Der „erlaubte Konflikt“ im Gerichtsverfahren. Zur Ausdifferenzierung einer Interaktionsepisode...

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© Lucius & Lucius Verlag Stuttgart Zeitschrift für Soziologie, Sonderheft, 2014, S. 201–225 Einleitung Gerichtsverfahren zeichnen sich dadurch aus, dass sie Konflikte mit Hilfe von „erlaubten Konflikten“ entscheiden (Luhmann 1983: 100.). Wenn man das Gerichtsverfahren als Interaktionssystem begreift (Luhmann 1983: 3), dann ist es bemerkenswert, dass es gelungen ist, einen Konflikt in ein solches System 1 Bei der Übersetzung von „erlaubter Konflikt“ als „licit conflict“ habe ich mich orientiert an Neville 1993: 111. zu integrieren, der Episode bleibt und nicht das gan- ze Verfahren dominiert – und unterminiert. 2 Denn, 2 Ich stimme Thomas Scheffer zu, dass man bei Ge- richtsprozessen der Gegenwart Verfahren und Interak- tion nicht gleichsetzen darf (Scheffer 2010: 146 ff.). Bei frühneuzeitlichen Gerichtsverfahren gab es allerdings ungleich mehr Überlappungen beider Systeme. Zudem beruht auch noch in der Gegenwart die Idee des Ge- richtsverfahrens darauf, den jeweiligen Fall öffentlich, mündlich und unmittelbar, also per Interaktion zu ver- handeln, die Juristen sprechen hier vom „Grundsatz der Zusammenfassung: Moderne Gerichtsverfahren integrieren einen „erlaubten Konflikt“ als Episode. Währenddessen darf und soll gestritten werden, aber nicht zuvor und darüber hinaus. Dieser Beitrag untersucht die Ausdifferenzierung dieser unwahrscheinlichen Errungenschaft im Gerichtsverfahren vor dem Hintergrund der Annahme, dass Interaktionssysteme gewöhnlich Gefahr laufen, von Konflikten absorbiert zu werden. Am Beispiel englischer Gerichtsprozesse wegen Hoch- verrat vom Spätmittelalter bis um 1800 werden die Transformationen forensischer Agonalität vom Schwertkampf über das Wortgefecht der unmittelbar Betroffenen bis zum Kreuzverhör durch Anwälte rekonstruiert. Dabei geht es zunächst um die Geschichte unerlaubter Konflikte im Gerichtsverfahren und die Frage, warum es gelang, diese Konflikte allmählich auf bestimmte Sequenzen zu begrenzen. Dann geht es um frühe Beispiele für erlaubte Konflikte aus dem 18. Jahrhun- dert anhand von Anträgen auf Verfahrenseinstellung und von Kreuzverhören. Die um 1800 gelungene Integration des erlaubten Konflikts im Gerichtsverfahren kann man einerseits als Ausweis für die Elaboriertheit der forensischen Interak- tion sehen. Andererseits stellt sich aber abschließend die Frage, wieso man im Gerichtswesen angesichts der Komplexität der Entscheidungsaufgaben und der Fülle der Informationen nicht auf ein organisationales Vorgehen ausgewichen ist und stattdessen Interaktion auch in der Moderne als zentraler Modus gerichtlicher Entscheidungsherstellung fungiert. Schlagworte: Gerichtsverfahren, Interaktion, Konflikt, Kreuzverhör, England, Gerichtsrituale, politische Justiz Summary: Modern legal processes do integrate a „licit conflict“ (Niklas Luhmann) as a confined episode of the trial. In the course of this episode, the parties can and should stage their dispute, but not before and not beyond that. is articles focuses on the making of the possibility of a licit conflict, against the backdrop of the assumption that conflicts in interaction systems usually tend to absorb the system. Taking the early modern English treason trials as an example, I will try to show how licit conflicts developed from the late medieval trial by battle, the verbal altercation of the late 16 th century till the cross-examinations of the 18 th century. I will begin with the history of illicit conflicts and the question of how they could be confined to specified sequences of the trial. I will continue with some evidence for the substantial controlling of conflicts in trials of the early 18 th century. e successful integration of conflicts in the legal interaction system seemed to be achieved around 1800. Still the question is, why forensic decision making remained on the level of interaction and did not try out organizational alternatives. Keywords: ??? Der „erlaubte Konflikt“ im Gerichtsverfahren. Zur Ausdifferenzierung einer Interaktionsepisode in den englischen Hochverratsprozessen der Frühen Neuzeit. Licit conflicts in the legal process. 1 On the making of an interaction episode in the early modern English treason trials. André Krischer Historisches Seminar der WWU, Geschichte Großbritanniens, Hittorfstraße 17, 48149 Münster [email protected]

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© Lucius & Lucius Verlag Stuttgart Zeitschrift für Soziologie, Sonderheft, 2014, S. 201–225

Einleitung

Gerichtsverfahren zeichnen sich dadurch aus, dass sie Konflikte mit Hilfe von „erlaubten Konflikten“ entscheiden (Luhmann 1983: 100.). Wenn man das Gerichtsverfahren als Interaktionssystem begreift (Luhmann 1983: 3), dann ist es bemerkenswert, dass es gelungen ist, einen Konflikt in ein solches System

1 Bei der Übersetzung von „erlaubter Konflikt“ als „licit conflict“ habe ich mich orientiert an Neville 1993: 111.

zu integrieren, der Episode bleibt und nicht das gan-ze Verfahren dominiert – und unterminiert. 2 Denn,

2 Ich stimme Thomas Scheffer zu, dass man bei Ge-richtsprozessen der Gegenwart Verfahren und Interak-tion nicht gleichsetzen darf (Scheffer 2010: 146 ff.). Bei frühneuzeitlichen Gerichtsverfahren gab es allerdings ungleich mehr Überlappungen beider Systeme. Zudem beruht auch noch in der Gegenwart die Idee des Ge-richtsverfahrens darauf, den jeweiligen Fall öffentlich, mündlich und unmittelbar, also per Interaktion zu ver-handeln, die Juristen sprechen hier vom „Grundsatz der

Zusammenfassung: Moderne Gerichtsverfahren integrieren einen „erlaubten Konflikt“ als Episode. Währenddessen darf und soll gestritten werden, aber nicht zuvor und darüber hinaus. Dieser Beitrag untersucht die Ausdifferenzierung dieser unwahrscheinlichen Errungenschaft im Gerichtsverfahren vor dem Hintergrund der Annahme, dass Interaktionssysteme gewöhnlich Gefahr laufen, von Konflikten absorbiert zu werden. Am Beispiel englischer Gerichtsprozesse wegen Hoch-verrat vom Spätmittelalter bis um 1800 werden die Transformationen forensischer Agonalität vom Schwertkampf über das Wortgefecht der unmittelbar Betroffenen bis zum Kreuzverhör durch Anwälte rekonstruiert. Dabei geht es zunächst um die Geschichte unerlaubter Konflikte im Gerichtsverfahren und die Frage, warum es gelang, diese Konflikte allmählich auf bestimmte Sequenzen zu begrenzen. Dann geht es um frühe Beispiele für erlaubte Konflikte aus dem 18. Jahrhun-dert anhand von Anträgen auf Verfahrenseinstellung und von Kreuzverhören. Die um 1800 gelungene Integration des erlaubten Konflikts im Gerichtsverfahren kann man einerseits als Ausweis für die Elaboriertheit der forensischen Interak-tion sehen. Andererseits stellt sich aber abschließend die Frage, wieso man im Gerichtswesen angesichts der Komplexität der Entscheidungsaufgaben und der Fülle der Informationen nicht auf ein organisationales Vorgehen ausgewichen ist und stattdessen Interaktion auch in der Moderne als zentraler Modus gerichtlicher Entscheidungsherstellung fungiert.

Schlagworte: Gerichtsverfahren, Interaktion, Konflikt, Kreuzverhör, England, Gerichtsrituale, politische Justiz

Summary: Modern legal processes do integrate a „licit conflict“ (Niklas Luhmann) as a confined episode of the trial. In the course of this episode, the parties can and should stage their dispute, but not before and not beyond that. This articles focuses on the making of the possibility of a licit conflict, against the backdrop of the assumption that conflicts in interaction systems usually tend to absorb the system. Taking the early modern English treason trials as an example, I will try to show how licit conflicts developed from the late medieval trial by battle, the verbal altercation of the late 16th century till the cross-examinations of the 18th century. I will begin with the history of illicit conflicts and the question of how they could be confined to specified sequences of the trial. I will continue with some evidence for the substantial controlling of conflicts in trials of the early 18th century. The successful integration of conflicts in the legal interaction system seemed to be achieved around 1800. Still the question is, why forensic decision making remained on the level of interaction and did not try out organizational alternatives.

Keywords: ???

Der „erlaubte Konflikt“ im Gerichtsverfahren. Zur Ausdifferenzierung einer Interaktionsepisode in den englischen Hochverratsprozessen der Frühen Neuzeit.Licit conflicts in the legal process.1 On the making of an interaction episode in the early modern English treason trials.

André KrischerHistorisches Seminar der WWU, Geschichte Großbritanniens, Hittorfstraße 17, 48149 Münster [email protected]

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wie André Kieserling es formuliert: „Wenn der Kon-flikt ein Parasit ist, der zur Vertilgung seines Gast-gebers neigt, dann ist die Interaktion ein gefundenes Fressen“ (Kieserling 1999: 282). Gewöhnlich kön-nen Interaktionssysteme „offene Konflikte schlecht nebenherlaufen lassen, dazu sind sie nicht komplex genug. Sie haben nur die Wahl, Konflikte zu vermei-den oder Konflikte zu sein“ (Luhmann 1975: 17).Die Institutionalisierung des konfliktförmigen Ge-richtsverfahrens ist also voraussetzungsreich und beruht nach Luhmann (1983: 100–106) auf mehre-ren, einander wechselseitig bedingenden Faktoren: 1) Der Konflikt darf sich nicht diffus-generalisie-rend auf den Gegner und alle seine Eigenschaften beziehen. Er muss auf Entscheidbarkeit hin spezifi-ziert werden. 2) Dazu ist es nötig, dass der Konflikt nur verbal ausgetragen wird. Aber auch dabei kann nicht alles erlaubt sein: Die Streitenden müssen be-stimmte Spielregeln als verbindlich anerkennen und damit bestimmte Vorgehensweisen ausschließen. 3) Im Unterschied zum alltäglichen Streit besteht eine grundlegende Spielregel des im Verfahren do-mestizierten Konflikts darin, dass sich die Streiten-den wechselseitig das Recht zu Streiten zugestehen. Über „das Recht zum Streiten (besteht) kein Streit und daher auch kein Streit über die Vertretbarkeit kontroverser Selbstdarstellungen“ (Luhmann 1983: 105). 4) Eine solche eher „unnatürliche“3 Konflikt-führung ist nur möglich auf der Basis verfahrensei-gener Rollen. Diese helfen, den Streit in bestimmten Grenzen zu halten und in seiner Ernsthaftigkeit zu erhalten. Zudem fördern Rollen die Bereitschaft, die Entscheidung an einen Dritten zu delegieren.Luhmann kann für den „erlaubten Konflikt“ ein modernes, ausdifferenziertes Gerichtsverfahren voraussetzen. Der erlaubte Konflikt und seine er-möglichenden Faktoren sind in der Moderne schon gelöste Probleme, die soziologisch rekonstruiert wer-den können (Luhmann 1983: 6). Anders war dies in der Frühen Neuzeit, als das Gerichtsverfahren zwar als Interaktionsordnung prinzipiell schon zur Verfügung stand, aber noch nicht den Status eines

Öffentlichkeit“ als einer „Prozessmaxime“ (Wettstein 1966). Die faktische Tendenz der Justiz, z. B. durch schriftliche Vorverhandlungen und den Einbau (illega-ler, aber brauchbarer) Organisationsstrukturen zeitrau-bende Interaktion „vor Gericht“ einzusparen, müsste man daher als Informalisierung beschreiben (Blaurock 2005).3 Luhmann sieht als eine Voraussetzung für die Mög-lichkeit des erlaubten Konflikts das „Brechen natürlicher Tendenzen“ (Luhmann 1983: 102).

ausdifferenzierten Systems erlangt hatte. In histo-rischer Perspektive stellt sich die Ausbildung eines erlaubten Konflikts als unwahrscheinlich dar. Denn in den meisten sozialen Kontexten des frühneuzeit-lichen Alltags tendierten Konflikte in der Regel zu Entgrenzung und Generalisierung, vor allem wenn dabei das symbolische Kapital der Ehre tangierte wurde (Schreiner & Schwerhoff 1995). Dann wurde aus Beleidigungen im Wirtshaus nicht selten eine Prügelei und aus Ehrverletzung in höheren Schich-ten wurden unerlaubte Duelle (Walz 1992). In den „interaktionsnah strukturierten Gesellschaften“ (Luhmann in diesem Band: 46) der Frühen Neu-zeit wurden Konflikte als unerwünscht dargestellt und, wo immer es ging, unterdrückt (Härter 2010). Nur in wenigen, voraussetzungsreichen Kontexten wurden Konflikte dagegen explizit erlaubt (und nicht nur toleriert): Zum einen im völkerrechtlich definierten Staatenkrieg des 17. Jahrhunderts (Fisch 1979), zum anderen, freilich ohne Waffen, in recht-lichen und politischen Entscheidungsverfahren.Ich möchte in diesem Beitrag einige Aspekte der Ausdifferenzierung des erlaubten Konflikts im Ge-richtsverfahren herausarbeiten. Für die Geschichte des Gerichtsverfahrens als Interaktionssystem mit der Funktion, verbindliche Entscheidungen her-zustellen, war der Konflikt von großer Bedeutung: Erst als es den Verfahrensveranstaltern gelungen war, den Konflikt gleichzeitig zu erlauben und zu kontrollieren, stellten sich jene Effekte ein, die Luhmann (1983) als „Legitimation durch Verfah-ren“ bezeichnet hat. Die Entstehung des erlaubten Konflikts im Gerichtsverfahren ist allerdings nur zu einem geringen Teil auf ein absichtsvolles Wirken der frühneuzeitlichen Juristen zurückzuführen.4 In der Regel handelte es sich bei der Ausdifferenzierung des erlaubten Konflikts um Nebeneffekte von Ver-fahrensreformen mit ganz anderen Zielsetzungen, die z. B. auf der Ebene des Beweisrechts oder der Verfahrensgerechtigkeit lagen. Im vorliegenden Bei-trag achte ich darauf, unter welchen Bedingungen ein solcher Konflikt überhaupt im Verfahren unter-gebracht und kontrolliert werden konnte. Der Blick richtet sich auf das frühneuzeitliche England, weil sich nur dort das Gerichtsverfahren als ein Kon-flikthandeln integrierendes Interaktionssystem aus-

4 Vor allem rechtshistorische Arbeiten setzen bisweilen eine Art Rationalitätsdispositiv voraus, das der Ausdiffe-renzierung des Gerichtsverfahrens seit dem Mittelalter zu-grunde gelegen habe. Oder aber man attestiert dem Mit-telalter bereits so viel Rationalität, dass Ausdifferenzierung fast unnötig erscheint, so etwa Lepsius (2003: 3–46).

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differenziert hat. Auf dem europäischen Kontinent und in Schottland setzte sich hingegen das aus dem Römischen Recht stammende Inquisitionsverfahren durch. Das Inquisitionsverfahren wurde überwie-gend nicht öffentlich, an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten geführt (Härter 2000). Wenn man aber den Markenkern des modernen, als globaler Standard gehandelten Gerichtsverfahrens darin sieht, dass es öffentlich, mündlich und unmittel-bar geführt wird,5 sozusagen als Interaktionssystem mit Zuschauern, dann lässt es sich, trotz aller Unter-schiede im Detail, auf das in der englischen Früh-neuzeit ausgebildete Vorbild zurückführen, und hier pikanterweise auf die Prozesse wegen Hochverrats. Hochverratsprozesse waren nicht durch ihren Ge-genstand, aber durch ihre Form der Archetypus des modernen Gerichtsprozesses.Ich verstehe den Beitrag auch als Fallstudie zum Ver-hältnis von Konflikt und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Weder in der Soziologie noch in der Ge-schichtswissenschaft geht man noch davon aus, dass mit Konflikten das Ende von Gesellschaft erreicht ist (Kieserling 1999: 257 ff.). Bei Historikern ist vielmehr von frühneuzeitlichen „Streitkulturen“ die Rede (Eriksson & Krug-Richter 2003). Das Streiten wird also ausdrücklich als Modus sozialen Handelns und Beobachtens anerkannt. Zudem geht es längst nicht mehr nur darum, worüber gestritten wurde, sondern vor allem wie und mit welchen Mitteln. Damit ist jene Ebene erreicht, die Georg Simmel als „Vergesellschaftung im Streit“ bezeichnet hat. Auf dieser Ebene geht es „nicht nur um die Regu-lierung, Beschränkung und Domestizierung des Konflikthandelns, sondern darüber hinaus auch um die Ermöglichung jener gesellschaftlichen Vielfalt von Sinn- und Interaktionsmustern, die das Zusam-menhandeln der Subjekte auf den verschiedensten sozialen Feldern als Konflikt organisieren und in jeweils ganz spezifischen Formen – als Debatte, als Verfahren vor Gericht, als Wettkampf, als Konkur-renz auf dem Markt – als ‚Handeln gegeneinander‘ sinnhaft sich artikulieren lassen“ (Tyrell 2008: 20). Bei der Analyse dieser sinnhaften Artikulationen des Gegeneinander-Handels reichen allgemeine Be-schreibungen des Geschehens allerdings nicht aus. Es ist vielmehr nötig, den Konflikt mikrogeschicht-lich auf der Ebene der einzelnen Äußerungen (turns)

5 Diese Trias geht zurück auf die liberalen deutschen Ju-risten des frühen 19. Jahrhunderts wie Anselm von Feuer-bach oder Carl Mittermaier, die das deutsche Prozess-wesen nach dem englischen Vorbild reformieren wollten (Fögen 1974).

und der Logik ihrer Verkettungen (turn taking) zu untersuchen.Der Beitrag hat sechs Abschnitte. Im ersten Ab-schnitt geht es um den Übergang von einem mittel-alterlichen Gerichtsverfahren, in dessen Mittelpunkt ein gewaltsam ausgetragener Zweikampf stand, zu einem ausschließlich verbal ablaufenden Verfahren nach 1500, das den agonalen Charakter beibehielt. Beschrieben werden nicht nur die Merkmale des verbal ausgetragenen Konflikts, sondern auch die Rituale, mit denen dieser gerahmt und als Beitrag zur Entscheidungsfindung codiert werden konnte. Der zweite Abschnitt fokussiert auf die Hochverrats-prozesse und stellt zunächst Delikt, Verfahrensform, Akteure und Kontexte kurz vor. Unter 2.1 werden dann exemplarisch Konflikte bei der Eröffnung von Verfahren im 16. und 17. Jahrhundert untersucht, unter 2.2 Konflikte bei einem Verfahrensabschnitt, den ich mit einem Begriff aus dem deutschen Pro-zessrecht Hauptverhandlung nenne.6 Es handelt sich dabei um die Phase nach der Eröffnung und vor dem Abschluss des Verfahrens, um jene Phase, in der ein Konflikt prinzipiell erlaubt, aber bis zur Mit-te des 17. Jahrhunderts nur schwer unter Kontrolle gehalten werden konnte. Der dritte Abschnitt dreht sich um Konsequenzen, die sich in der sogenannten Restaurationsepoche (1660–1688) durch die Insti-tutionalisierung des Zeugenverhörs für die Forma-lisierung des Konflikts bei der Hauptverhandlung ergeben hatten. Der vierte Abschnitt diskutiert die Folgen einer anderen Innovation, nämlich der Zu-lassung von Strafverteidigern nach 1696. Dabei wer-den exemplarisch Konflikte zwischen den Anwälten über Prozessformalien untersucht, die zugleich einen typischen Gegenstand erlaubter Konflikte im Ge-richtsverfahren des 18. Jahrhunderts darstellten. Ein anderes Beispiel dafür waren Kreuzverhöre, um die es im fünften Abschnitt geht. Zuletzt diskutiere ich die herausgearbeiteten Erkenntnisse über die Aus-differenzierung des erlaubten Konflikts mit Blick auf die vermeintliche „Unersetzlichkeit von Inter-aktion“ und die historisch ausgeschlagene Variante organisationsförmigen Entscheidens vor Gericht.

6 Während das frühneuzeitliche englische Prozessrecht dafür keinen eigenen Begriff kannte und allenfalls von Evidence sprach, weil es bei diesem Prozessabschnitt um Beweise ging, sprechen Juristen in der Gegenwart von Trial (Orfield 1947: 344–494), was aber in einem außer-juristischen Kontext, wie hier, zu Verwirrungen führen könnte. Der Begriff Hauptverhandlung scheint mir neutral und breit genug zu sein, um auf den englischen Prozess der Frühneuzeit angewendet werden zu können.

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1. Englische Gerichtsverfahren am Beginn der Frühneuzeit: Vom Zweikampf zum Wortgefecht (altercation)

Die Institutionalisierung eines Konflikts als Haupt-stück des Gerichtsverfahrens setzte in England im 11. Jahrhundert ein, und zwar mit dem gericht-lichen Zweikampf, dem trial by battle. Unterstellt wurde bei diesem Kampf, dass Gott denjenigen, der im Recht war, gewinnen ließ. Der mit Schwertern ausgetragene Kampf war ein „kontrollierter Gewalt-ausbruch“ (Neumann 2010: 89), der durch ein ela-boriertes Gerichtsverfahren mit formalisierten Auf-takt- und Schlusssequenzen zugleich reguliert und ermöglicht wurde. Die Rahmung des gerichtlichen Konflikts vollzog sich durch eine Abfolge ritueller Handlungen, die in England eine äquivalente Funk-tion erfüllten, wie Arlinghaus (2004, 2005) sie auch für spätmittelalterliche Gerichtsprozesse auf dem Kontinent herausgearbeitet hat. Durch Rituale wur-de das Verfahren gegenüber seiner sozialen Umwelt abgegrenzt und ihm ein eigener Diskursraum ver-schafft, innerhalb dessen ein gewaltsamer Konflikt als Beitrag zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens codiert werden konnte.Das trial by battle begann mit der schematisierten Anklageerhebung des Geschädigten vor dem Rich-ter, der daraufhin den Beklagten aufforderte, dazu Stellung zu nehmen. Der Beklagte konnte an diesem Punkt entweder seine Schuld gestehen, worauf das Urteil erfolgte, oder aber seine Unschuld behaupten. In diesem Fall kam es zum Kampf. Dieser fand eini-ge Tage später auf einem eigens dazu hergerichteten Platz statt. Dieser Kampf war kein Spiel und kein Schaukampf, er war tatsächlich die Art und Weise, eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen.7 Dies war der Fall, wenn einer von beiden tot oder schwer verletzt war oder wenn der Angeklagte dem Kampf bis Sonnenuntergang standgehalten hatte. Dieses mittelalterliche Verfahren weist bereits Ele-mente auf, die Luhmann (in diesem Band: #48) als die „Möglichkeit, allem Interaktionsdruck zum Trotz Selektionszumutungen abzulehnen“, be-schreibt: Für den Kläger war es auszuhalten, beim Anblick des Beklagten nicht unmittelbar zur Selbst-hilfe zu greifen. Dem Angeklagten wiederum war es

7 In Luhmanns Verfahrenstheorie ist das Turnier die Chiffre für einen Konflikt, der „zu einem Zeremoniell“ erstarrt ist, „während die wirklichen Konflikte auf andere Weise entschieden oder nicht entschieden werden“ (Luh-mann 1983: 102)

erlaubt, auch eine offenkundige Schuld abzustreiten und auf dem Kampf zu beharren. Beides beruhte auf der Leistung des Verfahrens, die Orientierung vom Hier und Jetzt der Interaktion auf zukünftige Ziele zu lenken, nämlich auf die erst noch auszufechtende Entscheidung. Deswegen ist es wichtig, das trial by battle trotz seiner Ritualisierungen nicht als Ritual, sondern als Verfahren zu beschreiben. Denn „im Unterschied zum alternativlosen Ablauf des Rituals ist es für Verfahren gerade kennzeichnend, dass die Ungewissheit des Ausgangs und seiner Folgen und die Offenheit von Verhaltensalternativen in den Handlungszusammenhang und seine Motivations-struktur hineingenommen und dort abgearbeitet werden“ (Luhmann 1983: 40). Diese gesellschaft-lich vermittelte Orientierung auf einen offenen Aus-gang war auch Bedingung für die Leistung von Ver-fahren, Konflikt und Kooperation miteinander zu kombinieren (Luhmann 1983: 50 f.; Seibert 2004; Kieserling 2010). Diese Kombination kennzeichnete sowohl das trial by battle als auch die nachfolgenden Verfahrensformen.Der gerichtliche Zweikampf kam im Laufe des 15. Jahrhunderts weitgehend aus der Übung und wurde durch die Schwurgerichtsbarkeit, das trial by jury, ersetzt.8 Bei diesem Verfahren wurde ein Spruchkörper aus zwölf vereidigten Männern mit der Entscheidung über Sachverhalt und Schuldfrage be-auftragt, worauf hin ein gelehrter Richter das Urteil sprach. Der Entscheidungsvorgang wurde auf diese Weise mehrstufig: An die Stelle von unmittelbar ent-scheidenden Kampfhandlungen traten Sprechhand-lungen, die aber selbst nichts entschieden, sondern vielmehr den Geschworenen als Entscheidungs-grundlage dienten. Weil es sich bei den Geschwore-nen um Rechtslaien handelte, musste die Kommuni-kation vor Gericht für sie verständlich bleiben. Und nicht nur für sie: Anders als auf dem Kontinent war ein vormoderner englischer Prozess öffentlich. Es gab kaum Zugangskontrollen, mehr oder weniger viel Publikum schaute zu. Schon im 15. Jahrhundert hat der englische Gelehrte Sir John Fortescue diese Unterschiede zwischen der englischen und der konti-nentalen Verfahrenspraxis herausgestellt. Gerade die Öffentlichkeit – und das hieß immer auch: Interak-tionsförmigkeit – des englischen Verfahrens war für

8 Tatsächlich überlappten sich beide Verfahrensformen. Das trail by jury existierte mindestens seit dem 13. Jahr-hundert und wurde vor allem an den königlichen Ge-richten in Westminster praktiziert. Die Gründe für das Verschwinden des trial by battle sind nur ansatzweise zu rekonstruieren (Beckerman 1992).

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ihn ein Zeichen der Vorzüglichkeit des trial by jury gegenüber den kontinentalen Varianten. Für Fortes-cue konnte es überhaupt nur dann gerecht zugehen, wenn das Handeln vor Gericht für Dritte einsehbar blieb. Bei einem hinter verschlossenen Türen und im Medium der Schrift geführten Prozess hielt Fortes-cue die Gefahr für groß, dass der Richter bestochen und der Angeklagte gefoltert wurde (Taylor 1999). Fortescue begründete mit seinem Lob auf das eng-lische Gerichtsverfahren die bis heute bekannte Wer-tung, dass öffentlich und mündlich-interaktionsför-mig geführte Gerichtsverfahren immer besser seien als andere Verfahrensformen.Wie das trial by battle wurde auch das trial by jury sorgfältig mit Dingen, Worten und Gesten gerahmt. Die Rahmung der gerichtlichen Interaktion muss-te also selbst interaktionsförmig vollzogen werden. „Gesellschaftliche Strukturvorgaben“ (Luhmann in diesem Band: 13#), die die forensische Situation vor-definierten, standen nicht in einem hinreichenden Maße zur Verfügung. Fand der Gerichtstag in der Provinz statt, dann musste im Rathaus einer Stadt überhaupt erst die Szenerie für die Verfahren aufge-baut werden (Graham 2003). Das Verfahren selbst begann mit dem Schweigegebot des Gerichtsdie-ners, der darauf die Anklageschrift verlas und den Angeklagten zum Plädoyer aufforderte: What sayest thou to it, art thou guiltie or not guiltie? (Alston 1908: 97). Plädierte der Angeklagte auf not guilty, dann erinnerte die nächste Frage How wilt thou be tried? an die theoretische Möglichkeiten des Zwei-kampfes, auch wenn der Angeklagte an dieser Stelle antworten musste: by God and my country und nicht by battle. Darauf folgten weitere Formalien wie die Berufung und Vereidigung der Jury. Dann hatte der Ankläger das Wort. Bei diesem handelte es sich (au-ßer bei Hochverrat) vor dem 18. Jahrhundert immer um den Betroffenen selbst, also um einen Laien.Im Vergleich mit dem trial by battle waren beim trial by jury der Auftakt ähnlich und die Figuration gleich geblieben: Der Geschädigte als Kläger und der Beschuldigte als Angeklagter standen einander vor Gericht unmittelbar gegenüber; dem Angeklagten stand es frei, ob er sich für schuldig oder unschul-dig erklärte. Vor allem aber blieb im trial by jury der agonale Charakter des Gerichtsverfahrens erhalten. Erlaubt und ermöglicht wurde durch das neue Ver-fahren vor den Geschworenen allerdings ein Kampf nur mit Worten, nicht mehr mit Waffen. Der Hu-manist Sir Thomas Smith (1513–77) nannte diesen verbal ausgetragenen Konflikt in seiner Beschreibung des englischen Gerichtsverfahrens altercation (Alston

1908: 99).9 Im Unterschied zum trial by battle konn-te eine altercation, also ein Wortgefecht, unmittelbar nach der Anklageerhebung (arraignment) ausgetra-gen werden; für eine Vertagung wie beim Zweikampf bestand kein Anlass. Initiiert wurde die Phase des er-laubten Konflikts durch eine Frage des Richters, der damit den Laien den Weg in diese Phase des Prozesses ebnete, bis das Geschehen durch seine eigene Dyna-mik vorangetrieben wurde und sich als altercation darstellte. In den Worten von Sir Thomas Smith:The Judge (…) asketh first the partie robbed, if he knowe the prisoner, and biddeth him looke upon him: he saith yea, the prisoner sometime saith nay. The partie pur-suivaunt giveth good ensignes (…) “I knowe thee well ynough, thou robbedst me in such a place, thou beatest mee, thou tookest my horse from mee, and my purse, thou hadst then such a coate and such a man in thy companie”; the theefe will say no, and so they stand a while in alterca-tion (…). (Alston 1908: 99).

Mehr ließ sich über die altercation kaum sagen. Ob sich das Wortgefecht in kontradiktorischen Behaup-tungen erschöpfte oder Zeugen zu Wort kamen, hing im 16. Jahrhundert noch vom Einzelfall ab. In den meisten Fällen dürfte sich der Konflikt im Aus-tausch von gegenläufigen Behauptungen erschöpft haben (Beattie 1986: 340–352). Mit kurzen Wort-wechseln hatte sich die Phase des erlaubten Konflikts erledigt. So wie gewöhnliche Kriminalprozesse sel-ten mehr als eine halbe Stunde dauerten, so dauer-te auch die altercation allenfalls wenige Minuten (Bellamy 1998: 110 ff.; Langbein 2003: 16 ff.). Die Geschworenen konnten bei einem solchen Pro-zessablauf nur deswegen zu einer Entscheidung kom-men, weil sie den Fall und die Beteiligten in der Regel schon kannten und – im Unterschied zu heute – auch kennen durften. Die Vertrautheit der Geschworenen mit Tat und Täter war ein Grund für die margina-

9 Dieser Begriff (wörtlich: Disput, Wortgefecht) diente zuerst Quintilian (ca. 35–96 n. Chr.) dazu, den im rö-mischen Prozesswesen unüblichen und deswegen in der antiken Rhetorik der monologischen Gerichtsrede nicht beachteten agonalen Wortwechsel der Parteien vor Ge-richt zu beschreiben: Vor allem in zweifelhaften Fällen komme es am Ende eines Prozesses „zum erbittertsten Kampf, und nirgends wird, möchte ich sagen, mehr mit der blanken Waffe gefochten“ (zit. n. Niehaus 2003: 90). Fechtwaffen waren hier freilich eine Metapher für die Schärfe des Wortwechsels, doch um diesen gewinnbrin-gend zu führen, hielt Quintilian nicht zufällig Interak-tionsqualitäten für erforderlich, die auch beim gewaltsam ausgetragenen Kampf nötig waren, wie „Schnelligkeit und Beweglichkeit, Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit“ (Niehaus 2003: 90).

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le Rolle von Zeugen in den Kriminalprozessen vor 1600. Die Geschworenen galten selbst als Zeugen (Klerman 2003). Das Streitgespräch zwischen Anklä-ger und Angeklagtem besaß für die Geschworenen daher nicht in erster Linie eine Funktion als (diskur-sive) Informationsquelle. Erkenntnisfördernd war der Streit für die Geschworenen deswegen, weil sie dabei auf die non- und paraverbalen Ausdrücke der Strei-tenden achten konnten, auf die „unmeant gestures“ im Sinne von Erving Goffman (1959: 210).Die Beobachtung von unbeabsichtigten Gesten, Gebärden und körperlichen Ausdrücken (Erröten, Erbleichen, Verhaspeln, Stammeln, Schwitzen, Zittern usf.) als Wahrheitsindikatoren gehörte am Beginn der Frühneuzeit schon zu den etablierten forensischen Erkenntnismitteln, und zwar in Eng-land ebenso wie im Bereich des Römischen Rechts (Schneider 1996). Die Körperzeichen wurden mit einer Theorie des schlechten Gewissens erklärt, das sich durch den Körper des Sprechers Ausdruck ver-leihe. Dies war auch einer der Gründe dafür, warum Juristen es noch bis ins 18. Jahrhunderts für not-wendig hielten, dass der Angeklagte ohne Anwalt vor Gericht sprach (Krischer 2012).10 Denn nur bei einem persönlich engagierten Angeklagten konnte man solche Gewissenszeichen wahrnehmen, nicht

10 Der vorsitzende Richter im NSU-Prozess (seit Mai 2013 in München) begründete seine Weigerung, trotz der be-schränkten Platzverhältnisse des Verhandlungssaals die Sitzungen per Video in andere Säle zu übertragen, auch damit, dass auf diese Weise die Unmittelbarkeit einer Zeu-genaussage verloren gehen könnte. Darin dokumentiert sich das nach wie vor hohe Vertrauen in Interaktion als Beitrag zur gerichtlichen „Wahrheitsfindung“. Dieses Un-mittelbarkeitsideal geht zurück auf die altliberalen Verfah-renstheoretiker des frühen 19. Jahrhunderts, die ihre Theo-rien wiederum vor allem anhand des englischen Vorbilds des öffentlichen und mündlichen Prozesses konzipierten. Unmittelbarkeit bedeutete dabei für Mittermaier, in den Worten von Vismann (2011: 117), „den unmittelbaren Ein-druck, den eine Rede des Rechtssuchenden bei Richtern hinterlässt und diese dadurch zum Richter ermächtigt“. Vismann zeigt, wie gerade Interaktion als ein auf wech-selseitiger Wahrnehmung, verbalen und nonverbalen Zei-chen beruhendes System zum privilegierten Medium der modernen Rechtsprechung wurde (Vismann 2011: 112–-146). Vor dem Hintergrund dieser Privilegierung des Un-mittelbaren und Mündlichen (wobei noch Öffentlichkeit im Sinne der unmittelbaren Beobachtung der Interaktion durch Unbeteiligte hinzukommt) erscheinen alle Versuche der telemedialen Übertragung von Gerichtsprozessen oder auch nur die Nutzung technischer Apparaturen im Verfah-ren potenziell als eine „Informalisierung des gerichtlichen Verfahrens“ (Vismann 2011: 9).

aber, wenn stattdessen ein Anwalt für ihn agierte (Langbein 2003: 35 f.). Die Bedeutung dieser Kör-perzeichen für das Gerichtsverfahren zeigt pointiert, dass Interaktionssysteme nicht nur und nicht ein-mal primär auf verbaler Kommunikation beruhen, sondern auf der wechselseitigen Wahrnehmung der Akteure und der wechselseitigen Wahrnehmung dieser Wahrnehmungen (Luhmann in diesem Band: #4 f.; Heintz in diesem Band: #16). Auch Laien vor Gericht dürfte es bekannt gewesen sein, dass sie im Wortsinn unter Beobachtung standen.So wie der Streit vom Richter freigegeben wurde, so wurde er von diesem auch wieder beendet: When the Judge hath heard them say inough, he asketh if they can say any more: if they say no, then he turneth his speeche to the enquest (…) (Alston 1908: 99.). Es handelte sich also um eine konsensuale, vom Richter mode-rierte Streitbeilegung11, womit er gleichzeitig den Übergang von einer Episode des Verfahrens zu ei-ner anderen markierte, von der altercation zum Ab-schluss des Verfahrens ( judgement). Er wandte sich dazu an die Geschworenen und beauftragte sie mit der Entscheidung über den Sachverhalt, um darauf sein Urteil zu sprechen.Auch wenn es bei solchen Gerichtsverfahren um per-sönliche Konflikte zwischen Ankläger und Beklagtem ging und die altercation daher von ihrer eigenen Dy-namik getragen wurde, so war sie doch bestimmten Spielregeln unterworfen. Nach allem, was man über die Gerichtsverfahren um 1600 weiß, gab es in de-ren Ablauf kaum unerlaubten Streit (Bellamy 1998: 109–114). Der erlaubte Konflikt in Form der alterca-tion konnte bei gewöhnlichen Kriminalprozessen als eine besondere Episode des Verfahrens eingegrenzt werden. Das war bei Hochverratsverfahren anders.

2. Unerlaubte Konflikte in den Hochverratsverfahren des 16. und 17. Jahrhunderts

Das schon im 14. Jahrhundert konzipierte englische Hochverratsdelikt (high treason) unterstellte die Ab-sicht, den König zu ermorden und das Königreich in den Ruin treiben zu wollen. Für Hochverrat bedurfte es allerdings keiner königlichen Leiche. Eine gericht-lich konstruierte Absicht zum Königsmord reichte

11 Mit der Rolle des Richters war eine „zentralisierte Be-triebsverantwortung“ (Luhmann in diesem Band: 10) für das gerichtliche Interaktionssystem verbunden: Ihm oblag es, Beiträge sowohl zu inspirieren als auch zu blockieren.

André Krischer: Der „erlaubte Konflikt“ im Gerichtsverfahren 207

aus. Auch wenn nicht alle Anklagen erfunden waren, so wurde das Delikt häufig politisch instrumentali-siert und gegen alle möglichen „Feinde“ der jewei-ligen Obrigkeit in Stellung gebracht (Bellamy 1979; Steffen 2001; Orr 2002). Allerdings wurden Hoch-verratsprozesse seit dem 16. Jahrhundert den glei-chen Verfahrensregeln unterworfen wie gewöhnliche Kriminaldelikte auch. Die politische Brisanz dieses Delikts wurde dadurch entschärft, dass es durch ein trial by jury verhandelt wurde und dadurch seinen Status als Herrschaftsinstrument des Königs verlor. Das Sozialprofil der Angeklagten in Hochverratsfäl-len unterschied sich deutlich von denen bei gewöhn-licher Delinquenz: Es handelte sich um Angehörige der Oberschicht, politisch aktive Publizisten, protes-tantische oder katholische Kleriker. Diesen Ange-klagten war gemeinsam, dass die Kommunikation vor Gericht und im Verfahren für sie nicht derart unvertraut war wie für einen gewöhnlichen Dieb oder Mörder. Angeklagte in Hochverratsverfahren hatten in aller Regel Erfahrungen darin, Streitge-spräche zu führen, und zwar auch unter Beobach-tung durch Dritte.Die Prominenz des Angeklagten oder des Falls führte bei Hochverrat schließlich zu einer anderen Art von Öffentlichkeit als bei anderen Prozessen: Es gab zum einen viel mehr Zuschauer, zum an-deren wurden Hochverratsverfahren zunehmend zum Gegenstand von Printmedien. An dieser Form öffentlicher Beobachtung und Medialisierung rich-teten die Beteiligten, einschließlich des Angeklag-ten, ihr Handeln immer mit aus (Epstein 1994). Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts wurden viele Hochverratsprozesse in Kurzschrift wortwörtlich protokolliert und dann gedruckt. Nicht nur die Re-den und Dialoge wurden aufgeschrieben, sondern vermehrt auch non- und paraverbale Äußerungen. Freilich sind diese Protokolle weit entfernt von der linguistischen Genauigkeit und Detailliertheit, mit denen Forscher heute Kommunikation vor Gericht transkribieren können. Gleichwohl erlauben diese Protokolle der Hochverratsverfahren immerhin eine gewisse Annäherung an forensische Interaktion vor 1800 (Mendle 2006).

2.1 Konflikte bei Eröffnung der Prozesse

Das erste gedruckte Protokoll eines Prozesses stammt aus dem Jahr 1554. Der Höfling Sir Nicho-las Throckmorton stand wegen einer Verschwörung gegen Königin Maria vor Gericht. Der Prozess fand in der Londoner Guildhall statt. Typischerweise

registrierte das Protokoll die Auftakt- und Autori-sierungsrituale und gab die offizielle, vom Gerichts-diener verlesene Anklageschrift (indictment) wieder. Danach wurde Throckmorton gefragt, wie er sich im Sinne der Anklage bekennen wolle: art thou guil-ty or not guilty?12

Von einem Angeklagten wurde an dieser Stelle er-wartet, dass er ausschließlich mit guilty oder not guilty antwortete. Alles andere entsprach nicht der Norm und wurde von den Juristen als standing mute gewertet. Bei gewöhnlichen Prozessen hatte eine solcher Bewertung für den Angeklagten qual-volle Konsequenzen: Er wurde in einem Folterkeller mit dem Rücken auf den Boden gelegt. Auf seine Brust kam ein Brett, das so lange mit Gewichten beschwert wurde, bis der Angeklagte eine der bei-den geforderten Antworten gab. Andernfalls wur-de er zu Tode gequetscht (McKenzie 2005). Dabei sollte dem Angeklagten aber gerade kein Geständ-nis abgepresst werden wie im Inquisitionsprozess (Jerouschek 1992). Erfoltert werden sollte vielmehr seine aktive und im Sinne des Verfahrensprogramms ‚richtige‘ Mitwirkung.Bei Hochverrat war diese Bekenntnisfolter in der Frühneuzeit allerdings nur in Ausnahmefällen ange-wendet worden. Man fürchtete, dass die Angeklag-ten indirekt Selbstmord begehen könnten. Wenn die vermeintlichen Staatsfeinde ihr Leben verlieren sollten, dann durch einen ordentlichen Prozess. Ge-rieten Hochverratsprozesse bei der Frage guilty oder not guilty ins Stocken, dann war der Folterkeller keine Option, dann standen den Verfahrensveran-staltern in dieser öffentlichen Situation überhaupt keine physischen Zwangsmittel zur Verfügung. Als Throckmorton auf die Frage ausweichend antwortete (May it please you my lords and masters (…) to give me leave to speak a few words (…) and then plead to the Indictment13) blieb den Richtern als Reaktionsmög-lichkeit nur das Medium der Sprache. Dies führte aber ungewollt zu einem Konflikt. Zunächst erin-nerte Richter Bromley an die Norm: No, the order is not so, you must first plead whether you be guilty or no.14 Doch so schnell gab Throckmorton nicht klein bei. Vielmehr protestierte er gegen den Zwang zum Bekenntnis: If that be your order and law, judge accor-dingly to it.15 Ein zweiter Richter stellte in Aussicht, dass Throckmorton nach dem Plädoyer sagen dür-

12 Howell 1816: 870.13 Howell 1816: 869.14 Howell 1816: 870.15 Howell 1816: 870.

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fe, was er wolle: You must first answer to the matter wherewith you are charged, and then you may talk at your pleasure.16 Als man ihn weiter drängte, provo-zierte Throckmorton mit der Frage, ob die Richter es vielleicht eilig hätten, zum Essen zu gehen. Der als Beisitzer fungierende Earl of Shrewsbury blaff-te zurück: Come you hither to check us, Throckmor-ton? We will not be so used, no, no, I for my part have forborn my breakfast, dinner and supper, to serve the queen.17 Auch dem ebenfalls beisitzenden Geheimrat Southwell platzte der Kragen: Dieses Gerede müsse nun ein Ende haben, man habe es nicht nötig, sich von Throckmorton über die Pflichten der Richter belehren zu lassen, er solle nun endlich plädieren: go to! go to!18 Nach einigem Hin und Her gab Throck-morton demonstrativ klein bei: I will answer to the Indictment, and do plead Not guilty to the whole, and to every part thereof. Bei den zahlreichen Zuschau-ern, von denen ohnehin viele mit dem Angeklagten sympathisierten, dürfte Throckmorton in dieser Sequenz gepunktet haben, vermutlich auch bei den Geschworenen, die ihn am Ende freisprachen.Vergleichbare Versuche von Angeklagten, beim ar-raignment einen unerlaubten Konflikt zu führen, lassen sich in den Hochverratsverfahren noch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts beobachten. Der berühmte Prozess gegen König Karl I. im Januar 1649 kam eine ganze Woche lang nicht über die Frage guilty oder not guilty hinaus. Am Ende wurde der König wegen Missachtung der Form zum Tode verurteilt (Kelsey 2004). Beim Prozess gegen den Leveller John Lilburne, der im Oktober 1649 wegen seiner publizistischen Angriffe auf die neue Republik des Hochverrats angeklagt wurde, versuchten die Richter über Stunden mit bemerkenswerter Geduld, Lilburne die erwarteten Worte abzuringen. Eine Verurteilung aufgrund einer Formalie wie im Falle des Königs sollte unbedingt vermieden werden. Lil-burne hingegen nutzte die Redezüge, die sich durch die taktisch motivierte Konzilianz des Gerichts für ihn eröffneten, zu scharfzüngigen und drastischen Angriffen auf das Gericht. Noch viel erfolgreicher als Throckmorton oder Karl I. schaffte es Lilburne, die Interaktionsepisode des Arraignment in einen Konflikt zu verwandeln, weil die Richter immer wieder versuchten, die Vorwürfe zu entkräften und sich damit vom Angeklagten unversehens die The-men diktieren ließen (Brailsford 1961: 582–604).

16 Howell 1816: 870.17 Howell 1816: 870.18 Howell 1816: 870.

Bei den Prozessen gegen die sogenannten Königs-mörder nach der Restauration der Monarchie 1660 zeigte sich allerdings, dass die Richter aus den Hochverratsprozessen während der Bürgerkriegszeit gelernt hatten. Als der Angeklagte Thomas Harrison der Aufforderung zum Bekenntnis auswich, ließen sich die Richter auf keinerlei Diskussionen ein, son-dern konterten jedes Ausweichen mit dem Rekurs auf die Norm:Clerk: Are you Guilty, or Not Guilty?Harrison: I am speaking. Shall I not speak two words?Court: If you will not put yourself upon your trial, you must expect that course that the law directs.Harrison: May it please your lordships, I am now—Clerk: Are you Guilty, or Not Guilty?Harrison: I desire to be advised by the law, this is a special case.Court: The law allows nothing now, but to plead Guilty, or Not Guilty.(…)Harrison: Will you refuse to give me any satisfaction?Court: Are you Guilty, or Not Guilty?Harrison: Will you give me your advice?Court: We do give you advice. The advice is, there is no other plea, but Guilty, or Not Guilty.You shall be heard when you have put yourself upon your trial.Clerk: Are you Guilty, or Not Guilty?Harrison: (…) I do plead Not Guilty.19

Zwar kam es auch hier zu einem Konflikt, doch in diesem Fall trat dieser gewissermaßen auf der Stelle. Anders als Throckmorton, Karl I. und Lilburne ge-lang es Harrison nicht, den Konflikt mit Vorwürfen gegen das Gericht und Zweifeln an der Rechtmä-ßigkeit des Verfahrens auszugestalten. Die Richter wiederum ließen sich nicht auf Diskussionen, Ver-handlungen und Tauschangebote ein. Bis 1700 gab es zwar noch einige Beispiele dafür, dass Angeklagte versuchten, das Gericht beim arraignment zu provo-zieren. Dennoch verlor dieser Verfahrensabschnitt für die Austragung von Konflikten an Bedeutung, während die Hauptverhandlung dafür immer wich-tiger wurde.

2.2 Konflikte bei der Hauptverhandlung

Hatten die Verfahrensveranstalter schon Probleme, Konflikte bei den Auftaktsequenzen des Prozesses zu unterdrücken, so bedeutete die Hauptverhandlung eine weitere Herausforderung, und zwar deswegen, weil es sich um jenen Verfahrensabschnitt handelte, bei dem ein erlaubter Konflikt prinzipiell vorgesehen

19 Howell 1816b: 998 f.

André Krischer: Der „erlaubte Konflikt“ im Gerichtsverfahren 209

war. Wie Kläger und Beklagter bei den gewöhn-lichen Verfahren miteinander stritten: ob sie einan-der ausreden ließen, sich anschrien, gar beleidigten oder einen zielführenden Disput führten, war ihnen in der Phase des erlaubten Konflikts selbst überlas-sen. Denn das Streitgespräch involvierte nur diese beiden Akteure, bisweilen auch ihre Zeugen, nicht aber die Juristen, die sich während der altercation auf eine passive Beobachterposition zurückzogen. Das war bei Hochverrat anders: Hier stand dem Angeklagten nicht der persönlich Geschädigte ge-genüber, also der englische König. Seit dem 16. Jahr-hundert wurde dieser vielmehr von seinen Kron-anwälten vertreten, dem Attorney General und dem Sollicitor General sowie einigen der rechtsgelehrten Serjeants at Law. Auf der Richterbank saß bei Hoch-verrat zumeist der englische Oberrichter (Lord Chief Justice) zusammen mit einigen anderen Richtern der höchsten Common Law-Gerichte. Die Mitwirkung von Richtern und Kronanwälten hatte Folgen für die Konversationsstruktur beim erlaubten Konflikt: Die juristischen Ankläger wollten mit Throckmorton kein Streitgespräch führen wie in gewöhnlichen Ge-richtsverfahren die Laien untereinander. Dort wurde die Gesprächsordnung situativ geregelt: Kläger und Angeklagter knüpften unmittelbar an dem an, was der andere gesagt, behauptet, unterstellt, vorgewor-fen und zurückgewiesen hatte. Da die Richter auf Moderation verzichteten, entfaltete dieses Gespräch seine eigene Dynamik. Bei Hochverratsprozessen orientierten sich die Interaktionsvorstellungen der Ankläger mit dem Angeklagten hingegen an der Pra-xis des Verhörs (Niehaus 2003). Diese Befragungs-technik gehörte im 16. Jahrhundert auch in England zu den obrigkeitlichen Praktiken, etwa bei der Ver-folgung von Häretikern, die aber nicht vor Publi-kum verhört und oft mit physischer Gewalt bedroht wurden (Beilin 1996). Gewaltandrohungen schieden für das öffentliche Gerichtsverfahren freilich aus. Es war daher im Falle von Throckmorton erst noch die Frage, ob das Gericht in der Lage war, die Situation trotzdem als Verhör zu definieren, ob es mithin ohne den Rückgriff auf Folterwerkzeuge gelang, gegenüber dem Angeklagten eine für Verhöre kennzeichnende Konversationsstruktur durchzusetzen.Die idealtypische Konversationsstruktur eines Ver-hörs ist durch ein Frage-Antwort-Schema mit klar verteilten Rollen und ungleichen Machtverhältnis-sen geprägt: Richter und Anwälte haben die Macht zu fragen. Der Zeuge ist hingegen „immer nur Ant-wortgeber“ (Wolff & Müller 1997: 51). Bei einem Verhör wird die Konversationsstruktur nicht situa-

tiv ausgehandelt. Sie tritt vielmehr als vorgeregelt in Erscheinung: „Die Gesprächsinitiative fällt nach jedem Beitrag des Zeugen automatisch wieder an den Richter“ bzw. den verhörenden Anwalt zurück (Wolff & Müller 1997: 51).Verglichen mit diesem Modell lässt sich die fak-tische Interaktion der Richter und Kronanwälte mit Throckmorton nicht als Verhör beschreiben. Die angestrebte Situationsdefinition misslang. Das zeigte sich schon unmittelbar nach der Vereidigung der Geschworenen. Der Kronanwalt Stanford wollte gerade mit seiner Anklagerede beginnen, als ihm Throckmorton das Wort abschnitt und seinerseits eine kurze Ansprache über die Verführungskünste der juristischen Rhetorik hielt. Throckmorton ge-lang es regelmäßig, anstelle einer verlangten Ant-wort Ausführungen über die Unrechtmäßigkeit der Anklage einzuschieben, ohne dass ihm das Wort abgeschnitten wurde. Er wurde im Verlauf der Ver-handlung zwar durch die Kronanwälte und Richter befragt, und diese Fragen dokumentierten auch den Anspruch auf die Verfügung über die Gesprächsord-nung. Allerdings handelte es sich dabei fast immer um offene Fragen (Selting 1995), die in einem Verhör mit einem Minimum an sozialer Kontrolle einhergehen. Offene Fragen geben dem Befragten die Möglichkeit, nach eigenen Vorstellungen zu antworten. Davon zu unterscheiden sind Wer-Wie-Was-Fragen (mittlere Kontrolle) und geschlossene Entscheidungsfragen, auf die man nur mit Ja oder Nein antworten kann und die deshalb ein hohes Maß an sozialer Kontrolle implizieren (Luchjenbroers 1997: 482 f.). Ein Beispiel für eine offene Frage war die Aufforde-rung des beisitzenden Richters Hare, Throckmorton möge zu Kontakten mit dem Anführer des Aufstands, Thomas Wyatt, Stellung nehmen: But how say you to this, that Wyat and you had conference together sundry times at Warner‘s house, and in other places?20Die Fra-ge eröffnete Throckmorton Zeit für die Argumen-tation, dass nicht jeder, der mit dem Rädelsführer eines Aufstands zusammengetroffen sei, notwendig auch ein Verschwörer sei. Juristische, auf Entscheid-barkeit zugeschnittene Verschwörungstheo rien wa-ren sehr fragile Gebilde, die ins Wanken gerieten, wenn man sie mit Alltagsplausibilitäten konfron-tierte. An diesem Punkt und anderen Stellen der Verhandlung hatte Throckmorton die Zeit, um sowohl die Sachverhaltsunterstellung – es gab eine Verschwörung und Throckmorton war dabei – als auch die Rechtsauslegung – Verschwörungen sind

20 Howell 1816: 874.

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Hochverrat – wortreich zurückzuweisen, was am Ende auch in einen Freispruch mündete.Die Hauptverhandlung des Throckmorton-Prozesses war für den Konflikt als Parasiten damit ein „gefun-denes Fressen“ (Kieserling 1999: 282). Die ganze Interaktion der Hauptverhandlung wurde zum Konflikt, und dass dieser dennoch vergleichsweise gemäßigt ablief, ohne wechselseitige Beschimp-fungen und Beleidigungen, kann man auch auf die Interaktionsideale der Beteiligten zurückführen, bei denen es sich um einander persönlich bekannte Höflinge handelte, für die ein allzu rüdes Beneh-men nicht in Frage kam. An einer Mäßigung des Konflikts war der Angeklagte John Lilburne rund hundert Jahre später dagegen nicht interessiert. Viel-mehr provozierte er seine Richter wo er nur konnte und griff sie persönlich an (O unrighteous and bloody judges!21). Als Zeichen ultimativer Respektlosigkeit urinierte er schließlich öffentlich im Gerichtssaal. Im Übrigen gelang es Lilburne wie schon Throck-morton, die Interaktionen der Hauptverhandlung weitgehend in einen Konflikt zu verwandeln. Und noch viel mehr als Throckmorton gelang es Lil-burne, die Regie über die Konflikt-Interaktion zu übernehmen. Wie in nur wenigen Prozessen wurden die Richter in ihrer Moderatorenrolle, als diejeni-gen, die über die Themen und die Verteilung der Redezüge verfügten, marginalisiert. Lilburne ver-wandelte sein Gerichtsverfahren in eine Disputation über die Grundprinzipien seiner politischen Ideen. Aus der Disputation ging er als Sieger hervor, aus dem Prozess als Freigesprochener heraus.Der Ablauf der Prozesse gegen Throckmorton und Lilburne war einerseits außergewöhnlich, anderer-seits zeigten sich in diesen Fällen aber auch prinzi-pielle Möglichkeiten des forensischen Diskurses im 16. und 17. Jahrhundert, die man stellenweise auch bei anderen Hochverratsprozessen vor 1700 nach-weisen kann. Ein gemeinsames Merkmal war dabei, dass die Hauptverhandlung bei diesen Prozessen aus nur wenigen, dafür aber langen und zusammenhän-genden Interaktionssequenzen bestand. Im Unter-schied zu modernen Gerichtsprozessen kann man die Hochverratsverfahren um 1600 als „gestreckte Interaktion“ beschreiben (Scheffer 2010: 142). Den meisten Prozessen in dieser Zeit fehlte es an innerer Gliederung durch einzelne Episoden, mit der Kon-sequenz, dass sich Konflikte unkontrolliert ausbrei-ten konnten. Dies änderte sich allmählich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts.

21 Howell 1816b: 1380.

3. Formalisierungen des forensischen Konflikts in der Restaurationsepoche

Wie für das arraignment bildete die Restaurations-epoche (die Zeit zwischen der Wiedereinsetzung der Monarchie 1660 und der Glorious Revolution 1688/89) auch für die Hauptverhandlung eine Zeit des Wandels. So wie die Verfahrensveranstalter ver-suchten, sich beim arraignment nicht mehr in Streit-gespräche verwickeln zu lassen, so wurde auch die Hauptverhandlung durch eine allmähliche Forma-lisierung des forensischen Konflikts gekennzeich-net. Die Konfliktunterdrückung beim arraignment ging vor allem auf die Erfahrungen der Juristen mit renitenten Angeklagten in der Bürgerkriegszeit zu-rückging. Die Begrenzung von Konflikten bei der Hauptverhandlung hing dagegen mit der Aufwer-tung der Rolle von Zeugen im Verfahren und der damit einhergehenden Strukturierung des Ablaufs der Hauptverhandlung zusammen. Die Verände-rung der gerichtlichen Interaktionsordnung war eine nicht intendierte Folge des Wandels der gericht-lichen Erkenntnismittel.Schon in den Hochverratsprozessen vor 1660 hatte es Zeugen gegeben. Allerdings spielten sie dort eine eher unspezifische Rolle: Sie wurden gerufen, um vom Kronanwalt als wahr behaupteten Sachverhal-ten gleichsam ein Gesicht zu geben. In den Prozes-sen nach 1660 erhielten Zeugenaussagen einen ganz anderen Status. Im Grunde erhielten Strafverfahren erst seit dieser Zeit ihre Qualität als Wissensgenera-toren (Scheffer & Hannken-Illjes & Kozon 2010: 150–161), während es in den älteren Prozessen nicht oder nur am Rande um die forensische Herstellung von Wissen durch verfahrenseigene Beweismittel ge-gangen war. Die Aufwertung von Zeugen und Zeugenaussagen in den Gerichtsverfahren der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatte verschiedene Gründe. Eine Sig nalwirkung war dabei von der Naturphilosophie der Royal Society ausgegangen. Für die Wissenskul-tur der Royal Society spielten Zeugenaussagen eine herausragende Rolle. Die andere Form der für die Royal Society typischen Wissensproduktion, näm-lich Experimente, wurde wiederum nicht zufällig mithilfe juristischer Termini beschrieben, nämlich als trials. So wie das Common Law der Naturphilo-sophie bei der Beschreibung konkreter Erkenntnis-gewinnung begrifflich ausgeholfen hatte, so schien auch umgekehrt die Naturphilosophie die verfah-rensförmige Produktion von Erfahrungswissen im Gerichtsverfahren zu bestärken (Shapiro 1969).

André Krischer: Der „erlaubte Konflikt“ im Gerichtsverfahren 211

Der neue Stellenwert von Zeugenaussagen sowohl für die forensische Erkenntnisgewinnung als auch für die Formalisierung des Verfahrensablaufs lässt sich am Prozess gegen einen republikanischen Ge-heimbund um Thomas Tonge im Dezember 1662 zeigen (Greaves 1986). Nach einem reibungslos ver-laufenen arraignment präsentierten die Kronanwälte wieder ausufernde Verschwörungstheorien. Aber sie wiesen darauf hin, dass sie ihre Rede noch nicht als Beweis betrachteten, sondern bloß als Prämissen der noch zu leistenden Beweisführung durch Zeugen: But we shall call our witnesses, and when you have heard this proved, we cannot be so uncharitable to think you shall need any further aggravation, or doubt of your giv-ing a verdict against such miscreants as these are.22

Durch diese Trennung von Rhetorik und Beweis ließen sich Interventionen der Angeklagten zurück-zuweisen, ohne dass die Angeklagten die Möglich-keit hatten, diese Zurückweisung als ungerechte Behandlung durch die Justiz darzustellen. Sie ließ sich rein formal begründen. Als einer der Ange-klagten im Tonge-Prozess die Eröffnungsrede des Kronanwalts nicht mehr aushielt und einwarf: I never opened my mouth to that purpose, antwortete ihm dieser: That will be left to proof: I undertake not of myself to prove this, but to open it, let the witnesses speak.23 Diese Zeugen wurden dann für alle Anwe-senden sichtbar in den Verhandlungssaal geführt, vereidigt und nacheinander befragt. Die von rituel-len Sprechakten der Gerichtsdiener begleitete öf-fentliche Vereidigung der Zeugen fungierte als Bei-trag zur Situationsdefinition: Das Ritual zeigte an, dass es in den folgenden Sequenzen nicht um eine Aussprache zwischen Anklägern und Angeklagten gehen sollte, sondern um die Befragung der Zeugen. Dabei bildete jede Befragung eine einheitliche, in sich abgeschlossene Episode. Es ging jeweils nur um einen Zeugen, der nach der Befragung wieder förm-lich entlassen wurde. Mit der Befragung begannen die Vertreter der Anklage, aber auch die Richter stellten Fragen. Im Vergleich mit dem Zeugenverhör des späten 18. und 19. Jahrhunderts, das ausschließ-lich von den Anwälten durchgeführt wurde, war die Gesprächsordnung in dieser Hinsicht noch offen.Nachdem die Kronanwälte mit der Befragung eines Zeugen geendet hatten, wurde den Angeklag-ten das Rederecht förmlich vom Richter erteilt: If the Prisoners will ask him any Questions, they may. Dennoch unterlagen ihre Äußerungen bestimmten

22 Howell 1816a: 233.23 Howell 1816a: 232.

Einschränkungen: Sie durften an dieser Stelle nur Fragen an den Zeugen zu stellen, aber keine Erklä-rungen abgeben. Als der Angeklagte John Sellers das Wort ergriff und zu begründen versuchte, dass er mit der ganzen Sache nichts zu tun habe, interve-nierte der vorsitzende Richter: You shall be all heard at large, when you make your Defence. But will you ask him any questions?24

Mit dem formalen Argument „alles zu seiner Zeit“ ersparten sich die Richter eine inhaltliche Auseinan-dersetzung mit den Einwürfen des Angeklagten, die früher zur unkontrollierten Freisetzung von Streit-gesprächen geführt hatten. In den Restaurationspro-zessen wurden solche Einwürfe vom Richter nicht deswegen disqualifiziert, weil er sie als Lüge oder Unverschämtheit erachtete und dies, wie früher, auch so sagte – und damit einen weiteren Konflikt initiierte; vielmehr wurden sie disqualifiziert, weil sie nicht zum verfahrensintern richtigen Zeitpunkt gekommen waren (Luhmann 2007: 153). Durch die Aufwertung der Zeugenbefragung und den richter-lichen Anspruch auf die Verfügung über die Ord-nung der Redezüge wurde die bis dahin weitgehend offen gestaltete Hauptverhandlung ansatzweise kon-ditional programmiert: Erst wenn der Kronanwalt seine Anklagerede beendet hatte, wurden die Zeu-gen der Anklage berufen. Wenn diese befragt wur-den, durfte zunächst der Kronanwalt fragen, danach der Angeklagte. Es durften nur Fragen gestellt wer-den, Erklärungen und Behauptungen waren nicht erlaubt. Diese faktisch neue Programmstruktur des Verfahrens wurde als „uraltes Recht“ ideologisiert und gegenüber dem Angeklagten als zu befolgende Form geltend gemacht: Take the old and ancient course, let the witnesses that are produced for the King be all heard, then give your answer to all of them, hieß es bei einem Prozess von 1660.25

Für die Ausdifferenzierung des erlaubten Konflikts waren die neue Form der Zeugenbefragung und die damit einhergehenden Kommunikationsmuster also wesentlich. Zeugenbefragungen untergliederten die Hauptverhandlung in einzelne, einigermaßen in sich abgeschlossene Episoden. Diese Untergliederung sorgte dafür, dass mögliche Konflikte auf die Epi-soden begrenzt blieben und nicht wie Parasiten die ganze Interaktion der Hauptverhandlung befielen. In den Prozessen der 1660er Jahre wurde die Inter-aktion bei der Hauptverhandlung nur zeitweise und durch richterliche Moderation als Konflikt freigege-

24 Howell 1816a: 24025 Howell 1816b: 1149.

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ben. Als abgegrenzte Episode trat aber nicht nur die Zeugenbefragung in Erscheinungen, sondern auch die anderen Sequenzen des Verfahrens taten dies: das arraignment, die Auftakt- und Schlussreden oder auch Anfragen der Angeklagten an den Richter.Inwiefern sich eine Hauptverhandlung durch den Richter moderieren ließ und Konflikte begrenzbar blieben, hing vor 1700 allerdings sowohl von der Person des Angeklagten ab als auch vom jeweiligen Kontext eines Prozesses. Bei den Tonge-Verschwö-rern gelang dies auch deswegen, weil die Angeklag-ten hofften, durch Demut im Prozess begnadigt zu werden. Anders sah es aus, als sich 1678 eine anti-katholische Verschwörungshysterie ausbreitete und man unschuldige Jesuiten vor Gericht zerrte. Für diese Männer stellte ein Todesurteil keinen ultima-tiven Schrecken dar. Entsprechend traten sie in den Prozessen mit einer Mischung aus Mut und Gelas-senheit auf, der wiederum Richter und Kronanwälte provozierte und zu wütenden Einwürfen nötigte, die das Konditionalprogramm des Verfahrens durchein-anderbrachten (Kenyon 1972: 157–162). Bei Prozessen infolge der Aufdeckung einer Ver-schwörung im Jahr 1683 gab es wiederum eine weitverbreitete Sympathie für die Angeklagten. Der faktische Umgang mit Angeklagten wie Algernon Sidney vor Gericht erklärt sich aus dem Bestreben, das Verfahren vor einer kritischen Öffentlichkeit von einer möglichst guten Seite her zu präsentieren, durch eine Mischung aus Konzilianz und Förmlich-keit. Dadurch ergaben sich für die Angeklagten er-neut Freiräume für Konflikte. Nicht jeder ihrer Zwi-schenrufe wurde als Störung gerügt, als irrelevant oder deplatziert abgetan. Typisch war die Forderung nach einem Anwalt, der den Angeklagten aber nicht zustand, was die Zeitgenossen zunehmend als unver-ständlich erachteten. Gepaart mit der vom Gericht hochgehaltenen Förmlichkeit des Verfahrens konnte die abgeschlagene Bitte um einen Anwalt dem An-geklagten dazu dienen, sich als Opfer der Justiz dar-zustellen. Als z. B. der Angeklagten Henry Cornish 1685 aufgefordert wurde, die Zeugen der Anklage zu befragen, entgegnete er resigniert: I am not a lawyer, I am not skilled in these things; I am very ignorant.26 Auch von Teilen des Publikums wurde der anwalts-lose Angeklagte als ungerecht behandeltes Subjekt wahrgenommen und in seiner „Menschlichkeit“ zum Thema gemacht (Scott 1991: 321). Vom Pro-zess gegen William Lord Russell 1683 blieb etwa in Erinnerung, dass seine Frau die ganze Zeit nicht

26 Howell 1816c: 412.

von seiner Seite gewichen sei und für ihn Notizen gemacht habe. Auf diese Weise erschien Russell in einer diffusen Rolle zwischen Ehemann und Ange-klagtem (Schwoerer 1988). Durch ihre obstruktiven und subversiven Praktiken gelang es den Angeklagten also mehr oder weniger, eben diese Verfahrensrolle nicht zu übernehmen. An die Stelle dessen, was die Verfahrensveranstalter als Verhalten in der Rolle des Angeklagten erwarteten, etwa nur dann zu reden, wenn man gefragt wurde, traten variantenreiche Selbstdarstellungen und Sub-jektperformanzen. Die Angeklagten brachten zu viel „Persönlichkeit“ mit ins Verfahren, als dass mit ihnen gemeinsam auf eine Entscheidung hingear-beitet werden konnte. Anstatt „bestätigende(r) Mit-wirkung des Betroffenen“ leisteten die Angeklagten „existenzielles Engagement“ (Luhmann 1983: 105, 115). Neben den Störfeuern versteiften sich viele auf Unschuldsbehauptungen, denen sie durch ihre eides-förmige Formulierungen (Upon my salvation, I am as innocent as a child unborn) Absolutheit verliehen. Solange Angeklagte ohne Anwalt vor Gericht agier-ten, blieben unerlaubte Konflikte notorisch. Wenn sich die Übernahme verfahrenseigener Rollen in den modernen Prozessen disziplinierend auswirken kann (Luhmann 1983: 48), dann scheint die Rolle des sich selbst verteidigenden, aktiven Angeklagten in einer unauflöslichen Spannung zum Verfahren als sozia-lem System gestanden zu haben. Sie ließ sich nicht in gleicher Weise dem System anverwandeln und sei-nen Spielregeln unterwerfen wie das bei den anderen Beteiligten und ihren Rollen der Fall war (Richter, Kronanwälte, Gerichtspersonal, Geschworene, Zu-schauer). Die Eigenheiten der Rolle des Angeklagten in den Prozessen vor 1700 zeigen sich deutlich, wenn man sie mit dem typischen Rollenverhalten eines An-geklagten im englischen Strafprozess der Gegenwart vergleicht: „The defendant is sidelined (and silenced) and only contributes to the hearing when being asked to plea or when appearing as a witness for the defense“ (Scheffer & Hannken-Illjes & Kozin 2010: 147). Die Rolle des modernen Angeklagten besteht darin, dass er buchstäblich keine Rolle spielt und bis auf guilty / not guilty nichts sagt.27 Zur Herausbildung dieser passiven Rolle trug vor allem die Mitwirkung von verteidigenden Anwälten seit 1696 mit.

27 Aber auch dieser kommunikative Beitrag ist seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr obligatorisch: Verweigert der Angeklagte ein regelkonformes Plädoyer, dann wird er so behandelt, als habe er sich für not guilty bekannt. Er wird also dann aufgrund einer Rechtsfiktion in das Verfahren integriert.

André Krischer: Der „erlaubte Konflikt“ im Gerichtsverfahren 213

4. Konflikte in den reformierten Hochverratsverfahren 1696–1800

Nach der Glorious Revolution von 1688 / 89 wurde die überkommene Prozessordnung bei Hochverrat auf den Prüfstand gestellt und für überholt befun-den. Besonders das Anwaltsverbot galt nun als Will-kürinstrument der überwundenen Stuartherrschaft. Eine 1696 vom Parlament verabschiedete Reform der Hochverratsverfahren sicherte dem Angeklag-ten eine Reihe von Rechten zu, darunter das Recht auf frühzeitige Aushändigung der Anklageschrift und auf die Vertretung durch einen Anwalt (Sha-piro 1993). Diese Reform der Hochverratsverfahren wurde sowohl von den Zeitgenossen als auch von den Rechtshistorikern als zivilisatorische Errungen-schaft, als Einführung von „Balance of Power“ in das Gerichtsverfahren insgesamt gewertet (Rezneck 1930). Das ist zweifellos richtig. Anwälte setzten der Auslegungsmacht der Kronanwälte etwas entgegen und bewahrten nicht wenige Menschen vor dem Galgen. Man sollte allerdings nicht aus den Augen verlieren, dass durch die Reform auch ungeplante Effekte eintraten, die einen weiteren Beitrag zur For-malisierung des erlaubten Konflikts und damit zur Stärkung des Verfahrens selbst darstellten.Anwälte sorgten weder für eine Verminderung der Konflikte im Verfahren noch dafür, diese auf be-stimmte Episoden einzugrenzen.28 Aber die Art der Konfliktführung änderte sich, weil die Anwälte im Unterschied zu den anwaltslos agierenden An-geklagten nicht gegen das Recht und seine Verfah-ren kämpften, sondern mit dem Recht und seinen Mitteln. Zwar standen die Anwälte der angeblichen Hochverräter im 18. Jahrhundert der Gesinnung ihrer Mandanten durchaus nahe – Jakobiten ver-teidigten Jakobiten, Jakobiner verteidigten Jako-biner. Die Anwälte hatten dennoch nicht vor, mit ihren Mandanten im Verfahren unterzugehen. Ihre Konfliktkommunikation beruhte nicht auf unbeirr-baren Behauptungen und hartnäckigen Störfeuern, sondern auf der Nutzung von Mitteln, die durch das Common Law selbst dafür zur Verfügung gestellt wurden: Mittel wie Anträge (motions), Einsprüche (objections), Einreden (demurrer) oder Gesuche (pleas). Dies soll im Folgenden an zwei Prozessen gegen jakobitische Verschwörer in den Jahren 1696 und 1723 gezeigt werden.

28 Dass „Kommunikation über Recht in Interaktions-systemen“ konfliktfördernd ist, zeigt Luhmann (1999: 53–72).

Bei dem ersten Prozess nach dem Inkrafttreten des neuen Hochverratsgesetzes im März 1696 stand der Jakobit Ambrose Rookwood vor Gericht, weil er mit anderen Verschwörern ein Attentat auf König Wilhelm III. geplant hatte. Am Beginn der Haupt-verhandlung wurde aber nicht Rookwood, sondern sein Anwalt Sir Bartholomew Shower aktiv: Shower stellte einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens (demurrer), da seinem Mandanten die Liste mit den Kandidaten für die Jury nicht rechtzeitig zugestellt worden sei. 29 Im Unterschied zu den Angeklagten in den älteren Prozessen wurde Shower nicht un-terbrochen, so dass er seinen Antrag unter Verweis auf den Gesetzestext ausführlich begründen konnte. Sein Assistent, Mr. Phipps, kam ebenfalls zu Wort. Ausführlich fielen auch die Gegenreden der Kron-anwälte aus, die begründeten, warum die Frist aus ihrer Sicht eingehalten worden war. Der vorsitzende Richter ließ die Anwälte ausreden und versicherte sich sogar darüber, dass sie ihre Diskussion selbst als beendet ansahen – Have you done, gentlemen? Coun-sels: Yes, my lord – bevor er Showers Antrag nach ein-gehender Begründung abwies.30

Im Unterschied zu den Einwürfen der sich selbst verteidigenden Angeklagten initiierte der demur-rer also einen erlaubten Konflikt, der nicht sofort abgeblockt wurde, sondern für dessen Austrag der Richter ausdrücklich Zeit gewährte. Gleichzeitig konnte der Konflikt als Episode eingegrenzt werden, weil er durch die Form des Antrags als eine durch den Richter zu entscheidende Rechtsfrage codiert

29 Scheffer (2008: 378) betont, dass solche Vorstöße von Anwälten nicht als heroische Akte im Hier und Jetzt der konkreten Interaktionssituation zu verstehen seien, sondern als Praktiken, die „eingelassen sind in eine Infra struktur, die den Handelnden in Stellung bringt, ermächtigt, befähigt“ (Scheffer 2008: 378), die man wie-derum erst mit Hilfe einer transsequenziellen Analyse hinreichend in den Blick bekomme. Allerdings macht es einen Unterschied, ob man es mit Anwälten zu tun hat, die Informationen und andere diskursive Ressourcen von ‚außerhalb‘ und ‚früher‘ in die laufende gerichtlichen Si-tuation „importieren“ (Scheffer 1998: 308 ff.), oder mit sich selbst verteidigenden Angeklagten, die tatsächlich in einem hohen Maße situativ agierten. Bei einer histori-schen, langfristigen Wandel beobachtenden Untersuchung von Verfahren sperren sich diese gegen die Erklärung mit Hilfe einer einzigen theoretischen Bezugsfolie, sei es Luh-manns Verfahrenstheorie oder Scheffers Ethnografie des Forensischen. Als Historiker kommt man daher um einen gewissen Theorie-Eklektizismus nicht herum.30 Howell 1816d: 152 ff.

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wurde. Diese Codierung war schon erkennbar an Showers einleitenden Worten:My lord, it appears to be a doubt to us, upon this act of parliament, whether this cause can be tried this day: and if it be a doubt, we hope, though it should not have that weight with the court, that we apprehend it has: yet your lordship will excuse us, and settle it according to your judgment.31

Die Formulierung des Einwands als Frage an den Richter unterschied sich deutlich von dem spontan formulierten und als diffuse Negation in den Raum gestellten Protest des Angeklagten in den älteren Prozessen. Auffällig ist zudem die demonstrative Höflichkeit, die man nicht nur in diesem Fall fin-det, sondern die die Sprache der Anwälte seit dieser Zeit insgesamt auszeichnete. Auch in dieser Verhöf-lichung der Sprache vor Gericht kann man einen Beitrag zur Formalisierung des erlaubten Konflikts sehen. Der Anwalt Shower bekam anschließend die Gelegenheit, um seine Rechtsauffassung darzu-legen und darüber mit den Kronanwälten zu strei-ten. Gleichzeitig stellte er sich aber auch als lernbe-reit dar, indem er den ablehnenden Entscheid des Richters akzeptierte, nicht länger auf seinen Erwar-tungen beharrte und damit den Weg freimachte für den weiteren Fortgang dieses Verfahrens.Bei den Hochverratsprozessen in den ersten Jahr-zehnten nach der Reform von 1696 suchten die Anwälte immer wieder den Erfolg darin, mit Be-schwerden über Formfehler den Prozess zum Platzen zu bringen. Damit verärgerten sie aber nicht nur die Kronanwälte, sondern auch die Richter, die den An-wälten aber trotzdem nicht das Recht zum Streiten verweigerten. Ein Beispiel dafür ist die Auseinan-dersetzung um die richtige lateinische Schreibweise des Namens des Angeklagten Christopher Layer in dessen Hochverratsprozess 1722.Der Text der Anklageschrift (indictment) musste auf Latein verfasst sein, und es gehörte zum Erbe des mittelalterlichen Rechtsformalismus (Meyer 2009), dass man unter Verweis auf Fehler in diesem Text einen Antrag auf Klageabweisung (plea in abate-ment) stellen konnte. Einen solchen Fehler glaubten Layers Anwälte Hungerford und Ketelby nun in der Schreibweise Christopherus ausfindig gemacht zu haben, denn, wie Hungerford erklärte, by all the Latin dictionaries, the Latin word for Christopher is ‚Christophorus‘.32 Der Anwalt focht aber an, dass der Name mit einem ‚e‘ geschrieben wurde. Zwar war

31 Howell 1816d: 145.32 Howell 1816e: 103.

der vorsitzende Sir John Richter Pratt über das Vor-gehen der Anwälte verärgert. Er trat aber dem Ein-druck entgegentreten, den Angeklagten in seinen Rechten einzuschränken:I desire I may not be understood as if I would prevent you from offering any thing that is material for your client; but if I can satisfy you that you are improper in form, it may save the time of the Court; but if you can offer any thing material, we are ready to hear it.33

Von den Kronanwälten wurde dieser Einspruch ebenfalls als Taktik entlarvt.34 Doch auch sie wollten den Vertretern der Verteidigung das Recht auf dieses Vorgehen nicht streitig machen und stiegen in die philologische Debatte ein. Nach mehr als einer Stun-de endete diese mit der Bekräftigung der konträren Standpunkte der Anwälte und Kronanwälte, die es mit ihrer Scholastik nicht zu weit treiben wollten, als sich abzeichnete, dass man keinen Konsens erzielen konnte. Am Ende der philologischen Debatte ent-schied Richter Pratt gegen den Einspruch, aber nicht etwa, weil er ihn als solchen für absurd hielt. Pratt entschied vielmehr „in der Sache“ und aufgrund sei-ner Auffassung über hinreichend richtiges Latein im Anklagtext. Damit war die Sache erledigt. Auch die-ser Antrag ließ sich als Episode eingrenzen. Selbst wenn die Anwälte im Laufe des Layer-Pro-zesses noch mehrere Anträge einbrachten und da-mit jeweils Unterprozesse initiierten, in denen über Rechtsfragen gestritten und entschieden wurde, so verblasste dabei nicht die Identität des Verfahrens als eines Gerichtsprozesses, der Zug um Zug in Richtung einer noch offenen, abschließenden Entscheidung steuerte. Waren die Taktiken der Verteidiger und der Kronanwälte auch noch so subtil und zeitintensiv, so konnten sie doch stets mit dem Verfahren vermittelt werden. Sie bildeten gleichsam einzelne Kapitel der Verfahrensgeschichte, die dadurch an Komplexität zunahm, aber nicht zu einer völligen Unübersicht-lichkeit und einem Verlust an Situationsdefinition führte wie im Prozess gegen Lilburne. Dieser hatte er geschafft – um im Bild zu bleiben – andauernd neue Unterkapitel zu öffnen, deren lose Enden das Verfah-ren schließlich völlig überlagerten, ohne dass durch richterliche Zwischenentscheidungen Komplexität auch wieder reduziert und offene Unterkapitel wie-der geschlossen werden konnte.

33 Howell 1816e: 104.34 Howell 1816e: 105: My lord, these objections have been made with so much ceremony, and ushered in with such pomp, as if something else was meant, than the quashing this indictment.

André Krischer: Der „erlaubte Konflikt“ im Gerichtsverfahren 215

Der Layer-Prozess zeigt, dass die Möglichkeit, Kon-flikte sowohl zu erlauben als auch zu begrenzen, auf einem erfolgreichen Zeitmanagement beruht. Zum Austrag eines Konflikts muss ausreichend, aber nicht unbegrenzt Zeit zu Verfügung gestellt werden. Der Layer-Fall war einer der ersten Strafprozesse, der des-wegen vertagt wurde. Prozessunterbrechungen stell-ten noch im 17. Jahrhundert ein Problem dar. Man prozessierte eher bis zur völligen Erschöpfung als das Verfahren zu unterbrechen. Und wenn sich dies doch nicht mehr vermeiden ließ, dann war es üblich, dass die Beteiligten ihre Pause im Gerichtssaal ver-brachten und die Richter dort auch ihre Mahlzeiten einnahmen. Beim Layer-Prozess zeigte sich nun, dass eine Vertagung zumindest bei dem durch die Anträge und Einwände ausufernden arraignment kein Prob-lem war.35 Der Prozess wurde später einfach an der Stelle weitergeführt, an der man ihn unterbrochen hatte. Es spielte auch keine Rolle, ob dazwischen mehrere Tage lagen. Das Gerichtsverfahren ließ sich anhalten und fortsetzen, ohne dass durch die Pause jene Teile der Verfahrensgeschichte verloren gingen, die bislang gemeinsam von allen Beteiligten erarbei-tet worden waren. Genau das war aber in den älteren Prozessen vorgekommen, wenn Angeklagten nach ei-ner Unterbrechung wiederum auf Dinge zu sprechen kamen, die von Seiten der Richter und Kronanwälte bereits als erledigt galten. Die Verteidiger in den re-formierten Hochverratsprozessen seit 1696 hingegen teilten mit ihren Juristenkollegen die Definition über den Stand des Erreichten. Zudem wurde es im 18. Jahrhundert üblicher, dass bei einem mehrtätigen Prozess bereits am zweiten Prozesstag die gedruckte Wiedergabe des bisherigen Prozessverlaufes vorlag, so dass mit den Druckmedien eine weitere Instanz Eindeutigkeit über den Verlauf der Verfahrensge-schichte bieten konnte. So wie man Gerichtsverfahren vertagen konnten, in-dem man sie anhielt wie ein Tonband, so konnte man auch juristische Konflikte über Formfragen in den Prozessablauf einbinden und bei einer Ablehnung des Antrags an genau der Stelle des Prozesses weiter-

35 Die Vertagung der Hauptverhandlung wurde erst am Ende des 18. Jahrhunderts praktiziert, weil man zuvor ge-fürchtet hatte, dass die Geschworenen beeinflusst werden könnten, nicht zuletzt durch die Lektüre von Zeitungsbe-richten über den Prozess. Einen Ausweg fand man bei den Mammutprozessen in den 1790er Jahren darin, für die Geschworenen Zimmer in nahgelegenen Gasthäusern zu mieten und sie dort unter Aufsicht die Nacht verbringen zu lassen.

machen, an der er zuvor erhoben worden war. 36 So-lange es nur um Formalien und noch nicht um die Beweisaufnahme ging, gab es sogar die Möglichkeit, eine Konfliktepisode gleichsam zurückzuspulen und aus dem Verfahrensablauf zu streichen: Beim Layer-Prozess stellte sich an einer Stelle heraus, dass sich die Anwälte mit einem ihrer Anträge völlig verrannt hatten. In diesem Fall wäre aber die Ablehnung des Antrags durch den Richter gleichbedeutend gewesen mit dem Verlieren des Prozesses insgesamt, auch das noch war ein Erbe des Rechtsformalismus. Weil die Kronanwälte aber auch im Layer-Prozess ein ordent-liches Verfahren bevorzugten und nicht wollten, dass der Angeklagte aufgrund einer Formalie sein Leben verlieren sollte, erklärten sie sich damit ein-verstanden, dass Layer sein mit dem Antrag eigent-lich verwirktes Recht auf ein Plädoyer (guilty / not guilty) noch einmal bekam. Vom Austrag solcher Konflikte über Formfragen pro-fitierte das Gerichtsverfahren als ein zur Herstellung legitimer Entscheidungen benötigtes Interaktionssys-tem auch selbst. In den Zeitungsberichten über den Layer-Prozess wurde gerade die Möglichkeit, Anträge einzubringen und darüber mit den Kronanwälten zu streiten, als Ausweis für die Fairness des Verfahrens gewertet, an dessen Ende Layer wegen Hochverrats zum Tode verurteilt worden war (Sherry 1989).

5. Das Kreuzverhör als Inszenierung von Konflikt

Im 19. Jahrhundert entstand im anglo-amerika-nischen Raum eine neue Gattung juristischer Ge-brauchsliteratur, die darauf zielte, dem Anwalt trial tatics zu vermitteln, also Kompetenzen für die In-teraktion vor Gericht.37 In dieser Literatur ging es um Grundlagen der Rhetorik ebenso wie um Kör-pertechniken (Gestik, Mimik), um Verhörstrategien und andere Tipps und Tricks für ein erfolgreiches forensisches Agieren. Dessen Erfolg bemaß sich da-ran, ob es gelang, einen positiven Eindruck auf die Geschworenen zu machen. Der amerikanische Jurist William C. Robinson (1834–1911) empfahl in sei-

36 In diesem „weitere(n) Horizont“ des Verfahrens, der (medial durch Akten, Protokolle und Vermerke) geschaf-fenen Möglichkeit, früher erarbeitete Gesichtspunkte spä-ter wieder unverfälscht zu nutzen, besteht nach Thomas Scheffer „die erhöhte Leistungsfähigkeit von Verfahren gegenüber einfachen Sozialsystemen“ (Scheffer 2010: 149)37 Diese trial tactics zeigen, dass man mit dem „Recht al-lein“ vor Gericht nicht weiter kommt.

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nem Ratgeber Forensic oratory, a manual for advo-cates38 auch Konflikte zwischen den Anwälten über konkurrierende Rechtsauffassungen als eine solche Prozesstaktik. Solche Konflikte (altercations) seien im Ablauf eines Gerichtsprozesses von einem ge-wissen Wert, weil sie, richtig dosiert, einen Kontra-punkt zu dem eintönigen Prozessverlauf darstellten (a momentary respite from the dulness of a trial).39 Ein an der richtigen Stelle entfachter, geschickt ausge-fochtener und rechtzeitig wieder beendeter Streit sei für den Anwalt eine Möglichkeit zur Optimierung seiner Selbstdarstellung: It enables the advocate to multiply the favorable impressions made upon the jury by the point employed.40 Dass Konflikte im Gerichtsverfahren nicht nur um die Sache geführt wurden, sondern auch einen ex-pressiven Mehrwert besaßen und für ein Publikum ausgetragen wurden, wurde zwar erst im 19. Jahr-hundert explizit reflektiert. Diese performative Dimension der erlaubten forensischen Konflikte dürfte aber auch schon den englischen Anwälten des 18. Jahrhunderts bewusst gewesen sein. Der Topos vom Gerichtsprozess als Theaterstück vor Publikum lässt sich jedenfalls schon im 16. Jahrhundert nach-weisen (Sil 2007).41 Um 1800 war der Paradefall eines forensischen Konfliktes mit offenkundig thea-tralen Dimensionen allerdings nicht der Konflikt zwischen Anwälten, sondern das Kreuzverhör.Kreuzverhöre (cross examinations) waren und sind eine Spezialität der anglo-amerikanischen Prozess-praxis. Es gibt dafür keine direkte Entsprechung in der deutschen Gerichtstradition. Der Sinn des Kreuz-verhörs besteht darin, die Glaubwürdigkeit des Zeu-gen der Gegenseite zu erschüttern. Das Wesen des Kreuzverhörs ist, wie der Taktikexperte Robinson es formulierte, “destructive: It aims to overthrow, not to build up; to disintegrate and scatter, not to gather and consolidate“.42 Von einem Anwalt ins Kreuzverhör ge-nommen wurde stets nur der Zeuge der Gegenseite,

38 Das Handbuch erschien zuerst 1893, wurde mehrfach wieder aufgelegt und (wie die anderen Handbücher über trial tactics auch) sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Großbritannien gelesen und genutzt, da sich die forensische Praxis in vielen Punkten glich und von den Beteiligten selbst auf die frühneuzeitliche Tradition zu-rückgeführt wurde; zu Robinsons Ratgeber siehe Whit-burn 2004.39 Robinson 1893: § 268.40 Robinson 1893: § 267.41 Auf die „unhintergehbare theatrale Dimension des Ge-richts“ verweist Vismann: (2011: 19–37).42 Robinson 1893: § 215.

und zwar unmittelbar nach dessen Befragung durch „seinen“ Anwalt. Entstanden war das Kreuzverhör in den englischen Zivilprozessen des 17. Jahrhunderts, über deren Ablauf es aber keine Quellen gibt. In den besser dokumentierten Hochverratsprozessen kamen sie wiederum erst zur Anwendung, als die Anwälte das Prozessgeschehen dominierten und das Vertrauen in die Aufrichtigkeit der vereidigten Zeugen in der Mitte des 18. Jahrhunderts massiv erodiert war.43 In den zahlreichen Prozessen gegen Radikale, gegen Jakobiner, Sozialreformer, irische Unabhängigkeits-kämpfer und Verschwörer zwischen 1780 und 1820 beruhte die Anklage nicht mehr auf den umfäng-lichen Aussagen von zwei oder drei Kronzeugen wie noch bei Layer, sondern auf der Befragung Dutzender von Zeugen.44 Die Befragung vollzog sich dabei in drei Schritten: Handelte es sich um den Zeugen der Anklage, begann der Kronanwalt mit der examina-tion-in-chief. Nach dessen Beendigung folgte das Kreuzverhör des gegnerischen Anwalts, und nach dessen Abschluss hatte der Kronanwalt noch ein-mal das Recht auf eine re-examination, wobei es im Wesentlichen um Reparaturhandlungen ging, falls der eigene Zeuge im Kreuzverhör „auseinanderge-nommen“ worden war. Im 19. Jahrhundert gehört es zu den üblichen trial tactics, die eigenen Zeugen in spezifischer Weise auf den Prozess vorzubereiten, mit ihnen mögliche Fragen und Fallstricke durch-zuspielen.45 Dieses training of witnesses begann aber

43 Das hatte sowohl mit einer Krise des Eides als gericht-lichem Wahrheitsmedium zu tun (Krischer 2012), die ihren Höhepunkt mit dem als riesigem Skandal wahrge-nommenen Meineid der Elizabeth Canning 1753 erreichte (Moore 1994), als auch mit der Überhand nehmenden Skepsis gegenüber der Glaubwürdigkeit von Kronzeugen, die in der Regel nur ihren Kopf retten wollten. Den meisten Juristen und Strafrechtsreformern, darunter auch Jeremy Bentham, galten Kreuzverhöre als das angemessene Mittel zur forensischen Wahrheitsfindung (Langbein 2003: 246). 44 Nach dem Layer-Prozess von 1722 war der Prozess gegen George Lord Gordon 1780 der erste ‚regelrechte‘ Hochver-ratsprozess nach fast 60 Jahren. Nach dem Jakobiten-Auf-stand von 1745 wurden die Prozesse gegen die hochadligen Anführer nach standesgerichtlichen Regeln und gegen die nicht-adligen Rädelsführer als kurze Prozesse geführt. Die Ausdifferenzierung des Strafverfahrens als eines Forums für Kreuzverhöre vollzog sich im 18. Jahrhunderts also auf des Basis der gewöhnlichen Kriminalprozesse, bei denen Anwälte jedoch keine „full defence“ leisten durften, also etwa keine Schlussfolgerungen aus den Verhören ziehen und keine Ansprache an die Geschworenen halten durften. Bei Hochverrat war all dies seit 1696 erlaubt, bei allen an-deren Strafverfahren erst ab 1836.45 Robinson 1893: § 178.

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mit Sicherheit schon in den 1780er Jahren. Genau genommen handelte es sich bei der Kommunikation mit dem eigenen Zeugen daher nicht um ein Verhör, wenn man darunter mit Niehaus (2003: 265 f.) eine „peinliche … eine bedrängende Situation“ versteht, „die dem Subjekt zu Leibe rückt“. Examination-in-chief und re-examination waren vielmehr friendly ex-aminations, für die der Begriff Zeugenbefragung der Sache am nächsten kommt. Nur das Kreuzverhör war auch ein Verhör. Als „bedrängende Situation“ und als Zwangskommunikation ist ein Verhör allerdings nicht unmittelbar auch ein Konflikt. Seine Frage-Antwort-Struktur begünstigt vielmehr den Verhö-renden. Ein „Gegeneinander-Handeln“ kann beim Verhör nicht immer unterdrückt werden, es wird situativ toleriert, aber es ist nicht pauschal „erlaubt“. Wieso wurde das Kreuzverhör dann aber trotzdem zum Paradefall erlaubter Konflikte im Gerichtspro-zess um 1800? Dies lag vor allem an der Anwesenheit von Publikum (hier im weiteren Sinne auch Richter, Geschworene, Gerichtsdiener oder Protokollanten umfassend) und gegnerischen Anwälten. Die im trial by jury gegebene Öffentlichkeit und Präsenz von Geg-nern (im Unterschied zum Inquisitionsprozess) ver-schaffte dem Kreuzverhör seine spezifische Gestalt als Konflikt. Es handelte es sich dabei allerdings um ei-nen Konflikt, bei dem die gegnerischen Anwälte und

ihre Mandanten gleichsam über Bande miteinander stritten. Beim Kreuzverhör ging es darum, der Sache des anderen zu schaden, indem man dessen Zeugen vor Publikum in Widersprüche verwickelte und im Idealfall als Lügner bloßstellte.Berühmt und berüchtigt als Kreuzverhörer wurde um 1800 William Garrow (1760–1840).46 Garrow arbeitete von 1783 bis 1793 als Strafverteidiger am Gericht Old Bailey. 1793 wechselte er dann die Sei-ten und fungierte bis 1817 als Kronanwalt. Vor allem mit seiner Person verband sich in den 1780er Jah-ren die Ausweitung von Strafverteidigung von den Hochverratsfällen zu den gewöhnlichen Delikten. Garrow wirkte in zahllosen Prozessen als Anwalt mit, und in seiner Zeit als Kronanwalt nahm er auch an verschiedenen Hochverratsprozessen teil (Beattie 1991a; Hostettler & Braby 2009). Seine Auftritte als Anwalt waren in den 1780er Jahren eine Attraktion. Sie zogen noch mehr Publikum als üblich zu den Sitzungen in Old Bailey an. Faszinierend und em-pörend zugleich empfand man seine Kreuzverhöre, bei denen er die Zeugen mit zuvor nicht bekannter

46 Nach einer ersten Popularitätswelle im 19. Jahrhundert wurde seine Person in Großbritannien dieser Tage erneut populär durch die preisgekrönte BBC-Serie „Garrow’s Law“ (2009–2012), vgl. dazu Hostettler 2013.

Abb. 1: William Garrow verhört einen Zeugen im Londoner Gericht Old Bailey, aus: Rudolph Ackermann / Thomas Rowlandson: The Miseries of Human Life, London 1808, p. 148, BM 1869,0213.100, mit Genehmigung des British Museum.

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Rigorosität befragte. Ein satirisch gemeinter Kup-ferstich von 1807 zählte es sogar zu den unange-nehmen Seiten des menschlichen Lebens (miseries of human life), von William Garrow ins Kreuverhör genommen zu werden.Die (satirisch überspitzte) Abbildung zeigt: Das Ir-ritierende an Garrows Verhören wurde nicht allein in seinen Fragen gesehen, sondern auch in seiner Gestik und Mimik, einem mit Sicherheit bewusst stilisiertem Verhalten, mit dem er darstellte, dass er Kreuzverhöre als Streit mit dem Zeugen auffasste. In einem Pamphlet von 1808 sprach der Verfasser Tho-mas Hague von der „Liederlichkeit“ (licentiousness), der „brutalen Unverfrorenheit“ (brutal insolence) und „schamlosen Gemeinheit“ (wanton scurrility), mit der Garrow seine Kreuzverhöre durchführe.47 Wie er mit den Zeugen umginge, insults the dignity of our Courts, violates public decorum, wounds private feeling.48 Tatsächlich waren Garrows Kreuzverhöre das genaue Gegenteil aller Normen und Ideale der höflichen Konversation, die man zu dieser Zeit von einem Gentleman erwartete, und zwar gerade auch dann, wenn er als Jurist vor Gericht fungierte. Dem-entsprechend kontrastierte Hague die Zurückhal-tung (moderation, and gentleness) anderer Anwälte mit der „Keckheit, Anstößigkeit und Geschwätzig-keit“ (pertness, vulgarity, and garrulity) von Garrow.Garrows Art des Kreuzverhörs lässt sich als stra-tegische Taktlosigkeit beschreiben. Ein taktvolles Verhalten zielt auf die Schonung der Selbstdarstel-lung der Interaktionspartner. „Takt verlangt, dass man den anderen so behandelt, wie er erscheinen möchte (…). Taktvoll handelt, wer Ausdrucksfeh-ler übersieht (…), unaufmerksam ist (und erkennen lässt, dass er unaufmerksam ist), wenn Geschehnisse sichtbar werden, die nicht für Zuschauer bestimmt sind“ (Luhmann 1999: 358 f.). Um die Zeugen als unglaubwürdig darzustellen – genau darum und nicht um „die Wahrheit“ ging und geht es in Kreuz-verhören –, machte Garrow genau das zum The-ma, was der Selbstdarstellung des Zeugen massiv schadete: Erinnerungslücken, Empfindsamkeiten, Formulierungsschwächen, Naivität, Versprecher, Unaufmerksamkeiten usf. Die Thematisierung und der Vorhalt solcher Selbstdarstellungsschwächen der Zeugen waren und sind ein Kennzeichen des Verhörs als Interaktionssituation: Etwas wird „aus-drücklich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, was für gewöhnlich ignoriert werden muß“

47 Hague 1808: 3.48 Hague 1808: 2.

(Goffman 1981: 36). Garrow zögerte dabei nicht, die Zeugen auch dem Gelächter des Publikums preiszugeben (Beattie 1991b: 52).Wenn man einmal Garrows theatralische Posen au-ßer Acht lässt, dann lag der Skandal von Garrows Kreuzverhören in dem glatten Bruch mit allen Nor-men öffentlicher Interaktion unter Standespersonen. Bizarr empfand man seine Verhöre von Angehörigen der Unterschicht. Unerträglich aber war für einige Zeitgenossen der Umstand, dass er in dieser als ag-gressiv und taktlos empfundenen Weise49 alle gleich behandelte: Männer und Frauen, Arme und Reiche, Vorbestrafte, Amtsträger und Aristokraten (Beattie 1991b: 53). Der deutschstämmige Baron Hompesch fühlte sich 1807 durch ein Verhör derart in seiner Ehre gekränkt, dass er den Anwalt zum Duell for-derte. Konsterniert musste Hompesch jedoch zur Kenntnis nehmen, dass Garrow die Duellforderung nicht nur ausschlug, sondern dass diese Verwei-gerung der Satisfaktion auch in sozialer Hinsicht folgenlos blieb. Als Hompesch meinte, Garrow sei von nun an „unfit to be recieved in company of gentle-men“ (zitiert nach: Hostettler & Braby: 82), irrte er sich: Garrow stieg 1812 zum ersten Kronanwalt auf (Attorney General), 1817 sogar zum Richter. Eine solche Karriere war aber um 1800 nur möglich mit ausreichend sozialer Schätzung. Die kontroverse Rolle, die Garrow als Anwalt im Verfahren spielte, schlug demzufolge nicht auf alle seine Lagen als Per-son durch. Die Konflikte, die er mit den Zeugen im Kreuzverhör inszeniert hatte, wurden nicht von al-len als solche gesehen, für die er auch außerhalb des Prozesses geradezustehen hatte. Die Interaktionen bei diesen forensischen Streitepisoden blieben auf das mittlerweile weitgehend ausdifferenzierte Inter-aktions- und Entscheidungssystem Gerichtsverfah-ren beschränkt.Garrow war um 1800 keineswegs der einzige An-walt, der seine Kreuzverhöre mit kalkulierter Takt-losigkeit, als Konflikt mit dem Zeugen und über Bande mit dem gegnerischen Anwalt durchführte. Aber das Kreuzverhör wurde durch Garrows Ex-zentrik überaus populär. Damit hatte Garrow einen gewissen Anteil an der Normalisierung dieser In-

49 Kritik an Tatktlosigkeit kommt in folgender Frage zum Ausdruck: „Why then, Sir, in the cross-examination of a wit-ness, shall he be asked the history of his whole life, of transac-tions past, perhaps in youthful folly and levity, remembered only by the malignant, and introduced without the possibility of benefiting either party, though calculated to insult, wound the feelings, and injure the credit and circumstances of the witness“ (Hague 1808: 34 f.).

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teraktionsepisode im modernen Gerichtsverfahren, die im Laufe des 19. Jahrhunderts von niemandem mehr in Frage gestellt wurde. Im Gegenteil, das Kreuzverhör wurde ausnahmslos als Königsweg der Wahrheitsfindung gewertet.Und welcher Raum blieb den früher so aktiven An-geklagten? Schon bei den Prozessen um 1700 lässt sich beobachten, dass diese zunehmend auf eine passive Rolle festgeschrieben wurden. Während Layer, selbst ein Anwalt, an einigen Punkten selbst intervenierte, wurde es um 1800 üblich, dass An-geklagte die Verteidigung vollständig an ihren An-walt delegierten (Langbein 2003: 267). Angeklagte sagten dann nur noch, dass sie nichts sagen wollten. Die Anwälte bestärkten ihre Mandaten (eine neue Rolle!) in dem Verzicht auf Eigenaktivitäten: Zum einen sollten sie so davor bewahrt werden, sich um Kopf und Kragen zu redeten. Zum anderen wollten sich Anwälte wie Garrow oder sein nicht minder berühmter Zeitgenosse Thomas Erskine nicht ihren Soloauftritt streitig machen lassen. Der Umwand-

lung des Angeklagten vom Sprecher zum Zuschauer bei seinem eigenen Prozess nach 1700 entsprach sei-ne räumliche Dezentralisierung. Er wurde in einen Stand an der Wand des Gerichtssaals gegenüber der Richterbank loziert. Sein Verteidiger rückte hinge-gen ins Zentrum des Geschehens, nämlich an einen Tisch unterhalb der Richterbank, an dem die Ju-risten unter sich waren. Die neue Gerichtsarchitek-tur gab der bereits eingeführten forensischen Inter-aktionsstruktur schließlich auch einen räumlichen Ausdruck (Graham 2003).Ihre Fortsetzung erreichte die durch den Anwalt initiierte Marginalisierung des Angeklagten durch eine formelle Feinheit, die von der Mitte des 18. Jahrhunderts an zu Common Law wurde: Bei der zu Beginn des Prozesses gestellten Frage nach guilty oder not guilty wurden ausweichende Antworten oder Schweigen des Angeklagten von nun an stets so gewertet, als ob er not guilty geantwortet habe. ‚Hängen lassen‘ so wie Throckmorton oder Lilburne konnte der Angeklagten das Verfahren an dieser

Abb. 2: Der 1824 neu gebaute 2. Sitzungssaal von Old Bailey in London, aus: William Powell Frith: The Race for Wealth, No. 4: Judgement, 1879, BM 1943,1211.629, mit Genehmigung des British Museum.

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Stelle nicht mehr. So wie auch obstruktives Verhal-ten durch ein ‚als ob‘ entschärft werden konnte, so wurde der Angeklagte auch selbst immer mehr zu einer juristischen Fiktion, zu einer Person, der man unter bestimmten Bedingungen rechtsverbindliche Handlungen zuschreiben konnte, auch wenn er diese gar nicht selbst vollzogen hatte. Das ging so weit, den Angeklagten bei fortgesetzten Störungen zeitweise aus dem Gerichtssaal entfernen zu können, wobei der Prozess ‚gegen ihn‘ einfach weiterlief. Der abwesende Angeklagte konnte vom Verfahren als anwesend behandelt werden. Für den Prozessablauf stellte die Abwesenheit des Angeklagten nicht das geringste Problem dar, weil sich die Vorstellung, dass ein Anwalt seinen Mandanten vollständig re-präsentieren konnte, nach dem Zivil- auch im Straf-prozess festgesetzt hatte.

6. Gerichtsverfahren – unverzichtbare Interaktion?

Um 1800 traten englische Gerichtsprozesse als hochgradig elaborierte und schematisierte Interak-tionsordnungen in Erscheinung, in deren Ablauf sich Konflikte als Episoden einbinden ließen. Kon-flikte bargen nicht mehr die Gefahr, mit dem Ver-fahren identisch zu werden und es parasitär zu ver-tilgen. Der erlaubte Konflikt war zwar ein zentraler und im Übrigen auch unterhaltsamer Programm-punkt des Gerichtsverfahrens, aber nicht dessen einziger. Es war sicher kein Zufall, dass die Ausdif-ferenzierung des erlaubten Konflikts in der Frühen Neuzeit stattfand, also in einer interaktionsnahen, aber ebenso auch interaktionsbewussten Epoche. Die kunstvolle Gliederung des Interaktionssystems Gerichtsverfahren ließe sich vergleichen mit ande-ren hoch elaborierten Interaktionssystemen, etwa höfischen Zeremonien oder diplomatischen Ver-handlungen (Köhler 2011). Die Formalisierung des erlaubten Konflikts war aber nur zum Teil die Folge intendierten Handelns. Sie beruhte auch auf Verfah-rensreformen wie der Aufwertung des Zeugenver-hörs und der Zulassung von Strafverteidigern. Vor allem beim erlaubten Konflikt wurden wesentliche Beiträge zu jenen latenten Mechanismen geleistet, die Luhmann als „Legitimation durch Verfahren“ beschreibt: etwa die Verstrickung durch zurechen-bares Engagement im Streit (auch vermittelt durch den Anwalt) oder die Entschärfung von Positionen, dadurch dass sie dargestellt, in aller Schärfe disku-tiert und durch Entscheidbarkeit ‚erledigt‘ werden konnten. Interaktionssysteme bewiesen in Gerichts-

verfahren hinsichtlich solcher Effekte ihre besondere Leistungsfähigkeit, vermutlich sogar ihre „Unersetz-lichkeit“ (Heintz in diesem Band: 26).So elaboriert und folgenreich die Interaktion beim gerichtlichen Verfahren jedoch auch ausfiel: es han-delte sich dabei stets um ein undifferenziertes Inter-aktionssystem, innerhalb dessen sich keine weitere Systembildung vollziehen konnte (Kieserling 1999, 34 ff.). So komplex die Entscheidungsaufgabe bei Gerichtsverfahren auch war und so viele Juristen und Zeugen auch anzuhören waren – all dies konnte im-mer nur nacheinander geschehen. Es konnte immer nur einer reden, während aller anderen schwiegen, und geredet werden konnte jeweils immer nur zu einem Thema (ebd.: 40). Wie andere Interaktions-systeme stand auch ein Gerichtsverfahren unter den „Zwang zur Serialität“ sowohl hinsichtlich der Spre-cher als auch der Themen (ebd.). Diese doppelte Serialität war der Grund für die zu-nehmende Dauer der englischen Gerichtsverfahren, zumal bei Hochverrat. Ob eine längere Dauer im-mer auch der ‚Wahrheitsfindung‘ diente, wie man in der Rechtsgeschichte bisweilen meint, ist eine ande-re Frage. Jedenfalls ist in Rechnung zu stellen, dass „die lineare Form der Sequenz ungünstig (ist) für die Koordination sachlich sehr komplexer Themen“ (Luhmann 1975: 11). So gut es immerhin möglich war, das Verfahren davor zu bewahren, im Tumult zu enden, so lässt sich nicht übersehen, dass die im 18. Jahrhundert zugelassene Informationsflut den noch aus dem Mittelalter stammenden Interaktions-prozess strukturell überlastete. Es war dabei, wie gezeigt, zunächst um einen Konflikt im handfesten Sinne gegangen, um einen durch Gerichtsritua-le gerahmten Schwertkampf. Als dieser Kampf im 16. Jahrhundert von einem Wortgefecht (altercation) ersetzt worden war, war noch überhaupt nicht abzu-sehen, welche hochkomplexen Entscheidungsaufga-ben damit einmal angegangen werden sollten.Ein informationelles Überlastungsproblem betraf auch politische Entscheidungsverfahren der Früh-neuzeit (Goppold 2007: 207–242; Schlaak 2010). Sowohl für städtische als auch für höfische Ent-scheidungsgremien (Stadträte, Hofräte, Geheim-räte, Kanzleien, Kabinette usf.) bot sich allerdings die Möglichkeit, durch den Einsatz von Schriftlich-keit (Vismann 2000: 217 ff.) sowie durch die Ein-richtung von Ausschüssen und Kommissionen den Interaktionsprozess zu entlasten. Stadtrats- oder Hofratssitzungen waren im Laufe des 18. Jahrhun-derts vor allem damit beschäftigt, über das zu ent-scheiden, was im Vorfeld bereits entscheidungsfähig

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gemacht worden war. Die Reduktion sachlicher Komplexität musste nicht mehr in den Sitzungen interaktionsförmig, sondern in der „Schreibstube“ oder im „Amt“ schriftlich reduziert werden. Ob im Alten Reich, in Italien, Frankreich oder in England: Überall in Europa lassen sich im Laufe der Frühneu-zeit Überformungen des Politischen durch arbeits-teilig vorgehende, organisationsähnliche Gebilde beobachten.50

Diese Option zur Auslagerung von Entscheidungs-arbeit in organisationsähnliche Gebilde konnte für das englische Gerichtsverfahren nicht oder zumin-dest nicht in gleichem Maße realisiert werden. Das hatte vor allem damit zu tun, dass man bei Gericht vor Geschworenen und vor einem Publikum pro-zessierte. Der Prozess der Erkenntnisbildung und Beweiserhebung musste vollständig aufgeführt werden, zumal sich im 18. Jahrhundert die Norm durchsetzte, dass Richter und Geschworene unvor-bereitet sein sollten, um unparteiisch entscheiden zu können. Beide wurden darauf verpflichtet, ihre Überzeugungen „aus dem Inbegriff der Verhand-lung“ zu schöpfen (§ 261 StPO, vgl. auch Shapiro 1986; Stichweh 1994). Wie immer es auch um das tatsächliche Vorwissen dieser Akteure stand: In der Verhandlung musste man so tun, als ob man ihnen die Informationen in allen Einzelheiten erst noch übermitteln müsste. Und dabei schaute Publikum zu. Gerade in der englischen Schwurgerichtsbarkeit waren die Möglichkeiten daher sehr begrenzt, „die nicht darstellbaren Komponenten des Entschei-dungsvorgangs aus dem einsehbaren Handlungs-raum“ herauszuziehen und „vorab oder zwischen-durch“ zu entscheiden (Luhmann 1983: 124).Ein weiterer Grund für die problematische Ausla-gerung von Entscheidungsarbeit aus dem Verfahren hing zwar mit der Publikumsbindung zusammen, ging aber noch tiefer, nämlich auf den von den Ju-risten so genannten „Öffentlichkeitsgrundsatz“ im Gerichtsverfahren. Durch die Aufklärung wurde die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens zu einem zivilisatorischen Grundwert ideologisiert. Erwä-gungen über andere Verfahrensmöglichkeiten ka-

50 Es ist für die Frühneuzeit schwierig, umstandslos von Organisationen im Sinne der Systemtheorie zu sprechen. Sie scheinen dezidiert moderne und voraussetzungsreiche Systeme zu sein. Zwar lassen sich bei verschiedenen Ge-bilden (Universitäten, Hofräte, Zünfte, Richterkollegien, Anwaltskammern usf.) klare Mitgliedschaftsregeln erken-nen, nur in Ansätzen aber das, was Luhmann (1999) als „primäre und sekundäre Systemfunktionen der Formali-sierung“ beschreibt.

men so entweder gar nicht erst auf oder gerieten in Verdacht restaurativer Tendenzen. In England dachte freilich niemand an Alternativen zum public trial. Aber im Deutschland nach der Französischen Revolution stellte sich schon die Frage, wie man in Zukunft vor Gericht eigentlich verfahren wollte: Auf der Grundlage des reformierten, also von Fol-ter befreiten Inquisitionsprozesses oder nach dem allseits bewunderten englischen Modell? Der Inqui-sitionsprozess war bereits seit dem 17. Jahrhundert organisationsbasiert geführt worden, so wie poli-tische Entscheidungsverfahren auch: Auf der einen Seite wurden die traditionellen städtischen und pa-trimonialen Gerichtsinstanzen und ihr Personal mit Ermittlungen und protokollierten Verhören vor Ort beauftragt, auf der anderen Seite entschieden gelehr-te Juristen an den Schöffenstühlen, an Universitäten oder am Fürstenhof über den Fall nach Aktenlage (Härter 2000). Doch trotz aller Reformen war der Inquisitionsprozess als Relikt des Ancien Régime zu sehr diskreditiert, um im 19. Jahrhundert noch eine Zukunft zu haben. Die Argumente für diese Prozessform und damit für organisiertes Entschei-den im Recht kamen nicht an gegen die allgemeine Begeisterung für die „öffentliche Gerechtigkeitspfle-ge“ als „Palladium der Freiheit“ (Habermas 2008: 166–173). Obwohl schon den Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts die funktionalen Beschränkungen dieses Verfahrensprinzips bewusst geworden wa-ren (Fögen 1974), wird bis heute an diesem Prinzip nicht gerüttelt. Cornelia Vismann (2011: 135) nann-te den Öffentlichkeitsgrundsatz einen „geradezu demokratische(n) Fetisch“.Wenn aber „Öffentlichkeit, Unmittelbarkeit und Mündlichkeit“ zu den Säulen des modernen Ge-richtsprozesses erklärt werden – und damit Interak-tionsförmigkeit –, dann sperrt sich dieses Verfahren strukturell gegen organisationsförmige Entlastungs-möglichkeiten. Denn Öffentlichkeit, Unmittelbar-keit und Mündlichkeit sind das genaue Gegenteil organisationsspezifischer Arbeit. Das Gerichtsver-fahren wird mit diesem triadischen Dogma auf der Ebene der Interaktion festgezurrt. Für die Vielzahl an Prozessen bei gleichzeitig geltendem Verbot der Justizverweigerung (Luhmann 1995: 310–319) kann die Justiz Entlastungsmöglichkeiten nur noch auf informalen Wegen suchen. Vor allem geht es ihr darum, die zeitraubende Hauptverhandlung, also Interaktion und erlaubte Konflikte zu vermei-den. Schon im 19. Jahrhunderts praktizierte man in Anglo -Amerika aus diesem Grund sogenannte plea bargainings, bei denen sich Anklage und Ver-

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teidigung in einer Mischung aus interaktionell und schriftlich geführten Verhandlungen (nicht Verfah-ren51), also mithilfe von Parallelprozessen auf der Hinterbühne, auf ein Ergebnis einigten. Dieses Er-gebnis wurde dann dem Gericht beim pleading zur formalen Erledigung vorgelegt: Der Angeklagte ge-stand, der Kron- oder Staatsanwalt fordert das zuvor abgesprochene Strafmaß und der Richter überführte dieses in ein Urteil.Es ist in Amerika und Europa zur Gewohnheit ge-worden, und es geht auch angesichts der Unmenge an Fällen gar nicht mehr anders, als so viele Ent-scheidungsprozesse wie möglich parallel laufen zu lassen. Die für Gerichtsverfahren typische Synchro-nizität von Interaktions- und Entscheidungsprozess kann also faktisch aufgegeben werden, was darauf hindeutet, dass diese Synchronizität auch nur ein historisches – also kontingentes – Merkmal von Ge-richtsverfahren war. Nicht wenige Juristen sind sogar der Ansicht, dass man durch interaktionslose oder interaktionsarme Entscheidungsprozesse zu ‚besse-ren‘, weil differenzierteren, zumindest aber schnel-ler zu Ergebnissen kommt und dabei auch noch bestimmte Betroffene (Kinder, Vergewaltigungs-opfer) schont. Aber solche organisationsförmigen Verfahren lassen sich nur dann praktizieren, wenn man diese Vorgehensweise zumindest ein wenig ka-schiert. Es handelt sich um gleichsam brauchbare Informalität. Dem Öffentlichkeitsgrundsatz wird die Reverenz dadurch erwiesen, dass man kunstvoll versucht, ihn zu umgehen.Mir geht es bei diesen Beispielen nicht um eine „kri-tische“ Diskussion heutiger Verfahrensprobleme, sondern um die Benennung einiger Folgen, die sich daraus ergeben haben, dass man seit dem 18. Jahr-hundert Gerichtsverfahren bewusst auf der Inter-aktionsebene festschreiben wollte. Es wurde also künstlich an der Gleichzeitigkeit von Interaktions- und Entscheidungsprozess festgehalten, obwohl um 1800 auch Alternativen in den Blick geraten waren wie etwa der reformierte, folterfreie Inquisitionspro-zess, der durch seine Organisationsförmigkeit zur Bewältigung komplexer und gehäufter Informa-tionen sowie zur Anfertigung differenzierter Ent-scheidungen durchaus geeignet gewesen wäre. Nur eines hätte einem solchen Gerichtsverfahren gefehlt: Nämlich unterhaltsame Spannung und Dramatik, wie sie der erlaubte und vor Publikum aufgeführte Konflikt zu erzeugen vermag. Der gerichtliche Kon-flikt ist nicht nur der Anknüpfungspunkt für Fiktio-

51 Zu dieser Unterscheidung grundlegend Vollmer 1996.

nalisierungen des Verfahrens in Literatur, Theater und Film, sondern auch, bei realen Prozessen, für die Aufmerksamkeit des unbeteiligten Publikums gegenüber der Arbeit der Justiz. Dieses diffuse In-teresse der Unbeteiligten am Justizdrama ist alles andere als trivial, sondern erfüllt durchaus wichtige Funktionen: Das „identifizierende Miterleben“ eines aufgrund von Konflikten interessanten Prozesses ist auch ein Beitrag zur Legitimation durch Verfahren (Luhmann 1983: 123 f.). Insofern sind Interaktio-nen für Gerichtsverfahren doch unverzichtbar.

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Autorenvorstellung

André Krischer (Münster): geb. 1974 in Brilon. Studium der Geschichte, Philosophie und Anglistik in Köln und Bonn. Promotion 2005 in Münster. Von 2005–2009 wissenschaftlicher Geschäftsführer des DFG-Leibnizprojekts „Vormo-derne Verfahren“ in Münster; seit 2009 Juniorprofessor für Geschichte Großbritanniens ebendort.Forschungsschwerpunkte: Geschichte gerichtlicher und politischer Verfahren, Stadtgeschichte, Diplomatiegeschichte.Wichtigste Publikationen: Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006; Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vor-moderne (mit B. Stollberg-Rilinger), Berlin 2010.