Die Hölle sind immer die anderen: Moralische Ordnungen in Trainings gegen »Rechtsextremisten

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Rebecca Pates Die Hölle sind immer die anderen: Moralische Ordnungen in Trainings gegen »Rechtsextremisten« Die Hölle sind immer die anderen Ziel dieses Artikels ist es, zu zeigen, was auf den Schulungen gegen Rechtsextre- mismus passieren kann, und warum sie oft nicht zielführend sind. Zum einen liest man in ihnen eine zähe Aushandlung um das Selbstbild der Teilnehmer und ihrer moralischen Ordnung. Zum anderen reproduzieren die Schulungen eine Hierar- chisierung zwischen der In-group und der Out-group, die sie gerade hinterfra- gen wollten. »Wir sind an einem Punkt des Verlusts angelangt, an dem die einzige Art und Wei- se, sich als Franzose zu fühlen, ist, Immigranten zu beschimpfen, diejenigen, die sichtbarer Fremde sind als ich. Die Immigranten haben in diesem Land eine seltsa- me Position der Souveränität: Wären sie nicht da, würden die Franzosen vielleicht nicht mehr existieren.« Unsichtbares Komitee, 2010 »Es gibt zunächst einen unlösbaren Widerspruch zwischen den expansiven und inklusiven Prinzipien des moralischen und politischen Universalismus und den partikularistischen und exklusiven Konzeptionen demokratischer Gemein- schaftsbildung« argumentierte Seyla Benhabib (2005, 93). Welche Auswirkun- gen dieser Widerspruch auf die politische Praxis hat konnte von uns in so ge- nannten »Trainings für Demokratie« oder »Schulungen gegen rechts«, die in den ostdeutschen Bundesländern in Projekttagen an Schulen angeboten wurden, beobachtet werden. Mit Hilfe von politischen (Rechts-)Extremismuszuschreibungen wird an be- stimmte moralische Ordnungen appelliert. Die korrekten moralischen Ordnun- gen, die in den Schulungen vermittelt werden sollen, sind universalistisch: alle Menschen hätten die gleichen Rechte, wie z.B. das Recht auf Asyl, das Recht auf Selbstbestimmung, Versammlungsfreiheit usf.. Die Reaktion der Teilnehmer in den von uns beobachteten Schulungen war, auf die partikularistischen Tenden- zen der Gemeinschaftsbildung zu verweisen, nach dem Prinzip: Wir haben ande- re Rechte, weil wir (etwa) zuerst da waren, oder, etwas differenzierter, Ought implies can, und da es nicht genug (Arbeit, Sozialhilfe, Beteiligungsrechte...) für

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Rebecca Pates Die Hölle sind immer die anderen: Moralische Ordnungen in Trainings gegen »Rechtsextremisten« Die Hölle sind immer die anderen

Ziel dieses Artikels ist es, zu zeigen, was auf den Schulungen gegen Rechtsextre-mismus passieren kann, und warum sie oft nicht zielführend sind. Zum einen liest man in ihnen eine zähe Aushandlung um das Selbstbild der Teilnehmer und ihrer moralischen Ordnung. Zum anderen reproduzieren die Schulungen eine Hierar-chisierung zwischen der In-group und der Out-group, die sie gerade hinterfra-gen wollten.

»Wir sind an einem Punkt des Verlusts angelangt, an dem die einzige Art und Wei-se, sich als Franzose zu fühlen, ist, Immigranten zu beschimpfen, diejenigen, die sichtbarer Fremde sind als ich. Die Immigranten haben in diesem Land eine seltsa-me Position der Souveränität: Wären sie nicht da, würden die Franzosen vielleicht nicht mehr existieren.« Unsichtbares Komitee, 2010

»Es gibt zunächst einen unlösbaren Widerspruch zwischen den expansiven und inklusiven Prinzipien des moralischen und politischen Universalismus und den partikularistischen und exklusiven Konzeptionen demokratischer Gemein-schaftsbildung« argumentierte Seyla Benhabib (2005, 93). Welche Auswirkun-gen dieser Widerspruch auf die politische Praxis hat konnte von uns in so ge-nannten »Trainings für Demokratie« oder »Schulungen gegen rechts«, die in den ostdeutschen Bundesländern in Projekttagen an Schulen angeboten wurden, beobachtet werden.

Mit Hilfe von politischen (Rechts-)Extremismuszuschreibungen wird an be-stimmte moralische Ordnungen appelliert. Die korrekten moralischen Ordnun-gen, die in den Schulungen vermittelt werden sollen, sind universalistisch: alle Menschen hätten die gleichen Rechte, wie z.B. das Recht auf Asyl, das Recht auf Selbstbestimmung, Versammlungsfreiheit usf.. Die Reaktion der Teilnehmer in den von uns beobachteten Schulungen war, auf die partikularistischen Tenden-zen der Gemeinschaftsbildung zu verweisen, nach dem Prinzip: Wir haben ande-re Rechte, weil wir (etwa) zuerst da waren, oder, etwas differenzierter, Ought implies can, und da es nicht genug (Arbeit, Sozialhilfe, Beteiligungsrechte...) für

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alle gibt, können nicht die Rechte aller umgesetzt werden. Es werden also in einer vermeintlich abstrakten Diskussion um Menschenrechte konkrete Moral-vorstellungen mit Implikationen für Verteilung gemacht.

Da aber Universalismus von den Trainern als unabdingbar für Demokratie dargestellt wird, werden partikularistische Argumentationen als undemokratisch abgetan. Somit werden bestimmte Moralvorstellungen als symptomatisch für Rechtsradikalismus deklariert. In diesem Artikel vertrete ich nicht partikularisti-sche Moral, und plädiere auch nicht für einen differenzierten Umgang mit Rechtsextremen. Ich möchte lediglich darstellen, was passiert, wenn man in bestimmten Kreisen als moralisches Alltagswissen geltende Vorstellungen als indiskutabel darstellt: der »Osten«, etwa, wird zu einem Abgrund des Unsägli-chen, und die eigenen Bemühungen, den Osten zu zivilisieren, werden nicht anerkannt. Die Frage, der ich hier nachgehe, ist aber, warum es trotz vielen Jah-ren der Schulungen gegen Rechts nicht zu einer »Besserung« der doch von Ju-gend an immer wieder instruierten Bevölkerung gekommen ist? Warum wehren sich die Menschen also vor ihrer Instruktion? Wir stellten die Hypothese auf, dass die Antwort in den Schulungen gefunden werden könnte, in den Dynamiken der Interaktion zwischen den Beteiligten. In diesen Dynamiken sind Zuschrei-bungen enthalten, die auf Vorannahmen beruhen.

So erlangte der Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt Mügeln, Gotthard Deuse, zweifelhaften Weltruhm, als er eine »Hetzjagd auf Inder« in seiner Kommune in der Financial Times mit der Aussage zu rechtfertigen suchte »Sol-che Parolen [wie »Ausländer raus!«] können jedem mal über die Lippen kom-men«.1 Damit hat er nicht nur behauptet, Ausländerfeindlichkeit sei normal. Der Bürgermeister betont hiermit auch, dass die Leute, die solche Aussagen machen, ganz normale Bürger seien. Neuere Studien scheinen zu bestätigen, dass er nicht unrecht hat – ein Viertel der Befragten gaben an, ähnliche Aussagen für richtig zu halten (Decker et al, 2010). Und da solche Aussagen als Symptome für eine moralisch bedenkliche Situation gelten – um nicht zu sagen: für die Unsittlich-keit in den Neuen Bundesländern – wird leicht bestätigt, dass man sich hier in einem rechtslastigen Umfeld bewegt. Deswegen finden seit bald 20 Jahren Schu-lungen gegen Rechtsextremismus statt, finanziert vom Bund. Die hier wohnen, sehen es dennoch etwas anders. Wie die australische Anthropologin Gillian Cowlishaw argumentiert hat, ist endemischer Rassismus (und sein modernes Korrelat Ausländerfeindlichkeit, Hoerder 2010, 70-73) gekoppelt mit einem defensiven Selbstwertgefühl nicht automatisch als Hinweis auf Unsittlichkeit

1 Zit. nach: »Ausländer ›raus‹-Sprechchöre: Bürgermeister verharmlost Hassparolen»«, in: taz.de am 22.08.2007 (http://www.taz.de/index.php?id=deutschland-artikel&art=3491&no_cache=1&type=98; Zugriff am 27.08.2007)

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oder moralische Pathologien zu verstehen: Solche Haltungen erfüllten eine iden-titäre Funktion (Cowlishaw, 2004: 4).

Unsere Ausgangsfrage war, ob sich nach über zehn Jahren Schulungen »ge-gen Rechtsextremismus« von Jugendlichen in den neuen Bundesländern eine Praxis ausmachen ließe, die als besonders erfolgreich in der Abrogation von »fremdenfeindlichen« Diskursen zu gelten hätte. Zu diesem Zweck, und finan-ziert von der Europäischen Kommission (aus dem Förderprogramm »DAPH-NE«), haben Susanna Karawanskij, Daniel Schmidt und ich den State-of-the-Art von Schulungen gegen Rechtsextremismus beobachtet. Die Expertinnen des Antidiskriminierungsbüros Leipzigs, Heike Fritsche und Doris Liebscher, emp-fahlen uns Schulungen von Anbietern, die unter der (selbst definierten Commu-nity an Schulungsexperten) als besonders gut gelten. Diese Anbieter schrieben wir dann an, um an jeweils einer ihrer Schulungen in den neuen Bundesländern teilnehmen zu dürfen. Insgesamt nahmen wir an sechs Schulungen verschiedener Anbieter in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Sachsen teil, die bis zu drei Tage andauerten und deren Ziele darin bestanden, die Teilnehmer gegen Rechts-extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus bzw. Homophobie zu sensi-bilisieren (Details in Appendix A).2

Gleichzeitig haben wir mit Studierenden zusammen 27 Gruppeninterviews an unterschiedlichen Schulen gemacht (siehe Appendix B). Die Studenten wand-ten sich an Mittelschulen, Gymnasien oder Berufsfachschulen meist in Leipzig oder in der Umgebung von Leipzig, stellten das Vorhaben den Gemeinschafts-kunde-Lehrern vor, gingen dann in eine vereinbarte Schulstunde in die Klassen-zimmer und erklärten der Klasse ihr Anliegen: dass sie für ein Forschungsprojekt mit ihnen über Demokratie und demokratische Werte diskutieren wollten, und ob sich Freiwillige fänden. Eine Gruppe von acht bis zehn Freiwilligen wurde in einem anderen Klassenraum, ohne Anwesenheit der Lehrerin, angeregt, sich zu Rechtsextremen zu äußern.3 Dort sprachen sie in der Regel über ein Bild, das eine Gruppe von haarlosen jungen Männern von hinten zeigt, und diskutiert, wer hier dargestellt sei (»Nazis«) und was diese – außer ihrer Tendenz zu dieser Haarmode – denn so ausmache.4 In der anschließenden Gruppendiskussion ka-

2 Mein Fokus hier liegt allein auf den Schulungen gegen Rechtsextremismus. Dieser wird auf zwei Weisen (auf die im unten näher eingehen werde) von menschenverachtenden Ideologien unterschie-den: Zum einem als auf einem historischen Präzendenzfall beruhend (»Nazis« und Hitler fallen nicht in den anderne Schulungen); zum anderen gelten Rechtsextremisten in vielen Schulungen als identi-fizierbar. In einer Schulung wurden Photos von namentlich genannten Männern gezeigt, mit Angabe ihrer Adresse, vor denen gewarnt wurde – diese Leute seien rechtsextrem. 3 Durch diese Vorgehensweise wurden die Meinungen introvertierter, schüchterner oder passiver Schüler ausgelassen. 4 Wir gingen dabei nicht selber davon aus, dass Haartracht auf Gesinnung schließen lässt.

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men die Teilnehmer auf »Ausländer« zu sprechen, ohne dass dieses Thema sug-geriert worden war. Ziel dieser Gruppengespräche war es, die Einstellungen der Schüler zu »Nazis« oder »Ausländern« zu erfassen, um diese Darstellungen moralischer Hierarchien mit den Klassifikationen, die in den Schulungen statt-fanden, zu vergleichen: Wer wurde wie und warum als moralisch besonders fragwürdig dargestellt? Erfassten die Trainer die negativen Klassifikationen, die in den Schulen augenscheinlich besonders stark vertreten wurden? Nicht so sehr die »Vorurteile gegen die Vorurteile überhaupt« (Gadamer 1990, 275) der Trai-ner interessierten uns, sondern die Aushandlung der »korrekten« moralischen Ordnung und den Widerstand, auf den sie stoßen.

Gertrud Nunner-Winkler und ihre Kolleginnen haben in einer Reihe von Veröffentlichungen gezeigt, dass es bei Solidaritätsbekundungen in »Ost« und »West« um unterschiedliche Bezugsgruppen geht, dass »Ostdeutsche« partikula-ristischer, »Westdeutsche« universalistischer argumentieren. Die spezifische moralische Ordnung korreliert dabei mit Solidaritätsaus- und einschlüssen, die wiederum von den jeweils anderen als verwerflich, zuweilen auch als extremis-tisch dargestellt werden. So gehen »Ostdeutsche« laut Nunner-Winkler davon aus, dass man sich zuerst um die »Seinen« kümmern müsse, egal ob dies Fami-lienangehörige oder lokal Residierende sind. Aufgrund dieser Einstellung fallen sie jedoch bei quantitativen Umfragen leicht in die Kategorie »Rechtsextremis-ten«, was aber ein Erhebungsartefakt sei: man fragt nämlich nach den sozialen Ansprüchen von »Ausländern«, die sich laut dieser Ethik außerhalb der Bezugs-gruppe befinden. Dabei wird nicht notwendigerweise impliziert, dass diese Men-schen an und für sich weniger Wert seien, wie es Rechtsextreme – wie andere Sozialdarwinisten, Nationalisten und Rassisten auch – ja in der Tat meinen, son-dern nur, dass sich diese Leute außerhalb des Solidaritätsrahmens befinden.

Da in den von uns beobachteten Schulungen Rechtsextremisten von den LeiterInnen als moralisch besonders verwerflich dargestellt werden, sie aber durchaus Teil der Menge der »unsrigen« angesehen werden und deswegen (trotz ihrer bedenklichen Ansichten) als Teil der Gruppe der moralisch Relevanten gelten, konnten wir beträchtliche Widerständigkeit von Seiten der Teilnehmer beobachten. Diese nämlich gingen aufgrund ihrer Moralvorstellungen davon aus, dass die Gleichstellung von »Fremden« mit Hiesigen, also die Betonung von der Gleichrangigkeit aller Menschen in Bezug auf Solidaritätsbekundungen, als moralisch verwerflich zu gelten habe. Ziel dieses Artikels ist es, zu zeigen, was auf den Schulungen gegen Rechtsextremismus passieren kann, und warum sie oft nicht zielführend sind.

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Auflösung von Eindeutigkeiten Ein Beispiel für ein Ringen um Anerkennung, gekoppelt mit unterschiedlichen Ansichten über die Akzeptabilität von fremdenfeindlichen Äußerungen, ergibt die teilnehmende Beobachtung eines »Positionsbarometers« in einer Gymnasial-klasse in Ludwigslust, Mecklenburg-Vorpommern. Das Positionsbarometer ist eine populäre Methode »antirassistischer Bildungsprojekte». Die Trainerin (oder »Teamerin« im Jargon der NGOs)5 liest normative Aussagen zu bestimmten sozialen Gruppen vor (»Ausländer nehmen uns Arbeitsplätze weg«, »Homose-xuelle sind abartig«, »Asylbewerber sind kriminell« usw.), zu denen sich die Schüler individuell zustimmend oder ablehnend positionieren sollen. Dazu wird der Klassenraum in zwei Bereiche (»stimme (eher) zu« und »stimme (eher) nicht zu«) aufgeteilt, innerhalb derer sich jeder Teilnehmer aufstellen soll. Die Teil-nehmer werden daraufhin aufgefordert, ihre »offenbarten« Ansichten zu begrün-den und gegebenenfalls zu rechtfertigen. Diese Aussagen werden dann gemein-sam diskutiert, mit dem Ziel, den Teilnehmenden die Heterogenität von Meinun-gen im eigenen Umfeld aufzuzeigen (Stiftung Mitarbeit 2010). Dies funktioniert nur bedingt, nicht so sehr, weil die Meinungen völlig homogen sind, sondern weil die normativen Ausgangsfragen auf Dichotomisierungen beruhen, von de-nen sich die Schüler zu distanzieren suchen.

So fällt die Positionierung den Teilnehmern nicht ganz leicht, zum einen, weil sie befürchten, uncoole Positionen einzunehmen, zum anderen, weil sie sich scheuen, die Erwartungen der Trainer zu enttäuschen durch die Darstellungen von »falschen« Meinungen und diese dann erklären zu müssen. Sie geraten also in einen Konflikt zwischen ihrer Peer-group-Identität (»Schwulsein ist uncool«) und ihrer Identität gegenüber der Trainerin (»Ich habe nichts gegen Schwule, auch wenn ich »schwul« und »uncool« als synonyme Begriffe verwende«). Dies ist besonders schwierig in einem Zusammenhang, in dem es um die Aushand-lung moralischer Ordnungen geht. Wer innerhalb der moralischen Ordnung falsch liegt, läuft Gefahr, von Vertretern des Establishments (den Lehrern oder Trainern) als unzulänglich, böse oder asozial abgestempelt zu werden und sich damit innerhalb der moralischen Ökonomie zu den Verlierern zählen zu müssen

5 Das Geschlecht der Situationsbeteiligten wird jeweils durch die Bezeichnung »die« Trainerin bzw. »der« Trainer, »Schülerin« bzw. »Schüler», »Teilnehmerin« bzw. »Teilnehmer», wiedergegeben. Geschlecht ist zwar nicht expliziter Bestandteil dieser Untersuchung, da aber aufgrund unserer »kog-nitiven Ökonomie« alle immer als vergeschlechtlicht gesehen werden, dient dieser Hinweis jeweils der Veranschaulichung der Situation. Bei den Verweisen auf »Ausländer« oder »Rechtsextremer« geht es hier nicht um die Personen, sondern Zuschreibungen. Ich weise hier nicht jedes mal darauf hin – diese kommen nicht als Personenbezeichnungen, sondern als Begriffe vor, die vor allem auf als maskulin imaginierte Gruppen verweisen, wie ich unten ausführen werde.

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– denn wer weiß, was mit den von den Trainern gesammelten Informationen geschieht?6 Sehr oft wird also versucht, entweder die eigene »Meinung« als die richtige darzustellen, wobei »richtig« hier in der Regel als moralisch vertretbar übersetzt werden kann.

Zum Beispiel sollten sich die Gymnasialschüler zu der Frage positionieren, ob »Ausländer« bei einer Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation »zurück in ihre Heimat« geschickt werden sollten. Danach sollten sie ihre Position erklären:

Sitzungsleiterin: Sie stehen hier bei »Stimme nicht zu« aber auch nicht direkt – wieso haben Sie sich hier verortet?

Schüler A: Na ja also – [grinst] das wäre ja sinnlos, die [Ausländer aus

Deutschland] einfach raus zu schicken, weil, irgendwo hin müssen die ja bleiben, und wenn es uns dann halt hier schlech-ter geht, dann ist es nicht gut, wenn die zurück müssten – und trotzdem müssen die – es ist doof – irgendwie, wenn dann auch, sag ich mal, die Einheimischen so ein bisschen äh die [bricht ab.]

Sitzungsleiterin: [zu anderen]: Ihr steht da auch bei »Stimme nicht zu«? Schülerin B: Ja. Sitzungsleiterin: Können Sie was dazu sagen? Schülerin B: Naja also ich versetz mich einfach mal in die hinein. Das

Problem also [bricht ab] Ich, ich würde auch nicht gleich sagen, nicht sofort.

Schüler C: (ich komm mal mit rüber) [3 Schüler positionieren sich um,

von »Stimme zu« um zu »Stimme nicht zu«] Sitzungsleiterin: Okay ... Gut ... dann ...

Die Schüler sollten sich zu einer absoluten Aussage, die eine klare Differenzie-rung »Einheimische / Ausländer« voraussetzt, auf einer Skala zwischen den Extremen »stimme zu« bzw. »stimme nicht zu« positionieren. Diese eindeutig einteilende Sprechweise in »die« und »wir« wird von den Teilnehmern aufge-griffen, auch wenn es als »doof irgendwie« bezeichnet wird. Entsprechend sagt der zuerst befragte Schüler, man könne die Fremden ja nicht »einfach rausschi-cken«, andererseits müsse man ja die Einheimischen und ihre Interessen schon irgendwie auch berücksichtigen (»dann ist es nicht gut, wenn die zurück müssten

6 Beispiele für diese Angst erwähne ich im Laufe des Artikels.

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und trotzdem ... müssen die Einheimischen…«). Hier bricht er aber ab, als sei die Implikation – dass die Situation der Einheimischen berücksichtigt werden müsse – schon nicht mehr sagbar oder als hätte er schon zu viel gesagt. Die Trainerin wendet sich dann anderen zu. Schülerin C greift die Perspektivenproblematik explizit auf (»ich versetz mich einfach mal in die hinein«), um dann aber so-gleich, nachdem sie sich als den Ausländern gegenüber empathisch dargestellt hat, auf indirekte Weise auszudrücken, dass sie durchaus meine, dass – unter bestimmten Umständen – Ausländer sehr wohl ausgewiesen werden sollten, wenigstens peu à peu.

Sobald diese Möglichkeit im Raum steht, positionieren sich auch andere um, von »ausweisen« zu »nicht ausweisen«, weil letzteres sowohl politisch kor-rekter ist, aber auch, nach der Aussage von Schülerin B, gleichzeitig »auswei-sen« mit implizieren kann: Ausländer sollten schon gehen, aber eben nicht so-fort. Damit können sich die Schüler als »auf der richtigen Seite« stehend positio-nieren, ohne ihre Meinungen ganz kaschieren zu müssen. Sie haben also etwas politische Korrektheit hinzugelernt. Aber sie haben auch, ohne es explizit ge-macht zu haben, die Position, die als die vertretbarere gilt, unterminiert, indem sie zwar auf »deren« Perspektive verweisen, dabei aber eine ganz andere – die »eigene« – als die Wichtigere zu erkennen geben. So verhandeln die Teilnehmer hier innerhalb einer Dichotomie von vertretbaren und unmoralischen Ansichten, indem sie zu einer moralisch komplexen Frage eine differenziertere Position einzunehmen, die ihnen zuweisbaren moralischen Positionen.

Diese Aushandlung von Differenzierungen korreliert zudem mit einer ande-ren moralischen Ordnung. Zum einen geht es hierbei darum, sich zwischen »für Ausländer« und »gegen Ausländer« zu entscheiden. Zum anderen wird aber diese Frage in eine umgewandelt, in der es um »für Einheimische« und »gegen Einheimische« zu gehen scheint. Die von den Trainern vorgenommene Eingrup-pierung in »wir« und »die«, welche durch die Begriffe »Ausländer« und »deren Heimat« gesetzt wird, wird von beiden hier zitierten Teilnehmer beibehalten. Dabei verschiebt sich aber der Fokus von den »Ausländern« auf die »Einheimi-schen«. Das Gegenstück zu »einheimisch« ist dabei nicht »ausländisch« sondern »fremd«. Damit impliziert die Schülerin eine gängige Überlegung, dass nämlich »Ausländer« – aber auch Westdeutsche – »ihr« Land besetzen, es somit Gefahr läuft, nicht (mehr) ihr eigenes zu sein. In einer anderen Schulung wird dies ver-schärft explizit gemacht:

Trainer: [über die DDR, um Empathie für Flüchtlinge zu wecken]:

Aber lasst euch mal erzählen, von deinen Eltern, wie das, wie das damals [in der DDR] war. Also jeder, der was anderes ge-sagt und gedacht hat, wurde auch immer verfolgt, der war ein Staatsfeind, ok? Geschäftsleute, Flüchtlinge, wer, wer ist noch

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Ausländer in der Gesellschaft? Franzi – wen nimmst Du noch wahr als Ausländer?

Teilnehmerin U: Mich [allgemeines Lachen]

Diese Belustigung hervorrufende Darstellung der eigenen Prekarität ist zwei-schneidig. Zum einen geht es darum, dass es zu viele Ausländer gibt, sodass sie bald zur Mehrheit werden könnten, und die Einheimischen zu Minderheiten (wozu »Ausländer« als Synonym verwendet werden kann). Andererseits geht es auch darum, dass das Land, aus dem die Eltern stammen, nicht mehr das eigene ist – weil es eben ein fremdes geworden ist. So will auch der Dresdner Schrift-steller Thomas Rosenlöcher in Nordrhein-Westfalen gefragt worden sein, ob er lange »in Deutschland« zu bleiben gedenke (Rosenlöcher 2010): DDR-Bewohner, und damit durch ein pars-pro-toto auch die Einwohner der ostdeut-schen Bundesländer, gelten noch immer als Ausländer im eigenen Land. In einer oft zitierten Glosse der Wochenzeitung DIE ZEIT über Ostdeutsche werden sie gar als die eigentlichen Türken in Deutschland dargestellt: »Das Außergewöhnli-che ihres Migrantendaseins ist bloß, dass sie ausgewandert sind, ohne sich fort-bewegt zu haben. Das neue Land ist zu ihnen gekommen, nicht umgekehrt« (Staud 2003).

Wir sehen also einen Topos des Fremd-Seins im eigenen Land. Denn ob-wohl die Teilnehmerin hier über Einheimische, deren Interessen als die ur-sprünglichen gedacht werden, spricht, ist ihr nicht zu Ende gesprochenes Ringen um Anerkennung ein Zeichen dafür, dass sie implizit anerkennt, dass sie nicht die einzige ist, die einen ursprünglichen Anspruch erhebt. Und zwar in einem doppelten Sinn: zum einen gegen die Ausländer, in die man sich ja einerseits hineinversetzen könne. Andererseits aber kann man sie so interpretieren, dass sie sich gegen die anderen »Einheimischen« (die Trainer) wendet, die es nicht so gut zu finden scheinen, dass die Bevorzugung der Perspektive der eigenen Gruppe gegenüber der der Fremden legitim sei. Damit inszeniert sich die Teilnehmerin als eine mögliche Tabubrecherin, als eine Rebellin gegen die herrschende Mei-nung, die hier scheinbar in der Trainerin personifiziert ist. Denn obwohl diese Übung nur der Inszenierung von Heterogenität dienen soll, und nicht der Ver-mittlung von korrekten Ansichten, sind die Fragen, anhand derer Heterogenität getestet werden soll, so kontrovers, dass einige Teilnehmer sich so umpositionie-ren, dass man ihnen nicht vorwerfen kann, sie seien (in einem problematischen Sinn) ausländerfeindlich.

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Widerstände gegen Eindeutigkeiten In einer anderen Schulung, dieses Mal mit Schülern im Berufsvorbereitungsjahr, ebenfalls in Brandenburg, verweigerten die Teilnehmer in Hinblick auf die Be-fürchtung, als ausländerfeindlich abgestempelt zu werden, die Mitarbeit.

Die Trainerin zielte darauf ab zu zeigen, dass es Meinungen oder Erfahrun-gen gibt, deren absoluter Wahrheitsgehalt relativiert werden müsse (»Nicht alle Polen stehlen«, »Nicht alle Ausländer sprechen gebrochenes Deutsch, und wenn, dann muss man berücksichtigen, dass Deutsch eine schwierige Sprache ist«, »Nicht alle Homosexuellen haben die ganze Zeit Sex« usw.). Sie versuchte die Teilnehmer dazu zu bewegen, eigene Erfahrungen mit »Ausländern« (vor Ort oder im Urlaub erlebt) zu beschreiben:

Trainerin: [...] Dann solltet ihr euch überlegen, ob ihr eine schlechte Erfah-rung mit jemanden anderer Herkunft, also es geht jetzt auch darum ob ihr halt, diesbezüglich auch schon mal was erlebt habt, eine schlechte Erfahrung gemacht habt, und natürlich sollt ihr auch überlegen, ob ihr eine gute Erfahrung gemacht habt.

Teilnehmer D: Es gibt keine guten Erfahrungen. Teilnehmer S: Müssen wir das machen? Trainerin: Ja bitte [Pause]. Ich mache auch mit. Gut, dann kriegen alle erst

einmal ein Blatt von mir. [Teilt Blätter aus, behält eines für sich.] Teilnehmer D: Ich mach auch nicht mit. Teilnehmer F: Ich auch nicht. Trainerin: Was ist jetzt das Problem, Bernd? Was sagst du jetzt? Dass du

nicht mit machst? Teilnehmer D: Meine Erfahrungen gehen keinen etwas an. Trainerin: Also es gibt, mir geht’s vor allem darum, dass ihr diese Fragen be-

antwortet mit den Erfahrungen, und, was eben so gesagt wird. Es ist erst einmal wirklich egal, was ihr hier sagt, ja – es geht mir be-sonders darum, dass ihr euch da mal Gedanken macht. Was habt ihr da schon mal gehört, etwa von der Familie oder vom Freun-deskreis, über Ausländer? Wie gesagt, es muss nicht nur Familie sein es kann auch Freundeskreis sein.

Teilnehmer D: Ja, dann nützt das ja auch nichts. Was hat das denn mit Familie zu

tun, wenn ich da mit Freunden darüber rede?

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Hier ist der Teilnehmer D noch genauer als die Trainerin: Neben seiner Kom-plettverweigerung »Ich mache auch nicht mit« (die er nicht durchhält) versucht er die Trainerin darauf hinzuweisen, dass ihre Instruktionen ohnehin nicht be-folgt werden können, weil sie ihre Kategorien (Familie, Freunde, aber auch Er-fahrungen oder gehörte Meinungen) durcheinander bringt.

Die Teilnehmer an diesen Schulungen sind schon dadurch in der Defensive, dass ihnen die Teilnahme an diesen Schulungen aufgezwungen werden. Damit wird aus ihrer Sicht schon impliziert, dass sie – neben den ihnen ohnehin schon zugeschriebenen Mankos (in dieser Schulung fiel die Bemerkung »wir können hier eh nur Hilfsgärtner werden«) zu den moralisch Geächteten zu zählen seien. Aber die abwehrende Haltung zu ihrer Klassifizierung als Menschen mit fal-schen bzw. moralisch bedenklichen Meinungen gerade gegenüber »Ausländern«, die ihnen von ihrer Trainerin unterstellt wird, ist besonders explizit:

Trainerin: Und kennst du einige dieser Aussagen [über Ausländer, Anm. der Verf.]?

Teilnehmer S: Ja klar. [Kurze Pause.] Aber – wir wissen doch, was passiert damit. Trainerin: Es passiert doch nichts. Es geht ja darum was so gesagt wird. S: Ja, was ist damit? Es wird halt einiges gesagt. Trainerin: Na ja. Gibt’s noch mehr, was ich da noch ranschreiben könnte? Was

dir jetzt noch so einfällt? S [ablehnend]: Mhm. Trainerin: OK. S: Aber ihm hier bestimmt [verweist auf einen anderen Teilnehmer]. Teilnehmer Q: Ich! Nein! S: Na klar. Q: Ich habe damit nichts zu tun. Trainerin: Gut. Dann mach weiter.

Die Teilnehmer dieses Trainings machen der Trainerin deutlich, dass sie merken, ihnen wird Ausländerfeindlichkeit unterstellt, und sie fürchten die Konsequenzen (»Wir wissen doch, was passiert damit«). In der Tat vermutet die Trainerin, dass die Teilnehmer ganz bestimmte Einstellungen haben, die sie – wie sich heraus-stellen wird – auch gar nicht zu äußern brauchen, weil sie vorausgesetzt werden. Durch die Teilnahmeverweigerung der Schüler und die Verweigerung der Trai-

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nerin, auf deren Bedenken einzugehen, kommt es zu einer Pattsituation. Diese überwindet die Dozentin aber einfach, indem sie im Folgenden selber »häufig gemachte« Äußerungen (über Polen, Asylsuchende, Türken, Schwule) »wie-der«gibt und diese dann im Laufe der folgenden Stunden entkräftet. Die Teil-nehmenden sind also keineswegs in ein Gespräch eingebunden, als welches diese Schulung angepriesen wird. In ihrer Hilflosigkeit rekurriert die Trainerin auf Frontalunterricht, in dem sie sowohl die angeblichen Ansichten der Teilnehmer (»Ihr denkt doch bestimmt auch, dass Homosexuelle ecklig sind«) als auch die korrekteren Meinungen wiedergibt. Sie werden nicht wirklich nach ihrer Mei-nung gefragt, noch fühlen sie sich entsprechend geachtet. Nach den Meinungen wird nur deswegen gefragt, um sie dann als falsch darstellen zu können – so kommt das wenigstens bei den Teilnehmern an.

In diesem Fall haben sich die jungen Menschen dieser asymmetrischen In-teraktion, die sich dazu noch als eine freundschaftliche gibt, die ständig in ein »Du« kippt, recht konsequent verweigert. Das war eine Ausnahme in unseren Beobachtungen. Abstufungen an Verweigerung, Ironisierung, Demontage der Trainer oder Inszenierung einer dem Training zuwiderlaufenden Haltung als die eigentlich korrekte gab es in jeder von uns beobachteten Sitzung, wie sie auch jeder Lehrer beobachten kann. Dabei ging es den Teilnehmern häufig darum, die vermeintlich korrekte Meinung (dass man z.B. nichts gegen »Ausländer« haben dürfe, weil dies rechtsextrem sei), als undifferenziert darzustellen.

Rassismus oder auch Ausländerfeindlichkeit ist in der Tat in verschiedenen gesellschaftlichen Personenkreisen verankert, kann aber nicht plausibel als iden-tisch mit »Rechtsextremismus« gleichgesetzt werden. Die Übersetzung von Ein-stellungen zu Ausländerfeindlichkeit auf ein Spektrum von »rechts« oder »links« verlagert die Frage nach individuellen Meinungen auf eine moralisierte politi-sche Kategorisierung, mit der sich nur Wenige identifizieren – denn im Gegen-satz zu den »Rechten« seien Menschen mit »ausländerfeindlichen Haltungen« ja normal, wie der eingangs erwähnte Mügelner Bürgermeister betont.

In den von in unserem Projekt beobachteten Schulungen gegen Rechtsext-remismus weigerten sich die Teilnehmer entsprechend oftmals, Ausländerfeind-lichkeit zu problematisieren und den von den Trainern vorgegebenen Bezug zwischen Ausländerfeindlichkeit, »Rechtsextremismus« und Neonazis anzuer-kennen. Ausländerfeindlichkeit sei »normal«, nur Wenige (darunter die Trainer) täten so, als sei dies nicht der Fall. Rechtsextremismus passiert einfach, Neona-zismus andererseits hätte etwas mit Hitler zu tun. Während sich alle von uns beobachteten Teilnehmer vom Neonazismus distanzieren wollen, sehen sie kei-nen ähnlichen Bedarf, sich als ausländerfreundlich darzustellen. Die Trainer hingegen sehen die Begriffe als Appositionen:

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Teilnehmer A: Na ja, weil man was gegen Ausländer haben kann ohne aber (da-zu) eine rechte Einstellung zu haben.

Trainer: Man kann gegen »Neger« sein, aber kein Rechter sein? [lacht un-

gläubig]

A: Ja.

Trainer: Das ist nicht rassistisch?

A: Ja doch, [gedehnt] aber …

Trainer [unterbricht]: Was zeichnet denn dann einen Nazi aus?

A: Na allgemein, die ganze Einstellung halt, dass man auch Hitler toll findet und so. Ich finde nicht, dass jemand der Ausländer nicht mag oder so, vielleicht hat er eine schlechte Erfahrung mit denen gemacht oder so. Und dass er deswegen Ausländer nicht mag, dass er deswegen gleich ein Nazi sein soll?!

Trainer: Mhm.

Teilnehmer S: Na ja, ein Nazi ist eigentlich, wenn man, wenn man, keene Ah-

nung, wenn man ein Ausländer sieht, den erst mal dumm anmacht und dann aufs Maul haut oder so. Aber wenn man da bloß sagt: na ja, ich kann dich nicht leiden oder ich kann Neger nicht leiden, oder was weiß ich, da find ich nicht, dass man da gleich rechts äh orientiert ist.

Die Aussagen des Teilnehmers A verdeutlichen in Merkmal der Klassifizierung »Nazi«, nämlich die Kopplung von gewalttätigem Handeln und ideologischen Aussagen, von denen man sich leicht distanzieren könne. Die Zuschreibung »Nazi« wird hier deutlich als unstatthafte Stigmatisierung einer doch »normalen« hierarchisierenden Differenzierung zwischen Einheimischen und Fremden wahr-genommen.

In den von uns beobachteten Schulungen scheinen die Trainer (im Gegen-satz zu den Teilnehmern) oft »Nazis« als Kurzform für Rechtsextreme einzuset-zen. Sie werden als Individuen vorgestellt, die auf drei unterschiedlichen Ebenen erkennbar seien: durch ihr Aussehen, ihre Einstellung und ihr Handeln. Das Aussehen (Verweise auf »Glatze«, Springerstiefel, Bomberjacken, Lonsdale, Landser und andere Markenkleidung) als eindeutiges Merkmal bestimmter Ein-stellungen ist aber problematisch, da es ebenso auf Milieus und Subkulturen verweist, deren Mitglieder sich nicht notwendigerweise dieser politischen Kate-gorie zuordnen würden. Die zweite Zuschreibung von »Nazis« bezieht sich auf ihre Einstellungen und Ideologien. Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus,

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Fremdenfeindlichkeit, Homophobie etc. werden nicht in ihrem natürlichen ge-sellschaftlichen Habitat besprochen – sie sind ja recht weit verbreitet – , sondern als spezifischer Teil rechter Kultur, der man sich wiederum entziehen könne:

Trainer1: Äh, und jetzt sind wir relativ viel auf Handeln und Äußerlichkei-ten eingegangen, äh, wie siehts aus, was ist denn im Kopf von den Nazis?

Teilnehmer H: Ausländerfeindlich!

Trainer 1 [zustimmend]: Ausländerfeindlichkeit.

Trainer 2: Genau. Natürlich auch genau dieser Bezug zur Geschichte.

Teilnehmer P: Hitler!

Ausländerfeindlichkeit kommt in den beobachteten Schulungen also selten als individuelle Einstellung jenseits rechter Diskurse vor, trotz der vielen Studien über Alltagsrassismus – und es ist daher – kurioserweise – nicht Ziel der Schu-lungen, Ausländerfeindlichkeit zu problematisieren. Vielmehr geht man anders herum vor: Ausländerfeindlichkeit soll dadurch stigmatisiert werden, dass sie dem »(Neo-)Nazi« zugeschrieben wird, und wird nicht als unmoralische Angele-genheit verhandelt.7 Dann wird vor diesen Personen – mit ihrem Aussehen, ihrer Hitlerverherrlichung, ihrer Musik usw. – gewarnt. Der Nazi wird also als der signifikante »Andere« der richtigen moralischen Ordnung dargestellt. Diese Kategorisierung ermöglicht es aber allen Seiten, ideologische Argumente des Rechtsextremismus zu artikulieren, ohne sich aber über diese Annahmen austau-schen zu müssen: Es geht fast nie um die problematischen Meinungen, und im-mer um die moralisch abzuwertenden Rechten. Dabei wird Ausländerfeindlich-keit von den Teilnehmern immer wieder als völlig akzeptabel dargestellt. Damit scheint das (tatsächliche, im Gegensatz zum behaupteten) Lernziel der Schulun-gen »gegen Rechtsextremismus« aber nicht so sehr eine Korrektur falscher Ein-stellungen zu sein, sondern eine klare Klassifizierung von Rechten als jene, die in der schicklichen moralischen Hierarchie ganz unten stehen.

7 Was u.E. durchaus geboten ist. Denn der Partikularismus impliziert keineswegs Ausländerfeind-lichkeit – man könnte den Teilnehmern also ihre Moral lassen, und trotzdem diese Haltung problema-tisieren.

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Die Hölle sind immer die anderen 225

Warum Klassifizierungen Widerstand auslösen Im Widerstand der Schüler gegen diese vertikale Klassifizierung entwickelt sich ein Gerangel um die korrekte Ordnung. Denn Klassifikationen sind Orientie-rungssysteme die es Einzelnen und Gruppen erlauben, sich in der Welt zurecht-zufinden (Tajfel 1981, Brubaker 2004). Sie sind, wie Brubaker es nennt, Teil von kognitiven Ökonomien: »Wenn sich ein ethnisches Deutungsmuster durchgesetzt hat, ›sehen‹ wir Konflikt und Gewalt nicht nur unter ethnischer, sondern auch unter gruppistischer Perspektive« (Brubaker, 2004, 30). Eine ethnisierende Spra-che über ein Geschehen oder eine Situation produziert also eine bestimmte Per-spektive auf die Welt, die Kognition wird also selber mit beeinflusst. Und durch »Gruppisierung« werden bestimmte vertikale Ordnungen produziert und Schuld-haftigkeit für abstrakte soziale Verhältnisse zugewiesen.

Diese Ökonomien sind funktional, ohne deswegen statisch zu sein. Sie hel-fen dem Einzelnen, die Komplexität der Umwelt zu bewältigen. Im Gegensatz zur physischen, biologischen oder chemischen Umwelt ist die soziale Umwelt aber Teil eines dialektischen Prozesses: Die Klassifikationen sind nicht nur ord-nend und hierarchisierend, sondern die soziale Umwelt reagiert auch auf sie. Diese Reaktionen bewirken eine zweifache Änderung der Umwelt, wie Ian Ha-cking in mehreren Studien nachgewiesen hat (u.a. Hacking, 1995a, 1995b, 2002): Einerseits können durch neue Klassifizierungen neue Personen – im Sin-ne von neuen Selbstverständnissen, neuen Lebensweisen, neuen Vorstellungen von Normalität und neue Gruppierungen – geschaffen werden. Andererseits können sich Menschen, im Gegensatz zu Steinen, auch gegen ihre Klassifizie-rung wehren, indem sie versuchen, sie zu beeinflussen (Hackings looping effect, Hacking 1995b). Diese Prozesse können wir in den Schulungsversuchen oft erkennen.

Denn in den Schulungen werden Identitäten (und damit die eigene Veror-tung in der Klassifizierung) verteidigt: Identitäten, die spezifischen moralischen Logiken und sozialen Bedeutungen entsprechen. Die Trainer scheinen sich ziem-lich einig zu sein, dass die Jugendlichen auf dem ostdeutschen Land ihrer Schu-lung bedürfen. Sie warten auf Zeichen von Intoleranz, um sie richtig stellen zu können: »Incidents of overt intolerance are typically denounced as manifesta-tions of continuing provincialism among conservative working-class and rural populations« (Ewing 2008, 180). Gleichzeitig stehen die Jugendlichen zum Teil auch zu ihren ausländerfeindlichen Äußerungen, weil sie sich sonst, so sagen sie häufig, von ihren eigenen Eltern distanzieren müssten. Was die Trainer also verlangen, ist nicht einfach für die Teilnehmer zu bewerkstelligen.

Denn Identifizierungen lassen sich nicht so einfach durch den Einzelnen aufgeben, wenn sie sich in bestimmten Kontexten als moralisch unkorrekt erwei-

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sen sollten. Pierre Bourdieu hat darauf hingewiesen, dass sich hinter sozialen Klassifizierungen und den damit verbundenen Identitäten evaluative und relatio-nale Konflikte verbergen (1984, 1990).8 Entsprechend kann das von uns immer wieder beobachtete Ringen um die Frage, ab wann Ausländerfeindlichkeit Rechtsextremismus impliziert, als ein Versuch der Verortung des Selbst inner-halb einer (moralischen) Hierarchie verstanden werden. Die Trainer verorten die Rechtsextremen auch aufgrund ihrer Ausländerfeindlichkeit auf einer morali-schen Skala ganz unten. Die Teilnehmer verorten zwar Nazis und Neonazis ganz weit unten, aber nicht die Rechtsextremen oder die Ausländerfeindlichen. Die Vehemenz, mit der hier zuweilen gestritten wird, hat damit zu tun, dass es sich hier um einen Kampf um die Klassifizierung in einer vertikalen Ordnung geht.

Klassifikationen von Menschen nach Gruppen sind weder ausschließlich noch zwangsläufig hierarchisierend: Ethnie, argumentiert Brubaker, ist »weitge-hend ein kognitives Phänomen […], eine Weise, die Welt zu sehen und zu deu-ten, [… die] als solche in und durch Kategorien und kategorienbezogenes Com-monsense Wissen funktioniert« (Brubaker 2004: 43). Diese kognitiven Ökono-mien werden immer dann reproduziert, wenn man sich innerhalb ihrer Klassifi-zierungen bewegt: Wenn »nicht alle Ausländer kriminell sind«, werden die Be-griffe ja wieder zusammengebracht und damit reproduziert. Die kognitive Öko-nomie wird durch solche Aussagen bestätigt. Die Reproduktion des common sense über die anderen, auch wenn die Aussagen nun mit einem »nicht« bestückt sind, wiederholen nur die gleichen Begriffe. »Preußen stehlen nicht« ist also ein erneutes Zusammenbringen der Gruppierung der Preußen mit der Handlung Stehlen, und wenn die Ansicht, dass Preußen zum Stehlen neigen, vorherrschen sollte, dann reproduziert so eine Aussage nur die Korrelation von Preußen mit dieser verwerflichen, oder doch zumindest ärgerlichen, Handlungsweise. Das liegt laut Brubaker an den kognitiven Ordnungen, an den Vereinfachungen, die notwendig sind, um die Welt bewältigen zu können. Es hilft also keineswegs dabei, Meinungen über Preußen zu ändern, wenn man dabei nur negiert, dass sie bestimmte Eigenschaften hätten – im Gegenteil.

Obwohl das Klassifizieren (als »Rechtsextremer«, »Ossi« oder »Auslän-der«) also an und für sich funktional – weil vereinfachend – ist, können wir dort, wo Konflikte um Klassifikationen auftreten, laut Bourdieu immer auch Konflikte um gesellschaftliche Strukturen vermuten und die Verortung des Individuums in den gesellschaftlichen Hierarchien. Das sei ein Zeichen der Moderne: Moderne Gesellschaften honorieren (jedenfalls offiziell) nicht ererbte Gruppenprivilegien. Daher aber müssen Hierarchien aus ökonomischem, kulturellem und morali-

8 Evaluativ meint hier, dass um Einstellungen über Werte, relational, dass um Einstellungen zu Personen gestritten wird.

Die Hölle sind immer die anderen 227

schem Kapital immer wieder auf sozialem Terrain bestätigt werden und sind also immer wieder Objekt sozialer Kämpfe um Klassifizierung (Bourdieu 1990: 135).

Die von uns in den Schulungen beobachteten Hierarchisierungsversuche zwischen »Rechtsextremen« und »normalen Ausländerfeinden« sind also auch Kämpfe um symbolische Wertigkeit, um die eigene Positionierung in moralisch legitimierten Hierarchien. Solche Kämpfe bleiben nicht ohne Folgen, denn ideel-le Hierarchien werden dann kontinuierlich zu etablierten Hierarchien, wenn sie von anderen akzeptiert werden. Dies macht es wiederum erst möglich und poli-tisch interessant, in diese klassifikatorischen Auseinandersetzungen einzugreifen und neue Hierarchien vorzuschlagen, und vielleicht sogar die eigene Höherklas-sifizierung festzuschreiben: »Performative acts are forms of subversion, regulati-on and embodiment [...], statements that, in the uttering, also perform a certain action and exercise a binding power« (Nayak/Kehily 2006: 465f).

Nun funktioniert in den von uns beobachteten Gruppengesprächen Ethnizi-tät als eine negative Markierung, wie moralische Wertungen auch. Dies ist nicht erstaunlich, denn »classifying kinds of subject people is an imperial imperative« (Hacking 2006: 287). »Ausländer« filtert hier also andere Klassifizierungen, »Ossi« (wenn dieser Begriff auch zuweilen despektierlich gebraucht wird) hin-gegen nicht: Wird eine Person als »Ausländer« bezeichnet, ist damit schon etwas über ihre moralische Wertigkeit gesagt. Dies ist nicht der Fall, wenn eine Person »Ostdeutscher« genannt wird, auch wenn in diesem Zusammenhang jemand gemeint sein kann, der einen Hang zum »Rechtsextremismus« hat. Gerade der Umstand, dass »Ossi« mit einer Negativbewertung zusammentrifft (»sind oft rechts«), ist ein Hinweis darauf, dass der Begriff nicht ipso facto eine vertikale Einstufung impliziert. Das ist im Fall des »Ausländers« anders. Hier findet sich nämlich wesentlich häufiger die Distanzierung von der mitgedachten negativen Implikation des Begriffs (»Er ist zwar Ausländer, aber ich finde ihn total nett«; »Sie ist eigentlich Fidschi [sic], aber wir mögen sie«; »Er ist zwar Neger [sic], aber kein richtiger Ausländer, weil für uns ist der einfach der Kurt«; usw.): Der Bewertung von Unterschieden wird eine »Sortierung nach ethnischen Kriterien vorgelagert« (Sutterlüty/Nekel/Weber 2008, 34).

»Ausländer« ist also ein Beispiel für eine kategorische, »Ossi« ein Beispiel für eine graduelle Klassifizierung in Sutterlüty und Nekels Sinn: Erstere werden in einer gedachten Dichotomie zwischen zugehörig und fremd als absolut exklu-diert markiert (hierzu gehören in der Regel Attribute wie Ethnizität, Geschlecht und Religion), letztere bestehen aus quantifizierten Differenzen (hierzu gehören oft Einkommen, Status und Ausbildung Sutterlüty/Neckel 2006: 804-5, Sutter-lüty/Neckel/Walter, 2008, 33f). Also sind Ossis nicht rechtsextrem, aber sie neigen eher zum Rechtsextremismus als andere. Ausländer hingegen sind fremd und werden nicht nur als eher zum Fremdsein neigend klassifiziert. Die beiden

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moralischen Ordnungen des Universalismus und des Partikularismus, um die es bei den beobachteten Schulungen immer auch geht, sind Ordnungen, in denen der moralisch Fragwürdige in dem einen Fall der Ausländer, im anderen der Rechtsextreme ist. Wobei der »Rechtsextreme« von den Trainern als absolute, von den Teilnehmern aber als graduelle Klassifizierung verwendet wird. Und dies ist einer der zentralen Aushandlungspunkte in den Schulungen: Ist der Rechtsextreme das am tiefsten stehende Mitglied der moralischen Ordnung, wie es die Trainer meinen, oder ist er nicht ganz koscher aber trotzdem »einer von uns«, wie viele Teilnehmer meinen? Für sie steht nichts weniger als die Wertig-keit ihrer eigenen moralischen Ordnung und damit auch ihrer eigenen Identität zur Disposition.

Als Ostdeutsche sehen sich viele von ihnen mit der Annahme konfrontiert, sie neigten zu Rechtsextremismus. Quantitative Einstellungsstudien verwenden in standardisierten Messinstrumenten Items, die bereits die Bevorzugung der Eigengruppe (z.B. bei der Verteilung knapper Ressourcen) als Ausländerfeind-lichkeit deuten. Die empirischen Moralforscherinnen Nunner-Winkler, Wohlrab und Nikele haben aber gezeigt, dass Leute, die dazu neigen, Einheimische Frem-den gegenüber zu bevorzugen, nicht immer eine Meinung haben, die mit denen der »Nazis« korreliert. So geben uns die Moralforscherinnen eine Erklärung dafür, warum die Schulungsteilnehmer die Inferenzierbarkeit von der Bevorzu-gung der Eigengruppe auf anscheinend rechtsextremistische Einstellungen im-mer wieder in Frage stellen. Denn die Schulungen fanden in just den Regionen statt, in denen quantitative Studien eine erhöhte Neigung zum Rechtsextremis-mus festgestellt haben, und das sind laut Nunner-Winkler et al genau die Regio-nen, deren Bewohner auch zu einer partikularistischen Form der Ethik neigen. Die Indikatoren für Rechtsextremismus sind in mancher Befragung so gewählt, dass in ihnen tatsächlich nur ein Hang zu einer partikularistischen Ethik gemes-sen wird, weil die Befragten mit solchen Fragen konfrontiert werden wie »Gibt es zu viele Ausländer?« Mit anderen Worten ist »der vielfach berichtete Befund einer höheren Fremdenfeindlichkeit im Osten« also ein erhebungstechnischer Fehler (Nunner-Winkler/ Meyer-Nikele/ Wohlrab, 2005: 12).

Denn während das in westdeutschen Bundesländern dominierende universa-listische moralische Denken die Bevorzugung der Eigengruppe als illegitim – korrupt, käuflich, bestechlich, versumpft, opportunistisch, verführbar usw. – darstellt, versteht das partikularistische Denken die Bevorzugung der Eigenen als geboten. Damit ist aber unter ganz bestimmten Umständen, etwa bei der Exis-tenzbedrohung der eigenen Gruppe, die Feindlichkeit gegenüber Fremden mit geboten. Das bedeutet wiederum, dass Fragen über die Gleichstellung von »Aus-ländern« mit »Einheimischen« in einer partikularistischen Ethik negativ beant-wortet werden müssen, will man sich als ethisch korrekt darstellen. Denn dies

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wäre ein notwendiges Merkmal für die – laut der partikularistischen Ethik gebo-tene – höhere Fürsorgeverantwortlichkeit für die Eigengruppe. Wenn also in Untersuchungen, die auf die Feststellung rechtsextremistischer Einstellungen abzielen, die »Präferenz des Eigenen« als Indiz für die Verachtung und potentiel-le Missachtung des Fremden, also der Ausländerfeindlichkeit, gilt, vermengen diese Studien partikularistische Denkweisen mit rechtsextremen Einstellungen und diese dann mit einer bestimmten Identitätspolitik, in welchen »ostdeut-schen« Identitäten ein ganz bestimmtes Set an Einstellungen (Parochialität, Fremdenfeindlichkeit, usw.) zugeschrieben wird, wie Nunner-Winkler und Kol-leginnen argumentieren.

Ganz besonders deutlich wird der Kampf um die moralische Legitimität von Ausländerfeindlichkeit in den von uns beobachteten Schulungen, wenn es konk-ret um Ansichten über »Ausländer« geht.

Die Einführung des Begriffs »Ausländer« in einer Diskussion um soziale Werte produzierte eine Reihe von kategorischen Äußerungen, für deren Proble-matik diese Schulungen eigentlich die Schüler hatten sensibilisieren wollen. Die Trainer versuchen oft vergeblich, in einer parallelen Verwendung zum Begriff »Ausländer« den Begriff »Rechtsextremer« einzuführen, in der Hoffnung, er könne eine ähnliche Rolle übernehmen wie der hier beschriebene Begriff »Aus-länder«. Das funktionierte in den beobachteten Schulungen nicht, auch deshalb nicht, weil der Begriff »Ausländer« auf den Status einer Person außerhalb der Eigengruppe verweist, und dies in einer partikularistischen Ethik also auf einen bestimmten moralischen Status. Es wird also auf jemanden verwiesen, der sich außerhalb der Gruppe der moralisch Relevanten befindet. Der Rechtsextreme hingegen ist Mitglied dieser Gruppe der moralisch Relevanten – es ist eben der Nachbar, das Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, usw. Der Verweis auf die rechtsextreme Komponente der Herabstufung von Ausländern muss also als »Angriff« auf eine moralische Ordnung verstanden werden, die mit den Identitä-ten der Teilnehmenden verwoben sein kann und schon deswegen auf Widerstand stoßen muss – sonst müssten sich die Teilnehmer selbst als moralisch fragwürdig verstehen. Diese Situation kann zu recht aussichtslosen Kämpfen um den Begriff »Ausländer« führen:

Teilnehmer H: Ich bin der Meinung, es ist wichtig, wenn sie [die Ausländer, Anm. der Verf.] hier leben wollen, dann sollen die auch so leben wie wir, dann sollen die sich, was heißt anpassen, ja Vielfalt oder so, aber irgendwo gibt’s doch gewisse Regeln an die wir uns alle hal-ten müssen.

Trainer: Mhm.

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H: Aber manche, auch Deutsche halten sich nicht dran, klar, aber es sind halt auch Ausländer, die sich nicht dran halten, und so was find ich dann Scheiße.

Teilnehmer S: Na ich finde, jeder kann seine eigene Kultur auch wenn die hier in

Deutschland sind, können die ruhig ihre Kultur weiterleben,

Teilnehmer A: Ja.

S: Aber die sollen sich auch irgendwie an die Regeln hier halten, weil, keine Ahnung wenn sie, wenn sie also hier provozieren

Teilnehmer T: Sollen sie (doch) in ihrem Land bleiben wenn sie die eigene Kul-

tur machen wollen.

S: Na ja, gut.

T: Ich meine Deutschland ist unsre Kultur und die haben (halt) ihre Kultur, sollen se rübergehen bitte.

Vom Terminus »Ausländer« kommen die Teilnehmer oft auf deren anscheinend ungebührliches und unangepasstes Verhalten. Warum das so ist, hat der schon zitierte Soziologe Ferdinand Sutterlüty gezeigt: der Begriff »Ausländer« filtert andere mögliche Klassifikationen – und ihre moralische Einordnung. Ein Nach-bar, ein Kollege, ein Beamter kann diese oder jene statthaften oder unstatthaften Eigenschaften haben; er kann auch ein zuvorkommender, arbeitsamer, dänischer, französischer, lang-gewachsener, schwuler oder ostdeutscher Beamter sein; wenn er aber als »Ausländer« bezeichnet wird, wird diese Einordnung zu einer moralischen – und zwar einer moralisch abwertenden – kategorischen Einord-nung. Das heißt, dass die Einführung des Begriffs »Ausländer« in einer Debatte über Zugehörigkeit ipso facto zu einer spezifischen Bewertung der Situation einlädt. Wenn ich also eine Umfrage in der Nachbarschaft starte, ob der Bäcker Stühle auf den Gehweg stellen darf, ist das eine offene Frage. Wenn ich eine Umfrage starte, ob der ausländische Bäcker Stühle auf den Gehweg stellen darf, ist diese Frage durch den Begriff »Ausländer« schon präjudiziert.

In den von uns durchführten Gruppeninterviews an Schulen zeigt sich die-ses Phänomen ganz deutlich. Es zeigt sich gerade in den Situationen, in denen Schüler versuchen, Nettes über Ausländer zu sagen. So sagen sie über mit ihnen befreundete Schüler, sie seien zwar Ausländer, »aber nett«: Sie müssen dies gesondert betonen, weil es eigentlich einen logischen Widerspruch darstellt.

In den Schulungen wird dieser Widerspruch zwar ständig bedient, er wird aber nicht artikuliert, mit der Folge, dass sich immer wieder die gleichen Aussa-gen finden lassen: »ist kriminell« vs. »ist nicht kriminell«, ohne dass sich etwas wirklich Neues ergeben kann. Im Grunde bedarf es eines anderen Vokabulars, in

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das Adjektiv »ausländisch«

Die Hölle sind immer die anderen 231

dem es wenigstens kein logischer Widerspruch wäre, jemanden als Ausländer und nett (arbeitsam, gebührend im Verhalten, freundlich im Auftreten, respekt-voll und zart usw.) zu bezeichnen. Man bräuchte einen Begriff, in dem nicht die mangelnde Zugehörigkeit schon inkludiert ist – »neue Deutsche«, vielleicht, oder »Zugewanderte« oder »Migrantinnen« oder »Bindestrich-Deutsche« oder »Wahl-Deutsche«, je nach Kontext. Denn die Teilnehmer können in ihrer unre-flektierten Reaktion auf Fragen nach »Ausländern« gar nicht anders, als sich abweisend zu äußern, der Begriff ist eben ein moralisch negativ aufgeladen.

Um auf die gerade beschriebene Diskussion zurückzukommen: Neben dem Verweis auf knappe Arbeitsplätze, um die man mit »den Ausländern« konkurrie-ren müsse, wird das Gegenteil genauso betont, nämlich der nicht arbeitende Ausländer, der von sozialen Sicherungssystemen profitiere. Es überrascht daher nicht, dass diese paradoxen Vorwürfe – »Ausländer« arbeiteten zu viel und zu wenig, in der Vorhaltung gipfeln, sie seien nicht angepasst, sie seien gar so we-nig angepasst, dass ihre Eigenheit sie sichtbar macht.9 Dies wird von den Trai-nern selber immer wieder artikuliert:

Trainer 2: Wie viele Ausländer gibt es in Sachsen? [verschiedene Teilnehmer schlagen 20, 30 und 50% vor].

Trainer 1: ... gehen wir mal von zwanzig Prozent aus, (.) wenn zwanzig Pro-

zent Ausländer hier wären, was würde es dann heißen, wie viele von zehn Leuten wären dann Ausländer? … Ihr seid eine Klasse von fünfundzwanzig Leuten. Bei euch müssten vier, vier, äh ir-gendwie anders aussehen.10

Hier sind es nicht die Teilnehmer, die die angeblich phänotypisch feststellbaren Unterschiede zwischen »Aus-« und »Inländern« betonen, sondern der Trainer. Die Feststellung, dass »Ausländer« »anders« aussehen müssten, reproduziert die Annahme, dass diese moralisierte Klassifizierung auf offensichtlichen und für alle sichtbaren Merkmalen beruht. »Ausländer« werden also als visible moralisch problematisierbare Männer eingestuft. Der Versuch, über Ausländerfeindlichkeit anders ins Gespräch zu kommen, läuft entsprechend schief – wie in diesem Fall, in dem der Trainer von der Situation etwas überrumpelt scheint:

9 Diese Forderung an die Unsichtbarkeit des Fremden gipfelt in der Formulierung einer Seminarteil-nehmerin an der Universität Leipzig im Wintersemester 2008/2009, Ausländer hätten sich, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft bekämen, die Haare zu blondieren und die Gesichtshaut zu bleichen; andernfalls seien sie nicht integriert und für Feindlichkeiten ihnen gegenüber »selber schuld». Aus-länder werden im Übrigen fast immer als Männer bezeichnet, was sie auch als gefährlicher erschei-nen lässt. 10 Nicht nur die Teilnehmer haben Probleme mit Prozentrechnungen, wie es scheint.

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232 Rebecca Pates

Teilnehmerin K: Halt, das ist nicht immer so, dass die Ausländer Arbeit weg-nehmen, manche wollen auch gar nicht arbeiten gehen, sitzen (.) zum Beispiel mit der Bierpulle aufm Bahnhof und quatschen ir-gendwelche Leute an.

Teilnehmer B: Polen, Kurden, Türken alles so, was so halt im Asylheim haust,

nicht?

Teilnehmer H: So was [stockt] weiß man nie so.

B: Ja also, wirklich, die haben …

H: Da siehste teuerste Babynahrung, was die da haben, teuerste Sachen, Klamotten, wart mal, die leben besser wie wir.

B: Auf jeden Fall!

Trainer: OK ähm, und ihr meint jetzt, wenn sie ins Asylbewerberheim

gehen?

H: Ja.

B: Ja auch so die, die wenn die jetzt auch eine Wohnung haben oder so, die haben mehr jetzt als wir – [leise] wir haben ja jetzt nichts mehr.

Hier werden quasi in einem Atemzug »Ausländer« sowohl als zu viel als zu wenig arbeitend dargestellt, und sie hätten die »teuersten Sachen«. Darüber hin-aus seien sie gewillt, sagt ein Teilnehmer derselben Schulung, für einen geringe-ren Lohn zu arbeiten, sie weisen also quasi entweder gar keine Arbeitsethik oder eine zu protestantische Arbeitsethik (im Weberschen Sinn) auf. Darüber hinaus stehen die Ausländer auch im Ruf, kriminell zu sein.

Trainer: Abfällig werden die Leute immer »Asylanten« genannt. Also: Asyl beantrage ich, weil ich halt in meinem eigenen Land ver-folgt werde, also ich kann also nicht Asyl beantragen weil ich halt sage OK (.) ich verdiene in meinem Land nur die Hälfte [als hier] oder so.

Teilnehmer H [leise]: Verbrecher!

Trainer: Verbrecher? Wie kommst du auf, auf Verbrecher?

H: Na ja, wenn die im eigenen Land verfolgt werden, muss es ja

auch einen Grund haben.

Die Hölle sind immer die anderen 233

Von dieser Perspektive lässt sich H dann nicht abbringen, was der Trainer in diesem Zusammenhang dann als Sabotage werten muss: er schafft es nicht, die Teilnehmer für die soziale und politische Situation von Asylbewerbern zu sensi-bilisieren. Er versucht dann im Folgenden, die ablehnende Haltung als sympto-matisch für Rassismus darzustellen.

Und insbesondere bei der Einordnung von Aussagen zur Kategorie »Ras-sismus« sind Unsicherheiten seitens der Teilnehmer zu beobachten. Trotz defini-torischer Klärung durch die Trainer bleiben Ungewissheiten und die Angst, bei dem als sensibel wahrgenommenen Thema etwas »falsch« zuzuordnen und damit möglicherweise sich selbst als Rassist zu »outen«. Rassistische Einstellungen werden oftmals aber nicht als allgemein gesellschaftliche Problematik darge-stellt, sondern fast ausschließlich als ein Problem von »Nazis« dargestellt. In dem hier untersuchten Fall fällt der Hinweis, Ausländerfeindlichkeit sei eine ideologische Komponente des »Dritten Reichs«. Das wirkt verstärkend auf die Distanzierung aller Teilnehmer von der Klassifizierung »Nazis« – sie sind ja nicht Mitglieder des Dritten Reiches – so dass sie nach Bestätigungen suchen, dass sie keine »Nazis« sind. Gerade die Abwesenheit von Widerstand in diesem Teil der Schulung ist hier ein Indiz dafür, dass es in dieser Klassifizierung um nichts geht – es kommt zu keinem Gerangel um moralische Ordnungen.

Sobald Ausländerfeindlichkeit und »Nazi«-sein einander implizieren sollen, wehren sich die Teilnehmer vehement. Zu Recht vermuten Teilnehmer der Anti-Rechtsextremismus-Schulungen, dass die Trainer davon ausgehen, dass sie die »moralisch verdächtige« Ordnung vertreten.

Als das Gespräch auf einem beobachteten Projekttag im November 2007 von einer allgemeinen Diskussion um rassistische Einstellungen zu einer örtlich spezifischen wechselte, der Trainer nämlich auf die schon oben erwähnte »Hetz-jagd von Mügeln« zu sprechen kam, reagierten die Teilnehmer immer deutlicher und immer offener mit Ablehnung und Distanzierung. Sie wollten von der Dis-kussion um Rassismus ablenken und die Diskussion auf die Frage hinlenken, wer die Auseinandersetzung angefangen habe.

Teilnehmerin K: Ja, aber angenommen, die haben angefangen?

Trainer 2 [ablehnend]: Angenommen, angenommen. K: Ja, aber wenn die angefangen haben, warum soll ich da was

dagegen machen, da sind sie selber schuld? Trainer 2 [empört]: Wisst ihr was, wisst ihr was? Teilnehmer D: Des hat nichts mit [Schuld] zu tun, das hat sich gegenseitig

hochgeschaukelt.

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im Verlauf der Schulung
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eben
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234 Rebecca Pates

Trainer 2: Das Gerücht, dass die Inder angefangen haben, hat sich der-maßen schnell durchgesetzt, um die Schande loszuwerden. Al-so im Prinzip haben sich da Täter und Opfer ... mittlerweile zumindest hier in der Gegend weil man sich sozusagen schüt-zen will haben sich Täter und Opfer einfach »vertauscht«: »die Inder haben angefangen!« Klar, man fängt ja auch immer als acht Inder etwas an, gegen ein ganzes Dorf!

Teilnehmer ?11: Genau Trainer 2 [ungläubig]: Das glaubt ihr doch nicht wirklich?

Hier treffen zwei höchst unterschiedliche Interpretationen der Situation aufei-nander. Den Schüler ist es wichtig festzuhalten, dass, wenn »die Inder« die Aus-einandersetzung angefangen haben, die Schuldfrage anders interpretiert werden müsse. Damit hinterfragen sie die Unterstellung der Trainer, dass es sich hier um einen von Ausländerfeindlichkeit bewegten Mob handele. Der Trainer allerdings nimmt hier eine weitere Verweigerungsstrategie wahr und koppelt das Gesagte an einen generalisierenden Diskurs, »hier in der Gegend sind die Leute rechts-extrem« (der ähnlich subtil ist wie »die Inder sinds gewesen«). Folglich werden die aus den Nachbarorten von Mügeln kommenden Teilnehmer mit ihren Relati-vierungsversuchen ungewollt zu Vertretern dieses Diskursstrangs, welcher vom Trainer mit den Worten »das is ne Frechheit« massiv abgelehnt wird. Die Folge ist, dass die Teilnehmer sich diffamiert fühlen und große Teile der weiteren Schulung torpedieren.

Die Interaktionen zwischen den Teilnehmenden laufen – wie hier – immer wieder auf Fragen der Identität zurück. Insofern die Trainer dies nicht erkennen, laufen sie Gefahr, die Teilnehmer, denen eine »differenzierte, moralisch bessere« Wir-Sie-Unterscheidung beigebracht werden sollte (»nicht alle Ausländer leben von Sozialhilfe«, »ich kenne Homosexuelle, die ganz normal sind« etc.), in eine Hierarchie einzuordnen, in der sie und ihr Umfeld von Anfang an als moralisch anrüchig dargestellt werden. Dies hat eher den Effekt, die Fronten von Anfang an zu verhärten und Verweigerungsstrategien zu provozieren. Zudem zeigte sich immer wieder, dass eine Wir-Sie-Unterscheidung Grundlage der argumentativen Muster der Trainer ist:

Trainer: Also, worauf wir hinaus wollten, also […] die [AusländerInnen] nehmen uns die Arbeit weg, vielleicht können wir mal [zögert] darüber nachden-ken? [Pause] wer hier wem was wegnimmt? a) es sind viel zu wenige, um Arbeit wegzunehmen, b) Ostdeutsche gehen alle in den Westen.

11 Stimme nicht klar zuordenbar.

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Während das den Teilnehmern unterstellte Feindbild des »Ausländers«, der Ar-beitsplätze wegnimmt, eigentlich dekonstruiert werden soll, wird mit dem Ost-deutschen ein neues potentielles Feind-Narrativ eingeführt. Die Teilnehmer sol-len sich als Mitwirkende einer Ordnung verstehen, in der sie und »die Auslän-der« am Problem teilhaben.

Ressentiments über genau diese Logik – das die Ostdeutschen ein Problem seien, die »Ausländer« aber rechtmäßig arbeiten würden – und der damit impli-zierten Zugehörigkeit werden im Laufe der Schulungen immer wieder zur Spra-che gebracht. Im Kampf um die moralische Hierarchisierung mithilfe der Begrif-fe »Ausländer« und »Rechtsextremisten« werden dichotomisierte vertikale Ord-nungen aufgestellt und die Positionen innerhalb dieser Ordnungen moralisiert. Freilich lässt sich über »Ausländer« eine Kultur der Klage und der Missgunst feststellen – über vermeintliche Privilegien und Vorteilsnahmen der Ausländer. Die immer wieder expliziten Vergleiche mit der Situation der Bewohner der neuen Bundesländer, denen es auch schlecht gehe und denen diese Privilegien vorenthalten würden, verweisen auf die impliziten moralischen Ordnungen: Die einen argumentieren, dass man Ausländer ebenso wenig diskriminieren dürfe wie Ossis, die anderen empfinden diesen Vergleich der Ansprüche aber als Zu-mutung. Ihre Entrüstung ist genuin. Sie empfinden sich nicht als systemisch privilegierte Rassisten. Sie sehen sich vielmehr als Opfer der Globalisierung, als ungerechtfertigte Verlierer der Wende und der daraus folgenden strukturellen Benachteiligung des Ostens.

Besonders bei der thematischen Annäherung an geläufige Stereotype zeigen sich Teilnehmer an Schulungen gegen Rechtsextremismus von vornherein skep-tisch. Hier übernehmen die Schüler eine ähnliche Logik wie die von armen Wei-ßen in Australien, die sich dagegen wehren, als RassistInnen gebrandmarkt zu werden: »White people are struggling to achieve social recognition and respect that they feel is being denied« (Cowlishaw 2006: 438). Vielleicht wurde sehr viel investiert in diese Identität, die sich in erster Linie als ethnisch spezifisch und von den »eigenen« Leuten als verunglimpft versteht:

»Why would entrenched, longstanding injustice and cruelty not lead to embedded resentment, anger, self-hatred and destructiveness? Where is any analysis of specific historical damage and the scars, if not open wounds, left in the relationships within those communities where historical identities are at war? Where are ideas about how to both recognise and respect the consequences of cruel injustice that leaves some people crippled, some lives broken, some families with embedded self-destruc-tiveness?« (Atkinson 2002, zitiert nach Cowlishaw 2006: 442)

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Fazit Die von uns in den neuen Bundesländern beobachteten Schulungen und in Sach-sen geführten Gruppeninterviews über »Rechte« und »Ausländer« verweisen immer wieder auf die Aushandlung moralischer Ordnungen und die Problematik der angemesseneren Verortung der eigenen Identität zwischen den Trainern und den anderen Teilnehmern. Wir haben herausgefunden, dass Klassifikationen horizontaler Differenz (Ethnisierung) mit vertikalen Markierungen von Un-gleichheit (Status, Einkommen, Bildung) korrelieren. Eine Klassifizierung hori-zontaler Differenz – bestimmte Formen von Ethnizität, darunter vor allem »Tür-ke« ist gleichzeitig auch vertikal markiert gilt. »Ausländer« meint immer schon »ist in einer moralischen vertikalen Ordnung recht weit unten«. In den Schulun-gen soll »Rechtsextremer« diese Rolle einnehmen, hier aber akzeptieren die Teilnehmer in der Regel nicht die Ungleichwertigkeit dieses lifestyle.

Daher liegt auch ein grundlegendes Problem dieser Schulungen in der Wei-se, in der sie versuchen in soziale Ordnungen einzugreifen, denn »the de-construction of identity is not the deconstruction of politics; rather, it establishes as political the very terms through which identity is articulated« (Butler 1990: 148). Die widerstrebenden Verhaltensweisen in den Klassenzimmern sind Wi-derstände gegen eine moralische Ordnung, in welcher sich die Teilnehmer als Taugenichtse dargestellt sehen. In diesem Artikel versuchte ich die Dynamik dieser Begriffe und die Aushandlungen um bestimmte moralische Ordnungen zu analysieren. Gewisse Klassifikationen, darunter »Ausländer«, »Rechtsextreme« und »Ossis« korrelieren mit einer vertikalen moralischen Ordnung. Schulungen gegen Rechtsextremismus stoßen weitgehend auf Widerstand, weil die Aushand-lungen um die eigenen Platzierungen der Teilnehmer innerhalb der moralischen Ordnungen der Trainer von letzteren unverstanden bleiben.

Vorstellungen des Ethnischen definieren immer auch angemessenes und nicht angemessenes Verhalten, normales und deviantes Sein, das Moralische und das Unmoralische. Durch Verweise an Ethnie (hier: »Ausländer« und »Ostdeut-sche«) werden komplexe, dynamische und ethnisierte Hierarchien innerhalb sozialer Gruppen produziert und aufrechterhalten – sowohl von Seiten der Trai-ner als auch von Seiten der Teilnehmer. Dabei geht auch immer um »gute« und »schlechte« Ethnizität oder um politisch korrekte bzw. politisch unkorrekte Ver-haltensweisen. Benennungen anderer Schüler als »Ausländer«, »Fidschi«, »Rus-se«, als »Nazi« oder als »Zecke« sind Symptome eines Interpellationssystems (Althusser 1971), welches wiederum Ausdruck vertikaler Ordnungen ist. Und die Aushandlung um korrekte Interpellation, so hoffe ich hier gezeigt zu haben, wird die Schulungen bestimmen, wenn die Trainer nicht andere Interpellationen be-dienen können. Denn »Ethnitzität, Rasse und Nationalität sind fundamentale

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einer korrekten
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Ethnizität

Die Hölle sind immer die anderen 237

Formen der Wahrnehmung, Deutung und Repräsentation der sozialen Welt. Sie sind keine Dinge in der Welt, sondern Blickwinkel auf die Welt« (Brubaker 2004, 31). Und ihre unreflektierte Reproduktion in Schulungssituationen zemen-tiert unfaire vertikale Ordnungen, deren Interpretation, Rechtmäßigkeit und Funktionieren doch eigentlich Bestandteil von Schulungen über Demokratie sein sollten.

APPENDIX A: Teilnehmende Beobachtungen an Schulungen Zeit-raum

Institution Ort Teilnehmer Thema der Schulung

10.1

0.07

mbt Mecklenburg-Vorpommern (mobile Beratungsteams für demokratische Kultur (mbt) in Mecklenburg-Vorpommern)

Ludwigslust Gymnasium 10. Klasse (Alter ca. 16)

Gegen Rechtsextremis-mus

30.1

0.07

to

01.1

1.07

AFZ – Anne Frank Zentrum

Berlin FKJ (Freiwilliges Soziales Jahr – Kultur) (Alter 18-20)

Sensibilisierung für die Geschichte von Minder-heiten

07.1

1.07

to

08.1

1.07

NDC- Netzwerk für Demokratie und Coura-ge

Markleeberg Gymnasium 10. Klasse (Alter ca. 16)

Sensibilisierungstraining gegen Vorurteile

26.1

1.07

- 27

.11.

07 Bildungsteam Berlin

Brandenburg Neuruppin Berufsvorberei-

tungsjahr (Alter 19-23)

Gegen Rechtsextremis-mus

12.1

2.07

NDC- Netzwerk für Demokratie und Courage

Wermsdorf Gymnasium 9. Klasse (Alter ca 15)

Sensibilisierungstraining gegen Vorurteile

03.0

1.08

Gerede e.V. Dresden Berufsvorberei-tungsjahr (Alter 19-23)

Gegen Homophobie

238 Rebecca Pates

APPENDIX B – Gruppeninterviews an Schulen über negative Klassifizierungen Zahl der Interviews

Schulform Region Klasse (bzw Alter)

Raum

Insgege-samt, davon

Gym- nasi-um

Mittel- schule

BVJ 9. 10. 12. 19-24 (BVJ)

Ländlich 9 2 6 1 Sachsen-Anhalt, West, Ost und Nord-sachsen

4 3 1 1

Städtisch 15 10 4 1 Leipzig, Magde-burg

7 6 1 1

Suburban 14 3 10 1 Leipzig 10 3 0 1

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