une église et des écoles nationales en Macédoine vers le milieu du XIXe siècle", EH 3 (1966), S. 173. Auch in dem von der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Werk, Documents and Materials on the History of the Bulgarian People, Sofia 1969, geht es zu einem wesentlichen Teil um die Erbringung des Beweises, daß Makedonien ein bulgarisches Land sei.

48 Beispielsweise behaupten G. Georgiev und J. äopov in ihrer Arbeit über den „Ilinden"-Aufstand 1903, daß die Bulgaren, abgesehen von Altserbien, in fast allen Bezirken Make­doniens die Mehrheit gebildet hätten. Vgl. Ilindenskoto vustanie, Sofija 1969, S. 38. D. G. K'osev jedoch spricht von der Bevölkerung Makedoniens und Bulgariens, die sich, auf einem bis 1878 ungeteilten Territorium unter den gleichen ökonomischen, sozialen und politischen Bedingungen lebend, zu einer gemeinsamen bulgarischen Nation formiert habe. Istorija na makedonskoto nacionalno revoljucionno dviienie [Geschichte der makedoni­schen national-revolutionären Bewegung], Sofija 1954, S. 67.

49 „ . . . These Greeks tended to adopt the Slavonic vernacular of their illiterate neighbors." K. Kofos, Nationalism and Communism in Macedonia, Thessaloniki 1964, S. 13.

50 „La plupart des slavophones se laissèrent emporter par la propagande bulgare ou furent ob­ligés de devenir exarchistes". St. J. Papadopoulos, „Ecoles et associations grecques dans la Macédoine du Nord durant le dernier siècle de la domination turque", BS 3 (1962), S. 414.

51 Zur Inhaltsbestimmung des Hellenismus in Bezug auf Makedonien siehe D. Dakin, The Greek Struggle in Macedonia 1897-1913, Thessaloniki 1966, S. 117-118.

12 Einleitung

In der Sozialistischen Republik Makedonien schließlich befinden sich die Historiker in einer Situation, welche derjenigen ihrer Kollegen in den Ländern Afrikas und Asiens ähnlich ist.52 Die politische Führung erwartet von ihnen, daß sie den von oben be­wußt gesteuerten Prozeß der Herausbildung einer staatstragenden makedonischen Nationalität mit entsprechenden Mitteln unterstützen. Die Erbringung des geschichts­wissenschaftlichen Nachweises einer eigenen Ethnogenese wird in diesem Zusam­menhang zum Hauptziel der Forschung.53 So wird Makedonien in der Historiographie der „Skopje-Schule" als ein Gebiet dargestellt, daß schon immer von einem makedo­nischen Volk bewohnt gewesen sei, während andere Nationalitäten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts eigentlich ebenfalls als Makedonier galten, nun als zufällig ein­gewanderte Minoritäten erscheinen.54 Eine solche geschichtswissenschaftliche Orien­tierung macht es unmöglich, die Probleme der Entstehung und Entwicklung der Ma­kedonischen Frage angemessen zu behandeln.

Sprache und nationale Kultur sind nicht immer vorgegebene, sondern wie in vielen Fällen — wie am Beispiel der Makedonischen Frage noch ausführlich zu zeigen sein wird -einzelne,von politischen Kräften in der Geschichte erst zu schaffende Fakto­ren der nationalen Einheit.55 Daher erscheint die Vorstellung vom nationalen .Er­wachen" der Balkan-Völker im Osmanischen Reich - wobei diese Nationalität in ih­ren wesentlichen Merkmalen gleichsam als eine bis dahin latente Kraft vorausgesetzt wird - gerade in Bezug auf Makedonien irreführend.56 In dem in dieser Untersuchung behandelten Zeitraum ist es nicht die makedonische Bevölkerung, die aus ihrem na­tionalen Bewußtsein heraus politisch zur nationalen Selbstbestimmung drängt, son­dern es sind im Gegenteil Kräfte, die, von außen einwirkend, einander um der „rich­tigen" Formung des nationalen Bewußtseins der Makedonier willen bekämpfen.57

Vom Standpunkt der komparativen Nationalismusforschung, deren bisherige Ergeb­nisse allerdings nur bedingt auf Makedonien anwendbar sind, wird es deshalb unter anderem auch darauf ankommen müssen, den Konstruktionscharakter der makedo­nischen Nationsbildung zu zeigen.58 Dies geschieht in der vorliegenden Untersuchung insofern, als die spezifischen Entstehungs-und Existenzbedingungen des bürgerlichen

52 Daraufweist Bernath hin. Vgl. a.a.O., S. 248. 53 Zwei Ergebnisse dieser Forschung: D. Taäkovski, Radjanje makedonske nacije [Die Geburt

der makedonischen Nation], Beograd 1969, und das bereits zitierte Werk von M. Pandevski, Nacionalnoto praianfe . , . Parallel dazu sind die Philologen des Landes angehalten, eine na­tionale Schriftsprache zu schaffen und zu pflegen, welche die kulturelle Selbständigkeit der makedonischen Nation dokumentieren soll. Vgl. N. Reiter, Der Dialekt von Titov-Ve-les, Berlin 1964,8.6-7.

54 Vgl. G. Hering, „Mazedonische Geschichtswissenschaft", ÖOH 1 (1959), S. 106. 55 Vgl. U. Scheuner, „Nationalstaatsprinzip und Staatenordnung seit dem Beginn des 19. Jahr­

hunderts", in: Staatsgründungen und Nationalitätsprinzip, hrsg. v. Th. Schieder, München-Wien 1974, S. 13.

56 Vgl. Karpat, a.a.O., S. III. 57 „Nationale Selbstbestimmung erweist sich . . . als ein Willensakt, und der Nationalismus ist

vor allem eine Methode zur rechten Formung des Willens." E. Kedourie, Nationalismus, München 1971, S. 84.

58 Vgl. Bernath, a.a.O., S. 242, 248.

Einleitung 13

Bewußtseins im Osmanischen Reich herausgearbeitet und zum geschichtlichen Ver­lauf der Makedonischen Frage in Beziehung gesetzt werden. Dazu wird im ersten Ka­pitel zunächst versucht, einen Überblick über die Entwicklung der sozio-ökonomi-schen und -politischen Strukturen auf der Balkanhalbinsel unter der osmanischen Herrschaft zu geben. Das Auftauchen der Makedonischen Frage wird sodann als Folge einer für das osmanische millet -System typischen Erscheinung, der Gründung des bulgarischen Exarchats (1870), dargestellt. Das zweite Kapitel befaßt sich mit der Vorbereitungsphase des größten makedonisch-slawischen Volksaufstandes gegen die osmanische Herrschaft, das dritte mit dessen Beginn, Verlauf und Ausgang. Im vierten Kapitel schließlich werden die Fraktionskämpfe innerhalb der makedonisch­slawischen Befreiungsbewegung, die Nationalitätenkämpfe zwischen den griechi­schen, serbischen und bulgarischen Organisationen sowie die Interessenlage der Großmächte als ein Faktor für diese Entwicklung dargestellt. Die Untersuchung soll mit dem Jahr 1908, in dem in Makedonien die sogenannte Jungtürkische Revo­lution ausbrach und in deren Folge eine völlig neue politische Lage entstand, ihren Abschluß finden.

An ungedrucktem Material wurden für diese Untersuchung österreichisch-ungarische und deutsche Archivbestände herangezogen.59 Die Berichte der österreichisch-unga­rischen Konsuln sind für die Erforschung sowohl der politischen Lage als auch der sozio-ökonomlschen Verhältnisse in den Balkanländern immer noch als ergiebig zu bezeichnen. Die Doppelmonarchie war damals, neben Rußland, die an der Balkan­halbinsel meistinteressierte Macht. Deutsches Archivmaterial (hauptsächlich Botschaftsarchiv Konstantinopel) ist in der Aktengruppe, „Die Verhältnisse in Mazedonien", zusammengefaßt. Die Bände 4 2 -147 aus dieser Sammlung wurden gesichtet. Deutschland war zu Beginn des 20. Jahr­hunderts der einzige befreundete Staat für das Osmanische Reich. Der deutsche Bot­schafter in Konstantinopel, Freiherr Marschall von Bieberstein, galt im Palais des Sultans als der angesehendste Ausländer. Aus einer wohlwollenden, zuweilen an Par­teilichkeit für die reaktionäre Politik des Sultans grenzenden Einstellung gegenüber den Problemen des Osmanischen Reiches heraus, deren Motivation freilich in dem ökonomisch-politischen Interesse Deutschlands an dem unversehrten Weiterbestehen des Osmanischen Reiches zu suchen ist, gelangte der Botschafter Marschall damals intuitiv zu mancher Einsicht in die Ursachen der Makedonischen Frage, die sonst nur durch mühevollste Forschung zu erreichen ist. An entsprechender Stelle in der Ar­beit wird darauf verwiesen werden.

Es gibt eine Reihe von Quellenveröffentlichungen sowohl über die Makedonische Frage im engeren Sinne als auch über die ökonomisch-politischen Verhältnisse im

59 Der Verfasser hatte darüber hinaus Gelegenheit, Anfang 1974 Einsicht in die Bestände des Bafbakanlik Arçivi in Istanbul zu nehmen, um ergänzende Materialien für die Analyse der administrativen Dispositionen der Hohen Pforte in Bezug auf die Entwicklung der Make­donischen Frage zu erschließen. Die zur Verfügung stehende Zeit von zwei Monaten reich­te jedoch nicht aus, um die nur teilweise katalogisierten Bestände genau auszuwerten und zu endgültigen Ergebnissen zu kommen. Es erschien daher sinnvoll, aber auch sachlich ge­rechtfertigt, die Istanbuler Archivalien in der vorliegenden Untersuchung unberücksichtigt zu lassen..

14 Einleitung

Osmanischen Reich. Diejenigen, die für diese Untersuchung herangezogen wurden, sind im Literaturverzeichnis aufgeführt* Der Verfasser hatte im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien,besonders aber im Poli­tischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn, Gelegenheit, eine reiche Sammlung von Ausschnitten aus der zeitgenössischen Tagespresse zu berücksichtigen. Dadurch war es möglich geworden, über die Rezeption der makedonischen Vorgänge in der Tagespresse verschiedener europäischer Länder neue Aufschlüsse über die Aspekte der Makedonischen Frage zu gewinnen. Insbesondere waren die verschiedenen Arti­kel aus den bulgarischen, russischen und serbischen Zeitungen, die den diplomati­schen Berichten aus den betreffenden Ländern in auszugsweiser Übersetzung beila-gen, von großem Wert. Über die behandelte Epoche steht auch eine umfangreiche Memoirenliteratur zur Verfügung. An erster Stelle sind hier die Memoiren führender makedonischer Revo­lutionäre, die nach dem Ersten Weltkrieg in Sofia, und später auch in Skopje, veröf­fentlicht wurden, zu erwähnen. Es konnten u.a. die Erinnerungen von Ch. Matov, G. Petrov, Ch. Tatarôev, M. Gerdzikov und P. âatev im Original gesehen und für die Arbeit nutzbar gemacht werden. In diesem Zusammenhang kommt dem klassisch ge­wordenen Werk Siljanovs, Osvoboditelnite borbi na Makedonifa, Sofija, 2 Bde. 1933-43, besondere Bedeutung zu. Darin wird von dem bekannten bulgarisch­makedonischen Revolutionär der Versuch unternommen, eine umfassende wissen­schaftliche Darstellung der revolutionären Kämpfe in Makedonien zu geben. Auf die außerordentlich reiche Sekundärliteratur, insbesondere auf viele einschlägige Aufsätze in den Fachzeitschriften, soll hier nicht näher eingegangen werden. Sie ist an entsprechender Stelle im Text sowie im Literaturverzeichnis aufgeführt.

I. DIE ENTSTEHUNG DER MAKEDONISCHEN FRAGE

1. AGRARSTRUKTUREN AUF DER BALKANHALBINSEL UNTER OSMANISCHER HERRSCHAFT

Eine Analyse der Agrarstrukturen auf dem Balkan während der osmanischen Herr­schaft ist zum Verständnis der neueren Geschichte Makedoniens unerläßlich. In der vorliegenden Arbeit soll zuerst die Kategorie des osmanischen Fiskallandes als das vorherrschende Agrarrechtsverhältnis untersucht werden, um danach die Übergangs­formen bzw. Auflösungsprozesse zu umreißen, welche schließlich zum Privateigentum an Grund und Boden führten,

a) Das Fiskalland (arazi-i miriyyé)

Die osmanischen Türken faßten um die Mitte des 14. Jahrhunderts auf dem Balkan Fuß.1 Innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit, bis zum Ende des Jahrhunderts, gelang es ihnen, ein Großteil der Halbinsel zu besetzen bzw. zu kolonisieren.2

Die Leichtigkeit, mit der sich diese Eroberung vollzog, kann in erster Linie aus den damals herrschenden gesellschaftlich-politischen Verhältnissen heraus erklärt werden. Das agrarische Leben in diesem Raum befand sich schon seit dem 10. Jahrhundert im Verfall. Immer mehr freie Bauern sahen sich genötigt, ihre Höfe aufzugeben und als Hörige auf den Gütern mächtiger Magnaten Schutz zu suchen.3 Im Verlauf dieses Prozesses vergrößerte sich der kirchliche und weltliche Feudalbesitz,4 während an­dererseits ganze Landstriche verödeten.5 Die Wüstung sollte jedoch im Laufe des

1 Vgl. J. von Hammer, Geschichte des Osmanischen Reiches, Bd. 1, Pest 1827, S. 141. 2 Vgl. Chr. Gandev, Bülgarskata narodnost prez 15i vek. Demografsko i etnografsko izsle-

dvane [Das bulgarische Volkstum im 15. Jh. Eine demographische und ethnographische Un­tersuchung), Sofija 1972, S. 49-55. In der Ebene westlich von Thessaloniki entstand schon in den 70ei Jahren des 14. Jh. ein großes türkisches Siedlungsgebiet. Vgl. V. Demetriades, „The Tomb of Ghâzï Evrenos Bey at Yenitsa and its Inscription", BSOAS 39 (1976), S. 328-329.

3 P. Charanis, „On the Social Structure of the Later Roman Empire", Byzantion 17 (1944-45), S. 55 ff.

4 Hierzu siehe P. Charanis, „The Monastic Properties and the State in the Byzantine Empire", Dumbarton Oaks Papers 4 (1948), S. 112, und D. Angelov, Agrarnite otnoSenija v severna i sredna Makedonija prez XIV vek [Die Agrarverhältnisse in Nord- und Mittelmakedonien im 14. Jh.], Sofija 1958.

5 Vgl. P. Charanis, „Town and Country in the Byzantine Possessions of the Balkan Peninsula during the later Period of the Empire", in: Aspects of the Balkans. Continuity and Change, herausg. v. H. Birnbaum and S. Vryonis, Jr., The Hague-Paris 1972, S. 128.

16 Die Entstehung der Makedonischen Frage

14. Jahrhunderts auch die Feudalgüter erfassen. Zu Beginn des Jahrhunderts zerstör­ten die Katalanen, die man gegen die Türken zu Hilfe gerufen hatte, zahlreiche byzan­tinische Siedlungen in Thrakien und Makedonien.6 Im Verlauf des Bürgerkrieges, der im Jahre 1321 im byzantinischen Reich ausbrach, setzte sich die Zerstörung ländli­chen Besitzes fort.7 Diesem folgte der Einfall des Bulgarenherrschers Michael III. äisman in Thrakien (1324), wo er alle Siedlungen auf seinem Weg in Brand setzte.8

Ein ähnliches Schicksal erlitt 1330 Nordostmakedonien, als Michael SiSman in jenem Gebiet gegen den serbischen Zaren Uroäins Feld zog.9 Ab 1341 schließlich verbrei­tete sich eine Welle von Volksaufständen in den Städten, die sich gegen die Aristo­kratie und den Klosterbesitz richteten. So lag Thessaloniki von 1342 bis 1349 in den Händen von „Zeloten", unter deren Herrschaft der Adel dezimiert, dessen Eigentum geplündert und zerstört wurde.10 Die Bauern Thrakiens folgten im Sommer 1342 dem Beispiel des niederen Volkes der Städte und griffen die verbliebenen Landgüter der Reichen an, welche sie durchweg verbrannten. Der Rückgang der Bevölkerungszahl von Thessaloniki ist für den sozio-ökonomischen und -politischen Verfallsprozeß auf dem Balkan kennzeichnend: Im 10. Jahrhundert hatte diese Stadt rund 200.000 Ein­wohner, im Jahre 1423 dagegen ca. 40.000. Als die Osmanen im Jahre 1430 die Stadt eroberten, lebten dort nur noch 7.000 Menschen.11

Zumindest vor diesem Hintergrund bedeutet die osmanische Eroberung der Balkan­halbinsel eine konstruktive Wende der südosteuropäischen Geschichte. Die partiku­laren Gewalten der miteinander rivalisierenden Fürstenhäuser12 wichen nun der stär­keren Zentralgewalt, die bald für Öffentliche Ruhe und Ordnung sorgte. Der wichtig­ste Aspekt dieser Entwicklung muß jedoch in den Veränderungen in der Agrarver-fassung der Balkanhalbinsel gesucht werden. Im Zuge der Errichtung einer zentralistischen Herrschaft über die eroberten Gebiete, die in der Regel mit der Eintragung von Land und Leute in die Grundbücher des Rei­ches einherging,13 wurde alles Herrengut sowie der überwiegende Teil des Kirchenbe­sitzes eingezogen und als arazi-i miriyye unter das Obereigentum des Staats gestellt.

6 Siehe D. Jacoby, „Phénomènes de démographie rurale à Byzance aux XHIe, XlVe et XVe siècles", Etudes Rurales 5-6 (avril-septembre 1962), S.178, und D. M. Nicol, The Last Centuries of Byzantium 1261-1453, New York 1972, S. 140-141.

7 G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, München 1965, S. 431. 8 Vgl. A Burmov, „Istorija na Bûlgarija prez vremeto na Sïsmanovci (1323-1396 g.)" [Ge­

schichte Bulgariens in der Zeit der Siämanen, 1323-1396], GSf/43 (1946-47), S.20-21. 9 Aus Zerstörungswut fällten die Bulgaren in ihrem Durchzugsgebiet sogar die Bäume. Vgl.

ebd., S. 48-49. 10 P. Charanis, „Internal Strife at Byzantium in the Fourteenth Century", Byzantion 15

(1940-41), S. 217. Siehe auch E. Werner, „Narodnaja eres' ili dvüenie za social'no-politi-ceskie reformy? Problemy revoljucionnogo dviienija v Soluni v 1342-1349 gg." [Volks­häresie oder eine Bewegung für sozialpolitische Reformen? Probleme der revolutionären Bewegung in Thessaloniki in den Jahren 1342bis 1349], Vizantijskij Vremennik 17 (1960), S. 155-202.

11 Vgl. P. Charanis, „Internal Strife . . . ", S. 211. 12 Über den „feudalen Zerfall" des Duäan-Reiches nach 1355 etwa siehe R. Mihaljovic, Kraj

Srpskog carstva [Das Ende des serbischen Zarenreiches], Beograd 1975. 13 H. inalcik, „Ottoman Methods of Conquest", Studio Islamica 2 (1954), 103.

Agrarstrukturen unter osmanischer Herrschaft 17

Abgesehen von großen Feudalgeschlechtern, welche entweder die blutigen Kriege nicht überlebt oder ins Ausland geflohen waren, bekamen jedoch viele Angehörige des Grundadels, ohne ihren christlichen Glauben aufgeben zu müssen, Teile ihrer ehemaligen Patrimonialgüter nunmehr als osmanische Lehen (timar) zugewiesen. Wenn auch ihrer früheren grundherrlichen Prärogativen weitgehend beraubt, gehörten sie dadurch doch der Herrscherschicht (askert) des neuen Reiches an und traten -meist in der zweiten Generation - zum Islam über.14

Die hörigen Bauern der Balkanhalbinsel hingegen wurden von der osmanischen Zen­tralverwaltung den „Steuerpflichtigen" (reaya) zugeschlagen, welche sich dadurch erheblich vermehrten.15 Ihre Pflichten gegenüber dem Staat und den Lehnsträgern, aber auch ihre Rechte als Untertanen des Sultans, wurden bis in die letzten Einzelhei­ten in den Provinzialgesetzbüchern (kanunname) festgehalten. So verfügten diese reaya-Bauern, wie in der Einleitung zum Gesetzbuch von Buda (Ofen) zu lesen ist,16

über ihre Häuser, Laden, Scheunen, Weinberge, Obsthaine und sonstigen Gärten als mülk, d. h. als freies Eigentum.17 Das Ackerland jedoch wurde ihnen vom Fiskus le­diglich zur Bewirtschaftung überlassen. Die Inhaber von rYmar-Lehen, die sipahi, wachten streng darüber, daß die bäuerlichen Parzellen (çiftlik), deren Größe je nach der Beschaffenheit des Bodens zwischen 60 und 150 dönüm variierte, nicht länger als drei Jahre ununterbrochen brachlagen.18 Die Nutznießungsrechte der reaya auf

14 Grundlegende Kenntnisse über die Frage der christlichen Timarioten im Osmanischen Reich verdanken wir den Arbeiten H. Inalciks: „Timariotes chrétiens en Albanie au XVe siècle d'après un registre de timar ottoman", MOS 4 (1951), S. 118-138; „Arnavutlukta Osmanïi hâkimiyetinin yerlejmesi ve Iskender Bey isyamnin menjei" (Die Konsolidierung der osmanischen Herrschaft in Albanien und der Ursprung des Skanderbeg-Aufstandes], Fâtih ve Istanbul 1 (1953), S. 152-175; „Stefan Dujan'dan Osmanh imparatorluguna. 15. asirda Rumeli'de hiristiyan sipahiler ve men^eleri" [Von Stefan Dusan zum Osmanischen Reich. Die christlichen Sipahi im 15. Jh. in Rumelien und ihre Ursprünge], Fuad Köprülü Armagam, Istanbul 1953, S. 207-248.

15 „The reâya were, whether Muslim or Christian, the productive, tax-paying subjects of the empire, as distinct from the military class." H. Inalcik, The Ottoman Empire. The Classical Âge 1300-1600, London 1973, S. 111. Einzelne Historiker verwenden den Begriff reaya immer noch ausschließlich in Bezug auf die nichtmohammedanische Bevölkerung. Fälsch­lich werden dann die Christen als die einzige steuerpflichtige Klasse im Osmanischen Reich dargestellt. So lesen wir bei E. Lemberg: „Die christlichen Völker lebten als ,Raja\ als die Herde der Ungläubigen . . . Auf ihre religiöse und nationale Assimilierung wurde schon des­halb verzichtet, weil die Abnahme dieser einzig steuerpflichtigen Bevölkerung die wirt­schaftliche Basis des osmanischen Militärstaates geschmälert hätte." Nationalismus, I, S. 152-153. Dieselbe Auffassung vertritt Lemberg auch später, vgl. „Soziologische Theorien zum Nationalstaatsproblem", in: Sozialstruktur und Organisation europäischer National­bewegungen, hrsg. v. Th. Schieder, München -Wien 1971, S. 25.

16 Siehe Ö. L. Barkan, „Türkiye'de toprak meselesinin tarihi esaslan" (Geschichtliche Grund­lagen der Agrarfrage in der Türkei], Ülkü 11 (1938), S. 56.

17 Zur Definition von mülk siehe M. Belin, „Etude sur la propriété foncière en pays musul­mans, et spécialement en Turquie", JA 18 (1861), S. 410.

18 Vgl. Ö. L. Barkan, XV ve XVInctasirlarda Osmanh imparatortugunda ziraiekonominin hu-kukt ve mall esaslan. I. Kanunlar (Die rechtlichen und finanziellen Grundlagen der Land­wirtschaft im Osmanischen Reich im 15. und 16. Jh. I. Die Gesetze],Istanbul 1943, S. 132, 233, 286. Ein dönüm, eine traditionelle Maßeinheit, entsprach einer quadratischen Fläche von 40 Schritten Seitenlänge.

18 Die Entstehung der Makedonischen Frage

Ackerboden waren überdies nur bedingt vererblich. Die Parzelle ging zwar nach dem Tod des Bauern gewohnheitsmäßig in den Besitz seines Sohnes über - insofern kann von einem Erbrecht im Rahmen des Fiskalland-Systems gesprochen werden - , erb­berechtigt waren aber nur die Söhne; Töchter, Brüder und andere Verwandten des Verstorbenen kamen bei der Erbfolge nicht in Betracht.19 Der Bauer unterlag außer­dem einer Art Schollenbindung. Grundsätzlich galt, daß weggezogene Bauern zu ihren Dörfern zurückzubringen waren,20 es sei denn, sie entrichteten dem Lehns­träger jährlich 50 akçe als çift bozan resmi, sozusagen als Entschädigung für das Ver­lassen des Hofes.21

Eine wesentliche Verbesserung der Lage der Bauern gegenüber der vorosmanischen Zeit bestand in der Herabsetzung der Fron. Die Landfronen auf den Domänen der weltlichen und geistlichen Feudalen auf dem Balkan hatten sich gegen Mitte des 14. Jahrhunderts stark vermehrt.22 Die Bauern waren damals verpflichtet, bis zu zwei Tagen in der Woche auf dem Herrengut verschiedenartige Dienste - Pflügen, Ernten, Mähen u.a. - zu leisten.23 Im Osmanischen Reich dagegen betrug die Fronarbeit während des 15. Jahrhunderts jährlich sieben und im 16. Jahrhundert nur noch drei Tage.24

Diese Reduzierung der Fron ist damit zu erklären, daß die Osmanen die Grundrente nicht als Arbeits-, sondern überwiegend als Geld- bzw. Naturairente bezogen.25 So war die , Jochsteuer" (f ift resmi), welche der mohammedanische Bauer an den Lehns­träger entrichtete, ein Geldäquivalent für die früheren Hand- und Spanndienste.26

Ihr gewohnheitsrechtlicher Ursprung kommt auch in ihrer regional unterschiedlichen Höhe zum Ausdruck. Man zahlte auf dem Balkan 22, in der Gegend von Ankara da­gegen 37 akçe.21 Die christlichen Bauern entrichteten statt âeiçift resmi die ispence, ebenfalls ein Geldäquivalent für die Arbeitsrente, deren Höhe sich im 16. Jahrhun­dert auf 25 akçe belief.28 Noch vor çift resmi und ispence war der Zehnt, der in der

19 Vgl. Barkan, XVve XVInci asirlarda.. ., S. 294. 20 Ebd., S. 24. 21 Diese Entschädigung betrug im 15. Jh. 50, im 16. Jh. 75 akçe. Vgl. H. Inalcik, „Filäha", EP,

Bd. 2, S. 907. Um die Mitte des 16. Jh. entsprachen etwa 60akçe einem venezianischen Golddukaten. Siehe H. A. R. Gibb and H. Bowen, Islamic Society and the West. A Study of the Impact of Western Civilization on Moslem Culture in the Near East, I, 2, London 1957, S. 51.

22 Vgl. E. Werner, „Formen der Feudalrente auf dem Balkan: Makedonische Agrargeschichte und die sogenannte Krise des Feudalismus", ZfG 7 (1959), S. 342.

23 Vgl. D. Angelov, „Zur Frage des Feudalismus auf dem Balkan im XIII. bis zum XIV. Jahr­hundert", EH 1 (1960), S. 124-125.

24 Ö. L. Barkan, XV ve XVInci asirlarda ... , S. 132. Vgl. auch V. P. MutafCieva, „De l'ex­ploitation féodale dans les terres de population bulgare sous la domination turque au XV et XVI s.", S / 1(1960), S. 159.

25 Die Grundrente im Osmanischen Reich wurde im Laufe des 15. Jh. zu 60 % in Geldform bezogen. Vgl. Mutaféieva, „De l'exploitation féodale . . .", S. 158-159.

26 Vgl. H. Inalcik, „Osmanlüarda raiyyet rüsumu" [Die raiyyet-Steuern bei den Osmanen], Bel­leten 23 (1959), S. 581.

27 Vgl. ebd., S. 584. 28 Vgl. ebd., S. 603-604. Ergänzend dazu siehe D. Boyanic-Lukaü, „De la nature et de l'ori­

gine de l'ispendje", Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 68 (1976), S. 9-30.

Agrarstrukturen unter osmanischer Herrschaft 19

Regel in Naturalien geliefert wurde, die wichtigste Einnahmequelle für die Lehnsträ­ger.29 Gleichzeitig mit dem Zehnten wurde der „Fürstenteil", 3% des Bodenertrages, abgezogen.30 Damit sind jedoch nicht alle Steuern aufgezählt, welche die reaya-Bauern an die Lehnsträger zahlten. Weitere Steuern, etwa die auf Kleinvieh, Bienen­stöcke und Schweine, kamen hinzu. Die Steuern, die direkt der Staatskasse zuflössen, waren die Kopfsteuer (cizye) und die „außerordentlichen Steuern" (avanz-i divaniyye). Dem Beispiel des zweiten Ka­lifen Omar folgend, belegten die Osmanen die nichtmohammedanischen reaya mit einer Kopfsteuer.31 Körperlich und geistig gesunde Männer zwischen dem 15. und 75. Lebensjahr mußten, je nach ihrer ökonomischen Lage jährlich das Geldäquiva­lent von 12, 24 oder 48 dirhem Silber (ein dirhem = 3,2g) entrichten.32

In besonderen Zeiten, wie z.B. bei Kriegen, erhob der osmanische Staat „außeror­dentliche Steuern".33 Alle Männer, die Ackerland oder ein Haus besaßen, waren steu­erpflichtig. Als Steuereinheit bildete man nominelle „Steuerhaushalte" (avariz harte-/en), die beispielsweise aus 3,5,10 oder 15 Männern bestanden. Die Auflagen erstreck­ten sich von der Strohlieferung für die Kavallerie bis zum Galeerendienst in der Flot­te. Die letztere Verpflichtung verwandelte man früh in eine Geldleistung, die avariz akçesi.M Auch andere Auflagen, so z.B. niizül (eine außerordentliche Getreideabga­be für den Heeresbedarf), wurden oft in Form von Geldzahlungen erfüllt;35 denn Naturallieferungen über große Entfernungen waren wegen Transportschwierigkeiten nur begrenzt möglich.36 Diese außerordentlichen Verpflichtungen entwickelten sich mit der Zeit zu ordentlichen Steuern und stellten im 17. und 18. Jahrhundert die größte Belastung für die reaya dar.

Zwischen der steuerfreien Herrscherschicht und den steuerpflichtigen Bauern gab es im Osmanischen Reich noch die Bevölkerungskategorie der muaf reaya.31 Falkner, Bergleute, Reisbauern, Pferdehändler, Bewohner von Dörfern bei Gebirgspässen, Hersteller von Materialien wie Teer, Schmierfetten und Schießpulver, Salinenarbeiter, Bootsmänner, Brückenbauer und ähnliche Berufsgruppen waren aufgrund ihrer ge­sellschaftlich besonders wichtigen Dienste von Steuern und Abgaben teilweise oder

29 Vgl. L. Gücer, XVI-XVII. asirlarda Osmanh Imparatorlugunda hububat meselesi ve hubu-battan alinan vergiler (Das Getreideproblem und die Getreidesteuern im Osmanischen Reich im 16. bis 17. Jh.], Istanbul 1964, S. 51-66.

30 Vgl. M. Z. Pakalin, Osmanh tarih deyimleri ve terimleri sözlügü [Das Lexikon der osmani­schen Geschichtsausdrücke und-begriffe ], Bd. 3, istanbul, 2. Aufl. 1972, S. 101-102.

31 „Durch die Entrichtung der Kopf- und Grundsteuer entgeht der Schutzbefohlene dem Tod und der formellen Sklaverei.. . und es ist ihm gestattet, seine Religion auszuüben." G. He­ring, „Das islamische Recht und die Investitur des Gennadios Scholarios (1454)", BS 2 (1961), S. 235.

32 Vgl. B. C. Nedkoff, „Osmanh imparatorlugunda cizye (basvergisi)" [Die Kopfsteuer im Os­manischen Reich), Belleten 8 (1944), S. 621. Die Untersuchung von H. Hadiibegic, Gla-varina u Osmanskoj driavi, Sarajevo 1966, war mir nicht zugänglich.

33 Siehe 0. L. Barkan, „Avariz",M, Bd. 2,S. 13-19. 34 Siehe ebd., S. 17. 35 Vgl. Gücer, a.a.O., S. 81-82. 36 Zum Transportproblem vgl. ebd., S. 28-36. 37 Vgl. Inalcik, „Osmanlüarda raiyyet. . .", S. 598.

20 Die Entstehung der Makedonischen Frage

gänzlich freigestellt.38 Die walachischen voynuk-Döifer zum Beispiel, die zu Kriegs­zeiten spezielle Hilfstruppen und im Frieden eine bestimmte Anzahl von Männern zum berittenen Patrouillendienst enüang wichtiger Verkehrswege zu stellen hatten, entrichteten weder die außerordentlichen noch die übrigen Steuern und Abgaben, sondern eine Geldsumme von 75 akçe pro Haushalt und Jahr, die wesentlich niedri­ger als die Summe der üblichen razya-Lasten war.39 Einen vergleichbaren Status er­hielt 1521 die gesamte Bevölkerung Montenegros. Sie zahlte fortan als Steuer pro Haushalt und Jahr nur 55 akçe.'*0

Die agrar- und steuerrechtlichen Verhältnisse während der „klassischen" Periode des Osmanischen Reiches, die oben in ihren Grundzügen dargestellt wurden, waren im Vergleich zu den Verhältnissen in den benachbarten europäischen Ländern offenbar besser.41 So wissen wir, daß Tausende von kroatischen Bauern in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in das osmanische Territorium flüchteten.42 War die Sorge os-manischer Herrscher um das Wohlergehen der reaya auch darin begründet, daß es auf dem Balkan nicht so sehr an geeignetem Ackerboden als an landwirtschaftlichen Pro­duzenten mangelte,43 so darf der Zusammenhang mit den inneren Machtstrukturen

38 Eine Aufstellung der wiua/-Gruppen findet sich bei V. P. Mutafêieva, „Kategoriite feodalno zavisimo naselenie v naSite zemi pod turska vlast prez XV-XVI v." [Die Kategorien der feudal-abhängigen Bevölkerung in unseren Ländern unter türkischer Herrschaft im 15.-16. Jh.l, 7/7 BAN 9 (1960), S. 80. Die Haushalte der muaf reaya machten auf dem rechten Flügel Rumeliens 12,9 % und im Vilayet Anadolu 14,3 % aller Haushalte aus. Vgl. Ö. L. Barkan, „Osmanh imparatorlugunda çiftçi siniflarin hukuki statüsü" [Der Rechtsstatus der bäuerlichen Klassen im Osmanischen Reich], Ülkü 9 (1937), S. 103, Anm. 1.

39 Vgl. N. Beldiceanu, „Sur les Valaques des Balkans slaves à l'époque ottomane (1450-1550)", REI 34 (1966), S. 96-97, und ders., „Les Valaques de Bosnie à la fin du XVe siècle et leurs institutions", Turcica^ 1 (1975), S. 122-134.

40 Vgl. B. Djurdjev, Turska vlast u Crnoj Gori u XVI i XVII veku [Die türkische Herrschaft in Montenegro im 16. und 17. Jh.], Sarajevo 1953, S. 38. Zur Bedeutung des neuen Status der montenegrinischen Bevölkerung ab 1521 siehe B. Djurdjev und L. Hadiiosmanovic, Dva deftera Crne Gore ii vremena Skender-Bega Crnojevica [Zwei Register von Montene­gro aus der Zeit von Skender Beg Crnojevic], Bd. 1, Sarajevo 1968, S. 60-66.

41 Die Tatsache, dafi der christliche Bauer im 16. Jh. im Osmanischen Reich unter besseren materiellen Bedingungen lebte als in den benachbarten europäischen Ländern, wird von der marxistischen Geschichtswissenschaft dadurch erklärt, daß der osmanische Feudalis­mus vergleichsweise auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe gestanden habe als der euro­päische und daher auch die feudale Ausbeutung entsprechend weniger intensiv gewesen sei. Siehe hierzu W. J. Vucinich, „The Yugoslav Lands in the Ottoman Period: Postwar Marxist Interpretations of Indigenous and Ottoman Institutions", JMH 27 (1955), S. 287-305. Gy. Kâldy-Nagy schreibt: „The timar-system, which in particular did not allow of owner­ship of land, maintained both economic and social development, as late as the 17th cen­tury, at the stage of early feudalism, not only in Hungary, but in the whole territory under Turkish rule." Siehe „The Effect of the Timar-System on Agricultural Production in Hun­gary", in: Studio Turcica, Budapest 1971, S. 248.

42 Vgl. N. Filipovic, Pogled na osmanski feudalizam (s posebnim obzirom na agrame odnesej [Ein Überblick über den osmanischen Feudalismus (mit besonderer Berücksichtigung der Agrarverhältnisse)], Sarajevo 1952, S. 67-68.

43 So erließen die Osmanen häufig Steuerfreiheiten, um die Ansiedlung von Bauern in veröde­ten Gegenden voranzutreiben. Vgl. Ö. L. Barkan, „Osmanh imparatorlugunda bir iskân ve kolonizasyon metodu olarak vakiflar ve temlikler" [Stiftungen und Übereignungen als An-

Agrarstrukturen unter osmanischer Herrschaft 21

des Reiches doch nicht übersehen werden: Die Zentralgewalt brauchte eine relativ unabhängige Bauernschaft, um die Herausbildung lokaler Gewalten von vornherein zu erschweren. Ein Überblick über die Entwicklung des osmanischen Lehnswesens bestätigt diese These. Die Oberschicht verstand sich anfänglich als Verteidiger des Glaubens igazi) und gründete ihre ökonomische Existenz hauptsächlich auf Kriegsbeute.44 Die Füh­rer der Eroberungszüge auf dem Balkan im 14. Jahrhundert waren Führer von gazi-Verbänden. Dank ihrer militärischen Erfolge erlangten sie großen politischen Einfluß, was sich bei der Neugestaltung der Besitzverhältnisse auf der Balkanhalbinsel bemerk­bar machte. Der Staat überließ ihnen die Einkünfte ausgedehnter Gebiete als erbli­chen Besitz (gazi-miMc).*5 Diese gaz/-Geschlechter bildeten zusammen mit den ana-tolischen Fürstenhäusern46 den osmanischen „Hochadel".

Eine Feudalaristokratie, vergleichbar dem europäischen Vorbild, konnte sich im Os­manischen Reich indessen nicht etablieren. Aus den gesellschaftlich-politischen Un­ruhen, welche nach der gegen Timur verlorenen Schlacht von Ankara (1402) für etwa zwei Jahrzehnte Anatolien und den Balkan erschütterten und in denen starke feuda­le Interessen zuweilen gemeinsam mit nomadisch-antifeudalen Kräften in Volksauf­ständen gegen den Staat in Erscheinung traten,47 ging die Zentralregierung als Sieger hervor. Besonders Sultan Mehmed II. (1451-1481) war darauf bedacht, die Macht­stellung des Herrscherhauses gegenüber anderen „staatstragenden" Gruppen auszu­bauen.48 In seine Regierungszeit fällt der eigentliche politische Aufstieg der Palast­bürokratie,49 deren Anfänge in die Zeit Murads I. (1359-1389) zurückreichen: Da­mals hatte man begonnen, ausgesuchte Christenkinder und Kriegsgefangene für den Verwaltungsdienst bei der Pforte bzw. für das Gardekorps ausbilden zu lassen.Sü Die auf diese Weise entstandene und direkt dem Sultan unterstellte „neue Truppe" (ye-niçeri, Janitscharen) zählte zu Beginn des 15. Jahrhunderts bereits 7.000Mann.51 Pa-

siedlungs- und Kolonisierungsmethode im Osmanischen Reich], Vakiflar Dergisi 2 (1942), S. 355-356, 360-361.

44 Vgl. P. Wittek, The Rise of the Ottoman Empire, London, Repr. 1958, S. 17. 45 Das Geschlecht von Evrenos beispielsweise erhielt im Jahre 1386 ein gut Teil Südmakedo­

niens. Vgl. E. Werner, Die Geburt einer Großmacht. Die Osmanen (1300-1481), Wien-Köln-Graz 1971, S. 155-156.

46 Diese Fürstenhäuser (beylik), deren Gebiete im 14. und 15. Jh. zum Teil auf dem Wege des friedlichen Ausgleiches von den Osmanen annektiert wurden, durften ihre Besitzungen be­halten. Sie übten dementsprechend bis etwa 1453 politischen Einfluß im Staate aus. Vgl. hierzu M. Akdag, Türkiye'nin iktisadi ve içtimaî tarihi [Die sozio-ökonomische Geschich­te der Türkei], Bd. 1, Istanbul 1974, S. 285-312.

47 Vgl. E. Werner, Die Geburt einer Großmacht, S. 180-213, und inalcik, The Ottoman Em­pire. The Classical Age, S. 17-22.

48 Siehe B. Cvetkova, „Sur certaines réformes du régime foncier au temps de Mehmet II", JESHO 6 (1963), S. 104-120.

49 F. Babinger, Mehmed der Eroberer und seine Zeit, München 1953, S. 108. 50 Zum Fragenkomplex „Knabenlese" (devsirme) vgl. L H. Uzunçarsili, Osmanh devleti teski-

lâtmdan kapukulu ocaklan [Die Organisation der Einheiten der Pfortensklaven im Osmani­schen Reich], Bd. 1, Ankara 1943, S. 13-30, und B. D. Papoulia, Ursprung und Wesen der „Knabenlese" im Osmanischen Reich, München 1963.

51 Vgl. Inalcik, The Ottoman Empire. The Classical Age, S. 18-19.

22 Die Entstehung der Makedonischen Frage

rallel dazu gelangten viele Renegaten zu den höchsten Ämtern im Staat.52 Diese, ih­rem Heimatboden entwurzelte Elite war begreiflicherweise dem Sultan treu ergeben. Als kapikulu, „Sklaven der Pforte", mußte sie in ihrem eigenen Interesse als Verfech­ter des Zentralismus auftreten.53

Unter solchen Umständen nahm die osmanische Agrarverfassung die Züge eines Lehns­wesens mit militärisch-verwaltungstechnischer Prägung an. Aufgrund der Tatsache, daß der Staat Obereigentümer des Bodens war, fiel der überwiegende Teil der Grundrente in Form von Steuern dem Fiskus zu.54 Aus diesem Fonds wurden die Amtsträger entlohnt, indem man sie belehnte, d.h., sie erhielten das Recht, einen Teil der Steuern bestimmter Gebiete einzuziehen. Die Lehen waren grundsätzlich nicht erblich. Die Inhaber übten über die reaya keine Gerichtsbarkeit aus. In allen Rechtsangelegenheiten, einschließlich derjenigen im militärischen Bereich, entschied allein der örtliche Kadi, der direkt vom Sultan ernannt wurde.55 Ein System persön­licher Beziehungen, das etwa der romanisch-germanischen Vasallität entsprochen hätte, konnte sich im Rahmen des osmanischen Lehnswesens nicht herausbilden. Je nach der Höhe der jährlichen Einkünfte unterteilte man die Lehen in has, zeamet und timar.56 Als /ws-Besitzer kamen nur Wesire, beylerbey, sancakbey und sonstige hohe Würdenträger in Betracht.57 Die Verfügung über ein fazs-Lehen war mit der Pflicht verbunden, für je einen bestimmten Teil der Einkünfte einen Krieger zu stel­len. Dieser militärische Charakter des Systems tritt bei Trägern kleinerer zeamet- und timar-Léhen noch stärker hervor* So hießen die r/mar-Inhaber sipahi, „Reiter", die in Friedenszeiten auf ihren Lehensgütern lebten, im Kriege jedoch persönlich zu die­nen hatten. Sie konnten ihre kärglichen Einkünfte allenfalls durch Kriegsbeute auf­bessern.

Außerhalb des staatlichen Dienstlandes, das an Angehörige des Kriegerstandes und an Amtsträger verliehen wurde, gab es noch miilk- und wzfci/-Besitzungen, die etwa ein Drittel des eroberten Landes auf dem Balkan ausmachten.58 Zusätzlich zu den bereits erwähnten gazi-mülk entstanden „private" Güter vor allem dadurch, daß die

52 Von den 47 Personen, die zwischen 1453 und 1623 das Amt des Großwesirs bekleideten, waren beispielsweise nur fünf in ethnischem Sinne Türken. Die anderen waren: elf albani­scher, elf slawischer, sechs griechischer, ein tscherkessischer, ein armenischer, ein georgi­scher, ein italienischer und zehn unbekannter Abstammung. Siehe L. S. Stavrianos, The Balkans since 1453, New York 1963, S. 85.

53 Vgl. hierzu die Ausführungen K. A. Wittfogels, Die Orientalische Despotie, Frankfurt/M. 1977, S. 446-449.

54 Nach Marx fallen die Grundrente und die Steuern zusammen, wenn der Staat der Eigentü­mer des Bodens ist. Siehe Das Kapital, Bd. 3, Berlin 1964, S. 799.

55 Vgl. Inalcik, „Ottoman Methods of Conquest", S. 108. 56 J. Deny, „Timar", Enzyklopaedie des Islam, Bd. 4, Leiden 1934,S. 830-840. Neuere über­

sichtliche Darstellungen finden sich bei S. Yerasimos, Azgelismislik sürecinde Türkiye [Tur­quie: Le processus d'un sous-développement, Diss. Paris], Bd. L Istanbul 1974, S. 239-248; Akdag, TUrkiye'nin iktisadtve içtimattarihi, Bd. 2, S. 114-119.

57 Der Sultan war der größte Aas-Besitzer, M. T. Gökbügin, XV-XVI. asirlarda Edirne ve Pasa Livasi. Vakiflar - MiÜkler - Mukataalar [Adrianopel und der Pascha-Sancak im 15. und 16. Jh. Fromme Stiftungen - Freier Grundbesitz - Steuerverpachtungen], Istanbul 1952, S.65.

58 V. Mutaföieva, Agrarnite otnoienija v Osmanskata imperija prez XV-XVI v. [Die Agrarver­hältnisse im Osmanischen Reich im 15.-16. Jh.], Sofija 1962, S. 109.

Agrarstrukturen unter osmanischer Herrschaft 23

Herrscher des Reiches ihre Verwandten, Freunde und Sklaven oft mit Land beschenk­ten.59 Diese übereigneten Ländereien wurden dann gewöhnlich in religiöse Stiftungs­güter (yakif) umgewandelt und somit von der lehnsrechtlichen Ordnung für das staat­liche Dienstland ausgenommen. Auf diese Weise war es für Angehörige der Ober­schicht möglich, persönlich erworbene Reichtümer für ihre Nachkommen zu sichern, da diesen auch im Rahmen der Stiftung Mindesteinkünfte aus den verschiedenen Verwaltungspositionen verblieben.60

Die mülk- und vafo/-Besitzungen wurden, wie auch gewisse Aas-Lehen, zumeist als fiskalische Einheiten (mukataa) nach dem //r/zam-System, einer Art Steuerpacht, be­wirtschaftet.61 Das iltizam wurde in der Regel für drei Jahre erteilt. Der Fiskus be­hielt sich dabei das Recht vor, den Pachtvertrag jederzeit zu kündigen und die muka­taa einem anderen Interessenten in iltizam zu geben, falls ein solcher die Eintreibung einer größeren Summe versprach.62 Den Steuerpächtern ging es gewiß in erster Linie um hohe Gewinne, weniger um das Wohlergehen der Bauern. Solange die zentralen Kontrollmechanismen des Staates funktionierten, wie es bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts der Fall gewesen zu sein scheint,blieben allzu negative Auswirkun­gen dieses Systems freilich aus. Auf lange Sicht jedoch sollte sich die Steuerpacht als die Ursache vieler Mißstände in der osmanischen Gesellschaft erweisen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß im Osmanischen Reich aufgrund des staatlichen Obereigentums an allem Grund und Boden zwar normalerweise kein pri­vater Bodenbesitz hätte entstehen dürfen, daß dieses Obereigentumsrecht des Staa­tes aber andererseits durch Errichtung religiöser Stiftungen zumindest teilweise um­gangen wurde. Die Einkünfte ausgedehnter mülk- und vafa/-Ländereien dienten im 15. und 16. Jahrhundert dem privaten Gebrauch einer Gesellschaftsgruppe, die, ob­wohl keinesfalls im verfassungsrechtlichen Sinne einen Adelsstand, so doch in Wirk­lichkeit eine Adelsschicht ohne Titel bildete.

59 Besonders während der Streitigkeiten über die Thronfolge, die von der Gefangennahme Beyazids I. durch Timur im Jahre 1402 bis zur Thronbesteigung Mehmeds I. im Jahre 1413 andauerten, vermehrte sich die Zahl der Großgrundbesitzer auf dem Balkan, weil die Sultanssöhne ihre Anhänger großzügig mit Land beschenkten. Vgl. Gökbilgin, a.a.O., S. 198.

60 Immer wenn die Zentralgewalt stark genug war, wurde freilich sogar der vakif-Besitz ange­tastet. So konfiszierte der Staat im Jahre 1470 20.000 wzA:i/~Dörfer im ganzen Reich und deklarierte sie kurzerhand zum mirt, wodurch der Anteil des Dienstlandes sich erheblich ver­größerte (87 % der Gesamtfläche im Jahre 1528). Vgl. H. inalcik, The Ottoman Empire. The Classical Age, S. 109-110.

61 Siehe hierzu B. Cvetkova, „Recherches sur le système d'affermage (Iltizam) dans l'Empire Ottoman au cours du XVIe-XVIIIe s. par rapport aux contrées Bulgares", Rocznik Orien-talistyczny 27 (1964), 2, S. 111-132.

62 L. Fekete und Gy. Kâldy-Nagy, Rechnungsbücher türkischer Finanzstellen in Buda (Ofen) 1550-1580), Budapest 1962, S. 759.

24 Oie Entstehung der Makedonischen Frage

b) Die Privatisierung der ra/rf-Ländereien: die Entstehung des çiftlik als eine neue Grundbesitzkategorie

Die relativ stabile Periode des osmanischen Agrarsystems war von kurzer Dauer.63

Unter veränderten politisch-militärischen und gesellschaftlich-ökonomischen Bedin-dungen begann das Militärlehnswesen schon im 16. Jahrhundert zu verfallen. Im fol­genden soll versucht werden, die wichtigen Phasen und Aspekte dieses Prozesses her­auszuarbeiten. Die militärische Macht der Osmanen war bereits gegen Ende des 16. Jahrhunderts er­schüttert. In den langwierigen Kriegen zuerst mit dem safawidischen Persien im Osten (1578—1590) und dann mit den österreichischen Habsburgern im Westen (1593— 1606) schwand allmählich die Siegeszuversicht des osmanischen Heeres.64 Die zu Pferde kämpfenden sipahis zeigten sich besonders der mit Musketen bewaffneten Infanterie der Österreicher nicht gewachsen.65 Sie blieben in immer größeren Zah­len den gefährlich gewordenen Fronten fern,66 zumal kaum mehr Kriegsbeute anfiel, und zogen plündernd durch ihr eigenes Territorium.67 Der Staat sah sich genötigt, die Zahl der zuverlässigeren Fußtruppen, der Janitscharen, von nun an ständig zu er­höhen.68 Parallel dazu wurden manche sipahi-Lehen vom Fiskus eingezogen und den Meistbietenden verpachtet. Andere gerieten unter die Verfügungsgewalt des höheren Militärs oder in den Besitz nichtkämpfender Günstlinge der Oberschicht.69 Nur we­nige Lehen sollten als Überbleibsel einer vergangenen Epoche bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts hinein bestehen.

63 Nach M. Akdag dauerte diese Periode von 1452 bis 1512. Vgl. Celätt isyanlan, I550-J60J [Die „celâlî-Aufstände, 1550-1603), Ankara 1963, S. 69.

64 Zu diesen Kriegen siehe C. M. Kortepeter, Ottoman Imperialism During the Reformation: Europe and the Caucasus, London, New York 1973, Kap. Ill, VII, VIII. Siehe außerdem B. Kütükoglu, „Les relations entre l'Empire ottoman et l'Iran dans la seconde moitié du XVIe siècle", Turcica 6 (1975), S. 128-145.

65 Die taktischen und waffentechnischen Schwächen des osmanischen Heeres werden erörtert bei N. Berkes, Türkiye'de çagdaslasma [Die Entwicklung des Säkularismus in der Türkei], Ankara 1973, S. 65-78.

66 Ein Namensappell während des Feldzuges im Jahre 1014 A. H. (1605-1606) in Ungarn er­gab, daß nur 5746 sipahis anwesend waren. Am Feldzug des Jahres 1016 (1607-1608) nahmen lediglich 2894 sipahis teil. Siehe V. P. Mutaföieva, S. A. Diroitrov, Sur l'état du système des timars des XVIIe-XVIIIe ss., Sofia 1968, S. 21 ff. Nach Schätzung Ö. L. Bar-kans waren zu Beginn des 16. Jh. allein auf dem Balkan südlich der Linie Donau-Sava rund 40.000 sipahh registriert. Vgl. „Essai sur les données statistiques des registres de recense­ment dans l'Empire Ottoman aux XVe et XVIe siècles", JESHO 1 (1957), S. 33.

67 Siehe Akdag, Celait isyanlan, S. 130 ff. 68 Die Janitscharen zählten:

im Jahre 1527/28 7.886 Mann im Jahre 1567/68 12.798 Mann im Jahre 1582/83 18.905 Mann im Jahre 1669/70 53.449 Mann Vgl. Barkan, „XVI. asrin ikincj yarisinda Türkiye'de fiyat hareketleri" [Preisschwankungen in der Türkei in der zweiten Hälfte des 16. Jh.], Belleten 34 (1970), S. 603.

69 Vgl. E. Werner, „Despotie, Absolutismus oder feudale Zersplitterung? Strukturwandlungen im Osmanenreich zwischen 1566 und 1699", Jb. f. Wirtschaftsgeschichte, 1972, 3, S. 111-112.

Agrarstrukturen unter osmanischer Herrschaft 25

Dieser Verfall der timar-Lehen kann jedoch nicht allein auf militärische Ursachen zu­rückgeführt werden. Vielmehr ist er gleichzeitig in Verbindung mit Strukturverände­rungen im sozio-ökonomischen Bereich zu sehen. In diesem Zusammenhang gewin­nen die Anfänge einer marktorientierten Landwirtschaft im 16. Jahrhundert in stadt­nahen oder verkehrsgünstigen Gebieten des Reiches große Bedeutung. Neben der Deckung des Lebensmittelbedarfs der Städte spielte dabei die Getreideausfuhr, die in den Jahren der italienischen Mißernten von 1548—52, 1554—56 und 1560—61 ih­ren Höhepunkt erreichte, eine besondere Rolle.70 Italienische Handelsrepubliken, die auf Weizenlieferungen aus Makedonien, den Donauländern und der Krim ange­wiesen waren, überboten illegal die durch staatliche Reglementierung niedrig gehal­tenen Getreideeinkaufspreise im Osmanischen Reich und kauften den Weizenüber­schuß der Küstengebiete auf.71 An diesem Geschäft, das wegen häufiger Getreide­ausfuhrverbote meist als Konterbande abgewickelt wurde, verdienten neben has-ln-habern und mü/fc-Besitzern auch neue Gesellschaftsgruppen in der Provinz — Guts­verwalter, Steuerpächter, Geldverleiher, Kaufleute u.a. — mit.72 Diese erkannten im landwirtschaftlich verwertbaren Boden das wichtigste Produktionsmittel und gleich­zeitig ein Handelskapital, dessen Konzentration in ihrer Hand sie nunmehr anstreb­ten.

Historiker, die die einschlägigen Quellen untersucht haben, stellen denn auch einen regen An- und Verkauf des Agrarlandes ab dem 16. Jahrhundert fest.73 Neben dem freien mülk-Besitz war weiterer verkäuflicher Boden dadurch gegeben, daß unterneh­mungslustige Personen Neuland in öden Gegenden erschlossen hatten, worüber sie nun als Privatbesitz verfügten.74 Auf dem staatlichen, jedoch außerhalb der timar-Lehen liegenden Boden entstanden auf ähnliche Weise Schaf- und Viehzuchtfarmen, Bienenstände, neue Wassermühlen usw., die geeignet waren, bei passender Gelegen-

70 Über die Bedeutung des osmanischen Getreides für die Versorgung Italiens zu jener Zeit siehe M. Aymard, Venise, Raguseet la commerce du blé pendant la seconde moitié du XVIe siècle, Paris 1966, S. 125-140.

71 Akdag, Celait isyanlan, S. 48; H. inalcik, „Capital Formation in the Ottoman Empire", JEU 29 (1969), S. 119. L. Berov weist allerdings darauf hin, daß die vom Balkangebiet auf dem Seewege nach Italien, später auch nach Südfrankreich und Spanien ausgeführte Menge Wei­zen im 15.-17. Jh. jährlich 1.000 Tonnen kaum überstieg - also schätzungsweise ein Tau­sendstel der Gesamternte der Halbinsel. Vgl. Dviienieto na cenite na Balkanite prez XVI-XIX v. i evropejskata revoljucija na cenite [Die Preisschwankungen auf dem Balkan im 16.-19. Jh. und die Revolution der Preise in Europa], Sofija 1976, S. 69. Zur Reglemen­tierung der Nahrungsmittelpreise im Osmanischen Reich siehe Pakalin, Osmanli tarih deyim-leri. . . , Bd. 2, S. 654-657, und N. Todorov, Balkankijat grad XVXIX vek [Die Balkan-Stadt, 15.-19. Jh.], Sofija 1972, S. 99 ff.

72 Vgl. Akdag, Celait isyanlan, S. 51-57. 73 Vgl. Akdag, Celait isyanlan, S. 40-43. Siehe außerdem Ch. Gandev, Zarazdane na kapitali-

stiSeski otnoSenija v öifliSkoto stopanstvo na severozapadna Bülgarija prez XVIII v, [Ent­stehung der kapitalistischen Verhältnisse in der çi/f/i'A-Wirtschaft Nordwestbulgariens im 18. Jh.], Sofija 1962, S. 16-17, und Ch. Christov, Agrarnite otnoSenija vMakedonifa prez XIX i nacaloto na XX v. [Die Agrarverhältnisse in Makedonien im 19. und zu Beginn des 20. Jh.], Sofija 1964, S. 30.

74 Beispielsweise lag das Gutsdorf Rajanovci bei Vidin auf einem erst im 16. Jh. erschlossenen Überschwemmungsgebiet der Donau. Siehe Gandev, Zaraïdane . . . , S. 38.

26 Die Entstehung der Makedonischen Frage

heit zu größeren Landgütern erweitert zu werden.75 Die gegen Ende des 16. Jahrhun­derts einsetzende Landflucht der Bauern lieferte dann einerseits die notwendige Arbeitskraft für diese Güter und trug andererseits zur weiteren Vermehrung des Pri­vatbesitzes unmittelbar bei. Die sich in jenem Jahrhundert verschärfende Liquiditäts­krise hatte nämlich die Bauern besonders hart getroffen.76 Um ihren Steuerverpflich­tungen nachkommen zu können, waren sie gezwungen, zu Wucherzinsen von bis zu 60% Geld zu leihen.77 Viele mußten daher ihre Häuser, Gärten und Felder verpfänden, oder sie verkauften ihre Ernte noch vor der Erntezeit und mußten dann im Winter den selbst produzierten Weizen teuer zurückkaufen.78 Unzählige Bauern wurden da­durch ruiniert. Die bäuerlichen Parzellen wurden vielerorts von den Angehörigen so­zial mächtigerer Gruppen in Weiden für Schafsherden verwandelt.79 Die Versuche der Zentralregierung, den Wucher und die daraus entstehende Landflucht per Dekret zu unterbinden, waren vergeblich.80 Der Begriff çiftlik begann damals seine ur­sprüngliche Bedeutung: eine reoya-Parzelle von 60-150 donüm,81 zu verlieren und wurde mehr und mehr zur Bezeichnung der primär für den Markt produzierenden Privatgüter. Als eine neue Besitzkategorie, zunächst auf dem unbebauten Fiskalland verbreitet, drang der çiftlik auf dem Wege des formal rechtmäßigen Erwerbs bäuer­lichen Besitzes durch Landwirte des neuen Typs bald auch in die Dörfer hinein.82

Landlos gewordene Bauern suchten als Teilpächter auf den neuen çiftliks Arbeit und sozialen Schutz. Wir stehen damit am Anfang eines Strukturwandels im gesell­schaftlich-ökonomischen Bereich, dessen Folgen in ilirer tatsächlichen Bedeutung erst im 18. und 19. Jahrhundert sichtbar werden sollten.

Die Zentralregierung unterlag genauso wie die Bauern den Zwängen der Geldknapp­heit. Die Lösung der finanziellen Probleme wurde durch den praktisch ununterbro­chenen Kriegszustand im 16. Jahrhundert noch zusätzlich erschwert. Man suchte ei-

75 Siehe Gandev, Zarazdane . . . , S. 31-36. Vgl. auch H. inalcik, „The Ottoman Decline and its Effects upon the Reaya", in: Aspects of the Balkans. Continuity and Change, hrsg. v. H. Birnbaum, S. Vryonis, Jr., The Hague-Paris 1972, S. 350 f.

76 Der Wirtschaft des gesamten Mittelmeerraumes waren im 16. Jh. durch Geldknappheit Schranken gesetzt. Vgl. F. Braudel, La Méditerranée et le monde méditerranéen à l'époque de Philippe II, 2. Ausg., Paris 1966, Bd. 1, S. 411-413.

77 Zur Problematik des Geldverleihs siehe Akdag, Türkiye'nin iktisadt ve içtimal tarihi, Bd. 2, S. 249-259.

78 Akdag, Celàli isyanlan, S. 37-39. 79 H. Inalcik, „Filaha", S. 907 f. 80 Vgl. den Fermanvom 9. Zilkade 979 (1572) an alle sancakbeys und Kadis auf dem Balkan,

Akdag, Celait isyanlan, S. 38. 81 Über den reaya-çiftlik siehe Barkan, „Çiftlik", JA, Bd. 3, S. 392 ff. 82 Die ersten çiftliks entstanden duchweg auf legalem Wege. Vgl. D. Pop-Georgiev, Sopstve-

nosta vrz iiflicite i cifligarskite agrarnopravni odnosi vo Makedonija do Balkanskata vojna 1912 [Der pf/f/i'fc-Besitz und die agrarrechtlichen Beziehungen auf den çiftliks in Makedo­nien bis zum Balkankrieg 1912], Skopje 1956, S. 65. Ch. Christov ist dagegen der Meinung, daß der weitaus größte Teil des ci/f/iAr-Besitzes auf dem gewaltsam angeeigneten Bauern­land entstanden sei. Vgl. Agramite otnosenija v Makedonija . . . , S, 38, und „Cifliküt kato ikonomiceski kategorija" [Der çiftlik als ökonomische Kategorie], in: ders., Agrarni/at vü-pros v bülgarskata nacionalna revoljucija [Die Agrarfrage in der bulgarischen Nationalrevo­lution], Sofija 1976, S. 124.

Agrarstrukturen unter osmanischer Herrschaft 27

nen Ausweg in der Gewichtsverminderung d e r a t e , wobei der nominelle Wert dieser Silbermünze gegenüber dem Gold beibehalten wurde.83 Die auf diese Weise herbeige­führte Inflation, welche eigentlich eine Folge des Mangels an Silber war, geriet völ­lig außer Kontrolle und mündete in eine schwere Wirtschaftskrise, als im Jahre 1584 billiges amerikanisches Silber die Märkte der Levante erreichte.84 War die akçe zwi­schen 1451 und 1574, also im Laufe einer relativ langen Periode, um 50 Prozent in ihrem Gewicht reduziert worden,85 so büßte sie als Silbermünze nach 1584 innerhalb eines Jahrzehnts 50 Prozent ihres Wertes gegenüber dem Gold ein.86 Diese Entwick­lung erreichte gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts in einer „Preis­revolution" ihren Höhepunkt, deren Folgen für die damalige Gesellschaftsordnung verheerend waren.87

Die Erhöhung der „außerordentlichen" Steuern bot sich als die erste Maßnahme an, um die leeren Kassen des Staates wieder zu füllen. Zudem begann man, diese „außer­ordentlichen" Steuern regelmäßig - alljährlich - einzuziehen.88 Als eine weitere Maßnahme zur Aufbesserung der Staatsfinanzen ließ man die Flächengröße der reaya-Parzellen neu vermessen. Wenn diese größer waren, als in der Regel vorgesehen, wur­den „Absonderungen" vorgenommen, d.h., ein Stück des Ackerbodens mußte dem Fiskus abgetreten werden.89 Auch viele sipahh verloren dadurch Teile ihrer Lehen, weil ihre Einkünfte (berechnet nach der abgewerteten akçe) nunmehr die in den Bü­chern eingetragenen ursprünglichen Sätze überstiegen.90 Nur die Inhaber von Groß­lehen wie sancakbeys und beylerbeys konnten sich materiell den neuen Verhältnis­sen anpassen. Dem Beispiel des Staates folgend, legten sie den Bauern ihrerseits „au­ßerordentliche" Abgaben auf.91 Den Trägern von kleinen timar-Lehen dagegen blieb keine andere Wahl als entweder zu versuchen, mit allen Mitteln ihre Einkünfte zum

83 Nach der Thronbesteigung Selims II. im Jahre 1566 ließ man aus 100 dirhem (320,75 g) Silber statt wie bis dahin 420, 450 akçe prägen. Gleichzeitig versuchte die Regierung durch­zusetzen, daß ein Goldstück unverändert 60 akçe wert war. In Wirklichkeit zahlte das Volk für ein Goldstück nunmehr bis zu lOOafcçe. Vgl. Barkan, „XVI. asnn ikinci yarisinda Tür-kiye'de fiyat hareketleii", S. 572.

84 Siehe H. inalcik, „Osmanh Imparatorlugunun kurulus ve inkisafi devrinde Türkiye'nin ikti-sadî vaziyeti üzerinde bir tetkik münasebetiyle" [Anläßlich einer Untersuchung über die ökonomische Lage der Türkei während der Gründungs- und Aufstiegsphase des Osmanischen Reiches], Belleten 15 (1951), S. 656-658.

85 Vgl. L. Berov, a.a.O., S. 183. 86 Vgl. ebd., S. 55. 87 Der Index der Lebensmittelpreise (das Jahr 1489/90 = 100) zeigt für das Jahr 1605/06

nach akçe gerechnet 630, nach Gramm Silber gerechnet 265 an. Siehe Barkan, „XVI. asnn ikinci yarisinda . . .", S. 569, und ders., „The Price Revolution of the Sixteenth Century: A Turning Point in the Economic History of the Near East", IJMES 6 (1975), S. 15. Vgl. auch den allgemeinen Index der Warenpreise auf dem Balkan im 15.-19. Jh. bei Berov, a.a.O., S. 282-289.

88 Vgl. Akdag, Türkiye'nin iktisadtve içtimat tarihi. Bd. 2, S. 427 ff. 89 Siehe ebd., S. 424-425 . 90 Akdag, Celait isyanlan, S. 31. 91 Vgl. ebd., S. 35.

28 Die Entstehung der Makedonischen Frage

Nachteil der Bauern zu erhöhen, oder aber sich in offenem Aufstand gegen die Zen­tralgewalt zu wehren.92

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts brach die gesellschaftlich-politische Ord­nung besonders in Anatolien völlig zusammen. Nacheinander und später zuweilen gleichzeitig - revoltierten sipahis, Bauern, sûhtegân (Medressen-Diplomaten bzw. -Kandidaten) und unzufriedene lokale Machthaber.93 Landlose Bauern {levendat), die sich um aufbegehrende sipahis scharten, bildeten die Masse der Aufständischen. Gegen Ende dieser sogenannten celait-Unruhen fand zwischen 1603 und 1610 das büyük kaçgunluk, „die große Landflucht" statt, welche die Entvölkerung ganzer Landstriche zur Folge hatte.94 Die Bauern suchten entweder in den Städten Zu­flucht oder zogen sich in gebirgige, schwer erreichbare Gegenden zurück, wo sie neue Dörfer gründeten. Die Zahl der levendat wuchs. Viele von ihnen gelangten nach Rumelien und versuchten ihr Glück im Brigantentum.95

Das weitgehend verwüstete Fiskalland wurde zum Teil von den Statthaltern der Pro­vinzen (sancakbeys, beylerbeys) in Besitz genommen.96 Viele Janitscharen, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts in die Provinz versetzt worden waren, eigneten sich eben­falls Land an. Schließlich wurde ein weiterer Teil dieses früher den sipahis zu Lehen gegebenen Landes vom Staat nach dem Htizam -System verpachtet..97

Als Steuerpächter waren Angehörige städtischer Mittelschichten in den Provinzen, die bereits in ciftlik-Besüz investiert hatten, geradezu prädestiniert, und zwar nicht allein aufgrund ihrer materiellen Möglichkeiten, sondern auch wegen ihrer besonde­ren Beziehungen zum Bauerntum. So traten sie mit ihren Diensten als Geldverleiher zugleich als Helfer der Bauern auf, wenn letztere gegenüber dem Staat in finanzielle

92 Siehe den Aufsatz Akdags, „Timar rejiminin bozulusu" [Der Verfall des «ma/--Kegimes|, Ankara Üni. Dil ve Tarih-Cogr. Fak. Der. 3 (1945), S. 419-431.

93 Die grundlegende Untersuchung über diese Periode ist das bereits zitierte Werk Akdags, Ce­laitisyanlan.

94 Für eine siedlungsgeographische Erörterung der heute noch sichtbaren Folgen der celält-Vn-ruhen siehe W.-D. Hütteroth, „Das Wüstungsproblem im Orient - dargestellt am Beispiel des inneren Anatolien", Geographische Rundschau 21 (1969), S. 60-63.

95 Siehe Akdag, Celait isyanlan, Dok.-Nr. 2, S. 259-260. B. Cvetkova erblickt in der Zunah­me des Brigantentums auf dem Balkan neben einer allgemeinen antifeudalen Einstellung der „population assujettie" bereits auch eine Tendenz „libératrice", welche „reflète les aspirations du peuple bulgare asservi dont les efforts de rejeter le régime féodal et l'oppres­sion ottomane n'étaient, en fait, qu'une lutte de libération visant à épuiser les conquérants étrangers et a les expulser hors de limites de la terre natale." Siehe „Mouvements antiféo­daux dans les terres bulgares sous domination ottomane du XVIe au XVIIIe s.", EH 2 (1965), S. 149. Die Zunahme des Brigantentums zu jener Zeit als einen Ausdruck des na­tionalen Befreiungswillens eines christlichen Balkanvolkes zu interpretieren, wäre jedoch nicht nur deshalb bedenklich, weil die Brigantenscharen damals aus Männern und Frauen unterschiedlichster ethnischer und konfessioneller Zugehörigkeit bestanden, sondern auch deswegen, weil zu ihrer Verfolgung vielerorts auch die christlichen Hilfstruppen, die „Martolosen", eingesetzt wurden. Vgl. dazu A. Matkovski, „Svedenija za chajduti v Make-donija prez vtorota polovina na XVII vek" [Nachrichten über Heiducken in Makedonien in der zweiten Hälfte des 17. Jh.], IP 22 (1966), 3, S. 67-82.

96 Hierzu u.z. folg. vgl. Yerasimos, a.a.O., Bd. 1, S. 468-475. 97 Vgl. Cvetkova, „Recherches sur le système d'affermage . . .", S. 121 ff.

Agrarstrukturen unter osmanischer Herrschaft 29

Bedrängnis gerieten.98 Darüber hinaus erwiesen sie sich während der ce/3/f-Unruhen politisch in der Lage, die bäuerliche Bevölkerung vor marodierenden Banden sowie vor den Willkürakten von sancakbeys und beylerbeys in Schutz zu nehmen; als näm­lich die Staatsautorität völlig unterhöhlt wurde, entwickelten sich in den Städten Formen lokaler Selbstverwaltung, die, getragen von den Notabein unter der Führung jeweils eines Kadis, sich auf Gemeinde-Milizen stützen konnten." Ihnen sollte es schließlich gelingen, durch Pachten des Steueraufkommens des Großteils der mirt-Ländereien das politische Vakuum zu füllen, das infolge des Machtverfalls der Zen­tralregierung entstanden war. In den Jahren 1683 bis 1699,als die sancak- und beylerbeys mit dem Heer gegen die Habsburger ins Feld gezogen waren, lag die Verwaltung der gesamten Balkanhalbinsel in den Händen der städtischen Notabein.,0° Diese konnten ihre Position dadurch ausbauen, daß sie tausende von Deserteuren, die das Land terrorisierten, als Söldner anwarben.101 In dieser Zeit setzte sich auch das Wort âyan (Notabein) allgemein als ein sozio-politischer Begriff durch, um gewisse, von städtischen Interessengruppen gewählte Persönlichkeiten zu bezeichnen, die eine Vermittlerfunktion zwischen der lokalen Bevölkerung und der Zentralregierung ausübten.102 Unter diesen Vorausset­zungen muß der Umstand, daß nach 1694 die Steuerpacht auf Lebenszeit (mali-käne) eingeführt wurde, als ein Zeichen der neugewonnenen Machtstellung der âyan gewertet werden.103

Nach dem Ausbruch des russisch-osmanischen Krieges im Jahre 1768 hielt es die Pforte für opportun, die âyan offiziell mit der Verwaltung von Landkreisen (kaza)

98 H. inalcik, „The Nature of Traditional Society: Turkey", in: Political Modernization in Japan and Turkey, hrsg. v. R. E. Ward, D. A. Rustow, Princeton, N. J., 1964, S. 47.

99 Hierzu siehe Akdag, Celait isyanlan, Dok.-Nr. 6, 15, 20, 27 u.a. Außerdem siehe ebd., S. 165-170, 175, 184, 191. Über die besondere Rolle des Kadis bei der Selbstverwaltung der Gemeinden siehe E. Grozdanova, „Das Kadiamt und die Selbstverwaltung der bulgarischen Gemeinden im 15. bis 18. Jahrhundert", £7/ 7 (1975), S. 157.

100 Vgl. Yerasimos, a.a.O., Bd. 1, S. 482. 101 Vgl. ebd. 102 Vgl. A. Suöeska, Ajani, Prilog izucavanju lokalne vlasti u naSim zemljama za vrijeme Tura-

ka [Die âyan. Ein Beitrag zur Erforschung der lokalen Herrschaft in unserem Land in der Türkenzeit], Sarajevo 1965, S. 89 ff.; D. R. Sadat, „Rumeli Ayanlari: The Eighteenth Cen­tury", JMH 44 (1972), S. 346-347. Es muß darauf hingewiesen werden, daß die âyan Ver­treter mohammedanischer Gemeinden in den Städten waren; andere Gemeinden hatten nach dem osmanischen m/7/er-System separate Vertretungen. Über Saloniki lesen wir bei­spielsweise: „L'ensemble de la population turque formait une communauté gouvernée par un conseil de six ayan (notables), choisis parmi les beys puissants." Svoronos, Le com­merce de Salonique au XVIIIe siècle, Paris 1956, S. 8-9. K. H. Karpat bezeichnet im wei­testen Sinne des Wortes als âyan „the Muslim sections of the middle class." Siehe „The Transformation of the Ottoman State, 1789-1908", IJMES 3 (1972), S. 244. Vgl. auch ders., An Inquiry into the Social Foundations of Nationalism . . . , S. 67, und „Some.His-torical and Methodological Considerations concerning Social Stratification in the Middle East", in: Commoners, Climbers and Notables. A Sampler of Studies on Social Ranking in the Middle East, hrsg. v. C. A. O. van Nieuwenhuijze, Leiden 1977, S. 92, Anm. 10.

103 Zur malikâne in diesem Zusammenhang siehe Pakalm, Osmanh tarih deyimleri. . . , Bd. 2, S. 395-397, Cvetkova, „Recherches sur le système d'affermage . . .", S. 127 f.

30 Die Entstehung der Makedonischen Frage

zu beauftragen.104 Diese übernahmen nun Aufgaben, die vorher zum Kompetenzbe­reich des Kadis gehörten, wie die Bemessung von außerordentlichen Steuern und ih­re Einziehung, Sicherung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, Unterbindung des Schmuggels, Unterhaltung des Postdienstes, Truppenaushebung, Verproviantierung des Heeres u.ä.10s Der gesellschaftlich-politische Aufstieg der âyan war damit jedoch noch nicht beendet. Mußte ihre Wahl bis 1779 jeweils von dem Provinzgouverneur bestätigt werden, so erfolgte diese Bestätigung später direkt durch die Pforte.106 Die Gouverneure wurden allmählich zu bedeutungslosen Beamten, die lediglich repräsen­tative Aufgaben zu erfüllen hatten. Einige âyan-Familien dagegen entwickelten sich in dieser Zeit de facto zu Herrschern über ganze Provinzen.107

Gegen Ende des 18. und anfangs des 19. Jahrhunderts kann von einem regelrechten âyaw-Feudalismus gesprochen werden. Als die sog. kircali-Unmhen auf dem Balkan ausbrachen und sich während der Wirren des Krieges gegen Rußland und Österreich (1787-1792) rasch ausbreiteten, trat die Schwäche der Zentralregierung immer deut­licher zutage.108 Die schwere Niederlage in diesem Krieg bedeutete schließlich eine weitere Diskreditierung der osmanischen Regierung. Im nun herrschenden allgemei­nen Aufruhr suchten viele Einwohner der Bergdörfer in den Städten Zuflucht. Andere wiederum fanden bei mächtigen Gutsbesitzern in den Tälern Schutz und wurden zu çiftlik-Bauem. Aus jener Zeit stammten viele der çiftlik-Dörfei, die es in Makedonien zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab.109

Die ôyaw-Herrschaft erreichte ihren Höhepunkt, als der Herrscher von Rusçuk (Ruse), Alemdar Mustafa Pasa, in einer Zeit innenpolitischer Machtkämpfe im Jahre 1808 mit seinen Truppen auf die Hauptstadt marschierte und Mahmud II. (1808-1839) als Sultan einsetzte.110 Nunmehr selbst Großwesir, hoffte Mustafa Pasa, die gegen-

104 Vgl. Sadat, a.a.O., S. 351. 105 Vgl. Suceska, Ajani... ,S. 105 117. 106 V. P. Mutafcieva, „L'Institution de l'ayanlik pendant les dernières décennies du XVIIIe

siècle", £fl 2-3 (1965), S. 236. 107 Busath Mahmut Pasa herrschte ab 1775 von Shkodra (Skutari) aus über Nordalbanien so­

wie West- und Nordwestmakedonien. Siehe G. L. Arä, Albanija iEpir v konce XVIII - na­tale XIX v. (Zapadnobalkanskie paäalyki Osmanskoj imperii) [Albanien und Epirus am En­de des 18. und zu Beginn des 19. Jh. Die westbalkanischen pasahks des Osmanischen Reiches), Moskva 1963, S. 83 ff. Tepedelenli Ali, der Pasa von Janina, besaß annähernd 1.000 çiftliks in Albanien, Epirus, Thessalien und Südwestmakedonien. Siehe ebd., S. 283. Vgl. auch D. N. Skiotis, „From Bandit to Pasha: First Steps in the Rise to Power of Ali of Tepelen, 1750-1784", IJMES 2 (1971), S. 221, Anm. 1. Zu den mächtigsten Familien in Makedonien gehörten noch ^abanderoglu Abdil Aga (Dojran), Ali Aga und Ismail Bey (Se­res). Siehe Istorija na makedonskiot narod, S. 104-105.

108 Hierzu u.z. folg. vgl. E. Z. Karal, Osmanli tarihi. V. Nizam-i Cedit ve Tanzimat devwleri, 1789-1856 [Geschichte der Osmanen, Bd. 5. Die Perioden von Nizam-i Cedit und Tanzi­mat, 1789 1856], Ankara, 3. Aufl. 1970, S. 14-21. über die kircali siehe L. von Ranke, Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert, Sämtliche Werke, 3. Gesamtausg., Bd. 43-44, Leipzig 1879, S. 64-65.

109 Vgl. R. Busch-Zantner, Agrarverfassung, Gesellschaft und Siedlung in Südosteuropa. Unter besonderer Berücksichtigung der Türkenzeit, Leipzig 1938, S. 87, und Christov, Agrarnite otnoïenija v Makedoni/a . . . , S. 51.

110 Karal, a.a.O., S. 87 89; B. Lewis, The Emergence of Modern Turkey, London 1961, S. 73-74.

Agrarstrukturen unter osmanischer Herrschaft 31

sätzlichen Interessen verschiedener Gruppen der Oberschicht auf dem Wege der Be­ratung in einer „Reichsversammlung" ausgleichen zu können.111 Zu diesem Zweck wurden die führenden âyan, die Provinzgouverneure und die Häupter lokaler Dyna­stien in die Hauptstadt geladen. Das Ergebnis der Beratungen war ein „Allianzpakt" (sened-i ittifak), in dem die Zentralregierung und die mächtigen âyan sich verpflich­teten, ihre Rechte und Privilegien gegenseitig zu respektieren.112 Damit wurden so­wohl der Landbesitz der âyan als auch ihre Rechte auf Steuererhebung und Trup­penaushebung offiziell bestätigt.113

Dieser „Allianzpakt" blieb ein Papier, Sein geistiger Vater, Alemdar Mustafa Pasa, war erst einige Monate Großwesir gewesen, als er einer Meuterei der Janitscharen zum Opfer fiel.114 Dem Sultan Mahmud II. gelang es aber nun, angesichts der immer grö­ßer werdenden russischen Gefahr und der Verbreitung nationalistischen Gedanken­gutes unter den Christen im Reich, mohammedanische Mittelschichten um sich, den „Sultan-Kalifen", zu scharen. Die Ausrufung des „heiligen Krieges" gegen Rußland (1808) erhöhte innenpolitisch die Bedeutung des Kalifats und verhalf dem jungen Sultan zur vorläufigen Konsolidierung seiner Macht.115 Nach Beendigung des Krieges (1812) sah er dann die vordringliche Aufgabe darin, die Gruppen im Reich, die seine Alleinherrschaft in Frage stellten, auszuschalten. Die damit beginnende Unterdrük-kung der âyan war somit nicht nur eine polizeiliche Aktion, unternommen aus der Sorge um das Wohlergehen der Bevölkerung, die ja während zahlreicher gewaltsamer Auseinandersetzungen unter lokalen Dynastien schwer in Mitleidenschaft gezogen worden war, sondern vielmehr eine Maßnahme von erstrangiger politischer Bedeu­tung: nämlich die Vorstufe zur neuerlichen Errichtung des absoluten Regimes des Sultans, welches unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts in erster Linie den In­teressen einer erstarkenden Zentralbürokratie dienen sollte.116 Nach der Auflösung der Janitscharen-Truppe (1826) und der Abschaffung der fwiar-Lehen ab 1831 hat­ten die Beamten in der Hauptstadt mit dem nun reformierten Heer ein hinreichend starkes Instrument in der Hand, um aus den bürgerkriegsähnlichen Machtkämpfen mit den âyan als Sieger hervorzugehen.117 Mit Ausnahme Ägyptens, dessen Herrscher,

111 Vgl. Berkes, Türkiye'de çagdaslasma, S. 121. 112 Eingehende Erörterungen dieses Themas finden sich bei H. Inalcik, „Sened-i ittifak ve Giil-

hane Hatt-i Hümayunu" [Der Allianzpakt und der sultanische Reformerlaß von Gülhane], Belleten 28 (1964), S. 603-622, und Berkes, a.a.O., S. 121 128.

113 Vgl. Karpat, „The Tansformation of the Ottoman State", S. 253. 114 Siehe Karal, a.a.O., S. 94-96. 115 Hierzu vgl. Berkes, a.a.O., S. 128-131. 116 Zur Entstehung einer „Laufbahn-Bürokratie" im Osmanischen Reich siehe J. Shinder,

„Career Une Formation in the Ottoman Bureaucracy, 1648-1750: A New Perspective", JESHO 16 (1973), S. 217-237.

117 Über die Abschaffung der letzten timar-Lehen und die Heeresreform siehe Karal, a.a.O., S. 64-67; Str. A. Dimitrov, „Küm vüprosa za otraenjavaneto na spachijskata sistema v nasite zemi" [Zur Frage der Abschaffung des sipa/if'-Systems in unseren Ländern), IP 12 (1956), S. 37 ff.; Lewis, a.a.O., S. 77-81; S. J. Shaw, „The Origins of Ottoman Military Reform: The Nizam-i Cedid Army of Sultan Selim III", JMH 37 (1965), S. 291-305; Berkes, a.a.O., S. 168-172.

3 2 Die En tstehung der Makedonischen Frage

Mohammed Ali, nicht unterworfen werden konnte, wurden alle Provinzen des Rei­ches wieder direkt der Hohen Pforte unterstellt.118 In Makedonien etwa führte dies nun auf der einen Seite zu einer erheblichen Entlastung der Bevölkerung, die es durch­aus begrüßte, als man die dort herrschenden albanischen Beys hinrichten ließ oder in die Verbannung schickte.119 Auf der anderen Seite aber begannen die Mittelschich­ten, die doch in vieler Hinsicht mit den âyan liiert waren, die Befürchtung zu hegen, daß eine allzu weitgehende Restauration des zentralisierten Machtsystems auch ihre Interessen beeinträchtigen könnte. Bei D. Urquhart lesen wir:

Die politischen Zuneigungen der Osmanli sind seltsam verwirrt. Sie sind im Ganzen zufrie­den mit der Vernichtung der Janitscharen.aber sie hegen große Furcht vor der daraus fol­genden Zunahme der Gewalt des Sultans... Sie wünschen, der Nizzam (die regulären Trup­pen) möchte die Albanesen zusammendreschen, sind aber äußerst dagegen, daß der Niz­zam auf irgendeine Weise siegen möchte,120

Der Prozess der Zentralisierung der Staatsmacht dauerte auch unter den Nachfolgern Mahmuds II. an. Eine Reihe von Innovationen, die während der tanzimat (1839— 1876), der Epoche systematisierter Reformen, durchgeführt wurden, sollte in er­ster Linie die Effektivität des Staatsapparates erhöhen helfen. Die Gründung von Militärakademien und von Hochschulen für Beamten, die Reformierung der Provin-zialverwaltung, die Verbesserung der Kommunikationsverhältnisse, die Säkularisie­rungsversuche im Rechtswesen usw. dienten diesem Zweck121

Inwieweit diese Modernisierungsprozesse im gesellschaftlichen Überbau auch die Ver­hältnisse auf dem Lande berührt hatten, ist nun im Hinblick auf unseren Gegenstand von besonderem Interesse. Das grundlegende Dokument der tanzimat, der Erlaß des Sultans Abdülmecid vom 3. November 1839, enthielt selbst nur allgemeine Formulie­rungen, in denen die Vorstellungen der bürokratischen „Reformpartei" zum Aus­druck kamen.122 Abgesehen davon, daß die viel beklagte Steuerpacht abgeschafft

118 Eine Beschreibung der Unterwerfung von Provinzen findet sich bei A. C. Eren anhand des Beispiels von Bosnien und Herzegowina: Mahmud II. zamaninda Bosna-Hersek [Bosnien und Herzegowina in der Regierungszeit Mahmuds II], Istanbul 1965, S. 48-70.

119 So lud Resid Pasa, der Großwesir, im Jahre 1830 mehrere albanische Beys nach Monastir ein, wo er sie kurzerhand hinrichten ließ. Viele andere Beys in Makedonien, ebenfalls Al­baner, flüchteten daraufhin nach Albanien. Rejid Pasa hat sich als Beschützer der reaya einen Namen gemacht. Küncov, Makedonija. Etnografija i statistika, S. 381-382.

120 Der Geist des Orients, erläutert in einem Tagebuche über Reisen durch Rumili während einer ereignisreichen Zeit. Aus d. Engl, übersetzt von F. G. Buck, Stuttgart und Tübingen, 1839, S. 115.

121 Hier kann auf den Fragenkomplex der fanz/'maf-Reformen nicht näher eingegangen werden. Einzeluntersuchungen sowie zusammenfassende Darstellungen finden sich in: Tanzimat, Istanbul 1940; Karal, a.a.O., S. 169-195; Lewis, a.a.O., S. 104-125; R. H. Davison,Re­form in the Ottoman Empire 1856-1876, New York 1975; Berkes, a.a.O., S. 187-268; S. J. Shaw, „Some Aspects of the Aims and Achievements of the Nineteenth Century Ottoman Reformers", in: Beginnings of Modernization in the Middle East. The Nineteenth Century, hrsg. v. W. R. Polk und R. L. Chambers, Chicago 1968, S. 29-39jjCJ5teinhatts,

\ Politische und soziale Grundlagen der türkischen Revolution, Diss. Marburg 1968, S. 37-40; H. Inalcik, „Application of the Tanzimat and its Social Effects", Archivum Ottomani-cum 5 (1973), S. 97-127; Yerasimos, a.a.O., Bd. 2, S. 634-649, 704-731.

122 Text des Erlasses bei Karal, a.a.O., S. 255-258.

Agrarstrukturen unter osmanischer Herrschaft 33

werden sollte, wurden die konkreten Belange der ländlichen Bevölkerung wenig be­rührt. Doch auch diese Abschaffung der Steuerpacht sollte sich als undurchführbar erweisen. So begann man zwar im Jahre 1840 damit, den Zehnten direkt durch Fi­nanzbeamte einziehen zu lassen, kam aber schon nach zwei Jahren wieder davon ab und kehrte zum alten System der Steuerpacht zurück.123 Nichtsdestoweniger war die Zeit für eine Neufestlegung der Grundbesitzverhältnisse gekommen. Die Agrar­gesetze des Reiches, die die Beziehungen der Bauern zu den Trägern der zentral ver­gebenen Lehen im 15. und 16. Jahrhundert geregelt hatten, waren im 19. Jahrhun­dert bedeutungslos geworden. Da auch die wieder erstarkende Zentralregierung, schon wegen der Sicherstellung der Finanzmittel zur Zahlung von Beamten- und Offiziers­gehältern, ein Interesse daran hatte, den Bodenertrag so umfassend wie möglich zu besteuern, wozu die Klärung der rechtlichen Verhältnisse im Agrarbereich die erste Voraussetzung war, konnte im Jahre 1858 ein neuer Landkodex verabschiedet wer­den.124 Dieser Landkodex unterschied zwischen fünf Grundbesitzkategorien: mülk: freies Eigentum; mirl: Fiskalland; mevkufe: Ländereien der religiösen Stiftungen; metruke: öffentliches Land, wie Straßen, Märkte, Weiden, Wald;mevat: Niemands­land, Brachland.125

Das Nutzungsrecht auf das mirf-Land - es ging in der Hauptsache darum - wurde auf unbegrenzte Zeit behördlich auf die Bauern übertragen, die das Land bebauten und es damit in Besitz hatten. Diese durften aber, obwohl sie den Boden weitgehend frei bewirtschafteten, ohne die ausdrückliche Erlaubnis der zuständigen Behörden auf ihrem Land weder Bäume pflanzen noch Gebäude errichten, weil das dem mirt-Prinzip widersprochen hätte.126 Außerdem bestand weiterhin der Zwang zur Bewirt­schaftung des Landes; die Felder durften nicht länger als drei Jahre unbestellt blei­ben.127

Nachdem der Staat durch diese Auflagen sein oberstes Eigentumsrecht auf das mirt-Land durchgesetzt hatte, gewährte er den Besitzern, wenn auch in verklausulierter Form, wieder alle diejenigen Verfügungsrechte, die faktisch dem bürgerlichen Eigen­tumsrecht gleichkamen.128 Obwohl das/m>f-Land prinzipiell nicht veräußerlich war, durften die Besitzer mit Einwilligung der Behörde zugunsten eines Dritten auf ihr Land verzichten — mit anderen Worten, sie durften es verkaufen.129 Obwohl es in gleicher Weise verboten war, mirt-Lmd zu verpfänden, konnte man dennoch solchen Besitz vorübergehend auf Dritte übertragen; dazu mußte wiederum die Erlaubnis der

123 Vgl. tnalcik, „Application of the Tanzimat. . .", S. 107. 124 Text bei M. Belin, „Etude sur la propriété foncière . ..", S. 291-358. 125 Siehe ebd., S. 291-292. Vgl. auch HifziVeldet, „Kanunlastirma hareketleri ve Tanzimat"

[Gesetzgeberische Aktivitäten und die tanzimat], in: Tanzimat, S. 16 17. 126 Siehe Art. 25, 32. Belin, a.a.O., S. 305-306, 308. Gebäude und Bäume galten nach isla­

mischem Recht als mülk und waren daher mit dem w/rf-Land unvereinbar. 127 Hierzu vgl. Ö. L. Barkan, „Turk toprak hukuku tarihinde Tanzimat ve 1274 (1858) tarihli

Arazi Kanunnamesi" [Die tanzimat in der Geschichte des türkischen Agrarrechts und der Landkodex von 1858], Tanzimat, S. 382.

128 Vgl. ebd., S. 321. 129 Art. 36-53, Belin, a.a.O., S. 310-318.

34 Die Entstehung der Makedonischen Frage

Behörde eingeholt werden.130 Auch eine Aufteilung des m/rf-Besitzes war nunmehr gestattet, wodurch das Grundstück an mehrere Erbberechtigte vererbt werden konn­te.131

Im Landkodex von 1858 sind somit im wesentlichen zwei sich widersprechende Ten­denzen festzustellen: Zum einen beharrte man auf dem m/rf-Prinzip, um dadurch die Einziehung der Grundrente zentral kontrollieren zu können. Zum anderen waren die politisch-ökonomischen Bedingungen um die Mitte des 19. Jahrhunderts aber solcherart, daß man nicht umhin konnte, auch bestimmten wirtschaftlichen Libera-lisierungszwängen zu entsprechen. So hatte man schon im Handelsabkommen mit England im Jahre 1838 Zugeständnisse gemacht, welche die Annahme des Prinzips des Freihandels bedeuteten.132 Weiter hatte sich das Reich mit der Meerengenkon­vention von 1841 und mit dem Pariser Friedensvertrag von 1856 politisch unter die Treuhänderschaft der europäischen Großmächte gestellt.133 Der osmanische Staat hatte außerdem ab 1854 Anleihen in Westeuropa aufgenommen und sich dadurch auch in finanzielle Abhängigkeit begeben.134 Dieser wachsende Einfluß Europas hatte schließlich im zweiten Grunddokument der tanzimat, dem hatt-i hümayun von 1856, seinen Niederschlag gefunden, in welchem dem Wunsch europäischer Unternehmer entsprochen wurde, sie an einer verkehrstechnischen, landwirtschaftlichen und indu­striellen Erschließung des Osmanischen Reiches zu beteiligen.135 Dieser Liberalisie­rungsprozeß sollte sich fortsetzen und im Jahre 1867 mit einem Gesetz, das auch Aus­ländern gestattete, Grundbesitz im Osmanischen Reich zu erwerben, seinen Höhe­punkt erreichen.136

Der Landkodex von 1858 war aber auch ein Versuch, die landbesitzenden mittleren und oberen Schichten der Gesellschaft mit der Bürokratie zu versöhnen. Besonders der Artikel 130 diente diesem Ziel. Danach durften zwar Ländereien eines Dorfes nicht in ein çiftlik-Gut umgewandelt werden, wenn dort noch Bauern lebten. Waren diese aber bereits weggezogen und war das Land infolgedessen unbestellt, so war es erlaubt, hier ein solches Gut zu errichten.137 Angesichts der Tatsache, daß die späte-

130 Siehe Art. 116, Belin, a.a.O., S. 349-350. 131 Art. 54-58, ebd., S. 318-320. Die Frage der Erbberechtigung wurde später neu geregelt.

Dazu siehe „Loi relative à l'extension du droit d'hérédité sur les biens-fonds dits ,Emirié' et .Mevcoufé', en date du 21 mai 1867/17 mouharrem 1284", I. de Testa, Receuil des trai­tés de la Porte Ottomane avec les Puissances Etrangères, . . , Bd. 7, Paris 1892, S. 740-741.

132 Text dieses Handelsabkommens bei Hurewitz, Diplomacy in the Near and Middle East. A Documentary Record: 1535-1914, Princeton, N. J., Bd. 1,S. 110-111.

133 Zur Meerengenkonvention vgl. Karal, a.a.O., S. 204-209. Text des Pariser Friedensvertra­ges in: Major Peace Treaties of Modern History, 1648-1967, hrsg. v. F. L, Israel, New York 1967, Bd. 2, S. 947-957.

134 Vgl. Ï. H. Yeniay, Yeni Osmanh borçlart tarihi [Die Geschichte der osmanischen Staatsan­leihen], Istanbul 1964, S. 19-32.

135 Zum Text des hatt-i hümayun siehe Karal, a.a.O., S. 258-264, oder Hurewitz, a.a.O., S. 149-153.

136 Siehe „Loi concédant aux étrangers le droit de propriété immobilière dans l'Empire Otto­man, en date du 18 juin 1867/7 safer 1284", de Testa, a.a.O., S. 745-747.

137 Siehe Belin, a.a.O., S. 355-356. Vgl. auch ö. L. Barkan, „Turk toprak hukuku tarihinde Tanzimat. . .", S. 412, Anm. 43.

Agrarstrukturen unter osmotischer Herrschaft 3 5

ren ciftliks zumeist auf dem von Bauern verlassenen Land entstanden waren, kam dieser Bestimmung des Landkodex die Bedeutung einer nachträglichen Legitimierung solcher Besitzungen zu. Der osmanische Zentralismus, der die führenden äyan ent­machtet hatte, um die tanzz'maf-Reformen einzuleiten, vermied es also, die Interessen derjenigen Gesellschaftsgruppen, die mit den äyan liiert gewesen waren, zu schädigen. Diese landbesitzenden Gruppen sollten unter der Bezeichnung esraf (Honoratioren) weiterhin einen wichtigen gesellschaftlichen Platz in der Provinz einnehmen.138 Als çiftlik-Besitzer waren sie fast immer zugleich Steuerpächter ihrer Bezirke und stan­den demzufolge in engem Kontakt mit den Regierungsstellen, durch deren Duldung sie erst ihre Doppelrolle - Gutsherr und Steuerpächter - weiterspielen durften.139

c) Die sozio-ökonomischen Verhältnisse in Makedonien gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Um eine Vorstellung von den materiellen Verhältnissen der Bevölkerung Makedoniens im letzten Viertel des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts zu vermitteln, soll zunächst anhand folgender Aufstellung die Mannigfaltigkeit und Härte der Steuern veranschaulicht werden:140

- der Zehnt: 10% des Bodenertrags in Naturalien; - die Abgabe für das Erziehungswesen und für öffentliche Arbeiten: 1,5% des Bo­

denertrags; - die Steuer für Militärausrüstung:141 6% in Naturalien von dem um die erstgenann-

138 Ziya Paca, selber ein Staatsmann der tanzimat, schrieb: „Though the privileges of the âyân, the control of the Janissaries, and bad practices such as placing government agents into governorships have been abolished on paper by the Blessed Tanzimat... in the provinces feudal lords still flourish but under different names now, one group of them consisting of the foreign consuls and the other of influential and rich local people, such as council mem­bers and other urban notables." Arzihâl, Istanbul 1272 (1855). Engl- Übersetzung von H. Inalcik in seinem „Application of the Tanzimat.. .", S. 110.

139 „Le propriétaire du tchiflik est presque toujours, grâce à la connivence de l'administration turque, fermier, adjudicataire de la dîme des récoltes au profit de l'Etat." R. Pinon, „La question de Macédoine. ï. Les Nationalités", Revue des deux mondes vom 15. Mai 1907, S. 385.

140 Vgl. die Beilage zur Weisung Nr. 1025 an den Botschafter Frh. von Calice in Konstantino­pel, Wien, 28, Sept. 1905: „Übersicht über die im Sandschak Plevlje eingeführten direkten Steuern nach offizieller Angabe des Mutesarrifs Süleyman Pascha." Haus-, Hof- und Staats­archiv (HHStA), Wien, Politisches Archiv (PA) XII: Türkei 1848-1918, Karton 188.

141 Diese Steuer wurde ab Herbst 1903 erhoben, um die nunmehr wegen der Bandenverfol­gung und der ständigen Kriegsbereitschaft angewachsenen Militärausgaben zu decken. Vgl. den Bericht des Konsuls Para an Graf Goluchowski, Üsküb, 24. Sept. 1903,Nr. 252, HHStA, PA XXXVIII: Konsulate, Kt. 434. Vgl. auch Draganoff, La Macédoine et les réformes, Pa­ris 1906, S. 71.

36 Die Entstehung der Makedonischen Frage

ten zwei Abgaben (11,5%) verminderten Gesamtertrag; - die Militärbefreiungssteuer:142 37 Piaster143 pro Kopf für jeden männlichen nicht­

mohammedanischen Untertan des Sultans bis zum 70. Lebensjahr; - die Steuer für das Kleinvieh, z.B. 2,5 Piaster für jedes Schaf; - die Auflage für Haus und Hof: 5 Promille des Wertes; - die Grundstückssteuer: 4 Promille des Wertes; - die Steuer für vermietete Häuser, Geschäftslokale und Wohnungen: 10 Pro­

mille des Wertes; - die Handelssteuer: 5 Promille des Geschäftseinkommens.144

Der Zehnt war somit auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts die größte Steuerlast für die Landbevölkerung. Die Bauern hatten dabei nicht so sehr wegen der Zehntenab­gabe selbst - nach Meinung eines zeitgenössischen Fachmanns eine angemessene Form der Bodensteuer145 - , als vielmehr unter der Art und Weise, wie der Zehnt ein­gezogen wurde, zu leiden. Hierfür war das Gesetz vom 22. Juni 1889 maßgebend.146

Je nach Übereinkunft zwischen Zehntpächter und Bauer konnte danach der Zehnt in Naturalien oder in Geld gezahlt werden. Dem Bauer war es ohne Erlaubnis des Steu­erpächters nicht gestattet, das Getreide vom Feld zu entfernen. Über das Verpach­tungssystem lesen wir in der Frankfurter Zeitung vom 15. Juni 1904 folgendes:

Die mazedonischen Zehnten. . . werden im Wege der Auktion stets auf ein Jahr vergeben. Der Zehntenpächter muß türkischer Untertan sein. Die Versteigerung ist aber oft nur eine Formsache . . . Sind die Zehnten eines Regierungsbezirks an einen Generalpächter ver­geben, so sucht dieser sie, auf Kreise verteilt, an Unterpächter loszuschlagen, die ihrer­seits wieder die Zehnten zu je drei bis fünf Dörfern an weitere Unterpächter abtreten . . .

142 Die von den nichtmohammedanischen Männern zu zahlende Kopfsteuer (cizye) wurde mit dem hatti hümayun vom 28. Februar 1856 abgeschafft. Anstatt der Entrichtung der Kopf­steuer sollten die Nichtmohammedaner nunmehr - wie die Mohammedaner - Kriegsdienst leisten. Doch wurde kurz danach zwischen der Pforte einerseits und den griechisch-ortho­doxen und armenischen Patriarchen sowie dem Großrabbiner andererseits eine Verständi­gung erzielt, wonach die Nichtmohammedaner gegen Entrichtung einer neuen Steuer vom Militärdienst befreit wurden (Juli 1856). Vgl. Pakalm, a.a.O., Bd. 1,S. 302,0. Mazdrakova-Cavdarova, „L'opinion publique bulgare et le hatt-i humaün de 1856", EH 7 (1975), S. 189-190. Zum Berechnungsmodus der Militärbefreiungssteuer siehe Draganoff, a.a.O., S. 67.

143 Im Jahre 1890 waren 100 Piaster (ein Osm. Pfund) 0,9 Pfund Sterling wert. 144 V. Küncov nennt allerdings für die 90er Jahre des 19. Jh. Steuerbeträge, die von den obigen

Angaben z.T. beträchtlich abweichen. So habe man als Militärbefreiungssteuer 40 Piaster, als Kleinviehsteuer 3 (für Schweine) bis 6 (für Schafe) Piaster, als Handelssteuer je nach der Einkommenslage pro Haushalt zwischen 25 und 350 Piaster bezahlt. Vgl. Segalnoto i ne-davnoto minalo na grad Veles [Die Gegenwart und die jüngste Vergangenheit der Stadt Vê­les), in: ders.,Izbraniproizvedenya v dva toma, Sofija 1970, Bd. 2, S. 207-209.

145 „Gegen das System der Zehentsteuer an sich ist nichts einzuwenden: der Zehent als aliquo­te Abgabe vom faktischen Arbeitsertrage ist nicht nur die den hiesigen primitiven Verhält­nissen am besten angemessene Form der Bodensteuer, sondern auch für den Bauer leicht zu erschwingen." Zivilagent Hofrat von Müller an Graf Goluchowski, Saloniki, 24. Mai 1904, in: Diplomatische Aktenstücke über die Reformaktion in Mazedonien 1902-1906, Wien, K. u. k. Ministerium des Äußern, 1906, Nr. 56.

146 Rodman an Auswärtiges Amt, Therapia, 3. August 1904, Nr. 116, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PAAA), Bonn, I.A.B.q (Türkei), Aktengruppe 156: „Die Verhältnisse in Mazedonien", Bd. 100, A. 12791.

Agrarstrukturen unter osmanischer Herrschaft 37

Im Reformprogramm vom Februar 1903 wurde die „Pachtbarkeit en gros", die im obigen Zitat geschildert wird, abgeschafft. Ein neues Reglement über die Zehntener­hebung im Verpachtungswege trat jedoch erst im April 1906 in Kraft. Danach wurden nunmehr auch die Landgemeinden zur kollektiven Pachtung der Zehnten unter kol­lektiver Haftbarkeit aller in der Gemeinde lebenden Bauern zugelassen.147

Weitere Anhaltspunkte über die sozialökonomische Lage der Bauern in Makedonien erhalten wir in den Schriften zeitgenössischer Reisender. Die Autoren richteten ihre Aufmerksamkeit allerdings in erster Linie auf die çiftliks, welche man damals entlang der Hauptverkehrsrouten in einer Dichte antreffen konnte, wie sie für den Rest des Landes eigentlich nicht mehr repräsentativ war. Ausführliche Schilderungen solcher Gutsdörfer rufen den Eindruck hervor, als sei das Agrarleben zu jener Zeit aus­schließlich durch die Gutswirtschaft bestimmt gewesen. Deshalb sind diese Schriften nur bedingt dazu verwendbar, ein wirklichkeitsnahes Bild von der Gesamtsituation zu entwerfen.

Das Gutsdorf „Rosna Çiftlik" im Vilayet Monastir, das G. Weigand im Jahre 1889 besuchte, bestand neben einem turmartigen Wohnhaus des Besitzers aus etwa 50 nied­rigen Lehmhütten.148 Der Besitzer ließ durch seine Knechte soviel Land wie möglich bebauen und wies von dem übriggebliebenen Ackerboden den Teilpächtern je nach Anzahl ihret Ochsen Parzellen verschiedener Größe zu. Auch das Saatgut wurde von ihm bereitgestellt. Von der Ernte war zunächst der Zehnt zu entrichten. Von den verbliebenen 9/10 des Produkts wurde dann die Saat abgezogen. Vom Rest erhielten Bauer und Gutsherr jeweils die Hälfte. Wenn der letztere im Dorf weilte, mußten die Teilpächter der Reihe nach Geschenke — Hühner, Eier, Milch u.a. — zu seinem Un­terhalt senden. Auch die Feldhüter mußten von ihnen unterhalten werden. Der çift-//fc-Besitzer stellte den Teilpächtern als Gegenleistung für die Nahrungsmittellieferun­gen Wohnraum sowie Weide und Holz unentgeltlich zur Verfügung. Da die etwa 50 Familien der Siedlung für die Bewirtschaftung des çiftliks nicht ausreichten, wurden einige Felder an Bauern aus benachbarten Dörfern verpachtet. Ein anderer Autor, L. Schultze-Jena, schildert den Prozeß, in dessen Verlauf die Teil­pachtbauern in Makedonien zu Hörigen der pi/r/iAr-Besitzer geworden seien. Da dem Bauern gewöhnlich kaum ein Drittel der Ernte erhalten bleibe, sei er gezwungen, Brotgetreide vom Grundherrn zu leihen:

Das kam jährlich anwachsend zu der Schuld hinzu, die der Bauer bei Beg, allerdings zins­frei und unter Stellung der Wohnung in Höhe von 6-15.000 Piastern zum Ankauf von Büffeln, Wagen, Pflügen und sonstigem Gerät aufgenommen hatte. Den Dienst durfte ein Höriger erst verlassen, wenn er seine Schuld getilgt hatte; und da er das in den meisten Fällen nicht konnte, eine Zurückerstattung des Wertes in Gestalt von Vieh ihn aber seines einzigen Betriebskapitals zum Leben beraubt haben würde, war er Zeitlebens zur Unfreiheit verurteilt.149

147 Vgl. den Bericht des Zivilagenten Oppenheimer an Graf Goluchowski, Saloniki, 29. April 1906, in: Diplomatische Aktenstücke . . . , S. 166-174.

148 DieAromunen,Bd. 1, Leipzig 1895,S. 11-13. 149 Makedonien. Landschafts- und Kulturbilder, Jena 1927, S. 50-51.

3 8 Die Entstehung der Makedonischen Frage

Schon eine nüchterne Prüfung dieses Zitats läßt jedoch Zweifel aufkommen, ob die - ökonomisch gewiß schlecht gestellten - Teilpächter in Makedonien tatsächlich von den Grundherren dinglich abhängige Hörige waren. Denn sie verfügten, wie Schultze-Jena selber hervorhebt, eben über eigenes Betriebskapital und bewirtschafteten das gepachtete Ackerland gemäß eigener Entscheidung. Ihr Verhältnis zu den Grundbe­sitzern war nämlich durch Verträge, abgeschlossen zwischen gleichberechtigten Par­teien, geregelt150 - weshalb R. Busch-Zantner, der dieses Verhältnis mit demjenigen zwischen einem ostelbischen Ritter und seinen Bauern vergleicht, auch zu dem Schluß kommt, „daß die sozialen und vor allem die rechtlichen Prärogativen, die mit einem deutschen Rittergut verbunden waren, beim Tschiftlik nicht gegeben sind".151

Gerade die spezifische Rechtsstellung der Teilpachtbauern aber sollte sich als ein Wirkungsfaktor im Wandel der makedonischen Agrarverfassung erweisen, dessen Be­deutung kaum zu überschätzen ist. Sahen sich die Bauern während der gesellschaft­lich-politischen Wirren zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch vielerorts dazu gezwun­gen, ein Teilpachtverhältnis mit den mächtigen Grundbesitzern einzugehen, so waren sie schon in der gewandelten wirtschaftlichen Situation um die Jahrhundertmitte -und zwar dank dem Umstand, daß sie ihren Grundbesitzern rechtlich gleichgestellt waren — in der Lage, aus diesem Teilpachtverhältnis wieder herauszutreten. Jeden­falls stellt Ch. Christov einen Rückgang im çiftlik-Besitz schon für die Zeit unmittel­bar nach dem Krimkrieg fest.152 Die sich verschlechternde materielle Situation der grundbesitzenden Schichten hatte zur Folge, daß viele çiftliks an Kaufleute, Geld­wechsler und sonstige Unternehmer veräußert wurden,1" und oft waren es auch die Teilpachtbauern selbst, die als Käufer solcher Güter auftraten.154

In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts war der Verfallsprozeß des Großgrundbe­sitzes bereits in einem fortgeschrittenen Stadium.155 Die Ergebnisse einer Enquete, die 1952/53 in Vardar-Makedonien durchgeführt wurde, sind hierfür bezeichnend: In den Gebieten, die das Territorium der heutigen S. R. Makedonien bilden, lebten um das Jahr 1903 8810 Bauernfamilien, mit 84.300 Seelen rund 9% der Gesamtbe­völkerung, als Teilpächter auf den çiftliks.1S6 Ihnen standen insgesamt 2018 Guts-

150 Vgl. Pop-Georgiev, Sopstvenosta vrz âiflicite . . . , S. 130. 151 Agrarverfassung . . . , S. 85 152 Siehe Agrarnite otnoSenija . . ., S. 104. 153 Vgl. ebd., S. 105,116. 154 Kutiöov konnte 1892 feststellen, daß z.B. in der Kaza Veles nur 16 % der bulgarischen

Bauern noch Teilpächter waren, während 27 % der noch bestehenden çiftliks sich nunmehr in bulgarischem Besitz befanden. Siehe Segalnoto i nedavnoto minalo na grad Veles, S. 205.

155 Schwer nachzuvollziehen ist die Hypothese I. Katardiievs, daß die Zahl der çiftlik-Güter im Sancak Seres in den 90er Jahren des 19. Jh. zugenommen habe. Siehe Serskiot okrug od Kresnenskoto vostanie do Mladoturskata revolucija. Nacionalno-polititki borbi Per Sancak von Seres vom Kresna-Aufstand bis zur jungtürkischen Revolution. Nationalpoliti­sche Kämpfe], Skopje 1968, S. 10-12.

156 Vgl. D. Bojanovski, „Ciflickite odnosi vo Makedonija okolu 1903 godina" [Der ciftlik-v/üt-schaftlichen Verhältnisse in Makedonien um das Jahr 19031, GodiSnik na pravnoekonom-skiot fakultet vo Skopje 1 (1954), S. 481. Nach Ch. Christov lebten zu Beginn des 20. Jh. auf dem Territorium der heutigen S. R. Makedonien insgesamt 908.904 Menschen. Siehe Agrarnite otnoSenija . . . , S. 90.

Agrarstrukturen unter osmanischer Herrschaft 39

besitzer gegenüber, von denen jedoch lediglich 359 einigermaßen größere Güter, im Durchschnitt über 100 ha, hatten und damit die Schicht der „Großgrundbesitzer" bildeten, während 752, d.h. 37% allerfz/r/zfc-Besitzer,durchschnittlich nur 15 ha Land besaßen.157 Auch unter Berücksichtigung der Forschungen Str. Dimitrovs, wonach auf dem Balkan gebietsweise ohnehin nur 5 bis höchstens 20 Prozent des Fis­kallandes in fj/r/i'fc-Besitz umgewandelt worden seien,158 kann damit konstatiert werden, daß die Gutswirtschaft zumindest im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts keine dominierende Rolle mehr im Agrarbereich spielte.159

Der Verfall des f/ff/ifc-Systems war zum Teil siedlungsgeographisch bedingt. Wie Busch-Zantner hervorhebt, lagen insbesondere die südmakedonischen çiftliks in Ge­genden, „die durch ihre Siedlungsungunst noch siedlungsfrei waren,.. . und es über­rascht daher nicht, wenn bereits wenige Jahrzehnte später diese vorgeschobenen çift­liks wieder aufgegeben worden sind."160 Eine andere Ursache des Rückgangs war dar­in zu suchen, daß die çiftliks auf einer extensiven Bewirtschaftung des Bodens, haupt­sächlich auf Getreideanbau, beruhten.161 Nach den von P. Draganoff angestellten Berechnungen hätten die çiftlik-Besitzer pro dönüm ca. 65 Piaster als Betriebskapital benötigt, um das Land unter Einsatz von Lohnarbeitern selbständig zu bewirtschaf­ten, wobei ein Weizenertrag im Wert von 90 Piastern - und somit ein Gewinn von 25 Piastern — zu erzielen gewesen wäre. Wenn sie aber ihre Felder in Teilpacht gaben, so war ihnen nach der obigen Berechnung die Hälfte des Ertrags im Wert von 45 Piastern als Einkommen sicher.162 Als jedoch der Anbau verschiedener Industriepflan­zen sich allmählich gegenüber dem traditionellen Getreideanbau in Makedonien durchsetzte, nahm auch die Abwanderung der Arbeitskräfte von den çiftliks zu, wel­che schließlich die Verödung der letzteren zur Folge haben sollte. In diesem Zusam­menhang wäre zunächst der Mohn zu erwähnen, der ab 1835 in Makedonien angebaut wurde.163 Der Mohnanbau war arbeitsintensiv und erforderte verhältnismäßig hohes Betriebskapital.164 Große Landgüter eigneten sich aus diesem Grunde für Mohnanbau

157 Vgl. Bojanovski, a.a.O., S. 474. 158 Vgl. „Küm vüprosa za otmenjavaneto na spachijskata sistema . . . " , S. 56-57; „CifliSkoto

stopanstvo prez 50-70-te godini na XIX vek" [Die fi/r/ifc-Wirtschaft in den 50er bis 70er Jahren des 19. Jh.], IP 11 (1955), 2, S. 20; „Za klasovoto razsloenie sred seljanite v Seve-roiztocna Bülgarija prez 70-te godini na XIX V," [Über die Klassenschichtung unter den Bauern in Nordostbulgarien in den 70er Jahren des 19. Jh.),/// BAN 8 (1960), S. 264.

159 Daß es dennoch Grund zur sozialpolitischen Unzufriedenheit in Makedonien gab, lag darin begründet, daß der selbständig bewirtschaftende mohammedanische Bauer durchschnitt­lich 5 ha, der selbständige christliche Bauer dagegen nur 2,35 ha Land hatte. Vgl. D. Bo­janovski, K. Dïonov, A. Petovska, Razvitokot na zemjodelstvoto vo Makedonija [Die Ent­wicklung der Landwirtschaft in Makedonien] Skopje 1955, S. 74, zit. bei Ch. Christov, Agrarnite otnoienija . . . , S. 99.

160 Agrarverfassung . . . , S. 133. 161 Vgl. ebd., S. 100. 162 Vgl. Draganoff, a.a.O., S. 50. 163 Vgl. Schultze-Jena, a.a.O., S. 103 ;Jaranoff, La Macédoine économique, Sofia 1931,8.69. 164 Vgl. D. Zografski, Razvitokot na kapitalistiökite element! vo Makedonija za vreme na tur-

skoto vladeenje [Die Entwicklung der kapitalistischen Elemente in Makedonien zur Zeit der türkischen Herrschaft], Skopje 1967, S. 164-165.

40 Die Entstehung der Makedonischen Frage

wenig.165 Da aber diese Kultur keine hohen Ansprüche an die Bodenqualität stellte und auch die Aussaat billig war, spielten im Mohnanbau mit der Zeit die selbständi­gen Kleinbauern die Hauptrolle. Noch mehr als der Mohn eignete sich der Tabak für den Anbau im bäuerlichen Kleinbe­trieb:

Die Intensität der Bodenbearbeitung auf kleinem Raum - die Größe des einzelnen Bauein­besitzes erreicht oft nicht und überschreitet nur wenig einen halben Hektar - und die In­anspruchnahme geschulter, des Lohnes ihrer Arbeit sicherer Menschenkraft, die der make­donische Tabakbau fordert, steht in stärkstem Gegensatz zu dem sozial lebensunfähigen, auf extensive Wirtschaft angewiesenen türkischen Großgrundbesitz."'

Die Tabakkultur erfuhr im 19. Jahrhundert eine rasche Verbreitung in Makedonien und erlangte gegen Ende des Jahrhunderts ihren bedeutenden Platz in der Landwirt­schaft, als der Tabak zum Hauptausfuhrartikel des Landes wurde.167 Im Sancak Drama und in einem großen Teil des Sancak Seres war der Tabakanbau vorherr­schend. Dieses Hauptanbaugebiet befand sich um die Jahrhundertwende in ständi­ger Erweiterung nach dem Vardartal und dem Becken von Üsküp hin.168 Am Anfang des 20. Jahrhunderts entflammte ein Konkurrenzkampf zwischen der American Tobacco Company und den bis dahin das Geschäft beherrschenden europäischen Firmen um den Aufkauf makedonischer Tabakernten, in dessen Verlauf die Preise eine ungewöhnliche Höhe erreichten. Die Verdoppelung der Anbaufläche des Tabaks im Jahre 1902 war die Folge. Vielerorts verdrängte die Tabakkultur den Anbau von Brotfrüchten, weil der Wert des Tabaks etwa 13mal größer als der des Weizens war.169

Die Seidenraupenzucht verdient in diesem Zusammenhang ebenfalls Erwähnung. Ihre Zentren waren das untere Vardartal (Gevgeli), die Kampania von Saloniki, das Gebiet um Vodenaund der Kreis Strumica.170 Die frischen Kokons stellten nach dem Tabak den zweitwichtigsten Ausfuhrartikel Makedoniens dar. Betrug ihre Pro­duktion im Jahr 1902 1.870.000 kg, so erreicht sie bereits im Jahr 1905 3.454.000 kg.171 Das starke Interesse der ländlichen Bevölkerung an der Seidenraupenzucht lag wohl daran, daß man sich damit verhältnismäßig leicht Bargeld verschaffen konn­te, das angesichts der wenig entwickelten Wirtschaftsverhältnisse auf dem Lande ein höchst willkommenes Einkommen war.172

165 Hierzu u.z. folg. vgl. Levante-Handbuch, hrsg. v. D. Trietsch, Berlin, 3. Ausg. 1914, S. 280. 166 Schultze-Jena, a.a.O., S. 202. 167 Hierzu u.z. folg. vgl. J. Frh. von Schwegel, „Das türkische Tabakmonopol", ÖMO 10

(1884), S. 65-73; „Tabakanbau und Tabakausfuhr der europäischen Türkei", ÖMO 33 (1907), S. 43-44; Zografski, a.a.O., S. 148-156.

168 Siehe J. Hadzi Vasiljevic, Skoplje i njegova okolina. Istoriska, etnografska i kultumo-poli-tiika izlaganja [Skopje und seine Umgebung. Historische, ethnographische und kulturell­politische Betrachtungen], Beograd 1930, S. 214-215.

169 Vgl. Schultze-Jena, a.a.O., S. 202. 170 Vgl. Levante-Handbuch, S. 273-275. 171 Ebd., S. 271. 172 „Landwirtschaftliche Verhältnisse in Makedonien", ÖMO 33 (1907), S. 107. Vgl. auch

Schultze-Jena, a.a.O., S. 97.

Agrarstrukturen unter osmanischer Herrschaft 41

Ein weiterer Faktor, der beim Studium der Verhältnisse in Makedonien zu Beginn des 20. Jahrhunderts berücksichtigt werden muß, war die Auswanderung. Daß ein Teil der makedonisch-slawischen Intelligenz wegen des Fehlens geeigneter Beschäfti­gungsmöglichkeiten im eigenen Lande in die Fremde (meist nach Bulgarien) zog, war in diesem Zusammenhang von weniger Gewicht. Was schwererwog, war der Umstand, daß auch junge Landarbeiter hauptsächlich nach Nordamerika auswanderten:

Die bemerkenswertesten Wirkungen der Auswanderung haben sich größtenteils in der Landwirtschaft geltend gemacht Eine Verminderung des Angebotes an ländlicher Arbeits­kraft, eine Steigerung der Löhne der landwirtschaftlichen Arbeiter und eine empfindli­che Verteuerung sämtlicher Lebensmittelpreise waren ihre unmittelbaren Folgen. Natur­gemäß erlitten die Grundbesitzer oft empfindliche Kapitalverluste . ..173

Diese Auswanderung nahm in den Jahren 1905 und 1906 stark zu. Nach einer Berech­nung betrug die Zahl der Personen, die zwischen 1902 und 1906 ausgewandert wa­ren, 25.000 und somit 10% der arbeitsfähigen männlichen Bevölkerung.174 Die Ar­beiter verbrachten gewöhnlich 3-5 Jahre in Nordamerika, bis sie sich Geld im Wer­te von umgerechnet 8-10.000 frs erspart hatten.175 Die von ihnen an ihre Angehöri­gen in der Heimat überwiesenen Beträge, die sich jährlich auf 20—30 Millionen frs beliefen,176 wurden nun zum Teil in Grundbesitz angelegt.177

Die oben geschilderte Entwicklung trug (neben anderen Faktoren) dazu bei, daß das Angebot an Arbeitskraft im Agrarsektor immer knapper wurde. Der Tageslohn eines Landarbeiters steig von 8 bis auf 15 Piaster.178 Da auch die Teilpächter in die Städte - Saloniki, Kavala und Gevgeli - zogen, um dort meist in der Tabak verarbeitenden Industrie neue Beschäftigungen zu finden, verfielen zahlreiche çiftliks. Diese Güter, mit verwahrlosten Gebäuden, wurden nun zum Verkauf angeboten.179 Der Preis des Bodens sank. Viele unverkäufliche çiftliks wurden an Hirten als Weide verpach­tet.180

Dieser Rückgang des Ackerbaus in den Ebenen zugunsten der Vieh- und Weidewirt­schaft in einer Zeit, in der die selbständigen Bauern besonders in den gebirgigen Ge­genden Makedoniens nicht genug Land zum Bewirtschaften hatten, war das Haupt­dilemma der osmanischen Agrarstruktur — ein Dilemma, dessen soziales Krisenpo­tential durch die makedonische Befreiungsbewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts funktionalisiert werden konnte.

173 „Die Auswanderung aus Makedonien" (Entnommen dem Jahresbericht desk. u. k. General­konsulats in Saloniki pro 1906), ÖMO 33 (1907), S. 75.

174 Ranzi an Goluchowski. Monastir, 11. Juli 1906, Nr. 33, HHStA, PA XXXVIII/395. 175 Vgl. Levante-Handbuch, S. 271. 176 „Bank- und Geschäftsverhältnisse in Salonick" (Nach einem vom 3. Jänner l.J. datierten

Berichte des k.u.k. Konsularattachés Georg Adamkiewicz), ÖMO 34 (1908), S. 15. Siehe auch Levante-Handbuch, S. 271.

177 Ranzi an Goluchowski, Monastir, 11. Juli 1906, Nr. 33, HHStA, PA XXXVIII/395. 178 „Landwirtschaftliche Verhältnisse in Makedonien", ÖMO 33 (1907), S. 107. 179 „Der Ackerbau in Makedonien", ÖMO 34 (1908), S. 97. 180 „Der unbemittelte bzw. verschuldete Grundbesitzer aber und unbemittelt und verschul­

det sind heute schon die meisten - ließ alles liegen und verkaufte, wenn ihm die Schulden über dem Kopf wuchsen. Nur selten fand er einen Herdenbesitzer, der sein Gut als Weide pachtete." Levante-Handbuch, S. 270-271.

2. DIE GRÜNDUNG DES BULGARISCHEN EXARCHATS

Die Entstehung und Entwicklung der Unabhängigkeitsbewegungen auf dem Balkan im 19. Jahrhundert sind zwar ohne eine Analyse der jeweiligen Agrarstrukturen kaum adäquat erklärbar. Dennoch darf die Bedeutung der Tatsache nicht unterschätzt wer­den, daß diese Bewegungen hauptsächlich von Angehörigen städtischer Schichten ins Leben gerufen und geführt wurden. Es sei daraufhingewiesen, daß das „Bulgarische Revolutionäre Zentralkomitee", die bedeutendste politische Organisation innerhalb der bulgarischen Befreiungsbewegung in den 70er Jahren, kein Agrarprogramm hat­te.181 So ist auch die „Makedonische Frage" nur in einem mittelbaren Zusammenhang mit den besonderen Agrarverhältnissen des Landes zu sehen. Unmittelbar war sie da­gegen mit der Gründung des bulgarischen Exarchats im Jahre 1870 verbunden. Es wird nun im folgenden zu zeigen sein, daß die „Makedonische Frage" als politischer Ausdruck eines innerbalkanischen Volksgruppenkonfliktes zu werten ist, der sich im Rahmen des osmanischen millet-Systems als eine konfessionelle Auseinandersetzung darstellte»"

I a) Das millet-System

Unter diesem Begriff ist die gesellschaftlich-politische Verfassung des Osmanischen Reiches zu verstehen, gemäß derer sich jede religiöse Gruppe unter ihrem religiösen Oberhaupt als autonome „nationale" Gemeinschaft (millet) organisierte.182 Da die Religionszugehörigkeit der Zugehörigkeit zu einer sprachlich und kulturell einheit­lichen Volksgruppe übergeordnet war, bildeten so verschiedene Völker wie Türken, Araber, Kurden und die slawisch sprechenden Mohammedaner ein, die Griechen mit christlich-orthodoxen Slawen und Arabern ein anderes millet, während beispiels­weise das armenische Volk in zwei millets eingeteilt war: das armenisch-gregoriani­sche und das armenisch-katholische.183 Die Juden hatten ebenfalls ihr eigenes millet.184 Das System beruhte auf dem Personalprinzip des Rechts (im Gegensatz zum Territorialprinzip), das im Orient teilweise bis in das 20. Jahrhundert hinein galt.185 Nach dem diesem System zugrunde liegenden Rechtsverständnis mußten die zivilen Angelegenheiten von Privatpersonen nach demjenigen Recht geregelt werden, dem sie aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit unterstanden. So vereinbar-

181 Vgl. V. D. Konobeev, Bülgarskoto nacionalnoosvoboditelno dviienie. Ideologija, progra-ma, razvitie [Die bulgarische nationale Befreiungsbewegung. Ideologie, Programm, Ent­wicklung], Sofija 1972, S. 368-372.

182 Zum millet-Begriff siehe Lewis, The Emergence of Modern Turkey, S. 329: Der Islam II (Fischer Weltgeschichte, Bd. 15), Frankfurt/M. 1971, S. 90-93; Karpat, An Inquiry into the Social Foundations of Nationalism in the Ottoman State . . . , S. 31-33.

183 Vgl. Lewis, The Emergence of Modern Turkey, S. 329. 184 M. R. Franco, Essai sur l'histoire des Israélites de l'Empire ottoman depuis les origines

jusqu'à nos jours, Hildesheim-New York 1973 (Nachdruck d. Ausg. Paris 1897), S. 32. 185 Siehe N. Sousa, The Capitulary Regime of Turkey. Its History, Origin, and Nature, Balti­

more 1933, S. 27-33. Vgl. auch Davison, Reform in the Ottoman Empire, S. 13.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 43

ten die Osmanen früh in ihrer Geschichte mit den Byzantinern, daß in Konstanti-nopel ein Kadi residierte, um über die mohammedanischen Kaufleute in der Stadt Gerichtsbarkeit auszuüben, „denn über einen Moslem darf nur ein Moslem rich­ten".186

Das millet-System hatte sich in seinen Grundzügen bereits im arabischen Reich im 7. Jahrhundert herausgebildet, so daß der Rechtsstatus, den die Osmanen ihren christ­lichen Untertanen einräumten, durch die staatspolitische Tradition des Islam weit­gehend festgelegt war.187 Die Gewährung desaman (Gnade) an die sich unterwerfen­de und um Gnade bittende nichtmohammedanische Bevölkerung, wodurch diese dem Tod oder der Sklaverei entging, ihr bewegliches Eigentum behielt und ihre Religion ausüben durfte, bildete im islamischen Nahen Osten die Grundlage für die Erhaltung der christlichen Kirchen.188 Der osmanische Herrscher Mehmed II. ging jedoch in dieser Hinsicht einen Schritt weiter: Obwohl sich Konstantinopel 1453 nicht freiwillig ergab, sondern „im Sturm" eingenommen wurde und deshalb keine Gnade von dem Eroberer erwarten durfte, gab er dennoch die Stadt - eigentlich unter Mißachtung der Bestimmungen des islamischen Rechts - der drohenden völligen Plünderung und Destruktion nicht preisj89 Noch folgenreicher war sein Beschluß, die Wiedererrich­tung des griechisch-orthodoxen Patriarchats von Konstantinopel zu veranlassen,190

wobei anzumerken ist, daß die neuen Patriarchen, fortan hohe Würdenträger des Os-manischen Reiches, sich größerer Befugnisse erfeuen sollten als ihre Vorgänger unter den byzantinischen Kaisern:?91 Die osmanischen Herrscher mischten sich in die An­gelegenheiten der orthodoxen Kirche grundsätzlich nicht ein.192 Die Verwaltung des Kirchen- und Klosterbesitzes blieb dem Patriarchat überlassen. Die Erlasse der Pfor­te, die in irgendeiner Weise die Geistlichkeit oder das Kirchengut betrafen, bedurften der Bestätigung des Patriarchen. Dieser durfte auch die Höhe der Abgaben, die das

186 Ducas, Historia Byzantina (Bonn Ed.), S. 49 zit. nach G. G. Ainakis, „The Greek Church of Constantinople and the Ottoman Empire", JMH 24 (1952), S. 240.

187 Zur Rechtslage religiöser Minderheiten im arabischen Kalifat siehe G. E. von Grunebaum, Medieval Islam. A Study in Cultural Orientation, (Phoenix ed.), Chicago 1961, S. 177— 185.

188 Siehe H. Scheel, Die staatsrechtliche Stellung der ökumenischen Kirchenfürsten in der al­ten Türkei, Berlin 1943, S. 7. Vgl. auch G. Hering, „Das islamische Recht und die Investi­tur des Gennadios Scholarios (1454)", S. 235.

189 Zu dieser Problematik siehe F. Giese, „Die geschichtlichen Grundlagen für die Stellung der christlichen Untertanen im osmanischen Reich", Der Islam 19 (1931), S. 264-277, und S. Runcim&n, Die Eroberung von Konstantinopel 1453, München 1977, S. 151-166.

190 1453 war der ökumenische Stuhl seit zwei Jahren vakant gewesen. Kardinal Isidore, der päpstliche Legat, war der höchste Geistliche in der Stadt. Vgl. Arnakis, a.a.O., S. 235-236.

191 Der Sultan war nicht nur bereit, „to recognise the ancient religious privileges of the Patri­arch, but, beyond these, to grant him considerable political authority as well." N. J. Pan-tazopoulos, Church and Law in the Balkan Peninsula During the Ottoman Rule, Thessalo­niki 1967, S. 13.

192 Vgl. im Gegensatz dazu die Beschreibung der Verhältnisse zur Zeit Justinians (527-565): „Auch in der Kirche regierte der Kaiser weithin als absoluter Herrscher: er entschied ohne Befragung von Synoden Fragen des Dogmas, des Ritus und der kirchlichen Ordnung, er­ließ Verhaltensvorschriften für den Klerus und besetzte souverän Bischofsstühle."Byzanz, (Fischer Weltgeschichte, Bd. 13), Frankfurt/M. 1973, S. 63.

44 Die Entstehung der Makedonischen Frage

griechisch-orthodoxe millet zum Unterhalt der Kirche und des Klerus zu entrichten hatte, unabhängig von der staatlichen Gewalt festlegen. Die vom Patriarchen beauf­tragten Geistlichen und Laien hatten das Recht, bei der Erfüllung ihrer Funktionen - z.B. bei der Einziehung der Kirchensteuern - von örtlichen Behörden militärische Begleitung anzufordern. Alle Zivilrechtsfälle, wie Heirats-, Scheidungs-, Vormund­schafts- und Erbschaftsfragen, wurden vor den Kirchen tribunalen entschieden. Das Patriarchat hatte die Schulhoheit. In seiner Eigenschaft als m//fef fajj (Ethnarch) ver­trat der Patriarch das griechisch-orthodoxe millet auch politisch gegenüber der osma-nischen Regierung und hatte darüber hinaus das Recht, in diplomatischen Verkehr mit fremden Staaten zu treten.193

Man darf vermuten, daß die Faktoren, die den osmanischen Staat veranlaßten, dem griechisch-orthodoxen Patriarchat einen privilegierten Status zu gewähren, machtpo­litischer Art waren. Das Osmanische Reich verfolgte nämlich ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine bewußt imperiale Politik.194 Mehmedll.warein Herrscher, der sich für den legitimen Nachfolger der byzantinischen Kaiser hielt und sich daher nicht nur der türkisch-islamischen, sondern auch der christlich-byzantinischen Tra­dition verpflichtet fühlte.195 Aufgrund dieser seiner Einstellung trat er als Protektor der Ostkirche auf, was mit dazu beitrug, daß der alte Streit zwischen Ost- und West­kirche weitergeführt wurde.196 Die Aufrechterhaltung der dogmatischen Positionen der Ostkirche war für den osmanischen Staat u.a. deshalb von Bedeutung, weil die Serben es beispielsweise vorzogen, unter der Türkenherrschaft bei ihrem angestamm­ten orthodoxen Glauben zu bleiben, anstatt sich dem Papsttum und seinem lateini­schen Ritus anzuschließen.197 Der Sultan wußte also, eine gegebene Situation (An­tagonismus zwischen Orthodoxie und Katholizismus) in einen Faktor umzuwandeln, der der Konsolidierung seiner Macht auf der Balkanhalbinsel förderlich war.198

193 Über die Machtbefugnisse der Patriarchen und Metropoliten der griechisch-orthodoxen Kir­che im Osmanischen Reich siehe Giese, a.a.O., E. Herman, „Das bischöfliche Abgaben­wesen im Patriarchat von Konstantinopel vom XI. bis zur Mitte des XIX. Jahrhunderts", OCP 5 (1939), S. 477-513; Scheel, a.a.O., S. 21-37; T. H. Papadopoullos, Studies and Documents relating to the History of the Greek Church and People under Turkish Domi­nation, Brussels 1952, S. 4-13; J. Kabrda, „Les documents turcs relatifs aux droits fiscaux des métropolites orthodoxes en Bulgarie du XVIIIe siècle", AO 26 (1958), S. 59-80; Arna-kis, a.a.O., S. 242-243; Hering, „Das islamische Recht.. .",S. 249-251 ;Pantazopoulos, a.a.O., S. 23-25,43 -55; E. Werner, Die Geburt einer Großmacht. . . , S. 294-298.

194 „Mit dem Besitze Konstantinopels wurde das Osmanentum Erbe der oströmischen Poli­tik und damit der auf das Mittelmeerbecken gerichteten römischen Machtanspriiche über­haupt." Babinger, Mehmed der Eroberer .. . , S. 454.

195 „The Conqueror created in his person the prototype of Ottoman sultans combining Turkish, Islamic and Byzantine traditions." Inalcik, „The Rise of the Ottoman Empire", in: ne Cambridge History of Islam, Bd. 1, Cambridge 1970, S. 297.

196 Nach G. G. Arnakis schürte der Sultan diesen Streit mit Absicht. Siehe a.a.O., S. 236. 197 Hierzu vgl. J. W. Zinkeisen, Geschichte des Osmanischen Reiches in Europa, Bd. 2, Gotha

1854, S. 114-117 iRanjae, Serbien und die Türkei.. . ,S. 19-20. 198 Hierzu bemerkt Hering: „Wollte Mehmed weiterhin Eroberungskriege führen und gleichzei­

tig materiellen Nutzen aus dem bezwungenen Gebiet ziehen, mußte die Kirche als Verwal­tungsinstrument in seinen Dienst treten." A.a.O., S. 244.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 45

Das griechisch-orthodoxe Patriarchat von Konstantinopel ist denn auch vom Jahre 1454 an als eine „Regierungsanstalt des osmanischen Reiches" anzusehen.199 In den letzten Jahrzehnten von Byzanz hatte die Ostkirche kurz davor gestanden, sich dem katholischen Rom unterwerfen zu müssen.200 Nun aber war die Orthodoxie - dank dem Aufstieg der Osmanen nicht nur gerettet, sie sollte sogar verlorenes Terrain — Peloponnes, Zypern,Kretau.a.-zurückgewinnen;ihre katholischen Feinde im Orient (Venedig und Genua) sollten besiegt und zurückgedrängt werden.201 Mit den Gren­zen des Reiches erweiterte sich nun auch der Kompetenzbereich des Patriarchats.202

Die Organisationseinheit des griechisch-orthodoxen milkt war die relativ autonome Stadt- bzw. Dorfgemeinde.203 Ein vom Volk gewählter Gemeindevorsteher {kocabaçi) sorgte in Zusammenarbeit mit den ebenfalls gewählten Mitgliedern eines Ältestenra­tes in erster Linie dafür, daß die Geldmittel für die Gemeindekirche und -schule ge­sichert waren.204 Darüber hinaus fungierte er als Vertreter sowohl der Zentralregie­rung als auch des Patriarchats: der ersteren gegenüber war er vor allem verantwortlich für den regelmäßigen Eingang der Kopfsteuer bzw. später der Militärbefreiungssteuer, im Namen des Patriarchen trieb er die Kirchensteuern ein. Lag die Gemeindeführung in größeren Städten unmittelbar in den Händen von Metropoliten und Bischöfen, so gab es auch Ortschaften, deren Verwaltung dank der tonangebenden Position der Korporationen ausgesprochen bürgerliche Züge trug.205 Spezielle Formen der Selbst­verwaltung waren daneben in jenen Gegenden zu beobachten, wo die Bevölkerung der Kategoriemuafreäya die Mehrheit bildete.206 Ab dem 17. Jahrhundert stammten

199 F. Eichmann, Die Reformen des Osmanischen Reiches mit besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses der Christen des Orients zur türkischen Herrschaft, Berlin 1858, S. 82.

200 Zur Frage der Kirchenunion siehe Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, S. 465-467,469-470.

201 Die Furcht der Ostkirche vor der Latinisierung blieb trotzdem als Faktor bestehen: „What we may call the Struggle against the Latins is the most memorable chapter in the history of the Eastern Church under Turkish domination." Papadopoullos, a.a.O., S. 152.

202 Über einige Auswirkungen der Etablierung der osmanischen Herrschaft auf dem Balkan in konfessionellem Bereich siehe K. S. Draganovic, „Massenübertritte von Katholiken zur .Orthodoxie' im kroatischen Sprachgebiet zur Zeit der Türkenherrschaft", OCP 3 (1937), S, 181-232, und „Über die Gründe der Massenübertritte von Katholiken zur .Orthodoxie' im kroatischen Sprachgebiet", ebd., S. 550-599.

203 D. Djordjevic sieht die Existenz einer lokalen Autonomie auf dem Balkan im Zusammen­hang mit der Krise des osmanischen Staates, ohne das millet-System überhaupt zu erwäh­nen. Siehe Revolutions nationales des peuples balkaniques 1804-1914, Beograd 1965, S. 15 16.

204 Über die Gemeindeorganisation des orthodoxen millet siehe S. Tanovic, „Selo kao soci-jalna zajednica i upravna jedinica u Djevdjeliskoj Kazi u zadnje tursko doba" [Das Dorf als soziale Gemeinschaft und administrative Einheit im Landkreis Gevgeli gegen Ende der Tür­kenzeit], Srpska akademija nauka, Zbomik radova, kn. 4, Beograd 1950, S. 101-120. Vgl. außerdem Davison, Reform in the Ottoman Empire, S. 127.

205 Zu erwähnen wären die aromunische Stadt Muscopole und die bulgarischen Ortschaften Gabrovo, Koprivätica, Teteven und Trjavna. Vgl. Ch. Christov, Bülgarskite obitini prez vüzrazdaneto [Die bulgarischen Gemeinden während der nationalen Wiedergeburt], Sofija 1973, S. 53,56.

206 So in den bulgarischen Städten Kotel, Kalofer, Klisura, Loveê, Panagjuriäte, Samokov, Ciprovci u.a. Vgl. ebd., S. 62.

46 Die Entstehung der Makedonischen Frage

die Gemeindevorsteher (kocabaçi, knez, kmet) vor allem aus den Reihen der çorbaci — Grundbesitzer, Müller, Viehhändler, Geldverleiher und ähnliche Gruppen — die durch den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes wohlhabend geworden waren.207

Sie traten im 18. und 19. Jahrhundert als eine begüterte soziale Schicht in Erschei­nung, die in manchen Gegenden eine Art Landadel bildete.208

Im 18. Jahrhundert lag das Geschick des gesamten orthodoxen milkt in den Händen von „Phanarioten", einer christlichen Oligarchie - dem ethnischen Ursprung nach Griechen, Walachen, Albaner, Italiener — deren Mitglieder hauptsächlich als Zollpäch­ter, Heereslieferanten, Kaufleute usw. reich geworden waren.209 Sie wohnten im Stadtteil „Phanar" (heute „Fener") von Istanbul, im kommerziellen Zentrum des Griechentums, in dem seit 1600 auch das griechisch-orthodoxe Patriarchat seinen Sitz hatte.210 Die Phanarioten waren bestrebt, zusätzlich zu ihrer wirtschaftlichen Macht auch politischen Einfluß im Osmanischen Reich zu gewinnen.211 Dies erlangten sie dann als Dragomane der Pforte: So hatte Panagiotes Nikussius (1613 1673), lange Zeit Dragoman bei der Pforte, die Macht eines Wesirs — „alle diplomatischen Geschäf­te lagen in seiner Hand".212 Nach ihm war dasselbe Amt für 36 Jahre (1673-1709) von Alexandras Mavrokordatos besetzt, der als Bevollmächtigter der Pforte auch die Friedensverhandlungen von Karlowitz (1699) auf osmanischer Seite leitete.213 Sein Sohn, Nikolaos Mavrokordatos, wurde im Jahre 1709 zum Hospodar der Moldau er­nannt.214 Von nun an lag die Verwaltung der Donaufürstentümer, der Moldau und der Walachei, bis 1821 ununterbrochen in der Hand der Phanarioten. Durch ihre sprichwörtlich rücksichtslose Ausbeutung der Bauernschaft häuften diese Hospodaren enorme Reichtümer an, die sie dann wieder in Geldverleihgeschäften gewinnbringend

207 Über die çorbaci als soziale Schicht siehe H. Wendel, Der Kampf der Südslawen um Frei­heit und Einheit, Frankfurt/M. 1925, S. 296 ff.; M. Macdermott, A History of Bulgaria 1393-1885, London 1962, S. 68-70; Ch. Gandev, Problemi na bülgarskata vùzraïdane [Probleme der bulgarischen Wiedergeburt), Sofija 1976, S. 182-196.

208 Nach Sir William Gell gab es „a saying common among the Greeks that the country la­bours under three curses, the priests, the cogia bashis, and the Turks; always, placing the plagues in this order." Narrative of a Journey in the Morea, London 1823, S. 65-66, zit. bei R. Clogg, „Aspects of the Movement for Greek Independence", in: The Struggle for Greek Independence, hrsg. v. R. Clogg, London 1973, S. 18.

209 Vgl. C. Mango, „The Phanariots and the Byzantine Tradition", in: The Struggle for Greek Independence, S. 45 ; siehe auch A. Pippidi, „Phanar, Phanariotes, Phanariotisme", RESEE 13 (1975), S. 231-239.

210 Vgl. Stavrianos, The Balkans since 1453, S. 270. 211 In der einschlägigen Literatur wird zuweilen die Vermutung geäußert, daß die Phanarioten

sich von der Idee eines wiedererstehenden byzantinischen Reiches hätten leiten lassen. Vgl. S. Runciman, The Great Church in Captivity, Cambridge 1968, S. 378-379.

212 N. Jorga, Geschichte des Osmanischen Reiches, Bd. 4, Gotha 1911, S. 281. 213 Bei dieser Gelegenheit habe sich Mavrokordatos für einen hohen Betrag von Österreich be­

stechen lassen, wie ihm auch nachgesagt wird, daß er von der französischen Botschaft ein jährliches Honorar in Höhe von 4.000 Pfund für seine Dienste bezogen habe. Vgl. Mango, a.a.O., S. 46. Über Mavrokordatos lesen wir bei Jorga: „Innerhalb der griechischen Kirche war Mavrokordatos' Herrschaft eine fast unbeschränkte . . . ökumenischer Patriarch oder Patriarch von Jerusalem wurde nur jemand, dem er gegen gute Bezahlung seine Protektion zuwendete." a.a.O., S. 285.

214 Siehe N. Jorga, Byiance après Byzance, Bucarest 1971 (' 1935), S. 230.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 47

anlegten.215 So finanzierten sie den Ämterkauf in der Kirche,der im 18. Jahrhundert allgemein praktiziert wurde.216 Betrug das „Geschenk", das ein neugewählter Patri­arch dem Sultan überreichen mußte, um die notwendige Bestätigungsurkunde (berat) zu erhalten, im 16. Jahrhundert noch 2.000 Goldstücke, so belief es sich im 17. Jahr­hundert auf 100.000 Dukaten.217 Dadurch, daß nur die Phanarioten in der Lage wa­ren, solch hohe Beträge vorzuschießen, erlangten sie einen stetig wachsenden Einfluß auf die Kirche. Zum Zeichen ihrer Macht wurden sie als Laienmitglieder in den Heili­gen Synod aufgenommen.218

Die Herrschaft der Phanorioten über die griechisch-orthodoxe Kirche war eine erdrük-kende Last vor allem für jene Balkanvölker, die ethnisch nicht zum Griechentum ge­hörten.219 Denn die Patriarchen, die ihre Ämter selbst teuer gekauft hatten, vergaben ihrerseits die Metropolien und Eparchien an meistbietende Interessenten. In einem solchen System versteht es sich von selbst, daß auch die Metropoliten auf ähnliche Weise vorgingen. Diese verlangten von den niedrigen Geistlichen, die sie weihten, ebenfalls eine Kaufsumme.220 Das hatte zur Folge, daß die christliche Bevölkerung der Balkanhalbinsel zuweilen bis zu 19 verschiedene Abgaben an die Kirche zu ent­richten hatte, deren Gesamtsumme in den meisten Fällen die Summe der Steuern überstieg, die sie an die osmanische Staatskasse zahlte.221

Als das osmanische Reich infolge militärischer Niederlagen und innerer sozio-öko-nomischer Auflösungsprozesse gegen Ende des 17. Jahrhunderts Gebietsverluste hin­nehmen mußte und diese Entwicklung sich im 18. Jahrhundert sogar noch beschleu­nigte, war die Machtstellung des griechisch-orthodoxen Patriarchats — und der Pha­narioten — ebenfalls bedroht. Damit wurde der Kompetenzbereich der Ostkirche in Europa nicht nur kleiner, sondern das ökumenische Patriarchat im Nahen Osten selbst war in Bedrängnis geraten. Europäische Staaten - Frankreich, England, Österreich - begannen, ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluß im Osmanischen Reich

215 Vgl. Runciman, a.a.O., S. 375, und Mango, a.a.O., S. 46-47. 216 Die Anfänge dieses Abusus gehen auf das 15. Jh. zurück, als die Griechen aus Trapezunt

und Konstantinopel zwei um die Wurde des Patriarchenamtes miteinander rivalisierende Fraktionen bildeten und, um das Patriarchat jeweils in ihren eigenen Reihen zu erhalten, dem Sultan von sich aus Geld anboten. Vgl. Zinkeisen, Geschichte des Osmanischen Reiches .. . , Bd. 2, S. 11-13; Mango, a.a.O., Anmerkung 46;C. Eliot, Turkey in Europe, 2. Ausg., London 1908, S. 245-246.

217 Vgl. Eliot, a.a.O., S. 246-247, undlstorija na Bülgarija (v tri toma), Bd. 1, Sofija 1961, S. 376-377.

218 Hierzu vgl. Papadopoullos, a.a.O., S. 39-60. 219 „The Phanariot clergy in Bulgaria, Eastern Roumelia, and Macedonia were little more than

a body of rapacious and extortionate tax-gatherers sent to fleece the Slavonic populations for the Patriarch of Constantinople . . . " Eliot, a.a.O., S. 251.

220 Vgl. Ranke, Serbien und die Türkei... , S. 29-30. Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß das griechisch-orthodoxe Abgabenwesen und Gebühren für Amtshandlungen, wie die Weihe, Ehebewilligung usw. sich bereits im byzantinischen Reich (im 11. Jh.) im wesentlichen herausgebildet hatten. Siehe hierzu Herman, „Das bischöfliche Abgabenwe­sen im Patriarchat von Konstantinopel", S. 434-476.

221 Vgl. K'osev, Istorija na makedonskoto nacionalno revoljucionno dviienie, S. 28-29. Für eine Aufstellung dieser Abgaben siehe Ch. Gandev, Problemi na bülgarskata vüzraidane, S.86.

48 Die Entstehung der Makedonischen Frage

auch dahingehend zur Geltung zu bringen, daß den westlichen Kirchen erlaubt wur­de, im Orient Missionsarbeit zu betreiben.222 Zum Beispiel waren die Jesuiten bis zur Auflösung des Ordens im Jahre 1773 in Ägypten und Syrien erfolgreich tätig. Ihre Arbeit, die in erster Linie auf die „Bekehrung" der orthodoxen Bevölkerung zum Katholizismus zielte, wurde ab 1782 von der „Congrégation de la Mission" (Lazari-stenmission) fortgeführt.223 Die Zahl der orthodoxen Christen unter der kirchlichen Jurisdiktion der Patriarchate von Antiochien und Jerusalem ging stark zurück.224

Die Haltung des griechisch-orthodoxen Patriarchats gegenüber den nationalen Befrei­ungsbewegungen der christlichen Balkanvölker zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist vor diesem Hintergrund zu sehen.225 Sie war einmal dadurch bedingt, daß die Phana-rioten ein ökonomisch-machtpolitisches Interesse am unversehrten Weiterbestehen des Osmanischen Reiches hatten, und zum anderen dadurch, daß die Furcht der Kir­chenfürsten vor der Latinisierung der orthodoxen Kirche wegen der katholischen Mis­sionsarbeit im Orient von neuem erweckt worden war. So bildete das ökumenische Patriarchat quasi eine Allianz mit dem osmanischen Staat gegen die christlichen Be­freiungsbewegungen im Osmanischen Reich.

Die antinationale Haltung des Patriarchats bedeutete andererseits aber nicht, daß die Interessen des Hellenismus von ihm nicht gefördert wurden (wenigstens solange, wie diese Interessen sich mit denen der Phanarioten deckten). So gelangten „schon im XVI., aber namentlich im XVII. Jahrhundert... überall im türkischen Reiche an Stelle der eingeborenen Kleriker Griechen auf die Bischofsstühle."226 Beispielsweise ende­te der lange Widerstand der autochthonen Landespartei im Sprengel von Ochrid ge­gen die phanariotischen Usurpationsversuche mit einer vollständigen Niederlage, als im Jahre 1767, nach der Aufhebung des serbischen Patriarchats (1766), das Erzbis­tum von Ochrid ebenfalls abgeschafft und sein Gebiet in das des Patriarchats von Konstantinopel eingegliedert wurde.227

Als aber in der Epoche der Französischen Revolution deren Ideen unter der griechi­schen Intelligentsia Anhänger fanden und diese sich anschickten, das griechisch-orthodoxe milkt zum Aufstand gegen die Osmanen zu ermutigen, stellte sich das Patriarchat entschlossen gegen sie: In einem im Jahre 1798 in Konstantinopel er­schienenen Pamphlet mit dem Titel Didaskalia Patriki (Väterliche Ermahnung), das angeblich von Anthimon, dem Patriarchen von Jerusalem, verfaßt worden war, un­ternahm man den Versuch, den politischen Freiheitsgedanken zu diskreditieren.228

222 Siehe R. Gruiich, Die unierte Kirche in Mazedonien (1856-1919), Würzburg 1977, S. 27-29. Über die katholische und protestantische Missionstätigkeit in Makedonien im 16. und 17. Jh. siehe A. E. Vacalopoulos, History of Macedonia 1354-1833, Thessaloniki 1973, S. 182-189.

223 Vgl. Gruiich, a.a.O., S. 33. 224 Siehe Papadopoullos, a.a.O., S. 91. 225 Vgl. 2. Markova, V. Gjuzelev, „Les racines historiques de la lutte des Bulgares pour une

église indépendante", Bulgarian Historical Review, 1974, 1, S. 28-39. 226 H. Geizer, Der Patriarchat von Achrida. Geschichte und Urkunden, Leipzig 1902, S. 150. 227 Vgl. ebd.,S. 150-151. Siehe auch Jotga, Byzance après Byzance, S. 23-25. 228 Über die Frage der Autorschaft dieses Pamphlets herrscht Unklarheit. Ch. A. Frazee hält es

für wahrscheinlich, daß es aus der Feder des späteren Patriarchen Gregorios V. stammte. Siehe The Orthodox Church and Independent Greece 1821-1852, Cambridge 1969, S. 8.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 49

Die Revolution wird als das Werk Satans in die Nachbarschaft der „lateinischen Ketzerei" und ähnlicher irrgläubiger Lehren — Luthertum, Kalvinismus — einge­ordnet, während das Haus Osmans als ein gleichsam im göttlichen Auftrag handeln­der Retter und Beschützer der Orthodoxie dargestellt wird.229 Aus dieser negativen Einstellung gegenüber emanzipatorischen Strömungen unter den Balkanchristen her­aus konnte das Patriarchat auch während des griechischen Aufstandes keine konse­quent durchdachte Politik entwickeln.230 Doch waren die internen und externen Faktoren, die den erfolgreichen Abschluß der griechischen Unabhängigkeitsbewe­gung im Jahre 1830 ermöglichen sollten, zugleich Wegbereiter der tanzimat-Epoche im Osmanischen Reich. Die in dieser Epoche eingeleiteten Reformen sollten das mj7/ef-System ebenfalls erfassen und insbesondere die Grundlagen der Phanarioten-Herrschaft über das griechisch-orthodoxe milkt erschüttern.

b) Der Aufstieg des griechisch-orthodoxen Kaufmannsstandes auf der Balkanhalbinsel

Das Osmanische Reich erstreckte sich über Gebiete, durch die wichtige Handelswege fülirten.231 Die Gewürz- und Seidenstraßen durch den Nahen Osten verloren trotz der Entdeckung des Seeweges um die Südspitze Afrikas bis in das 17, Jahrhundert hinein kaum an Bedeutung.232 Die Osmanen waren bestrebt, zusätzlich neue Fernhan­delsrouten zu erschließen, oder alte, in Vergessenheit geratene Wege zu reaktivieren. Als ein Beispiel wäre die „Moldauische Handelsstraße" - von Akkerman (Cetatea-Alba) und Kilia über Iasi nach Lemberg — zu erwähnen, welche nach 1484 durch Ge­währung von Sonderzollbegünstigungen bewußt gefördert wurde.233 Dank handels­politischer Maßnahmen ähnlicher Art konnten sich im 16. Jahrhundert mehrere Städ­te Anatoliens und des Balkans (Bursa, Edirne, Saloniki, Sarajevo, Dubrovnik) zu be­deutenden Umschlagplätzen des Ost-West-Handels entwickeln. Der osmanische Kaufmannsstand setzte sich zu jener Zeit aus Angehörigen verschie­dener millets zusammen. Die Mohammedaner beherrschten hauptsächlich den Fern­handel mit Persien und Indien und waren außerdem im Schwarzmeerhandel tonan-

Hicrzu vgl. auch Papadopoullos, a.a.O., S. 142 ff., und R. Clogg, „The ,Dhidhaskalia Patri-ki' (1798): an Orthodox Reaction to French Revolutionary Propaganda",MES 5 (1969), 2, S. 87-115. Text auszugsweise in englischer Übersetzung bei Papadopoullos und voll­ständig bei Clogg.

229 Vgl. Clogg, „The ,Dhidhaskalia Patriki' . . .", S. 104-105. 230 Obwohl der Patriarch Gregorios V. anscheinend Kenntnis von den Vorbereitungen des grie­

chischen Aufstandes in der Moldau hatte und die Bewegung auf dem Peloponnes sogar un­mittelbar unter der Führung des Erzbischofs Germanos von Alt-Patras stand, wurden die Aufständischen durch eine Enzyklika des Patriarchen vom 4. April 1821 exkommuniziert. Vgl. Frazee, a.a.O., S. 17-29; P. Sherrard, „Church, State and the Greek War oflndepen-dence", in: The Struggle for Greek Independence^. 182-183.

231 Siehe die Karte der Handelsrouten bei inalcik, The Ottoman Empire . . . , S. 122-123. 232 Die Venezianer kauften zwischen 1560 und 1564 jährlich 12.000 Quintal Gewürze in

Alexandrien, genauso viel wie vor der Entdeckung der Kap-Route. Siehe ebd., S. 127. 233 Siehe N. Beldiceanu, Recherche sur la ville ottomane au XVe siècle. Etude et actes, Paris

1973,8. 134-135.

50 Die Entstehung der Makedonischen Frage

gebend.234 Aber auch auf lokaler Ebene entfalteten sie eine rege kommerzielle Tätig­keit, die sowohl ihrer Stärke in demographischer Hinsicht als auch ihrer Rolle im po­litisch-gesellschaftlichen Bereich durchaus entsprach. Zum Beispiel waren in Bosnien, wie A. Suöeska feststellt, „anfänglich die Kaufleute aus Dubrovnik führend. Sehr bald begannen jedoch die heimischen Kaufleute Handel zu treiben. Die Mohamme­daner waren so im XVI. und XVII. Jahrhundert auch unter den Kaufleuten in der Mehrheit."235 Ähnliche Verhältnisse werden in einer Untersuchung über das Kredit­wesen zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Kayseri auch für Anatolien konstatiert: „82% of credit (1,145 cases) set out in Kayseri and the other Anatolian cities was given by Muslim and only 18% (255 cases) by Rum and Armenians.. .The activity of the Kayseri Turks in credit and lending is consistent with their wide role in the economy as a whole".236

Dominierten die Mohammedaner im 16. Jahrhundert im Handel mit Persien und In­dien, so war der Handel auf der Balkanhalbinsel und im Hinterland der nördlichen Küste des Schwarzen Meeres hauptsächlich der Bereich der nichtmohammedanischen millets. Die Juden beispielsweise, die sich durch den Zuzug von aschketwsim aus Zentraleuropa237 und von sephardim seit der Vertreibung aus Spanien (1492), Sizilien (1493) und Portugal (1497) ständig vermehrten,238 spielten schon früh eine wichtige Rolle im Balkanhandel. Die sephardischen Juden, die vom Sultan Beyazid II. (1481-1512) eine Konzession für Tuchweberei in Saloniki erteilt bekamen, hatten das Privileg, ein Fünftel des makedonischen, bulgarischen und albanischen Woll­ertrags zu einem Vorzugspreis zu kaufen;239 der Wollhandel in diesen Teilen des Reiches sollte mit der Zeit von ihnen monopolisiert werden.240 Darüber hinaus taten sich diese Juden, dank ihrer umfassenden Kenntnis der Waren, Warenpreise

234 Zum Beispiel waren von den 157 Kaufleuten,'die im Jahre 1490, innerhalb eines Zeitrau­mes von vier Monaten, Kaffa auf der Krim auf dem Seewege erreichten, vier Italiener, zwei Armenier, drei Juden, ein Russe und ein Kaufmann aus der Moldau. Die übrigen Kaufleute waren Mohammedaner. Vgl. inalcik, „Capital Formation . . .", S. 122.

235 „Die Rechtsstellung der Bevölkerung in den Städten Bosniens und der Herzegowina unter den Osmanen (1463-1878)", in: Die Stadt in Südosteuropa. Struktur und Geschichte, München 1968, S. 93.

236 R. C. Jennings, „Loans and Credit in Early 17th Century Ottoman Judicial Records. The Sharia Court of Anatolian Kayseri", JESHO 16 (1973), S. 182. Untersuchungen, in wel­chen die regen gewerblichen und kommerziellen Tätigkeiten der Mohammedaner belegt werden, liegen auch über die Stadt Bursa vor: H. Inalcik, „Bursa; XV. asir sanayi ve ticaret tarihine dair vesikalar" [Bursa; Dokumente zur Geschichte des Gewerbes und Handels im 15. Jh.], Belleten 24 (1960), S. 45-102; ders., „Bursa and the Commerce of the Levant", JESHO 3 (1960), S. 131-147; K. Liebe-Harkort, Beiträge zur sozialen und wirtschaftlichen Lage Bursas am Anfang des 16. Jahrhunderts, Diss. Hamburg 1970.

237 Zur Judenverfolgung in Bayern, Schwaben, Böhmen, Schlesien und Ungarn im 15. Jh. sie­he H. Graetz, History of the Jews, Bd. 4, Philadelphia 1894, S. 249-266.

238 Siehe ebd., S. 364. Vgl. auch Franco, Essai sur l'histoire des Israélites de l'Empire Otto­man ... ,S. 35-45.

239 Vgl. H. Sahillioglu, „Yeniçeri çuhasi ve II. Bayezid'in son yülarinda yeniçeri çuha muhase-besi" [Das Janitscharentuch und die Buchführung über das Janitscharentuch in den letzten Jahren der Regierung Bayezids IL), GDAAD 2-3 (1973-74), S. 421.

240 Vgl. Svoronos, Le commerce de Salonique . . . , S. 187-189.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 51

und Zahlungsmittel der mediterranen Länder, auch als Douaniers hervor - die ein­träglichsten Zölle des Reiches befanden sich in ihrer Pacht.241

Der gesellschaftliche Aufstieg einer christlichen Kaufmannsschicht war im wesentli­chen das Ergebnis des Aufschwungs im innerbalkanischen Handel seit Mitte des 16. Jahrhunderts,242 was wiederum unter anderem dem politischen Zusammenschluß der Halbinsel unter osmanischer Herrschaft zu verdanken war: Die dadurch beding­te Reduzierung der Zahl der „Handelsschranken" — der Grenzübergangs- und Binnen­zölle243 - wirkte sich nämlich fördernd auf die überregionalen Handelsbeziehungen aus. Die Kaufleute aus Dubrovnik zum Beispiel brauchten jetzt, aufgrund der ihnen vom Sultan gewährten Handelserleichterungen, überhaupt keine Durchgangszölle mehr zu entrichten.244 Man erhob von ihnen lediglich einen zweiprozentigen Einfuhr­zoll.245 So begünstigt, errichteten die Dubrovniker Kaufleute an allen wichtigen Plät­zen des Balkans „Handelskolonien" und trugen auf diese Weise zur Belebung des Balkanhandels bei.246

Der Prozeß der Verstädterung, der nach der Einnahme von Konstantinopel durch die Osmanen auf dem Balkan einsetzte, verdient in diesem Zusammenhang ebenfalls Er­wähnung. Die Osmanen versuchten, durch gezielte bevölkerungspolitische Maßnah­men die entvölkerten Städte des Balkans „aufzuvolken".247 Dadurch erlebten be­kannte Städte wie Saloniki, Edirne, Skopje, Sofia, Janina, Monastir, Rusçuk, Küsten-dil u.a. einen Aufschwung.248 Daneben wurden auch neue Städte gegründet; so ent­standen Sarajevo in Bosnien,249 Tatar PazardZik, Hasköy (Haskovo), Sumen in Bul­garien,250 Kavala in Ostmakedonien,251 Elbasan in Albanien, Babada| in der Dobrud-2a u.a.252 Belgrad war in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine ebenso bedeu-

241 Vgl. J. Néhama, Histoire des Israélites de Salonique, Bd. 4, S. 64-65, zit. bei A. Galante, Recueil de nouveaux documents inédits concernants l'histoire des Juifs de Turquie, Istan­bul 1949, S. 64.

242 Vgl. T. Stoianovich, „The Conquering Balkan Orthodox Merchant" ,JEH 20 (1960), S. 235. 243 Über die Markttaxen und Zölle auf dem Balkan zu jener Zeite siehe B. A. Cvetkova, „Ac­

tes concernant la vie économique de villes et ports balkaniques aux XVe et XVIe siècles", REI4Q (1972), S. 345-390, und 43 (1975), S. 143-180.

244 Vgl. hierzu den Text eines vom Sultan Murat III. an die Republik Dubrovnik gewährten Privilegiums bei N. H. Biegman, The Turco-Ragusan Relationship According to the Fir­mans of Murad III (1575-1595) Extant in the State Archives of Dubrovnik, The Hague-Paris 1967, S. 56-59.

245 Von den Mohammedanern wurde 3 %, von Nichtmohammedanern 4 % Einfuhrzoll erho­ben. Siehe ebd., S. 56-59; vgl. außerdem I. Boité, Dubrovnik i Turska u XIV i XV veku [Dubrovnik und die Türkei im 14. und 15. Jh.], Beograd 1952, S. 225-226.

246 Vgl. V. Tapkova-Zaimova, „Sur les débuts de colonies ragusaines dans les territoires bul­gares (fin du XVe s.)", in: La ville balkanique XVe-XIXe ss., Sofia 1970, S. 125-131.

247 Vgl. H. J. Kissling, „Die türkische Stadt auf dem Balkan", in: Die Stadt in Südosteuro­pa ..., S. 82.

248 Vgl. Barkan, „Essai sur les données statistiques . . . ", S. 27, und N. Todorov, Balkanskijat grad, S. 31-32.

249 Suceska, „Die Rechtsstellung der städtischen Bevölkerung . . .", S. 86. 250 Vgl. V. Paskaleva, „Die bulgarische Stadt im XVIII. und XIX. Jahrhundert", in : Die Stadt

in Südosteuropa . . . , S. 129-130. 251 Vacalopoulos, History of Macedonia, S. 147 148. 252 Vgl. Stoianovich, a.a.O., S. 242.

52 Die Entstehung der Makedonischen Frage

tende Handelsstadt wie Nürnberg.253 Istanbul war mit einer geschätzten Einwohner­zahl von 700.000 (gegen Ende des 16. Jahrhunderts) vielleicht die größte Stadt Euro­pas.254 Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und die Deckung des Luxusgüterbedarfs der Oberschicht in diesen Städten stellten attraktive Aufgaben für den Handel dar. Beim Aufstieg eines nichtmohammedanischen Kaufmannsstandes auf dem Balkan spielten die Handelsvereinbarungen zwischen dem Osmanischen Reich und den christ­lichen Staaten Europas - die sogenannten Kapitulationen - eine wichtige Rolle. Die ersten Vereinbarungen dieser Art waren im 12. Jahrhundert hauptsächlich zwischen den italienischen Handelsstädten und den muslimischen Herrschern des Nahen Ostens und Spaniens abgeschlossen worden.255 In diesen Abmachungen nahmen Han­delsbestimmungen einen breiten Raum ein: Man gewährte den Italienern weitgehen­de Vergünstigungen. Entsprechend dem mittelalterlichen Personalprinzip des Rechts aber durften die Italiener darüber hinaus auch die Eigengerichtsbarkeit innerhalb ih­rer Handelsniederlassungen ausüben.256 Auch die Osmanen vereinbarten mit den Ita­lienern schon früh (z.B. 1454 mit Venedig, 1460 mit Florenz) geregelte Handelsbe­ziehungen, unmittelbar nachdem sie die seit 1204 unangefochtene Vormachtstellung italienischer Städte in der Levante gebrochen hatten.257 Im Jahre 1535 folgte dann die erste Kapitulation zwischen dem Osmanischen Reich und Frankreich in Form ei­nes Freundschafts- und Handelsvertrages, die für die späteren Verträge dieser Art als Grundlage dienen sollte.258 Ähnliche Vereinbarungen wurden nach und nach auch mit anderen Staaten getroffen: 1579 mit England, 1615 mit Österreich, 1680 mit Holland u.a. Die in diesen Kapitulationen festgelegten Handelserleichterungen für die Europäer hatten noch durchaus den Charakter der vom Sultan freiwillig gewährten Vorrechte, die überdies nur gültig waren, solange der Frieden zwischen den Christen und den

253 R. SamardSid, „Belgrade, centre économique de la Turquie du nord au XVle siècle", in: La ville balkanique XVe-XIXe ss., S. 37.

254 Nach der Berechnung von Barkan, „Essai sur les données statistiques. . .", S. 27. Auch R. Mantran (Istanbul dans la seconde moitié du XVIIe siècle, Paris 1962, S. 47) und Braudel (La Méditerranée . . . , Bd. 1, S. 318) gehen von vergleichbaren Zahlen aus, während Stoia-novich eine Einwohnerzahl intra muros um 400.000 für wahrscheinlicher hält: „Model and Mirror of the Premodern Balkan City", in: La ville balkanique . . . , S. 91.

255 Im Jahre 1149 schloß Genua einen Vertrag mit dem islamischen Fürsten von Valencia, 1150 Pisa mit Valencia, 1154 Pisa mit Ägypten, 1199 Venedig mit dem byzantinischen Reich. Siehe A. Frh. von Overbeck, Die Kapitulationen des Osmanischen Reiches, Breslau 1917, Anm. 5, und W. Heffening, „Die Entstehung der Kapitulationen in den islamischen Staa­ten", Schmollers Jahrbuch 51 (1927), S. 448.

256 Vgl. Heffening, a.a.O., S. 451. Siehe außerdem Sousa, The Capitulary Regime of Turkey, S. 29-33.

257 Vgl. Zinkeisen, Geschichte des osm. Reiches in Europa, Bd. 2, S. 32-38. Siehe auch Z. Y. Hershlag, Introduction to the Modern Economic History of the Middle East, Leiden 1964, S. 43.

258 Vgl. Sousa, a.a.O., S. 54-55. Text bei Hurewitz, Diplomacy in the Near and Middle East, Bd. 1,S. 1-5.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats Si

Osmanen andauerte.259 Als Gegenleistung für die eingeräumten Erleichterungen ver­suchten die osmanischen Herrscher, Handelsvorteile für ihre eigenen Untertanen von den Europäern zu erwirken. So erkannte 1514 die Stadt Ancona den osmanischen Kaufleuten — überwiegend Griechen bzw. griechisch-orthodoxe Slawen — einen pri­vilegierten Status zu.260 Solange das Reich militärisch und wirtschaftlich relativ stark war, konnten also die mit den Kapitulationen verbundenen Bedingungen, wie Zoll­privilegien, Steuerfreiheit, Exterritorialität usw., die Struktur der zwischen Ost und West ausgeglichenen Handelsbeziehungen des Reiches nicht ernsthaft stören. Als Ergebnis dieser Überlegungen ist hervorzuheben, daß das Handelsleben im Osma­nischen Reich im 16. und 17. Jahrhundert ein komplexes Bild gegenseitiger Verbin­dungen und Abhängigkeiten der verschiedenen millets untereinander darbot. Dassel­be läßt sich auch für den Bereich der gewerblichen Tätigkeit sagen. Die Handwerker-Gilden, „die über die horizontalen und vertikalen Schranken hinweggriffen und die Mitglieder verschiedener Klassen, Institutionen und millets zu Mitgliedern gemeinsa­mer Gruppen machten,"261 waren in diesem Zusammenhang ausschlaggebend. Ohne diese Tatsache entsprechend gewürdigt zu haben, ist es kaum möglich, die sozio-politi-schen Faktoren, die viel später, etwa unmittelbar vor der jungtürkischen Revolution in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts, wirksam waren, richtig zu bewerten. An­dernfalls besteht die Gefahr der Fehleinschätzung, die beständige Verminderung des Anteils muslimischer Volksgruppen am Handel sei dadurch zu erklären, daß die Tür­ken ein Nomadenvolk gewesen seien, das sich für Handel und Gewerbe ohnehin im­mer als ungeeignet erwiesen habe.262

Der sich schon im 17.und besonders im 18. Jahrhundert beschleunigende Verfall des muslimischen Fernhandels war in erster Linie mit dem endgültigen Übergang des Per­sien- und Südasienhandels in die Hände europäischer Seefahrer-Nationen verbun­den.263 Währenddessen war der Handel mit dem Westen in ständigem Wachstum be-

259 Vgl. inalcik, „The Ottoman Economic Mind and Aspects of the Ottoman Economy", in: Studies in the Economic History of the Middle East, hrsg. v. M. A. Cook, London 1970, S. 214.

260 Vgl. Stoianovich, „The Conquering Orthodox Balkan Merchant", S. 237. 261 Der Islam II (Fischer Weltgeschichte, Bd. 15), S. 93. 262 So finden sich bei K. Steinhaus folgende Formulierungen: „Da es innerhalb des Staatsvol­

kes keine Handel und Gewerbe treibenden Gruppen gab . . .", „Wenn die Türken auch auf­grund ihrer Herkunft außerstande waren, das ökonomische und kulturelle Niveau Klein­asiens zu halten . . .", „Seit Jahrhunderten war der türkische Bevölkerungsteil in gleicher Weise tätig gewesen; er hatte immer eine Situation vorgefunden, in der soziale Randgrup­pen die nichtagrarischen und nichtmilitärischen Tätigkeiten übernahmen," Politische und soziale Grundlagen der türkischen Revolution, S. 16, 17 und 24. Bei H.-J. Kissling hinge­gen lesen wir in diesem Zusammenhang folgendes: „Als die . . . Türken auf Südosteuropa übergriffen und dort, durch unerhörtes kriegerisches und politisches Geschick, aber auch durch die Unklugheit ihrer jeweiligen Gegner begünstigt, für sechs Jahrhunderte sich fest­zusetzen vermochten, konnte von Nomadentum bei ihnen keine Rede mehr sein." Siehe „Die türkische Stadt auf dem Balkan", S. 72.

263 Über den Kampf um die Beherrschung der Seiden und Gewürzrouten im Indischen Ozean und die dabei zustandegekommenen Interessengruppierungen unter den beteiligten Staaten (Portugal, das Osmanische Reich, Persien, England, Venedig) siehe H.-J. Kissling, „Sah Ismail 1er, la nouvelle route des Indes et les Ottomans", Turcica 6 (1975), S. 89-102; A.

54 Die Entstehung der Makedonischen Frage

griffen, weil nun einerseits Exporte nach Europa - Getreide, Textilien, Tabak -zunahmen, andererseits aber neben den traditionellen Waren, wie englische Woll­stoffe, Farben, Zinn, Blei u.a. auch noch die typisch östlichen Güter, wie Gewürze, aus dem Westen eingeführt wurden.264 Es fand somit eine Gewichtsverlagerung in den Handelsbeziehungen des Reiches nach dem Westen hin statt, und es setzte gleichzeitig, als deren Korrelat, ein struktureller Wandlungsprozeß innerhalb der Kaufmannsschichten der osmanischen Gesellschaft ein. Im Westhandel waren die einheimischen Kaufleute gegenüber den im Osmanischen Reich Handel treibenden Europäern eindeutig benachteiligt. Nach den Bestimmun­gen der Kapitulationen aus dem Jahre 1675 brauchten die letzteren bei der Ein- und Ausfuhr ihrer Waren einen Wertzoll von lediglich 3% zu zahlen, wohingegen die os­manischen Untertanen 5% entrichteten.265 Als noch schwerwiegender erwies sich nunmehr der Umstand, daß die Ausländer aufgrund der ihnen gewährten Kapitula­tionen keine Steuern zu zahlen brauchten und darüber hinaus der Rechts- und Poli­zeihoheit des osmanischen Staates fast vollständig entzogen waren.266 Als dann im Jahre 1740, zum Teil aus politischen Überlegungen heraus — angesichts der russischen Gefahr wollte man, daß Frankreich sich stärker im Orient engagiere - , weitere Kapitu­lationen mit Frankreich verhandelt wurden, erhielten diese Verträge eine neue Qua­lität: sie galten nunmehr quasi als völkerrechtlich verbindliche Handelsabkommen, die, unabhängig vom Willen einzelner osmanischer Herrscher, zeitlich unbegrenzt wirksam waren.267

Infolge solcher Benachteiligungen mußte der osmanische Kaufmannsstand seinen Anteil am Handel des Reiches auf lange Sicht unweigerlich verlieren. Wenn dies nur teilweise geschah, so lag das in erster Linie daran, daß, während die muslimischen Kaufleute (beispielsweise in Bosnien)268 allmählich aus dem Konkurrenzkampf als Verlierer ausschieden, die gleichfalls benachteiligten Nichtmohammedaner sich den christlichen Europäern als Geschäftspartner, Zwischenhändler oder Handelsvertreter unentbehrlich zu machen wußten. Die Nichtmohammedaner waren außerdem in der Lage, sich im Rahmen des nun vorherrschenden „Protege'-Systems"269 eine Fülle von

C. Hess, „The Evolution of the Ottoman Seaborne Empire in the Age of the Oceanic Dis­coveries, 1453-1525", AHR 75 (1970), S. 1892-1919; inalcik, „Osm. imp. kurulus ve inkisafi...",S. 663-675.

264 Vgl. inalcik, „Osm. imp. kurulus ve inkisafi. ..", S. 675. 265 Text des Vertrages von 1675 bei Hurewitz, a.a.O., Bd. 1, S. 25-32. 266 Eine ausführliche Diskussion dieses Fragenkomplexes bei M. Kuncke, Die Kapitulationen

der Türkei, deren Aufhebung und die neuen deutsch-türkischen Rechtsverträge, Diss. Erlan­gen 1918, S. 96-105.

267 Vgl. Berkes, Türkiye'de çagdaslasma, S. 71. 268 Vgl. Suceska, „Die Rechtsstellung der Bevölkerung in den Städten Bosniens. . .", S. 93. 269 Das Protégé-System geht auf die Kapitulationen von 1675 zurück. Es wurde durch die

1718 an Österreich gewährten Kapitulationen weiter entwickelt und schließlich mit den Kapitulationen von 1740 (Frankreich) verfestigt. Nach dem Krieg von 1768-74 erhielt auch Rußland das Recht, die Christen im Osmanischen Reich zu protegieren. In der Re­gierungszeit Selims Hl. (1789-1808) durften die Christen, die osmanische Untertanen waren, legal ein berat erwerben, um die gleichen Vergünstigungen wie die Protegierten zu genießen. Vgl. Berkes, Türkiye'de çagdaslasma, S. 134-135.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 55

Vorrechten zu verschaffen, indem sie verschiedene, von den europäischen Botschaf­tern und Konsuln angebotene Schutzbriefe erwarben.270 A. J. Toynbee stellt fest:

The consequence was that an appreciable number of Greek Orthodox Christians and other Ottoman subjects came to participate in the fiscal privileges that gave the nationals of capitulatory Powers a decisive advantage over non-privileged Ottoman subjects in the now increasingly important trade between the Ottoman Empire and the West."1

Die nichtmohammedanische Kaufmannsschicht wurde auch durch die Änderungen im internationalen Kräfteverhältnis in Osteuropa und dem Nahen Osten begünstigt. So war die neue Balkanmacht Österreich, das unmittelbar nach dem Frieden von Passa­rowitz (1718) Handelserleichterungen für seine Staatsbürger im Osmanischen Reich durchsetzte,272 im Levantehandel überwiegend auf die griechisch-orthodoxen Kauf­leute angewiesen.273 Nach der Freihafenerklärung von Triest (1719), des zukünftigen Tores der Doppelmonarchie zum Mittelmeer, unterstützten die österreichischen Be­hörden die osmanischen Untertanen (meist Griechen), „in dem Bestreben, sie zum Einkauf von Eisenwaren in Triest und nicht in Venedig oder Sinigaglia zu bewegen. So gewährte man ihnen einen Mautnachlaß von 5% und das Recht der zollfreien Ein­fuhr aus dem Freihafen."274 Es fand besonders im letzten Jahrzehnt der Regierungs­zeit Maria Theresias (1770-1780) eine verstärkte Einwanderung von Griechen und Armeniern nach Triest statt.275 Zahlreiche griechische Kaufleute erhielten die Erlaub­nis, das Mittelmeer unter der österreichischen Flagge zu befahren.276 In dieser Zeit erlangte auch die Handelsroute durch die Täler von Aliakmon, Vardar,Morava und Donau, die den Südbalkan mit Zentraleuropa verbindet, eine große Bedeutung.277

Griechische, makedono-walachische und serbische Kaufleute führten auf dieser Fern­straße Wolle, Baumwolle, Textilien, Tabak, Wachs, Häute, Kaffee, Safran u.a. nach Wien, Regensburg oder Leipzig aus.278 Die österreichischen Behörden zeigten sich, wie im Falle Triest, auch hier bereit, christlichen Untertanen des Sultans Handelsver-

270 Ein Beispiel für den Verbreitungsgrad des Protege-Systems: „By the end of the 1700's Austria had 200,000 subjects in Moldavia and 60,000 in Wallachia, all of whom exchang­ed their Austrian berats for Russian when Russian influence became predominant in the principalities." P. F. Sugar, „Economic and Political Modernization: Turkey", in: Poli­tical Modernization in Japan and Turkey, S. 154.

271 A. J. Toynbee, A Study of History, London 1954, Bd. 8, S. 172. 272 Text des Vertrages bei I. de Testa, Recueil des traités . . . , Bd. 9, Paris 1898, S. 73-81. 273 Vgl. Stoianovich, „The Conquering Balkan Orthodox Merchant", S. 260. 274 P. Gasser, „Österreichs Levantehandel über Triest 1740-1790", MOS 7 (1954), S. 124.

Über die Entwicklung von Triest zur Handelsrivalin von Venedig und Ancona siehe P. Braunstein, „A propos de l'Adriatique entre le XVle et le XVIIIe siècle", AESC 26 (1971), S. 1270-1278.

275 Vgl. Gasser, a.a.O., S. 126. 276 Vgl. ebd. 277 Über die Handelsstraßen auf dem Balkan im 18. Jh. siehe Vacalopoulos, History of Mace­

donia, S. 379-386. 278 Svoronos,_Ie commerce de Salonique . . . , S. 181-182; Stoianovich, „The Conquering

Balkan Orthodox Merchant", S. 260-261; Zografski, Razvitokot na kapitalistiökite ele­ment!. . . , S. 55,58.

56 Die Entstehung der Makedonischen Frage

günstigungen zu gewähren.279 So konnten sich auf dem Boden des Habsburger Rei­ches, vor allem in Wien, Buda-Pest, Szegedin, Debrecen, Temesvar (Timisoara), Cluj, Brasov, zahlreiche griechisch-orthodoxe Gemeinden etablieren.280 Der Handel in den Donaufürstentümern, in Transsilvanien, Vojvodina, Ungarn, Mähren, Slovenien und Kroatien wurde im 18. Jahrhundert von diesen, aus dem Osmanischen Reich stam­menden Kaufleuten beherrscht.281

Dem griechisch-orthodoxen Handelsstand erwuchs mit dem Aufstieg des Zarenreiches im 18. Jahrhundert eine neue Schutzmacht. War die Sperrung des Schwarzen Meeres für die europäische Schiffahrt (1592-1774) ein die Interessen, osmanischer Unter­tanen begünstigender Faktor gewesen,282 so entstanden vor allem dem griechisch-or­thodoxen Kaufmannstum noch größere Vorteile, als dieses Meer nach den Friedens­verträgen von Kücük Kaynarca (1774) und Iasi (1792) dem internationalen Seever­kehr geöffnet wurde;283 denn Rußland, das nunmehr die Nordküste des Schwarzen Meeres kontrollierte, verfügte dort über keine nennenswerte Handelsflotte und war für seine umfangreiche Getreideausfuhr auf die griechischen Schiffahrtsunternehmen angewiesen.284 Eine weitere Aufstiegschance für die griechisch-orthodoxe Handels­schicht war die Kontinentalsperre gegen Frankreich, die im Orient nach Napoleons Ägypten-Expedition (1798) wirksam wurde.285 Die starke britische Mittelmeerflotte unterband nun die französische Schiffahrt im Mittelmeer und trug dazu bei, daß der Levantehandel Frankreichs zum Stillstand kam. Die griechischen Reeder und Kauf­leute im Osmanischen Reich, deren Schiffe seit 1779 unter russischer Flagge segeln durften,286 erhielten in dieser Zeit das Recht, auch unter britischer Flagge das Meer zu befahren.287 Der Anteil Frankreichs am internationalen Levantehandel sollte unter diesen Umständen innerhalb kurzer Zeit in die Hände dieser Griechen übergehen.288

Damit sind die Bedingungen dargelegt, unter denen eine Umstrukturierung innerhalb der osmanischen Handelsschichten vor sich ging. Als dieser Prozeß zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgeschlossen war, war der griechisch-orthodoxe Kaufmannsstand sowohl im kirchlich-politischen als auch im kommerziellen Bereich führend.

279 M. D. Peyfuss, „Balkanorthodoxe Kaufleute in Wien. Soziale und nationale Differenzie­rung im Spiegel der Privilegien für die griechisch-orthodoxe Kirche zur heiligen Dreifaltig­keit", ÖOH 17 (1975), S. 258-268.

280 Vgl. hierzu Vacalopoulos, History of Macedonia, S. 387-425. 281 Stoianovich, „The Conquering Balkan Orthodox Merchant", S. 266. 282 Vgl. Stoianovich, „The Conquering Balkan Orthodox Merchant", S. 240, 288. 283 Dagegen hatte die Öffnung des Schwarzen Meeres für den internationalen Handel für die

politisch herrschenden Schichten im Osmanischen Reich nur negative Folgen. Hierzu vgl. Karpat, „The Transformation of the Ottoman State, 1789-1908", S. 246.

284 Stoianovich, „The Conquering Balkan Orthodox Merchant", S. 288-289. 285 Hierzu u.z. folg. vgl. V. J. Puryear, France and the Levant. From the Bourbon Restoration

to the Peace of Kutiah, Berkeley - Los Angeles 1941, S. 16. 286 D. Dakin, The Greek Struggle for Independence 1821-1833, London 1973, S. 21. 287 Vgl. Puryear, a.a.O., S. 16. 288 Vgl. Svoronos, a.a.O., S. 353.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 57

c) Die Gründung des bulgarischen Exarchats

Die Geschichte der Gründung des bulgarischen Exarchats ist weitgehend identisch mit der Geschichte der modernen bulgarischen Nationswerdung. Dieser Prozeß wird in der einschlägigen Literatur gewöhnlich als die „bulgarische Wiedergeburt" bezeich­net.289 Darunter soll das geistige und politische Erwachen des Volkes verstanden werden, das in Bulgarien von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Erlangung der Unabhängigkeit im Jahre 1878 andauerte. Dieser Prozeß ist nur im Zusammenhang mit jenem anderen Prozeß zu sehen, der auf der Balkanhalbinsel ab dem 18. Jahr­hundert die bestimmende Entwicklung darstellt: Es ist die progressive Einbeziehung der Halbinsel in das allgemeineuropäische Wirtschaftssystem. Erst die Entstehung ei­ner bürgerlichen Schicht, die die neuen Ideen der europäischen Aufklärung aufzu­nehmen in der Lage ist, ermöglicht die „Wiedergeburt", indem sich diese „als die ge­schichtsbildende Klasse repräsentiert, den Begriff der Nation in Anspruch nimmt und eine radikale Lösung aus der Abhängigkeit von den großen Feudalmächten in Aus­sicht stellt."290

In diesem Prozeß kommt den Städten als den Konzentrationspunkten ökonomischer Tätigkeit wie auch als Aufnahmezentren der neuen Ideen große Bedeutung zu.291

Die bulgarischen Städte waren im 16. Jahrhundert mehrheitlich von Mohammedanern bewohnt.292 Während ethnische Gruppen wie Griechen, Aromunen, Armenier und Juden am städtischen Leben ebenfalls teilnahmen, machten die Slawen überwiegend die ländliche Bevölkerung aus.293 Die erste wichtige Änderung in der ethnischen Zu­sammensetzung der städtischen Bevölkerung des Balkans ist auf den osmanisch-öster-reichischen Krieg von 1683-1699 zurückzuführen. Im Verlauf dieses Krieges wurden Städte wie Belgrad, Sarajevo, Vidin, Skopje, âtip, Veles und Tetovo vom österreichi­schen Heer besetzt und zum Teil verwüstet.294 Hatte beispielsweise die Stadt Skopje vor diesem Krieg rund 40.000 Einwohner gehabt,295 so hatte sie hundert Jahre spä-

289 Richtiger müßte eigentlich von der „Geburt" der bulgarischen Nation gesprochen werden, um die qualitativen Unterschiede zum mittelalterlichen bulgarischen Volkstum hervorzu­heben. Vgl. hierzu die kritischen Überlegungen Chr. Christovs, Bülgarskite obStini prez Vüzraidaneto, S. 38-40.

290 P. Gerlinghoff, „Konstituanten für typologische Gemeinsamkeiten und nationale Spezifik der slawischen Balkan-Literaturen in der Frühphase der nationalen Emanzipationsbewe­gungen", in: Ethnogenese und Staatsbildung in Südosteuropa, Göttingen 1974, S. 168.

291 Siehe K. D. Grothusen, „Städtewesen und nationale Emanzipation in Südosteuropa", in: Ethnogenese und Staatsbildung . . . , S. 72 92.

292 Vgl. Todorov, Balkanskijatgrad', S. 63. 293 So fiel das ethnisch-bulgarische Element in den Städten Bulgariens bis zum Beginn des 19.

Jh. kaum ins Gewicht. Vgl. Chr. Gandev, Problemi na bülgarskata vüzraidane, S. 91-92. Das soll freilich nicht heißen, daß die Slawen systematisch von den Städten ferngehalten worden wären. Es fand ein beständiger, wenn auch schwacher Zufluß slawischer Bauern in die Städte statt. Vgl. Z. Veselâ-Pfenosilovâ, „Quelques remarques sur l'évolution de l'orga­nisation urbaine en Empire Ottoman", AO 42 (1974), S. 202.

294 Vgl. Stoianovich, „The Conquering Balkan Orthodox Merchant", S. 248-249. 295 Siehe ebd., S. 249. Ein österreichischer Offizier, der die Zerstörung der Stadt miterlebte,

schätzte ihre Einwohnerzahl auf 60.000. Vgl. V. Küncov, „Grad Skopie. Beleäki za nego-voto nastojaste i minalo" [Stadt Skopje. Aufzeichnungen über ihre Gegenwart u. Vergan-

58 Die Entstehung der Makedonischen Frage

ter noch immer nicht mehr als 6.000 Einwohner.296 Viele christliche Slawen, die bis­lang am Stadtrand gelebt hatten, nahmen im 18. Jahrhundert in den teilweise entvöl­kerten Städten ihren Wohnsitz. So wurde es möglich, daß die Einwohnerschaft Sara­jevos, die im 16. Jahrhundert rein mohammedanisch war,297 am Anfang des 19. Jahr­hunderts zu 25% aus Christen bestand.298

Die eigentlichen Ursachen des Zustroms an neuen Einwohnern in die Städte Bulga­riens müssen jedoch im ökonomischen Bereich gelegen haben, wenn auch die Rolle außerökonomischer Faktoren nicht unterbewertet werden darf.299 Eine sich inten­sivierende handwerkliche Produktion mit der Tendenz fortschreitender Arbeitstei­lung war für das bulgarische Wirtschaftsleben des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kennzeichnend. 30° Die Herstellung von Textilien, Rohseide, Rosenöl, Gerbereiprodukten u.a. gewann zunehmend an Bedeutung. Besonders nach der Ab­schaffung des Janitscharenkorps (1826) erhielt die Textilmanufaktur einen starken Impuls dadurch, daß für die Uniformen des neuen osmanischen Heeres große Mengen von Tuch benötigt wurden. Belief sich die Produktion von Safak (ein derbes schweres Wolltuch) beispielsweise in der Stadt Sliven im Jahre 1830 auf 10.000 m, so wurden dort drei Jahre später 600.000 m Sajak hergestellt.301 Diese Steigerung der handwerk­lichen Produktion war beim gegebenen Stand der Technologie nur unter Einsatz ei­ner immer größer werdenden Zahl von Arbeitskräften zu bewerkstelligen. Dadurch bedingt, verstärkte sich der Zuzug der Bulgaren in die Städte.302

Zusammen mit dem Aufschwung des Handwerks wuchs nun auch das politische Ge­wicht der Zünfte. Waren sie in früheren Jahrhunderten eher staatliche Einrichtungen mit vorwiegend fiskalisch-administrativer Prägung,303 so gelang ihnen im 19. Jafir-

genheit], in: ders., lzbrani proiizvedenija, Bd. 2, S. 117. Diese Angaben erscheinen aller­dings zu hoch. Nach Barkans Berechnungen zählte Skopje in der zweiten Hälfte des 16. Jh. (1571-1580) erst 9.867 Einwohner. Siehe „Essai sur les données statistiques . . .", S. 27.

296 Eine Schilderung der Zerstörung der unverteidigten Stadt Skopje durch das österreichische Heer im Jahre 1697 ist überliefert in einem zeitgenössischen Werk: Aaron Haim Akoen, Perach Mateh Aaron [Die Blume der Nachkommenschaft Aarons), Teil II, Frage 54 in: A. Hannanel, E. ESkenazi, Evrejski izvori za oMtestveno-ikonomiceskoto razvitie na balkan-skite zemi [Jüdische Quellen zur sozio-ökonomischen Entwicklung der Balkanländer], Bd. 2,Sofijal960,S. 313-316.

297 Siehe Barkan, „Essai sur les données statistiques...", S. 35. 298 Stoianovich, a.a.O., S. 251. 299 So fand in der Zeit der kircali-Vntuhen auf dem Balken eine „Landflucht" größeren

Ausmaßes statt, als die Bauern in den Städten Sicherheit suchten. Vgl. Gandev, Problemi na bülgarskata vùzraïdane, S. 96.

300 Zur Entwicklung des Handwerks in den bulgarischen Städten siehe Z. Natan, Stopanska istorija na Bülgarija [Wirtschaftsgeschichte Bulgariens), Sofija 1957, S. 149 157.

301 Siehe L. Berov, Ikonomiieskoto razvitie na Bülgarija prez vekovete [Die wirtschaftliche Entwicklung Bulgariens durch die Jahrhunderte), Sofija 1974, S. 74. Zu dem außerordent­lichen Aufschwung in der bulgarischen Wollstoffherstellung in der ersten Hälfte des 19. Jh. siehe außerdem Todorov, Balkanskijat grad, S. 200-206.

302 Nach der Volkszählung von 1866 machten die Bulgaren in Donaubulgarien rund ein Drittel der städtischen Bevölkerung aus. Vgl. Todorov, a.a.O., S. 335.

303 Siehe hierzu G. Baer, „Guilds in Middle Eastern History", in: Studies in the Economic His­tory of the Middle East, S. 11-30.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 59

hundert, sich zu autonomen Körperschaften sozio-politischen Charakters zu entwik-keln.304 Die in ihnen organisierten Handwerker sollten als Träger der radikal-demo­kratischen Bewegung in Bulgarien sowohl bei der Gründung des Exarchats als auch bei der Erkämpfung der Unabhängigkeit von der osmanischen Herrschaft eine ent­scheidende Rolle spielen. Das Aufblühen des Handwerks in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutet zu­gleich darauf hin, daß sich auch das Handelsleben in Bulgarien nunmehr gut entfal­ten konnte. Bis zum 18. Jahrhundert nämlich lag der Handel in diesem Teil des Osma­nischen Reiches hauptsächlich in den Händen türkischer, griechischer, armenischer oder jüdischer Kaufleute.305 Abgesehen von zahlreichen bulgarischen celep (Vieh­händler), konnte damals von einem bulgarischen Kaufmannstum kaum die Rede sein.306 Auch der Umstand, daß Bulgarien das Hinterland von einigen größeren Städ­ten war (Istanbul, Edirne, Plovdiv), und daß sein Agrarüberschuß vom Staat in erster Linie zur Versorgung dieser Städte bestimmt wurde, ließ wenig Raum für den freien Handel.307 Erst ab der Mitte des 18. Jahrhunderts ist eine Belebung sowohl des in­nerbulgarischen Handels als auch des Handels zwischen bulgarischen und zentraleu­ropäischen Städten festzustellen.308 Bulgarische Kaufleute aus SviStov, Vidin, Ruse, Sliven u.a. unterhielten nun eigene Kontore in Brasov, Buda-Pest und Wien. Sie führ­ten Wolle und Baumwolle, Felle und Leder, Rohseide, Rosenöl, Wachs u.a. aus, und importierten neben Glas- und Eisenwaren vor allem Chemieprodukte wie Schwefel­säure, Salpetersäure und Kupfervitriol.»

Zur Belebung des Wirtschaftslebens trug die Entwicklung der internationalen Politik wesentlich bei. Im Friedensvertrag von Adrianopel (14. September 1829) z.B., der den russisch-osmanischen Krieg von 1828—29 beendete, mußte die Hohe Pforte auf ihre Getreide-Vorkaufsrechte in den Donaufürstentümern verzichten.309 Diese Libe­ralisierungsmaßnahme bedeutete praktisch den Beginn des Handels mit Argrarpro­dukten in der Walachei und der Moldau. Da es nun außerdem den muslimischen Un­tertanen des Sultans vertraglich verboten wurde, links der Donau Eigentum zu besit­zen oder frei Handel zu treiben,310 konnten die Bulgaren ihr kaufmännisches Aktions-

304 Vgl. Berov, Ikonomiieskoto razvitie . . . , S. 66, und Todorov, a.a.O., S. 209-222. 305 Vgl. Berov, Ikonomiieskoto razvitie . . . , S. 67. 306 Zur gesellschaftlich-ökonomischen Rolle von celep in der osmanisch-bulgarischen Ge­

schichte siehe B. A. Cvetkova, „Le service des celep et le ravitaillement en bétail dans l'Em­pire Ottoman (XVe-XVIIe s.)", EH 3 (1966), 145-172, und dies., „Les celep et leur role dans la vie économique des Balkans a l'époque ottomane (XVe-XVIIIe s.)", in: Studies in the Economie History of the Middle East, S. 172-192.

307 Vgl. Stoianovich, „The Conquering Balkan Orthodox Merchant", S. 281. 308 Hierzu u. z. folg, vgl. K. Veliki, „Za türgovijata na bülgarskite gradove s Avstrija v kraja na

XVIII i naöaloto na XIX v." [Über den Handel der bulgarischen Städte mit Österreich am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jh.], IP 15 (1959), 6, S. 61-76; V. Paskaleva, „Les relations commerciales des contrées bulgares avec les pays occidentaux et la Russie au cours de la première moitié du XIXe s.", EH (1960), S. 253-280.

309 Siehe den dem Friedensvertrag von Adrianopel beigefügten Sondervertrag über die Donau­fürstentümer, Major Peace Treaties, Bd. 2, S. 939-942.

310 Siehe ebd.

60 Die Entstehung der Makedonischen Frage

feld leicht auf die Länder nördlich der Donau erweitern.311 In der Folgezeit entstand in Bukarest eine bulgarische Handelskolonie, die in der nationalen Erneuerungsbewe­gung eine bedeutende Rolle spielen sollte. Als dann mit dem englisch-osmanischen Handelsabkommen von 1838 der Freihandel im gesamten Osmanischen Reich einge­führt wurde,312 war im Getreidehandel den monopolistischen Praktiken des Staates auch in den südlich der Donau liegenden Ländern ein Ende gesetzt. Folgende Zah­len verdeutlichen die positive Wirkung des Abkommens von 1838 auf die Entwick­lung des Handels in Bulgarien: Die Getreideausfuhr dieses Landes durch die Donau-und Schwarzmeerhäfen stieg von 14.500 t im Jahre 1839 auf 110.000 t im Jahre 1848.313 Der Aufschwung der österreichischen Donau-Schiffahrt und die Zunahme des südrussischen Weizenexports durch den Hafen von Odessa ab 1830 waren wei­tere Momente, die zur wirtschaftlichen Blüte der bulgarischen Donauhäfen Vidin, Lorn, Nikopol, Sviïtov, Ruse und des Schwarzmeerhafens Varna beitrugen.314

Im Laufe des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand also eine „bürgerliche" Gesellschaftsschicht in Bulgarien, die mannigfaltige Beziehungen zu Handels- und Kulturzentren Zentraleuropas und Rußlands unterhielt. Sie war mate­riell in der Lage, ihre Söhne an europäischen Kulturstätten ausbilden zu lassen. Die sich auf diese Weise herausbildende bulgarische Intelligenz konnte jedoch eine ange­messene Tätigkeit viel weniger im Dienste der Pforte als in dem der slawischen Staa­ten wie Serbien und Rußland finden, was den Widerspruch, der zwischen dem aufstre­benden Bürgertum und den feudalen Institutionen des Osmanenreiches ohnehin be­stand, weiter verschärfen sollte.315

Die ersten Versuche, das unter osmanisch-phanariotischer „Doppelherrschaft" schwer angeschlagene Selbstbewußtsein der Bulgaren zu heben, gingen allerdings von Mönchen aus. Die Klöster waren - vor allem Zograf und Chilendar auf dem Heiligen Berg und Rila in Südwestbulgarien - praktisch die einzigen Orte, in denen das mit­telalterliche Schrifttum der Bulgaren überliefert werden konnte.316 So war es der wahrscheinlich aus Bansko, Makedonien, stammende Mönch Paisij Chilendarski317, der als erster 1762 in einer Chronik, Istorija slavjanobolgarskaja, seine Landsleute an die Eigenstaatlichkeit Bulgariens im Mittelalter erinnerte.318 Er erzählte ihnen von

311 Vgl. Stoianovich, „The Conquering Balkan Orthodox Merchant", S. 282. Die Bestrebun­gen bulgarischer Kaufleute und Unternehmer, in den Donaufürstentümern kommerziell Fuß zu fassen, kommen in der Petition Sofronij Vracanskis vom 29.5.1811 an Fürst Kutu-zov, den Oberbefehlshaber des russischen Heeres an der Donau-Front, klar zum Ausdruck. Siehe Konobeev, a.a.O., S. 160-167.

312 Text des Abkommens bei Hurewitz, a.a.O., Bd 1,S. 110-111. 313 Siehe Berov, Ikonomiceskoto razvitie . . . , S. 67-69. 314 Paskaleva, „Les relations commerciales . . .", S. 268-274. 315 Vgl. Gerlinghoff, a.a.O., S. 171. 316 Über die Rolle der Klöster in der bulgarischen „Wiedergeburt" siehe B. Penev, Istorija na

novata bulgarska literatura [Geschichte der neuen bulgarischen Literatur], Bd. 1, Sofija 1930, S. 366-399.

317 Zur Bestimmung des Geburtsortes des Paisij siehe M. Arnaudov, Paisij Chilendarski. Lié-nost, delo, epocha. [Paisij Chilendarski. Die Persönlichkeit, das Werk, die Epoche), 2. er­gänzte Ausg., Sofija 1972, S. 44-53.

318 Über Paisij und sein Werk siehe ebd., S. 80-114; Penev, a.a.O., Bd. 2, S. 204-330; Istorija

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 61

den Taten großer bulgarischer Zaren und wies darauf hin, daß nicht nur die Griechen und Serben, sondern auch die Bulgaren ihre eigene Geschichte hatten. Abgesehen von dem patriotischen Ton freilich war das Werk Paisijs, wie überhaupt die von Mönchen verfaßte bulgarische Literatur des 18. Jahrhunderts,319 inhaltlich wie der Form nach zutiefst in der orthodox-christlichen Tradition eingebettet — nicht etwa von einem „aufklärerischen" Geist, sondern von dem Glauben an die göttliche Vorsehung durch­drungen.320

Im Prozeß der Nationswerdungder Bulgaren, der im Werk des Mönchen Paisij gleich­sam eine ideologische Legitimation erfahren hatte,321 wurde der bulgarische Nations­gedanke in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch deutlich säkularisiert. Das noch schwache, aber bereits zu Selbstbewußtsein gelangende Bürgertum orientierte sich am Beispiel der fortgeschrittenen europäischen Gesellschaften.322 Der mehr oder weniger stark betonte Antiklerikalismus, der einen Grundzug der bürgerlichen Kultur darstellt, wurde über die Vorbilder griechischer Aufklärer aus der Französi­schen Revolution übernommen.323 Adamantios Koraes, Rigas Velestinlis u.a., grie­chische Patrioten mit republikanischen Neigungen, warfen damals dem griechisch­orthodoxen Patriarchat von Konstantinopel vor, ein Werkzeug der osmanischen Des­potie zu sein.324 Es überrascht daher nicht, daß die ersten Widersacher des griechi-chen Klerus in Bulgarien diejenigen Vertreter der bürgerlichen Intelligenz waren, die ihre Bildung überwiegend in griechischen Schulen in Istanbul (Gavril KrüsteviC.G. S. Rakovski), Athen (Ivan Seliminski, Stojan Comakov), Bukarest (Neofit Rilski) oder Janina (Dimitür Mladinov) erhalten hatten.325

na bülgarskata literatura. 2. Literatura na Vüzraidaneto [Geschichte der bulgarischen Li­teratur, Bd. 2, Literatur der Wiedergeburt], Sofija 1966, S. 30-58.

319 Den Mönchen Josif Bradati, Nikofor Rilski, Josif Chilendarec u.a. ging es in ihren Werken in erster Linie um die Verfestigung des orthodox-christlichen Glaubens des Volkes. Vgl. B. S. Angelov, Süvremennici na Paisij [Zeitgenossen des Paisij], Bd. 1, Sofija 1963, S. 2 3 -85,86 109,146-153.

320 Vgl. Arnaudov, a.a.O., S. 90. 321 Nach Meinung V. D. Konobeevs beinhaltet das Werk Paisijs bereits die bourgeoise Ideolo­

gie. Vgl. Bülgarskoto nacionalnoosvoboditelno dviïenie, S. 59-78. 322 Vgl. Geilinghoff, a.a.O., S. 168. 323 Über den Einfluß griechischer Freiheitskämpfer auf die bulgarische Wiedergeburt siehe Pe-

nev, a.a.O., Bd. 3, S. 99-103. 324 Vgl. N. Danova, Z. Markova, „Ideja cerkovnogo reformatorstva i balkanskoe prosveäcenie,

XVIII i naCalo XIX w." [Die Idee eines kirchlichen Reformertums und die Aufklärung auf dem Balkan im 18. und zu Beginn des 19. Jh.], EH 7 (1975), S. 165-167. In RigasElli-niki Dimokratia, einer in Kleinasien und auf dem Balkan zu errichtenden Republik, sollten Griechen, Albaner, Walachen, Armenier und Türken alle gleichberechtigte Bürger sein. Die Serben und Bulgaren erwähnte er allerdings mit keinem Wort, weshalb auch ihm von die­ser Seite vorgeworfen wurde, Anhänger der Megalildea zu sein. Vgl. R. Clogg, „Aspects of the Movement for Greek Independence", S. 27-28.

325 Penev, a.a.O., Bd. 3, S. 92-93. 326 Vgl. Küncov, „Grad Skopie . . .", S. 130 ff.; R. von Mach, The Bulgarian Exarchate

S. 11-12;E. Reinhardt. Die Entstehung des bulgarischen Exarchats, Luckn S. -A. 1912,S. 15-16; A. Birkov, Zapadnite kraüta na bülgarskata zemja, S. LXX; K. Dinkov,Istori/a na bülgarskata cürkva [Geschichte der bulgarischen Kirche], Sofija 1954, S. 72; Ch. Christov, Bülgarskite obitini.. . , S. 117-118.

62 Die Entstehung der Makedonischen Frage

Das bulgarische Bürgertum stellte in den 30er Jahrendes 19. Jahrhunderts im wesent­lichen zwei Forderungen an das griechisch-orthodoxe Patriarchat: die Ernennung von Bischöfen, die in der Lage waren, den Gottesdienst in bulgarischer Sprache abzuhal­ten, und die Gründung von Schulen, in denen der Unterricht auf bulgarisch stattfin­den sollte. 1833 verlangten die Einwohner von Skopje, 1834 die von Veles und Sa-mokov und 1840 die von Vidin, Türnovo und Plovdiv bulgarische Bischöfe. Ihre Wün­sche wurden jedoch vom Patriarchat abgelehnt.326

Die bulgarische Forderung nach weltlichen, vom Patriarchat unabhängigen Volksschu­len dagegen sollte verhältnismäßig früh in Erfüllung gehen. Trotz des Widerstandes des griechischen Metropoliten Hilarion von Türnovo konnte im Jahre 1835 in Gabrovo die erste bulgarische Schule gegründet werden.327 Einige Schulen, die nach laizisti­schen Prinzipien aufgebaut waren, existierten zwar schon im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts, so in Sviätov (1815), Kotel (1819) und Karlovo (1828).328 In diesen Schulen, die von Griechen gegründet worden waren und von Griechen unterhalten wurden, wirkte jedoch die hellenistische Ideologie weiter. Die Mehrzahl ihrer Absol­venten gehörte einer gräzisierten Schicht im Lande an. Die Gründer der Schule in Gabrovo, Vasil Aprilov und N. S. Palauzov, dagegen waren Protagonisten des bulga­rischen Bürgertums. Der in Odessa lebende Kaufmann und bulgarische Aufklärer V. Aprilov, der sich bis 1830 innerhalb hellenistischer Kreise Odessas für die griechische Unabhängigkeit eingesetzt hatte, widmete sich danach der Lösung der national-bul­garischen Schulfrage.329 Seine während eines Aufenthaltes in Istanbul (1830) ge­wonnenen Eindrücke erlaubten ihm die Schlußfolgerung, daß im Osmanischen Reich eine für die Belange der Bulgaren förderliche Reform-Periode unmittelbar bevorstand. Ihm und Palauzov gelang nunmehr die Organisierung der bulgarischen Handels- und Handwerkerkolonien in Rumänien, Bessarabien und Odessa, wodurch die Finanzie­rung der bürgerlich-nationalen Schulen in Bulgarien sichergestellt wurde. Schon 1836 entstanden weitere neue Schulen inSvis"tov,Koprivs"ticaundTrjavna; 1840 gab es ins­gesamt zwölf solcher Schulen in Bulgarien.330 Dank des persönlichen Einsatzes eines makedonischen Aufklärers, Jordan Hadzikonstantinov Df inots, entstanden in dieser Epoche auch in Makedonien (Veles, Skopje) in bulgarischer Sprache unterrichtende weltliche Schulen.331

Der Prozeß nationalen Bewußtwerdens, der sich in bulgarisch bewohnten Gebieten auf kommunaler Ebene vollzog, muß als ebenso bedeutend für die bulgarische Wie­dergeburt bewertet werden, wie die aufklärerische Tätigkeit von Auslandsbulgaren. Die Beschäftigung mit den Kirchen- und Schulangelegenheiten stellte für die christ­lich-kleinbürgerlichen Schichten in der Provinz die einzige Möglichkeit dar, die poli­tische Bühne zu betreten. So wurden hauptsächlich zum Zweck der Instandsetzung bzw. Neuerrichtung von Kirchenbauten ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

3 27 Reinhardt, a.a.O., S. 11 ; Christov, Bülgarskite obStini. . . , S. 111. Über die Anfange des bulgarischen Erziehungswesens siehe auch Penev, a.a.O., Bd. 3, S. 212-244.

328 Vgl. Istorija na bùlgarskata literatura, Bd. 2, S. 93. 329 Hierzu u.z. folg. vgl. ebd., S. 145 160. 330 Ebd., S. 93. 331 Vgl. Küncov, „Grad Skopie. ..", S. 139-149; Istorija na makedonskiot narod,S. 119-120.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 63

zahlreiche neue Kirchengemeinden gebildet.332 Obwohl sie formal dem Patriarchat unterstanden, bedeuteten ihre Aktivitäten eine Herausforderung an die Kirchenbe­hörden. Die griechischen Metropoliten, die kirchliche Angelegenheiten bislang allein geregelt hatten, mußten immer mehr slawisch sprechenden Laien ein Mitspracherecht einräumen.333 Letztere begannen gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, dem Beispiel der bulgarischen Schule von Gabrovo folgend, sich der Bevormundung durch die griechi­sche Geistlichkeit auch dadurch zu entledigen, daß sie analog den Kirchengemeinden Schulgemeinden gründeten und so die Verantwortung für den Unterricht ihrer Kin­der auf sich nahmen.334

Wenn auch die Initiatoren von Kirchen- und Schulgemeinden anfänglich aus den Rei­hen der alten forftaa-Schicht stammten, die damit ihre gesellschaftlich dominierende Stellung weiter ausbauen konnten, errangen später, insbesondere nach dem Krimkrieg (1854-56), Handwerker und kleinere Geschäftsleute das politische Übergewicht.335

Parallel dazu erlangten die Führungsorgane dieser Gemeinden allmählich eine de facto Vertreterfunktion des christlich-orthodoxen millets bei den lokalen Behörden.336

Als dann im Rahmen der tanzimat-Reformen im Osmanischen Reich auch die Reor­ganisation der Provinzialverwaltung in Angriff genommen wurde, fanden die Vertre­ter der Kirchen- und Schulgemeinden Zugang zu den Provinz-, Bezirks- und Kreisver­waltungsräten.337 In diesem Sinne ging der Modernisierungsprozeß im Osmanischen Reich und der Prozeß der nationalen Wiedergeburt des bulgarischen Volkes Hand in Hand.

Die Verkündung des hatt-i hümayun vom Februar 1856, die den Beginn der zweiten Phase der tanzimat markierte, war zugleich ein Meilenstein in der Geschichte der bul­garischen Kirchenfrage.338 In diesem Dokument wurde zunächst das bereits im hatt-i jen/von Gülhane (1839) gegebene Versprechen, daß alle Untertanen des Sultans ohne Unterschied der Konfession und Volkszugehörigkeit gleichgestellt seien, noch­mals feierlich bekräftigt. Wichtiger für die Belange der Bulgaren waren diejenigen Be­stimmungen des hatt, die bei rigoroser Durchführung die Struktur der milkt-Oigam-

332 Vgl. S. Dimevski, Crkovna istorija na makedonskiot narod (Kitchengeschichte des ma­kedonischen Volkesl, Skopje 1965, S. 92.

333 Vgl. ebd., S. 100-103, und ders., „Sozdavanjeto, strukturata i kompetenciite na makedon-skite crkovnoäkolski opätini" (Die Gründung, Struktur und Kompetenzen der makedoni­schen Kirchen- und Schulgemeinden], GJNI14 (1970), S. 36.

334 Die im Jahre 1816 gegründete Kirchengemeinde von Veles beispielsweise übernahm 1848 durch Bildung eines Schulrates auch die Regelung der Schulangelegenheiten. Vgl. Dimev­ski, Crkovna istorija . . . , S. 93.

335 Vgl. Christov, Bülgarskite obStini. . . , S. 153-161. Siehe auch Protokoll od zasedanijata na Prilepskata opitina, 1872-1886 [Protokolle der Sitzungen des Gemeinderates von Pri-lep 1872-18861, hrsg. v. Lj. Lape, Skopje 1956.

336 Dimevski, Crkovna istorija . . . , S. 97-98. 337 Christov, Bülgarskite obStini. . . , S. 126-145. Maßgebend in diesem Zusammenhang war

das Vilayetsgesetz aus dem Jahre 1864. Text bei I. de Testa, Recueil des traités , . . , Bd. 7, S. 484-493. Kornrumpf gibt den Text inhaltlich wieder: Die Territorialverwaltung . . . , S. 75-83. Vgl. auch Davison, Reform in the Ottoman Empire 1856-1876, S. 136-171.

338 Text des hatt-i hümayun bei Karal, Osmanli tarihi, Bd. 5, S. 258-268; Hurewitz, a.a.O., Bd. 1, S. 149-153.

6 4 Die Entstehung der Makedonischen Frage

sation verändert haben würden. So war vorgesehen, daß der Patriarch, der nunmehr auf Lebenszeit ernannt werden sollte, unter Wahrung aller seiner kirchlichen Kompe­tenzen die Verwaltung' der weltlichen und richterlichen Angelegenheiten des ortho­dox-christlichen millets einem aus Laien und Geistlichen zusammengesetzten Rat überlassen sollte. Der Patriarch, die Metropoliten, Bischöfe und anderen Geistlichen sollten fortan eine genau festgelegte Besoldung erhalten. Die Christen sollten zum Heeresdienst und zu Staatsämtern zugelassen werden. Diese Reformvorhaben der osmanischen Regierung stießen jedoch auf die entschie­denste Ablehnung seitens der christlichen Patriarchate sowie des jüdischen Großrab-binats. Die rw/V/ef-Führer wollten nämlich den materiell vorteilhaften Rechtsstatus ih­rer Gemeinschaften nicht aufgeben.339 Um zu verhindern, daß die sich allmählich ver­wirklichende Gleichberechtigung von Muslims und Nichtmuslims das millet-Systetn unterhöhlte, setzten sie bereits vier Monate nach der Verkündung deshatt bei der Ho­hen Pforte durch, daß die Nichtmohammedaner gegen Bezahlung einer Geldsumme (bedel-i askeriye) den Heeresdienst nicht abzuleisten brauchten;340 und der grie­chisch-orthodoxe Patriarch ließ kein Mittel unversucht, die Tagung des im hatt vor­gesehenen gemischten Konzils, das die Einzelheiten der /w'/fer-Reform beraten sollte, hinauszuschieben.341

Dagegen fand die Veröffentlichung des hatt-i hümayun eine überaus positive Aufnah­me im bulgarischen Bürgertum, obwohl dessen radikaler Flügel der Meinung war, die Reformmaßnahmen der osmanischen Regierung gingen nicht weit genug. Die Radi­kalen drückten ihre eigenen Reformvorstellungen in den folgenden Forderungen aus, die im Sommer 1856 in Form einer Petition im Namen der „6.400.000 Bulgaren" dem Sultan gestellt wurden.342

a) das bulgarische Volk sollte sein Kirchenoberhaupt selbst wählen dürfen; b) ein zweites, weltliches Oberhaupt der Bulgaren sollte die Befugnis haben, die bulga­

rischen Funktionäre zu ernennen, die dann vom Sultan bestätigt werden sollten; c) das Bulgarische sollte die offizielle Sprache der lokalen Behörden werden; d) für die bulgarische und die türkische Bevölkerungsgruppe in Bulgarien sollten se­

parate Verwaltungs- und Justizorgane geschaffen werden; e) jedes der beiden milkt -Oberhäupter (d.h. das bulgarische und das türkische) sollte

über eine eigene Streitmacht zu polizeidienstlichen Zwecken verfügen dürfen;

339 C. Eliot spricht davon, daß die Geistlichen insbesondere dagegen gewesen seien, ein fixes Gehalt zu bekommen. Vgl. Turkey in Europe, S. 293. Wenn es auch zutreffen mag, daß die Geistlichkeit eine Verschlechterung ihrer materiellen Lage befürchtete, so müssen doch die aus der Gleichstellung aller Konfessionen zu erwartenden Nachteile für die nichtmohamme­danischen Handelsschichten der ausschlaggebende Faktor gewesen sein.

340 Vgl. O. Mazdrakova-Cavdarova, „L'Opinion publique bulgare et le Hatti-Humaun de 1856", £7 /7(1975) , S. 189 190.

341 Vgl. Arnakis, „The Greek Church of Constantinople and the Ottoman Empire", S. 248. R. H. Davison schreibt in diesem Zusammenhang: „The program of equality between Christian and Muslim in the empire remained largely unrealized not because of bad faith on the part of leading Ottoman statesmen but because many of the Christians wanted it to fail." „Tur­kish Attitudes concerning Christian-Muslim Equality in the Nineteenth Century", AHR 59(1954), S. 853.

342 Vgl. Mazdrakova-Cavdarova, a.a.O., S. 182.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 65

f) Bulgaren sollten zum Heeresdienst herangezogen werden; ihre Regimenter sollten jedoch separat aufgestellt und von bulgarischen Offizieren kommandiert werden.

Dieses politische Programm hatte damals kaum Chancen, verwirklicht zu werden. Auf die niedergeschlagene Stimmung, die nach dem Mißerfolg Rußlands im Krimkrieg für kurze Zeit das bulgarische Volk ergriffen hatte,343 wirkte es aber wie ein Zeichen zur Fortsetzung des nationalen Kampfes. Nunmehr lag die Führung in diesem Kampf al­lerdings eindeutig in den Händen gemäßigter Vertreter der bulgarischen Gemeinde von Istanbul.344

Zahlreiche Kundgebungen der Bulgaren, die auf unverzügliche Durchführung der ver­sprochenen Reformen drängten, veranlaßten die osmanische Regierung, Instruktio­nen zur Einberufung einer griechisch-orthodoxen m/V/er-Versammlung zu erteilen, die aus dem Patriarchen, sieben von der Heiligen Synode zu bestimmenden Metro­politen und einundzwanzig Laienvertretern gebildet werden sollte.345 In den von 1858 bis zum Februar 1860 andauernden Sitzungen der Versammlung waren die Bulgaren anfänglich durch vier Abgeordnete vertreten. Aus Protest gegen die konser­vative Haltung der Mehrheit in der Frage der Kirchenverwaltung in Bulgarien, ver­ließen jedoch drei von ihnen die Versammlung bereits zu Beginn. Lediglich der vier­te bulgarische Abgeordnete brachte die Klagen seiner Landsleute vor: Es sei nötig, den Bulgaren einen eigenen nationalen Klerus unter der geistlichen Oberherrschaft des ökonumenischen Patriarchen zu geben. Die Wahl von Metropoliten und Bischö­fen solle von ihren Eparchien vorgenommen werden. Als diese Forderungen nicht einmal zur Diskussion gestellt wurden, verließ auch der letzte bulgarische Abgeord­nete aus Protest die Versammlung^

Der bulgarisch-griechische Kirchenkampf wurde von nun an in wesentlich schärferer Form weitergeführt. Die slawischen Einwohner von Ochrid verjagten Anfang April 1860 den neuen Erzbischof, Meletios von Veles, aus ihrer Stadt, da dieser vom Patriar­chen gegen den Willen der Gemeinde eingesetzt worden war.346 Am Ostersonntag 1860 ersetzte Ilarion Makariopolski während der Messe in der bulgarischen Kirche in Phanar, Istanbul, die kanonische Erwähnung des Namens des Patriarchen in der Li­turgie durch den Namen des Sultans. Makariopolski erhielt daraufhin wegen dieses „patriotischen" Aktes Glückwunschtelegramme aus allen Teilen Bulgariens und fun-

343 Vgl. G. Troubetzkoi, „La politique russe en Orient. Le schisme bulgare", RHD 21 (1907), S. 171.

344 Istanbul, die Hauptstadt des Reiches, war damals mit ihrer über 30.000 Einwohner zahlen­den bulgarischen Gemeinde das in kultureller, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht be­deutendste Zentrum des Bulgarentums. Hier erschienen auch die wichtigsten bulgarischen Zeitungen und Zeitschriften: Bulgarski kniiici, Carigradski vestnik, Bülgarija, Turcija.Ma-kedonija, Vremja u.a. Vgl. Christov, Bülgarskite obStini. . . , S. 1 \9;Istorija na bülgarskata literatura, Bd. 2,S. 188.

345 Hierzu u.z. folg. vgl. Reinhardt, a.a.O., S. 21 23; Dinkov, a.a.O., S. 77. 346 Reinhardt, a.a.O., S. 24 -25; Isirkov, a.a.O., S. LXXIV. Um ein Bild von den damals in Ma­

kedonien herrschenden Verhältnissen und der Stimmung der slawischen Bevölkerung zu be­kommen, siehe G. D. Todorov, N. Zecev, „Documents ayant trait aux luttes des bulgares pour une église et des écoles nationales en Macédoine vers le milieu du XIXe siècle", EH 3 (1966), S. 173-239.

66 Die Entstehung der Makedonischen Frage

gierte fortan de facto als das Oberhaupt des bulgarischen millet.M1 Die als bulgaren­freundlich erscheinende Haltung der osmanischen Regierung - der Großwesir ließ zu jener Zeit den griechischen Bischof Anthimos von Pirot verhaften - veranlaßte den Patriarchen Kyrill VII. im Mai 1860, seine Demission einzureichen.348

Die Bereitschaft einiger bulgarischer Gemeinden, die Orthodoxie zu verlassen und die Union mit der römischen Kirche zu vollziehen, spielte als taktisches Mittel im Kir­chenkampf eine wichtige Rolle. Dadurch setzte man sowohl das Patriarchat als auch das um die Einheit der Orthodoxie besorgte Rußland unter Druck, um sie zu größe­rer Konzessionsbereitschaft in der bulgarischen Kirchenfrage zu bewegen.349 Frank­reich, das in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts verstärkt als Beschützer der ori­entalischen Katholiken auftrat und durch eine Bekehrung der Bulgaren zum Katho­lizismus den Einfluß Rußlands im Nahen Osten einzudämmen hoffte, unterstützte die Unionsbestrebungen der Bulgaren materiell wie politisch.350 Die französierte Di­plomatie arbeitete hierbei mit polnischen Emigranten in Frankreich und im Osmani­schen Reich, welche mit allen Mitteln Rußland zu schädigen trachteten, eng zusam­men,351 Nach Meinung Adam Czartoryskis, der führenden Persönlichkeit innerhalb der polnischen Emigration in Europa, war es dem Wohl der Bulgaren viel dienlicher, unter der Herrschaft des Sultans zu bleiben, als ihre Befreiung der Hilfe Rußlands ver­danken zu müssen.352 So warb M. Czajkowski, seit 1841 Agent Czartoryskis im Os­manischen Reich, im Verein mit den Lazaristen und Resurrektionisten für die Unions­bewegung vor allem in Makedonien und Thrakien, um die dortigen Bulgaren dem Ein­fluß des Zarenreiches zu entziehen.353 Der Bulgare Dragan Cankov, Absolvent einer Lazaristenschule, gab ab März 1859 unter der Protektion des französischen Botschaf­ters in Istanbul seine vom Missionsorden der Lazaristen subventionierte Wochen­schrift Bùlgarifa heraus, in welcher er, immer wieder auf die katholischen Ursprünge der bulgarischen Kirche hinweisend, den Anspruch des griechisch-orthodoxen Patri­archats auf die kanonische Jurisdiktion über die Bulgaren bestritt.354

Erfolge solcher Propagandatätigkeit ließen nicht lange auf sich warten. Im Juli 1859 richteten die Einwohner von Kukuä, einer makedonischen Kleinstadt nördlich von Saloniki, eine Petition an den Papst des Inhalts, daß sie, überdrüssig des Konflikts

347 Reinhardt, a.a.O., S. 25; Ilirkov, a.a.O., S. LXXV; T. A. Meininger, Ignatiev and the Es­tablishment of the Bulgarian Exarchate 1864-1872, Madison, Wise, 1970, S. 20.

348 Reinhardt, a.a.O., S. 26-27. 349 Vgl. Troubetzkoi, a.a.O., S. 197; Meininger, a.a.O., S. 2. 350 Siehe N. Gencev, „Francija i bülgarskijat cürkoven vüpros do Krimskata vojna" [Frank­

reich und die bulgarische Kirchenfrage bis zum Krimkrieg], in: V c'est na Akademik Chri­sto A. Christov, Sofija 1976, S. 89-104.

351 V. Ja. Grosul, „Pol'skaja politiêeskaja emigraeija na Balkanach v 40 naCale 50-ch godov XIX v." [Polnische politische Emigration auf dem Balkan in den 40er bis zum Beginn der 50er Jahre des 19. Jh.], in: Balkanski/ istoriöeskij sbornik II, Kiäinev 1970, S. 49 50.

352 Vgl. N. Gencev, a.a.O., S. 94. 353 Grosul, a.a.O., S. 51 ; V. Smochovska-Petrova, Michail Cajkovski - Sadük pasa i bülgarsko-

to vùzraïdane [M. Czajkowski - Sadik Pasa und die bulgarische Wiedergeburt), Sofija 1973, S. 71-72; H.-J. Härtel, „Die Union in Makedonien", in: Sudosteuropa unter dem Halbmond, München 1975, S. 102.

354 Vgl. Grulich, Die unierte Kirche in Mazedonien, S. 42-43.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 67

mit ihrem griechischen Klerus, bereit seien, in die katholische Kirche einzutreten.355

Als Gegenleistung verlangten sie die Erfüllung folgender Bedingungen: a) das Slawi­sche sollte die Liturgiesprache werden; b) die Gemeinde sollte den Erzbischof selbst wählen dürfen; c) der Erzbischof und die Priester sollten alle Bulgaren sein; d) das Bulgarische sollte zur Schulsprache gemacht werden.356 Außer in Kukuä erzielte die katholische Propaganda weitere Erfolge in Makedonien vor allem in Vodena (Edessa), Yenice Vardar (Giannitsa), Saloniki und Dojran.357 Auch in Konstantinopel äußer­ten einige Bulgaren den Wunsch, in die römische Kirche aufgenommen zu werden.358

Im Dezember 1860 wurde dort schließlich die bulgarische Union mit Rom feierlich vollzogen. Der Papst ernannte einen gewissen Josef Sokolski zum Erzbischof der unierten Bulgaren, der am 1. Juni 1861 den Investiturerlaß von der Pforte entgegen­nahm und damit als das Oberhaupt des bulgarisch-unierten millet offiziell bestätigt wurde.359

Die russische Machtstellung auf dem Balkan, die auch nach dem Krimkrieg auf der Einheit aller orthodoxen Christen dieses Gebiets unter der Jurisdiktion des ökume­nischen Patriarchats beruhte/60 wurde durch die Unionsbewegung der Bulgaren ernst­lich bedroht. Aus diesem Grunde lag der russischen Diplomatie, die bisher die Inter­essen des Patriarchats berücksichtigt hatte, nunmehr daran, das Patriarchat unter allen Umständen dazu zu bewegen, in der Kirchenfrage den Bulgaren entgegenzu­kommen.361

Der auf diese Weise gedrängte Ökumenische Patriarch Joachim II. berief im Februar 1861 eine große Synode ein, an der die Patriarchen von Alexandrien, Antiochien, Je­rusalem, zwei ehemalige Patriarchen von Konstantinopel und einundzwanzig Bischöfe teilnahmen.362 Diese Kirchenversammlung erarbeitete ein Dokument, in dem die Grundsätze festgelegt wurden, die die künftigen Beziehungen der Bulgaren zum Patriarchat regeln sollten. Die wichtigsten unter diesen Grundsätzen waren: a) für die rein bulgarischen Eparchien sollten bulgarische Kleriker gewählt werden; b) bei Vakanz einer bulgarischen Eparchie würde das Patriarchat den Kandidaten der

Bulgaren wohlwollend berücksichtigen; c) in allen Schulen Bulgariens sollte der Unterricht in bulgarischer Sprache stattfin­

den; d) die Einkünfte der bulgarischen Metropoliten und Bischöfe sollten festgesetzt wer­

den;

355 Zur Unionsbewegung in Kukuä siehe Grulich, a.a.O., S. 43-47. 356 Vgl. ebd., S. 45. 357 Vgl. ebd., S. 47-52. Siehe außerdem Kiril patriarch bülgarski, Prinos küm bülgarskija cùr-

koven vüpros. Dokumenti ot avstrijskoto konsulstvo v Solun [Ein Beitrag zur bulgarischen Kirchenfrage. Dokumente aus dem österreichischen Konsulat in Saloniki], Sofija 1961, S. 38-39; Dimevski, Crkovna istorija . . . , S. 112-119.

358 Siehe Dokumenti iz turskite düriavni archivi [Dokumente aus den türkischen Staatsarchi­ven], hrsg. von P. Dorev, Bd. 1, Sofija 1940, Nr. 697.

359 Vgl. Reinhardt, a.a.O., S. 31-37. 360 Vgl. Troubetzkoi, a.a.O., insbes. S. 162-171. 361 Reinhardt, a.a.O., S. 43. 362 Reinhardt, a.a.O., S. 43.

68 Die Entstehung der Makedonischen Frage

e) in bulgarischen Eparchien sollten Gottesdienste in bulgarischer Sprache gefeiert werden.363

Diese Verständigungsvorschläge der Synode wurden von der bulgarischen Seite als ungenügend zurückgewiesen. Die Bulgaren traten im Juli 1861 ihrerseits mit neuen Vorschlägen hervor, deren wichtigste Grundsätze die folgenden waren: a) das bulgarische Volk sollte das Recht haben, an der Wahl des Patriarchen entspre­

chend seiner Bevölkerungszahl teilzunehmen; b) die Mitglieder der Heiligen Synode sollten je zur Hälfte aus Griechen und Bulgaren

bestehen; c) die bulgarischen Mitglieder der Heiligen Synode sollten zusammen mit den zu die­

sem Zweck gewählten Laienmitgliedern einen gemischten Rat bilden, der die welt­lichen Angelegenheiten des bulgarischen Volkes regeln sollte;

d) in den gemischten Eparchien sollte der Bischof aus demjenigen millet gewählt werden, das den größeren Teil der Bevölkerung stellte.364

Mit diesen Vorschlägen und Gegenvorschlägen, die unter veränderten Bedingungen nach der Gründung einer bulgarisch-unierten Kirche gemacht worden waren, begann die Phase langwieriger Verhandlungen über die Lösung der bulgarisch-griechischen Kirchenfrage, die ein Jahrzehnt lang andauerte. Neben den Hauptbeteiligten - dem Patriarchat und der national-kirchlichen Führung der Bulgaren — bemühten sich um eine Verständigung zwischen den Parteien vor al­lem der russische Botschafter N. P. Ignat'ev (ab 1864) und die osmanische Regierung. Rußland kam es in dieser Phase darauf an, ohne es zu einem Bruch mit dem Patriar­chat kommen zu lassen, durch Schaffung eines nationalen Forums die Bulgaren vor dem Einfluß der katholischen und protestantischen Propaganda zu schützen ; damit wäre sowohl den Interessen Rußlands als auch denen der Orthodoxie gedient wor­den.365 Der Standpunkt der osmanischen Regierung in dieser Frage ist einmal aus den Grundtendenzen der tanzimat heraus zu verstehen. Zum anderen müssen die kurz­fristigen Interessen des Reiches in jener Zeit berücksichtigt werden. Wie bereits an­gedeutet, war der tanzimat vor allem ein Zentralisierungsprozeß im Staat, gekoppelt mit dem Aufstieg einer im rationalen Denken erzogenen Bürokratie. Er bedeutete auf der ideologischen Ebene die „Verwestlichung" (batilaçma), ein Verwerfen älte­rer Strukturen zugunsten der „Modernität".366 Die führenden Bürokraten dieser Epo­che hatten daher ein Interesse daran, das griechisch-orthodoxe Patriarchat, das ein Hindernis für ihre Zentralisierungs- und Säkularisierungsbemühungen bedeutete,

363 Vgl. Reinhardt, a.a.O., S. 44-46, und Dokumenti iz turskite . . . , Bd. 1, Nr. 703. 364 Reinhardt, a.a.O., S. 47-48. 365 „Zapiski grafa N. P. Ignat'eva, 1864 -1874", Izvestija Ministerstva inostrannych del, 6

(1914), S. 161, nach Meininger, a.a.O., S. 28. 366 Diese Auffassung von der tanzimat ist heute in der Türkei verbreitet. Ihre Vertreter sind

u.a. D. Avcioglu, Türkiye'nin düzeni. Dun - Bugiin - Yann [Die Gesellschaftsordnung der Türkei. Gestern - Heute - Morgen). Ankara 1968; l, Kücükömer, Düzenin yabancüasmasi. Batüasma (Die Entfremdung der Sozialordnung. Die Verwestlichung), Istanbul 1969; I. Cem, Türkiye de gerikalmishgin tarihi [Die Geschichte der Unterentwicklung der Türkei], Istanbul 1970; S. Yerasimos, Azgelismislik sürecinde Türkiye [Die Türkei im Prozeß der Unterentwicklung], Bd. 2, Istanbul 1975.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 69

durch innere Auseinandersetzungen und Spaltungen zu schwächen.367 Was nun die Wahrung der kurzfristigen Interessen des osmanischen Staates betrifft, so war dazu eine Politik erforderlich, die geeignet gewesen wäre,das Zustandekommen einer anti-osmanischen Balkanallianz zu verhindern.368 Die Erfüllung der bulgarischen Wünsche in der Kirchenfrage bot sich als eine in dieser Hinsicht besonders erfolgversprechende Maßnahme an. Die gegensätzlichen Positionen der Griechen und Bulgaren blieben die 60er Jahre hindurch unüberbrückbar. Der Streit wurde allerdings nicht mehr um die prinzipielle Frage geführt, ob die Bulgaren überhaupt ein Recht auf eine eigene autokephale Kir­che hätten, sondern darum, welche geographischen Grenzen und kirchlich-politischen Kompetenzen die zu etablierende Kirche der Bulgaren haben würde. Das Patriarchat war nämlich bereit, eine bulgarische Kirche anzuerkennen, wenn diese nur aus den nördlich des Balkangebirges liegenden Eparchien gebildet sein würde.369 Die Bulgaren dagegen bestanden darauf, daß der Amtsbereich ihrer Kirche keinen territorialen Be­schränkungen unterliegen sollte. Sie beanspruchten den millet -Status für ihre Volks­gruppe, die außer in Bulgarien vor allem in Thrakien und Makedonien verstreut lebte. Ein scheinbarer Widerspruch lag nun darin, daß die Bulgaren keine eigene, von der Orthodoxie abweichende Konfession hatten und es folglich keinen Platz für ein bul­garisches millet innerhalb des millet -Systems geben konnte. Die bulgarische Kirchen­frage war jedoch im Grunde genommen eine nationale Frage. Den Bulgaren ging es hierbei vor allem um die Sicherung eines möglichst großen Territoriums für ihren zu­künftigen Staat.370 Weil man sich keinesfalls auf ein kleines Bulgarien nördlich des Batkaaçebirges festlegen lassen wollte, forderte man, daß die Grenzen der zu grün­denden bulgarischen Kirche Undefiniert blieben. Die radikale Fraktion der Bulgaren sah sogar die Kirchenfrage als solche bereits erledigt an.371 Seitdem Makariopolski die kanonische Erwähnung des Namens des Patriarchen in der Liturgie durch den Namen des Sultans ersetzt hatte (1860), gab es für sie eine de facto unabhängige bulgarische Kirche.372 Deshalb wollte man sich jetzt an die Lösung anderer Fragen heranwagen, die rein politischer Natur waren. So wandte sich eine Gruppe bulgari­scher Nationalisten im Januar 1867 an den Sultan mit der Bitte, er solle sich zum

367 Reinhardt, a.a.O., S. 102. 368 Über die Versuche der Balkanstaaten in dieser Zeit, sich gegen das Osmanische Reich zu

verbünden, vgl. W. L. Langer, European Alliances and Alignments 1871-1890, New York, 2. Ausg. 1964, S. 61-62.

369 In dem Verständigungsentwurf des Patriarchats aus dem Jahre 1867 war die Bildung einer solchen bulgarischen Kirchenprovinz unter der Bezeichnung Thema Boulgarikön vorgese­hen. Vgl. Reinhardt a.a.O., S. 63-65.

370 Die „jungen" oder „radikalen" Bulgaren, deren Presseorgan Makedonija hieß, warfen 1867 die Frage nach der Wiedererrichtung des Erzbistums von Ochrid auf, um auf diese Weise den bulgarischen Anspruch, in diesem Falle auf Makedonien, zu bekräftigen. Vgl. läirkov, a.a.O., S. LXXVI; Meininger, a.a.O., S. 87.

371 Über den Standpunkt der bulgarischen „Radikalen" in der Kirchenfrage siehe Meininger, a.a.O., S. 46 -50, und S. Damjanov, „Pravoslavnata cürkva i bülgarskata nacionalna revotju-cija" [Die orthodoxe Kirche und die bulgarische nationale Revolution], in: Pravoslavieto v Bülgarija [Die Orthodoxie in Bulgarien], Sofija 1974, S. 153-191.

372 Damjanov, a.a.O., S. 159.

70 Die Entstehung der Makedonischen Frage

Zar der Bulgaren krönen lassen, womit, in Anlehnung an das Beispiel Österreich-Ungarns, ein autonomer Teilstaat Bulgarien entstanden wäre.373

Wenn auch die osmanische Regierung außerstande war, derartige Angebote zu akzep­tieren, so mußte sie doch den politischen Gegebenheiten in Bulgarien, Thrakien und Makedonien Rechnung tragen. Sie ergriff daher im Oktober 1868 die Initiative in der Kirchenfrage und konfrontierte das Patriarchat mit neuen Entwürfen, die im wesent­lichen folgende Punkte beinhalteten: a) die Bulgaren haben überall im Reich das Recht, ihre Geistlichen selbst zu wählen

und anzustellen; b) in den Eparchien mit gemischter Bevölkerung stellen die Bulgaren, wenn sie in der

Mehrheit sind, den Bischof; c) in Istanbul soll ein Kirchenoberhaupt der Bulgaren residieren, das mit der Hilfe ei­

ner Synode für die geistliche Verwaltung der bulgarischen Kirche zu sorgen hat.374

Als diese Initiative der Regierung in der Öffentlichkeit bekannt wurde, brach lauter Jubel unter den Bulgaren aus. Von überall sandte man Dankadressen an den Sultan.375

Die offene Stellungnahme der Hohen Pforte betreffend einer kirchlichen Frage wur­de dagegen vom Patriarchat als Verletzung seiner ab antiquo geltenden Rechte und Privilegien gedeutet.376 Der Patriarch beschloß nun, die Lösung der bulgarischen Kir­chenfrage dem Schiedsspruch einer ökumenischen Synode zu überantworten.377 Die osmanische Regierung aber, die nicht gewillt war, fremden Mächten (Rußland) noch mehr Anlaß zur Einmischung in die Kirchenangelegenheiten des Landes zu geben, verbot dem Patriarchat, die ökumenische Synode einzuberufen.378

Mag auch diese aktive Kirchenpolitik der Pforte darauf abgezielt haben, die im Jahre 1868 ohne ihre Vermittlungsich anbahnende Verständigung zwischen dem gemäßig­ten Flügel der Bulgarenpartei und dem Patriarchat durch ein großzügiges Angebot an die Bulgaren zu vereiteln,379 so kann andererseits nicht übersehen werden, daß allein diese Politik den damals im Lande herrschenden Verhältnissen gerecht wurde. Die seit Jahren andauernden Unruhen in den von Bulgaren bewohnten Gebieten er­reichten nämlich ab 1868 ihren Höhepunkt.380 Die Autorität des Patriarchen galt wenig; die von ihm ernannten Kleriker waren kaum in der Lage, ihre Amtsbezirke

373 Siehe Meininger, a.a.O., S. 88 89. 374 Vgl. Troubetzkoi, a.a.O., S. 180-181; Reinhardt, a.a.O., S. 72-73; ISirkov, Zapadnite

kraiSta . . . , S. LXXVII; Meininger, a.a.O., S. 104-105. 375 Reinhardt, a.a.O., S. 74. 376 Vgl. Troubetzkoi, a.a.O., S. 182-183. 377 Ebd., S. 185 ; Meininger, a.a.O., S. 105. 378 Meininger, a.a.O.; Reinhardt, a.a.O., S. 86-87. 379 Wegen der Kreta-Frage lag eine Verständigung zwischen dem Patriarchat und den Bulgaren

im Bereich des Möglichen. Die Kircheninitiative der Pforte im Jahre 1868 wird in der Lite­ratur überwiegend als ein Versuch interpretiert, diese Verständigung zu verhindern. Vgl. Troubetzkoi, a.a.O., S. 181; Reinhardt, a.a.O., S. 70. Über die Rolle, die der Großwesir Ali Pasa und der Außenminister Fuad Paca in diesem Zusammenhang gespielt haben, schreibt Meininger: „Both capable administrators and utterly devoted to the preservation of the Empire, the two dealt with the Bulgarian affair is it affected Ottoman interests, not Russia's and not the Church's." A.a.O., S. 103.

380 Hierzu u.z. folg. vgl. Reinhardt, a.a.O., S. 58-59,102; Meininger, a.a.O., S. 71-73.

Die Gründung des bulgarischen Exarchats 71

zu betreten. Außerdem weigerten sich vielerorts die Bulgaren, an das Patriarchat Kirchenabgaben zu leisten. Am 12. März 1870 übergab der Großwesir den Ferman des Sultans, in dem die Grün­dung eines „bulgarischen Exarchats" bekanntgegeben wurde, den Vertretern der Griechen und Bulgaren. Dieses wichtige Dokument besteht aus elf Artikeln, deren Inhalt im folgenden kurz wiedergegeben wird;381

1. Ein besonderer kirchlicher Kreis mit der Bezeichnung des „bulgarischen Exarchats" sei gebildet worden und dazu autorisiert, in kirchlichen Angelegenheiten der Bulga­ren allein zu entscheiden;

2. Der ranghöchste Metropolit des Kreises soll den Titel des Exarchen führen. Ihm soll eine bulgarische Synode beigeordnet werden;

3. Es soll ein Reglement entsprechend den kanonischen Regeln der orthodoxen Kirche erarbeitet werden, worauf sich die innere Organisation des Exarchats gründen soll. Die Mögichkeit einer Einflußnahme des Patriarchats, insbesondere bei der Wahl der Bischöfe und des Exarchen, müsse ausgeschlossen bleiben. Nach der Wahl des Ex­archen habe der Patriarch unverzüglich eine Bestätigungsurkunde auszustellen;

4. Der Exarch, der durch ein berat des Sultans ernannt werde, sei gehalten, entspre­chend den kanonischen Regeln der Kirche, den Namen des Patriarchen in der Litur­gie zu erwähnen ;

5. Der Exarch habe das Recht, in direkter Verbindung mit der osmanischen Regierung und den lokalen Behörden zu stehen. Die Investitur-ierafs für die ihm unterstehen­den Metropoliten und Bischöfe würden nur auf seinen Wunsch hin ausgestellt wer­den;

6, 7 und 8. Unter diesen Punkten werden die rein kirchlichen Beziehungen zwischen dem Exarchat und dem Patriarchat geregelt;

9. Das bulgarische Kloster und die bulgarische Kirche in Phanar, Istanbul, sollen dem Exarchat unterstehen;

10. Unter diesem Punkt werden die Metropoliten aufgezählt, die den Kreis des bulgari­schen Exarchats ausmachen;

11. Die Organisation der Klöster in Bulgarien soll unverändert bleiben.

Unter politischen Gesichtspunkten betrachtet, enthielt Art. 10 die wichtigste Bestim­mung des Fermans, nämlich die Regelung der Kirchenfrage in ihrem territorialen As­pekt. Abgesehen von Niä und Pirot im Westen, einigen kleineren Bezirken in Thra­kien und Veles in Makedonien, lagen alle Eparchien der bulgarischen Kirche im Nor­den des Balkangebirges. Somit war die Schaffung eines Donau-Bulgarien zwar in die Nähe der Realisierbarkeit gerückt, das für die bulgarischen „Extremisten" so wichti­ge Makedonien aber außerhalb des künftigen Staatsgebietes geblieben. Die Möglich­keit einer nachträglichen Einbeziehung Makedoniens in den Amtsbereich des Exar­chats war allerdings im Ferman offengelassen worden. So war nach Art. 10 allen Ort­schaften, die im Ferman nicht namentlich erwähnt worden waren, gestattet, sich nach­träglich der Jurisdiktion des bulgarischen Exarchats zu unterstellen, wenn sich we­

nigstens zwei Drittel ihrer orthodoxen Einwohner dafür aussprachen.382

381 Text des Fermans bei R. von Mach, The Bulgarian Exarchate . . . , S. 13-15; Reinhardt, a.a.O., S. 103-106; Documents and Materials on the History of the Bulgarian People, S. 157-159. Eine Analyse dieses Dokuments Findet sich bei Meininger, a.a.O., S. 129-134.

382 Vgl. Reinhardt, a.a.O., S. 105-106.

72 Die Entstehung der Makedonischen Frage

Nach 1870 konnte ein modus vivendi zwischen dem Patriarchat und dem Exarchat nicht mehr gefunden werden. Die Beziehungen zwischen diesen beiden Kirchenäm­tern entwickelten sich vielmehr auf einen endgültigen Bruch hin. Am 15. April 1872 erhielt Anthim, der Metropolit von Vidin, das Investitur-èeraf von der osmanischen Regierung und wurde somit als der erste bulgarische Exarch offiziell eingesetzt.383

In dieser seiner Eigenschaft verkündete er am 23. Mai 1872, am Festtag der Slawen­apostel Kyrill und Method, feierlich die Unabhängigkeit der bulgarischen Kirche.384

Dieser Akt zog die sofortige Anathematisierung des Anthim durch die Heilige Synode beim Patriarchat nach sich,385 und ein Konzil der orthodoxen Kirche erklärte im November 1872 das bulgarische Exarchat als schismatisch.386

Nachdem das griechisch-bulgarische Schisma vollzogen worden war, ging man ent­sprechend Art. 10 des Fermans daran, eine Volksbefragung in Makedonien durchzu­führen, und zwar zunächst nur in den Eparchien von Skopje und Ochrid.387 Nicht nur die erforderliche Zweidrittelmehrheit, sondern neun Zehntel der orthodoxen Be­völkerung der Eparchie Skopje entschied sich für den Anschluß an das bulgarische Exarchat. In der Eparchie Ochrid war der Sieg der bulgarischen Partei sogar noch eindeutiger. So konnte das Exarchat im Herbst 1872 Investitur-fterafs für die neuen bulgarischen Metropoliten von Skopje und Ochrid beantragen. Wegen der Hinhalte­taktik der osmanischen Regierung jedoch konnten die beiden Metropoliten erst im Frühjahr 1874 ihre Tätigkeit in Makedonien aufnehmen.

Die Bemühungen der Bulgaren, die konsequente Anwendung des Art. 10 des Fer­mans von 1870 in Makedonien durchzusetzen, und die Bemühungen der Griechen (und Serben), die Bulgaren daran zu hindern, sollten im letzten Viertel des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem Faktor für die Makedonische Frage werden.

3. DIE ÖKONOMISCH-POLITISCHE KRISE IM OSMANISCHEN REICH IN DEN JAHREN 1875-1878 UND IHRE FOLGEN FÜR MAKEDONIEN

Eine krisenhafte sozio-politische Entwicklung im Osmanischen Reich, die seit dem 18. Jahrhundert zu beobachten war, erreichte in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Daß übernationale Reiche, wie das Osmanische eines war, im Zeit­alter des Nationalismus instabil wurden und sich schließlich auflösten, ist bekannt. Damit ist jedoch die geschichtlich-konkrete Situation, in der die Makedonische Fra­ge entstanden ist, nicht erklärbar. Neben der spezifischen sozio-ökonomischen und politischen Struktur des Osmanischen Reiches, die in der vorliegenden Arbeit bis­her analysiert wurde, kommt hierbei besonderen externen Faktoren große Bedeutung zu.

383 Siehe von Mach, a.a.O., S. 17;Iäirkov, Zapadnite kraiSta . . . , S. LXXXI;Meininger, a.a.O., S. 180.

384 Meininger, a.a.O., S. 181. 385 Ebd. 386 Vgl. ebd., S. 189-190. 387 Hierzu u.z. folg. vgl. KünCov, „Grad Skopie . . . " , S. 170 ; von Mach, a.a.O., S. 18;I5irkov,

a.a.O., S. LXXXII.

Die ökonomisch-politische Krise in den Jahren 1875-1878 73

Das Osmanische Reich befand sich auch im 19. Jahrhundert in der besonderen Lage, einerseits ein europäischer Staat zu sein, andererseits der europäischen Völkerfami­lie nicht zuzugehören. Es stellte für Europa eine andere Welt, eben die des Orients, dar, die nicht als gleichberechtigt betrachtet wurde. Diese Ungleichheit fand ihren Ausdruck in dem System der Kapitulationen. Wie groß auch immer die Zwietracht sein mochte, die in Europa herrschte, seine Staatsmänner waren sich in einem Punkt immer einig, nämlich, daß das System der Kapitulationen im Osmanischen Reich unter allen Umständen beizubehalten sei. Die osmanische Regierung sah sich bei je­dem Versuch, sich von einigen der erdrückendsten Bestimmungen der Kapitulationen zu befreien, einer gesamteuropäischen Koalition gegenübergestellt. In einer Zeit innenpolitischer Wirren, verursacht durch Auseinandersetzungen des Osmanischen Reiches mit Mohammed Ali von Ägypten, drängte England 1838 der Hohen Pforte das Handelsabkommen von Balta Limani auf.388 Darin waren die Ein­fuhrzölle auf 5%, die Ausfuhrzölle auf 12% und die Transitzölle auf 3% ad valorem festgesetzt.389 Daneben wurden mit diesem Abkommen nicht nur die bislang be­stehenden Privilegien der Europäer, wie die Exterritorialität, von neuem bestätigt, es wurden auch die osmanischen Monopole abgeschafft, und das Land wurde durch die Aufnötigung des Prinzips des Freihandels in einen offenen Absatzmarkt für euro­päische Fabrikwaren umgewandelt.390 Die ungünstigen Auswirkungen der extrem niedrigen, der heimischen Manufaktur keinen Schutz gewährenden Zollsätze machten sich besonders ab der Mitte des Jahrhunderts bemerkbar. Zahlreiche während der 40er Jahre entstandene Fabriken, deren Gründung die größte Industrialisierungsan­strengung des osmanischen Staates im 19. Jahrhundert darstellte, wurden angesichts der billiger produzierenden europäischen Konkurrenz gezwungen, ihre Tore zu schlie­ßen.391

Der Krimkrieg wurde von England und Frankreich hauptsächlich in dem Bemühen ge­führt, das Osmanische Reich als den wichtigsten Absatzmarkt westeuropäischer In­dustrieerzeugnisse weiterhin offenzuhalten.392 Als eine Maßnahme zur besseren Kon­trolle dieses Marktes hatte der englische Botschafter in Istanbul, Sir StratfordCanning, schon vorher (1850) den Versuch unternommen, die osmanische Regierung in finan­zielle Abhängigkeit von England zu bringen, indem er ihr mit Nachdruck die Aufnah-

388 Vgl. Avcioglu, Türkiye'nin düzeni,S. 50-53. 389 Text des Abkommens bei Hurewitz, a.a.O., Bd. 1, S. 110-111. Vgl. auch The Economic

History of the Middle East 1800-1914, hrsg. von Ch. Issawi, Chicago-London 1966, S. 38.

390 Vgl. Hershlag, Introduction to the Modern Economic History of the Middle East, S. 44-45. Wie der Freihandel dem Osmanischen Reich aufoktroyiert wurde, wird von V.J. Puryear ausführlich dargestellt: International Economics and Diplomacy in the Near East, A Study of British Commercial Policy in the Levant 1834-1853, lo.O.], Reprint 1969 [' 1935], insbesondere S. 107-145.

391 Siehe E. C. Clark, „The Ottoman Industrial Revolution",IJMES 5 (1974), S. 65-76. Vgl. auch Avcioglu, a.a.O., S. 54-56.

392 Vgl. F. Engels, „Worum es in der Türkei in Wirklichkeit geht", New York Daily Tribune, Nr. 3740 vom 12. April 1853, in: MEW, Bd. 9, S. 13-17. Vgl. auch Puryear, International Economies and Diplomacy in the Near East..., S. 1.

74 Die Entstehung der Makedonischen Frage

me von Auslandsanleihen empfahl.393 Die zunächst unwilligen Staatsmänner des Os­manischen Reiches sahen sich, in schwerer Finanznot während des Krimkrieges, ge­zwungen, zwei Anleihen in Westeuropa aufzunehmen.394 Damit begann der Prozeß der finanziellen Unterwerfung des Osmanischen Reiches. Um ein Bild von den Bedingungen zu vermitteln, zu denen diese Anleihegeschäfte abgewickelt wurden, seien folgende Zahlen genannt: Zwischen 1854und 1874 nahm die osmanische Regierung Auslandsanleihen im Nominalwert von 238,773.272 Osm. Pfund (1 Osm. Pfund = 0.9 Pfund Sterling) auf.395 Wegen des zu niedrigen Emis­sionskurses der Anleihepapiere betrug der Nettobetrag der Gesamtanleihen rund 127.000.000 Osm.Pfund,somit etwa 53% des Nominalwertes; und der durchschnitt­liche Zinssatz war 6%.396 Einen Teil des so teuer beschafften Geldes vergeudeten die Osmanen für den Bau von Palästen und den Kauf von Schlachtschiffen.397 Der Rest wurde in mehr oder weniger sinnvollen Eisenbahnprojekten angelegt.398 So kam es schließlich, daß die Jahreszahlungen an Zinsen und Tilgungsraten der Schulden im Haushaltsjahr 1874-75 mit 13 Millionen Osm. Pfund mehr als die Hälfte der Staats­einkünfte (25 Millionen Osm, Pfund) betrugen.399

In dieser schweren finanziellen Lage unternahm die Regierung den Versuch, die Groß­mächte dazu zu überreden, in eine Erhöhung der osmanischen Einfuhrzölle auf 20% des Warenwertes einzuwilligen. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.400 Um ihren Gläubi­gern gegenüber trotzdem zahlungsfähig zu bleiben, griff sie auf die traditionellen Ein­nahmequellen eines Agrarstaates zurück: Die Zehnten der landwirtschaftlichen Pro­dukte wurden Ende 1874 auf 12,5% angehoben; erhöht wurden u.a. die Militärbe­freiungssteuer der Christen und die Tabaksteuer.401 Die Erbringung der erhöhten Steuerleistungen wurde einer ländlichen Bevölkerung zugemutet, die in den 70er Jah­ren des 19. Jahrhunderts wegen nacheinander schlecht ausfallender Ernten um ihre nackte Existenz bangen mußte.402 In den Jahren 1873—75 beispielsweise herrschte Hungersnot in Anatolien, wobei in manchen Gegenden bis zu 25% der Bevölkerung

393 „He glowingly described the attractive terms upon which the Ottomans might secure financial support abroad . . . He asserted that the Ottomans need have no fears. . . Where, he asked, was there the example of a nation that had been called upon to sacrifice its inde­pendence to the demands of foreign capitalists?" F. S. Rodkey, „Ottoman Concern about Western Economic Penetration in the Levant, 1849-1856",/M// 30 (1958), S. 348.

394 Über den Umfang und die Bedingungen dieser Anleihen siehe Yeniay, Yeni Osmanh borçla-ntarihi,S. 19-31.

395 Siehe ebd., S. 51. Vgl. auch H. Feis, Europe, the World's Banker 1870-1914, New Haven 1930, S. 313.

396 Yeniay, a.a.O., S. 51. 397 Vgl. J. A. Petrosjan, ,flovye Osmany" ibor'ba zakonstituci/u 1876g. v. Turcii [Die „Neuen

Osmanen" und der Kampf um eine Verfassung im Jahre 1876 in der Türkeil, Moskva 1958, S. 20.

398 Über Finanzmanipulationen im Zusammenhang mit Eisenbahnbau im Osmanischen Reich siehe Hershlag, a.a.O., S. 47-49; Yerasimos, a.a.O., Bd. 2, S. 805-812.

399 Yeniay, a.a.O., S, 52, 400 Vgl. Petrosjan, a.a.O., S. 23. 401 Ebd., S. 74. 402 Vgl. Hershlag, a.a.O., S. 63.

Die ökonomisch-politische Krise in den Jahren 1875-1878 75

an Hunger starb und über 90% des Viehs aus Futtermangel verendete.403 Der Winter in den ersten Monaten des Jahres 1874 war einer der strengsten des Jahrhunderts, und der Kälte folgten im Frühjahr verheerende Überschwemmungen.404 Bei solchen Verhältnissen überrascht es nicht, daß die nationalen Befreiungsbewegungen der sla­wischen Völker des Reiches einen neuen Aufschwung erlebten. Im Sommer 1875 brachen Aufstände in der Herzegowina und in Bosnien und im Frühjahr 1876 in Bulgarien aus. Die Vorbereitung dieser Aufstände war allerdings zu einem wesentlichen Teil das Werk ausländischer Kräfte, die weniger auf das Wohl der Bevölkerung als auf ihre ei­genen machtpolitischen Vorteile bedacht waren. In Serbien, von wo aus der bosnische Aufstand seit 1868 organisiert wurde, hoffte man die Rolle Piemonts auf dem Balkan zu spielen: die Südslawen sollten unter der Führung Serbiens geeint werden.405 Der Rivale Serbiens in dieser Frage war Montenegro. Es ist bezeichnend, daß der Führer des herzegowinischen Aufstandes der Schwiegervater des Fürsten von Montenegro war.406 Die benachbarte europäische Großmacht Österreich-Ungarn hingegen war nach 1866 mehr denn je daran interessiert, die Slawen der Balkanhalbinsel politisch und wirtschaftlich an sich zu binden, um dadurch u.a. den Vormarsch des Panslawis-mus in diesem Gebiet aufzuhalten.407 Hierbei kam dem Katholizismus der Kroaten die Funktion einer Speerspitze der österreichisch-ungarischen Politik zu. Der Aufstand in der Herzegowina war denn auch hauptsächlich durch die österreichische Propa­ganda und zuerst in den katholisch bewohnten Gebieten des Landes angefacht wor­den.408

Eine andere Macht, die sich von jeher Sorgen wegen der Balkanangelegenheiten mach­te, war Rußland. Seit dem Krimkrieg verfolgte Rußland im Orient hauptsächlich drei Ziele: die Koalition der Siegermächte des Krimkrieges zu zerstören, die Souveränität Rußlands im Schwarzen Meer wiederherzustellen und den Befreiungsprozeß der christlichen Völker des Osmanischen Reiches zu beschleunigen.409 So ergriff die za-

403 Vgl. Petrosjan, a.a.O., S. 71; Avcioglu, a.a.O., S. 81-82; Yerasimos, a.a.O., Bd. 2, S. 816, 821-822.

404 Yerasimos, a.a.O., Bd. 2, S. 819. 405 Vgl. Djordjevic, Revolutions nationales... ,S. 126-127. 406 Ebd.,S. 129. 407 Vgl. Langer, European Alliances and Alignments, S. 96-72; H. Böge, Wirtschaftsinteressen

und Orientalische Frage. Ein Betrag zum Problem der wirtschaftlichen Rivalitäten der euro­päischen Großmächte in Osteuropa, Diss., Frankfurt/Main 1957, S. 3.

408 General Rodic, der Statthalter Österreichs in Dalmatien, trieb durch seine Agenten die her­zegowinischen Katholiken dazu an, Deputationen während der Rundfahrt Franz Josefs entlang der herzegowinischen Grenze zu entsenden, um dem Kaiser ihre Klagen über die osmanische Verwaltung persönlich vorzutragen. Vgl. V.Ùubt'ûovié, Bosanskiustanak 1875-1878 [Der bosnische Aufstand 1875-1878], Beograd 1930, S. 45-48. D. MacKenzie gibt an, daß die Zeitgenossen - vor allem Russen und Serben - den herzegowinischen Auf­stand österreichischen Intrigen zuschrieben. Er bestätigt auch, daß in dem von Katholiken bewohnten Aufstandsgebiet ausländische Agenten am Werke waren. Trotzdem kommt er zum folgenden Schluß: .,There is no evidence that the insurrection was organised or direct­ed by an outside power." The Serbs and Russian Pan-Slavism 1875-1878, Ithaca, N. Y., 1967, S. 30-31.

409 Vgl. Langer, European Alliances and Alignments, S. 67-68; B. H. Sumner, Russia and the

76 Die Entstehung der Makedonischen Frage

rische Diplomatie im günstigen Augenblick des deutsch-französischen Krieges die Initiative und forderte die Revision des Pariser Vertrages, die dann durch den Pontus-Vertrag von 1871 tatsächlich erfolgte.410 Als der bosnisch-herzegowinische Aufstand ausbrach, sahen vor allem die panslawistisch gesinnten russischen Vertreter auf dem Balkan die Zeit gekommen, um zum offenen Kampf für die Befreiung der Slawen überzugehen,411 obwohl der russische Kanzler Gorc"akov selbst grundsätzlich für eine Friedensdiplomatie eintrat.412 Die panslawistischen Kreise in Rußland organisierten eine große Agitationskampagne zur moralischen und materiellen Unterstützung der Aufständischen.413 Zwei südslawische Staaten, Serbien und Montenegro, gestatteten den Aufständischen, ihre Territorien als Operationsbasen zu benutzen, ein Umstand, der es den osmanischen Sicherheitskräften unmöglich machte, irgendwelche entschei­denden Erfolge zu erzielen.414

Die osmanische Regierung sah sich in dieser für sie bereits sehr kritischen Situation außerdem noch gezwungen, am 6. Oktober 1875 bekanntzugeben, daß sie ab dem 1. Januar 1876 nicht mehr in der Lage sein würde, die ihr aus den Auslandsanleihen entstehenden Verpflichtungen voll zu erfüllen. Die Regierung gedenke, für die Hälfte der Summe des jährlichen Schuldendienstes Obligationen auszugeben, die zu 5% ver­zinslich sein und eine Laufzeit von 5 Jahren haben würden.415 Diese bedingte Bank­rotterklärung des osmanischen Staates rief eine scharfe Reaktion europäischer Gläu­biger — in der Hauptsache Franzosen, Engländer, Holländer, Deutsche und Italiener — hervor.416 Diese organisierten sich in Verbänden und setzten ihre jeweiligen Regie­rungen für eine Intervention bei der Pforte unter Druck.417 Durch zahlreiche Presse-

Balkans 1870-1880, Oxford 1937, S. 74; K. Kossev, „Die russische Politik hinsichtlich der Orientfrage nach dem Krimkrieg und die Sache der bulgarischen Befreiung", EH 7 (1975), S. 286.

410 Hierzu siehe B. Jelavich, The Ottoman Empire, the Great Powers, and the Straits Question 1870-1887, Bloomington-London 1973, S. 25-84. Vgl., auch K. M. Schach, Russian Foreign Policy under Prince Alexander M. Gorchakov: The Diplomatie Game Plan versus Austria, 1856-1873, Diss., Uni. von Nebraska, 1973.

411 Nach Cubrilovic waren die Vertreter Rußlands in Bosnien zumindest mittelbar an der Ent­fesselung des Aufstandes beteiligt. Vgl. a.a.O., S. 61.

412 Zur russischen Haltung während der Orientkrise 1875-78 vgl. D. Gey'er, Der russische Im­perialismus, Göttingen 1977, S. 56-71.

413 Nach Meinung T. G. Snytkos war die Agitation in Rußland zugunsten der südslawischen Aufständischen nicht panslawistischen Charakters, sondern ein Ausdruck der demokratisch­revolutionären Teilnahme am Schicksal der unterdrückten Balkanvölker. Siehe „Iz istorü narodnogo dvizenija v Rossii v podderzku bor'by juznych slavjan za svoju nezavisimost' v 1875-1876 gg." [Aus der Geschichte der Volksbewegung in Rußland zur Unterstützung des Unabhängigkeitskampfes der Südslawen in den Jahren 1875-76], in: Oblöestvenno-politiieskie i kul'tumye svjazi narodov SSSR i Jugoslavii. Sbornik state], Moskva 1957, S. 85.

414 Yerasimos, a.a.O., Bd. 2, S, 845-846. Die Aufstände in Bosnien und der Herzegowina wer­den vom osmanisch-militänschen Standpunkt aus von H. Sedes dargestellt. 1875-1876 Bosna-Hersek ve Bulgaristan ihtilâlleri ve siyastolaylar, Istanbul 1946.

415 Yeniay, Yeni Osmanh borçlart tarihi, S. 53-56. Vgl. auch D. C. Blaisdell, European Finan­cial Control in the Ottoman Empire, New York 1929, S. 80.

416 Hershlag, a.a.O., S. 63. 417 A. Roumanie, Essai historique et technique sur la Dette Publique Ottomane, Paris 1927, S.

79, nach Yeniay, a.a.O., S. 56-57.

Die ökonomisch-politische Krise in den Jahren 1875-1878 7 7 '

kampagnen wurde in der Öffentlichkeit eine antitürkische Stimmung erzeugt, die der politischen Isolierung des Osmanischen Reiches während des Krieges von 1877-78 den Weg bereitete.418

Gegen Ende des Jahres 1875 war die „Orientkrise" auf einem Höhepunkt angelangt. Österreich-Ungarn und Rußland einigten sich darauf, von der Pforte die Durchführung neuer Reformen in den aufständischen Gebieten zu fordern.419 Ihre Vorschläge wur­den in der sogenannten Andrassy-Note von Ende Dezember 1875 formuliert: die Ge­währung vollständiger religiöser Freiheit, die Abschaffung der Steuerpacht, die Ver­besserung der Agrarverhältnisse u.a.420 Die Pforte war seit Oktober 1875 bereit, auf verschiedenen Ebenen Reformen einzuführen. Neben Steuererleichterungen war zum Beispiel vorgesehen, daß die Provinzen durch Entsendung von Deputationen zu einer Generalversammlung der Provinzen ein stärkeres Mitspracherecht bei der Ausarbei­tung künftiger Reformprogramme erhalten sollten.421 Daher war es nicht überra­schend, daß die Pforte die Andrassy-Note annahm. Die Aufständischen aber lehnten sie ab, weil sie im Grunde keine Reformen, sondern die politische Autonomie für Bosnien und die Herzegowina anstrebten.422

In den Augen der politischen Opposition im Osmanischen Reich, die sich in den 60er Jahren unter der Bezeichnung „NeueOsmanen" allmählich formiert hatte, waren die Forderungen der Großmächte nach Reformen für die von Christen bewohnten Ge­biete des Reiches bloß Versuche, das Reich zu schwächen, um dann dessen Territo­rien um so leichter in die eigene Einflußzone einbeziehen zu können,423 Die osmani­schen Oppositionellen ließen im März 1876 angesehenen Staatsmännern Westeuropas ein „Manifest muselmanischer Patrioten" zukommen, in dem in Bezug auf die Andras-sy-Note gesagt wurde, daß man in Europa falsche Vorstellungen von der inneren Lage

418 Die Zeitgenossen glaubten, daß der Entschluß der Pforte, sich zahlungsunfähig zu erklären, unter dem Einfluß des russischen Botschafters Ignat'ev zustande gekommen sei. Vgl. hier­zu Sumner, Russia and the Balkans, S. 101, und Yerasimos, a.a.O., Bd. 2, S. 850-852.

419 Über die Auseinandersetzungen zwischen Rußland und Österreich-Ungarn bezüglich der Reformen für Bosnien und die Herzegowina siehe G. Hünigen, Nikola/ Pavlovic Ignat'ev und die russische Balkanpolitik 1875-1878, Göttingen 1968, S. 18-70. Der Aufstand in Bosnien und der Herzegowina war für Bismarck ein „Glücksfall", weil dadurch die Span­nungen zwischen den Großmächten von Zentraleuropa an die Randzonen verlagert wur­den. Vgl. A.Hillgruber, Bismarcks Außenpolitik, Freiburg 1972, S. 146.

420 Siehe Petrosjan, a.a.O., S. 75-76; Hünigen, a.a.O., S. 64-70. 421 Vgl. Hünigen, a.a.O., S. 45. 422 Sie forderten z.B. den endgültigen Abzug osmanischer Heereseinheiten aus der Herzego­

wina. Vgl. Cuprilovic, a.a.O., S. 124. Eine autonome christliche Verwaltung für Bosnien wäre jedoch damals auch nach (intern ausgedrückter) Meinung russischer Staatsmänner keine gerechte Lösung. Jomini schrieb am 29. Juni 1876 an Giers: „Une autonomie en Bosnie, où plus de la moitié des habitants sont musulmans, est impraticable." Siehe Russia in the East 1876-1880. The Russo-Turkish War and the Kuldja Crisis as seen through the Letters of A. G. Jomini to N. K. Giers, hrsg. von Charles und Barbara Jelavich, Leiden 1959, S. 19.

423 Über die „Neuen Osmanen" siehe Ebuzziya Tevfik, Yeni Osmanhlar tarihi [Geschichte der Neuen Osmanen]. Istanbul 1973 (' 1909-1911); T. Z. Tunaya, Türkiye'de siyasi partiler 1869-1952 [Politische Parteien in der Türkei), Istanbul 1952, S. 88-97; Petrosjan, a.a.O., S. 34-70; Lewis, The Emergence of Modern Turkey, S. 126-156; Berkes, Türkiye'de çag-daslasma.S. 241-268.

78 Die Entstehung der Makedonischen Frage

des Osmanischen Reiches habe.42" Die Forderung nach Sonderrechten für die christli­chen Untertanen des Sultans sei nicht zu rechtfertigen, da die Mohammedaner nicht weniger Opfer der Willkürund des Despotismus seien als die Christen. Die Reformen sollten zum Wohle der gesamten Bevölkerung durchgeführt werden und nicht nur die besonderen Interessen eines Teils der Gesellschaft begünstigen. Dieses Verlangen nach allgemeinen Reformen blieb für die Grundeinstellung des aufstrebenden mohamme­danischen Bürgertums des Reiches bis zur Jungtürkenrevolution von 1908 charakte­ristisch. In der politischen Konstellation der Jahre 1875-76 bedeutete die Opposition der „Neuen Osmanen" eine Reaktion auf die europäische Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Reiches. Diese Opposition nahm die Form einer Agitation gegen den Großwesir Mahmud Nedim Pasa an, der besonders wegen seiner prorussischen Neigungen und seiner weitgehenden Zusammenarbeit mit Ignat'ev kritisiert wurde.425

Die Agitationskampagne gegen die Regierung wurde hauptsächlich von den Softas der Hauptstadt getragen. Zuweilen demonstrierten bis zu 40.000 Softas auf den Plät­zen Istanbuls und verlangten vom Sultan die Demission des Großwesirs sowie die Gewährung einer Verfassung.426 Auch unter der mohammedanischen Bevölkerung in den europäischen Provinzen des Reiches herrschte zu jener Zeit eine gereizte Stim­mung. Der Verlauf des „April-Aufstandes" in Bulgarien, der am 20. April/2. Mai 1876 aus­brach, sollte vor diesem Hintergrund gesehen werden. Ihm kam im Geflecht der Er­eignisse jener Jahre die Bedeutung einer provokativen Aktion zugunsten der pansla-wistischen Sache zu.427 Der bulgarische Historiker K. Kossev schreibt: „Das Ziel war, die Orientfrage in internationaler Hinsicht aufzuwerfen und auf diese Weise die stra­tegische Reserve der Revolution - die direkte militärische Beteiligung Rußlands -hervorzurufen.'"28 Die Aufständischen ermordeten in Panagjuriäte „in plötzlich ent­fesselter Rachelust, in blinder Wut" wehrlose Männer, Frauen und Kinder.429 Die Ausschreitungen der aufgebrachten mohammedanischen Bevölkerung nahmen dann viel grausamere Formen an.430 Georg Benkovski, der Führer des Aufstandes, soll an­gesichts der Brände, die in den bulgarischen Dörfern nach der Niederschlagung des

424 Hierzu u.z. folg. vgl. Petrosjan, a.a.O., S. 81-83. 425 Vgl. Ebuzziya Tevfik, a.a.O., S. 408-412. 426 Petrosjan, a.a.O., S. 85. 427 Damit soll die emanzipatorische Bedeutung des April-Auf Standes im Rahmen der Be­

freiungsbewegung des bulgarischen Volkes keineswegs unterschätzt werden. Eine Glorifi­zierung dieses Aufstandes, wie sie von Ï. Natan geleistet wurde (Bülgarskoto vüzraidane, S. 188-207), sollte allerdings ebenfalls vermieden werden.

428 „Die russische Politik hinsichtlich der Orientfrage nach dem Krimkrieg und die Sache der bulgarischen Befreiung", S. 284.

429 Siehe A. Hajek, Bulgarien unter der Türkenherrschaft, Berlin und Leipzig 1925, S. 264-265. Langer schreibt: „Even the most friendly writers admit that the revolutionaries cut down helpless and unarmed Turks in the most ruthless fashion." European Alliances and Alignments, S. 85. Vgl. dazu die bulgarische Darstellung bei K. Kosev, N. Zecev, D. Dojnov, Istorija na Aprilskoto vüstanie 1876, Sofija 1976, S. 361-364.

430 Vgl. Yerasimos, a.a.O., Bd. 2, S. 859.

Die ökonomisch-politische Krise in den Jahren 1875-1878 79

Aufstandes um sich griffen, ausgerufen haben : „Mein Ziel ist bereits erreicht! Ich habe dem Herzen des Tyrannen eine zu schwere Wunde beigebracht, die nie heilen wird. Und Rußland - möge es kommen."431

Die Wogen der Empörung der mohammedanischen Bevölkerung gegen die aufständi­schen Slawen und die sie schützenden Großmächte gingen im Frühjahr und im Som­mer immer höher. Am 5. Mai wurden in Saloniki der deutsche Konsul und sein fran­zösischer Kollege von der aufgebrachten Menge ermordet.432 Eine große Demonstra­tion der Softas erwirkte am 10. Mai in Istanbul tatsächlich die Demission des Groß­wesirs Mahmud Nedim Pasa. Der Führer der „Neuen Osmanen", Midhat Pas.a fand nun Aufnahme in das neue Kabinett, und in der Nacht vom 29./30. Mai 1876 schließ­lich wurde der Sultan Abdülaziz durch einen Staatsstreich der „Neuen Osmanen" ab­gesetzt.433 Die neue osmanische Regierung lehnte, wie erwartet, die im „Berliner Memorandum" zusammengefaßten Reformvorschläge des „Dreikaiserbündnisses" ab, die im Unterschied zu denen der Andrassy-Note eine europäische Kontrolle bei der Durchführung der Reformen in Bosnien und der Herzegowina vorsahen.434

In Rußland, Serbien und Montenegro war die nationale Aufregung wegen der Vor­gänge auf dem Balkan ebenfalls sehr groß. Anfang Juli 1876 erklärten Serbien und Montenegro dem Osmanischen Reich den Krieg.435 Obwohl die russische Regierung versuchte, diese Kriegserklärung zu verhindern, hatte man in Serbien und Montenegro allen Grund anzunehmen, daß Rußland diese Bruderländer unterstützen würde.436

Die russischen Slawenkomitees schickten nicht nur Waffen, Munition und Medika­mente in diese Länder, sondern auch russische Offiziere und Freiwillige kämpften z.B. in der serbischen Armee, deren Befehlshaber ein berühmter russischer Panslawist, General M. G. Cernjaev, war.437

Die Reaktion Rußlands und der Doppelmonarchie auf die Kriegserklärung Serbiens und Montenegros gegen die Pforte war, daß sich Gorcakov und Andrassy in Reich­stadt darin einigten, im Falle eines slawischen Sieges Bosnien und die Herzegowina

431 Z. Stojanov, Zapiski po bülgarskite vüstanija 1870-1876 [Notizen über die bulgarischen Aufstände 1870-76], Sofija 1890, S. 395, zit. nach Kossev, a.a.O., S. 284.

432 Vgl. Kiiil patriarch bülgarski, Prinos kam bülgarskija cürkoven vüpros, S. 63 -66-433 Tunaya, a.a.O., S. 96-97 ; Petrosjan, a.a.O., S. 92-96. 434 Vgl. Petrosjan, a.a.O., S. 88-89. A. G. Jomini schrieb am 9. Juni 1876 an N. K. Giers be­

züglich der politischen Einstellung des „Jungosmanen" Hüseyin Avni Pasa folgendes: „II est persuadé que les Turcs doivent vaincre ou mourir. Se retremper dans la gloire militaire ou succomber par le suicide ou l'étouffement de Chrétiens. Si j'avais le malheur d'être Turc, je ne raisonnerai pas autrement." Siehe Russia in the East.... S. 13.

435 Zu diesem Krieg siehe E. Z. Karal, Osmanli tarihi, Bd. 8: Birinci Mesrutiyet ve istibdat devirleri 1876-1907 [Die Perioden der Ersten Konstitution und des Despotismus, 1876-1907], Ankara 1962, S. 14-24; MacKenzie, a.a.O., S. 100-153.

436 Ignat'ev äußerte sich gegenüber Oberst Katardzi, dem Militärvertreter Serbiens in Rußland, folgendermaßen: „Verlangt ihr etwa, daß der Herrscher euch seine geheimen Wünsche offen ausspricht? Dies kann er selbstverständlich nicht. Aber ich wiederhole euch, daß Rußland euch folgen wird, sobald ihr den Krieg erklärt." Siehe S. A. Nikitin, Slavjanskie komitety v Rossii v 1858-1876 godach [Die slawischen Komitees in Rußland in den Jah­ren 1858-1876], Moskva 1960, S. 296. (Übersetzung - F. A.)

437 Die Zahl russischer Offiziere und Soldaten, die von den Slawenkomitees nach Serbien ent­sandt wurden, gibt Nikitin mit 4303 an. Vgl. ebd., S. 319-320.

80 Die Entstehung der Makedonischen Frage

unter Serbien, Montenegro und Österreich-Ungarn aufzuteilen.438 Rußland dürfe als Ausgleich Bessarabien annektieren, während Bulgarien, Thrakien und Albanien zu autonomen Staaten gemacht werden sollten. Verlören dagegen die slawischen Staaten den Krieg, so würden Österreich-Ungarn und Rußland gemeinsam dafür sorgen, daß der Status quo ante bellum wiederhergestellt würde und der Sultan in Bosnien und der Herzegowina Reformen zugunsten der aufständischen Bevölkerung durchführen müsse. Im Frühherbst 1876, als sich bereits eine Niederlage der Serben abzeichnete, war die diplomatische Isolierung des Osmanischen Reiches vollkommen. Am 8. September erschien ein Pamphlet Gladstones, des Führers der englischen Liberalen, mit dem Ti­tel: Bulgarian Horrors and the Question of the East, in dem unmißverständlich die Vertreibung der „barbarischen Türken" aus Europa gefordert wurde.439 In einem großartig organisierten Redefeldzug, der zugleich dem politischen Aufstieg der Libe­ralen Partei diente, gelang es Gladstone, in der öffentlichen Meinung Englands - des letzten Landes, dessen Regierung die Pforte gegen Rußland noch unterstützte - einen Stimmungswandel zuungunsten der Osmanen herbeizuführen. Als dann im Oktober die serbische Armee eine entscheidende Niederlage erlitt, überreichte Ignat'ev der osmanischen Regierung ein Ultimatum, in dem gefordert wurde, mit Serbien sofort einen Waffenstillstand zu schließen; widrigenfalls würde Rußland militärisch inter­venieren.440 Trotz der Annahme des Ultimatums durch die Hohe Pforte wurde in Rußland die Teilmobilmachung angeordnet. Die panslawistischen Kreise setzten die Regierung unter Druck, auf dem Balkan militärisch einzugreifen, da sonst das Anse­hen Rußlands in jenem Gebiet für immer verloren zu gehen drohe.441 Im Dezember schließlich trafen sich die Vertreter der sechs Großmächte in Istanbul, um über die Form und den Inhalt der Reformen zu beraten, die in Bosnien und der Herzegowina sowie in Bulgarien durchgeführt werden sollten.442

Die neue osmanische Regierung unter Midhat Pasa hoffte, durch die Einführung ei­ner konstitutionellen Monarchie die Europäer zur Respektierung ihres Anspruchs be­wegen zu können, daß die Regelung der inneren Angelegenheiten des Osmanischen Reiches allein den Osmanen vorbehalten bleiben müsse. Am 23. Dezember wurde die Verfassung verkündet, die allen Untertanen des Sultans ohne Unterschied der Religion und Rasse die gleichen Grundrechte einer bürgerlichen Gesellschaft garantierte.443

438 Zur Konvention von Reichstadt siehe Sumner, Russia and the Balkans, Anhang 2, S. 584-588; MacKenzie, a.a.O., S. 106-108.

439 Hierzu siehe R. T. Shannon, Gladstone and the Bulgarian Agitation 1876, London 1963. 440 Hierzu u.z. folg. vgl. Karal, a.a.O., Bd. 8, S. 24; MacKenzie, a.a.O., S. 147-153; Yerasi-

mos, a.a.O., Bd. 2, S. 865 ff. 441 Kossev, „Die russische Politik hinsichtlich der Orientfrage . . . ,", S. 290-293. 442 Zur Konferenz von Konstantinopel, 1876, siehe Langer, European Alliances and Align­

ments, S. 103 ff.; Karal, a.a.O., S. 25-39; MacKenzie, a.a.O., S. 174-179; Ch. Christov, Osvoboïdenieto na Bülgarija i politikata na zapadnite düriavi 1876-1878 [Die Befreiung Bulgariens und die Politik der Westmächte 1876-78), Sofija 1968, S. 58-95.

443 Zum Text der osmanischen Verfassung vom 23. Dezember 1876 siehe E. E. Hirsch, Die Verfassung der Türkischen Republik, Frankfurt am Main-Berlin, 1966, S. 195-206. Eine ausführliche Darstellung dieser Geschichtsperiode sowie eine Analyse der Verfassung finden sich bei R. Devereux, The First Ottoman Constitutional Period. A Study of the Midhat Constitution and Parliament, Baltimore 1963.

Die ökonomisch-politische Krise in den Jahren 1875-1878 81

Der osmanische Außenminister teilte den Vertretern der Konferenzmächte am selben Tag feierlich mit, daß die Konferenz mit der Verkündung der Verfassung gegenstands­los geworden sei. Nunmehr bliebe es Aufgabe des osmanischen Parlaments, zu ent­scheiden, welche Reformen im Lande durchzuführen seien.444 Die europäischen Di­plomaten ließen sich jedoch durch diese Erklärung nicht beirren und gingen zur vor­gesehenen Tagesordnung über. Man redete von der Schaffung einer internationalen Kommission, die die Durchführung von Reformen kontrollieren sollte. Eine interna­tionale Gendarmerie sollte in den Reformgebieten für Ruhe und Ordnung sorgen.445

Ignat'ev schwebte die Gründung eines autonomen Großbulgarien vor, das alle jene Gebiete umfassen sollte, die auf der ethnographischen Karte von H. Kiepert als von Bulgaren bewohnt angegeben waren, d.h. die Gebiete zwischen Varna am Schwarzen Meer und Niä, Vranja, Skopje im Westen bis hin zu den Seen von Ochrid, Prespa und Kastoria in Südwestmakedonien.446

Die Konferenz von Konstantinopel war unter den gegebenen Umständen von vorn­herein zum Scheitern verurteilt. Vom ersten Tag an suchte die osmanische Regierung, dem Fortgang der Verhandlungen Hindernisse in den Weg zu legen, und demonstier-te damit ihre grundsätzliche Ablehnung des von den Großmächten verfolgten Konfe­renzkonzepts. Sie hatte dabei die osmanische öffentliche Meinung auf ihrer Seite: All­gemein sprach man den europäischen Mächten die Berechtigung zu einer derart weit­reichenden Intervention in die osmanischen Angelegenheiten entschieden ab — hatte Rußland doch z.B. im Jahre 1863 den polnischen Aufstand im eigenen Machtbereich grausam unterdrückt und war in den 70er Jahren im Begriff, seine nomadischen Min­derheiten in der Ukraine zu vernichten.447 England weigerte sich hartnäckig, die irische Nationalbewegung anzuerkennen; und weder England noch Frankreich dach­ten daran, Reformen ähnlicher Art, wie sie von der osmanischen Regierung gefordert wurden, der mohammedanischen Bevölkerung in ihren Kolonien zuzugestehen. Bei der Entstehung einer solchen „neuosmanischen" Ideologie spielte nicht zuletzt auch die europäische Emigration in Istanbul eine Rolle, besonders die Propaganda der zahl­reichen Polen und Ungarn, die zum Teil bedeutende Positionen bei der Pforte oder in der osmanischen Armee bekleideten.448

So mußte die Konferenz angesichts der negativen Haltung der osmanischen Regierung am 20. Januar 1877 ihre Arbeit einstellen.449 Die Großmächte setzten jedoch ihre Bemühungen um die Realisierung ihrer Reformforderungen auch nach diesem Datum fort. Am 31. März 1877 wurde das sogenannte Londoner Protokoll unterzeichnet, in dem von der Pforte neben der Abtretung eines Landstrichs an Montenegro die Re­duzierung ihrer Streitkräfte und die beschleunigte Einführung notwendiger Reformen verlangt wurden.450 Das Protokoll enthielt auch eine Drohung:

444 Petrosjan, a.a.O., S. 116. 445 Vgl. ebd., S. 121-124. 446 Vgl. Iäirkov, Zapadnite kraiäta . . . , S. XCII1. 447 Vgl. Langer, European Alliances . . . , S. 103 ; Wilkinson, Maps and Politics, S. 63. 448 Berkes, Tiirkiye'de çagdaçlasma, S. 244-245. 449 Petrosjan, a.a.O., S. 124. 450 Vgl. Devereux, a.a.O., S. 191-192; Karal, a.a.O., Bd. 8, S. 39-40.

82 Die Entstehung der Makedonischen Frage

. . . If the conditions of the Christians. . . should not be improved in a manner to prevent a return of the complications which periodically disturb the peace of the East, they (d.h. die Großmächte - F.A.) think it right to declare that such a state of affairs would be in­compatible with their interests and with those of Europe in general. In such case they re­serve to themselves to consider the well-being of the Christian populations and the interest of general peace.451

Das osmanische Parlament, das am 29. März zum ersten Mal zusammengetreten war, lehnte am 9. April die Bestimmungen des Londoner Protokolls ab. Daraufhin erklärte Rußland am 24. April 1877 dem Osmanischen Reich den Krieg.452

Der russisch-osmanische Krieg von 1877-78 weckte unter den Anhängern des bulga­rischen Exarchats in Makedonien Hoffnungen auf die baldige Befreiung ihres Landes von der Osmanenherrschaft. Die wohlhabenden Exarchisten, die sich der bulgarischen Nation zugehörig fühlten, verfolgten das Kriegsgeschehen auf dem Balkan besonders aufmerksam. Diese Schicht war in jener instabilen Zeit der Willkür von Staatsbeamten und der Raubgier marodierender Banden in besonderem Maße ausgesetzt, zumal sie keinen Hehl daraus machte, daß ihre Sympathien auf der russischen Seite lagen.453

Die einfachen Bauern bekamen die Auswirkungen des Krieges noch härter zu spüren. Wegen der Erhöhung der Steuern, der häufig stattfindenden Requisitionen für die Armee, der Zwangsarbeit in fernen Gegenden im Straßenbau u.a., waren für sie zu­sätzliche Lasten entstanden, welche die materiellen Bedingungen ihres Lebens immer unerträglicher machten. Auch die Ernährung zahlreicher mohammedanischer Flücht­linge, die aus den von der russischen Armee besetzten Gebieten systematisch vertrie­ben wurden454 wurde zum Teil den christlichen Bauern auferlegt.455 Bauernunruhen auf dem flachen Land waren die Folgen.456

451 Siehe bei Devereux, a.a.O., S. 192. 452 Ein Überblick über diesen Krieg findet sich bei H. Sedes, a.a.O., S. 132-204; R. W. Seton-

Watson, Disraeli, Gladstone and the Eastern Question, London 1935, S. 168 374; Sum­ner, Russia and the Balkans, S. 302-424; Kara], a.a.O., Bd. 8,S. 40-57; MacKenzie, a.a.O., S. 194-247.

453 Dr. Ch. Tatarcev, der Sohn eines Großgrundbesitzers, Händlers und Bankiers in Westmake­donien, erwähnt in seinen Erinnerungen, wie sehr seine Kindheit durch Unterdrückung und Terror, während des Krieges in jenem Gebiet durch albanische Räuber-Banden ausgeübt, geprägt worden war. Tatarcev war Mitbegründer der „Inneren Makedonischen Revolutionä­ren Organisation". Siehe Pürvijat centralen komitet na VMRO. Spomeni na D-r Christo Tatartev [Das erste ZK der IMRO. Erinnerungen Ch. Tatarcevs], Sofija 1928, S. 95-96.

454 Zur Vertreibung der mohammedanischen Bevölkerung aus Bulgarien siehe Yerasimos, a.a.O., Bd. 2, S. 872 882.

455 Allein im Landkreis von Prilep gab es rund 30.000 Flüchtlinge. Vgl. D. Dojnov, „Nacional-noosvoboditelnite borbi v jugozapadna Bülgarijav nadvecerieto na Kresnensko-Razlozkoto vüstanie" [Die nationalen Befreiungskämpfe in Südwestbulgarien am Vorabend des Kresna-Razlog-Aufstandes], in: Kresnensko-Razloïkoto vüstanie 1878, Sofija 1970, S. 44. Ch. Christov spricht von 60.000 Flüchtlingen im Vilayet Saloniki. Vgl. Agrarnite otnolenifa v Makedonifa . . . , S. 113. Hierzu vgl. außerdem Kiril patriarch bülgarski, Bülgarskata Ekz-archija v Odrinsko i Makedonija sied osvoboditelnata vojna 1877-1878 [Das bulgarische Exarchat im Vilayet Adrianopel und in Makedonien nach dem Befreiungskrieg, 1877-1878], I, 2, Sofija 1970, S. 239-242.

456 So hatte bereits im Jahre 1876 im Nordosten Makedoniens der sog. Razlovci-Aufstand stattgefunden, dem ein Streit der Bauern mit einigen Steuereintreibern vorausgegangen

Die ökonomisch-politische Krise in den Jahren 1875-1878 83

Der Abschluß des Vorfriedens von San Stefano (3. März 1878) schien der slawisch-exarchistischen Bevölkerung Makedoniens die Belohnung für ihr langjähriges Bemü­hen um kirchliche und nationale Unabhängigkeit zu sein. Der russische Zar schuf mit diesem Vertrag ein „Großbulgarien", dessen Westgrenze am Fluß Crni Drin vor der albanischen Gebirgskette lag und somit das ganze Makedonien einschloß.457 Im Süd­westen fiel sogar die Stadt Korea (heute in Albanien) Bulgarien zu.458 Aber die Exar-chisten wurden sehr bald enttäuscht. Wegen der sich zuspitzenden internationalen La­ge gab die russische Armee bald ihren Plan, in Makedonien einzumarschieren, auf.459

Das Ausbleiben der „Befreiungsarmee" rief Furcht und Unbehagen unter den bulga­risch-gesinnten Makedoniern hervor. Besonders diejenigen, die offen Vorbereitungen getroffen hatten, die siegreichen Russen mit der gebührenden Zeremonie zu empfan­gen, sahen sich in eine prekäre Lage versetzt. Die nun folgenden Monate zwischen dem Vorfrieden von San Stefano (3. März 1878) und dem Abschluß des Berliner Kongresses (13. Juli 1878) bedeuteten auch für eine andere Volksgruppe Makedoniens eine Zeit der Ungewissheit: Die Albaner waren sehr beunruhigt, weil der Vertrag von San Stefano einen erheblichen Teil des überwiegend von ihnen besiedelten Gebietes dem Fürstentum Montenegro, dem Königreich Serbien und dem neuen Staat Bulgarien zusprach.460 Die albanische Befreiungsbewegung,die in der vorliegenden Untersuchung insoweit berücksichtigt werden muß, wie sie für die Entwicklung der Makedonischen Frage von Bedeutung war, nahm ihren Ausgang in einer Protestaktion gegen den Vertrag von San Stefano. Im Frühjahr 1878 wurde in Istanbul von den albanischen Intellektuellen ZiyaPriätina, Abdul und SamiFrashëri, Jani Vreto u.a. das „albanische zentrale Revolutionskomitee" gegründet, das sich die Organisierung einer Widerstandsbewegung in Albanien gegen fremde Machtinter­essen zum Ziel gesetzt hatte.461 Parallel dazu veröffentlichte Abdul Frashëri im Ausland im Namen des albanischen Volkes eine Reihe von Protestschriftengegen die Ansprüche der Nachbarstaaten auf albanisches Gebiet.462 In der zweiten Hälfte des Monats Mai versammelten sich Delegierte aus allen Teilen Albaniens in der Stadt Priz-

war. Siehe Istorija na makedonskiot narod, S. 131-132. Vgl. auch Dojnov, a.a.O., S. 34. Steuerbeamte konnten damals auch die Dörfer des Sancaks Monastir nur in Begleitung bewaffneter Einheiten betreten. Vgl. Christov,.4grû/?z/re otnoSenifa . . . , S. 109.

457 Der bekannte Panslawist Fürst Cerkaskij war im November 1876 mit der Leitung der „zivilen Angelegenheiten" Bulgariens beim russischen Generalstab betraut worden. Er entwarf das ..Großbuigarien" von San Stefano schon in der Anfangsphase des Krieges. Vgl. ISirkov, Zapadnite kraiSta . . . , S. CIH-CIV.

458 Zum Text des Vertrages von San Stefano siehe Major Peace Treaties, Bd. 2, S. 959-974. 459 Über die internationale Krise im Jahre 1878 siehe Sumner, Russia and the Balkans, S.

425-500. Der einzige makedonische Landkreis, in dem die russischen Soldaten sich zeig­ten, war Gorno Dzumaja. Vgl. Dojnov, a.a.O., S. 42.

460 Vgl. Art. I, II und VI des Vertrages von San Stefano. 461 Vgl. Kiril patriarch bülgarski, Bülgarskata Ekzarchija . . . , I, 2, S. 267. Näheres hierzu ist

enthalten in: I. G. Senkevii, Osvoboditel'noedviieniealbanskogo naroda v 1905-1912 gg. [Die Befreiungsbewegung des albanischen Volkes in den Jahren 1905-1912], Moskva 1959, S. 55-71: S. Skendi, ne Albanian National Awakening 1878-1912, Princeton, N. J., 1967, S. 36-37.

462 Vgl. Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S. 267.

84 Die Entstehung der Makedonischen Frage

ren im Vilayet von Kosovo; sie gaben am 30. Mai eine Proklamation heraus mit der Forderung, Albanien den Albanern zu überlassen.463 Am 10. Juni wurde die „Alba­nische Liga" gegründet.464 Die Tatsache, daß die Mehrheit der in Prizren versammel­ten Delegierten aus Vertretern der albanischen Feudalschicht bestand, und daß auch Delegierte aus Bosnien und der Herzegowina anwesend waren, verlieh der Liga eher den Charakter einer allgemein-islamischen Protestveranstaltung als den der Führungs­institution einer nationalen Bewegung.465 Im ersten Abschnitt der Entschließung (ka-rarname), die am 18. Juni angenommen wurde, kam denn auch die Loyalität der Al­baner dem Sultan-Kalifen gegenüber zum Ausdruck.466 Nach dieser Entschließung war die Liga ausdrücklich eine muslimische Organisation auf der Grundlage des isla­mischen Rechts, die verhindern sollte, daß das albanische Gebiet von den benach­barten christlichen Staaten annektiert wurde. Dazu hatte sich die Liga bereits am 13. Juni, dem ersten Sitzungstag des Berliner Kon­gresses, mit einem Memorandum an den britischen Premierminister Disraeli gewandt, der die Delegation seines Landes in Berlin leitete. Man bat ihn, nicht zuzulassen, daß die Interessen des albanischen Volkes vom Kongreß mißachtet würden. Schließ­lich bilde das albanische Volk ein Bollwerk gegen den Vormarsch der Slawen auf dem Balkan.467 Zudem wurden Abdul Frashëri und Jani Vreto von der Liga als Beobach­ter nach Berlin entsandt.468

Die Interessen des albanischen Volkes blieben jedoch auf dem Berliner Kongreß, der zusammengetreten war, um den Vorfrieden von San Stefano zu revidieren, weitge­hend unberücksichtigt.469 Allein Österreich-Ungarn setzte sich dafür ein, daß sich die Annexion albanischen Gebietes durch die Südslawen in Grenzen hielt.470 Die Doppel­monarchie hatte schon im „Reichstädter Memorandum" (1876) klargestellt, daß sie sich der Gründung eines balkanslawischen Großstaates auf Kosten Albaniens wider­setzen würde.471 Sie hatte dann in der Geheimkonvention vom 15. Januar 1877 ge­genüber Rußland durchgesetzt, daß im Falle einer Neuverteilung des osmanischen Besitzes in Europa auch ein unabhängiger albanischer Staat geschaffen werden soll­te.472 Nun verhinderte zwar der Berliner Vertrag das Entstehen eines slawischen Groß-

463 Bartl, Die albanischen Muslime zur Zeit der nationalen Unabhängigkeitsbewegung, S. 117. 464 Vgl. ebd., S. 118. 465 Vgl. SenkeviC, a.a.O., S. 56; Skendi, a.a.O., S. 36-38; Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S.

268-269. 466 Vgl. Bartl, a.a.O., S. 120, und Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S. 269. Die osmanische Re­

gierung stand der albanischen Bewegung am Anfang wohlwollend gegenüber. Sie unter­stützte sie mit finanziellen Mitteln und Waffen. Vgl. Ekrem Bey Vlora, Lebenserinnerun­gen, Bd. 1 (1885-1912), München 1968, S. 136-137.

467 Vgl. Bartl, a.a.O., S. 119. 468 Ebd.,S. 120. 469 „Die Albaner hatten nicht nur keine Schutzmacht gefunden, die Existenz einer albani­

schen Nationalität überhaupt war geleugnet worden." Ebd., S. 116. 470 Vgl. H. D. Schanderl, Die Albanienpolitik Österreich-Ungarns und Italiens 1877-1908,

Wiesbaden 1971, S. 41-44. 471 Siehe Sumner, Russia and the Balkans, Anhang 2. Vgl. außerdem H. Friedjung, Das Zeit­

alter des Imperialismus, Bd. 1, Berlin 1919, S. 25 und Skendi, a.a.O., S. 47. 472 Nach Art. III der Zusatzkonvention zur Geheimkonvention vom 15. Januar 1877. Siehe

Sumner, a.a.O., S. 601.

Die ökonomisch-politische Krise in den Jahren 1875-1878 85

Staates auf Kosten Albaniens, da Makedonien weiterhin unter der Souveränität des Sultans belassen wurde. Verschiedene albanisch-besiedelte Gebiete mußten jedoch trotzdem an Montenegro und Serbien abgetreten werden: Montenegro erhielt Plava-Gusinje, Triepshi und Bar, Serbien die Landkreise Kuräumlje und Vranja.473

Die Beziehungen zwischen der Albanischen Liga und der osmanischen Regierung kühl­ten sich ab Herbst 1878 merklich ab, weil letztere den Berliner Vertrag unterzeichnet hatte. Die Liga widersetzte sich vor allem der Abtrennung des Gebietes Plava-Gusinje an Montenegro.474 Albanische Führer kamen am 27. August 1878 in Prizren erneut zusammen und protestierten gegen die Absicht der osmanischen Regierung, die Al­banien betreffenden Bestimmungen des Berliner Vertrages zu erfüllen.475 Bürgerlich­national gesinnte Kreise setzten sichjetztinder Liga durch und forderten am 27. No­vember 1878 Autonomie für Albanien. Die Vilayets von Janina, Skutari, Kosovo und Monastir sollten zu einer autonomen Provinz Albanien zusammengeschlossen werden, deren Hauptort Ochrid oder Monastir sein sollte.476

Im wesentlichen waren zwei Gründe dafür maßgebend, daß die Hohe Pforte sich ge­gen die Autonomiebestrebungen Albaniens wandte. Einmal würde eine albanische Autonomie das theokratische Prinzip verletzen, wonach der Sultan-Kalif über alle Moslems im Reich ohne Unterschied der Volkszugehörigkeit herrschte. (Ein autono­mes Albanien könnte für andere mohammedanische Provinzen, etwa für Syrien oder den Irak, als Präzedenzfall dienen.)477Zum anderen würden die Slawen, die besonders im Vilayet Monastir die größte ethnische Gruppe darstellten, entschieden dagegen protestieren, daß auf dem von ihnen beanspruchten Gebiet ein albanisches Staatswe­sen entstehen sollte.478 Schließlich war die ablehnende Haltung des griechisch-ortho­doxen Patriarchats ein zusätzlicher Faktor, der berücksichtigt werden mußte. Es be­fürchtete, daß die albanisch-nationale Volkserziehung dem seit Jahrhunderten andau­ernden Gräzisierungsprozeß im orthodox-christlichen Südalbanien (Epirus) entgegen wirken und somit der hellenistischen Sache Schaden zufügen würde.479

Die osmanische Regierung bezog nunmehr entschiedener Stellung gegenüber der al­banischen Bewegung.480 So zwang die osmanische Armee ein albanisches Freiwilligen-

473 Bartl, a.a.O., S. 116. 474 Eine knappe Darstellung der albanisch-montenegrinischen Grenzstreitigkeiten ist enthalten

bei N. Raznatovic, „Crna Gora i Albanska Liga 1878-1880" [Montenegro und die Alba­nische Liga, 1878-1880), JIC 8 (1969), 4,S. 99-103.

475 Siehe Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S. 270. 476 Vgl. Senkevic, Osvoboditel'noe dviienie . . . , S. 58. 477 Hierzu vgl. Skendi, a.a.O., S. 96. 478 Vgl. Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S. 277. 479 Das Patriarchat unterstützte also die Albanien-Politik der Pforte. Die Kinder mohammeda­

nischer Albaner mußten in der Schule weiterhin türkisch, die der orthodoxen Albaner grie­chisch lernen. Vgl. Skendi, a.a.O., S. 133.

480 Mehmet Ali Pa$a, der Militärbevollmächtigte in der osmanischen Delegation beim Berliner Kongreß, wurde im August 1878 nach Albanien geschickt mit dem Auftrag, die Albaner davon zu überzeugen, daß die Abtretung von Plava und Gusinje an Montenegro notwendig sei. Er wurde am 4. September 1878 in Djakova von der aufgebrachten albanischen Menge getötet. Siehe Sedes, 1875-1876 Bosna-Hersek ve Bulgaristan ihtilâlleri. . . , S. 180-184. Dank des bewaffneten Widerstandes der Albaner blieben diese Städte mit Zustimmung der Mächte (April 1880) albanisch. Vgl. Bartl, a.a.O., S. 121-122.

86 Die Entstehung der Makedonischen Frage

korps im November 1880, die Stadt Ulcijn (Dulcigno) zu räumen, damit diese Mon­tenegro übergeben werden konnte.481 Diese Haltung der Pforte rief unter den Alba­nern Befremden hervor. Die zu jener Zeit stattfindende Flottendemonstration euro­päischer Staaten vor der albanischen Küste erweckte außerdem den Anschein, als ob der Sultan gemeinsam mit Europa gegen die Albaner vorgehen würde.482 Von da an richtete die Albanische Liga ihre Tätigkeit gegen die osmanische Herrschaft, weshalb sie in den folgenden Jahren verboten wurde.483

Das Bekanntwerden der Beschlüsse des Berliner Kongresses rief auch in Bulgarien hef­tige Proteste hervor. Ein „San Stefanska Bülgarija", wie die Bulgaren nunmehr das durch den Vorfrieden anvisierte Großbulgarien nannten, war durch den Berliner Ver­trag unmöglich geworden.484 Danach war nicht nur Südbulgarien von Nordbulgarien getrennt und als „autonome Provinz Ostrumelien" unter der Souveränität des Sultans belassen worden,485 sondern auch Makedonien war gänzlich im Osmanischen Reich verblieben. Die als Folge davon entstandene bulgarische Protestbewegung gegen den Berliner Vertrag fand ihren Ausdruck im Kresna-Razlog-Aufstand im Nordosten Ma­kedoniens. Dieser Aufstand wird in der Literatur als Fortsetzung der bulgarischen Unabhängig­keitsbewegung dargestellt.486 Nach dem Berliner Kongreß wurde unter der Führung von Stefan Stambolov, dem späteren Ministerpräsidenten Bulgariens, in Plovdiv das Komitee edinstvo (Einheit) gegründet.487 Das Komitee beschäftigte sich nach außen hin mit Wohltätigkeitsarbeit zugunsten der Makedonier, die in irgendeiner Weise in Makedonien gelitten hatten. Insgeheim verfolgte es jedoch das Ziel, einen Aufstand in Makedonien vorzubereiten.488 Mit der Organisierung der bewaffneten Aktionen

481 Vgl. Skendi, a.a.O., S. 67-68; Bartl, a.a.O., S. 122 124;Schanderl, a.a.O., S. 49-52 482 In Wirklichkeit handelte die Pforte unter dem Druck jener Flottendemonstration. Vgl.

Skendi, a.a.O., S. 64-67; Bartl, a.a.O., S. 123-124; Schanderl, a.a.O., S. 50-52. 483 Osmanische Armee-Einheiten marschierten im April 1881 in Prizren ein. Führende Persön­

lichkeiten der „Liga" wurden verhaftet. Vgl. Senkeviê, Osvoboditel'noe dviïenie . . . , S. 60; Skendi, a.a.O., S. 104-106;Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S. 284-285; Bartl, a.a.O., S. 128-129.

484 Zu den neuen Grenzen Bulgariens siehe Art. II des Berliner Vertrages,Major Peace Treaties, Bd. 2, S. 975-977.

485 Über die geographischen Grenzen und die politisch-administrative Verfassung von „Ostru­melien" siehe Art. XIII-XXI des Berliner Vertrages, Major Peace Treaties, Bd. 2, S. 980 984.

486 Der allgemein bulgarische Charakter dieses Aufstandes wird von der heutigen bulgarischen Geschichtsschreibung besonders hervorgehoben, während bei den Historikern der autono­men sozialistischen Republik Makedonien die Tendenz zu beobachten ist, die Betonung auf den lokal makedonischen Charakter des Aufstandes zu legen. Für die bulgarische Be­trachtungsweise ist der Artikel Ch. Christovs beispielhaft: „Bülgarskata nacionalna revolju-cija; Kresnensko-Razlofckoto vüstanie" (Die bulgarische nationale Revolution und der Kresna-Razlog-Aufstand], in: Kresnensko-Razloikoto vüstanie 1878, S. 17-28. Zu der in Skopje vorherrschenden Betrachtungsweise siehe Istorija na makedonskiot narod, S. 136-141.

487 Vgl. Ist. na makedonskiot narod, S. 137. 488 Vgl. Istorija na Bülgarija, Bd. 2, S. 8.

Die ökonomisch-politische Krise in den Jahren 1875-1878 87

im Innern Makedoniens wurde der Metropolit von Ochrid, Natanail, beauftragt.489

Dieser traf am 8. September 1878 im Rila-Kloster die <?fera-Führer aus Nordostmake­donien.490 Man einigte sich, alle örtlichen Banden unter den Befehl Stojan Karastoi-lovs, des berühmtesten Räubers in Nordostmakedonien, zu stellen, und beschloß, den Aufstand im Gebiet um die Kresna-Schlucht zu beginnen,491

Die aufständischen Operationen im Herbst 1878 in Kresna und Razlog, in einem Ge­biet unweit des russisch besetzten Landkreises Dzumaja, hatten jedoch eher den Cha­rakter eines militärischen Überfalls, als den einer Insurrektion, Die im russisch besetz­ten Gebiet mit russischen Gewehren ausgerüsteten Abteilungen standen unter dem Befehl zweier russischer Offiziere polnischer Abstammung, A. Kalmikov492 und L. Vojtkevic", die ihre Offiziersuniformen weiter trugen.493 Man griff im Oktober das Dorf Kresna an. Innerhalb weniger Tage entstand auf den beiden Seiten des Struma-Flusses ein „befreites Gebiet", dessen Zentrum die Gebirgsdörfer Kresna, Vlachi, Ostava und Sarbinovo bildeten.494 Mehrere Türken- und Pomakendörfer wurden in Brand gesteckt.495 Am 8. November wurde Bansko angegriffen.496

Bereits nach diesen ersten Erfolgen entstanden Spannungen zwischen den örtlichen Kämpfern und den russischen Offizieren, und zwar anscheinend deshalb, weil die ersteren entsprechend ihrer alten Gewohnheit den (mohammedanischen wie christli­chen) Bauern die Schafe, Pferde und das Geld zu rauben begannen. Jedenfalls wissen wir, daß A. Kalmikov unter dem Vorwand solcher „Disziplinlosigkeit" den Oberwoi-woden Stojan Karastoilov erschießen ließ.497 Die Folge war, daß viele Makedonier desertierten.498 Als dann gegen Ende November die Nachricht eintraf, daß die re­gulären osmanischen Truppen heranrückten, brach Panik aus; man ergriff die Flucht nach Norden,499

Der Kresna-Razlog-Aufstand bedeutete trotz des kläglichen Ausgangs in gewissem

489 Vgl. ebd., S. 137. Über die Rolle Natanails in der bulgarischen revolutionären Bewegung siehe Kiril patriarch bülgarski, Bülgarskata Ekzarchija ... ,S. 183-184.

490 Ceta (Mehrzahl: ieti), eine Freischar. 491 Istorija na makedonskiot narod, S. 138. 492 „Der russische Offizier Kalmikov, ein Kosak, war der Motor des Komitees, das den Auf­

stand in Kresna und Razlog organisierte." Siljanov, Osvoboditelnite borbi na Makedonija, Bd. 1, S. 15. Anm. (Übersetzung - F. A.) Vgl. auch S. Swire, Bulgarian Conspiracy, Lon­don 1939, S. 73.

493 Siehe E. Büzaäki, „Pri izvorite na narodnata süprotiva. I. Zapiski na Kresnenskoto vüstanie na Ivan p. Georgiev, pisar v cetata na Stojan Karastoilov" (An den Quellen des nationalen Widerstandes. I. Aufzeichnungen Ivan p. Georgievs, des Schreibers der ieta Stojan Kara-stoilovs, über den Kresna-Aufstand], IBID 26 (1968), S. 363-364.

494 Vgl. Christov, „Bülgarskata nacionalna revoljucija . . .", S. 24. 495 Vgl. V. Küncov, „Pütuvane po dolinite na Struma, Mesta i Bregalnica" (Reise durch die

Täler von Struma, Mesta und Bregalnica], in: Izbrani proizvedenija, Bd. 1, Sofija 1970, S. 332, und Büzaäki, a.a.O., S. 356-357.

496 Vgl. Küncov, a.a.O., S. 328-329. 497 Vgl. Büzaäki, a.a.O., S. 371-372, Anm. 74. Anfang Dezember sei Kalmikov selber damit

beschäftigt gewesen, rund 1500 Schafe, zahlreiche Pferde und über zwei Tonnen Kupfer -alles gestohlen - an reiche Bauern zu veräußern. Vgl. ebd., S. 378.

498 Siehe ebd., S. 374 ff. 499 Vgl. Küncov, a.a.O.,'S. 331-332.

88 Die Entstehung der Makedonischen Frage

Sinn einen Erfolg für das ecrïmrvo-Komitee in Bulgarien. Dadurch war nämlich den Unterzeichnern des Berliner Vertrags gezeigt worden, daß es eine Makedonische Frage gab, die ihrer Lösung harrte. Außerdem erinnerten nun die Makedonier, die nach dem Aufstand nach Bulgarien geflüchtet waren, die bulgarische Regierung ständig an die Aufgabe, sich auch um das Schicksal Makedoniens zu kümmern. Für die bulgarische Regierung und das Exarchat bedeutete dies zunächst verstärkte Bemühungen im Schul- und Kirchenkampf in Makedonien. Nur auf diese Weise konnte das in den Kriegsjahren an das griechische Patriarchat verlorengegangene Terrain zurückgewon­nen werden. Der Artikel 23 des Berliner Vertrages,500 der die Durchführung einiger Reformen in den europäischen Provinzen des Reiches vorsah, diente ihnen dabei als Grundlage für ihre Forderungen an die osmanische Regierung,

4. DAS REGIME ABDULHAMIDS II. (1876-1909)

Die katastrophale Niederlage des Osmanischen Reiches im Krieg von 1877—78 stellt einen Wendepunkt in der neueren osmanischen Geschichte dar. Kurz nach der Unter­zeichnung des Waffenstillstandes (31. Januar 1878) wurde das osmanische Parlament aufgelöst. Mit diesem Datum (14. Februar) begann eine neue Epoche, die bis zur jungtürkischen Revolution im Jahre 1908 andauerte. In dieser Epoche blieb die erst am 23. Dezember 1876 proklamierte Verfassung des Reichs außer Kraft. Abdulha­mid nahm die Regierungsgeschäfte in seine Hand und versuchte, das Land mit Hilfe eines streng zentralistisch aufgebauten Verwaltungssystems und einer servilen Beam­tenschaft zu regieren. Der Yildiz Kö$k, in dem der Sultan mit seiner Kamarilla wohnte, wurde zum Entscheidungszentrum für die Reichsangelegenheiten, während die Hohe Pforte, die eigentliche Regierung, auf die Stufe des einfachen Vollstreckers der Palast-Befehle herabsank»501

500 Da der Art, 23 des Berliner Vertrages für die spätere Entwicklung in Makedonien von Be­deutung ist, sei er hier wörtlich wiedergegeben: „La Sublime Porte s'engage à appliquer scrupuleusement dans l'île de Crète le règlement organique de 1868, en y apportant les modifications qui seraient jugées équitables. Des règlements analogues adaptés aux besoins locaux, sauf en ce qui concerne les exemp­tions d'impôt accordées à la Crète, seront également introduits dans les autres parties de la Turquie d'Europe pour lesquelles une organisation particulière n'a pas été prévue par le présent traite'. La Sublime Porte chargera des commissions spéciales, au sein desquelles l'élément indigène sera largement représenté, d'élaborer les détails de ces nouveaux règlements dans chaque province. Les projets d'organisation résultant de ces travaux seront soumis à l'examen de la Sublime Porte qui, avant de promulguer les actes destinés à les mettre en vigueur, prendra l'avis de la commission européenne instituée pour la Roumélie orientale." A, Schopoff, Les réformes et la protection des Chrétiens en Turquie 1673-1904, Paris 1904, S. 380. Vgl. auch Major Peace Treaties, Bd. 2, S. 984.

501 Über Abdulhamid IL und sein Regime im allgemeinen siehe Tahsin Pa$a, Abdulhamid ve Yüdtz hattralan [Erinnerungen an Abdulhamid und den Yüdiz Kiosk], Istanbul 1931; I. H. Danijmend, hahh Osmanh tarihi kronolojisi [Die kommentierte Chronologie der osma­nischen Geschichte], Bd. 4, Istanbul 1955; Karal, Osmanh tarihi, Bd. 8; J. Haslip, Der Sul-

Das Regime Abdulhamids II. (1876-1909) m

In der Geschichtsschreibung wird die Regierungszeit Abdulhamids II. denn auch als die Epoche der Despotie (istibdat devri) angesehen.502 Dennoch ist es gewiß nicht allein dieses verfassungsgeschichtliche Moment eines „neuen Despotismus", welches die osmanische Politik jener Zeit prägte. Vielmehr gilt es neben den verfassungsrecht­lichen Merkmalen des Hamidschen Regimes auch andere Aspekte, vor allem wirt­schaftliche, in Betracht zu ziehen — und zwar besonders in Bezug auf die Erklärung der Grundlagen der Makedonienpolitik. Das Osmanische Reich war im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts kein wirklich sou­veräner Staat. Die Finanznot der 70er Jahre, die die Bankrotterklärung des Staates im Jahre 1876 zur Folge hatte, verschärfte sich in den Kriegsjahren. Nach dem Krieg kam noch die Forderung Rußlands nach einer hohen Kriegsentschädigung hinzu.503

Unter diesen Umständen sank das Reich allmählich in den Zustand einer europäi­schen Halbkolonie herab. Die Interessenverbände der osmanischen Gläubiger in Europa befürchteten nach 1878, daß die Hohe Pforte die Wiederaufnahme der Tilgung und Verzinsung der Staatsanleihen angesichts der russischen Forderung nach Kriegsentschädigung als zweitrangig behandeln und auf unbestimmte Zeit hinausschieben würde. Sie waren beim Berliner Kongreß vorstellig geworden und hatten durchzusetzen versucht, daß die privaten Inhaber osmanischer Papiere ein Prioritätsrecht bei der Rückzahlung der osmanischen Staatsschulden erhielten. Daher waren sie zu Beginn der 80er Jahre be­reit, jeder einigermaßen befriedigenden Lösung der Schuldenfrage zuzustimmen.504

Die osmanische Regierung selbst war daran interessiert, die Schuldenfrage lieber auf privater Ebene, im Einvernehmen mit den Interessenvertretern der Gläubiger, beizu­legen, als zulassen zu müssen, daß die europäischen Regierungen offizielle Maßnah­men zum Schutze der Interessen ihrer Staatsbürger ergriffen, was die Errichtung einer internationalen Finanzkontrolle im Osmanischen Reich zur Folge hätte haben können.505

So wurde 1881 ein Ausgleich zwischen den Vertretern der Gläubiger und der osma­nischen Regierung erzielt. Die Bedingungen dieses Ausgleiches sind in dem soge­nannten „Muharrem-Dekret" vom 20. Dezember 1881 (28. Muharrem 1299) ent­halten.506 Danach wurde, erstens, der Nominalwert der osmanischen Anleihen von 191 Millionen Pfund Sterling auf 106 Millionen Pfund Sterling herabgesetzt. Auch

tan. Das Leben Abd ul-Hamids II., München 1968; B. Samardziev, „Traits dominants de la politique d'Abdulhamid II relative au problème des nationalités (1876-1885)", EB, 1972, 4, S. 57-79.

502 So heißt der Untertitel des 8. Bandes der als das Standardwerk geltenden Osmanh tarihi von E. Z. Katal.

503 Rußland verlangte Kriegsentschädigung in Höhe von 31.500.000 L Sterling. D. C. Blaisdell, European Financial Control in the Ottoman Empire, S. 85.

504 Vgl. Yeniay, Yeni Osmanh borçlan tarihi, S. 60-61. 505 Avcioglu, Türkiye'nin düzeni, S. 62. 506 Zur Analyse des „Muharrem-Dekrets" und zur Gründung einer besonderen Schuldenver­

waltung siehe Yeniay, a.a.O., S. 64-77;Hershlag, a.a.O., S. 61-68; Yerasimos, a.a.O., Bd. 2,S. 972 993.

90 Die Entstehung der Makedonischen Frage

der Zinssatz der Anleihen, der vorher durchschnittlich 6% betragen hatte, wurde nun auf maximal 4% reduziert. Zweitens wurden einige ertragreiche Einnahmequellen des Staates zur Bezahlung der Auslandsschulden bestimmt. Darunter fielen vor allem das Salzmonopol, das Tabakmonopol, der Zehnt der Seidenkokons, die Getränkesteuer, die Stempeltaxen, die Fischereisteuer und die eventuellen Tributzahlungen jener Län­der, die, wie die Provinz Ostrumelien oder die Insel Zypern, formal noch zum osma-nischen Reich gezählt wurden. Drittens wurde zur Einbeziehung und Verwaltung die­ser Einkünfte ein „Conseil d'Administration de la Dette Publique Ottomane" gebil­det, der sich aus den Vertretern der Gläubiger in England, Holland, Frankreich, Deutschland, Österreich-Ungarn, Italien, im Osmanischen Reich sowie dem Vertreter der Banque Ottomane Imperiale zusammensetzte.507

Das „Muharrem-Dekret" brachte der osmanischen Regierung einige Vorteile, deren größter der war, daß die Pforte durch die Vermittlung der „Dette Publique" wieder in die Lage versetzt wurde, neue Anleihen, und zwar diesmal zu verhältnismäßig gün­stigeren Bedingungen, auf den europäischen Kapitalmärkten aufzunehmen.508 Au­ßerdem faßten die europäischen Kapitalanleger wieder Vertrauen zur finanziellen Lage des Reiches und begannen, in verstärktem Maße dort zu investieren.509 Es wä­re noch zu erwähnen, daß die „Dette Publique" in der Vermarktung der Erzeugnis­se der ihr unterstellten Monopole recht erfolgreich war. Der Export von Salz, Wein und Seidenkokons stieg.S1° Die „Administration de la Dette Publique Ottomane" entwickelte sich bis zum Be­ginn des 20. Jahrhunderts quasi zu einem zweiten Finanzministerium im Staate.511

Hierbei spielten die sogenannten „Kilometergarantien",512 die die osmanische Re-

507 Die Banque Ottomane Imperiale wurde 1856 als ein englisches Geldinstitut gegründet. Sie wurde 1863 in eine französisch-englische Bank umgewandelt und erhielt von der osmani­schen Regierung das Privileg, als die Emissionsbank des Reiches zu fungieren. Die Banque Ottomane war an verschiedenen Kapitalunternehmen, wie der, .Régie co-intéressé des tabacs de l'Empire Ottoman", der „Société Minière de Balya-Karaaydin", der„Société des Eaux de Constantinople", beteiligt. Vgl. Hershlag, a.a.O., S. 58; Yeniay, a.a.O., S. 37-38; Yera-simos, a.a.O., Bd. 2, S. 993-997.

508 Eine Aufstellung der neuen Anleihen nach 1881 (bis 1908) findet sich bei R.-S. Suvla, „Tanzimat devrinde istikrazlar" [Die Auslandsanleihen in der Epoche der tanzimat), in: Tanzimat, Istanbul 1940, S. 278-283, und bei Yeniay, a.a.O., S. 79 102.

509 Hierzu vgl. Blaisdell, a.a.O., S. 93-97, und Hershlag, a.a.O., S. 66-67. 510 Ausführliche statistische Daten hierzu finden sich z.B. in: Administration de la Dette Publi­

que Ottomane, Comte-Rendu du Conseil d'Administration, Vingtième Exercise 1901 — 1902 (1317), Constantinople 1902.

511 Die Schuldenverwaltung hatte im Jahre 1912 5.653 Beamte und 3.253 vorübergehend an­gestellte Personen in ihren Diensten. Zum Vergleich waren in der osmanischen Finanzver­waltung im Jahre 1910 5.472 Personen tätig. Vgl. Avcioglu, a.a.O., S. 62.

512 Für den Fall, daß die Einnahmen einer Eisenbahngesellschaft aus dem Betrieb einer be­stimmten Linie die durchschnittlichen Bau- und Betriebskosten pro Kilometer nicht deck­ten, verpflichtete sich die osmanische Regierung, die Differenz zu begleichen. Vgl. Yeniay, a.a.O., S. 100. Die Gesellschaften waren manchmal mehr an den „Kilometergeldern" aus der Staatskasse interessiert als an der Wirtschaftlichkeit ihrer Linien. Nur in diesem Sinne ist auch die folgende Passage zu deuten: „Nebenbei bemerkt, stiess ich nahe bei Karnabad auf eine mit dem Revolver an der Seite arbeitende Französische Ingenieur-Brigade, welche im Auftrage des Baron v. Hirsch bemüht erschien, mit ängstlicher Vermeidung des von der

Das Regime Abdulhamids II. (1876-1909) 91

gierung den Eisenbahn-Gesellschaften gab, eine besondere Rolle. Als Garantien wur­den nämlich durchweg die Getreide-Zehnten derjenigen Vilayets genannt, durch die eine bestimmte Eisenbahnlinie führte. Die Einziehung und Bewirtschaftung sol­cher Zehnten mußten ebenfalls der „Dette Publique" unterstellt werden. So kam es, daß die Großmächte über die Verwaltung der öffentlichen Schulden etwa 30% der Gesamteinkünfte des osmanischen Staates direkt kontrollierten.513 Infolge dieses Zustandes litt die osmanische Regierung unter chronischem Geldmangel. Die Gehäl­ter von Offizieren und Beamten konnten höchstens zwei bis drei Mal jährlich aus­gezahlt werden. In einem Bericht des Österreich-ungarischen Zivilagenten in Make­donien, des Hofrats von Müller, heißt es:

. . . Den macedonischen Beamten wurde diesmal zum Ramazan nur mit Mühe ein 1 mo­natlicher Gehalt - jener pro Juni! - ausbezahlt. Die Finanznot ist erdrückender als je, obgleich heuer die Steuern besser eingehen als seit Jahren und die Handelslage eine geradezu glänzende ist. . . s '4

Aus den zeitgenössischen westlichen Berichten wissen wir, daß sich Sultan Abdulha­mid II. dieser peinlichen Lage, in der sich sein Reich befand, bewußt war. Er gab je­doch die Hoffnung nicht auf, bei den europäischen Staaten die Abschaffung oder wenigstens eine Revision der Kapitulationen durchsetzen zu können.515 In diesem Sinne versuchte die Pforte, den günstigen Augenblick des Ablaufs der Handelsverträ­ge mit England und Italien im Jahre 1883 dazu zu benutzen, auf zollpolitischem Ge­biet eine gewisse Aktionsfreiheit zu erlangen. Dagegen wehrten sich aber nicht allein England und Italien, sondern alle führenden europäischen Staaten gemeinsam. In ei­nem zeitgenössischen Aufsatz lesen wir:

Es heisst, die Pforte beantrage zwar, einzelne Einfuhrzölle von 8 auf 3 Percent zu ermässi-gen und den Transitzoll ganz aufzuheben, dagegen aber wünsche sie andere Zollsatze bis auf 20 Percent und darüber zu erhöhen und verlange die Einführung neuer Monopole und Goldzölle, Momente genug, die zur Vorsicht mahnen und die selbst wohlwollende Freunde kaum verleiten dürften, eine unbestritten günstige Stellung ohne Weiteres und nur für sol­che Propositionen aufzugeben.5"

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfolgten demnach die europäischen Mächte eine Politik, die darauf angelegt war, die wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten der osmanischen Regierung fortdauern zu lassen, um daraus wirtschaftliche und po­litische Vorteile für sich selbst ziehen zu können. Die Mittel dieser Politik reichten von der Nichtgewährung eines kurzfristigen Kleinkredits bis zu den großen „Flotten­demonstrationen" vor osmanischen Küsten. So zögerte 1904 die Banque Ottomane

Natur vorgezeichneten Weges die Verbindungs-Trace zwischen Sumla und Jamboli auf möglichst weitem Umwege zu suchen. Weshalb, ist leicht erklärlich!" Siehe „Abschluß von F. Kanitz' Reisen in Bulgarien und dem Balkan", Petermanns Geogr. Mitt. 19 (1873), S.' 68. Der osmanische Staat zahlte an europäische Kapitalisten jährlich rund eine Million Pfund Sterling unter der Rubrik „Kilometergarantie". Vgl. Hershlag, a.a.O., S. 49, Anm. 4.

513 Vgl. Avcioglu, a a.O., S. 62. 514 Chiffretel. vom 11. November 1904, HHStA, PA XII/330. Liasse XXXV/7. 515 Vgl. hierzu A. Vambéry, The Story of My Struggles, London 1904, Bd. 2, Kap. XI: „My

Intercourse with Sultan Abdul Hamid", S. 343-390. 516 J. Frh. von Schwegel, „Die Handelsverträge der Türkei", ÖMO 10 (1884), S. 7-8.

92 Die Entstehung der Makedonischen Frage

Imperiale mit der Gewährung eines dringend benötigten Kredits in Höhe von 300.000 Osm. Pfund an die Regierung, weil sie erreichen wollte, daß die Pforte sich bereit­erklärte, die Eisenbahnlinie Damaskus-Müzeyrib zu den von der Bank gewünschten Bedingungen an ein französisches Konsortium zu verkaufen, an dem die Bank betei­ligt war.517 Ähnlich war es im Jahre 1905, als die Mächte unter sich beschlossen, eine besondere internationale Finanzkontrolle in Makedonien einzuführen. Um den Wider­stand der osmanischen Regierung zu brechen, bildete man eine internationale Flotte, bestehend aus Kriegsschiffen Österreich-Ungarns, Rußlands, Englands, Italiens und Frankreichs. In der Ägäis operierend, besetzte diese Flotte Ende November - An­fang Dezember die Inseln Lesbos und Limnos,S18 was schließlich dazu führte, daß die osmanische Regierung in die Errichtung einer internationalen Finanzkontrolle in Ma­kedonien einwilligte.519 Dabei war es offensichtlich, daß diese Finanzkontrolle we­niger zur Besserung der Verhältnisse in Makedonien beitragen sollte, als vielmehr da­zu, den ökonomischen und politischen Druck auf die Pforte zu erhöhen.520

Die Skepsis der osmanischen Staatsmänner bezüglich des guten Willens der Europäer wurde durch das intrigenhafte Benehmen einiger Vertreter der Großmächte in der Frage der makedonischen Zehntreform bestätigt. Die osmanische Regierung hatte 1904 begonnen, im Rahmen der makedonischen Reformen einen neuen Erhebungs­modus des Zehnten einzuführen.521 Nach dem neuen System war der Zehnt nicht mehr eine Produktenabgabe, sondern eine Geldleistung.'

Für jede Ortsgemeinde wird von Regierungs wegen der durchschnittliche Zehentertrag der letzten fünf Jahre ermittelt und der sich so ergebende Geldbetrag als Steuer vorgeschrie­ben. Eine Zehentversteigerung entfällt hiermit definitiv.

Über die hierbei gemachten Erfahrungen urteilte der österreichisch-ungarische Konsul Para folgendermaßen:

Das Ergebnis verspricht sowohl für den Fiscus als auch für die Steuerträger ein vollkommen

517 Calice anGoluchowski.Constantinopel, 23. November 1904, Nr. 55 D, HHStA, PA XII/185. 518 Siehe Schulthess'Europäische Geschichtskalender, Neue Folge, 21 (1905), S. 289. 519 In gleicher Weise mußte die Pforte 1908 dem italienischen Begehren, im Osmanischen

Reich, wie andere Großmächte auch, eigene Postämter zu errichten, endlich nachgeben, weil bekannt geworden war, daß zehn italienische Kriegsschiffe auf dem Wege nach der syrischen Küste waren, um dort ein Seezollamt zu besetzen. Siehe den telegraphischen Be­richt des Legationsrats Otto an Aehrenthal, Constantinopel, 20. April 1908, Nr. 108, HHStA, PAXII/194.

520 Von der Flottendemonstration des Jahres 1905 erhoffte sich z.B. England nebenbei die Gewährung der Konzession zum Bau der Verlängerungsstrecke der Eisenbahnlinie Izmir -Aydin (im engl. Besitz) bis zu einem Anschlußpunkt an der Bagdad-Bahnlinie sowie die Abtretung des Hinterlandes von Aden zugunsten der englischen Krone. Szögyeny an Goluchowski, Berlin, 21. November 1905, Nr. 36, streng vertraulich, HHStA, PA XII/332, Liasse XXXV/7.

521 Calice an Goluchowski, Jeniköj, 6. Juli 1904, Nr. 31 E, und von Müller an Goluchowski, Monastir, Chiffretelegramm vom 20. Juli 1904, Nr. 69, HHStA, PA XII/335, Liasse XXXV/8.

522 Zivilagent von Müller an Goluchowski, Saloniki, 24. Mai 1904, in: Diplomatische Akten­stücke über die Reformaktion in Mazedonien, Nr. 56.

Das Regime Abdulhamids II. (1876-1909) 93

zufriedenstellendes zu werden; bloß einige Großgrundbesitzer behaupten bis jetzt, daß das neue Besteuerungssystem für sie große Härten involviere.523

Die „Administration de la Dette Publique Ottomane" zeigte sich jedoch sehr reser­viert gegenüber solchen Reformen im Zehntwesen.524 Dies hatte folgenden Grund:

Die Zehnten der makedonischen Vilajets befinden sich zum größten Teile als Garantieob­jekt für die Zinsen der Anleihe vom Jahre 1901 sowie für die Kilometergelder der Bahnli­nien Jonction und Monastir in der Verwaltung der Dette Publique und diese letztere hat gegen die Durchführung der Februar-Reform, speziell insoweit dieselbe die Ausschließung der professionellen Zehentpächter involviert, ihr Veto eingelegt, weil sie besorgte, daß eine Abänderung des bisherigen Zehenteinhebungssystems eine Verminderung ihres Einkom­mens aus diesem Titel herbeiführen könnte.525

Die „Dette Publique" suchte daher nach Mitteln und Wegen, ihre Kontrolle über die makedonischen Zehnten zu vervollständigen. So brachte während der Sitzung der makedonischen Finanzkommission am 17. März 1906 der Delegierte Italiens den Antrag ein, die Erhebung des Zehnten in Makedonien probeweise „im Regiewege" der „Dette Publique" anzuvertrauen526 — eine Initiative, die auf eine „vertrauliche Kollaboration" zwischen den englischen, französischen und deutschen Mitgliedern des Verwaltungsrats der „Dette Publique" einerseits und den englischen, französi­schen und italienischen Delegierten bei der makedonischen Finanzkommission an­derseits zurückzuführen war.527 Wenn auch der Versuch der „Dette publique", die makedonische Zehntreform ihren Vorstellungen entsprechend zu gestalten, 1906 abgewendet werden konnte,528 hörte diese Agentur europäischer Kapitalinteressen nicht auf, danach zu streben, weitere Einnahmequellen des Osmanischen Reiches unter ihre Kontrolle zu bringen. In einem Bericht des österreichisch-ungarischen Botschafters Baron Calice lesen wir: „Allerdings mißtraut uns der Sultan . . . Der Sultan ist seiner Natur nach gründlich mißtrauisch."529 Dieser nach dem soeben Dargelegten nur zu verständliche Charak­terzug Abdulhamids spiegelte die allgemeine Einstellung der muslimischen Bevölke-

523 Oppenheimer an Goluchowski, Saloniki, 25. März 1906, Nr. 40, HHStA, PA XII/335, Liasse XXXV/8.

524 Vgl. „Rapport de M. le Chef de la Division des Dîmes sur l'expérience d'imputation for­faitaire de la dîme dans le vilayet de Monastir" (Annexe à la lettre adressée au Conseil par la Direction Générale sous le no. 507/257 en date du 26/8 novembre 1904), Beilage zu: Conseil d'Administration de la Dette Publique Ottomane, 6me Periode No. 32, 26me Exer­cise, Departement de Dimes, Aghnam et Revenus Divers, Procès verbal de la séance du lun­di 22/4 novembre 1323/1907.

525 Zivilagent von Müller an Goluchowski, Saloniki, 24. Mai 1904, Diplomatische Aktenstiik-ke Nr. 56.

526 Oppenheimer an Goluchowski, Saloniki, 25. März 1906, Nr. 40, HHStA, PA XII/335, Liasse XXXV/8.

527 General-Consul Janko, der österreichisch-ungarische Repräsentant bei der Dette Publique Ottomane, an Calice, 31. März 1906. Beilage zum Bericht Calices an Goluchowski, Con-stantinopel, 4. April 1906, Nr. 15 C, HHStA, PA XII/335, Liasse XXXV/8.

528 Ab April 1906 wurde eine modifizierte Zehentverpachtung praktiziert. Zivilagent Oppen­heimer an Goluchowski. Saloniki. 29. April 1906, in: Diplomatische Aktenstücke . . ., Nr. 160.

529 Constantinopel, 12. Mai 1903, Nr. 25 J, HHStA, PA XII/182.

<M Die Entstehung der Makedonischen Frage

rung Europa gegenüber wider. Die Reformen der tanzimat, die bis zu einem gewissen Grad unter dem Druck Europas eingeführt wurden, und die damals herrschende os-marc/z-Ideologie, wonach alle Völker des Reiches die gleichen Rechte hatten, waren bei den Mohammedanern in Verruf gekommen. Diese hatten gesehen, wie die christ­lichen Volksgruppen in den Krisenjahren 1875-78 alles unternommen hatten, um sich vom Osmanischen Reich loszulösen. Sie erlebten tagtäglich, wie die europäischen Staaten sich in die inneren Angelegenheiten des Reiches einmischten, und zwar unter dem Vorwand, die Lage der christlichen Bevölkerung zu verbessern, obwohl diese Staaten sich um die Rechte der Mohammedaner in ihren Kolonien überhaupt nicht kümmerten. Die europäische Sorge um die Gleichberechtigung der osmanischen Chri­sten war vielen Osmanen unverständlich, weil die Christen faktisch mehr Rechte hat­ten als die Mohammedaner.530 Der deutsche Botschafter in Istanbul, Freiherr Mar­schall von Bieberstein, äußerte sich zu diesem Fragenkomplex:

Wer die Gesamtlage vorurteilslos betrachtet, der muß der Behauptung, als ob unter den Mängeln des türkischen Regierungssystems vornehmlich die ottomanischen Christen lei­den und darin die Quelle ihrer Unzufriedenheit zu suchen sei, mit der größten Entschie­denheit widersprechen. Man kann viel eher behaupten, daß die Rajahs diese Mängel zu ih­rem Vorteil ausbauten und sich dadurch Freiheiten gesichert haben, welche den Moham­medanern versagt sind. Es ist auch nicht wahr, daß den Rajahs die Gleichberechtigung vor­enthalten wird . . . Mit weit größerem Erfolge wissen die Rajahs sich Privilegien auf Ko­sten der mohammedanischen Staatsbürger zu verschaffen. Der türkische Staatsangehörige christlichen Glaubens wird für seine Wünsche und Beschwerden stets zwei einflußreiche Fürsprecher haben, seinen kirchlichen Oberhirten und den Vertreter einer fremden Macht. Jeder Bischof, Metropolit, Patriarch usw. erachtet es für seine Pflicht, seine Glaubensge­nossen auch in seinen bürgerlichen Beziehungen den Türken gegenüber zu schützen. Ob der Christ sich im Recht oder Unrecht befindet, ist dabei völlig gleichgültig. Ebenso kann der orthodoxe Rajah regelmäßig auf die Unterstützung der russischen oder griechischen Vertretung rechnen . . . Daß es dem Völkerrechte widerspricht, wenn ausländische Ver­tretungen einen türkischen Untertanen beschützen, wird der Türkei gegenüber natürlich nicht beachtet. Bei der Schwäche der türkischen Regierung und bei ihrem Wunsche, alle Konflikte zu vermeiden, hat der Rajah dank seiner Schutzpatrone meist gewonnenes Spiel."'

Die christliche Bevölkerung besaß in den Missionen der verschiedenen Konfessionen zusätzliche Institutionen, die in der Regel einflußreicher waren als die osmanischen

530 Die Jungtürken im Exil, die gegen das Regime Abdulhamids opponierten, waren in diesem Punkt mit dem Sultan gleicher Meinung. In einer Jungtürken-Zeitung, herausgegeben von einem gewissen Georgiades in Paris, lesen wir unter „Au Lecteur" folgendes: „Es gibt kei­nen Bauern, der unglücklicher wäre als der türkische. Dieser muß mehr Mühseligkeiten durchmachen, als sein christliches Gegenüber. Da ihm die Protektion der Konsuln, der Bot­schafter und der fremden Staaten versagt bleibt, hat er nicht die gleichen Trümpfe in der Hand wie der christliche Bauer." La Turquie contemporaine, Paris, 11. Mai 1891, S. 2. Zi­tiert nach S. A. Mardin, Jon Türklerin siyâsî fikirleri 1895-1908 [Die politischen Ideen der JungtürkenJ, Ankara 1964, S. 12-13. (Übersetzung von F. A.)

531 Marschall an Bülow, Thrapia, den 7. Oktober 1902, Nr. 224, in: Die Große Politik der europäischen Kabinette 1871-1914. Sammlung der diplomatischen Akten des Auswärti­gen Amtes, Herausgegeben von J. Lepsius, A. M. Bartholdy und F. Thimme. Bd. 18,1. Ber­lin 1925, Nr. 5469, S. 169-170. [Fortan wird als GP abgekürzt.)

Das Regime Abdulhamids H. (1876-1909) 95

Provinzbehörden.532 Die Missionare, die miteinander um die Gunst der Christen wett­eiferten, waren der Unterstützung ihrer Regierungen sicher, weil die Errichtung einer religiös-kulturellen Einflußsphäre als erste Voraussetzung kolonialistisch-imperialisti­scher Durchdringung eines Landes galt.533 So war jedes Unrecht, das im Osmanischen Reich einem Christen widerfuhr, potentieller Stoff einer afroc/fy-Geschichte in der europäischen Presse. Wenn wir auch das Regime Abdulhamids als eine Reaktion auf die vorangegangene Reformperiode tanzimat begreifen, so sollten wir uns davor hüten, anzunehmen, daß dieser Sultan grundsätzlich fortschrittsfeindlich gewesen sei. Obwohl kein Anhänger liberaler Ideen, lehnte er Reformen, die er für sein Reich als nützlich betrachtete, kei­neswegs ab.534 Während seiner Regierungszeit machte das Land einen Prozeß des wirtschaftlichen Wachstums und tiefgreifenden sozialen Wandels durch.S3S Die Ver­breitung des Tabakanbaus und der Mohnkultur, die Wiederbelebung der Seiden­zucht, der forciert vorangetriebene Eisenbahnbau, die Versorgung des Landes mit Telegraphenleitungen u.a. waren Erneuerungen, die besonders in den Küstengebie­ten zur Änderung althergebrachter Strukturen führten. Eine wichtige Reform Abdulhamids war der Ausbau des Erziehungswesens.536 Der Schwerpunkt lag hierbei im Hochschul- und Berufsschulbereich; so wurden z.B. 18 neue Hochschulen gegründet.537 Die Wiedereröffnung der Universität von Istanbul fällt ebenfalls in diese Zeit.538 Ein besonders wichtiger Aspekt dieses Reformwerks war, daß die Schulen nicht länger vorwiegend in der Hauptstadt errichtet wurden, wie es früher meist der Fall war, sondern mehr und mehr in die Provinzzentren ver­legt wurden. Dadurch erhielten die Söhne des provinzialen Kleinbürgertums zum er­sten Mal die Gelegenheit, die Beamtenlaufbahn einzuschlagen. Dank dieser Entwick­lung waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts insbesondere die unteren Ränge des Of­fizierskorps von jungen Männern der Unter- und Mittelschicht besetzt, die sich in spä­teren Jahren den bürgerlich-liberalen Ideen zugänglich zeigen sollten.

532 Über die christliche Mission im Osmanischen Reich in dieser Periode vgl. Yerasimos a.a.O., Bd. 2, S. 942-948.

533 „Die christliche Mission hat in den letzten Jahrzehnten ihr Arbeitsfeld erweitert, ihre Me­thoden vertieft. Der Hauptanteil entfallt hierbei auf die protestantische Mission . . . Jenes Anwachsen der Betätigung findet seine Erklärung in einem wirtschaftlichen Moment: die Geschäftswelt Europas und Amerikas erkannte den hohen Wert, den die Mission für ihre Beziehungen zu fernen Ländern hat, und unterstützte sie mit beträchtlichen Summen." M. Hartmann, Islam, Mission, Politik, Leipzig 1912, S. 101.

534 „Abdulhamid was far from being the blind, uncompromising, complete reactionary of the historical legend; on the contrary, he was a willing and active modernizer, the true heir of Sultan Abdulaziz and the statesmen on the Tanzimat..." Lewis, The Emergence of Modern Turkey, S. 174. Über das Reformverständnis des Sultans siehe Karal, Osmanli tarihi. Bd. 8, S. 250-256.

535 Vgl. Karpat, „The Transformation of the Ottoman State", S. 270 ff. 536 Siehe hierzu Karal, a.a.O., Bd. 8, S. 375-414; Lewis, a.a.O., S. 177-179; Karpat, „The

Transformation . . .", S. 275-278. 537 Lewis, a.a.O., S. 177. 538 Die Universität war bereits 1870 gegründet, jedoch ein Jahr später geschlossen worden.

Vgl. Karal, a.a.O., S. 393.

% Die Entstehung der Makedonischen Frage

Die Reformen Abdulhamids wurden allerdings unter einem neuen Vorzeichen durch­geführt : Als Vorbild diente nicht mehr die christlich-europäische Zivilisation, sondern die des islamischen Mittelalters.539 Die Errungenschaften Europas auf technischem Gebiet sollten übernommen werden, weil sie die beste Abwehr gegen das Vordringen eben dieses Europas darstellten. Die Lebensweise der Europäer jedoch sollte nicht nachgeahmt werden. In der Nachahmung des Fremden sah man den Hauptgrund da­für, daß das Osmanische Reich eine Niederlage nach der anderen erlitt.540 Die Quelle des Reformwerks sollte nunmehr in der islamischen Vergangenheit gesucht wer­den.541

Die Gründe dieser Rückbesinnung auf die eigene Vergangenheit lagen zu einem we­sentlichen Teil im damaligen Zustand der islamischen Welt. Seitdem Frankreich 1830 in Algerien Fuß gefaßt hatte, waren viele mohammedanische Länder von europäischen Staaten besetzt worden. Das Zarenreich annektierte zwischen 1840und 1885 die tür­kisch-mohammedanischen Khanate Zentralasiens, Kaukasien und einen Teil Ostana-toliens. Österreich-Ungarn besetzte Bosnien und die Herzegowina.542 Die Königin von England nahm im Jahre 1877 den Kaisertitel von Indien an — eines Landes, in dem Millionen von Mohammedanern lebten. Tunis wurde 1881 von Frankreich besetzt. Im darauffolgenden Jahr besetzte England Ägypten.543

Die konservative Wendung zu eigenen moralischen Werten, von der eine „Wiederge­burt" des Islam erwartet wurde, ist demnach u.a. auch als eine Abwehrreaktion ge­gen die imperialistische Drohung aus Europa zu verstehen. Diese Reaktion fand ih­ren Ausdruck in der politischen Bewegung des Panislamismus, die zum Ziel hatte,al­le Mohammedaner der Welt um das Amt des Kalifen zu scharen.544 Obwohl der Pan­islamismus ursprünglich eine von England ins Leben gerufene Bewegung war, um die Mohammedaner Indiens, Afghanistans und Persiens gegen das Vordringen Rußlands

539 N. Berkes, The Development of Secularism in Turkey, Montreal 1964, S. 276. 540 Vgl. T. Z. Tunaya, islamcihk cereyani [Die Bewegung des Islamismus! Istanbul 1962, S.

7-8. 541 Dies war auch der Kern der Lehre al-Afghanis, des bekanntesten Ideologen des Panislamis­

mus. „Like more recent Asian nationalists, Afghani stressed defence against encroaching West, to be accomplished by a reform whose Western origins had to be hidden for reasons of self-esteem." N. R. Keddie, „Pan-Islam as Proto-Nationalism", JMH 41 (1969), S. 25.

542 Aus Bosnien und der Herzegowina kamen nach 1878 ununterbrochen Flüchtlinge in das Osmanische Reich, wodurch die Gefühle der Verbundenheit in der osmanischen Bevölke­rung mit diesen beiden Provinzen wachgehalten wurden. Zur Auswanderung bosnischer Mo­hammedaner siehe V. Bogieeviö, „Emigracije muslimana Bosne i Hercegovine u Tursku u doba Avstro-Ungarske vladavine 1878-1918. god" [Die Emigration bosnisch-herzegowi-nischer Mohammedaner in die Türkei während der österreichisch-ungarischen Herrschaft], Historijskizbornik, Zagreb, 3 (1950), S. 175-188.

543 „When at the beginning of the fourteenth Islamic century, in 1882, Abdul-Hamid was hail­ed with congratulations from Muslim lands, outside Turkey and Persia, these lands were all under foreign domination." Berkes, The Development of Secularism . . . , S. 254.

544 Vgl. C. H. Beckers 1904 geschriebenen Aufsatz „Panislamismus" in seinen Islamstudien. Vom Werden und Wesen der islamischen Welt, Bd. 2, Leipzig 1932, S. 243 ;H. Kohn, Ge­schichte der nationalen Bewegung im Orient, Berlin 1928, S. 38; über den Panislamismus siehe ferner Karal, Osmanli tarihi, Bd. 8, S. 539-550; Lewis, a.a.O., S. 334-337.

Das Regime A bdulhamids II. (1876-1909) 97

nach Vorderindien zu mobilisieren,545 wurde er mit der Beschleunigung der europä­ischen Kolonisation islamischer Länder zum Zeichen des Unabhängigkeitswillens der mohammedanischen Völker überhaupt;546 als solches warervor allem gegen England gerichtet.547 So begleitete denKhediven von Ägypten, Abbas Hilmi, eine Gruppe füh­render Persönlichkeiten Ägyptens, um dem Sultan Abdulhamid eine antibritische Pe­tition des Volkes zu überreichen, als der Khedive im Sommer 1893 gegen den Wunsch Lord Cromers an Stelle von London Istanbul besuchte.548 Und während der Flotten­demonstration der Großmächte im Jahre 1905 blieben die Augen aller Ägypter, „von seiner Hoheit dem Khediven bis zum letzten Fellahen,. . . auf den nicht blutigen Kampf zwischen dem Khalifen und den im Grunde ungeliebten christlichen Mäch­ten geheftet."549

Trotz der dem Sultan-Kalifen entgegengebrachten panislamischen Sympathie, die ihren Höhepunkt im Jahre des griechisch-osmanischen Krieges (1897) erreichte,550

sollte Abdulhamids Einfluß in der islamischen Welt nicht überbewertet werden. Die Tatsache, daß sich das Osmanische Reich selbst im Zustand einer Halbkolonie befand, muß als der Hauptgrund dafür angesehen werden, daß zur Verwirklichung panisla­mischer Ideale keinen Spielraum blieb. So war die Rolle Abdulhamids auf die Gewäh­rung verbaler Unterstützung beschränkt, wenn in den unterworfenen islamischen Län­dern ein Aufstand gegen die Europäer ausbrach.551 Wenn man einmal davon absieht, daß er die antieuropäische Grundstimmung seiner muslimischen Untertanen teilte, ist sogar die Frage berechtigt, ob er überhaupt eine konsequente panislamische Poli­tik verfolgt hat.552 So wissen wir heute, daß die im Jahre 1892 erfolgte Einladung Abdulhamids an al-Afghani, den Hauptverfechter des Panislamismus, nach Istanbul überzusiedeln, keineswegs der Förderung dieser Idee galt, sondern in erster Linie eine Maßnahme gegen die von England ausgehende Aktion für ein arabisches Kalifat darstellte.553 Abdulhamid verdächtigte nämlich al-Afghani der Mitarbeit mit den Initiatoren dieser Kampagne in England.554

545 Keddie, „Pan-Islam as Proto-Nationalism", S. 19. 546 „What appeared on the surface as a drive for Muslim unification was in reality a drive for

freedom and independence in almost every Muslim country . . .", Berkes, The Develop­ment of Secularism . . . , S. 270.

547 „Abdulhamids Name wurde . . . in Freitagsgebeten in den indischen Moscheen genannt, eine Ehrung, die vordem keinem anderen türkischen Sultan erwiesen worden war." Kohn, a.a.O., S. 38.

548 Vgl. L. Hirszowicz, „The Sultan and the Khedive, 1892-1908",MES 8 (1972), S. 293. 549 Graf Thaddäus Bolesta-Kozierbrodzki an Goluchowski, Cairo, 8. Dezember 1905, Nr. 35

A - B , HHStA, PA XIII/333, Liasse XXXV/7. 550 Vgl. Becker, a.a.O., S. 246. 551 Im Falle der Mahdi-Bewegung im Sudan blieb sogar diese Unterstützung aus. Das Kalifat

nahm vielmehr eine feindliche Haltung ein. Vgl. E. Kedouri, Afghani and 'Abduh. An Es­say on Religious Unbelief and Political Activism in Modern Islam, London 1966, S. 53.

552 Diese Frage wird z.B. von S. Mardin erhoben. Siehe Jon Türklerin sîyasi fikirleri, S. 43. 553 Der Organisator dieser Aktion war Wilfried Scawen Blunt. Vgl. Berkes, The Development

of Secularism . . . , S. 268-269. 554 Vg. N. R. Keddie, Sayyid Jamal ad-Din „al-Afghani". A Political Biography, Berkeley -

Los Angeles-London 1972, S. 373.

( Baywlecn« | f Staatsbibliothek 1 ^ München J

98 Die Entstehung der Makedonischen Frage

Es soll nun im folgenden versucht werden, die Ziele und Methoden der Hamidschen Innen- und Außenpolitik unter Berücksichtigung des oben Gesagten aufzuzeigen. Die tanz/mar-Reformen hatten in der osmanischen Geschichte den Versuch darge­stellt, den Fortbestand des Reiches durch eine Öffnung nach Europa in politischer, ökonomischer und kultureller Hinsicht zu sichern. Dieser Versuch, der von der hö­heren Beamtenschaft des Reiches getragen wurde, vollzog sich im Rahmen eines Zen­tralisierungsprozesses im Staat, in dessen Verlauf die lokale Feudalschicht - z.T. un­ter massiver Gewaltanwendung (z.B. in Albanien) - ihres politischen Einflusses be­raubt wurde.sss Die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit des osmanischen Staates im Jahre 1876 war aber das Eingeständnis, daß die tanzimat-Reformen ihr Ziel nicht er­reicht hatten. Im politischen Bereich bedeutete dies den Entzug der Legitimations­grundlage für die Herrschaft der Zentralbürokratie, die diese Reformen durchgesetzt hatte. Mit der militärischen Niederlage im Krieg von 1877-78, in deren Folge große Gebietsverluste zu verzeichnen waren, hatte die Zentralgewalt noch zusätzlich an Ansehen verloren. Das Regime Abdulhamids, das sich unter diesen erschwerten Bedingungen zu konso­lidieren hatte, brauch te eine neue gesellschaftliche Basis.ss6 Da im Osmanischen Reich bisher kein mohammedanisches Bürgertum entstehen konnte und das nichtmoham­medanische Bürgertum eigene nationale Ziele verfolgte, konnte das entstandene Va­kuum nur durch die feudalen Gruppen in den Provinzen, die während der tanzimat-Epoche an den Rand des politischen Lebens gedrängt worden waren, gefüllt werden. Das bedeutete eine Reintegration der albanischen und arabischen Feudalschicht in den Staat. Die kaiserliche Leibgarde wurde fortan aus Albanern rekrutiert, und die allmächtigen PalastbeamtenSS7 waren fast ausschließlich Albaner und Araber. Dane­ben gelang es auch, die rebellischen Kurdenstämme Ostanatoliens dank einer geschick­ten Beschwichtigungspolitik mit dem Staat zu versöhnen.558 Diese Politik zielte also darauf ab, die Loyalität jener Volksgruppen zu gewinnen, die der Konfession nach mohammedanisch, ethnisch jedoch nichttürkisch waren. Der Fortbestand des Reiches schien vom Erfolg oder Mißerfolg dieses Vorhabens abzuhängen. Die ideologische Betonung islamischer Grundwerte sollte dabei nur dazu dienen, in den Volksmassen das Gefühl der Zusammengehörigkeit in einer Schicksalsgemeinschaft zu wecken, um auf diese Weise die Verbundenheit des Volkes mit dem Sultan-Kalifen zu festigen. Speziell die Albanien-Politik Abdulhamids verdient in diesem Zusammenhang unsere besondere Aufmerksamkeit. Im Bewußtsein der Tatsache, daß Albanien zu Beginn des 20. Jahrhunderts den strategischen Eckstein des in Europa noch verblie­benen Gebiets des Reiches darstellte, und daß die Albaner von vielen Seiten - Öster­reich-Ungarn, Italien, Griechenland - umworben wurden,S59 versuchte der Sultan

555 Vgl. hierzu Ekrem Bey Vlora, Lebenserinnerungen, Bd. t, S. 130. 556 Hierzu u.z. folg. vgl. S. Duguid, „The Politics of Unity: Hamidian Policy in Eastern Anato­

l i a " , . «^ 9 (1973), S. 139 ff. 557 Über die Machtbefugnisse des ersten Sekretärs im Yildiz Kösk siehe Colmar Frh. von der

Goltz, Denkwürdigkeiten, Berlin 1929, S. 123. 558 Siehe Duguid, a.a.O. 559 Siehe die Untersuchung Bartls, Die albanischen Muslime . . . , und die Schanderls, Die Al­

banienpolitik Österreich-Ungarns und Italiens.

Das Regime Abdulhamids II. (1876-1909) 99

neue Konflikte mit den Albanern soweit wie möglich zu vermeiden. Die albanischen Feudalherren erfreuten sich einer weitgehenden Selbständigkeit und durften sich je­de Willkür erlauben, ohne zur Verantwortung gezogen zu werden. Als ab dem Jahre 1903 Reformen in Makedonien durchgeführt werden sollten, organisierten die dorti­gen Albaner eine starke Widerstandsbewegung. Damit versetzten sie Hüseyin Hilmi Pasa, den Generalinspekteur der makedonischen Vilayets, in eine schwierige Lage, die in einem telegraphischen Bericht des österreichisch-ungarischen Konsuls Para fol­gendermaßen geschildert wird:

Alle auf Albanien bezüglichen Befehle, die ihm während seiner Amtsführung bis jetzt zu­gekommen seien, gipfeln in dem Auftrage, durch Milde und Erteilung wohlwollender Rat­schläge fallweise |die albanische| Bewegung beizulegen; er sei sogar bereits auch beauftragt worden, unbotmäßigen Ruhestörern kaiserlichen Gruß zu übermitteln.5'0

In dieser Haltung des Sultans spiegelt sich die Furcht wider, daß ein entschlossenes Vorgehen gegen irgendeinen albanischen Stammesführer die Lage komplizieren und die Einmischung Europas veranlassen könnte. Der Sultan war außerdem darüber be­sorgt, daß innenpolitische Unruhen in Albanien die benachbarten Balkanstaaten da­zu ermutigen könnten, sich in einem Bund zusammenzuschließen, um dasOsmani-sche Reich anzugreifen. Diese Überlegungen bestimmten auch die Außenpolitik Ab­dulhamids, die von seinem ersten Sekretär Tahsin Paca im nachhinein folgenderma­ßen charakterisiert wurde:

Sultan Abdulhamid handelte in der Außenpolitik nach folgendem Grundsatz; mit Ruß­land gut auskommen; Schwierigkeiten mit England unbedingt vermeiden; sich an Deutsch­land anlehnen; nicht vergessen, daß der Blick Österreichs auf Makedonien gerichtet ist; mit allen anderen Staaten so gute Beziehungen pflegen wie möglich; auf dem Balkan die Bulgaren, Serben und Griechen gegeneinander aufwiegeln.561

560 Abschrift eines Chiffretelegramms des Konsuls Para an die Botschaft Constantinopel, bei­gefügt dem Bericht des Konsuls an Goluchowski, Üsküb, 7 September 1904, Nr. 155, HHStA, PA XXXVIII/435.

561 Abdülhamid ve Ytldiz hattralan, S. 62. (Übersetzung von F. A.)

II. DIE VORBEREITUNGSPHASE DES MAKEDONISCHEN VOLKS AUFSTANDES, 1880-1902

t. DER SCHUL- UND KIRCHENKAMPF IN MAKEDONIEN IN DER FOLGEZEIT DES BERLINER VERTRAGES

Im bulgarischen Nationalismus der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts lassen sich zwei Strömungen unterscheiden: eine revolutionäre und eine evolutionäre.1 Die Vertreter der revolutionären Richtung glaubten, daß ein Gesamtbulgarien, wie es im Vorfrie­den von San Stefano definiert worden war, nur auf dem Wege des bewaffneten Auf­standes zu verwirklichen sei.2 Als kurzfristiges Ziel strebten sie die Vereinigung Ost-rumeliens mit dem Mutterlande an, während die langwierigere Arbeit, die Vorberei­tung einer Volkserhebung in Makedonien,erst nach Abstimmung mit der Entwicklung in Ostrumelien vorangetrieben werden sollte .3 Der Erfüllung der langfristigen Aufgabe wurde dabei besondere Bedeutung beigemessen: K. Stoilov, der Außenminister Bul­gariens, hob in einem Schreiben an Fürst Battenberg von Bulgarien im Jahre 1882 hervor, daß Makedonien vom nationalen Standpunkt aus wichtiger sei als andere Ge­biete. Deshalb sei dafür zu sorgen, daß jeder Bulgare in Makedonien ein nationales Zugehörigkeitsgefühl für Bulgarien entwickele —jeder makedonische Bulgare „muß, jung oder alt, wissen, daß er vom bulgarischen Blut ist". Um dies zu erreichen, schlug der Minister vor, daß man „eine gute Organisation schafft, die uns über alle Vorgän­ge in Makedonien auf dem Laufenden hält, und die in der Lage sein wird, einen Be­fehl der fürstlichen Regierung in ganz Makedonien und Albanien schnell und erfolg­reich in die Tat umzusetzten"^ Die Errichtung einer solchen Organisation wurde mit der Gründung mehrerer make­donischer Wohltätigkeitsvereine in Bulgarien in Angriff genommen. Unter ihnen ist an erster Stelle die Makedonska liga zu nennen, die von V. Dijamandiev im Sommer 1880 in Ruse gegründet wurde.5 Zwei ähnliche Vereine, die in Sofia tätig waren,

1 Vgl. V. Bozinov, „Nacionalnoosvoboditelnata borba na bülgarskoto naselenie v Makedonija sied Kresnensko-Razlozkoto vüstanie (1878-1903)" [Der nationale Befreiungskampf der bulgarischen Bevölkerung in Makedonien nach dem Kresna-Razlog-Aufstand, 1878-1903). in: Kresnensko-RazMkoto vüstanie 1878, Sofija 1970, S. 75.

2 Die „liberale Partei" in Bulgarien war der Hauptverfechter dieser Richtung. Ihr Presseorgan hieß Celokupna Bülgarija (Gesamtbulgarien). Vgl. K Pendev, „Nagacalo na makedono-odrinskoto dvizenie v Bülgarija (1879-1894)" [Der Anfang der makedonisch-adrianopler Bewegung in Bulgarien, 1879-1894], in: V äest na Akademik Christo A. Christov, S. 238.

3 Vgl. Kiril patriarch bölgarski, Bülgarskata Ekiarchija . . . , I, 2, S. 519. 4 Odbrani ietiva za istorijata na makedonskiot narod [Ausgewählte Texte zur Geschichte des

makedonischen Volkes), Teil II, Skopje 1953, S. 128. Zit. nach Katardziev, Serskiot okrug . . . , S. 44. (Übersetzung v. F. A.).

5 Vgl. Pandev, a.a.O., S. 240.

Der Schul- und Kirchenkampf in der Folgezeit des Berliner Vertrages 101

schlössen sich im Frühjahr 1884 unter dem Namen: „Makedonischer Wohltätigkeits-verein" zusammen.6 Dem Vorstand dieses Vereins gehörten neben Dijamandiev auch einige führende Politiker des Landes, darunter P. Karavelov, ab Juni 1884 Minister­präsident Bulgariens, an.7 Man verfolgte hauptsächlich politische Ziele, wenn man auch vorgab, sich nur um die kulturelle Entwicklung der bulgarischen Bevölkerung in Makedonien zu kümmern.8 Mit dem Erscheinen von Makedonski glas (Stimme Makedoniens) erhielt die Bewegung ihr eigenes Presseorgan. In dieser Zeitschrift wur­den die politischen Kreise Bulgariens wiederholt aufgerufen, von den Großmächten zu verlangen, daß der Art. 23 des Berliner Vertrages unverzüglich angewandt werde.9

Mit diesem Ziel vor den Augen, veranstaltete man im Frühjahr 188S Massenkundge­bungen in Sofia und versuchte, etwa durch Versenden von Telegrammen an bekann­te Persönlichkeiten des Auslands, die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung in Europa auf Makedonien zu lenken.10 In Sofia erschien im Mai 1885 ein anonymes Memorandum, in dem im Namen aller Makedonier die osmanische Regierung ultima­tiv aufgefordert wurde, die nach Art. 23 des Berliner Vertrages vorgesehenen Refor­men durchzuführen; andernfalls werde ein Aufstand in Makedonien ausbrechen.11

Dieser Forderung wurde durch die Gründung von geheimen Revolutionskomitees und durch verstärkte Bandentätigkeit in Makedonien Nachdruck verliehen.12

Die zweite Richtung des bulgarischen Nationalismus — die „evolutionäre" — wurde vom bulgarischen Exarchat vertreten.13 In Makedonien fand sie vor allem in den Rei­hen desexarchistischen Bürgertums, in der höheren Geistlichkeit und unter den Vor­ständen der Kirchen- und Schulgemeinden ihre Anhänger,14 Für diese Gesellschafts­gruppen lag der Schwerpunkt des Befreiungskampfes im kirchlich-schulischen Be­reich. Denn die bulgarische Sache in Makedonien hatte in den Kriegsjahren 1877-78 und in der unmittelbar darauffolgenden Zeit an Boden verloren. Das griechisch-or­thodoxe Patriarchat von Konstantinopel und die Leitung der panhellenistischen Pro-

6 Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S. 518. 7 Siehe Pandev, a.a.O., S. 242-243. 8 Nach Abschn. I der Satzung. Vgl. Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S. 518. 9 Von der Einführung der unter Art. 23 vorgesehenen Reformen erhoffte man die Herstel­

lung eines modus vivendi, welcher den Bulgaren erleichtern würde, die Zeitspanne bis zum endgültigen Anschluß Makedoniens an Bulgarien zu überbrücken. Vgl. Pandev, a.a.O., S. 243.

10 Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S. 521. 11 Ebd., S. 540. 12 G. Petrov gründete im Jahre 1885 in Stip ein geheimes Revolutionskomitee. Vgl. Ch. An-

donovski-Poljanski, „Nekoi praäanja od voenata organizacija na makedonskoto nacionalno-revolucionerno dvizenje vo predilindenskiot period" [Einige Fragen der militärischen Or­ganisation der makedonischen national-revolutionären Bewegung in der Zeit vor dem Uin-den-Aufstand|. GINI 4 (1960), 1-2, S. 84. Im Frühjahr 1885 erschienen größere Freischa­ren in den Gebieten um Skopje, Gevgeli und Seres. Vgl. Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S. 526.

13 Im Winter 1884-85 war Fürst Alexander ebenfalls gegen einen Aufstand in Makedonien. Vgl. A. Koch, Fürst Alexander von Bulgarien. Mittheilungen aus seinem Leben und seiner Regierung nach persönlichen Erinnerungen von Adolf Koch, Darmstadt 1887,S. 199-200.

14 Vgl. Bozinov, a.a.O., S. 75.

. '

102 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

paganda in Athen hatten die durch den Krieg geschaffene neue Situation in Makedo­nien für ihre Zwecke zu nutzen gewußt. Während des Krieges und dann während des Kresna-Aufstandes in den exarchistischen Gegenden des Landes waren viele angese­hene Personen in Dörfern von der patriarchistischen Geistlichkeit als „Revolutionä­re" denunziert worden,15 Auf diese Weise unter Druck gesetzt, hatten sich viele Bau­ern wieder zum Patriarchat bekannt.16 So war die Kaza Gorno Dzumaja, die vor dem Krieg exarchistisch gewesen war, im Jahre 1880 wieder unter die Jurisdiktion des patriarchistischen Metropoliten von Melnik gekommen.17 Um das Jahr 1890 stand kein einziges Dorf im Sancak von Seres unter der Zuständigkeit des Exarchats, ob­wohl ein Großteil der Dörfer dieses Sancaks von Bulgaren bewohnt waren.18

An dieser Stelle sei ein kurzer Überblick über die griechische Propaganda in Make­donien eingefügt, um das Ausmaß des Kirchen- und Schulkampfes zu veranschauli­chen. Die Aufgabe, die Interessen des Hellenentums wahrzunehmen, fiel nach 1830 nicht länger allein dem Patriarchat von Konstantinopel, sondern auch dem neugegrün­deten griechischen Staate zu. Dieser war ab 1835 durch seine Konsulate in Makedo­nien an Ort und Stelle an der Förderung der griechischen Sache beteiligt.19 Da die Schule sich als das geeignetste Mittel zur Erziehung und Verbreitung des National­bewußtseins erwiesen hatte, wurden alle Kräfte auf den Ausbau des griechisch-patri-archistischen Schulsystems in Makedonien konzentriert. Zu diesem Zwecke wurde schon im Jahre 1836 in Athen ein Bildungsverein gegründet.20 Nach dem Krimkrieg, als sich der Kirchenkampf der Bulgaren gegen das Patriarchat intensivierte, gestalte­ten sich auch die Gegenmaßnahmen der Griechen effektiver. Man gründete im Jahre 1861 den „Griechischen Literarischen Verein von Konstantinopel", der die Aufgabe hatte, das griechische Schulwesen im Osmanischen Reich und speziell in Makedonien zu entwickeln.21 1866 wurde der Verein Ethniki Amina (Nationale Verteidigung) gegründet, der die bewaffneten Aktionen der griechischen Seite in Makedonien leite­te.22 Im Jahre 1867 entstand der Verein Parnassos, dessen Mitglieder (Intellektuelle und Professoren) für die hellenistische Sache im Ausland werben sollten.23 Die wich­tigste Gründung, die des „Vereins zur Verbreitung der griechischen Bildung" {Sillo-gos Pros Diadosin Ton Ellinikon Grammaton), fand im April 1869 in Athen statt.24

15 Vgl. Katardziev, Serskiot okrug . , . , S. 63. 16 Über die Verfolgungen, denen die exarchistische Bevölkerung zu jener Zeit ausgesetzt war,

siehe Dokumenti za bälgarskoto vüzrazdane ot archiva na Stefan I. Verkovic, 1860-1893 [Dokumente zur bulgarischen Wiedergeburt aus dem Archiv Stefan I. Verkovics, 1860-18931, Sofija 1969, S. 584,602-604,609-613.

17 Katardziev, a.a.O., S. 63. 18 Vgl. ebd., S. 68. 19 R. Poplazarov, „Propagandnata dejnost na grökite druStva vo Makedonija vo vtorata polo-

vina na XIX vek" (Die Propaganda der griechischen Vereine in Makedonien in der zweiten Hälfte des 19. Jh.], GINI12 (1968), 2, S. 187.

20 Ebd. 21 Vgl. K. Mamoni, „Les associations pour la propagation de l'instruction grecque à Constanti­

nople (1861-1922)", BS 16 (1975), S. 104. 22 Poplazarov, „Propagandnata dejnost.. .", S. 188. 23 Ebd., S. 188-189. 24 Ebd., S. 189-190.

Der Schul- und Kirchenkampf in der Folgezeit des Berliner Vertrages 103

Der Vorstand dieses Vereins setzte sich aus Persönlichkeiten des politischen und kul­turellen Lebens in Griechenland zusammen ; die Finanzmittel, über die der Verein ver­fügte, waren dementsprechend hoch. Neben diesen Vereinen, die von Konstantinopel oder Athen aus den hellenistischen Widerstand gegen den bulgarischen Nationalismus in Makedonien organisierten, exi­stierten auch Vereine auf lokaler Ebene, die ähnliche Aufgaben zu erfüllen hatten. So war bereits im Jahre 1859 von Stamatos Papyris in Monastir ein griechischer Klub mit dem Ziel „der moralischen Erziehung der Bürger und der Bekämpfung aller Ver­fechter einer Zersplitterung des Griechentums" gegründet worden.25 Im Jahre 1872 wurde in Saloniki der „Makedonische Erziehungsverein" geschaffen.26 Vereine ähn­licher Art entstanden im Jahre 1874 in Monastir (Evangelismos)11 und in KruSevo (Aristoteli).2* Im Jahre 1880 wurde in Monastir ein propagandistischer Verein mit dem Namen Karteria (Ausdauer) gegründet.29 Die folgenden Zahlen mögen die Erfol­ge der hellenistischen Vereine verdeutlichen: Im Jahre 1877 gab es in den Vilayets von Saloniki und Monastir 256 griechische Schulen mit insgesamt 10.968 Schülern. Die Zahl der Schulen stieg im Jahre 1896 auf 907, die der Schüler auf 53.633^° Dem Griechentum in Makedonien (mit der Unterstützung des Patriarchats und der Athe­ner Regierung und dank der besonderen Begünstigung seitens der Pforte) gelang es demnach, durch gezielte Arbeit auf dem Felde der Erziehung und Bildung größere Teile der slawischen Bevölkerung des Landes für die hellenistische Sache zu gewin­nen.31

Angesichts dieser Fortschritte der griechischen Seite sah sich das bulgarische Exar­chat am Anfang der 80erJahredes 19. Jahrhunderts vor schwierige Aufgaben gestellt. Der Exarch erachtete es zunächst für vordringlicher, die schon vorhandenen gesetz­lichen Möglichkeiten auszuschöpfen, als neue Rechte zu erkämpfen. Der patriarchi-stischen Schuloffensive war nur mit gleicher Waffe zu begegnen, nämlich mit (exar-chistischen) Schulen. Diese Schulen aber waren, abgesehen von Ausnahmen in eini­gen Städten, in den Krisenjahren 1876-1880 geschlossen worden.32 Es galt nun, ih-

25 C. Vavouskos, Der Beitrag des Griechentums von Pelagonien zur Geschichte des neueren Griechenlands, Thessaloniki 1963, S. 20. Vgl. auch St. J. Papadopoulos, „Ecoles et associa­tions grecques . . .**, S. 401-402.

26 Poplazarov, a.a.O., S. 198. 27 Ebd., S. 196. Vgl. auch Vavouskos, a.a.O., S. 20. 28 Papadopoulos, a.a.O., S. 407. Griechische Bildungsvereine gab es auch in Seres, Strumica

und Vodena. Vgl. Poplazarov, a.a.O., S. 196-199; Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S. 12. 29 Papadopoulos, a.a.O., S. 402-403. 30 Vgl. Poplazarov, a.a.O., S. 200. Nach einer anderen „Statistik der nationalen Volksschulen

in der europäischen Türkei - Elementarschulen" gab es in den drei (makedonischen) Vi­layets 638 griechische Schulen mit 38.454 Schülern. Siehe R. von Mach, „Beiträge zur Eth­nographie der Balkanhalbinsel", S. 102-105.

31 „Das griechische Volk verdankt seinen Ruhm der Erziehung und Bildung, der Paideia . . . Es betrachteten sich tatsächlich sowohl die griechisch- und rumänisch-sprechenden wie auch die slawisch- und albanisch-sprechenden Gruppen selbst auf die gleiche Weise als ,der Abstammung nach reine Griechen' . . . Diese Erziehung und Bildung, die gelegentlich auch Nicht-Griechen zu Griechen machte, war das Mittel, durch welches das griechische Volk sich gegen alle Einflüsse und Unterdrückungen, denen es im Laufe der Jahrhunderte ausge­setzt war, seine Einheit erhielt." C. Vavouskos, a.a.O., S. 8-9.

32 Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S. 10.

104 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

re Wiedereröffnung gegen die feindselige Opposition patriarchistischer Stellen von der Pforte zu erwirken. Die ersten Erfolge in dieser Hinsicht wurden in Saloniki er­zielt: Konnten die Bulgaren bereits im Herbst 1879 ihre dortige Grundschule wieder eröffnen, so erhielten sie zwei Jahre später, im Herbst 1881, die Erlaubnis, in Saloniki ein Gymnasium zu gründen.33 Das bulgarische Schulwesen in Makedonien sollte sich von da an recht zügig entwickeln. Gab eszum Beispiel im Schuljahr 1882-83 323 bul­garische Lehrer und 14.815 Schüler in Makedonien, so waren es im darauffolgenden Schuljahr 375 Lehrer für 17.864 Schüler.34 Diese Entwicklung wurde auch dadurch begünstigt, daß im Jahre 1880 ein Streit zwischen der Pforte und dem griechischen Patriarchat um dessen Privilegien begonnen hatte, der mehrere Jahre andauerte.35

Die Pforte verhielt sich in dieser Zeit gegenüber den Bulgaren ungewöhnlich zuvor­kommend, um mit der Chimäre eines exarchistischen Makedonien das Patriarchat unter Druck zu setzen.36 So gelang es den Bulgaren, im Jahre 1883 eine „Schul-Ku­ratel beim Exarchat" {UöiliStnoto popeäitelstvo pri Ekzarchijata) zu gründen mit dem Auftrag, alle Anstrengungen auf dem Gebiet der Erziehung und Bildung in Ma­kedonien zu koordinieren.37 Die vorher den einzelnen Schulgemeinden überlassenen Aufgaben, wie die Einstellung von Lehrern und die Beschaffung von Lehrmaterialien, fielen nunmehr in den Kompetenzbereich dieses Amtes, dessen Gründung den erfolg­reichen Abschluß der Anfangsphase in der Entwicklung des bulgarischen Schulwesens in Makedonien markierte.

2. DIE VEREINIGUNG OSTRUMELIENS MIT BULGARIEN

Am 18. September 1885 wurde in Plovdiv die Vereinigung Ostrumeliens mit dem Für­stentum Bulgarien ausgerufen.38 Damit war der erste Punkt im Programm der „Li­beralen Partei", die Schaffung des in San Stefano vorgesehenen Großbulgariens, er­füllt. Die Befreiung Makedoniens blieb die nächste Aufgabe. Der Sieg der revolutio­nären Richtung in Ostrumelien ermutigte diejenigen Kräfte, die auch in Makedonien denselben Weg gehen wollten. Die Leichtigkeit, mit der die Überreste osmanischer Herrschaft in Ostrumelien beseitigt wurden,39 ließ eine autonome Verwaltung als Übergangslösung auch für Makedonien empfehlenswert erscheinen. Avtonomna Ma-

33 Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S. 21. 34 Ebd., S. 56-57. 35 Hierzu vgl. Bayur, Türk inkilâbi tarihi, 1/1, S. 38; E. Driault, M. Lhéritier, Histoire diplo­

matique de la Grèce, Bd. 4, Paris 1926, S. 183-186. 36 Vgl. Kiril patriarch bülgarski, a.a.O., S. 334. 37 Vgl. ebd., S. 63. 38 Näheres dazu in Istorija na Bülgarija, Bd. 2, S. 5^-80. 39 Die osmanische Regierung hatte von dem Recht (gemäß Art. 15 des Berliner Vertrages), in

Ostrumelien Streitkräfte zu unterhalten, nicht Gebrauch gemacht. Daher konnten die Bul­garen ihre Pläne, ohne auf militärischen Widerstand zu stoßen, durchführen. Vgl. Bayur, a.a.O., S. 43.

Die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien 105

kedonija sollte von nun an das Schlagwort der bulgarischen Seite in Makedonien wer­den40

Die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien, durchgeführt gegen die Bestimmungen des Berliner Vertrages, hatte eine schwere internationale Krise auf dem Balkan zur Folge. Während die westlichen Mächte dieses fait accompli mehr oder weniger scharf verurteilten41 und Rußland sich besonders heftig weigerte, die bulgarische Union an­zuerkennen,42 traf das Nachbarland Serbien Kriegsvorbereitungen.43 Dort betrach­tete man das Kräftegleichgewicht auf der Balkanhalbinsel als ernsthaft gestört. Die Hoffnung Serbiens, sein Gebiet nach Südosten hin auszudehnen, schien in Frage ge­stellt, da nun das gestärkte Bulgarien den Ansprüchen Serbiens auf Makedonien be­stimmter entgegentreten würde.44 Eine andere Expansionsmöglichkeit für Serbien, nämlich über Bosnien an die Adriaküste, war bereits wegen der Besetzung Bosniens und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn versperrt worden. Um die Aufmerk­samkeit Serbiens von Bosnien abzulenken, hatte sich Österreich-Ungarn dafür im Ge­heimvertrag vom 28. Juni 1881 verpflichtet, territoriale Bestrebungen Serbiens im Südosten diplomatisch zu unterstützen.45 So erklärte König Milan von Serbien, der

40 Im Jahre 1885 gab Dimitar Blagoev als erster die Parole „Makedonien den Makedoniern" aus. Er trat für ein autonomes Makedonien, allerdings im Rahmen einer Balkan-Födera­tion, ein. Siehe „Balkanska federacija i Makedonija" [Balkan-Föderation und Makedonien), in: Süäinenija (Werke], Bd. 1, Sofija 1957, S. 46-54, 61-70.

41 England, die bedeutendste Großmacht und der Architekt des Berliner Vertrages, war be­strebt, mit allen Mitteln zu verhindern, daß Rußland sich in Bulgarien festsetzte, von wo aus es die Meerengen direkt bedrohen könnte. Da die Führer der Unionsbewegung in Ostrumelien (Z. Stojanov, V. Radoslavov, St. Stambolov) durchweg als rußlandfeindlich bekannte Persönlichkeiten waren, fand sich England nach der anfänglichen, eher formellen Verurteilung bereit, die bulgarische Union diplomatisch zu unterstützen. Vgl. B. Jelavich, „Russia, Britain and the Bulgarian Question 1885-1888", SOF 32 (1973), S. 168-191; A. Pantev, „Bulgaria's Place in the Political Strategy of Great Britain (1879-1912)", Bul­garian Historical Review, 4, 1973, S. 16.

42 Rußland hatte gemäß Abschn. 4 des Protokolls, das dem Vertrag des „Dreikaiserbundes" vom 18.6.1881 beigefügt war, die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien im Prinzip ak­zeptiert. Siehe GP, Bd. 3, Nr. 532; A. F. Pribram, Die politischen Geheimverträge Öster­reich-Ungarns 1879-1914, Bd. 1, Wien-Leipzig 1920, S. 14. Rußland war aber 1885 nicht bereit, die bulgarische Union anzuerkennen, weil dadurch hauptsächlich den dynasti­schen Interessen des als austrophil und prowestlich geltenden Fürsten Alexander Batten­berg, dessen Absetzung der Zar wünschte, gedient worden wäre. Vgl. Y. Mitev, „L'Atti­tude de la Russie et de l'Angleterre à l'égard de l'union de la Bulgarie en 1885", EH, 1960, S. 349-356. Siehe auch A. Koch, Fürst Alexander . . . , S. 233.

43 Siehe Istorija na srübsko-bülgarskata vojna 1885 [Geschichte des serbisch-bulgarischen Krieges 18851, Sofija 1971, S. 136-147.

44 Serbien schickte bereits im Jahre 1845 Agenten nach Makedonien, um dort seinen Einfluß zu vergrößern. Vgl. A. Aleksander, „Obidi za kolonizacija na Makedonija vo uslovite na nacionalnite propagandi na sosednite drzavi" (Versuche der Kolonisierung Makedoniens unter den Gegebenheiten der nationalen Propaganda der Nachbarstaaten], GZ 15 (1963), S. 188.

45 Vgl. Pribram, a.a.O., Bd. 1, S. 20; W. L. Langer, The Diplomacy of Imperialism, 2. Ausg., New York 1951, S. 306.

106 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

auf diese Hilfe Österreichs vertraute,46 im November 1885 Bulgarien den Krieg, der allerdings mit der Niederlage Serbiens enden sollte.47

Nachdem der Versuch Serbiens, seine Interessen in Makedonien durch militärischen Einsatz zu sichern, fehlgeschlagen war, ging man auch in diesem Land zur Anwen­dung jener Methoden über, die den Griechen und Bulgaren Erfolg beschert hatten. Nunmehr galt es also, einen geeigneten Verein zu gründen, ihn mit Geldmitteln zu versehen und dann dafür zu sorgen, daß dieser Verein in Makedonien ungehindert arbeiten konnte. Eine wirksame Schul-, Kirchen- und Kulturpolitik würde die Vor­aussetzung dafür sein, daß die Existenz einer „serbischen Nation" in Makedonien an­erkanntwurde. Zwei Umstände sollten dabei die Sache Serbiens begünstigen: Erstens begann Rußland, dessen Balkanpolitik in Bulgarien gescheitert war, Serbien zu un­terstützen, und zweitens begann die osmanische Regierung, aufgeschreckt durch das gestärkte Selbstbewußtsein der Bulgaren, eine wohlwollendere Haltung gegenüber der serbischen Propaganda in Makedonien einzunehmen.48

Der Verein, der die serbische Propaganda in Makedonien zu organisieren hatte, wurde im Jahre 1886 unter dem Namen Sveti Sava gegründet.49 Die Propagandisten dieses Vereins argumentierten damit, daß die makedonischen Slawen sich irrtümlicherweise als „Bulgaren" bezeichneten, daß die Bulgaren selbst nicht einmal Slawen wären, daß nur Serbien Makedonien befreien könne usw.50 Die serbische Regierung schränkte jedoch die Aktivitäten von Sveti Sava bald ein und nahm die Propagandaarbeit in ih­re eigenen Hände,51 indem sie zunächst ein Referat für die „serbischen Schulen und Kirchen außerhalb Serbiens" im Erziehungsministerium (1887) und später eine be­sondere Propagandaabteilung zum selben Zweck im Außenministerium (1889) ein­richtete,52 Die Bemühungen der serbischen Regierung, als interessierte Partei aner­kannt zu werden, die für die Wahrung eigener nationaler Ansprüche in Makedonien eintrat, stießen jedoch zunächst auf erhebliche Schwierigkeiten. Das griechisch-or­thodoxe Patriarchat, das die Propagandatätigkeit Serbiens anfänglich duldete,53 än­derte seine Haltung, als die hellenistischen Interessen berührt wurden; die Regierung Griechenlands hatte beim Patriarchat interveniert, um zu verhindern, daß man in Kir-

46 Vgl. dazu Ch. Jelavich, Tsarist Russia and Balkan Nationalism. Russian Influence in the In­ternal Affairs of Bulgaria and Serbia, 1879-1886, Berkeley-Los Angeles 1962, S. 229.

47 Eine knappe Darstellung dieser Vorgänge ist enthalten in E. F. Tugay, „1877-78 Türk-Rus savasmdan sonra Balkanlarda durum" [Die Lage auf der Balkanhalbinsel nach dem türkisch-russischen Krieg von 1817-78], Belleten 36 (1972), S. 15-30.

48 Hierzu vgl. W. S. Vucinich, Serbia between East and West. The Events of 1903-1908, Stanford, Calif., 1954, S. 25.

49 Vgl. S. Jovanovic, Wacta Alekmndra Obrenovica [Die Regierung des Alexander Obrenovic], Bd. l.Beograd 1929, S. 90.

50 S. Gopcevic war mit seinem Werk, Makedonien und Alt-Serbien (Wien 1889), der führende Ideologe in dieser Kampagne. Vgl. Langer, The Diplomacy of Imperialism, S. 306.

51 Zur unterschiedlichen Beurteilung der Propagandaarbeit in Makedonien seitens des Vereins Sv. Sava und der serbischen Regierung siehe Jovanovic, a.a.O., S. 98-102.

52 Vgl. Jovanovic, a.a.O., S. 90. 53 Das Patriarchat erlaubte den orthodoxen Serben, den Gottesdienst in slawischer Sprache

abzuhalten und ihre Kinder in dieser Sprache zu unterrichten. Es verfolgte dabei das Ziel, den Anhängern des bulgarischen Exarchats in Makedonien die Rückkehr zum Patriarchat zu erleichtern. Vgl. ebd., S. 93.

I

Die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien 107

chenfragen den Serben entgegenkam.54 So blieb die Makedonische Frage der wunde Punkt der Innen- und Außenpolitik Serbiens, obwohl es der Belgrader Regierung ge­lungen war, von der Pforte das Zugeständnis zu erhalten, in Saloniki und Skopje (1886), und später in Monastir (1889), Konsulate eröffnen zu dürfen.55

Die serbische Propaganda in Makedonien wurde unter der Regierung der „Radikalen Partei" N. PaSiös ab 1889 verstärkt fortgesetzt. Die serbischen Konsuln in Makedo­nien stellten im Jahre 1891 ein neues Arbeitsprogramm auf, das im wesentlichen bis 1912 unverändert bleiben sollte. Darin wurde u.a. die Errichtung von Knaben-und Mädchenschulen an möglichst vielen Punkten Makedoniens, die unentgeltliche Ver­teilung von Schulbüchern, Sicherstellung der geregelten Bezahlung von Lehrern und die Gründung von Bruderschaften (bratstva) unter den in Serbien lebenden Makedo­niens vorgeschlagen.56 Bereits im darauffolgenden Jahr wurde in Saloniki eine serbi­sche Grundschule eröffnet;57 und im Jahre 1893 erklärte sich die Pforte damit ein­verstanden, daß die Serben im Vilayet Kosovo eigene Schulen unterhielten.58 Die Serben gingen in ihrem Eifer, die serbische Bildung in Makedonien zu verbreiten, so weit, daß sie Schulen auch in Gemeinden gründeten, in denen keine Serben waren. Die Eröffnung einer Grundschule in Seres (Ostmakedonien), deren Schüler z.T. aus Debar (Westmakedonien) herangeholt werden mußten, ist dafür ein Beispiel.59 Auf diese Weise jedoch erreichten sie bis Ende des Jahrhunderts, daß sie de facto als ernst zu nehmende Partei in der Makedonischen Frage anerkannt wurden.60

Parallel zu dieser Propagandatätigkeit in Makedonien strebte Serbien in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts auf diplomatischem Wege nach einer Abgrenzung der jeweiligen Interessengebiete der Balkanstaaten in Makedonien. Zu diesem Zweck ver­suchte man, sich zuerst mit Griechenland zu arrangieren, da bekannt war, daß Bul­garien einer solchen Teilung Makedoniens nicht zustimmen würde.61 Das Arrange­ment mit Griechenland aber, wäre es zustande gekommen, hätte die völlige Außer-

54 Vgl. E. Kofos, Nationalism and Communism in Macedonia, S. 29. 55 Siehe Jovanovic, a.a.O., S. 90-91. Die relative Erfolglosigkeit Serbiens in Makedonien be­

lastete auch die Beziehungen des Landes zu Österreich-Ungarn. Seitdem die Doppelmonar­chie Serbien vor der Niederlage des Jahres 1885 nicht bewahrt hatte, war ihr Ansehen in diesem Land ohnehin gesunken, während der Einfluß Rußlands immer größer geworden war. König Milan Obrenovic, der als ein Freund Österreichs galt, sah sich im Jahre 1889 ge­zwungen, zugunsten seines Sohnes Alexander abzudanken; die „Radikale Partei" des russo-philen Politikers Paäic kam an die Macht. Vgl. dazu Langer, The Diplomacy of Imperialism, S. 307.

56 Vucinich, a.a.O., S. 26. 57 Katardziev, Serskiot okrug . . . , S. 87-88. 58 Vgl. H. Marcuse, Serbien und die Revolutionsbewegung in Makedonien, S. 25. 59 Vgl. Katardziev, a.a.O., S. 90. 60 H. Marcuse, ein zeitgenössischer (und serbenfreundlicher) Beobachter, bemerkte dazu: „Die

Tatsache, daß es überhaupt Serben in Makedonien gibt, ist bis in die neueste Zeit hartnäckig geleugnet worden . . . Bulgaren wie Griechen leugnen das Vorhandensein der Serben in Makedonien. Und doch beweist ihre eigene Tätigkeit, daß es nicht nur Serben dort gibt, sondern daß man diese als ernste und gefährliche Gegner betrachtet." A.a.O., S. 11.

61 PaSic besuchte 1889 Sofia. Es war jedoch unmöglich, eine Verständigung mit Stambolov über Makedonien zu erzielen. Vgl. Langer, a.a.O., S. 308.

108 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

achtlassung der bulgarischen Interessen in Makedonien bedeutet.62 Beide Parteien beabsichtigten denn auch, das gesamte Gebiet allein unter sich aufzuteilen.63 Die Unterhandlungen begannen im Jahre 1890 in Istanbul, blieben jedoch vorerst ergeb­nislos.64 Nach einer längeren Unterbrechung wurden sie im August 1892 in Athen erneut aufgenommen. Serbien beanspruchte für sich das ganze albanisch-makedoni­sche Gebiet bis zu einer Linie im Süden, die von der Stadt Berat in Albanien über die südlich gelegenen Städte des Vilayets Monastir, Kastoria und Florina, dann südlich von Strumica bis zum Fluß Mesta in Ostmakedonien verlief. Der griechische Außen­minister Dragoumis dagegen verlangte die Städte Nevrokop, Melnik, Strumica, Mo­nastir, Prilep und Krusevo für Griechenland.65 Ein gegenseitiges Entgegenkommen zeigten die Parteien auch diesmal nicht. Während aber Serbien und Griechenland bilateral über die Aufteilung Makedoniens verhandelten, war Bulgarien dabei, seine Position in Makedonien weiter zu festigen. Wegen der politischen Krise, in welche das Land nach der Vereinigung mit Ostrume-lien und nach dem Sieg über Serbien infolge russischer Intrigen geraten war,66 und welche auch nach der Wahl Ferdinands zum Fürsten von Bulgarien im Jahre 1887 keineswegs überwunden wurde,67 schien der neuen Regierung unter St. Stambolov die Verfolgung einer friedlichen Makedonienpolitik opportun. Anstatt, wie bis da­hin, die osmanische Regierung durch subversive Tätigkeiten in Makedonien unter Druck zu setzen, versuchte man nun, die Pforte auf dem Verhandlungswege davon zu überzeugen, daß die Förderung der bulgarischen Sache in Makedonien auch den osmanischen Interessen diente,68 Die Erwartungen Bulgariens, auf diese Weise Zuge­ständnisse von der Pforte in Makedonien zu erhalten, wurden weitgehend erfüllt, als die Pforte im Jahre 1890 drei berats für die exarchistischen Metropoliten von Ochrid, Monastir und Skopje ausstellte; im Jahre 1894 folgte die Ausstellung zweier weite-

62 Bulgarien enthielt sich jeden Dialogs über Makedonien, um nicht das Mitspracherecht Grie­chenlands bzw. Serbiens in dieser Frage anerkennen zu müssen. Vgl. H. Batovski, „Balkan-skite drzavi i makedonskoto prasanje pred i po Ilindenskoto vostanie" {Die Balkanstaaten und die Makedonische Frage vor und nach dem Ilinden-Aufstand], Binden 1903, Skopje 1970, S. 95.

63 Man kümmerte sich nicht darum, daß dieses Gebiet noch unter osmanischer Souveränität stand, denn man war der Ansicht, daß die Tage der osmanischen Herrschaft in Europa ge­zählt waren. Vgl. ebd.

64 A. Angelopoulos, „The Relations between the Ecumenical Patriarchate and the Church of Serbia during the Period 1885-1912", BS 13 (1972), S. 120.

65 Vgl. Jovanovic, a.a.O., S. 94-95 ; Langer, The Diplomacy of Imperialism, S. 310. 66 Näheres über diese Krise in Istorija na Bülgarija, Bd. 2, S. 94-108. 67 In Rußland hielt man die Wahl Ferdinands für nicht verfassungsmäßig. Siehe H. R. Madol,

Ferdinand von Bulgarien. Der Traum von Byzanz, Berlin 1931, S. 30-34. 68 „Stambulovs Grundsatz war es gewesen, Reibungen mit der Türkei, die Aufrührung der

mazedonischen Frage, zu vermeiden, die leicht zu unübersehbaren Folgen führen konnte. Für ihn gab es auf der Balkanhalbinsel nur einen Verbündeten: die Türkei, vorausgesetzt, daß sie die Durchdringung ihrer europäischen Provinzen mit bulgarischen Bischöfen, Kir­chen und Schulen gestattete." R. von Mach, Aus bewegter Balkanzeit 1879-1918, Berlin 1928, S. 151, zit. nach von Königslöw, Fürst Ferdinand von Bulgarien, München 1966, S. 175.

Die Gründung der makedonischen Befreiungsorganisation 109

rer berats für die Metropoliten von Nevrokop und Veles.69 Insbesondere das bulgari­sche Schulwesen in Makedonien sollte von dieser „turkophilen" Politik Stambolovs profitieren.70 Dank der Eröffnung von neuen Ausbildungsstätten für Lehrer konnte das exarchistische Unterrichtswesen qualitativ wie quantitativ verbessert werden. Das bulgarische Dorfschulsystem in Makedonien wurde hauptsächlich in dieser Periode ausgebaut. Die junge Generation von Makedoniern, die durch diese Schulen ging, sollte die revolutionären Kader der späteren Jahre abgeben,71

Trotz ihrer offensichtlichen Verdienste um die bulgarische Sache wurde die Make­donienpolitik Stambolovs sowohl von den russophilen Kreisen als auch von den ma­kedonischen Emigranten in Bulgarien als für die nationalen Interessen Bulgariens schädlich bekämpft. Die in Bulgarien lebenden Makedonier glaubten fest daran, daß die Befreiung ihres Landes — wie vorher die Befreiung Bulgariens — nur durch Ruß­land erfolgen könne. Sie verlangten daher eine bulgarische Regierung, die gute Bezie­hungen zu Rußland unterhielt.72 Im März 1891 wurde in Sofia ein Attentat auf Stam-bolov verübt; dabei kam jedoch nicht er, sondern der Finanzminister Belc"ev ums Le­ben.73 An der Vorbereitung dieses Attentats waren auch Makedonier beteiligt.74 Der Vorfall diente dem Ministerpräsidenten als Vorwand, scharfe Maßnahmen gegen sei­ne russophilen Gegner zu ergreifen. Eine der Personen, die im Zusammenhang mit dem Attentat in Sofia festgenommen wurden, war ein Makedonier namens Damjan Gruev. Diesem gelang es, nach zwei Wochen Arrest aus Sofia zu flüchten.75 Er und seine Freunde gründeten gegen Ende des Jahres 1893 ein Revolutionskomitee in Sa­loniki, das die makedonische Befreiungsbewegung in neue Bahnen lenken sollte,

3. DIE GRÜNDUNG DER MAKEDONISCHEN BEFREIUNGSORGANISATION

In den Jahren 1893-95 nahmen die Terrorhandlungen armenischer Revolutionäre im Osmanischen Reich stark zu,76 Dabei kam es wiederholt zu blutigen Zusammen-

69 Vgl. von Königslöw, a.a.O., S. 157-158. 70 Während seiner Regentschaft in Bulgarien (September 1886-Juli 1887) schlug Stambolov

dem Sultan vor, daß dieser sich zum Zar der Bulgaren krönen lassen solle. Von daher war Stambolov als Turkophil bekannt. Vgl. Istorija na Bülgarija, Bd. 2, S. 106.

71 D. Blagoev hebt das Verdienst der Stambolov-Regierung für die bulgarisch-makedonische Volkserziehung und somit für die revolutionäre Sache in Makedonien besonders hervor. Siehe „Makedonskij vopros, Bolgarija i russkoe pravitel'stvo" (Die Makedonische Frage, Bulgarien und die russische Regierung (geschrieben 1903)], in: Süiinenija, Bd. 8, Sofija 1958, S. 532-533.

72 Zu den russisch-bulgarischen Beziehungen in jener Zeit siehe Ch. Jelavich, „Russo-Bulga-rian Relations, 1892-1896: With Particular Reference to the Problem of the Bulgarian Succession",/M// 24 (1952), S. 341-351.

73 Istorija na Bülgarija, Bd. 2, S. 117. 74 Siehe ebd. 75 Vgl. Siljanov, Osvoboditelnite borbi na Makedonija, Bd. 1,8. 38-39. 76 Zu den armenischen revolutionären Parteien und Terrororganisationen in den 90er Jahren

des 19. Jh. siehe L. Nalbandian, The Armenian Revolutionary Movement. The Develop­ment of Armenian Political Parties through the Nineteenth Century, Berkeley-Los Angeles

110 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

Stößen zwischen Christen und Mohammedanern. Diese Ereignisse wurden in europä­ischen Zeitungen gewöhnlich als „Massaker an Christen" bezeichnet, wodurch sich in der öffentlichen Meinung Europas Empörung gegen das Osmanische Reich breit­machte.77 Etwa zur selben Zeit brachen auf Kreta politische Unruhen aus. Die christ­liche Mehrheit der Bevölkerung verlangte im Jahre 1895 die Ernennung eines Chri­sten als Gouverneur der Insel und, wenig später, den Anschluß an Griechenland.78

Politische Unruhen dieser Art stellten für die Großmächte Anlässe dar, bei der osma-nischen Regierung zugunsten der christlichen Bevölkerung zu intervenieren.79

In dieser neuen, für die Entfaltung nationaler Bewegungen außerordentlich günstigen reichspolitischen Konstellation konnte die makedonische Befreiungsbewegung, die parallel zur Gründung des bulgarischen Staates im Jahre 1878 begonnen hatte, nun in eine neue Formierungsphase eintreten. Es galt jetzt, die Möglichkeit einer revolu­tionären Aktivierung des Volkes durch geeignete Formen der Organisation zu nutzen. Hierbei war Eile geboten, weil das Osmanische Reich schneller als erwartet auseinan­derbrechen könnte und dann die Gefahr bestand, daß die benachbarten Staaten Ma­kedonien unter sich aufteilen würden.

Einige makedonische Studenten in Sofia waren sich dieser Gefahr bewußt. Sie hielten die Zeit für gekommen, eine revolutionäre Organisation in Makedonien zu gründen, „bevor die serbische Propaganda das Volk zersplitterte."80 Einer dieser Studenten, Damjan Gruev, spielte bei der Bildung eines Revolutionskomitees in Saloniki am 23. Oktober 1893 (a.S.) denn auch eine Schlüsselrolle. Die anderen Mitglieder des Komitees waren Dr. Christo Tatarcev (Arzt), Petür Pop Arsov (Lehrer), Ivan Hadf i-nikolov (Buchhändler), Dr. Anton Dimitrov (Lehrer, zugleich Richter bei einem os-manischen Gericht) und Christo BostandJEiev (Lehrer).81 Über die Ziele dieses Komitees teilt TatarCev in seinen „Erinnerungen" folgendes mit;

über das Ziel dieser Organisation wurde lange diskutiert. Wir entschieden uns dann für die Autonomie Makedoniens unter Bevorzugung des bulgarischen Elements. Wir konnten den Standpunkt des „direkten Anschlusses Makedoniens an Bulgarien" nicht einnehmen, weil wir sahen, daß dies wegen des Widerstandes der Großmächte und der ehrgeizigen Pläne der benachbarten Kleinstaaten und der Türkei auf große Schwierigkeiten stoßen würde."

Diese Organisation nannte sich „Makedonische Revolutionäre Organisation" (Make-donska revoljucionna organizaci/a).83 Ihre Satzung wurde in Anlehnung an die des

1963, S. 104-178. Über die Armenische Frage zu jener Zeit vgl. auch Langer, The Diplo­macy of Imperialism^. 145-166.

77 Ansätze zu einer neuen Beurteilung der Armenischen Frage in diesem Zusammenhang ent­hält der Aufsatz von S. Duguid, „The Politics of Unity: Hamidian Policy in Eastern Ana­tolia", MES 9 (1973), S. 139-155,

78 Über die Kreta-Frage siehe Driault/Lhéritier, a.a.O., S. 301-404. 79 So drängten England, Rußland und Frankreich im Jahre 1895 der osmanischen Regierung

ein Reformprogramm für die ostanatolischen Provinzen, in denen (neben Kurden und Tür­ken) die Armenier lebten, auf. Vgl. Bayur, Türk inküabi tarihi, 1/1, S. 82-86.

80 Spomeni na Damjan Gruev [Die Erinnerungen Damjan Gruevs], Sofija 1927, S. 8, zit. nach G. Georgiev, J. Sopov, Ilindenskoto vùstanie, S, 65.

81 Siehe Pürvijat centralen komitet na VMRO. Spomeni na Dr. Christo Tatarcev, S. 101. 82 Ebd., S. 102. (Übersetzung von F. A.) 83 Siehe ebd., S. 103. Vgl. auch Siljanov, a.a.O., Bd. 1, S. 39.

Die Gründung der makedonischen Befreiungsorganisation 111

„Bulgarischen Zentralen Revolutionären Komitees", das in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts in Bukarest tätig gewesen war, verfaßt.84

Im Laufe ihrer Geschichte haben sich Satzung und Namen der makedonischen Be­freiungsorganisation mehrmals geändert. Über das Wann und Wie dieser Änderungen ist man sich jedoch in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur keineswegs einig. I. Katard2iev meint, daß in den Gründungsdokumenten zwar die Bezeichnung „Bul­garische Makedonisch-Adrianopoler Revolutionäre Komitees" (Bülgarski makedono-odrinski revoljucionni komiteti, Abk. BMORK) verwendet worden sei,85 diese Be­zeichnung aber habe man bereits 1896 durch eine neue ersetzt: „Die Geheime Make­donisch-Adrianopoler Revolutionäre Organisation" (Tajnata makedono-odrinska re-voljucionna organizacija, Abk. TMORO).86 Katardzievs Auffassung widerspricht so­mit den von Tatarcev gemachten Angaben, wonach sich die Organisation bei ihrer Entstehung (wie bereits erwähnt) „Makedonische Revolutionäre Organisation" nann­te. Katard2ievs Auffassung wurde von K. Pandev angefochten.87 Dieser weist darauf hin, daß die ersten Dokumente der revolutionären Organisation bis heute unentdeckt geblieben sind.88 Er veröffentlicht zwei erhalten gebliebene Satzungen, deren eine die Überschrift „Bulgarische Makedonisch-Adrianopoler Revolutionäre Organisation" trägt und aus dem Jahre 1896 datieren soll,89 während die andere „Die Geheime Ma­kedonisch-Adrianopoler Revolutionäre Organisation" überschrieben ist und erst im Jahre 1902 verfaßt worden sein soll.90

Diese entgegengesetzten Standpunkte sind Ausdruck der Tatsache, daß die Frage der Nationalität der makedonischen Slawen ••» sind sie Bulgaren, Serben oder ein Volk mit eigenem Nationalbewußtsein? - heute wie damals strittig ist. SogehtKatardiiev, ein jugoslawischer Historiker, davon aus, daß die makedonische revolutionäre Orga­nisation zwar als eine bulgarisch-nationale Einrichtung entstanden sei, sich jedoch bereits zwei Jahre nach ihrer Gründung gegen den bulgarischen Einfluß abzugrenzen versucht habe,indem sie 1897 das Attribut „bulgarisch" aus ihrer Satzung entfernte. Diese Grundeinstellung kennzeichnet heute den überwiegenden Teil der historischen Untersuchungen der sogenannten „Skopje-Schule".91 Auf der anderen Seite wirft der Bulgare K. Pandev Katardziev ungewissenhaften Umgang mit dem vorhandenen Quellenmaterial vor. Er beklagt sich außerdem darüber, daß viele Historiker in Bul-

84 Pürvijat centralen komitet..., S. 102-103. 85 Siehe „Nekoi praäanja za ustavite i pravilnicite na VMRO do Uindenskoto vostanie" (Eini­

ge Fragen über die Statuten und Reglements der IMRO bis zum Ilinden-Aufstand], GINI5 (1961), l .S. 156, 162.

86 Siehe ebd., S. 153. 87 Siehe „Ustavi i pravilnici na VMORO predi Ilindensko-Preobrajenskoto vüstanie" (Statu­

ten und Reglements der IMARO vor dem Ilinden-Preobrazenie-Aufstand], /// BAN 21 (1970), S. 245-274.

88 Siehe ebd., S. 245. 89 Siehe ebd., S. 249. 90 Ebd.,S. 247. 91 Z.B. siehe Pandevski, Nacionalnoto praSanje MO makedonskoto osloboditelno dviienje,

1893-1903, Skopje 1974.

112 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

garien Katardzievs falsche Version kritiklos übernommen hätten.92 Nach Pandevs Meinung hat sich die makedonische revolutionäre Organisation im Grunde als eine „bulgarische" Bewegung verstanden. Erst in der neuen Satzung, die im Jahre 1902 ausgearbeitet worden sei, fehle dann das Attribut „bulgarisch". Im Rahmen dieser Untersuchung ist es nicht möglich, den oben dargestellten Fragen­komplex endgültig zu klären. Es darf jedoch daraufhingewiesen werden, daß der öster­reichisch-ungarische Konsul in Üsküb, Para, seinem Bericht Nr. 225 von 14, Novem­ber 1902 ein Dokument in der Übersetzung beifügt, das er als das neue Statut der revo­lutionären Organisation bezeichnet.93 Dieses Dokument trägt die Überschrift: „Sta­tut der geheimen Macedo-Adrianopeler revolutionären Organisation" und ist allem Anschein nach mit dem von Pandev veröffentlichten Dokument, das dieser auf das Jahr 1902 datiert, ebenso identisch wie mit dem Statut, das nach Meinung Katardf ievs jedoch schon im Jahre 1897 verfaßt worden sein soll. Angesichts dieser Sachlage ist eher anzunehmen, daß nicht die von Katardziev, sondern die von Pandev stammende Datierung der Dokumente die richtige ist. In der vorliegenden Untersuchung wird -in Anlehnung an Pandev — davon ausgegangen, daß die revolutionäre Organisation bis 1902 „Bulgarische Makedonisch-Adrianopeler Revolutionäre Komitees" (BMORK) hieß. Im Jahre 1902 erfolgte die Umbenennung in „Die Geheime Makedonisch-Adrianopeler Revolutionäre Organisation" (TMORO). Ab 1905 schließlich wird VMORO und noch später VMRO („V" für vütreSna, „innere") die offizielle Bezeich­nung. Die Zeitgenossen jedoch benutzten im täglichen Leben von Anfang an den Ausdruck „Innere Organisation", wenn sie die makedonische revolutionäre Organi­sation meinten, und zwar im Unterschied zu dem „äußeren", in Bulgarien gegründe­ten „Oberen Makedonischen Komitee". Einfachheitshalber wird auch in der vorlie­genden Arbeit die Bezeichnung „Innere Organisation" (I. O.) bevorzugt verwendet, wo nicht eine genauere Bestimmung erforderlich sein sollte. Auch die Entstehung des „Oberen Makedonischen Komitees" (Vürchoven makedon-ski komitet), das als die zweite makedonische Befreiungsorganisation gegründet wurde, geht in die 90er Jahre des 19. Jahrhunderts zurück. Um die Unterschiede zwischen diesem Komitee in Sofia und der Inneren Organisation in Saloniki aufzu­zeigen und die besondere Rolle des Sofiaer Komitees innerhalb der makedeoni-schen Befreiungsbewegung bestimmen zu können, ist es jedoch notwendig, die in­nenpolitische Lage in Bulgarien, insbesondere die dynastischen Interessen des Fürsten Ferdinand, mit zu berücksichtigen,

Die Wahl Ferdinands zum Fürsten von Bulgarien (1887) war in Rußland als ein anti­russischer Akt empfunden worden. Dadurch, daß sich die Bulgaren gegen Prinz Min-grel'skij, den Kandidaten des Zaren, und für Ferdinand entschieden hatten — für einen

92 Vgl. „Ustavi i pravitnici. . .", Anm. 1, S. 245-246. Tatsächlich wird sowohl in der von der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen „Geschichte Bulgariens", als auch in den Werken bekannter bulgarischer Historiker das Datum der TMORO-Satzung mit 1896 angegeben. Siehe z.B. Istorija na Bülgarija, Bd. 2, S. 168; D. K'osev, Goce Delöev. Biografiten oderk (G. Delcev. Eine biographische Skizze), Sofija 1967, S. 58-61 ;Georgiev/ Sopov, Ilindenskoto vüstanie, S. 68.

93 HHStA, PA XXXVIII/432.

Die Gründung der makedonischen Befreiungsorganisation 113

Mann, dessen enge Verbindung zum Wiener Hof allgemein bekannt war - hatten sie Rußland brüskiert.94 Der Umstand, daß Ferdinand auch noch katholisch war, machte seine Wahl doppelt beleidigend für den Zaren.95 Als Antwort darauf weigerte sich Alexander III., Ferdinand als den legitimen Herrscher Bulgariens anzuerkennen.96

Dadurch waren die europäischen Staaten praktisch gezwungen, Ferdinand ihre Aner­kennung ebenfalls zu verweigern.97 Auch der Sultan, dem die Freundschaft des Za­ren eine wichtige Stütze seines autokratischen Regimes bedeutete, fand sich nicht bereit, die formell notwendige Bestätigung zur Einsetzung Ferdinands zu erteilen, obwohl Bulgarien in der nun folgenden Stambolov-Ära (1887-1894) betont gute Beziehungen zum Osmanischen Reich unterhielt. Die Chance zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Bulgarien und Rußland wurde durch die Heirat Ferdinands mit der Tochter des katholischen Herzogs von Bourbon-Parma (1893), die eine Fe­stigung seiner Beziehungen zu den katholischen Dynastien Europas bedeutete,98

noch kleiner, da diese Verbindung überdies zu einer Zeit erfolgte, als in Rußland die Orthodoxie unter dem Einfluß des Zarenlehrers K. P. Pobedonoscev zum Grund­pfeiler des Staates erklärt wurde,99

Die international umstrittene Wahl Ferdinands hatte eine Vertiefung der schon be­stehenden Spaltung Bulgariens in ein austrophiles und ein russophiles Lager zur Fol­ge. In der Zeit der betont österreichfreundlichen Regierung Stefan Stambolovs trat die Gegensätzlichkeit dieser Lager immer deutlicher hervor.100 Um die starke russophile Opposition unterdrücken zu können, bediente sich Stambolov diktatori­scher Methoden und wurde daher im Volke mehr und mehr unbeliebt.101 Dem Für­sten Ferdinand dürfte etwa vom Zeitpunkt seiner Heirat ( 1893), d.h. von der Begrün­dung einer bulgarischen Dynastie unter seinem Namen, an als unklug erschienen sein, sich innenpolitisch weiterhin ausschließlich auf eine Partei, nämlich auf die unpopu­lären „Stambolovisten", zu stützen; seine ohnehin prekäre Position wäre dadurch zu-

94 Vgl. von Königslöw, a.a.O., S. 28-67. 95 Nach Thronantritt Ferdinands, dessen Kandidatur durch den päpstlichen Stuhl unterstützt

worden war, entfaltete die katholische Kirche eine starke Propaganda in Bulgarien. Vgl. Madol, Ferdinand von Bulgarien . . . , S. 42.

96 Hierzu u.z. folg. vgl. von Königslöw, a.a.O., S. 67-79. 97 England und Öst.-Ung. betrachteten die Wahl Ferdinands als rechtmäßig, waren aber solan­

ge nicht in der Lage, sie de jure anzuerkennen, bis die Zustimmung aller Signatarmächte des Berliner Vertrages erfolgte. Deutschland stellte sich in dieser Frage hinter Rußland. Vgl. Madol, a.a.O.. S. 36-37; A. Pantev, „Anglija, Germanijaibülgarskijatvüpros(avgust 1887-mart 1890)" (England, Deutschland und die bulgarische Frage(August 1887-März 1890)1, in: Bälgarsko-germanski otnoüeni/a i vrüzki [Bulgarisch-deutsche Beziehungen und Verbin­dungen], Bd. 1, Sofija 1972, S. 101-102.

98 von Königslöw, a.a.O. S. 146-148. 99 M. C. Wren, „Pobedonostsev and Russian Influence in the Balkans, 1881-1888", JMH 19

(1947), S. 130-142; Ch. Jelavich, „Russo-Bulgarian Relations, 1892-1896 . . ."; A. K. Martynenko, Russko-bolgarskie otnoSeni/a v 1894-1904 gg. [Russisch-bulgarische Bezie­hungen, 1894-1902), Kiev 1967, S. 9-28.

100 Über die pro- und antirussischen Strömungen im damaligen Bulgarien siehe D. Blagoev, „Rusofilskoto i rusofobskoto tecenija u nas" [Die russophilen und russophoben Strö­mungen bei uns (geschrieben 1895)1, in: Sücinenija, Bd. 3, Sofija 1957, S. 400-412.

101 Martynenko, a.a.O., S. 29.

114 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

sätzlich gefährdet gewesen.102 Wenn er die Zukunft seiner Dynastie sichern wollte, ' mußte er eine Revision der von Stambolov verfolgten antirussischen Linie durchset- -zen. Er mußte sich früher oder später mit dem Zaren versöhnen; denn nur Rußland konnte ihm internationale Anerkennung verschaffen. Eine Aktivierung der makedonischen Bewegung hätte in diesem Zusammenhang den Interessen Ferdinands am besten gedient, weil Rußland dadurch aus mehreren Grün­den veranlaßt worden wäre, ihn anzuerkennen:,03 Zum einen würde das Aufflammen der aufständischen Bewegung in Makedonien den Frieden in einer Zeit gefährden, wo Rußland sich im Fernen Osten zu engagieren gedachte. Einer solchen Gefahr hätte der Zar durch die Anerkennung Ferdinands begegnen können. Zum anderen würde Rußland nicht umhin können, für die Sache der makedonischen Slawen Partei zu ergreifen. Auch das würde eine Anerkennung des Fürsten zur Folge haben, da er und der Zar sich zwangsläufig als Verbündete auf derselben Seite befinden würden. Au­ßerdem würde eine zielstrebige Makedonienpolitik Ferdinands innenpolitische Stel­lung stärken, weil er sich dabei der Unterstützung des russophilen Bürgertums, das gleichzeitig bulgarisch-national gesinnt war, sicher gewesen wäre. Schließlich würde die osmanische Regierung durch Aufstände in Makedonien zu neuen Zugeständnis­sen zugunsten der bulgarischen Seite in Makedonien gezwungen werden. Auch das würde das Ansehen Ferdinands in Bulgarien heben.

Die Wendung in den Beziehungen Bulgariens zu Rußland und zum Osmanischen Reich trat mit der Absetzung Stambolovs im Mai 1894 ein.104 Die neue Regierung unter K. Stoilov erhielt vom Fürsten den Auftrag, eine Versöhnung mit Rußland herbeizu­führen.105 Im Zuge dieser Entwicklung veranstaltete man in den Monaten November und Dezember desselben Jahres Massenkundgebungen in Sofia, in denen die Forde­rung nach Reformen in Makedonien erhoben wurde.106 Die etwa zu jener Zeit statt­findende Intervention Europas zugunsten eines Reformprogramms für Armenien be­einflußte die Vorgänge in Bulgarien zweifelsohne.107 Gegen Ende des Jahres 1894 war dann in Sofia unter der Führung von Trajko Kitanöev, eines Makedonien aus Resen, ein brüderlicher Bund (bratski sujuz) entstanden, in dem etwa 20 Makedo-niervereine in Bulgarien zusammengefaßt worden waren.108 Im März 1895 tagte in

102 Vgl. Madol, a.a.O., S. 73. Zur Abkühlung der Beziehungen zwischen Stambolov und Fer­dinand siehe von Königslöw, a.a.O., S. 162-166.

103 Hierzu u.z. folg. vgl. Blagoev, „Makedonskij vopros, Bolgarija i russkoe pravitel'stvo"; Martynenko, a.a.O., S. 53-54.

104 Vgl. Langer, Diplomacy of Imperialism, S. 313 ; Martynenko, a.a.O., S. 30. 105 Istorija na Bûlgari/a , Bd. 2, S. 139-140; Martynenko, a.a.O., S. 31, 33; von Königslöw,

a.a.O., S. 170. 106 Katardziev, Serskiot okrug . . . . S. 105;von Königslöw, a.a.O., S. 175. 107 „Das Beispiel Armeniens ist vor unseren Augen und zeigt uns deutlich, daß allein von einer

Reihe revolutionärer Bewegungen erwartet werden kann, daß der Berliner Vertrag in den unter türkischem Joch gebliebenen Gebieten zur Anwendung kommt." D. Blagoev, „Vüsta-niceskiot dviienie v Makedonija" [Die aufständische Bewegung in Makedonien (geschrie­ben 1895)1, in: Süeinenija, Bd. 3,S. 431-432. (Übersetzung von F. A.)

108 Vgl. Siljanov, Osvoboditelnite borbi..., Bd. 1, S. 55; Katardziev, Serskiot okrug . . . , S. 107.

Die Gründung der makedonischen Befreiungsorganisation 115

Sofia ein Makedonier-Kongreß, der von diesem Bund einberufen worden war. Wäh­rend dieser Tagung gründete man das „Obere Makedonische Komitee" {Vürchoven makedonski komitet) mit dem Auftrag, die makedonische Befreiungsbewegung in­nerhalb und außerhalb Makedoniens zu organisieren und zu führen. Das Erringen der politischen Autonomie für Makedonien war das Hauptziel des O.M.K.109 Dies sollte hauptsächlich auf dem Wege der Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Europa und in Bulgarien verwirklicht werden. Dazu erachtete man folgende Maßnah­men als geeignet: Organisierung von Presse-Kampagnen; Agitation in anderen Balkan­ländern für Zusammenarbeit im Interesse der Autonomie; Veranstaltungen von poli­tischen Kundgebungen; Unterstützung nur derjenigen Kandidaten für die bulgarische Volksvertretung, die sich die Sache des Komitees zu eigen machten; Entsendung von Delegationen an die europäischen Höfe, usw. Etwa zur gleichen Zeit leitete die bulgarische Regierung eine diplomatische Aktion ein, die auf die Aktivitäten des O.M.K. abgestimmt war. Mit einer Note vom 8. Juni 1895 forderte sie von der Pforte die Einführung derjenigen Reformen in Makedonien, die nach Art. 23 des Berliner Vertrages vorgesehen waren.110 Ihr ging es jedoch in Wirklichkeit darum, vom Sultan neue berats für die geplanten exarchistischen Metro-polien von Monastir, Debar, Strumica, Melnik und Kukus in Makedonien zu erhal­ten.111 In diesem Zusammenhang drohte Grigor NaCovic", der bulgarische Außenmi­nister, daß, wenn die bulgarischen Wünsche unerfüllt blieben, die makedonische Be­völkerung massenhaft nach Bulgarien flüchten würde.112 Dahinter stand - kaum ver­hüllt - die Absicht der bulgarischen Regierung, einen Aufstand in Makedonien zu provozieren,

Das O.M.K. und die bulgarische Regierung machten im Laufe des Sommers 1895 tat­sächlich den Versuch, die Bevölkerung Makedoniens zum Aufstand zu bewegen,Da­zu wurden vier Spezialabteilungen in Bulgarien ausgerüstet, die teils von berühmten makedonischenWoiwoden, teils von jungen Offizieren der bulgarischen Armee geführt wurden.113 Auf ihren Einfall in Makedonien waren allerdings die osmanischen Behör­den vorbereitet. Da zudem die Bauern in keiner Weise mit den Eindringlingen gemein­same Sache machten, erlitten die Abteilungen große Verluste. Hinzu kam, daß sich die von dem Woiwoden Dedo Stoju geführte Gruppe von den anderen drei Abteilun­gen abwandte und ihr früheres Räuberdasein wieder aufnahm.114 Nur der öeta von Boris Sarafov gelang es, bis nach Melnik vorzustoßen.115 Der Versuch, durch verhält­nismäßig kleine, vom Ausland (Bulgarien) gesteuerte Operationen die makedonische Bevölkerung für nicht in deren Interesse liegende Zwecke zu mißbrauchen, endete also mit einem vollen Mißerfolg.

109 Hierzu u.z. folg. vgl. Katardziev, a.a.O., S. 108;K'osev, GoceDeliev, S. 42. 110 Istori/a na Bùlgarija (Ausg. 1955), Bd. 2, S. 149. 111 Vgl. ebd. 112 Ebd. 113 Hierzu vgl. Katardiiev, a.a.O., S. 117; K'osev, Goce Delcev, S. 56;von Königslöw, a.a.O.,

S. 176. 114 Katardziev, a.a.O., S. 118. 115 Istori/a na Bülgarija (Ausg. 1955), Bd. 2, S. 149.

116 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

Die schnelle Unterdrückung dieses „Melnik-Aufstandes" berührte die bulgarische Re­gierung nach außen hin wenig, Sie verhielt sich so, als ob sie mit den Vorgängen in Makedonien nichts zu tun hätte.116 Insgeheim war man mit dem Ergebnis sogar recht zufrieden, da der eigentliche Zweck des Unternehmens erfüllt war: Nicht nur war das Interesse der Öffentlichen Meinung in Europa für die makedonischen Angelegenhei­ten geweckt worden, sondern auch die Aufmerksamkeit Rußlands war wieder auf den Balkan gelenkt und zugleich die osmanische Regierung eingeschüchtert worden,117

Die bulgarisch-russischen Beziehungen entwickelten sich nun in eine für Ferdinand günstige Richtung. Der neue Zar Nikolaus II. - Alexander III. starb im Herbst 1894 -fand sich bereit, Ferdinand anzuerkennen, als dieser im Februar 1896 die Salbung sei­nes Sohnes Boris nach den Riten der Orthodoxen Kirche hatte vornehmen lassen.1'8

Im selben Monat besuchte Ministerpräsident Stoilov Istanbul, wo er den Sultan über die neue Lage in Kenntnis setzte. Daraufhin ernannte Abdulhamid II. Ferdinand of­fiziell zum Fürsten von Bulgarien und zum Gouverneur von Ostrumelien.119 Er erließ außerdem im April 1896 ein Reformprogramm flir die makedonischen Provinzen, das allerdings an den Verhältnissen dort nichts ändern sollte.120

4. DER ÜBERGANG ZUM OFFENEN CETA-KRIEG IN MAKEDONIEN

Nachdem Ferdinand von allen Herrscherhäusern Europas als Fürst von Bulgarien an­erkannt worden war, und nachdem die Beziehungen Bulgariens zu Rußland und zum Osmanischen Reich sich normalisiert hatten, wurde vielen Makedoniern klar, daß die Regierung in Sofia die makedonische Bewegung mißbraucht hatte, um ihre außenpo­litischen Probleme vorteilhafterlösen zu können. In diesem Sinn stellte der „Melnik-Aufstand" 1895 eine nützliche Erfahrung für die Befreiungsbewegung dar. Anschlie­ßend begann eine Diskussion unter den in Bulgarien lebenden Makedoniern über das Verhältnis des O.M.K. zu der bulgarischen Regierung, in deren Verlauf viele Make-donier das O.M.K. verließen und diesem gegenüber eine oppositionelle Haltung ein­nahmen.121

116 Katardziev, Serskiot okrug . . . , S. 122. 117 Rußland war bereits im Fernen Osten engagiert gewesen. In den Jahren 1894-95 wurde

die Aufmerksamkeit der russischen Regierung wegen des japanisch-chinesischen Krieges in Anspruch genommen. Lobanov schlug damals dem Zaren vor, Ferdinand endlich anzuer­kennen, um auf diese Weise die Ruhe auf dem Balkan zu bewahren. Vgl. Marty nenko, Russ-ko-bolgarskie otnoienija, S. 53.

118 Boris war schon katholisch getauft worden. Nun wurde er also zur Orthodoxie bekehrt. Vgl. Madol, a.a.O., S. 89-90; Ch. Jelavich, „Russo-Bulgarian Relations, 1892-1896", S. 351 ; Martynenko, a.a.O., S. 79-80; von Königslöw, a.a.O., S. 171-172, 184-189.

119 Karal, Osmanli tarihi, Bd. 8, S. 152; Martynenko, a.a.O., S. 80-86. 120 R. Popov, Avstro-Ungarija ireformite v Evropejska Turcija 1903-1908 [Österreich-Ungarn

und die Reformen in der Europäischen Türkei, 1903-1908], Sofija 1974, S. 35-36. 121 Bekannte Sozialisten, wie D. Blagoev (Gründer der bulgarischen sozialdemokratischen Ar­

beiterpartei, der Vorläuferin der heutigen KPB), N. Harlakov, G. Vasilev u.a., waren an­fänglich in den Reihen des O.M.K. tätig. Blagoev war z.B. Präsident der makedonischen Bruderschaft in Plovdiv, während Harlakov das Organ des O.M.K., Reformi, herausgab. Diese versuchten nach 1895 mit allen Mitteln, das O.M.K. als Werkzeug Ferdinands zu ent-

Der Übergang zum offenen ceta-Krieg in Makedonien 117

Die bulgarische Regierung und das Obere Makedonische Komitee hinterließen mit ihren abenteuerlichen Unternehmen in Makedonien auch bei den dortigen Revolu­tionären einen negativen Eindruck. Die Gründer des „Makedonischen Revolutionä­ren Komitees" in Saloniki erkannten, daß die Errichtung einer echt makedonischen revolutionären Organisation mit breiterer gesellschaftlicher Basis schneller vorange­trieben werden müßte, wenn man verhindern wollte, daß Ereignisse dieser Art sich wiederholten. Das bisherige Tätigkeitsfeld des,,inneren" Komitees war sehr begrenzt gewesen: Man hatte etwa während des Treffens in Resen im August 1894 beschlos­sen, dafür zu sorgen, daß als Lehrer an den bulgarisch-makedonischen Schulen in erster Linie die Komitee-Anhänger eingestellt werden sollten.122 Auch die Räte der Schulgemeinden sollten nach Möglichkeit mit eigenen Leuten besetzt werden.123 Da­mit bezweckte man offensichtlich, die städtisch-bürgerliche Schicht der Bevölkerung für sich zu gewinnen, wobei das Bauerntum einfach vergessen wurde.124 Diese in der ersten Tätigkeitsphase der Inneren Organisation zu beobachtende Tendenz ist daraus erklärbar, daß ihre Gründer durchweg Vertreter der städtischen Intelligenz Makedo­niens waren, die sich aus den sozio-ökonomisch besser gestellten Schichten der Be­völkerung rekrutierte.125

In diesem Zusammenhang ist die allmähliche Verbreitung sozialistischer Ideen auf der Balkanhalbinsel von Bedeutung. Vasil Glavinov aus Veles, Makedonien, der seit 1887 als Tischler in Sofia arbeitete, scheint dabei der erste makedonische Sozialist gewesen zu sein.126 Ab 1893 war er ein Anhänger der Ideen D.Blagoevs. Als Mitglied der Bulgarischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei ging er 1894 nach Makedo­nien zurück und gründete in seiner Heimatstadt Veles einen sozialistischen Bildungs­verein, der 65 Mitglieder hatte. Seit Ende 1894 schon wieder in Bulgarien, war Gla­vinov beim zweiten Kongreß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei im Juli 1895 in Sofia anwesend, als die Partei den Beschluß faßte, der Makedonischen Frage mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Anfang 1896 entstand dann im Rahmen der Sozialde­mokratischen Arbeiterpartei Bulgariens eine „Makedonische Revolutionäre Sozial­demokratische Gruppe",127 in welcher Glavinov, Nikola Petrov Rusinski, Nikola Ka­

iarven. Vgl. O. Ivanoski, Balkanskite socijalisti i makedonskoto praSanje [Die Balkan-Sozia­listen und die Makedonische Frage], Skopje 1970, S. 171-172.

122 Vgl. Pürvijat centralen komitet. . . , S. 104. 123 Ebd. 124 Hierzu vgl. Siljanov, Osvoboditelnite borbi. . . , Bd. 1, S. 42-43, und Katardüiev, Serskiot

okrug.. . ,S. 102. 125 So war Ch. Tatarcev, der Vorsitzende des ZK des „inneren" Komitees in Saloniki, Sohn

einer reichen Familie in Resen, Westmakedonien. Sein Vater besaß mehrere Landgüter, war als Bankier tätig und trieb Handel. Tatarcev erhielt seine Hochschulbildung in Zürich und Berlin. Siehe Pürvijat centralen komitet. . . , S. 93-94. Zu diesem Fragenkomplex vgl. D. Miljovska, „Mestoto i ulogata na inteligencijata vo Ilindenskata narodna revolucija" [Der Platz und die Rolle der Intelligenz in der nationalen Revolution am Ilindenl, in: Ilinden 1903, S. 83 ; Pandevski, Nacionalnoto praSanje . . . , S. 66.

126 Hierzu u.z. folg. vgl. G. T. Madolev, „Vasil Glavinov - pioner na socialisticeskoto dvizenie v Makedonija i Odrinsko" [V. Glavinov, ein Pionier der sozialistischen Bewegung in Makedo­nien und im Vilayet Adrianopel], IP 24 (1968), 2, S. 66-81.

127 M. Pandevski gibt als Gründungsdatum der Gruppe das Jahr 1893 an. Vgl. Nacionalnoto praSanje . . . ,S. 241.

118 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

rev und Velko Markov zusammenarbeiteten. Glavinovs Tischlerwerkstatt in Sofia diente sozialistisch eingestellten makedonischen Fremdarbeitern in Bulgarien als Klubraum.128 Hier wurden auch die Zeitschriften Revoljucija (1895) und Politiües-ka svoboda (1898-99) herausgegeben. Die beste Auskunft über die Fragen, wie die Haltung der sozialistischen Gruppe Gla­vinovs der makedonischen Befreiungsbewegung gegenüber war und wie sich die So­zialisten die Befreiungsbewegung in Makedonien vorstellten, erhält man, wenn man die diesbezüglichen Ansichten D. Blagoevs, des geistigen und politischen Führers der bulgarischen Sozialisten, kennenlernt. In einem Aufsatz aus dem Jahre 1895 über die aufständische Bewegung in Makedonien schrieb dieser, daß dort eine Bevölkerung lebe, die von einem bis zur Wildheit fanatisierten asiatischen Volksstamm, den Tür­ken, mißhandelt werde. Dies allein sei Grund genug, jede aufständische Bewegung in Makedonien zu unterstützen.129 Nur auf diese Art und Weise könne der Sultan dazu bewegt werden, seinen Untertanen mehr Rechte zuzugestehen. Andererseits sei man sich aber auch der Tatsache bewußt, daß es dem patriotischen Bürgertum Bulgariens ein „nationales Anliegen" sei, alle Bulgaren in einem „Gesamtbulgarien" zu vereini­gen. Dieses „Gesamtbulgarien" jedoch sei eine Illusion; vor ihrer Verwirklichung stün­den zu viele Hindernisse. So würde erstens das Osmanische Reich Makedonien nicht abgeben wollen, da dies den endgültigen Abzug der Türken aus Europa bedeutete. Zweitens würde sich auch Österreich dem Entstehen eines Großbulgarien in den Weg stellen, da es einen Teil Makedoniens, einschließlich der Hafenstadt Saloniki, selbst annektieren wolle. Die Doppelmonarchie würde lieber die Unversehrtheit des Osma-nischen Reiches verteidigen, als erlauben, daß Makedonien einem Balkanstaat ein­verleibt würde.

Blagoev nahm diese seine Gedanken drei Jahre später wieder auf und führte sie wei­ter. Man habe während der achtjährigen Regierungszeit der österreichfreundlichen Partei in Bulgarien geglaubt, die „nationalen Ideale" mit Hilfe Österreich-Ungarns verwirklichen zu können.130 Auf ähnliche Weise glaube die russophile Partei, die das Land nunmehr regiere, dieselben Ideale mit Hilfe Rußlands verwirklichen zu kön­nen. Man jage wieder einer Illusion nach. Rußland habe nämlich nie die Absicht ge­habt, zur Gründung eines großbulgarischen Reiches auf dem Balkan Hilfestellung zu leisten.131 Die Hoffnung der bulgarischen Patrioten, daß ein autonomes Makedonien sich leicht mit Bulgarien vereinigen lassen würde, sei ein Traum. Vielmehr würde ein autonomes Makedonien zum Zankapfel zwischen den Balkanstaaten werden. Man müsse allerdings Verständnis dafür zeigen, wenn die Makedonier - aber nur diese selbst - Autonomie für ihre Heimat verlangten. Dieses Ziel sei aber nur dann zu er­reichen, wenn die Bevölkerung im Innern Makedoniens demonstrieren würde, daß sie bereit sei, sich mit allen Mitteln vom Türkenjoch zu befreien.132

128 Ivanoski, Balkanskite socijalisti . . . . S. 68-69; Pandevski, a.a.O., S. 241. Intellektuelle -z.B. Studenten - dagegen wurden dort nur selten angetroffen. Vgl. D. Vlachov, Memoari, Skopje 1970, S. 26.

129 Hierzu u.z. folg. vgl. „Vüstaniöesko dvizenie v Makedonija", S. 429-433. 130 „Vütreien pregled" [Eine Übersicht über die Innere Lage (geschrieben 1898)], in: Sücine-

nija, Bd. 4, Sofija 1957, S. 552. 131 Blagoev, „Vütreäen pregled", S. 553. 132 Ebd., S. 554.

Der Übergang zum offenen ceta-Krieg in Makedonien 119

Der Kern dieser Ausführungen Blagoevs war, daß die Makedonier ihr Land nur befrei­en könnten, wenn sie den revolutionären Weg einschlügen und sich dabei ausschließ­lich auf ihre eigenen Kräfte verließen. Die Taktik des Sofiaer Komitees, durch Insze­nierung blitzartiger Einfälle in Makedonien die Einmischung Europas zugunsten der makedonischen Autonomie herbeizuführen, müßte unmißverständlich abgelehnt wer­den. Die Befreiung Makedoniens könnte nicht von Bulgarien aus organisiert werden. Das Zentrum der Befreiungsbewegung sollte in Makedonien selbst liegen. Eine solche Grundeinstellung setzte allerdings voraus, daß die Masse der Bevölkerung, also das Bauerntum, in die revolutionäre Organisation einbezogen wurde. Ohne eine langwie­rige Vorbereitungsarbeit geleistet zu haben, die in diesem Falle erforderlich sein wür­de, könnte an eine Volkserhebung in Makedonien ohnehin nicht gedacht werden. Es war der makedonische Revolutionär Goce Delôev (1872—1903), der sich diese Auffassung zu eigen machte und versuchte, sie in die Praxis umzusetzen. Delëev war im Jahre 1891, nach Abschluß der sechsten Klasse des bulgarischen Gymnasiums in Saloniki, in die Offiziersschule von Sofia aufgenommen worden.'33 In Sofia machte er von der Möglichkeit Gebrauch, die sozialistische Literatur der Zeit kennenzuler­nen.134 Bald geriet er unter den Einfluß bekannter makedonisch-bulgarischer Sozia­listen, wie D. Blagoev, D. Hadzi Dimov und V. Glavinov.135 An den Aktivitäten ver­schiedener makedonischer Gruppierungen in Bulgarien nahm er regelmäßig teil. We­gen seiner Beziehungen zu revolutionären Kreisen sollte er jedoch im Jahr 1894 als gemeiner Soldat aus der Offiziersschule entlassen werden.136

Nach Makedonien zurückgekehrt, erhielt Delc"ev im Herbst 1894 den Posten eines Lehrers an der bulgarischen Schule von Novo Selo bei Stip,137 Zu jener Zeit war Da-mian Gruev, der Gründer des „makedonischen revolutionären Komitees", als Direk­tor der bulgarischen Schule in §tip tätig.138 Über diese Begegnung mit Delüev schrieb Gruev folgendes:

Delcev hatte bereits Ideen, die den unsrigen ähnlich waren. Auch er war von der sozialisti­schen Lehre angesteckt gewesen, auch er hatte sich unter dem Einfluß der revolutionären Lehre in Bulgarien befunden, auch er war selbständig zu der Überzeugung gekommen, daß Makedonien befreit werden müsse.'"

133 Vgl. P. K. Jaworoff, Götze Deltscheff, Wien 1925, S. 14; K'osev, GoceDeliev, S. 24; Ch. Andonov-Poljanski, Goce Delöev i njegovo vreme [G. Delcev und seine Zeit], Skopje 1972, S. 29.

134 Hierzu u.z. folg. vgl. Andonov-Poljanski, a.a.O., S. 35-37. 135 Wie K. Miljovski mit Recht darauf hinweist, darf man allerdings G. Delcev keinesfalls als

einen marxistischen Sozialisten betrachten. Vielmehr war er ein radikal-demokratischer Führer innerhalb einer nationalen Befreiungsbewegung. Vgl. „Ednonenaucnotolkuvanje na suänost na makedonskoto nacionalnoosloboditelno dvüenje i mestoto i ulogata na Goce Deldev vo nego" [Eine unwissenschaftliche Interpretation des Wesens der makedonischen nationalen Befreiungsbewegung und der Platz und die Rolle G. Delcevs in dieser Bewe­gung], in: Goce Delcev i makedonskoto nacionalno revolucierno dvüenje, Skopje 1973, S. 85.

136 Vgl. Jaworoff, a.a.O., S. 16-17; K'osev, a.a.O., S. 26-28. 137 Andonov-Poljanski, a.a.O., S. 43. 138 Vgl. Siljanov, Osvoboditelnite borbi... , Bd. 1, S. 43. 139 Spomeni na Damjan Gruev, zit. bei K'osev, a.a.O., S. 48. (Übersetzung von F. A.).

120 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

Beide begannen nun auf revolutionärem Gebiet zusammenzuarbeiten. Während Gruev seine Aufmerksamkeit auf die Stadt Stip konzentrierte, übernahm Delöev die Aufga­be, die umliegenden Dörfer für die revolutionäre Bewegungzu gewinnen.140 Innerhalb kurzer Zeit wurde Stip und seine Umgebung in die Innere Organisation einbezo­gen.141 DelCev unternahm im April 1895 außerdem eine Reise durch Makedonien, die ihn über Ovce Pole nach Veles, Saloniki, Kukus, Dojran, Strumica und Rado-viste führte. In vielen Ortschaften, die er besuchte, wurden Revolutionskomitees gebildet.142

Am Anfang des Jahres 1896 reiste Delöev dann nach Sofia, um Kontakt mit den Ver­tretern des Oberen Makedonischen Komitees aufzunehmen.143 Hierbei verfolgte er das Ziel, einerseits das Sofiaer Komitee zur Nichteinmischung in Makedonien zu über­reden, andererseits zu erreichen, daß die makedonischen Vereine in Bulgarien Geld-und Waffenhilfe an die Innere Organisation leisteten.144 Um das Einschleusen von Literatur, Waffen und Munition nach Makedonien zu erleichtern, schuf DelCev ein System „geheimer Kanäle", die die bulgarischen Grenzbezirke Koöanovo, Rila, Kü-stendil und Dupnica mit den makedonischen Grenzbezirken Razlog, Dzumaja, Care-vo Selo, Stip und KoCana verbanden.145

Delöev hatte mit seiner Tätigkeit in Stip Organisierungsfragen berührt, die im Som­mer 1896 ins Zentrum der Diskussion rückten, als sich die führenden Revolutionäre in Saloniki trafen.146 Hier beauftragte man ihn, in Zusammenarbeit mit Goröe Petrov eine Satzung und ein Reglement für die nunmehr „Bulgarische makedonisch-adriano-peler revolutionäre Komitees" (BMORK) genannte Organisation auszuarbeiten.147

In diesen Dokumenten spiegelt sich die innere Struktur der revolutionären Organi­sation in Makedonien wider. Nach Art. 5 der Satzung teilte sich die Innere Organi­sation (BMORK) in Bezirks-, Kreis- und Dorfkomitees auf.148 Das Zentralkomitee in Saloniki war das höchste Entscheidungsgremium. Offensichtlich war man bestrebt gewesen, Lenkungsmechanismen der Organisation nach zentralistischem Prinzip zu errichten. Die Zahl und Kompetenzbereiche der Bezirkskomitees wurden vom ZK, die der Kreiskomitees von den Bezirkskomitees und die der Dorfkomitees von den Kreiskomitees bestimmt.149 Dem ZK war sogar das Recht eingeräumt worden, Füh­rungsaufgaben in Bezirken und Kreisen in gewissen Fällen Personen anzuvertrauen, die das ZK selbst auswählte.150 Die Leiter der Mitgliedszellen auf der untersten Ebe-

140 Andonov-Poljanski, a.a.O., S. 43. . 141 Vgl. Andonov-Poljanski, a.a.O., S. 44. 142 Ebd. 143 Hierzu u.z. folg. vgl. Spomeni na Gjorce Petrov [Erinnerungen G. Petrovs], Skopje 1950,

S. 46-47. 144 Vgl. K'osev, Goce Deliev, S. 54; Andonov-Poljanski, a.a.O., S. 45. 145 Siljanov, Osvoboditelnite borbi.... Bd. 1, S. 45. 146 Zum „Kongreß von Saloniki" siehe Siljanov, a.a.O., S. 45-46; Georgiev und Sopov, flin-

denskoto vüstanie, S. 70; Andonov-Poljanski, a.a.O., S. 46-47. 147 Vgl. Spomeni na G. Petrov, S. 48;Pandev, „Ustavi i pravilnici. . . , S. 245. 148 Pandev, „Ustavi i pravilnici. . . ", S. 249. 149 Vgl. ebd. Das gesamte Territorium der BMORK wurde in 7 „Revolutionsbezirke" aufge­

teilt: Saloniki, Monastir, Skopje, Stip, Strumica, Seres und Adrianopel. Siehe Siljanov, Osvoboditelnite borbi. . . , Bd. 1, S. 46.

150 Gemäß Art. 6 der Satzung der BMORK. Siehe Pandev, a.a.O., S. 249.

Der Übergang zum offenen ceta-Krieg in Makedonien 121

ne wurden ebenfalls „von oben" ernannt.151 Hier wird der undemokratische Charak­ter der inneren Struktur der Organisation deutlich; hierin lag zugleich die Gefahr, daß im Falle einer Verhaftung der Mitglieder des ZK, die Führung der Organisation für längere Zeit lahmgelegt worden wäre. Nach Art. 10 der Satzung hatte jedes Ko­mitee seine eigene „Geheimpolizei".152 Die Aufgabe dieser Polizei bestand im we­sentlichen darin, die Strafen zu vollstrecken, die wegen Schädigung der revolutionären Sache den Feinden — aber auch Anhängern —der Organisation auferlegt wurden.153

In vielen Fällen wurden Vergehen mit dem Tode bestraft,154 und es war auch der Härte solcher Strafen zuzuschreiben (neben genauer Befolgung von Vorsichtsmaß­nahmen, wie die Benutzung von unsichtbarer Tinte in der Korrespondenz, die, grund­sätzlich verschlüsselt, durch geheimen Kurierdienst aufrechterhalten wurde),155 daß die Existenz einer subversiven Organisation in Makedonien bis November 1897 ge­heim blieb.

In diesem Jahr, am 26. November 1897, tauchte eine Räuberbande aus Bulgarien in osmanischer Militäruniform im Dorf Vinica (Nordmakedonien) auf, verübte einen Raubmord an einem Türken und kehrte dann nach Bulgarien zurück.156 Die Haus­durchsuchungen in Vinica, die am darauffolgenden Tag von osmanischen Sicherheits­behörden angestellt wurden, ergaben, daß in Häusern von friedlichen Bauern große Mengen von Waffen und Munition versteckt waren. Die Regierungsstellen hatten so per Zufall eine politische Untergrundorganisation - die BMORK - aufgedeckt. Die politische Bedeutung dieser Aufdeckung war insofern groß, als zum ersten Mal die osmanische These widerlegt wurde, daß Unruhen in Makedonien ausschließlich durch Einmischung aus Bulgarien entstünden. Die Öffentlichkeit erfuhr, daß in Makedo­nien eine ernst zu nehmende lokale Befreiungsbewegung existierte. Die Behörden

. dehnten nun ihre Durchsuchungen auf das gesamte Vilayet Üsküb aus. Geheime Waffen- und Munitionslager entdeckte man an vielen Orten. Hunderte von Men­schen wurden verhaftet.157 Furcht und Panik ergriff die exarchistische Bevölke­rung Makedoniens.158 Die Organisierungsarbeit, die nach dem Treffen von Salo-

151 Vgl. Art. 4 der Satzung der BMORK, Pandev, a.a.O., S. 249. 152 Siehe ebd., S. 250. 153 Vgl. Art. 37 des Reglements der BMORK, ebd., S. 255. 154 Vgl. Art 41 des Reglements der BMORK, ebd., S. 255. 155 Vgl. hierzu Art. 27 bis 33 des Reglements, Pandev, a.a.O., S. 254. 156 Hierzu u.z. folg. vgl. La Macédoine et le vilayet d'Andrinople (1893 -1903). Memoire de

l'Organisation Interieure, (Sofija) 1904, S. 9-12. 157 Allerdings muß festgestellt werden, daß die Behörden nicht jedes Haus durchsuchen ließen,

worin sie Waffen vermuteten. Dies geht aus den Instruktionen an den Sonderausschuß her­vor, der Anfang 1898 vom Ministerrat beauftragt wurde, die Vorgänge in Vinica zu unter­suchen. Nach diesen sollte die christliche Bevölkerung nicht nach Gewehren, sondern ledig­lich nach Dynamit und Bomben durchsucht werden. Eine rigorose Entwaffnung der Chri­sten komme nicht in Frage, weil man dann gezwungen sein würde, auch die mohammeda­nische Bevölkerung zu entwaffnen, was aber unerwünscht sei. Darüber hinaus solle das Mili­tärgericht nur in wenigen Fällen Strafe verhängen; die Mehrheit der schuldig gefundenen Personen solle man nach Hause schicken mit dem Hinweis auf sultanische Gnade usw. Vgl. Dorev, Dokumenti iz turskite düriavni archivi, Bd. 2, Nr. 267.

158 Vgl. La Macédoine et le vilayet d'Andrinople, S. 12; Christo Matov za svojata revoljucion-na dejnost (Ch. Matov über seine revolutionäre Tätigkeit], [Sofija] 1928, S. 24-25.

122 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

niki von der BMORK verstärkt vorangetrieben worden war, erlitt einen heftigen Rückschlag.159

Der Vorfall in Vinica war für die Innere Organisation auch deshalb folgenschwer, weil diese sich nun gezwungen sah, die Phase der bewaffneten Auseinandersetzung mit der Staatsmacht verfrüht einzuleiten.160 Das war jedoch nur einer der Faktoren dieses Übergangs, die anderen sind in der politischen Entwicklung des Jahres 1897 auf der Balkanhalbinsel zu suchen - eine Entwicklung, die in der Makedonischen Frage auf lange Sicht die Weichen stellte. Das wichtigste Ereignis des Jahres 1897 in diesem Raum war der griechisch-osmani-sche Krieg.161 Zwischen den Unruhen auf Kreta, die diesen Krieg auslösten, und der Makedonischen Frage bestand in dem Sinne ein Zusammenhang, daß es sich in bei­den Fällen um Bestrebungen christlicher Volksgruppen handelte, sich vom Osmani-schen Reich zu trennen und dann mit dem jeweiligen Mutterland zu vereinigen. Die Januar-Unruhen auf Kreta wurden daher von den makedonischen Christen mit Anteil­nahme verfolgt.162 Die Bedeutung des Kreta-Konfliktes liegt füruns denn auch darin, daß hier geprobt wurde, wie erfolgreich die bewaffneten Aktionen sein konnten, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur Befreiung einer christlichen Minderheit des Os-manischen Reiches unternommen wurden. Der Verlauf der Kreta-Krise war in dieser Hinsicht überaus ermutigend: Die Aufständischen proklamierten am 6. Februar 1897 die Vereinigung der Insel mit Griechenland und baten den König der Hellenen darum, Kreta in Besitz zu nehmen.163 Daraufhin liefen am 13. Februar vier griechische Schiffe mit 1500 Mann regulärer Truppen an Bord nach Kreta aus, um die Insel zu besetzen.164

In dieser Situation schalteten sich die Großmächte, deren Flotten vor der Küste der Insel vor Anker lagen, in die Kreta-Frage ein, um die weitere Entwicklung der Krise unter ihre Kontrolle zu bringen; sie ließen am 15. September eine kleine Streitmacht landen und schlugen die Errichtung einer autonomen Verwaltung für die Insel vor, die

159 „L'affaire de Vinitza porta un coup sensible à l'organisation révolutionnaire de la région d'Uskub. Outre les pertes matérielles en arms et autres munitions qu'elle lui causa, elle dé­cima les rangs révolutionnaires. . .", La Macédoine et le vilayet d'Andrinople, S. 14.

160 „L'organisation révolutionnaire intérieure abandonnait la période d'organisation calme pour entrer dans celle de l'action orageuse. Cette nouvelle activité n'était pas le résultat d'une évolution progressive des choses, mais celui de ses nouvelles conditions d'existence créées par l'affaire de Vinitza." La Macédoine et le vilayet d'Andrinople, S. 14 15.

161 Zu diesem Krieg siehe Driault und Lhéritier, Histoire diplomatique de la Grèce, Bd. 4, S. 347-468; Langer, The Diplomacy of Imperialism, S. 355-384;Karal, Osmanh tarihi, Bd. 8, S. 112-118. Baron Giesl, der als öst.-ung. Militärattache die osmanische Armee beglei­tete, gibt einen Augenzeugenbericht in Zwei Jahrzehnten im Sahen Orient. Aufzeichnun­gen des Generals der Kavallerie Baron Wladimir Giesl. Herausg. von Generalmajor Ritter von Steinitz, Berlin 1927, Kapitel HI.

162 Die griechisch-patriotische Gesellschaft Ethniki Etairia, die ununterbrochen die Gegensätze auf Kreta verschärfte, betrachtete diese Unruhen als Einleitung zur Verwirklichung ihrer Pläne in Bezug auf Makedonien. Vgl. Langer, The Diplomacy of Imperialism, S. 356 358.

163 Vgl. Driault und Lhéritier, a.a.O., S. 341; Langer, a.a.O., S. 357-358. 164 Schultheis' Europäischer Geschichtskalender 13 (1897), S. 303; Driault und Lhéritier,

a.a.O., S. 345; Langer, a.a.O., S. 357-358.

Der Übergang zum offenen ceta-Krieg in Makedonien 123

jedoch formal weiterhin unter der Souveränität des Sultans bleiben sollte. Die Pforte akzeptierte diesen Vorschlag, die Regierung in Athen lehnte ihn ab.165

Einzelne griechische Einheiten begannen am 9. April 1897 die osmanische Grenze in Richtung Makedonien zu überschreiten. Als auch das Gros der griechischen Armee zum Angriff überging, brach am 18. April der Krieg aus.166 Er dauerte nicht lange und endete mit einer Niederlage für Griechenland. Am 11. Mai bat Griechenland um Frieden und vertraute dabei die Wahrnehmung seiner Interessen den Großmächten an.167 Diese zwangen nun dem Osmanischen Reich einen Frieden auf, der in keiner Weise die Ursachen und den Ausgang des Krieges berücksichtigte, jedoch andererseits für die damalige Haltung der europäischen Mächte gegenüber dem Osmanischen Reich charakteristisch war. Griechenland brauchte an das Osmanische Reich weder Terri­torium abzutreten noch irgendwie bedeutende Kriegsentschädigung zu zahlen.168

Kreta erhielt autonome Verwaltung unter einem christlichen Gouverneur. Prinz Georg von Griechenland wurde trotz heftigen Widerstandes der Hohen Pforte von den Großmächten als Gouverneur der Insel eingesetzt.169 Die Feststellung eines Zeitgenossen kennzeichnet die Situation: „Es muß zugegeben werden, daß die Türkei um die Jahrhundertwende nicht mehr das ,Recht' hatte, ,recht' zu ha­ben."170

Es blieb den revolutionären Bewegungen im Osmanischen Reich überlassen, die Leh­re aus der Entwicklung auf Kreta zu ziehen: Der bloße Versuch, sich gegen die Osma-nenherrschaft zu erheben, würde genügen, die Einmischung Europas herbeizuführen, was wiederum die Gewährung der Autonomie an das betroffene Gebiet zur Folge ha­ben würde. Dieser Logik entsprechend müßten auch die benachbarten Balkanstaaten erkannt haben, daß man das Osmanische Reich militärisch angreifen könnte,ohne ir­gendwelche Risiken einzugehen. Daß die Osmanen trotzdem aus Europa immer noch nicht hinausgeworfen worden waren, lag wohl daran, daß diese Staaten (und die Groß­mächte) sich über die Aufteilung des Erbes des Osmanischen Reiches bis dahin nicht hatten einigen können. Diese Uneinigkeit sollte sich auch während des griechisch-osmanischen Krieges of­fenbaren und war zugleich eine Voraussetzung dafür, daß der Sieg des osmanischen Heeres möglich wurde. Als zu Anfang des Jahres 1897 der Krieg zwischen Griechen­land und dem Osmanischen Reich unausbleiblich schien, geriet man in den Balkan­hauptstädten hauptsächlich deshalb in Aufregung, weil man befürchtete, daß Grie-

165 Zu dieser Intervention der Großmächte siehe Driault und Lhéritier, a.a.O., S. 347-367. 166 Vgl. Driault und Lhéritier, a.a.O., S. 389-392.Schultheis, a.a.O., S. 304. 167 Driault und Lhéritier, a.a.O., S. 404. 168 „Rarely has a victorious power been put off with so little of the fruits of victory; even

more rarely has a state so completely defeated as Greece emerged from a war of aggression so lightly penalized. The principle that territory once taken from the infidel Turk and assign­ed to a Christian power could never be returned to Moslem rule was sanctified by the pro­ceedings of the great states in 1897." Langer, The Diplomacy of Imperialism, S. 377. Zu den Bestimmungen des griechisch-osmanischen Friedensvertrages vom 4. Dezember 1897 siehe Schulthess, a.a.O., S. 308-309.

169 Vgl. Driault und Lhéritier, a.a.O.. S. 462 466 170 Giesl, Zwei Jahrzehnte im Nahen Orient, S. 37.

124 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

chenland sich Vorteile in Makedonien zuungunsten der slawischen Balkanstaaten verschaffen würde.171 Vor allem wollte Bulgarien auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Die Sofiaer Regierung schlug im Januar 1897 der griechischen Regierung vor, gemeinsam ein Reformprojekt für Makedonien auszuarbeiten und dies dann den Großmächten zur Überprüfung vorzulegen.172 In Athen dachte man jedoch an eine Teilung Makedoniens und war nicht bereit, ein Reformprojekt für Gesamtmakedo­nien zu akzeptieren, weil dies unweigerlich den Weg zur makedonischen Autonomie ebnen würde und somit nur den bulgarischen Interessen gedient hätte.173

Erwies sich eine Übereinkunft in der Makedonischen Frage zwischen Griechenland und Bulgarien als unmöglich, so gelang es, eine Verständigung hierüber zwischen Ser­bien und Bulgarien zu erzielen. Man unterschrieb während des Besuchs des serbischen Königs Alexander im Februar 1897 in Sofia einen Makedonien betreffenden Geheim­vertrag, die sogenannte ugodba,1™ Nach Art. 2 dieses Vertrages verpflichteten sich die Parteien, ohne vorheriges Übereinkommen nichts zu unternehmen, was eine Än­derung des status quo auf dem Balkan zur Folge haben könnte.175 Der Art. 3 des Vertrages bedeutete die Anerkennung der Existenz serbischer Interessen in Makedo­nien durch Bulgarien:

Solange die Sphäre der serbischen und bulgarischen Interessen in den Provinzen des Otto­manischen Reiches im gegenseitigen Einvernehmen nicht festgesetzt sein wird, verpflich­ten sich die beiden Regierungen, in nationalen, kirchlichen, und Schulfragen sich nicht nur einander nicht behinderlich zu sein, sondern sich auch gegenseitig zu unterstützen.176

Nach diesem Rapprochement waren Bulgarien und Serbien bestrebt, als Gegenleistung für ihre Neutralität im griechisch-osmanischen Krieg eine Belohnung von der Pforte zu erhalten. Vor allem wären ihnen weitere Erleichterungen für die Propagandatätig­keit im kirchlich-schulischen Bereich willkommen. Da auch die osmanische Regierung daran interessiert war, zu verhindern, daß ein Balkanbund gegen sie zustande kam, wurden die serbischen und bulgarischen Wünsche weitgehend erfüllt. Neben der Er­laubnis zur Gründung neuer serbischer Schulen in Makedonien ist das Entgegenkom­men der Pforte hervorzuheben, das darin bestand, einen Serben zum griechisch-or­thodoxen Metropoliten von Skopje zu ernennen.'77 Bulgarien erhielt die berats zur Er­richtung der exarchistischen Metropolien von Monastir und Debar.178 Außerdem durf­ten in wichtigeren Städten Makedoniens bulgarische Handelsagenturen eröffnet wer­den,die von nun an als diplomatische Vertretungen Bulgariens fungieren sollten.179

171 Vgl. Jovanovic, Vlada Aleksandra Obrenovica, Bd. 1, S. 365-366;Driault/Lheritier, a.a.O., S. 393.

172 Langer, The Diplomacy of Imperialism, S. 367. 173 Ebd., S. 368. 174 Siehe Jovanovic, a.a.O., S. 367. 175 Zum Text des Vertrages siehe E. Walters, „The Serbo-Bulgarian Secret Treaty of 19 Feb­

ruary 1897", ne Slavonic (and East European) Review 28 (1950), S. 493-499. 176 Ebd., S. 498. Allerdings fand sich Bulgarien auch gegenüber Serbien nicht bereit, die In­

teressensphären in Makedonien geographisch festlegen zu lassen. 177 Vgl. Vucinich, Serbia between East and West, S. 27 ; Martynenko, a.a.O., S. 197. 178 Martynenko, a.a.O., S. 199.. 179 Vgl. Martynenko, a.a.O., S.183.

Der Übergang zum offenen ceta-Krieg in Makedonien 125

Sowohl die serbisch-bulgarische Annäherung als auch die Erringung der oben erwähn­ten Vorteile für diese slawischen Staaten waren zum Teil das Werk der russischen Di­plomatie.180 Die Balkanpolitik Rußlands beruhte damals auf dem Prinzip der unbe­dingten Erhaltung des status quo. Daher setzte die russische Regierung ihren Einfluß bei der Pforte dahingehend ein, daß das friedfertige Verhalten Bulgariens und Ser­biens honoriert und so die Ausweitung des Krieges verhindert wurde» Der Hauptver­treter dieser Politik in Rußland war der Finanzminister Witte, dem in erster Linie daran lag, die ehrgeizigen Projekte seines Landes im Fernen Osten ungestört voran­zutreiben.181 Der Erfolg dieser Politik hing davon ab, daß eine Verständigung mit Österreich-Ungarn über die Balkanangelegenheiten erzielt wurde« Die Balkanpolitik Österreich-Ungarns ging gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach den Worten des Außenministers Graf Goluchowski von den beiden folgenden Vorausset­zungen aus: a) „daß der Zusammenbruch der Türkei nunmehr eine Frage der Zeit sei", und b) „daß die in Rede stehenden (nördlichen-katholischen und mittleren-moham-medanischen) Teile Albaniens selbständig werden, etwa unter einem Fürsten, jedoch unter unserem Protectorate".182 Das Endziel dieser Politik war, „einen Keil zwischen Serbien und Montenegro [zu] treiben".183 Hierüber waren jedoch nicht alle österrei­chisch-ungarischen Diplomaten gleicher Meinung. Von einigen wurde darauf verwie­sen, daß die Ausübung eines Protektorats über Albanien nicht genügen würde, das ins Auge gefaßte Ziel zu erreichen. Vielmehr müsse man sich auf die militärische Be­setzung einiger Teile des Landes gefaßt machen: „Das Protektorat wäre nur das Fei­genblatt der Occupation".184 Derselbe Standpunkt wird vom Chef des Generalstabes, Friedrich Freiherr von Beck, wie folgt präzisiert:

Die militärischen Interessen, welche für uns auf der Balkanhalbinsel selbst, zu Lande auf dem Spiele stehen, gipfeln darin, daß Rußland daselbst keinen moralischen und materiel-

180 Mit Recht mißt Marty nenko der Rolle der russischen Diplomatie auf dem Balkan in jener Zeit eine große Bedeutung bei. Vgl. a.a.O., S. 177, 180, 182-183, 198, 200.

181 Über Witte siehe T. H. von Laue, Sergei Witte and the Industrialisation of Russia, New York 1963. Witte hatte im Jahre 1896 zur Ablehnung des Salisbury-Projektes durch Ruß­land wesentlich beigetragen. Nach diesem Projekt sollten bestimmte, im „Europäischen Konzert" zu vereinbarende Reformen im Osmanischen Reich nötigenfalls gewaltsam einge­führt werden. Die Absetzung des Sultans Abdulhamid II, war ebenfalls beabsichtigt. Witte war außerdem sowohl an der Ablehnung des Hanotaux-Plans, der die Erweiterung der Ver­waltung der osmanischen Staatsschuld vorsah, als auch des Nelidov-Plans, welcher die über­fallartige Besetzung des oberen Bosporus durch Rußland zum Inhalt hatte, hauptsächlich beteiligt. Über die Absichten Salisburys betreffend das Osmanische Reich siehe Langer, The Diplomacy of Imperialism, S. 327-330, 333-336. Zum Hanotaux-Plan siehe ebd., S. 332-333, und Martynenko, a.a.O., S. 178-179. Bezüglich des Nelidov-Plans siehe die Be­schlüsse einer kaiserlichen Konferenz am 5. Dezember 1896 in Carskoe Selo, in: M. S Anderson, (Hrsg.), The Great Powers and the Near East 1774-1923, London 1970, S. 127-130. Dieser Plan wird auch von Langer ausführlich analysiert, a.a.O., S. 337-348.

182 Die Protokolle einer interministerialen Konferenz über die Richtlinien der österreichisch­ungarischen Albanienpolitik, am 17. November, 8. und 23. Dezember 1896. HHStA, PA 1/473, Liasse XXXI/A, zitiert nach Schanderl, Die Albanienpolitik Österreich-Ungarns und Italiens, 1877-1908, S. 60.

183 Ebd. 184 Aus einem Schreiben des österreichisch-ungarischen Botschafters beim Vatikan, Graf Re-

vertera, an Graf Goluchowski, Rom, 20. März 1897. Zitiert nach Schanderl, a.a.O., S. 64.

126 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

len Kraftzuschuß gewinnen darf, welchem nicht ein analog aus der Teilung der Balkanhalb­insel für uns resultierender Vorteil gegenüberstunde.185

Nach Meinung des Chefs des Generalstabes sollte in einem österreichisch-ungarischen Machtbereich auf dem Westbalkan neben Serbien, Montenegro und dem zu errich­tenden Albanien auch ein autonomes Makedonien seinen Platz haben. Dieser make­donische Staat wäre wegen seiner Größe und seiner strategischen Lage „zu einem Stützpunkt unserer Macht zu machen."186

Die Regelung der Balkanfrage stand während des Besuches von Kaiser Franz Josef in St. Petersburg (27.-29. April 1897) auf der Tagesordnung. Die Ergebnisse der dort stattgefundenen Verhandlungen können als ein Kompromiß zwischen den öster­reichisch-ungarischen und russischen Interessen auf dem Balkan bezeichnet werden; sie bedeuten zugleich die Aufgabe des von Baron Beck vertretenen militärischen Standpunktes durch die Doppelmonarchie v187 Österreich-Ungarn und Rußland stimmten nun darin überein, daß die bestehenden Verhältnisse auf der Balkanhalb­insel so lange wie möglich beibehalten werden sollten. Derjenige Teil der Halbinsel, der westlich von den Flüssen Morava und Vardar lag, wurde als österreichisch-unga­risches, der östlich davon liegende als russisches Einflußgebiet festgelegt. Sollte jedoch der status quo unhaltbar werden, so würde man neben der Gründung eines autono­men Albaniens auch dafür sorgen, daß Makedonien unter den benachbarten Balkan­ländern gerecht aufgeteilt werden würde. Als das Jahr 1897 zu Ende ging, war also die Makedonische Frage in eine neue Phase ihrer Entwicklung getreten. Rußland, dessen Unterstützung bei der Erkämpfung der montenegrinischen, serbischen, griechischen, rumänischen und bulgarischen Unab­hängigkeit entscheidend gewesen war, nahm nun offiziell eine mißbilligende Haltung gegenüber der makedonischen Bewegung ein.188 Denjenigen Revolutionären, die nach autonomer Verwaltung für ein Gesamtmakedonien verlangten, mußte die russisch­österreichische Verständigung über den Balkan wie ein Schlag ins Gesicht vorgekom­men sein. Da auch Bulgarien die Teilung Makedoniens zumindest im Prinzip akzep­tierte, als es der ugodba mit Serbien zustimmte,189 waren diese Autonomisten dop­pelt enttäuscht.

185 Memorandum vom 2. April 1897: „Beiträge zur Klarstellung der bei einer etwaigen Ände­rung des status quo auf der Balkanhalbinsel in Betracht zu ziehenden Verhältnisse", ÖStA, Kriegsarchiv. Operations-Büro, fasc. 43, Nr. 29. Siehe Schanderl, a.a.O., S. 65.

186 Memorandum vom 2. April 1897: „Beiträge zur Klarstellung . . .", bei Schanderl, a.a.O., S. 66.

187 Zum Text der Vereinbarungen siehe Pribram, Die politischen Geheimverträge Österreich-Ungarns, Bd. 1,S. 78-81.

188 Die russische Politik in der Makedonischen Frage blieb widersprüchlich. Einerseits legte man den slawischen Regierungen des Balkans nahe, daß sie sich friedlich zu verhalten hät­ten, andererseits konnte man nicht umhin, die revolutionäre Bewegung, wenn auch halbher­zig, zu unterstützen, da sonst das Prestige Rußlands in diesem Teil der Welt völlig aufs Spiel gesetzt wäre. Vgl. Bayur, Türk inkilâbi tarihi, 1/1, S. 139.

189 Siehe den Kommentar des bulgarischen Außenministers Stoilov zum serbisch-bulgarischen Vertrag, wonach sich die vertragsschließenden Parteien als nur an Nordmakedonien interes­siert verstehen und Südmakedonien implizit als griechisches Interessengebiet ausklammern. Walters, „The Serbo-Bulgarian Secret Treaty . ..", S. 499.

Der Übergang zum offenen ceta-Krieg in Makedonien 127

Die Verhältnisse in Makedonien hatten sich, vom revolutionären Standpunkt aus be­trachtet, ebenfalls geändert. Die Tatsache, daß der allgemein erwartete Zusammen­bruch des Osmanischen Reiches nicht nur nicht eingetreten war, sondern dieses Reich auch noch einen militärischen Sieg über Griechenland errungen hatte, hatte das Selbst­bewußtsein der Osmanen erheblich gestärkt. Parallel dazu hatte das Prestige des Sul­tan-Kalifen in der islamischen Welt seinen Höhepunkt erreicht.190 Überdies schien die internationale Isolierung der Pforte nunmehr überwunden zu sein. Freiherr Mar­schall von Bieberstein, der in späteren Jahren als Unterstützer der konservativen Po­litik des Sultans berühmt bzw. berüchtigt wurde, war am 20. Oktober 1897 zum deut­schen Botschafter in Konstantinopel ernannt worden.191 Im darauffolgenden Jahr sollte der deutsche Kaiser selbst den Sultan besuchen und sich dabei als Freund des Islam zeigen.192 Die Vergabe der Bagdadbahn-Konzession an eine deutsche Gruppe (1899) stand bevor,̂

Die makedonische Befreiungsbewegung mußte dieser neuen Lage Rechnung tragen. Die Komitees wurden außerdem durch die Verhaftungswelle, die durch die vinüka afera ausgelöst worden war, in die Enge getrieben,Sie suchten nun die Verteidigung in der Offensive, indem sie beschlossen, eigene Kampfabteilungen (öeta) aufzustel­len.193 Ein solcher Schritt hatte große Bedeutung sowohl als Antwort auf die diplo­matischen Vereinbarungen im Ausland über Makedonien, weil dadurch die eigene Selbständigkeit demonstriert wurde, wie auch als eine wirksame Maßnahme, die Po­litisierung der Bevölkerung zu beschleunigen. Das Zentralkomitee in Saloniki gab im Herbst 1898 ein Rundschreiben aus, in dem die Kreiskomitees aufgefordert wurden, je eine öeta zu bilden und zu unterhalten.194

Auf der Grundlage der in diesem Rundschreiben enthaltenen Bestimmungen arbeite­ten G. Petrov und G. Delöev Ende 1900 in Sofia auch ein c*eta-Reglement aus.195

Danach hatte eine öeta u.a. die folgende Aufgabe:

Durch Überredung oder gewaltsam sind die Dorfbewohner zu bewegen, gemeinsam, mit Frauen, Männern und Kindern sich in der Hauptstadt des Vilajets über die Handlungen der Willkür der verfolgenden Abteilung in dem Dorfe zu beschweren und zwar zunächst bei den Konsuln und darauf bei dem Vali."6

190 Vgl. Bayur, a.a.O., S. 121-123. 191 E. Lindow, Freiherr Marschall von Bieberstein als Botschafter in Konstantinopel 1897-

1912, Danzig 1934, S. 15.. 192 Hierzu siehe A. Geschke, Die deutsche Politik in der mazedonischen Frage bis zur türki­

schen Revolution von 1908, Danzig 1932, S. 25-26. 193 La Macédoine et le vilayet d'Andrinople, S. 14-15. 194 Christo Matov za svojata revoljucionna dejnost, S. 8. 195 Ebd., S. 10. Nach Pandev waren die Verfasser des Reglements G. Petrov und Hauptmann

Venedikov. Vgl. „Ustavi i pravilnici. . .", S. 246. Für den Text einer möglicherweise leicht überarbeiteten Version dieses Reglements siehe ebd., S. 272-274.

196 „Weisungen für die Banden der Aufständischen", in der Anlage zum Bericht Marschalls, Pe-ra, 2. Februar 1904, Nr. 13, PAAA, Türkei 156, Bd. 89, A. 1889. Diese „Weisungen" sind eine Übersetzung eines Dokumentes, das im Frühjahr 1903 an einem in Makedonien gefal­lenen <?efa-Führer gefunden worden war. Accounts and Papers (British Parliamentary Pa­pers: „The Blue Books", Abk.: AP), Turkey No. 1 (1904), Inclosure 4 in No. 202, S. 175-177. Sie entsprechen wörtlich dem leta-Reglement aus dem Jahre 1900.

128 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

Außerdem seien „schädliche oder unnütze Christen" planmäßig zu töten, damit vor den Gerichten Feldhüter, Gutsverwalter, Gutsbesitzer u.a. angeschuldigt werden können. „Zwei Bauern haben, wie das Gesetz es verlangt, zu bezeugen, daß die Tat von einem der oben genannten Peiniger begangen worden ist."197

Noch wichtigere Aufgaben der revolutionären Abteilungen lagen jedoch, wie es aus dem Inhalt eines etwas später formulierten £eto-Reglements (1902) zu ersehen ist, auf agitatorischem und organisatorischem Gebiet.198 Diese hatten dafür zu sorgen, daß die Ideen und Ziele der Inneren Organisation von der ländlichen Bevölkerung ver­standen wurden. Seit 1900 ging man daran, spezielle Propagandaeinheiten zu bilden, die sich in erster Linie um die politische Bewußtseinsbildung kümmern sollten.199 Ei­ne solche Agitations-c'efa wurde von Marko Lerinski geführt. In einem Konsularbe-richt lesen wir über ihn:

. . . In den Kreisen von Monastir, Florina, Kastoria ist viel von einem gewissen Capetan

.Marko' die Rede, welcher von Dorf zu Dorf zieht, die Leute durch seine Beredsamkeit hinreißt, zu Thränen rührt und griechenfreundlichen Orten dadurch schmeichelt, daß er auch griechisch spricht. Er imponiert durch Vorweisung von Decorationen, von anschei­nend officiellen Dokumenten, von Aufrufen mit den Wappen sämtlicher kleinen Balkan-1--staaten, überragt vom russischen Adler. . .J0°

Die bewaffneten Abteilungen der Inneren Organisation hatten darüber hinaus die Aufgabe, die christliche Landbevölkerung vor Überfällen gewöhnlicher Räuberban­den zu schützen. Gegen Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts war näm­lich die öffenüiche Sicherheit in Makedonien nicht gewährleistet. Das Bandenunwe­sen war besonders in Westmakedonien, wo die mohammedanischen Albaner die Mehrheit bildeten, tief verwurzelt. Ein Kenner der damaligen Balkanverhältnisse be­richtet:

Diese Albanesen sind rohe, gewaltthätige Leute, die sich jede Schandthat ungestraft gegen die Christen gestatten, und die türkische Regierung aus Schwäche und Furcht, um es nicht mit den einflußreichen Beys zu verderben, läßt alles, auch das Empörendste ruhig gesche­hen.201

Daß die osmanische Regierung nicht willens war, energisch für innere Ordnung zu sorgen, geht aus einem Bericht des österreichisch-ungarischen Vizekonsuls in Mona­stir hervor. Süleyman Bey, ein Albaner, der der Landrat (kaymakam) von Kiöevo war, habe sich bei ihm wegen der inneren Lage in Makedonien beklagt:

Mit bitterer Aufrichtigkeit tadelte er die Schadendes türkischen Regierungswesens,die Un­fähigkeit und Corruption der Beamten, ihre Sorglosigkeit der Amtsführung, den Mangel an

197 „Weisungen für die Banden . . .", a.a.O., Punkt 4. 198 Text bei Pandev, a.a.O., S. 265-271. 199 Siljanov, Osvoboditelnite borbi. . . , Bd. 1, S. 97. 200 Kral an Goluchowski, Monastir, 1. März 1901, Nr. 9, HHStA, PA XXXV1II/391. 201 G. Weigand, Die Aromunen, Bd. 1, S. 43. Das Urteil Weigands über die Aromunen (Make-

dono-Walachen) selbst lautet: „Leider ist es eine Thatsache, die die Aromunen Fremden gegenüber gerne leugnen möchten, deren sie sich aber, wenn sie untereinander sind, sogar rühmen, daß nämlich gerade sie im Verhältnis zu ihrer Gesamtzahl den größten Prozent­satz an Räubern stellen . . ." Ebd., S. 66.

Der Übergang zum offenen ceta-Krieg in Makedonien 129

Communicationen, an öffentlicher Sicherheit, überhaupt an Verständnis für die Bedürfnis­se und das Wohl der Bevölkerung, die furchtbaren Mißstände in der Zehentverpachtung und -einhebung, welche den finanziellen Ruin beschleunigen u.s.w. Der Türke will nicht, daß hier Ordnung herrsche und daß ehrliche Beamten am Platze bleiben! . . .202

Um zu verdeutlichen, bis zu welchem Grad die Sicherheitsorgane des Staates demo­ralisiert — oder auch kompromittiert — und somit unfähig waren, mit Räuberbanden fertig zu werden, sei ein Beispiel angeführt: Der berüchtigte Bandenchef Islam Ibra­him Garanati aus Debar terrorisierte die Dörfer im Kreis von KiCevo. Die Regierung unterhandelte mit ihm lange Zeit, um ihn zur Aufgabe des Banditendaseins zu bewegen,, jedoch ohne Erfolg. In einem an die Bewohner des Dorfes Cer gerichteten Brief, dessen Übersetzung einem Bericht des österreichisch-ungarischen Vizekonsuls in Monastir beiliegt, erwähnte Islam zunächst 116 Goldstücke, die ihm die Dorfbe­wohner vom vorigen Jahr her schuldeten. 20Napoleondor verlangte er zusätzlich für das Jahr 1901. Außer den Goldstücken müßten noch geliefert werden: zwei Okka Tabak, fünf Paar Gamaschen, neun Buntjacken, zehn Paar Hemden und Unterhosen. Er wartete am Rande des Dorfes und verlangte, daß man ihm alles innerhalb von vier Stunden besorgte. Widrigenfalls würden weder die männlichen noch die weiblichen Einwohner des Dorfes geschont werden. Trotz der Anwesenheit einer militärischen Schutztruppe von 35 Mann, sahen sich die Dorfbewohner außerstande, den Wünschen des Bandenchefs nicht nachzukommen. Geld und Gegenstände wurden prompt ab­geliefert.203

Den revolutionären Kampfeinheiten der Inneren Organisation fiel somit die Aufgabe zu, diesen Zuständen ein Ende zu setzen. In dem Maße, wie Ruhe und Ordnung auf dem Lande hergestellt wurden, würde sich die Innere Organisation rühmen können, „Staat im Staate" zu sein. Goce DelCev, der die makedonische Befreiungsbewegung von ihrer städtischen „Kopf­lastigkeit" befreit und sie in die Dörfer hineingetragen hatte, spielte auch in dieser Phase des Übergangs zum offenen Kampf eine hervorragende Rolle. Dabei kamen ihm seine Offiziersausbildung und seine Verbindungen zu Offizierskreisen der bulga­rischen Armee sehr zustatten. Außerdem war er seit Ende des Jahres 1896, zusam­men mit G. Petrov, ,Auslandsvertreter" der Inneren Organisation in Sofia und da­her am ehesten in der Lagevdie materiellen Mittel zu besorgen, ohne die keine be­waffnete Abteilung hätte aufgestellt werden können.204 Das Zentralkomitee in Salo­niki konnte nicht damit rechnen, daß eine begüterte Bürgerschicht die Kosten der revolutionären Organisation auf sich nehmen würde. Abgesehen davon, daß das exar-chistische Bürgertum in Makedonien ohnehin zahlenmäßig zu schwach war, um die

202 Kral an Goluchowski, Monastir, 26. August 1901, Nr. 60, HHStA, PA XXXVIII/391. 203 Kral an Goluchowski, Monastir, 9. September 1901, Nr. 65, HHStA, PA XXXVIII/391. 204 Delcev war im Schuljahr 1896/97 zum Direktor der bulgarischen Schule in Bansko (Nord­

ostmakedonien) ernannt worden. Er war jedoch gezwungen, seine Stelle bereits im Dezem­ber aufzugeben, da die wohlhabenden Bulgaren von Bansko keinen „Revoluzzer" als ihren Schuldirektor haben wollten. Von hier ging Delcev nach Sofia, wo er die Auslandsvertre­tung der Inneren Organisation gründete. K'osev, GoceDelöev, S. 65-67; Andonov-Poljan-ski, Goce DelCev i njegovo vreme, S. 51.

130 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

finanzielle Last einer Befreiungsbewegung allein zu tragen, nahm diese aus Gründen, die weiter unten erklärt werden sollen, sogar z.T. eine feindliche Haltung gegenüber der Inneren Organisation ein. Aus diesem Grunde war die Revolutionskasse auf den regelmäßigen Zufluß kümmerlicher Beiträge der Bauern angewiesen.205 Von dem Augenblick an, als man den offenen Kampf gegen die osmanische Macht aufnahm, harrten daher zwei miteinander zusammenhängende Probleme der Lösung: Sicher­stellung der Finanzmittel und Beschaffung von brauchbaren Waffen. Beide Proble­me hat man nie zufriedenstellend lösen können. Die Behebung der Geldnot war zumindest am Anfang eines der Hauptziele des Ceta-Krieges. Delöev hatte bereits Ende Juli 1897 mit einer öeta einen Raubzug durch Nordmakedonien unternommen.206 Sein Versuch, das Vermögen eines reichen Tscherkessen zu rauben, endete aber erfolglos. Ähnliche Unternehmungen im Sep­tember desselben Jahres brachten ebenfalls wenig ein.207 In den Memoiren von Ger-dzikov kann man nachlesen, daß die Innere Organisation auch im Jahre 1901 in fi­nanzieller Bedrängnis steckte,208 Gerdzikov, Petrov und DelCev hätten sich deshalb entschlossen, Zuflucht in Raubzügen zu suchen:

Delcev gab mir uneingeschränkte Vollmacht, wo immer sich auf dem Wege die Möglich­keit ergab und auf welche Weise auch immer, Geld zu beschaffen, ohne dabei die Orga­nisation zu kompromittieren.20'

Die Versuche Gerdzikovs, reiche Türken in Makedonien zu berauben, blieben aller­dings ebenfalls ohne Erfolg. Erfolgreicher dagegen waren die öeti des Revolutionsbezirks Seres. Hier wurde der französische Direktor eines Silberbergwerks entführt und erst freigelassen, als 15.000 Osmanische Pfund Lösegeld gezahlt wurde.210 Noch spektakulärer war die Entfüh­rung der amerikanischen Ordensschwester Stone durch die Cefa Sandanskis, die der Organisation 16.000 Pfund Sterling einbrachte,211

Das Geld, das man sich auf diese Weise besorgte, wurde in der Regel nach Sofia ge­schafft, um dort unter den feta-Führern aufgeteilt zu werden.212 Zum größten Teil diente es dann zur Bezahlung von Gewehren und Munition.213 Überhaupt bereitete die Beschaffung von Waffen der Inneren Organisation große finanzielle Schwierig­keiten. Sogar die ausgedienten krynka-Gewehie der bulgarischen Armee, die von

205 Im Revolutionsbezirk Seres beispielsweise betrug der monatliche Mitgliedsbeitrag 2-5 Pia­ster. Darüber hinaus wurde jedoch eine „Patriotismussteuer" erhoben, die mit 2-10 Osm. Pfund jährlich als ziemlich hoch angesehen werden muß. Vgl. Katardziev, Serskiot okrug.... S. 161. Zum Vergleich: man zahlte damals ca. 30 Piaster für einen Zentner Weizen, errech­net an Hand der von Draganoff angegebenen Daten, La Macédoine et tes réformes, S. 50.

206 K'osev, Ûoce Deliev, S. 109. 207 Vgl. Spomeni na G/orée Petrov, S. 63. 208 V Makedonija i Odrinsko. Spomeni na Michail Gerdïikov [In Makedonien und im Vilayet

Adrianopel. Die Erinnerungen M. Gerdzikovs], Sofija 1928, S. 23-24. 209 VMakedonija i Odrinsko . . . . S. 24. (Übersetzung - F.A.) 210 Umgerechnet 13.500 Pfund Sterling. Karal, Osmanh tarihi, Bd. 8, S. 153. 211 Ebd., S. 153-154. Vgl. auch Spomeni na Gjorâe Petrov, S. 109-111. 212 So z.B. das Geld aus der „Miss Stone-Affäre". Vgl. VMakedonifa i Odrinsko . . . , S. 33. 213 Ebd., S. 34.

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Der Übergang zum offenen ceta-Krieg in Makedonien 131

Waffenhändlerfirmen wie „Ivanovi" und „TüfekCievi" in Sofia angeboten wurden, mußten teuer bezahlt werden.214 Der Fluß Vardar stellte für den Waffentransport von Bulgarien nach Westmakedonien ein natürliches Hindernis dar, weil es schwierig war, sein Westufer ungesehen zu erreichen. Die Komitees in Westmakedonien waren daher hauptsächlich auf den heimischen Waffenmarkt sowie auf die Konterbande aus Griechenland angewiesen. In Westmakedonien war die Stadt Tetovo (Kalkandelen) der traditionelle Standort der albanischen Büchsenmacher. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in diesem Teil der Balkanhalbinsel, wo jeder eine Waffe bei sich führte, boten noch am Ende des 19. Jahrhunderts günstige Bedingungen für dieses Handwerk, als vergleichbare Zweige der lokalen Kleinproduktion infolge der europäischen Konkurrenz bereits verfallen waren.215 Die Werkstätten von etwa 100 Tetovoer Büchsenmeistern (fast alle Moham­medaner) hatten zusammen eine wöchentliche Kapazität von 50 Gewehren, die nach bekannten europäischen Mustern hergestellt wurden.216 Die Preise dieser Gewehre lagen erheblich niedriger als die ihrer Vorbilder aus der europäischen Fabrikproduk­tion.217 Diese Tetovo-Gewehre waren daher die ersten Waffen, die von der Inneren Organisation gekauft wurden.218 Obwohl es sich in der Praxis herausstellte, daß die­se Gewehre für intensiven Einsatz wenig geeignet waren, wurden sie besonders wäh­rend des Ilinden-Aufstandes zur Bewaffnung der großen Zahl von frischen Kämpfern herangezogen und waren sonst vor allem in den nordwestlichen Teilen Makedoniens verbreitet.219

Das gängige Gewehrmodell in Südwestmakedonien, d.h. im Zentrum des Ilinden-Auf­standes (1903), war das französische System „Gras", mit dem auch die griechische Infanterie bewaffnet war.220 Gras-Gewehre waren nach dem griechisch-osmanischen Krieg zunächst als Beuteware in Makedonien eingeführt worden.221 In den folgenden Jahren entstand dann ein reger Waffenschmuggel über die griechisch-osmanische Gren­ze, der vor allem von albanischen und türkischen Händlern betrieben wurde.222 Der österreichisch-ungarische Vizekonsul in Monastir spricht von 15-20.000 eingeführ-

214 Süjanov, Osvoboditelnite borbi. . . , Bd. 1, S. 81; K'osev, Goce Deliev, S. 106 ff. Diese Gewehre wurden hauptsächlich an die Bauern jener Gebiete verteilt, die der bulgarischen Grenze nahe waren. Vgl. Spomeni na G/orée Petrov, S. 52-56.

215 D. Petrovic, „Oruzarskata dejnost vo Makedonija vo predilindenskiot i vo ilindenskiot peri­od" [Die Herstellung von Waffen und Munition in Makedonien vor dem und während des Ilinden-Aufstandes),Rinden 1903, Skopje 1970, S. 211.

216 Vgl. ebd. 217 Während ein Gewehr des Systems Martini aus Tetovo 1 Osm. Pfund kostete, mußte man

für das entsprechende Gewehr aus europäischer Produktion 3 1/2 bis 5 Osm. Pfund zahlen. T. Stankovic, Putne belelke po Staroj Srbiji, 1871-1891 [Reisenotizen aus Altserbienl, Beograd 1910, S. 143. Zit. nach Petrovic, a.a.O., S. 212.

218 Vgl. Ch. Andonovski-Poljanski, „Nekoi praäanja od voenata organizacija . . .", S. 95. 219 Vgl. Petrovic, a.a.O., S. 212-213;Siljanov, Osvoboditelnite borbi. . . , Bd. 1, S. 82. 220 Siehe Langer, The Diplomacy of Imperialism, S. 370. 221 Vgl. Ch. Matov, Sto bjahme - Sto sme (Was waren wir - was sind wir), Anhang zu seinem

Osnovi na Vütreinata revoljucionna organizacija [Grundlagen der Inneren Revolutionären Organisation], [Sofia] 1925, S. 70.

222 Kral an Goluchowski, Monastir, 1. März 1902, Nr. 23, HHStA, PA XXXVIII/391.

132 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

ten Gewehren dieses Typs.223 Nach einer anderen Schätzung machte dieses Modell 80 Prozent aller im Ilinden-Aufstand verwendeten Gewehre aus.224 Dagegen waren die Elite-Verbände der Organisation durchweg mit dem österreichischen „Mannli-cher"-Gewehr ausgestattet, das samt der dazugehörenden Munition aus Steier einge­führt wurde.225 Es war eine moderne und verhältnismäßig teure Waffe, deren Be­sitz für einen üetnik auch aus Prestigegründen anzustreben war. Das Mannlicher-Ge-wehr bewährte sich jedoch in Makedonien nicht sehr, da es leicht rostete und schwie­rig zu reparieren war.226

Waffen und Munition, die aus den osmanischen Armee-Beständen in Makedonien stammten, spielten bei der Ausrüstung der revolutionären Abteilungen ebenfalls ei­ne wichtige Rolle. Es fanden sich immer genug Soldaten, Offiziere und Beamte be­reit, Gegenstände, die zum Inventar der Armee gehörten, an die Komitees zu verkau­fen.227 Hierbei handelte es sich um Karabiner des Systems „Martini-Henri" und um deutsche „Mauser"-Gewehre, sowie um die jeweils dazugehörenden Patronen.228 Be­sonders die Mauser-Gewehre galten damals als die besten Infanterie-Waffen der Welt und waren daher in Komitee-Kreisen sehr begehrt. Die Munition war zumeist nach Gefechten zwischen Truppen und Freischärlern auf dem Schwarzmarkt zuhaben,229

denn die Offiziere hatten dann die Möglichkeit, den Fehlbestand in Depots als im Gefecht verschossen zu melden.230

Diese Umstände erleichterten es der Inneren Organisation, vorausgesetzt, daß Geld vorhanden war, auch Waffen guter Qualität zu beschaffen. Was jedoch neue Schwie-

223 Monastir, Bericht-Nr. 6 vorn 25. Feber 1901, HHStA, PA XXXVIII/391. 224 L. Dzerov, „Bitolskoto klane" (Das Gemetzel von Bitola], Iljustracija Minden, Heft 5, Jg. 2,

Sofija 1929, S. 6. Zit. nach Petrovic, „Oruzarskata dejnost. . .", S. 213. 225 Vgl. Siljanov, Osvoboditelnite borbi. . . , Bd. 1, S. 82 ff ; Andonovski-Poljanski, „Nekoi

prasanja od voenata organizacija . . .", S. 98. 226 Kral an Goluchowski, Monastir, 17. April 1903, Nr. 44 geheim, HHStA, PA XXXVIII/392.

Dasselbe findet sich auch bei D. Zografski, IzveStai od 1903-1904 godina na Avstriskite pretstavnici vo Makedonija [Berichte der österreichischen Vertreter in Makedonien aus den Jahren 1903-1904], Skopje 1955, S. 27-30.

227 So verkaufte der Direktor des Armee-Magazins in Monastir durch Mittelsmänner Gewehre an die Innere Organisation. Vgl. Petrovic, „Oruzarskata dejnost.. .", S. 215.

228 Die osmanische Armee war hauptsächlich mit diesen Gewehrtypen ausgestattet. Vgl. Lan­ger, The Diplomacy of Imperialism, S. 370.

229 VostanUkoto dvilenje vo Jugozapadna Makedonija, po spomeni na Slavejko Arsov [Die aufständische Bewegung in Südwestmakedonien, nach den Erinnerungen von S. Arsov), Skopje o.D., S. 63. Zit. nach Petrovid, a.a.O., S. 218. Z.B. verkauften die Soldaten nach dem Gefecht im Dorf Mogila im Mai 1903 2.000 Martini-Patronen an die Bauern. Siehe AP Turkey No. 1 (1904), Inclosure in No. 296, S. 253-254.

230 Dieses Tun der Offiziere hatte seinen Grund in der materiellen Misere, in der sie sich befan­den. In einem Konsulatsbericht aus Makedonien heißt es: „Es ist 4-5 Monate her, daß Of­fiziere und Beamten keinen Sold erhalten haben, weshalb ihre Noth und Entrüstung einen gefährlichen Grad erreicht hat." Konsulat Monastir, Bericht-Nr. 47 vom 14. Juni 1904, HHStA, PA XXXVÜT/394. Auch der deutsche Generalkonsul in Sofia wußte in diesem Zusammenhang ähnliches zu berichten: „Die ottomanischen Grenzposten veräußern . . . nicht selten ihre Gewehre, um sich einen Ersatz für die oft lange Zeit ausbleibende Löh­nung sowie Geld zum Ankauf von Lebensmitteln zu verschaffen. "Sofia, 10. Oktober 1903, Nr. 280, PAAA, Türkei 156, Bd. 79, A. 15238.

Der Übergang zum offenen ceta-Krieg in Makedonien 133

rigkeiten verursachte, war die mit diesen Waffen ausgerüstete Streitmacht, die, in ei­ner jahrhundertealten Tradition des Brigantentums stehend, nur schwer an Disziplin zu gewöhnen war. Ihre Woiwoden waren in der Mehrheit berüchtigte Räuber.231 Als solche konnten sie den (allerdings sehr feinen) Unterschied zwischen der von Del-Sev und dessen Freunden durchgeführten „revolutionären Expropriation" und ihrer eigenen gewohnten Räuberpraxis nicht begreifen. So kam es immer wieder vor, daß eine âeta zur Plage für die Gegend wurde, in der sie sich aufhielt, anstatt durch poli­tisch kluges Handeln die revolutionäre Bewußtseinsbildung im Volke zu beschleuni­gen. Als Beispiel sei der Zustand im Revolutionskreis Gevgeli im Jahre 1901 geschil­dert:232 Die öetä dieses Kreises hatte sich gespalten. Ein Teil „operierte" unter der Führung des Räubers Ivanöo Karasulijata, während der andere Teil sich unter Anton K'oseto einigermaßen ordentlich benahm. Neben seinen räuberischen Tätigkeiten hatte I. Karasulijata den Ehrgeiz, politische Fragen auf eigene Art und Weise zu lö­sen. Die Methoden der Inneren Organisation verwarf er als wenig erfolgversprechend und empfahl an ihrer Stelle z.B. den Einwohnern des Dorfes Konsko —, alle Tür­ken, wo und wann immer möglich, ohne Unterschied zu beseitigen. Übrigens nahmen die Dorfbewohner Konskos den Rat ernst und brachten den ersten Mohammedaner, der Konsko betrat - einen Albaner, Verkäufer von türkischem Honig - sofort um. Ein solches Vorgehen gefährdete die revolutionären Kader im betroffenen Gebiet unnötigerweise, da die Sicherheitskräfte des Staates alarmiert und Anlaß zu endlo­sen Verhören und Hausdurchsuchungen gegeben wurde. Das Z.K. erteilte aus die­sem Grund Gerdüikov den Auftrag, in den Komitee-Reihen in Gevgeli Ordnung zu schaffen. Gerdzikov überredete Karasulijata und K'oseto, mit ihm nach Bulgarien zu gehen, indem er ihnen versprach, ihre Banden dort mit Mannlicher-Gewehren aus­zurüsten. Auf diese Weise wurde die revolutionäre Organisation im Gebiet von Gev­geli vor einer weiteren Demoralisierung durch das Verhalten der eigenen Streitmacht bewahrt.233

231 Siljanov, Osvoboditelnite borbi. . . , Bd. 1, S. 97. 232 Hierzu u.z. folg. vgl. VMakedonifa i Odrinsko . . . , S. 21-23. 233 Die Frage des Banditentums innerhalb der Reihen der revolutionären Organisation in Ma­

kedonien blieb auch in späteren Jahren ungelöst. Wie in einem Bericht des deutschen Ge­neralkonsulats in Sofia zu lesen ist, hat sich der bulgarische Ministerpräsident, Raco Petrov, hierüber beklagt: „[Es] seien in der letzten Zeit kleinere Banden von 5-10 Mann aufge­taucht, welche sich aus berufsmäßigen Räubern zusammensetzten. Diese kleineren Rotten gingen nun auf eigene Faust vor schreckten vor nichts zurück und griffen ebensogut Bul­garen wie Muhammedaner und Griechen an. Bezüglich dieser anarchistischen Elemente könne man nur wünschen, daß sie baldmöglichst von den türkischen Soldaten abgeschos­sen würden." Sofia, 16. Juli 1904, PAAA, Türkei 156, Bd. 100, A 11755.

134 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

5. DER DiUMAJA-AUFSTAND, 1902

a) Die Beziehungen zwischen der Inneren Organisationund dem bulgarischen Exarchat

Der Ausbruch des <?eta-Krieges in Makedonien, wodurch die Innere Organisation im­mer mehr in das öffentliche Bewußtsein einzudringen begann und von sich reden machte, war dem Exarchat, wie unten näher erläutert wird, unangenehm. Die gemein­samen Interessen aller Bulgaren verlangten es nämlich, daß das makedonische Befrei­ungswerk nur in Abstimmung mit den jeweiligen Wünschen und Möglichkeiten des Mutterlandes Bulgarien vorangetrieben wurde. Aufgrund der historischen Rolle, die das Exarchat beim Entstehen des neuen bulgarischen Staates gespielt hatte und der Tatsache, daß es die einzige gesamtbulgarische Institution war, hielt es sich für beru­fen, die Aufsicht über die Wahrung dieser wohlverstandenen Interessen des Bulgaren-tums zu führen. In diesem Sinne war das Exarchat auch diejenige Instanz, die sich für die Befreiung Makedoniens allein zuständig fühlte.234

Wenn auch dieser Führungsanspruch anfänglich unangefochten war, so machte sich in Makedonien gegen Mitte der 90er Jahre doch Unzufriedenheit mit der Schulpoli­tik des Exarchats bemerkbar. Denn dieses war mehr und mehr bestrebt, die unab­hängigen Gemeindeschulen in Makedonien unter seine Kontrolle zu bringen.235 M. K. Sarafov, der 1894 vom Exarchat zum Direktor des bulgarischen Gymnasiums in Saloniki ernannt worden war, benahm sich den makedonischen Schulgemeinden ge­genüber wie ein „Generalgouverneur".236 Aus diesem Grunde entstanden zahlreiche Konflikte zwischen den Gemeinden und den Behörden des Exarchats.237 Bei solchen Auseinandersetzungen ergriffen die makedonischen Lehrer gewöhnlich die Partei der Gemeinden, weil die Einbeziehung der Schulen in das Schulsystem des Exarchats bedeutete, daß die Lehrer künftig von der Schulkuratel beim Exarchat ernannt wer­den würden. Diese Behörde aber war dafür bekannt, daß sie mit Vorliebe solche Leh­rer für die makedonischen Schulen berief, die aus Bulgarien stammten. D. Vlachov, der zwischen 1893 und 1897 Schüler des bulgarischen Gymnasiums in Saloniki war, hebt in seinen Memoiren hervor, daß die aus Bulgarien stammenden Lehrer (die Hälfte der Lehrerschaft) ihre makedonischen Kollegen von oben herab behandelten; sie er­hielten außerdem höhere Gehälter.238

Ein gespanntes Verhältnis zwischen der radikal-demokratischen Intelligenz Bulgariens und dem konservativen bulgarischen Klerus ist allerdings schon in der Zeit des natio­nalen Kirchenkampfes vor der Gründung des Exarchats festzustellen^239 Schon im

234 Vgl. Spomeni na Gjorce Petrov, S. 54. 235 Vgl. Pürvi/at centralen komitet... , S. 100. 236 Ebd., S. 105. 237 Siehe S. Dimevski, „Nekoi momenti od borbata na Veleäkoto gradjanstvo so Egzarchijata"

[Einige Augenblicke aus dem Kampf der Bürger von Veles gegen das Exarchat], GINI 3 (1959), S. 173-194.

238 Memoari,S. 19-20. 239 Vgl. Damjanov, „Pravoslavnata cürkva i bülgarskata nacionalna revoljucija", S. 165-168.

Der Dzumaja-Aufstand, 1902 135

Jahre 1872 griff P. R, Slavejkov in seiner in Istanbul erscheinenden Zeitschrift Ma­kedonifa die sozio-politische Einstellung der exarchistischen Geistlichkeit scharf an.240 Und wie wir gesehen haben, waren es auch junge makedonische Lehrer und Intellektuelle, von durchweg radikal-demokratischer Gesinnung, die die Innere Organisation gegründet und aufgebaut hatten. Die antiklerikale Tendenz verstärkte sich außerdem zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch den Einfluß sozialistischer Ideen auf die makedonische Bewegung. So wurde im Jahre 1900 eine Sozialisten­konferenz in KruSevo abgehalten.241 Man beriet hier die Möglichkeit einer Zusam­menarbeit der Sozialisten mit der Inneren Organisation und beschloß die Gründung einer „sozialistischen Gruppe" im Rahmen der revolutionären Bewegung, Nikola Karev, Nikola Rusinski, Vele Makov sind die Namen einiger Teilnehmer dieser Konferenz, die 1903 zu den bekanntesten Helden des Ilinden-Aufstandes gehören sollten,242

Diese demokratisch-sozialistische Tendenz setzte sich parallel zur Intensivierung der revolutionären Praxis dahingehend durch, daß im Jahre 1902 das Statut der Inneren Organisation revidiert wurde.243 Die Organisation wurde nicht mehr als „bulgarische makedonisch-adrianopeler", sondern als „geheime makedonisch-adrianopeler revo­lutionäre Organisation" bezeichnet. Hieß es unter Art. 3 der alten Satzung, daß nur Bulgaren Mitglied der Organisation werden dürften,244 so hieß es unter Art. 1 der neuen Satzung?

Die geheime makedonisch-adrianopeler revolutionäre Organisation hat das Ziel, alle unzu­friedenen Elemente in Makedonien und dem Vilayet Adrianopel ohne Unterschied der Nationalität zu vereinigen, um auf dem Wege der Revolution volle politische Autonomie für diese beiden Provinzen zu erkämpfen.245

Diejenige Bestimmung im obigen Zitat, die die Nationalitätenfrage betrifft, sanktio­nierte die bereits begonnene Öffnung der Organisation für die Mitgliedschaft solcher Slawen, die sich geweigert hatten, zum bulgarischen Exarchat überzutreten, Vizekon­sul Kral erfuhr Anfang 1902, daß die Innere Organisation in den Landkreisen Flori­na, Kastoria und Prespa, in denen die Anhänger des Patriarchats eine starke „griechi­sche Partei" bildeten, Fortschritte erzielt habe, und daß

die große Masse der Landbevölkerung den Intentionen der Comités gewonnen, und es den Führern im jetzigen Augenblicke ganz und gar gleichgültig sei, ob die Leute kirchlich mit dem Patriarchate oder mit dem Exarchate gehen. Das Erstere sei im Gegentheile ge­genwärtig viel nützlicher, und ein offener Übertritt zum Exarchat weder nötig noch oppor­tun . . ."«

240 Vgl. K. Gülübov, Petko P. Slavejkov. livot defnost tvoriestvo [Petko P. Slavejkov. Sein Leben, Wirken und Werk], Sofija 1970, S. 39-40.

241 Ivanoski, Balkanskite socijalisti i makedonskoto praianje, S. 153-154. 242 Siehe O. Ivanoski, „Nikola Karev. Besmrtniot ,Pretsedatel na Kruäevskata republika'"

[N. Karev. Der unsterbliche Präsident der Republik von Kruäevo'], in: Kniga za Hindert, Skopje 1969, S. 153-164.

243 Vgl. S. 110-112 dieser Untersuchung. 244 Siehe das Statut der BMORK in Pandev, „Ustavi i pravilnici. . .", S. 249. 245 Die Satzung der TMORO, Pandev, a.a.O., S. 257. (Übersetzung - F. A.) 246 Kral an Goluchowski, Monastir, 3. März 1902, Nr. 25, z.T. geheim, HHStA, PA XXXVIII/

136 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

Der Exarch Josif I., der diese Entwicklung vom bulgarisch-nationalistischen Stand­punkt aus verfolgte, mußte in Sorge versetzt sein. Die makedonische Befreiungs­bewegung würde aufhören, auf internationaler Ebene als eine bulgarische Angele­genheit behandelt zu werden, wenn in ihr andere politische Gruppierungen, wie die Anhänger der serbischen und griechischen Parteien, ein Mitspracherecht erhielten. Aber auch der Weg der Revolution für die Erkämpfung der politischen Autono­mie, den die Innere Organisation einschlug, war für diesen Kirchenfürsten aus prak­tischen Gründen unakzeptabel. Das Exarchat war immer noch eine Institution des osmanischen millet-Systems. Der Exarch war dem Sultan — zumindest formell zu Loyalität verpflichtet. Umstürzlerische Aktivitäten konnten die bisherigen Errungenschaften des Exarchats in Makedonien möglicherweise aufs Spiel setzen. So unterstrich der Exarch 1898 gegenüber G. Petrov, der mit ihm über die Vergabe der makedonischen Lehrerstellen an die aktiven Mitarbeiter der Inneren Organisa­tion verhandelte, die Bedeutung der Schule als Mittel des Befreiungskampfes. Die Schule habe es hauptsächlich ermöglicht, daß der verfallene bulgarische Staat zu neuem Leben erstanden sei. Auch in Makedonien brauche man friedfertige Leute als Lehrer, die durch geduldige Kulturarbeit den Weg zur Befreiung vorbereiten würden. Eine Revolution verursache nur Verwüstung.247

Um Einfluß auf die Entwicklung der makedonischen Bewegung ausüben zu können, unternahm das Exarchat Ende der 90er Jahre den Versuch, ein politisches Gegenge­wicht gegen die Innere Organisation zu schaffen. Die höheren Beamten des Exarchats in Makedonien, wie V, KünCov (Beauftragter des Exarchen für das Schulwesen), M. K. Sarafov (Direktor des bulgarischen Gymnasiums in Saloniki), A. Naumov (Direk­tor der Pädagogischen Schule in Seres), I. Garvanov und A. P. Stoilov(Gymnasialleh­rer) sowie wohlhabende exarchistische Kaufleute und Freiberufler in Saloniki, hatten sich schon vorher in der sogenannten Gruppe der „Evolutionisten" zusammengefun­den.248 Der Slogan dieser Gruppe lautete: „Nichts soll gegen die Türken unternom-" men werden; Verstärkung des Exarchats; Kampf gegen die Unierten."249 Die Evolu­tionisten diskutierten in mehreren Sitzungen im März 1898 unter dem Vorsitz Gar-vanovs über die Gefahren, denen ihrer Meinung nach Makedonien durch die revolu­tionäre Linie der Inneren Organisation ausgesetzt war. Während dieser Zeit gründete Garvanov seine „Revolutionäre Bruderschaft" {revolucionnoto bratstvo), deren Ziel es war, einen verfrühten Aufstand in Makedonien zu verhindern.250

Die Innere Organisation war nicht bereit, die Existenz einer zweiten politischen Grup­pierung auf ihrem Territorium zu dulden.251 So kam es bald zu gewaltsamen Aus-

391. Zum Eintritt der Patriarchisten in die Innere Organisation vgl. Pandevski, Nacio-nalnoto prasanje vo Makedonija, S. 97-113.

247 Spomeni na Gjorce Petrov, S. 73-76. 248 Vgl. Siljanov, Osvoboditelnite borbi. . . , Bd. 1,S. 123-124. 249 Spomeni na Ivan Garvanov, Sofija 1927, S. 111. Zit. nach Siljanov, Osvoboditelnite borbi

. . . ,Bd . l .S. 125. 250 Spomeni na Ivan Garvanov, S. 115, 117. Zit. bei M. Zafirovski, „Sporot zavostanie" [Der

Streit um einen Aufstand], in: Kniga za Ilinden, Skopje 1969, S. 52. 251 Die Nichtduldung konkurrierender Organisationen war einer der Grundsätze der Inneren

Organisation. Vgl. Matov, Osnovina Vütresnata revol/ucionna organizaci/'a, S. 35-38.

Der Diumaja-Au]'stand, 1902 137

einandersetzungen zwischen den „Zentralisten", wie die Anhänger der Inneren Or­ganisation auch genannt wurden, und der „Revolutionären Bruderschaft" Garvanovs; erstere etwa ermordeten im Jahre 1898 einen bulgarischen Lehrer, der der „Bruder­schaft" nahestand.252 Nach diesem Vorfall schwenkte Garvanov offen auf die Linie des O.M.K. ein: In einem Expose'vom 28. April 1899, das er dem Vorsitzenden des VI. Makedonier-Kongresses in Sofia zuschickte, gab er seinem Wunsch Ausdruck, alle makedonischen Organisationen unter dem Banner des O.M.K. vereinigt zu sehen.253

Die Feindseligkeiten zwischen den „Zentralisten" und der „Bruderschaft" Garvanovs nahmen weiter zu und erreichten ihren Höhepunkt im Jahre 1900: Im Frühjahr ver­suchten Anhänger der Inneren Organisation A. Naumov, den exarchistischen Direk­tor der Pädagogischen Schule in Seres, auf offener Straße zu erschießen.254 Als Ant­wort darauf beschloß die „Bruderschaft", vier Mitglieder des Zentralkomitees der Inneren Organisation - Matov, Gruev, Hadzmikolov und Toäev - zu beseitigen, was allerdings auch nicht in die Tat umgesetzt wurde.255 Als ein weiteres Beispiel sei der im Herbst 1901 von „Zentralisten" unternommene Mordanschlag auf einen exar­chistischen Bischof in Prilep erwähnt, dem dieser nur knapp entging.256

Aus dem beschriebenen Gegensatz zwischen Innerer Organisation und dem Exarchat nun ableiten zu wollen, was die Mehrzahl der makedonischen Historiker heute tut, daß ein eigenständiges makedonisches Nationalbewußtsein im Entstehen begriffen war, ist nichtsdestoweniger unzutreffend. Vielmehr muß davon ausgegangen werden, daß alle radikal-demokratischen und sozialistischen Gruppierungen des damaligen Bulgarien dem Exarchat wie auch dem Großbürgertum oppositionell gegenüberstan­den. So muß die Innere Organisation eher als eine radikale Bewegung innerhalb der bulgarischen Linken angesehen werden. Weiter muß daraufhingewiesen werden, daß die antiexarchistische Opposition innerhalb der Reihen der Inneren Organisation nur von einer kleinen Gruppe Intellektueller getragen wurde. Von dem Augenblick an, als aus der „Verschwörer-Organisation" eine Massenbewegung wurde, sah sich diese Gruppe Intellektueller gezwungen, mit exarchistischen Popen zusammenzuarbeiten. Es kann sogar behauptet werden, daß die revolutionäre Organisation ohne die aktive Unterstützung des exarchistischen Kirchen- und Schulapparates in Makedonien (in Anbetracht der herrschenden gesellschaftlich-politischen Verhältnisse) kaum je zu einem ernst zu nehmenden politischen Faktor geworden wäre. Ein guter Kennefma-kedonischer Verhältnisse, dessen Sympathien für die dortige revolutionäre Bewegung außer Zweifel stehen, schrieb:

It is notorious, for example, that most if not all of the Bulgarian bishops and their lay secretaries are involved more or less directly, and more or less voluntarily, in the rebellious

• activities of the Macedonian Committee.257

252 Siljanov, a.a.O., S. 125-126. 253 Das Expose wird zitiert bei Zafirovski, a.a.O., S. 55. 254 Siljanov, Osvoboditelnite borbi... , Bd, 1, S. 126. 255 Christo Matov za svojata revoljucionna dejnost. S. 16-17. 256 Kral an Goluchowski, Monastir, 28. September 1901, Nr. 73, HHStA, PA XXXVIII/391. 257 Brailsford, Macedonia: Its Races and Their Future, S. 18.

138 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

Die folgenden Ausführungen sollen veranschaulichen, welche Rolle die exarchisti-schen Geistlichen und Lehrer beim Ausbau der Inneren Organisation auf dem flachen Lande spielten. Als Beispiel seien hier die Vorgänge in Galiönik geschildert, dem größ­ten Dorf im westmakedonischen Kreis Maloreka, das seines Reichtums und seiner gün­stigen strategischen Lage wegen als Schlüsselposition zur Beherrschung der Landkreise Debar und Reka galt.258 Von der aufständischen Bewegung wurde dieses Dorf im August 1902 erfaßt. Zu nächtlicher Stunde erschien damals der Woiwode von KiCe-vo-Debar mit Freischärlern im Dorf und bestellte die führenden Persönlichkeiten der Gemeinde zu einer Versammlung in die Wohnung des Lehrers.259 Nachdem der Woi­wode die Aufgabe und Ziele der Bewegung erläutert hatte, forderte er die Anwe­senden auf, zu schwören, daß sie der Inneren Organisation loyal dienen würden. Die­jenigen, die die Anordnungen der Organisation nicht ausführten, erwarte die Todes­strafe. Anschließend wurde ein revolutionäres Dorfkomitee unter der Führung des exarchistischen Priesters N. Tomov gewählt.260 In ähnlicher Weise ging man in be­nachbarten Dörfern vor. In Trenc"o, dem zweitgrößten Dorf des Gebietes, gehörte der exarchistische Lehrer dem revolutionären Dorfkomitee an. Im benachbarten Ga-ri waren die beiden exarchistischen Lehrer ebenfalls Mitglieder des lokalen Dorfko­mitees. In Osoj schließlich lag die revolutionäre Sache in den Händen eines gewissen Isaja, der Pope und Lehrer in einem war.261

Der Beitrag des Exarchats zum Ausbau der aufständischen Organisation in Makedo­nien war demnach groß. Die osmanische Regierung war sich dieses Sachverhalts eben­falls bewußt, weshalb sie auch versuchte, den Exarchen zu einer Änderung seiner Hal­tung gegenüber der makedonischen Bewegung zu veranlassen. Zum Beispiel verlang­te sie Anfang 1902 die Demission des exarchistischen Metropoliten von Strumica, weil dieser offen mit den Komitees zusammenarbeitete.262 Der Exarch nahm jedoch den Metropoliten in Schutz und erbat sogar die Unterstützung Österreich-Ungarns und Rußlands, um die osmanische Regierung zum Nachgeben zu bewegen. Etwa zu jener Zeit sagte er dem österreichisch-ungarischen Botschafter Calice, „er könne sich

258 Hierzu u.z. folg. vgl. G. Todorovski, „Nacionalno-osloboditelno dvizenje vo malorekan-skiot predel" [Nationale Befreiungsbewegung im Gebiet von Maloreka], GINI 12 (1968), 2, S. 165-186.

259 Auch G. Delcev übernachtete während seiner Streifzüge durch Makedonien in der Regel im Hause des exarchistischen Dorfpriesters bzw. -Lehrers. Siehe B. Miriev, „Spomeni na Eka-terina Ivanova Izmirlieva-Panica",///Ä4JV 12 (1963), S. 140.

260 Matov gibt zu, daß die Innere Organisation auf lokaler Ebene den Übertritt zum Exarchat in der Regel von ihren Mitarbeitern verlangt habe. Vgl. Za upravlenieto na Vütrefna re-voljucionna organizacija [Über die Verwaltung der Inneren Revolutionären Organisation], [Sofijal 1926, S. 29-31.

261 P. Satev schreibt, daß die Bezirkskomitees der I. O. unter dem Einfluß von Metropoliten, die Kreiskomitees unter dem von Schuldirektoren gestanden hätten. V Makedonifa pod robstvo, Solunskoto suzakljatie (1903 g.). Podgotovka i izpülnenie [In Makedonien in Knechtschaft. Die Verschwörung von Saloniki, 1903. Vorbereitung und Ausführung], So-fija 1968,8.67.

262 Hierzu u.Z. folg.: Calice an Goluchowski, Constantinopel, 2. April 1902, Nr. 18 C, HHStA, PAXII/178.

Der Diumaja-Aufstand, 1902 139

der nationalen Sache nicht feindlich gegenüber stellen noch für die Bewegung Partei ergreifen und sehe sich also genöthigt, zu lavieren".263

Der Einfluß des Exarchen auf die Leitung der aufständischen Bewegung in Makedo­nien hatte in Wirklichkeit seit 1901 erheblich zugenommen. Der Grund dafür war die Verhaftung der Mitglieder des Zentralkomitees der Inneren Organisation in Salo­niki im Februar 1901,264 Das ZK-Mitglied Hadzinikolov hatte unmittelbar vor seiner Verhaftung das Archiv und die Chiffren der Inneren Organisation dem Exarchisten Ivan Garvanov übergeben, um zu verhindern, daß diese Unterlagen in die Hände der osmanischen Behörden gerieten.265 Garvanov bildete nun mit seinen exarchistischen Gesinnungsgenossen ein neues Zentralkomitee und nahm Kontakt zu dem Oberen Makedonischen Komitee in Sofia auf. Damit hatte er, der Gründer der exarchistischen „Revolutionären Bruderschaft", die Führung der makedonischen Bewegung über­nommen. Dem Österreichisch-ungarischen Botschafter Calice blieb diese Entwicklung nicht verborgen. Er berichtete:

Überhaupt bin ich der Ansicht, daß dem Exarchen und seinen Dependenten an der Orga­nisierung und Leitung des bulgarischen Bandenwesens und an dem Einfluße auf die bulga­rischen Comités in Macédonien ein größerer Antheil zukommt, als bisher angenommen wurde."6

Damit kann festgestellt werden, daß die anfängliche Rivalität zwischen der Führung der Inneren Organisation und dem Exarchen unter dem Zwang der Ereignisse zu Be­ginn des 20. Jahrhunderts die Form einer weitgehenden Zusammenarbeit annahm. Allerdings wurde nun auch der Widerstand sozialistischer Kreise gegen den wachsen­den Einfluß des Exarchats, wie im folgenden zu zeigen sein wird, immer größer.

b) Das Obere Makedonische Komitee und der Diumaja-Aufstand

Die Ausschaltung des Zentralkomitees der Inneren Organisation in Saloniki durch die osmanischen Sicherheitsbehörden erleichterte es den großbulgarischen Kreisen in Sofia, auf die weitere Entwicklung der aufständischen Bewegung in Makedonien grö­ßeren Einfluß auszuüben. In jenen Kreisen ging man noch davon aus, daß das Groß­bulgarien von San Stefano in absehbarer Zeit realisiert werden würde. Nachdem der Anschluß Ostrumeliens vollzogen worden war, hielt man die Heimholung Makedo­niens für die wichtigste nationale Aufgabe .267 Fürst Ferdinand verfolgte daneben seine eigenen Ziele, deren Verwirklichung ebenfalls von einem Erfolg in der Makedonischen Frage abzuhängen schien: die Konsolidierung der Machtposition seiner Familie und,

263 Calice an Goluchowski, Constantinopel, 19. März 1902, Nr. 16 A-F, HHStA, PA XII/178. 264 Einzelheiten über die Verhaftung des Zentralkomitees bei Christo Matov za svojata revol-

juciontw de/nost, S. 37-47, und Satev, a.a.O., S. 205-207. D. Gruev war schon 1900 in Monastir verhaftet worden.

265 Hierzu u.z. folg. vgl. Zafirovski, „Sporot za vostanie", S. 59-60. 266 Calice an Goluchowski, Jeniköj, 24. September 1902, Nr. 45 C, HHStA, PA XII/178. 267 Vgl. D. Blagoev, „SipCenskite türzestva" [Die Feierlichkeiten am Sipkapaß (geschrieben

1902», in: Sùcinenija, Bd. 7, Sofija 1958, S. 382.

140 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

längerfristig, die Erlangung des Titels eines bulgarischen Zaren. Die Art und Weise, wie die Insel Kreta Autonomie erhalten hatte, zeigte den Bulgaren den erfolgverspre­chenden Weg, die Makedonische Frage in ihrem Sinne zu lösen: Zuerst müßte man sich der Unterstützung einer der Großmächte versichern und erst als zweites daran denken, einen Aufstand in Makedonien zu entfachen. Denn man wußte, daß es nicht der Aufstand war, der für die Gewährung der politischen Autonomie den Ausschlag gab, sondern erst die Intervention einer Großmacht zugunsten der Aufständischen. Vor diesem Hintergrund begann die Makedonische Frage um die Jahrhundertwende eine immer größere Rolle in der Außenpolitik Bulgariens zu spielen. So ließ die So­fiaer Regierung Anfang 1899 in St. Petersburg vorsichtig sondieren, ob Rußland daran interessiert wäre, einen bulgarischen Aufstand in Makedonien zu unterstützen. Einige maßgebende Persönlichkeiten in Rußland - Murav'ev, Kuropatkin, Ignat'ev -äußerten sich jedoch dahingehend, daß man gegenwärtig nicht in der Lage sei, sich mit den Balkanangelegenheiten zu beschäftigen. Die Bulgaren müßten sich noch eini­ge Jahre - vielleicht bis 1903 - gedulden.368 Daraufhin wandte man sich an Öster­reich-Ungarn. Der Chef des Oberen Makedonischen Komitees, Georgiev, hatte sich bereits bei den Vertretern der Wiener Regierung anheischig gemacht, im Namen des Kaisers Franz Josef I. einen Aufstand in Makedonien auszurufen — gleichsam als ein Geschenk zum 50-jährigen Jubiläum der Thronbesteigung dieses Herrschers.269 Nun unternahmen der Exarch Josif und der bulgarische diplomatische Agent in Istanbul, Markov, Versuche, die Unterstützung Österreich-Ungarns für einen makedonischen Aufstand zu gewinnen.270 Aber auch diese Bemühungen blieben erfolglos, da die Dop­pelmonarchie damals, ebenso wie Rußland, an der Wahrung der bestehenden Ordnung auf dem Balkan interessiert war.

Eine schwere Finanzkrise, die serbische Herausforderung in Makedonien und das mili­tärische Sicherheitsbedürfnis führten schließlich dazu, daß sich Bulgarien in der Fol­gezeit immer stärker an Rußland anlehnte. Bulgarien hatte in den 80erund 90er Jah­ren des 19. Jahrhunderts Anleihen (hauptsächlich in London und Wien) aufgenom­men, deren Gesamtwert im Jahre 1900 205,5 Mio. frs (Gold) betrug. Mit 24,6 Mio. frs nahmen die Annuitäten 30% der Staatseinkünfte in Anspruch.271 Damit war die Kreditwürdigkeit des Landes erschöpft. Die schlecht ausgefallenen Ernten der Jahre 1897, 1898 und 1899 erschwerten die ökonomische Lage noch zusätzlich. Der Staat war praktisch zahlungsunfähig geworden. Um die fälligen Kupons der öffentlichen Schulden auszahlen zu können, entschied sich die Regierung Ende August 1899, ein Banksyndikat in Paris um einen Vorschuß in Höhe von 10 Mio. frs zu ersuchen, er­hielt jedoch einen abschlägigen Bescheid.272 Im November 1899 verabschiedete die bulgarische Volksversammlung ein Gesetz, das der Regierung erlaubte, die Zahlung

268 Vgl. Martynenko, Russko-bolgarskie otnoSenija,S. 270-271. 269 Ebd., S. 271. 270 Ebd. 271 Vgl. Feis, Europe, the World's Banker, S. 274. 272 C. Todorova, Diplomatiäeskaja istorifa na vünSnite zaemi na Bülgarija, 1888-1912 [Die

diplomatische Geschichte der Auslandsanleihen Bulgariens, 1888-1912], Sofija 1971, S. 258.

Der Dzumaja-Aufstand, 1902 141

von Renten und Beamtengehältern zeitweilig auszusetzen,273 und Anfang 1900 wurde die Erhebung des Zehnten wieder eingeführt.274 Der einzige Ausweg aus dieser Finanz­not wäre die Aufnahme einer Konsolidierungsanleihe gewesen. Aber der europäische Kapitalmarkt war damals durch die Finanzierung von Großprojekten — Transsibiri­sche Eisenbahn, die Bagdadbahn - stark in Anspruch genommen.275 Als Kapitalan­lagegebiet war Bulgarien für die Finanzwelt uninteressant. Nur noch die politische Fürsprache Rußlands hätte es ermöglicht, eine Anleihe für Bulgarien an der Pariser Börse zustande zu bringen. Die Erfolge Serbiens in Makedonien waren bei der Annäherung Bulgariens an Ruß­land ebenfalls ein maßgebender Faktor. Serbien war es 1897 gelungen, dem Sultan das Versprechen abzunehmen, einen Serben zum griechisch-orthodoxen Metropoli­ten von Skopje zu ernennen. Um den Sultan zu veranlassen, dieses Versprechen ein­zulösen, verstärkte die serbische Diplomatie gegen Ende des Jahres 1899 ihre Bemü­hungen; sie wurde dabei von Rußland unterstützt.276 Die bulgarische Regierung da­gegen bemühte sich, ein serbisch-russisches Zusammengehen in dieser Angelegenheit zu verhindern. Der bulgarische Ministerpräsident IvanCov gab am 30. Oktober 1899 der russischen Regierung unverhüllt zu verstehen, daß das Obere Makedonische Ko­mitee eine Volkserhebung in Makedonien organisieren würde, falls man einen Serben zum Metropoliten von Skopje ernenne.277 Parallel dazu erteilte IvanCov den bulga­rischen Handelsagenten in Makedonien geheime Anweisungen, ihre Propagandatätig­keit für die nationale Sache zu intensivieren.278

Dem Sultan bot der Streit um den Metropolitensitz von Skopje eine willkommene Gelegenheit, gemäß den Grundsätzen seiner Politik Zwietracht unter den Balkanstaa­ten sowie zwischen diesen und Rußland zu säen.279 Daher zögerte er die Erteilung des berat für den designierten Metropoliten, den Serben Firmilian, immer wieder hinaus; dieser konnte sein Amt erst im Mai 1902 antreten.280 Bis dahin hatte sich die „Firmilian-Frage" zum beherrschenden Thema der Balkanpolitik entwickelt, an dem sich die divergierenden Interessen der slawischen Balkanstaaten offen zeigten. Der bulgarische Exarch äußerte sich dazu zu Beginn des Jahres 1902 folgendermaßen:

Ein serbischer Metropolit in Usküp hat keine Existenzberechtigung. Das weiß die Pforte und der Sultan, und sie wissen auch, daß die Consecration Msgr. Firmilians unter der bul-

273 C. Todorova, Diplomaticeskaja istorya . . . , S. 262. 274 Martynenko, a.a.O., S. 244. 275 Vgl. Todorova, a.a.O., S. 260. 276 Vgl. Vucinich, Serbia between East and West, S. 32; Martynenko, a.a.O., S. 273. 277 Vgl. Martynenko, a.a.O., S. 273. 278 Ivancov warnte jedoch die Handelsagenten zugleich vor allzu unvorsichtigen Handlungen.

Die Angelegenheit sei heikel, weil die Agenten offiziell nur dazu befugt seien, die Interes­sen bulgarischer Staatsbürger wahrzunehmen. Da sie sich aber insgeheim auch um die loka­le slawische Bevölkerung kümmerten, müßten sie bei ihrer Arbeit so behutsam wie möglich vorgehen, um nicht die ostnanische Regierung unnötig zu provozieren. Vgl. ebd., S. 272.

279 Ebd., S. 281. 280 Jovanovic, Vlada Aleksandra Obrenovica, Bd. 2, Beograd 1931, S. 257. Auch die griechi­

sche Regierung war gegen die Ernennung Firmilians zum Metropoliten von Skopje. Vgl. Driault/Lheritier, a.a.O., S. 483, 506.

142 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

garischen Bevölkerung das Signal zu einer Bewegung geben würde, die unabsehbare Folgen nach sich ziehen könnte. . . a"

Diese Drohung mit dem Entfachen eines Aufstandes in Makedonien war zu jener Zeit für das Verhalten der offiziellen Vertreter der großbulgarischen Interessen typisch. In Wirklichkeit interessierte es die überwiegende Mehrheit der slawischen Bevölkerung in Makedonien kaum, ob der griechisch-orthodoxe Metropolit von Skopje ethnisch Serbe war oder nicht.282

Andererseits waren die Befürchtungen der Bulgaren, daß ein serbischer Metropolit in Skopje mit seiner ganzen Kraft versuchen würde, den bulgarischen Anspruch auf Ge­samtmakedonien zu unterminieren, wohl begründet. Kurz nach seiner Einsetzung als Bischof regte Firmilian denn auch bei der serbischen Regierung an, dafür zu sorgen, daß die Hohe Pforte die serbisch sprechenden Christen in Makedonien als das serbi­sche milkt anerkenne. Dazu sei es notwendig, daß durch die Lostrennung der von Serben bewohnten Eparchien vom griechisch-orthodoxen Patriarchat eine autokepha-le serbische Kirche in Makedonien geschaffen werde.283 Die Bedeutung einer selbstän­digen Kirche für die Erreichung der großserbischen Ziele in Makedonien wird in einem Bericht von Kurtovirj, dem serbischen Generalkonsul in Skopje, weiter präzisiert:

[Es| steht . . . fest, daß eine selbständige Kirche im Stande ist, nicht nur die Nationalität zu schützen, sondern selbst zu schaffen und zu entwickeln ... Zieht man in Betracht, daß die Bulgaren ihre Errungenschaften in der Türkei ihrer selbständigen vom Patriarchate los­gelösten Kirche, dem Exarchate, zu verdanken haben, so drängt sich auch uns in dem Be­streben, unsere Nationalität zu beschützen und zu kräftigen, von selbst der Gedanke auf, daß dies der Weg sei zum Durchbruche und zur Verwirklichung des Staatsgedankens des Königreichs Serbien in diesen Ländern. Es heißt somit, auf die Wiederbelebung des Ipeker Patriarchats hinzuarbeiten, welches uns gewaltsam suspendiert wurde, in welches aber au­ßer seinen alten Grenzen auch das Gebiet von Strumnica mit einem Zugange zum Weißen Meere [Ägäis] sowie auch jene Teile des Vilayets Monastir einzubeziehen wäre, wo das serbische Element vorkommt, mit anderen Worten: die zukünftigen politischen Grenzen auszustecken, die wir für uns in der Absicht, ein Staatsgebilde zu schaffen, welches günsti­ge Bedingungen für seine selbständige Entwicklung besitzen würde, anstreben müssen. . -2M

Diese im Vergleich zu früher günstigere Ausgangsposition für die serbische National­propaganda in Makedonien war das Resultat der engen Zusammenarbeit der Regie­rungen Serbiens und Rußlands. Für das Danev-Kabinett in Bulgarien, das seit Dezember 1901 regierte, bedeutete dies einen Grund mehr, den Annäherungsprozeß an Rußland beschleunigt voranzu­treiben. Man strebte den Abschluß einer geheimen Militärkonvention mit Rußland an. Im Militärbereich hatte sich ein freundschaftliches Verhältnis zu Rußland bereits unter den als rußlandfeindlich geltenden Regierungen Grekovs und IvanCovs ange­bahnt. So hatte der bulgarische Kriegsminister General Paprikov im Mai 1899 die russische Regierung darum gebeten, einen Offizier als ständigen Vertreter des rus-

281 Frh. von Braun an Graf Goluchowski, Constantinopel, 15. Jänner 1902, Nr. 4 C, vertrau­lich, HHStA, PA X1I/178.

282 Vgl. Martynenko, a.a.O., S. 283. 283 Para an Goluchowski, Üsküb, 21. Feburar 1903, Nr. 48,geheim, HHStA, PA XXXV1II/433. 284 Dieser Bericht liegt dem Bericht des österreichisch-ungarischen Konsuls Para vom 21. Fe­

bruar 1903, Nr. 48, in der deutschen Übersetzung bei. HHStA, PA XXXVIII/433.

Der Dzumaja-Aufstand, 1902 143

sischen Generalstabes nach Sofia zu entsenden.28S Ministerpräsident Ivanöov, der sich Ende Januar 1900 gegenüber Bachmetev, dem diplomatischen Agenten Ruß-lads in Sofia, darüber beschwert hatte, daß Bulgarien in eine gefährliche Isolie­rung geraten sei, schickte im März desselben Jahres Paprikov nach St. Petersburg, um zu erkunden, ob Rußland die Annexion Makedoniens durch Bulgarien guthei­ßen würde, wenn Bulgarien sich als Gegenleistung dazu verpflichtete, in einem künftigen Krieg gegen das Osmanische Reich Rußland militärisch zu unterstützen. Da die russische Regierung äußerste Zurückhaltung wahrte, blieben diese Bemühun­gen vorläufig ohne Ergebnis.286

Die diplomatische Isolierung Bulgariens verschärfte sich vielmehr noch, als im Som­mer 1900 die Agenten des Oberen Makedonischen Komitees ihre Aktionen auch auf rumänisches Territorium ausdehnten und am 22. Juli in Bukarest Prof, Michaelianu, den angesehenen Redakteur der Zeitschrift Peninsula Balcanica, ermordeten. In­folgedessen verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Rumänien, und Bul­garien derart, daß Rumänien Vorbereitungen zu einem Krieg traf,287 Bulgarien aber zu keinem seiner Nachbarn mehr gute Beziehungen aufweisen konnte. Als Danev im Frühjahr 1902 zu einem inoffiziellen Besuch in St. Petersburg weilte, war es daher dem russischen Außenminister Lamsdorf möglich, von ihm die Zu­sicherung zu erlangen, daß Bulgarien sich der Ernennung Firmilians zum Metro­politen von Skopje nicht länger widersetzen würde. Dafür versprach er Bulgarien die diplomatische Vermittlung Rußlands für eine Konsolidierungsanleihe in Pa­ris.288 Im Juni desselben Jahres wurde dann eine bulgarische Delegation (Fürst Ferdinand, Danev, Paprikov) in der russischen Hauptstadt offiziell empfangen. Der äußere Anlaß dieses Besuches war die Überreichung eines Modells des Denk­mals, das zum 25-jährigen Jubiläum des russisch-osmanischen Krieges am äipka-paß errichtet wurde. In Wirklichkeit ging es um die Unterzeichnung der bereits ausgehandelten russisch-bulgarischen MÜitärkonvention,289

Diese geheime Militärkonvention vom 31. Mai/13. Juni 1902 richtete sich in erster Linie gegen eine eventuelle Aggression von rumänischer Seite; sollte Rumänien da­bei von Österreich-Ungarn unterstützt werden, so würde Rußland Bulgarien Hilfe lei­sten.290 Trotz aller Bemühungen Danevs wurde in dieses Dokument keine Bestim­mung aufgenommen, welche Bulgarien die Unterstützung Rußlands im Falle eines bulgarisch-osmanischen Krieges garantiert hätte.291 Dies sollte im Hinblick auf die

285 Vgl. Martynenko, a.a.O., S. 236. 286 Vgl. Martynenko, a.a.O., S. 274-276. 287 Vgl. GP, Bd. 18,1, Nr. 5440, S. 109-112; H. H. Schacht, Die Entwicklung der mazedoni­

schen Frage um die Jahrhundertwende zum Mürzsteger Programm, Halle (Saale), 1929, S. 33-35; Martynenko, a.a.O., S. 276-277.

288 Martynenko, a.a.O., S. 282-283. 289 Martynenko, a.a.O., S. 284. Die deutsche Übersetzung eines Entwurfes der russisch-bulga­

rischen Militärkonvention findet sich in: Dokumente aus den russischen Geheimarchiven, soweit sie bis zum 1. Juli 1918 eingegangen sind, Berlin, Auswärtiges Amt, 1918, S. 12-14.

290 Siehe ebd., Art 1 und 2. 291 Vgl. Martynenko, a.a.O., S. 284.

144 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufslandes

Makedonische Frage von Bedeutung sein: Als der makedonische Ilinden-Aufstand im Jahre 1903 durch die osmanische Armee unterdrückt wurde, war es Bulgarien — oh­ne die Hilfe Rußlands - nicht möglich, dem Osmanischen Reich den Krieg zu erklä­ren. Außerdem standen seit der Unterzeichnung der Militärkonvention die bulgari­schen Streitkräfte unter ständiger Kontrolle der russischen Militärkomission in Bul­garien. Die Abteilungschefs des bulgarischen Generalstabes durften nur mit Erlaub­nis des russischen Generalstabes ernannt werden. Auch hatte der russische Militärat­tache' in Sofia jederzeit Zugang zu den geheimen Mobilmachungsplänen der bulgari­schen Armee.292 Das Zarenreich besaß also mit der Militärkonvention ein Instrument, einen ihm ungelegen kommenden Balkankrieg zu verhindern. Für die bulgarische Regierung lag der Hauptvorteil der Militärkonvention darin, daß sich die „Banque de Paris et des Pays-Bas" dank der Vermittlung Nikolaus II. und des russischen Finanzministers Witte nunmehr bereit fand, Bulgarien ein Konsolidie­rungsdarlehen zu gewahren.293 Die politische Unterstützung Rußlands hatte es außer­dem ermöglicht, daß die französische Seite nicht mehr auf ihrer ursprünglichen For­derung bestand, das bulgarische Tabakmonopol in eigene Regie zu übernehmen.294

So konnte am 20. Juni, eine Woche nach der Unterzeichnung der Militärkonvention, der bulgarische Anleihevertrag in Paris unterschrieben werden. Die großbulgarischen Nationalisten, die von der Annäherung an Rußland eine Stär­kung der Position ihres Landes auf dem Balkan erhofft hatten und vorerst enttäuscht worden waren, blieben ihren Zielen in Bezug auf Makedonien weiterhin treu. Bereits im Herbst 1902 unternahmen sie den Versuch, durch einen Aufstand in Makedonien die Autonomiefrage erneut in das Bewußtsein der europäischen Öffentlichkeit zu rücken. Vor der Beschreibung des Verlaufs und der Folgen dieses Aufstandes soll nun kurz auf die Auseinandersetzungen der verschiedenen Gruppierungen inner­halb der makedonischen Bewegung eingegangen werden,

Wie bereits erwähnt, gründeten G. DelCev und G. Petrov, zwei führende Mitglieder der Inneren Organisation, im Herbst 1896 die Auslandsvertretung dieser Organisation in Sofia. Ihre Aufgabe war es, einmal den Kontakt zum Oberen Makedonischen Ko­mitee und zum anderen zur bulgarischen Regierung zu pflegen. Dabei ging es in erster Linie um die Beschaffung von Geld und Waffen. DelCev und Petrov lebten in Sofia anfänglich unter schwierigen Verhältnissen.295 Als Vertreter einer Geheimorganisa­tion, die bis dahin in keiner Weise hervorgetreten war, waren sie unbekannt und konn­ten auf die Unterstützung offizieller Stellen nicht hoffen. Nur diejenigen bulgarischen

292 Nach den Aussagen des Generals M. Savov vor einer parlamentarischen Untersuchungskom­mission im Jahre 1915. Doklad na parlamentarnata izpitatelna komisija, Sofija, Bd. 1, 1918, S. 247-249. Zit. nach E. C. Helmreich und C. E. Black, „The Russo-Bulgarian Mili­tary Convention of 1902",/M//9 (1937), S. 479.

293 Hierzu u.z. folg. vgl. Todorova, Diplomatiieska istorija na vünSnite zaemi na Bülgarija,S. 300-314.

294 Die französischen Kreditgeber erhielten jedoch das Recht, durch die Ernennung französi­scher Finanzexperten die Staatseinkünfte Bulgariens unmittelbar zu beaufsichtigen. Dies kam der Errichtung einer französischen „Finanzkontrolle" über Bulgarien gleich. Vgl. Martynenko, a.a.O., S. 269; Todorova, a.a.O., S. 308-310.

295 Hierzu u.Z. folg. vgl. Spomeni na G/orâe Petrov, S. 64-65.

Der Dzumaja-Aufstand, 1902 145

Offiziere im O.M.K., die an dem „Melnik-Aufstand" im Jahre 1895 teilgenommen hatten, waren bereit, DelCev und Petrov sowie der Inneren Organisation zu helfen. Um die Sammlung von Spenden zu organisieren, bildeten diese Offiziere ,.Bruder­schaften" in ihren Garnisonen, zu deren Vorsitzenden ein gewisser General ConCev gewählt wurde, der sich in der Armee eines hohen Ansehens erfreute und als Vertrau­ter des Fürsten Ferdinand galt. Von nun an entwickelte sich eine enge Zusammenar­beit zwischen diesen „Offiziersbruderschaften" und der Inneren Organisation. So reiste General Con£ev,mit falschen Papieren ausgestattet, nach Saloniki, um die Ver­hältnisse in Makedonien aus der Nähe kennenzulernen, und wurde dort vom ZK der Inneren Organisation herzlich empfangen.296 In Bulgarien zog G. Petrov während dieser Zeit von einer Garnisonsstadt in die andere, um die Gelder abzuholen, die durch die Vermittlung der Offiziersbruderschaften für die Innere Organisation gesammelt worden waren.297

Delcev und Petrov gelang es aber nicht, ähnlich gute Beziehungen zu den führenden Personen des O.M.K. herzustellen. Letztere waren prinzipiell davon überzeugt, daß bei der Lösung der Makedonischen Frage die bulgarische Armee den Ausschlag geben würde und daß die makedonischen Organisationen dabei nur die Rolle von Gehilfen spielen würden. Daher nahmen sie die Volkserhebungsideen Delcevs und Petrovs nicht ernst. Sie konzentrierten ihre Anstrengungen auf die Öffentlichkeitsarbeit, die Veranstaltung von Demonstrationen, die Verfassung von Deklarationen u.a.298

Aus diesem Grund entschlossen sich Delcev und Petrov, zum VI. Makedonier-Kongreß im Jahre 1899 eine eigene Wahlliste aufzustellen. Zu diesem Zweck bilde­ten sie mit ihren Freunden aus den Offiziersbruderschaften eine eigene Gruppie­rung.299 Petrov, der sich in ganz Bulgarien um einen geeigneten Kandidaten für den Posten des Vorsitzenden des Komitees bemühte, mußte erfahren, daß alle Personen, die er ansprach, ablehnten.300 So konnte man schließlich doch nur Offiziere für die Kandidatenliste gewinnen. Dank einer energisch geführten Wahlkampagne unter den makedonischen Emigranten und Arbeitern in Bulgarien gewann die Liste Delcevs und Petrovs im Kongreß die Wahlen.301 Neuer Vorsitzender des O.M.K. wurde Boris Sarafov (1872-1907), ein früherer Offizier der bulgarischen Armee und der Held des „Melnik-Aufstandes" von 1895.302

Dieser Erfolg von DelCev und Petrov führte dazu, daß die Innere Organisation nun­mehr das Obere Makedonische Komitee praktisch beherrschte. So war gleich am An­fang vereinbart worden, daß DelCev und Petrov an den Sitzungen des neuen Komitees regelmäßig teilnehmen würden. Damit sollte gewährleistet werden, daß das O.M.K.

296 Spomeni na Gjorce Petrov, S. 66. 297 Ebd., S. 65-66. 298 Ebd., S. 69. 299 Ebd., S. 70-71. 300 Unter anderen forderte Petrov D. Blagoev, den Führer der bulgarischen Sozialisten, auf,

den Vorsitz des Komitees zu übernehmen. Vgl. ebd., S. 79-80. 301 Ebd.,S. 80. 302 Vgl. ebd. D. Dakin verwechselt B. Sarafov mit M. K. Sarafov, einem exarchistischen Gym­

nasiallehrer in Saloniki. Siehe The Greek Struggle in Macedonia 1897-1913, Thessaloniki 1966, S. 48, 53-54.

146 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

nur noch solche Beschlüsse faßte, die die Zustimmung der I.O. fanden.303 Als erstes wurde die Reorganisierung der Makedonier-Vereine in den Provinzen Bulgariens in Angriff genommen. Sodann gelang es dem neuen O.M.K., in Bulgarien eine Anleihe aufzulegen, und das zu einer Zeit, in der die bulgarische Regierung selbst unter fi­nanziellen Schwierigkeiten litt. So konnte das O.M.K. den Delegierten des nächsten Makedonier-Kongresses im August 1900 ein Budget in der Rekordhöhe von 450.000 Lewa vorlegen.304 Dieser Kongreß nahm auch die neuen Statuten und Reglements an, die von G. Petrov für das O.M.K. verfaßt worden waren und in denen der Inneren Organisation eindeutig die Vorrangstellung innerhalb der makedonischen Bewegung zugesprochen wurde.305

Die zwischen 1899 und 1901 praktizierte Kooperation der Inneren Organisation mit dem Oberen Makedonischen Komitee ist eine geschichtliche Tatsache, die von der heutigen makedonischen Geschichtsschreibung zuweilen übersehen wird. So behaup­tet I. Katardäiev in seiner ansonsten bedeutenden Monographie, daß es Boris Sarafov ausschließlich durch die Unterstützung bulgarisch-nationaler Offiziersbruderschaften und des Generals ConCev gelungen sei, die Führung des O.M.K. zu übernehmen,306

während in den Memoiren G. Petrovs, des Theoretikers des linken Flügels der I.O., der zugleich als einer der schärfsten Gegner der großbulgarischen Ideologie in Make­donien galt, wörtlich zu lesen steht: „ Das Sarafovsche Komitee haben wir geschaffen, es ist unser Werk,"307

Allerdings ließen die ersten Anzeichen des gegenseitigen Mißtrauens zwischen den Offizieren und den Auslandsvertretern der I.O. nicht lange auf sich warten. Einige Offiziere, die sich um General ConCev, Oberst Jankov und Oberstleutnant Nikolov scharten, begannen, die von DelCev und Petrov vertretene Linie zu bekämpfen.308

Zwei unterschiedliche Auffassungen von der richtigen Strategie zur Befreiung Ma­kedoniens prallten hierbei aufeinander. Die Innere Organisation und ihre Vertreter in Sofia waren der Ansicht, daß die Lage in Makedonien für einen allgemeinen Auf­stand noch nicht reif sei. Ungenügend vorbereitete Schritte, einen solchen auszulö­sen, würden sich eher nachteilig auf die Kampfbereitschaft der Bevölkerung auswir­ken. Deshalb traten sie für die Fortsetzung des bisherigen <?eta-Kampfes, gekoppelt mit politischer Agitation, ein. Dies sei längerfristig der beste Weg, das Volk zu einem eigenständigen und allgemeinen Aufstand zu mobilisieren.309 Dieser Auffassung lag

303 Spomeni na Gjoràe Petrov, S. 78-79. 304 Ebd., S. 81. Vgl. auch Satev, VMakedonija podrobstvo .. . , S. 76. 305 Spomeni na G. Petrov, S. 82. Mitte Mai 1900 hatte das O.M.K. beschlossen, ein Zweig der

I.O. zu werden. Als Gegenleistung dafür sollten zwei Vertreter des O.M.K. in das ZK der I.O. als Mitglieder aufgenommen werden. Vgl. Sitzungsprotokoll vom 1. Mai 1900 (a.S.) des O.M.K., in: Documents and Materials on the History of the Bulgarian People, S. 272.

306 Siehe Serskiot okrug. . . , S. 178. 307 Spomeni na G. Petrov, S. 78 (Übersetzung v. F. A.) B. Sarafov hat sich in späteren Jahren

eher als ein Abenteurer denn als ein prinzipienfester Revolutionär erwiesen, der zudem im Dienste großbulgarischer Interessen stand. Dies sollte jedoch kein Grund dafür sein, seine Rolle in der Geschichte der makedonischen Bewegung entstellt darzustellen.

308 Spomeni na G/orée Petrov, S. 84. 309 Vgl. ebd., S. 60.

Der Dzumaja-Auf stand, 1902 147

die innere Überzeugung zugrunde, daß das makedonische Volk fähig sei, sich eines Tages aus eigener Kraft von der Fremdherrschaft zu befreien.310 Die Concev-Grup­pe, auf der anderen Seite, glaubte nicht, daß die aufständische Bewegung ohne be­waffnete Hilfe von außen Erfolg haben könnte. Auf dem Gebiet der bewußtseinsmäßi­gen Vorbereitung des Volkes war, ihrer Meinung nach, bereits genug getan worden. Nicht Worte, sondern Taten seien nunmehr erforderlich. Hierzu wären allerdings die Volksschullehrer in Makedonien kaum die geeigneten Leute; die Offiziere selbst soll­ten nach Makedonien gehen,um die Leitung der Bewegung zu übernehmen. Die Idee von der allgemeinen Volkserhebung sei utopisch.311

Die Offiziere um Concev unternahmen nun den Versuch, die makedonischen Woiwo-den für die Idee eines begrenzten, jedoch baldigen Aufstandes zu gewinnen. Da sie ihnen auch eine bessere Bezahlung versprachen, verließen mehrere £eta-Führer dar­aufhin die Innere Organisation, um sich unter den Befehl der Offiziere zu stel­len.312

Das Vorgehen ConCevs muß auch unter dem folgenden Aspekt gesehen werden: Das O.M.K. unter der Führung von B. Sarafov brachte Bulgarien durch das Verüben von Attentaten in benachbarten Ländern (z.B. Rumänien) außenpolitisch in eine schwie­rige Lage. Wegen der Aktivitäten der Makedonier machte der russische Außenmini­ster Lamsdorf im August und November 1900 Vorstellungen bei der bulgarischen Regierung und verlangte, daß die Terrorhandlungen des Komitees unbedingt aufhö­ren müßten.313 Daraufhin ließ Fürst Ferdinand, der in dieser Zeit großen Wert auf gute Beziehungen zu Rußland legte, im März 1901 B. Sarafov vorübergehend in Haft nehmen.314 Dies legt den Schluß nahe, daß der Fürst beabsichtigte, durch die ihm ergebenen Offiziere - die ConCev-Gruppe - die Kontrolle über das O.M.K. zu erlan­gen, um so den anarchistischen Tendenzen in der makedonischen Bewegung einen Riegel vorzuschieben. Aber nicht nur Sarafov, sondern auch DelCev und Petrov sahen im Terror ein legiti­mes Mittel des Befreiungskampfes. Wenn sie auch im einzelnen nicht immer mit Sarafov übereinstimmten, so traten sie doch eher dafür ein, den Gegner durch Ter­roranschläge zu demoralisieren, als das Risiko eines verfrühten Aufstandes einzuge­hen.315 Sie beschlossen daher, die Pläne der Conöev-Gruppe zu durchkreuzen. Dazu war erstens vorgesehen, daß DelCev mit einer eigenen Wahlliste zum IX. Makedonier-Kongreß im Sommer 1901 gegen ConCev auftreten sollte und, zweitens, daß Petrov die nordöstlichen Bezirke Makedoniens bereisen sollte, um die Komitees der einzel-

310 Vgl. Ch. Matov, VüzstanBki dejstvija [Aufständische Aktionen], [Sofija] 1925, S. 66-67. 311 Vgl. Spomenina G. Petrov, S. 93-94;Matov, VüzstaniSki. . . , S. 64-66. 312 Spomeni na G. Petrov, S. 86. 313 Vgl. Martynenko, a.a.O., S. 277-278. 314 Ebd., S. 279. 315 Das Einzige, was Petrov an der Ermordung eines gewissen Fitovski in Bukarest, der ein os-

manischer Spion gewesen sein soll, zu kritisieren hatte, war, daß Sarafov mit dem Attentat einige Mitarbeiter der I.O. beauftragte, unter denen sich auch ein gewisser N. Mitev befand, ein Spezialist für die Herstellung von Bomben, dessen Verhaftung für die I. O. besonders schmerzlich war. Vgl. Spomeni na G. Petrov, S. 87.

148 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

nen Ortschaften über die Absichten Conöevs aufzuklären und sie zum Widerstand ge­gen dessen zu erwartende Überfälle auf dieses Gebiet zu ermutigen.316

Auf dem Makedonier-Kongreß, der am 29. Juli 1901 (a.S.) eröffnet wurde, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Gruppe der „Terroristen" und der der „Generäle". Die Ersteren - Sarafov, Kovacev, Davidov und ihre Freunde, die mit Delfiev verbündet waren - unterlagen. Das O.M.K. sollte von nun an von Ge­neral Concev und Prof. Mihajlovski geführt werden.317

Das im Februar 1901 neugebildete Zentralkomitee in Saloniki, dem der exarchisti-sche Lehrer I. Garvanov vorstand, spielte nunmehr im Zusammenhang mit dem von Concev gewünschten Aufstand in Makedonien eine wichtige Rolle. D. Gruev, der Gründer der Inneren Organisation, hatte, nachdem er von der Verhaftung des alten Zentralkomitees Nachricht erhalten hatte, den Kadern angeraten, die Autorität Gar-vanovs anzuerkennen, um die völlige Auflösung der Organisation in jener kritischen Zeit zu verhindern. Mit Ausnahme von G.Petrov, der Garvanov aufgrund dessen exar-chistisch-großbulgarischer Einstellung mißtraute, waren alle angesehenen Führer die­sem Rat Gruevs gefolgt. So unterstützte auch Deldev Garvanov, und zwar in der Hoff­nung, dadurch verhindern zu können, daß dieser gemeinsame Sache mit den Offizie­ren in Sofia machte.318

Das von Conüev-Mihajlovski geführte O.M.K. begann im Herbst 1901, den von ihnen lange ersehnten makedonischen Aufstand vorzubereiten. Zur Enttäuschung einiger Führer der Inneren Organisation arbeitete jetzt auch Garvanov mit dem Conöev-Ko-mitee engzusammen. Frühere Mitglieder der „Revolutionären Bruderschaft" in Salo­niki traten als Anhänger Conöevs auf. In Gevgeli, Prilep und Strumica wurden neue Lokalkomitees gebildet, die sich dem O.M.K. unterstellten.319 Mehrere ältere Woi-woden, wie Donfio in Nordostmakedonien und Kota im Südwesten, die sich mit der bisherigen Führung der I.O. unzufrieden zeigten oder, wie im Falle von Karasulijata, von ihr ausgeschlossen worden waren, schlössen sich nun der aufständischen Bewe­gung Concevs an.320 Seit dem Frühjahr 1902 drangen außerdem immer neue, in Bul­garien ausgerüstete Abteilungen in die grenznahen Gebiete des Sancaks Seres ein.321

Ende August 1902 erschien Oberst Jankov, die „rechte Hand" ConCevs, Ei West­makedonien, um auch jenes Gebiet für den bevorstehenden Aufstand vorzuberei­ten.322

Verschiedene Lokalkomitees in Makedonien leisteten allerdings gegen das Vordringen des O.M.K. erbitterten Widerstand. So vereitelte Cakalarov, einer der fähigsten Woi-woden derl.O., Jankovs Absicht, Kämpfer in Westmakedonien für die Idee eines bal-

316 Spomenina Gjorce Petrov,&. 103-104. 317 Vgl. D. Blagoev,Süöineni/a, Bd. 7, S. 71-76. Vgl. auch Spomenina GjorlePetrov, S. 104. 318 Hierzu vgl. Spomeni na Gjorie Petrov, S. 107-108. 319 Spomenina Gjorie Petrov, S. 106. 320 Ebd., S. 105. Über Kota siehe Dakin, 77ie Greek Struggle in Macedonia, S. 64-72. 321 Vgl. KatardZiev, Serskiot okrug . . . , S. 185. Über die Aktivitäten des O.M.K. in dieser Pe­

riode siehe das geheime Rundschreiben Stefanovs und Deliivanovs vom 5. März 1902 (a.S.) an die Makedonier-Vereine in Bulgarien, in: Documents and Materials on the History of the Bulgarian People, S. 278-280.

322 Vgl. Siljanov, Osvoboditelnite borbi. . . , Bd. 1, S. 167; Dakin, a.a.O., S. 70.

Der Diumaja-Aufstand, 1902 149

digen Aufstandes zu gewinnen.323 Im Sancak Seres, Nordostmakedonien, waren es Sandanski, Cernopeev und Asenov — alle Anhänger der von DelCev und Petrov ver­tretenen Richtung — die die slawische Bevölkerung gegen dasO.M.K. zu mobilisieren versuchten. Um die Bevölkerung über die wahren Ziele des Concev-Komitees zu in­formieren, berief beispielsweise Sandanski am 23. Juni 1902 im Dorf Debrena eine Versammlung ein, an der Lehrer und andere einflußreiche Personen der Umge­bung teilnahmen.324 Das Ausmaß dieses innermakedonischen Widerstandes gegen das O.M.K. brachte schließlich auch Garvanov zu der Überzeugung, daß ein Aufstand im Herbst 1902 fatale Folgen für die makedonische Bewegung haben würde. Gegen Ende des Sommers begann er daher, sich den Absichten ConCevs zu widersetzen.325

Die Fronten innerhalb der makedonischen Bewegung stellten sich somit zu diesem Zeitpunkt wie folgt dar: Das ConCev-Komitee und ein ,,Gegenkomitee" von StaniSev, Stefanov, Karajovov, Tuse Delüvanov und Delöev bekämpften sich in Sofia gegensei­tig.326 Eine dritte Gruppe unter Boris Sarafov, der sich zu dieser Zeit im Ausland be­fand, ergriff Partei gegen die Concev-Gruppe.327 Das eigentliche Zentralkomitee der Inneren Organisation unter Garvanov in Saloniki mißbilligte Conöevs Pläne für einen Aufstand. Schließlich waren im Nordosten Makedoniens Vorbereitungen im Gange, der Concev-Gruppe bewaffneten Widerstand entgegenzusetzen.328

Die muslimische Bevölkerung Makedoniens war wegen der Zunahme aufständischer Aktivitäten im Frühjahr und Sommer 1902 sehr beunruhigt, Der österreichisch-un­garische Vizekonsul Kral berichtete aus Monastir:

Die Furcht vor den Comités und einer Erhebung der Bulgaren, die Verhaßtheit derselben -schori wegen der vielen Mordthaten - hat in der Bevölkerung, namentlich in der moham­medanischen, derartig zugenommen, daß Repressalien unausweichlich sind. Die türkischen Ciftlikbesitzer trauen sich aus der Stadt gar nicht hinaus . . . Die Türken erkennen sehr wohl die Bedeutung der herannahenden Gefahr für ihre Herrschaft und denken an die Noth-wendigkeit ihrer Organisierung und Vertheidigung. An mehreren Orten haben sich auch ihrerseits Comités und Banden gebildet, wie in Resna und Perlepe . . .***

Eine Tendenz zum Widerstand gegen das Bemühen der Slawen, die Vorherrschaft auf dem Westbalkan zu erringen, machte sich besonders unter den Albanern bemerkbar. Diese hatten schon im Oktober 1896 eine Petition an die Großmächte gerichtet, in der sie die Vereinigung der Vilayets von Kosovo, Monastir, Saloniki, Janina und Skuta­ri, — dji. mit Ausnahme des Vilayets Adrianopel die gesamte damalige europäische Türkei - , zu einem einzigen albanischen Verwaltungsbezirk mit der Hauptstadt Mo-

323 Zum Konflikt zwischen Jankov und Cakalarov siehe Dakin, a.a.O., S. 70-72. 324 Vgl. Katardzrev, Serskiot okrug . . . , S. 152-154. 325 Die eigentliche Ursache dieses Frontwechsels dürfte darin gelegen sein, daß die Führung

des O.M.K. die Absicht hatte, in Saloniki ein neues Komitee zu gründen, das dem O.M.K. in Sofia unmittelbar unterstehen sollte. Man wollte Garvanov nur die Leitung der lokalen Komitees in Saloniki überlassen. Vgl. Spomeni na Gjorie Petrov, S. 106,116.

326 Ebd., S. 115. Die Spaltung des O.M.K. erfolgte während des 10. Makedonier-Kongresses in Sofia am 3. August 1902 (a.S.).

327 Ebd.,S. 114-115. 328 Istorija na Makedonija,S. 182. 329 Kral an Goluchowski, Monastir, 28. Feber 1902, Nr. 22, HHStA, PA XXXVII1/391.

ISO Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

nastir verlangten. Die in diesem Gebiet dienenden Beamten sollten neben der türki­schen auch die albanische Sprache beherrschen.330 Im Januar 1899 beschlossen die Vertreter der nordalbanischen Muslime in Ipek (Peé) die Gründung einer neuen Liga, die die Bekämpfung der makedonischen Aufstandsbewegung zum Ziel hat­te.331

Angesichts dieser gespannten Lage waren die osmanischen Sicherheitsbehörden be­strebt, durch eine mäßigende Haltung zu erreichen, daß die makedonischen Ereig­nisse nicht ins Zentrum des öffentlichen Interesses in Europa rückten. Dies ging so weit, daß osmanische Gendarmerie möglichen Begegnungen mit revolutionären Ban­den aus dem Weg ging. In einem Konsularbericht aus Saloniki wird die Vermutung geäußert, daß dies vom Gouverneur der Provinz befohlen worden sei, „damit über hierlands herrschenden Unruhen möglichst wenig aufsehens gemacht werde."332 Vi­zekonsul Kral berichtete in diesem Zusammenhang wie folgt:

Wenn es ihnen [den bulgarischen Komitees] ferner auch, ungeachtet aller Provozierungen, bisher nicht recht gelingen wollte, den mohammedanischen Fanatismus bis zur Anrich-tung eines Blutbades hinzureißen, was - wie gehofft wird - die Einmischung der europä­ischen Diplomatie zur Folge haben müßte, so erzeugt ihr Vorgehen nichtsdestoweniger eine beständige Beunruhigung der Bevölkerung . . . Das Verhalten der Türken gegenüber dieser, das ganze Gefüge ihrer Staatsmaschine bis auf den Lebensnerv erschütternden Bewegung ist ein zwar strenges. . . entbehrt aber bis jetzt dennoch nicht einer gewissen Ruhe und Mäßigung . . . ' "

Die russophile Regierung Danev in Sofia jedoch machte in einem Rundschreiben an ihre diplomatischen Vertreter im Ausland im April 1902 die osmanische Regierung für die gefährliche Lage in Makedonien verantwortlich. Die dort lebende bulgari­sche Bevölkerung greife in ihrer Verzweiflung zu den Waffen, um ihre Habe zu ret­ten. Die Großmächte sollten doch erwägen, ob es nicht im Interesse des Friedens lie­ge, in Makedonien und im Vilayet von Adrianopel jene Reformen einzuführen, die im Berliner Vertrag vorgesehen seien,334 Währenddessen wurden die Vorbereitungen für den makedonischen Aufstand weitergeführt und Anfang Herbst 1902 abge­schlossen. Das Obere Makedonische Komitee wählte als Operationsraum die Kazas von Dzumaja, Petriö, Melnik und Razlog in Nordostmakedonien.33' Am 18. Sep­tember wurde in diesem Gebiet, im Dorfe Gradevo, eine Versammlung abgehalten, in der man den 25. September als den Tag bestimmte, an dem der Aufstand los­brechen sollte.336 Dieses Datum war auf die Sipka-Feierlichkeiten in Bulgarien abgestimmt.337

330 Vgl. Bartl, Die albanischen Muslime zur Zeit der nationalen Unabhängigkeitsbewegung, S. 149.

331 Vgl. ebd. 332 Ritter von Stepski an Goluchowski, Saloniki, 9. September 1902, Nr. 41 pol., HHStA, PA

XXXV1II/407. 333 Konsulat Monastir, 4. Juli 1902, Nr. 48, HHStA, PA XXXVIII/391. 334 Schulthess 18 (1902), S. 300-301. 335 Vgl. Dakin, 77ie Greek Struggle in Macedonia, S. 76 -77; Katardziev, Serskiot okrug....

S. 185. 336 Katardziev, a.a.O., S. 186. 337 Telegramm des Botschafters Calice, Jeniköj, 22. September 1902, HHStA, PA XII/179.

Der Dzumaja-Aufstand, 1902 151

Die Sipka-Feierlichkeiten waren von der bulgarischen Regierung zur Erinnerung an die Kämpfe, die während des russisch-osmanischen Krieges von 1877-78 im Balkan­gebirge stattgefunden hatten, auf den 27. bis 29. September angesetzt worden.338

Das Kabinett Danev war bestrebt, sie zu einer panslawistischen Demonstration zu machen.339 Bei der großen Gedenkfeier am Sipkapaß waren auf russischer Seite der Großfürst Nikolaus, Kriegsminister Kuropatkin und der frühere Botschafter in Istan­bul, Graf Ignat'ev, anwesend. Ihre im Geist des Panslawismus gehaltenen Reden mach­ten die Zwiespältigkeit der russischen Balkanpolitik deutlich. Einerseits sprach man immer wieder davon, daß der Zar den Wunsch hege, Bulgarien in den gemäß dem Vertrag von San Stefano festgelegten Grenzen wiederhergestellt zu sehen. Besonders Ignat'ev, der im Anschluß an die äipka-Zeremonie weitere Reden in Sofia hielt, wand­te sich in scharfen Formulierungen gegen das Osmanische Reich.340 Andererseits eil­te Großfürst Nikolaus am 2. Oktober nach Istanbul, um dem Sultan Friedens-und Freundschaftsversicherungen im Namen des Zaren zu übermitteln,341 und der Bot­schafter Rußlands in der osmanischen Hauptstadt übte heftige Kritik an den Äuße­rungen Ignat'evs.342

Der Dzumaja-Aufstand begann am 23. September in Zdesnica, einem Dorf in der Ka-za Cuma-i Bala (Dzumaja), und griff auf die Dörfer Gradevo und Sarbinovo über.343

Obwohl General ConCev, der die Kampfhandlungen in Makedonien persönlich leite­te, der Landbevölkerung versprochen hatte, daß die Streitkräfte Bulgariens und Ruß­lands ihnen zu Hilfe kommen würden,344 nahmen nur wenige Bauern an den Kämpfen teil.345 Dies lag hauptsächlich daran, daß die Innere Organisation diesen Aufstand mißbilligte.346 Die örtlichen Führer, wie Sandanski, Cernopeev, Asenov und KovaCev,

338 Siehe Schulthess 18 (1902), S. 301. 339 Hierzu u.Z. folg. vgl. Blagoev, „Sipcenskite türzestva", S. 381-393, und derselbe, „Otno-

äenija russkago pravitel'stva k Bolgarii i makedonskomu voprosu" [Das Verhältnis der rus­sischen Regierung zu Bulgarien und zur Makedonischen Frage (geschrieben 1903)], in: Sü-cinenija, Bd. 8, Sofija 1958, insbesondere S. 574-575.

340 Allerdings konnten aufmerksame Beobachter in diesen Reden Ignat'evs auch die Warnung hören, daß der makedonische Aufstand zwar längerfristig unabwendbar sei, auf keinen Fall aber schon im Herbst 1902 entfacht werden dürfe. Vgl. Blagoev, „Otnoäenija russkago pra­vitel'stva . . ." ,S. 575.

341 GP, Bd. 18,1, Nr. 5470, S. 173-174. 342 GP, Bd. 18,1, Nr. 5473, S. 176. 343 Katardziev, a.a.O., S. 187; Dakin, a.a.O., S. 78. Noch vor dem Ausbruch der Kämpfe be­

richteten die Sofiaer Zeitungen, daß ein Aufstand in Makedonien unmittelbar bevorstehe. Der Präsident des O.M.K., Michajlovski, forderte während einer Massenveranstaltung in So­fia die Bevölkerung Bulgariens auf, den Aufständischen zu helfen. Vgl. Katardiiev, a.a.O., S. 186.

344 „Mehrfach berichten Personen, die aus Mazedonien kommen, daß General Zontschew . . . den Widerstand der Landbevölkerung in Mazedonien, sich den Banden anzuschließen oder ihnen wenigstens passive Unterstützung zu leihen, dadurch zu überwinden suchte, daß er für das kommende Frühjahr das Einrücken bulgarischer Truppen in das mazedonische Grenzgebiet in sichere Aussicht stellte." Pester Lloydvom 16. November 1902.

345 AP Turkey No. 3 (1903), S. 27-28. 346 „Je ausgesprochener sich die Aktion Michailowski-Zontschew in das Zeichen einer Arbeit

,für Bulgarien' stellt, desto entschiedener lautet das ,Nein' der Autonomisten." Pester Lloydvom 16. November 1902. /

152 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

leisteten sogar aktiven Widerstand gegen Concev.347 Unter diesen Umständen konn­te gar nicht an einen Erfolg des Aufstandes gedacht werden. Der österreichisch-un­garische Geneialkonsul in Saloniki spricht in einem Bericht denn auch nur von Schar­mützeln, die zwischen den osmanischen Truppen und etwa 300—400 Eindringlingen aus Bulgarien stattfänden. Das Ganze sei lediglich eine Terroraktion.348

Die Truppen nahmen die Verfolgung der Aufständischen gemäß dem ihnen vorlie­genden Befehl des Sultans mit einer bislang unbekannten Zurückhaltung auf.349 Sie gerieten jedoch am 11. Oktober bei der Kresna-Schlucht in einen Hinterhalt, wo für sie verlustreiche Kämpfe stattfanden.350 Als Antwort darauf intensivierten sie die Verfolgung. Bis Mitte November war es ihnen gelungen, den Aufstand zu unterdrük-ken, wobei in etwa 15 Dörfern größerer materieller Schaden entstand. An die 200 Personen flüchteten über die Grenze, 37 Personen wurden getötet.351

Die „schnelle und humane Unterdrückung des Aufstandes", wofür der russische Bot­schafter dem Sultan seine Anerkennung aussprach,352 versetzte die revolutionären Kräfte in Makedonien in eine prekäre Lage. Die Behörden unternahmen Suchaktio­nen auch in Gegenden wie Stip und Strumica, die nicht zum Kerngebiet des Aufstan­des gehörten.353 Viele Bauern lieferten ihre bislang versteckt gehaltenen Gewehre nunmehr sogar „freiwillig" ab.354

Die Conöev-Gruppe dagegen hatte keinen Grund, über den Ausgang der Kampfhand­lungen unzufrieden zu sein. Obwohl der Aufstand mit einem Fiasko geendet hatte, war das Ziel doch erreicht worden; in der Öffentlichkeit sprach man nun über die

347 Vgl. tstorija na Makedoni/a, S. 182. 348 Hickel an Goluchowski, Saloniki, 23. Oktober 1902, Nr. 51 pol., HHStA, PA XXXVIII/

407. Dakin, der sich vorwiegend auf englisches Quellenmaterial stützt, gibt die Zahl der Teilnehmer an diesem Aufstand mit 500 Mann an: Rund 300 Mann seien aus Bulgarien ge­kommen, und der Rest habe aus örtlichen Kämpfern bestanden. Siehe a.a.O., S. 77. Nach Istorija na Makedoni/a war die Kampfstärke der Aufständischen etwa 350-400 Mann. Der Bulgare Bozinov dagegen behauptet, daß über 2.500 Kämpfer an diesem Aufstand teilge­nommen hätten. Vgl. „Nacionalnoosvoboditelnata borba na bülgarskoto naselenie v Ma-kedonija . . .", S. 80.

349 Die Erteilung eines solchen Befehls erfuhr der österreichisch-ungarische Generalkonsul in Saloniki von einem Postangestellten österreichischer Nationalität. Hickel an Goluchowski, Saloniki, 27. September 1902, Nr. 46, streng vertraulich, HHStA, PA XXXVIII/407.

350 Dakin, a.a.O., S. 78-79. 351 Vgl. Istorija na Makedonija, S. 183. Der englische Generalkonsul in Saloniki, Biliotti, be­

richtete Ende Januar 1903, daß zwischen Ende September und Ende Oktober 1902 31 Christen und 34 mohammedanische Zivilisten umgekommen seien. AP Turkey No. 3 (1903), S. 56-61. Nach Bozinov suchten 3.000 Personen in Bulgarien Zuflucht. A.a.O., S. 80. Nach dem (offiziösen) Journal de Salonique vom 20. Oktober 1902 seien Bewohner einiger Dörfer aus Furcht vor Strafe nicht in ihre Dörfer zurückgekehrt. Daraufhin habe der Sultan für sie eine Amnestie erlassen.

352 Berliner Neueste Nachrichten vom 24. Oktober 1902. 353 Hierzu u.z. folg. vgl. Spomeni na Gjoräe Petrov, S. 121-122;/U> Turkey No. 3 (1903), S.

56-61. 354 Nach einem Bericht des serbischen Generalkonsuls in Saloniki vom 14. November 1902 ha-

. ben die Behörden zwischen dem 14. Oktober und 2. November (a.S.) 1.500 Gewehre kon-, fisziert. Der größere Teil dieser Waffen sei von den Bauern freiwillig abgegeben worden. Nach Katardziev, Serskiot okrug . . . , S. 221-222.

Der Dzumaja-Auf stand, 1902 153

Aktivitäten des Oberen Makedonischen Komitees,, während die Innere Organisation zunehmend in Vergessenheit geriet. Außerdem war durch die Entsendung von bewaff­neten Abteilungen aus Bulgarien demonstriert worden, daß die Makedonische Frage eine bulgarisch-nationale Angelegenheit war. So beschloß das O.M.K., während die Gefechte in Nordostmakedonien noch andauerten, seinen Vorsitzenden, Prof. Mi-chajlovski, auf eine Rundreise durch europäische Hauptstädte zu schicken, „um den europäischen Völkern einen Bericht über die Lage in Macédonien und im Adriano-peler Vilajet darzulegen."3SS Michajlovski erklärte in einem Telegramm an die Regie­rungen der Großmächte: „The era of violence and vengeance is recommencing in Turkey. In several districts . . . regular Turkish troops are massacring women and children."356 In Wien angekommen, gab er der Neuen Freien Presse ein Interview, in dem die folgende Charakterisierung des makedonischen Aufstandes hervorzuheben ist, weil sie den Standpunkt des O.M.K. in seiner stärksten Abweichung von der diesbezüglichen Auffassung der Inneren Organisation wiedergibt:

Wenn wir von einem Aufstand in Makedonien sprechen, so dürfen Sie nicht etwa an eine Massenerhebung denken, an eine Revolution nach französischem Muster etwa. Das ent­spricht gar nicht unserem Volkscharakter. Die Ereignisse in Mazedonien spielen sich heu­te noch so ab, wie es die alten Volkslieder und Sagen melden. Es ist ein Haidukenaufstand; eine Empörung, die sich in Bandenbildung ausspricht.357

Auf der diplomatischen Ebene waren zu dieser Zeit die Vorbereitungen der Groß­mächte für eine Reformaktion für Makedonien im Gange. Als die Pforte im Oktober 1902 auf das fortgesetzte Überschreiten bulgarischer Banden auf osmanisches Gebiet aufmerksam machte, zeigte man sich (außer in Berlin) nur in St. Petersburg verständ­nisvoll.358 Auf der anderen Seite richtete die bulgarische Regierung ihrerseits eine Note an die Großmächte, in der sie diese auf die bedrohliche Lage in Makedonien hinwies und sie aufforderte, dafür zu sorgen, daß injenem Gebiet Reformen durchge­führt würden, da sie sonst selbst nicht in der Lage wäre, die Bewegung in Bulgarien unter Kontrolle zu halten.359 Der diplomatische Vertreter Frankreichs in Sofia, La Boulinière, schlug genau in dieser Zeit (Oktober) ein gemeinsames Vorgehen gegen das Osmanische Reich vor, um Reformen zugunsten der Christen in Makedonien durchsetzen zu können.360 Im November erkundigte sich der Exarch Josif in Istan­bul beim österreichisch-ungarischen Botschafter, Freiherr von Calice, danach, ob es nicht möglich sei, in Makedonien irgendeine Form von politischer Autonomie ein­zuführen.361

355 Bulgarische Handelszeitung vom 3./16. Oktober 1902. 356 Daily Chronicle vom 20. Oktober 1902. 357 „Der macedonische Knoten, ein Gespräch mit Stojan Michaüowski", Neue Freie Presse,

Abendblatt vom 10. November 1902. 358 GP, Bd. 18,1, Nr. 5470. 359 Neue Freie Presse, 24. Oktober 1902. 360 Vgl. S. Damjanov, „La diplomatie française et les réformes en Turquie d'Europe (1903-

1908)", EH 7 (1975), S. 348-349. 36-1 Calice an Goluchowski, Jeniköj, 12. November 1902, Nr. 52 C, streng vertraulich, HHStA,

PA XU/179.

154 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

Im Hinblick auf die makedonischen Reformen kommt der Haltung der österreichisch­ungarischen Regierung große Bedeutung zu. Die Doppelmonarchie, die sich 1897 der Politik der Bewahrung des status quo auf der Balkanhalbinsel verpflichtet hatte, war im folgenden Jahrzehnt bestrebt, ihre Einflußsphäre in diesem Teil Europas da­durch zu erweitern, daß sie immer stärker als Beschützer der Balkan-Christen hervor­trat.362 Bereits Ende 1901 wollte Goluchowski die Ansichten der russischen Regierung zu möglichen Reformen in Makedonien erfahren. Als jedoch der russische Außenmini­ster Lamzdorf ihm Anfang Januar 1902 vorschlug, erst einmal Vorstellungen bei den Regierungen in Sofia, Belgrad und Athen wegen ihrer Unterstützung subversiver Ak­tivitäten in Makedonien zu machen, verhielt er sich zurückhaltend.363

Angesichts der von Österreich-Ungarn, aber auch von Frankreich und England, ein­geleiteten Aktion für die makedonischen Reformen konnte jedoch Rußland, als die traditionelle Schutzmacht der orthodoxen Christen, nicht länger passiv bleiben.364

Der russische Botschafter in Wien, Graf Kapnist, und der diplomatische Vertreter in Sofia, Bachmetev, drängten den Außenminister Graf Lamzdorf zum Handeln.365 So wurde Zinov'ev im November zur Berichterstattung an den Zaren nach Jalta bestellt. Bei einer Audienz beim Sultan nach seiner Rückkehr konnte er diesem als spezielle Reformmaßnahmen nur die Aufnahme von Christen in die makedonische Gendarme­rie, die Abschaffung der Steuerpacht sowie die Entfernung der Valis von Monastir und Kosovo, die den Bulgaren unbequem waren, empfehlen.366 Diese Vorschläge deckten sich bis auf die letzte Forderung mit denjenigen, die vom französischen Ge­neralkonsul in Saloniki, L. Steeg, am 28. Oktober an Delcassé gemacht worden wa­ren.367 Im November 1902, während der Abwesenheit Zinov'evs von Istanbul erziel­ten jedoch der englische Botschafter Sir Nicolas O'Conor und Freiherr von Calice Einvernehmen über die Aufstellung eines Reformprogramms, das im Unterschied zu den „konservativen" Vorschlägen Zinov'evs die graduelle Einführung einer autono­men Verwaltung in Makedonien vorsah.368

362 Hierzu u.z. folg. vgl. K. Popov,Avstro-UngarijaireformitevEvropejska Turcija 1903-1908, S. 38-39.

363 Baron Calice, der diese Politik in Istanbul vertrat, wird in den Berichten des deutschen Bot­schafters Frh. Marschall von Bieberstein wiederholt kritisiert. So schrieb dieser am 16. Ja­nuar 1901 an den Reichskanzler Grafen von Bülow in Bezug auf die Ansicht Calices, daß in Makedonien irgend etwas vorgehe und daher die Mächte etwas tun müßten, folgendes: „Bestimmte neue Tatsachen zur Begründung dieser Ansicht stehen ihm nicht zu Gebote. . . Auf die Empfindung, daß etwas vorgeht, das man nicht kennt, und deshalb etwas gesche­hen müsse, über das man sich nicht klar ist, kann meines Erachtens eine vernünftige Politik nicht gegründet werden." GP, Bd. 18,1, Nr. 5445, S. 122-123.

364 GP, Bd. 18,1, Nr. 5494, S. 205-210. 365 Im Gegensatz zu dem politisch konservativen Diplomaten Zinov'ev in Istanbul galten Kap­

nist und Bachmetev als Panslawisten, die für eine offensive Politik auf dem Balkan eintra­ten.

366 GP, Bd. 18,1, Nr. 5479;Berliner Tageblatt vom 28. November 1902. 367 Dieser Bericht von L. Steeg ist enthalten in: Documents and Materials . . . , S. 291-293.

Hierzu vgl. auch R. Pinon, „La question de Macédoine, II. Les réformes", Revue des deux mondes, 1 Juni 1907, S. 667-668; S. Damianov, „La diplomatie française et les réformes en Turquie d'Europe (1895-1903)",£-S, 2-3 (1974), S. 140.

368 GP, Bd. 18,1, Nr. 5494.

Der Dïumaja-Aufstand, 1902 155

Der Sultan hatte seit langem gefürchtet, daß einige Mächte von ihm derart radikale Reformen für Makedonien verlangen würden. Um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, hatte er im Juli 1902, also noch vor dem Dzumaja-Aufstand, die Bildung ei­ner Komission angeordnet, die ihm über die erforderlichen Maßnahmen zur Verbes­serung der Verwaltung in den europäischen Vilayets berichten sollte.369 Am 26. No­vember, dii. im Anschluß an die Refonnforderungen Zinov'evs, empfahl Freiherr Marschall von Biberstein dem Sultan, „gewisse Maßregeln in jenen Provinzen durch­zuführen, um die türkische Staatsautorität zu stärken . . . Aus eigener Initiative die Befehle zur Durchführung dieser Maßregeln sofort zu erteilen."310

Unter allen Großmächten besaß damals Deutschland den größten Einfluß in Istanbul, und dies deshalb, weil das Osmanische Reich international isoliert war und nur von Deutschland mit diplomatischer Unterstützung rechnen konnte.371 Deutschland hin­gegen war daran interessiert, für seine Industrie neue Absatzmärkte und Rohstoff­quellen, für sein Industrie- und Finanzkapital neue Anlagemöglichkeiten im Nahen Osten zu erschließen.372 Die wirtschaftlich-imperialistische Durchdringung des Os­manischen Reiches brachte notwendigerweise das politische Engagement für dessen unversehrtes Weiterbestehen mit sich.373 Es war kein Zufall, daß die Zurückhaltung und sogar gelegentliche Parteinahme Deutschlands für den osmanischen Standpunkt in der makedonischen Reformfrage mit dem Abschluß der Bagdad-Konvention (1902) zeitlich zusammenfiel.374 Allerdings sollten die deutsch-osmanischen Beziehungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht allein unter dem Gesichtspunkt eines imperia­listischen Ausbeutungsverhältnisses betrachtet werden.375 Die persönliche Einstellung und Geschicklichkeit des Botschafters Marschall beispielsweise war in diesem Zusam-

369 Mitte September hielt sich diese Kommission in Monastir auf. Kial an Goluchowski, Mona­stic 8. Oktober 1902, Nr. 73, HHStA, PA XXXVIII/391.

370 GP, Bd. 18, I, Nr. 5480. Hierzu vgl. auch Lindow, Freiherr Marschall von Bieberstein als Botschafter in Konstantinopel, S. 81-82.

371 Der Sultan soll einmal gesagt haben: „Es hat keinen Sinn, meine Freundschaft mit dem deutschen Kaiser zu bekritteln, denn die Deutschen nützen mir so sehr, wie ich es zulasse, während das übrige Europa mir schadet, wie es nur kann" J. Haslip, Der.Sultan. Das Le­ben Abd ul-Hamids II, S. 242.

372 Hierzu vgl. u.a. G.W.F. Hallgarten, Imperialismus vor 1914. Die soziologischen Grundlagen der Außenpolitik europäischer Großmächte vor dem ersten Weltkrieg, München 1963, Bd. 1, S. 474-483; W. Gutsche, „Zum Verhältnis zwischen Ökonomie und Politik in der Südost­europapolitik des deutschen Imperialismus vom Ende des XIX. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges", EB 3 (1975), S. 44-63.

373 Vgl. Geschke, Die deutsche Politik in der mazedonischen Frage .. . , S. 24. 374 Die Bagdadbahn-Frage kann im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt werden. Aus der Li­

teratur über dieses Thema sei erwähnt: E. M. Earle, Turkey, the Great Powers and the Bagdad Railway, London 1923. Siehe auch Lindow, a.a.O., S. 38-75; Böge, Wirtschafts­interessen und Orientalische Frage, S. 116 ff.

375 Trotz der steigenden Tendenz war der deutsche Warenexport in das Osmanische Reich in dieser Periode vergleichsweise noch bescheiden. Er hatte (einschließlich Montenegro, Kreta und die Transitwaren für Persien) im Jahre 1904 einen Wert von 93.900.000 frs. Zum Ver­gleich betrug der französische Export 51.071.000 frs, der italienische 69.578.000 frs, der österreichisch-ungarische (im Jahre 1905) 95.518.000 frs, und der englische (1905) 176.223.462 frs. Vgl. R. Pinon, „La rivalité des Grandes Puissances dans l'Empire Otto­man", Revue des deux mondes, 15. November 1907, S. 338-375.

156 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

menhang ebenfalls ein bedeutender Faktor. Dieser verstand es, durch sorgfältige Rücksichtnahme auf osmanische Empfindlichkeiten, den Respekt und das Vertrauen des Sultans zu gewinnen.376 Er hatte hierbei nicht immer die volle Unterstützung des Auswärtigen Amtes oder des Reichskanzlers.377

Der oben erwähnte Ratschlag Marschalls an den Sultan, aus eigener Initiative Reform­maßnahmen zu treffen, veranlaßte diesen, noch im November eine Reihe von „In­structions concernant les Vilayets de la Turquie d'Europe" zu erteilen.378 Diese hat­ten im wesentlichen folgendes zum Inhalt:

a) Die Gendarmerie wird sich in Zukunft aus Mohammedanern und Christen rekrutieren; b) 5% der Vilayeteinnahmen sollen für öffentliche Bauten zur Verfügung gestellt werden; c) Alle Gemeinden, die über 50 Haushalte zählen, erhalten eine Volksschule. Zwei Drit­

tel der Fonds, die für den öffentlichen Unterricht bestimmt sind, werden an Ort und Stelle verwendet, und ein Drittel wird für höhere Schulen in Istanbul überwiesen;

d) Die Ernennung von Gerichtsbeamten wird künftig im gleichen Verhältnis von Moham­medanern und Christen erfolgen;

e) Ein Generalinspektor wird ernannt, der beauftragt ist, die Durchführung dieser Maß­regeln zu überwachen und die Verwaltung zu inspizieren.37'

Einige Großmächte erachteten diese Maßnahmen, schon weil sie vom Sultan angeord­net wurden, grundsätzlich als wertlos,380 Hier und da sah man sogar die Zeit für die Schaffung eines autonomen makedonischen Staates als gekommen an. Der Botschaf­ter Rußlands in Wien, Graf Kapnist, zum Beispiel unternahm den Versuch, seine Re­gierung für eine solche Idee zu gewinnen.381 Der englische Botschafter in Istanbul meinte gegenüber dem Sultan, der neuernannte Generalinspektor Hilmi Pasa sei zwar ein tüchtiger Administrator, besitze aber kein hohes internationales Ansehen. An sei­ner Stelle hätte man lieber den osmanischen Griechen Alexander Karatheodori Pasa ernennen sollen,382 So bezweckte man offensichtlich, durch die eventuelle Ernennung eines Christen zum Generalinspektor der makedonischen Provinzen den ersten Schritt in Richtung auf eine makedonische Autonomie zu tun.383

376 Lindow, a.a.O., S. 43. 377 Vgl. ebd., S. 47; Gesenke, a.a.O., S. 27-30. 378 Karal, Osmanli tarihi, Bd. 8, S. 156-157. Der französische Text in; Diplomatische Akten­

stücke über die Reformaktion in Mazedonien 1902-1906, S. 1-4. 379 Hüseyin Hilmi Paca, der Gouverneur von Jemen, wurde zum Generalinspektor von den

„drei Vilayets" ernannt; er traf am 8. Dezember 1902 in Saloniki ein. 380 R. Pinon schrieb 1907: „C'est une méthode que les hommes d'Etat ottomans pratiquent

volontiers quand ils se rendent compte que l'Europe va se trouver oblige'e de les mettre en demeure de tenir leurs engagemens: ils se hâtent alors de promulguer eux-mêmes quelques beaux règlemens ou quelques bonnes lois. . . Ainsi essaya de faire Abd-ul-Hamid en 1902 . . ." „La question de Macédoine, II. Les réformes", S. 668.

381 GP, Bd. 18,1, Nr. 5492. Vgl. auch Popov, Avstro-Ungarija i reformite v Evropejska Turcija, S. 46.

382 GP, Bd. 18, I, Nr. 5496. Karatheodori war schon beim Berliner Kongreß osmanischer Be­vollmächtigter gewesen.

383 In der europäischen Presse wurden zwei weitere Namen als Kandidaten für diesen Posten er­wähnt; Alexandre Vogoridès (Aleko Pasa), der 1885 Generalgouverneur der autonomen Provinz Ostrumelien war, und Prinz Mirko von Montenegro. Le Temps vom 6. Januar 1903.

Der Dïumaja-Aufstand, 1902 157

Im Dezember 1902 wurde bekannt, daß der russische Außenminister Graf Lamzdorf eine Balkanreise antreten und anschließend Wien besuchen werde.384 Dies löste fie­berhafte diplomatische Aktivitäten aus. In Bulgarien wies der Ministerpräsident Da-nevdie Führer der makedonischen Bewegung an, eine Liste ihrer Minimalforderungen in Bezug auf die makedonischen Reformen aufzustellen, worüber er mit Lamzdorf verhandeln wollte. Während DelCev und Petrov es ablehnten, mit irgendwelchen Mi­nimalforderungen im Namen der Inneren Organisation hervorzutreten, zeigten sich zwei Mitglieder des früheren, 1901 verhafteten Zentralkomitees, Tatarôev und Matov, die dank einer Amnestie des Sultans Anfang September aus einem kleinasiatischen Gefängnis entlassen worden waren,385 daran interessiert, mit der bulgarischen Regie­rung zusammenzuarbeiten.386 Die Forderungen der Makedonier an den russischen Außenminister lauteten im wesentlichen wie folgt:

. . . Als Grundlage minimaler, aber wirklicher Reformen muß die Vereinigung der christ­lichen Bevölkerung der drei Vilayets von Üsküb, Bitolia und Salonik - zu einer Provinz ins Auge gefaßt werden. Dies erfordern die geographischen, wirtschaftlichen, culturellen und socialen Verhältnisse der Ortschaften, welche das eigentliche Macédonien bilden. Die­ser Provinz muß unbedingt ein einziger General-Gouverneur vorstehen, welcher auf die moralische Unterstützung der christlichen Ortsbevölkerung rechnen kann. Dies ist aber nur dann möglich, wenn dem General-Gouverneur eine Provinzialversammlung und eine Lokalmiliz zur Seite stehen.387

Ein wichtiger Aspekt dieser Forderungen war die Beschränkung des Reformgebietes auf die drei Vilayets von Saloniki, Monastir und Kosovo, während das osmanische Programm in allen sechs europäischen Vilayets des Reiches Anwendung hätte finden sollen. Das osmanische Programm wurde jedoch von den makedonischen Komitees entschieden abgelehnt.388

Am 28. Dezember überreichte in Sofia eine aus sechs Mitgliedern bestehende Depu­tation dem Grafen Lamzdorf eine Adresse betreffend die Minimalreformen, die von den makedonischen Komitees als notwendig erachtet wurden.389 Der russische

384 Über die Hintergründe dieser für die damalige Zeit recht ungewöhnlichen Reise siehe den ausführlichen Artikel, „Die Reise des Grafen Lambsdorff", in der Neuen Freien Presse vom 21. Dezember 1902.

385 Ch. Matov za svojata revoljucionna dejnost, S. 51. 386 Spomeni na Gjorle Petrov, S. 120. 387 Auszugsweise Übersetzung aus der Zeitung Prjaporec vom 7./20. Dezember 1902. Anlage

zum Bericht des deutschen Generalkonsuls in Sofia vom 24. Dezember 1902. PAAA, Tür­kei 156, Bd. 46, A. 18697.

388 „Die christliche Bevölkerung Macédoniens will keine Reformen aus der Hand der türki­schen Regierung, denn die Christen im türkischen Reiche wissen sehr wohl, was türkische Reformen bedeuten. Die Christen erwarten eine Verbesserung ihrer Lage von Europa nur, welches beim Berliner Congreß die Christen der europäischen Türkei feierlichst unter sei­nen Schutz nahm . . . Bei den Macedoniern und den Bulgaren des Vilayets Adrianopel ist die Geduld erschöpft. Und wenn Europa durch rasche und energische Maßregeln nicht bald eingreift um der türkischen Willkür ein Ende zu machen, so werden sie ihr Heil in einem verzweifelten Kampfe suchen." Aus der Zeitung Reformi vom 28. Dezember/10. Januar 1903, dem Organ des Oberen Makedonischen Komitees. Anlage zum Bericht Nr. 9, Sofia, 13. Januar 1903, PAAA, Türkei 156, Bd. 49.

389 Der Deputation gehörten an: die Professoren MiletiC und Georgov für die makedonisch-adrianopler Emigration in Sofia, Staniäev und Karajovov für das Makedonisch-Adrianopoler

158 Die Vorbereitungsphase des makedonischen Volksaufstandes

Außenminister aber, dessen Haltung übrigens auf die nationalistischen Kreise in Bul­garien sehr ermutigend wirkte,390 erteilte der Danev-Regierung lediglich den Rat, al­les zu tun, um den Frieden zu erhalten,391 Gleiches äußerte er in Belgrad gegenüber König Alexander von Serbien,392 In Wien schließlich gelang es Lamzdorf, dahinge­hend zu wirken, daß der Vorschlag des Grafen Kapnist, einen Generalgouverneur für Makedonien zu ernennen, als inopportun aufgegeben wurde.393 Goluchowski und Lamzdorf einigten sich darauf, in der Makedonischen Frage gemeinsam vorzugehen.394

Sie faßten ihre Reformvorstellungen für Makedonien in den sogenannten Wiener Punktationen zusammen, die als Anhaltspunkte für weitere Verhandlungen der Bot­schafter beider Mächte in Istanbul dienen sollten.395

Die von Lamzdorf erteilten Ratschläge zeigten bald ihre Wirkung. Am 14. Januar 1903 hielt der serbische König Alexander Obrenovic eine Rede anläßlich der Feier des 25. Jahrestages der Einnahme von NiS, in der er versprach, daß Serbien weiterhin ein Element des Friedens und der Ordnung auf dem Balkan bleiben würde. Allerdings müsse die Welt wissen, „daß niemand auf dem Balkan auch nur einen Fußbreit erwer­ben kann, ohne daß auch Serbien seinen Anteil erhielte."396 Einen Monat später, am 14. Februar 1903, beschloß die Danev-Regierung in Sofia, die makedonischen Ko­mitees aufzulösen.397 Michajlovski, ConCev, Sajev, StaniSev, Petrov u.a. wurden ver­haftet.398 An der Grenze wurde ein Militärkordon aufgestellt, um Übertritte von Frei­schärlern auf osmanisches Gebiet zu verhindern.399 Am 17. Februar rechtfertigte Danev in der Sobranje die Auflösung der Komitees damit, daß das kleine Bulgarien die Makedonische Frage nicht allein lösen könne. Die Makedonier sollten wissen, daß es unter den gegebenen Umständen in ihrem eigenen Interesse läge, durch ruhiges Verhalten die Einführung der geplanten Reformen zu ermöglichen.400

Komitee sowie TatarCev und Matov als Vertreter der Inneren Organisation. Bulgarische Handelszeitung vom 16./29. Dezember 1902. Siehe auch das Rundschreiben Nr. 111 des O.M.K. (unter Leitung von Staniäev) betreffend die Reformforderungen, die am 15. De­zember (a.S.) Lamzdorf überreicht wurden, in: Documents and Materials ... ,S. 294-296.

390 Vgl. Blagoev, „Otnoäenija russkago pravitel'stva . . .", S. 575-576. Staniäev hatte den Eindruck gewonnen, daß die makedonische Bewegung endlich die richtige Bahn eingeschla­gen habe, die zum Erfolg führen würde. Siehe Rundschreiben Nr. 111, Documents and Ma­terials . , . , S. 294.

391 GP, Bd. 18,1, Nr. 5505. 392 Vgl. Jovanovic\ Vlada Aleksandra . . . , Bd. 2, S. 321 ; Vucinich, Serbia between East and

West, S. 37-38. 393 GP, Bd. 18,1, Nr. 5505. 394 Popov, Avstro-Ungarija ireformite . . . , S. 48. 395 Der französische Text der „Wiener Punktationen" in GP, Bd. 18,1, Nr. 5507. 396 Schulthess 19 (1903), S. 357-358. 397 Wolff's Telegraphisches Bureau, Tagesbericht vom 14. Februar 1903. Nach Blagoev erfüllte

damit der ultrarussophile Premier Danev einen Wunsch Lamzdorfs. „Makedonskij vopros, Bolgarija i russkoe pravitel'stvo", S. 538-539.

398 Ladislaus von Müller an Goluchowski, Sofia, 14. Februar 1903, Chiffretelegramm Nr. 14, HHStA, PA XV/55.

399 Schulthess 19 (1903), S. 353. 400 Ebd., S. 353-354.

Der Dzumaja-Aufstand, 1902 159

Die von Calice und Zinov'ev erstellte endgültige Fassung des Reformprogramms wurde im Februar den Signatarmächten des Berliner Vertrages mitgeteilt.401 Sie fand in den diplomatischen Kreisen Europas überwiegend positive Aufnahme.402 Der englische Außenminister Lord Lansdowne, ein Verfechter der makedonischen Autonomie, sah sich gezwungen, ebenfalls zuzustimmen, da er darauf bedacht war, einen Streit mit Rußland über Makedonien zu vermeiden. Er behielt sich jedoch das Recht vor, Än­derungen vorzuschlagen, falls sich das Programm als ungenügend erweisen sollte.403

Dieser Reformplan wurde am 21. Februar 1903 der osmanischen Regierung über­reicht. Er sah im wesentlichen die Durchführung folgender Maßnahmen vor:404

a) Der Generalinspektor wird seinen Posten für eine im voraus zu bestimmende Reihe von Jahren erhalten, damit er seine Aufgaben mit Erfolg erfüllen kann. Er soll im Bedarfs­fall über die Truppen verfügen können, ohne sich vorher an die Zentralregierung wen­den zu müssen;

b) Die Gendarmerie wird sich aus Christen und Mohammedanern in einem ihrer Bevölke­rungszahl entsprechenden Verhältnis rekrutieren. Die Regierung wird für die Reorga­nisation der Gendarmerie fremde Offiziere einstellen;

c) Die Regierung wird unverzüglich Mittel und Wege finden, um die gesetzwidrigen Hand­lungen der Albaner zu unterdrücken;

d) Alle Personen, die wegen politischer Vergehen angeklagt oder verurteilt sind, sollen eine Amnestie erhalten;

e) Jedes der drei Vilayets wird sein eigenes Budget haben. Die Banque Impériale Ottomane wird die Einnahmen der Vilayets kontrollieren. Die Generalverpachtung der Zehnten soll abgeschafft werden.v

Die osmanische Regierung erblickte in diesem Programm nur unwichtige Ergänzun­gen zu den von ihr bereits angeordneten Maßnahmen. Daher nahm sie es zur Überra­schung der Beobachter schon am 23. Februar 1903 anf

40s

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die um die Jahrhundertwende sich abzeichnende Perspektive einer Lösung der Makedonischen Frage nach dem Vorbild Kreta somit doch nicht zur Realisierung gelangte. Denn anders als die großbulgari­schen Nationalisten erwartet hatten, zeigten sich die europäischen Großmächte im Falle Makedoniens nicht zu einem ähnlichen Vorgehen wie zuvor in Kreta bereit. Vielmehr mündete die jüngste makedonische Krise nun in eine Ära der Reformen, die der auf Großmächteintervention begründeten Strategie der Autonomiebewegung vorerst den Boden entziehen sollten,.

401 Einen Überblick über das Zustandekommen des Reformprogramms aus russischer offiziel­ler Sicht gibt Journal de St. Petersburg vom 13./26. Februar 1903.

402 Hierzu vgl. Schacht, a.a.O., S. 56-58; Lindow, a.a.O, S. 82-84; Popov, a.a.O., S. 49-51. 403 Siehe G. Monger, Ursachen und Entstehung der englisch-französisch-russischen Entente

1900-1907, Darmstadt 1972.S. 145-146. 404 Text in: Diplomatische Aktenstücke . . . , Nr. 5, S. 7-10. 405 „Une décision si prompte, si peu conforme aux habitudes dilatoires de la politique otto­

mane, ne peut s'expliquer que par une entente préalable et par le caractère anodin du pro­gramme de Vienne'". Pinon, „La question de Macédoine, II. Les Réformes", S. 674.

HI. DER ILINDEN-AUFSTAND 1903

1. AUSEINANDERSETZUNGEN UM DIE OPPORTUNITÄT EINES ALLGEMEINEN AUFSTANDES IM JAHRE 1903

Ungeachtet der Tatsache, daß sich mit dem mächtepolitischen Konsens über ein Re­formkonzept für Makedonien zur Jahreswende 1902/03 eine Tendenz zur Konsoli­dierung des status quo seitens der europäischen Diplomatie abzeichnete, sah man sich in den Kreisen der Inneren Organisation in Makedonien selbst in Zugzwang geraten, die Aufstandsbewegung auch nach dem fehlgeschlagenen Diumaja-Aufstand fortzu­führen. Sonst drohte nämlich eine weitgehende Demoralisierung der exarchistischen Bevölkerung. Schon hatten die Bauern in den nordöstlichen Distrikten des Landes begonnen, ihre Gewehre den Behörden abzuliefern. Aus diesem Grunde wollten einige Führer der Bewegung lieber die Flucht nach vorn ergreifen und einen neuen Aufstand entfesseln, als der allmählichen Auflösung der Organisation tatenlos zuzusehen,1 wäh­rend einige andere die Klugheit eines solchen Vorgehens zu jenem Zeitpunkt anzwei­felten. Als Tataröev und Matov,zwei Mitglieder des anfangs 1901 verhafteten Zentral­komitees der Inneren Organisation, die im Herbst 1902 aus dem Gefängnis in Ana-tolien entlassen worden waren, nach einer Zusammenkunft mit Garvanov una den anderen Mitgliedern des neuen ZK in Saloniki in Sofia ankamen,2 war die Frage nach der Opportunität einer im Frühjahr 1903 auszurufenden allgemeinen Volkserhebung Gegenstand scharfer Auseinandersetzungen innerhalb der makedonischen Bewegung. Als Auslandsvertreter der Inneren Organisation verfolgten Matov und Tataröev in So­fia die Linie des Saloniker Zentralkomitees, die im wesentlichen von Ivan Garvanov bestimmt wurde« Sie unternahmen unmittelbar nach ihrer Ankunft den Versuch, DelCev und Petrov mit der Conöev-Gruppe zu versöhnen, und zwar auf der Grundla­ge des Plans, daß der Dzumaja-Aufstand nunmehr im gesamtmakedonischen Maßstab zu wiederholen sei.3 Dies bedeutete die Aufgabe der bisherigen Positionen der Inne­ren Organisation und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Oberen Makedo­nischen Komitee.4 Ergänzend dazu bemühten sich Matov und Tataröev, in gutem Einvernehmen mit der bulgarischen Regierung zu bleiben.5

1 Für einen neuen Aufstand plädierten z.B. Cernopeev und Kovaêev, zwei Führer der I.O., die im Herbst 1902 General Conôev Widerstand geleistet hatte. Vgl. Spomeni na Gjorëe Pe­trov, S. 121-124.

2 Ch. Matov za svojata revol/ucionna dejnost, S. 50-51. 3 Zafirovski, „Sporot za vostanie", S. 63; Spomeni na G/orée Petrov, S. 119-120. 4 Katardziev, Serskiot okrug . . . , S. 228. 5 Spomeni na Gjorce Petrov, S. 120.

Auseinandersetzungen um die Opportunität eines allgemeinen Aufstandes 161

Das Zentralkomitee in Saloniki unter der Leitung Garvanovs trat zu dieser Zeit für einen allgemeinen Aufstand ein. Garvanov war bekannt, daß auch das Bezirkskomi­tee von Monastir seit Herbst 1902 einen Aufstand befürwortete.6 Anfang Dezember versuchte er, den diesbezüglichen Standpunkt der anderen Bezirkskomitees zu er­kunden.7 Jane Sandanski, der Führer des Revolutionsbezirks Seres, der vom Saloni-ker Komitee wissen wollte, warum man die Frage des allgemeinen Aufstandes zu die­sem Zeitpunkt aufgeworfen habe, erhielt die Antwort, daß der Augenblick für die makedonische Bewegung sehr vorteilhaft sei; insbesondere die Haltung der europäi­schen Diplomatie sei ihr gegenüber wohlwollend. Außerdem müsse verhindert werden, daß das Obere Makedonische Komitee noch einmal die Gelegenheit bekomme, im Namen der Makedonier allein zu handeln.8 Um den Zeitpunkt des Aufstandes zu be­stimmen, lud Garvanov Ende Dezember die Führer der Inneren Organisation zu einem Kongreß nach Saloniki ein. Gleichzeitig ließ er der Auslandsvertretung der Organisa­tion in Sofia eine Denkschrift zukommen, in welcher er die Gründe darlegte, die sei­ner Meinung nach für die Ausrufung des Aufstandes zu einem frühen Zeitpunkt spra­chen.9

Garvanovs Denkschrift gab zu ausgiebigen Diskussionen unter den makedonischen Führern in Sofia Anlaß. Matov und Tatarcev erklärten sich mit den darin enthalte­nen Überlegungen einverstanden.10 Bis auf Delcev und Petrov zeigten sich alle in So­fia anwesenden Führer von der Notwendigkeit eines baldigen Aufstandes ebenfalls überzeugt.11 Gegen einen solchen sprach sich zuerst Delöev aus. Er meinte, daß die Drohung mit einem allgemeinen Aufstand ein Trumpf in der Hand der Organisation sei, dessen Einsatz bis zum letzten Augenblick hinausgezögert werden müsse.12 Nach ihm versuchte Petrov, die Argumente der Befürworter des Aufstandes Punkt für Punkt zu entkräften.13 Die Behauptung, daß die makedonische Bevölkerung von sich aus einen Aufstand beginnen würde, wenn die Innere Organisation passiv bliebe, wies er als jeglicher Grundlage entbehrend zurück, wobei er sich auf einige Freischärler berief, die die Verhältnisse an Ort und Stelle aus erster Hand kannten. Die Tatsache, daß einige Bauern mit dem Gewehr in der Hand in die Berge geflüchtet seien, deutete für

6 LozanCev, der Führer des Bezirks Monastir, drohte im Winter sogar damit, in seinem Ge­biet auf eigene Faust zu handeln, sollte die Organisation im Frühjahr 1903 den allgemeinen Aufstand nicht ausrufen. Spomeni na Gjorce Petrov, S. 123. Vgl. auch Georgiev/Sopov, Ilindenskoto vüstanie, S. 102.

7 Kataidziev, Serskiot okrug . . . , S. 225. 8 Sandanski, der eine Versammlung in seinem Gebiet einberief, um über die Frage eines neuen

Aufstandes zu beraten, kam zu dem Schluß, daß der Bezirk Seres dafür noch nicht genü­gend vorbereitet sei. Vgl. Spomeni na Jane Sandanski, S. 36-37, nach Zafirovski, „Sporot za vostanie", S. 71. Vgl. auch Katardziev, a.a.O., S. 225-226.

9 Siljanov, Osvoboditelnite borbi.... Bd. 1, S. 201. 10 Spomeni na Gjoröe Petrov, S. 125. Vgl. hierzu außerdem Matov, VüzstaniSki dejstvija, S.

102. 11 Vgl. Spomeni na G. Petrov, S. 125. Siehe auch VMakedonija i Odrinsko . . . , S. 48-49. 12 Nach Siljanov, der an diesen Beratungen teilnahm, sagte Delcev: „Unser auf den Feind ge­

richtetes Gewehr muß bis zum Ende geladen bleiben." Osvoboditelnite borbi. . . , Bd. 1, S. 204. Vgl. auch Matov, Vüzstanüki dejstvija, S. 103-104.

13 Spomenina G.Petrov,S. 125; Siljanov, a.a.O., S. 205.

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162 Der IUnden-A ufstand 1903

ihn keineswegs auf die revolutionäre Bereitschaft der Bevölkerung hin, sondern sei ein Zeichen dafür, daß genau das Gegenteil der Fall war. Ebensowenig könne die Tat­sache, daß viele Bauern ihre Schußwaffen ablieferten, als Argument für die Notwen­digkeit eines baldigen Aufstandes gewertet werden. Vielmehr spräche dies für das Unvorbereitetsein des Volkes und sei somit ein Grund mehr, den Aufstand hinaus­zuschieben. Die Entfesselung eines Aufstandes nur in Westmakedonien (Monàstir) würde noch schlimmere Folgen für die Innere Organisation haben. Dadurch würde die revolutionäre Bewegung insgesamt diskreditiert werden.14 Die Ausführungen Pet-rovs bewirkten einen Stimmungsumschwung. Mit Außnahme von Matov, TatarCev und Hadzinikolov ließ sich die Mehrheit nun dazu bewegen, den Vorschlag des Zen­tralkomitees, im Frühjahr den allgemeinen Aufstand auszurufen, abzulehnen.15

Petrov und DelCev empfahlen nun ihrerseits den in Sofia anwesenden Revolutionä­ren die folgende Taktik: Auf dem Wege der Bildung von Stadt-öeta müsse der Kampf in die Städte hineingetragen werden. Dabei sollten die revolutionären Kampfabtei­lungen auf dem flachen Lande die Berührung mit den Armee-Einheiten nicht mehr, wie bisher, zu vermeiden suchen. Vielmehr sollten sie das Gefecht mit ihnen bewußt provozieren. Stadt und Land in Makedonien müßten für einige Jahre unaufhörlich terrorisiert werden. Währenddessen würde man die Vorbereitung des Volkes zum letz­ten Schritt, dem allgemeinen Aufstand, eifrigst vorantreiben.16

Delcev, der sich in jener Zeit mehr als Petrov für den Terrorismus interessierte,17

hatte in der Person Michail GerdZikovs einen wertvollen Spezialisten für die Ausfüh­rung von Terrorhandlungen gefunden. Gerdzlkov hatte während seines Studiums in Genf armenischen Terrorkomitees nahegestanden und konnte nun von dem dort er­worbenen Wissen profitieren. Er empfahl Delcev, die Bildung von Terroristen-Zellen zu unterstützen. Diese sollten ihre Aufträge unabhängig von örtlichen Organen der In­neren Organisation ausführen dürfen. Zur Unterweisung ihrer Mitglieder in den Metho­den der Ausübung von Terror wurde die Abhandlungeines französischen Anarchisten ins Bulgarische übersetzt und auf Kosten der Inneren Organisation gedruckt.18

Um die neuen Kampftaktiken in der Praxis zu erproben, begab sich Delcev am 25. Ja­nuar auf osmanisches Territorium.19 Unter seinem Vorsitz fand am 10. Februar 1903 in Karaköy, Nordostmakedonien, eine Versammlung der revolutionären Kader des Bezirks Seres statt. Delöev sprach sich hier erneut gegen einen allgemeinen Aufstand aus; stattdessen beschloß die Versammlung, systematisch Terrorhandlungen'zu pla­nen.20 Nunmehr sollten die einzelnen Kämpfer lernen, auch mit Dynamit umzuge-

14 Spomenina Gjorie Petrov, S. 125-126. 15 Ebd., S. 127. 16 Ebd., S. 130-132. Vgl. auch Apostolski, „Strategijata i taktikata na Ilindenskoto vo-

stanie" [Die Strategie und Taktik des Ilinden-Aufstandes), in: Kniga za Hindert, Skopje 1969, S. 89.

17 Schon im Jahre 1900 hatte Delcev das O.M.K. veranlaßt, an Simeon Radev in Genf 100 Goldlewa zu überweisen, damit dieser die von Delöev gewünschten Bücher über den Anar­chismus besorgen könne. Siehe Sitzungsprotokoll Nr. 17 des O.M.K., vom 25. September 1900 (a.S.), in: Documents and Materials . . , , S. 274.

18 VMakedonija i Odrinsko ..., S. 48. 19 Andonovski-Poljanski, Goce Deliev i nfegovo vreme, S. 74. 20 Vgl. ebd., S. 74-75. Siehe auch Katardziev, Serskiot okrug . . . , S. 229.

Auseinandersetzungen um die Opportunität eines allgemeinen Aufstandes 163

hen.21 Auf DelSevs Initiative hin begann P. K. Javorov, in Nevrokop eine revolutionäre Zeitschrift,Svoboda ili smürt (Freiheit oder Tod), herauszugeben, welche den Stand­punkt vertrat, daß die makedonische revolutionäre Bewegung sich unabhängig von äußeren Faktoren zu entwickeln habe. Die Verbreitung von Terror werde die osma-nische Herrschaft, wegen des Zwanges, ständig eine große Zahl von Soldaten zu un­terhalten, ökonomisch unterminieren und auf diese Weise die Intervention der Groß­mächte herbeiführen.22

Ungeachtet der Tatsache, daß man sich unter den makedonischen Führern in Sofia am Ende dahingehend geeinigt hatte, daß der Aufstand im Jahre 1903 noch nicht stattfinden dürfe, beschloß der vom Zentralkomitee am 15., 16. und 17. Januar in Saloniki einberufene Kongreß, den allgemeinen Aufstand bereits im Frühjahr auszu­rufen.23 An diesem Kongreß nahmen 17 Delegierte teil, die in der Mehrheit Lehrer, d.h. legale Mitarbeiter der Inneren Organisation waren.24 Nicht alle Revolutionsbe­zirke hatten Delegierte entsandt.25 Manche Rayons konnten nicht eingeladen werden, weil dadurch die Gefahr der Entdeckung durch die Behörden größer geworden wäre .26

Bis auf LozanCev, den Delegierten von Monastir, war auch in Saloniki die Mehrheit der Ansicht, daß das Volk für einen Aufstand nicht ausreichend vorbereitet sei.27 Da­her ist es unbegreiflich, daß diese Versammlung sich für den Aufstand entschied.28

Außer dem Vertreter des Bezirks Seres stimmten nämlich alle Delegierten dafür.29

Die Überlegungen, die sie zu diesem Entschluß veranlaßten, finden im Protokoll des Kongresses folgende Formulierungen: „die besondere Situation im Lande", „die außergewöhnlichen Verhältnisse, in denen sich die Organisation nach dem vom Obe­ren Makedonischen Komitee unternommenen Dzumaja-Aufstand befindet", „die Gefahr, die von neuen Aufstandsversuchen, von der Zerstörung und Demoralisierung weiterer Rayons, droht", „die Neigung und das Interesse der europäischen Diploma­tie für die nationale Sache".30

Der Beschluß des Kongresses von Saloniki fand die Zustimmung D. Gruevs, des Grün­ders der Inneren Organisation, der zu dieser Zeit aus dem Gefängnis entlassen wur­de.31 Das Zentralkomitee, das sich dadurch moralisch gestärkt fühlte, entsandte Gar-

21 Katardiiev, a.a.O., S. 230. 22 Zafirovski, „Sporot za vostanie", S. 70;Katardziev, a.a.O., S. 231-232. 23 Vgl. das Protokoll des Kongresses bei Siljanov, Osvoboditelnite borbi. . . , Bd. 1, S. 197-

198, oder bei Zafirovski, „Sporot za vostanie", S. 49-50. 24 Siljanov, a.a.O., S. 197. 25 K'osev, Istorija na Makedonskoto nacionalno revoljucionno dviïenie, S. 219. 26 Vgl. das Protokoll des Kongresses. 27 Vgl. hierzu Apostolski, „Strategijata i taktikata . . .", S. 88. 28 Siljanov, a.a.O., S. 202. 29 Vgl. Georgiev/Sopov, Ilindenskoto vüstanie, S. 102. Im Protokoll des Kongresses ist jedoch

zu lesen, daß der Beschluß einstimmig zustande gekommen sei. 30 Siehe das Protokoll des Kongresses, a.a.O. 31 Als Gruev in Saloniki eintraf, war der Aufstand bereits beschlossene Sache. Ihm blieb nichts

anderes übrig, als zuzustimmen. Vgl.Spomem na D. Gruev, S. 23, nach Zafirovski, „Sporot za vostanie", S. 75. Nach einer anderen Version trug ein Brief Gruevs, der den Delegierten in Saloniki vorgelesen wurde, wesentlich dazu bei, daß diese sich für den Aufstand ent­schieden. Spomeni na V. Dumev, S. 111-112, nach Zafirovski, ebd., S. 65.

164 Der Üinden-Aufstand 1903

vanov und Dumev nach Sofia, um die Bedenken der dortigen Führer zu zerstreuen.32

Eine Reihe von neuen Beratungen ergab, daß die Mehrheit der Führer auch jetzt ge­gen den Aufstand war, eine Tatsache, die an der Wirksamkeit des Saloniker Beschlus­ses allerdings nichts mehr ändern konnte; die Vorbereitungen für den Aufstand lie­fen bereits.33 Anfang Februar setzten Matov und Tataröev die Danev-Regierung schriftlich von dem Beschluß der Inneren Organisation, im Frühjahr den allgemeinen Aufstand auszulösen, in Kenntnis und verlangten von ihr, die erforderlichen Maß­nahmen rechtzeitig zu treffen.34

Daß ein neuer Aufstand in Makedonien für das Frühjahr 1903 geplant war, blieb den europäischen Regierungen und der Presse nicht verborgen. Auch die Pforte erhielt vertrauliche Nachrichten, „daß zwischen dem 5. und 14. März ein Aufstand in Ma­zedonien ausbrechen werde".3sDie rumänische Gesandtschaft in Berlin machte am 28. Januar/10. Februar 1903 dem deutschen Auswärtigen Amt folgende Mitteilung:

. . . L'organisation secrète, dite „intérieure" dont le centre d'action se trouve en Macé­doine même avec de nombreuses ramifications dans la Principauté voisine et surtout dans l'armée bulgare, prépare un soulèvement général de nature à paralyser dès le début tout effet salutaire des mesures administratives, projetées sur la base de statu quo par les Cabi­nets de Vienne et de Petersbourg . . ,**

Mehrere Offiziere der bulgarischen Armee (Hauptmann Protogerov, Oberleutnant StojanCev, Leutnant Baltov u.a.) hatten bereits bewaffnete Abteilungen gebildet und die Grenze in südliche Richtung überquert, um an dem Aufstand teilzunehmen.37

Die bulgarische Regierung hatte sich jedoch, wie oben bereits erörtert, inzwischen auf die status quo-Politik Rußlands eingestellt und entsprechend der russischen Wei­sung, die Makedonische Frage vorerst nicht aufzurühren, mit der Auflösung der Ko­mitees in Sofia begonnen, Man ließ am 14. Februar 1903 einige Führer, die sich im­mer noch in Bulgarien aufhielten, verhaften, wohlwissend, daß dieser von Rußland aufgezwungene Kurs in der Makedonienpolitik innenpolitisch letztlich nicht durch­zuhalten war. Der Gesandte Serbiens in Petersburg meinte denn auch, daß die bul­garische Regierung ein doppeltes Spiel treibe. Sie treffe einerseits mit viel Lärm ener­gische Maßnahmen gegen die makedonischen Komitees, dulde aber andererseits die Bildung und den Übertritt von Freischaren auf osmanisches Gebiet,38 Tatsächlich wurde diese Vermutung dadurch bestätigt, daß General ConCev und Oberst Jankov,

32 Spomeni na G. Petrov, S. 129. Garvanov und Dumev kamen nach Sofia mit Billigung Gruevs. Siehe ebd., S. 132.

33 Zafirovski, a.a.O., S. 68-70. 34 Ch. Matov za Svojata revol/ucionna dejnost, S. 64. 35 Pester Lloyd vom 8. Februar 1903. 36 PAAA, Türkei 156, Bd. 50, A. 1984. 37 Siehe Anlage III zum Bericht aus Sofia vom 11. Februar 1903, Nr. 29, PAAA, Türkei 156,

Bd. 50, A. 2184. 38 Der Bericht des Grafen Alvensleben, St. Petersburg, 23. März 1903, PAAA Türkei 156, Bd.

54, A. 4227. Der englische Gesandte in Sofia, Elliot, berichtete am 23. Januar 1903 eben­falls in diesem Sinne. Siehe AP Turkey No. 3 (1903), S. 27-28.

Auseinandersetzungen um die Opportunität eines allgemeinen Aufstandes 165

die Mitte Februar interniert worden waren, sich schon einen Monat später wieder auf freiem Fuß befanden.39

Es war den makedonischen Revolutionkren dennoch ein Dorn im Auge, daß ihre Ko­mitees in Bulgarien, gerade als sie mit den Vorbereitungen des Aufstandes alle Hände voll zu tun hatten, von der Regierung — wenn auch halbherzig — verfolgt wurden, und daß Rußland die makedonische Bewegung entschieden mißbilligte.40 In der zweiten Hälfte des Monats Februar 1903 erhielten der bulgarische Handelsagent und der russische Konsul in Usküb die Weisung, auf die slawische Bevölkerung dahinge­hend einzuwirken, daß diese sich an den revolutionären Umtrieben der Komitees nicht beteiligte. Weder die europäischen Großmächte noch die Sofiaer Regierung würden die revolutionären Pläne der makedonischen Organisationen unterstützen.41

Auch der bulgarische Exarch Josif in Istanbul wurde von der Danev-Regierung, vom russischen Botschafter Zinov'ev und vom österreichisch-ungarischen Botschafter Frei­herr von Calice aufgefordert, die exarchistische Bevölkerung Makedoniens zu be­schwichtigen.42 Die bulgarische Regierung warnte Anfang März 1903 maßgebliche Personen in Makedonien erneut vor einem Vorgehen gegen die osmanische Herrschaft und erinnerte sie daran, daß sie im Falle eines Aufstandes keine Hilfe aus Bulgarien zu erwarten hätten-» Die Stimmung innerhalb der aufständischen Bewegung wird in einem Konsularbericht wie folgt beschrieben:

Die Eröffnungen des Handelsagenten und russischen Consuls wurden in Comitekreisen ei­nerseits mit Mißtrauen aufgenommen, andererseits mit Unzufriedenheit und Entrüstung... Der russischen Politik, welcher man eigennützige Pläne zuschreibt, traut man seit Längerem nicht. Die Haltung der bulgarischen Regierung aber wird einstimmig verurtheilt. Man fin­det ihre jetzigen Worte völlig im Widerspruche mit den früheren und erklärt, daß ihr plötzli­cher Frontwechsel... das macedonische Volk demoralisiere und Bulgarien entfremde . . . "

Die konservative Makedonienpolitik Rußlands erschwerte es der russophilen Danev-Regierung in Sofia mehr und mehr, sich vor der Kritik der nationalistischen Opposi­tion zu behaupten. Ende März 1903 wurden in St. Petersburg Auszüge aus den Be­richten russischer Konsuln in Makedonien aus dem Zeitraum vom 25. Februar bis 9. März publiziert. Aus diesen ging eindeutig hervor, daß die Vertreter Rußlands in

39 Pester Lloyd vom 16. März 1903. 40 Besonders wegen der Haltung Rußlands fühlten sich die Makedonier und die nationalisti­

schen Bulgaren vor den Kopf gestoßen. Dazu wurde aus Sofia folgendes berichtet: „In den hiesigen politischen Kreisen und in einem großen Teile der bulgarischen öffentlichen Mei­nung wird die Enttäuschung über die Politik Rußlands von Tag zu Tag größer, selbst in den Regierungskreisen dämmert allmählich die Überzeugung auf, daß von Seiten Rußlands nichts Gutes, nichts Reales, nichts Nützliches weder für Bulgarien noch für das bulgarische Element in Mazedonien erwartet werden kann." Die Information, Wien, 21. Februar 1903.

41 Para an Goluchowski, Üsküb, 25. Februar 1903, Nr. 52, HHStA, PA XXXVHI/433. 42 Calice an Goluchowski, Constantinopel, 4. März 1903, Nr. 10 C, HHStA, PA XII/181.

Dasselbe ist abgedruckt bei T. Tomoski, Dokumenti od Vienskata archiva za Makedonija od 1879-1903 [Die Akten aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien über Makedo­nien, 1879-1903], Skopje 1955, S. 75-77. Der Exarch sandte im März ein Pastoralschrei­ben nach Makedonien, in dem er von der Bevölkerung eine ruhige Haltung verlangte. Calice an Goluchowski, Constantinopel, 25. März 1903, Nr. 16 C, HHStA, PA XII/181.

43 Kral an Goluchowski, Monastir, 10. März 1903, Nr. 21, HHStA, PA XXXVHI/392.

166 Der llinden-Aufstand 1903

Makedonien keine Freunde der bulgarischen Sache waren. Der russische Konsul in Monastir unterstellte z.B. den makedonischen Führern, daß diese aus persönlichen Motiven, etwa um gutbezahlte höhere Stellungen in der Verwaltung zu erhalten, Auto­nomie für die drei makedonischen Vilayets forderten. Er warf ihnen gleichzeitig vor, dem Volk einreden zu wollen, daß alles unter dem Schutz Rußlands geschehe. Sie hätten außerdem versucht, die Verbreitung der Nachricht von der vom Sultan ge­währten Amnestie zu verhindern.44 Die Veröffentlichung solcher Berichte, die geeig­net waren, die bulgarische Sache in Makedonien zu diskreditieren, wurde in Bulgarien als ein unfreundlicher Akt Rußlands aufgefaßt und hatte eine scharfe Reaktion der öffentlichen Meinung zur Folge.45 Die Tage der russophilen Regierung waren von nun an gezählt,

Aber auch die osmanische Regierung sah sich im Frühjahr 1903 mit unlösbar anmu­tenden Problemen in Makedonien konfrontiert. Die Verpflichtungen, die man im Rahmen des Wiener Reformprogramms eingegangen war, waren nicht leicht zu erfül­len, u.a. weil dieses Programm in sich widersprüchlich war. Auch wenn die Re­formmächte aus verschiedenen Gründen an der Bewahrung des status quo interessiert waren, so trugen sie dennoch zur Aushöhlung dessen unmittelbar bei, indem sie z.B. eine allgemeine Amnestie für die politischen Verbrecher bei der Pforte durchsetzten; das Irade des Sultans dazu war Anfang März ergangen.46 Der englische Generalkon­sul in Saloniki berichtete am 3. März, daß dadurch Unruhe in der mohammedanischen Bevölkerung entstanden sei, weil man wisse, daß ein Aufstand bevorstehe und die Ko­mitees nun aus den Reihen der Amnestierten weitere Verstärkung erhalten würden. Der Generalkonsul teilte diese Sorge der Mohammedaner.47 Die Zahl der in Frage kommenden Leute, die freigelassen werden sollten, läge allein im Vilayet Saloniki bei 511. In den drei Vilayets zusammen würden rund 2.000 Mann freigelassen wer­den.48 Auch der serbische Gesandte in St. Petersburg bezeichnete die Amnestie der politischen Verbrecher als einen schwerwiegenden Fehler.49 Und tatsächlich stellte sich bald heraus, daß „einige von denjenigen Bulgaren, denen durch die letzte Am­nestie des Sultans ihre Strafen erlassen waren, sich, kaum in Freiheit gesetzt, wieder den Banden zugewendet" hatten.50

44 Wolffs Telegraphisches Bureau, 31. März 1903. 45 Forgâch an Goluchowski, Sofia, 16. April 1903, Nr. 24 F, HHStA, PA XV/55. 46 Bericht Marschalls vom 3. März 1903, PAAA, Türkei 156, Bd. 52, A. 3061. 47 Der englische Generalkonsul in Saloniki, Biliotti, war ein aus der Insel Rhodos gebürtiger

Grieche, der Sympathien für die hellenistische Sache in Makedonien hegte. Daher war er bestrebt, das Bild von den makedonischen Verhältnissen, das die bulgarienfreundliche Hal­tung Englands in der Makedonischen Frage rechtfertigte, in seinen Berichten im hellenisti­schen Sinne zu korrigieren. Vgl. hierzu D. Dakin, „British Sources Concerning the Greek Struggle in Macedonia, 1901-1909", BS 2 (1961), S. 78-79.

48 AP Turkey No. 1 (1904), p. 4. Zum Vergleich sei die Zahl der Freischärler im Vilayet Mo­nastir, in dem die aufständische Bewegung am weitesten fortgeschritten war, genannt: En­de April operierten hier ca. 20 Banden mit einer Gesamtstärke von ungefähr 700 Mann. Siehe ebd., S. 97 99.

49 Bericht Alvenslebens, St. Petersburg, 23. März 1903, PAAA, Türkei 156, Bd. 54, A. 4227. 50 Kölnische Zeitung vom 21. März 1903.

Auseinandersetzungen um die Opportunität eines allgemeinen Aufstandes 167

Ein noch größeres Hindernis für die Durchführung der Reformen war der Widerstand der Albaner. Diese befürchteten, daß die Einführung von Reformen nur in den drei „makedonischen" Vilayets, wie es die slawischen Balkanstaaten forderten, und nicht im ganzen Rumelien, wie es die osmanische Regierung befürwortete, dazu dienen würde, den Boden für einen späteren Anschluß der Reformgebiete an die benachbar­ten Staaten Serbien und Bulgarien vorzubereiten. Daher wollten sie, daß jene Gebie­te, die überwiegend von Albanern bewohnt waren, außerhalb des makedonischen Re­formgebietes blieben.51

Die Albaner zeigten sich besonders in Bezug auf das sogenannte Altserbien als sehr empfindlich. Dieses Gebiet, das heute noch überwiegend albanisch besiedelt ist, hat­te erst seit dem 17. Jahrhundert einen tiefgreifenden Albanisierungsprozeß durchge­macht.52 Schon nach der Schlacht auf dem Kosovo polje (Amselfeld) im Jahre 1389 war ein großer Teil des serbischen Grundadels zum Islam übergetreten.53 Als der serbische Patriarch von Ipek (Pec), Arsenij III. Cernojevic, 1690 das Land zusam­men mit 40.000 Familien und mit dem sich zurückziehenden österreichischen Heer verlassen hatte und diesem 1739 ein zweiter Exodus von 15.000 Familien unter Ar­senij IV. Jovanovic gefolgt war, entstand in Kosovo eine Art Siedlungsvakuum, das in der Folgezeit allmählich von Bauern aus Nordalbanien gefüllt wurde. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren in der Kaza Mitrovica 53% der Einwohner muslimische Albaner. Diese machten in demselben Jahr in den Kazas Vuiitrn und PriStina 87% bzw. 78% der Bevölkerung aus. Über 50% der Einwohner in der Kaza Ipek waren muslimische Albaner. Auch die Kazas Djakova, Gusinje und Prizren waren zu zwei Dritteln und mehr von muslimischen Albanern bewohnt.54

Der Sultan Abdulhamid, der durch seine persönlichen Beziehungen zu albanischen Stammesfürsten den Widerstand der Albaner gegen den Reformplan voraussah, er­nannte Mitte Januar 1903 Ferid PasaVlora, einen Albaner, zum Großwesir. Botschaf­ter Freiherr Marschall von Bieberstein kommentierte;

Als Mitglied einer vornehmen albanischen Familie hat Ferid Pascha großen Einfluß bei sei­nen Landsleuten. Es ist wahrscheinlich, daß der Sultan, der einem gewaltsamen Einschrei­ten gegen die Albanesen widerstrebt, diesen Einfluß verwerten will, um diese Völkerschaft auf friedlichem Wege zur Ruhe zu bringen."

51 Vgl. Ekrem Bey Vlora, Lebenserinnerungen, Bd. 1, S. 149. 52 Vgl. Bartl, Die albanischen Muslime ., . , S. 52. 53 Hierzu u.z. folg. vgl. F. Kanitz, „Die fortschreitende Arnautisirung und Muhamedanisirung

Alt-Serbiens", ÖMO 14 (1888), S. 37-41; H. Kaleshi, „Das türkische Vordringen auf dem Balkan und die Islamisierung - Faktoren für die Erhaltung der ethnischen und nationalen Existenz des albanischen Volkes", in: Südosteuropa unter dem Halbmond, München 1975, S. 125-138.

54 Alle Angaben nach Bartl, a.a.O., S. 53-59. 55 15. Januar 1903, PAAA, Türkei 156, Bd. 49, A. 721. Ferid Pasa war als Befürworter derje­

nigen Politik bekannt, die eine möglichst enge Zusammenarbeit mit Deutschland und Öster­reich-Ungarn anstrebte. Seine Ernennung zum Großwesir wird in der türkischen Historio­graphie zuweilen auf eine diesbezügliche Empfehlung des deutschen Botschafters zurückge­führt. Zu dieser Frage siehe L M. K. Inal, Osmanh devrinde son sadrazamlar [Die letzten Groß wesire des Osmanischen Reiches], Bd. 11,Istanbul 1950.S. 1601-1623.

168 Der Ilinden-Aufstand 1903

Die Ernennung Ferid Pasas half allerdings wenig. Der österreichisch-ungarische Kon­sul Pära berichtete am 19. Januar 1903 aus Üsküb, daß die Albaner von Kosovo zu­sammen mit den Mohammedanern des Sancaks von Yeni Pazar (Novi Pazar) allem Anschein nach eine Kampagne gegen die Reformen planten.56 Nach Meinung des Konsuls Kral in Monastir, der ähnliche Zeichen des Protests in seinem Amtsbereich feststellte, handelte es sich „bei den Albanesen im allgemeinen keineswegs um eine principielle Feindschaft gegen jede Verbesserung in Macédonien, als vielmehr um die Befürchtung, daß dies nicht etwa auf ihre Kosten geschehe".57

Im Februar häuften sich die Nachrichten über Verbrechen, die die Albaner in den Gegenden PriStina, Mitrovica, Djakova und Prizren begingen. Daneben wurde immer wieder die albanische Forderung laut, daß der russische Konsul Scerbina in Mitrovica die Stadt verlassen müsse.58 Gegen Ende März sammelten sich die Einwohner mehre­rer Albanerdörfer der Kazas PriStina, Vu&trn und Mitrovica in einer Gegend westlich von Vucïtrn und beschlossen, ihrem Protest gegen die Reformen durch Taten Nach­druck zu verleihen.59 Ihr Unmut richtete sich in erster Linie gegen die Aufnahme von Christen in die Gendarmerie. Eine bewaffnete Albanerschar in der Stärke von 1.000 bis 1.500 Mann60 zwang die Behörden in Vucïtrn, die 8 serbischen Gendarmen aus der Stadt zu entfernen,Diese Albaner zogen dann am 30. März gegen Mitrovica, um auch dort die Entfernung von 14 serbischen Gendarmen durchzusetzen. Semsi Pasa, der Militärkommandant von Mitrovica, sperrte jedoch die Stadtzugänge und forderte die Albaner auf, sich friedlich zurückzuziehen. Trotzdem kam es zu einem Gefecht, in dem der Stadtkommandant auch Artillerie gegen die Albaner einsetzte. 50 Alba­ner kamen um.61 Auch der russische Konsul Scerbina wurde hierbei von einem Al­baner angeschossen und tödlich verletzt.62 Mit Bezug auf diese Ereignisse schrieb Freiherr von Calice,'

Was wollen die Albanesen? Gegen das Reformwerk remonstrieren und dessen Durchfüh­rung verhindern. Damit arbeiten sie aber der bulgarischen revolutionären Propaganda direct in die Hand und zwar zunächst dadurch, daß sie eine Diversion bewirken, welche die Pforte zwingt, einen Theil ihrer Truppen der Überwachung der Grenze und der Bekämpfung der Banden zu entziehen . . . Unzweifelhaft ist hiebei, daß die bulgarische revolutionäre Pro­paganda und die aufrührerischen Arnauten in dem einen Ziele einig sind, nämlich die Re­formen zu verhindern.. . "

56 Nr. 16, HHStA, PA XXXVIH/433. 57 23. Februar 1903, Nr. 12, HHStA, PA XXXVIII/392. 58 Stampa vom 13./26- Februar 1903. Anlage zum Bericht aus Belgrad vom 2. März 1903,

PAAA, Türkei 156, Bd. 52, A. 3210. 59 Die Vorgänge in Vucitrn und Mitrovica vom Ende März 1903 werden im Bericht des öster­

reichisch-ungarischen Konsuls in Üsküb, Para, ausführlich geschildert: Chiffretelegramm vom 31. März 1903. Nr. 16, HHStA, PA XXXVHI/433.

60 Die Zahl der aufrührerischen Albaner, die gegen Mitrovica zogen, betrug nach Le Figaro vom 3. April 1903 3.500 Mann.

61 Der englische Vizekonsul Fontane in Üsküb gibt die Zahl der albanischen Toten mit 317 an. AP Turkey No. 1 (1904), S. 4 3 - 4 4 .

62 Vgl. Konsulat Üsküb, Chiffretelegiamm vom 1. April 1903, Nr. 17, HHStA, PA XXXVIII/ 433; Le Figaro vom 3. April 1903; Tel-Bericht Calices, Constantinopel, 10. April 1903, HHStA, PA XII/181.

63 Constantinopel, 2. April 1903, Nr. 17 B, HHStA, PA XII/181. Popov ist der Meinung, daß

Auseinandersetzungen um die Opportunität eines allgemeinen Aufstandes 169

In der Tat setzten die makedonischen Komitees ihrerseits alles daran, um zu verhin­dern, daß die Christen in die osmanische Gendarmerie eintraten. Diejenigen, die es wagten, wurden nicht selten ermordet.64 In einer Mitteilung der Pforte an die Bot­schaften hieß es:

Malgré toutes sortes d'encouragements faits par les Autorités Impériales, l'engagement des gendarmes chrétiens n'a pu, par suite des agissements des comités, être encore terminé. Néanmoins, des places ont été laissées vacantes pour les chrétiens. . .6S

Der Generalinspektor Hilmi Pasa hielt energische Maßnahmen für erforderlich, um die Opposition der Albaner gegen die Reformen zu brechen. Er ließ zunächst in allen größeren Orten kundtun, daß die Einführung der Reformen eine Notwendigkeit sei; gegen die Gegner der neuen Ordnung würde man streng vorgehen.66 Der Sultan da­gegen war bestrebt, auf dem Wege von Verhandlungen die Albaner friedlich zu stim­men. Zu diesem Zweck entsandte er Anfang April eine Beschwichtigungskommission in das Unruhegebiet, der jedoch kein nennenswerter Erfolg beschieden war.67 Ob­wohl der Sultan die Albaner weiterhin nicht brüskieren wollte, zeigte sich auch der Großwesir Ferid Pasa nunmehr entschlossen, gegebenenfalls unter Gewaltanwendung für die Durchführung der Reformen zu sorgen.68 Anfang Mai wurden Truppen im Vilayet Kosovo zusammengezogen, um gegen die aufrührerischen Albaner eingesetzt zu werden.69 Sie marschierten am 6. Mai in Djakova, am 15. Mai in Ipek ein. Am 23. Mai wurden 17 Albaner, darunter der Führer der Bewegung, Müderris Hasan Efen-di, gefaßt und nach Anatolien in die Verbannung geschickt.70 Am 27. Mai bestätig­te der Großwesir dem österreichisch-ungarischen Botschafter, daß der albanische Wi­derstand völlig zusammengebrochen sei. Das gewaltsame Vorgehen gegen die Alba­ner habe jetzt der ganzen Welt gegenüber bewiesen, daß der Sultan und die Regierung es mit den Reformen ernst meinten.71

diese Unruhen in Albanien von den Vertretern Österreich-Ungarns angestiftet worden sind. Siehe Avstro-Ungarija i reformite v Evropejska Turcija, S. 53. Dies muß jedoch in jenem Stadium der Entwicklung als wenig wahrscheinlich angesehen werden, wenn es auch zu­trifft, daß antiserbische Kundgebungen auf dem Balkan der Doppelmonarchie willkommen waren. Skendi dagegen glaubt, daß der Sultan der Schürer dieser Unruhen gewesen sei. Sie­he The Albanian National Awakening, S. 295. Die Richtigkeit auch dieser Vermutung muß angezweifelt werden.

64 Vgl. Dakin, The Greek Struggle in Macedonia, S. 89-90. 65 Beilage zum Bericht Nr. 25 J, Constantinopel, 12. Mai 1903, HHStA, PA XII/182. 66 Para an Goluchowski, Üsküb, 4. April 1903, Nr. 100, HHStA, PA XXXVHI/433. 67 Para an Goluchowski, Üsküb, 6. April 1903, Nr. 104, HHStA, PA XXXVHI/433. 68 Calice an Goluchowski, Constantinopel, 15. April 1903, Nr. 19 C, HHStA, PA X1I/181. 69 Serbische Zeitungen, wie Beogradske Novine und Odjek, bezeichneten den nun folgenden

Feldzug in Albanien als eine Farce, weil die Truppen sich absichtlich langsam fortbewegt hätten, um den Verbrechern Zeit zur Flucht zu geben. Vgl. den Bericht aus BelgTad, 23. Mai 1903, PAAA, Türkei 156, Bd. 64, A. 7524.

70 Para an Goluchowski, Chiffretelegramm Nr. 51, Ristovatz, 24. Mai 1903, HHStA, PA XXXVIH/433.

71 Calice an Goluchowski, Constantinopel, 27.Mai 1903, Nr. 29 B, HHStA, PA XII/182.

170 Der Ilinden-Aufstand 1903

Der Streit innerhalb der makedonischen revolutionären Bewegung darüber, ob im Frühjahr bzw. Sommer 1903 ein allgemeiner Aufstand stattfinden solle oder nicht, ging währenddessen weiter. Trotz des in Saloniki gefaßten Beschlusses hatten einige Führer, wie Delcev und Petrov, noch immer die Hoffnung nicht aufgegeben, eine Verschiebung des Aufstandes auf einen späteren Zeitpunkt bewirken zu können,72

So reiste Delcev, nachdem er mit seiner âeta am 1. April die Eisenbahnbrücke von Angista bei Drama in die Luft gesprengt hatte,73 am 17. April nach Saloniki, um mit D. Gruev die Frage des Aufstandes zu besprechen.74 Dieser hatte sich inzwischen mit der Entscheidung des Zentralkomitees bezüglich des frühzeitigen Aufstandes ab­gefunden und war damals mit den Vorbereitungen der für Anfang Mai anberaumten Versammlung des Revolutionsbezirks Monastir beschäftigt» Daher blieb er den Ar­gumenten Delöevs, der immer noch gegen den allgemeinen Aufstand p l ä d i e ^ ver­schlossen.75

2. DIE ATTENTATE VON SALONIKI (ENDE APRIL 1903) UND IHRE FOLGEN FÜR DIE MAKEDONISCHE BEWEGUNG

In Saloniki kam Delcev auch mit den „Gemidzn" genannten Anarchisten zusammen, die damals mit den letzten Vorbereitungen einer Reihe von spektakulären Attenta­ten beschäftigt waren.76

Das anarchistische Gedankengut war in die makedonische Bewegung durch das „Ma­kedonische Geheime Revolutionäre Komitee" (Makedonskijat taen revoljucionen komitet) getragen worden, das im Jahre 1898 als eine Gruppierung bulgarischer und makedonischer Studenten in der Schweiz in Erscheinung getreten war, dessen Anfän­ge jedoch in das Jahr 1896 zurückreichten,77 In diesem Jahr hatten sich in Plovdiv, Ostrumelien, der Gymnasialschüler M. GerdSikov und sein Freund P. Mandzukov mit einem Makedonier aus Vêles, J. Bozkov, zusammengetan, um für die Befreiung Ma­kedoniens zu arbeiten.78 Im darauffolgenden Jahr machten Gerdlikov und Mandzu­kov neue Bekanntschaften, darunter die von Merd2anov, einem Makedonier, in Genf, wo sie sich nun zu Studienzwecken aufhielten. Die jungen Studenten verkehrten dort überwiegend in russischen Emigrantenkreisen und gerieten unter den Einfluß russischer Bakunin-Anhänger.79

72 Spomenina Gjorle Petrov, S. 130. 73 Andonovski-Poljanski, Goce Deliev i njegovo vreme, S. 75. 74 Ebd. 75 Als Delcev vorbrachte, daß im Bezirk Seres nur eine geringe Anzahl von Gewehren vor­

handen sei, wies ihn Gruev darauf hin, daß das ZK geplant habe, Gewehre für Seres noch rechtzeitig über den Berg Athos einschmuggeln zu lassen. Vgl. Kataxdtiev ,Serskiot okrug..., S. 238.

76 Andonovski-Poljanski, a.a.O., S. 75. 77 Pandevski, Nacionalnoto praSanfe vo makedonskoto osloboditelno dviienje, S. 262. 78 Michail Gerdiikov war der Sohn des Direktors der bulgarischen Nationalbank (Narodna

Banka) in Plovdiv. Petür Mandzukov war ein Enkel des berühmten Metropoliten von Plovdiv, Natanak Ochridski. Siehe Siljanov, Osvoboditelnite borbi..., Bd. 1, S. 244; V Makedoni-ja iOdrinsko , . . ,S. 19.

79 Siljanov, a.a.O., S. 244 ; Pandevski, a.a.O., S. 262-263.

Die Attentate von Saloniki und ihre Folgen 171

Über die Aktivitäten dieser Studenten weiß man heute wenig Genaues.80 Sie ließen in Paris illegal einen „Aufruf des Makedonischen Geheimen Revolutionären Komi­tees" drucken, und im Juli 1898 erschien eine Ausgabe der Zeitschrift Glas na make-donskijat tuen revoljucionen komitet (Stimme des MGRK). Einige Monate später folg­te die erste Nummer der sich „Organ der makedonischen revolutionären Terroristen" bezeichnenden Zeitschrift OtmüStenie (Rache).81 Die Gruppe behauptete von sich, für die vollständige Unabhängigkeit Makedoniens zu kämpfen.82 Sie ging in ihrem Programm von der Tatsache aus, daß in Makedonien eine Reihe von Völkerschaften nebeneinander lebten. Man müsse versuchen, diese verschiedenen Elemente in einer gemeinsamen Bewegung zu vereinigen. Hierzu sei erforderlich, daß keine Volksgrup­pe eine Vorrangstellung erlange. Man solle den bulgarischen, serbischen und griechi­schen Chauvinismus strengstens bekämpfen. Auch die friedliche türkische Bevölke­rung müsse in den Befreiungskampf gegen den Sultan einbezogen werden. Im Jahre 1899 kehrten Gerdäikov und seine Freunde nach Bulgarien zurück.83 Gerdïi-kov trat der Inneren Organisation bei. Er wurde als Befürworter der Taktik von Sa­botageakten und als Gegner eines allgemeinen Aufstandes bekannt. Mandzukov und MerdSanov dagegen führten ihr Anarchistendasein außerhalb der bestehenden Orga­nisationen weiter, obwohl sie mit diesen ständig in Verbindung blieben. So empfah­len sie sich dem 1899 neugewählten Oberen Makedonischen Komitee mit Plänen, welche zahlreiche Anschläge auf das europäische Kapital im Osmanischen Reich vor­sahen.84 Ein Attentat auf das Leben des Sultans war ebenfalls geplant. B. Sarafov, der Chef des O.M.K., erklärte sich bereit, diese Unternehmen zu finanzieren. Dadurch entstand ein anarchistischer Verschwörerkreis auf dem Balkan, der die Städte Plovdiv, Istanbul und Saloniki umspannte und über Genf Verbindung zu den internationalen Anarchistengruppen unterhielt.85

Dieser Verschwörerkreis war in Saloniki durch die „Gemid£ii"-Gruppe vertreten, de­ren Mitarbeit durch Merdzanov gewonnen worden war. Die Gruppe bestand mehr­heitlich aus Gymnasialschülern, die aus der zentralmakedonischen Stadt Veles stamm­ten. Man mietete im Jahre 1900 gegenüber dem Gebäude der Banque Ottomane Im­périale in Saloniki einen Laden und begann, einen unterirdischen Gang zur anderen Straßenseite zu graben, um diese europäische Finanzinstitution in die Luft zu spren­gen.86 Im Jahre 1903 war der unterirdische Gang fertiggestellt worden. Auch eine ausreichende Menge Dynamit stand inzwischen zur Verfügung. Aber G. DelCev ver­langte zu Beginn des Jahres 1903 die Verschiebung des Attentats auf ein späteres Da­tum, weil die Innere Organisation die Lieferung einer großen Anzahl von Gewehren,

80 Vgl. Pandevski, a.a.O., S. 262. 81 Ebd., S. 263-264. 82 Hierzu u.Z. folg. vgl. das Programm des MTRK, in: Zbornik na dokumenti za sozdavanje na

makedonskata driavnost (1893-1944) [Dokumentensammlung zur Grundlegung der make­donischen Staatlichkeit, 1893-1944], Skopje 1970, S. 23-24

83 VMakedonija i Odrinsko . . . , S. 19 ff. 84 Hierzu u.z. folg. vgl. äatev, VMakedonija pod robstvo. Solunskoto süzakljatie, S. 76-79. 85 Bulgarische Terroristen arbeiteten jedoch am engsten mit armenischen Anarchisten in

Istanbul und Saloniki zusammen. Vgl. Siljanov, Osvoboditelnite borbi... , Bd. 1, S. 247. 86 Vgl. Satev, a.a.O., S. 83 89.

172 Der llinden-A ufstand 1903

die man in Griechenland gekauft hatte und die zu jener Zeit im Hafen von Saloniki erwartet wurden, nicht gefährden wollte.87 Auch D. Gruev riet den Anarchisten im Frühjahr 1903, den geplanten Anschlag auf den Herbst, d.h. auf einen Zeitpunkt nach dem allgemeinen makedonischen Aufstand zu verschieben, und zwar „als einen letz­ten indirekten Schlag gegen einige Großmächte, falls diese in der Türkei nicht inter­venieren sollten",88

Die Ratschläge DelCevs und Gruevs hielten jedoch die jungen Leute von der „Gemid-Zii"-Gruppe nicht mehr zurück. Da diese die Chefs der Inneren Organisation ohnehin für altmodische Bauernführer hielten, die immer noch an die Fähigkeit des Volkes, sich zu erheben, glaubten, waren in ihren Augen solche Leute für die Leitung des Be­freiungskampfes nicht geeignet.89 Am 28. April 1903 begannen sie, ihre seit langem vorbereiteten Pläne in die Tat umzusetzen. Um die Mittagszeit wurde auf dem fran­zösischen Passagierdampfer „Quadalquivir" eine Dynamit-Ladung zur Explosion ge­bracht, als das Schiff gerade den Hafen verließ; es brannte vollständig aus.90 Am Abend erfolgte eine Explosion auf den Gleisen zwischen dem alten und neuen Bahn­hof, die anscheinend dem von Istanbul eintreffenden Zug galt. Durch Zufall entstand jedoch nur leichter Schaden an der Lokomotive des Zuges.91 In der Nacht vom 29. zum 30. April wurde das Gebäude der Banque Ottomane Impe'riale in die Luft ge­sprengt. Hierbei wurde auch das benachbarte Klublokal des deutschen Kegelklubs zerstört. Um Mitternacht schleuderten die Anarchisten Bomben gegen die deutsche Schule und verursachten erheblichen Schaden am Schulhaus. Die Schießerei zwischen den Truppen und den Anarchisten dauerte die ganze Nacht hindurch an. Am 2. Mai versuchte man erfolglos einen Anschlag auf die Kaserne. Am 3. Mai betrat der Anar­chist Kirkov das Telegraphenamt, wurde jedoch erschossen, bevor er seinen Plan, das Gebäude in die Luft zu sprengen, ausführen konnte. In diesen Tagen spielten sich in der Stadt Szenen ab, die die Augenzeugen fassungslos vor Schrecken machten. Bei­spielsweise bewarf Jordan Popjordanov, der Führer der „Gemidzn", vom Balkon sei­ner Wohnung aus die Straße ziellos mit Handgranaten, wobei er mit der letzten sich selbst tötete.

87 Vgl. äatev, a.a.O., S. 305. Über die Beziehungen Delcevs zu der „Gemidzii"-Gruppe siehe K. Bitoski, „Gemidziite i nivnite odnosi so Goce i so makedonskata revolucionerna organi-zacija" [Die Gemidzii und ihre Beziehungen zu Goce und zur makedonischen revolutionä­ren Organisation!, in: Goce Deliev i makedomkoto nacionalno revolucionerno dviïenje, Skopje 1973, S. 113-123.

88 Satev, a.a.O., S. 342-343. 89 Vgl. Süjanov, a.a.O., S. 247. 90 Das war das Werk Satevs, der sich als Passagier an Bord befand. A.a.O., S. 358-369. 91 Hierzu u.z. folg. vgl. die Berichte des österreichisch-ungarischen Generalkonsulats in Salo­

niki vom 29. April 1903, Nr. 31, und vom 5. Mai 1903, Nr. 32, in: D. Zografski, Izvestai od 1903-1904 godina na avstriskite pretstavnici vo Makedonija [Berichte der österreichi­schen Vertreter in Makedonien aus den Jahren 1903-1904], Skopje 1955, S. 34-35 und 36-39; M. Brunau, Das Deutschtum in Mazedonien, Stuttgart 1925, S. 28-30; S. S. Ayde-mir,Makedonya'dan Ortaasya'ya. Enver Pasa [Von Makedonien nach Zentralasien. Enver Papa], istanbul 1970, Bd. 1, S. 449 -450.

Die Attentate von Saloniki und ihre Folgen 173

Die Attentate von Saloniki riefen in der europäischen Öffentlichkeit Bestürzung her­vor. The Times schrieb am 4. Mai 1903:

The calculation of the Committees is as stupid as it is nefarious. Their object, as they have all along acknowledged, is to compel Europe to intervene and liberate Macedonia from the Turks. They first sought to attain it by exasperating the Turks into wholesale massac­res of the fellow Christians whom it is their professed purpose to deliver. They have hitherto failed, in spite of the many murders and other crimes they have instigated against the Moslems, in provoking retaliation upon a scale which would lend colour to an effective „atrocity campaign" in the European Press. They have therefore fallen back . . . upon a second method of appealing to Europe, which they are now pursuing simultaneously with their original plan. They have determined to attack European life and property, and the dynamite outrages in Salonika inaugurate their efforts.

Die europäischen Zeitungen begannen nun die Aufmerksamkeit ihrer Leser auf sol­che Aspekte der Makedonischen Frage zu lenken, die bislang völlig außer acht ge­lassen worden waren. In The Globe vom 11. Mai 1903 stand zu lesen:

The lives of the Christians, who are supposed to be trying to rise against Turkey and to unite themselves politically with Bulgaria, are not safe for a moment unless within range of a Turkish post. The Comitadjis murder them if they refuse to pay contributions to the bands, if they refuse to join the revolutionaries, if they do not give information to the Commitee, or if they give information to the Turks concerning them.

Die Absicht der Anarchisten, die Lösung der Makedonischen Frage auf die Tagesord­nung der europäischen Politik zu setzen, gelang nicht. Vielmehr fügten die Attentate der makedonischen Sache großen Schaden zu.92 Der bulgarische Handelsagent in Sa­loniki bezeichnete sie „als ein schweres Vergehen, das unklare, richtungslose Köpfe an der mazedonischen Sache begangen hätten. Die Türkei habe den Vorteil geerntet, und die Emanzipation der Mazedonier sei mindestens 20 Jahre hintangehalten."93

Die osrnanischen Sicherheitsbehörden hatten in den Tagen nach den Attentaten alle Hände voll zu tun, um eventuelle Ausschreitungen der Mohammedaner zu verhin­dern .94 Das war eine schwierige Aufgabe, weil die Bevölkerung in den makedonischen Städten jeden Augenblick neue Anschläge erwartete. Die Mohammedaner sammelten sich in Moscheen und sannen auf Gegenaktionen.95 Das österreichische Geschwader, das sich vor der kleinasiatischen Küste befand, wurde nach Saloniki beordert, um das Leben von Christen zu schützen.96 Italien, das glaubte, mit Österreich-Ungarn gleich­ziehen zu müssen, entsandte ebenfalls eine Flotteneinheit nach Saloniki.97 Zu Aus­schreitungen der Mohammedaner gegen die Christen kam es am 6. Mai in Monastir.

92 „In diplomatic circles the events at Salonika are considered to be the deathblow to Euro­pean sympathy towards the Macedonians . . .", The Daily Telegraph vom 4. Mai 1903.

93 Bericht Wangenheims, Therapia, 26. Mai 1903, PAAA, Türkei 156, Bd. 64, A. 7703. 94 „Die türkischen Behörden sind sich bewußt gewesen, daß die Revolutionäre solche Massa-

kres wünschen und herbeiführen wollten, und haben alle ihre Macht darauf hinkonzen­triert, solche zu verhindern . . .", Neues Wiener Tagblatt vom 12. Mai 1903.

95 Siljanov, Osvoboditelnite borbi. . . , Bd. 1, S. 264. 96 Telegramm Wangenheims aus Konstantinopel, 1. Mai 1903, PAAA, Türkei 156, Bd. 60, A.

6296. 97 Hickel an Goluchowski, Salonich, 15. Mai 1903, Nr. 35 pol., HHStA, PA XXXVIII/407.

174 Der Ilinden-Aufstand 1903

Ein Gerücht, daß Moscheen von Bulgaren gesprengt worden seien, verleitete die Mus­lime zu einer Menschenjagd auf die Bulgaren.98 Bis die Truppen die Straßen im Zen­trum der Stadt abriegeln konnten, verloren mindestens 10 Menschen ihr Leben." Die Attentate von Saloniki waren der Inneren Organisation, die jetzt den allgemeinen Aufstand vorzubereiten hatte, höchst unwillkommen. Die Sicherheitsbehörden nah­men an die 2.000 Personen, die in irgendeiner Weise mit der I.O. liiert waren, fest.100

An vielen Orten lösten sich die Lokalkomitees auf. Besonders in den östlich von Var-dar gelegenen Gebieten, in denen die Organisation schon im Herbst, nach dem Dzu-maja-Aufstand, in Bedrängnis geraten war, schwand nun auch die letzte Bereitschaft, sich noch im Jahr 1903 gegen die osmanische Herrschaft zu erheben.101

Überdies verlor die Innere Organisation zu dieser Zeit einen ihrer hervorragenden Füh­rer - Goce DelCev. Um einer eventuellen Verhaftung zu entgehen, war dieser gezwun­gen, nach den Attentaten Saloniki fluchtartig zu verlassen. Sandanski entsandte eine äeta in die Ebene von Seres, die ihn in das Gebirge begleiten sollte.102 Deldev und seine Begleitung wurden jedoch am 3 . Mai im Dorf Banica nördlich von Seres von osmanischen Truppen umzingelt. Delöev fiel am 4. Mai während eines mehrstündi­gen Gefechts.103

Der bulgarische Exarch war über den Schaden, den die bulgarische Kirche und die Schulorganisation in Makedonien durch die Attentate von Saloniki erlitten hatte, be­troffen. Überhaupt war er, wie Freiherr von Calice erfuhr, über die allgemeine Ent­wicklung in Makedonien sehr enttäuscht:

So verhehlt er nicht sein Erstaunen über die fortdauernd sich bewährende Festigkeit un­serer Entente mit Rußland, über die Bezwingung der Arnauten mit thatsächlichen Gewehr­und Geschützfeuer, über die Zurückziehung der k.u.k. und der italienischen Escadren von Salonich und das Nichteingreifen von englischen und französischen Schiffen in jenem Ha­fen, was den Bulgaren als Beweis gedient hat, daß Europa an ihrem Schicksal sich desin-teressirt.104

98 Ausführliche Beschreibung der Vorgänge in Monastir am 6. Mai findet sich im Bericht Krals an Goluchowski, Monastir, 9. Mai 1903, Nr. 52, HHStA, PA XXXVIII/392, und dem des serbischen Generalkonsuls in Monastir, M. G. Ristic, in: Lj. Lape, IzveStaiod 1903 go-dina na srpskite konsuli, mitropoliti i uciliini inspektori vo Makedonija [Berichte der serbi­schen Konsuln, Metropoliten und Schulinspektoren in Makedonien aus dem Jahre 1903], Skopje 1954, S. 202-207.

99 Konsul Kral gibt in seinem oben zitierten Bericht die Zahl der Toten mit 10 an. Nach dem Bericht des serbischen Konsuls Ristic starben 11 Menschen, a.a.O. Nach Siljanov starben 14 Menschen, a.a.O., S. 265. Baron Calice schließlich spricht von 18 Toten: Constantino-pel, 13. Mai 1903, Nr. 25 C, HHStA, PA XII/182.

100 Angabe nach Istorija na Makedonija, S. 186. Über die Verhaftungen in Veles, Stip, Kuma-novo und anderen Kazas des Vilayets Kosovo siehe den Bericht des serbischen Generalkon­sulats von Skopje, 10. Mai 1903 (a.S.), in: Lape, IzveStai. . . , S. 231-232. Zur Verhaftung oder Internierung von bulgarischen Notabein in allen drei Vilayets siehe das Expose der bulgarischen Regierung in der Anlage zum Bericht aus Sofia, 15. August 1903, PAAA, Türkei 156, Bd. 69>A. 12216.

101 Vgl. Siljanov, a.a.O., S. 276. 102 Spomeni na Gjorie Petrov,S. 133. 103 AP Turkey No. 1 (1904), S. 124;Andonovski-Poljanski, a.a.O., S. 79-80. 104 Constantinopel, 20. Mai 1903, Nr. 27 B, HHStA, PA XII/182. Dasselbe abgedruckt bei

Tomoski, Dokumentiod Vienskata archiva . . . , S. 112-113.

Die Attentate von Saloniki und ihre Folgen 175

Die Rückschläge der bulgarischen Partei in Makedonien seit dem Herbst 1902 hatten Folgen auch für die bulgarische Innenpolitik. Das russophile Kabinett Danevs sah seine auf die Unterstützung Rußlands gesetzten Hoffnungen nacheinander zusam­menbrechen. Es war für die Hilfslosigkeit der bulgarischen Regierung zu jener Zeit bezeichnend, daß Danev dem österreichisch-ungarischen Vertreterin Sofia,Graf For-gäch, offen die Frage stellte: „Könnten denn die Großmächte, jetzt wo unter den­selben bezüglich der Balkanangelegenheiten ein vertrauensvolles und jedes Hinterge­dankens bares Einverständnis herrsche, sich nicht zu einem Schritte entscheiden, der definitiv Ruhe und Ordnung schaffen würde, wie z.B. zu einer gemeinsamen Occupation Makedoniens nach cretensischer Analogie?"105 Das Kabinett Danev mußte am 15. Mai 1903 seine Demission entgegennehmen. Die neue bulgarische Regierung unter General Raöo Petrov, die am 19. Mai gebildet wurde, galt als österreichfreundlich. In der Tradition der stambolovistischen Politik stehend, legte sie Wert darauf, ihren guten Willen gegenüber dem Sultan zu demon­strieren. Petrov suchte Ali Ferruh Bey, den osmanischen Kommissar in Sofia, auf und versicherte ihm, daß seine Regierung, um den Übertritt von Banden auf osmani­sches Territorium zu verhindern, die Grenze im Süden effektiver überwachen lassen und den makedonischen Komitees keine Unterstützung gewähren werde.106 Graf Forgäch berichtete am 28. Mai 1903:

Die jetzige Regierung, getreu der Tradition, die sich an Stambuloff s Namen knüpft, ver­langt keinerlei Autonomie Macédoniens, sondern nur die Anwendung der bestehenden türkischen Gesetze, die Ausführung der von Österreich-Ungarn und Rußland beschlossenen Reformen, sowie Freiheit für die culturelle und religiöse Entwicklung der Stammesbrü­der.107

Die ZeitungAfov vek, das Organ der „Volksliberalen Partei" (Stambolovisten), erörter­te die Grundzüge der neuen Außenpolitik Bulgariens in einem programmatischen Ar­tikel am 12./25. Mai 1903.108 Danach lagen „die eigentlichen Ursachen, welche die Bildung des jetzigen Ministeriums herbeigeführt haben, in den durch die traurige La­ge unserer Stammesgenossen im Türkischen Reiche verschlechterten Beziehungen zwischen Bulgarien und der Türkei". Die russophilen Regierungen Bulgariens seien immer der Ansicht gewesen, daß eine Verbesserung der Lage der Bulgaren im Os­manischen Reich nur durch feindseliges Vorgehen gegen dieses Reich erzielt werden könne. Diese Ansicht habe während der Überfälle auf osmanisches Territorium im Jahre 1895 und im Herbst 1902 ihre Höhepunkte erreicht. „Die heutige traurige Lage der Bulgaren in der Türkei ist dem Triumpfe jener Ansicht zuzuschreiben."Die Volks­liberalen dagegen seien der Ansicht, daß die Verbesserung der Lage der Bulgaren am besten durch die Herstellung freundschaftlicher Beziehungen zum Osmanischen Reich gelingen würde:

105 Forgäch an Goluchowski, Sofia, 14. Mai 1903, Nr. 29 B, HHStA, PA XV/56. 106 Forgäch an Goluchowski, Sofia, Chiffretelegramm vom 21. Mai 1903, Nr. 66, HHStA, PA

XV/56. 107 Sofia, 28. Mai 1903, Nr. 32 A-J.HHStA, PA XV/56. 108 Eine auszugsweise Übersetzung des Artikels findet sich in der Anlage zum Bericht des

deutschen Generalkonsulats Sofia, 27. Mai 1903, Nr. 116, PAAA, Türkei 156, Bd. 64, A. 7766.

176 Der Ilinden-A ufstand 1903

Wenn man sich erst in der türkischen Hauptstadt überzeugt haben wird, daß wir aufrichtig entschlossen sind, ohne irgend welche fremde Einmischung zu Gunsten wechselseitiger In­teressen mit der suzerainen Regierung unmittelbare Beziehungen anzuknüpfen, dann wer­den auch die Türken ihre Maßregeln gegen unsere Connationalen einstellen und uns unse­re Aufgabe erleichtern.

Diese Akzentverschiebung in der bulgarischen Außenpolitik zugunsten besserer Be­ziehungen zur Hohen Pforte muß im Zusammenhang mit einer sich seit 1898 anbah­nenden Annäherung zwischen Griechenland und dem Osmanischen Reich gesehen werden. Der Sultan zeigte sich im April 1899 am Abschluß einer Allianz oder Mili­tärkonvention mit Griechenland interessiert.109 Wenn es auch nicht dazu kam, wurde eine der Unstimmigkeiten zwischen den beiden Ländern bereinigt, als diese am 2. April 1901 eine Konsularkonvention vereinbarten. Im Frühjahr 1903 wurde schließ­lich ein für Griechenland vorteilhaftes Handelsabkommen abgeschlossen. Im Zeichen der neuen Freundschaft verlieh der Sultan Anfang März 1903 dem König von Grie­chenland und dem Kronprinzen hohe Orden. Dazu der diplomatische Vertreter Deutschlands in Athen: „Die Auszeichnungen sind die Frucht der Angst, welche hier vor Komplikationen in Mazedonien . . . herrscht." Man benehme sich gegenüber dem Osmanischen Reich besonders korrekt, weil man fühle, „daß bei einer Liquidation der türkischen Herrschaft in Europa . . . Griechenland bei einem Zustande militäri­scher Inferiorität und finanzieller Schwäche . , . kein Wort mitzureden haben wür­de . , . " u o Die Griechen waren also ihrerseits an einer Annäherung an die Pforte in­teressiert, weil sie wußten, daß sie auf den guten Willen des Sultans angewiesen wa­ren, wenn sie ihre Ansprüche auf Makedonien weiterhin aufrechterhalten wollten. Diese Ansprüche wurden in einer Zeit, als nationalistische Vereine in Griechenland sich bemühten, die hellenistische Ideologie nach der Niederlage von 1897 zu neuem Leben zu erwecken, mit Vehemenz bekräftigt. Schon aus solch einem geringen An­laß, wie dem eines Artikels der Pariser Zeitung Le Temps, in dem behauptet wurde, daß alle Makedonier ihre Blicke auf Sofia wie auf einen Rettungsanker gerichtet hiel­ten, organisierten die in Athen lebenden Makedonier im Februar 1903 eine Protest­versammlung.111 Diese verpflichteten sich in einem Memorandum vom 17. April 1903, das bei den diplomatischen Vertretungen der Großmächte abgegeben wurde, die In­tegrität ihrer Heimat, die immer ein Bestandteil des hellenischen Vaterlandes gewesen sei, zu verteidigen. Obwohl die Bevölkerung in einigen Gegenden Makedoniens fremde Dialekte spreche, könne man sich der Einsicht nicht verschließen, daß die Sprache des Landes das Griechische sei.112 N. Casasis, der Rektor der Universität von Athen und zugleich der Präsident des Vereins Hellenismus, leitete eine Art Kreuzzug gegen die Bulgaren ein. In einem offenen Brief an Michajlovski, den Vorsitzenden des Obe­ren Makedonischen Komitees in Sofia, schrieb er:

109 Hierzu u.z. folg. vgl. Driault/Lhe'ritier, Histoire diplomatique de la Grèce, Bd. 4, S. 488-490; R. Poplazarov, Grckata politika sprema Makedonija vo vtoratapolovina na XIX ipo-âetokot na XX vek [Die griechische Politik gegenüber Makedonien in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jh.], Skopje 1973, S. 30-32.

110 Bericht vom 6. März 1903, Nr. 18, PAAA, Türkei 156, Bd. 53, A. 3444. 111 Bericht aus Athen, 23. Februar 1903, PAAA, Türkei 156, Bd. 52, A. 2888.

Die Attentate von Saloniki und ihre Folgen 177

. . . Vous descendez de la race touranienne. Vous avez sa nature et ses penchants. Mais étant venus en contact avec les Slaves, vous vous êtes mélangés à eux, sans acquérir pourtant jusqu'à présent un caractère ethnique propre. Aujourd'hui vous êtes un mélange de Slaves et de Bulgares, soumis à une double influence d'origine... Vous prétendez que l'antagonis­me de race que j'ai recommandé à mes compatriotes est condamné par tous les philoso­phes . . . Hélas! L'antagonisme entre les peuples est une loi de la nature, de même qu'en gé­néral toute lutte est une loi de la nature, se manifestant aussi bien dans le monde organique que dans le monde inorganique . . . 11 en est de même de la science sociologique moderne, qui fonde le progrès de l'humanité sur ce principe de l'antagonisme. . . Le bulgarisme ne saurait lutter contre l'hellénisme; ni sa force numérique, ni sa force intellectuelle et morale ne lui permettraient d'affronter une telle lutte. . . ' "

Neben diesen Aktivitäten auf ideologischem Gebiet gingen die Griechen daran, eine Abwehrorganisation zunächst in den südlichen Kazas des Vilayets Monastir gegen die makedonische revolutionäre Bewegung auf die Beine zu bringen. Für diese Aufgabe wurde ein Priester namens GermanosKaravangelis ausgewählt, der sich bereits als ein unermüdlicher Kämpfer für den Hellenismus erwiesen hatte. Man ernannte ihn im Jahre 1900 zum Metropoliten von Kastoria.114

Innerhalb kurzer Zeit gelang es Karavangelis, sich mit den osmanischen Behörden in Kastoria ins beste Einvernehmen zu setzen. Er versicherte dabei H. N. Brailsford „that his alliance with the Turks was only temporary. A great day was coming, when Hellen­ism would claim her own. It was only necessary to crush the Bulgarians first."115

Er forderte die Christen, die dem Patriarchat treu geblieben waren, auf, den Behör­den bei der Verfolgung der revolutionären Banden behilflich zu sein.116 Die Weisung des griechisch-orthodoxen Patriarchats an den griechischen Metropoliten von Mona­stir, die osmanischen Behörden in ihren Maßnahmen gegen die bulgarische Agitation zu unterstützen,117 muß ebenfalls in diesem Zusammenhang gesehen werden. In Süd­makedonien fanden nun vielerorts Denunziationen gegen die Exarchisten statt. Kon­sul Kral berichtete aus Monastir:

Unzweifelhaft hat die bulgarische Schulpropaganda durch die Arretierung, Flucht und Ausweisung vieler Lehrpersonen einen Stoß erlitten. . . Die Griechen trachten in selbst­süchtiger Ausnützung der ihnen momentan günstigen Lage nach wie vor, sich den Behör­den gegen die Bulgaren gefällig zu erweisen. . ."8

112 „Mémoire de l'association centrale macédonienne d'Athènes", Anlage zum Bericht Nr. 55 aus Athen, 3. Mai 1903, PAAA, Türkei 156, Bd. 61, A. 6668.

113 „Réponse imprimée de N. Casasis, recteur de l'université nationale d'Athènes, professeur de philosophie du droit et d'économie politique et president de la société „L'Hellénismos", à St. Michailovski, ancien professeur à l'université de Sophia, ancien membre de la Sobra-nié, actuellement président du dit Haut Comité Macédono-Adrianopolitain, Sophia. Athè­nes, 7 juillet 1903,"

114 Vgl. Dakin, The Greek Struggle in Macedonia, S. 119; Poplazarov, Grèkata politika S. 37-39.

115 Macedonia. Its Races and their Fu ture, S. 194. 116 Vgl. Dakin, a.a.O., S. 132. 117 Kral an Goluchowski, Monastir, 4. April 1901, Nr. 28, HHStA, PA XXXVHI/391. 118 26. Mai 1901, Nr. 37, HHStA, PA XXXVD.I/391.

178 Der Ilinden-Aufstand 1903

Karavangelis war ein ungewöhnlicher Geistlicher. Bei seinen Besuchen in ländlichen Gemeinden zeigte er sich stets bis an die Zähne bewaffnet. Auf Dorfplätzen veran­staltete er Schießübungen und galt selbst als eih guter Scharfschütze,119 Brailsford war höchst erstaunt, im Amtszimmer des Metropoliten ein Lichtbild hängen zu sehen, das den abgetrennten Kopf eines Führers der makedonischen revolutionären Bewe­gung zeigte,120

Von Anfang an strebte Karavangelis danach, eigene bewaffnete Abteilungen aufzu­stellen. Die hierfür notwendigen Geldmittel flössen ihm hauptsächlich aus den phil­hellenistischen Kreisen in Europa121 und vermutlich aus speziellen Fonds der grie­chischen Regierung zu.122 So konnte er Kota, einen Woiwoden der Inneren Organi­sation, Anfang 1902 für die griechische Sache in Makedonien verpflichten.123 Ob­wohl es ihm gelang, durch Zahlung eines verhältnismäßig hohen Soldes noch einige Kämpfer der Inneren Organisation abzuwerben,124 war jedoch damit noch keines­wegs eine Kampforganisation entstanden, die es mit den öeti der makedonischen re­volutionären Bewegung allein aufnehmen konnte. Karavangelis verlangte deshalb im Herbst 1902 von der griechischen Regierung die Entsendung von 50 Kretern nach Makedonien als Verstärkung.125 Ende Mai 1903 kamen die ersten 11 Kreter in Ka-storia an.126 Die griechische Sache in Makedonien sollte in kommenden Jahren in erster Linie von Kämpfern aus Kreta verteidigt werden.

Die eigentliche Stärke der griechisch-makedonischen Streitmacht lag aber darin, daß sie von den osmanischen Sicherheitskräften geduldet, sogar begünstigt wurde. Der diplomatische Vertreter der Pforte in Athen legte in einem Bericht Anfang 1903 dem Sultan nahe, daß es zweckmäßig und nützlich wäre, wenn sich die osmanische Regie­rung einigen Staaten gegenüber, die für die Einhaltung der bestehenden Ordnung in Makedonien eintraten, wohlgesinnter zeigte. Die Pforte erteilte daraufhin an die ent­sprechenden Stellen die Weisung, daß osmanischen Staatsbürgern griechischer Natio­nalität in Makedonien alle erdenklichen Erleichterungen zu gewähren seien.127

Die Zusammenarbeit zwischen den Behörden und den Griechen bzw. Patriarchisten in Südmakedonien versetzte die dortigen Komitees der Inneren Organisation kurz vor dem von ihr geplanten allgemeinen Aufstand in eine schwierige Lage: Ihre Frei­scharen wurden nun vergleichsweise viel effektiver verfolgt und bekämpft. So wurde

119 Siehe Dakin, a.a.O., S. 126. 120 Brailsford, a.a.O., S. 193. 121 Einer der Hauptgeldgeber war der französische Philhellene L. de Riencourt. Dakin, a.a.O.,

S. 142. 122 Vgl. ebd., S. 123, Anm. 13. 123 Über die Verhandlungen von Karavangelis mit Kota vgl. ebd., S. 120-124. 124 Siehe ebd., S. 127-132. Ein Überblick über die Entstehung der griechischen Organisation

in Makedonien ist zu finden bei R. Poplazarov, „Odnosot na Kralstvoto Grcija i na Cari-gradskata patrijarslja sprema VMRO i Ilindenskoto vostanie" [Das Verhältnis des Königreichs Griechenland und des Patriarchats von Konstantinopel zur Inneren Makedonischen Revo­lutionären Organisation und zum Ilinden-Aufstandl, in: Hindert 1903, Skopje 1970, S. 137-148.

125 Dakin, a.a.O., S. 130. 126 Ebd., S. 143-144. 127 Dorev, Dokument! iz turskite düriavniarchivi, 1863-1909, Nr. 332.

Eliastag 1903 179

infolge des Informationsdienstes der Griechen am 22. Mai 1903 eine große öeta der Inneren Organisation im Dorfe Smürdeg von den osmanischen Truppen gestellt.128

Das Gefecht dauerte den ganzen Tag und brachte den Bulgaren Verluste von über 100 Mann.129 Die Mehrheit der Bevölkerung, die bis dahin mit den Zielen der In­neren Organisation sympathisiert hatte, ließ sich nunmehr einschüchtern:Vereinzelt begann man hier und da Gewehre an die Behörden abzuliefern.130

3. DER ILINDEN-AUFSTAND (ELIASTAG 1903)

Nach den Attentaten von Saloniki war eine neue Lage in Makedonien entstanden, wobei das Zentralkomitee der Inneren Organisation infolge der Verhaftung oder In­ternierung einiger seiner Mitglieder nicht länger die koordinierende Funktion inner­halb der makedonischen Bewegung wahrnehmen konnte. Dadurch war es nun den Bezirksleitungen der Inneren Organisation überlassen, weitere Schritte in Richtung auf einen baldigen Aufstand zu beschließen oder aber diesen auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Beim Kongreß des Revolutionsbezirks Monastir, der vom 2. bis zum 7. Mai 1903 in Smilevo, dem Heimatdorf D. Gruevs, stattfand, stand demgemäß der Januar-Beschluß des ZK, noch im Jahre 1903 den Aufstand für Makedonien auszurufen, an erster Stelle zur Debatte.131 Trotz der ablehnenden Haltung einiger sozialistischer Delegierter, wie Karevund Sugarev, die auf eine ungenügende Vorbereitung des Volkes hinwiesen, wurde in Smilevo im Sinne des Beschlusses des ZK entschieden, d.h., es sollte im Re­volutionsbezirk Monastir noch im Laufe des Sommers ein Aufstand proklamiert wer­den.132 Die Mehrheit um D. Gruev wollte diesen Aufstand auf dem Lande beginnen und ihn ausschließlich in Form eines öeta -Kampfes führen, während eine Gruppe um B. Sarafov dafür eintrat, daß auch anarchistische Attentate in den Städten, ähnlich denen in Saloniki, ausgeführt werden sollten.133 Man einigte sich darauf, daß im Sin­ne Gruevs, der Kampf auf konventionelle Weise, d Jh. nur gegen die osmanischen Trup­pen geführt werden sollte., und zwar so lange, bis die Großmächte sich genötigt sehen würden,, zu intervenieren.134

Nach dieser wichtigen Entscheidung beschäftigte sich der Kongreß mehr mit prakti­schen Fragen, die die Organisierung des Aufstandes betrafen. So wurde der Revolu-

128 Dakin, a.a.O., S. 132. 129 Kral an Goluchowski, Monastir, 24. Mai 1903, Tel.-Bericht Nr. 35, HHStA, PA XXXVIII/

392. 130 Vgl. Siljanov, Osvoboditelnite borbi... , Bd. 1, S. 272-274. 131 Siehe das Protokoll des Kongresses, in: Zbornik na dokumenti.. . , S. 60-65. 132 Vgl. Ivanoski, „Nikola Karev . . . " , S. 159;Gj. Dimovski-Colev,,Sugarev - Rakovoditel na

Pelisterskiot reon vo Ilindenskoto vostanie" [Sugarev der Führer des Rayons Pelister während des Ilinden-Aufstandes], in: Hindert 1903, S. 228.

133 Siehe den Bericht des öst.-ung. Konsuls in Monastir, Kral, vom 19. Juli 1903, in: Zografski, IzveStaiod 1903-1904godina na avstriskite pretstavnici vo Makedonija, No. 7, S. 42-48.

134 Vgl. Pandevski, Nacionalnoto praSanje . . . , S. 153-154.

180 Der llinden-Aufstand 1903

tionsbezirk Monastir in Rayons aufgeteilt und jedes Rayon einem Ära-Führer unter­stellt.135 Man wählte als das höchste militärisch-politische Organ des Revolutionsbe­zirks Monastir einen „Generalstab" von drei Führern - D. Gruev, B. Sarafov, A. Lo-zancev - , dessen Kompetenzen in einer Disziplinarordnung, die für alle verbindlich war, festgelegt wurden.136 Es war allein diesem Führungsgremium überlassen, den genauen Tag des Aufstandes festzulegen. Der erste bedeutende Akt des Generalstabes war die Entsendung eines Rundschrei­bens (Nr. 1) an die leitenden Persönlichkeiten der Rayonsam 14. Mai (a.S.).137 Dar­in wurden die Bildung eines Generalstabes und die Namen der neuernannten Führer einiger wichtiger Rayons bekanntgegeben. Außerdem teilte der Generalstab mit, daß die aktiven Kader der Organisation die Städte umgehend zu verlassen und sich in die Berge zu begeben hätten. Diejenigen, die aus diversen Gründen zum Seta -Kampf nicht geeignet waren, sollten in den Städten Hilfsdienst übernehmen, so z.B. die Überwa­chung von Truppenbewegungen, Nachrichtenvermittlung und die Begleitung europä­ischer Korrespondenten, die im Laufe der Kämpfe in Monastir zu erwarten waren, zu aufständischen Kommandostellen. Schließlich verlangte der Generalstab, daß alle Vorbereitungen für den Aufstand bis Ende Mai 1903 abgeschlossen sein mußten. Der Beginn des Aufstandes wurde jedoch einige Male aufgeschoben. Dies war in er­ster Linie auf die für die Innere Organisation verlustreichen Kämpfe in der Kaza Ka-storia zurückzuführen. Dort waren die Patriarchisten unter der Leitung des Metro­politen von Kastoria, Germanos Karavangelis, dabei, eine antibulgarische Front zu bilden. Die osmanischen Truppen, die von der dortigen Bevölkerung unterstützt wur­den, erzielten einen Erfolg nach dem anderen: Ende Mai 1903 wurde die Seta B.Cvet-kovs im Dorf Mogila von den Truppen angegriffen; 17 Setniks, darunter Cvetkov, kamen im Gefecht um,138 Am 11. Juni wurde eine Seta in Banitsa von christlichen Bauern verraten. Im darauffolgenden Kampf fielen 12 petniks, darunter auch der Führer PapanCev, der ein Offizier der bulgarischen Armee war.139 Am 13. Juni teilte ein patriarchistischer Priester den osmanischen Behörden die Anwesenheit einer bul­garischen Seta bei Rakovo mit,'40 Am 18. Juni verlor der berühmte Ära-Führer Ca-kalarov in einem Gefecht 27 Mitkämpfer. Seine Freischärler trennten sich daraufhin, um der Verfolgung leichter zu entgehen. Die einzelnen Setniks, die sich in umliegen­den Dörfern versteckten, wurden jedoch von den slawischen Bauern bei den Behör­den angezeigt; 60 Personen wurden verhaftet.141

135 Siehe das Protokoll des Kongresses, a.a.O., S. 63. Zu einer Aufzählung der deta-Führer sie­he auch den Bericht Krals vcm 19. Juli 1903, Zografski, hveitai. . . , S. 42-48.

136 Siehe Zbornik na dokumenti. . . , S. 65-70. Vgl. auch Lj. Lape, „Nekoi voeno-upravni te­la i ustanovi pred i vo vreme na Ilindenskoto vostanie i nivnoto funkcioniranje" (Einige militäradministrative Körperschaften und Institutionen vor dem und während des Ilinden-Aufstandes und ihr Funktionieren 1, in: Hindert 1903, S. 57-71.

137 Siehe Zbornik na dokumenti.. . , S. 70-72, und die Anlage zum Bericht des serbischen Generalkonsulats in Skopje vom 28. Juni 1903, in: Lape,hveitai. . . , S. 260-262.

138 /4/> Turkey No. 1 (1904), No. 178, S. 139-141. 139 AP Turkey No. 1 (1904), Inclosure 2 in No. 223, S. 193. Siehe auch den Bericht des Kon­

suls Kral vom 22. Juli 1903, in: Zografski, hveitai Nr. 8, S. 48-51. 140 Zografski, hveitai. .. , Nr. 8. 141 /WTurkeyNo. 1 (1904), Inclosure in No. 221, S. 190-191.

Eliastag 1903 181

Infolge solcher Rückschläge ließ die Begeisterung der Exarchisten für einen Aufstand merklich nach.142 Die allgemeine Stimmung in Makedonien wird von einem Zeitge­nossen, der das Land im Juni 1903 bereiste, wie folgt geschildert:

Man muß sehr scharf betonen, daß der überwiegende Teil der Christen dem Treiben der Komitadschis feindlich gegenübersteht. Auch in den Gebirgsgegenden, wo die Banden jetzt immer wieder Gefechte mit den Truppen haben, folgt die Masse der Bauern nur ge­zwungen den Befehlen der Komités... Die Pforte ist militärisch. . . völlig Herr der Lage. Wenn sie die Kraft nicht ausnutzt, so geschieht dies aus Furcht vor neuen Beschwerden der Mächte.'"

Gruev und Sarafov, die sich wegen dieser Kämpfe im Juni im Gebiet von Kastoria aufhielten, legten nun den 6. Juli (a.S.) als neues Datum für den Aufstand fest.144

Als jedoch eine Nachricht von Ch. Matov aus Sofia eintraf, der Kriegsminister Ge­neral Savov sei der Ansicht, daß die bulgarische Armee frühestens im September für einen Krieg mit dem Osmanischen Reich gerüstet sein würde, verschob man wiederum den Beginn des Aufstandes, diesmal auf „Ilinden", den Tag des Hl. Elias (20. Juli a.S.).145 Dieses neue Datum und der Aufruf zum Kampf wurden in einem Rund­schreiben vom 15. Juli (a.S.) den revolutionären Kadern in feierlichen Worten mit­geteilt..146

Der Beginn des Ilinden-Aufstandes in der Nacht vom 2./3, August 1903 kam für die zeitgenössischen Beobachter überraschend. Selbst der österreichisch-ungarische Kon­sul in Monastir, der gute Beziehungen zu den Komitadschis in seinem Amtsbereich unterhielt, hatte von diesem Datum nichts gewußt. Er berichtete am 5. August, daß der Aufstand etwa zwei Wochen früher als beabsichtigt angesetzt worden sei.147 Die Gründe für die Vorverlegung gab er in einem Bericht vom 31. August 1903 an:

Daß für den Beginn des Aufstandes im Vilayet Monastir gerade der Monat August gewählt wurde, wird - neben mehreren anderen Erwägungen - mit der Absicht in Zusammenhang gebracht, durch Störung der Erntearbeiten Nothstand und materielle Schwächung der Türken zu erzeugen, wogegen Bulgarien volle Zeit verbliebe, seine ausgezeichnete, rei­che Ernte unter Dach und Fach zu bringen.14"

Auch in Bulgarien war man durch das frühe Ansetzen des Aufstandes überrascht. „Selbst die macedonischen Kreise, die ihre Thätigkeit.. . erst in zwei Wochen neuer­lich aufnehmen wollten, waren auf die Monastirer Ereignisse nicht vorbereitet."149

Als Ch. Matov am 3. August im Namen der Inneren Organisation den Ministerpräsi­denten Bulgariens vom Beginn des Aufstandes in Makedonien in Kenntnis setzen

142 Vgl. Siljanov, Osvoboditelnite borbi. . . , Bd. 1, S. 273. 143 Herr von der Nahmer aus der Redaktion der Kölnischen Zeitung gab seine im Juni 1903 in

Makedonien gemachten Notizen bei der deutschen Gesandtschaft in Belgrad ab. Eine Ab­schrift von diesen liegt dem Bericht der Gesandtschaft vom 26. Juli 1903, Nr. 135, bei. PAAA, Türkei 156, Bd. 67, A. 11300.

144 Siljanov, a.a.O., Bd. 1,S. 279. 145 Ebd., S. 280. Vgl. auch Ch. Matov za svojata revoljucionna dejnost, S. 65. 146 Siehe Documents and Materials on the History of the Bulgarian People, S. 306-308. 147 Kral an Goluchowski, Telegramm Nr. 47 vom 5. August 1903, HHStA, PA XXXVIII/392. 148 Krai an Goluchowski, Monastir, 31. August 1903, Nr. 109, HHStA, PA XXXVIII/392. 149 Forgâch an Goluchowski, Sofia, 12. August 1903, Nr. 45 A C , HHStA, PA XV/56.

182 Der Mnden-Aufstand 1903

wollte, mußte er sich sagen lassen, daß der Aufstand nicht nur verfrüht stattfinde, sondern, daß es am besten gewesen wäre, wenn die Innere Organisation überhaupt keinen Aufstand begonnen hätte.1S0 > Angesichts dieser Situation, die auf eine Diskrepanz zwischen den Zielen der bulga­rischen Regierung und denen der Inneren Organisation hindeutet, stellt sich die Fra­ge, von welcher Seite sich die Führer der Inneren Organisation im Sommer 1903 überhaupt Hilfe erhofft hatten. Eine Antwort hierauf kann aus einem Bericht Baron Giesls, des österreichisch-ungarischen Militärattaches in Konstantinopel, an den Bot­schafter Freiherrn von Calice herausgelesen werden. Baron Giesl war während einer Fahrt von Sofia nach Konstantinopel am 5. Juli 1903 von Karajovov, der sich als Vertreter der Inneren Organisation vorgestellt hatte, folgendermaßen angesprochen worden:

. . . Die gegenwärtige Situation kennen Sie. Wir haben viele Banden ausgerüstet, welche zum großen Theile von den Türken vernichtet wurden. Wir werden weiter kämpfen und bereiten eine allgemeine Revolution vor. Bis jetzt hatten wir keinen Erfolg, weil die Unterstützung von außen fehlt. Graf Lamsdorff hat uns gesagt, daß sich der Czar mit unserem Schicksale beschäftige, und uns zur Geduld und Klugheit ermahnt; bestimmte Versprechungen hat er nicht gemacht. Schon im vergangenen Jahre wurde in den Konferenzen unter den Führern der Bewegung die Frage diskutiert, und später zum Beschluße gemacht, Seine Majestät den Kaiser und König Franz Josef I. um Schutz für die mazedonischen Bulgaren zu bitten und diese un­ter das Protektorat Seiner Majestät zu stellen.

Diese Bitte Ihrer Regierung vorzutragen ist der Zweck dieser Unterredung. Wir werden Alles thun, um ein Patronat Seiner Majestät möglich zu machen; die Konver­sion aller mazedonischen Bulgaren zum Katholizismus wurde erwogen, stieß jedoch auf Schwierigkeiten, jedoch sind wir bereit, und dafür übernehmen wir die volle Verantwor­tung für die Durchführung, - eine Union mit Rom einzugehen. . . I51

Im Zusammenhang mit dieser Unterredung gewinnt eine Nachricht vom 4. Juni 1903 an Bedeutung, wonach acht bulgarische Handwerkerfamilien in Monastir auf einmal ihre Aufnahme in die katholische Kirche beantragt hatten.152 Die bei den Führern des Aufstandes vorherrschende Tendenz, sich an die Doppelmonarchie anzulehnen, wird auch von Konsul Kral in Monastir bestätigt:

Verstehend, daß Bulgarien nicht berufen sein könne, in diesen Gegenden die Nachfolgerin der Türkei zu sein, und fürchtend, daß auch die Autonomie nicht zu den gewünschten ge­regelten Verhältnissen führen werde, glauben sie ihr Heil in der Kulturmission Österreich-Ungarns im Osten suchen zu können. . . ' "

Aus dem oben Dargestellten wird ersichtlich, daß die Innere Organisation im Som­mer 1903 ihre frühere, von G. DelCev und G. Petrov geprägte revolutionäre Linie ver­lassen und die abenteuerlichen Taktiken des Oberen Makedonischen Komitees, die in den Aufständen der Jahre 1895 und 1902 zutage getreten waren, zu einem großen

150 Vgl. Ch. Matov za svojata revoljucionna dejnost, S. 65-67. 151 Siehe Anlage zum Brief Calices an Goluchowski, Jeniköj, 8. Juli 1903, HHStA, PA XII/184. 152 AP Turkey No. 1 (1904),Inclosure 5 in No. 195. 153 Monastir, 31. August 1903, Nr. 109, HHStA, PA XXXVHI/392.

Eliastag 1903 183

Teil übernommen hatte. Das Ziel des Ilinden-Aufstandes lag denn auch keineswegs darin, konsequent zur Zerstörung osmanischer Herrschaftsstrukturen beizutragen; vielmehr bemühte man sich, die eigene Bewegung als eine christliche Reaktion auf ein fanatisiertes Mohammedanertum erscheinen zu lassen, um dadurch die'Intervention der christlichen Mächte Europas in Makedonien herbeizuführen. Als Beleg hierzu sei das Memorandum zitiert, das die Auslandsvertreter der Inneren Organisation eine Woche nach dem Beginn des Ilinden-Aufstandes am 10. August 1903 bei den Vertre­tern der Großmächte in Sofia abgaben:

. . . Des violences impunies des mussulmans et les persécutions systématiques de l'Admi­nistration ont acculé les chrétiens de Macédoine et ceux du vilayet d'Andrinople à la né­cessité de prendre en masse les armes pour résister. Ils ont en recours à cette extrémité après avoir épuisé tous les moyens pacifiques en vue d'amener l'intervention de l'Europe dans le sens des traités qui ont réglé la condition de ces populations. Cette intervention reste encore à l'heure actuelle le seul moyen de remédier au mal et d'arrêter l'effusion du sang. Les démarches intermittantes tentées jusqu'à présent par le concert européen dans le but d'améliorer le régime turc par des mesures palliatives n'ayant amené qu'une recrudescence du fanatisme mussulman et de l'oppression gouvernementale, il reste évident que cette in­tervention ne saurait être efficace que si elle avait pour résultat préliminaire et immédiat: 1. Nomination, avec l'assentiment des grandes puissances, d'un gouverneur général chrétien n'ayant jamais appartenu à l'administration ottomane et indépendant de la Sublime Porte dans l'exercise de ses fonctions. 2. Institution d'un contrôle internationale collectif, permanent et pouron d'un large droit de sanction. . .1S4

Die militärischen Operationen des Ilinden-Aufstandes begannen am 2. August, am Abend eines christlichen Feiertages zu Ehren des Propheten Elias, mit dem Durch­schneiden von Telegraphenleitungen, die Monastir mit Saloniki, Prilep und Ochrid verbanden.1SS Als Zeichen der Erhebung steckten die Bulgaren Getreideschober der muslimischen Bauern in den Dörfern um Monastir in Brand.156 In Smilevo, wo sich das aufständische Hauptquartier befand, griffen sie die 60 Mann zählende Garnison an, als die Soldaten bei der üblichen Abendparade waren und töteten etwa die Hälfte von ihnen.157 Während ein schlecht geplanter und halbherzig ausgeführter Angriff auf Resen erfolglos blieb,158 gelang es mehreren aufständischen Abteilungen in einer Gesamtstärke von etwa 500 Mann, die z.T. von bulgarischen Offizieren angeführt wurden, in das Bergstädtchen Krusevo einzudringen und es zu besetzen.159 Nach der

154 Beilage zum Bericht aus Sofia, 11. August 1903, Nr. 44, HHStA, PA XV/56. 155 Siehe AP Turkey No, 1 (1904), Inclosure 1 in No. 308, S. 260-261; den Bericht des Kon­

suls Kral vom 5. September 1903,in: Zografski,/zwtfto'. . . , Nr. 33, S. 109-113; Siljanov, a.a.O., Bd. 1,S. 289.

156 /IPTurkey No. 1 (1904), Inclosure 1 in No. 308;vgl. auch S. S. Aydemir, Makedonya'dan Ortaasya'ya . . . , Bd. 1,S. 451,479-481.

157 AP Turkey No. 1 (1904), Inclosure 2 in No. 308, S. 261-263. Siehe auch den Bericht Krals aus Monastir vom 15. August 1903, in: Zografski, IzveStai. . . , Nr. 17, S. 70-71.

158 Siehe den Bericht Krals vom 5. September 1903, in: Zografski, IzveStai. . . , Nr. 33. Vgl. Apostolski, „Strategijata i taktikata na Ilindenskoto vostanie", S. 104-105.

159 Siehe den Bericht Krals vom 25. August 1903, in: Zografski,IzveStai.. . , Nr. 24, S. 79-86. Vgl. auch AP Turkey No. 1 (1904), S. 322-323.

184 Der Ilinden-A ufstand 1903

Überwältigung der nur aus 18 Mann bestehenden kleinen Garnison wurden die öf­fentlichen Gebäude in Brand gesteckt und die osmanischen Beamten getötet.160

Mit der Einnahme von Krusevo erreichte der Ilinden-Aufstand bereits seinen politi­schen Höhepunkt. Auf die Initiative des makedonischen Sozialisten Nikola Karev hin wurde dort der Versuch unternommen, eine Art revolutionäre Regierungsinstanz zu bilden.161 Nachdem man am 3. August zunächst die griechenfreundlichen Wala-chen (zwei Drittel der 11.000 Einwohner) und diejenigen Slawen, die immer noch Anhänger des Patriarchats waren, entwaffnet162 und in öffentlichen Reden der Be­völkerung mitgeteilt hatte, daß ganz Makedonien sich im Aufstand befinde und in­nerhalb weniger Tage Verstärkung für die Aufständischen aus Bulgarien und Serbien eintreffen werde,163 lud man am 5. August die Honoratioren der Stadt zu einer Ver­sammlung in die griechische Schule ein, wo ein Gemeinderat bestehend aus 5 Mitglie­dern - 2 Bulgaren, 2 Griechen und 1 Rumäne (Walache) - gebildet wurde.164 Die Aufgabe der Versorgung der Aufständischen mit Nahrungsmitteln und anderen not­wendigen Gegenständen wurde diesem Rat übertragen. Außerdem wurden die Bür­ger durch eine Sonderkommission je nach ihren materiellen Verhältnissen mit einer Steuer von 5-10 Osm. Pfund pro Haushalt belegt,165

Außer diesem Versuch der Gründung einer revolutionären „Republik von KruSe-vo",166 die nur eine Woche existieren sollte, kann in den Aktionen der Inneren Or­ganisation während des Ilinden-Aufstandes jedoch kaum ein klar durchdachtes Kon­zept festgestellt werden. Nicht einmal das vordringlichste Ziel, nämlich die Solidari­sierung der christlichen Volksgruppen gegen die osmanische Herrschaft herbeizufüh­ren, verfolgten die Aufständischen mit der nötigen Konsequenz. So hißten sie am Ilin-den überall bulgarische Flaggen und sangen gerade in den Straßen der stark unter hellenischem Einfluß stehenden Walachenstadt Krusevo das bulgarische Lied ,,Make-donija, stara Bülgarija" (Makedonien, altes Bulgarien), was natürlich bei einem gro­ßen Teil der Einwohnerschaft Unwillen erregte.167 Wie Konsul Kral berichtete, ver-

160 Siehe den Augenzeugenbericht von N. Bailas, eines Lehrers an der griechischen Schule von Krusevo, zit. bei Vavouskos, Der Beitrag des Griechentums von Pelagonien zur Geschichte des neueren Griechenlands, S. 34-39. Vgl. auch den Bericht Krals vom 25. August 1903, in: Zografski,Izvestai. . . , Nr. 24,/tPTurkey No. 1 (1904), S. 322.

161 Siehe Ivanoski, „Nikola Karev . . .", S. 160 ff. 162 In den Häusern der „Griechen" gab es meist nur noch Frauen, weil die Männer geflohen

waren. Siehe Anlage zum Bericht Krals vom 25. August 1903, in Zografski, Izveitai Nr. 24. Über die Entwaffnung des nichtbulgarischen Teils der Bevölkerung vgl. auch den Bericht von N. Ballas, zit. bei Vavouskos, a.a.O., S. 35.

163 Nach dem Bericht des Priesters Georg Joannides, zit. bei Vavouskos, a.a.O., S. 30-32. Vgl. auch AP Turkey No. 1 (1904). S. 322 ff.

164 Siehe den Bericht Krals vom 25. August 1903, in Zografski, Izveitai. . . , Nr. 24. Nach dem Bericht von N. Ballas akzeptierten die Mitglieder des Gemeinderats ihre Aufgabe un­ter Gewaltandrohung.

165 Auf diese Weise gelang es, innerhalb drei Tagen über 1.000 Osm. Pfund (Gold) einzutrei­ben. Vgl. den Bericht Krals vom 25. August 1903, in Zografski, Izvestai. . . , Nr. 24.

166 Siehe Lj. Lape, „Krusevskata repubüka" (Die Republik von Kruäevo], in: Kniga za Ilinden, Skopje 1969, S. 131-139.

167 Bericht des Priesters Georg Joannides, zit. bei Vavouskos, a.a.O., S. 31.

Eliastag 1903 185

hielten sich die Anhänger der griechischen Sache tatsächlich im allgemeinen neutral, und dort, wo sie stark genug waren, sogar feindlich.168

Daß der Ilinden-Aufstand sich überwiegend als eine bulgarisch-nationale Aktion ent­wickelte und in der europäischen Presse auch als eine solche dargestellt wurde, er­schien den serbischen Nationalisten ebenso wie den griechischen äußerst bedenk­lich.169 In Belgrad wurde die Forderung laut, daß auch Serbien Banden ausrüsten und sie dann im Namen Serbiens an den Kämpfen in Makedonien teilnehmen lassen solle. Ein Komitee in Belgrad begann, serbische Kämpfer für Makedonien anzuwer­ben.170 Bis zum 17. August waren 200-300 âetniks, darunter auch aktive Offiziere der serbischen Armee, an die Grenze nach Süden geschickt worden. Nach einem Be­richt des serbischen Generalkonsulats in Skopje kämpfte bereits Mitte August eine ieta in Makedonien, die sich ausdrücklich als „serbisch" bezeichnete.171 Angesichts dieser Entwicklung überrascht es nicht, daß in einer Resolution, die von einer Mas­senkundgebung am 26. August in Sofia angenommen wurde, die „egoistische Bewe­gung der Serben unter den Christen" Makedoniens getadelt wurde.172

Die Haltung der Inneren Organisation war auch gegenüber der muslimischen Bevöl­kerung im Vilayet Monastir in den Tagen des Ilinden-Aufstandes widersprüchlich. Zwar hatte man im Kongreß von Smilevo beschlossen, die friedliche muslimische Be­völkerung zu schonen.173 Dementsprechend ließ man am Vorabend des Aufstandes beispielsweise in Ochrid an die Türen einiger muslimischer Bürger Plakate kleben, auf denen beteuert wurde, daß der Aufstand sich nicht gegen die muslimischen reaya, sondern gegen das Regime des Sultans richtete und daher die Mohammedaner sich ruhig und neutral verhalten sollten.174 Nichtsdestoweniger begann der Aufstand mit Angriffen auf die türkische, bzw. albanische Dorfbevölkerung. So überfielen am Abend des 2. August fünf Abteilungen der Aufständischen (273 Kämpfer), die unter dem Befehl G. Sugarevs standen, den muslimisch bewohnten Teil des Dorfes Dolan-ci, wo sie jedoch auf erbitterten Widerstand stießen. Nach mehrstündigem Scharmüt­zel sahen sich die âetniks gezwungen, sich zurückzuziehen; sie setzten aber am Mor­gen des 3. August die Getreidebündel auf den Feldern, die den Mohammedanern von Dolanci gehörten, in Brand.175 In gleicher Weise gingen die Aufständischen in den

168 Monastir, 1. September 1903, Nr. 110, HHStA, PA XXXVIII/393. 169 „[The Serbian] press . . . did not welcome Bulgarian monopoly over such a revolution, and

stirred up popular resentment toward Bulgaria by describing that country's misdeeds in Macedonia and by stressing the fact that whenever the IMRO bands occupied a Macedo­nian village, they hoisted the Bulgarian flag." Vucinich, Serbia between East and West, S. 123.

170 Hierzu u.z. folg. vgl. den Bericht des öst.-ung. Militärattaches, Belgrad, 20. August 1903, in: Zografski,Izveitai... , Nr. 21, S. 76.

171 Lape,Izveitai.. . , Nr. 63, S. 327 ff. 172 Bulgarische Handelszeitung vom 15./28. August 1903. 173 Vgl. Pandevski,Nacionalnoto praSan/e . . . , S. 154-155. 174 Siehe Pandevski, „Dejnosta na VMRO za vospostavuvanje nadvoreäni i vnatresnopoliti£ki

vrski vo tekot na Ilindenskoto vostanie" [Die Bemühungen der IMRO zum Anknüpfen von außen- und innenpolitischen Beziehungen im Verlauf des Ilinden-Aufstandes), in: Kniga za Ilinden, S. 179.

175 Vgl. Dimovski-Colev, „Sugarev . . .",S. 234.

186 Der Ilinden-Aufstand 1903

Dörfern Ramna, Lera,Trnovo,Bratindol u.a. vor. Wiederum wurden Häuser und Ge­treidespeicher der Mohammedaner in Brand gesteckt und ihre Felder verwüstet.176

Auch im Gebiet von Demirhisar griffen sie muslimisch-albanische Dörfer, wie Pribilci, Cerkesköy, an.177 In der Kaza Florina waren türkische Dörfer im Gebiet Kaymakça-lan das Ziel wiederholter Angriffe der Aufständischen.178 In der Kaza Kastoria wur­den am Morgen des 4. August 30 Bauern aus dem türkischen Dorf Zelin, die sich auf dem Weg nach Kastoria befanden, von einer bulgarischen üeta überfallen, wobei et­wa die Hälfte der Bauern ermordet wurde.179

Als das Wesentliche an diesen Beispielen ist die Tatsache festzuhalten, daß die auf­ständische Bewegung im August 1903 offenbar eine von den Urhebern keineswegs vorhergesehene Richtung nahm. Man hatte nämlich ursprünglich beabsichtigt, durch gezielte Überfälle auf çiftliks und Angriffe auf sonstige lokale Machthaber und Übel­täter die Masse des unterdrückten mohammedanischen Bauerntums wenigstens neu­tral zu halten.180 Nachdem jedoch in den ersten Tagen des Aufstandes neben einigen çiftliks hauptsächlich die kleinen muslimischen Bauern Opfer der Angriffe der Auf­ständischen geworden waren, verloren die sozialen Gegensätze unter den Mohamme­danern für den Augenblick ihre politische Bedeutung; die Kämpfe nahmen die Form einer bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung an, wobei die religiöse Zugehörigkeit vom Standpunkt der muslimischen Bauern, die selbst als Muslime angegriffen wur­den, das entscheidende Merkmal war, den Freund vom Feind zu unterscheiden.181

Die osmanische Armee war während der ersten Tage des Ilinden-Aufstandes nicht in der Lage, die aufständischen Banden bis in die Berge hinein zu verfolgen, weil sich der größere Teil (ca. 60.000 Mann) der in Makedonien stationierten Truppen noch wegen des albanischen Widerstandes gegen das Reformprogramm vom Frühjahr 1903 im Vilayet Kosovo befand. In dem Aufstandsgebiet, das eine Flächengröße von 10.000 qkm hatte, standen Anfang August nur etwa 20.000 Soldaten einsatzbereit, die dann überwiegend für Sicherungsaufgaben in den Städten verwendet wurden.182

176 Vgl. Dimovski-Colev, a.a.O., S. 234. Siehe auch die Konsularberichte in: Zografski, Izvei-tai.. . , Nr. 33, S. 109 ff., und AP Turkey No. 1 (1904), No. 308.

177 Besonders das strategisch wichtige Dorf Cerkesköy wurde mehrmals angegriffen. AP Turkey No. 1 (1904), Inclosure 2 in No. 308.

178 Siehe den Bericht Krals vom 6. September 1903, Nr. 116, in: Zografski,IzveStai. . . , Nr. 35, S. 118 ff.

179 Vgl. den Bericht Krals vom 6. September 1903, Nr. 117, ebd., S. 121 ff. 180 Vgl. Süjanov,a.a.O.,S. 357;Pandevski,Nacionalnoto praSanje . . . , S. 156-159. 181 Nach Pandevski legten Matov und Tatarcev einigen Führern der Inneren Organisation nahe,

durch provokative Akte die Mohammedaner zur Anwendung von Gewalt gegen die Chri­sten zu bewegen. Nacionalnoto praSanje . . . , S. 163-164. Unmittelbar nach dem Ilinden erteilte das ZK in Saloniki Argir Manasiev, dem Woiwoden von Gevgeli, den Befehl, einige mohammedanische Dörfer zu überfallen und ihre Bewohner zu massakrieren, damit der französische Konsul in Saloniki sich vergewissern möge, daß in Makedonien tatsächlich ein Aufstand im Gange war. Vgl. B. Mircev, „Spomeni na Argir Manasiev za uCastieto mu v revoljucionnoto dvizenie v Makedonija po vreme na Ilindenskoto vüstanie i sied nego" [Er­innerungen A. Manasievs an seine Beteiligung an der revolutionären Bewegung in Make­donien zur Zeit des Ilinden-Aufstandes und danach], III BAN 8 (1960), S. 334.

182 Kral an Goluchowski, Monastir, 27. August 1903, Nr. 107, HHStA,PAXXXVIII/392. Vgl. auch Siljanov, a.a.O., Bd. 1, S. 358-360.

Eliastag 1903 187

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß der Sultan und die Re­gierung, wie bei früheren Anlässen, so auch diesmal strengen Befehl an die Behörden erteilten, daß gegen die Aufständischen äußerst schonend vorzugehen sei.183

Unter diesen Umständen war die muslimische Bevölkerung im Vilayet Monastir ge­zwungen, ihre Verteidigung selbst zu organisieren. Zuerst waren es die Albaner von Ochrid und Debar, die bewaffnete Abteilungen aufstellten, um Vergeltung an bulga­rischen Dörfern zu üben. Ihr erstes Opfer war, nach einem Bericht des Konsuls Kral, das Slawendorf VelgoSti, das am 8. August völlig zerstört wurde.184 Auch die ande­ren muslimischen Bevölkerungsteüe jener Dörfer, die zu Beginn des Aufstandes an­gegriffen worden waren, griffen dafür einige Tage später zu Gewalthandlungen gegen die Bulgaren. So zerstörten Türken und Albaner aus den Dörfern Dolenci, Lera, Ramna das slawische Dorf SrpCe.185 In ähnlicher Weise waren mohammedanische Milizen aus der Gegend von Pribilci an der Plünderung von KruSevo am 12. August maßgeblich beteiligt.186

Eine Untersuchung über die Strategie und Taktik des Ilinden-Aufstandes ergibt aller­dings, daß die Verwüstung slawischer Dörfer durch die Mohammedaner von der Füh­rung des Aufstandes einkalkuliert, ja sogar gewollt war.187 Der Umstand, daß sich die bulgarischen Dorfbewohner in manchen Gebieten in die Berge begaben, nachdem sie die Häuser ihrer mohammedanischen Nachbarn in Brand gesteckt hatten,188 deu­tet auf die Furcht vor erwarteten Vergeltungsmaßnahmen hin,189 Dies bedeutet aber auch, daß man offenbar sicher glaubte, innerhalb kurzer Zeit werde eine militärische Intervention der Großmächte in Makedonien erfolgen;190 denn es kann wohl ange­nommen werden, daß sich die Führung der Bewegung der Schwierigkeiten, die mit der Versorgung so vieler Menschen in den Bergen für eine längere Zeit verbunden sind, voll bewußt war. Hätte sie also einen längeren Aufstand ins Auge gefaßt, in des-

183 Baron Calice berichtete am 22. August 1903: „Wären nicht Sultan und Pforte der großen Gefahr inne, welche türkische Racheacte im Gefolge haben und wäre nicht alles nur Er­denkliche und mögliche im Wege von Instructionen und Befehlen an die Militär- und Civil-au tori täten geschehen, so wäre es sicherlich zu grauenhaften Repressalien bereits gekom­men und eben die Vorsicht, welche denselben in der nachdrücklichsten Weise eingeschärft wurde, um jene Gefahr zu verhüten, ist einer der Gründe weshalb die Unterdrückung der Unordnungen nicht in einem rascheren Tempo vor sich gehen konnte." Siehe Tomoski, Dokumenti od Vienskata archiva . . . , Nr. 44, S. 151.

184 Vgl. Zografski./zveJrai. . . ,Nr. 36,S. 123. 185 Vgl. Ebd., Nr. 24, S. 84 ff. 186 Vgl. ebd. 187 Vgl. Apostolski, „Strategijata i taktikata na Ilindenskoto vostanie", S. 107. 188 Der englische Vizekonsul in Monastir, McGregor, berichtete am 4. August 1903: „ . . . In

many instances the peasants, who had previously sold as much of the harvest as had been gathered in, took the opportunity of destroying by fire the houses and other property of Greek and Mussulman landowners before leaving . . ." AP Turkey No. 1 (1904),Inclosure 1 in No. 308, S. 261. Am 6. August berichtete er: „ . . . In certain villages the departure of the inhabitants was preceded by sanguinary excesses committed on the Turks; in others the entire population has disappeared, and, in some instances, the women, children, and infirm persons have now returned in their homes." Ebd., Inclosure 2 in No. 308, S. 261.

189 Vgl. Apostolski, a.a.O., S. 107. 190 Vgl. ebd.

188 Der Ilinden-Aufstand 1903

sen Verlauf sie eventuell das flache Land völlig unter ihre Kontrolle hätte bringen kön­nen, so würde sie nicht Tausende von Zivilisten veranlaßt haben, in die Berge zu gehen, die „die Insurgenten in ihrer Bewegung und Verproviantierung behinderten".191

Die taktische Wirkung, die man von den aufflammenden Konflikten unter der Land­bevölkerung erwartete, war also eher eine propagandistische denn eine militärische. Sie sollten lediglich den Anlaß geben, bei den Großmächten für die bedrohte Christen­heit um Hilfe zu bitten und die erhoffte Intervention auszulösen. So ließ der Gene­ralstab der Aufständischen schon am 12. August den Vertretern der Großmächte in Monastir einen Brief zukommen, in dem daraufhingewiesen wurde, daß die osmani-sche Regierung, unfähig, die bewaffneten Einheiten der Aufständischen zu bekämp­fen, ihren Truppen befohlen habe, den Aufstand auf höchst barbarische Weise zu un­terdrücken - nämlich durch Brandschatzung christlicher Dörfer und durch Schän­dung und Ermordnung von christlichen Frauen und Kindern. Der Generalstab, der bislang die Christen von Ausschreitungen habe zurückhalten können, sehe sich dazu jetzt nicht mehr in der Lage.192 Nachrichten von Gewaltakten mohammeda­nischer Bevölkerungsteile gegen christliche Bauern, die geeignet waren, diese An­schuldigungen zu bestätigen, mußten der Aufstandsführung insofern durchaus will­kommen sein.

Der österreichisch-ungarische Konsul in Monastir, der als bulgarenfreundlich galt,193

befürwortete auch wirklich ein Eingreifen der Großmächte zugunsten der Christen. In einem Chiffretelegramm vom 18. August 1903, in dem er mitteilte, daß die os-manischen Truppen Krusevo zurückerobert hätten und in der Stadt eine Plünderung stattgefunden habe, erwähnte er zusätzlich, daß die Türken wieder selbstbewußter aufträten und daß daher die Gefahr bestehe, sie könnten blutige Taten wie in Arme­nien anrichten. Je länger die Großmächte noch zögerten zu intervenieren, desto schrecklichere Ereignisse seien zu erwarten.194

Doch objektiv war angesichts der mächtepolitischen Konstellation des Jahres 1903 mit einer solchen militärischen Intervention vorab schon keinesfalls zu rechnen. Auch die Eskalation der Kämpfe in Makedonien konnte weder Österreich-Ungarn noch Rußland dazu nötigen, ihre seit 1897 einvernehmlich verfolgte status quo-Politik auf dem Balkan um partikularer bulgarisch-nationalistischer Interessen willen zu revi­dieren. Wie Freiherr von Calice aus geheimer Quelle erfuhr, empfahl der russische Außenminister Lamzdorf bezüglich des Ilinden-Aufstandes dem osmanischen Botschafter in St. Petersburg, „que la Porte avise à des mesures efficaces pour mettre un terme définitif aux agissements criminels des brigands bulgares et sévir avec la dernière rigueur contre les coupables . . . "195 So gerieten die Aufständi­schen in der zweiten Hälfte August in eine schwierige Lage, als zahlreiche Truppen­verbände aus dem Vilayet Kosovo, die als Verstärkung nach dem Vilayet Monastir

191 Kral an Goluchowski, Monastir, 1. September 1903, Nr. 110, HHStA, PA XXXV1II/393. 192 Anlage zum Bericht Krals vom 15. August 1903, in: Zografski, Izvestai . . . , S. 71-72. 193 Vgl. den Bericht Calices vom 22. August 1903, in: Tomoski, Dokument! od Vienskata

archiva Nr. 44, S. 149-150. 194 Siehe Zografski,IzveStai. . . , Nr. 20, S. 75. 195 Jeniköj, 30. August 1903, Tel.-Bericht Nr. 194, HHStA, PA XII/183.

Eliastag 1903 189

verlegt wurden, eintrafen.196 Sie konnten sich gegen die Übermacht der regulären Truppen nicht behaupten. Insbesondere der Einsatz von Gebirgsartellerie wirkte auf sie demoralisierend. Bereits am 12. August hatten sie ihre gut ausgebauten Stellun­gen bei Krusevo nach kurzem Beschuß durch Artilleriegranaten beinahe kampflos aufgegeben.197 Am 24. August begann unter dem Kommando Nasir Pasas eine Rei­he kombinierter Operationen, welche die schnelle Unterdrückung des Ilinden-Auf-standes zur Folge haben sollten.198 Der englische Generalkonsul in Saloniki, Graves, berichtete am 8. September 1903:

It may be concluded that the direct effect of these combined movements . . . has been to inflict considerable direct loss on the bands, which have been beaten and dispersed in al­most every instance. But the indirect damage inflicted has been much more important, as their organisation and capacity for concerted action are destroyed, and the Bulgarian population, from which they were drawn, and on which they depended for information and supplies, has been scattered and ruined.1"

Im Verlauf dieses Feldzuges gegen die Aufständischen wurden viele Dörfer zerstört. Dafür waren jedoch in den meisten Fällen nicht die regulären Truppen verantwort­lich, sondern irreguläre Milizverbände der Albaner, die den Truppen Hilfsdienste lei­steten. Gerade darin aber offenbarte sich, in welchem Maße im Zuge des Ilinden-Auf-standes gegen die osmanische Herrschaft die Konflikte zwischen den Balkannationa­litäten selbst in den Vordergrund des politischen Geschehens rückten. Auch Konsul Kral bemerkte diese Tatsache:

Die Zerstörung der bulgarischen Wohnstätten trägt in gewissen Gegenden den Charakter des Systematischen und muß den Gedanken hervorrufen, daß auf Zurückdrängung des bulgarischen Elements abgesehen war. Dies scheint mir insbesondere der Fall in den an Albanien grenzenden Distrikten, wie Debrca, Ohrida, Resna, Prespa, wo am Ärgsten ge­wütet wurde . . .,0°

Die Innere Organisation freilich versuchte weiterhin, die Unterdrückung des Ilinden-Aufstandes als ein Massaker an Christen darzustellen. Ihre Vertreter in Sofia überga­ben am 9. September 1903 den Vertretern der Großmächte ein Memorandum über die „faits de devastation, commis par les troupes régulières et les bachibozouks en Macédoine", in dem am Ende festgestellt wurde: „On voit par ces faits que la Tur­quie. . . poursuit systématiquement l'extermination des chrétiens dans les provinces révoltées."201

In einem Exposé, das von dem Generalstab des Ilinden-Aufstandes etwa zu dieser Zeit dem bulgarischen Handelsagenten in Monastir zugeleitet wurde, wird dagegen

196 Vgl. Siljanov, a.a.O., Bd. 1,S. 433 ff. 197 Vgl. AP Turkey No. 1 (1904), S. 323. 198 Die Operationen der Osmanischen Armee in dieser Phase werden in zwei Berichten Krals,

vom 10. und 16. September 1903, ausführlich beschrieben. Siehe Zografski,IzveStai. .. , Nr. 38, S. 126-128, und Nr. 39, S. 129-134.

199 .4P Turkey No. 2 (1904), Inclosure 1 in No. 7, S. 10. 200 Monastir, 3. September 1903, Nr. 112, HHStA, PA XII/393. 201 Anlage zum Bericht aus Sofia, 11. September 1903, Nr. 242, PAAA, Türkei 156, Bd. 75,

A. 13743.

190 Der IUnden-A ufstand 1903

die Lage in Makedonien auf eine Weise dargestellt, die der komplexen Wirklichkeit näher kommen dürfte.202 Die Exarchisten befanden sich dort in einer unerträgli­chen Situation. Die Ernte sei in die Hände der Türken gefallen. Die Bevölkerung in den Bergen habe keine Winterkleidung. Die Behörden legten der Bevölkerung nahe, um überleben zu können, zum Patriarchat zurückzukehren.203 Weiter heißt es:

The remaining part of the population will scarcely be able to oppose the desire of the Turks or withstand the temptations and the threats of the propaganda of the raging Greek bishops and will be lost forever for the Bulgarian church and nation. Secret offers have been already made to the population by Catholic and Protestant mission­aries to pass under the clerical jurisdiction of their respective churches. After all this we wonder how can the respected Government, defending the interest of the Bulgarian people, watch calmly the systematic extermination of the Bulgarian name and honour before the world. Placed at the head of the national movement, we appeal to you on behalf of the Bulgarian slaves here, to come to our aid in the most effective manner - by declaring a war.

Dieser Appell an Bulgarien, dem Osmanischen Reich den Krieg zu erklären, um das Scheitern des Aufstandes in Makedonien zu verhindern, blieb jedoch unbeantwortet. Um die Gründe dieses „Verrats" der bulgarischen Regierung an der makedonischen Sache zu verstehen, soll im folgenden auf die innen- und außenpolitischen Zusam­menhänge zu jener Zeit in Bulgarien und im Osmanischen Reich sowie die Haltung einiger Großmächte in der Makedonischen Frage eingegangen werden. Ein Krieg zwischen Bulgarien und dem Osmanischen Reich - die letzte Hoffnung der Aufständischen in Makedonien — schien im Herbst 1903 in der Tat unvermeid­lich zu sein. Bulgarien, dessen öffentliche Meinung unablässig darauf drängte, den Brüdern im Süden militärische Unterstützung zu gewähren, wurde auch vom Ausland zu einem solchen Schritt ermuntert. Bereits im März 1903 hatte der bulgarische Po­litiker Stefan Capraäikov in London den Eindruck gewonnen, daß England einen eventuellen Krieg Bulgariens mit dem Osmanischen Reich als eine natürliche Lösung der nationalen Streitfragen zwischen beiden Ländern betrachtete.204 Als General Con-c"ev im September 1903 zu einer geheimen Mission in London weilte, versuchten wie­derum der englischen Regierung nahestehende Personen, ihn, und durch ihn den Für­sten von Bulgarien, in diesem Sinne zu beeinflussen.205 Diese Bemühungen entspran­gen dem Wunsch der englischen Regierung, Makedonien von einem christlichen Gou­verneur regiert zu sehen.206 Sollte Bulgarien eines nicht fernen Tages einer solchen

202 Text bei Siljanov, a.a.O., Bd. 1, S. 434-435. Hier wurde die englische Übersetzung in Do­cuments and Materials on the History of the Bulgarian People, Nr. 254, S. 318-319, be­rücksichtigt und zitiert.

203 Generalinspektor Hilmi Paca bildete gegen Ende August eine gemischte Kommission aus mohammedanischen und griechisch-orthodoxen Notabein, welche die Dörfer der Auf­ständischen besuchen und zur Beruhigung der Gemüter beitragen sollte. Auf Plakaten wurde den Aufständischen empfohlen, sich der Gnade des Sultans zu unterwerfen. Vgl. Kral an Goluchowski, Monastir, 1. September 1903, Nr. I l l , HHStA, PA XXXV1II/393.

204 A. Pantev, „Bulgaria's Place in the Political Strategy of Great Britain . . . , S. 28. 205 Ebd. 206 Vgl. den Bericht des Grafen v. Bernstorff, London, 17. September 1903, PAAA, Türkei

156, Bd. 76, A. 13877.

Eliastag 1903 191

makedonischen Autonomie durch Annexion ein Ende setzen, würde es England recht sein. Balfour drückte dies in einem Memorandum vom Februar 1904 klar aus: „Die Bulgaren sind das einzige Volk auf dem Balkan, das dort eine Nation geworden ist; sie würden viel leistungsfähigere Wächter an den Meerengen sein, als es die Türken wohl jemals sein könnten."207

Allerdings war die Petrov-Regierung in Sofia mit dem Auftrag an die Macht gekom­men, die nach den Attentaten von Saloniki sehr gespannten Beziehungen Bulgariens zur Hohen Pforte zu normalisieren. Dazu war Anfang Juni der als turkophil bekannte Politiker NaöoviC nach Istanbul entsandt worden. Als Grundlage zur Verständigung hatte er der osmanischen Regierung einige Vorschläge in Bezug auf Makedonien un­terbreitet, die als eine Ergänzung zum österreichisch-russischen Reformprogramm ge­dacht waren: So sollten die Zehnten der Agrarprodukte in eine Geldabgabe verwan­delt werden. Weiter sollten, um die Bevölkerung zu beschwichtigen, einige makedo­nische Bulgaren zu höheren Verwaltungsämtern zugelassen werden. Die makedoni­schen Gemeinden schließlich sollten, was ihre kirchlichen und schulischen Angele­genheiten anlangte, völlig autonom sein - eine Forderung, die in erster Linie die Be­lange des griechisch-orthodoxen Patriarchats berührte.208

Die Mission NaCoviCs war bereits Mitte Juni gescheitert, weil die Pforte von der bul­garischen Regierung zuerst die Einstellung der Bandentätigkeit in Makedonien ver­langte; sie würde dann mit sich reden lassen.209 Die Bulgaren aber bestanden darauf, daß die Pforte zuerst ihre Vorschläge annehme, worauf sie dann die makedonische Be­wegung unterdrücken würden. Angesichts dieser unüberbrückbar erscheinenden Standpunkte der beiden Regierungen meinte der österreichisch-ungarische Vertreter in Sofia, es müsse damit gerechnet werden, „daß Bulgarien. . . den Dingen freien Lauf lasse und einen Angriff seitens der Türkei, für welche die Situation unerträglich wä­re, ruhig abwarte und erhoffe."210

Diese Position Bulgariens gegenüber der Pforte, die als doppeldeutig und opportuni­stisch bezeichnet werden muß, erfuhr im Laufe des Monats Juni 1903 eine oberfläch­lich kaum merkbare,jedoch für die weitere Gestaltung der Makedonienpolitik Bul­gariens gewichtige Modifikation. Sie hatte ihre Ursache darin, daß am 11. Juni 1903 in Belgrad der als proösterreichisch bekannte serbische König Alexander Obrenovic und die Königin einer Offiziersverschwörung zum Opfer fielen. Am 15. Juni wurde Peter KaradZordzevic" zum neuen König von Serbien gewählt.211 Er hatte bis dahin in bestem Einvernehmen mit Fürst Nikolaus von Montenegro gestanden, weshalb man es jetzt für möglich hielt, daß Peter Karadzordzevid die Einigung der Südslawen

207 Zit. nach Monger, Ursachen und Entstehung der englisch-französisch-russischen Entente, 1900-1907, S. 194.

208 Calice an Goluchowski, Constantinopel, 3. Juni 1903, Nr. 31 F, HHStA, PA XII/182. Über die Reaktion der griechischen Regierung wegen der Mission NacoviCs in Istanbul siehe Driault und Lhëïitier, Histoire diplomatique de la Grèce, Bd. 4, S. 506 507.

209 Hierzu u.Z. folg. vgl. den Bericht Calices, Jeniköj, 17. Juni 1903, Nr. 34 E, HHStA, PA XII/182.

210 Forgäch an Goluchowski, Sofia, 3. Juni 1903, Nr. 33, HHStA, PA XV/56. 211 Schulthess 19 (1903), S. 359-361; Jovanovic, Vlada Aleksandra Obrenovica, Bd. 2, S.

338 ff.

192 Der Ilinden-Aufstand 1903

mit allen Mitteln vorantreiben und versuchen würde, Herrscher eines zukünftigen südslawischen Königreichs zu werden. So dauerte es auch nicht lange, bis in der eu­ropäischen Presse Gerüchte über ein Komplott gegen Ferdinand von Bulgarien im Umlauf waren. Die Wiener Ostdeutsche Rundschau vom 25. Juli 1903 berichtete aus Belgrad :

Allen Dementis zum Trotz versichern bestinformierte Personen, daß die Lage in Bulga­rien eine sehr ernste ist und zwischen den Führern der Zankowistenpartei und den Chefs der makedonischen Emigranten die Beseitigung des Fürsten Ferdinand vereinbart wurde. . . Zugleich mit der Beseitigung des Fürsten Ferdinand sollen zwischen Serbien, Bulgarien und Montenegro Unterhandlungen wegen einer gemeinsamen Aktion zur Lösung der ma­kedonischen Frage eingeleitet werden. . .

In demselben Blatt stand am darauffolgenden Tag zu lesen, daß einige bulgarische Parlamentarier an einem geheimgehaltenen Ort in Serbien mit serbischen Makedo-niern darin übereingekommen seien, daß nach der Beseitigung Ferdinands die Dyna­stie KaradzordZevic zum Herrscherhaus Bulgariens zu wählen sei. In diesem Zusam­menhang war in der Kölnischen Zeitung vom 28. Juli 1903 folgendes zu lesen:

Es ist nicht unbekannt, daß Serbien schon seit geraumer Zeit auf den Ausbruch von Feind­seligkeiten zwischen Bulgarien und der Türkei spekuliert, weil es der Ansicht ist, daß eine Beteiligung Serbiens an einem solchen Kampfegegen Bulgarien dem Serbischen Staate gro­ße Vorteile bringen könne . . . Neu sind aber die außerordentlich hartnäckigen, persönlich feindseligen Treibereien gegen den Fürsten von Bulgarien, den man schon als vogelfreien • Landflüchtling hinstellt. . .

Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, daß Fürst Ferdinand in der ersten Juli­hälfte 1903 die Initiative ergriff und infolge eines längeren und wiederholten Depe­schenwechsels mit dem Sultan die schon damals drohende Gefahr eines Krieges zwi­schen Bulgarien und dem Osmanischen Reich zu beseitigen half, sich „damit aller­dings in einen scharfen Gegensatz zu einem großen Theile des bulgarischen Volkes setzte, welcher den Krieg wünschte".212 Der diplomatische Vertreter Österreich-Un­garns in Sofia konnte nun berichten, daß FürSt Ferdinand gegen eine Autonomie für Makedonien sei, weil er in einem christlichen Fürsten als Generalgouverneur von Ma­kedonien eine Gefahr für seine Dynastie erblicke.213 In einem anderen Bericht schrieb Graf Forgäch:

So paradoxal es. . . klingen mag, kann ich nur meine bereits öfters geäußerte Meinung wie­derholen, daß das gegenwärtige Kabinett durchaus keinen Bruch mit der Türkei wünscht und eigentlich wenig wahre Sympathie mit der macedonischen Bewegung hat. Sein Ver­bleib am Ruder und die Reorganisierung der stambulowistischen Partei ist ihm viel wich­tiger als die macedonischen Interessen.314

Der Beginn des Ilinden'-Aufstandes verursachte keine wesentliche Änderung an die­ser Haltung Bulgariens. Ministerpräsident Raco Petrov erklärte am 27. August gegen­über dem englischen Vertreter in Sofia, daß die neuerlichen Ereignisse in Makedonien

212 Pester Lloyd vom 12. Juli 1903. 213 Forgäch an Goluchowski, Sofia, 15. Juli 1903, Nr. 40 B, geheim, HHStA, PA XV/56. 214 Forgäch an Goluchowski, Sofia, 15. Juli 1903, Nr. 40 A-J, HHStA, PA XV/56.

Eliastag 1903 193

auf seine Politik keinen Einfluß hätten. Nach wie vor gelte es für Bulgarien, friedlie­bend zu bleiben. Er ließ die Führer der makedonischen Bewegung in Sofia, die an demselben Tag eine große Demonstration für die Unterstützung der Aufständischen veranstalteten, wissen, wenn sie der bulgarischen Regierung weiter Schwierigkeiten machten, würde er vor nichts zurückschrecken, „auch nicht davor, sie nötigenfalls erschießen zu lassen."215

Diese harte Linie gegenüber der makedonischen revolutionären Bewegung hinderte die bulgarische Regierung andererseits nicht daran, eben dieselbe revolutionäre Be­wegung entsprechend jener klassisch gewordenen stambolovistischen Taktik als ein Druckmittel gegenüber der Pforte zu benutzen, wenn es darum ging, von der letzte­ren neue Zugeständnisse in der Makedonischen Frage zu erhalten. Baron Calice er­fuhr am 23. August vom osmanischen Außenminister Tevfik Pasa, „daß HerrPetroff im Beisein des Herrn Natschovitsch dem türkischen Commissär in Sofia die Oppor­tunität eines directen Arrangements zwischen dem Fürstenthume und der Pforte na­hegelegt hätte . . . Wenn die Pforte in Verhandlungen mit ihr [der bulgarischen Re­gierung] eingehe, so könnte sie [die bulgarische Regierung] ihren ganzen Einfluß für die Einstellung der Comitéaction aufwenden . . ."216

Als es gegen Ende des Monats offensichtlich wurde, daß der Ilinden-Aufstand von den osmanischen Truppen praktisch niedergeschlagen worden war, teilte der Minister­präsident Petrov in einer Zirkularnote vom 31. August 1903 den Großmächten mit, daß seine Regierung sich gezwungen sehe, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, wenn nicht durch Zusicherungen der Mächte die Befürchtungen Bulgariens zerstreut werden würden.217 Rußland und Österreich-Ungarn reagierten auf diese vage Ankündigung mit einem Vorschlag an die anderen Großmächte, der Sofiaer Regierung zu verstehen zu geben, daß sie im Falle eines Kriegeslceine Hilfe von ihnen erwarten dürfe.218 Dies verursachte eine Verstim­mung der Bulgaren, die besonders über die Haltung Österreich-Ungarns enttäuscht waren. Petrov erklärte dem Grafen Forgâch bei einer Unterredung, „daß er an der Richtigkeit seiner politischen Richtung zu zweifeln beginne. Hätte Bulgarien sich von jeher allen russischen Wünschen gefügt, so würde jetzt Rußland - denn es scheine, daß es nur auf diese Macht allein ankomme und alles von ihr abhänge — die Ausrot­tung der macedonischen Bulgaren nicht dulden."219 Der bulgarische Ministerpräsi­dent lenkte nun in einem Rundschreiben vom 16. September die Aufmerksamkeit seiner diplomatischen Vertreter im Ausland darauf, daß die osmanische Regierung auf die Vernichtung der bulgarischen Bevölkerung in Makedonien hinarbeite. Dane­ben treffe sie auch Vorkehrungen, um ihre Armee so schnell wie möglich an der bul­garischen Grenze konzentrieren zu können. Es sei anzunehmen, daß sie beabsichtige,

215 Sofia, Telegramm vom 27. August 1903, Nr. 77, PAAA, Türkei 156, Bd. 71, A. 12764. 216 Calice an Goluchowski, Jeniköj, 23. August 1903, Tel.-Bericht, Nr. 181, HHStA, PA XI1I/

183. 217 R. Pinon, L'Europe et l'empire ottoman, Paris 1917, S. 181. Zit. bei Schacht, Die Ent­

wicklung der mazedonischen Frage . . . . S. 71. 218 The Daily Telegraph vom 9. September 1903. 219 Forgâch an Goluchowski, Sofia, 14. September 1903, Nr. 54 C, streng vertraulich, HHStA,

PAXV/57.

i

194 Der Ilinden-Aufstand 1903

in einem geeigneten Augenblick Bulgarien militärisch anzugreifen. Wenn die Groß­mächte auf die Pforte nicht mäßigend einwirkten, könne leicht ein bewaffneter Kon­flikt entstehen.220

Unter Hinweis auf Aggressionsabsichten der Pforte hatte Bulgarien in der ersten Hälf­te des Monats September eine Teilmobilmachung angeordnet.221 Bezeichnend für die innenpolitische Situation des Landes war allerdings, daß der starke Mann der Regie­rung, der Innenminister Petkov, etwa zu dieser Zeit vor einer Versammlung in Ruse sagte, daß die bulgarische Opposition Kriegshetze betreibe, wenn sie der Regierung vorwerfe, den osmanischerseits in Makedonien verübten Greueltaten gegenüber gleich­gültig zu sein. Ein Krieg würde aber ein Abenteuer bedeuten, und die Zeit, sich auf Abenteuer einzulassen, sei für Bulgarien noch nicht gekommen.222 Der Vertreter desjenigen Landes, das aufgrund der Militärkonvention von 1902 in der Lage war, die tatsächlichen militärischen Absichten und Möglichkeiten Bulgariens abzuschät­zen, der russische Botschafter Zinov'ev, kommentierte die Haltung Bulgariens in die­ser Zeit zutreffend, als er zu Botschafter Marschall sagte, „die Bulgaren begännen jetzt von neuem das Spiel, das sie schon einmal versucht hätten. Nachdem der Auf­stand im Erlöschen sei, gäben sie sich den Anschein, von den Türken bedroht zu sein. Sie suchten den Sultan durch militärische Vorbereitungen einzuschüchtern... Die Bulgaren seien außer Stande in diesem Augenblick gegen die Türkei Krieg zu füh-ren . . . "

Die Antwortnote Österreich-Ungarns und Rußlands auf die bulgarische Zirkularnote von Ende August war im Sinne dieser Äußerungen Zinov'evs verfaßt:

Bulgaria . . . is informed once more that war, if it breaks out, will be localized, that at its conclusion the status quo will be maintained, and that the Austro-Russian leform scheme will be carried out. The Bulgarian Government is further given to understand that, in the opinion of the Russian and Austrian Governments, Turkey has an unquestionable right to mass troops on the frontier, and Bulgarian representations with regard to Tur­kish military preparations cannot be entertained. . ."4

Unter dem Eindruck dieser Note der „am meisten interessierten Mächte" ließ Mini­sterpräsident Petrov auf geheimem Wege in Istanbul anfragen, „ob die Pforte die Re­formen einführen würde, falls die bulgarische Regierung sich verbürge, Übertritt und weitere Formierung von Banden zu verhindern, ferner ob die Pforte bei der

220 Schuhhess 19 (1903), S. 355-356. 221 The Daily Telegraph, der als das Sprachrohr des Foreign Office galt, kommentierte am 16.

September diese Maßnahme der bulgarischen Regierung wie folgt: „Nobody doubts that Turkey is resolved to invade Bulgaria as soon as she has finished with Macedonia . . . Bul­garia cannot witness with indifference the extermination of her brethren in Macedo­nia . . . "

222 Anlage zum Bericht Nr. 248 vom 15. September 1903 aus Sofia, PAAA, Türkei 156, Bd. 76, A. 13824.

223 Therapia, Tel.-Bericht vom 18. September 1903, Nr. 575, PAAA, Türkei 156, Bd. 76, A. 13883.

224 The Times vom 23. September 1903.

Eliastag 1903 195

Durchführung derselben auch bulgarische Rathschläge entgegennehmen würde."22S

Der Sultan nahm diesen Vorschlag an, obwohl der Großwesier Ferid Pasa, als Re­präsentant der Gruppe, die einen Krieg mit Bulgarien befürwortete, davon ab­riet.226

Seit den Attentaten von Saloniki Ende April 1903 drängte nämlich eine Kriegspartei in Istanbul auf eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Bulgarien. In den Tagen des Ilinden-Aufstandes äußerte sich Ferid Pasa dem österreichisch-ungarischen Botschaf­ter gegenüber wie folgt: „Bulgarien wird im kommenden Frühjahr vollkommen ge­rüstet sein; inzwischen halten uns die Banden in Athem, zersplittern und ermüden die Armee. . . Dies ist aber für uns eine ungeheure finanzielle Last. . . " Baron Calice un­terbrach den Großwesir mit der Frage: „Sie werden doch nicht einen Angriff auf Bul­garien unternehmen? Dies könnte die verhängnisvollsten Folgen für Sie haben." Dar­auf erwiderte Ferid Pasa: „Die Mächte werden dann wohl intervenieren; allein in­tervenieren würden sie ja auf jeden Fall. . . " Damit meinte er, daß er eine Interven­tion der Großmächte im Herbst 1903, solange die osmanische Armee noch stark war, einem späteren Zeitpunkt vorzöge.227 Auch in einem Gespräch mit dem deutschen Botschafter zeigte sich Ferid Pa§a in diesen Tagen zu einem Waffengang mit Bulgarien geneigt. Er könne nicht begreifen, warum der Sultan die Befürchtung hege, daß Bul­garien das Osmanische Reich angreifen würde. Er habe ihm — dem Sultan — gesagt, daß ein bulgarischer Angriff unvorstellbar sei, da er eine sichere Niederlage für Bul­garien bedeute. Deshalb solle man auch nicht in Verhandlungen mit Bulgarien eintre­ten, da dies als ein Zeichen der Ohnmacht der Pforte ausgelegt werden könnte.228

Die Haltung Ferid Pasas wurde vom osmanischen Kommissar in Sofia, Ali Ferruh Bey, geteilt. Dieser hatte rechtzeitig dafür gesorgt, daß etwa 30.000 Gewehre nach Bulga­rien hineingeschmuggelt und unter der türkischen Bevölkerung Nordbulgariens ver­teilt worden waren.229 Gegen Ende des Sommers erachtete er nun einen Krieg zwi­schen Bulgarien und dem Osmanischen Reich als unvermeidlich und konnte ange­sichts der endlosen bulgarischen Provokationen die Langmut des Sultans nicht mehr begreifen. Hätte also der Sultan auf den Rat seines Großwesirs und eines seiner ersten Diploma-

225 Telegramm Calices an Goluchowski, Constantinopel, 23. September 1903,Nr. 217, HHStA, PAXII/183.

226 Telegramm Calices an Goluchowski, Jeniköj, 28. September 1903, Nr. 222, HHStA, PA XII/183.

227 Calice an Goluchowski, Jeniköj, 25. August 1903, Tel.-Bericht Nr. 187, streng geheim, HHStA, PAXII/183.

228 Therapia, 27. August 1903, Nr. 523, geheim, PAAA, Türkei 156, Bd. 71, A. 12788. 229 In der Bulgarischen Handelszeitung vom 22. Mai 1903 heißt es dazu: „Infolge der kriege­

rischen Haltung in Constantinopel hat sich die türkische Bevölkerung in Deli-Orman vom Kopfe bis zu den Füßen bewaffnet und wartet nur auf den Ausbruch des Krieges, um in Aufstand zu treten. Wenn man zu diesem Umstände noch in Berücksichtigung zieht, daß an diesem unsicheren Puncte des Fürstenthumes mehr als 20 Tausend Türken in den Rei­hen der bulgarischen Armee ihre militärische Ausbildung genossen haben, welche der gan­zen männlichen türkischen Bevölkerung als Cadres dienen können, kann sich jeder leicht vorstellen, was für eine Horde sich in der Mitte einer Bevölkerung erheben würde, welche mehr als 500.000 Köpfe zählt. . ." Hierzu u.z. folg. vgl. auch den Bericht Forgachs an Goluchowski, Sofia, 14. September 1903, Nr. 54 B, vertraulich, HHStA, PA XV/57.

196 Der Ilinden-Aufstand 190S

ten gehört, so wäre ein Balkankrieg mit all seinen ungewissen Folgen bereits im Herbst 1903 ausgebrochen. Abdulhamid II. beurteil te jedoch die Lage auf dem Balkan grund­sätzlich anders. Schon vor dem Beginn des Ilinden-Aufstandes ließ er den deutschen Geschäftsträger wissen, daß er „beunruhigt über die nach seinen Nachrichten angeb­lich bevorstehende Schwenkung der russischen Politik nach der bulgarischen Seite hin" sei.230 Während der ersten Woche des Ilinden-Aufstandes wurde dann ausgerech­net der russische Konsul in Monastir, Rostkovskij, von einer osmanischen Schildwa­che erschossen.231 Dieser Vorfall trug zur Verschärfung der Balkankrise erheblich bei. Der russische Militärattache' in Konstantinopel meinte über den Tod Rostkovskijs: „Er ist ein Opfer der slawischen Idee. Nun ist es aus mit Diplomatie und Reformen. Jetzt wird die russische Armee die Sache in die Hand nehmen."232 Obwohl der Soldat, der den Konsul erschossen hatte, auf Befehl des Sultans sofort hingerichtet wurde,233

galt dies für Rußland nicht als ausreichende Sühne. Die öffentliche Meinung in Ruß­land war über den Tod des Konsuls sehr aufgebracht und forderte, ähnlich wie im Jahre 1877, wieder einen Krieg gegen das Osmanische Reich.234 Am 17. August ver­ließ ein russisches Geschwader Sewastopol, um in den osmanischen Gewässern Posi­tion zu beziehen.235

Die eigentliche Kriegsgefahr schien jedoch zu diesem Zeitpunkt weniger von seiten Rußlands als Bulgariensauszugehen, woman sich angesichts des Erscheinens der rus­sischen Flotte vor der Südküste des Schwarzen Meeres leicht zu einem Kriegsabenteuer gegen das Osmanische Reich hätte hinreißen lassen können. Der griechische Außen­minister Ralli lenkte die Aufmerksamkeit des Sultans bereits am 12. August auf die Wahrscheinlichkeit eines solchen Angriffes von seiten Bulgariens.236 Wenn auch die bulgarische Regierung selbst über die russische Flottendemonstration keineswegs er­freut war,237 so begann am 21. August, beinahe gleichzeitig mit dem Ankern des russischen Geschwaders vor dem türkischen Küstenstädtchen Igneada, ein bulgari-

230 Bericht Wangenheims vom 31. Juli 1903, GP, 18,1, Nr. 5570, S. 316. 231 Wangenheim berichtete: „Als Rostkowski heute bei einem Spaziergang an einer türki­

schen Schildwache - Gendarm - vorüberging, salutierte letztere nicht. Deshalb zur Re­de gestellt, schoß der Türke den Konsul nieder." Konstantinopel, 8. August 1903, Nr. 451, PAAA, Türkei 156, Bd. 68, A. 11785. Nach den Memoiren des späteren osmani­schen Generalissimus im Ersten Weltkrieg, Enver Paja, der 1903 als junger Offizier in Mo­nastir Dienst tat, schlug Rostkovskij den Wache haltenden Soldaten mit der Peitsche, weil dieser ihn als den russischen Konsul nicht erkannt und gegrüßt hatte. Siehe Aydemir, Ma-kedonya'dan Ortaasya'ya. Enver Pap., Bd. 1, S. 481-482.

232 Bericht Wangenheims, Konstantinopel, 9. August 1903, Nr. 452, PAAA, Türkei 156, Bd. 68, A. 11801.

233 Aydemir, a.a.O., S. 482-483. 234 The Daily Telegraph vom 14. August 1903. 235 Über die Forderungen Rußlands, die mit dieser Flottendemonstration durchgesetzt werden

sollten, siehe GP, 18,1.Nr. 5582, S. 331-333. 236 Calice an Goluchowski, Jeniköj, 12. August 1903, Nr. 44 C, HHStA, PA XII/183. 237 Graf Forgâch berichtete: „Bulgarische Regierung kritisiert heftig Flottendemonstration,

die Aufständische in der Türkei aufstacheln und Bulgariens Lage bedeutend erschweren wird." Sofia, 22. August T903, Tel.-Bericht Nr. 118, streng vertraulich, HHStA, PA XII/ 184.

Eliastag 1903 197

scher Aufstand in den an das Schwarze Meer grenzenden Gebieten des Vilayets Adrianopel.238 Einige Tage später konnte die englische Morning Post vom 26. Au­gust 1903 aus Sofia berichten: „The Macedonian fugitives in Bulgaria are making arrangements to send a deputation to the Emperor of Russia to inform him of the pitiable condition of affairs in Macedonia and to beg his Majesty's intervention." Daß die Furcht Abdulhamids vor einem eventuellen russisch-osmanischen Krieg im Herbst 1903 unter diesen Umständen begründet war, wird auch dadurch bestätigt, daß der österreichisch-ungarische Botschafter in St. Petersburg, Freiherr von Aehren-thal, diese Gefahr für groß hielt. Seinem deutschen Kollegen, dem Grafen Alvensle-ben, gegenüber meinte er, daß, wenn ein Krieg zwischen Bulgarien und dem Osmani­schen Reich ausbreche, es für Rußland unmöglich sein würde, einfach zuzusehen, wie das Brudervolk der Bulgaren besiegt werde. Ebenso schwer würde es aber Österreich-Ungarn fallen, die Christen des Balkans im Stich zu lassen.239

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß der am 23. September 1903 endlich gefaßte Entschluß der bulgarischen Regierung, einem Krieg mit dem Osmanischen Reich aus dem Wege zu gehen, für den Sultan eine Erleichterung bedeutete. Dabei ist anzumerken, daß dieser Entschluß der Sofiaer Regierung unter Mißachtung von Drohungen der makedonischen Komitees zustande gekommen war, die den Minister­präsidenten vor die Wahl gestellt hatten, entweder bis zum 28. September zugunsten der Aufständischen in Makedonien militärisch einzugreifen oder daraufgefaßt zu sein, „unerhörte Greuel in Sofia" zu erleben.240

Die Vorbereitungen für einen Krieg mit der Pforte wurden jedoch in Bulgarien auch jetzt nicht eingestellt - ein Umstand, der den früheren Ministerpräsidenten Danev veranlaß te, während einer Wahlrede am 8. Oktober in Ruse der Regierung Doppelzün­gigkeit vorzuwerfen:

Während sie einerseits mit der Pforte zu unterhandeln suche, unternehme sie auf der ande­ren Seite Rüstungen, berufe die Reserve, Unteroffiziere und Rekruten ein, schicke Militär an die Grenze und erwecke durch alles das im Volke und namentlich bei den unglücklichen Kämpfern in Mazedonien den Anschein, als sei Bulgarien entschlossen, zur Unterstützung des Aufstandes der Türkei den Krieg zu erklären.241

Die Aufständischen in Makedonien hatten jedoch z.T. bereits Anfang September die Hoffnung auf eine Intervention der bulgarischen Armee aufgegeben. In einem Befehl

238 In den zeitgenössischen Berichten wird dieser Aufstand als eine unmittelbare Folge der Demonstration der russischen Flotte dargestellt. Siehe die Mitteilung des osmanischen Botschafters in Berlin an das AA, 25. August 1903, PAAA, Türkei 156, Bd. 71, A. 12667, und den Bericht Falkenhausens, Sofia, 22. August 1903, Nr. 74, PAAA, Türkei 156, Bd. 70, A. 12494, sowie an Neue Freie Presse vom 25. August 1903. M. Gerdzikov, der Führer des Aufstandes im Vilayet Adrianopel, dagegen teilt in seinen Memoiren mit, daß die Auf­ständischen die vor Igneada vor Anker liegenden Schiffe zunächst für osmanische Kriegs­schiffe gehalten, d.h. von einer russischen Flottendemonstration keine Ahnung gehabt hät­ten. Vgl. VMakedonija iOdrinsko, S. 66-67.

239 Vgl. GP, 18,1, Nr. 5600, S. 351-352. 240 Forgach an Goluchowski, Sofia, 21. September 1903, Nr. 57 D, HHStA, PA XV/57. 241 Anlage zum Bericht aus Sofia vom 10. Oktober 1903, Nr. 279, PAAA, Türkei 156, Bd.

79, A. 15237.

198 Der Ilinden-Aufstand 1903

des aufständischen Hauptquartiers des Distrikts Ochrid wurde all denjenigen die To­desstrafe angedroht, die desertierten und ihre Gewehre den Behörden ablieferten.242

Daraus kann man ablesen, daß sich unter der exarchistischen Bevölkerung allmählich eine pessimistische Stimmung breit machte. G. Petrov, der sich im September 1903 im Gebiet von Morihovo aufhielt, berichtet in seinen Memoiren, daß die Setniks Angst bekommen hätten und nach Bulgarien zurückkehren wollten. Hauptsächlich wegen der Desertionen schrumpfte Petrovs öeta auf ein Viertel ihrer ursprünglichen Stärke. Sie wurde überdies von slawischen Bauern eines Dorfes, das in die Innere Or­ganisation eingegliedert war, an die osmanischen Truppen verraten und von diesen tagelang hart bedrängt.243 Bis zum 9. Oktober hatten, nach einem Bericht des Kon­suls Kral, 2,000 aktive Kämpfer ihre Gewehre freiwillig den Behörden abgegeben.244

Nicht selten zeigten diejenigen Freischärler, die sich ergeben hatten, den Verfolgungs­truppen den Weg zu dem Versteck ihrer noch kämpfenden Genossen in den Bergen .245

Der englische Vizekonsul in Monastir wußte am 14. Oktober zu berichten, daß die Aufständischen in neuerlichen Kämpfen 250 Mann, darunter 6 Bandenführer, verlo­ren hätten. Er fügte hinzu:

The moral effect of these defeats, coupled with the increasing inclemency of the weather, has undoubtedly been most prejudicial to the insurgent cause, as submissions of peasants and „komitajis" are daily becoming more frequent, considerable numbers of rifles are being surrendered.. .M6

An dieser Situation konnte auch die Entlastungsaktion des Oberen Makedonischen Komitees, die darin bestand, daß Anfang Oktober mehrere bewaffnete Abteilungen von Bulgarien aus die nördlichen Gegenden des Sancaks Seres (Razlog, Dzumaja) über­fielen, nichts ändern.247 Innerhalb kurzer Zeit wurden diese Verbände von osmani­schen Truppen aufgerieben bzw. über die Grenze davongejagt. Ein Kämpfer, der in der öeta Oberst Jankovs an den Aktionen in der Kaza Razlog teilgenommen hatte, erzählte einem schweizer Kaufmann von seinen Eindrücken über die Verhältnisse in Nordostmakedonien: Die Bauern wären nicht einmal bereit gewesen, den Freischär­lern Brot zu verkaufen. Die öeta habe daher Hunger gelitten. „Viele sind zu der Ein­sicht gekommen, daß im Grunde wir selbst die Urheber der Verfolgungen und Leiden sind, welchen die mazedonischen Stammesgenossen sich ausgesetzt sehen."248

Das Ende des Ilinden-Aufstandes sowie die Demobilisierung der bulgarischen Armee

242 AP Turkey No. 2 (1904), Inclosure 2 in No. 75, S. 80-81. 243 Vgl. Spomeni na Gjorte Petrov, S. 146-149. 244 Monastir, 9. Oktober 1903, Nr. 131, HHStA, PA XXXVIII/393. 245 Spomeni na Gjorie Petrov, S. 152. 246 /IP Turkey No. 2 (1904), Inclosure in No. 116, S. 104. 247 Der deutsche Generalkonsul in Saloniki berichtete am 7. Oktober 1903: „Banden in

großer Stärke aus dem Fürstentum Bulgarien in den Distrikt Raslog eingedrungen . . . Dieser Aufstand unterscheidet sich von den früheren bei Monastir im wesentlichen da­durch, daß es sich jetzt nicht um Insurrektion der einheimischen Bevölkerung, sondern um Bandeneinfälle aus dem Fürstentum Bulgarien handelt..." PAAA, Türkei 156, Bd.78, A. 14862.

248 Sofia, 14. Oktober 1903, Nr. 286, PAAA, Türkei 156, Bd. 79, A. 15298.

Eliastag 1903 199

fielen in die zweite Oktoberhälfte.249 Konsul Kral berichtete am 26. Oktober 1903 ausMonastir:

Mehrere hervorragende Bandenchefs ließen mich wissen, auch sie wären bereit, sich zu er­geben, wenn das Consulat eine Garantie übernehme, auf welche Ansinnen ich selbstver­ständlich nie antwortete.

Man sei enttäuscht und entrüstet über den unbefriedigenden Ausgang des Kampfes, in wel­chem doch so große Opfer an Gut und Blut gebracht worden sind. . .Js0

Der Generalstab der Aufständischen konnte natürlich nicht offen zugeben, daß der Aufstand gescheitert war. In zwei Rundschreiben vom 25. Dezember 1903 (a.S.) an die Führer der revolutionären Rayons und die der Dorfkomitees gab der Generalstab bekannt, daß die aufständischen Aktivitäten wegen Einbruch des Winters eingestellt worden seien, um später unter günstigeren Bedingungen wieder aufgenommen zu werden.251

249 Über die Demobilisierung der bulgarischen Armee siehe A. 15637, Sofia, 19. Oktober 1903, PAAA, Türkei 156, Bd. 80, und das Chiffretelegramm vom 22. Oktober 1903 aus Sofia, Nr. 190, HHStA, PA XV/57.

250 Bericht Nr. 151, HHStA, PA XXXVIII/393. 251 Siehe die Anlagen zum Bericht Krals vom 8. Februar 1904, Nr. 10, in: Zografski./zyeJra/

S. 141-144.

IV. DIE POLITISCHEN VERHÄLTNISSE IN MAKEDONIEN NACH DEM ILINDEN-AUFSTAND

1. DIE SITUATION DER INNEREN ORGANISATION

Die Innere Organisation ging aus den blutigen Kämpfen des Jahres 1903 erheblich geschwächt hervor. Durch den Tod zahlreicher Führer waren überall Lücken im Netz der örtlichen Komitees entstanden. Die Anhänger der Organisation waren demorali­siert, ihre Disziplin hatte nachgelassen. Die Bauern begannen hier und da, sich gegen die Befehle der Komitees aufzulehnen. In Leskovo, im Landkreis Resen z.B., wurde Ende März 1904 ein Komitadschi von Bauern getötet. Ebenso erging es einem öetnik bei Setina im Landkreis Florina.1 In der Zeitung Svobodno slovo, dem Parteiorgan des früheren bulgarischen Ministerpräsidenten IvanCov, konnte man im Juli 1904 le­sen:

Die mazedonischen Bulgaren tun heute das, was sie bis vor kurzem als einen schmachvol­len Verrat betrachtet hätten. Den Banden gelingt es nicht mehr, zu entweichen, wie das bisher der Fall war; sie werden vielmehr bis zum letzten Mann aufgerieben, weil die Bevöl­kerung aufgehört hat, sie zu verbergen und ihnen Hilfe zu leisten, und im Gegenteil be­gonnen hat, die Comitadjis den Türken zu verraten und zu ihrer Vernichtung mitzuwir­ken. . .2

Als sich die makedonischen Führer Anfang 1904 zum größten Teil wieder in Sofia versammelten, sahen diejenigen unter ihnen, die von vornherein gegen den Aufstand gewesen waren, ihre Stunde gekommen, um zum Angriff auf ihre politischen Gegner überzugehen. So drängte die linke „Seres-Gruppe" unter der Führung Jane Sandans-kis auf strukturelle und personelle Änderungen in der Organisation. Die von Siljanov als „revolutionäre Positivisten" bezeichneten Gemäßigten um Christo Matov dagegen, die einen Aufstand befürwortet hatten, waren nur dazu bereit, aus einer Analyse des Ilinden-Aufstandes Lehren für künftige Aktionen zu ziehen, ohne dabei die „gesun­den Traditionen" der Bewegung in Frage zu stellen.3 Den Leuten um Sandanski ge­lang es aber, in langen Diskussionen durchzusetzen, daß ein Zweierausschuß — Dimo Had2i Dimov und Dimitür Stefanov - gebildet wurde, um neue „Richtlinien für die

1 Siehe den Bericht Krals, Monastir, 22. April 1904, in: Zografski, IzveStai... ,S. 169-172.

2 Anlage zum Bericht Nr. 177 vom 24. Juli 1904 aus Sofia, PAAA, Türkei 156, Bd. 100, A. 12228.

3 Vgl. Siljanov, Osvoboditelnite borbi... , Bd. 2, S. 58-61.

Die Situation der Inneren Organisation 201

zukünftige Tätigkeit der Organisation" auszuarbeiten.4 Die wichtigsten Bestimmun­gen dieses Dokuments lassen sich wie folgt zusammenfassen:5

- Ein makedonischer Aufstand dürfe nicht von einzelnen Persönlichkeiten beschlossen und dann der Organisation von oben aufgedrängt werden, vielmehr habe man sich beim Beschluß eines solchen nach den organisatorischen Gegebenheiten im Innern des Lan­des zu richten.

- In Zukunft seien alle Kräfte vordringlich auf die Stärkung der Organisation zu konzen­trieren. Dies bedeute aber nicht,daß die Ausübung von Terroranschlägen gänzlich auf­zuhören habe.

- Die Arbeit zur Stärkung der Organisation müsse im Geist der Satzung aus dem Jahre 1902 erfolgen. Hierbei habe man sich folgende Punkte ständig vor Augen zu halten: a) man dürfe dem Volk nicht vormachen, daß Bulgarien oder ein anderer Staat ihm

zu seiner Befreiung zu Hilfe kommen würde; b) man solle sich künftig darum bemühen, außer der Mitarbeit der Bulgaren auch die

jener Volksgruppen zu gewinnen, die im Einflußbereich der Inneren Organisation lebten;

c) Agitation dürfe nicht, wie bis dahin, als etwas Nebensächliches abgetan werden, sondern sei als der beste Weg zur Erziehung bewußter Revolutionäre anzusehen;

d) jede Ortschaft solle über eine eigene Miliz verfügen. Die vorhandenen bewaffneten Abteilungen der Organisation sollen, nach der Säuberung von räuberischen Elemen­ten, als Instruktions- und Inspektionseinheiten fungieren;

e) zur Aufklärung der Mitarbeiter sei die Entstehung einer revolutionären Literatur unbedingt notwendig.

- Die Gründung einer Balkan-Föderation sei anzustreben. Makedonien (und das Vilayet Adrianopel) könne als ein eigenständiges Mitglied dieser Föderation eine Annäherung entgegengesetzter Interessen anderer Mitgliedstaaten herbeiführen helfen*.

Matov kritisierte diese „Richtlinien" als einen Versuch, sozialdemokratischen Prin­zipien innerhalb der makedonischen Bewegung Geltung zu verschaffen. Ihm erschie­nen diese Prinzipien angesichts der in Makedonien herrschenden Verhältnisse gänz­lich irrelevant. Er warf daher den Führern Sandanski und Cernopeev vor, die Ansich­ten marxistischer Sektierer, wie Hadzi Dimov, kritiklos übernommen zu haben,6

Matovs Standpunkt in dieser Frage war insofern verständlich, als die Ideen der ma­kedonischen Linken damals wenig Chancen hatten, verwirklicht zu werden. Die euro­päische Diplomatie hatte aus dem Ilinden-Aufstand ihre eigenen Schlußfolgerungen gezogen, die auf eine Intensivierung der Reformpolitik in Makedonien hinausliefen. Dazu trafen sich Ende September 1903 die Staatsoberhäupter „der am meisten in­teressierten Mächte", Zar Nikolaus II. und Kaiser Franz Josef, in Mürzsteg.7 Wäh­rend der Beratungen wurde ihnen ein Memorandum der englischen Regierung über­reicht, in dem die Frage gestellt wurde, ob nicht der Reformplan auf breiterer Basis

4 Christo Matov za svo/ata revoljucionna dejnost, S. 68. 5 Der Text der „Richtlinien" wurde von Avicenus [Dimo Hadzi Dimov] veröffentlicht: „Dve

teCenija", Revolutionen list, Jg. 1905, Nr. 9. Hier wurde die Version in makedonischer Sprache^ abgedruckt bei Katardziev, Serskiot okrug . . . , S. 304-309, berücksichtigt.

6 Vgl. Christo Matov za svojata revoljucionna dejnost.S. 68-71. 7 Auf die Mürzsteger Reformen wird im folgenden nur kurz eingegangen. Näheres darüber in:

J. Ruchti, Die Reformaktion Österreich-Ungarns und Rußlands in Mazedonien 1903-1908 Die Durchführung der Reformen, Gotha 1918, und die bereits zitierte Untersuchung Po­povs, Avstro-Ungarija ireformite v Evropejska Turcija 1903-1908.

202 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

durchgeführt werden könne. Die Londoner Regierung schlug vor, entweder einen christlichen Generalgouverneur für Makedonien zu ernennen oder aber, bei Beibehal­tung eines mohammedanischen Generalgouverneurs, diesem europäische Berater zu­zuweisen.8 Die Mürzsteger Beschlüsse, die zur Weitergabe an die osmanische Regie­rung am 2. Oktober 1903 den Botschaftern Rußlands und Österreich-Ungarns in Konstantinopel übermittelt wurden,9 waren unter Berücksichtigung dieses Memoran­dums zustande gekommen und bedeuteten einen Kompromiß zwischen den Interes­sen Österreich-Ungarns und Rußlands einerseits und denen Englands, Frankreichs und Italiens andererseits.10 Die einzelnen Bestimmungen des neuen Programms lau­teten im wesentlichen wie folgt;

1) Zur Kontrolle der Anwendung der Reformen sollen dem Generalinspektor Hilmi Pasa je ein Zivilagent Österreich-Ungarns und Rußlands zugewiesen werden;

2) Die Reorganisierung der Gendarmerie in den drei Vilayets soll einem im Dienst der Pforte stehenden General europäischer Nationalität übertragen werden. Diesem sollen Offiziere der Großmächte zur Seite stehen;

3) Sobald eine Befriedung des Landes eingetreten sei, sollten die territorialen Grenzen der Verwaltungsbezirke in Makedonien unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Gruppierung der einzelnen Nationalitäten neu festgelegt werden;

4) Administrative und gerichtliche Einrichtungen im Lande seien dahingehend zu reor­ganisieren, daß die Entwicklung lokaler Autonomien begünstigt werde;

5) In den Vilayetszentren sollen zur Untersuchung der während des Aufstandes begange­nen Vergehen gemischte (christlich-mohammedanische) Kommissionen gebildet wer­den;

6) Die osmanische Regierung habe die erforderlichen Finanzmittel zu erbringen, a) für die Rückführung der geflüchteten Christen in ihre Heimatorte, b) für die Unterstützung solcher Christen, die während des Aufstandes materiellen

Schaden erlitten haben, c) für den Wiederaufbau der von den irregulären Abteilungen oder von den Truppen

zerstörten Häuser, Kirchen oder Schulen; 7) Die repatriierten christlichen Einwohner der zerstörten Dörfer sollen für ein Jahr von

der Zahlung jeder Steuer befreit werden; 8) Die osmanische Regierung müsse sich verpflichten, alle bis dahin angekündigten Refor­

men und solche, die sich später als notwendig erweisen könnten, unverzüglich durch­zuführen;

9) Die meisten Ausschreitungen gegen die Christen seien von irregulären Hilfstruppen ausgegangen. Daher solle die Bildung solcher Einheiten in Zukunft unterbunden wer­den."

Die osmanische Regierung, die unter Hinweis auf die Wahrung der Souveränitätsrech­te des Sultans die Annahme dieses Reformprogramms zunächst verweigert hatte, sah

8 „Notiz der Ref I (v. 3.2.1908) über die verschiedenen englischen Anregungen zur Erweite­rung der Reformen und speziell zur Einsetzung eines Generalgouverneurs fiii Mazedonien, Oktober 1903-Januar 1908", HHStA, PA xil/342, Liasse XXXV/12.

9 „Décisions arrêtées pour être transmises sous forme d'instructions identiques aux Ambassa­deurs d'Autriche-Hongrie et de Russie à Constantinople", Diplomatische Aktenstücke . . . , Nr. 15, Beilage, S. 16-19.

10 Vgl. Damjanov, „La diplomatie française et les réformes en Turquie d'Europe (1903-1908)", S. 349.

11 Hierzu vgl. auch Schulthess 19 (1903), S. 350-351.

Die Situation der Inneren Organisation 203

sich im November 1903 angesichts des geschlossenen Auftretens aller Großmächte gezwungen, nachzugeben;12 die zwei Zivilagenten und 25 europäische Offiziere für die makedonische Gendarmerie trafen im Laufe des Frühjahrs 1904 in Makedonien ein.13

Daß die Haltung der Regierungen der benachbarten Balkanstaaten zu den Mürzste­ger Reformen mehr von ihren jeweiligen Nationalinteressen bestimmt wurde als von der Sorge um das Wohlergehen der makedonischen Bevölkerung, war bereits im Sep­tember 1903, d.h. vor dem Bekanntwerden der Mürzsteger Beschlüsse, offenbar ge­worden, als Hilmi Pasa eine Kommission aus je einem griechischen, bulgarischen, ser­bischen und rumänischen (walachischen) Notabein bildete, um Maßnahmen zugun­sten der durch die Kämpfe geschädigten Christen zu beraten.14 Konsul Kral berich­tete in diesem Zusammenhang wie folgt:

Die Commission ist der Zusammensetzung nach, welche zum ersten Male nicht nach Con-fessioneh, sondern nach Nationalitäten geschieht, ein Novum in der Reformgeschichte des ottomanischen Reiches. Wenn sie den Zweck erfüllen sollte, zu beweisen, daß Macédonien nicht bulgarisch, sondern von so und so vielen Nationalitäten bewohnt sei, so verfällt sie wiederum in den Fehler, nur einige dieser Nationalitäten und diese bloß ihrer Existenz nach, nicht nach dem Stärkeverhältnis zu repräsentieren. Die Serben und Rumänen erfüllt die Berufungeines ihrer Stammesangehörigen als solchen, nicht als „Rum", mit Genugthuung, da hiedurch zum ersten Male die Anerkennung ihrer Nationalität indirect zum Ausdruck kommt, und ist dies umso bedeutungsvoller, als sie keine autonome Religionsgemeinschaft besitzen, was bisher das Kriterium des Begriffes Nationalität (Millet) im türkischen Reiche gebildet hat.. . Die Bulgaren. . . sind über diese neueste Phase der türkischen Nationalitätenpolitik in Ma­cédonien und die damit verbundene Stärkung ihrer Concurrenten selbstverständlich nicht erfreut. . . Sehr enttäuscht dagegen sind die Griechen, denn - zum Danke für alle, ihren türkischen Freunden geleisteten Liebesdienste - bezahlen sie die Kosten, indem die Weiterführung dieser Politik in ihren nächsten Consequenzen zu einer bedeutenden Schwächung des öku­menischen Patriarchats führen muß. . . "

Serbien und Rumänien waren demnach diejenigen Balkanstaaten, die von der Durch­führung der Mürzsteger Reformen eine Verstärkung ihrer Propaganda in Makedonien erwarten konnten. Auch Griechenland wäre noch in der Lage gewesen - solange die osmanische Herrschaft in jenem Gebiet aufrechterhalten blieb16 - , sich mit der im obigen Zitat erwähnten Änderung im millet-System abzufinden. Dagegen waren die Bulgaren, die sich die Autonomie Makedoniens erhofft hatten, je nach politischer Ein­stellung mehr oder weniger enttäuscht.Graf Forgäch berichtete:

12 Popov, a.a.O., S. 66-70. 13 Ruchti, a.a.O., S. 3-13. 14 Monastir, 30. September 1903, Telegramm Nr. 80, HHStA, PA XXXVIII/393. 15 Monastir, 6. October 1903, Nr. 130. HHStA, PA XXXVIII/393. Der griechische Außenmi­

nister Ralli war höchst irritiert, als er von der Ernennung eines Walachenvertreters zu die­ser Kommission erfuhr. Vgl. den Bericht aus Athen, 29. September 1903, PAAA, Türkei 156, Bd. 78, A. 14687.

16 Driault und Lhéritier, a.a.O., Bd. 4, S. 508-509.

204 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-AuJ stand

In Übereinstimmung mit hiesiger öffentlicher Meinung, welche in der neuen Reformnote keine Erfüllung der bulgarischen Ambitionen und Bestrebungen sieht, äußerte sich Mini­sterpräsident mir gegenüber... skeptisch über das Resultat, welches dem bulgarischen Ele­ment in Macédonien nicht Rechnung trage. . .'7

Obwohl das offizielle Bulgarien besonders aus zwei Gründen unzufrieden war, näm­lich, weil eine allgemeine Amnestie für die politischen Vergehen in Makedonien nicht vorgesehen war, und weil das Vilayet Adrianopel außerhalb des Reformgebietes be­lassen wurde, lehnte es die neuen Reformen keineswegs in ihrer Gesamtheit ab.18Auch Reformi, das Organ des Oberen Makedonischen Komitees in Sofia, das gewöhnlich die offizielle Linie verfolgte, konnte im wesentlichen nur das Ausbleiben einer all­gemeinen Amnestie kritisieren.19 General Concev, der sich im Dezember 1903 eini­ge Tage in Belgrad aufhielt, erklärte dort, daß die bulgarischen Komitees hauptsäch­lich wegen Geldmangel die Aufstandsbewegung im nächsten Frühjahr nicht annähernd in der Ausdehnung des vorigen Sommers würden weiterfuhren können. Daher beab­sichtigte das O.M.K., im Sinne des Ministerpräsidenten Petrov vorerst friedlich zu handeln, da die Mürzsteger Reformen ohnehin nur als eine Zwischenstation zu der außer von Bulgarien auch von England, Frankreich und Italien angestrebten make­donischen Autonomie zu betrachten seien.20 Es waren in Bulgarien aber auch radi­kalere Stimmen, wie die des unabhängigen Sofiaer Tageblattes Dnevnik, zu hören, das laut der Wiener Zeitung Die Zeit, über die Mürzsteger Reformen schrieb:

Eine wirkliche Besserung der Lage der bulgarischen Bevölkerung in Makedonien wird in­des durch diese Maßnahmen nicht erfolgen. Jedenfalls wird sich, dank dieser Bevorzugung anderer christlicher Elemente, die zu der Minorität gehören, die Lage der makedonischen Bulgaren verschlimmern, . .S1

Die Mürzsteger Reformen trugen in der Tat zur Herstellung friedlicher Verhältnisse in Makedonien nicht nur nicht bei, sie waren in mancher Hinsicht sogar dazu geeignet, die Nationalitätenkämpfe in diesem Teil des Balkans zu verschärfen. Die Bestimmung nämlich (Art. 3), daß die Grenzen der Verwaltungsbezirke entsprechend den natio­nalen Gegebenheiten geändert werden würden, sobald sich die Lage beruhigt habe, hatte zur Folge, daß die nationalen Bewegungen nunmehr ihre letzten Reserven mo­bilisierten, um noch rechtzeitig die von ihnen beanspruchten Gebiete von fremden Elementen zu säubern oder aber durch ^era-Krieg dafür zu sorgen, daß es zu einer Beruhigung der Lage eben nicht kommen konnte. In einem Bericht des Konsuls Kral heißt es:

Die frühere Vorgangsweise der bulgarischen Comite's bei welchen es sich - und zwar vor­zugsweise in den Ortschaften slawischer Zunge - hauptsächlich darum handelte, durch Überredung und Gewalt der revolutionären Organisation neue Anhänger zuzuführen, hat seit dem heurigen Winter einer neuen Taktik Platz gemacht.

17 Sofia, 28. Oktober 1903, Chiffretelegramm Nr. 192, HHStA, PA XV/57. 18 Vgl. ebd. 19 Reformi vom 18./31. Oktober 1903, Anlage zum Bericht aus Sofia, 3. November 1903,

Nr. 316, PAAA, Türkei 156, Bd. 81, A. 16554. 20 Belgrad, 9. Dezember 1903, Nr. 222, PAAA, Türkei 156, Bd. 85, A. 18480. 21 Die Zeit vom 31. Oktober 1903.

Die Situation der Inneren Organisation 205

Während ehedem dem confessionellen Momente keine ausschlaggebende Bedeutung bei­gelegt und es den Leuten bei besonderer Betonung der nationalen Zusammengehörigkeit oder der christlichen Solidarität im Allgemeinen vollkommen freigestellt wurde, dem Pa­triarchate treu zu bleiben, oder sich zum Exarchismus zu bekennen, wurde von den revo­lutionären Cadres in der letzten Zeit das Hauptgewicht auf den Übertritt vom Patriarcha­te zum Exarchate gelegt, womit eingestanden war, daß die Bewegung, welcher man bisher immerhin bis zu einem gewissen Grade einen macedonisch-christlichen, antitürkischen Anstrich zu geben bemüht war, eine exclusiv national bulgarische werden sollte. Erklart und entschuldigt wird dieser Frontwechsel von bulgarischen und namentlich Com-mitékreisen mit dem Hinweis auf den Art. III des Mürzsteger Reformprogrammes, welcher eine neue administrative Gliederung unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Grup­pierung der einzelnen Nationalitäten proclamiert. . . "

Diese Änderung in der Nationalitätenpolitik der Inneren Organisation war Anfang 1904 von dem neugebildeten Bezirkskomitee von Monastir (Gruev, Toïev, Lozan-cev, Christov) beschlossen worden. Man erteilte den c'era-Führern in Südmakedonien den Befehl, die patriarchistischen Dörfer zum Übertritt zum Exarchat zu zwingen.23

Als Erfolg konnte die Innere Organisation bald verbuchen, daß etwa 40 Dörfer zum Exarchat überwechselten»24

In einer solchen Kampagne gegen die patriarchistischen Ortschaften erblickte G. Pet-rov einen Verrat an der makedonischen Sache.25 Auf dem Bezirkskongreß von Mo­nastir zu Beginn des Sommers 190426 bemühte er sich, auf die Gefahren hinweisend, die der Organisation aus dieser Situation entstehen könnten, eine Revision des frühe­ren Beschlusses durchzusetzen. Er legte dar, daß die Innere Organisation zu schwach geworden war, um sich gegen die nationalistische Propaganda im ëeta-Kiieg behaup­ten zu können. Die Stärke der Inneren Organisation bestehe aber in ihrem revolutio­nären, antinationalistischen Standpunkt, der nicht aufgegeben werden dürfe. Trotz dieser Argumentation gelang es aberPere Toäev und Damjan Gruev,erneut eine Mehr­heit auf ihre nationalistische Zielsetzung festzulegen. Allein auf dem gemeinsamen Kongreß der Revolutionsbezirke Seres und Strumica, der ebenfalls im Laufe des Sommers 1904 stattfand, war Petrov jedoch erfolgrei­cher.27 Auch hier war das Hauptthema der Diskussion wiederum die Lage der Inne­ren Organisation nach dem Aufstand. Es wurde die These bekräftigt, daß die Orga­nisation keine materielle Hilfe von Bulgarien oder irgendeinem anderen Balkanstaat akzeptieren dürfe. Daneben wurde der Beschluß des Zentralkomitees vom Januar 1903, der schließlich zum Ilinden-Aufstand geführt hatte, schärfstens gerügt und der

22 Monastir, 10. April 1904, Nr. 30 HHStA, PA XXXVIII/394. 23 Spomeni na Gjoröe Petrov, S. 154-155. 24 Kral an Goluchowski, Monastir, 15. Juni 1904, Nr. 48, HHStA, PA XXXVIII/394. 25 Hierzu u.z. folg. vgl. Spomeni na Gjoröe Petrov, S. 160-161. 26 Der Bezirkskongreß von Monastir fand in einigen Dörfern rund um Prilep statt. Die Dele­

gierten - alle c"era-Führer - zogen diskutierend von Dorf zu Dorf. Die Einschränkung der fast „diktatorischen" Machtbefugnisse D. Gruevs und die Festlegung des gegenüber der je­weiligen nationalistischen Propaganda zu verfolgenden Kurses waren die wichtigsten Punk­te auf der Tagesordnung. Vgl. den Bericht Krals, Monastir, 21. Juli 1904, Nr. 58, geheim, HHStA, PA XXXVIII/394, und Siljanov, a.a.O., Bd. 2, S. 62-68.

27 Hierzu u.z. folg. vgl. D. Bogdanovski, Borbite na makedonskiot narod za nacionalna slobo-da [Die Kämpfe des makedonischen Volkes für Freiheit), Oslo 1961, S. 46-47.

206 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

nationalistischen Propaganda, insbesondere der bulgarischen, die die makedonische Befreiungsbewegung zersplittere, eine klare Absage erteilt. Die offene Wendung der Inneren Organisation hin zum bulgarisch-nationalistischen Standpunkt, welche gegen die Opposition G. Petrovs und seiner Genossen durchge­setzt wurde, leitete eine Periode blutiger Auseinandersetzungen unter den Volksgrup­pen Makedoniens ein. Die Patriarchisten Südmakedoniens griffen zur Waffe, um ihre Dörfer zu verteidigen. Anfang März 1904 demonstrierten über 1.000 Patriarchisten (Griechen) in Saloniki gegen die Übergriffe der Bulgaren, die im Innern des Landes stattfanden ,28 Ein Athener Blatt, das der griechischen Regierung nahestand, bemerkte im Hinblick auf diese Kundgebung, daß die Geduld der Griechen nunmehr erschöpft sei.29 Dank der für die Bulgaren verlustreichen Niederschlagung des Ilinden-Aufstan-des durch die osmanische Armee waren die Griechen in die Lage versetzt worden, eine Offensive gegen die exarchistischen Gemeinden in Makedonien einzuleiten.30 Die Regierung in Athen ernannte Anfang 1904 Lambros Koromilas zum Generalkonsul in Saloniki und betraute ihn speziell mit der Koordinierung von bewaffneten Aktio­nen der patriarchistischen Seite in den makedonischen Vilayets.31 Außerdem ent­sandte man zur Sondierung des Terrains vier Generalstabsoffiziere (Melas, Kontoulis, Papulas, Kolokotronis) nach Südwestmakedonien.32 In den Kazas Kastoria und Flo­rina kämpften im April 1904 mehrere griechische Banden gegen die Bulgaren.33 Um diese Bandentätigkeit in den genannten Gegenden zu verstärken, wurde darüber hin­aus auf Veranlassung des früheren griechischen Außenministers Dragoumis im Mai 1904 in Athen das „Makedonische Komitee" gegründet, dessen Vorsitzender Deme-trios Kalapothakis, der Besitzer der Zeitung Embros, war,34 In einem von diesem Komitee am 29. Mai 1904 veröffentlichten Aufruf hieß es;

. . . Ein Wind der Vernichtung und Ausrottung weht gegen alles, was griechisch ist. Kirchen ohne Geistliche, Geistliche ohne Kirchen, Schulen ohne Lehrer, Gemeinden ohne ange­sehene Personen zeigen überall, wie die Bulgaren ihr Werk der Ausrottung ausführen. Von dieser unglaublichen Lage, welche die Existenz des Hellenismus bedroht, wären die im freien Griechenland lebenden Griechen und die Griechen überhaupt ihrer Vergangen­heit und ihrer Zukunft unwürdig, wenn sie gegen diese Schandtaten keine Maßregeln er­greifen würden. Brüder!

28 Versen an Bülow, Salonik, 12. März 1904, PAAA, Türkei 156, Bd. 92, A. 4426. 29 Ratibor an Bülow, Athen, 11. März 1904, Nr. 44, PAAA, Türkei 156, Bd. 93, A. 4463. 30 Dakin schreibt: „The victory of the Turks in 1903 was the salvation of Hellenism in Mace­

donia. In that year the Turks dealt the Revolutionary Movement a blow from which it never recovered, with the result that Hellenism, which had already begun to organise its own defence, was in a position to regain the ground that had already been lost." The Greek Struggle in Macedonia, S. 119.

31 Vgl. Dakin, The Greek Struggle ... ,S. 174-175 ; Poplazarov, Grëkata politika . . . , S. 83. 32 Ratibor an Bülow, Athen, 20. Februar 1904, PAAA, Türkei 156, Bd. 91, A. 3378. Vgl. auch

Dakin, a.a.O., S. 175. 33 Versen an Bülow, Salonik, 19. April 1904, Nr. 28, PAAA, Türkei 156, Bd. 96, A. 7045. 34 Ratibor an Bülow, Athen, 20. Juni 1904, PAAA, Türkei 156, Bd. 99, A. 10460. Vgl. auch

Dakin, a.a.O., S. 202; Poplazarov, a.a.O., S. 76-80.

Die Situation der Inneren Organisation 207

Das mazedonische Komité teilt dem gesamten Griechentum durch Vorstehendes seine Konstituierung mit und erklärt, daß es nicht zu anarchistischen Maßregeln seine Zuflucht nehmen und nicht Eisenbahnen und Staatsgebäude zerstören, sondern stetige Maßregeln energischer Abwehr für seine Brüder in Mazedonien ergreifen werde. Es erklärt, daß kein an einem Griechen verübtes Verbrechen unbestraft bleiben werde.

Jeder Grieche, der in diesem Kampfe apathisch und den gebotenen Abwehrmaßregeln ge­genüber gleichgültig bleibt, ist nicht werth, daß er lebt.35

Wie aus diesem Aufruf ersichtlich, war die griechische Bandentätigkeit in Makedonien nicht als eine gegen die osmanische Herrschaft gerichtete Befreiungsbewegung ge­dacht. Vielmehr war Generalkonsul Koromilas in Saloniki davon überzeugt, daß die Griechen ihre Gegner nur im Bündnis mit den Osmanen würden besiegen können. Er legte daher großen Wert darauf, daß die griechischen Banden den Behörden möglichst keine Schwierigkeiten machten und sich gegenüber dem türkischen Teil der Bevölke­rung höchst freundschaftlich verhielten.36 Der Generalkonsul selbst zählte den Gou­verneur von Saloniki, Hasan Fehmi Pasa, und eine Reilie von höheren Offizieren des III. Armeekorps zu seinen persönlichen Freunden.37 Der Lohn dieser Verbundenheit mit der osmanischen Macht war, daß die Behörden „eine an Connivenz streifende Nachlässigkeit" gegenüber der griechischen Bandentätigkeit zeigten.38 So wurden der griechische Generalstabsoffizier Kolokotronis und ein ehemaliger Bandenführer aus Kreta, Manos, die im Frühjahr 1904 in Südmakedonien festgenommen worden waren, sofort wieder freigelassen, nachdem sich herausgestellt hatte, daß sie für die griechi­sche Seite arbeiteten.39

Die Übernahme des bulgarisch-nationalistischen Standpunktes in der Makedonischen Frage durch die Innere Organisation erleichterte es auch den Serben, ihre Propagan­datätigkeit in Makedonien nunmehr auf der Ebene der bewaffneten Auseinanderset­zung fortzuführen. In einem Erlaß Panic's vom Juni 1904 an die diplomatischen Ver­treter Serbiens wurde die neue Politik dargelegt:

Daß wir unsere Stammesgenossen vor den schädlichen Folgen des Exclusivismus der pat-riarchistischen Organe in Schutz nehmen,die sich . . .zum Schaden der nichtgriechischen Angehörigen des Patriarchats in den Dienst des Hellenismus stellen. Daß wir die Tätigkeit der exarchistischen Agenten bekämpfen, die in einigen Comités Waffe zur Bekämpfung unserer Bewegung in jenen Gebieten fanden, die für uns eine emi­nente Bedeutung besitzen: Porec, Kicevo, Drimkol, Dibra, Köprülü. . .40

Schon im Februar 1904 wurde aus Makedonien berichtet, daß die serbische Propa­ganda in der Kaza Kicevo „infolge erhöhten Umlaufes serbischen Geldes" große Fort-

35 Anlage zum Bericht der deutschen Gesandtschaft Athen vom 20. Juni 1904, a.a.O. 36 Dakin, The Greek Struggle . . . , S. 200. 37 Vgl. ebd., S. 210-212. 38 Vizekonsul Prochaska an Goluchowski, Monastir, 2. Dezember 1904, Nr. 77, HHStA, PA

XXXVII1/394. 39 Ratibor an Bülow, Athen, 1. April 1904, Nr. 67, vertraulich, PAAA, Türkei 156, Bd. 95,

A. 5974. Vgl. auch den Bericht Krals, Monastir, 16. April 1904, Nr. 31, HHStA, PA XXXV11I/394.

40 Para an Goluchowski, Üsküb, 23. Juni 1904, Nr. 108, strenggeheim,HHStA, PA XXXVII1/ 435.

208 Die politischen Verhältnisse nach dem Jlinden-Aufstand

schritte mache. Zehn Dörfer seien „serbisch geworden", acht Lehrer und sechs Prie­ster seien neu angestellt worden. Die Abkehr von vierzehn weiteren Dörfern von der bulgarischen Partei sei zu erwarten.41 Ende Mai vernichteten die osmanischen Trup­pen bei Kumanovo eine aus 24 Mann bestehende serbische öeta,wobeiem „Regle­ment der serbischen Comite'-Banden" in die Hände der Behörden fiel.42 Einige Be­stimmungen dieses Dokuments lauteten:

3. Zweck: Jene Serben, welche sich der bulgarischen Propaganda angeschlossen hatten, durch Hinweis auf die Größe und Zukunft der serbischen Nation wieder zurückzuge­winnen und von den Bulgaren zu trennen.

6. Werden die (Banden-)Mitglieder von Truppen, Beamten, Bevölkerung verfolgt, sollen sie sich mit Waffen verteidigen, sonst aber haben sie [sich] jeder feindseligen Handlung gegen dieselben zu enthalten.

9. Gewalttäter und Feinde der serbischen Sache sind zu vernichten. 10. Auch Bulgaren, welche die serbische Sache bekämpfen, sind zu beseitigen.43

Diese Vorschriften machen deutlich, daß wie die griechische auch die serbische Pro­paganda danach strebte, in möglichst gutem Einvernehmen mit osmanischen Behör­den die Vorrangstellung des Bulgarentums in Makedonien zu unterminieren. Diese Lage der Dinge, die primär als eine Folge divergierender Interessen bürgerlich­nationalistischer Balkanstaaten zu Beginn dieses Jahrhunderts anzusehen ist, konnte der regierenden Schicht im Osmanischen Reich natürlich nur genehm sein. Die Pfor­te versuchte beispielsweise, auf Empfehlung Fethi Pasas, des Gesandten in Belgrad, die Tatsache zu verheimlichen, daß in Makedonien serbische Banden tätig waren. Damit sollte eine Bloßstellung der Belgrader Regierung vor Europa vermieden werden;44

denn die europäische, insbesondere die englische Öffentlichkeit war damals noch nicht bereit einzusehen, daß die Makedonische Frage sich nicht auf einen einfachen Fall der muslimischen Unterdrückung der Christen reduzieren ließ. Während die eng­lische Regierung seit dem Ausbruch des russisch-japanischen Krieges (9. Februar 1904) aus offensichtlich machtpolitischen Gründen versuchte, die Mürzsteger Refor­men zu torpedieren,45 indem sie mehr Mitspracherecht für England, Frankreich und Italien in der Makedonischen Frage verlangte,46 waren die liberalen Kreise Englands

41 Kral an Goluchowski, Monastir, 20. Februar 1904, Nr. 18, HHStA, PA XXXVIII/394. 42 Para an Goluchowski, Üsküb, Chiffretelegramm vom 4. Juni 1904, Nr. 31, HHStA, PA

XXXVIH/435. 43 Beilage zum Bericht Paras, Üsküb, 16. Juni 1904, Nr. 101, HHStA, PA XXXVIII/435. 44 Vgl. den Bericht aus Belgrad, 7. Juli 1904, Nr. 78, PAAA, Türkei 156, Bd. 99, A. 11313.

Pära berichtete, daß die osmanischen Behörden nach jedem Gefecht mit serbischen Banden behaupten würden, es habe sich um eine bulgarische Bande gehandelt. Üsküb, 12. Juli 1904, in Zografski, IzveStai.. . , S. 230-231.

45 Der englische Botschafter in Konstantinopel, O'Conor, war in diesen Tagen bei den make­donischen Führern in Sofia sehr populär, weil er offen das Scheitern der Reformaktion herbeiwünschte. Siehe Neues Wiener Tagblatt vom 23. März 1904.

46 Lansdowne erklärte dem französischen Botschafter im Februar, daß die englische öffent­liche Meinung bei einem Kriegsausbruch auf dem Balkan nicht zulassen würde, daß die Ma-

Die Situation der Inneren Organisation 209

eher bemüht, diese Frage in einer Kreuzzugsatmosphäre gelöst zu sehen. Von daher dürften die Machthaber in Istanbul mit einer gewissen Schadenfreude be­obachtet haben,daßmanin Europa ab dem Jahre 1904 zunehmend einsehen mußte, daß die Lage in Makedonien äußerst verworren war. Ein Bericht des deutschen Bot­schafters Marschall aus dem Frühjahr 1904 läßt sich in diesem Zusammenhang wie eine Zurechtweisung der öffentlichen Meinung Europas lesen:

Man muß zum mindesten wissen, daß das Meiste, was die europäische Presse über Maze­donien bringt, falsch ist. daß es dort keine „Mazedonier" gibt, sondern Türken, Albanesen, Serben, Griechen, Pomaken, Kutzowalachen, exarchistische und patriarchistische Bulga­ren und daß der gegenseitige Haß der dortigen Christen verschiedener Nationalität ein weit stärkerer Faktor der Unordnung ist, als der Gegensatz zwischen Christentum und Is­lam4 8

Der englische Adjoint bei der makedonischen Reform-Gendarmerie, Oberst Fairhol­me, schloß sich dieser Auffassung an, als er feststellte, „daß die Wurzel des mazedo­nischen Übels weder in der schlechten türkischen Verwaltung noch in dem Gegensatz zwischen Christen und Muhammedanern liege, sondern in den Rassenkämpfen der christlichen Nationalitäten . . . "4 9 Auch Freiherr von Calice, der damals, wie weiter unten näher erläutert werden soll, einer Besetzung Makedoniens durch Österreich-Ungarn zu „Pazifizierungszwecken" nicht ungeneigt gewesen sein mochte, berichte­te, daß im Vilayet Monastir blutige Kämpfe zwischen den Bulgaren, Griechen und Serben stattfänden, wobei er allerdings hervorhob, daß die osmanischen Truppen in solche Kämpfe immer zu spät eingreifen würden. Es habe den Anschein, „als ob die­ser Lässigkeit der Gedanke zu Grunde liegen würde, die sich befehdenden christlichen Stämme jenes Gebietes bis zur Erschöpfung gewähren zu lassen."50 Tatsächlich for­derten in einem Promemoria vom 8. Dezember 1904 die Botschafter Österreich-Un­garns und Rußlands die Pforte auf, gegen die Banden in Makedonien energischer vor­zugehen,51 woraufhin letztere antwortete, daß die Großmächte in diesem Sinne zu­erst in Sofia, Athen und Belgrad intervenieren sollten.52

kedonische Frage zwischen Österreich-Ungarn und Rußland allein geregelt werde. England, Frankreich und Italien sollten zu einer Verständigung über ihr gemeinsames Vorgehen in diesem Falle kommen. Vgl. Monger. Ursachen und Entstehung der englisch-framösisch-rus-sischen Entente, S. 195; Damjanov, „La diplomatie française et les réformes en Turquie d'Europe (1903-1908)", S. 351-352.

47 Vor einer Versammlung des „Internationalen Vereins für die orientalische Frage", an der mehrere Delegierte aus Frankreich und England teilnahmen, erklärte der der Liberalen Par­tei nahestehende Bischof von Hereford, „es müsse gegen die Türkei ein ,Kreuzzug' unter­nommen werden." Hamburgischer Correspondent vom 6- Juli 1904.

48 Pera, 20. April 1904, Nr. 41, PAAA, Türkei 156, Bd. 96, A. 7041. 49 Bericht Marschalls, Pera, 19. Dezember 1904, Nr. 199, PAAA, Türkei 156, Bd. 104, A.

20012. (Hervorhebung im Original.) 50 Calice an Goluchowski, 19. Oktober 1904, Nr. 49 C, HHStA, PA XU/186. 51 Constantinopel, 7. December 1904, Nr. 57 C, HHStA, PA XII/186. 52 Constantinopel, 14. December 1904, Nr. 58 D, HHStA, PA XII/186.

210 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

2. DER RUSSISCH-JAPANISCHE KRIEG UND SEINE AUSWIRKUNGEN AUF DIE MAKEDONISCHE FRAGE

Das herausragende Ereignis der Jahre 1904 und 1905 fur die Makedonische Frage war der Ausbruch des russisch-japanischen Krieges im Februar 1904, der im Frühjahr 1905 mit der Niederlage Rußlands endete. Dadurch wurde der seit 1897 wirksamen Verständigung zwischen Österreich-Ungarn und Rußland in allen Balkanangelegen­heiten, die ein Resultat des relativen Kräftegleichgewichts zwischen den beiden Staa­ten war, die Grundlage entzogen. Infolgedessen befanden sich nun sowohl das Osmani-sche Reich wie auch die anderen Balkanstaaten in der Situation, ständig befürchten zu müssen, daß die Doppelmonarchie einen militärischen Vorstoß in Richtung Salo­niki unternehmen könnte. Die Wiener Regierung zeigte sich unmittelbar nach dem Ausbruch des ostasiatischen Krieges bestrebt, die Gunst der Stunde zu nutzen, indem sie versuchte, die Durchfüh­rung des Mürzsteger Reformprogramms, insbesondere was den Umfang des Reform­gebietes anlangte, ihren Interessen entsprechend zu beeinflussen: Der österreichisch­ungarische Delegierte bei der europäischen Militärkommission in Istanbul, die zur Erarbeitung eines Reglements für die makedonische Gendarmerie ab 8. Februar 1904 zusammentrat, erhob die Forderung, daß diese Reform in den westlichen Teilen der Vilayets Kosovo und Monastir53 nicht angewandt werden sollte.54 Der östliche Teil des Vilayets Kosovo (Kaöanik, Kumanovo, Kratovo, Palanka, Usküb) könne zwar in das Reformgebiet aufgenommen werden, aber nur unter der Bedingung, daß die Re­formierung der dortigen Gendarmerie ausschließlich österreichisch-ungarischen Offi­zieren übertragen werde. Mit der Ausklammerung der von Albanern und Serben ge­meinsam bewohnten Teile des Vilayets Kosovo aus dem Reformgebiet sowie mit der Übernahme der Leitung des Reformwerkes im östlichen Kosovo bezweckte die Dop­pelmonarchie, wie aus dem folgenden ersichtlich werden wird,

a) Serbien von Montenegro und Bulgarien zu isolieren, b) den Weg für die eigene imperialistische Ausdehnung in südöstlicher Richtung

freizuhalten. Wie Freiherr von Holstein vom deutschen Auswärtigen Amt in einer Aufzeichnung vom 8. Mai 1904 bemerkte, könnte sogar die „österreichisch-ungarische Monarchie... recht wohl zu der Ansicht gekommen sein, daß der japanische Krieg die längst herbei­gewünschte Gelegenheit bietet, um die Balkanfrage gegen Rußland endgültig zu regu­lieren . . ."5S

Serbien war aber nicht bereit, die Mißachtung seiner Interessen in Kosovo (Altserbien) durch Österreich-Ungarn ohne weiteres hinzunehmen. Es rechnete dabei auf die Un­terstützung Rußlands. Das Belgrader Ministerium des Äußeren erteilte am 16. Feb­ruar dem serbischen Gesandten in Istanbul die Weisung, sich beim russischen Botschaf -

53 D.h. in den Sancaks Korça (mit Ausnahme der Kaza Kastoria), Debar, Prizren, Pristina. Tashca (Plevlje),Yenipazar (Novi Pazar) und ipek (PecS).

54 Hierzu u.z. folg. vgl. Vucinich, Serbia between East and West, S. 127 ff.; Popov, a.a.O., S. 72-74.

55 GP, Bd. 22, Nr. 7433.

Der russisch-japanische Krieg und seine Auswirkungen 211

ter Zinov'ev mit Nachdruck dahingehend zu verwenden, daß die Sancaks Priätina, Prizren, Ipek und Plevlje in den Reformplan einbezogen blieben. Außerdem sollten mit der Aufgabe der Reformierung der Gendarmerie im Vilayet Kosovo nicht öster­reichische, sondern russische Offiziere betraut werden.56 In einer weiteren Instruk­tion an die serbische Gesandtschaft in Istanbul (vom 20. Februar 1904, a.S.) wurde der serbische Standpunkt näher erläutert und erneut bekräftigt:

Bei der Durchführung der Reform-Action, die ein Ergebnis der Mürzsteger Vereinbarungen ist, sei allen Teilen des Vilajets die gleiche Aufmerksamkeit zuzuwenden ; falls die Gendar­merie-Reorganisation im Vilajete Kossovo nicht russischen Officieren übertragen werden kann, so soll sie um keinen Preis den österreichischen, sondern Offizieren neutraler Staa­ten, in erster Linie Frankreichs oder Italiens anvertraut werden. .. "

Es war der geschwächten Position Rußlands zuzuschreiben - verursacht durch die ungünstigen Nachrichten über den Verlauf des Krieges im Fernen Osten —, daß Graf Lamzdorf sich Ende Februar gezwungen sah, den Forderungen Österreich-Ungarns nachzugeben,58 und dies trotz der Tatsache, daß er am 12. und noch einmal am 25. Februar Serbien die Zusicherung gegeben hatte, daß die Reformen im gesamten Vi­layet Kosovo durchgeführt werden würden.59 Andererseits kam zu dieser Zeit der österreichischen Politik auch der Umstand zugute, daß die Albaner von Kosovo (Dja-kova) in einen Aufstand getreten waren, um die Einführung von Reformen in ihrem Gebiet zu verhindern.60 Dies führte letztlich dazu, daß die beiden Reformmächte am 29. Februar 1904 der osmanischen Regierung eine Note überreichten, in der sie ihren Entschluß kundtaten, daß die westlichen Sancaks der Vilayets Kosovo und Monastir vorläufig außerhalb des Reformgebietes bleiben sollten.61

Die osmanische Regierung, die den albanischen Aufruhr in Kosovo der Aktivität öster­reichischer Agenten zuschrieb,62 war der Ansicht, daß die Reformen nicht in belie­big ausgewählten Gebieten, sondern grundsätzlich in allen Vilayets angewandt wer­den müßten. Nachdem sie die albanische Protestaktion in Djakova blutig unterdrückt hatte,63 teilte sie diese ihre Meinung am 17. März 1904 den Reformmächten förm-

56 Chiffretelegramm Paras an Goluchowski, Üsküb, 24. Februar 1904, Nr. 14, streng geheim, HHStA, PA XXXVIII/435.

57 Beilage zum Bericht Paras an Goluchowski, Üsküb, 22. März 1904, Nr. 44, streng geheim, HHStA, PA'XXXVIII/435.

58 Vucinich, a.a.O., S. 127. 59 Vgl. ebd., S. 127-128. 60 Calice an Goluchowski, 17. Feber 1904, Nr. 8 C, HHStA, PA Xll/185. 61 Vgl. Vucinich, a.a.O., S. 129. Das verbliebene Reformgebiet wurde schließlich wie folgt

unter den Reformmächten aufgeteilt: Österreich-Ungarn erhielt, wie gefordert, Üsküb, Rußland Saloniki, Italien Monastir, Frankreich Seres und England Drama. Siehe die Anlage zum Bericht, Pera, 6. April 1904, Nr. 36, PAAA, Türkei 156, Bd. 95, A. 5996.

62 Vgl. Telegramm Paras, Üsküb, 18. Februar 1904, Nr. 12, HHStA, PA XXXVIII/435. Außer­dem ging in jenen Tagen das Gerücht um, daß Österreich-Ungarn seine Armee mobilisiert habe, um in Makedonien zu intervenieren. Siehe den Bericht Calices, Constantinopel, 9. März 1904, Nr. 12 A-H, geheim, HHStA, PA XII/185.

63 Nach einer Mitteilung des Großwesirs gab es 30 Tote und über 400 Verwundete. Siehe den Tel.-Bericht Calices vom 18. Feburar 1904, Nr. 31, HHStA, PA XII/185, und das Chiffre­telegramm Paras, Üsküb, 21. Februar 1904, Nr. 13, HHStA, PA XXXVIII/435.

212 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

lieh mit.64 Da die Pforte in jenen Tagen außerdem noch bemüht war, zusammen mit Bulgarien und Serbien eine defensive Allianz gegen Österreich-Ungarn zustande zu bringen, erregte sie den Zorn des Grafen Goluchowski, der in einer ungewöhnlich scharfen Rede vor der österreichischen Delegation am 16. Mai 1904 der osmanischen Regierung vorwarf, der Anwendung des Mürzsteger Programms ständig Hindernisse in den Weg legen zu wollen. Goluchowski sagte u.a.:

Man kann in Konstantinopel sich keiner Täuschung mehr darüber hingeben, daß durch die gewohnten Winkelzüge keine Einschränkung unserer Postulate zu erzielen ist. Wir werden nicht eher ruhen, als bis das [Mürzsteger) Programm in allen Details in das Leben gerufen und das Funktionieren aller Institutionen gewährleistet ist. Geht die Pforte uns dabei nicht loyal zur Hand, so muß sie sich die Fortdauer unserer direkten Intervention sowie die ern­sten Gefahren selbst zuschreiben, denen sie sich aussetzen müßte, wenn sie durch die Befol­gung der selbstmörderischen Taktik denen Recht gäbe, welche sie für unverbesserlich hal­ten und eine viel eingreifendere Operation an ihr vornehmen möchten, als es durch die Aus­führung des Mürzsteger Programms geschieht, welche ihre Integrität vollständig schont.65

Die rege Aktivität österreichischer Agenten im Vilayet Kosovo, die dazu geeignet war, die dortigen Volksstämme gegeneinander aufzuhetzen, dauerte den Sommer 1904 hindurch an und führte im September zu einem Aufstand der Lumesen,66 die aus Protest gegen die Reformen die Stadt Prizren besetzten. Die osmanische Regie­rung vermutete, daß die Doppelmonarchie auch bei dieser Aktion nicht unbeteiligt war. Dies kommt in einem Bericht Calices zum Ausdruck:

Ich kann mich hiebei nicht des Eindrucks enthalten, daß die von unseren Consuln für Informationszwecke benutzten Beziehungen zu verschiedenen Kreisen der Bevölkerung von dem außerordentlich entwickelten Spionagesystem, welches unter oberster Leitung des Palais überall thätig ist, falsch ausgelegt werden.67

Es gab aber auch Zeitgenossen, die die Beziehungen österreichischer Konsuln zu Al­banern im Vilayet Kosovo ähnlich wie die Pforte interpretierten. Der deutsche Di­rektor einer Fabrik in der serbischen Grenzstadt Vranja, ein gewisser Herr Mosel, der die Verhältnisse in jenem Gebiet gut kannte, gab gegenüber dem deutschen Ge­sandten in Belgrad „seiner Überzeugung Ausdruck, daß die Agitation im Vilajet Kos-sowo unablässig von österreichischer Seite geschürt wird, um das Land nicht zur Ruhe kommen zu lassen und jederzeit einen Vorwand zum Einmarsch zur Hand zu haben. Österreichische Agenten verteilen Waffen und Geld unter den Arnauten . . . und hetzen bald diese, bald die Bulgaren gegen die Serben auf. . ."68

Bezugnehmend auf die Berichte österreichischer Konsuln in Kosovo, teilte jedoch Calice Anfang November 1904 dem Grafen Goluchowski mit, daß es im Gegenteil

64 Vgl. Vucinich, a.a.O., S. 130. 65 Schulthess 20 (1904), S. 191. 66 Die Lumesen, die ausschließlich muslimische Bevölkerung des Gebiets von Ljuma in Nord­

albanien, galten als besonders behördenfeindlich. Sie zahlten weder Steuern noch stellten sie Rekruten. Sie waren als Räuber berüchtigt. Vgl, Bartl, Die albanischen Muslime . . . , S. 59.

67 Yeniköj, 21. September 1904, Nr. 45 D, HHStA, PA XII/185. 68 Belgrad, 22. Oktober 1904, Nr. 152, PAAA, Türkei 156, Bd. 102, A. 16894.

Der russisch-japanische Krieg und seine Auswirkungen 213

die Serben und Montenegriner waren, die in Kosovo die Bevölkerung, und zwar die christliche, für einen Aufstand vorbereiteten. Fragend fügte er hinzu:

Die Türken aber . . . , blind für alles, was die Serben und Montenegriner . . . anstellen, schauen wie hypnotisiert auf die bosnische Grenze hin, von wo nach ihrer Meinung allein die Gefahr droht. . . Wäre es da nicht gerechtfertigt, die Einen und die Anderen daran zu erinnern, daß wir ein vertragsmäßiges Besatzungsrecht in dem gesammten, ehemals zu Bosnien gehörigen Sand­jak von Novibazar besitzen?"

Eine „Vertrauliche Studie über die Wirkung auf das Gleichgewicht der mazedonischen Nationalitäten" aus dem Jahre 1907 gibt uns Aufschluß über die Grundzüge der Re­formpolitik Österreich-Ungarns in Makedonien.70 Diese Studie stellte zunächst fest, daß im nördlichen Teil des Vilayets Kosovo Albaner und Serben zahlenmäßig etwa gleich stark waren. Allerdings befände sich die albanische Bevölkerung in einem halb­wilden Zustand, während das kulturelle Niveau der Serben sich ständig erhöhe. Der Tag sei vorauszusehen, an dem sich die Serben zur dominierenden Völkergruppe in jenem Gebiet entwickelt haben würden. Es sei traurig, jedoch vom Interessenstand­punkt Österreich-Ungarns aus notwendig, daß die Serben daran gehindert würden, diese unvermeidliche Vorrangstellung in absehbarer Zeit zu erreichen. „Es ist daher nur eine Folge der von den Serben eingenommenen Haltung, wenn man den Satz aufstellen muß, daß ein rascheres Tempo der Reformaktion in Altserbien, welches den Serben zu Ungunsten der Arnauten zugute käme, vorläufig nicht im Interesse der Monarchie gelegen ist, daß es vielmehr geboten erscheint, selbes womöglich . . . zu verzögern . . ." In Bezug auf das damalige Verhältnis zwischen Serben und Bulgaren in Kosovo meint diese vertrauliche österreichische Studie, daß es aus einer ganzen Reihe von Gründen ausgeschlossen sei, daß eine Annäherurig zwischen diesen Volks­gruppen stattfinden werde, nicht zuletzt aus dem Grunde, „daß es auf serbischer wie bulgarischer Seite eine ganze Klasse von Leuten (Geistliche, Lehrer, Bandenchefs und -Mitglieder) gibt, welche von der politischen Rivalität der beiden Nationalitäten le­ben, für die das Aufhören derselben den Verlust ihres Unterhaltes bedeuten würde und die daher auch diesbezüglichen Befehlen aus Belgrad oder Sofia nicht so leicht gehorchen dürften.. ." In Bezug auf die Frage, „ob bei Fortdauer der Rivalität ein schließlicher Triumph der Serben oder Bulgaren vor unserem Gesichtspunkte den Vorzug verdient, so wäre es trotz der zweifellos sympathischeren Haltung der Bulga­ren vielleicht doch nicht wünschenswert, daß letztere auf der ganzen Linie die Ober­hand gewinnen, da hiedurch ein zu einheitlicher Zusammenhalt des einheimischen

69 Jeniköj, 2. November 1904, Nr. 51 D, HHStA, PA XII/186. Wie aus den Memoiren des Feldmarschalls Conrad ersichtlich, gab es damals in Österreich gewichtige Stimmen, die eine Besetzung nicht nur des SancaksYenipazar, sondern auch des Königreichs Serbien gern gesehen hätten. Von seiner Jugend an ersah Conrad als einzig gedeihliches Ziel für die Bal­kanpolitik der Doppelmonarchie „den Zusammenschluß aller Südslawen im Rahmen Öster­reich-Ungarns, den Anschluß Serbiens inbegriffen." Aus meiner Dienstzeit 1906-1918, Bd. 1. Wien 1925,5.59.

70 Beilage zum Bericht des österreichisch-ungarischen Zivilagenten in Makedonien, Saloniki, 31. Oktober 1907, Nr. 104, vertraulich, HHStA, PA XXX1X/4.

214 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

Elementes auf jenem Gebiete käme, welches die gegenwärtigen und künftigen Haupt­kommunikationslinien von der Monarchie nach dem Ägäischen Meere zu durchkreu­zen haben. . ." Aus dem bisher dargelegten dürfte klar geworden sein, daß den diplomatischen Ver­tretern der Doppelmonarchie zu jener Zeit daran gelegen war, die ethnisch-religiösen Gegensätze in Makedonien fortdauern zu lassen. Das Ziel, das damit verfolgt wurde, nämlich Makedonien eines Tages politisch zu beherrschen, würde jedoch noch leich­ter zu erreichen sein, wenn es gelänge, innerhalb der makedonischen Befreiungs­bewegung Verbündete zu finden, die den Weg für eine Intervention Österreich-Ungarns vorbereiten könnten. Wie bereits erwähnt, hatte die Innere Organisation vor dem Ilinden-Aufstand die Besetzung Makedoniens durch Österreich-Ungarn befürwortet, nach dem Ilinden-Aufstand jedoch war sie von dieser Meinung zeit­weilig abgekommen. Denn nicht nur das erhoffte militärische Eingreifen der Groß­mächte war ausgeblieben, diese trugen durch ihr Mürzsteger Programm sogar noch dazu bei, den Nationalitätenkampf in Makedonien zu verschärfen. Daher neigte im Jahre 1904 die Führung der Inneren Organisation, besonders Gruev und ToSev im Revolutionsbezirk Monastir, dazu, sich wieder stärker an Bulgarien anzulehnen. Bulgarien aber, wie auch Serbien, verhielt sich während des ostasiatischen Krieges Rußland gegenüber loyal.71 Unmittelbar nach Kriegsausbruch ließ Graf Lamzdorf die Regierung in Sofia wissen, daß Rußland jeden Versuch Bulgariens, einen Aufstand in Makedonien von neuem anzufachen, als einen unfreundlichen Akt betrachten wür­de.72 Die bulgarischen Handelsagenten in Makedonien unterrichteten daraufhin die Führer der nationalen Bewegung dahingehend, daß man in Bulgarien vorerst keiner­lei aufrührerische Aktionen in Makedonien wünsche.73 Auch D. Gruev ließ nun dem russischen Generalkonsul Giers in Saloniki die Versicherung zukommen, daß seine Organisation aus Rücksicht auf Rußland im Frühjahr 1904 keine größeren Operatio­nen einleiten würde,74

Die Vertreter der Doppelmonarchie in Makedonien ließen in dieser für sie günstigen Phase der Entwicklung auf dem Balkan nichts unversucht, die makedonische Bewe­gung als Vehikel für ihre Ziele zu gebrauchen. A. Tosev, der bulgarische Handelsagent in Saloniki, berichtete im Februar 1904, daß Österreich-Ungarn diejenige Großmacht sei, die Aufstände und Massaker in Makedonien wünsche. In diesem Zusammenhang müsse besonders auf den Konsul in Monastir, A. Kral, hingewiesen werden. Seit dem Ausbruch des russisch-japanischen Krieges habe dieser Diplomat wiederholt versucht, die Bulgaren zu einem erneuten Aufstand aufzuwiegeln.75 Die engen Beziehungen

71 Siehe den Privatbrief Calices an Goluchowski, Constantinopel, 24. Februar 1904, HHStA, PA XII/186. Anläßlich des Krieges in Ostasien fanden in Serbien Sympathiekundgebungen für Rußland und Demonstrationen gegen Österreich statt. Siehe Eckhardt an Biilow, Bel­grad, 25. Februar 1904, Nr. 26, PAAA, Türkei 156, Bd. 91, A. 3393.

72 Pester Lloyd vom 15. Februar 1904. 73 Zivilagent, von Müller an Goluchowski, Salonik, 23. Februar 1904, Nr. 7, geheim, HHStA,

PA XXXIX/2. 74 Ebd. 75 Vgl. Siljanov, a.a.O., Bd. 2, S. 95. Sogar Freiherr von Calice zeigte seine Empörung über

das Verhalten des Konsuls Kral in einem Bericht offen: Yeniköy, 24. August 1904,Nr. 41 J, geheim, HHStA, PA XII/185.

Der russisch-japanische Krieg und seine Auswirkungen 215

Krals zu den Führern der revolutionären Bewegung in Monastir, insbesondere zu Damjan Gruev, waren damals in diplomatischen Kreisen allgemein bekannt. Über den engen Kontakt österreichischer Stellen zu Boris Sarafov76 schließlich äußerte sich der Ministerpräsident Bulgariens dahingehend, daß er guten Grund zu der An­nahme habe, daß dieser im Solde österreichischer Agenten stehe, und daß man in Wien die augenblickliche Verwicklung Rußlands im Fernen Osten benutzen wolle, „pour faire troubler les eaux en Macédoine par des agents provocateurs."77

Die Bemühungen Bulgariens und Serbiens im Jahre 1904, eine gegenseitige Annähe­rung in Bezug auf die Makedonische Frage zu erzielen,78 entsprangen denn auch der Furcht, daß Österreich-Ungarn der Versuchung unterliegen könnte, den status quo auf dem Balkan zu seinen Gunsten zu ändern.79 Die Regierungsvertreter dieser slawi­schen Staaten, die davon ausgingen, daß die Balkanhalbinsel den Balkanvölkern ge­hören sollte, unterzeichneten am 30. März einen Bündnisvertrag, der sich gegen die Doppelmonarchie richtete.80 Nach Art. VII dieses Geheimabkommens verpflichte­ten sich Fürst Ferdinand und König Peter dazu, sich bei künftigen Streitigkeiten dem Schiedsspruch des russischen Zaren zu unterwerfen. Ihr Treffen am l.Mai 1904 in Nis", das die Bedeutung ihrer neuen Freundschaft unterstrich, schien Freiherrn Mar­schall von Bieberstein, „auf rusisschen Einfluß zurückzuführen zu sein und eine Art Rückversicherung darzustellen, die sich Rußland gegenüber Österreich-Ungarn ge­schaffen hat."81

Auch das bulgarisch-osmanische Abkommen,das am 9„April 1904 in Istanbul unter­zeichnet wurde, kam unter dem Eindruck des russisch-japanischen Krieges zustande. Die Verhandlungen zwischen diesen beiden Ländern, die kurz vorher am Rande ei­nes Krieges miteinander gestanden hatten, begannen im Februar und wurden von NaCoviC und Tahsin Pasa, dem ersten Sekretär des Sultans, geführt.82 Der Text des Vertragsentwurfes, den Naüovic' Anfang März dem deutschen Botschafter zeigte, sah unter Punkt 4 eine geheime Militärkonvention vor. Botschafter Marschall bemerkte dazu: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser wichtigste Punkt mit Zustimmung, wahrscheinlich sogar auf Anregung Rußlands aufgenommen worden ist."83 Obwohl

76 M. Gerdzikov, der Anfang 1904 zusammen mit Sarafov Wien besuchte, macht in seinen Memoiren die Andeutung, daß Sarafov damals auch Grafen Goluchowski getroffen hat. Vgl. VMakedonija i Odrimko . . . , S. 86-87.

77 Below an Bülow, Sofia, 24. Juli 1904, PAAA, Türkei 156, Bd. 100, A. 12228. 78 Siehe hierzu K. D2ambazovski, „Vlijanieto na Ilinden vrz srpsko-bulgarskite odnosi" [Der

Einfluß des Ilinden-Aufstandes auf die serbisch-bulgarischen Beziehungen], in: Ilinden 1903, S. 125-136.

79 In The Times vom 16. September 1904 stand zu lesen: „Austrian action is regarded with gravest suspicion in Balkan countries, and the recent improvement in the relations between Bulgaria and Servia may be traced to a common fear of Austrian designs."

80 Text des serbisch-bulgarischen Bündnisvertrages bei Siljanov, a.a.O., Bd. 2, S. 321-323. Eine deutsche Übersetzung findet sich in: Dokumente aus den russischen Geheimarchi­ven...^. 18-19.

81 Therapia, 18. Mai 1904, PAAA, Türkei 156, Bd. 97, A. 8408. 82 Siehe die Berichte Calices, Constantinopel, 10. Februar 1904, Nr. 7 D, und 6. April 1904,

Nr. 16 F, HHStA, PA XII/185. 83 Telegramm Marschalls, Pera, 2. März 1904, Nr. 84, PAAA, Türkei 156, Bd. 92, A. 3691.

216 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

der Sultan bereit war, den Vorschlag der Bulgaren anzunehmen, riet die Pforte vom Abschluß einer geheimen Militärkonvention mit der Begründung ab, daß eine solche Abmachung zwischen einem souveränen Herrscher und seinem Vasallen unangebracht sei.84 Das bulgarisch-osmanische Abkommen bestand dann im wesentlichen aus fol­genden Punkten:

a) Bulgarien verpflichtete sich, die Bildung von revolutionären Komitees und bewaffne­ten Banden auf seinem Territorium zu verbieten.

b) .Als Gegenleistung dafür versicherte die osmanische Regierung, alle bereits angekündig­ten Reformen für Makedonien durchzuführen sowie

c) eine allgemeine Amnestie für politische Vergehen zu erlassen.85

Obwohl die oppositionelle Presse in Bulgarien die Regierung wegen des mit der Pforte abgeschlossenen Abkommens scharf kritisierte,86 bedeutete dieser Vertrag einen gro­ßen Erfolg für die bulgarische Diplomatie .87 Nov vek, das Organ der regierenden stam-bolovistischen Partei, hob als besonderen Verdienst der Regierung hervor, daß damit die Kriegsgefahr abgewendet worden sei.88 Ähnlich positiv wurde das Abkommen von der exarchistischen Bevölkerung in Makedonien begrüßt. Der deutsche General­konsul in Saloniki berichtete:

Was weder den Reformen vom Februar v.J. noch bisher dem Mürzsteger Programm gelun­gen ist, nämlich die Bulgaren in Mazedonien zufrieden zu stellen, hat mit einem Schlage die Veröffentlichung des türkisch-bulgarischen Abkommens bewirkt.85

Insbesondere über die Gewährung der allgemeinen Amnestie, die am 13. April ver­kündet wurde,90 herrschte stürmische Freude.91 Auch einige Führer des Ilinden-Auf-standes, wie Gruev, LozanCev und Sugarev, ließen nun durch die Zivilagenten ihre Unterwerfung anbieten und erhielten die Zusicherung Hilmi Pasas, das ihnen eben­falls Amnestie gewährt werden würde.92 Die Zahl der politischen Straftäter, die bis zum 9. Mai 1904 freigelassen wurden, belief sich in den drei Vilayets auf 1.640.93

84 Calice an Goluchowski, Constantinopel, 27. April 1904, Nr. 20 C, HHStA, PA XII/185. 85 Vgl. Schulthess 20 (1904), S. 304-305. 86 Siehe die diesbezüglichen Kommentare bulgarischer Zeitungen in der Anlage zum Bericht

aus Sofia, 19. April 1904, Nr. 101, PAAA, Türkei 156, Bd. 96, A. 7037. Das Organ des Oberen Makedonischen Komitees, Reformi, tadelte beispielsweise: „Die bulgarische Regie­rung gibt sowohl vor Europa wie vor der Türkei indirekt zu, daß das Schwergewicht der ma­zedonischen Bewegung nicht in Mazedonien selbst sondern innerhalb der Grenzen des Für­stentums liege . . ,"

87 Vgl. den Bericht des Grafen Forgach, Sofia, 14. April 1904, Nr. 17 A - B , HHStA, PA XV/ 58.

88 „Das türkisch-bulgarische Abkommen vom Gesichtspunkte unserer nationalen inneren und äußeren Politik", Übersetzung aus Nov vek vom 26. April/9. Mai 1904, in der Anlage zum Bericht aus Sofia, 13. Mai 1904, Nr. 113, PAAA, Türkei 156, Bd. 97, A. 8257.

89 Versen an Bülow, Nr. 28, 19. April 1904, PAAA, Türkei 156, Bd. 96, A. 7045. 90 Kral an Goluchowski, Monastir, 26. April 1904, Nr. 36, HHStA, PA XXXVIH/394. 91 Der exarchistische Metropolit von Monastir, Grigorij, hielt sogar einen Dankgottesdienst für

den Sultan ab. Vgl. Siljanov, a.a.O., Bd. 2, S. 102 ff. 92 Chiffretelegramm des Zivilagenten von Müller an Goluchowski, Salonik, 16. April 1904,

Nr. 24, HHStA, PA XXXIX/2. 93 Chiffretelegramm des Zivilagenten von Müller an Goluchowski, Salonik, 9. Mai 1904, Nr.

32, HHStA, PA XXXIX/2.

Die Verschärfung der konfessionell-nationalistischen A useinandersetzungen 217

3. DIE VERSCHÄRFUNG DER KONFESSIONELL-NATIONALISTISCHEN AUSEINANDERSETZUNGEN IN DEN JAHREN 1905-1906

Der Abschluß des bulgarisch -osmanischen Abkommens trug zwar zur zeitweiligen Befriedung der exarchistischen Bevölkerung Makedoniens bei, erregte aber gleichzei­tig das Mißfallen der türkischen und griechischen Bevölkerungsgruppen.94 Nach ei­nem Bericht des deutschen Generalkonsuls in Saloniki waren über die Durchführung der Amnestie „namentlich die sogenannten Alttürken und die Offiziere" erbittert, die „dieser Erbitterung in heftigen Vorwürfen gegen die Regierung Ausdruck" gaben.95

Die Griechen waren hauptsächlich deshalb enttäuscht, weil sie nun statt der im Zuge des Prestigeverlusts Rußlands im ostasiatischen Krieg erhofften Zurückdrängung des slawischen Elements in Makedonien96 vielmehr befürchten mußten, daß die bulgari­sche Sache infolge der Verständigung zwischen Bulgarien und der Pforte neuen Auf­trieb erhalten würde.97 Der Ausbruch der Revolution in Rußland im Jahre 1905 war daher vom Standpunkt der mohammedanischen wie der patriarchistischen Bevölke­rung in Makedonien eine willkommene Entwicklung:

Die türkische und griechische Bevölkerung äußert unverhohlen ihre Freude über den Lauf der Dinge in Rußland: die Türken glauben, daß die Reformen jetzt erst recht versumpfen werden, während die Griechen hieraus eine Schwächung der slavischen Propaganda folgern zu können meinen.*8

a) Die Erfolge der hellenistischen Bewegung in Südmakedonien

Diese gemeinsame Furcht der Mohammedaner und Patriarchisten vor einer slawischen Übermacht in Makedonien war ein politischer Faktor, der die hellenistische Gegen­offensive in dem behandelten Zeitabschnitt begünstigte. In einem Konsularbericht heißt es:

Die geradezu überraschenden Erfolge der hellenistischen Propaganda wären jedoch nicht möglich gewesen, ohne die weitgehende Duldung, welche die türkischen Provinzbehörden und Militärs der Tätigkeit der griechischen Banden entgegenbrachten. Die türkische Be­völkerung, von ihrer eigenen Regierung an der Rache wegen der Untaten der bulgarischen Komitadjis verhindert, sah mit Wohlgefallen in den griechischen Banden Rächer ihrer Leiden erstehen und das Verhalten der niederen Regierungsorgane war dementspre­chend."

94 Konsul Kral berichtete: „Die Türken verhehlen nicht ihre tiefe Misbilligung und Misstim-mung über die Amnestie sowohl, als die ganze Verständigung mit Bulgarien." Monastir, 26. April 1904, Nr. 36, HHStA, PA XXXVIH/394.

95 Versen an Bülow, Nr. 28, 19. April 1904, PAAA, Türkei 156, Bd. 96, A. 7045. 96 „Die biederen Hellenen sagen: Jetzt, da Rußland in Ostasien festgehalten ist, rückt Grie­

chenland in die erste Reihe. Das Schicksal Mazedoniens, die Ordnung der Verhältnisse auf dem Balkan liegt nunmehr allein in den Händen Griechenlands. . ." Ratibor an Bülow, Athen, 9. Februar 1904, Nr. 24, PAAA, Türkei 156, Bd. 90, A. 2545.

97 Vgl. den Bericht des deutschen Generalkonsulats in Saloniki, Nr. 28, 19. April 1904, a.a.O. 98 Versen an Bülow, Salonik, 27. Juli 1905, Nr. 53, PAAA, Türkei 156, Bd. 110. A. 13426. 99 HesseanBülow,Salonik, 14.Oktober 1905,Nr. 75,PAAA,Türkei 156,Bd. 113 A. 18339.

218 Die politischen Verhältnisse nach dem llinden-Aufstand

Der Erfolg der hellenistischen Propaganda beruhte aber auch darauf, daß es den An­hängern des Patriarchats etwa bis zum Frühjahr 1905 gelungen war, ihre eigene „in­nere Organisation" zu gründen.100 Nunmehr existierten in allen größeren Ortschaften Südmakedoniens griechische Komitees, deren Mitglieder in der Regel Lehrer, Ärzte, Kaufleute und andere Angehörige der Mittelschicht waren.101 Die Hauptaufgabe die­ser Komitees, die von den griechisch-orthodoxen Metropoliten in Makedonien gelenkt wurden,102 war die Beschaffung der Gelder zur Finanzierung der hellenistischen Ban­denbewegung. Durch Anwendung verschiedener Boykottmaßnahmen gegen exarchi-stische Kaufleute sollte gleichzeitig eine ökonomische Schwächung des Gegners herbeigeführt werden. Da die griechischen Komitees im Vergleich mit der bulgarisch­makedonischen Inneren Organisation über größere Fonds verfügten, konnten sie ihren Kämpfern (antârtes) bessere materielle Bedingungen anbieten; nicht zuletzt darin lag die Ursache ihres Erfolges. In einem Konsularbericht lesen wir:

Während die griechischen Freischaren alle Dienstleistungen der Landbevölkerung in höchst freigiebiger Weise honorieren, verlangen die bulgarischen Freischärler fast ausnahmslos selbst die Beistellung von Lebensmitteln unentgeltlich. . . Schließlich ist hervorzuheben, daß die Hinterbliebenen des gefallenen Griechen reichliche Versorgung erfahren, während die der Bulgaren im größten Elend leben.. .103

Dank dieser materiellen Überlegenheit war die hellenistische Seite in der Lage, die Mehrheit ihrer Kämpfer außerhalb Makedoniens anzuwerben. Ein echtes Reservoir bildete in dieser Hinsicht die Insel Kreta, zumal deren Bewohner, weil formal immer noch osmanische Untertanen, normalerweise ohne große Schwierigkeiten in Make­donien einreisen durften. In einem Bericht vom Frühjahr 1906 aus Chania, Kreta, heißt es beispielsweise, daß die Anwerbung „von Kretensern für die griechischen Ban­den in Macédonien" fortdauere. Ende Februar 1906 hätten wieder „35 dem Namen nach bekannte junge Männer, fast sämtlich im Alter von 22 bis 25 Jahren, Kreta ver­lassen, um sich nach Macédonien zu begeben.. ,"104 Diesen Rekruten dienten bis 1905 die thessalischen Städte Trikala und Larisa als Sammelpunkte. Ab dem Frühjahr 1905 wählte man zu diesem Zweck kleinere Ortschaften am Golf von Volo, da die osmanischen Konsuln in Thessalien begonnen hatten, solche Vorgänge genau zu be­obachten und den Behörden in Makedonien zu melden. Die Rekruten wurden, nach­

tun Vgl. Versen an Bülow, Salonik, 8. April 1905, Nr. 24. PAAA, Türkei 156, Bd. 107, A. 6146.

101 Hierzu u.z. folg. siehe Ranzi an Goluchowski, Monastir, 31. Juli 1906, Nr. 35, HHStA, PA XXXVIII/395. Dakin schreibt in diesem Zusammenhang: „Hellenism was a way of life, of which the outward manifestation was the acceptance of the Greek Orthodox Church. That way of life was being threatened by what were considered to be undesirable elements among the local population, and it is not surprising that many should have come forward to defend the old order." Siehe The Greek Struggle in Macedonia, S. 117 118.

102 „Die Schaffung einer ausgebreiteten hellenistischen Organisation ist den (griechischen] Banden in der Tat vollkommen gelungen, zumal da die griechisch-mazedonische Geistlich­keit, wie es scheint, fast wie ein Mann sich in den Dienst der Bewegung gestellt hat." Hesse an Bülow, Salonik, 14. Oktober 1905, Nr. 75, PAAA, Türkei 156, Bd. 113, A. 18339.

103 Parcher an Goluchowski, Monastir, 25. Januar 1906, Nr. 2, HHStA, PA XXXVIII/395. 104 Canea, 2. April 1906, PAAA, Türkei 156, Bd.119, A. 6882.

Die Verschärfung der konfessionell-nationalistischen Auseinandersetzungen 219

dem sie auf ihre Aufgaben vorbereitet und entsprechend ausgerüstet worden waren, unter den Befehl griechischer Offiziere gestellt und meist auf dem Seewege nach Ma­kedonien eingeschleust.105 Der deutsche Gesandte in Athen wußte in diesem Zusam­menhang im Frühjahr 1905 folgendes zu berichten:

Der Adjutant des griechischen Kriegsministers, Herr Manos, ein Bruder des aus dem Kre­tischen Aufstande bekannten Herrn Manos, hat vor einiger Zeit Athen verlassen. Es heißt, daß er sich mit anderen Offizieren in der Nähe von Volo aufhält. . . und im Begriff steht, mit einer größeren Bande in die Türkei einzufallen. . . ,M

Aufgrund ihrer gesellschaftlich-ökonomischen Positionen waren die Anhänger des Patriarchats darüber hinaus in der Lage, Personen aus den unteren Schichten der mus­limischen Bevölkerung als Kämpfer der hellenistischen Sache zu verpflichten. Die Zivilagenten Österreich-Ungarns und Rußlands konnten während einer Rundreise in Südmakedonien, die sie im Herbst 1907 in Begleitung des Generalinspektors Hilmi Pasa machten, folgendes in Erfahrung bringen:

Die Wahrnehmungen auf unserer Reise haben. . . gezeigt, welch starker Rückhalt die An-tarten (griechischen Freischärler] an der ebenso intelligenten, als wohlhabenden griechi­schen Bevölkerung der südlichen Teile des Vilajets Monastir besitzen, daß letztere fast ausnahmslos unter dem Einflüsse des „makedonischen Bundes" steht und wie sehr die minderwertigen Elemente der dortigen Mohammedaner geneigt sind, sich von den reich­lichen Geld-Mitteln, die der hellenischen Propaganda (namentlich aus Egypten) zukom­men, beeinflussen zu lassen, um in die Dienste derselben zu treten. . .""

So war die Bande, die am 17. Januar 1905 das bulgarische Dorf Marventsi nördlich von Gevgeli angriff, aus Griechen und Türken zusammengesetzt.108

Die hellenistische Bandentätigkeit in Makedonien nahm während des Sommers 1905 ständig zu. Im Herbst 1905 operierten schätzungsweise 12 Banden zu je 100 Mann im Landesinnern.109 Aus Dokumenten, die bei getöteten Bandenmitgliedern gefun­den worden waren, ging hervor, daß man folgendes Ziel verfolgte:

Alle orthodoxen Elemente, welche vom ökumenischen Patriarchat abtrünnig geworden sind, sollen zur Rückkehr unter die Herrschaft des griechischen Klerus gezwungen werden. Namentlich ist die Auflösung aller exarchistischen Gemeinden und ihre Ersetzung durch patriarchistische ins Auge gefaßt."0

Die griechischen Banden wurden ab 1905 zunehmend auch gegen die walachischen Gemeinden in Makedonien eingesetzt. Seit dem Berliner Kongreß (1878) gab es näm­lich auch eine „Walachische" bzw. .Aromunische Frage", die ein Teilproblem der Makedonischen Frage bildete.111 Diese Frage entstand hauptsächlich deshalb, weil

105 Ratibor an Bülow. Athen, 27. April 1905, Nr. 81, PAAA, Türkei 156, Bd. 106, A. 7472. 106 Ratibor an Bülow, Athen, 1. Mai 1905, PAAA, Türkei 156, Bd. 108, A. 7767. 107 Rappaport an Aehrenthal, Salonik, 7. Oktober 1907, Nr. 90, HHStA, PA XXX1X/4. 108 AP Turkey No. 3 (1905), Inclosure in No. 13. 109 Vgl. Hesse an Bülow, Salonik, 14. Oktober 1905, Nr. 75, a.a.O. 110 Ebd. 111 Ein Überblick über die Entstehung und Entwicklung der „Aromunischen Frage" findet

sich in den Berichten der Konsuln Kral an Goluchowski, Monastir, 23. Mai 1904, Nr. 42, HHStA, PA XXXVÜI/394, und Hesse an Bülow, Salonik, 23. September 1905, Nr. 66,

220 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

die Regierung Rumäniens nach 1878 danach strebte, „den Aromunen den Status ei­nes anerkannten milkt in der Türkei einzubringen und dafür zu sorgen, daß die aro-munischen Wanderhirten,Pferdeverleiher, Karawanenführer und Händler sich weiter­hin der für sie so notwendigen Freizügigkeit innerhalb eines großen Gebietes erfreuen konnten - was auf eine Politik des status quo hinauslief."112 Die Aufnahme eines Walachen in die „commission consultative des re'formes" in Makedonien im Sommer 1903 war in dieser Hinsicht eine bedeutende Entwicklung.113 Im April 1904 richte­te dann die walachisch-rumänische Nationalbewegung eine Reihe von „Minimalfor­derungen" an das Patriarchat, die im wesentlichen lauteten:

- Die Errichtung von walachischen Kirchen solle erlaubt sein; - Das Patriarchat solle dafür sorgen, daß die Geistlichen walachischer Nationalität die

Weihe erhalten; - Es solle erlaubt sein, den Gottesdienst in den walachischen Kirchen in rumänischer

Sprache abzuhalten."4

Die Walachen organisierten am 6. Januar 1905 eine Massenkundgebung in Monastir und forderten, daß man ihnen endlich erlauben möge, in ihrer neuerrichteten, aber noch nicht geweihten Kirche den Gottesdienst in rumänischer Sprache ab­zuhalten,115 Das Patriarchat und die diplomatische Vertretung Griechenlands in Istanbul stellten sich jedoch entschieden gegen die Erfüllung dieses walachischen Wun­sches und drohten widrigenfalls mit Unruhen in Makedonien. Der rumänische Ver­treter bei der Hohen Pforte kündigte seinerseits Reaktionen der Walachen an, falls man ihrem Wunsch nicht nachkomme.116 Die osmanische Regierung entschied in dieser Angelegenheit zugunsten der Walachen und trug dadurch zur Verschärfung des Konflikts zwischen der walachisch-rumänischen Bewegung und dem griechisch-or­thodoxen Patriarchat erheblich bei,,117 Das Patriarchat hob in einem „Memorandum sur la question des Gre'co-Valaques" vom 17. September 1905 hervor, daß die Wala­chen sich immer als Griechen betrachtet hätten. Weiter hieß es:

Ils n'admettent pas, qu'une ligne de démarcation quelconque puisse en réalité les isoler des autres Grecs, de ses frères, auxquels ils sont attachés par le lieu tout-puissant, que crée l'unité de la foi Orthodoxe, l'unité de la langue grecque, langue de leurs églises et de leurs écoles, et enfin une commune soumission à la juridiction spirituelle de la Grande Eglise de Constantinople.'18

PAAA, Türkei 156, Bd. 112, A. 16956. Siehe außerdem G. Weigand, Die Aromunen, Bd. 1, Leipzig 1895 ; V. Lazâr, Die Südrumänen der Türkei und der angrenzenden Länder, Buka­rest 1910; T. Capidan, Les Macédo-Roumains, Bucarest 1937. Die neueste Untersuchung über dieses Thema stammt von M. D. Peyfuss, Die Aromunische Frage. Ihre Entwicklung von den Ursprüngen bis zum Frieden von Bukarest (1913) und die Haltung Österreich-Ungarns, Wien 1974.

112 Peyfuss, a.a.O., S. 21. 113 Vgl. den Bericht Krals, Monastir, 23. Mai 1904, Nr. 42, a.a.O. 114 „Copie des propositions résumant le minimum des desiderates du peuple Valaque sur le

terrain religieux. Cette copie a été remise au Patriarcat, le 11/24 Avril 1904", Anlage zum Bericht Krals vom 23. Mai 1904, a.a.O.

115 Prochaska an Goluchowski, Monastir, 11. Januar 1905, Nr. 4, HHStA, PA XXXV1II/394. 116 Calice an Goluchowski, Constantinopel, 25. Jänner 1905, Nr. 5 D, HHStA, PA XII/187. 117 Prochaska an Goluchowski, Monastir, 26. Januar 1905, Nr. 5 HHStA, PA XXXVHI/394. 118 PAAA, Türkei 156, Bd. 113, A. 18107.

Die Verschärfung der konfessionell-nationalistischen Auseinandersetzungen 111

Von nun an wurden die hellenistischen Banden in Makedonien „von dem griechischen Klerus auf die unglücklichen Kutzowallachen gehetzt."119

Der wichtigste Standpunkt in den konfessionell-nationalistischen Kämpfen in Make­donien ab dem Jahre 1905 betraf die Benutzung der Kirchen:

Die Dorfgemeinden betrachten die Gotteshäuser als ihnen gehörig und beanspruchen für den Fall ihres Übertritts zum Exarchat auch den Übergang des Kirchen-Grundbesitzes an die von ihnen neu anerkannte kirchliche Obrigkeit, Die Metropoliten behaupten dagegen das alleinige Eigentum der patriarchistischen Kirche an den Gotteshäusern und wollen Schismatikern keinerlei Benutzungsrecht zugestehen.130

Als Richtschnur zur Entscheidung solcher Konflikte hatte die osmanische Regierung einige Regeln aufgestellt. So sollte, wenn in einer christlichen Gemeinde zwei Kir­chengebäude vorhanden waren, das größere Gebäude derjenigen Konfession zuge­sprochen werden, die die Mehrheit bildete. War aber nur eine Kirche vorhanden, so mußte sie derjenigen Konfession gehören, die die Zweidrittelmehrheit der Bevölke­rung in der Gemeinde ausmachte. Verfügte keine Partei über die Zweidrittelmehrheit, so sollte das Kirchengebäude von beiden Konfessionen abwechselnd benutzt wer­den.121 Zwar erscheint eine solche Regelung unter den damals gegebenen Umständen vernünftig gewesen zu sein, sie war aber natürlich nicht geeignet, diejenige Konfes­sion, die bereits auf ein Drittel der Gemeinde oder weniger abgenommen hatte (Pat-riarchisten), oder diejenige, welche die Zweidrittelmehrheit noch nicht erreicht hatte (Exarchisten und Walachen), zufrieden zu stellen.122 Die Folge war eine ständige ge­waltsame Auseinandersetzung, die um die Bildung von Mehrheiten in den christlichen Gemeinden geführt wurde.

Ab dem Jahre 1905 erwiesen sich die hellenistischen Banden in diesem Kampf ihren bulgarischen und bald auch walachischen Gegnern als entschieden überlegen, was aus den folgenden Beispielen zu ersehen ist. Eine griechische Bande überfiel am 2. Mai 1905 das exarchistische Dorf Laghen, 8 km südlich von Florina, und tötete mehrere Dorfbewohner. Der Kaymakam von Florina konnte den bei ihm um einen wirksamen Schutz gegen die Griechen nachsuchenden Bulgaren nur den Rat geben, sie sollten wieder zum Patriarchat zurückkehren.123 Am 12. Mai 1906 wurde eine aus 10 Fami­lien bestehende und von 40 Soldaten eskortierte Walachen-Karawane auf dem Wege von Grevena nach Avdela von etwa 200 griechischen Freischärlern überfallen.124 Die Soldaten, die erbitterten Widerstand leisteten, ermöglichten es den Walachen, in al-

119 Hesse an Biilow, Salonik, 23. September 1905, Nr. 66, a.a.O. 120 Hesse an Biilow, Salonik, 22. November 1905, Nr. 84, PAAA, Türkei 156, Bd. 114a, A.

21198. 121 Vgl. ebd. 122 Diese Regelung wurde von dem deutschen Generalkonsul Hesse mit folgenden Worten kriti­

siert: „Alle diese Regeln sind viel zu schematisch und beruhen auf einer ganz schiefen Auf­fassung der Sachlage, welche in dem aus einem Mangel des islamischen Rechts begründeten Unvermögen der Türken beruht, das Wesen der juristischen Persönlichkeit von Stiftungen zu begreifen." Ebd.

123 APTüikey No. 3 (1905), Inclosure in No. 164. 124 Prochaska an Goluchowski, Monastir, Chiffretelegramm vom H.Mai 1906,Nr. 4 HHStA,

PA XXXVIII/395.

222 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

le Himmelsrichtungen zu fliehen, wurden aber selbst gefangengenommen. Die grie­chische Bande „erbeutete 27 Mauser und zwei Martinigewehre und plünderte die Gefangenen [Soldaten] aus, worauf der Anführer der Griechen sie mit dem Bemer­ken freiließ, er bekämpfe nur die Walachen, nicht aber die türkische Regierung."125

Am 9. September 1906 überfiel eine griechische Bande Smilevo, das Heimatdorf Damjan Gruevs, das während des Ilinden-Aufstandes das Hauptquartier der Aufstän­dischen gewesen war. Es gab 12 Tote und 6 Verwundete, und 8 Häuser wurden nie­dergebrannt.126 Im November 1906 gelang es einer griechischen Bande, von See her sogar bis in das Seres-Gebiet vorzustoßen. Dort überfiel sie das Bulgarendorf Karaca-köy und ermordete 17 Menschen. Die Untersuchungen der Behörden ergaben, daß sowohl der griechische Konsul in Seres als auch der Metropolit von Drama bei den Vorbereitungen zu diesem Überfall beteiligt gewesen waren.127

In den auf diese Weise gewaltsam wieder zum Patriarchat bekehrten Dörfern erschien dann „der zuständige Metropolit, um die durch den exarchistischen Gottesdienst ent­weihten Kirchen zu entsühnen, die slawischen Kirchenbücher zu verbrennen, und den für die Zeit der Entfremdung schuldig gebliebenen Tribut von den wenigen Schafen einzutreiben."128 In dem hier zitierten Konsularbericht heißt es weiter:

Mit Hülfe der türkischen Behörden werden auch vielfach den bulgarischen und rumäni­schen Gemeinden griechische Muchtare (Gemeindevorsteher) aufgenötigt, welche wieder ihrerseits dafür sorgen, daß die Gemeindemitglieder als orthodoxe Griechen (Rum) in die Matrikel (Nufus) eingetragen werden. Bei Kirchenstreitigkeiten können dann die griechischen Geistlichen darauf hinweisen, daß fast nur Patriarchisten das Dorf be­wohnen.

b) Die Erfolge der serbischen Bewegung in Nord- und Zentralmakedonien.

Der serbisch-bulgarischen Annäherung vom Jahre 1904 lag trotz des Abschlusses eines Freundschaftsvertrages keine echte Verständigung zugrunde. Insbesondere war über die wichtige Frage nach dem künftigen Status Makedoniens keine Einigung zwischen den beiden Ländern erzielt worden. Die serbische Regierung, die bis dahin eine Au­tonomie Makedoniens abgelehnt hatte, erklärte sich zwar nunmehr damit im Prinzip einverstanden, stellte aber gleichzeitig die Bedingung, daß das Vilayet Kosovo (Alt­serbien) nicht zum Territorium eines autonomen Makedonien gehören solle. Das auto­nome Makedonien, das somit nur aus den Vilayets Saloniki und Monastir bestehen würde, müsse überdies eine Zollunion mit Serbien eingehen und diesem erlauben, Sa­loniki als Freihafen zu benutzen. Das Vilayet Kosovo, zu dem auch der von Österreich-Ungarn besetzt gehaltene Sancak Yenipazargehöre,würden Serbien und Montenegro bei dem erwarteten Zerfall des Osmanischen Reiches unter sich aufteilen. Bulgarien

125 Prochaska an Goluchowski, Monastir, 17. Mai 1906, Nr. 15, HHStA, PA XXXVH1/395. 126 Jehlitschka an Goluchowski, Monastir, Chiffretelegramm vom 11. September 1906, Nr. 7,

HHStA, PA XXXVUI/395. 127 Siehe den Bericht des Freiherrn von Marschall, Pera, 16. November 1906, Nr. 195, PAAA,

Türkei 156, Bd. 123, A. 19365. 128 Hesse an Bülow, Salonik, 22..November 1905, Nr. 84, a.a.O.

Die Verschärfung der konfessionell-nationalistischen Auseinandersetzungen 223

könne in diesem Fall das Gebiet zwischen den Flüssen Mesta und Marica und even­tuell das gesamte Vilayet Adrianopel annektieren.129

Diese serbischen Vorstellungen waren für die Bulgaren unakzeptabel. Obwohl man sich bereit zeigte, die Ansprüche Serbiens auf Altserbien zu respektieren, wollte man unter diesem geographischen Begriff nur den Landkreis PriStina verstanden wissen. Eine Übereinstimmung in dieser Frage schien somit unmöglich. Daraufhin schlugen die Bulgaren während der Verhandlungen im Frühjahr 1904 den Serben vor, die De­finition der Grenzen Altserbiens auf unbestimmte Zeit zu verschieben.130 Damit war für eine Verschärfung des serbisch-bulgarischen Konflikts in Makedonien gesorgt. Denn die bulgarische Regierung hatte zwar förmlich zugegeben, daß auch Serbien berechtigt war, seine nationalen Interessen in Makedonien (Altserbien) zu vertreten, hatte aber nicht zugelassen, daß diese Interessen geographisch genau festgelegt wur­den. Der Beginn bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen serbischen und bulga­rischen Ceti im Sommer 1904 war die Folge.

Um über die neue Lage in Makedonien zu beraten und dabei das Verhältnis zur ser­bischen Propaganda zu überdenken, war eine Versammlung makedonischer Führer in Sofia für die erste Hälfte des Monats Dezember 1904 anberaumt worden.131 Damjan Gruev, der kurz vorher während einer Aktion gegen die Serben in Porec" von einer serbischen Ceta gefangen genommen und wieder freigelassen worden war, befand sich zu dieser Zeit ebenfalls in der bulgarischen Hauptstadt.132 Auch der serbische Gesand­te in Sofia, Simié, nahm an den Sitzungen dieses Makedonier-Kongresses teil.133 Im Laufe der Beratungen zeigte es sich, daß die bulgarischen Komitees eine rivalisieren­de serbische Bewegung in Makedonien nicht dulden würden. Sie wiesen die Forde­rung Simics entschieden zurück, daß man den Serben erlauben solle, in den Gebieten westlich des Flusses Vardar nationale Propaganda zu betreiben.134 D. Gruev machte den Serben allerdings das Angebot, im Rahmen der Inneren Organisation mit den Bulgaren zusammenzuarbeiten. In diesem Fall würde das schon bestehende serbische Einflußgebiet nicht angetastet werden. Außerdem würde die Innere Organisation eine „Auslandsvertretung" in Belgrad eröffnen und ein gutes Einvernehmen mit der ser­bischen Regierung anstreben. Sollten die Serben jedoch zu einer solchen Zusammen­arbeit nicht bereit sein, so müßten sie damit rechnen, von der Inneren Organisation konsequent bekämpft zu werden.135 Der serbische Gesandte war nicht in der Lage, dieses Angebot der Inneren Organisation anzunehmen. Die Unfähigkeit beider Par­teien, ihre gegensätzlichen Standpunkte zu überbrücken, leitete eine Phase unerbittli-

129 Vgl. Vucinich, Serbia between East and West, S. 136-137. 130 Ebd., S. 137. 131 Anlage zum Bericht aus Sofia, 23. November 1904, Nr. 250, PAAA, Türkei 156, Bd. 103,

A. 18578. 132 Sofia, 13. Dezember 1904, PAAA, Türkei 156, Bd. 104, A. 19772. Vgl. auch Vucinich,

a.a.O., S. 131. 133 Zivilagent Müller an Goluchowski, Salonik, 20. Dezember 1904, Nr. 24, geheim, HHStA,

PA XXXIX/2. 134 Vgl. ebd. 135 Vgl. Süjanov, a.a.O., Bd. 2, S. 335.

224 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

eher Kämpfe in Nord- und Zentralmakedonien ein. Die serbische Regierung, die bis­lang versucht hatte, die Bildung von öeti auf serbischem Boden in Grenzen zu halten, begann nunmehr die nationale Propaganda in Makedonien mit allen zu Gebote ste­henden Mitteln zu unterstützen. Diese neue Haltung der Belgrader Regierungmochte auch dadurch beeinflußt worden sein, daß England die Ergebnisse der erst 1904 eingeführten Mürzsteger Reformen für ungenügend hielt und zu Beginn des Jahres 1905 auf eine Erweiterung des Reform­programms drängte. So wurde es im Februar bekannt, daß der englische Botschafter in Konstantinopel beabsichtigte, einen neuen Reformplan für Makedonien vorzule­gen. Das Berliner Tageblatt berichtete am 4. März 1905 aus Konstantinopel:

Die Idee dieses neuen Planes ist die Einsetzung einer internationalen Kommission, in der neben den Großmächten auch türkische Delegierte vertreten sein sollen, mit wechselndem Vorsitz und gemeinsamer Verantwortlichkeit, mit einer eigenen Gendarmerie, die sich aus einheimischen Elementen rekrutiert, und einem aus besonders abgesetzten Einkünften fließenden eigenen Budget.

Die Annahme eines solchen Plans durch die übrigen Großmächte hätte einen wichti­gen Schritt zur makedonischen Autonomie bedeutet. Der serbische Ministerpräsident PaSic jedoch erblickte in einer makedonischen Autonomie, wie aus einem Bericht des deutschen Gesandten in Belgrad hervorgeht, nach wie vor einen Nachteil für sein Land. Denn „die Autonomie Mazedoniens,.. würde für Serbien die Vernichtung seiner letz­ten Zukunftshoffnungen bedeuten, da die kargen Reste serbischer Nationalität in den Vilajets Kossowo und Monastir in dem geplanten Gesamt-Mazedonien aufgehen und dem Königreich Serbien für immer verloren gehen würden."136

Im Laufe des Sommers 1905 wurde die Makedonienpolitik Serbiens neu festgelegt. Im Juli fand unter dem Vorsitz des Ministerpräsidenten Lj. Stojanovic eine Versamm­lung statt, an der zahlreiche bedeutende Politiker und Diplomaten des Landes teil­nahmen.137 Man erachtete eine Zusammenarbeit mit der rumänisch-walachischen Bewegung in Makedonien für wünschenswert. Dagegen wurde die Idee einer Allianz mit der Pforte (gegen Bulgarien) fallengelassen, da man befürchtete, sich dadurch vor der europäischen Öffentlichkeit zu diskreditieren. Der status quo in Makedonien sollte aber unbedingt aufrechterhalten werden..Eine Autonomie Makedoniens kam somit nicht in Frage. Dennoch sollte aus taktischen Gründen vermieden werden, sich zum Feind der makedonischen Autonomie abstempeln zu lassen. Statt dessen empfehle es sich, mit Hinweis auf unüberwindliche Hindernisse, die vor der Verwirk­lichung der Autonomie stünden, für die Durchführung der Mürzsteger Reformen zu plädieren. Der Ära-Krieg sollte dabei verschärft fortgeführt werden. Ein erbitterter <5era-Kampf zwischen den Serben und Bulgaren war bereits Anfang 1905 im Gebiet von Kumanovo im Gange. Der österreichische Konsul Pa'ra in Üsküb berichtete darüber folgendes:

136 23. Februar 1905, PAAA, Türkei 156, Bd. 105a, A. 3256. 137 Hierzu u.z. folg. vgl. Siljanov, a.a.O., Bd. 2, S. 336-342. Siljanov stützt sich auf die serbi­

schen Akten, die bei der Einnahme von Nis durch die bulgarische Armee während des Er­sten Weltkrieges in die Hände der Bulgaren gefallen waren.

Die Verschärfung der konfessionell-nationalistischen Auseinandersetzungen 225

Namentlich sind es die serbischen Comités, die, unter der Aegide des hiesigen serbischen Consulates organisiert, seit Monaten die bulgarischen Dörfer terrorisieren und Unter Ge­waltanwendung zum Übertritt zu ihrer Partei zwingen. So sollen im Laufe der letzten Wo­che zwanzig Ortschaften ganz, fünf zum Teile zum Übertritt zur Serbenpartei gezwungen sein.138

Im Sommer 1905 wurde dann die serbische <?efa-Bewegung in Makedonien reorgani­siert. In Belgrad wurde dazu ein „Oberkomitee" gebildet, dessen Vorsitzender der Chef des Generalstabes beim Kriegsministerium, Milorad Popovic, war. Zu den Mit­gliedern dieses Komitees gehörten u.a. Oberst Rasic und Oberstleutnant Draga.139 In Vranja in der Nähe der Grenze im Süden arbeitete ein „Geschäftskomitee". Daneben war direkt an der Grenze ein „Exekutivkomitee" tätig. Die Aufgabe des letzteren war es, Kämpfer und Material je nach Bedarf den einzelnen Abteilungen in Makedo­nien zuzuweisen. In Makedonien selbst bestanden „Hauptkomitees" in Üsküb und Monastir, „Unterkomitees" in Kumanovo, Veles, Debar, Ochrid, Prilep, Kicevo, Po­red, Drimkol, Krusevo, und örtliche Komitees in zahlreichen Dörfern.140

Die serbische Bandentätigkeit setzte sich besonders im Norden Makedoniens trotz der Strenge des Winters 1905-1906 ohne Unterbrechung fort. Anfang Januar hielt man einen Kongreß an der Grenze ab, dem außer den Führern Nanadovic und Dr. Godjevac etwa 300 bis 800 Kämpfer beigewohnt haben sollen.141 Da die Bevölkerung des Grenzgebiets um Presevo proserbisch eingestellt war, bereitete es den serbischen Banden keine Schwierigkeiten, die Grenze beliebig zu überqueren.142 Nach einer Schätzung des deutschen Gesandten in Belgrad befanden sich im Februar „bereits dreißig serbische Banden zu durchschnittlich zwanzig Mann auf mazedonischem Bo­den".143

Die Aktivitäten dieser Banden zeitigten aber auch in südlich gelegenen Gegenden Ma­kedoniens Ergebnisse. In Resen beispielsweise traten im Februar 1906 80 Familien zur serbischen Partei über. Der bulgarische Handelsagent in Monastir entstandte dar­aufhin den exarchistischen Metropoliten von Ochrid nach Resen, um die Abtrünni­gen wieder zum Exarchat zu bekehren. Es waren vermutlich auch Bulgaren, die den Chef der serbischen Propaganda in Resen, einen gewissen Kosta Nauöic, in diesen Ta­gen ermordeten. Trotzdem blieben etwa 20 Familien in jener Stadt der serbischen Partei treu.144 Diese kleine serbische Gemeinde erhielt im März von den osmanischen Behörden die Erlaubnis, eine serbische Schule zu gründen.145

138 Para an Goluchowski, Ristovatz, Chiffretelegramm vom 24. März 1905, Nr. 15, HHStA, PA XXXVIII/436.

139 Anlage zum Bericht aus Belgrad, 20. Februar 1906, Nr. 21, PAAA Türkei 156, Bd. 117, A. 3766.

140 Vgl. hierzu den Aufsatz Todorovskis, „Srpskata ietniêka organizacija i nejzinata aktiv-nost vo Makedonija" [Die serbische <?efa-Organisation und deren Aktivitäten in Makedo­nien], GINI12 (1968), 1,S. 181-204.

141 Para an Goluchowski, Üsküb, 11. Februar 1906, Nr. 22, HHStA, PA XXXVIII/437. 142 Vgl. ebd. 143 Eckardt an Bülow, Belgrad 20. Februar 1906, Nr. 21, PAAA, Türkei 156, Bd. 117, A.

3766. 144 Parcher an Goluchowski, Monastir, 22. Februar 1906, Nr. 5, HHStA, PA XXXVIII/395. 145 Parcher an Goluchowski, Monastir, 19. März 1906, Nr. 9, HHStA, PA XXXVIII/395.

226 Die politischen Verhältnisse nach dem llinden-Aufstand

Zu Beginn des Sommers 1906 änderte sich die Lage im Norden des Sancaks Üsküb zusehends zugunsten der Serben. Hier nahmen nach einem Bericht des österreichisch­ungarischen Konsulats Üsküb nunmehr auch die mohammedanischen Bosniaken auf serbischer Seite an den Kämpfen gegen die Bulgaren teil.146 In diesem Bericht heißt es weiter:

Das bulgarische Comité steht... vor der Alternative, entweder aus Geldmangel der serbi­schen Agitation untätig zuschauen zu müssen oder aber durch Fortsetzung der bisherigen Methode der Geldbeschaffung durch Erpressung die exarchistische Bevölkerung zur Ver­zweiflung und damit den Gegnern in die Arme zu treiben.

Im Laufe des Sommers 1906 mehrten sich die Erfolgsmeldungen der serbischen Ban­den. Im Norden machten sie besonders in den Kazas Kumanovo, Kratovo und Os-maniye (Maleäevo) Fortschritte.147 Später, im November, war das Zentrum ihrer Ak­tivitäten das ländliche Gebiet nördlich von Krusevo und Prilep. Das serbische Konsu­lat in Monastir, dessen jährlicher Propagandaetat 300.000 frs überstiegen haben soll, beabsichtigte aber, bald auch in Resen und Ochrid erneut aktiv zu werden.148 Ange­sichts dieser Situation herrschte in den Reihen der Inneren Organisation um die Jah­reswende große Erbitterung.

c) Die Innere Organisation in der Defensive

Die Rückschläge, die die bulgarisch-makedonischen Komitees ab 1905 hinnehmen mußten, führten zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen Bulgarien und der Pforte, die sich seit dem Abkommen vom Frühjahr 1904 einigermaßen gebessert hatten. So beklagte sich Ministerpräsident Petrov im April 1905 bei dem österrei­chisch-ungarischen Vertreter in Sofia darüber, daß die osmanischen Truppen die bul­garischen Ceti in Makedonien energisch verfolgten, während sie bei der Verfolgung der griechischen und serbischen Banden nachlässig waren.149

Die österreichisch-ungarische Regierung betrachtete diese Beschwerde Bulgariens als gerechtfertigt.150 Der k.u.k. Militäradjoint bei der Reformgendarmerie in Makedonien hatte Anfang Januar 1905 aus Üsküb berichtet, daß „seitens der Türkei die serbische Propaganda im Vilajet Kossovo mindestens wohlwollend zugelassen . . . [werde], um der bulgarischen ein Gegengewicht zu bieten".151 Angesichts dieser Sachlage ent­sprach es den politischen Zielen der Doppelmonarchie, in Makedonien die bulgarische Partei gegenüber der serbischen in Schutz zu nehmen. Tatsächlich verhielten sich die

146 27. Juni 1906, Nr. 117, HHStA, PA XXXVII1/437. 147 Üsküb, 2. August 1906, Nr. 142, HHStA, PA XXXVIII/437. 148 Prochaska an Aehrenthal, Monastir, 30. November 1906, Nr. 63, HHStA, PA XXXVIII/

395. 149 Siehe Weisung an Calice, Wien, 20. April 1905, Nr. 480, HHStA, PA XII/188. Vgl. auch

den Bericht Calices, Konstantinopel, 26. Aprü 1905, Nr. 21 A D , HHStA, PA XII/187. 150 Weisung an Calice vom 20. April 1905, a.a.O. 151 Der Bericht des k. u. k. Militäradjoints Oberstlieutenant Grafen Salis-Sewis, Üsküb, 5. Ja­

nuar 1905, Beilage zum Bericht Calices, Constantinopel, 18. Januar 1905, Nr. 4 D,HHStA, PAXH/187.

Die Verschärfung der konfessionell-nationalistischen Auseinandersetzungen 227

österreichisch-ungarischen Gendarmerieoffiziere im Vilayet Kosovo gegenüber den bulgarischen Banden zu jener Zeit, wie die französische „Presse Associée" im März 1905 meldete, auffallend zurückhaltend.152 Das wiederum ermunterte die dortigen Bulgaren dazu, sich — nach den Worten des deutschen Generalkonsuls in Saloniki -als die „Herren der Situation" zu fühlen:

Wie mir mein Gewährsmann in Üskiib schreibt, ist man in dortigen bulgarischen Kreisen der Ansicht, daß es demänächst zu ernstlichen Verwickelungen zwischen der Türkei und Bulgarien kommen müsse, aus denen letzteres, dank der kräftigen Unterstützung Öster­reichs, als Sieger hervorgehen werde. Etwa von Kleinasien kommende türkische Verstär­kungen würden durch das gegenwärtig in türkischen Gewässern kreuzende österreichische Geschwader zurückgehalten werden, während gleichzeitig eine österreichische Armee über Mitrowitza in Mazedonien einrücken werde.'"

Eine direkte militärische Intervention einer europäischen Macht in Makedonien war also von gewissen Gruppierungen innerhalb der makedonischen Bewegung immer noch erwünscht. Da die aufständischen Aktionen sich bisher als ungeeignet erwiesen hatten, eine solche Einmischung herbeizuführen, verlagerten sich die Hoffnungen zu­sehends auf einen Krieg zwischen Bulgarien und dem Osmanischen Reich. Je mehr die Innere Organisation gegenüber anderen Nationalbewegungen an Boden verlor, desto näher schien ein solcher Waffengang heranzurücken. Nicht die Dynamik des Befrei­ungskampfes im Innern des Landes selbst, sondern der Ausrüstungsgrad der sich ge­genüberstehenden Armeen schien ab 1905 der treibende Faktor der politischen Ent­wicklung in Makedonien geworden zu sein. Freiherr Marschall von Bieberstein drück­te diese Tatsache in einem seiner Berichte folgendermaßen aus:

Der mazedonische Aufstand wird nicht das Signal zu einem türkisch-bulgarischen Krieg geben, sondern umgekehrt ein türkisch-bulgarischer Krieg nicht nur in Mazedonien, son­dern auf der ganzen Balkanhalbinsel alle die Teufel entfesseln, die dort in so großer Men­ge latitieren. . . Die militärischen Vorbereitungen (Bulgariens], die anscheinend bis an die Grenze der Lei­stungsfähigkeit des Landes gehen, lassen keinen anderen Schluß [zu], als den, daß das amtliche Bulgarien entschlossen ist, in dem günstigen Augenblicke die mazedonische Fra­ge durch das Schwert zu entscheiden.154

Vor diesem Hintergrund fanden im Jahre 1905 eine Reihe von Bezirkskongressen und schließlich der allgemeine Kongreß der Inneren Organisation statt. Im Laufe der manchmal wochenlang andauernden Debatten gewannen zwei politische Positio­nen, die früher nur andeutungsweise zu erkennen waren, immer schärfere Konturen: Einer Gruppe der „Gemäßigt-Konservativen", die die Organisation unverändert bei­behalten und sich im Nationalitätenkampf immer enger an Bulgarien anlehnen woll­te, stand eine „linke" Gruppe gegenüber, die vor allem eine Demokratisierung der inneren Strukturen der Organisation durchsetzen wollte und die Gefahr, die aus den rivalisierenden nationalistischen Bewegungen drohte, durch einen konsequenten In­ternationalismus abwenden zu können glaubte.

152 Paris, 16. März 1905, Nr. 173, PAAA, Türkei 156, Bd. 106a, A. 4513. 153 Versen an Bülow, Salonik, 25. März 1905, Nr. 18, PAAA, Türkei 156, Bd. 106a, A. 5191. 154 Therapia, 5. September 1905, Nr. 178, PAAA, Türkei 156, Bd. 111, A. 15956.

228 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

Zu Beginn des Jahres 1905 tagte der Kongreß des Revolutionsbezirks Üsküb.155 Zwan­zig Delegierte - in ihrer Mehrheit Lehrer - trafen sich im Osogov-Gebirge und dis­kutierten die aktuellen Fragen über die Lage der Inneren Organisation. Die von den Theoretikern des, Jinken" Flügels Anfang 1904 ausgearbeiteten „Richtlinien für die zukünftige Tätigkeit der Organisation" wurden zwar von diesem Kongreß im großen und ganzen angenommen, man stellte aber gleichzeitig die Bedingung, daß alle Ser­ben, die nicht bereit waren, sich der Inneren Organisation zu unterwerfen, rücksichts­los verfolgt werden sollten - eine Forderung, die eindeutig dem Geist der „Richtli­nien" widersprach. Im Sommer desselben Jahres wurde der Kongreß des Revolutionsbezirks Saloniki ab­gehalten. Die Beschlüsse und Empfehlungen dieses Kongresses waren durchaus dazu geeignet, als Ansatz zu einer umfassenden Kritik der bisherigen politischen Praxis der Inneren Organisation zu dienen.156 Man stellte fest, daß etwa zwanzig Leute den politischen Kurs innerhalb der Inneren Organisation allein bestimmten. Einige Be­zirkskomitees, darunter auch das von Saloniki, hatten noch nicht einmal die Statu­ten der Organisation zu Gesicht bekommen, geschweige denn bei ihrer Verfassung mitgewirkt. Die Bewegung sei eigentlich auf der Ebene der Verschwörung stecken geblieben, ohne eine politisch bewußte Anhängerschaft gewonnen zu haben. Die Aufstellung zahlreicher Freischaren reiche für sich allein noch keineswegs dazu aus, den revolutionären Charakter der Bewegung zu beweisen. Vielmehr würde das verantwortungslose Handeln solcher Abteilungen die revolutionäre Begeisterung im Volke löschen; die Bauern seien bereits in Apathie gesunken. Das Bulgarenrum in Makedonien sei währenddessen dabei, den Krieg an der ökonomischen Front zu ver­lieren, was von allergrößter Bedeutung für die Zukunft sei. Deshalb müsse der Schwer­punkt wieder in die Städte verlagert werden. Die Leitung der Organisation auf loka­ler Ebene dürfe dabei nicht länger den vom bulgarischen Exarchat bezahlten Volks­schullehrern und Dorfgeistlichen überlassen bleiben. Sonst würde die Außenwelt mit Recht in der Inneren Organisation weiterhin nur ein Werkzeug des Fürstentums Bul­garien sehen. Auch solle man unbedingt damit aufhören, die friedliebende patriarchi-stische Bevölkerung zu behelligen. Es liege gleichfalls nicht im Interesse der makedo­nischen Bewegung, unschuldige türkische Bauern als Feinde zu betrachten. Die tür­kische Landbevölkerung lebe unter gleich schweren Bedingungen wie die christliche. Daher solle man endlich anfangen, die Ziele der Organisation auch den Türken zu erklären, um wenigstens ihr Verständnis für Terrorhandlungen der Organisation zu gewinnen. Gegen die griechische und serbische Nationalpropaganda sei zwar streng vorzugehen, ohne jedoch dabei den bulgarischen Nationalismus zu propagieren.

155 Hierzu u.z. folg. siehe das Protokoll dieses Kongresses,Zbornik nadokumenti. . . , S. 127-129. Vgl. auch Siljanov, a.a.O., Bd. 2, S. 362-366.

156 Hierzu u.Z. folg. vgl. Siljanov, a.a.O., Bd. 2, S. 366-368. Das Protokoll dieses Kongresses wurde dem bulgarischen Handelsagenten in Saloniki, Sopov, vom Generalinspektor Hilmi Pasa vorgelesen. Sopov, der auch das Original zu sehen bekam, konnte sich von der Echt­heit des Dokuments überzeugen. Der Darstellung Siljanovs liegen die amtlichen Berichte Sopovs zugrunde. Das Protokoll des Kongresses ist abgedruckt in Zbornik na dokumen­ti ... ,S . 130-142.

Die Verschärfung der konfessionell-nationalistischen Auseinandersetzungen 229

Ebenfalls im Sommer 1905 fanden die Kongresse der Revolutionsbezirke von Stru­mica und Seres statt. Der wichtigste Punkt der in Strumica gefaßten Entschließung war die Forderung, Sondergerichte einzusetzen, um den <*efa-Führern die Befugnis zu entziehen, im Namen der Organisation zu richten.157 Die Delegierten des als ra­dikal-demokratisch bekannten Bezirks Seres wiederholten die Hauptforderung der makedonischen „Linken", nämlich, daß alle Führer der Organisation in geheimen Wahlen von unten nach oben bestätigt werden müßten.158

Die Bezirkskongresse im Frühjahr und Sommer 1905 waren Vorbereitungen zu einem allgemeinen Kongreß der Inneren Organisation im Herbst desselben Jahres. Auch die bulgarische Regierung war nach einem Bericht des deutschen Generalkonsuls leb­haft am Zustandekommen eines solchen Kongresses interessiert. Sie hoffte, auf die­se Weise eine Einigung der verschiedenen Gruppierungen innerhalb der makedoni­schen Bewegung herbeiführen zu können.'s9

Der allgemeine Kongreß der Inneren Organisation wurde im Oktober 1905 im Rila-Kloster in Südwestbulgarien eröffnet.160 Weder der Theoretiker der „linken" Grup­pierung, Dimo Hadzi Dimov, noch der der „Gemäßigten", Christo Matov, war unter den 22 Delegierten anwesend.161 Zum Vorsitzenden wurde in geheimer Wahl Dam­jan Gruev gewählt. Auf der Tagesordnung standen folgende drei Punkte:

a) Verfassung eines Berichts über die frühere Arbeit der Organisation; b) Festlegung der Richtlinien für zukünftige Aktionen; c) Entscheidung über strukturelle Änderungen in der Organisation.162

In einem .Auszug aus den Beschlüssen des Allgemeinen Kongresses der Inneren Ma-zedonisch-Adrianopler Revolutionären Organisation"163 ist über die frühere Tätig­keit der Organisation u.a. folgendes zu Lesen:

Die Organisation ist eine als Frucht des türkischen Regimes, der Lebensbedingungen und des Erwachens der Bevölkerung aus sich selbst hervorgegangene Erscheinung im Lande. . . Die Grundlagen der Organisation haben sich allmählich mit ihrer Entwicklung und der Er­weiterung ihrer Tätigkeit gebildet. . . Eine Planmäßigkeit in der Entwicklung der örtlichen Organisationen und deren Vorbereitung für einen gleichzeitigen allgemeinen Aufstand ist wegen der ungünstigen Umstände nicht erreicht worden .. .

157 Vgl. Siljanov, Osvoboditelnife borbi. . . , Bd. 2, S. 368-369. 158 Vgl. ebd., S. 369-373. 159 ,,. . . Dieser Rückgang der Propaganda wurde hier peinlich empfunden und ich höre streng

vertraulich, daß es die Regierung selbst war, die sich für eine Wiedervereinigung der Grup­pen der .inneren Organisation' lebhaft eingesetzt habe." Romberg an Bülow, Sofia, 23. No­vember 1905, Nr. 165, PAAA, Türkei 1956, Bd. 114a, A. 21059.

160 Der Vorschlag Jane Sandanskis, diese wichtige Versammlung nicht auf bulgarischem, son­dern auf makedonischem Boden abzuhalten, war vorher abgelehnt worden. Vgl. Siljanov, a.a.O., S. 374. Eine ausführliche Darstellung des Kongreßverlaufs, mit einer beigefügten Übersetzung der hier angenommenen neuen Satzung sowie mit einem Auszug aus den Beschlüssen des Kongresses, findet sich im Bericht Falkenhausens an Bülow, Sofia, 6. März 1906, Nr. 24, PAAA, Türkei 156, Bd. 118, A. 4784.

161 Vgl. Siljanov, a.a.O., S. 376. 162 Vgl. ebd., S. 374-375. 163 Anlage zum Bericht Falkenhausens vom 6. März 1906, Nr. 24, a.a.O.

230 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

Dieser Darstellung kam nicht allein als einer Formulierung des Selbstverständnisses der Organisation große Bedeutung zu, sondern sie war zugleich ein Mittel zur Austra­gung der internen Auseinandersetzung zwischen den „rechten" und „linken" Grup­pierungen. Wenn darin festgehalten wurde,daß die „Vorbereitung für einen gleichzei­tigen allgemeinen Aufstand" wegen ungünstiger Umstände unmöglich gewesen sei, so kam dadurch die These der „linken" Gruppierung um Sandanski und Cernopeev zum Ausdruck. Insbesondere Sandanski hatte nämlich den im Jahre 1903 gefaßten Beschluß für einen Aufstand mißbilligt und folglich am Ilinden-Aufstand nicht teil­genommen. Er sollte sich aber hinterher angesichts der ihm hierund da unterscho­benen verräterischen Absichten gezwungen sehen zu versuchen, seine passive Haltung während des Aufstandes zu rechtfertigen. Ihm und seinen Genossen war es also nun auf dem allgemeinen Kongreß gelungen, die jüngste Geschichte der Organisation in ihrem Sinne zu interpretieren.164

Die „Linken" sollten sich als stark genug erweisen, ihren Standpunkt auch bei der Formulierung der Leitlinien für die zukünftige Tätigkeit der Organisation durchzu­setzen.165 D. Gruev, der unter den Führern der Bewegung über die größte Autorität verfügte, hatte in diesem Zusammenhang nach Darstellung des deutschen General­konsuls eigentlich die folgende Strategie befürwortet:166

Die Begeisterung in Mazedonien erlöscht. Den bulgarischen Banden stehen nun serbische, griechische, türkische und neuerdings auch albanische Banden gegenüber. Bei solcher Sach­lage kann nur ein allgemeiner Aufstand als letztes Mittel helfen. Hier muß Bulgarien in den Kampf hineingezogen werden. Die Aussichten für den türkisch-bulgarischen Waffen­gang sind gut, denn die Reformmächte sind durch innere Sorgen gehindert, dem Fürsten­tum in den Arm zu fallen. Die Banden haben im Vilajet Monastir, im Pirim-Gebiet und am Rilo durch ihre Tätigkeit das 3. türkische Korps in Schach zu halten, während die schlag­fertige bulgarische Armee gegen das 2. türkische Korps geht und Adrianopel nimmt. Sind die Dinge erst so weit gediehen, wozu es nach Grueff nur ganz kurzer Zeit bedarf, wird Europa einschreiten und sowohl dem Fürstentum ein Halt gebieten, wie der Türkei allen­fallsige Offensive wehren. Was dann beschlossen wird, kann für Bulgarien ziemlich gleich­gültig sein, denn in jedem Falle (wird) das bulgarische Ansehen in Mazedonien durch das energische Eintreten für die brüderliche Sache derart gewonnen [haben], daß man getroßt das seinerzeitige Ende abwarten kann.

Gruev gelang es jedoch nicht, für diesen Plan eine Mehrheit unter den Delegierten zu finden.

164 Der Ideologe des „rechten" Flügels, Ch. Matov, aber war nicht bereit, irgendwelche „un­günstige Umstände" als den wirklichen Grund für die Passivität der örtlichen Komitees in den Bezirken Seres und Strumica während des Ilinden-AufStandes zu akzeptieren. In sei­nem unmittelbar nach dem allgemeinen Kongreß, in den Wintermonaten 1905-1906, ge­schriebenen Buch, VüzstaniSki dejstvija, versuchte Matov denn auch, die Führer der Bezir­ke Seres und Strumica persönlich dafür verantwortlich zu machen, daß diese Gebiete am Aufstand des Jahres 1903 nicht teilgenommen hatten. Siehe VüzstaniSkide/stvi/a, S. 114-132.

165 Siljanov, dessen Sympathien auf der Seite der gemäßigt-konservativen Gruppe liegen, er­klärt diesen Umstand dadurch, daß der starke Mann dieser Gruppe, D. Gruev, als Vor­sitzender des Kongresses selten in der Lage gewesen sei, an den Debatten parteüsch teil­zunehmen. Vgl. a.a.O., S. 377.

166 Siehe den Bericht Falkenhausens, Sofia, 6. März 1906, a.a.O.

Die Verschärfung der konfessionell-nationalistischen Auseinandersetzungen 231

Nach der hier benutzten Quelle war es B. Sarafov, der daraufhinwies, daß man bei einem bulgarisch-osmanischen Krieg weder der Haltung Serbiens noch der Rumäniens sicher sein könne, abgesehen davon, daß es fraglich sei, ob die bulgarischen öeti im Falle eines neuen Aufstandes in Makedonien nur gegen die Türken zu kämpfen haben würden.167 Eigentlich war es jedoch G.Petrov, der Gruevs Plan durchkreuzte. Diesem gelang es, die miteinander verfeindeten Führer Sandanski und Sarafov168 dazu zu bringen, mit ihrer Anhängerschaft einen Mehrheitsblock gegen Gruev zu bilden.169

Dadurch wurde abgelehnt, daß im Frühjahr 1906 schon wieder ein Aufstand in Ma­kedonien proklamiert werden sollte. Vielmehr entschloß man sich zu versuchen, „bis dieses Endziel, der allgemeine Aufstand, möglich werde, . . . die Bewegung in den Wilajets, entsprechend der Taktik der letzten Jahre, durch kleine partielle Kämpfe am Leben zu erhalten."170 In bezug auf zukünftige Handlungen der Organisation be­richtete der Korrespondent der Vossischen Zeitung, der die Protokolle des allgemei­nen Kongresses zu sehen bekommen hatte, wie folgt:

Die innere Organisation ist gegen aufständische Aktionen, die auf Grund äußerer Einflü­sterungen oder politischer Rücksichten in Szene gesetzt werden. Sie betrachtet jede Betä­tigung des bulgarischen Exarchats, die etwa vom Nationalismus des bulgarischen Staates diktiert wird, als ihre eigenen Ziele schädigend und wird somit dagegen ankämpfen. Sie betrachtet das russisch-österreichische Einvernehmen vom Jahre 1897 mit Mißtrauen und hält das Mürzsteger Reformprogramm wie auch das türkisch-bulgarische Sonderüberein­kommen vom Jahre 1904 bloß als Versuche, die türkische Herrschaft zu stärken und zu erneuern. Dagegen gipfeln die Absichten der Organisation darin, die türkische Herrschaft zu beseitigen und eine wirksame internationale militärische Einmischung herbeizuführen, zur vollen Lösung der makedonischen Frage. . .I7'

Wie Siljanov ebenfalls hervorgehoben hat, war es nicht zu übersehen, daß auf dem all­gemeinen Kongreß des Jahres 1905 ein Ruck nach links stattgefunden hatte.172 Die Hauptforderungen der „Linken", wie die Einsetzung von Sondergerichten, die Ab-wählbarkeit der Führer u.a., waren in die neue Satzung aufgenommen worden.173

Weiter gelang es ihnen, die wichtigsten Positionen in der Organisation mit ihren Kandidaten zu besetzen. Ins Zentralkomitee z.B. wurden (neben D. Gruev) P. Toäev und T. Pop-Antov gewählt — zwei Personen, die als Verfechter der Dezentralisierung der Organisation und somit als politische Gegner Gruevs galten.174 Auch die „Aus-

167 An dieser Stelle sei anzumerken, daß europäische Beobachter der makedonischen Szene gewöhnlich dazu neigten, die Urheberschaft mancher Idee oder Handlung der berühmten Persönlichkeit Sarafovs zuzuschreiben.

168 Sandanski und seine Freunde warfen Sarafov u.a. vor, in dunkle Geschäfte mit der serbi­schen Regierung verwickelt gewesen zu sein. Daraufhin entbrannte ein heftiger Streit um die Person Sarafovs. Vgl. Siljanov, a.a.O., Bd. 2, S. 378-379.

169 Diese Leistung G. Petrovs ist ihm sowohl von Matov als auch von Siljanov übel vermerkt worden. Vgl. Ol. Matov ta svojata revoljucionna dejnost, S. 75, und Siljanov, a.a.O., S. 375-376.

170 Falkenhausen an Bülow, Sofia, 6. März 1906, a.a.O. 171 Vossische Zeitung vom 24. Februar 1906. 172 Vgl. Siljanov. a.a.O., Bd. 2, S. 377. 173 Der Text der neuen Satzung ebd., S. 393-394. Eine deutsche Übersetzung findet sich in

der Anlage zum Bericht Falkenhausens an Bülow, 6. März 1906, a.a.O. 174 Katardziev, Serskiot okrug . . . , S. 364.

232 Die politischen Verhältnisse nach dem llinden-Aufstand

landsvertreter" der Organisation wurden neu gewählt. Man betraute anstelle von Matov und Tataräev nunmehr G. Petrov, D. Stefanov und P. Pop-Arsov - alle drei Anhänger des „linken" Flügels - m i t dieser Aufgabe.175 Für die „Gemäßigten" war die Wahl des Marxisten Dimo Hadzi Dimov zum Redakteur von Revoljucionen list, dem Organ der Innneren Organisation, am schwersten zu verkraften.176 Sie befürch­teten, daß sich sozialistische Tendenzen in der Basis der Organisation nunmehr noch stärker verbreiten würden. Der allgemeine Kongreß im Rila-Kloster trug allerdings zur Überwindung der in den Reihen der Inneren Organisation seit langem bestehenden Uneinigkeit kaum bei. Vielmehr wurden dadurch neue Kräfte freigesetzt, die die vorhandenen Gegensätze noch verschärften. In den Bezirken Seres und Strumica existierte eine starke Grup­pe unter der Führung Sandanskis und Cernopeevs, die, dank der günstigen geogra­phischen Lage von der serbischen und griechischen Propaganda fast unerreichbar, ihre relative Selbständigkeit auch gegenüber dem bulgarischen Nationalismus bewah­ren konnte. Nach Auffassung dieser Gruppe sollte Makedonien zu einem autonomen Gebiet des Osmanischen Reiches werden, in dem verschiedene Volksgruppen harmo­nisch miteinander leben könnten. Ihr Grundsatz lautete: „Die Makedonische Frage kann solange nicht gelöst werden, wie sie als eine Bulgarische Frage gestellt wird."177

Die anderen Bezirke —hauptsächlichMonastir und Skopje — dagegen suchten in den folgenden Jahren eine immer engere Anlehnung an die bulgarische Regierung. Insbe­sondere nach den Ausschreitungen der antigriechischen Demonstranten in den bul­garischen Städten Plovdiv, Burgas, Ruse und Sofia im Sommer 1906, wobei griechi­sche Kirchen und Schulen besetzt und z.T. zerstört worden waren,178 sahen sich die Führer der Revolutionsbezirke Monastir und Skopje gezwungen, als Gegenleistung für moralische und materielle Unterstützung durch die bulgarische Regierung weit­gehend auf ihre Selbständigkeit zu verziehten, weil sie nunmehr noch heftigeren An­griffen hellenistischer Banden ausgesetzt waren.179 Die bulgarische Regierung, die einen Teil der Inneren Organisation auf diese Weise kontrollierte, verfolgte weiterhin eine Politik, die dazu geeignet schien, früher oder später zu einem Krieg mit dem Osmanischen Reich, und damit auch zu einer Lösung der Makedonischen Frage im bulgarisch-nationalistischen Sinne, zu führen^

Schon Ende Januar 1906 sprachen alle Nachrichten dafür, daß Bulgarien sich auf einen baldigen Krieg vorbereitete. Die Pforte ließ bei den Regierungen in Athen und Bukarest erkunden, wie sie sich im Falle eines solchen Krieges verhalten würden.180

175 Vgl. SUjanov, a.a.O., S. 377. 176 Vgl. ebd. 177 Vgl. Bogdanovski, Borbite na makedonskiot narodza nacionalna sloboda, S. 58. 178 Siehe hierzu Mouvement antihellénique en Bulgarie et en Roumélie-Orientale, extrait des

rapports des autorités consulaires helléniques, juillet-août 1906 (vieux style), [Athènes 1906]; Association patriotique des Thraces à Athènes, Persécution des Grecs en Bulgarie et en Roumétie Orientale. Appel aux Grandes Puissances et aux Peuples de l'Europe et de l'Amérique, Athènes 1906.

179 Parcher an Aehrenthal, Saloniki, 15. November 1906, Nr. 118, HHStA, PA XXXIX/3. 180 Calice an Goluchowski, Constantinopel, 31. Januar 1906, Nr. 5 A-H, geheim, HHStA,

PAXII/189.

Die Verschärfung der konfessionell-nationalistischen Auseinandersetzungen 233

Der österreichisch-ungarische Botschafter in Istanbul fand diese Beunruhigung der osmanischen Regierung keineswegs übertrieben. Freiherr von Calice meinte in einem Bericht vom 7. Februar 1906, daß Rumänien und Griechenland sich im Kriegsfall ihre Neutralität von Bulgarien erkaufen lassen würden. Serbien würde als Verbündeter Bulgariens auftreten. Die Großmächte würden Bulgarien keine Hindernisse in den Weg legen wollen;Frankreich, England und Italien würden sogar Bulgarien unterstüt­zen. Das konservative Rußland sei als Machtfaktor ohnehin bereits ausgeschaltet.181

In einem weiteren Bericht vom selben Tage bezieht sich Freiherr von Calice auf einen Bericht des Markgrafen Pallavicini aus Bukarest. Pallavicini berühre bestimmte Mög­lichkeiten, z.B., „ob es mit Rücksicht auf die für Bulgarien besonders günstigen Zu­kunftschancen nicht im Interesse der k.u.k. Regierung läge, daß das Großbulgarien der Zukunft mit uns und nicht gegen uns zu stände komme, umso mehr als die Bul­garen das einzige Volk der Balkanhalbinsel sind, von welchem keine irredentistische Politik auf Kosten der Monarchie zu besorgen wäre, was seitens der Rumänen und Serbien sicherlich immer der Fall sein wird." Freiherr von Calice hielt diese Anschau­ung Pallavicinis für begründet, und zwar besonders für den Augenblick, in dem „ein­mal erkannt werden muß, daß die Politik der Erhaltung des status quo nicht mehr aufrechterhalten werden kann." Er fügte hinzu, daß mancherlei Erscheinungen ihm die Befürchtung einflößen, ob dieser Augenblick nicht näher gerückt sei, als allgemein angenommen werde.182

Zu dem allgemein erwarteten bulgarisch-osmanischen Krieg kam es jedoch auch im Laufe des Jahres 1906 nicht, obwohl sich die Lage in Makedonien für die bulgarische Seite immer ungünstiger entwickelte ,183 Die osmanischen Sicherheitskräfte, seit 1905 in kleinen, sehr beweglichen Schützenbataülonen organisiert, hatten bereits dafür ge­sorgt, daß die bulgarischen Freischaren sich in weiten Gebieten des Landes nicht mehr zu zeigen wagten.184 Sogar die Konsuln Österreich-Ungarns und Rußlands in Saloni­ki, die im Sommer 1906 eine Rundreise durch die Kazas Gevgeli, Tikveä und Vodena machten, mußten bestätigen, „daß unter den von der ottomanischen Regierung zur Pacifikation des Landes vorgekehrten Maßnahmen die Verwendung von Truppen-Detachements. . . sich als ein sehr wirksames Mittel bewährt hat. . ."18S Angesichts dieser Situation sah sich die zu Beginn des Monats November 1906 an die Macht ge­kommene bulgarische Regierung unter D. Petkov gezwungen, anzuerkennen:

a) „daß man mit den Banden zu nichts komme; daher sei man jetzt fest entschlossen, das Bandenwesen in keiner Weise mehr zu unterstützen".186

181 Calice an Goluchowski, Constantinopel, 7. Februar 1906, Nr. 6 A-F, geheim, HHStA, PAXII/189.

182 Constantinopel, 7. Februar 1906, Nr. 6 B, streng vertraulich, HHStA, PA XII/189. 183 Die Gründe, die Fürst Ferdinand veranlaßten, einem Krieg mit der Pforte 1906 aus dem

Wege zu gehen, können hier nicht angegeben werden. Die deutsche Politik hat jedoch hier­bei eine gewisse Rolle gespielt. Vgl. dazu Romberg an Bülow, Sofia, 5. Januar 1906, Nr. 1, und Mühlberg an Romberg, Berlin, 24. Januar 1906, Nr. 19, PAAA, Türkei 156, Bd. 116, A. 545 bzw. 545 I.

184 Vgl. Mircev, „Spomeni na Argir Manasiev . . .", S. 345. 185 Para an Goluchowski, Salonik, 28. August 1906, Nr. 40, HHStA, PA XXXVHI/408. 186 Der neue bulgarische Vertreter bei der Pforte, GeSov, soll sich gegenüber dem neuen Bot­

schafter Österreich-Ungarns, Markgrafen Pallavicini, in diesem Sinne geäußert haben. Palla-

234 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

b) daß die Makedonische Frage andererseits immer noch nur durch einen Krieg Bulga riens mit dem Osmanischen Reich gelöst werden könne."7

4. DIE NEUORIENTIERUNG DER BALKANPOLITIK RUSSLANDS UND ÖSTERREICH-UNGARNS AB 1906 UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE

MAKEDONISCHE FRAGE

Der russisch-japanische Krieg von 1904-1905 hatte die militärische und wirtschaft­liche Schwäche Rußlands offenbart. Die Revolution von 1905 war die Folge. Obwohl mit dem Staatsstreich vom 3./16. Juni 1907 (Auflösung der II. Duma, Änderung des Wahlgesetzes) dem zweijährigen Demokratisierungsprozeß ein Ende gesetzt wurde, war die Basis der politischen Macht bereits derart erweitert worden, daß die Vertre­ter der Gutsbesitzer und Handels- und Industriebourgeoisie sowie die bürgerlichen Intellektuellen sich nunmehr über politische Fragen frei äußern konnten. Dadurch trat eine bürgerliche „öffentliche Meinung" stärker als bisher als politischer Faktor in Erscheinung.188

Mit dem Scheitern der imperialistischen Pläne Rußlands im Fernen Osten in der Folge des russisch-japanischen Krieges wie der Revolution von 1905 war eine Neuorientie­rung der russischen Außenpolitik fällig geworden. Im Mai 1906 trat der Außenmini­ster Lamzdorf zurück; der als anglophil bekannte Izvol'skij wurde zu seinem Nach­folger ernannt.189 Diesem fiel die schwere Aufgabe zu, Rußland im Ausland wieder Ansehen zu verschaffen, und Erfolge in diesem Bereich waren angesichts der innen­politischen Stabilisierungserfordernisse dringlich. Die Legitimation der neuen Außenpolitik gegenüber der sich seit 1905 energischer zu Wort meldenden russischen Öffentlichkeit war allerdings dadurch erleichtert, daß der Schwerpunkt dieser Politik auf der Balkanhalbinsel lag, einer Interessensphäre, zu deren politischen Kräften Rußland historisch gewachsene Beziehungen hatte.190

Den programmatischen Rahmen bildete der neue russische Nationalismus, welcher

vicini an Aehrentahl, Constantinopel, 16. December 1906, Nr. 60 F, HHStA, PA XII/190. 187 In diesem Sinne soll sich Petkov gegenüber dem Vertreter Österreich-Ungarns in Sofia, Gra­

fen Thurn, geäußert haben. Siehe den diesbezüglichen Kommentar-Pallavicinis, Constan­tinopel, 23. Jänner 1907, Nr. 6 B, HHStA, PA XII/191.

188 So war die Regierung Stolypin „darauf angewiesen, einen wie immer fragilen Konsens mit der politisch organisierten Gesellschaft zu suchen." D. Geyer, Der russische Imperialis­mus^. 189.

189 In England wurde jedoch die Ernennung Izvol'skijs zunächst als Sieg der „deutschen Par­tei" ausgelegt. Vgl. Monger, Ursachen und Entstehung der englisch französisch-russischen Entente 1900-1907, S. 354,

190 Vgl. O. Bickel, Rußland und die Entstehung des Balkanbundes 1912, Königsberg 1933, S. 1-12. Eine, zur Lösung der „wahren und tiefen nationalen Aufgaben" Rußlands auf dem Balkan geeignete Außenpolitik wurde vor allem von der Kadettenpartei verlangt. Vgl. U. Liszkowski, Zwischen Liberalismus und Imperialismus. Die zaristische Außenpolitik vor dem Ersten Weltkrieg im Urteil Mil/ukovs und der Kadettenpartei 1905-1914, Stuttgart 1974, S. 38-49.

Die Neuorientierung der Balkanpolitik Rußlands und Österreich-Ungarns 235

im Jahre 1905 den unterdrückten slawischen Völkern im Zarenreich eine Reihe von Freiheiten eingeräumt hatte, und welcher bis zu einem gewissen Grad auch ein allge­mein slawischer Nationalismus war.191

Die größere Aufmerksamkeit, die die russische Außenpolitik von nun an den Ereig­nissen auf dem Balkan widmete, hatte freilich ihre machtpolitischen Gründe. Es ging um die Erringung der Herrschaft über die Meerengen. Da Rußland nicht imstande war, eine aktive Politik in dieser Richtung gegen England zu betreiben, mußte der Versuch gemacht werden, „die russischen Aspirationen mit Englands Zustimmung und Hilfe ihrer Verwirklichung entgegen zu führen".192 Auch der neue englische Außenminister Sir Edward Grey, der Ende 1905 sein Amt antrat, hatte den Wunsch, mit Rußland ein Abkommen abzuschließen. Sein Hauptmotiv hierbei war, das Gleich­gewicht der Kräfte in Europa durch die Schaffung eines Gegengewichts gegen Deutschland zu erhalten.193 Die Furcht vor Deutschland, vor einem deutschen Vor­stoß in Richtung Mesopotamien und Persien, spielte also bei dem Zustandekommen der englisch-russischen Entente auf englischer Seite eine wesentliche Rolle.194 Bei den Verhandlungen, die zwischen Nicolson und Izvol'skij am 7. Juni 1906 in St. Pe­tersburg eröffnet wurden, ging es vordergründig nur um die Regelung strittiger Fra­gen in Bezug auf Persien, Afghanistan und Tibet.195 Rußland verlangte jedoch im Frühjahr 1907 auch die Meerengenfrage in das bald zu erzielende allgemeine Arran­gement einzubeziehen, und erhielt von England immerhin die Versicherung, daß diese Frage zu einem günstigeren Zeitpunkt erörtert werden würde.196 Der englische Hi­storiker G. Monger bemerkt: „Die Meerengenfrage zeigte deutlich, was das Wichtig­ste bei der Entente war; daß sie nicht nur eine Regelung kolonialer Differenzpunkte war, sondern auch ein Teil einer allgemeinen Neuordnung der Außenpolitik,"197

Eine Neuordnung der Außenpolitik fand etwa zu dieser Zeit auch in Österreich-Un­garn statt. Im Oktober 1906 war Freiherr von Aehrenthal dem Grafen Goluchowski als Außenminister nachgefolgt. Am 5. November desselben Jahres wurde dann Mark­graf Pallavicini zum neuen Botschafter in Konstantinopel ernannt. Pallavicini erklär­te Anfang Dezember 1906 dem Großwesir Ferid Pasa, wie er in einem Privatbrief an Aehrenthal schrieb, folgendes:

Österreich-Ungarns Politik gehe dahin, die Türkei in ihrem gegenwärtigen Besitzstande zu erhalten.. . Ein weiteres Interesse meines Vaterlandes... sei die Entwicklung der Prospe-

191 Vgl. hierzu G. Trubetzkoi, Rußland als Großmacht, Stuttgart-Berlin 1913, S. 140, und H. Kohn, Die Slawen und der Westen. Die Geschichte des Panslawismus, Wien-München 1956, S. 211.

192 GP, Bd. 25, 2. Teil, Nr. 8761. 193 Vgl. Monger, a.a.O., S. 352 ff. 194 Siehe B. Williams, „Great Britain and Russia, 1905 to the 1907 Convention", in: British

Foreign Policy under Sir Edward Grey, herausg. v. F. H. Hinsley, Cambridge 1977, S. 134. 195 Siehe den Text der „russisch-englischen Konvention vom Jahre 1907" in: Dokumente aus

den russischen Geheimarchiven . . . , S. 21-26. 196 Monger, a.a.O., S. 369. 197 Ebd.

236 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

rität des türkischen Reiches, denn je wohlhabender die Völker dieses Reiches werden, desto bessere Abnehmer werden sie für unsere Industrieprodukte sein . . .""

In demselben Brief begründete Pallavicini dieses sein Vorgehen Aehrenthal gegenüber wie folgt:

Meiner unmaßgeblichen Meinung nach ist es ganz unnöthig, daß wir die führende Rolle [bei Reformforderungen] spielen; wir werden von keiner Seite dafür Dank ernten. Es gilt dies.. . insbesondere auf die bevorstehende Campagne in der Justizreformfrage. Wirklich praktische Erfolge, d.h. eine gründliche Reform der türkischen Justizpflege in Macédonien kann man sich doch nicht versprechen und selbst wenn dies gelänge, so wäre noch immer nicht die Zufriedenheit der dortigen Völker erreicht. . .

Dieser Brief Pallavicinis markiert einen Wendepunkt in der Balkanpolitik Österreich-Ungarns. Oberflächlich betrachtet,könnte angenommen werden, daß die Wiener Re­gierung nunmehr die Absicht hätte, gegenüber dem Osmanischen Reich eine „kon­servative" Politik zu verfolgen. Die Bedeutung dieser Zurückhaltung in einem Augen­blick, in dem England und Rußland im Begriff waren, von der osmanischen Regierung die Einführung von Justizreformen in Makedonien zu fordern,199 wird jedoch in allen ihren Implikationen erst in einem Bericht Pallavicinis, der aus dem Frühjahr 1907 datiert, begreiflich. Darin legt der Botschafter dar, daß das Feld des Interessenkampfes unter den europäischen Staaten infolge des russisch-japanischen Krieges sich nach Süden, auf die Balkanhalbinsel, verlagert habe. England sei dabei, von Jemen bis Al­banien auf der gesamten Linie in eine Offensive gegen Deutschland einzutreten, und versuche gleichzeitig überall, wo es eben könne, auch der Hohen Pforte Schwierigkei­ten zu bereiten. Weiter heißt es:

Man hat den Eindruck, daß England überhaupt das Reformwerk, an dessen Gelingen wir in erster Linie Interesse haben, ad absurdum führen und verhindern will, daß eine gewisse Stabilität in die hiesigen Verhältnisse gebracht werde. . . Auf der einen Seite steht Deutsch­land, auf der anderen England;das sind die großen Rivalen. Aber auch wir können, glaube ich, bei diesem Wettkampfe nicht ganz bei Seite stehen. Unser Platz scheint mir hie-bei nur an der Seite Deutschlands möglich zu sein. An der Seite Deutschlands müssen wir trachten an der wirtschaftlichen Befruchtung des großen türkischen Reiches Theil zu neh­men. Ohne Zweifel geht vor Allem unsere Aufgabe dahin, die uns zunächst liegenden Ge­biete der Türkei immer mehr und mehr in unsere wirtschaftliche Interessensphäre zu zie­hen. Von diesem Gesichtspunkte aus sehe ich in der von Eurer Excellenz in Aussicht

198 Privatbrief Pallavicinis an Aehrenthal, Constantinopel, 2. December 1906, HHStA, PA XII/ 190.

199 Zu diesen „Justizreformen" siehe O. Focieff, La justice turque et les réformes en Macé­doine, Paris 1907. (Focieff kritisiert die europäischen Reformen in Makedonien insgesamt und plädiert nicht für irgendwelche Justizreformen, sondern, im bulgarisch-nationalistischen Sinne, für die Schaffung eines autonomen Makedonien.) Zum selben Thema siehe außer­dem Ruchti, Die Reformaktion . . . , S. 80-88; Popov, Avstro-Ungarija i reformite . . . . S. 148 ff. Der französische Delegierte bei der makedonischen Finanzkommission, Steeg, soll über die osmanische Verwaltung in Makedonien gesagt haben: „Jille est en tout cas plus honnête que l'administration en Serbie, en Bulgarie et en Grèce.' Was man der Justiz vorwerfen könne, sei, daß sie gegen griechische Ausschreitungen milder sei, als gegen bul­garische. Aber daß die türkische Justiz in Mazedonien systematisch Rechtsverletzungen begehe, sei nicht wahr . . ." Pera, 26. März 1908, Nr. 37, PAAA, Türkei 156, Bd. 136, A. 4850.

Die Neuorientierung der Balkanpolitik Rußlands und Österreich-Ungarns 237

genommenen Verbindung unseres bosnischen Bahnnetzes mit dem türkischen eine der wichtigsten Fragen, die unser in der nächsten Zukunft harren. Aber wir dürfen uns, glaube ich, nicht darauf beschränken, die europäische Türkei so viel als möglich wirt­schaftlich zu erobern, sondern wir müssen auch trachten, die reichen Gebiete Klein­asiens mit unseren Waaren und mit unserer Arbeit aufzusuchen, denn gerade dieser Theil des türkischen Reiches verspricht ein reiches Absatzgebiet zu werden. Die große Frage, ob es Deutschland gelingen wird, die Bagdadbahn unter seinen Einfluß zu bringen, wird hier eine sehr wichtige Rolle spielen. Gerade diese Frage wirft ihren Schatten auf alle anderen Fragen, die uns in der Türkei beschäftigen, nicht zuletzt auf die Frage der mace-donischen Reformen. Die großen Schwierigkeiten, die jetzt England in der Angelegen­heit der 3%igen Zollerhöhung macht, ist zum Theil hierauf zurückzuführen. England will nicht, daß die Türkei zu Geld komme und daß sie Deutschland die erforderliche Kilometergarantie zum Weiterbau der Bagdad-Bahn gebe. . .20°

Im November 1907 versuchte Pallavicini, den Großwesir Ferid Pasa unter Druck zu setzen. Österreich-Ungarn sei diejenige Macht, die am ehesten für die Erhaltung des status quo eintrete: „Ich meine nämlich so lange, als die Türkei einerseits unsere wohl­gemeinten Rathschläge berücksichtigt und andererseits, so lange sie den großen In­teressen, die die Monarchie auf dem Gebiete des türkischen Reiches hat, sympathisch gegenübersteht".201

Aus obigen Berichten geht eindeutig hervor, daß wir es hier mit imperialistischen Absichten zu tun haben. Es ging um die Eroberung von Absatzmärkten, die Sicherung von Einflußsphären, den Bau von strategisch wichtigen Eisenbahnlinien u. dgl. Die Interessen der makedonischen Bevölkerung bedeuteten hierbei wenig, obwohl man sich immer wieder unter dem Vorwand, die Lage der christlichen Bevölkerung Ma­kedoniens zu verbessern, in die Angelegenheiten des Osmanischen Reiches einge­mischt hatte. Der russische Zivilagent in Makedonien, Demerik, drückte diese Tatsa­che in einem vertraulichen Bericht vom November 1906, dessen Inhalt jedoch in Bulgarien bekannt wurde, folgendermaßen aus:

Die Bulgaren befänden sich in Irrtum, wenn sie glaubten, Rußland arbeite in Mazedonien für ihre Interessen. Rußland treibe in Mazedonien Realpolitik und halte nicht eine Stär­kung, sondern eine Schwächung des dortigen bulgarischen Elements für erwünscht... Die mazedonische Frage sei am allerletzten eine bulgarische Frage, sondern eine europäische, deren Entscheidung durch europäische Interessen, insbesondere durch die Interessen der am meisten interessierten Mächte, Rußland's und Österreich-Ungarn's bedingt werde.202

Die sogenannte „jungtürkische" Bewegung, die mit der gleichnamigen Revolution im Jahre 1908 die Entwicklung der Makedonischen Frage erheblich beeinflussen soll­te, ist als eine Reaktion der makedonischen Bevölkerung auf die oben geschilderte Situation aufzufassen. Im folgenden soll die Entwicklung der Jungtürkenbewegung bis zum Jahre 1906 in Form eines Exkurses dargestellt werden, um dann den Platz

200 Pallavicini an Aehrenthal, Constantinopel, 17. April 1907, Nr. 23 B, streng vertraulich, HHStA, PAXII/191.

201 Pallavicini an Aehrenthal, Yeniköy, 20. November 1907, Nr. 68 A-K, streng vertraulich, 'HHStA, PA XU/192.

202 St. Petersburg, 27. November 1906, Nr. 438, PAAA, Türkei 156, Bd. 123, A. 19923.

238 Die politischen Verhältnisse nach dem Hindert-Auf stand

aufzuzeigen, den die Jungtürken innerhalb der makedonischen Befreiungsbewegung hatten. Wie bereits hervorgehoben wurde, war es eine bedeutende soziale Errungenschaft in der Regierungszeit Abdulhamids II., daß auch in den entferntesten Vilayets des Rei­ches weiterführende Schulen gegründet wurden und daß somit die Söhne der provin-zialen bürgerlichen Schicht die Möglichkeit erhielten, die Beamtenlaufbahn einzu­schlagen. Beispielsweise stammten von den 17 Generalstabsoffizieren, die im Jahre 1885 die Kriegsakedemie in Istanbul absolvierten, drei aus den Balkanvilayets, sechs aus Anatolien, zwei aus den arabischen Provinzen und nur drei aus Istanbul.203 Auch die Studenten der „Hochschule für Militärmedizin" in Istanbul, die im Jahre 1889 das geheime Komitee Ittihadi Osmanl (Osmanische Einheit) gründeten, stammten aus allen möglichen Ecken des Reiches: der Initiator, Ibrahim Temo, war ein Albaner aus Ochrid, Abdullah Cevdet ein Kurde, Mehmet Resit ein Tscherkesse aus Kauka-sien, Hüseyinzade Ali aus Baku, ïshak SukutîausSüdostanatolien. Bald traten andere Studenten dem Komitee bei: Serafeddin Magmumî, ein Araber, Giritli Sefik aus Kreta, Mekkeli Sabri aus Hedschas und ein gewisser Nazim aus Saloniki.204 Dies zeigt, wie irreführend die Bezeichnung „Jungtürke" ist, denn keiner dieser genannten Studen­ten dürfte sich im ethnischen Sinne als Türke verstanden haben. Die genauen Ziele dieser jungen Männer sind uns nicht bekannt.205 Aber die Quellen, die aus einer etwas späteren Zeit stammen, und die Tatsache, daß diese Männer ih­rem Komitee den Namen „Osmanische Einheit" gegeben hatten, sowie der Umstand, daß die ersten Personen außerhalb der Militärschulen, mit denen sie in Verbindung traten, Mitglieder der früheren Gruppe der „Neuen Osmanen" waren,206 erlauben die Vermutung, daß hier eine Bewegung im Entstehen war, die sich in erster Linie gegen die europäische Interventionspolitik im Nahen Osten richtete. Sultan Abdulhamid, dessen Regime der eigentliche Anlaß für fremde Einmischung zu sein schien, sollte dabei gestürzt und ein liberaler Prinz an seiner Stelle zum Sultan gemacht werden.207

Ab 1896 sahen sich immer mehr Jungtürken gezwungen, sich ins Exil nach Europa zu begeben.208 Bereits vor diesem Datum lebte in Paris eine kleine Gruppe osmani-scher Intellektueller; Halil Ganem.ein syrischer Christ aus Beirut, gab dort die Zeitung La Jeune Turquie heraus.209 Ahmed Riza, der später als Führer der Jungtürken in

203 Die Heimatorte der restlichen drei Offiziere sind unbekannt. M. Mazlum, Erkâm Harbiye tarihçesi [Die Geschichte des Generalstabes], Istanbul 1930. Zit. bei Kaipat,,,The Trans­formation of the Ottoman State, 1789-1908", S. 278.

204 T. Z. Tunaya, Türkiyede siyasi partiler, 1859-1952 [Die politischen Parteien in der Tür­kei 1859-1952], Istanbul 1952, S. 108-109; E. E. Ramsaurjr., The Young Turks. Prelu­de to the Revolution of 1908, Princeton, N. J., 1957, S. 14-15.

205 Tunaya veröffentlicht eine Satzung einer „Osmanischen Gesellschaft für Einheit und Fort­schritt", die die Satzung des Komitees in der „Hochschule für Militärmedizin" gewesen sein soll. Er selbst jedoch räumt ein, daß die Echtheit des Dokuments nicht gesichert ist. Siehe a.a.O., S. 117-122.

206 Ramsaur, a.a.O., S. 21. 207 Im Jahre 1896 entschloß man sich in der Tat, einen Staatsstreich durchzuführen, der aber

von der Geheimpolizei des Sultans vereitelt wurde. Vgl. Ramsaur, a.a.O., S. 30-33. 208 Tunaya, a.a.O., S. 110-112. 209 Ramsaur, a.a.O., S. 22.

Die Neuorientierung der Balkanpolitik Rußlands und Österreich-Ungarns 239

Europa bekannt wurde, begann gegen Ende 1895 zusammen mit Halil Ganem die Zeitung Mechveret herauszugeben.210 In der ersten Nummer mit dem Datum „27 Fré­déric 107" (3. Dezember 1895)211 wurde ein jungtürkisches Programm veröffentlicht. Einige Passagen aus diesem wichtigen Dokument lauten:212

We demand reforms, not especially for this or that province, but for the entire Empire, not in favor of a single nationality, but in favor of all the Ottomans, be they Jews, Chri­stians, or Moslems.

We are determined to guard the originality of our oriental civilization and, for this reason, to borrow from the Occident only the general results of their scientific evolution, only the things truly assimilable and necessary to guide a people in its march towards liberty.

We are opposed to the substitution of direct intervention by the foreign powers for Otto­man authority. This is not from fanaticism, because, for us, the religious question is a pri­vate affair - but from a legitimate sentiment of civil and national dignity.

Neben Paris waren Genf und Kairo wichtige Zentren jungtürkischer Aktivität. Ab 1897 erschien in Genf die Zeitung Osmanli, die besonders auf der Balkanhalbin­sel, und zwar von der unteren Mittelschicht, gelesen wurde.213 Die Jungtürkenbewe­gung erlebte überhaupt auf dem Balkan ihre größte Verbreitung. Ibrahim Temo, der Initiator der Bewegung,214 ging 1896 nicht nach Westeuropa ins Exil, sondern nach Rumänien, wo er in Constante-Mecidiye (Medgidia) ein jungtürkisches Komitee grün­dete.215 Da er Albaner war, gelang es ihm im Jahre 1899, eine Verbindung zur Re­daktion der in Sofia erscheinenden albanischen Zeitung Drita herzustellen. Es war seinem organisatorischen Talent zuzuschreiben, daß zu Beginn des 20. Jahrhunderts Jungtürkenkomitees sowohl in einer Reihe bulgarischer Städte, wie Ruse, Sumen, Plovdiv, Sofia, Kazanlük und Vidin, als auch in den albanischen Städten Skutari und Tirana tätig \yaren. Vom 4. bis zum 9. Februar 1902 wurde in Paris der erste Jungtürkenkongreß abge­halten.216 Diese Versammlung,an deretwa47 Delegierte -Türken, Araber,Griechen, Kurden, Albaner, Armenier, Tscherkessen und Juden - teilnahmen, ging auf die Ini­tiative eines jungen Verwandten Abdulhamids, des Prinzen (Prens) Sabahattin (1897-1948), zurück. Dieser lebte seit 1899 im Exil.217 Die politischen Ansichten

210 Vgl. Ramsaur, a.a.O., S. 22-23. 211 Ahmet Riza war ein Anhänger Auguste Comtes und war in den Kreisen der Positivisten in

Paris bekannt. Daher die Benutzung des positivistischen Kalenders für Mechveret. Vgl. Ramsaur, a.a.O., S. 24;N. Berkes, Türkiye'de çagdaslasma, S. 347 ff.

212 Englische Übersetzung de_s französischen Textes bei Ramsaur, a.a.O., S. 24-25. 213 Zum jungtürkischen Propagandablatt Osmanli siehe Ç. Mardin, Jon Tüfklerin siyasi fikir-

fe/7S. 93-121. 214 Dazu siehe H. Kaleshi, „Dr. ibrahim Temo - der Gründer des jungtürkischen Komitees

Einheit und Fortschritt. Ein Beitrag zur Erhellung der Rolle der Albaner in der jungtürki­schen Bewegung", SOF 35 (1976), S. 110-149.

215 Hierzu u.z. folg. vgl. Tunaya, a.a.O., S. 111. 216 Hierzu u.Z. folg. vgl. Ramsaur, a.a.O., S. 65-75. 217 Ebd., S. 54 ff.

240 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

Prens Sabahattins liefen auf eine radikale Dezentralisierung des Osmanischen Reiches hinaus. Jedes Vilayet, jede Kaza, sogar jedes Dorf sollte eine autonome Verwaltung haben.218 Viele Nichttürken in der Jungtürkenbewegung, die ihre jeweiligen Provin­zen autonom regiert sehen wollten, standen aus diesem Grunde der politischen Rich­tung Sabahattins näher als der Linie des Herausgebers von Mechveret, Ahmet Riza, der für die Beibehaltung des Zentralismus eintrat.219

Während des ersten Kongresses in Paris, der unter dem Vorsitz von Prens Sabahattin tagte, kam es denn auch zu einer Spaltung der Bewegung. Die Mehrheit um Sabahat­tin setzte durch, daß in die Entschließung des Kongresses eine Bestimmung aufgenom­men wurde, welche die „wohlwollende" Intervention europäischer Staaten zugun­sten der Reformierung des osmanischen Verwaltungssystems guthieß.220 Ahmet Riza bestand jedoch darauf, daß eine Erklärung, als die Meinung der Minorität, in das Pro­tokoll des Kongresses aufgenommen wurde, in der sich folgende, im Zusammenhang mit unserem Thema bedeutungsvolle Passage findet:

The majority in the Congress has believed that in order to execute reforms in Turkey it is requisite, of necessity, to have recourse to the intervention of the Powers,and the spirit of the resolution made condenses itself after a fashion into this formula of the benevolent action of the Powers. We, the minority, convinced that the Powers are guided by self-in­terest and that this self-interest is not always in accord with that of our country, we have rejected entirely an action which infringes the independence of the Ottoman Empire.,21

Die Gruppe um Ahmet Riza spaltete sich ab und bildete ein Komitee mit der Bezeich­nung „Osmanisches Komitee für Fortschritt und Einheit" (Osmanh Terakki veltti-hat Cemiyeti),2,12 während Prens Sabahattin und seine Anhänger ein „Komitee für Privatinitiative und Dezentralisation" (Teçebbiisii Çahsî ve AdemîMerkeziyet Cemi­yeti) gründeten.223 Die Gruppe Ahmet Rizas begann im Jahre 1902 neben Mechveret ein neues Blatt unter dem Titel Çurayi Ümmet (Volksrat) herauszugeben, das sich als „Organ des Komitees für Freiheit und Fortschritt" bezeichnete.224 In der Ausgabe vom 6. April 1905 wurde unter der Überschrift „Der Krieg und die Revolution" zum russisch-japanischen Krieg Stellung genommen. Dabei wurde, was für die Ideologie der Jungtürken charakteristisch war, der Sieg Japans als der erste Sieg Asiens über Europa begrüßt und gefeiert. Man fügte hinzu: „Nunmehr gibt es ein Asien, demge­genüber Europa sich zu bequemen haben wird, eine höflichere und menschlichere Haltung einzunehmen."225

218 Siehe hierzu Prens Sabahattin, Tiirkiye nasit kurtanlabilir [Wie kann die Türkei gerettet werden], istanbul 1965 [' 1918).

219 So arbeitete Ismail Kemal Bey Vlora, einer der bekanntesten Führer der albanischen Natio­nalbewegung, mit Prens Sabahattin zusammen. Vgl. M. Kodra, „Mladoturskata revolucija i albanskoto osloboditelno dvizenje" [Die jungtürkische Revolution und die albanische Be­freiungsbewegung], G1NI12 (1968), 1,5. 119. Siehe auch Kaleshi,i>. Ibrahim Temo S. 129.

220 Vgl. Ramsaur, a.a.O., S. 68-69. 221 Ebd., S. 69. 222 Siehe das Statut dieses Komitees bei Tunaya, a.a.O., S. 123-126. 223 Siehe das Programm des Komitees ebd., S. 143-144. 224 Ramsaur, a.a.O., S. 75. 225 Zit. nach S. Mardin, a.a.O., S. 211. (Übersetzung v. F. A.)

Die Neuorientierung der Balkanpolitik Rußlands und Österreich-Ungarns 241

Den im Exil lebenden Jungtürken kommt das Verdienst zu, durch ihre zahlreichen Presseorgane226 die Opposition im Osmanischen Reich über die politische Entwick­lung in der Welt auf dem Laufenden gehalten zu haben. Eine darüber hinausgehende aktive Rolle in der Vorbereitung der Jungtürkenrevolution haben sie dagegen kaum gespielt.227

Das Komitee, das im Jahre 1906 unter der Bezeichnung OsrrmnliHürriyet Cemiyeti (Osmanische Gesellschaft für Freiheit) in Saloniki gegründet wurde und das schließ­lich die Revolution des Jahres 1908 verwirklichen sollte, hatte mit den Jungtürken in Europa anfanglich keine Verbindung. Seine ersten Mitglieder waren, wie z.B. Talat Bey (Angestellter bei der Post), Ismail Canbolat (Hauptmann) und Ömer Naci (Ober­leutnant), kleine Beamte und Offiziere.228 Nicht von theoretisch-politischen Überle­gungen und Überzeugungen wurden sie geleitet, sondern es waren die konkreten Ver­hältnisse in Makedonien, worauf sie unmittelbar reagierten. Indem sie das Ziel ver­folgten, die Wiederinkraftsetzung der Verfassung von 1876 und somit die Retablie-rung des konstitutionellen Regimes durchzusetzen — im Grunde das Ziel aller Jung­türken — hofften sie, die drohende Abtrennung Makedoniens vom Osmanischen Reich zu verhindern.229

Es gelang dem neuen Komitee, zahlreiche Mitglieder insbesondere unter den jungen Offizieren des 3. Armeekorps in Saloniki zu gewinnen.230 Diese waren meist kom­mandierende Offiziere kleinerer Verfolgungsabteilungen, die in unzähligen Gefech­ten mit den makedonischen ceti einerseits den nationalistischen Idealismus ihrer Gegner zu respektieren gelernt hatten231 und sich andererseits der Zwecklosigkeit ihrer eigenen Bemühungen bewußt geworden waren: Denn, wie erfolgreich sie auch

226 In einer Liste der verschiedenen jungtürkischen Presseorgane werden 118 Zeitungs- bzw. Zeitschriftentitel angegeben. Siehe Tunaya, a.a.O., S. 157-160.

227 Vgl. Bcrkes, Türkiye'de çagdaslasma . . . , S. 346. 228 Zu der Namensliste der Gründer des Saloniker Komitees siehe E. B. Sapolyo, Ziya Gökalp.

ittihat ve Terakki ve Mesrutiyet tarihi [Z. Gökalp. Die Geschichte des Komitees Einheit und Fortschritt und des konstitutionellen Regimes), Istanbul 1943, S. 59. Vgl. auch Tuna­ya. a.a.O.. S. 113 114.

229 Vgl. Aydemir, Makedonya'dan Ortaasya'ya. Enver Pasa, Bd. 1, S. 501-502. Aydemir zi­tiert die Memoiren Enver Pasas.

230 Saloniki war ein bedeutendes Zentrum des Freimaurertums. Besonders die dortige italie­nische Vereinigung „Macedonia Risorta" genoß ein hohes Ansehen unter den Offizieren der osmanischen Armee. Hierbei scheinen die dönme (Renegaten), die muslimischen Israe­liten von Saloniki, die zum größten Teil Freimaurer waren, eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Jedenfalls ist bekannt, daß sechs von den zehn ersten Mitgliedern des „Osmani­schen Komitees für Freiheit" in Saloniki Freimaurer waren. Der kleine Postbeamte Talat Bey z.B., der ethnischen Abstammung nach Zigeuner, war später, als er als der Großwesir des Osmanischen Reiches fungierte, gleichzeitig der Großmeister aller Freimaurerlogen in diesem Reich. Trotzdem sollte, wie auch in der neueren Literatur mit Recht davor gewarnt wird, die Rolle des Freimaurertums in der Jungtürkenbewegung nicht überbewertet wer­den. Zu diesem Fragenkomplex siehe Imhoff, „Die Entstehung und der Zweck des Comi­tés für Einheit und Fortschritt", Die Welt des Islams 1 (1913),S. 167-177; Sapolyo, a.a.O., S. 60-62; Ramsaur, a.a.O.. S. 103-108; Lewis, The Emergence of Modern Turkey, S. 207-208; E. Kedourie, „Young Turks, Freemasons and Jews", MES 7 (1971), S. 89-104. Zu den muslimischen Juden von Saloniki (dönme) siehe H. Graetz, History of the Jews, Bd. 5, S. 118-167.

231 Vgl. Aydemir, a.a.O., S. 483-486.

242 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

in der Bekämpfung aufrührerischer Gruppen gewesen sein mochten, die von ihnen gefangengenommenen Bandenführer wurden in der Regel entweder durch eine Am­nestie des Sultans oder aber durch die Intervention einer Großmacht bald wieder auf freien Fuß gesetzt.232 Die Verfolgung mußte dann wieder ganz von vorne beginnen. So war selbst der Generalinspektor Hilmi Pasa, der später ebenfalls Jungtürke wurde, in dieser Hinsicht entmutigt. Als nämlich Boris Sarafov, einer der meistge­suchten Bandenchefs, Anfang Dezember 1906 für acht Tage in Saloniki weilte, um mit dem bulgarischen Handelsagenten zu sprechen, ließ Hilmi Pasa ihn nicht verhaf­ten. Auf die diesbezügliche Verwunderung des deutschen Generalkonsuls erwiderte er „in ziemlich kläglichem Tone: was er denn mit ihm hätte anfangen sollen, das hät­te ein solches Geschrei gegeben und wäre ihm übel vermerkt worden".233

Die voneinander unabhängigen, teilweise sogar rivalisierenden Gruppierungen der Jungtürken machten im Lauf des Jahres 1907 den Versuch, eine Einigung der Bewe­gung herbeizuführen. Parallel dazu fand eine Ausdehnung der Organisation statt. In Makedonien entwickelte sich Monastir zu einem neuen Aktionszentrum.234 Die al­banischen Nationalkomitees in Vilayet Monastir zeigten sich an einer Zusammen­arbeit mit den Jungtürken interessiert. Das albanische Komitee von Debar z.B. schloß sich den Jungtürken an.235

Auch das Komitee, das im Herbst 1906 unter der Bezeichnung Vatan veHürriyet (Va­terland und Freiheit) von einigen Offizieren (darunter Mustafa Kemal) in Damaskus gegründet worden war und in Jerusalem und Jaffa Büros hatte, trat im Jahre 1907 mit dem Jungtürkenkomitee in Saloniki in Verbindung.236 Im September 1907 schließlich kam es zu einer Fusion zwischen der Pariser Gruppe Ahmet Rizas und der „Osmanischen Gesellschaft für Freiheit" in Saloniki.237 Das neue Komitee nahm die Bezeichnung Ittihat ve Terakki (Einheit und Fortschritt) an. Nach dem Dokument, das diese Vereinigung festhielt, sollte Ittihat ve Terakki zwei gleichberechtigte Fiih-rungszentren, nämlich Saloniki und Paris, haben, die jeweils für innere und äußere Angelegenheiten zuständig sein sollten. Das gemeinsame Ziel war wiederum die Wie­derinkraftsetzung der Verfassung von 1876.238

232 Zum Beispiel verurteilte ein Ausnahmegericht am 1. Mai 1906 den bulgarischen Banden­führer Martinov zum Tode. Der österreichische Konsul in Skopje, Rappaport, berichtete streng vertraulich: „Vom speziellen Standpunkte unserer militärischen Mission wäre eine Hinrichtung Martinov's, welche im übrigen nicht ungerechtfertigt wäre, deshalb weniger wünschenswert, weil . . ." Zimony, 2. Mai 1906, Chiffretelegramm Nr. 7, HHStA, PA XXXVIII/437. Der Konsul war dann nach einiger Zeit in der Lage, zu berichten, daß der Bandenchef Martinov nicht hingerichtet, sondern nach Nordafrika in Verbannung ge­schicktwerde. Rappaport an Goluchowski, Üsküb, 19. Juli 1906, Nr. 135, vertraulich, a.a.O.

233 Salonik, 11. Dezember 1906, Nr. 32, PAAA, Türkei 156, Bd. 123, A. 20844. 234 Vgl. Aydemir, a.a.O., S. 510-512. 235 Kodra, a.a.O., S. 120. 236 Vgl. hierzu Tunaya, a.a.O., S. 150-152; Ramsaur, a.a.O., S. 95-96,98-100; Lewis, a.a.O.,

S. 201. Nach Meinung A. F. Millers wurde das Komitee in Damaskus schon im Herbst 1905 gegründet. Siehe „Revoljucija 1908g. v Turcii i Mustafa Kemal" (Die Revolution des Jahres 1908 in der Türkei und Mustafa Kemal\,NarodyAziiiAfriki, 1975, 3, S. 53-66.

237 Hierzu u.z. folg. vgl. Ramsaur, a.a.O., S. 121-124. 238 Zu diesem Dokument und zu den Statuten des neuen Komitees siehe Tunaya, a.a.O., S.

128-137.

Die Neuorientierung der Balkanpolitik Rußlands und Österreich-Ungarns 243

Gegen Ende des Jahres 1907 fand der zweite Jungtürkenkongreß in Paris statt.239

Der Anstoß hierzu kam von der armenischen revolutionären Föderation Daçnaksu-tyun.M0 Man hatte auch die Innere Makedonische Revolutionäre Organisation einge­laden. Die Bulgaren lehnten jedoch eine Teilnahme ab, weil sie nicht bereit waren, „zur Wiedergeburt der Türkei" beizutragen.241 Auf diesem Kongreß wurde Einver­nehmen unter den teilnehmenden Gruppierungen darüber erzielt, daß die bestehen­de osmanische Regierung gestürzt und durch eine vom Volk gewählte Regierung er­setzt werden sollte.242

Die Verständigung unter den jungtürkischen Fraktionen fand gerade noch rechtzeitig statt. Denn es standen wichtige Entscheidungen der Großmächte über die Zukunft Makedoniens unmittelbar bevor. T. Tittoni, der Außenminister Italiens, hatte am 14. Juni 1906 im Abgeordnetenhaus zur politischen Lage auf der Balkanhalbinsel ge­sagt:

In my conversations with Count Goluchowski,... which gave positive and practical results, we found each other perfectly agreed in affirming that, whenever the maintenance of the status quo should no longer be possible, the solution which Italy and Austria-Hungary would together advocate would be that of the political autonomy of the Balkan Peninsu­la upon the principle of nationality.243

Diese Rede rief sowohl in Istanbul als auch in den jungtürkischen Kreisen in Europa Bestürzung hervor.244 Freiherr Marschall von Bieberstein sah sich zum folgenden Kommentar veranlaßt:

Die Autonomie für Mazedonien, in welcher Form man sich dieselbe theoretisch auch kon­struieren will, ist und bleibt eine Utopie. Man kann sich die Lösung der mazedonischen Frage in verschiedenartiger Weise denken. Nur das eine ist heute schon sicher,daß die Frage niemals auf der Basis des Nationalitätenprinzips, sondern mit Eisen und Blut nach dem Rechte des Stärkeren entschieden werden wird.345

Das „Comité Ottoman d'Union et de Progrès" in Paris richtete Anfang 1907 ein Pro­testschreiben an die Regierungen der Großmächte, in dem es u.a. hieß:

Si la Macédoine s'est transformée en un champ de carnage où l'élément chrétien . . .s'entre déchire, c'est uniquement en vue d'étendre sa sphère politique et d'amener les Puissances à lui octroyer une Autonomie.

Dans ces conditions, les paroles prononcées par Son Excellence Monsieur le Ministre des Affaires Etrangères d'Italie, semblant promettre une prochaine autonomie aux Chrétiens

239 Ramsaur, a.a.O., S. 124-129. 240 Vgl. Lewis, The Emergence of Modem Turkey, S. 202. 241 Vgl. Christo Matov za svojata revoljucionna defnost, S. 53. Vgl. auch H. Bayur, Turk inki-

lâbitarihi, 1/1. S. 400-401. 242 Der Text der vom Kongreß gefaßten Entschließung bei Tunaya, a.a.O., S. 153-156. 243 T. Tittoni, Italy's Foreign and Colonial Policy. A Selection from the Speeches delivered in

the Italian Parliament, London 1914, S. 58. 244 Pallavicini an Aehrenthal, Constantinopel, 26. December 1906, Nr. 61 A-C, streng ver­

traulich, HHStA, PA XII/190. 245 Pera, 3. Februar 1907, PAAA, Türkei 156, Bd. 125, A. 286 Abschrift.

244 Die politischen Verhältnisse nach dem Üinden-Aufstand

de la Macédoine, ne peuvent qu'exciter ces derniers contre l'Etat et les encourager à re­doubler d'efforts, c'est à dire de méfaits, pour hâter la conclusion de cette Autonomie. Nous protestons donc, au nom de l'intégrité et des droits légitimes de l'Empire Ottoman, contre cette politique partiale. . .J46

In einem Memorandum ähnlichen Inhalts wies Prens Sabahattin die Behauptung ent­schieden zurück, daß die Christen im Osmanischen Reich unterdrückt würden.247

Während die Jungtürken in Europa auf diese Weise versuchten, die Argumente der Befürworter einer makedonischen Autonomie auf ideologischem Felde abzuwehren, orientierten sich die Jungtürken in Makedonien an den Realitäten des Landes. In einer langen Reihe von blutigen Kämpfen im Laufe der Jahre 1907 und 1908 gelang es ih­nen, die Bandentätigkeit weitgehend einzudämmen. Diese Tatsache ist in der einschlä­gigen Literatur oft übersehen worden. Zuweilen wurde genau das Gegenteil behaup­tet. Beispielsweise ist bei O. Ivanoski zu lesen: „Der Terror der öeti erreichte zu Be­ginn des Jahres 1908 ein solches Ausmaß, daß die Pforte absolut unfähig war, sie zu bekämpfen."248

Im folgenden soll daher die Entwicklung der makedonischen Bandentätigkeit in die­ser Periode in ihren Grundzügen gezeigt und dabei auch die von Ivanoski vertretene These widerlegt werden. Eine sich ausbreitende Protestbewegung der muslimischen Bevölkerung Makedoniens gegen die europäischen Reformen bildet den gesellschaftlich-politischen Hintergrund für die Bekämpfung des Bandenwesens durch die Jungtürken ab 1907. Der österrei­chische Konsul in Usküb berichtete im Mai jenes Jahres, aus seinen neuerlichen Be­obachtungen gehe eindeutig hervor, „daß sich unter den hierländischen Mohamme-

* danern nicht mehr dieselbe Gleichgültigkeit, wie früher, gegenüber der christlichen Agitation kundgibt, und daß unter ihnen eine bedenkliche Verstimmung platzzugrei­fen beginnt, welche hauptsächlich von der tendenziösen Anschauung ausgeht, daß die auf den Moslims schwere materielle Opfer auferlegenden Reformen, weit mehr den Christen als ihnen selbst zugute kommen."249 Im Juli 1907 erfuhr der österrei­chische Konsul in Saloniki von einem Gewährsmann, einem Offizier der osmanischen Armee, daß in den Vilayets Monastir, Janina, Skutari und Kosovo eine Bewegung im Gange sei, eine allgemeine „Bessa" („Treue", Waffenstillstand) abzuschließen, und zwar des folgenden Inhalts:

a) dem Sultan und der Regierung soll bedingungslose Treue geleistet werden; b) alle Morde, Streitigkeiten und Räubereien in Albanien sollen umgehend eingestellt

werden; c) man wolle bis zum Ende der Mandate der Reformorgane warten, aber nicht mehr zu­

lassen, daß diese verlängert werden.250

246 PAAA, Türkei 156, Bd. 124, A. 978. 247 „Mémoire des libéraux turcs relatif à la Question d'Orient", HHStA, PA XII/190. 248 Balkanskite socijalisti i makedonskoto prasanje, S. 205. 249 Rappaport an Aehrenthal, 26. Mai 1907, Nr. 76, vertraulich, HHStA, PA XXXVIII/438. 250 Para an Aehrenthal, Salonik, 16. Juli 1907, Nr. 30, vertraulich, HHStA, PA XXXVIII/

408.

Die Neuorientierung der Balkanpolitik Rußlands und Österreich-Ungarns 245

Andererseits mußte die Innere Organisation gleich zu Beginn des Jahres 1907 einen schweren Verlust hinnehmen: Damjan Gruev, der Gründer dieser Organisation, fiel während eines Gefechts mit den osmanischen Truppen.251 Der militärische Druck auf die im Lande operierenden bulgarischen Ceti verschärfte sich. So wurde eine gro­ße Freischar zwischen Veles und Prilep von einer Einheit unter dem Befehl Enver Beys gestellt und vernichtet,252 wodurch das gesamte Gebiet von Tikves" von Banden gesäubert war:

Die jahrelang dauernden. . . Gelderpressungen, denen die christlichen Einwohner. . . sei­tens der Banden ausgesetzt waren. . . haben es zu Wege gebracht, daß die Bevölkerung die Befreiung von dem Bandenjoche sehnlichst herbeiwünschte; in dieser Verfassung vollzog sich eine erfreuliche Annäherung der den Bezirk bewohnenden Christen und Mohamme­daner. . .2S3

Infolge der energischen Bekämpfung durch die Truppen war die Innere Organisation gegen Ende des Jalires 1907 tatsächlich kein ernst zu nehmender Machtfaktor mehr in Makedonien. Hinzu kam, daß die Auseinandersetzung zwischen dem „rechten" und „linken" Flügel zusehends härter wurde. Zwei der bekanntesten Führer der Or­ganisation, Boris Sarafov und Ivan Garvanov, fielen diesem Bruderzwist zum Opfer; sie wurden beide im Dezember 1907 in Sofia von Panica, einem Mitstreiter Sandan-skis, ermordet.254 Dieses Ereignis trug zur weiteren Schwächung der Inneren Orga­nisation bei.255

Aber auch die serbische (Jeta-Organisation in Makedonien wurde nunmehr energischer verfolgt und war außerdem in sich gespalten. Am 5. Januar 1908 brach im Kozjak-Gebirge ein Kampf aus zwischen einer serbischen ceta, die der sogenannten „autono-mistischen" Richtung innerhalb der serbischen Bewegung im Vilayet Kosovo ange­hörte, und mehreren anderen Ceti, die vom serbischen Konsulat in Skopje gelenkt wurden.256 Der autonomistische serbische Führer Serafin Smilance wurde später am 25. März 1908 bei Dragomanci, Kaza Kumanova, von osmanischen Truppen umzin­gelt und getötet.257

Was nun die Bekämpfung des griechischen Bandenwesens anbetrifft, so war die Hal­tung der jungtürkischen Offiziere vor allem durch ihre Zusammenarbeit mit der alba­nischen Nationalbewegung bedingt. Albanische Nationalisten waren im Jahr 1907

251 Bericht des deutschen Militärattaches, Konstantinopel, 21. Januar 1907, PAAA, Türkei 156, Bd. 125, A. 1631.

252 Lukes an Aehrcnthal, Üsküb, 18. Juli 1907, Chiffretel. Nr. 59, HHStA, PA XXXVIII/438. 253 Para an Aehrenthal, Salonik, 17. Juli 1907, Nr. 32, HHStA, PA XXXVIII/408. 254 Sofia, 17. Dezember 1907, Nr. 138, PAAA, Türkei 156, Bd. 131, A. 19365. Siehe auch

Süjanov, a.a.O., Bd. 2, S. 489 ff. 255 Rappaport an Aehrenthal, Üsküb, 28. Jänner 1908, Nr. 19, vertraulich, HHStA, PA

XXXVIII/439. Matov sorgte dafür, daß sofort Strafmaßnahmen gegen Sandanski und seine Genossen beschlossen wurden. Ch. Matov za svojata revoljucionna dejnost, S. 52.

256 Siehe Berichte Rappaports vom 28. Jänner Nr. 19, und vom 5. Februar 1908, Nr. 27, HHStA, PA XXXVIII/439.

257 Chiffretel. Rappaports, Üsküb, 25. März 1908, Nr. 16, HHStA, PA XXXVIII/439.

246 Die politischen Verhältnisse nach dem Mnden-Aufstand

und 1908 neben den Walachen das Ziel systematischer Angriffe hellenistischer Ban­den.258 In den Kazas Kastoria und Korea machten die Albaner daher mit den Wala­chen, manchmal sogar mit den Bulgaren, gemeinsame Sache gegen die Griechen.259

Auch die osmanischen Truppen gingen nun im Herbst 1907 gegen die hellenisti­schen Banden im gesamten Vilayet Monastir beharrlich vor.260

Gerade als die osmanische Armee auf diese Weise dabei war, das Bandenwesen in Ma­kedonien erfolgreich einzudämmen, gab die englische Regierung Ende 1907 mit einer neuen Reforminitiative der Makedonischen Frage eine neue Wendung. Am 18. De­zember schlug sie in einer Zirkularnote vor, daß die europäischen Gendarmerie-Offi­ziere „should be intrusted with a full measure of executive control, and that the force under their command should be properly qualified for effective action by a substan­tial increase in numbers and an adequate equipment."261 In dieser Zirkularnote griff Grey darüber hinaus auch die Frage nach der Ernennung eines Generalgouverneurs für Makedonien auf - eine Anregung, die auf dem Balkan überwiegend negative Re­aktionen hervorrufen sollte262 - , indem er feststellte:

Underneath the Macédonien question lies the Turkish question. An attempt to settle the question of Macedonia that caused a division amongst the Powers might raise the Turkish question without settling that of Macedonia. . . The situation is not beyond remedy, but it cannot be remedied by half-measures. Were a Governor of Macedonia to be appointed who could be given a free hand and be irremovable for a term of years except with the consent of the Powers, and were an adequate force of gendarmerie and European officers placed at his disposal, His Majesty's Government are convinced that the country might be cleared of bands and passified in a short time. . .

Sultan Abdulhamid ließ nun durch seinen Botschafter in Paris andeuten, daß er even­tuell bereit sein würde, Hilmi Pasa zum Generalgouverneur von Makedonien zu er­nennen; einen Gouverneur unter europäischer Kontrolle jedoch würde er nie akzep­tieren.263 Auch Griechenland war nicht bereit, die Vorschläge Englands unwiderspro­chen hinzunehmen, da sie in seinen Augen Bulgarien begünstigten.264 Dagegen wur­de in Sofia während einer Kundgebung am 25. März 1908 Sir Edward Grey als ein würdiger Nachfolger Gladstones gepriesen und ihm, der englischen Regierung sowie dem Londoner „Balkan Committee" der Dank des bulgarischen Volkes ausgespro­chen.265

258 Bericht Paras, Salonik, 29. November 1906, Nr. 54, vertraulich, HHStA, PA XXXVI1I/ 408. Zur hellenistischen Terrorkampagne gegen die nationalistisch gesinnten Walachen sie­he Peyfuss, Die Aromunische Frage, S. 97-104.

259 Pbsfai an Aehrenthal, Monastir, 31. Oktober 1907, Nr. 34, HHStA, PA XXXVIII/395. 260 Posfai an Aehrenthal, Monastir, 5. September 1907, Nr. 25, HHStA, PA XXXVIII/395,

und 22.Mai 1908, Nr. 32, ebd. 261 Englische Zirkularnote vom 3. März 1908, HHStA, PA XII/342, Liasse XXXV/12. 262 Ministerpräsident Serbiens sagte dem Grafen Forgäch, daß der englische Vorschlag auf

den serbischen, griechischen und montenegrinischen Widerstand stoßen würde. Belgrad, Chiffretel. vom 28. Februar 1908, Nr. 29, HHStA, PA XII/341, Liasse XXXV/12.

263 Khevenhuller an Aehrenthal, Paris, 7. März 1908, Nr. 9 D, HHStA, PA XII/342, Liasse XXXV/12.

264 Macchio an Aehrenthal, Athen, Chiffretel. vom 15. März 1908, Nr. 3,HHStA,PA XII/342, Liasse XXXV/12.

265 Ozernin an Aehrenthal, Sofia, 15. April 1908, Nr. 23 B, HHStA, PA XII/342, Liasse XXXV/12.

Die Neuorientierung der Balkanpolitik Rußlands und Österreich-Ungarns 247

In Makedonien aber waren vor allem die Albaner nicht bereit, die Ernennung eines Generalgouverneurs hinzunehmen. Ihren Unmut drückten sie durch eine „bewaff­nete Demonstration" in der Nähe von Prizren aus.266 Das jungtürkische Komitee „Einheit und Fortschritt", das eng mit den Albanern zusammenarbeitete, übergab den Vertretern der Großmächte Anfang Juni 1908 ein Memorandum, in dem u.a. er­klärt wurde:

„Il n'y a pas une question macédonienne. . . L'Europe qui se plait à imaginer un mal ma­cédonien doit abandonner son intervention qui n'a pu et ne peut produire aucun effet sa­lutaire."267

Der Ton dieses Memorandums läßt erkennen, daß das jungtürkische Komitee nunmehr zur Aktion entschlossen war.268 Dazu sah es sich aber bald auch aus einem anderen Grund gezwungen. Eine vom Sultan eingesetzte Untersuchungskommission war näm­lich den Mitgliedern der geheimen Organisation auf die Spur gekommen. Handelten die Jungtürken jetzt nicht umgehend, so drohte ihnen die Gefahr, verhaftet zu wer­den.269 Am 3. Juli 1908 ging Vizemajor Niyazi Bey mit einer größeren Anhänger­schaft in die Berge und gab damit das Zeichen zum Aufstand gegen den Sultan. Drei Tage später gelang es ihm, obwohl er „als arger Verfolger der christlichen Bevölkerung berüchtigt" war, sich mit der slawischen Bevölkerung der Umgebung Ochrids zu ver­ständigen.270 Semsi Pasa, der mit dem Auftrag, die aufrührerischen Elemente in der Armee zu unterdrücken, nach Monastir gekommen war, wurde am 7. Juli von einem jungtürkischen Leutnant erschossen.271

Am 9. Juni 1908,als sich die politische Lage in Makedonien immer weiter zuspitzte, kamen Eduard VII. und Nikolaus IL in Reval zusammen, um u.a. auch über die Zu­kunft Makedoniens zu beraten. Diese Begegnung rief im Osmanischen Reich große Aufregung hervor, da man glaubte, daß England und Rußland nunmehr eine Auftei­lung des Osmanischen Reiches vereinbaren würden.272 Dabei war „nach Aussage Herrn Iswolsky's . . . in Reval noch keine vollkommene Feststellung mazedonischen Re­formprogramms erzielt worden".273 Der strittig gebliebene Punkt des Programms bezog sich auf die „Machtvollkommenheit des Generalinspektors zur Absetzung miß­liebiger Beamten."274

266 Pallavicini an Aehrenthal, Tel.-Bericht vom 12. März 1908,Nr. 69, Konstantinopel, HHStA, PAXH/194.

267 Para an Aehrenthal, Salonik, 18. Juli 1908, Nr. 137, geheim, HHStA, PA XXXV1II/409. 268 Das Memorandum trug das Datum „Mai 1908". Es war somit höchstwahrscheinlich vor

dem Revaler Treffen der Herischer Englands und Rußlands (9. Juni 1908) verfaßt worden. Vgl. hierzu Aydemir, a.a.O., S. 527-530.

269 „The immediate and short-term motive for the revolutionary outbreaks of June-July 1908 seems to have been self-preservation." F. Ahmad, The Young Turks. The Committee of Union and Progress in Turkish Politics, Oxford 1969. S. 2.

270 Pösfai an AehrenthaMäonastir, 6. Juli 1908, Nr. 42, HHStA, PA XXXVH1/395. 271 Tel.-Bericht Pallavicinis, Konstantinopel, 8. Juli 1908, Nr. 182, HHStA, PA XII/195. 272 Vgl. hierzu Aydemir, der die Memoiren Ahmet Rizas, Envers und Niyazi Beys zitiert,

a.a.O., S. 520-524. 273 Chiffretel. Berchtolds. Petersburg, 13. Juni 1908, Nr. 104, HHStA, PA XII/343, Liasse

XXX/12. 274 Chiffretel. Berchtolds, Petersburg, 16. Juni 1908, Nr. 107, ebd.

248 Die politischen Verhältnisse nach demilinden-Auf stand

Das jungtürkische Komitee bemühte sich in den ersten Wochen des Monats Juli 1908, die Zusammenarbeit der „Seres-Gruppe" der Inneren Organisation zu gewinnen. Das lokale jungtürkische Komitee in Nevrokop nahm am 11. Juli mit dem örtlichen ma­kedonischen Komitee Kontakt auf und schlug eine Zusammenarbeit vor.275 Man traf sich danach in Gajtaninovo und beschloß, als erstes die Bandentätigkeit in Makedo­nien zu beenden. Am 14. Juli arbeiteten die Jungtürken mit den Anhängern Sandan-skis sowie den Vertretern des lokalen griechischen Komitees in Nevrokop am Ent­wurf eines gemeinsamen Programms. Der weitere Verlauf der Jungtürkenrevolution selbst, die mit dem Wiederinkrafttre­ten der Verfassung von 1876 am 24. Juli 1908 ihren Höhepunkt erreichte, braucht hier nicht in allen seinen Details geschildert zu werden.276 Für die Zwecke der vor­liegenden Untersuchung sind jedoch einige Aspekte dieses großen Ereignisses von be­sonderer Bedeutung. In erster Linie ist festzustellen, daß die jungtürkische Revolu­tion auch eine makedonische Pe olution war. Dies kommt im folgenden „Manifest an alle Nationalitäten des Reiches", verfaßt von Jane Sandanski, zum Ausdruck:

. . . Unser vielgeprüftes Vaterland feiert seine Wiedergeburt. . . Der revolutionäre Aufruf unserer jungtürkischen Brüder findet freudigen Widerhall in der Seele des vielgeprüften Volkes . . . Meine türkischen Mitbürger: Ihr stellt eine große Mehrheit des Volkes dar, deshalb habt ihr auch am meisten die Bedriik-kungen der gemeinsamen Feinde zu fühlen bekommen. In eurem türkischem Reiche wart ihr nicht weniger Sclawen als eure christlichen Landsleute. . . Liebe christlichen Mitbürger! Auch ihr wart nicht weniger betrogen, als ihr glaubtet, daß eure Leiden die Tyrannei des ganzen türkischen Volkes zur Ursache haben.. . Landsleute! . . . Laßt euch nicht durch die verbrecherische Agitation beeinflußen, welche vielleicht seitens des offiziellen Bulgarien wider euren gemeinsamen Kampf mit dem türkischen Vol­ke und dessen freiheitliche Entwicklung eröffnet werden könnte. . .277

Wie der österreichische Konsul in Monastir berichtete, ergriff die dortige slawische Bevölkerung „freudig und dankbar die gebotene schützende Hand der Jungtürken.. ., in welche sie mehr Vertrauen setzt als in die mißlungenen Reformen Europa's und das egoistische Interesse Bulgariens."278

Europäische Beobachter waren durch diese Ereignisse überrascht. Was sie am mei­sten verblüffte, war die Tatsache, daß die Revolution von der christliche Bevölkerung begrüßt wurde. Mit einem Male herrschte in den Bergen Makedoniens Frieden. Bul­garische Freischaren zogen in die Provinzhauptstädte Monastir, Saloniki und Skopje ein,um den Eid auf die Verfassung zu leisten:279 „Alte Gegner werden zu Freunden, Banditenführer wandern Arm in Arm mit den Beschützern der Ordnung, und die Ge-

275 Hierzu u.z. folg. vgl. P. Miljukov, Balkanski} krizis i politika A. P. Izvol'skogo [Die Bal­kankrise und die Politik Izvol'skis], St. Petersburg 1910, S, 207. Zit. nach KatardiSiev, Serskiot okrug . . . , S. 420-428.

276 Hierzu sei auf die entsprechenden Stellen der bereits zitierten Literatur hingewiesen. 277 Beilage zum Bericht Paras, 5. August 1908, Nr. 159, HHStA, PA XXXVIII/409. 278 1. August 1908, Nr. 51, HHStA, PA XXXVD.I/395. 279 Chiffretel. Nr. 230, Konstantinopel. 30. Juli 1908, HHStA, PA XII/195.

Die Neuorientierung der Balkanpolitik Rußlands und Österreich-Ungarns 249

gensätze zwischen Religion und Rasse scheinen vergessen."280 Freiherr Marschall von Bieberstein meinte: „Die gewaltige Veränderung, die sich in den letzten Wochen im türkischen Reiche vollzogen hat, und die Art und Weise, wie sie ins Leben trat, ist fast ohne Beispiel in der Geschichte."281 Markgraf Pallavicini telegraphierte nach Wien: „Europa steht vor einer ganz neuen Situation. Das Element, welches man bis­her fast vollständig ignoriert hat, ist zum Selbstbewußtsein gekommen."282

Alle am Balkan und am Nahen Osten interessierten Staaten sahen sich nun gezwun­gen, ihre Politik der durch die jungtürkische Revolution entstandenen Lage anzupas­sen. Bald sollte sich freilich auch die Überzeugung, daß die Makedonische Frage end­gültig gelöst worden sei, trotz der Völkerverbrüderung in Makedonien als eine Täu­schung erweisen. Den „Realpolitikern" war nämlich die Gefahr bewußt, die von einem Osmanenreich drohte, welches sich, nunmehr eine konstitutionelle Monarchie mit fortschrittlichen Zügen, rasch aus seiner Rückständigkeit erholen und wieder zu einem ernst zu nehmenden Machtfaktor in der europäischen Politik entwickeln könnte. In einem Bericht lesen wir: „Die umliegenden Balkanstaaten, Bulgarien, Serbien und Griechenland, können die Möglichkeit einer dauernden Erstarkung der Türkei nur mit sauersüßer Miene begrüßen; sie müßten ihre nationalen Aspirationen in absehba­re Ferne rücken".283 Tatsächlich waren die Kader der nationalistischen Propaganda benachbarter Staaten in Makedonien - abgesehen von der Seres-Gruppe Sandan-skis284 und vielleicht von einigen militärisch hart bedrängten bulgarischen <?efa-Füh-rern - über den Erfolg der jungtürkischen Revolution durchaus nicht erfreut.285

Griechische Freischaren z.B. sollten nur widerstrebend nach Monastir kommen, als es darum ging, einen Eid auf die neu in Kraft getretene Verfassung zu leisten,286

280 Metternich an Bülow, GP, Bd. 25, 2. Teil, Nr. 8906. 281 Ebd. Nr. 8910. 282 Chiffretel. Nr. 211, Konstantinopel, 24. Juli 1908, HHStA, PA X1I/195. 283 Kiderlen an Bülow, GP, Bd. 25, 2. Teil, Nr. 8899. 284 Ivan Michajlov weist in seinen Memoiren daraufhin, daß Jane Sandanski nach der Revolu­

tion von 1908 von dem jungtürkischen Komitee regelmäßig Zuwendungen in Höhe von mo­natlich 50 Osm. Pfund erhalten habe. Siehe Spomeni, Bd. 3, Lovain 1967, S. 597-600. Abgesehen von dem wenig vertrauenswürdigen Charakter seiner Quelle - eine antijungtür-kische Kampfschrift eines gewissen Ahmed Hamdi Bey - , ist Michajlovs politisch beding­tes Interesse an einer Diffamierung Sandanskis leicht zu durchschauen: Dem Leser soll wohl suggeriert werden, daß der Fuhrer der „linken" Seres-Gruppe die Sache der make­donischen Befreiung für Geld verraten habe.

285 Während im Sancak Seres die bulgarisch-makedonischen Freischaren aufgelöst wurden, be­harrten Ch. Matov und seine Genossen in anderen Teilen Makedoniens auf dem Stand­punkt, daß die bulgarischen ieti zwar vorerst den Kampf einstellen, ihre Formationen und ihre Waffen aber unbedingt weiter behalten sollten. Vgl. D. Vlachov, Memoari, S. 79. Ch. Matov lehnte das wiederholt vorgetragene Angebot der Jungtürken, gemeinsam mit der In­neren Organisation eine politische Partei zu gründen, entschieden ab. Vgl. Ch. Matov za svojata revoljucionna defnost, S. 56-57.

286 Nach langen Verhandlungen mit den Vertretern des jungtürkischen Komitees hatten vier anrârfi's-Abteilungen auf die entsprechende Weisung des griechischen Konsulats von Mona­stir hin schließlich doch in den Vorschlag der Jungtürken eingewilligt, in voller Bewaffnung und in Begleitung patriarchistischer Priester und jungtürkischer Offiziere in Monastir zu er­scheinen. Vgl. Poplazarov, GrCkata politika . . . , S. 160.

250 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Aufstand

Denn „der Kern des terroristischen Comité's der Griechen" war, wie der Konsul Österreich-Ungarns in Monastir es ausdrückte, „doch keineswegs gesinnt, seinen lu­krativen Broterwerb, das Verfechten der ,Megali Idea' aufzugeben".287 Für die ser­bische Partei in Makedonien bedeutete die Jungtürkische Revolution sogar eine „Katastrophe", weil die Mehrheit der Slawen, die „durch Mord und Brand" zu Serben gemacht worden waren, nun zur bulgarischen Partei zurückkehrten.288

Die Einstellung der Großmächte zur Jungtürkenrevolution war im Grunde nicht an­ders. Den Standpunkt der Doppelmonarchie lernen wir anhand folgender Passage kennen:

Die naheliegendste Gefahr, welche die Einführung des verfassungsmäßigen Regimes in Ma­zedonien mit sich bringt, trägt einen internationalen Charakter und besteht in dem dro­henden Konflikte zwischen den Prärogativen der ottomanischen Volksvertretung und den erworbenen Rechten, beziehungsweise den Zukunftsplänen der Reformmächte. Mag man sich auf der Pforte auch diesbezüglich Illusionen hingeben,... die Reformfrage ist ebenso, wie jede andere zwischen der Türkei und Europa obschwebende Frage, ausschließlich von dem Mißverhältnisse zwischen der faktischen Macht der Pforte und jener irgend eines Groß­staates, oder höchstens noch von der Einigkeit oder Uneinigkeit des europäischen Konzer­tes abhängig. Hieran kann aber der türkische Konstitutionalismus in absehbarer Zeit wohl nicht das Geringste ändern!3"

Über die Haltung der russischen Regierung erfahren wir aus einem Bericht Nicolsons, des englischen Botschafters in St. Petersburg, folgendes:

Although they assert that they regard new situation in Turkey with benevolent interest, I do not think in reality they are much pleased with it. Firstly, they expected that old system would have gradually led to the curtailment of Turkish rule in Europe to the be­nefit of Slav population, and, secondly, they apprehend that a strong Turkey with liberal tendencies may lead to a movement among Russian Moslem races which might be em­barrassing,250

Eine dauerhafte Versöhnung zwischen den Mohammedanern und Christen auf dem Balkan lag nicht im Interesse Rußlands. „Insbesondere würde eine gleichmäßige und gerechte Behandlung aller türkischen Untertanen ohne Unterschied der Religion einen Strich durch Rußlands. . .jahrhundertealte Politik gegenüber der Türkei machen. Es würde keine Möglichkeit mehr vorliegen, unter dem Vorwand der Protektion der orthodoxen Christen sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei zu mischen und diese dadurch zu schwächen."291 Die europäischen Großmächte, die bis dahin bei

287 Pösfai an Aehrenthal, Monastir, 31. Juli 1908, Nr. 50, HHStA, PA XXXVIII/395. 288 Lukes an Aehrenthal, Üsküb, 5. August 1908, Nr. 128, HHStA, PA XXXVIII/439. 289 Rappaport an Aehrenthal, Salonik, 24. Juli 1908, Nr. 77,vertraulich, HHStA,PA XXXIX/4. 290 British Documents on the Origins of the war 1898-1914, Bd. 5, London 1928, Nr. 271. 291 GP, Bd. 25, 2. Teil, Nr. 8899. Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang auch die Aus­

führungen P. Miljukovs, des „Balkanspezialisten" der Kadettenpartei, über seine Erlebnisse auf einer in den Tagen der Jungtürkenrevolution unternommenen Balkanreise. Auf der Fahrt mit dem Zug von Istanbul nach Saloniki habe Miljukov in einem Abteil mit einem Jungtürkenführer (Talât Bey) und einem Bulgaren zusammengesessen. „The Bulgarian was apparently a member of the Macedonian revolutionary movement. He welcomed the Young Turk revolt unreservedly, in wildly enthusiastic expressions. Our strife has ended; our struggle has ended; we are all equal now; we are all .Ottomans', all equal citizens without

Die Neuorientierung der Balkanpolitik Rußlands und Österreich-Ungarns 251

jeder Gelegenheit das Osmanische Reich reformieren wollten, befanden sich also nun­mehr in der unangenehmen Situation, einen eventuellen Fortschritt in der Türkei befürchten zu müssen. Dies geht aus einem Bericht Sir Edward Greys an den Bot­schafter in Istanbul, Lowther, besonders deutlich hervor:

Hitherto, wherever we have had Mahometan subjects, we have been able to tell them that the subjects in the countries ruled by the head of their religion were under a despotism which was not a benevolent one; while our Mahometan subjects were under a despotism which was benevolent. . . But if Turkey now establishes a Parliament and improves her Government, the demand for a Constitution in Egypt will gain great force, and our power of resisting the demand will be very much diminished.2'2

In den Reaktionen der Repräsentanten der europäischen Großmächte kam somit über­einstimmend zum Ausdruck, daß die Makedonische Frage offenkundig in eine neue Phase ihrer Entwicklung eingetreten war. Nicht länger nämlich würde sich der Kon­flikt zwischen unterdrückter christlicher Balkannation und mohammedanischer Des­potie, der - im politischen Bewußtsein Europas zumindest - seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts die Makedonische Frage ausgemacht hatte, in der herkömmli­chen Weise im Rahmen der Orientpolitik Österreich-Ungarns, Rußlands, Englands und anderer interessierter Mächte instrumentalisieren lassen. Vielmehr schien ange­sichts der gescheiterten Interventionspolitik auf der Grundlage des Reformpostulats nur noch eine offensive, annektionistische Orientpolitik für die Konkurrenzmächte des Osmanischen Reiches erfolgversprechend. Für Makedonien selbst bedeutete dies, daß ein genuin autonomer politischer Nationsbüdungsprozeß, gerade als seine Vor­aussetzungen im Entstehen begriffen waren,293 unmöglich gemacht wurde. Denn

regard to race or religion! For me this was unusual and unexpected. Before me were sitting yesterday's lord and slave, hangman and victim, and 1 thought to myself, what has become of the customs of age-old domination, on the one hand, and of the submissiveness of the Christian ,rayi', on the other? And what would happen if .equality' would be expressed, in say, the loss of that protection under which was hidden the real inviolability of the Christian community?" P. Miliukov, Political Memoirs 1905-1917, Ann Arbor 1967, S. 180. Insofern also die Gleichheit zwischen Christ und Moslem im Osmancnreich das Ende des zaristischen Protektorats über die orthodoxen Christen bedeutete, war sie auch für einen liberalen Russen wie Miljukov unerwünscht.

292 British Documents . . . , Bd. 5, Nr. 204. 293 Da die „Jungtürken" heute mit Recht als Begründer des türkischen Nationalismus gelten,

wird die Echtheit ihres „Ottomanismus" angezweifelt. (Siehe etwa G. Hering, „Mazedoni­sche Geschichtswissenschaft", ÖOH 2 (1960), S. 407). Weil selber fanatische Nationali­sten, wären sie außerstande gewesen, mit anderen Völkern gleichberechtigt und harmo­nisch nebeneinander zu leber^ Diese Auffassung beruht auf einer Rückprojektion der spä­teren Entwicklung auf die erste Phase der „Jungtürkenrevolution". Im Jahre 1908 wurden freilich die durch die Jungtürkenrevolution eröffneten Perspektiven ganz anders einge­schätzt. Folgende Beobachtung eines aufmerksamen Zeitgenossen scheint jedenfalls diese Annahme zu bekräftigen: „Das Erwachen der asiatischen Völker zum politischen Leben er­hielt durch den Russisch-Japanischen Krieg und die russische Revolution einen nachhalti­gen Anstoß. Doch dieses Erwachen griff von einem Land zum anderen so langsam über . . . , daß die türkische Revolution sofort auf eine konterrevolutionäre Mächtekoalition mit Rußland an der Spitze stieß . . . Glaubt man den Artikeln der offiziösen Blätter . . . , alle wünschen nur die Festigung und Entwicklung des konstitutionellen Regimes in der Tür-

252 Die politischen Verhältnisse nach dem Ilinden-Auf stand

die Annexion der nominell immer noch dem Osmanenreiche gehörenden Provinzen Bosnien und die Herzegowina durch Österreich-Ungarn unmittelbar nach der Jung­türkenrevolution294 setzte jene neue Dynamik in Gang, welche über die italienische Invasion in Tripolis (1911) direkt in die Balkankriege (1912/13) und in die Konstel­lation vor dem Ersten Weltkrieg hineinführte, und welche schließlich die endgültige Teilung Makedoniens zur Folge haben sollte.

ke i . . . In Wirklichkeit hat kein einziges europäisches Land, das sich eine Demokratie nennt, keine einzige bürgerliche Partei Europas, die sich als demokratisch, progressiv, liberal, radi­kal u. dg. m. bezeichnet, durch irgend etwas den ernstlichen Willen gezeigt, der türkischen Revolution zu helfen, zu ihrem Sieg, zu ihrer Sicherung beizutragen. Im Gegenteil, alle fürch­ten einen Erfolg. . . , da er unweigerlich dazu führen würde, daß sich einerseits das Stre­ben aller Balkanvölker nach Autonomie und wirklicher Demokratie entwickelte und daß andererseits die persische Revolution den Sieg davontrüge, daß die demokratische Bewe­gung in Asien neue Impulse empfinge, der Kampf für die Souveränität in Indien sich inten­sivierte, daß freiheitliche Zustände längs eines riesigen Abschnitts der russischen Grenze entstünden und folglich neue Bedingungen sich bildeten, die die Politik des reaktionären Zarismus erschwerten und den Aufschwung der Revolution in Rußland erleichterten . . . Das, was heute auf dem Balkan, in der Türkei und in Persien geschieht, läuft im Wesen auf eine konterrevolutionäre Koalition der europäischen Mächte gegen die zunehmenden de­mokratischen Bestrebungen in Asien hinaus." W. 1. Lenin, „Die Ereignisse auf dem Balkan und in Persien", Proletari, Nr. 37, 16. (29.) Oktober 1908, in: Werke, Bd. 15, Berlin (DDR) 1962, S. 216-217.

294 Aehrenthal begründete die Notwendigkeit einer Annexion Bosniens und der Herzegowina in einer Wiener Kabinettssitzung folgendermaßen: „Was die Rückwirkung der in der Türkei angebrochenen konstitutionellen Aera auf Bosnien und die Herzegowina betrifft, so be­merkt Redner [Aehrenthal], daß die Monarchie dort zwar eine große Kulturarbeit gelei­stet habe, daß aber die Einführung einer Provinzialverfassung noch nicht erfolgt sei. Mit der Einführung einer Konstitution in der Türkei werde diese Frage aber von der größten Aktualität werden, während andererseits die Schaffung einer Provinzialverfassung in Bos­nien und der Herzegowina ohne gleichzeitige Annexion dieser Provinz nicht denkbar sei." Siehe Österreich-Ungarns Außenpolitik von der Bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsaus­bruch 1914, Diplomatische Aktenstücke des Österreichisch-Ungarischen Ministeriums des Äussern, Bd. 1, Wien 1930, Nr. 40.

SCHLUSS

Eingangs dieser Arbeit war in kritischer Auseinandersetzung mit den nationalge­schichtlichen Perspektiven der modernen Balkanhistoriographien auf das Problem des Konflikts um Makedonien die Hypothese entwickelt worden, daß in einem hi-storiographisch exakten Sinne nicht von einer nationalen makedonischen Befreiungs­bewegung gesprochen werden sollte, sondern von einer „Makedonischen Frage" in der Balkan- und Europapolitik des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahr­hunderts. Diese Unterscheidung bewährt sich insofern, als, wie sich gezeigt hat, das eigentliche Konfliktpotential in den makedonischen Krisen um die Jahrhundertwen­de keineswegs in vermeintlich objektiven, auf der ethnischen Situation beruhenden nationalen Gegebenheiten zu suchen ist. Vielmehr mußten offenkundig durchaus unterschiedliche, ja zum Teil voneinander unabhängige sozio-ökonomische wie reichs- und außenpolitische Faktoren der osmanischen Balkanherrschaft in besonde­rer Weise zusammenwirken, um eine Makedonische Frage — mit allerdings spezifi­schen nationalen Implikationen — hervorzubringen : nämlich der Wandel in den städti­schen wie den agrarischen Sozialstrukturen, die milkt -Verfassung und in hohem Maße die Einfluß- und Interessenkonstellation der Orientpolitik der europäischen Mächte. Die Entwicklung der sozio-ökonomischen Verhältnisse in den europäischen Provin­zen des Osmanischen Reiches gewann für die Makedonische Frage dadurch eine eige­ne Relevanz, daß sie soziale Unruhepotentiale hervorbrachte, welche in zweiter In­stanz in nationalen Konflikten funktionalisiert werden konnten. Im Agrarbereich läßt sich ein Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den Landbesitzverhältnissen konstatieren, der in einem den wirtschaftlichen Möglichkei­ten inadäquaten Produktions- und Absatzsystem gründete. Allerdings verliefen die sozialen Fronten zwischen den Schichten der Agrargesellschaft keineswegs parallel zu ethnischen Grenzen, d.h., die aktive Rolle der slawischen Landbevölkerung Make­doniens im Rahmen der Autonomiebewegung läßt sich nicht monokausal aus einem Klassenkonflikt zwischen ausbeutenden Osmanen und ausgebeuteten Slawen erklä­ren. Dagegen läßt sich für die städtische Entwicklung insofern eine Identität von so­zialem und nationalem Konflikt feststellen, als die entstehende slawische Intelligenz keine angemessene Rolle im Rahmen der bestehenden Sozialstrukturen finden konn­te. Sie hatte tatsächlich vitales Interesse an der Überwindung der osmanischen Herr­schaft und bildete die Trägerschicht der makedonischen Befreiungsbewegung. Ein sehr viel unmittelbarer mit der Entstehung eines nationalpolitischen Konflikts verknüpfter Wirkungsfaktor in der Makedonischen Frage war die Entwicklung der konfessionellen Beziehungen im Rahmen des osmanischen mi//ef-Systems. Als näm­lich im Verlauf des bulgarischen Unabhängigkeitskampfes im Jahre 1870 gegen den Widerstand des griechisch-orthodoxen Patriarchats von Konstantinopel das bulgari­sche Exarchat gegründet wurde und dadurch erstmals ein neues milkt auf ethni-

254 Schluß

scher Grundlage entstand, nahm der konfessionelle Gegensatz, der nun primär auf dem makedonischen Schauplatz in Erscheinung trat, den Charakter einer innerbal-kanischen Auseinandersetzung an: Auf der einen Seite verteidigte das griechisch-orthodoxe Patriarchat im Bunde mit dem griechischen Nationalstaat und mit Billi­gung der Hohen Pforte seine traditionelle Führungsrolle gegenüber den christlichen Völkern des Osmanischen Reiches; auf der anderen Seite kämpften die Bulgaren wie die Serben um die Grundlegung ihrer jeweiligen nationalen Ansprüche auf die traditio­nelle Sphäre des orthodoxen mület. Jede der interessierten Parteien legitimierte ihre mit dieser Zielsetzung vorgetragenen konfessionell-kulturellen Initiativen in Makedo­nien freilich damit, die Rechte der gesamten makedonischen Christenheit gegenüber der mohammedanischen Reichsgewalt verteidigen zu wollen. Da es in dieser Konkur­renzsituation nicht zur Gründung eines makedonischen millet kommen konnte, muß­ten diese Formierungsbemühungen unter der makedonischen Bevölkerung stets an die jeweilige nationale Interessenpolitik der benachbarten Staaten gebunden bleiben. Der soziale wie der konfessionell-nationale Faktor konnten in der Erzeugung einer Makedonischen Frage allerdings nur deshalb seitens der interessierten Parteien auf dem Balkan wirksam ins Spiel gebracht werden, weil eine tendenziell interventioni­stische Politik der europäischen Großmächte gegenüber dem Osmanischen Reich den notwendigen Rückhalt bot. Dabei kamen der Parteinahme der Großmächte in den Konflikten um das Schicksal der christlichen Balkanvölker je unterschiedliche mächtepolitische Funktionen zu, mochte es um eine bloße Schwächung der osmani­schen Staatsmacht gehen, um die Austragung von europäischen Großmachtrivalitä­ten in der gemeinsamen südosteuropäischen Einflußsphäre oder auch, wie im Falle der wirtschaftlichen Kooperationsinteressen Deutschlands, um die Erhaltung der territorialen Integrität des Osmanischen Reiches. Effektiv blieb über die verschiede­nen Wandlungen in den orientpolitischen Mächtekoalitionen zwischen dem Berliner Kongreß und der Jungtürkenrevolution zwar eine relative Machtbalance gewahrt, welche die Erhaltung des status quo in der Makedonischen Frage bis 1912 garantier­te. Die taktische Unterstützung, welche die einzelnen Großmächte den von ihnen favo­risierten Parteien in der Makedonischen Frage gewährten, hielt jedoch den Konflikt nicht nur über drei Jahrzehnte offen, sondern sie ermöglichte es Bulgarien, Griechen­land und Serbien, ihre partikularen Ziele in Makedonien offensiv zu verfolgen. Nur im Hinblick auf die Resultate des Zusammenwirkens dieser externen Ursachen und Triebkräfte der Entwicklung des makedonischen Problems aber ist es sinnvoll, die Frage nach einer makedonischen Nationalbewegung zu stellen. Denn erst im Verlauf der vielgestaltigen Konflikte erlangte die Politisierung der nationalen und sozialen Beziehungen in Makedonien eine eigene Dynamik, welche über die parti­kularen Ziele ihrer Initiatoren hinauszuweisen schien. So wäre zumindest in dem „Se­paratismus" der „Seres-Gruppe" gegenüber den großbulgarischen Aspirationen, der in der makedonischen Autonomiebewegung eine wachsende Anhängerschaft fand und im Rahmen der jungtürkischen Revolution seiner Realisierung am nächsten kam, ein Ansatz zu einem modernen politischen Nationsbildungsprozeß in Makedonien zu se­hen - ein Ansatz, welcher freilich nicht etwa aufgrund seines artifiziellen Charakters und seiner konstellativen Zufälligkeit zum Scheitern verurteilt war, sondern in erster Linie durch die gegenläufigen Tendenzen der mächtepolitischen Entwicklung.

ABKÜRZUNGEN

AESC Annales. Economies-Sociétés-Civilisations AHR American Historical Review AO Archiv orientâlnï AP Accounts and Papers. „The Blue Books" Belleten Belleten. Türk Tarih Kurumu. Ankara BS Balkan Studies BSOAS Bulletin of the School of Oriental and African Studies EB Etudes balkaniques EH Etudes historiques EIa Encyclopedia of Islam, 2. Ausg. FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung GDAAD Giiney-Dogu Avrupa Arastrrmalan Dergisi GINI Glasnik na Institutot za nacionalna istorija Skopje GP Die Große Politik der europäischen Kabinette GSU Godiänik na Sofijskija universitet, Filosofskoistoriceski fakultet GZ GodiSen zbornik na Filozofskiot fakultet na Universitetot Skopje IA Islam Ansiklopedisi IBID Izvestija na Bulgarskoto istorifiesko druzestvo III BAN Izvestija na Instituta za istorija pri Bûlgarskata akademija na naukite IJMES International Journal of Middle East Studies IP Istoriôeski pregled JA Journal asiatique JEH Journal of Economic History JESHO Journal of the Economic and Social History of the Orient JIC Jugoslovenski istoriski casopis JMH The Journal of Modern History MES Middle Eastern Studies MEW Marx/Engels Werke MOS Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs OCP Orientalia Christiana Periodica ÖMO Österreichische Monatsschrift für den Orient ÖOH Österreichische Osthefte REI Revue des études islamiques RESEE Revue des études sud-est européennes RHD Revue d'histoire diplomatique Schulthess Schulthess' Europäischer Geschichtskalender SOF Südost-Forschungen Turcica Turcica. Revue d'études turques ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

I. UNGEDRUCKTE QUELLEN

A.Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien (HHStA)

Politisches Archiv (PA)

PA XU; Türkei 1848-1918

Karton 178-197: Botschaft Konstantinopel; Berichte, Weisungen, Varia; 1902-1908. Karton 272-273, Liasse XXV: Beschreibende Berichte über die Türkei 1896 1912. Karton 316, 330-337, 342, 343: Liasse XXXV: Reformen in Mazedonien 1902-1909. Karton 344-347: Liasse XXXVI: Balkanbahnen, 1900 1911.

PA XV: Bulgarien 1879-1918

Karton 55-58: Berichte, Weisungen, Varia; 1903 1-1904 X.

PA XXXVIII: Konsulate 1848-1918

Karton 391-395: Monastir, 1901-1908. Karton 407-410: Saloniki, 1901-1908. Karton 432-439: Üsküb, 1902-1908.

PA XXXIX: K. u. K. Zivüagent in Mazedonien 1904-1909

Karton 2-5: Correspondenz mit dem k. u. k. Civil-Agenten in Macédonien, 1904-1908.

B. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn (PAAAJ

Aktenzeichen: I.A.B.q (Türkei), Aktengruppe 156: „Die Verhältnisse in Mazedonien", Bde. 42-142 (1. IX. 1902-31.X.1908).

II. GEDRUCKTE QUELLEN

A. Quelleneditionen

Accounts and Papers (British Parliamentary Papers: „The Blue Books"), Vol. LXXXIII, Turkey No. 3 (1903), Cd. 1532. Vol. CX, Turkey No. 1 (1904), Cd. 1875; Turkey No. 2 (1904), Cd. 1879; Turkey No. 4 (1904), Cd. 2249. Vol. CHI, Turkey No. 2 (1905), Cd. 2490; Tur­key No. 3 (1905), Cd. 2759. Vol. CXXXVII, Turkey No. 1 (1906), Cd. 2816; Turkey No. 2 (1906), Cd. 2919. Vol. C, Turkey No. 1 (1907), Cd. 3454; Turkey No. 3 (1907), Cd. 3497. Vol. CXXV, Turkey No. 1 (1908), Cd. 3958; Turkey No. 2 (1908), Cd. 3963; Turkey No. 3 (1908), Cd. 4076.

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Dokumenti za bülgarskoto vüzrazdane ot archiva na Stefan 1. Verkovic, 1860-1893 [Dokumen­te zur bulgarischen Wiedergeburt aus dem Archiv Stefan I. VerkovicsJ, hrsg. v. Ch. A. Chri-stov. Sofija 1969.

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Staatsbibliothek Müncnen J

FRANKFURTER HISTORISCHE ABHANDLUNGEN Herausgegeben von Lothar Gall, Werner Gembruch, Notker Hammerstein,

Walther Lammers, Klaus Schwabe, Klaus Zernack

1 Marianne Schiitze-Pfiugk: Herrscher- und Märtyrerauffassung bei Hrotsvit von Gandersheim. 1972. VIII, 129 S., kart. DM 32,-; ISBN 3-515-00574-9

2 Uta Krüger-Löwenstein: Rußland, Frankreich und das Reich 1801-1803. Zur Vorgeschichte der dritten Koalition. 1972. XII, 150 S„ 6 Taf., kart. DM 24,-; ISBN 3-515-00575-7

3 Peter Domann: Sozialdemokratie und Kaisertum unter Wilhelm II. Die Auseinandersetzung der Partei mit dem monarchischen System, seinen gesellschafts- und verfassungspolitischen Vor­aussetzungen. 1974. VIII, 244 S., kart. DM 48,- ; ISBN 3-515-01787-9

4 Johannes Kunisch: Der kleine Krieg. Studien zum Heerwesen des Absolutismus. 1973.X, 101 S., kart. DM 18,-; ISBN 3-515-00576-5

5 Walther Lammers, Hrsg. : Geschichte und Verfassungsgefiige. Frankfurter Festgabe für Walter Schlesinger mit Beiträgen von Klaus Zernack, Joachim Ehlers, Walther Lammers, Harald Kel­ler, Bernhard Diestelkamp, Peter Herde, Eike Haberland. 1973. VIII, 265 S., 2 Taf., 6 Abb., kart. DM 48,-; ISBN 3-515-00577-3

6 Elsbet Orth: Die Fehden der Reichsstadt Frankfurt am Main im Spätmittelalter. Fehderecht u. Fehdepraxis im 14. u. 15. Jahrhundert. 1973. X, 209 S., 5 Faltktn., kart. DM 36,-; ISBN 3-515-00578-1

7 Joachim Ehlers: Hugo von St. Viktor. Studien zum Geschichtsdenken und zur Geschichts­schreibung des 12. Jhs. 1973. X, 246 S. m. 2 Abb., 1 Taf., kart. DM 40,-., ISBN 3-515-01201-X

8 Paul Kluke: Außenpolitik und Zeitgeschichte. Ausgewählte Aufsätze zur englischen und deut­schen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Hrsg. v. Hellmut Seier u. Dieter Rebentisch. 1974. VIII, 273 S., kart. DM 68,-; ISBN 3-515-01826-3

9 Lothar Dralle: Der Staat des Deutschen Ordens in Preußen nach dem II. Thorner Frieden. Un­tersuchungen zur ökonomischen und ständepolitischen Geschichte Altpreußens zwischen 1466 und 1497. 1975. X, 200 S., kart. DM 68,-; ISBN 3-515-01863-8

10 Dieter Rebentisch: Ludwig Landmann. Frankfurter Oberbürgermeister der Weimarer Repu­blik. 1975. X, 321 S., 1 Titelbild, 6 Abb., davon 4 auf Taf., kart. DM 48,-; ISBN 3-515-01993-6

11 Peter Wende: Radikalismus im Vormärz, Untersuchungen zur politischen Theorie der frühen deutschen Demokratie. 1975. VIII, 228 S., kart. DM 38,-; ISBN 3-515-01994-4

12 Hans-Michael Möller : Das Regiment der Landsknechte. Untersuchungen zu Verfassung, Recht und Selbstverständnis in deutschen Söldnerheeren des 16. Jhs. 1976. X, 288 S., 8 Abb., kart. DM 64,-; ISBN 3-515-01995-2

1 3 Günter Barudio: Absolutismus - Zerstörung der "libertären Verfassung". Studien zur „Karoli-nischen Eingewalt" in Schweden zwischen 1680 und 1693. 1976. XII, 248 S., kart. DM 64,-; ISBN 3-515-02362-3

14 Ernst Ritter: Das Deutsche Ausland-Institut in Stuttgart 1917-1945. Ein Beispiel deutscher Volkstumsarbcit zwischen den Weltkriegen. 1976. VIII, 163 S., kart. DM 48,- ; ISBN 3-515-02361-5

15 Frank Göttmann: Handwerk und Bündnispolitik. Die Handwerkerbünde am Mittelrhein vom 14. bis zum 17. Jahrhundert. 1977. X, 307 S., 3 Ktn., kart. DM 68, - ; ISBN 3-515-02596-0

' 1 6 Gerd. R. Ueberschär: Hider und Finnland 1939-1941. Die deutsch-finnischen Beziehungen während des Hitler-Stalin-Paktes. 1978. XII, 372 S., 4 Ktn., 7 Abb., kart. DM 78,-; ISBN 3-515-02806-4

17 Alexander Fischer / Günter Moltmann / Klaus Schwabe, Hrsg. : Rußland-DeutschlandT-Ame-rika. Russia-Gcrmany-America. Festschrift für Fritz T. Epstein zum 80. Geburtstag. 1978. XVI, 441 S„ Frontispiz, 9 Faksimiles, kart. DM 58,-; ISBN 3-515-02822-6

18 Walter Piroth: Ortsnamenstudien zur angelsächsischen Wanderung. Ein Vergleich von -ingas, -inga-Namen in England mit ihren Entsprechungen auf dem europäischen Festland. 1978. VIII, 222 S. mit 37 Ktn., 2 Faltktn., kart. DM 46,-; ISBN 3-515-02788-2

19 Walther Lammers: Vestigia mediaevalia. Ausgewählte Aufsätze zur mittelalterlichen Historio­graphie, Landes- und Kirchengeschichte. 1979. X, 343 S. m. 1 3 Abb. u. 4 Tab., kart. DM 88,- ; ISBN 3-515-02828-5

BEIHEFTE 1 Karl OtmarFrhr. von Aretin: Friedrich Hermann Schubert 1925-1973. Rede am 24. Oktober

197 3 im Historischen Seminar der Joh. Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main. 1974. VI, 10 S., geh. DM 9,80; ISBN 3-515-01951-0

FRANKFURTER HISTORISCHE VORTRÄGE

Herausgegeben für den Frankfurter Kreis für Historische Forschungen von Werner Gembruch, Eike Haberland, Walther Lammers, Maria R.-Alföldi, Günter Smolla

1 Klaus Schwabe: Der amerikanische Isolationismus im 20. Jahrhundert. Legende u. Wirklich­keit. 1975. VI, 17 S., geh. DM 9,80; ISBN 3-515-02047-0

2 Eike Haberland: Altes Christentum in Süd-Äthiopien - eine vergessene Missionsepoche. 1976. VI, 22 S., mit 1 Farbtafel und 2 Ktn., geh. DM 9,80; ISBN 3-515-02 504-9

3 Peter Herde: Dante als Florentiner Politiker. 1976. IV, 53 S., geh. DM 18,-; ISBN 3-515-02506-5

4 Klaus Hildebrand: Das Deutsche Reich und die Sowjetunion im internationalen System 1918-1932. Legitimität oder Revolution? 1977. IV, 40 S., geh. DM 16,-; ISBN 3-515-02503-0

5 Konrad Barthel: Friedrich der Große in Hitlers Geschichtsbild. 1977. IV, 42 S., geh. DM 16,-; ISBN 3-515-02505-7

6 Jochen Bleicken:.Prinzipat und Dominât. Gedanken zur Periodisierung der römischen Kaiser­zeit. 1978, 30 S., geh. DM 9,80; ISBN 3-515-02876-5

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