Die Aussenräume der Gropiusstadt (Berlin)

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Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Kulturwissenschaft Prof. Dr. Anke te Heesen Dr. Anna Echterhölter Forschungsseminar „Dokument und Zeugnis“ Verschriftlichung eines Referats vom 2. Juli 2013 Antonia Steger [email protected] Die Außenräume der Gropiusstadt Die Gropiusstadt ist ein Stadtteil Berlins mit turbulenten Imagewechseln. Der riesige Stadtteil wurde in den 1960er Jahren vom Bauhaus-Architekten Walter Gropius als Siedlung mit hohem Standard geplant, das Projekt wurde in euphorischen Tönen gefeiert. In den 1970er Jahren wandelte sich die Gropiusstadt jedoch zum Sinnbild einer Problemsiedlung. Für diese Entwicklung gibt es viele Gründe, die hier aus Platzgründen nicht erläutert werden können 1 . Das Leben in der Gropiusstadt war jedoch keineswegs von Passivität und Resignation geprägt, vielmehr gab es auf vielen Seiten lebendige Diskussionen um die ideale Gestaltung einer lebenswerten Stadt und die Bewohner gestalteten das Leben in ihrem neuen Stadtteil aktiv mit. Meine Recherche konzentrierte sich nun auf die Außenräume der Gropiusstadt und wie diese in den 1970er Jahren sozialkritisch aufgeladen wurden. Die Archivsituation für die Gropiusstadt ist leider schlecht. Seit das umfassende Archiv der Wohnungsbaugesellschaft GEHAG einer Überschwemmung zum Opfer fiel, sind Dokumente nur ziemlich verstreut aufzufinden. Das Ziel meiner Recherche war es also auch, das verstreute Restarchiv zusammenzusuchen. Der Startpunkt der Recherche war im Archiv Neukölln, wo sich noch ein größerer Bestandteil an Dokumenten befindet. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Gemeinschaftshauses Gropiusstadt konnte mir noch einige Kontakte vermitteln, sodaß ich Amateuraufnahmen in Film und Fotos fand und ein Gespräch mit dem Pfarrer der evangelischen Gemeinde der Gropiusstadt führte. In Bibliotheken lagern Aufarbeitungen und Studien aus den 1970er Jahren. Für eine Vertiefung der Recherche wäre 1 Über Mängel in der Bauplanung und –phase sei empfohlen: Hand Bandel/Dittmar Machule, „Die Gropiusstadt: Der städtebaul. Planungs- u. Entscheidungsvorgang. Eine Untersuchung im Auftr. d. Senators für Bau- u. Wohnungswesen Berlin“, 1974. Für die soziale Situation in der Gropiusstadt sei empfohlen: Heidede Becker/Dieter Apel, „Gropiusstadt: soziale Verhältnisse am Stadtrand: soziologische Untersuchung einer Berliner Großsiedlung“, 1977. 1

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Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Kulturwissenschaft Prof. Dr. Anke te Heesen Dr. Anna Echterhölter Forschungsseminar „Dokument und Zeugnis“ Verschriftlichung eines Referats vom 2. Juli 2013 Antonia Steger [email protected]

Die Außenraume der Gropiusstadt Die Gropiusstadt ist ein Stadtteil Berlins mit turbulenten Imagewechseln. Der riesige Stadtteil

wurde in den 1960er Jahren vom Bauhaus-Architekten Walter Gropius als Siedlung mit

hohem Standard geplant, das Projekt wurde in euphorischen Tönen gefeiert. In den 1970er

Jahren wandelte sich die Gropiusstadt jedoch zum Sinnbild einer Problemsiedlung. Für diese

Entwicklung gibt es viele Gründe, die hier aus Platzgründen nicht erläutert werden können1.

Das Leben in der Gropiusstadt war jedoch keineswegs von Passivität und Resignation

geprägt, vielmehr gab es auf vielen Seiten lebendige Diskussionen um die ideale Gestaltung

einer lebenswerten Stadt und die Bewohner gestalteten das Leben in ihrem neuen Stadtteil

aktiv mit. Meine Recherche konzentrierte sich nun auf die Außenräume der Gropiusstadt und

wie diese in den 1970er Jahren sozialkritisch aufgeladen wurden.

Die Archivsituation für die Gropiusstadt ist leider schlecht. Seit das umfassende Archiv der

Wohnungsbaugesellschaft GEHAG einer Überschwemmung zum Opfer fiel, sind Dokumente

nur ziemlich verstreut aufzufinden. Das Ziel meiner Recherche war es also auch, das

verstreute Restarchiv zusammenzusuchen. Der Startpunkt der Recherche war im Archiv

Neukölln, wo sich noch ein größerer Bestandteil an Dokumenten befindet. Ein ehemaliger

Mitarbeiter des Gemeinschaftshauses Gropiusstadt konnte mir noch einige Kontakte

vermitteln, sodaß ich Amateuraufnahmen in Film und Fotos fand und ein Gespräch mit dem

Pfarrer der evangelischen Gemeinde der Gropiusstadt führte. In Bibliotheken lagern

Aufarbeitungen und Studien aus den 1970er Jahren. Für eine Vertiefung der Recherche wäre

1 Über Mängel in der Bauplanung und –phase sei empfohlen: Hand Bandel/Dittmar Machule, „Die Gropiusstadt: Der städtebaul. Planungs- u. Entscheidungsvorgang. Eine Untersuchung im Auftr. d. Senators für Bau- u. Wohnungswesen Berlin“, 1974. Für die soziale Situation in der Gropiusstadt sei empfohlen: Heidede Becker/Dieter Apel, „Gropiusstadt: soziale Verhältnisse am Stadtrand: soziologische Untersuchung einer Berliner Großsiedlung“, 1977.

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ein Besuch im Evangelischen Zentralarchiv Berlin interessant, davon mußte hier jedoch aus

Zeitgründen abgesehen werden. Eine Anfrage beim Gartenbauamt ergab leider keine Spur.

Das auf diese Art zusammengesuchte Archiv gibt nicht nur inhaltlich interessanten Aufschluß

über die Diskurse rund um die Gropiusstadt, sondern besteht auch aus ganz unterschiedlichen

Dokumenttypen. Jeder Dokumenttyp verlangt dabei eine eigene Herangehensweise und erfüllt

jeweils ganz andere Aussagenwerte.

Abbildung 1: Berliner Morgenpost, 8.11.1962

Meine Recherche begann mit Zeitungsartikeln aus dem Archiv Neukölln. Ihr Wert bestand

vor allem darin, einen Überblick über den öffentlichen Diskurs zu gewinnen und öffentliche

Meinungsverschiebungen zu beobachten. So wurde deutlich, daß die Gropiusstadt zu

Baubeginn ein Projekt mit hohem Prestige war, Schlagzeilen wie „rauchlose Mustersiedlung

im Grünen“, „Stadt für Fußgänger“ waren die Regel (vgl. Abb. 1). Doch Mitte der 1960er

Jahre setzte Kritik ein, die unter anderem am öffentlichen Raum ansetzte: „[A]uch BBR ist

ohne wahrhaft städtische Plätze, auf denen man sich treffen und verweilen kann“

(Gropiusstadt 132, 28.8.1966, vgl. Anhang 1). Ebenso wurde das Fehlen von geeigneten

Spielplätzen kritisiert und auch die rigorose Haltung der Hauswarte, welche den Kindern

vieles verboten und den Außenraum somit zwanghaft eingrenzen. Die Anfänge dieser Kritik

waren jedoch sehr stark geprägt von der unfertigen Stadt, die noch optimiert werden muß.

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Wichtig war dabei die Semantik des „noch“ (vgl. Abb. 2), der Stadtteil wurde im Werden

begriffen, dessen Unfertigkeiten an Ausspracheabenden diskutiert wurden. Erst später setzte

eine Semantik ein, die von grundsätzlichen und auch irreversiblen Fehlern in der Planung

berichtet.

Abbildung 2: Berliner Morgenpost, 15.2.1969

Der Dokumenttyp des Zeitungsartikels ist dabei besonders aufschlußreich, um die

verschiedenen Interessenspositionen zu beobachten. Daß es dabei auch Konflikte gab, sollte

nicht weiter verwundern. Besonders interessant ist jedoch der Konflikt, in den die objektiv

berichtenden Zeitungen selbst gerieten: Einerseits wollten sie ihre Auflage an die Bewohner

der Gropiusstadt verkaufen, andererseits müssen sie in ihrem Auftrag nach möglichst

objektiven Berichten auch Gegenpositionen zu den Mieterinteressen wahrnehmen. Dies

kulminiert in einem interessanten Werbeprospekt der Berliner Morgenpost aus den 1970er

Jahren. Die Morgenpost berichtete sehr oft und ausführlich über die Gropiusstadt und

benutzte diese Tätigkeit auch als Werbeplattform. Im besagten Werbeprospekt stellt sie sich

gleichzeitig als Sprachrohr dieses neuen Stadtteils dar, das jedoch „einen kritischen Maßstab

anlegen und ein objektives Bild abgeben“ muß (vgl. Anhang 2). Zwischen Bürgervertretung

und objektivem Bericht schien sich jedoch ein unauflösbares Paradox zu ergeben, sodaß sich

die Bewohner nicht genügend von dieser Plattform repräsentiert fühlten. 1973 gründeten sie 3

darum ihre eigene Zeitschrift „Der kritische Bürger“ (vgl. Anhang 3). Diese Zeitschrift

erzeugte einen öffentlichen Diskussionsraum für die Stimmen der Bewohner und bündelte

verschiedene Initiativen und Bestrebungen zur Verbesserung der Siedlung. Der als tot erlebte

Außenraum der Stadt wurde damit ergänzt mit einem virtuellen Raum, in dem das

gemeinschaftliche Leben stattfand und eine Gegenöffentlichkeit erzeugt wurde. Die

gesammelten Ausgaben des „Kritischen Bürgers“ (später „Gropiusstadt“) liegen momentan

bei Herrn Pfarrer Helm in der evangelischen Kirchengemeinde Martin Luther King und wären

eine eigene, ausführliche Analyse wert.

Überhaupt bildeten sich in den 1970er Jahren viele Mieterinitiativen, die von zu teuren

Mieten über die Gestaltung des Alltagslebens bis zur Umfeldverbesserung für Kinder und

Jugendliche reichten. Dabei gab es ein verzweigtes Netz von Gegnerschaften: Bekämpft

werden mußten die Wohnungsbaugesellschaften, dann die Ämter und die Politik und nicht

zuletzt auch andere Mieterinitiativen, die gegensätzliche Interessen verfolgten.

Interessanterweise wurden diese Initiativen aber kaum dokumentiert. Es ging vielmehr um das

Erreichen von Zielen, was zu einer Art a-dokumentarischen Haltung führte. Bloß eine längere

Arbeit eines Sozialpraktikanten aus dem Jahr 1974 dokumentiert die Vielfalt der Initiativen

und stellt jede kurz vor. Drei Exemplare dieser Arbeit liegen ebenfalls in der Evangelischen

Kirchengemeinde Martin Luther King in der Gropiusstadt.

Abbildung 3: Ausschnitt aus "Bürgerinitiativen in der Gropiusstadt" von Peter Boltz, 1974

An sonstigen Dokumenten bezüglich Mieterinitiativen habe ich nur ein paar Flyerkopien im

Archiv Neukölln gefunden2. Einen davon fand ich jedoch besonders spannend (vgl. Abb. 4).

Einerseits sieht man hier, wie bestimmte Themen immer wieder auftauchen und fester

Bestandteil des Diskurses sind. So z.B. die gezeichneten Verbotsschilder auf der Wiese, die

Höhe der Häuser und Probleme mit Fahrstühlen. Diese Initiative für die Errichtung eines

Abenteuerspielplatzes spricht die Probleme direkt an: „Ärgert es Sie auch, wenn Kinder alle

Knöpfe im Fahrstuhl drücken, sie die spärlichen Anlagen zertrampeln, Jugendliche

Fensterscheiben kaputt machen und Feuer im Keller gelegt wird?“.

22 Gerade für die vertiefende Recherche zu den Mieterinitiativen würde sich ein Besuch im Evangelischen Zentralarchiv Berlin vermutlich lohnen.

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Abbildung 4: Vorder- und Rückseite eines Flyers von drei Mieterinitiativen der Gropiusstadt, 1974

Obwohl diese Initiative laut ihrem eigenen Text die Situation von Kindern und Jugendlichen

verbessern möchte, ist ihre Forderung eines Abenteuerspielplatzes jedoch eher an Kinder

gerichtet. Jugendliche wurden viel stärker noch als „Gegner“ wahrgenommen, die es aber sehr

schwierig hatten, sich Gehör zu verschaffen. Dies leitet direkt über zum Roman „Wir Kinder

vom Bahnhof Zoo“, der 1978 erschien. Er portraitiert Jugendliche, die in der Gropiusstadt

aufwuchsen und u.a. deswegen in die Heroin-Szene gelangten. Spätestens ab dem Zeitpunkt

dieser Buchpublikation wurde die Gropiusstadt auch über Berlin hinaus als Problemsiedlung

wahrgenommen3.

Es ist sehr interessant, diesen Roman unter der Perspektive des Dokumentarismus zu

betrachten. Der Roman wird im Vorwort explizit als „Dokument“ bezeichnet. Verschiedene

Stilmittel wie Jugendsprache, eingestreute Berichte von Christiane F.‘s Mutter sowie

Betreuern und Fotografien wollen Authentizität erzeugen, obwohl der Roman auch

hochgradig auf seine Verkaufbarkeit hin gestaltet ist. Die Darstellung der Gropiusstadt

3 Pfarrer Helm berichtet von einer Flut von Anfragen in den 1980er Jahren, bei denen Lehrer ganze Schulklassen durch die Gropiusstadt führen wollten um ihnen „die Originalschauplätze“ zu zeigen. Letztere waren zu dieser Zeit jedoch bereits nicht mehr wiederzuerkennen, da in den 1980er Jahren noch einmal eine große Umgestaltung der Außenräume vorgenommen worden war und auch das im Roman oft genannte „Haus der Mitte“ nicht mehr existierte.

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übernimmt in diesem Roman viele Diskursfäden, die mir schon in früheren Dokumenten

aufgefallen sind – so z.B. die Semantik um die „Betonwüste“ und die defekten Fahrstühle und

die sadistischen Hausmeister. Das kulminiert in einem symbolischen Bild, das diese

beschriebene Misère der Gropiusstadt unter einem düsteren, bedrückenden Wolkenhimmel

stilisiert. Das Verhältnis von Wirklichkeit zum Dokument ist hier also auf vielfache Weise

stilisiert, Authentizität wird zum Verkaufsargument.

Abbildung 5: Stilisierte Gropiusstadt in "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", 1978

Begeistert hat mich schließlich ein Fachartikel4, der die fertiggestellte Gropiusstadt kritisch

hinterfragt. Er ist mit wissenschaftlichen Ansprüchen geschrieben und zitiert „Wir Kinder

vom Bahnhof Zoo“ als Dokument für das Alltagsleben in der Siedlung: „Zum Alltag in der

Gropiusstadt sei verwiesen auf die Autobiographie einer 15jährigen Drogensüchtigen (…), in

der der ,Zusammenklang‘ von Gebäudekonzeption, Freiraumgestaltung und bürokratischer

Reglementierung seitens Wohnungsbaugesellschaften und Stadtverwaltung in seiner Wirkung

auf Kinder und Jugendliche drastisch zu Tage tritt“ (Fussnote 7 im besagten Artikel). Damit

wird der Roman plötzlich zur wissenschaftlichen Quelle. Gleichzeitig verwendet der Artikel

4 Gerhard Fehl, „Die Legende vom Stadtbaukünstler. Stadtgestalt und Planungsprozess der Gropiusstadt in Berlin“. In: Bauwelt 1979, Heft 36. S. 275-285.

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ästhetisierende Verfahren, um den Außenraum scharf zu kritisieren. Der Autor wirft der

Gropiusstadt vor, nur zerstückelte und sinnlose Grünflächen aufzuweisen, die höchstens als

Müllkippe verwendet werden. Das, was er kritisiert, reproduziert er dann selbst in seinem

Text (vgl. Anhang 4): Den längeren Lauftext, mit dem er gerade die Zerstückelung der

Außenräume kritisiert, ist selbst durch eingestreute Fotos ständig durchbrochen. So ist es für

den Leser ebenso wie für den Gropiusstadt-Bewohner sehr anstrengend, sich zu orientieren.

Der wissenschaftliche Artikel verwendet damit ästhetisierende Verfahren, wie sie sonst dem

Paradigma der Fiktion angehören.

Ein letzter Dokumenttyp betrifft die private Sammelleidenschaft von Bewohnern der

Gropiusstadt. Erstes Zeugnis solcher Tätigkeiten fand ich in einem Zeitungsartikel der

Berliner Morgenpost vom 18.6.1970 (vgl. Anhang 5). Dieser erzählt von Frau Koči, einer

Bewohnerin von Gropiusstadt, welche jeden Artikel über diese neue Siedlung ausschneidet,

auf weißes Papier aufklebt und einordnet. Weiterhin liegen im Gemeinschaftshaus

Gropiusstadt einige Fotos eines Amateurfotografen sowie ein Amateurfilm eines anderen

Bewohners der Gropiusstadt. Die Fotos sind stets vom selben Balkon aus aufgenommen und

zeigen die rasante Entwicklung der Gropiusstadt während der Bauphase.

Abbildung 6: Amateurfotografien zum schnellen Wachstum der Gropiusstadt

Der Amateurfilm von Herrn Bredow aus dem Jahr 1970 kann hier aus medientechnischen

Gründen nicht wiedergegeben werden, ist jedoch ein äußerst spannendes Dokument, das

semi-professionell zusammengeschnitten und mit Kommentaren sowie Musik versehen ist.

Interessant wäre es, die Motivation für diese nicht selten aufwendigen Arbeiten zu ergründen:

Hatten die Bewohner das Bedürfnis, in einem aus dem Nichts entstehenden Stadtteil eine

Identifikation zu finden? Geben sie sich damit eine eigene Geschichte?

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In meiner Recherche, die mich an viele Orte und zu vielen verschiedenen Dokumenten führte,

faszinierte mich auf inhaltlicher Ebene besonders die sozialkritische Bedeutungsaufladung der

Außenräume der Gropiusstadt. Sie fungieren als die öffentliche Zone dieses Stadtteils und

werden damit von vielen Interessen beansprucht. Die ursprüngliche architektonisch-

ästhetische Gestaltung des Architektenteams widerspricht der funktionalen Besetzung der

Grünzonen (so wurde extra stachliges Gebüsch gepflanzt, um ein Grünstreifen zwischen Weg

und Haus frei zu halten) und das daraus entstehende Ergebnis entsprach wiederum nicht den

Bedürfnissen der Bewohner, die im Außenraum vor allem auch Gestaltungsraum und

Entwicklungsraum für ihre Kinder sahen. Gerade ein Stadtteil wie die Gropiusstadt, die aus

dem Nichts aus dem Boden gestampft wurde, bot eine Möglichkeit, die Grundlagen des

Zusammenlebens von Grund auf zu hinterfragen und zu gestalten. Die gefundenen

Dokumente legen Zeugnis von dieser diskursiven Aufladung ab, mit der die verschiedenen

Interessenspartien immer wieder den Außenraum für sich beanspruchen und gemäß ihren

Interessen gestalten wollten.

Auf formaler Ebene faszinierte mich die Bandbreite verschiedener Dokumenttypen, die

auftauchten. Jedes Dokument hat wieder einen anderen Aussagenwert, so zum Beispiel die

Tageszeitung, welche den öffentlichen Diskurs möglichst objektiv darstellen möchte, während

die Bürgerzeitung in eigener Sache die interne Wahrnehmung viel parteiischer darstellt und

vor allem einem Aktionismus verpflichtet ist. Doch keines dieser Dokumente war bloß

Dokument. Das Dokumentarische überschnitt sich immer auch mit anderen Kulturtechniken:

in den Zeitungsartikeln mit dem möglichst objektiven Bericht, im Roman mit der Fiktion und

in den Amateuraufnahmen mit der Leidenschaft des privaten Sammelns. So ermöglichte die

Recherche zur Gropiusstadt nicht nur ein Eintauchen in die bewegte Vergangenheit eines

ganzen Stadtviertels, sondern machte auch die Wichtigkeit eines differenzierten Umgangs mit

Dokumenten deutlich.

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Anhang 1; Gropiusstadt 132, 28. August 1966

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Anhang 2; Werbeprospekt der Berliner Morgenpost aus den 1970er Jahren

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Anhang 3; Erstausgabe des „Kritischen Bürgers“

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Anhang 4

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Anhang 5; aus Berliner Morgenpost, 18. Juni 1970

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