Der Archivar, Heft 3, Juli 2004 - Archive NRW

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197 Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3 57. Jahrgang · Juli 2004 · Heft 3 INHALT Organisation der Benutzung und Neugestaltung des Benutzersaals im Niedersächsischen Hauptstaatsar- chiv Hannover. Von Manfred von Boetticher ............. 199 Organisation der Nutzung Konzeptionen und Erfahrungen. Das Landesarchiv Berlin. Von Michael Klein ........................................................................................... 203 Archivpädagogische Perspektiven – eine europäische Bilanz. Tagung für Archivpädagogik in Bocholt. Von Dieter Klose, Roswitha Link, Joachim Pieper, Cle- mensRehm,GüntherRohdenburg ............................... 208 Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit mikrobiell kontaminiertem Archivgut. Inhalt und Bedeutung der neuen archivspezifischen „Technischen Regeln für biologische Arbeitsstoffe“ (TRBA 240). Von Hanns Peter Neuheuser ................................................................... 217 Archivtheorie und -praxis Archive und Bestände: Verabschiedung von Dr. Wolfgang Laufer (L. Linsmayer): 225. – Gründung des Verbandes hes- sischer Kommunalarchivarinnen und -archivare (I. Jung): 226. – Das „neue“ Stadtarchiv Münster (A. Gussek-Rever- mann/C. Wilbrand): 227. – Archivbau für Kirchenverwal- tung im Oldenburger Land (W. Baumann): 230. – Das Karl Dedecius Archiv – Ein Projekt der Deutschen Forschungsge- meinschaft (M. Hager): 231. Archivierung, Bewertung und Erschließung: Der Aktenbestand der IG Metall. Ein Erschließungsprojekt des Archivs der sozialen Demokratie (M. Oberstadt/H.-H. Paul): 234. EDV und Neue Medien: Neues Intranetangebot des Landesar- chivs Berlin für die Berliner Verwaltung (M. Klein): 236. Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung: Bemerkungen zu einem archivischen Wissenschaftsdienst (U. Zuber): 238. – Ausstellung „25 Jahre Direktwahlen zum Europäischen Parlament“ des Archivs für Christlich-Demokratische Poli- tik (ACDP) der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augus- tin (R. Schreiner): 240. Aus- und Fortbildung, berufsständische Angelegenheiten: „Die wachsenden Probleme werden durch Zuwarten nicht klei- ner.“ Fortbildungsveranstaltung „Digitale Archivierung. Aktuelle Praxisberichte aus der öffentlichen Verwaltung“ (H.-C. Herrmann/A. Ullmann): 240. Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen: 58. Fachtagung rhein- land-pfälzischer und saarländischer Archivare und Archi- varinnen (W. Müller): 242. – 35. Sitzung der Arbeitsgemein- schaft Archive im Städtetag Baden-Württemberg in Stutt- gart (K. Ernst): 243. – Konstituierende Sitzung der Arbeitsge- meinschaft der nordrhein-westfälischen Stadtarchive des Städtetags NRW (ARGE) (E. Kniese): 244. – „Neue Medien in der Regionalgeschichte. Internet, Mailinglisten und CD- ROM: Forschungsinstrumente – Wissensvermittler – Infoan- gebote“ in Köln. X. Deutzer Gespräch des Landschaftsver- bandes Rheinland (LVR) (W. Rosen): 245. Auslandsberichterstattung Internationales: Mediensammlungen in Deutschland im internationalen Vergleich. Symposion des Netz- werks Mediatheken in Bonn (C. Wagner): 247. – Jah- restagung der IASA-Ländergruppe Deutschland/ Deutschschweiz e. V. in Potsdam-Babelsberg (D. Humbert): 250. Direktor des renommierten Gor´kij-Instituts im Staatsarchiv Marburg (I. Auer- bach): 253. – Widersprüchliche Wahlverwandtschaft – Deutsche und Russen in der Geschichte. Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn (C. Peters): 253. Schweiz: Eine neue Dienstleistung des Archivs der ETH Zürich: Recherche online (M. Unser): 255. Literaturbericht Abkürzungen aus Personalschriften des XVI. bis XVIII. Jahr- hunderts. Bearb. von R. Lenz, U. Bredehorn und M. Wini- arczyk (K. Uhde): 255. – Die Archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. Hrsg. von F. Beck und E. Henning (K. Uhde): 255. – Bauak- tenüberlieferung und Denkmalpflege. Praktische Aspekte zu zwei benachbarten Wirkungskreisen kommunalarchivi- scher Arbeit. Referate des 10. Fortbildungsseminars der Bundeskonferenz der Kommunalarchivare (BKK) vom 16.–18. 10. 2001 in Stendal und ergänzende Beiträge. Red.: H.-J. Höötmann (A. Pilger): 256. – Die Bestände des Lan- deshauptarchivs Schwerin. Band 2. Staatliches Archivgut 1945 –1990. Bearb. von K. Baudis, S. Fritzlar und S. Schlombs (T. Hartisch): 257. – Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre von Isi- dor Fischer, Berlin und Wien 1932–1933. Bände III–IV: Nach- träge und Ergänzungen. Bearb. und hrsg. von P. Voswin- ckel (G. Wiemers): 258. – Chemnitzer Schicksale. Hrsg. vom Chemnitzer Geschichtsverein e.V. 1990 (U. Krieger): 258. – Das Ende reichsstädtischer Freiheit 1802. Zum Übergang schwäbischer Reichsstädte vom Kaiser zum Landesherrn. Begleitband zur Ausstellung „Kronenwechsel – Das Ende reichsstädtischer Freiheit 1802“. Hrsg. von D. Hohrath, G.Weig, M. Wettengel (C. Popp): 259. – G. Haug- Moritz, Der Schmalkaldische Bund 1530–1541/42. Eine Studie zu den genossenschaftlichen Strukturelementen der politischen Ordnung des Heiligen Römischen Reiches Deut- scher Nation (H.-J. Behr): 260. Internet-Handbuch

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197Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

57. Jahrgang · Juli 2004 · Heft 3

INHALT

Organisation der Benutzung und Neugestaltung desBenutzersaals im Niedersächsischen Hauptstaatsar-chiv Hannover. Von Manfred von Boetticher ... . . . . . . . . . . 199Organisation der Nutzung – Konzeptionen undErfahrungen. Das Landesarchiv Berlin. Von MichaelKlein ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203Archivpädagogische Perspektiven – eine europäischeBilanz. Tagung für Archivpädagogik in Bocholt. VonDieter Klose, Roswitha Link, Joachim Pieper, Cle-mens Rehm, Günther Rohdenburg ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit mikrobiellkontaminiertem Archivgut. Inhalt und Bedeutungder neuen archivspezifischen „Technischen Regelnfür biologische Arbeitsstoffe“ (TRBA 240). Von HannsPeter Neuheuser ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Archivtheorie und -praxisArchive und Bestände: Verabschiedung von Dr. WolfgangLaufer (L. Linsmayer): 225. – Gründung des Verbandes hes-sischer Kommunalarchivarinnen und -archivare (I. Jung):226. – Das „neue“ Stadtarchiv Münster (A. Gussek-Rever-mann/C. Wilbrand): 227. – Archivbau für Kirchenverwal-tung im Oldenburger Land (W. Baumann): 230. – Das KarlDedecius Archiv – Ein Projekt der Deutschen Forschungsge-meinschaft (M. Hager): 231.Archivierung, Bewertung und Erschließung: Der Aktenbestandder IG Metall. Ein Erschließungsprojekt des Archivs dersozialen Demokratie (M. Oberstadt/H.-H. Paul): 234.EDV und Neue Medien: Neues Intranetangebot des Landesar-chivs Berlin für die Berliner Verwaltung (M. Klein): 236.Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung: Bemerkungenzu einem archivischen Wissenschaftsdienst (U. Zuber): 238.– Ausstellung „25 Jahre Direktwahlen zum EuropäischenParlament“ des Archivs für Christlich-Demokratische Poli-tik (ACDP) der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augus-tin (R. Schreiner): 240.Aus- und Fortbildung, berufsständische Angelegenheiten: „Diewachsenden Probleme werden durch Zuwarten nicht klei-ner.“ Fortbildungsveranstaltung „Digitale Archivierung.Aktuelle Praxisberichte aus der öffentlichen Verwaltung“(H.-C. Herrmann/A. Ullmann): 240.Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen: 58. Fachtagung rhein-land-pfälzischer und saarländischer Archivare und Archi-varinnen (W. Müller): 242. – 35. Sitzung der Arbeitsgemein-schaft Archive im Städtetag Baden-Württemberg in Stutt-gart (K. Ernst): 243. – Konstituierende Sitzung der Arbeitsge-meinschaft der nordrhein-westfälischen Stadtarchive desStädtetags NRW (ARGE) (E. Kniese): 244. – „Neue Medien in

der Regionalgeschichte. Internet, Mailinglisten und CD-ROM: Forschungsinstrumente – Wissensvermittler – Infoan-gebote“ in Köln. X. Deutzer Gespräch des Landschaftsver-bandes Rheinland (LVR) (W. Rosen): 245.

Auslandsberichterstattung

Internationales: Mediensammlungen in Deutschlandim internationalen Vergleich. Symposion des Netz-werks Mediatheken in Bonn (C. Wagner): 247. – Jah-restagung der IASA-Ländergruppe Deutschland/Deutschschweiz e. V. in Potsdam-Babelsberg(D. Humbert): 250. – Direktor des renommiertenGor´kij-Instituts im Staatsarchiv Marburg (I. Auer-bach): 253. – Widersprüchliche Wahlverwandtschaft –Deutsche und Russen in der Geschichte. Ausstellungim Haus der Geschichte der BundesrepublikDeutschland in Bonn (C. Peters): 253.

Schweiz: Eine neue Dienstleistung des Archivs derETH Zürich: Recherche online (M. Unser): 255.

Literaturbericht

Abkürzungen aus Personalschriften des XVI. bis XVIII. Jahr-hunderts. Bearb. von R. Lenz, U. Bredehorn und M. Wini-arczyk (K. Uhde): 255. – Die Archivalischen Quellen. Miteiner Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften.Hrsg. von F. Beck und E. Henning (K. Uhde): 255. – Bauak-tenüberlieferung und Denkmalpflege. Praktische Aspektezu zwei benachbarten Wirkungskreisen kommunalarchivi-scher Arbeit. Referate des 10. Fortbildungsseminars derBundeskonferenz der Kommunalarchivare (BKK) vom16.–18. 10. 2001 in Stendal und ergänzende Beiträge. Red.:H.-J. Höötmann (A. Pilger): 256. – Die Bestände des Lan-deshauptarchivs Schwerin. Band 2. Staatliches Archivgut1945–1990. Bearb. von K. Baudis, S. Fritzlar undS. Schlombs (T. Hartisch): 257. – Biographisches Lexikonder hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre von Isi-dor Fischer, Berlin und Wien 1932–1933. Bände III–IV: Nach-träge und Ergänzungen. Bearb. und hrsg. von P. Voswin-ckel (G. Wiemers): 258. – Chemnitzer Schicksale. Hrsg. vomChemnitzer Geschichtsverein e.V. 1990 (U. Krieger): 258. –Das Ende reichsstädtischer Freiheit 1802. Zum Übergangschwäbischer Reichsstädte vom Kaiser zum Landesherrn.Begleitband zur Ausstellung „Kronenwechsel – Das Endereichsstädtischer Freiheit 1802“. Hrsg. von D. Hohrath,G. Weig, M. Wettengel (C. Popp): 259. – G. Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund 1530–1541/42. EineStudie zu den genossenschaftlichen Strukturelementen derpolitischen Ordnung des Heiligen Römischen Reiches Deut-scher Nation (H.-J. Behr): 260. – Internet-Handbuch

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DER ARCHIVAR. Mitteilungsblatt für das deutsche Archivwesen

Herausgegeben vom Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf. Schriftleitung: Peter Dohms in Verbindung mit WilfriedReininghaus, Ulrich Soénius, Volker Wahl und Klaus Wisotzky. Verantwortlich: Peter Dohms, Mitarbeiter: Meinolf Woste, Landesarchiv Nordrhein-Westfa-len, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf, Tel. 02 11/15 92 38–800 (Redaktion), –801 (Peter Dohms), –802 (Meinolf Woste), –803 (Petra Daub),Fax 02 11 /15 92 38-888, E-Mail: [email protected]. Druck und Vertrieb: Franz Schmitt, Kaiserstraße 99–101, 53721 Siegburg, Tel. 0 22 41/6 29 25,Fax 0 22 41/5 38 91, E-Mail: [email protected], Postbank Köln, BLZ 370 100 50, Kto. 7058-500. Die Verlagsrechte liegen beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. Amtliche Bekanntmachungen sowie Manuskripte, Mitteilungen und Besprechungsexemplare bitten wir an die Schriftleitung zu senden. ZumAbdruck angenommene Arbeiten gehen in das unbeschränkte Verfügungsrecht des Herausgebers über. Dies schließt auch die Veröffentlichung im Internetein (http://www.archive.nrw.de/archivar). Die Beiträge geben die Meinungen ihrer Verfasser, nicht die der Schriftleitung wieder. Bestellungen und Anzei-genverwaltung (Preisliste 17, gültig ab 1. Januar 2004) beim Verlag F. Schmitt, Kaiserstraße 99–101, 53721 Siegburg, Tel. 0 22 41/6 29 25, Fax 0 22 41/5 38 91,E-Mail: [email protected], Postbank Köln, BLZ 370 100 50, Kto. 7058-500. Zuständig für den Anzeigenteil: Sabine Prediger im Verlag F. Schmitt. –„Der Archivar“ erscheint viermal jährlich. Die Beihefte werden in zwangloser Reihenfolge herausgegeben. Der Bezugspreis beträgt für das Einzelheft einschl.Porto und Versand 8,– EUR im Inland, 9,– EUR im Ausland, für das Jahresabonnement im Inland einschl. Porto und Versand 32,– EUR, im Ausland 36,– EUR.ISSN 0003-9500.

Hinweis für VdA-Mitglieder: Geänderte Anschriften und Bankdaten sind ausschließlich an folgende Adresse zu melden: VdA-Geschäftsstelle, Postfach 2119,D-99402 Weimar, Tel. 0 36 43 / 870-235, Fax 0 36 43 / 870-164; E-Mail: [email protected]. Internet: www.vda.archiv.net. – Bankverbin-dungen: Konto für Mitgliedsbeiträge des VdA: Sparkasse Regensburg (BLZ 750 500 00), Konto-Nr. 16675; Konto für Spenden an den VdA: Sparkasse Regens-burg (BLZ 750 500 00), Konto-Nr. 17475.

Geschichte. Hrsg. von S. Jenks und S. Marra (M. Schaupp):260. – U. Kiehl, Die Literatur im Bezirk Leipzig 1945–1990.Eine Bibliographie der Bücher und Zeitschriften (G. Röska):261. – Olpe – Geschichte von Stadt und Land. Bd. 1: Von denAnfängen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Red.:G. Becker, J. Wermert und M. Wolf (R. Quaschny): 261. –Preußen an Peel, Maas und Niers. Das preußische Herzog-tum Geldern im 18. Jahrhundert. Hrsg. von S. Frankewitz(H.-J. Behr): 262. – R. Sprandel, Das Würzburger Ratsproto-koll des 15. Jahrhunderts. Eine historisch-systematischeAnalyse (W. Tittmann): 263. – T. Urban, Überleben und Ster-ben von Zwangsarbeitern im Ruhrbergbau (M. Zimmer-mann): 263. – Zwangsarbeit in Düsseldorf. „Ausländerein-satz“ während des Zweiten Weltkrieges in einer rheinischenGroßstadt. Hrsg. von C. von Looz-Corswarem in Zusam-menarbeit mit R. R. Leissa und J. Schröder (W. Antweiler):264.

Kataloge zu Archivalienausstellungen (zusammengestelltvon Meinolf Woste).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

PersonalnachrichtenZusammengestellt von Meinolf Woste ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

NachrufeJosef Hemmerle † (A. Liess):.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

Kurzinformationen, VerschiedenesAdressen, Ruf- und Faxnummern: 269. – „Management inArchiven“ – das bundesweite Qualifizierungsprogrammder FH Potsdam, der Freien Universität Berlin und derHumboldt-Universität zu Berlin beginnt im November 2004:270. – Aufruf nach Farbfilmarchivmaterial (K. Jürgen-sen/M.-D. Dormis): 270. – Veranstaltungstermine: 270.

Mitteilungen des Verbandes Deutscher Archivarin-nen und Archivare e. V.Informationen und Hinweise aus der Geschäftsstelle(T. Bauer): 273. – Tagungen: 273.

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Organisation der Benutzung und Neugestaltung des Benutzersaals imNiedersächsischen Hauptstaatsarchiv Hannover1

Von Manfred von Boetticher

Allgemeines

Das Niedersächsische Hauptstaatsarchiv Hannover ist mitca. 36.000 lfm Urkunden und Akten aus einem Zeitraumvon über 1000 Jahren das mit Abstand größte der siebenniedersächsischen Staatsarchive. Die Zahl der festen Mit-arbeiter beläuft sich zur Zeit einschließlich 27 befristeter,aus Drittmitteln finanzierter Kräfte auf 85, davon 8 Fach-kräfte im höheren und 8 im gehobenen Archivdienst.Zuständig ist das Hauptstaatsarchiv für die Überlieferungaus den ehemaligen Territorien bzw. RegierungsbezirkenCalenberg/Hannover, Lüneburg und Hildesheim – für diebeiden letztgenannten bis zum Stichjahr 1978 –, zudem fürdie zentrale Überlieferung des Landes Hannover (Kur-fürstentum/Königreich/Provinz) sowie – seit 1946 – fürdie Überlieferung der obersten Landesbehörden des seit-dem bestehenden Landes Niedersachsen.

Die Benutzerzahlen liegen durchschnittlich bei jährlich1300 mit insgesamt ca. 4000 Benutzertagen. Eine statisti-sche Differenzierung der Benutzer nach Benutzungs-zweck wird nicht mehr vorgenommen. Mehrheitlich han-delt es sich um Akteneinsicht für wissenschaftliche undheimatkundliche Arbeiten. Familienkundliche Benutzun-gen halten sich in Grenzen, da nur verhältnismäßigwenige Kirchenbücher bzw. Kirchennebenbücher insHauptstaatsarchiv gelangt sind. Amtliche Benutzungenbilden die Ausnahme.

Das Archiv residiert in Hannover im ältesten Archiv-zweckbau Deutschlands, der in den Jahren 1713–1725 imZusammenhang mit der Vergrößerung des Kurfürsten-tums Hannover um das bis 1705 selbständige welfischeFürstentum Lüneburg errichtet wurde („Am Archiv 1“).Ursprünglich zur Unterbringung von landesherrlichemArchiv und landesherrlicher Bibliothek gemeinsam konzi-piert, dient das Gebäude inzwischen allein dem Staatsar-chiv. Nach dem Zweiten Weltkrieg, der bei Überlieferungund Findmitteln zu erheblichen Verlusten geführt hatte,konzentrierten sich die archivischen Überlegungen jahr-zehntelang vor allem darauf, ähnliche Verluste bei künfti-gen kriegerischen Ereignissen zu vermeiden. 1972 wurdedeshalb in Pattensen auf dem flachen Land (15 km vonHannover entfernt) eine Außenstelle mit einer großenMagazinkapazität errichtet, um die in den letzten Jahrenein Neubaugebiet entstanden ist. Mit der Begründungeiner dort höheren Sicherheit wurden die älteren wertvol-len Bestände im Außenmagazin Pattensen eingelagert.

Da die Lagerungskapazitäten im alten Archivbau inHannover seit längerem erschöpft sind, gelangen inzwi-schen sämtliche Neuzugänge nach Pattensen. Ein Dienst-wagen transportiert täglich einmal Akten aus dem Außen-

1 Bei dem Beitrag handelt es sich um einen Vortrag, den der Verf. am28. März 2003 auf der 3. Frühjahrstagung der Fachgruppe 1 (Archivarean staatlichen Archiven) im VdA – Verband deutscher Archivarinnenund Archivare e. V. gehalten hat.

magazin zur Benutzung nach Hannover. Ein eigener Find-buchraum mit Duplikaten der im Haupthaus einstehen-den Findbücher sowie ein kleiner Benutzersaal (auf denich hier nicht eingehe) ermöglichen daneben eine Akten-einsicht auch in Pattensen. Beide Häuser haben inzwi-schen eine gemeinsame Telefonanlage (mit Vorwahl Han-nover) und ein gemeinsames EDV-Netz, so dass interneNachrichten von beiden Seiten aus in gleicher Weise einge-geben und abgefragt werden können und beim Verzeich-nen sowie bei der Recherche von Akten von beiden Häu-sern aus auf eine gemeinsame archivische Datenbank ingleicher Weise zugegriffen werden kann.

Grundsätzlich gilt, dass Archivalien aus dem Außen-magazin im Haupthaus in Hannover vorgelegt werdenkönnen, nicht umgekehrt auch Akten aus dem Haupthausin Pattensen. Da dort jeweils nur zwei Facharchivare ihrefesten Arbeitsplätze haben, soll insbesondere die zeitin-tensivere Erstberatung der Benutzer im Haupthaus statt-finden. Beide Benutzersäle sind montags bis freitags von8.00 Uhr bis 16.00 Uhr geöffnet, der in Hannover zusätz-lich dienstags und donnerstags bis 18.30 Uhr.

Soweit kein überwiegendes öffentliches Interesse füreine Akteneinsicht glaubhaft gemacht werden kann, hatjeder Benutzer pro Arbeitstag 9,00 C zu entrichten; mitdeutlichem Preisnachlass ist eine 5er-Karte für 29,00 C zuerwerben. (Ein „öffentliches Interesse“ liegt in der Regelvor, wenn eine nicht-kommerzielle landesgeschichtlicheVeröffentlichung geplant ist.)

Anfang der 80er Jahre wurde das Archivgebäude inHannover vollständig umgebaut. Seit Ende 2002 erfolgteerneut eine gründliche Renovierung und Erweiterung desBenutzersaals, die zum 1. April 2003 abgeschlossen war.Grund für die letzte Renovierung waren vor allem diegewandelten Bedürfnisse der Benutzer. Waren die Planun-gen der 70er Jahre noch vom Erfordernis gesonderterSchreibmaschinenräume ausgegangen, wurden nun dieBedingungen des Computers bestimmend. An sämtlichenBenutzerplätzen waren Anschlüsse für elektrischen Stromund ans EDV-Netz des Hauses (und ans Internet) zu schaf-fen. Zunehmend sollen die Benutzer dadurch an virtuelleFindbücher herangeführt werden können, deren Erarbei-tung derzeit eine der großen Herausforderungen an dieniedersächsischen Staatsarchive darstellt. Mit demUmbau sollten zudem die Arbeitsfläche der Benutzer-plätze erweitert und die Zahl der Arbeitsplätze im Benut-zersaal vermehrt werden. (Formal ist die Zahl von 26 auf31 Plätze gestiegen, de facto liegen die künftigen Arbeits-möglichkeiten im Vergleich zu früher erheblich höher, dasich bislang die Benutzer in der Regel über zwei Arbeits-plätze ausbreiteten). Ebenso sollte der Ablauf der Benut-zerberatung optimiert werden. Ein weiterer Effekt: Dieinzwischen strengeren Auflagen des Denkmalschutzesführten zu erheblich helleren Räumlichkeiten und zu einerbesseren Betonung der alten und in der Stadt Hannovernach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs einmali-gen Bausubstanz des Archivgebäudes.

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Vorbereitung der Benutzung: Nachweis der Aktentitel

Für die staatliche Überlieferung bis 1945 sowie für denüberwiegenden Teil der nicht staatlichen Überlieferungliegen ausführliche, gedruckte Beständeübersichten vor,mit Hilfe derer sich die Benutzer in sämtlichen größerendeutschen Bibliotheken informieren können. Ergänzenddazu sind einzelne gedruckte bestandsübergreifendeInventare hervorzuheben. Dazu zählen die viel benutzten„Bauernquellen“ (eine Zusammenstellung personenge-schichtlicher Quellen nach einzelnen Dörfern undÄmtern), die „Soldatenquellen“ (eine systematischeZusammenstellung der im Hauptstaatsarchiv vorhande-nen militärischen personengeschichtlichen Quellen) sowieein bestandsübergreifendes Inventar zur Krisenzeit derRepublik von Weimar. Anhand dieser überall zugängli-chen Verzeichnisse können die Benutzer einen Archivbe-such leicht vorbereiten. Für die Archivbedienstetenerleichtert sich dadurch die Beantwortung von Standard-Anfragen erheblich.

Erwähnen möchte ich an dieser Stelle die Reihe auf ein-zelne Urkundenfonds bezogener Urkundeneditionen,deren Zahl in Niedersachsen in den letzten Jahren kräftiggewachsen ist. Durch die großen Kriegsverluste hat sich inden niedersächsischen Archiven die Erkenntnis durchge-setzt, dass die mittelalterliche Überlieferung allein durcheine Publikation wirklich zu sichern ist. Zudem wird beijedem Urkundenbuch durch Heranziehung sekundärerÜberlieferungen ein Teil der verbrannten Urkundenzumindest dem Inhalt nach rekonstruiert. Hervorzuhebenist ferner, dass durch die Verbreitung von Urkunden ingedruckter Form ein Großteil schwer zu beantwortenderBenutzeranfragen nicht mehr gestellt wird bzw. sich aufReproduktionswünsche reduziert.

An einem Internetauftritt der niedersächsischen Staats-archive, durch den verwaltungsgeschichtliche Überblickefür jeden Bestand sowie eine Darstellung von dessenjeweiliger regionaler Zuständigkeit vermittelt werden sol-len, wird derzeit gearbeitet. Noch für das Jahr 2003 ist vor-gesehen, auch digitale Findbücher selbst ins Netz zu stel-len. Die entsprechende Erfassung der Akten ist für dieÜberlieferung seit 1945 sowie bei der Überlieferung derallgemeinen staatlichen Verwaltung (Regierungspräsi-denten, Ämter, allgemeine Gerichte, Kartenabteilung) mitHilfe des niedersächsischen Archiv-EDV-ProgrammsAIDA bereits weit vorangekommen. Ferner ist eine dritt-mittelfinanzierte Erhebung von Auswandererdaten her-vorzuheben, die bereits jetzt einen Quellennachweis zuzahlreichen einzelnen Personen über das Internet ermög-licht.

Die Zahl im Druck erschienener Bestandsfindbücher(wie z. B. für den wichtigen Bestand des PreußischenOberpräsidenten der Provinz Hannover) ist demgegen-über beim niedersächsischen Hauptstaatsarchiv gering.Im Hinblick auf den geplanten Internet-Auftritt sollen sol-che Projekte auch weiterhin nur in Ausnahmefällen ver-folgt werden (z. B. – in Anlehnung an die entsprechendenPublikationen in anderen Bundesländern – bei den Find-büchern zu den Akten des Reichskammergerichts).

Die überwiegende Zahl der Benutzer fragt vor demArchivbesuch schriftlich an, um sich über die Überliefe-rungslage zu unterrichten oder um sich zu vergewissern,

ob sich ein Archivbesuch lohnt. Telefonische Erstanfragenwerden auf den schriftlichen Weg verwiesen – gern auchals Fax oder als E-Mail, über das inzwischen ein Drittel derAnfragen abgewickelt wird. Bei schriftlichen Anfragen,deren Antwort eine detailliertere Akteneinsicht voraus-setzt, werden die Anfragenden auf eine persönliche Benut-zung verwiesen. Die schriftlichen Antworten der Archi-vare sollen sich in der Regel auf die Mitteilung beschrän-ken, ob bzw. welches einschlägige Archivgut im Nieder-sächsischen Hauptstaatsarchiv vorhanden ist, das dasGesuchte enthalten könnte und das bei der Benutzungausgewertet werden sollte. Die Zuschreibung der Anfra-gen erfolgt möglichst gleichmäßig an sämtliche Archiva-rinnen und Archivare, gewisse Vorlieben oder Spezialisie-rungen werden bisweilen berücksichtigt, sind für eineZuschreibung aber nicht ausschlaggebend.

Eine Reservierung von Plätzen im Benutzersaal war bis-lang nicht erforderlich und wird nach der jetzigen Erweite-rung auch in absehbarer Zukunft nicht nötig sein. Soweiteinem Benutzer einzelne Signaturen vorab bekannt sind,werden ihm die entsprechenden Akten bei rechtzeitigerschriftlicher oder telefonischer Vorbestellung gern auchvor seinem Erstbesuch bereitgelegt.

Ansonsten beginnt der Archivbesuch in der Regel mitder Durchsicht der vorhandenen Findbücher (EDV-Aus-drucke, maschinengeschriebene Findbücher oder überar-beitete Abgabelisten) – sei es, dass dem Benutzer das Vor-handensein dieser Findmittel vorab schriftlich mitgeteiltwurde, sei es, dass ihm diese nach einem Eingangsge-spräch vorgelegt werden.

Der Ablauf der Benutzerbetreuung hat dabei nachAbschluss des Umbaus wesentliche Veränderungen erfah-ren, die auch von den baulichen Gegebenheiten herbegründet sind: Bislang hatte ein Benutzer zunächst an derAnmeldung einen Benutzungsantrag auszufüllen (Anga-ben zu Person, Auftraggeber sowie Thema oder Zweckder geplanten Nachforschungen), der anschließend voneinem Magaziner zur Leitung des Hauses gebracht wurde.Dort erfolgte die Genehmigung sowie eine Zuweisung zurBeratung durch einen Archivar, der gegebenenfalls imHause gesucht werden musste, bevor er sich beim Benut-zer einfinden konnte. Dies galt auch bei Benutzern, diebereits eine schriftliche Mitteilung über für sie in Fragekommende Bestände vorweisen konnten. In einem folgen-den Beratungsgespräch im Bereich der Anmeldung oderim Beratungszimmer wurden dem Benutzer von seinemBerater im Benutzersaal die erforderlichen Findbüchervorgelegt. Weitere Fragen waren an die täglich wech-selnde Benutzersaalaufsicht zu richten, die vormittagsvom gehobenen Dienst und nachmittags vom höherenDienst wahrgenommen wurde. Der Abenddienst sowieder Dienst am Freitag Nachmittag erfolgten nach einemsämtliche Mitarbeiter einschließenden Plan. Künftig gilteine andere Regelung: Der Benutzer geht mit dem ausge-füllten Benutzungsantrag am Rand des Benutzersaals ent-lang zur Benutzersaalaufsicht, als die eine ausschließlichdafür zuständige Kraft Dienst tut. Lediglich Abend- undFreitag-Nachmittag-Dienst werden weiterhin von sämtli-chen Mitarbeitern wahrgenommen. Stehen mehrereBenutzer zur Beratung an, dient der vor dem Aufsichts-raum liegende, vom Benutzersaal aus erreichbare Aufent-haltsraum als Wartezimmer. Findbücher werden aus demauf der anderen Seite des Aufsichtsraums vom Benutzer-saal aus erreichbaren Findbuchraum vorgelegt. Durch

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eine weitere Tür kann der Findbuchraum im Übrigen auchvom rückwärtig liegenden, nicht zum Öffentlichkeitsbe-reich gehörenden Treppenhaus aus erreicht werden, ohnedass man den Benutzersaal betreten muss. ZusätzlicheHilfe – vor allem bei Erstberatungen – kann gegebenen-falls aus dem Kreis der Archivarinnen und Archivare nacheinem bei der Aufsicht vorgegebenen Dienstplan bzw.einer Aufstellung jeweiliger Spezialisten jederzeit telefo-nisch angefordert werden. Bei Bedarf sollen zusätzlicheBeratungsgespräche durch die Archivare im „Wartezim-mer“ stattfinden. Das genehmigende Gegenzeichnen derBenutzungsanträge durch die Leitung des Hauses erfolgtmehrmals täglich im Block bei obligatorischen Gängendurch den Benutzersaal.

Durch das neue Verfahren entfallen für die Benutzerzum Teil erhebliche Wartezeiten im Anmeldungsbereich.Auch ohne vorangehende Korrespondenz können ihnenmeist schon sofort einige einschlägige Findbücher vorge-legt werden. Ergänzende Findmittel werden bei Bedarfnachgereicht. Ferner kann ein Mitarbeiter des einfachenDienstes, der bislang vorwiegend damit beschäftigt war,den Chef und anschließend einen Referenten mit jedemeinzelnen Benutzerantrag aufzusuchen, im Wesentlichenmit Magazinaufgaben betraut werden. Zur Entlastung derAufsicht sind für erfahrenere Benutzer Zweitschrifteneines Teils der Findbücher im Benutzersaal aufgestellt, diedort unmittelbar eingesehen werden können.

Der Einsatz virtueller Findbücher im Benutzersaal istbislang noch gering, da dies bis zur Einführung abgestuf-ter Zugangsberechtigungen in der nächsten Entwick-lungsvariante des niedersächsischen EDV-ProgrammsAIDA nur im Stand-alone-Betrieb möglich ist. Die hard-ware-mäßigen Voraussetzungen für eine solche Entwick-lung sind jedoch durch den Umbau bereits gegeben.

Eingehen möchte ich an dieser Stelle auch auf die archi-tektonischen Veränderungen, die der jetzige Umbaubringt. Durch die Entfernung von Zwischenwänden undden Einbau von Glaswänden und Glastüren bei Aufent-haltsraum, Aufsichtsraum und Findbuchraum erhält der

Benutzersaal von beiden Seiten her Tageslicht. Glaswändeim Eingangsbereich und zum Treppenhaus hin eröffnenbereits beim Betreten des Archivgebäudes eine neue Sicht-achse, die nicht zuletzt auch wieder die alten Gewölbe zurGeltung bringt und damit eine „Transparenz“ im eigentli-chen Wortsinn erlaubt.

Organisation der Aktenbestellung und -vorlage

Die Signaturen der gewünschten Akten sind vom Benut-zer auf Bestellzetteln einzutragen. Dies sind schmale Blät-ter mit Durchschlagpapier, auf denen jeweils auch dasDatum, der Name und der Wohnsitz des Bestellenden zuvermerken sind. Für jede Akte ist grundsätzlich einBestellzettel auszufüllen, lediglich drei unmittelbar aufei-nander folgende Aktensignaturen dürfen auch auf einemBestellzettel eingetragen werden. Bei telefonischen Bestel-lungen, die bislang nicht überhand genommen haben,werden die Bestellzettel von der Benutzersaalaufsicht aus-gefüllt. Als Obergrenze gilt dabei in der Regel eine Bestel-lung von 15 Akten pro Benutzer und Tag.

Die Bestellzettel werden bei den Magazinern abgege-ben und dort nach dem Lagerungsort der Akten (Hanno-ver oder Pattensen) sortiert. Bestellzettel für Pattensenwerden vom Dienstwagen täglich zwischen 11.00 und12.00 Uhr mitgenommen. Die Akten können in der Regelam folgenden Werktag ab 10.00 Uhr ausgehändigt wer-den. Bestellzettel für die im Haupthaus lagernden Aktenwerden von den Magazinern viermal pro Tag zu festge-setzten Stunden abgeholt, die entsprechenden Akten denBenutzern meist schon nach kurzer Zeit vorgelegt. AlsBeleg für die Aktenentnahme verbleibt die jeweiligeZweitschrift des Bestellzettels im Magazinregal.

Dies bedeutet, dass nach 12.00 Uhr eingehende Bestel-lungen für Pattensen erst am übernächsten Tag realisiertwerden können. In Härtefällen wird deshalb durch die

Der neue Benutzersaal des Nieder-sächsischen Hauptstaatsarchivs inHannover

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Benutzersaalaufsicht häufig versucht, die Aktenbestel-lung aus Pattensen telefonisch zu beschleunigen. Im Übri-gen steht es den Benutzern frei, die Archivalien auch imMagazin Pattensen einzusehen, wo die Akten meist schonwenige Minuten nach der Bestellung vorgelegt werden.

Um die Akten auszuheben, haben die Magaziner nachihrer Erfahrung die jeweils günstigsten Wege im Magazinselbst zu bestimmen. In der künftigen edv-unterstütztenBenutzer- und Magazinverwaltung, die zur Zeit konzi-piert wird, ist jedoch eine automatische Wegeoptimierungvorgesehen.

Die Aktenausleihe an die Benutzer wird in einer inzwi-schen elektronischen Aktenkladde protokolliert, wobeibislang mit Hilfe einer Word-Anwendung die Signaturender ausgeliehenen Akten nach den einzelnen Benutzern zu„Tagesklumpen“ zusammengefasst wurden. Für spätereBenutzungen kann eine Akte befristet im Benutzersaalzurückgelegt werden, ihre endgültige Rückgabe wird inden Aktenkladde kenntlich gemacht. Der Nachweis ein-zelner Benutzer, Daten oder Signaturen war bislang alleinmit der Suchroutine von Word möglich; bis zur Fertigstel-lung der künftigen elektronischen Benutzer- und Maga-zinverwaltung erfolgt seit der Neueröffnung des Benut-zersaals ein komfortabelerer Nachweis mit Hilfe des Pro-gramms Access. Der Name des Benutzers und der Tag derBenutzung werden zudem bei der Ausleihe auf einemBenutzerblatt vermerkt, das beim Verpacken jeder einzel-nen Akte beigefügt wird. (Bei mit AIDA erfassten Aktenkönnen die entsprechenden Benutzerblätter mit dem Auf-druck des jeweiligen Aktentitels im Kopfbereich im Übri-gen bestands- bzw. akzessionsweise jederzeit vom Rech-ner abgerufen werden.) Falls bei einer Akte Unregelmä-ßigkeiten festgestellt werden, sind dadurch selbst weitzurückliegende Benutzungen auch später noch nachzu-vollziehen.

Zur Einhaltung der Schutzfristen gesperrter Akten gel-ten folgende Regelungen: Akten mit noch laufendenSchutzfristen (sei es aufgrund der allgemeinen 30-Jahres-Schutzfrist, sei es anhand des Kriteriums „zur Persongeführt“) sind in den EDV-Findbüchern, die den Benut-zern regulär vorgelegt werden sollen, nicht ausgeworfen.Diese Akten erhalten bei der Verpackung zudem einenentsprechenden Hinweis. Ihre unkontrollierte bzw. verse-hentliche Vorlage an Unbefugte ist dadurch zumindestunwahrscheinlich. Im Übrigen sind die im BenutzersaalDienst tuenden Magaziner gehalten, vor jeder Aktenvor-lage eventuelle Schutzfristen auch von den Akten selbsther zu überprüfen.

Nach der archivgesetzlichen Regelung besteht dennochdie Möglichkeit, die meisten gesperrten Akten vorzule-gen, wenn beim Benutzer gewisse Voraussetzungen erfülltsind und vorab ein dafür vorgesehener schriftlicher„Ergänzungsantrag“ gestellt wird. Unter anderem kannder Benutzer dabei zu einer anonymisierten Veröffentli-chung oder zum Verzicht von Reproduktionen verpflich-tet werden. Die Ergänzungsanträge sind in jedem Fall voreiner Aktenvorlage vom Dienststellenleiter zu genehmi-gen.

Zur Vermeidung von Diebstählen wird der Benutzer-saal vom Aufsichtsplatz aus durch eine Glasscheibe einge-sehen. Für die abgelegenen Winkel des Benutzersaals istaußerdem eine Monitorüberwachung vorhanden, die vomPlatz der Benutzersaalaufsicht und vom Platz der Anmel-dung her durchgeführt wird.

Zur Schonung der Akten liegt für einige häufigbenutzte oder beschädigte Bestände bzw. Aktengruppeneine Ersatzverfilmung als Mikrofiches vor, die an entspre-chenden Lesegeräten im Benutzersaal statt der Akten zurVerfügung gestellt werden. Nur in begründeten Ausnah-mefällen darf bei diesen Beständen ein originales Archi-vale vorgelegt werden.

Ebenfalls zur Schonung der Akten ist seit kurzem imNiedersächsischen Hauptstaatsarchiv das bislang eifriggenutzte Selbstbedienungskopiergerät aus dem Benutzer-bereich verbannt worden. Nach Abschluss der Umstel-lung der Fotowerkstatt auf berührungsfreie digitale Auf-nahmeverfahren ist vorgesehen, Reproduktionen für dieBenutzer nur noch in digitaler Form herzustellen. Angebo-ten werden dazu lediglich noch Ausdrucke in Standard-maßen und -qualität; anspruchsvollere Wiedergaben wer-den dagegen von einer beauftragten Firma vorgenommen,oder ihre Realisierung bleibt dem Benutzer überlassen.

Benutzeranträge und elektronische Aktenkladde wer-den jährlich nach Benutzern, angegebenen Themen undvorgelegten Akten hin ausgewertet. Auf dieser Basis wirdeine elektronische Benutzerdatei fortgeführt, die auf dieBenutzerakten verweist und bei späteren Anfragen vonBedeutung ist. Weiterhin dient dies der Vervollständigungeiner elektronischen Generalkartei, die Themenschlag-worte, Benutzer und vorgelegte Akten miteinander inRelation setzt und damit künftige Recherchen erleichternsoll; an diesem Punkt sind für die Zukunft allerdings nochetliche Verbesserungen nötig und vorgesehen. Undschließlich geht die auf diese Weise festzustellende Benut-zungshäufigkeit eines Bestandes als ein Kriterium einin einen Prioritätenkatalog zur Bestimmung der Reihen-folge bei der Restaurierung und bei der Schutz- bzw.Sicherheitsverfilmung einzelner Bestände und Akten-gruppen.

Ein mit der Archiv-EDV AIDA verknüpftes Lagerhal-tungs- und Archiv-Verwaltungs-Programm, das diegenannten Aufgaben miteinander verbindet und dengesamten Bereich von Magazinierung, Ausleihe und jähr-licher Auswertung begleiten soll, wird für die niedersäch-sischen Staatsarchive zur Zeit konzipiert.

Weitergehende Fragen

Eine spezielle Information der Archivare über die Ergeb-nisse der Benutzungen über die genannten Verweissys-teme hinaus ist nicht beabsichtigt. Soweit die Einsicht-nahme in Akten des Hauptstaatsarchivs zu Veröffentli-chungen führt, sind die Benutzer archivgesetzlich ver-pflichtet, dem Archiv ein kostenloses Belegexemplar zuüberlassen. Eine Überwachung dieser Pflicht wird vomLeiter der Dienstbibliothek anhand von Benutzerkarteiund Neuerscheinungs-Verzeichnissen vorgenommen.Neuzugänge der Dienstbibliothek finden sich in einemgesonderten Regal und können von den Archivaren lau-fend eingesehen werden.

Für private Archiv-Recherche-Firmen und amtlicheNutzungen gelten grundsätzlich dieselben Bedingungenwie für andere Benutzer. Beim bisherigen Dienstbetrieb istes dadurch zu keinerlei Auffälligkeiten gekommen. Schu-len und Hochschulen melden sich bisweilen zu einem

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gruppenweisen Archivbesuch an. In der Regel ist dies abernur der Fall, wenn der Lehrer bzw. Dozent bereits als lang-jähriger Besucher des Hauptstaatsarchiv einschlägigeArchiverfahrungen besitzt. Grundsätzlich hat in solchenFällen jedes Mitglied der Gruppe einen eigenen Benut-zungsantrag auszufüllen.

Um mich nicht weiter in der Beschreibung vonLösungsversuchen von Einzelproblemen zu ergehen,abschließend noch einmal die grundsätzliche Konzeption:Das Hauptstaatsarchiv Hannover versteht sich als Dienst-leistungseinrichtung, die sowohl im Interesse der Schrift-bzw. Archivgut erzeugenden niedersächsischen Landes-verwaltung als auch der Benutzer tätig ist und die deshalbnachdrücklich darum bemüht ist, Transparenz zu schaf-fen. Das bedeutet, dass alle verfügbaren Kräfte darangesetzt werden, Tektonik und Inhalt des Archivs fürpotentielle Benutzer schon im Vorfeld ihres Besuchsbekannt zu machen; dass den Besuchern zu Beginn ihrerArbeit möglichst umfassende Findmittel zur Verfügunggestellt werden.

Das bedeutet aber nicht, dass für einen einzelnen Benut-zer ein ganzer Mitarbeiterstab in Bewegung gesetzt wer-den muss. Nach wie vor sollen die Archivarinnen undArchivare herangezogen werden, um eine rasche undoptimale Beratung zu gewährleisten. Ziel ist es jedoch,Routineanfragen von diesen fernzuhalten, damit sie ihregesamte Kraft darauf konzentrieren können, ihre archivi-schen Hauptaufgaben – Bewertung, Übernahme undErschließung – zu erfüllen und in diesem Zusammenhangdie allgemein zugänglichen Informationsmöglichkeitenzu den Beständen des Hauptstaatsarchivs weiter zu ver-bessern.

Zum Umbau des Benutzersaals im NiedersächsischenHauptstaatsarchiv

Am Anfang stand die Idee zur Verbesserung und Verschö-nerung der an sich schon schönen Räumlichkeiten. Manwollte die Architektur besser zur Geltung bringen undeinige Unzulänglichkeiten abstellen. Die Beleuchtung warquantitativ und qualitativ unzureichend, der Bodenbelagziemlich verbraucht und relativ dunkel, die Brandmelde-anlagen und der Brandschutz unzureichend und dieKameraüberwachung mangelhaft.

Gemeinsam mit dem Staatlichen Baumanagement Han-nover I und der Denkmalpflege wurde nachgedacht, wur-den die funktionellen Abläufe verbessert, das Findbuch-zimmer und die Aufsicht verlegt, der frühere Wartebe-reich im Eingang dem Nutzerbereich als Kartenecke mitguter Beleuchtung zugeschlagen, ein neuer, hellerer Tep-pichboden großflächig verlegt und neue frische und funk-tionale Arbeitstische, Stühle und Tischleuchten bestellt.Die Überlegungen und Planungen fanden 2002 statt. Am13. Januar dieses Jahres kamen die Handwerker. Sie blie-ben 50 Werktage und waren bis auf Kleinigkeiten bis zum21. März 2003 fertig. Einschließlich Nebenkosten habendie Umbauarbeiten ca. 157.000 C gekostet, die aus diver-sen Quellen gezapft wurden.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Entstanden sindmehr und bessere Arbeitsplätze für die Benutzer, derRaum ist heller und qualitätsvoller beleuchtet, er ist über-sichtlicher und großzügiger und eignet sich auch besserfür Veranstaltungen. Auch der Denkmalschützer kannzufrieden sein.

Wir hoffen, die Benutzer werden sich wohl fühlen.

Organisation der Nutzung – Konzeptionen und Erfahrungen.Das Landesarchiv Berlin1

Von Michael Klein

Benutzung in Archiven dürfte aus Sicht der Benutzerinnenund Benutzer einfach sein: sie hat sich lediglich nach ihrenBedürfnissen zu richten. Auch für die modernen Archiveder Dienstleistungsgesellschaft dürften die Wünsche derBenutzer immer maßgeblicher werden. Anstelle der Frage,was das jeweilige Archiv an Benutzung anbieten kann,dürfte bei der Entwicklung von Benutzungskonzeptenvermehrt die Frage im Vordergrund stehen, was zunächstdie Benutzer wollen. Ein solcher Perspektivenwechselerleichtert es, gewohnte Handlungsmuster zu verlassenund zwingt durch die Formulierung neuer Wünsche dazu,die bestehende Arbeitsorganisation auf Möglichkeiten zuerweiterten Benutzungsangeboten zu hinterfragen. Esversteht sich, dass hierbei eine Vielzahl von Faktoren zuberücksichtigen und in Einklang zu bringen sind. Die

1 Bei dem Beitrag handelt es sich um einen für den Druck geringfügigüberarbeiteten Vortrag, den der Verf. am 28. März 2003 auf der 3. Früh-jahrstagung der Fachgruppe 1 (Archivare an staatlichen Archiven) imVdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e. V. gehaltenhat.

Organisation der Benutzung erweist sich in der prakti-schen Umsetzung der Archive als vielgestaltiger Prozess.

Rahmenbedingungen

Schon der Blick in die Geschäftsverteilungspläne zeigt mitder organisatorischen Einbindung der Benutzung eineerste mögliche Rahmenbedingung. Die Verantwortlichkeitfür sie kann in der Hand einer Mitarbeiterin oder einesMitarbeiters allein liegen. Oder aber es besteht im Archivkein gesonderter Aufgabenbereich „Benutzung“. Diesesist im Landesarchiv Berlin der Fall. Zwar gibt es eineArchivarin vom höheren Dienst, die für die Lesesäle ver-antwortlich ist. Eine andere Kollegin pflegt die Findmittel.Außerdem gibt es noch eine IT-Gruppe, die EDV-gestützteAngebote für Benutzer entwickelt und den elektronischenZugang zum Archivgut optimiert. Aber eine Zusammen-

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fassung all dieser Aufgaben in einer Hand gibt es wie inzahlreichen anderen Häusern nicht. Auch eine dauerhafteingerichtete Arbeitsgruppe kennt man nicht, die Benut-zerwünsche permanent verfolgt und Konzepte für die ver-schiedenen Bereiche, in denen Benutzer mit Archiven inKontakt kommen, koordiniert und weiterentwickelt.Damit dürfte sich das Landesarchiv wenig von zahlrei-chen anderen Staatsarchiven unterscheiden.

Eine weitere Rahmenbedingung für Benutzung schaf-fen die rechtlichen Normen. Hier zeigt sich Berlin sehrliberal, kann doch nach dem Archivgesetz Berlin jeder dasLandesarchiv aufsuchen und Bestände einsehen, ohnedass er dafür ein in anderen Ländern so oft gefordertesberechtigtes Interesse nachweisen muss. Ebenfalls sehrliberal gibt sich die Benutzungsordnung. Sie befindet sichjedoch in Überarbeitung und lehnt sich im Entwurf stärkeran die gelegentlich etwas präziseren, gelegentlich etwasstrengeren Benutzungsordnungen der anderen Länder an.Schließlich sollte keinem Benutzer zugemutet werden,eine Vielzahl verschiedener Vorschriften zu kennen, nurweil er Länder übergreifend Staatsarchive aufsucht.Außerdem schaffen eindeutige Formulierungen derBenutzungsbedingungen Rechtssicherheit für beide Sei-ten und helfen Enttäuschungen bei Benutzern zu vermei-den, die Bestimmungen sonst anders auslegen könnten alssie im Archiv ausgeübt werden. Neben der Benutzungs-ordnung wird im Landesarchiv Berlin derzeit auch dieGebührenordnung überarbeitet. Hier sieht der Entwurferweiterte Leistungen für Benutzer vor, die schon tech-nisch, aber bis zur Inkraftsetzung noch nicht rechtlichdurchzuführen sind, wie der Versand von Reproduktio-nen per Mail. Daneben sollen aber in den Neufassungenbeider Verordnungen manche Bestimmungen erhaltenbleiben, etwa die, dass Vergünstigungen nicht nur Wissen-schaftlern gewährt werden, sondern auch Heimatfor-schern. Das resultiert daraus, dass das Landesarchiv schonvon seiner Herkunft her immer auch ein Kommunalarchivgewesen ist mit einer wohl durchmischteren Kundschaftals sie in den Staatsarchiven der Flächenländer zu findenist.

Ziehen wir diesen Aspekt in Betracht, so müssen auchdas Wesen und das Selbstverständnis eines Archivs alsFaktoren angesehen werden, die die Benutzungskonzepteder Häuser mitbestimmen. Ebenso sind die Räumlichkei-ten, in denen ein Archiv untergebracht ist, zu berücksichti-gen, wenn Benutzungsangebote formuliert werden sollen.Das hat das Landesarchiv in den letzten Monaten deutlichgespürt.

Das Landesarchiv Berlin als Staatsarchiv des LandesBerlin wurde im Jahre 1950 gegründet. In seiner heutigenForm entstand es jedoch erst im Jahre 1991, als das West-Berliner Landesarchiv erstens mit dem Ost-Berliner Stadt-archiv – das aus dem ursprünglichen kommunalen Archivhervorgegangen war –, zweitens mit dem zur 750-Jahrfeierdort herausgelösten Büro für stadtgeschichtliche Doku-mentation und technische Dienste und drittens mit demOst-Berliner Verwaltungsarchiv des Magistrats zum jetzi-gen Landesarchiv Berlin zusammengelegt wurde. NachAuflösung der Landesbildstelle Berlin im Jahr 2000 gingnoch das dortige Foto-, Film- und Tonarchiv mitsamt sei-nem Personal – darunter auch ein eigener Foto- und Film-aufnahmedienst – im Landesarchiv auf.

Das Landesarchiv hat auf diese Weise nicht nur seineAktenbestände auf inzwischen rund 40 lfkm erheblich

erweitert. Es hat vor allem innerhalb von nur zehn Jahrenseit der Wende auch seinen Charakter grundlegendgewandelt. Es ist seitdem nicht mehr nur ein Staatsarchivmit ausgeprägt kommunalarchivischen Zügen. Es nimmtjetzt für das Berliner Stadtgebiet zugleich die Funktioneneines Wirtschaftsarchivs und eines Archivs der Parteienund Massenorganisationen der DDR, oder besser: Ost-Ber-lins, wahr – beide Eigenschaften teilt es dabei mit denstaatlichen Archiven auf ehemaligem DDR-Gebiet. Unddie Übernahme von rund einer Million Fotos sowie vonungezählten Film- und Tonbandmetern der ehemaligenLandesbildstelle macht es zusätzlich zu einem ausgepräg-ten Medienarchiv.

Beschäftigt sind im Landesarchiv rund 80 Mitarbeiter.Hierbei stammt etwa ein Drittel aus der ehemaligen Lan-desbildstelle. Außerdem wird das Landesarchiv in seinenArbeiten durch eine größere Zahl von Zeitarbeitskräftenunterstützt. Folglich ist der Anteil der klassisch durchMarburg, das alte Potsdam oder die Humboldt-Uni ausge-bildeten Archivare eher begrenzt. Zur Zeit sind acht Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter im höheren Dienst und elf imgehobenen Dienst tätig. Doch auch diese Zahlen dürftenangesichts des Berliner Sparzwangs mittelfristig revidiertwerden.

Ungeachtet dessen konnte das Landesarchiv seinBenutzungsangebot in den letzten zwei Jahren deutlichverbessern. Ursache dafür war der Umzug in ein neuesGebäude. Im Sommer 2001 bezog es einen denkmalge-schützten Fabrikbau von 1906, der nach archivfachlichenBedürfnissen umgestaltet worden war und entsprechendden Arbeitsabläufen funktional gegliedert ist. So schließtsich an den Haupteingang ein ausgedehnter Öffentlich-keitsbereich mit Garderobe, Ruhezone, Ausstellungsflä-che, Vortrags- und Filmsaal an. Vor allem liegen hier aberauch alle drei Lesesäle nahe beieinander, so dass Benutzerfür ihre Anliegen gar nicht erst den weitläufigen internenBereich betreten müssen. Mit dem Allgemeinen Lesesaal,an den ein Filmleseraum und ein Findmittelraum grenzen,einem Kartenlesesaal und einem Fotolesesaal verfügt dasLandesarchiv Berlin über ausreichend große und helleRäume, die vorzeitige Reservierungen nicht mehr erfor-derlich machen. Der Allgemeine Lesesaal etwa verfügtüber 43 Arbeitsplätze mit der heute üblichen technischenAusstattung. Wichtigstes Ergebnis des Umzugs war aller-dings, dass die teilungsbedingte Zersplitterung desArchivs auf zwei Benutzungsstandorte und zuletzt vierDepots ein Ende fand. Endlich wurden alle Bestände undBeschäftigten an einem Ort zusammengeführt. Hatte dieAufspaltung viele Jahre dazu geführt, dass Benutzer beiBestellungen bis zu einer Woche zu warten hatten, weildas Archivgut erst aus den Depots geholt werden musste,so verkürzen sich Wartezeiten jetzt auf maximal einen hal-ben Tag. Überdies wird Magazinpersonal nicht länger fürFahrten gebunden, sondern kann im Haus, etwa für Aus-hebungen, eingesetzt werden.

Gleichwohl bereitete die etwas abseitige Lage desneuen Standortes im Norden der Stadt zunächst die Sorge,dass das Landesarchiv von wesentlich weniger Benutzernaufgesucht werden würde als die bisher zentral in der Citygelegenen Lesesäle. Dort konnte bei manchen Benutzern,etwa den Erwerbern so genannter Geburtstagszeitungen,durchaus von Laufkundschaft gesprochen werden. Diesebleibt zwar im neuen Haus aus, nicht zuletzt, weil auchdas Angebot der Geburtstagszeitungen nicht mehr

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besteht. Doch glücklicherweise stellen die äußeren Fakto-ren, auf die ein Archiv bei der Formulierung seines Benut-zungsangebotes nur begrenzten Einfluss hat, in Berlin ins-gesamt kein unüberwindliches Hindernis für die Benutzerdar. Die Anbindung durch öffentliche Verkehrsmittel –auch sie im weiteren Sinne ein Servicekriterium – erwiessich günstiger als erwartet und die Bereitschaft der Berli-ner Verkehrsgesellschaft (BVG), die Haltestelle vor demHause in „Landesarchiv“ umzubenennen, hilft Ortsfrem-den, lange Wege zu vermeiden. Lediglich das geringeAngebot an umliegenden Speisemöglichkeiten entsprichtnicht den Erwartungen eines benutzerorientierten Ser-vices.

Organisation der Vor-Ort-Benutzung

Bei den – nennen wir sie demgegenüber – inneren Fakto-ren hat sich das Landesarchiv bemüht, den Möglichkeiten,die die neuen Räume bieten, gerecht zu werden und dieBenutzungsbedingungen entsprechend zu verbessern. Esist jedoch fraglich, ob bereits jetzt das gesamte Potenzialerkannt ist, das dem Haus innewohnt. Wie dem auch sei –zu diesem Zweck wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt,die vor der Eröffnung des neuen Landesarchivs ein neuesBenutzungskonzept erarbeitete. Es konnte in wesentli-chen Teilen auch so umgesetzt werden. Das Konzept sahzunächst einmal eine Ausweitung der Öffnungszeiten umdrei Stunden in der Woche vor. Damit gehört das Landes-archiv zwar nicht zu den Spitzenreitern unter den deut-schen Archiven, aber es ist mit einer Öffnungszeit von 33Wochenstunden ins Mittelfeld aufgerückt. Sie reichendienstags bis donnerstags von 9 bis 18 Uhr und freitagsvon 9 bis 15 Uhr. Verteilten sie sich am alten Standort täg-lich auf unterschiedliche Zeiten, so wurde hiermit eingleichmäßigerer Öffnungsrhythmus gefunden, den sichBenutzer leichter merken können.

Die Schließung am Montag wurde beibehalten, um denim Lesesaal beratenden Facharchivaren etwas mehr Zeitfür ihre sonstigen Aufgaben zu verschaffen. Unter diesenBedingungen wurde das Landesarchiv im Jahre 2002 angut 190 Öffnungstagen von rund 3.000 Benutzern, davonca. 1.400 im Allgemeinen Lesesaal mit insgesamt 6.600Benutzertagen, aufgesucht. Das ist zwar weniger als imJahr vor der umzugsbedingten Schließung, wo es wegender absehbaren Einstellung der Benutzung allerdingsauch zu außerordentlich hohen Benutzerzahlen gekom-men war. Doch trotz des Besucherrückgangs ist 2002 alleindie Ausleihe von Akten um rund ein Drittel auf über142.000 Stück gestiegen bei insgesamt etwa 160.000 ausge-liehenen Archivguteinheiten, also einschließlich Karten,Plänen, Plakaten etc.

Ob die Zahlen anders aussähen, wenn zusätzlich nocheine Öffnung am Montag eingeführt worden wäre, bleibtSpekulation. Immerhin ist eine Fünf-Tage-Woche in derArbeitsgruppe intensiv diskutiert worden. Nicht zuletztstand dabei die Frage im Vordergrund, ob es den zahlrei-chen auswärtigen Benutzern zugemutet werden könnte,ihre Unterkünfte an drei Tagen quasi vergeblich belegenund bezahlen zu müssen. Vereinzelt war sogar die Überle-gung geäußert worden, ob ein Haus mit kommunalarchi-vischem Einschlag nicht sogar auch samstags vormittags

öffnen müsste – eingeschränkt zwar ohne Beratung undAktenaushebung, aber eben offen –, um auch berufstäti-gen Nicht-Wissenschaftlern die Möglichkeit zur Aktenein-sicht zu bieten. Aber schon die eingeführte Verlängerungder Öffnungszeiten um drei Stunden stieß und stößt aufpositive Resonanz bei den Benutzern.

Eine ähnlich positive Resonanz folgte auch der Ent-scheidung, den Benutzern die Findmittel frei zugänglichzu machen. Diese Maßnahme diente dem Ziel, Benutzerneine größere Selbstständigkeit bei der Archivarbeit zuermöglichen und somit den Archivarinnen und Archiva-ren größere Freiräume für die Bewältigung anderer Auf-gaben zu verschaffen. Wurden die Findmittel bisher vonder Aufsicht nur auf Verlangen herausgegeben, so stehenden Benutzern Findbücher und -karteien nunmehr wie ineiner Freihandbibliothek zur Verfügung. Dieses Angebotsoll Ende des Jahres durch die Aufstellung von zweiBenutzer-PC erweitert werden, auf denen etwa in den mitAugias verzeichneten Beständen recherchiert oder dieelektronische Beständeübersicht eingesehen werden kann.Findmittel zu Beständen, die noch den gesetzlichenSchutzfristen unterliegen, finden sich dagegen in einemNebenraum, zu dem nur Mitarbeiter Zugang haben.

Um den Benutzern hier den Einstieg zu erleichtern, lie-gen derzeit neben den Findmitteln eine Beständeübersichtund eine Beständeliste aus. Überdies hilft ein Farbsystemden Benutzern, sich grob in den Beständen zurecht zu fin-den. So ist im Landesarchiv jeder Bestand einer von sechsTektonikgruppen zugeordnet, also entweder dem Bereich„Berlin bis 1945“, „West-Berlin“, „Ost-Berlin“, „Berlin seit1990“, „Nachlässe“ oder „Sammlungen“. Jede Tektonik-gruppe wird nun durch einen Großbuchstaben A, B, C, D,E oder F unterschieden, der zusammen mit einer nachfol-genden Repositurziffer die Bestandssignatur bildet. ImFindmittelraum ist jeder Gruppe zudem eine eigene Farbezugewiesen, die sich auf den Findbuchrücken oder Kartei-schränken der entsprechenden Bestände wiederfindet. Danun festzustellen ist, dass sich Benutzer in ihren Arbeitenhäufig an den historischen Zeitschnitten der Tektonik-gruppen orientieren, können sie auf diese Weise rascheinen Überblick über erschlossene Bestände der für sierelevanten Zeit gewinnen. Leider ist der Erschließungszu-stand auch wichtiger Bestände nicht immer befriedigend –ein Umstand, der auch in anderen Archiven zum Alltaggehören dürfte.

Neben diesen einfachen Mitteln zur Selbstinformationstehen den Benutzern natürlich wie in jedem Archiv dieberatenden Facharchivare zur Seite. Sie sind im Landesar-chiv schon von der Raumfolge her die ersten Ansprech-partner für ankommende Benutzer. Dem Lesesaal vorgela-gert ist ein gläserner Vorraum, die so genannte Beratung,an der zunächst auch alle Formalitäten erfüllt werden.Hier sitzt ein Facharchivar des gehobenen Dienstes undgibt Benutzern – sofern das nicht schon durch eine vorhe-rige schriftliche oder telefonische Anfrage beantwortetworden ist – eine erste Einführung in einschlägigeBestände und entwickelt gemeinsam Recherchestrategien.Um die beratenden Facharchivarinnen und Facharchivareauf dem Laufenden zu halten, findet sich im Intranet eineaktuelle Liste an neu verfassten Findbüchern mitsamteiner kurzen Beschreibung der entsprechenden Bestände.Sollten aber genauere Kenntnisse der Bestände erforder-lich sein, so werden die jeweiligen Bestandsbearbeiter zur

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weiteren Beratung herbei gerufen. Hierfür stehen dreiBeratungskabinen im Lesesaal zur Verfügung.

Die von den beratenden Archivaren ebenfalls vorge-nommene Benutzerverwaltung erfolgt derzeit noch kon-ventionell auf Papier. So werden etwa die Anzahl derBenutzer und die Anzahl der entliehenen Archivgutein-heiten manuell erfasst. Ebenso ist der Benutzungsantragnoch handschriftlich auszufüllen. Doch es ist vorgesehen,dass auch hier mittelfristig auf IT gesetzt wird, nachdemsie in anderen Bereichen seit dem Umzug verstärkt Einsatzfindet. Dafür käme voraussichtlich das Benutzerverwal-tungsprogramm von Augias in Frage, das im Landesar-chiv vorhanden ist. Erfahrungen damit stehen allerdingsnoch aus.

Der Benutzungsantrag kann in der Regel von den bera-tenden Archivaren sofort genehmigt werden. Auf dieseWeise wird ein zeitaufwändiges Verfahren vermieden,denn im Allgemeinen erweisen sich die Anträge als gleich-förmig und unproblematisch. Lediglich unsichere Fällesind einem Archivar vom höheren Dienst, der zweiwö-chentlich wechselt, vorzulegen. Ebenso ist – wie in ande-ren Häusern auch – für Archivgut, das Schutzfristen unter-liegt, eine besondere Genehmigung erforderlich. Hierfürist im Landesarchiv der jeweilige Bestandsbearbeiterzuständig. Ein zentralisiertes Verfahren, bei dem ein einzi-ger Mitarbeiter für alle Schutzfristverkürzungen zustän-dig ist, kennt das Landesarchiv – anders als andere Staats-archive – derzeit nicht.

Bei der personellen Besetzung der Beratung hat sich dasLandesarchiv dagegen entschieden, den Kreis der zurAuswahl stehenden Facharchivare auf sechs Mitarbeiterzu beschränken. Wenngleich vieles für das Modell sprach,wie etwa eine bessere Kenntnis der Findmittel oder dieMöglichkeit, eine gewisse Stetigkeit und Vertrautheit indas Benutzungsverhältnis zu bringen, hätte das zur Folgegehabt, dass andere Facharchivare deren sonstige Aufga-ben ebenso dauerhaft hätten übernehmen müssen. Hierzufehlt aber das Personal. So gibt es jetzt einen ungleich grö-ßeren Personalpool, aus dem zweiwöchentlich wech-selnde Zweierteams mit je einem Mitarbeiter für den Vor-mittagsdienst und für den Nachmittagsdienst gebildetwerden. Ähnliches gilt für den Lesesaal selbst. Hier befin-det sich – ebenfalls basierend auf dem Modell des zweiwö-chentlich wechselnden Zweierteams – stets ein Mitarbei-ter, der die Benutzer beaufsichtigt, die bestellten Aktenausgibt und neue Bestellungen und Reproaufträgeannimmt.

Wurden diese organisatorischen Entscheidungen schonbald allgemein begrüßt, so war die Ausgabe von Aktendurch Mitarbeiter des Landesarchivs dagegen sicher eineder Neuerungen, die von langjährigen Benutzernzunächst als Einschränkung verstanden wurde. Bis zumUmzug war es üblich gewesen, dass alle bestellten Aktenim Lesesaal in einem Regal bereitlagen und von denBenutzern selbst entnommen werden konnten. Mit derEinrichtung eines eigenen Bereitstellungsraums an derSchnittstelle zwischen Lesesaal und Magazinen konntedieser Zustand endlich ein Ende finden.

Inzwischen haben sich alle Benutzer an diese Neuerunggewöhnt, zumal sie von einer Verdoppelung der Aushe-bungen auf zwei pro Tag begleitet wurde. Dagegen bliebdie Zahl der ausgehobenen Akten pro Tag mit zehn Stückals Regelfall unverändert. So liegen die Unterlagen einmal

zur Öffnung um 9.00 Uhr bereit, wenn sie spätestens amVortag bestellt worden sind. Die zweite Aushebung erfolgtbis 13.00 Uhr für Bestellungen, die bis 11.00 Uhr eingegan-gen sind. Die Abgabe der Bestellzettel erfolgt dabei bei derLesesaalaufsicht oder der Beratung, die die Angaben nochauf ihre Richtigkeit zu überprüfen haben. Werden dieAkten nicht für den bestellten Tag nachgefragt, so bleibensie eine Woche im Bereitstellungsraum liegen, ohne dassder Benutzer extra darum bitten müsste. Hier bietet derRaum ausreichende Kapazitäten. Zwar hätten sich einigein der Arbeitsgruppe noch weitere Aushebungen pro Taggewünscht, schließlich verfügt das Landesarchiv über fünfMagazinerinnen und Magaziner. Doch dann würdenandere notwendige Aufgaben, die die Magaziner jetztwahrnehmen, unterbleiben – etwa die Umkartonierungder Bestände aus einer Vielzahl von uneinheitlichen Ver-packungen in einheitliche, säurearme Archivboxen.Gleichwohl werden Ausnahmen bei den Aushebungengemacht. Sie werden auch dadurch erleichtert, dass sichdie Magazine räumlich sehr nahe am Lesesaal befindenund in den Magazinen während des Umzugs übersichtlichnach Tektonik eingelagert werden konnte.

Die Bedingungen für den Karten- und den Fotolesesaalweichen davon ab. In beiden gibt es keine festen Aushe-bungszeiten. In der Regel werden hier die gewünschtenArchivalien vielmehr direkt nach der Bestellung bereitge-legt. Das ist vergleichsweise einfach, weil sich die entspre-chenden Magazine auch hier direkt an die beiden Lesesäleanschließen und so die Wege kurz sind. Allerdings ist fest-zustellen, dass bei Benutzungen von Karten nicht selteneine vorherige Anmeldung erfolgt, während die Foto-sammlung derartiges gar nicht kennt. Bei ihr haben insti-tutionelle Benutzer – zumeist von Verlagen und Fernseh-sendern, die einen Großteil der Benutzer stellen – in vielenFällen sogar die Möglichkeit, einige der zahlreich vorräti-gen Fotoreproduktionen direkt mitzunehmen – gegen Ent-gelt zunächst auch leihweise zur Auswahl. Damit solljenen gedient werden, die rasch Abbildungen benötigen.Das Landesarchiv führt hier das Verfahren weiter, das inder ehemaligen Landesbildstelle bereits praktiziert wor-den war, aus der bekanntlich der größte Teil der Fotobe-stände im Haus stammt. Filme und Tonbänder sind dage-gen die einzigen Archivalien im Haus, die nur nach vorhe-riger Anmeldung vorgelegt werden. Das ist nicht zuletztder Tatsache geschuldet, dass die hierfür zur Verfügungstehenden Studios mit insgesamt drei Schneidetischenaußerhalb des Öffentlichkeitsbereichs liegen. Außerdembeschränkt sich deren Benutzerkreis weitgehend aufRundfunkanstalten und Filmproduzenten.

Zu den wenigen Einschränkungen, die Benutzer imneuen Haus hinzunehmen haben, gehört schließlich dasVerbot, Archivgut selbst zu fotografieren. Mit der Einrich-tung einer modernen Reprowerkstatt, die vor allem ver-mehrt digitale Kopien zulässt, und einer personellen Ver-stärkung an dieser Stelle – darunter Zeitkräfte – könnenund dürfen Reproduktionen jetzt nur noch durch das Lan-desarchiv angefertigt werden. Möglichkeiten in dieserWeise gab es an den alten Standorten nicht, so dass hierBenutzer unter Umständen und unter Aufsicht Aktenselbst abfotografieren konnten, um einen Antragsstau zuvermeiden. Eigene Reproduktionen sind ihnen jetzt dage-gen nur noch am Reader-Printer möglich.

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Archivische Online-Dienste

Zum Benutzungskonzept des Landesarchivs gehörtselbstverständlich auch, dass sich das Haus unter derAdresse www.landesarchiv-berlin.de umfassend im Inter-net präsentiert. Hier erfolgte mit der Wiedereröffnung desArchivs ebenfalls eine Verbesserung des Angebots. Siehing allerdings nicht mit dem Neubau zusammen, son-dern mit der Einstellung eines zweiten Systemadministra-tors. Bereits erfahren in der Gestaltung von Websites,brachte er umfassendes Know-how mit, um fachliche Vor-gaben technisch umzusetzen. Das ist für das Landesarchivnicht nur außerordentlich nützlich, sondern unabdingbar,denn ihm fehlen die finanziellen Mittel, um diese Arbeitenan private Internetfirmen zu geben. Somit ist alles, was imNetz vom Landesarchiv zu sehen ist, mit Bordmittelnerstellt.

Was aber wird Benutzerinnen und Benutzern in diesemBereich geboten? Neben aktuellen Meldungen, Darstel-lungen zum Profil des Hauses und einer Aufstellung vonPublikationen wenden sich vor allem drei Rubrikengezielt an Benutzer. In einer ersten, bewusst „Benutzung“genannten Rubrik erhalten sie dabei die üblichen Hin-weise zu Öffnungszeiten, Anfahrtswegen – hier auch mitLink auf den BVG-Fahrplan – und allgemeinen Benut-zungsmodalitäten. Außerdem finden sie dort die gelten-den Rechtsgrundlagen in vollem Umfang, wie Archivge-setz und Benutzungsordnung.

In einer zweiten Rubrik sind „Links“ auf Archive mitBerlin-Bezug zusammengestellt. Sie sollen den Benutzernhelfen, schnell Informationen über solche Archive zuerlangen, die ebenfalls Berlin-relevante Unterlagen ver-wahren. Ebenso soll deren Blick über die größeren, allge-mein bekannten Berliner Archive hinaus auf die vielfältigeArchivlandschaft in der Hauptstadtregion geweitet wer-den. In diesem Zusammenhang ist auch das Verzeichnis„Berliner Archive“ zu sehen, das Daten zu über 100 in Ber-lin und Potsdam ansässigen Archiven vereint und vomLandesarchiv Berlin federführend erstellt wurde(www.berliner-archive.de).

Am bedeutendsten ist jedoch – sowohl nach der Erwar-tung des Landesarchivs als auch nach der tatsächlichenHöhe der Zugriffszahlen – die Rubrik „Bestände“. Dortfanden sich lange Zeit nur eine Kurzübersicht über diesechs Tektonikgruppen sowie Listen, die sämtlicheBestandstitel und Bestandssignaturen aufführen sollten.Diese Listen waren seinerzeit recht einfach aus den internverwandten Tektoniklisten generiert worden und führtentrotz Hinweisen leider immer wieder zu Missverständnis-sen bei den Internetbenutzern, was etwa die Inhalte oderdie Benutzbarkeit einzelner Bestände anbetraf. Das Lan-desarchiv war sich dieses Mangels von Anbeginn bewusst.Es hatte die Tektoniklisten nur als provisorische Hilfsmit-tel angesehen, bis die schon in Bearbeitung befindlicheNeufassung der Beständeübersicht verfügbar war.

Mit Veröffentlichung des ersten Teils der neu erarbeite-ten Beständeübersicht für das in der Tektonikgruppe Azusammengefasste Archivgut bis 1945 ist hier seit April2003 eine wesentliche Verbesserung eingetreten. Seitdem

ersetzt die inhaltsreichere und präzisere Beständeüber-sicht die bisher im Netz angebotene Tektonikliste A. Die-sem Beispiel werden alle anderen Tektonikgruppenvoraussichtlich bis 2005 folgen.

In der kleinen, selbst entwickelten Anwendung bietetsich dem Benutzer seither die Möglichkeit, mit Volltextsu-che in der Datenbank zu recherchieren und aus einerErgebnisliste die gewünschten Bestände als Vollanzeigeaufzurufen. Hier findet er Links auf korrespondierendeBestände und auf digitalisierte Findmittel des gesuchtenBestandes. Dabei handelt es sich um pdf-Dateien vonFindbüchern zu Beständen, die bereits mit AUGIAS ver-zeichnet worden sind. Das Ganze kann – da ist sich dasLandesarchiv bewusst – nur eine Übergangslösung sein.Sie ist angesichts der schon bestehenden Möglichkeitenvon Online-Findbüchern nicht ganz das, was Benutzerheute erwarten können. Auch das Landesarchiv plant,hier ein eigenständiges Rechercheangebot bereitzustellen.Jedoch sind dafür noch grundlegende Fragen zu klären,inhaltlicher Art – etwa welche Angaben gezeigt werdensollen oder wie die Datenschutzbestimmungen eingehal-ten werden können –, aber auch technischer Art undnatürlich finanzieller Art. Um den Benutzern bis dahinwenigstens die Erschließungsinformationen zu bieten,wurde die Präsentation mit pdf-Dateien gewählt.

Zeitgeschichtliche Informationen aus jüngster Zeit wer-den Benutzern schließlich in Form der elektronischen Ber-lin-Chronik (www.landesarchiv-berlin-chronik.de) gebo-ten. Hier lassen sich derzeit Ereignisse aus beinahe allenTagen der Jahre 1995 bis 2001 komfortabel abrufen. DieAngaben, die teilweise durch Fotografien oder Filmse-quenzen aus den eigenen Archivbeständen illustriert wer-den und sich somit auch an einen breiteren Benutzerkreiswenden, sollen kontinuierlich um Geschehnisse aus frühe-ren Jahren erweitert werden.

Wie ersichtlich ist hier einiges noch unfertig und wird innächster Zeit verbessert und erweitert werden. Damitdürfte sich die IT parallel zum sonstigen Benutzungsser-vice der Archive entwickeln. Denn es ist anzunehmen,dass die sich ausbildende Informations- und Dienstleis-tungsgesellschaft, in deren Schnittpunkt die Archive lie-gen, das Verlangen der Bürger nach Information beigleichzeitig für sie selbstverständlicher werdendem Ser-vice stärkt und somit deren Ansprüche an die Benutzungs-angebote wachsen werden. Dieser Nachfrage nach weite-ren Leistungen werden sich die Archive kaum verschlie-ßen können, wenn sie ihre Legitimation als Einrichtungender Gesellschaft bewahren wollen. Nur in Zeiten reichhal-tig fließender Finanzmittel dürfte es die Öffentlichkeitkaum interessiert haben, wieviel Geld Archive bekamen.Entsprechend unbeachtet blieben sie von ihr. In Zeitenknapper Kassen fragen Steuerzahler hingegen zu Rechtvermehrt nach der Verwendung ihrer Gelder. Hierauf miteinem erweiterten Service für sie, die Benutzer, und einerverstärkten Kundenorientierung zu antworten, ist eineChance für die Archive. Sie erlaubt ihnen, sich als ebensozeitgemäße wie unverzichtbare Institutionen inmitten dermodernen Gesellschaft zu positionieren und sich vonanderen Einrichtungen, mit denen sie um öffentliche Mit-tel konkurrieren, abzuheben.

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Archivpädagogische Perspektiven – eine europäische BilanzTagung für Archivpädagogik in Bocholt

Von Dieter Klose, Roswitha Link, Joachim Pieper, Clemens Rehm, Günther Rohdenburg

Archivpädagogik und Historische Bildungsarbeit erlan-gen in der Bundesrepublik Deutschland wachsendeBedeutung, sind in den Archiven Europas aber anschei-nend vielfach Randerscheinungen, die nur auf der Initia-tive Einzelner zu beruhen scheinen. Von einer etabliertenAufgabe der Archive kann bisher nicht oder nur in weni-gen Situationen gesprochen werden. Dies hatte bislang zurFolge, dass der Austausch über dieses Arbeitsfeld dennationalen Rahmen in den wenigsten Fällen überschrittenhat. Einzelne multinationale Realisierungen im Rahmenschulischer EU-Projekte sind bekannt geworden, hin undwieder konnte im Rahmen von nationalen Archivtagenüber Erfahrungen bei der historischen Bildungsarbeitberichtet werden. Angesichts der unterschiedlichenArchivlandschaften, Kultur- und Bildungssysteme diffe-rieren die Strukturen der historischen Bildungsarbeit ineuropäischen Archiven deutlich. Die Begrifflichkeiten unddas damit verbundene Vorverständnis sind verschieden:So sind z. B. die deutsche Bezeichnung „Archivpädago-gik“, der britische „education service“, der französische„service éducatif“ und der niederländische Begriff „edu-catie“ nicht unmittelbar gleichzusetzen. Eine Bestandsauf-nahme für den in den Ländern Europas unter wechseln-den Begrifflichkeiten geführten Bereich historischer Bil-dungsarbeit gibt es bisher nicht. Vor diesem Hintergrundtrafen sich sechzig Vertreter aus 15 europäischen Ländernauf der ersten europäischen Konferenz für Archivpädago-gik und historische Bildungsarbeit in Bocholt, um Projekteihres Landes und Ideen zur internationalen Vernetzungvom 19. bis 21. Juni 2003 in der Europäischen Staatsbürger-Akademie vorzustellen.

Eröffnung

Joachim Pieper, Archivpädagoge am HauptstaatsarchivDüsseldorf, begrüßte zum Auftakt die Ehrengäste undTeilnehmer der Konferenz. Er spannte den Bogen von derIdee im Arbeitskreis Archivpädagogik und HistorischeBildung im VdA zur nun erfolgreich gestarteten europäi-schen Tagung. Die stellvertretende BürgermeisterinBocholts, Ilse Tekampe, drückte ihre Freude darüber aus,dass die Konferenz gerade ihre Stadt als Tagungsortgewählt hat, die durch besondere Nähe zu den Niederlan-den geprägt ist und mit der einmaligen Situation einerdurch eine Staatsgrenze geteilten Straße aufwarten kann.Bocholt habe als Europastadt eine lange Tradition in ihrenBemühungen zur Kooperation und Integration unter-schiedlicher Nationen und könne damit fördernd aufdiese Konferenz wirken. Sie verband ihre guten Wünschefür die Tagung mit dem Dank an die ESTA und Dr. PeterLeibenguth-Nordmann für die Ausrichtung derTagung. Der Vertreter des nordrhein-westfälischen Minis-teriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport, Dr.Peter Klefisch, überbrachte die Grüße des Ministers undstellte die historische Bildungsarbeit als zentrale Aufgabe

von Archiv und Schule dar. In einer durch Globalisierungimmer unübersichtlicher werdenden Welt könnten, sobetonte er, historische Bildung und der Blick über den Tel-lerrand zur Orientierung für den Einzelnen und zur Iden-tifikation mit dem Gemeinwesen beitragen. VorhandeneTraditionen sollten erfasst und fortgeschrieben und dabeigleichzeitig der Blick für das zukünftige Europa geschärftwerden – dies gelte besonders für die jüngeren Generatio-nen. Die Archivpädagogen nähmen hier eine bedeutendeAufgabe wahr, die letztlich eine wichtige Voraussetzungfür ein europäisches Geschichtsbewusstsein darstelle.

Gabriele Bucher-Dinç stellte für die Körber-Stiftungdie Bedeutung der in Europa und in Deutschland beste-henden Geschichtswettbewerbe heraus und betonte dietraditionell engen Verbindungen zu den Archivpädago-gen, die für die Geschichtswettbewerbe wesentliche Mate-rialien und methodische Hilfen bereitstellen. Die„Geschichte von unten“, tragendes Prinzip der Ge-schichtswettbewerbe, sei auf die Nutzung der Archive inallen Ländern angewiesen, die Körber-Stiftung habe des-halb mit besonderer Freude die europäische Dimensiondieser Konferenz wahrgenommen und gerne die Unter-stützung zugesagt. Schließlich sprach Katharina Tie-mann, stellvertretende Vorsitzende des Verbandes deut-scher Archivarinnen und Archivare, dem Arbeitskreis denDank für die geleistete Vorbereitungsarbeit aus und gabihrer Hoffnung Ausdruck, dass der auf dieser Tagungbegonnene europäische Erfahrungsaustausch Bestandhaben möge.

Nach den Grußworten begann die erste Arbeitsphasemit dem Vortrag von Professor Dr. Norbert Reimann, Lei-ter des Westfälischen Archivamtes zum Thema „Archiveals strukturiertes Gedächtnis der Gesellschaft“. Zunächstcharakterisierte Reimann allgemein die „Bedeutung derArchive in unserer Gesellschaft“, in der die Bedeutungvon Erinnerung allgemein zugenommen hat – damit auchdie Bedeutung der Archive als ihr Wahrer. Wenn diese Ent-wicklung auch nicht mit „harten Zahlen“ zu belegen sei,so zeige doch der Zuspruch von neuen Besuchergruppenund z. B. die Verwendung des Begriffes „Archiv“ in Tages-zeitungen die anwachsende Bedeutung. Bei einer Analysedes „Handelsblattes“ zeigt sich eine deutliche und stetigeZunahme der Verwendung des Begriffs „Archiv“ von 1985(30 Nachweise) bis heute (1995: 167 Nachweise). DieArchive kommen also offensichtlich aus der „nostalgi-schen Ecke“ heraus – dies zeigt sich letztlich auch an denThemen der deutschen Archivtage. Archiven wird ein gro-ßes Vertrauen aus der Öffentlichkeit entgegengebracht, daman ihnen zutraut, die Integrität und Objektivität derDokumente sicherzustellen und den Zugang zu ihnen zuermöglichen. Dieses spezielle Vertrauen ist im Interesseder Allgemeinheit zu nutzen, die Erwartungen der Öffent-lichkeit dürfen hier nicht enttäuscht werden. Die Bedeu-tung der Archive für die Überlieferungsbildung ist abernicht im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert – hierhaben die Archive eine große Aufklärungsarbeit zu leis-ten. Dabei sollte die Janusköpfigkeit der Archivarstätig-keit vermittelt werden, die darin besteht, sowohl zurück

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wie nach vorne zu schauen. Archive sichern die kulturelleBasis der Gesellschaft, unter anderem, indem sie Verwal-tungshandeln nachvollziehbar machen. Diese Bedeutunghat nach 1989 zugenommen, zunehmend haben die Men-schen die Archive genutzt, um Rechte und Ansprüchebelegen zu können und geltend zu machen.

Im zweiten Abschnitt „Gesellschaft und Gedächtnis“verdeutlichte Reimann das zunehmende Interesse anGeschichte seit den 70er Jahren. Bis zu dieser Zeit hat manz. B. ältere Gebäude als vermeintlich nutzlose Häuserabgerissen, ohne ihren historischen Wert zu erkennen.Inzwischen hat die Denkmalpflege großes öffentlichesInteresse gefunden – davon profitieren auch die Archive:Beleg dafür kann z. B. die wachsende Zahl der Kommu-nalarchive und die Professionalisierung des Archivarsbe-rufs sein. Auch die ständig wachsende Teilnehmerzahl derArchivtage und der zahlreichen regionalen Archivtageund schließlich die Mitgliederzahl des VdA, der von 226Mitgliedern 1950 auf rund 2.200 Mitglieder heute ange-wachsen ist, kann dafür als Indiz herangezogen werden.Interessant sei, warum die Gesellschaft – trotz aller Spar-maßnahmen – in der langen Sicht bereit ist, dafür soumfangreiche Ressourcen bereitzustellen. Reimann siehtals wesentliche Ursache den Prozess der „Gegenwarts-schrumpfung“: Die Beschleunigung der gesellschaftlichenEntwicklung ist so extrem, dass das Bedürfnis, Erinnerun-gen festzuhalten und damit einen Ruhepol zu finden,demzufolge aus Angst davor, sie zu verlieren, rasch an-wächst.

Zusammenfassend stellte der Referent dar, welche Aus-wirkungen die geschilderten Entwicklungen für dieArchive und die Archivpädagogik haben. Archive undArchivpädagogen müssen den Gefahren des Erinnerungs-verlustes und der immer kürzer werdenden Informations-zyklen entgegenwirken. Erinnerung braucht ein Konzeptund eine Struktur der Information: Erinnerungen, dienicht mehr zuzuordnen sind, werden unbrauchbar. Des-halb müssen die Archive den Kontext der Informationenerhalten und dauerhaft aufbewahren – sie sind damitbesonders geeignet für die Gedächtnisbildung und dieSchaffung von historischem Bewusstsein, besser alsMuseen und Bibliotheken. Dabei ist nicht auf Anfragender Gesellschaft zu warten – die ja oft nicht weiß, was sichin den Archiven verbirgt – sondern es sind offensive Kon-zepte anzubieten. Hierbei ist die Bedeutung der Archivpä-dagogen nicht hoch genug einzuschätzen: beim Abbauvon Barrieren für die Benutzung. Archivpädagogik undhistorische Bildungsarbeit mit authentischen Dokumen-ten schaffen das methodische Wissen, damit einer mög-lichst breiten Öffentlichkeit die sinnvolle Nutzung derArchive für ihre Erinnerungsarbeit ermöglicht wird.

Inhalte und Ziele der Archivpädagogik

In den sich anschließenden Erfahrungsberichten aus ein-zelnen Ländern stellte zunächst Joachim Pieper im Auf-trag der leider erkrankten Professorin Ariane James-Sara-zin, der Direktorin des Centre historique des Archivesnationales en France (CHAN), den „Service éducatif“ inFrankreich als „europäische Pionierarbeit“ vor. ArianeJames-Sarazin verdeutlichte am Anfang ihres Vortrags

mit dem Titel „De l'action éducative à l'action culturelle:histoire et analyse d'une évolution. Le cas du Centre histo-rique des Archives nationales en France (CHAN)“, dassdie französischen Archive als „filles de la Révolution fran-çaise“ Institutionen der Demokratie sind. Jeder Bürger, objung oder alt, hat in Frankreich freien Zugang zu allenInformationen; seinen konkreten Niederschlag findet die-ses Recht in den Benutzerzahlen: allein im Jahr 1999 zähl-ten die Archive Frankreichs mehr als 300.000 Benutzer. ImBereich der historisch-politischen Bildung unterschied dieReferentin zwei Veranstaltungstypen beim Besuch jungerMenschen vom Grundschüler bis zum Studenten: einmalden Individual- oder Kleingruppenbesuch des Archivszum Anfertigen eines Referats, einer Seminararbeit, der„maîtrise“, des DEA oder der Promotion; sie werden wiealle andere Benutzer durch den Archivar beraten undunterstützt. Zum zweiten den Besuch einer Schulklasseoder eines Universitätsseminars, die von ihrem Lehrer inZusammenarbeit mit den Archivaren in die Archivarbeiteingeführt werden. Frau James-Sarazin wies darauf hin,dass seit 1975 die Zahl der jugendlichen Benutzer ständigzugenommen hat und in der Gesamtzahl der Archivnut-zer eine immer größer werdende, fast die größte Gruppedarstellt. Nach einer kurzen Darstellung der historischenEntwicklung des „service éducatif“ im Nationalarchiv seit1938 nannte die Referentin eindrucksvolle Zahlen überseine heutige Ausstattung im „Centre historique“ desArchives nationales: unter ihrer Leitung koordinierenzwei von der Schule abgeordnete Geschichtslehrer derSekundarstufe II gemeinsam mit einer Verwaltungssekre-tärin und 15 studentischen Hilfskräften die archivpädago-gischen Aktivitäten. Der „service éducatif“ des CHANverfügt über zwei große Unterrichtsräume mit Diaprojek-toren, Beamern, Fernsehern usw., in denen jährlich über15.000 meist jugendliche Besucher vom Vierjährigen biszum Studenten arbeiten. Nicht minder beeindruckend istdas archivpädagogische Angebot des CHAN: Es reichtvon der Führung über praktische Übungen wie Siegelgie-ßen, Heraldik und Paläographie hin zur Darstellung histo-rischer Ereignisse in Rollenspielen und zur klassischenAnalyse von historischen Quellen. Daneben werdendidaktische und methodische Hilfen für die Lehrer ange-boten. Neben (Wander-)Ausstellungen und Internetprä-sentationen in den Schulen selbst gewinnt die Arbeit vorOrt mit Originalquellen und die Zusammenarbeit mit denlokalen Trägern von Geschichtskultur immer mehr anBedeutung, um Jugendlichen im Rahmen von APAC („àprojet artistique et culturel“) den Erwerb einer lokalen,regionalen und nationalen Identität zu erleichtern, vorallem in der multikulturellen Gesellschaft Frankreichs mitvöllig verschiedener Herkunft und Mentalität. Unterstütztwird diese Arbeit durch die Zusammenarbeit zwischendem CHAN und dem IUFM („Institut universitaire de for-mation des maîtres“), dem französischen Lehreraus- und-fortbildungsinstitut. Schließlich umriss Ariane James-Sarazin die Zukunftsperspektiven des „service éducatif“:in einer ständig im Wandel begriffenen Gesellschaft, einerInformations- aber auch Freizeitgesellschaft, multikultu-rell mit oft fehlender nationaler Identität, wird ein zukünf-tiger Schwerpunkt des CHAN in den „activités culturel-les“ liegen, welche eine Kooperation mit der gesamtenKulturlandschaft erfordern; James-Sarazin machteschließlich deutlich, dass dann die Adressaten des „serviceéducatif“ des CHAN nicht nur Jugendliche sein können,

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sondern die breite Öffentlichkeit sein muss, um eine natio-nale, vor allem aber europäische Identifikation zu schaffenund das entsprechende Bewusstsein zu erreichen.

Im Länderbericht Niederlande stellte Louise Balk vomNationaalarchief Den Haag das „Modell Edukatie“ vor.Ziel dieses Programms, das ausgeweitet werden soll, ist es,ein breites Publikum für Geschichte und Archive zubegeistern und die Benutzung der Archive durch Schulenzu fördern. Diese Aufgabe wurde zunächst mit Hilfe vonInternetpräsentationen für Fortbildung und für Abitur-kurse an den Schulen verwirklicht – Themen waren z. B.das Verhältnis zwischen den Niederlanden und Indone-sien oder die Emanzipation im 19. Jahrhundert und dieFrauen- und Arbeiterbewegung. Durch Umstrukturie-rung der Archive – Bildung eines Nationalarchivs, Ver-schmelzung mit Bibliotheken – veränderten sich auch dieMöglichkeiten. Jetzt gestaltet das Nationalarchiv z. B.Dokumentensammlungen, mit dem es in die jeweiligeProvinz zieht, um dort den interessierten Genealogen undForschern zu verdeutlichen, welche regionalen Quellenauch im Nationalarchiv zu finden sind. Etwa 40 Veranstal-tungen werden auf diese Weise durchgeführt. Danebenwerden Kurse für Ausländer angeboten, um niederlän-disch zu üben, oder Kurse für Journalisten über politischeThemen. Das Nationalarchiv gestaltet mit anderen Regio-nalarchiven gemeinsam Kulturprogramme im Internetund bietet spezielle Programme z. B. für 10–12-jährigeKinder an. Auch für die Schulen werden gezielte Ange-bote gemacht, etwa mit Quellen über die Industrialisie-rung.

Ganz anders stellen sich die Probleme für ein nichtstaat-liches Archiv dar, wie Piotr Jakubowski in seinemBericht über Polen verdeutlichte. Das Archiv des Karta-Zentrums bemüht sich seit rund 20 Jahren, zunächst alsUntergrundarchiv, Dokumente und Fotos zu sichern unddie zeitgenössische Geschichte zu dokumentieren, insbe-sondere auch in Form von Zeitzeugen-Dokumenten wieTagebüchern, Memoiren etc. Schwerpunkt der Aktivitätensind Sammlungen über in die UdSSR verschleppte Polenund die Erstellung eines Index der Verfolgten („Index ofthe Repressed“) sowie der Versuch, in Kooperation mit derWiener Universität als Koordinator, im Rahmen einesinternationalen Projektes möglichst viele ehemaligeGefangene des Mauthausen-Gusen Komplexes zu erfas-sen, zu interviewen und dokumentieren. Die ArchivePolens stehen der allgemeinen Öffentlichkeit zur Verfü-gung, ein Problem historisch-politischer Bildungsarbeitbesteht besonders darin, auch die junge Generation zuerreichen und für die dokumentierte Geschichte zu inte-ressieren. Einen Beitrag dazu kann die Computerisierungleisten, die Karta-Bestände sind über das Internet nachbestimmten thematischen, geographischen oder chronolo-gischen Kriterien zu durchsuchen. Auch der „Index of theRepressed“ ist über das Internet abrufbar, mehr als 160.000biographische Daten sind für einen schnellen Zugrifferschlossen. Weitere Ergebnisse der Arbeit des Zentrumssind die Schriftenreihe „Karta“ (übersetzt ins Deutscheund Russische), ferner Ausstellungen, Tage der OffenenTür und die Durchführung von Geschichtswettbewerbenfür Schüler und Studenten („History at Hand“).

Für Großbritannien berichtete als letzte an diesem ers-ten Nachmittag Catherine Hammond über die Aktivitä-ten des Public Record Office bzw. des National Archive.Durch zurückgehende finanzielle Unterstützung ist in den

letzten Jahren die Zahl der Archivpädagogen im ganzenLand auf unter 20 Personen gesunken – vielleicht kanndurch Bildungsreformen, neue Unterrichtsformen im FachGeschichte und vor allem durch eine neue Agentur, in derMuseen, Bibliotheken und Archive zusammengefasstwerden, die Archivpädagogik in nächster Zeit wiederbe-lebt werden. Dass ein großer Bedarf an Lernen im Archivbesteht, zeigt die Tatsache, dass nach Öffnung eines neuenRaumes für historisches Lernen im National Archive vordrei Jahren ein Anstieg der Besucherzahlen um 300% zuverzeichnen ist – das nationale Curriculum definiertzudem recht klar die Anforderungen für die Schüler, anverschiedenen Stellen an Originalquellen die Fähigkeiteneinzuüben, die Vergangenheit zu entdecken. Im National-archiv wird intensiv das Internet für die historische Bil-dung eingesetzt. In Videokonferenzen werden aufberei-tete Materialien für ganz Großbritannien vermittelt. DieseMaterialien stellt das National Archive mit zwei Mitarbei-tern her, drei weitere stehen für die Aufbereitung im Netzzur Verfügung. Die Vorteile dieser Präsentation liegen aufder Hand: Der Zugang zu den Quellen wird für jedermannmöglich, ohne den Klassenraum zu verlassen. Das Archivkooperiert auch mit Museen, es stellt z. B. in seinen Räu-men Originalquellen für bestimmte historische Themenzur Verfügung; mit den Ergebnissen dieser Arbeitsphaseim Archiv werden dann im Museum spielerische Umset-zungen erarbeitet.

Die zusammenfassende und auswertende Diskussionan diesem Nachmittag, von Joachim Pieper moderiert,griff zahlreiche Aspekte des Vortrages und der Länderbe-richte auf. Als zentrales Problem für die archivpädagogi-sche Arbeit in vielen Ländern erwies sich die Frage derFinanzierung von Projekten. Dazu wurde empfohlen, sichsystematisch um Partner zu bemühen; auch wurde daraufhingewiesen, dass z. Zt. leichter für e-learning (Internetetc.) Mittel zu bekommen seien. Gleichzeitig wurden aberauch die unterschiedlichen Bedingungen zwischen(Haupt-) Staatsarchiven und kleinen Kommunalarchivensichtbar. Deutlich gemacht wurde auch in vielen Beiträ-gen, dass es keine Alternative zur Zusammenarbeit zwi-schen Schule/Universität und Archiv gibt und dassArchive diese Form von Öffentlichkeitsarbeit bewusstbetreiben sollen.

Dieser erste Tag der Konferenz schloss am Abend miteinem kleinen Empfang der Stadt Bocholt, einem hervor-ragendem Büfett und vor allem mit nicht enden wollendenGesprächen zwischen den Teilnehmern, die durch dieskandinavischen Gäste mit dem (vor-)gelebten Brauchtumzur Mittsommernacht zusätzlich Impulse bekamen.

Rahmenbedingungen und Konzepte archivpädagogi-scher Arbeit in Europa

Am Vormittag des zweiten Konferenztages verwies Gre-gor Egloff vom Staatsarchiv Luzern bei seinem Überblicküber die Schweizer Bedingungen für archivpädagogischeArbeit auf die föderale Struktur und die Viersprachigkeitdes Landes, die sich insbesondere bei der Schulhoheit aufdie Ausgestaltung der Arbeit auswirkt. Weil im UnterrichtSchulbücher aus Nachbarländern verwendet werden,ergibt sich fast zwangsläufig die Notwendigkeit, lokale

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Quellen in den Unterricht zur Veranschaulichung regiona-ler Eigenheiten einzubauen. Auch wenn das FachGeschichte in der letzten Schulreform eine gewisseAbwertung erfahren hat, bleibt es doch Schwerpunktfach.Die Anforderung, in Abiturarbeiten historische Quellenauszuwerten, hat ebenso zu einer verstärkten Betreuungdieser Kundengruppe geführt wie der Beginn historischerSchülerwettbewerbe.

Bisher sind in der Schweiz noch keine Stellen fürArchivpädagogen eingerichtet worden, so dass sowohl beiSchulen als auch bei Archiven vielfach noch Unklarheitherrscht, welche Leitungen und Angebote erwartet wer-den können. Da mittelfristig nur wenige Archive eigenearchivpädagogische Programme werden entwickeln kön-nen, besteht unter den Archivaren Konsens, dass vor allemin die Fortbildung der Lehrerschaft investiert werdenmuss, die ihrerseits die Schüler anleiten soll. Auch wennmanchenorts die Gegebenheiten es ermöglichen, maßge-schneiderte Dossiers für Schulklassen zu erarbeiten, wirdder Schwerpunkt pädagogischer Arbeit in der Schweizwohl darauf liegen, schon bestehende Leistungen derArchive und der Schulen effizient zu nutzen und so Schü-lerinnen und Schüler zu qualifizierten Archivbenutzernauszubilden.

Wie solche Kooperationen erfolgreich zu gestalten sind,verdeutlichte Gregor Egloff an einem lokalen Projekt desStaatsarchivs Uri, bei dem durch Studierende Kommunal-archive erschlossen wurden. Er erläuterte das e-learning-Angebot „Ad fontes“ am historischen Seminar der Univer-sität Zürich, das jedermann ermöglicht, archivische Kom-petenz online zu erwerben, und das Bildungsprogrammdes Staatsarchivs Luzern, in dem u. a. – nicht nur für Stu-denten – ein viersemestriger Zyklus in Paläographie,Archiv- und Quellenkunde angeboten wird. Erst die Erfül-lung der archivischen Kernaufgaben, so resümierte Egloff,ermöglicht es, zum Netzwerk der Historischen Bildungs-arbeit von Seiten der Archive beizutragen.

Eine von Ric Opsommer, Leiter des belgischen Stadt-archivs Ieper (Ypern), aktuell durchgeführte Umfrage beiden flämischen Staats- und Stadtarchiven ergab, dass nacheiner Blütezeit der archivpädagogischen Projekte (ca.1985–1992: „Lehrer ins Archiv“) und der Etablierung einerDauerausstellung für Hilfswissenschaften inzwischen fastnur noch Ausstellungen als Standardprodukt historischerBildungsarbeit angeboten werden können. Immerhinwurden im Rahmen eines „service éducatif“ eine ganzeReihe von Themen-Dossiers als Begleitbroschüren zu denAusstellungen herausgegeben.

Da große Strukturen und der Wille zur Förderung vonArchivpädagogik in Belgien zur Zeit fehlen, hängen dieErfolge der Zusammenarbeit mit Schulen in ganz beson-derem Maße von der Einsatzbereitschaft einzelner Archiv-mitarbeiter ab. In den flämischen Stadtarchiven ist dieseBereitschaft vorhanden, aber es gibt kaum Mittel und erstrecht keine Stellen. Neben den üblichen Führungen fürSchüler wird ein Ausweg in Wanderausstellungen ge-sucht, die mit lokalen Ergänzungen präsentiert werden.Ebenso wird die Zusammenarbeit mit anderen Kulturträ-gern gesucht. Aufgrund der unterschiedlichen Ausstat-tung von Museen, Dokumentationszentren, Bibliothekenund Archiven geht eine solche Kooperation allerdingsmeist zu Lasten der Archive.

Christer Bogefeldt, Sekretär des ICA Ausschusses„Outreach and User Services“, betonte in seinem Bericht

über die schwedischen Erfahrungen, dass archivische Bil-dungsprogramme nicht ohne Berücksichtigung der dra-matischen politischen und gesellschaftlichen Umbrücheder letzten Jahre entwickelt werden könnten. Geradewenn die Zukunft z. B. der sozialen Sicherungssysteme alsunsicher und die Wege in die Zukunft als kompliziertempfunden würden, käme der Beschäftigung mit Ge-schichte, der eigenen Geschichte eine erhöhte Bedeutungzu: Die Suche nach Stabilität, Verwurzelung und Identitätseien Motive, die die Beschäftigung Geschichte fördernwürden. Die „return of history“ bilde eine Herausforde-rung für die Archive.

Das schwedische Prinzip der grundsätzlichen Zu-gänglichkeit zu allen Entscheidungen der öffentlichen Ver-waltung für Jedermann hat allerdings die Tendenz, alsAlibi für Untätigkeit bei der Öffentlichkeitsarbeit herhal-ten zu müssen. Ohnehin führte in den 80er Jahren eineAusweitung der Verwaltung und damit einer Erhöhungder anfallenden Unterlagenmenge zu einer Konzentrationder Archive auf eine effektive Abwicklung der Behörden-betreuung. Inzwischen wird den Archiven in Schwedeneine größere kulturelle Verantwortung zugesprochen.Gerade über die Schulverwaltung mit ihren Curricula,gefördert vom Kulturministerium, kamen in den letztenJahren wichtige Impulse zur Kooperation von Archiv undSchule.

Einflüsse vor allem aus Frankreich und auch Englandstanden am Beginn der Archivpädagogik in SchwedenMitte der 1980er Jahre. Seit 1994 konnte mit speziellen Pro-grammen der „Foundation Culture of the Future“ eineReihe von Projekten durchgeführt werden. Speziell imregionalen Landesarchiv Värmland entstanden „archivesteaching kits“ und „archives teaching units“, die interes-sierten Lehrern über Internetabruf zur Verfügung stehen.Bei einer Umfrage zur Archivpädagogik in 450 Archiven1999 konnten im Rücklauf 175 Antworten ausgewertetwerden. Interessant erschienen besonders die Projekte, indenen die Archivmitarbeiter die Schule besuchen, z. T.sogar „Archivkoffer“ entwickelt haben, die wie eine Wan-derausstellung ohne persönliche Begleitung in Schuleneingesetzt werden können. Seit 1999 existiert in Schwedenein „Archivpädagogisches Forum“, zu dem sich jährlichetwa 30 Teilnehmer einfinden. Für eine erfolgreiche Arbeitin Schweden – so stellte Christer Bogefeldt im Schlusssta-tement heraus – war und sei auch künftig der internatio-nale Austausch wichtig und bereichernd.

Mit der Vorstellung des Archivs vom MEMORIAL inMoskau durch deren Leiterin Alena Kozlova wurde denKonferenzteilnehmern ein Blick in die historische Bil-dungsarbeit nicht-staatlicher Organisationen ermöglicht.Die 1988 gegründete Gesellschaft MEMORIAL – „Interna-tionale Gesellschaft für historische Aufklärung, sozialeFürsorge und Menschenrechte“ ging aus den Massenbe-wegungen der Perestroika hervor. Neben aktuellerLebenshilfe für Opfer totalitärer Systeme steht die Aufklä-rung der Verbrechen und die Öffnung des Zugangs zuInformationsquellen im Vordergrund, eine Voraussetzungfür die Rehabilitation der Opfer. Das Archiv von MEMO-RIAL besteht seit 1989 und umfasst inzwischen etwa50.000 Einheiten. Es handelt sich vorwiegend um Unterla-gen von ehemaligen Gefangenen des GULAGs und derenFamilien, Unterlagen zur Geschichte der Lager, Doku-mente von ehemaligen Zwangsarbeitern und Zwangsar-beiterinnen. Dabei werden bei biographischen Unterlagen

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Teile vor der Verhaftung, Teile aus der Zeit der Repressionund – sofern die Gefangenen überlebten – Unterlagen ausder Zeit danach vorgefunden. Alena Kozlova stellte ein-drucksvolle Dokumente vor – wenige Millimeter große,geschmuggelte Briefe; Bekenntnisse über letztendlich ver-gebliche Selbstbeschuldigungen –, die im Besitz der Fami-lien über Jahrzehnte aufbewahrt worden waren.

Das vielfach verpönte Feld der Familiengeschichteerhält vor diesem Hintergrund einen zentralen Stellen-wert bei der Rekonstruktion von historischem Geschehenjenseits der offiziellen Überlieferung in den staatlichenArchiven. Das Interesse an der eigenen, bisher aus Vor-sicht verschwiegenen Geschichte wächst in einer Gesell-schaft, in der nach politischen Umbrüchen verstärkt dieFrage nach glaubwürdigen Quellen und Zeugnissengestellt wird. Dem Bedürfnis, über die Familiengeschichtedie Zeitgeschichte zu entdecken, kam das Archiv vonMEMORIAL mit Maßnahmen der historischen Bildungs-arbeit entgegen: Am historischen Wettbewerb, der anfangsvon offizieller Seite nicht unterstützt wurde, haben sichbisher mehrere Tausend mit Arbeiten beteiligt. Die Funk-tion von Archiven als Bewahrer der authentischen Vergan-genheit, als Werkzeugen der Demokratie, wurde beimArchiv von MEMORIAL besonders deutlich.

Nach der Mittagspause wurde die Tagung unter Mode-ration von Ernst-Otto Bräunche, Leiter des Instituts fürStadtgeschichte Karlsruhe, fortgesetzt. Zunächst berich-tete Iveta Šk, in, k, e vom Staatsarchiv Riga über den Standder historischen Bildungsarbeit in den Archiven Lettlands.Am Anfang ihres Vortrags betonte sie, dass die Archivpä-dagogik in Lettland aus der Kooperation mit dem Staatsar-chiv Bremen ihren Anfang genommen hat. Ziel und Auf-gabe historisch-politischer Bildungsarbeit in Lettland istes, die Archive für die Öffentlichkeit, insbesondere fürSchüler und Studenten zu öffnen und ihr Interesse an derhistorischen Arbeit im Archiv überhaupt zu wecken. Zudiesem Zweck kooperiert das Staatsarchiv in Riga mit derAssoziation der Geschichtslehrer Lettlands, während dieArchive in Liepãja und Ventspils direkt mit den Schulenund Universitäten ihrer Städte zusammenarbeiten. AlsFormen der Zusammenarbeit verwies Šk,in, k,e insbeson-ders auf die Besuche und Betreuung der Lerngruppen inden Archiven, „Tage der offenen Tür“, Führungen, Pro-jektwochen, (Wander-)Ausstellungen und Informations-hefte. Ein Schwerpunkt der lettischen Bildungsarbeit sinddie Veröffentlichung von für den Unterricht geeignetenArchivalien und thematischen Unterrichtspaketen für dieSchulen, wobei auch die staatlichen Lehrwerke dank derAnregung der Geschichtslehrerassoziation verstärkt aufArchivdokumente zurückgreifen. Darüber hinaus werdenUnterrichtsmaterialien von Mitarbeitern der Archive undvon Lehrern erarbeitet, aber auch Archivdokumente fürGeschichtsstunden im Internet bereitstellt. Die Referentinbetonte ferner den Stellenwert des Archivs als Ort der Leh-rerfortbildung, wobei inhaltliche und methodischeSchwerpunkte praxisorientiert gesetzt werden. ZumSchluss ihres Vortrags formulierte Iveta Šk,in, k,e als Ziel derArchivpädagogik und historischen Bildungsarbeit in denlettischen Archiven die Stärkung des historischenBewusstseins bei Lehrern, Schülern und Studenten als Bei-trag zur Reflexion der Vergangenheit und Gestaltung einerdemokratischen Zukunft.

Anschließend stellte Professor Frank Meyer vom OsloUniversity College die Chancen der norwegischen Archiv-

pädagogik im Netzwerk Archiv-Bibliothek-Museum dar.In seinem Vortrag hob er hervor, dass es in Norwegenzwar eine Reihe archivpädagogischer Maßnahmen undProjekte, in erster Linie gute Internetseiten und Führun-gen für Schüler und Studenten in den verschiedenenArchiven, gibt, jedoch eine systematische Beschäftigungmit und ein strukturierter Aufbau der Archivpädagogikfehlt. Als sehr gutes Beispiel verwies der Referent auf denInternetauftritt der digitalen Schule des historischen Insti-tuts der Universität Bergen: sie umfasst 16 themenorien-tierte Lernpakete für Schüler und Studenten von derGrundschule bis zur Universität und ein Lehrpaket fürLehrer mit digitalisierten Originaldokumenten; dabeiwerden nicht nur lokale Themen und Inhalte der norwegi-schen Nationalgeschichte in den Kontext der nationalenLehrpläne gesetzt, sondern zusätzlich Diskussionsforenfür die Benutzer angeboten. Darüber hinaus eröffnet dieGründung einer neuen zentralstaatlichen Institution neueChancen und Möglichkeiten: das „Statens senter for utvik-ling av arkiv, bibliotek og museum“ mit Sitz in Oslo, nachenglischem Vorbild organisiert, vergibt und verwaltet För-dermittel, die von Archiven, Bibliotheken und Museenbeantragt werden können und zielgerichtet nur für Schul-und Unterrichtsprojekte an diesen Lernorten zur Gestal-tung des kulturellen „skolesekken“ – eines „kulturellenSchultornisters“ – verwendet werden. Es stehen z. Zt. 3Millionen Euro zur digitalen Vermittlung von Dokumen-ten aus Museen und Archiven, 1,6 Millionen Euro für dieEntwicklung von Pilotprojekten zur Verfügung. Das nor-wegische Reichsarchiv hat zudem die Aufgabe übernom-men, ein archivpädagogisches Curriculum zu entwickeln.Frank Meyer wies am Ende seines Vortrags daraufhin,dass trotz aller viel versprechenden Zukunftsperspektivenfür die Archivpädagogik und historische Bildungsarbeitan den Archiven Norwegens aus diesen Mitteln keine Stel-len für Archivpädagogen eingerichtet werden, sondern esden einzelnen Lehrern überlassen sein wird, diese neuenKonzepte in den Unterricht einzubringen.

Im Anschluss an den norwegischen Beitrag referierteDieter Klose, Archivpädagoge am Staatsarchiv Detmold,über die Archivpädagogik in Deutschland. Deutlichbetonte er die Orientierung der Ziele der Archivpädagogikund historischen Bildungsarbeit an den Leitlinien deut-scher Bildungspolitik, die durch die Forderung nach einervertieften Allgemeinbildung, wissenschaftspropädeuti-schen Grundbildung und sozialen Kompetenzen alsVoraussetzung für Studium und Beruf gekennzeichnetsind. Konsequent ergibt sich daraus der Auftrag archivpä-dagogischer und historisch-politischer Bildungsarbeit inden deutschen Archiven wie die Vermittlung von propä-deutischem Grundlagenwissen über den schulischen Bil-dungsauftrag hinaus, die grundsätzliche Anleitung zuselbständigem Arbeiten und Lernen, die Förderung derReflexions- und Urteilsfähigkeit, die Vermittlung grundle-gender Einstellungen und Verhaltensweisen für das Lebenin einer demokratischen Gesellschaft und kommendersupranationaler Institutionen sowie die Vermittlung derFähigkeit, sich mit Werten, Wertesystemen und Orientie-rungsmustern aktiv auseinanderzusetzen und auf dieserGrundlage eigene Positionen zu entwickeln. Dieter Klosefolgerte daraus, dass die Archivpädagogik als eigenstän-diger Ansatz der historisch-politischen Bildungsarbeit inDeutschland einen Zugang zu Werten und Normen derVergangenheit und Gegenwart ermöglicht, der jenseits des

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von schulischen Erfordernissen geprägten Bildungsauf-trages liegt. Lernen im Archiv, besonders die Arbeit mitOriginalquellen, erreicht die unmittelbare Lebenswelt vonLerngruppen gleich welchen Alters besser als traditionelleBildungseinrichtungen. Somit gewinnt die erst vor 20 Jah-ren entstandene junge Archivpädagogik in Deutschlandaufgrund der sich wandelnden Rahmenbedingungen his-torisch-politischer Bildungsarbeit ständig an Bedeutung;allerdings steht einer permanent wachsenden Nachfrageeine relativ kleine, konstant bleibende oder sich sogar ver-ringernde Zahl von Archivpädagogen gegenüber.Abschließend zog Klose als Fazit, dass es in Deutschlandauch keine staats- oder länderübergreifenden archivpäda-gogischen Lehr- und Lernprogramme gibt. Jedes Archiventwickelt aus seinen spezifischen Möglichkeiten undGegebenheiten heraus meist praxisnahe Angebote für dieBildungsarbeit, die sehr unterschiedlich strukturiert sind.Nur wenige Veröffentlichungen haben deshalb denCharakter einer allgemeinen Einführung in die Archivar-beit.

Im folgenden Diskussionsimpuls griff Ernst-OttoBräunche die Eckpunkte aus Kloses Beitrag auf und stelltefest, dass trotz einer dichten kommunalen Archivland-schaft in Deutschland eine flächendeckende historischeBildungsarbeit personell kaum machbar ist, nicht alleinwegen der Finanzkrise deutscher Kommunen. Trotzdemvermochte Bräunche seinen Zuhörern Mut zu machen, daarchivpädagogische Projekte auch in finanziell schlechtenZeiten durch engagierte Lehrer fortgeführt werden. Alsbeeindruckende Beispiele nannte er Ausstellungen z. B.zur Stadtgeschichte in Plakaten oder das digitalisierteGedenkbuch für Karlsruher Juden, deren Biografien Schü-lerinnen und Schüler schreiben. Die Zukunft von Archiv-pädagogik und historischer Bildungsarbeit sah er vorallem in der Kooperation mit Dritten – Schulen, Universi-täten und Lehrern –, nur so sei es möglich, der gesellschaft-lichen Verpflichtung der Kommunalarchive zur histori-schen Bildungsarbeit nachzukommen.

In der sich anschließenden, sehr lebhaft, teils kontro-vers, aber immer atmosphärisch freundlichen Diskussiondrehte sich die zentrale Frage zunächst um die Adressatenarchivpädagogischer Bildungsarbeit: die verschiedeneneuropäischen Diskussionsbeiträge verdeutlichten, dassder Nachfragebereich archivpädagogischer bzw. histo-risch-politischer Bildungsarbeit vom Grundschüler überden Hauptschüler unterschiedlicher nationaler und ethni-scher Herkunft bis zum Studenten und Teilnehmer derErwachsenenbildung reicht und es in allen an der Konfe-renz beteiligten Staaten auf eine adressatenbezogene Auf-bereitung archivmethodischer Konzepte ankommt. Inallen Teilnehmerstaaten besteht außerhalb der histori-schen Wissenschaften ein großes Interesse an Geschichte,vor allem an der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Jahrebis 1980. Einigkeit bestand in der Diskussionsrunde darin,dass eines der größten Probleme europaweit darin besteht,die Bildungsinstitutionen und speziell die Lehrer zu errei-chen, um Kooperationswege aufzubauen und die Verbin-dung zwischen der Schule und dem Archiv als außerschu-lischem Lernort auch unter dem Aspekt der Leistungsbe-wertung von Schülerarbeit inhaltlich und organisatorischzu etablieren. Das unterschiedliche politische Gewicht vonErinnerungskultur in Europa, besonders in den osteuro-päischen Staaten, und die damit verbundene Aufarbei-tung der eigenen Vergangenheit beschäftigte alle Teilneh-

mer über das offizielle Ende dieser Konferenzphasehinaus.

Archivdidaktik

Den zweiten thematischen Block des Tages zur Archivdi-daktik moderierte Katharina Hoffmann von der Univer-sität Oldenburg. In ihrer Einleitung verwies sie auf dieinhaltlich und begrifflich nicht deutlich genug getrenntenDefinitionen von Archivdidaktik und Archivpädagogik;Sie legte ferner dar, dass diese Begriffe oft unterschiedlichmit verschiedenen Archivlandschaften, Bildungssyste-men und Geschichtskulturen verknüpft sind. Das fol-gende Vortragsprogramm bewertete sie als drei unter-schiedliche Wege, wie aus der Perspektive der Schule, desGeschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten und vonEUSTORY Einfluss auf die Didaktik und Methodik desGeschichtslernens genommen wird.

„Rettungsinsel in der Bildungskatastrophe? – Überle-gungen zum Verhältnis von Archiv und Schule“ betitelteseinen Vortrag Thomas Lange, Archivpädagoge amStaatsarchiv Darmstadt und gleichzeitig Geschichtslehreran einem Darmstädter Oberstufengymnasium. In seinerEinleitung bewertete der Referent mit dem provokantenSchlagwort „Neue Bildungskatastrophe“ den Paradig-menwechsel von Inhalten zu Methoden als Belastung dergegenwärtig in Deutschland diskutierten Bildungsreform,die von einer Reduzierung auf Lernmethoden bei gleich-zeitig möglichst zentraler Kontrolle durch die Kultusbüro-kratie gekennzeichnet sei. Unter den Schlagworten Bil-dung für alle, Absage an umfassende Allgemeinbildung,Systemveränderung, Kritik an Schule und Gesellschaft,Unterschiede in der erlernten Wissensmenge und umfas-sende Methodendiskussion zeichnete Lange das Szenariodes PISA-Schocks, der den Ruf nach Bildungsstandards,Evaluation und Vergleichsprüfungen auf Grundlage vonKerncurricula nach sich zog, was eine Abkehr von einerdifferenzierten, individualisierten Leistungsanforderungbedeutet. Inwieweit die Lebens- und Erfahrungswelt derheutigen Jugendlichen Auswirkungen auf eine Verände-rung des Geschichtsunterrichts hat, vertiefte der Referentdurch Nachweise aus der 14. Shell-Jugendstudie „Jugend2002“, die Jugendliche als Egotaktiker beschreibt, diegekennzeichnet sind durch die Akzeptanz von Leistungund Anpassung, durch die Unfähigkeit zur Konzentrationauf „lineare“ Gedankenfolgen als Ergebnis ihrer Sozialer-fahrungen und durch die mediale Kommunikationsästhe-tik der „Plötzlichkeit“. Das Buch und damit auch dasSchulbuch rückt immer mehr in den Hintergrund ihrerInteressen. Als Folge fragte der Referent danach, wie unterdiesen Voraussetzungen Archive als Bildungsinstitutio-nen der Informationsgesellschaft für die Schule genutztwerden können. Für ihn kommt historisches Lernen imArchiv den Bedürfnissen der Jugendlichen entgegen, weiles gegen Standards und für individualisierende Methodenund Inhalte wirkt. Es entspricht den Vorstellungen derGeschichtsdidaktik, weil es auf ein reflektiertes Ge-schichtsbewusstsein abzielt, das die Unterschiede zwi-schen Vergangenheit und Gegenwart ebenso betont wiedie Tatsache, dass Geschichte immer Re-Konstruktion unddamit Bewusstseinsleistung ist. Es fordert und motiviert

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entschieden zur Überwindung der oft beklagten Defiziteim Lesen heraus, und es ist gegen den mainstream derMethodenbeliebigkeit ein Lernen für Anstrengung undDistanz, gegen vermeintlich distanzlose Mühelosigkeit.Geschichte wird wieder sinnlich und persönlich gemachtdurch die vergleichende Identifikation für die eigeneLebenswelt zum Beispiel durch Fotos, durch das entde-ckende Lernen, Spurensuche als Detektivarbeit oder dieRekonstruktion von Teillebensläufen. Lange fordertedabei den Einsatz kontroverser Primärzeugnisse, denSchwerpunkt der Handlungsorientierung und denGrundsatz der Multiperspektivität. Als positives Fazit zogLange, dass die deutschen Kultusverwaltungen demzunehmend Rechnung getragen haben: die Bedeutungvon Archiven in den Lehrplänen der Bundesrepublik hatin den letzten Jahren deutlich zugenommen. Auch gegendie „Vergleichswut“ von Mess- und Testverfahren, die aufStandardisierung zielen, gegen den Markt von Methoden-beliebigkeit, wird die individualisierende Arbeitsweiseforschenden Lernens, eine Spurensuche, die Multiper-spektivität und Fremdheit der Geschichte bewusst reflek-tiert, in den Archiven und mit Hilfe der Archive und d. h.der Archivarinnen und Archivare in Zukunft weiter anRaum gewinnen. Nicht nur die Geschichtsdidaktik, auchdie Lebenswelten und Erfahrensweisen der Jugendlichenweisen in diese Richtung, schloss der Referent.

Danach stellte Lothar Dittmer von der Körber-Stiftungdie Bedeutung des Geschichtswettbewerbs des Bundes-präsidenten in seiner historischen Genese und dessenpädagogischen Nutzen in der Vergangenheit und für dieZukunft historischen Lernens dar. Er betonte dabei dieAufarbeitung der Vergangenheit im nationalen wie aucheuropäischen Rahmen als lohnende Zukunftsinvestition,die Bedeutung neuer, anderer Themen als wichtigenBestandteil von Geschichtslernen und die damit verbun-dene Verifizierung von Gegenwartsproblemen als Prüf-stand historischer Erfahrung. An dem im Abstand vonzwei Jahren ausgeschriebenen Geschichtswettbewerb derKörberstiftung waren bisher mehr als 100.000 Jugendlichemit mehr als 20.000 im Durchschnitt ca. 50 Seiten umfas-senden kleineren Forschungsarbeiten beteiligt, aus denen800 Veröffentlichungen hervorgingen. Themen, die jungeMenschen besonders interessierten, waren der National-sozialismus, konkrete Arbeiten zum Denkmal und aktuellPolitisches wie Migration. Dittmer wies deutlich daraufhin, dass Themen Zeit brauchen, bis sie sich aus einerTabuzone gelöst haben und dass eine wirkliche Öffnungnur mit einem entsprechenden methodologischen Unter-bau gelingt, der sich in offenen Lehrformen äußern kann.Als pädagogischen Nutzen des Wettbewerbs verwies derReferent auf die Vorteile von Heimatgeschichte, das span-nende Erlebnis lokaler Spurensuche, die Region, Ort, aberauch die eigene Familie umfassen kann. Ihr Ergebnis istsomit nicht ein bloßer Reflex auf die jeweilige geschichts-wissenschaftliche Debatte, vielmehr wird Geschichte überden Nahbereich erschlossen. Darüber hinaus vermitteltder Wettbewerb Erstkontakt mit Originalquellen und Zeit-zeugen. Inhaltliche Ziele und Wertungen werden nichtvorgegeben, Freiraum zum Nachdenken bleibt, somitrepräsentiert der bundesweite Wettbewerb eine demokra-tische Form von Geschichtsschreibung von unten. Insge-samt, resümierte der Referent, ist der Geschichtswettbe-werb ein wichtiger Beitrag zur Bildung junger Menschen,er unterstützt Kreativität und fördert die wissenschafts-

propädeutische Ausbildung. Als politisch-historischesFörderwerk zielt er auf Eigenständigkeit, vernetztes Den-ken und Teamarbeit. Dittmer betonte, dass der deutscheGeschichtswettbewerb undenkbar wäre ohne eine Kulturhistorischen Lernens, zu der unverzichtbar die Lehrergehören, die Interesse an Geschichte wecken und gutenGeschichtsunterricht und historische Projektarbeit leisten,historisch und methodisch kompetente Moderatoren undlokalhistorische Netzwerke gehören. Als Fazit schlossDittmer, dass der vermeintliche Gegensatz zwischenSchule und Archiv eher ein Kommunikations-, aber keinAusbildungsproblem von Archivaren und Lehrern ist; erforderte eine Pädagogisierung der Fachwissenschaft undstellte den alleinigen Anspruch des Lehrers auf Vermitt-lung und Inszenierung und des Archivars auf Wahrungder Authentizität in Frage, sah gegenseitige Unterstüt-zung und Zusammenarbeit als machbare Lösung. Für ihnstellt der gesellschaftspolitische Auftrag an die Archivekeinen Gegensatz zu den „Kernaufgaben“, sondern eineNotwendigkeit dar.

Mit dem Beitrag von Gabriele Bucher-Dinç, verant-wortlich für EUSTORY bei der Körber-Stiftung, schlossdieser für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehr infor-mative Nachmittag. Frau Bucher-Dinç berichtete in ihremReferat „EUSTORY – das europäische Netzwerk vonGeschichtswettbewerben stellt sich vor“ über das interna-tionale Netzwerk von Organisationen, die in vielen Län-dern Europas unabhängige Geschichtswettbewerbe, soge-nannte Forschungswettbewerbe, für Schülerinnen undSchüler ausrichten. Sie sollen zur kritischen Auseinander-setzung mit der Vergangenheit ermutigen, dabei helfen,Toleranz, interkulturelles Verständnis und demokrati-sches Bewusstsein unter Europäern zu entwickeln, Räumefür Begegnungen zu ermöglichen. EUSTORY gibt dabeipraktische und methodische Hilfen, berät die Organisatio-nen und hilft bei der Verbesserung und Optimierung dernationalen Strukturen. Obwohl die Sprache in der Zusam-menarbeit ein nicht zu unterschätzendes Problem dar-stellt, funktioniert die Kooperation zunehmend gut. Desweiteren schafft EUSTORY vielfältige Angebote für deninternationalen Jugendaustausch: so ist die jährliche Som-merakademie ein produktives Forum der Wettbewerbs-preisträger, die ergänzt wird durch die Young Adults Aca-demy. Bucher-Dinç betonte zum Schluss den Charaktervon EUSTORY als supranationales Modul nicht nur zurinhaltlichen Zusammenarbeit sondern auch zur Vertie-fung von Freundschaft und zum Abbau von Vorurteilenzwischen europäischen Jugendlichen.

Die anschließende sehr lebhafte Diskussion griff nocheinmal die Rolle von Archivaren und Lehrern in der histo-rischen Bildungsarbeit auf, beschäftigte sich mit den Pro-blemen osteuropäischer Geschichtswettbewerbe und dis-kutierte die Rolle von EUSTORY im gesamteuropäischenKontext, wobei kritisch hinterfragt wurde, warum diesesinternationale Netzwerk seinen Schwerpunkt in Osteu-ropa sieht und mittel-, vor allem aber westeuropäischeNationen nur in geringer Zahl vertreten sind. Der zweiteTag schloss mit dem Begegnungsabend, in dessen Verlaufwie in einer großen Familie die Konferenzbeiträge weiter-diskutiert und auf bi- wie auch multilateraler Ebene erstekonkrete Ergebnisse besprochen und Zukunftsziele ange-rissen wurden. Die Atmosphäre eines lauen Sommer-abends gab deutliche Vorzeichen für den positiven Verlaufdes letzten Konferenztages.

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Perspektiven für ein europäisches Netzwerk

Am nächsten Morgen stellte Günther Rohdenburg vomStaatsarchiv Bremen nach einer kurzen Begrüßung durchClemens Rehm resümierend noch einmal die bisherigeArbeit der Archivpädagogen in Deutschland vor. Einlei-tend betonte er, der Begriff „Archivpädagogik“ sei einSammelbegriff für eine Entwicklung, die vor 17 Jahrenbegonnen und ihren Niederschlag in den jährlichenArchivpädagogik-Konferenzen gefunden habe, die sichim Laufe der Zeit von der reinen Berichterstattung übervergangene und geplante Vorhaben zum nationalenArbeitsforum, auf dem Schwerpunkte archivpädagogi-scher Arbeit formuliert werden, entwickelt haben. Demzwischen den Konferenzterminen notwendigen Informa-tionsaustausch der geographisch weit entfernt voneinan-der arbeitenden Archivpädagogen Deutschlands dientunter anderem die Internetseite www.archivpaedago-gen.de, die nach dem Aktualitätsprinzip aufgebaut ist undbereits während seines Vortrages erste Ergebnisse dernoch stattfindenden Konferenz in Bocholt zeigte. Die beidieser Adresse gelisteten Interessenten archivpädagogi-scher Arbeit erhalten den als Internetversion erstelltenBrief „Archiv-Bildung-Pädagogik. Mitteilungsblatt derMitarbeiterInnen der Historischen Bildungsarbeit und derArchivpädagogInnen an Staats- und Kommunalarchivender Bundesrepublik Deutschland“ als aktiven Dienst, der,wenn bestellt, in unregelmäßigen Abständen seine Emp-fänger über Neues und Interessantes auf dem Gebiet derArchivpädagogik informiert. Damit verfügt die Archivpä-dagogik in Deutschland über zwei unterschiedlich struk-turierte Infodienste, die von ca. 140 Interessierten genutztwerden. Diese Zahl dürfte der Gesamtzahl der mit unter-schiedlicher Intensität auf diesem Gebiet Tätigen entspre-chen.

Rohdenburg schlug vor, diesen nationalen Ansatz miteinem neuen Portal europaweit auszubauen, für das derTitel www.elan-net.info reserviert wurde. Er wies daraufhin, dass Aufbau und Aktualisierung dieses Portalszunächst nur mit immensem persönlichen Einsatz allerBeteiligten funktionieren können, da in absehbarer Zeit

keine Mittel für eine professionelle Betreuung zur Verfü-gung stehen, gab aber der Hoffnung Ausdruck, dass eineFinanzierung aus Europageldern möglich sein könnte/sollte, wenn die Anwesenden und weitere Interessierteüber diese Konferenz hinaus durch ihre Internet-Beiträgezeigen, dass der Ansatz funktioniert. Kurzfristiges Ziel derArbeit soll der Aufbau eines passiven Infodienstes sein,der Links zu Informationen, die an anderer Stelle im Netzbereits abrufbar sind, enthält. Er könnte Hinweise auf ver-wandte Organisationen, Wettbewerbe, Projekte, Ausstel-lungen, Unterrichtsvorhaben etc. bieten. Daneben hieltRohdenburg mittel- und langfristig auch einen aktiven,europaweiten Dienst für möglich, der aber nur bei entspre-chendem Engagement aller Beteiligten funktionierenkann.

Clemens Rehm holte sodann die grundsätzliche Zu-stimmung aller Anwesenden für die Aktivierung derAdresse ein und gab die Diskussion frei, die folgendeSchwerpunkte zeigte: Vorschläge zur ersten inhaltlichenFüllung der Seite mit der Vorstellung von in den einzelnenStaaten existierenden Projekten, Tipps für die alltäglicheArbeit und Praxisnähe; die Forderung nach einer gutenStrukturierung des Portals, um „Nebelbildung“ zu ver-meiden; den Wunsch nach einem wissenschaftlich orien-tierten Diskussionsforum, in dem Begriffsproblematiken,Zielgruppendefinitionen, mögliche Berufsbilder und Aus-bildungswege diskutiert werden können; die Fragedanach, ob unter dieser Adresse ein Spezialservice für einerelativ kleine, in sich geschlossene Berufsgruppe geschaf-fen werden solle oder ob es sich um ein benutzerorientier-tes, auf alle Bereiche historisch-politischer Bildungsarbeitabzielendes Großportal handeln wird; das Problem derFinanzierung. Hier sollte für das Gesamtprojekt eine EU-Finanzierung und im nationalen Rahmen die Finanzie-rung über die in den Bildungsministerien anzusiedelndehistorisch-politische Bildungsarbeit angestrebt werden.Weitere Möglichkeiten bestehen in bi- oder multinationa-len Programmen wie INTERREG, die im wesentlichen vonMuseen genutzt werden, aber bei entsprechendem kreati-ven Zuschnitt der Planungen auch Raum für archivpäda-gogische Teilprojekte lassen. Ferner können bereits beste-hende Kooperationsverträge genutzt werden, um euro-päische Zusammenhänge abgreifende Themenhefte zuerstellen. Genannt werden hier die Weltkriege und diegrenzüberschreitenden Probleme von Minderheiten sowieMigrationsbewegungen; die Nutzung des Portals als Basisfür europaweit vernetzte Schulprojekte („joint-projects“),auch Video-Konferenzen und Dokumente online für The-men von europäischem Interesse. Am Schluss der enga-gierten und lebhaften Diskussion bat Günther Rohden-burg darum, ihm möglichst bald aus den Archiven der ander Konferenz beteiligten Staaten bereits existierendeModelle bzw. Unterrichtsvorschläge/ -projekte/ -materia-lien zuzumailen, damit unter der genannten Adresse einerstes Materialangebot abrufbar wird.

Im zweiten Abschnitt der Vormittagsveranstaltunginformierte Christer Bogefeldt, Archivar im Reichsar-chiv Stockholm und Sekretär des Committee on Outreachand User Services (ICA/COU), über Aufgaben, Aufbauund Möglichkeiten des ICA, das im kulturellen Bereichder UNESCO seit 50 Jahren neben der IFLA und der ICOMexistiert. Seine Ausführungen beschäftigten sich mit derEntstehung, den allgemeineren Zielen und Aufgaben,Gegenstandsbereichen und Themen, Methoden, Schwer-Startseite von www.elan-net.info

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punkten und Schnittmengen der Arbeit des ICA/COUund den Anliegen der heutigen Konferenz. Er betonte,dass sich die Unterstützung des ICA auf die Schaffung vonDiskussionsplattformen und Verbreitung solcher Portale,wie sie auf dieser Konferenz gerade vorgestellt wordensind, konzentrieren sollte und einen Schneeballeffekt aus-lösen könnte. Im Bereich der Archivpädagogik (alsBestandteil des Unterabschnittes „educational programs“)müsse sie sich auf grundsätzliche Unterstützung und dieHerstellung von Kontakten zu weltweiten Gesprächs- undKorrespondenzpartnern beschränken. In der Diskussionwurde darauf hingewiesen, bei der Bildung von Bestän-den nicht nur die Nutzer, sondern auch die Ablieferer vonArchivgut in den Blick zu nehmen. Das gelte vor allem fürprivate Archive. Des weiteren wurde davor gewarnt, denAktionsradius schon zu diesem recht frühen Zeitpunkt zuweit zu spannen, da zwischen europa- und weltweit arbei-tenden Institutionen große Unterschiede bestehen. An dasICA/COU ging die Bitte, dafür zu sorgen, dass Themender historischen Bildungsarbeit in grenzüberschreitendenKonferenzen abgehandelt werden sollten, die von deninternationalen Institutionen wie ICA organisiert undunterstützt werden sollten.

Clemens Rehm schloss die Veranstaltung mit demDank an alle Teilnehmenden, die in diesen drei Tagen einealle Erwartungen übertreffende aktive und konstruktiveMitarbeit gezeigt haben. Im Verlauf dieser Konferenzhaben sich europaweit neue Aufgabenfelder und neuePerspektiven ergeben. Sein Dank galt allen Referenten, diein ihren Beiträgen gezeigt haben, dass es gemeinsame Auf-gaben gibt, an denen europaweit weitergearbeitet werdenmuss. Der Verlauf der Konferenz hat gezeigt, dass dasThema „Archivpädagogik und historisch-politische Bil-dungsarbeit in Archiven“ nicht nur eine archivische, son-dern auch eine eminent politische Bedeutung hat. Archivehaben einen unverzichtbaren Auftrag in einer demokrati-schen Gesellschaft und müssen allen Interessierten nichtnur zugänglich sein, sondern ihre Angebote müssen auchzielgruppengerichtet aktiv gestaltet angeboten werden.Sein Dank galt auch dem Übersetzerteam, das Problemeder Sprache bei grundsätzlich gleichen Ideen und Begrif-fen gar nicht erst hat aufkommen lassen. Schließlich erin-nerte er an die Aufgabe für alle Anwesenden, die neueInternetadresse mit Informationen aus ihren Staaten undArchiven zu beschicken. Den Schluss seiner Ausführun-gen bildete ein Zitat von Erich Kästner: „Es gibt nichts

Gutes, außer man tut es“. In diesem Sinne wünschte Rehmallen eine gute Heimreise und eine effektive Zusammenar-beit über die Grenzen hinaus schon in den nächstenWochen.

Fazit

Archivare, Lehrer, Kulturwissenschaftler, Gedenkstätten-fachleute, Vertreter nationaler und internationaler Organi-sationen (ICA) haben an diesen drei Tagen in intensivemAustausch und engagierten Gesprächen den entscheiden-den Beitrag der Archivpädagogik und historischen Bil-dungsarbeit für die Positionierung der Archive in derGesellschaft herausgearbeitet. Erkannt wurden aber auchDefizite, insbesondere wurde die Forderung erhoben, dieEinbindung der Archivnutzung in Lehreraus- und fortbil-dung zu verbessern. Die Beiträge und Diskussionen blie-ben nicht in unverbindlichen Absichtserklärungen ste-cken; vielmehr verwandelte sich die Tagung während derSchlussdiskussion in einen Workshop mit konkretenArbeitsaufträgen für die nahe Zukunft. Das auf den Weggebrachte Netzwerk (www.elan-net.info) wurde umge-hend mit Informationen gefüllt und soll auch künftig alsAustausch-Plattform der archivischen historischen Bil-dungsarbeit in Europa kontinuierlich aktualisiert werden.Die Grundinformationen stehen bislang in deutscher undenglischer Sprache zur Verfügung. Sie sollen um weitereSprachen ergänzt werden. Eine enge Abstimmung derArbeit mit dem auf der Konferenz vorgestellten Commit-tee on Outreach and User Services des International Coun-cil of Archives (COU/ICA) wurde mit dem Sekretär desCommittees verabredet.

Von dieser Konferenz sind Impulse ausgegangen, dienach ganz Europa ausstrahlen. Die von der EuropäischenUnion, der Körber-Stiftung und dem Verband deutscherArchivarinnen und Archivare geförderte Konferenz hateine erste Basis geschaffen für den als notwendig empfun-denen und erfahrenen transnationalen Austausch. Der Ini-tiator und Veranstalter, der Arbeitskreis „Archivpädago-gik und historische Bildungsarbeit“ im Verband deutscherArchivarinnen und Archivare, wird den Austausch überdas Internet organisieren und versuchen, weitere persönli-che Begegnungen zu ermöglichen.

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Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit mikrobiell kontaminiertem ArchivgutInhalt und Bedeutung der neuen archivspezifischen „Technischen Regeln für biologische Arbeitsstoffe“ (TRBA 240)

Von Hanns Peter Neuheuser

Einführung

Zur Vorgeschichte der TRBA 240Die Problematik der Gesundheitsgefährdung durch Staub,Schmutz, Mikroorganismen, Insekten, Nagetiere undVögel im Archivwesen ist von Verantwortlichen undBetroffenen teils aufgrund naturwissenschaftlicherUnkenntnis erheblich unterschätzt, teils aufgrund einerEmotionalisierung unangemessen überschätzt worden.Die ersten systematischen Bemühungen, sich der Thema-tik des Schimmelpilzbefalls konstruktiv zu nähern und dieInformationsbasis zu verbreitern, waren darauf gerichtet,mithilfe von mikrobiologischen und allergologischenUntersuchungen zu erkunden, wie entsprechendeGesundheitsgefahren zu bewerten sind;1 zudem habenHygiene- und Klimafachleute sowie Bauphysiker ihrenSachverstand in die Diskussion eingebracht. Es stellte sichaber bald heraus, dass derartige Analysen zwar die punk-tuelle Situation besser einzuschätzen halfen, aber in derarchivischen Alltagspraxis nicht zwingend infrastruktu-relle Maßnahmen auslösten. In vielen Fällen bewirktenweder die Untersuchungen der Archivräume noch dieFormulierung von im Grunde unverbindlichen „Empfeh-lungen“ eingreifende und mitunter kostenträchtige Verän-derungen der Situation. Gefragt war also vielmehr ein soli-des Handlungsinstrument, das nicht nur bei den imArchivwesen Verantwortlichen, sondern auch bei denUnterhaltsträgern den notwendigen Respekt genoss. Alssolches muss der Arbeitsschutz angesehen werden, wel-cher über ein langjährig eingeführtes und zuletzt 1996durch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) aktualisiertesVerfahren zur Gefahrenermittlung und zur Realisierungvon Schutzzielen verfügt.2 Hilfreich war bei diesem Dis-kussionsstand, dass gerade von 1999 und bis in die Gegen-wart von der Seite des Arbeitsschutzes auf die Situationder Schimmelpilzbelastung im Archivwesen aufmerksamgemacht wurde.3 Ferner wurde die Problematik noch ein-mal vonseiten des Bibliothekswesens thematisiert.4

1 Zum nordrhein-westfälischen Untersuchungsprojekt vgl. Hanns PeterNeuheuser, Martin Schata, Gesundheitsvorsorge in Archiven. ZurGefährdung durch Schimmelpilz-Kontamination im Umgang mitArchivgut, in: Der Archivar 47 (1994), Sp. 120–128. – Den umfangreiche-ren Abschlussbericht vgl. bei Hanns Peter Neuheuser, Gesundheits-vorsorge gegen Schimmelpilzkontamination in Archiv, Bibliothek,Museum und Verwaltung. Problematik, Empfehlungen, künftige Aufga-ben. Mit einer Auswahlbibliographie, in: Bibliothek. Forschung und Praxis20 (1996), S. 194–215.

2 Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zurVerbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäf-tigten bei der Arbeit vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1246).

3 Vgl. Frank Riege, Elke Wenzel, Frank Eversmann, Schimmelpilzbe-fall in Thüringer Archiven, Depots und Magazinen. Exposition amArbeitsplatz, Prophylaxe, Beseitigung, in: Gefahrstoffe – Reinhaltung derLuft 59 (1999), S. 123–131. Vgl. auch die landesspezifischen Broschürenin Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Baden-Würt-temberg.

4 Vgl. Bruno Klotz-Berendes, Schimmelpilzbefall in Bibliotheken. Vor-kommen, Gefährdungen, Bekämpfungen, in: Bibliotheksdienst 34 (2000),S. 47–59.

In der Zwischenzeit war 1999 zudem in Ausführungeinschlägiger EU-Richtlinien die bundesdeutsche Biostoff-verordnung (BioStoffV) in Kraft getreten5, die nicht zuletztwegen der dort verwendeten arbeitsschutzspezifischenTerminologie zunächst kaum Beachtung im Archivwesenfand. In der BioStoffV wurde nicht nur ein neues biologi-sches Instrumentarium für den Arbeitsschutz entworfen,sondern auch die rechtliche Relevanz unserer Fragestel-lung unterstrichen.6 Entsprechend der Definition desAnwendungsbereichs, d. h. der beruflichen Expositionmit Mikroorganismen, soweit sie beim Menschen Infektio-nen, sensibilisierende oder toxische Wirkungen hervorru-fen können (§§ 1 und 2 BioStoffV), ist der Bezug zum Kom-plex „Staub, Schmutz und Schimmel“ und den auf dieseWeise gefährdeten archivischen Arbeitsplätzen unmittel-bar gegeben, allerdings noch ungenügend bestimmt. DasZiel der anwendungsspezifischen Konkretisierung verfol-gen so genannte „Technische Regeln für biologischeArbeitsstoffe“ (TRBA), welche vom Ausschuss für biologi-sche Arbeitsstoffe (ABAS), der beim Bundesministeriumfür Wirtschaft und Arbeit ressortiert, erarbeitet und dannvom Ministerium in Kraft gesetzt und im Bundesarbeits-blatt veröffentlicht werden, während die Geschäftführungbeim Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin(BAuA) liegt.7 Die TRBA regeln dabei nicht nur auf ver-bindliche Weise die in der BioStoffV lediglich umrissenenAnwendungsgebiete, sondern dienen auch der aktuellenFestschreibung von Standards (vgl. die TRBA-Präambeln),da die Arbeitschutzmaßnahmen bereits nach § 4 ArbSchG„den Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygienesowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftlicheErkenntnisse“ berücksichtigen müssen. Insofern werdenin den TRBA auch die anwendungsseitig, hier also vomArchivwesen, eingebrachten Standards einer Prüfungunterzogen.

Im März 2003 ist nach längeren Vorarbeiten eine archiv-spezifische „Technische Regel“ zur Ausführung der Bio-StoffV, nämlich die TRBA 240, in Kraft getreten8, wobeiinsbesondere die Arbeitsschutzbehörden, die Mikrobiolo-gie, die Arbeitsmedizin, aber auch die Archivseite zusam-menwirkten. Die Zusammensetzung des Beschlussgremi-ums, insbesondere das Zusammenführen von unter-schiedlichen Interessen etwa von Arbeitgeber- und Arbeit-nehmerseite sowie auch der gesetzlichen Unfallversiche-rungsträger, lässt erkennen, dass es sich bei dem verab-schiedeten Papier um einen Konsens handelt, welcher all-seitige Zugeständnisse erforderlich machte. Zur Erleichte-rung eines Zuganges zum Wortlaut dieser TRBA, zur Mit-teilung von vielleicht hilfreichen Hintergrundinformatio-

5 Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Tätigkeiten mitbiologischen Arbeitsstoffen vom 27. Januar 1999 (BGBl. I S. 50).

6 Vgl. hierzu Hanns Peter Neuheuser, Arbeitsschutzrechtliche Problem-lösungen bei der Exposition mit mikrobiell belastetem Staub an Arbeits-plätzen des Kulturbereichs, in: MUTEC-Proceedings (im Druck).

7 Vgl. http://www.baua.de/prax/abas/.8 Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit mikrobiell kontaminiertem

Archivgut – TRBA 240, Ausgabe März 2003 (Bundesarbeitsblatt 3/2003,S. 60).

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nen, aber auch zur Förderung und Weiterentwicklung derDiskussion um dieses Fachthema seien im Folgendeneinige Ausführungen vorgetragen.

Zum Inhalt der TRBA 240Zunächst ist von allgemeiner Bedeutung, dass in denAbschnitten zum Anwendungsbereich, zu den Begriffsbe-stimmungen und zum Ziel der Regelungen Aussagen zuden Gegenständen, die eine Gefahr bergen können, getrof-fen werden. Dabei erscheint bereits beachtlich, dass inForm einer Öffnungsklausel nicht auf den rechtlichenCharakter des jeweiligen Archivträgers oder auf die Defi-nitionen der Archivistik abgehoben wird, sondern auf dasMaterial, unabhängig ob es sich um Eigentum eines förm-lichen Archivs (nach den Archivgesetzen), einer Biblio-thek, eines Museums, einer Dokumentations- oder sonsti-gen Sammlungsstelle handelt. Nur so kann nach der Syste-matik des Arbeitsschutzes erreicht werden, dass alle ein-schlägigen Einrichtungen erfasst werden und niemand dieGeltung der TRBA 240 für einen Bereich in Zweifel ziehenkann, wenn etwa formale Kriterien nicht erreicht würden.Für die im Hinblick auf allgemeine, aber auch von speziel-len (z. B. biogenen) Gefährdungen betroffenen archivi-schen Restaurierungs- und Verfilmungswerkstätten warursprünglich eine eigenständige „Technische Regel“ vor-gesehen, nunmehr werden derartige Einrichtungen jedochunter dieses Dokument subsumiert. Umgekehrt stößt dieTRBA nur dann an die Grenzen ihrer Zuständigkeit, wenneine Ansammlung von Archivgut (darunter auch techni-sche und künstlerische Zeichnungen, Musiknoten, Land-karten etc.) ggf. nicht in den unmittelbaren Arbeitsbereicheines Beschäftigten/Versicherten fällt (z.B. bei personell„unbesetzten“ Archiven, während ehrenamtlich oder imRahmen von Archivpflegemaßnahmen betreute Archivedurchaus erfasst sind). Problematischer erscheint hinge-gen der Kontaminationsbegriff der TRBA 240, welchemdie Auffassung des allgemeinen Rechts der biologischenArbeitsstoffe zugrunde liegt: Ziffer 2.5 engt den „Befall mitMikroorganismen“ ein auf eine über die „gesundheitlichunbedenkliche Grundbelastung“ hinausgehende Belas-tung mit biologischen Arbeitsstoffen, d. h. dass hier einInterpretationsspielraum entstand, welcher nicht durchMaximale Arbeitsplatzkonzentrationswerte (MAK-Werte), wie sie aus dem Gefahrstoffrecht bekannt sind,determiniert ist; auch verzichtete die TRBA 240 auf dieVorgabe eines Technischen Kontrollwertes. Die von derbisherigen Praxis definierte Zugrundelegung einer Ober-grenze von 1000 Kolonie bildenden Einheiten pro m3 alsAuslöseschwelle für Handlungsbedarf fand keine Auf-nahme in die TRBA 240.

Die TRBA 240 besteht erkennbar aus zwei Hauptkapi-teln, die sich mit der Gefährdungsbeurteilung (Ziffer 4)und den Schutzmaßnahmen (Ziffer 5) beschäftigen. Dabeiwurde insbesondere die Gefährdungsbeurteilung als daszentrale Arbeitsinstrument des Arbeitsschutzes über-haupt (bereits nach § 5 ArbSchG) eingesetzt. Hier geht dieTRBA zunächst von einer eher rechtlich-fiktiven alsmikrobiologischen Prämisse aus, wonach generell nichtmit einer Gefährdung zu rechnen sei, wenn Archivgutsachgerecht gelagert wird und geeignete bauliche undraumklimatische Bedingungen vorhanden sind (Ziffer 4Abs. 1). Damit sind zugleich die regelmäßigen Ursachenfür eine Kontamination von Archivgut umschrieben, sodass die Abweichungen von den einschlägigen Standards

die Beurteilung einer Gefährdung – in der Praxis häufigein hochdifferenziertes Ursachenbündel – inhaltlich aus-kleiden. Die Einstufung der biologischen Arbeitsstoffe inRisikogruppen und die Zuordnung einer Schutzstufebewirken vorwiegend die Verortung der archivischenArbeitsplätze in der Systematik des Arbeitsschutzes. Diezweite rechtliche Prämisse, wonach die Erfüllung derTRBA-Auflagen zugleich als Einhaltung der BioStoffVbetrachtet wird, dient der Versicherung der Arbeitgeber-seite angesichts der Befürchtungen von Überregulierun-gen des Arbeitslebens (Ziffer 4.3 letzter Satz). Zuvor wareneinzelne archivische Arbeitsplätze und die hier zu vermu-tenden konkreten Gefährdungen beispielhaft aufgelistetworden.

Bei der Vorstellung der Schutzmaßnahmen (Ziffer 5)geht die TRBA 240 von der im Arbeitsschutz üblichenPriorisierung von Maßnahmengruppen aus, die in deridealen Reihenfolge von technisch-baulichen, organisato-rischen und personenbezogenen Maßnahmen zu ergreifenwären. Damit stehen zwar unter Umständen die kosten-trächtigen Vorhaben im Vordergrund, jedoch mit der Vor-gabe, die unmittelbare Arbeitsweise der Beschäftigtenmöglichst unbeeinträchtigt zu lassen, erst recht die auf denKörper bezogenen Eingriffe zu minimieren. Zuvor jedochwerden vier grundlegende Positionen eingeschärft: dasPostulat vom „Stand der Technik“, die obligatorischeErstellung einer Betriebsanweisung, fakultativ die Erstel-lung eines Hygieneplans und obligatorisch die Pflicht zurUnterweisung der Beschäftigten (Letzteres bereits nach §12 ArbSchG). Die von der TRBA 240 vorgelegten Einzel-maßnahmen verfolgen das Ziel, entweder das archivischeArbeitsumfeld so zu gestalten, dass sich Mikroorganismennicht erst ansiedeln oder wenigstens aufhören zu sporilie-ren (und damit die Atemluft zu belasten), oder aber dieBeschäftigten defensiv zu schützen. Im baulich-techni-schen Bereich heißt dies Regulierung des Raumklimas (18± 1 °C, 50 ± 5% relative Luftfeuchte), Einrichtung raum-lufttechnischer Anlagen unter dem Spezialaspekt derMikroorganismen, Auswahl der Materialbeschaffenheitmit Blick auf die Oberflächengestaltung, Installierung vonSicherheitswerkbänken. In organisatorischer Hinsichtbedeutet dies Kontrolle der Oberflächenfeuchte als frühwarnendes Indiz für Kontamination, Lagerung derObjekte in atmungsaktiven Materialien unter Vermeidungvon Dampfsperren, sachgerechte Ausstattung von Hand-waschplätzen, Vorsorge gegen Nagetiere und Vögel alsTräger und Verbreiter von gesundheitsgefährdenden Stof-fen, schließlich Durchführung von Objektreinigung,Raumreinigung, innerbetrieblichem Transport und Sterili-sation unter dem besonderen Blickwinkel einer Expositionmit kontaminiertem Material. Beim abschließend genann-ten personenbezogenen Bereich werden das Regiment umdie Persönliche Schutzausrüstung (PSA) angesprochenund erstmals bundesweite Standards für das Archivwesendefiniert.

Sodann wird der in der Praxis mit reichlichem Hand-lungsbedarf versehene Bereich des „Messens“ themati-siert. Dabei spricht die TRBA eine Pflicht zur obligatori-schen Messung der Mikroorganismenkonzentration nichtaus, doch dürfte es unverzichtbar bleiben, den Grad deroben genannten „Grundbelastung“ innerhalb des Konta-minationsbegriffs zu quantifizieren – insbesondere dort,wo eine mikrobiell belastete Situation streitig diskutiertwird. Das Verfahren einer solchen Messung war bereits

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früher genau festgelegt worden. Unabhängig davon beste-hen die Verpflichtungen zur Messung des Raumklimasund der Oberflächenfeuchte.

Der letzte Abschnitt der TRBA 240 äußert sich kurz zurarbeitsmedizinischen Vorsorge, welche jedoch in Kürzeinsgesamt eine Neuregelung erfahren wird.

Zur Gesamtsicht der TRBA 240Insgesamt ist zu konstatieren, dass die neue TRBA 240 fürden Bereich des kontaminierten Archivgutes erstmalsüberhaupt verbindliche Regelungen über alle Zuständig-keitsgrenzen des Archivwesens in dessen weitestem Sinnehinweg vorlegt. Damit wird eine verlässliche Ausgangs-basis für konkrete Maßnahmen geschaffen, laienhafteBeurteilungen und Vorgehensweisen eingeschränkt undemotionale Reaktionen zurückgedrängt. Gleichzeitig wirddas Archivwesen innerhalb des allgemeinen Arbeitsschut-zes und innerhalb der Fachwelt von Experten für biologi-sche Arbeitsstoffe nunmehr ernst genommen. Dies erfolgt,indem sich die Aussagen der TRBA 240 einpassen in diesonstigen diesbezüglichen gesetzlichen Grundlagen, dieübrigen TRBA, die Standards der Unfallkassen undBerufsgenossenschaften sowie die internationalen undnationalen Normen und VDI-Vorschriften, welche auchim Umfeld von „Staub, Schmutz und Schimmel“ bereits inreichlicher Anzahl vorliegen.9 Gerade etwa im Bereich derProduktauswahl bietet die TRBA einige konkrete Stan-dards (Partikel filtrierende Halbmasken FFP2, Sicherheits-werkbänke MSW Klasse 1, Staubsauger K1/K2) unddamit Hilfen für die Beschaffung und Ausschreibung.

Die Einbeziehung der Problematik in das System desallgemeinen Arbeitsschutzes und der biologischenArbeitsstoffe bedeutet jedoch zudem, dass sich die imArchivwesen Verantwortung Tragenden mit diesemGebiet stärker vertraut machen müssen, um auch dieRechtsfolgen besser abschätzen zu können (z. B. Rechts-lage bei der Verweigerung, PSA zu tragen, Haftungsfragenfür Vorgesetzte, Ansprüche auf die Gestaltung vonArbeitsplätzen und Arbeitsabläufen). Freilich existierten –wie angedeutet – schon bisher etliche dieser Rechtsnor-men und Standards, etwa auch die Arbeitsstättenverord-nung10 und ihre nachgeordneten Richtlinien. Die neueTRBA hat im Grunde viele dieser Vorstellungen „nur“anwendungsspezifisch ausgekleidet und fokussiert.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass bei einer stärke-ren Beachtung des Arbeitsschutzes im Archivwesen fol-gende Maßnahmen aufgrund der TRBA 240 obligatorischzu veranlassen sind: Gefährdungsbeurteilung, Schutz-maßnahmen, Betriebsanweisung, Unterweisung undarbeitsmedizinische Vorsorge. Fakultativ sollten veran-lasst werden: mikrobiologische Messungen und die Erstel-lung eines Hygieneplans.

Zur Weiterentwicklung der TRBA 240Die Implementierung des Gedankenguts der neuen TRBA240 in den archivischen Alltag setzt das Kennenlernen unddie praktische Anwendung voraus. Damit sind die indivi-

9 Vgl. den Überblick bei Hanns Peter Neuheuser, Standards und Nor-men im Umfeld von Staubexposition und Schimmelpilzkontaminationin Archiven, Bibliotheken und Museen, in: Bibliotheksdienst 34 (2000),S. 1168–1181. – Vgl. ferner Hanns Peter Neuheuser, Checkliste Staub,Schmutz, Schimmel in Archiven, Bibliotheken und Museen, in: Biblio-theksdienst 36 (2002), S. 1228–1242.

10 Verordnung über Arbeitsstätten vom 20. März 1975 (BGBl. I S. 729).

duellen Erfahrungen und notwendigen Anpassungengemeint, d. h. auch die ermessensfehlerfreie Nutzung vonEntscheidungsspielräumen. Zweckmäßig sollte sich dieAufmerksamkeit nicht allein auf die Problematik der bio-logischen Arbeitsstoffe beschränken, sondern innerhalbeines Gesamtkonzepts für den Arbeitsschutz entwickeln.Die Archive sollten die Möglichkeiten sehen und ergrei-fen, mit Hilfe des Arbeitsschutzinstrumentariums ihreeigene Betriebsorganisation (Work-flow) auf Effektivitätund Effizienz zu untersuchen und die Maßnahmen in dasQualitätsmanagement zu integrieren. Die TRBA 240scheint in vielen ihrer Aussagen auf archivische Probleme„den Finger gelegt“ zu haben, die schon seit längerer Zeitmit Handlungsbedarf versehen waren – erwähnt seienetwa die Schnittstellen zur konzeptionellen Bestandser-haltung11, zum Hygieneregiment12, zum Magazinmanage-ment, zur Massendekontamination und -reinigung oderzur automatisierten Raumklimaregulierung.

Dem im Archivwesen zweifelsohne vorhandenen Infor-mationsbedarf zu allen Fragen des Arbeitsschutzes mussdurch Fortbildungsangebote begegnet werden. Bereits2001 hatte das Rheinische Archiv- und Museumsamt inZusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin eine bundesweit ausgeschriebeneVeranstaltung zur Einführung in die Gesamtproblematikangeboten; 2003 wurde zudem (gemeinsam mit dem Ver-band nordrhein-westfälischer Bibliotheken) ein Spezialse-minar zur arbeitsschutzrelevanten Haftung von archivi-schen Führungskräften durchgeführt.13 Die Vereinigungder Wirtschaftsarchive hat die Fragestellung – auch unterdem Aspekt der biologischen Arbeitsstoffe – in ihr Semi-narprogramm aufgenommen und dort als Routinethemabehandelt. In anderen Sparten (vgl. etwa die im Jahr 2000ergriffene Initiative des zwischenzeitlich aufgelöstenDeutschen Bibliotheksinstituts) und anderen Bundeslän-dern (insbesondere Thüringen, Sachsen und Baden-Würt-temberg) zeigen entsprechende Aktivitäten, dass derHandlungsbedarf erkannt worden ist. Die Vorstellung derneuen TRBA ist inzwischen auch in den englischsprachi-gen Raum hinein kommuniziert worden.14

Gleichzeitig ist zu sehen, dass die Diskussion um dieTRBA 240 auch dem Arbeitsschutz Regelungsbedarf inDetailfragen aufgezeigt hat. Zunächst ist es erfreulich,dass die Arbeitsschutzinstitutionen den Kultursektor ver-stärkt wahrnehmen15 und das Thema „Archivwesen“ auf-greifen und in ihr Fortbildungsprogramm integrieren (vgl.die im Dezember 2003 durchgeführte Veranstaltung derLandesunfallkasse Nordrhein-Westfalen16). Die Problema-tik der TRBA 240 ist ferner Gegenstand weiterer Fachpu-

11 Vgl. etwa Hanns Peter Neuheuser, Konzeptionelle Bestandserhaltung.Zur Vernetzung einer archivischen Kernaufgabe, in: ABI-Technik 21(2001), S. 299–311.

12 Vgl. etwa das niederländische Modell bei Frits L. Regter, Schoonmakenin musea, archieven en historische gebouwen (Centraal laboratorium vooronderzoek van kunst en wetenschap, 14), Amsterdam 1993.

13 Vgl. den Bericht in: Prolibris Heft 2/2003.14 Vgl. Hanns Peter Neuheuser, Microorganisms as a legislation problem

in archives, libraries and museums. The new “Technical rules” for biolo-gical agents, in: Moulds, health and heritage (Proceedings als CD-Publi-kation), hg. von Angelika Rauch, Peter Godaniburg, Frankfurt-Ham-burg 2003.

15 Arbeitsschutz im Kulturbereich, hrsg. vom Bundesverband der Unfall-kassen, München 2003.

16 Archiv, Bibliothek, Museum – ein gefährlicher Arbeitsplatz?, Seminarder Landesunfallkasse Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit denGemeindeunfallversicherungsverbänden, Tagungsort Gelsenkirchen.Vgl. hierzu den Bericht in: Der Archivar 57 (2004), S. 140–141.

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blikationen geworden.17 Zudem ist der Diskussionsbedarfanerkannt; in aller Kürze seien nur erwähnt: Problem desKontaminationsbegriffs bei fehlenden Referenzwertenvon Grundbelastungen, Problem der mikrobiologischenMessungen, Problem der Sterilisationsverfahren (insbe-sondere der Einsatz des ebenfalls gesundheitsgefährden-den Ethylenoxids), genauere Abgrenzungen zwischengezielten und ungezielten Tätigkeiten, genauere Abgren-zungen zwischen Gefahrstoffbereich und dem Bereich derbiologischen Arbeitsstoffe, Priorisierung der Maßnahmenbei plötzlichem Biohazard etc. Zum Problem eines hoch-komplexen Verschmutzungsbegriffs hat das Archivwesenebenfalls seine spezifischen Erfahrungen beizutragen, dadie biologischen Arbeitstoffe in der Praxis natürlich nie-mals systemscharf abgetrennt vorkommen und sich ineiner Gemengelage von Schwebstoffen (Staub), Umwelt-schadstoffen, Insektenfraktionen, Stoffwechselproduktenvon Nagetieren und Vögeln, Hausstaubmilben etc. vorfin-den. Die Praxis der konkreten Handhabung der TRBA inden Archiven wird daher zeigen, ob bestimmte Vorschrif-ten künftig eine Anpassung erfahren (z.B. eine Differen-zierung der Oberflächenfeuchtenhöchstgrenzen nachMaterialgruppen) oder neu aufgenommen werden müs-sen (z.B. eine Luftwechselrate oder ein Technischer Kon-trollwert). Bei der Neuorganisation der arbeitsmedizini-schen Vorsorge sowie bei der Novellierung der Biostoff-verordnung sind ebenfalls Adaptierungen zu erwarten.

Die Anzeigung eines Diskussionsbedarfs in diesen undanderen Feldern soll aber nicht darüber hinwegtäuschen,dass die TRBA 240 in ihrer jetzigen Form jedoch über volleRechtskraft verfügt.

17 Vgl. Heinz-Dieter Neumann, Mögliche Gesundheitsrisiken durchKontakt mit Schimmelpilzen in Archiven, Fallbeispiel, in: Gesundheits-schutz aktuell Heft 1/2003, S. 3–9. – Vgl. auch Hanns Peter Neuheuser,Elke Wenzel, Biologische Arbeitsstoffe in Archiven. Gefährdungsbeur-teilung und Schutzmaßnahmen mithilfe der TRBA 240, in: Gefahrstoffe.Reinhaltung der Luft 64 (2004), S. 124–130.

Textabdruck

Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe –Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit mikrobiell kon-taminiertem Archivgut (TRBA 240)Die Technischen Regeln für biologische Arbeitsstoffe(TRBA) geben den Stand der sicherheitstechnischen,arbeitsmedizinischen, hygienischen sowie arbeitswissen-schaftlichen Anforderungen zu Tätigkeiten mit Biologi-schen Arbeitsstoffen wieder. Sie werden vom Ausschussfür Biologische Arbeitsstoffe (ABAS) aufgestellt und vonihm der Entwicklung entsprechend angepasst. Die TRBAwerden vom Bundesministerium für Arbeit und Sozial-ordnung im Bundesarbeitsblatt bekannt gegeben.

Inhalt:1. Anwendungsbereich2. Begriffsbestimmungen3. Allgemeines/Zielsetzung4. Gefährdungsbeurteilung5. Schutzmaßnahmen6. Bestimmung von Mikroorganismen in der Luft am

Arbeitsplatz7. Arbeitsmedizinische Vorsorge

1 AnwendungsbereichDiese TRBA findet Anwendung, wenn beim Umgang mitkontaminiertem Archivgut in Archiven biologischeArbeitsstoffe freiwerden oder freiwerden können undBeschäftigte dabei mit diesen biologischen Arbeitsstoffenin Kontakt kommen können. Tätigkeiten, bei denen diesder Fall ist, sind nicht gezielte Tätigkeiten im Sinne derBiostoffverordnung.

2 Begriffsbestimmungen2.1 Archive

Archive sind Einrichtungen und Teile von Einrichtungen,die sich vorrangig mit der Erfassung, Übernahme, Ver-wahrung, Erhaltung und Nutzbarmachung von Schriftgutbefassen, das auf Dauer zu sichern ist. Im Sinne dieserTRBA werden auch Zwischenarchive und (Alt)registratu-ren, die Schriftgut nur befristet verwahren, unter demBegriff „Archive“ subsumiert.

2.2 Magazine

Magazine bezeichnen den Teil eines Archiv- oder Verwal-tungsgebäudes, in dem das Archivgut lagert.

2.3 Archivgut

Als Archivgut gelten insbesondere Urkunden, Akten,Amts- und Geschäftsbücher, Druckschriften, Karten undPläne, Zeichnungen und Plakate, Bild- und Tondoku-mente, elektronische Datenträger, Nachlässe und Samm-lungen. Im Sinne dieser TRBA gelten auch nicht bewerteteUnterlagen als Archivgut.

2.4 Nicht gezielte Tätigkeiten in Archiven

Nicht gezielte Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffenin Archiven umfassen hauptsächlich die Erfassung undBewertung, Aussonderung und Übernahme, die Verwah-rung und Erhaltung (Reinigung, Dekontamination, Verpa-ckung, Verfilmung und Instandsetzung), die Aushebungund Reponierung, die Erschließung, Nutzbarmachungund Erforschung von kontaminiertem Archivgut. Hierzukönnen auch Reinigungs- und Instandhaltungstätigkeitenin Archivräumen zählen.

2.5 Kontamination

Als Kontamination ist die über die gesundheitlich unbe-denkliche Grundbelastung hinausgehende Belastung mitbiologischen Arbeitsstoffen anzusehen.

2.6 Dekontamination

Zurückführung biologischer Arbeitsstoffe auf die gesund-heitlich unbedenkliche Grundbelastung.

2.7 Desinfektionsverfahren

Maßnahmen, die geeignet sind, Materialien und Gegen-stände durch physikalische beziehungsweise chemischeVerfahren in einen Zustand zu versetzen, dass sie nichtmehr infizieren können.

2.8 Sterilisation

Abtötung bzw. Inaktivierung sämtlicher biologischerArbeitsstoffe einschließlich deren Ruhestadien durch phy-sikalische und/oder chemische Verfahren.

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2.9 Oberflächenfeuchte

In Archiven wirkt Feuchte als Luftfeuchte und als Oberflä-chenfeuchte an Materialien, unter anderem auch amArchivgut. Bei der Oberflächenfeuchte kann unterschie-den werden, ob sie sich aus Wasserdampfniederschlag ausder Luft oder aus dem Wassergehalt hygroskopischenMaterials (Materialfeuchte, Stapelfeuchte) generiert.

Im Übrigen gelten die Begriffsbestimmungen des § 2 derBioStoffV.

3 Allgemeines/Zielsetzung

Ziel dieser TRBA ist der Schutz der Beschäftigten vor einerGefährdung ihrer Gesundheit und ihrer Sicherheit beinicht gezielten Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffenin Archiven. Sie gibt dazu dem Arbeitgeber die notwendi-gen Informationen zur Feststellung, ob in einem Archivnicht gezielte Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffenvorliegen oder vorliegen können, und zur Gefährdungs-beurteilung.

Die TRBA legt die Maßnahmen zum Schutz derBeschäftigten vor Gefährdungen durch die Expositiongegenüber biologischen Arbeitsstoffen in Archiven fest.Der Arbeitgeber trifft die Schutzmaßnahmen, die aufGrund von Art, Ausmaß und Dauer der im Rahmen derGefährdungsbeurteilung ermittelten Exposition erforder-lich sind. Die Umsetzung dieser Maßnahmen muss die tat-sächlichen Gegebenheiten im Archiv berücksichtigen.

4 Gefährdungsbeurteilung

In Archiven ist für Beschäftigte nicht mit gesundheitlichenGefährdungen durch biologische Arbeitsstoffe zu rech-nen, wenn Archivgut sachgerecht unter geeigneten bauli-chen und raumklimatischen Bedingungen gelagert wird.Führen veränderte Lagerbedingungen beispielsweisedurch Gebäudenässe, verbunden mit Temperaturerhö-hungen, zu einer Kontamination von Archivgut aufgrundgünstiger Wachstums- und Vermehrungsbedingungen fürbiologische Arbeitsstoffe, können diese zu Gesundheitsge-fährdungen für Beschäftigte in Archiven führen. Auchkönnen sich gesundheitliche Gefährdungen ergeben,wenn bereits durch biologische Arbeitsstoffe kontaminier-tes Archivgut durch Beschäftigte bearbeitet werden muss.

Hat die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Arbeits-schutzgesetz ergeben, dass das Archivgut mit biologi-schen Arbeitsstoffen (Schimmelpilzen, aber auch ggf.Hefen, Bakterien und Viren) kontaminiert ist, ist dieGefährdungsbeurteilung für nicht gezielte Tätigkeiten mitbiologischen Arbeitsstoffen in Archiven nach § 7 BioStoffVdurchzuführen. Eine Gefährdung kann sich durch sensibi-lisierende oder toxische, aber auch durch infektiöse Wir-kungen der biologischen Arbeitsstoffe ergeben.

Der Eintrag von biologischen Arbeitsstoffen erfolgtzumeist über die Luft oder durch die Übernahme bereitskontaminierten Archivgutes.

Hauptursachen für massive Wachstums- und Vermeh-rungsprozesse von Schimmelpilzen, Hefen und Bakterienin Archiven sind bauliche Unzulänglichkeiten (zum Bei-spiel Gebäudenässe, Wärmebrücken, undichte Dächer,unzureichende Luftwechselraten, schwer zu reinigendeRäume), zu hohe Raumtemperaturen und Luftfeuchten,mangelnde Sauberkeit sowie zu hohe Oberflächenfeuch-ten des Archivgutes.

4.1 Einstufung von biologischen Arbeitsstoffen in Risikogrup-pen und Berücksichtigung vorhandener sensibilisierender odertoxischer Wirkungen

Schimmelpilze und Bakterien:

Schimmelpilze wachsen in Form von mikroskopisch klei-nen, verzweigten Fäden (Hyphen). Sie können mit bloßemAuge erkennbare Geflechte (Myzel) von teilweisebeträchtlicher Größe bilden. Wasser- und Stockflecken,pulvriger oder pelziger Belag in Verbindung mit Verfär-bungen und Materialabbau lassen auf Befall schließen.

Schimmelpilze sind gemäß ihrem Infektionsrisiko inder Regel in die Risikogruppen 1 oder 2 (siehe Tab. 1) ein-gestuft. Von untergeordneter Bedeutung hinsichtlich derHäufigkeit sind Infektionskrankheiten (z. B. Aspergillom)durch Schimmelpilze. Diese treten insbesondere dann auf,wenn bereits eine allgemeine oder lokale Schwächung desImmunsystems aufgrund anderer schwer wiegenderErkrankungen vorliegt.

Tab. 1: Einstufung von biologischen Arbeitsstoffen, die inkontaminierten Archiven nachgewiesen wurden

BiologischerArbeitsstoff

Übertra-gungs-weg

Risiko-gruppe

Bemerkungen zutoxischen (t) odersensibilisierenden (s)Wirkungen

Schimmelpilzez. B. Aspergillus,wie

– A. fumigatus– A. niger

PenicilliumAlternariaMucor

Einatmenvon konta-miniertemStaub

1 und 2 t: Mykotoxine;Glucane

s: SchimmelpilzsporenHyphen

Actinomyceten Inhalation 1 s

Durch Schimmelpilze können Sensibilisierungen hervor-gerufen werden. Längerer intensiver Kontakt mit Schim-melpilzen in hoher Konzentration, insbesondere bei beste-hender Veranlagung (Atopie), kann zu einer Sensibilisie-rung bis hin zu schwerwiegenden allergischen Erkran-kungen führen. Verantwortlich dafür sind insbesonderedie an Schimmelpilzsporen oder Schimmelpilzfädengebundenen Allergene. Die Allergene können auch an denumgebenden Staub abgegeben werden.

Stäube, die Schimmelpilze enthalten, werden nachTRGS 907 „Verzeichnis sensibilisierender Stoffe“ (15)(siehe Nr. 4.2 Absatz 4) als sensibilisierend für die Atem-wege gewertet.

Mykotoxine spielen bei Tätigkeiten mit kontaminier-tem Archivgut keine Rolle. Zwar gibt es Hinweise zurmöglichen inhalativen Aufnahme einzelner Mykotoxine,jedoch werden die dafür erforderlichen Konzentrationenin Archiven nicht erreicht.

Unter den Bakterienarten haben einige Actinomyceten-arten ein allergenes Potential.

In Einzelfällen kann es möglich sein, dass Nagetiereoder Vögel aufgrund baulicher Unzulänglichkeiten in einArchiv eindringen. Diese können selbst oder über ihreParasiten (Milben, Flöhe, Zecken) Krankheitserreger über-tragen. Infektionen mit diesen Erregern dürften sehr seltenvorkommen.

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4.2 Zuordnung zu einer SchutzstufeNicht gezielte Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffenin Archiven aufgrund des Umgangs mit kontaminiertemArchivgut sind gemäß § 7 Absatz 2 der Biostoffverord-nung in der Regel der Schutzstufe 1 zuzuordnen.

4.3 Tätigkeitsbezogene Gefährdungen

Bei der Ermittlung von Art, Ausmaß und Dauer der Expo-sition der Beschäftigten gegenüber sensibilisierenden odertoxischen biologischen Arbeitsstoffen sind folgende Tätig-keiten, die mit direktem Hautkontakt und Aerosolbildungverbunden sind, als gefährdende Tätigkeiten zu werten:– Erfassung und Bewertung, Übernahme und Kassation

(z. B. durch Schreddern), Erschließung, Verpackung,Transport vom/zum Magazin, Verfilmung oder Restau-rierung von mit biologischen Arbeitsstoffen kontami-niertem Archivgut in feuchtem oder noch ungereinig-tem Zustand

– Probennahme und Kultivierung von Mikroorganismen– Reinigung von mit biologischen Arbeitsstoffen konta-

miniertem Archivgut– Reinigung von Räumen (samt Mobiliar), die kontami-

niertes Archivgut enthalten oder enthalten haben– Prüfung, Wartung und Instandsetzung von lüftungs-

technischen Anlagen (Abzügen oder RLT-Anlagen).Es wird darauf hingewiesen, dass auch nach erfolgter

Sterilisation das allergene Potential von Schimmelpilzenerhalten bleibt. Zusätzlich zu den allgemeinen Hygiene-maßnahmen der Schutzstufe 1 sind geeignete Schutzmaß-nahmen aufgrund der sensibilisierenden Wirkungen derbiologischen Arbeitsstoffe zu berücksichtigen. Mit derDurchführung der Maßnahmen nach dieser TRBA kannder Betreiber davon ausgehen, dass er die Anforderungender BioStoffV erfüllt.

5 Schutzmaßnahmen5.1 Allgemeines

(1) Die Anwendung technischer Schutzmaßnahmen hatgrundsätzlich Vorrang vor dem Einsatz organisatorischerMaßnahmen. Persönliche Schutzausrüstung, wie z.B.Atemschutz, ist nur dann zu tragen, wenn technische undorganisatorische Schutzmaßnahmen die Erreichung desSchutzzieles nicht sicherstellen können.

(2) Die Schutzmaßnahmen sind an den Stand der Tech-nik innerhalb einer angemessenen Frist anzupassen.

(3) Die Zahl der Beschäftigten, die gefährdende nichtgezielte Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen aus-üben, ist auf ein Mindestmaß zu beschränken. Die Dauerdieser Tätigkeiten ist auf ein zeitliches Mindestmaß zureduzieren.

(4) Gemäß § 12 Abs. 1 und 2 der Biostoffverordnung isteine Betriebsanweisung zu erstellen, und die Beschäftig-ten sind zu unterweisen. Die Betriebsanweisung hat insbe-sondere Regelungen zu folgenden Punkten zu enthalten:– Wirkung der biologischen Arbeitsstoffe / mögliche

Gesundheitsgefahren,– Anweisungen über das Verhalten der Beschäftigten bei

Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen,– notwendige Schutzmaßnahmen einschließlich der

Maßnahmen zur Ersten Hilfe.Im Bedarfsfall ist ein Hygieneplan zu erstellen.(5) Alle Beschäftigten, einschließlich der Handwerker

und des Reinigungspersonals, die Tätigkeiten in Berei-

chen mit kontaminiertem Archivgut ausüben, sind vorBeginn und danach jährlich über die bei ihren Tätigkeitenmit biologischen Arbeitsstoffen auftretenden Gefahrenund die erforderlichen Schutzmaßnahmen mündlich undarbeitsplatzbezogen zu unterweisen. Dies gilt auch fürBeschäftigte von Fremdfirmen. Die Unterweisung ist aufder Grundlage der Betriebsanweisung vorzunehmen. JedeÄnderung bei den Tätigkeiten ist hierbei zu berücksichti-gen. Inhalt und Zeitpunkt aller Unterweisungen sindschriftlich festzuhalten und von den Unterwiesenen durchUnterschrift zu bestätigen.

(6) Von den Regelungen dieser TRBA kann im Einzelfallabgewichen werden, wenn das Ergebnis der Gefähr-dungsbeurteilung dies zulässt. Dies kann der Fall sein,wenn gleichwertige Schutzmaßnahmen getroffen werden.Die Gleichwertigkeit des Schutzniveaus ist auf Verlangender zuständigen Behörde im Einzelfall nachzuweisen.

(7) Grundsätzlich sind die Forderungen der TRBA 500„Allgemeine Hygienemaßnahmen: Mindestanforderun-gen“ (13) umzusetzen.

5.2 Bauliche und technische Schutzmaßnahmen

Raumklimatische VerhältnisseDie im folgenden beschriebenen Maßnahmen trageneinerseits zum Schutz des Archivguts und andererseitszur Minimierung der Wachstums- und Vermehrungspro-zesse von Mikroorganismen bei. Dies wird in Magazinenbei folgenden raumklimatischen Parametern erreicht (1):Raumtemperatur 18 ± 1°Crelative Luftfeuchte 50 ± 5%

Die regelmäßige Messung der Raumtemperatur undder relativen Luftfeuchte ist unabdingbar, um bei Über-schreitung über das Heizungs- und Lüftungsregime regu-lierend eingreifen zu können. Weitergehende Anforderun-gen zum Schutz des Archivgutes sind zu beachten.

Eine Beeinflussung des Archivgutes durch Wärme aufGrund von Sonneneinstrahlung ist zu vermeiden. Um inFensterbereichen gelagertes Material vor übermäßigerErwärmung zu schützen, ist der Einbau von Sonnen-schutzeinrichtungen (Außenjalousien u. a.) zu empfehlen.

Sofern eine raumlufttechnische Anlage vorhanden istoder eingebaut werden soll, ist diese auf hinreichendesRückhaltevermögen von biologischen Arbeitsstoffendurch Fachpersonal jährlich zu prüfen und zu warten. Sieist entsprechend den Parametern dieses Abschnittes ein-zustellen. Luftauslässe der Anlage dürfen nicht in derNähe von Luftzuführungen in andere Räume, von Fens-teröffnungen oder Türen liegen. Der Austrag von biologi-schen Arbeitsstoffen in andere Arbeitsräume ist durchEinbau und regelmäßigen Wechsel von Filtern zu unter-binden. Gebrauchte Filtereinsätze sind in geschlossenenBehältnissen zu entsorgen. In natürlich belüfteten Räumenoder in Ergänzung einer vorhandenen raumlufttechni-schen Anlage kann der Betrieb eines Entfeuchtungsgerätesmit geeigneten Luftfiltersystemen zur Optimierung derrelativen Luftfeuchte beitragen.

Stationäre Umluftgeräte und Luftentfeuchter dürfennur so aufgestellt und betrieben werden, dass möglichstkeine Staubverwirbelung erfolgt.

RaumgestaltungAusstattung, Einrichtung und Materialien sind so auszu-wählen, dass Staubablagerungen möglichst gering gehal-

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ten werden. Wände, Oberflächen und Böden sollen leichtzu reinigen sein. Präventiv sollten beispielsweise schwerzugängliche Winkel und Ecken, bauliche Vertiefungen,Durchlässe, Rohre und Leitungen, Teppichböden, Vor-hänge, sonstige textile Bespannungen, offenporiges Holz,unverputztes Mauerwerk mit Fugen, so genannter Sicht-beton, Rauhputz, Strukturputz, Verkleidungen mit offen-porigen Kunststoff- oder Kunststoffschaumplatten undandere poröse Oberflächen sowie Oberflächen aus statischaufladbarem Material, gefütterte Wandverkleidungen, dieder Ablagerung von biologischen Arbeitsstoffen (z.B. Pilz-sporen) Vorschub leisten, vermieden werden.

Vorhandene Regalsysteme sind auf ihre Reinigungs-möglichkeit und deren Anordnung zu den Fenstern zuüberprüfen. Dabei sollte eine ausreichende Durchlüftunggewährleistet sein. Eine zweckentfremdete Nutzung derMagazinräume insbesondere zur Lagerung von archiv-fremden Gegenständen ist zu unterlassen. In Magazinräu-men sollen keine Dauerarbeitsplätze eingerichtet werden.

Sofern Gebäudenässe vorhanden ist, kann eine baulicheSanierung der Gebäudesubstanz ggf. zur Erreichung dergenannten technischen Parameter erforderlich sein.

Technische ArbeitsschutzvorrichtungenWerden regelmäßig Tätigkeiten mit starker Aerosolbil-dung ausgeübt, sind Absaugvorrichtungen, die den Perso-nenschutz durch einen nach innen gerichteten Luftstromdurch die Arbeitsöffnung garantieren, zu installieren.Diese Anforderungen werden z.B. durch MSW der Klasse1 erfüllt (6). Die abgesaugte Luft darf nicht ungefiltert indie Raumluft zurückgeleitet werden. Diese Absaugvor-richtungen sind regelmäßig (einmal jährlich) durch Fach-personal zu prüfen und zu warten.

5.3 Organisatorische Maßnahmen

Allgemeine organisatorische MaßnahmenEingehende Materialien sollen prinzipiell und Archivbe-stände stichprobenartig auf mikrobielle Kontaminationengeprüft werden. Diese Kontrollen sind visuell vorzuneh-men.

Bei der Entdeckung von feuchtem, verfärbtem, geschä-digtem und muffig riechendem Archivgut sind zuerst dieUrsachen dafür zu ermitteln. Feuchtigkeitsquellen sind zufinden und abzustellen. Weiterhin ist die Oberflächen-feuchte des Archivgutes in diesen Fällen bei Eingang oderEntdeckung zu bestimmen.

Schutzkleidung ist bei Hautkontakt mit kontaminier-tem Archivgut oder Aerosolbildung von mikrobiell konta-minierten Stäuben notwendig, z. B. beim Abbürsten vonschimmelpilzhaltigem Staub, beim Transport und Verpa-cken stark kontaminierten Materials, beim Verfilmen oderbei der Feuchtbehandlung von kontaminiertem Material.

Straßenkleidung ist getrennt von Schutzkleidung auf-zubewahren. Für die Bereitstellung, geeignete Aufbewah-rung, regelmäßige Reinigung und Instandsetzung der per-sönlichen Schutzausrüstung ist der Arbeitgeber verant-wortlich (§ 11 Absatz 1 BioStoffV in Verbindung mit § 2PSA-Benutzerverordnung).

Sofern keine Absaugvorrichtungen zur Verfügung ste-hen, müssen zur Bearbeitung des kontaminierten Archiv-gutes neben geeigneten Schutzkitteln (langer Arm, amKragen geschlossen) und Schutzhandschuhen personen-gebundene dichtsitzende Halbmasken mindestens mit

Partikelfilter der Klasse P2 oder partikelfiltrierendenHalbmasken (mindestens FFP2) mit Ausatemventil zurVerfügung gestellt werden.

Zur Nutzung vor Arbeitspausen und am Arbeitsendeist den Beschäftigten ein Handwaschplatz einzurichtenund mit einem geeigneten Händedesinfektionsmittel nachHygieneplan und einem Hautreinigungsmittel auszustat-ten (2). Zusätzlich sollen an diesem Platz Hautschutz- undHautpflegemittel zur Verfügung gestellt werden.

Das Anfeuchten der Finger beim Seitenblättern ist zuunterlassen.

Bei der Lagerung von Archivgut ist durch geeigneteMaßnahmen sicherzustellen, dass Feuchte aus demArchivgut entweichen kann (z. B. durch die Verwendungvon atmungsaktiven Materialien).

In allen Räumen, in denen Archivgut gelagert und bear-beitet wird (z. B. Magazinen, Werkstätten), ist Essen undTrinken zu untersagen. Hierfür sind Aufenthaltsräume zubenutzen.

In Magazinräumen und Werkstätten dürfen keinePflanzen gehalten werden (Kontaminationsgefahr durchErde und Erhöhung der Luftfeuchtigkeit).

Treten in den Archivräumen Nagetiere oder Vögel auf,sind Maßnahmen zu ergreifen, um diese aus den Archiv-räumen auszuschließen.

Das Schreddern von kontaminiertem Archivgut ist mitder Gefahr einer erhöhten Freisetzung von biologischenArbeitsstoffen verbunden und deshalb auf das notwen-dige Maß unter Bereitstellung geeigneter persönlicherSchutzausrüstung (atmungsaktive Einweganzüge mitKapuzenteil Typ 5, personengebundene dichtsitzendeHalbmasken sowie Schutzhandschuhe) zu beschränken.

ReinigungFür die erste Grobreinigung massiv kontaminierterArchivräume und des Archivgutes sind Einweganzügemit eng anliegendem Kapuzenteil (Haarschutz) Typ 5 undpersonengebundene dichtsitzende Halbmasken mindes-tens mit Partikelfilter der Klasse P2 oder partikelfiltrieren-den Halbmasken (mindestens FFP2) mit Ausatemventilsowie geeignete Schutzhandschuhe (z. B. Nitrilhand-schuhe) zu verwenden. Personengebundene dichtsit-zende Halbmasken mit Partikelfilter der Klasse P3 oderpartikelfiltrierenden Halbmasken FFP3 mit Ausatemven-til sollen getragen werden, wenn zu vermuten ist, dass derStaub oder das Archivgut Tauben- oder Nagetierkotbeaufschlagt ist oder tote Tiere gefunden werden. Die per-sönliche Schutzausrüstung ist ggf. durch Füßlinge zuergänzen.

Räume, in denen kontaminiertes Archivgut gelagertoder bearbeitet wird, sind regelmäßig, am bestenwöchentlich nicht staubend zu reinigen. Alle Oberflächen(Fußboden, Regale, Tische u. a.) müssen erforderlichen-falls durch Wisch- und Scheuerdesinfektion unter Tragenvon geeigneter persönlicher Schutzausrüstung (z. B.Schutzkittel und Schutzhandschuhe) mit Desinfektions-mitteln desinfiziert werden. Dazu wird auf die BG-RegelUmgang mit Reinigungs- und Pflegemitteln BGR 209 (3)und die jeweils gültige Desinfektionsmittel-Liste (7) ver-wiesen.

Innerbetrieblicher TransportDer innerbetriebliche Transport des kontaminiertenArchivgutes ist weitestgehend zu vermeiden. Er muss,

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wenn notwendig, in geeigneten geschlossenen, desinfi-zierbaren Transportbehältern erfolgen.

Maßnahmen zur DekontaminationKontaminierte Objekte, feuchte wie trockene, müssenbehandelt werden, bevor Beschäftigte mit ihnen innerhalbder üblichen Arbeitsabläufe umgehen bzw. die endgültigeEinlagerung ins Magazin erfolgt:– Dekontamination von feuchtem Archivgut:

Kontaminiertes Archivgut aus Papier mit einem Was-sergehalt von über 10% Oberflächenfeuchte muss iso-liert von anderem Schriftgut in kühler, trockener Atmo-sphäre bis auf maximal 10% Oberflächenfeuchtegetrocknet werden, bevor es in ein Magazin eingelagertoder von Beschäftigten bearbeitet wird.Für den Fall eines größeren Wasserschadens wird aufeinschlägige Notfallrichtlinien für Archive verwiesen.Magazine, in denen das Archivgut auch im Normalfalleine Oberflächenfeuchte von über 10% aufweist, sinduntauglich.Wenn bei diesen Tätigkeiten mit den Objekten Bioaero-sole freigesetzt werden, ist geeigneter technischerArbeitsschutz oder das Tragen von persönlicherSchutzausrüstung notwendig. Sobald eine sichtbareKontamination vorhanden ist, erfolgt im Anschluss andie Trocknung die Reinigung.

– Dekontamination von trockenem Archivgut:Am Archivgut befindliche Kontaminationen (z. B. loseroder leicht anhaftender Schimmel) sind unter Beach-tung der Sicherheitsvorschriften (technischer Arbeits-schutz an ständigen Arbeitsplätzen, persönlicheSchutzausrüstung) vor dem Einlagern ins Magazinoder weiteren Bearbeitungsschritten so gut wie möglichmechanisch zu entfernen.Kontaminiertes Archivgut ist durch die Reinigung z.B.mit desinfektionsmittelhaltigen Tüchern oder durchStaubsauger mit Filter (Verwendungskategorie K1/K2oder der Staubklasse H nach EU-Einteilung) zu entstau-ben.Lässt der Zustand des Archivguts eine Reinigung nichtzu, kann ein Test auf das Vorhandensein lebensfähigerMikroorganismen vorgenommen werden. In diesenSonderfällen kann eine Sterilisation der kontaminiertenObjekte durch geeignete und zugelassene Verfahrendurchgeführt werden.

5.4 SterilisationDie Sterilisation ist für die Behandlung kontaminiertenArchivguts lediglich eine Methode letzter Wahl. Sie tötetvorhandene biologische Arbeitsstoffe ab, aber die allerge-nen und toxischen Wirkungen der biologischen Arbeits-stoffe bleiben davon unberührt. Feuchtes Archivgut darfnicht sterilisiert werden.

Die Dekontamination durch Reinigung (siehe 5.3.) isteiner Sterilisation immer vorzuziehen. Nur für diesegenannten Sonderfälle ist eine Sterilisation durch Bestrah-lung mit Kobalt 60 oder Begasung mit Ethylenoxid (TRGS513 (16) beachten!) zu vertreten. Sie ist nur von Fachfirmenmit entsprechender Sachkunde auszuführen. Nach derSterilisation ist eine Entfernung (siehe 5.3. Dekontamina-tion von trockenem Archivgut) der biologischen Arbeits-stoffe notwendig. Bei der Begasung mit Ethylenoxid kanneine Gesundheitsgefährdung der Beschäftigten durch amMaterial adsorbierte Reste nicht ausgeschlossen werden.

Zur Nachkontrolle der Sterilisation ist eine mikrobiolo-gische Untersuchung nicht notwendig, wenn Sterilisati-onsindikatoren mitgeführt wurden und sich die Maßnah-men hierbei als wirksam erwiesen haben.

5.5 Persönliche SchutzausrüstungenDen Beschäftigten sind entsprechend der Gefährdungsbe-urteilung persönliche Schutzausrüstungen zur Verfügungzu stellen. Die bereitgestellten persönlichen Schutzausrüs-tungen müssen benutzt werden (§ 15 Absatz 2 Arbeits-schutzgesetz).

Den Beschäftigten ist im Umgang mit kontaminiertemArchivgut mindestens folgende PSA zur Verfügung zustellen:– geeignete Schutzkittel (langer Arm, am Kragen

geschlossen)– geeignete Schutzhandschuhe nach DIN EN 455 „Medi-

zinische Einmalhandschuhe“– personengebundene dichtsitzende Halbmasken min-

destens mit Partikelfilter der Klasse P2 nach DIN EN143 „Atemschutzgeräte, Partikelfilter; Anforderungen,Prüfung, Kennzeichnung“ oder partikelfiltrierendenHalbmasken (mindestens FFP2) mit Ausatemventilgemäß DIN EN 149 „Atemschutzgeräte, filtrierendeHalbmasken zum Schutz gegen Partikel; Anforderun-gen, Prüfung, Kennzeichnung“In Abhängigkeit von der Gefährdung nach den im

Abschnitt 5.3 durchzuführenden Tätigkeiten ist die PSAwie folgt zu ergänzen um :– atmungsaktive Einweganzüge mit eng anliegendem

Kapuzenteil nach der Spezifikation CEN TC 162/WG3/N250 (Typ 5)

– personengebundene dichtsitzende Halbmasken min-destens mit Partikelfilter der Klasse P3 nach DIN EN143 „Atemschutzgeräte, Partikelfilter; Anforderungen,Prüfung, Kennzeichnung“ oder partikelfiltrierendenHalbmasken (mindestens FFP3) mit Ausatemventilgemäß DIN EN 149 „Atemschutzgeräte, filtrierendeHalbmasken zum Schutz gegen Partikel; Anforderun-gen, Prüfung, Kennzeichnung”

6 Erfassung der MikroorganismenkonzentrationEine Messverpflichtung in Verbindung mit der Durchfüh-rung der Gefährdungsbeurteilung nach § 7 BioStoffVbesteht nicht.

Um unzureichende Kenntnisse hinsichtlich der Exposi-tionsverhältnisse in Archiven zu erweitern und Gefähr-dungen durch die auftretenden biologischen Arbeitsstoffebesser beurteilen zu können, können Messungen zurÜberprüfung der Raumluftqualität z. B. in Folge einesWasserschadens und von technischen Maßnahmen sinn-voll sein. Auch technische Maßnahmen können überprüftwerden, wenn eine erhöhte Freisetzung von biologischenArbeitsstoffen durch diese nicht ausgeschlossen werdenkönnen (z. B. bei der Kontamination einer raumlufttechni-schen Anlage). Messungen sind gemäß TRBA 405„Anwendung von Messverfahren und Kontrollwerten fürluftgetragene Biologische Arbeitsstoffe“ (14) und den inder BIA Arbeitsmappe ausgewiesenen Messverfahren9420 „Verfahren zur Bestimmung der Schimmelpilzkon-zentration in der Luft am Arbeitsplatz“ durchzuführen.Eine Differenzierung der Schimmelpilze kann ggf. hilf-reich sein, um Gefährdungen besser einschätzen zu kön-nen. Zur Überprüfung können auch andere Messmetho-

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den herangezogen werden, wenn es sich um validierteVerfahren handelt.

7 Arbeitsmedizinische VorsorgeDie arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen nach §15 Biostoffverordnung (arbeitsmedizinischer GrundsatzBGG 904–42) sind auf die Infektionsgefährdung abgestelltund kommen daher nicht zum Tragen. Bei Tätigkeiten inArchiven stehen in der Regel die sensibilisierenden undtoxischen Wirkungen der biologischen Arbeitsstoffe imVordergrund. Diese sind bei der arbeitsmedizinischenBeratung zu berücksichtigen. Wenn das Tragen von perso-nengebundenem Atemschutz erforderlich ist, muss derArbeitgeber eine arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersu-chung nach BGV, Anlage 1, in Verbindung mit BGG 904–26veranlassen.

Literatur

[1] Arbeitsstätten-Richtlinie ASR 6 Raumtemperaturen, BArbBl.6–7/ 2001, S. 94

[2] Arbeitsstätten-Richtlinie ASR 35/1–4 Waschräume, BArbBl.9/1988, S. 47

[3] BGR 209 BG-Regel – Umgang mit Reinigungs- und Pflege-mitteln, Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossen-schaften (BG), Carl Heymanns Verlag KG Köln, Ausgabe10/2001

[4] DIN V 33901 Information und Dokumentation – Anforderun-gen an die Aufbewahrung von Archiv- und Bibliotheksgut,Ausgabe 02. 2001

[5] DIN 1946 Raumlufttechnik, Terminologie und graphischeSymbole (VDI-Lüftungsregeln), Ausgabe 10.1988

[6] DIN EN 12469 Leistungskriterien für mikrobiologischeSicherheitswerkbänke, Ausgabe 09.2000

[7] Desinfektionsmittel-Liste der Deutschen Gesellschaft fürHygiene und Mikrobiologie (DGHM), Stand 1. 3. 2000, mph-Verlag GmbH, Ostring 13, 65205 Wiesbaden

[8] Hödl, I.: Mikroorganismen auf Papier. Prophylaktische Kon-servierung, Identifizierung, Desinfektion und Restaurierung.In: Preprints. Hrsg. Von der Internationalen Arbeitsgemein-schaft der Archiv-, Bibliotheks- und Graphikrestauratoren.Tübingen 1995 S. 181–193

[9] Neuheuser, H. P.: Gesundheitsvorsorge gegen Schimmel-pilzkontamination in Archiv, Bibliothek, Museum und Ver-waltung, Bibliothek – Forschung und Praxis Nr. 2/1996,S. 194–215

[10] Neuheuser, H. P., Schata, M.; Gesundheitsvorsorge inArchiven: Zur Gefährdung durch Schimmelpilz-Kontamina-tion im Umgang mit Archivgut, Der Archivar, Jg. 47, 1994,H. 1, S. 120–128

[11] Riege, F., Wenzel, E., Eversmann, F.: Schimmelpilzbe-fall in Thüringer Archiven, Depots und Magazinen. Exposi-tion am Arbeitsplatz, Prophylaxe, Beseitigung, Gefahrstoffe –Reinhaltung der Luft 59, 1999, S. 123–131

[12] Schata, M.; Schumacher, J.: Schimmelpilze – relevanteInnenraum-Allergene, Allergologie 18/11, 1995, S. 531–538

[13] Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) 500Allgemeine Hygienemaßnahmen: Mindestanforderungen,BArbBl. 6/1999 S. 81

[14] Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) 405Anwendung von Messverfahren und technischen Kontroll-werten für luftgetragene Biologische Arbeitsstoffe, BArbBl.5/2001 S. 58

[15] Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS)907 Verzeichnissensibilisierender Stoffe, BArbBl. 10/ 2002, S. 64

[16] Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 513 Begasungenmit Ethylenoxid und Formaldehyd in Sterilisations- und Des-infektionsanlagen, BArbBl. 6/1996 mit Änderungen undErgänzungen im BArbBl. 2/2000, S. 60

[17] Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit(Ed.): Schimmelpilze in der Arbeitswelt. Erfurt, 3. Auflage(Juni 1999)

Archivtheorie und -praxis

Archive und BeständeVerabschiedung von Dr. Wolfgang Laufer

Am 1. Januar dieses Jahres trat Dr. Wolfgang Laufer, derlangjährige Leiter und Direktor des Landesarchivs Saar-brücken, in den wohlverdienten Ruhestand. Zu seiner Ver-abschiedung fand am 12. Dezember 2003 in der Staats-kanzlei des Saarlandes eine Festveranstaltung statt, dievon zahlreichen Gästen aus Kultur, Politik und Verwal-tung besucht wurde.

Ministerialdirigent Josef Mailänder, der die Gäste inVertretung des Chefs der Staatskanzlei Karl Rauberbegrüßte, würdigte Laufer in seiner Laudatio als einenArchivar mit „Leib und Seele“, der sich große Verdiensteum die Weiterentwicklung des saarländischen Archivwe-sens erworben habe. Unter seiner Regie seien wichtigeNeuanstöße auf den Weg gebracht worden, angefangenmit dem Umzug des Landesarchivs in sein neues Domizilin Saarbrücken-Scheidt über die Ausrichtung der ersteninterregionalen Archivtagung der Saarlorlux-Region bishin zur Modernisierung der Datenverwaltung. In den 32Jahren, in denen Laufer seinen Dienst an gleicher Wir-

kungsstätte geleistet habe, sei er „als Person fast schon zurInstitution geworden“ und so eng mit seiner Aufgabe ver-wachsen, dass „die Werte der Amtstreue und beruflichenIdentifikation“ beispielhaft von ihm vorgelebt wordenseien.

Der Neuzeithistoriker Laufer, der 1973 an der Universi-tät des Saarlandes bei Edith Ennen mit einer Arbeit über„die Sozialstruktur der Stadt Trier in der Frühen Neuzeit“promovierte, verbrachte ab 1971 bereits seine Referendar-zeit am Landesarchiv in Saarbrücken, bevor er dort 1975zum Archivrat und 1988 zum Archivdirektor ernanntwurde. Neben zahlreichen archivfachlichen Veröffentli-chungen machte er sich vor allem in der archivischenÖffentlichkeitsarbeit einen Namen, die sein ehrenamtli-ches Engagement in einer Reihe von fachlichen Ausschüs-sen und wissenschaftlichen Gremien begründete. Beson-ders interessiert an Denkmals- und Museumsfragen, warLaufer nicht nur über viele Jahre im Landesdenkmalrataktiv, sondern wirkte auch an mehreren regionalen Aus-stellungsprojekten mit, zuletzt bei der Trierer Ausstellung„Recht und Unrecht“ (2002), deren saarländischer Teil vonihm gestaltet wurde.

226 Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

Von 1995 bis 2003, über achteinhalb Jahre an der Spitzeder saarländischen Archiverwaltung stehend, führte Lau-fer in vielen Bereichen die verdienstvolle Aufbauarbeit sei-nes geschätzten Lehrers und Vorgängers Professor Hans-Walter Herrmann fort, stellte sich mit Engagement undAugenmaß aber auch den neu auf das Archivwesenzukommenden Aufgaben. So fällt die Einrichtung desArchivportals für den Südwesten, das in enger Zusam-menarbeit zwischen der rheinland-pfälzischen und saar-ländischen Archivverwaltung konzipiert und realisiertwurde, ebenso in Laufers Amtszeit wie die Initiative zumAufbau eines eigenen Sportarchivs im Landesarchiv, dasin gemeinsamer Trägerschaft des Landessportverbandesdes Saarlandes und der saarländischen Archivverwaltungbetrieben und finanziert wird.

Gleich mehrere prominente Vertreter des deutschenArchivwesens waren nach Saarbrücken gekommen, umLaufer zu ehren. Der Direktor der Landesarchivverwal-tung Rheinland-Pfalz, Prof. Dr. Heinz-Günther Borck,würdigte Laufers Beitrag zur Intensivierung der archivi-schen Kooperation zwischen dem Saarland und Rhein-land-Pfalz. Dank dem ungetrübten und freundschaftli-chen Einvernehmen, das zwischen ihm und Laufer bestan-den habe, sei es gelungen, das seit 1973 bestehende Ver-tragsverhältnis stets mit „lebendigem Geist“ zu erfüllen,es den „Erfordernissen der Gegenwart“ anzupassen undauf neue Projekte auszuweiten.

Prof. Dr. Volker Wahl, der Vorsitzende des Verbandesdeutscher Archivarinnen und Archivare, erinnerte an dasGoethe-Wort: „wer beschützet und erhält, hat das höchsteLos gewonnen“ und setzte sich mit den vielfältigen Vorur-teilen auseinander, denen das „oft ziemlich verkannteBerufsbild“ des Archivars in der Öffentlichkeit ausgesetztsei. Wer wie Wolfgang Laufer im Landesarchiv Saarbrü-cken „dreißig Jahre an diesem Platz seinen Mann gestan-den“ habe, gehöre zu den Besten des Berufstandes – einUrteil, in dessen Tenor auch Dr. Jürgen Reiner Wolf ein-stimmte, der sich als Vorsitzender der Archivkonferenzdes Bundes und der Länder für Laufers langjährige kons-truktive Mitarbeit in diesem Gremium bedankte.

Anerkennende Würdigung erhielt Laufer ebenso vonSeiten der Historiker. Der Mediävist Prof. Dr. Kurt-UlrichJäschke dankte ihm als Vorsitzender der Kommission fürsaarländische Landesgeschichte und Volksforschung fürseine allzeit geschätzte Mitarbeit im Vorstand der Kom-mission, erinnerte aber auch an Laufers eigene Arbeitenzur saarländischen Landesgeschichte, die einen Bogenvom Mittelalter bis in die moderne Zeitgeschichte span-nen. Während Jäschke die Rolle des Archivars für die his-torische Forschung in besonderer Weise akzentuierte, wares dem Vorsitzenden des Historischen Vereins für die Saar-gegend, Dr. Johannes Schmitt, vorbehalten, die Ver-dienste Laufers um die Entwicklung der historischenRegionalforschung des Saarlandes zu würdigen. Schmittverwies dabei vor allem auf Laufers langjährige Mithe-rausgeberschaft der traditionsreichen Zeitschrift für dieGeschichte der Saargegend, wusste aber ebenso ein positi-ves Bild des engagierten Vereinsmitglieds und MenschenWolfgang Laufer zu zeichnen.

Sichtlich gerührt ergriff der Geehrte abschließend dasWort. Er dankte allen, die ihn auf seinem beruflichen Wegbegleiteten, insbesondere den anwesenden Kollegen ausden anderen Bundesländern, vor allem aber auch seinenMitarbeitern und Ansprechpartnern in der Landesregie-

rung. Mit der Mahnung, die archivischen Kernaufgabenauch in Zukunft trotz zunehmender Öffentlichkeits- undBenutzerorientierung nicht zu vernachlässigen, beendeteer den offiziellen Teil der Feierstunde und setzte zugleicheinen pointierten Schlusspunkt unter seine erfolgreicheLaufbahn.

Saarbrücken Ludwig Linsmayer

Gründung des Verbandes hessischer Kommunalarchi-varinnen und -archivareIm Bereich der Kommunalarchive in Hessen liegt bekannt-lich manches im Argen. Nur knapp 60 aller 394 Kommu-nen, die an einer landesweiten Umfrage im Jahre 2002 teil-genommen hatten, verfügen über ein hauptamtlichbetreutes Archiv. Dies bedeutet, dass in vielen Städten,teilweise mit 30.000 und mehr Einwohnern, Teilzeitkräfteoder Ehrenamtliche die Archivbetreuung sicherstellenmüssen.

Die bereits lange Zeit unbefriedigende Archivsituationin Hessens Kommunen war im Jahre 1987 der Anlass,einen Arbeitskreis hessischer Kommunalarchivarinnenund -archivare zu gründen. Er wollte den Kolleginnen undKollegen ein Forum bieten, auf dem sie aus ihrer Arbeitberichten, regen Gedankenaustausch betreiben und Infor-mationen zu archivfachlichen Themen erhalten konnten.Für zahlreiche „Einzelkämpfer/innen“ boten die Herbst-und die Frühjahrstagung des Arbeitskreises die einzigeMöglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Durch die Verabschiedung des Hessischen Archivgeset-zes im Jahre 1989 wurde die Lage in den Kommunalarchi-ven leider kaum besser. Es fehlte vor Ort vielfach nochimmer das Bewusstsein, dass Archive unabdingbarerBestandteil der Kommunalverwaltung sind. Die Teilneh-merzahl an den Tagungen des Arbeitskreises stieg zwar inden 1990er Jahren auf 50, 60 und noch mehr, aber allmählichwurde deutlich, dass Information und Gedankenaustauschfür die Kolleginnen und Kollegen allein nicht ausreichen.Der Arbeitskreis müsste öffentlichkeitswirksamer agieren!

Um mit dem Ministerium für Wissenschaft und Kunstund den kommunalen Spitzenverbänden ins Gesprächkommen zu können, schien es vorteilhaft, den unverbind-lichen Arbeitskreis in einen Verein zu überführen. Auf derFrühjahrstagung im März 2003 in Löhnberg Krs. Limburg-Weilburg war es dann soweit. Am Nachmittag fand einelebhafte Diskussion der Frage „Soll unsere Arbeitsgemein-schaft ein Verein/Verband werden?“ statt. Ein vorbereite-ter Satzungsentwurf wurde ausführlich erörtert. DieAnwesenden kamen überein, dass ein Verband bessereWirkungsmöglichkeiten hätte als ein Arbeitskreis, und sogestaltete sich die Diskussionsveranstaltung zur Grün-dungsversammlung des Verbandes hessischer Kommu-nalarchivarinnen und -archivare. An der Gründung waren24 Kolleginnen und Kollegen beteiligt.

Zur Herbsttagung im Oktober 2003 in Offenbach wurdeeine überarbeitete Satzung vorgelegt. Die Mitgliederwählten Dr. Irene Jung, Historisches Archiv Wetzlar, zurVorsitzenden, Thomas Lückhof, Gemeindearchiv Lang-göns, zum Schatzmeister und Sabine Raßner, KreisarchivGießen, zur Schriftführerin. Inzwischen wurde dieGemeinnützigkeit des Verbandes bestätigt und seine Ein-tragung ins Vereinsregister des Amtsgerichtes Wetzlarbeantragt. Die Mitgliederzahl stieg innerhalb wenigerWochen auf rund 50 Personen an.

227Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

Der Verband hat sich vorgenommen, die zweimal jähr-lich stattfindenden Tagungen mit ihrem erfolgreichen Pro-gramm beizubehalten, daneben aber verstärkt in dieÖffentlichkeit zu wirken und das Gespräch mit den kom-munalen Spitzenverbänden zu suchen.

Wetzlar Irene Jung

Das „neue“ Stadtarchiv MünsterDer Rat der Stadt Münster fasste im Juli 2002 denBeschluss, dass das Stadtarchiv Münster die bishergenutzten drei innerstädtischen Dienstgebäude verlassenund einen ehemaligen Kornspeicher in der nördlichenAußenstadt Münsters beziehen sollte. Mit dem Standort-wechsel konnten zahlreiche Provisorien beendet werden.Zu den lange währenden Problemen zählten etwa feh-lende und unzureichende Magazinkapazitäten oder dieBelastungen des Dienstbetriebs durch die Aufteilung aufdrei Gebäude.

Nach dem Scheitern verschiedener Erweiterungsmög-lichkeiten entwickelte sich kurzfristig die Chance zu eineroptimalen Lösung der gesamten Unterbringungsproble-matik. Die Westfälisch-Lippische Vermögensverwaltungs-gesellschaft (WLV), eine Tochtergesellschaft des Land-schaftsverbandes Westfalen-Lippe, machte das Angebot,in einem der Gebäude in der Speicherstadt Nord ein allenarchivfachlichen und funktionalen Erfordernissen ent-sprechendes Raum- und Ausstattungsprogramm für dasStadtarchiv zu verwirklichen und als Gesamtpaket lang-fristig an die Stadt zu vermieten.

Dem Ratsbeschluss für eine Verlagerung des Stadtar-chivs ging ein intensiver Entscheidungsprozess voraus,bei dem abzuwägen war, ob die Erweiterung und Moder-nisierung der Archivräumlichkeiten und der Ausstattungsowie die Zusammenführung aller Arbeits- und Funkti-onsbereiche in einem Gebäude die Nachteile der Verlage-rung des Archivstandortes aus der Innenstadt an die Peri-pherie ausgleichen könnten. Letztlich überzeugte dieOption der Verlagerung, da sie eine womöglich einmaligeChance bot, die jahrelangen Engpässe schnell beseitigenzu können.

Gebäude und RaumkonzeptIn der so genannten Speicherstadt Nord, die inzwischenverkehrsmäßig gut an das Nahverkehrssystem der StadtMünster angeschlossen ist, nutzt das Stadtarchiv zweiein-halb Geschosse eines ehemaligen Korn-Bodenspeichers,der zum mittlerweile unter Denkmalschutz stehendenGesamtkomplex des zwischen 1936 und 1939 errichtetenHeeresverpflegungsamtes gehört und schließlich nachAbzug der Briten von der Westfälisch-Lippischen Vermö-gensgesellschaft mbH erworben wurde.

Vom Verwaltungsvorstand der Stadt Münster wurdefür das Stadtarchiv ein Raumbedarf von rund 2.260 Qua-dratmeter anerkannt. Die verschiedenen Funktionsberei-che mit dem Magazin einschließlich abgetrenntem Akten-anlieferungsbereich, dem Öffentlichkeitsbereich, der Ak-tenrestaurierungs- und -konservierungswerkstatt sowieder Verwaltung mussten in dem zur Verfügung stehendenBereich untergebracht werden. Das Raumkonzept wurdewesentlich von der Entscheidung bestimmt, das Erd-geschoss für die Öffentlichkeitsfunktion zu nutzen.Daraus ergab sich die Nutzung des 1,50 Meter in denBoden reichenden Untergeschosses als Magazin. Schon bei

Erstellung des Kornspeichers in den 1930er Jahren wurdedas Untergeschoss in eine absolut dichte Wanne einge-baut, die nun zur Grundlage des Wasserschutzkonzeptesfür das Magazin wurde. Das Untergeschoss musste außer-dem von sämtlichen Ver- und Entsorgungsrohren befreitwerden.

Im Erdgeschoss befinden sich der Lesesaal mit Biblio-thek und ein multimedial eingerichteter Seminar- undVortragsraum. In diesen Funktionsbereich führt ein eigensangelegter Eingang. Man kann die Öffentlichkeitszonevon beiden Gebäudeseiten betreten. Für Rollstuhlfahrerwurde eine Rampe angelegt. Lesesaal und Magazin kön-nen per Lift, der mit einer Berechtigungs- und Vorrang-schaltung für Archivmitarbeiter ausgestattet ist, erreichtwerden.

ÖffentlichkeitsbereichNach Eintritt in das Gebäude gelangen Besucherinnenund Besucher direkt in den 400 Quadratmeter umfassen-den Lesesaalbereich, der mit Freihandbibliothek, Arbeits-plätzen, Beratungszone und akustisch abgeschirmtemSondernutzungsbereich ausgestattet ist. Im Eingangsbe-reich des Lesesaals betritt man zunächst den Beratungs-und Findmittelbereich. Zur Vermeidung von Störungenwurde dieser mit einem Benutzer-PC ausgestattete Bera-tungssektor räumlich abgeschirmt. Hier stehen auch dieherkömmlichen Findmittel zur selbstständigen Einsicht-nahme für die Benutzer bereit. Gegenüber dieser Bera-tungszone befindet sich eine Bereitstellungszone. Zu ihrgehört eine 130 Meter fassende Rollregalanlage, in derschnell greifbare Bestände wie die Zeitungsausschnitt-und die Druckschriftensammlung aufbewahrt werden.

Außenansicht des Stadtarchivs Münster

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An den Beratungs- und Bereitstellungsbereich schließtsich der eigentliche Lesesaal an. Dort stehen den Benut-zern insgesamt 15 Arbeitsplätze zur Verfügung. An zweiPlätzen befinden sich Benutzer-PCs, an denen eine Recher-che in den Augias-Datenbeständen, dem Bibliothekspro-gramm Allegro sowie dem Internet-Auftritt des Stadtar-chivs einschließlich der Online-Beständeübersicht mög-lich ist. Zu jedem Arbeitsplatz wurden elektrische Leitun-gen geführt, um mitgebrachte Laptops oder andere Hilfs-mittel einsetzen zu können. Von den Arbeitsplätzen aus istauch die ca. 15.000 Bände umfassende Bibliothek desStadtarchivs zu erreichen. Abgetrennt von den Arbeits-plätzen wurde ein Sondernutzungsbereich geschaffen.Hinter einer Trennwand befindet sich eine „Mikrofilm-box“. Sie bietet Platz für zwei Readerprinter und ist vonbeiden Seiten begehbar. Links und rechts der belüftbarenBox sind jeweils vier Filmschränke mit den verfügbarenMikrofilmen angebracht.

Gegenüber dem Lesesaal erreicht man über einen groß-zügigen Flurbereich mit Garderobe, Sitzmöglichkeit undToilettenanlagen den fast 95 Quadratmeter großen Semi-narraum, der für Vortrags- und Seminarveranstaltungengenutzt werden kann. Der Raum ist mit moderner Präsen-tationstechnik ausgestattet. Die variable Ausstattung mitTischen und Stühlen erlaubt unterschiedliche Veranstal-tungsarten mit verschieden großen Teilnehmerzahlen. Sokann etwa eine Schulklasse mit bis zu 30 Schülerinnen undSchülern an Tischen arbeiten oder ein Vortrag mit bis zu 60Teilnehmern stattfinden.

MagazineIm Untergeschoss des Stadtarchivs befinden sich zweiMagazine und ein Akzessionsraum für die Annahme vonSchriftgut. Die Magazine verfügen über knapp 416 und240 Quadratmeter. Der gegebene Baukörper in seiner his-torischen Substanz weist im Erdgeschoss eine rundumlaufende Rampe in Höhe von gut einem Meter mit Vor-

dach auf. Nur über diese Rampe kann die Erschließungdes Gebäudes erfolgen, also auch die Übernahme vonAktenabgaben der städtischen Dienststellen.

Für die Herstellung und Stabilisierung eines geeignetenMagazinklimas ist keine technische Luftaufbereitungerforderlich. Über Heizung und eine kontrollierte Ent-und Belüftung werden die geforderten Temperaturen von16 plus/minus 2 Grad Celsius und eine Raumluftfeuchtevon 50 plus/minus 5 Prozent erreicht und eingehalten.Um eine ausreichende Lüftung gewährleisten zu können,musste ein unterstützendes Lüftungssystem (Ventilato-ren) eingebaut werden. Die Luft wird auf der Ostseite desGebäudes angesaugt, auf der Westseite abgeführt.Ansaug- und Ausstoßstutzen aus Edelstahl befinden sichauf der Rampe des Gebäudes. Eine zentrale Leittechnikvergleicht ständig den Temperatur- und Feuchtezustandim Magazingeschoss mit dem Außenbereich und erreichtdurch Anfahren der Ventilatoren und ein eventuelles kurz-zeitiges Temperieren den optimalen Luftzustand.

Im ersten Obergeschoss ist in einem knapp 35 Quadrat-meter großen Raum das Foto- und Planarchiv unterge-bracht. Der Raum weist die gleichen klimatischen Bedin-gungen auf wie die Magazine im Untergeschoss.

Die Archivalien lagern in neuen stationären undbeweglichen Regalen. Zwischen die vorhandenen Beton-stützen konnten nur stationäre Regalelemente eingefügtwerden. Die große Tiefe des Raumes erforderte es, dieRegalanlage zu teilen, weil die Achslängen ansonsten vonHand nicht zu bewegen gewesen wären. Nach gründli-cher Abwägung der Alternativen wurde entschieden, fürdie Regalböden eine Gefachbreite von 100 Zentimeter zuwählen. Da die hauptsächlich verwandte Kartongröße bei29 Zentimetern liegt, gewährleistet diese Breite ein mühe-loses Ausheben. Allein im Untergeschoss wurde eineKapazität von etwas über vier Kilometer Regallängeerzielt, von der nicht ganz zwei Drittel bereits belegt ist.

Der neue Lesesaal im Stadtar-chiv Münster

229Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

Restaurierungswerkstatt, Fachbereiche und VerwaltungIm ersten und einem Teil des zweiten Obergeschossesbefinden sich die Restaurierungswerkstatt, ein Digitalisie-rungsraum, Konferenzräume sowie die Büros der Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter des Stadtarchivs. In derknapp 100 Quadratmeter großen und mit entsprechendenMaschinen und Werkzeug ausgestatteten Werkstatt wer-den jährlich ca. 250 Akten restauriert. Im Verwaltungs-und Archivleitungsbereich befinden sich ausreichendeKapazitäten für Einzel- und Doppelbüros. Zwei Bespre-chungsräume sind im ersten beziehungsweise zweitenObergeschoss eingerichtet. Ein über 30 Quadratmeter gro-ßer Raum neben dem Foto- und Planarchiv nimmt dieDigitalisierungstechnik mit einem Zeutschel-BuchscannerOmniscan 5000 TT und einem Flachbettscanner, einemRechner sowie mehreren Druckern auf.

Vorbereitungen und UmzugNach nur knapp einem Jahr Bauzeit konnte die West-fälisch-Lippische Vermögensverwaltungsgesellschaft(WLV) als Bauherr im November 2003 der Stadt Münsterdie nach den Bedürfnissen und Anforderungen des Stadt-archivs umgebauten und eingerichteten neuen Räumlich-keiten „An den Speichern 8“ zur Verfügung stellen.

Der Umzug des Archivs, besonders der Archivalien,wurde von den Mitarbeiter/innen des Stadtarchivs mitUnterstützung von Hilfskräften seit Februar 2003 vorbe-reitet. Die schadhaften, Jahrzehnte alten Archivkartonsund Mappen wurden gegen säurefreies neues Materialausgetauscht sowie besonders verschmutzte Archivaliengereinigt. Mit den Umlagerungsarbeiten war auch eineRevision verbunden. Der Umzug wurde innerhalb einesZeitraumes von drei Wochen unmittelbar vor der Eröff-nungsfeier im November 2003 von einem privaten Spediti-onsunternehmen fristgerecht durchgeführt.

EröffnungAm Samstag, dem 22. November 2003, wurde das Stadtar-chiv offiziell mit einem Tag der offenen Tür, der Schlüssel-

übergabe innerhalb eines Festaktes und der Eröffnungeiner Ausstellung über Schülerarbeiten, die zumGeschichtswettbewerb um den Preis des Bundespräsiden-ten eingereicht worden waren, am neuen Standort in derSpeicherstadt Nord wiedereröffnet. Über 1000 Besuchernutzten an diesem Tag die Gelegenheit, sich die neuenRäumlichkeiten und die Ausstellung anzuschauen, anhalbstündlich (10–17 Uhr) stattfindenden Führungen undam Festakt (11–13 Uhr) teilzunehmen. Dass das „ProjektStadtarchiv“ durch die Zusammenarbeit vieler Beteiligtermöglich geworden sei, lobten alle offiziellen Redner. Andiesem Tag präsentierte das Stadtarchiv auch die Bro-schüre „Das Stadtarchiv Münster – Bilanz und Neubeginn2003“1 als Resümee der vergangenen 25 Jahre und alsDokumentation der Bauphase sowie zwei weitere Publi-kationen.

ResonanzDie Vorzüge der neuen Unterbringung bestehen in denverbesserten Arbeitsbedingungen sowohl für die Nutzer/innen als auch für die Mitarbeiter/innen des Stadtarchivs.Dazu trägt die moderne, den Anforderungen an einenArchivzweckbau entsprechende Gestaltung der neuenRäume, der Vorzug, alle gewünschten Archivalien unmit-telbar vorlegen und einsehen zu können, weil alle Aktenan einem Ort zusammengeführt sind, und die Priorisie-rung von qualitativ und quantitativ der Nutzung dienen-den Projekten bei.

Nach der Wiedereröffnung hat das Stadtarchiv über-wiegend positive Resonanz für seinen Entschluss erhalten,das Angebot der neuen Unterbringung außerhalb derInnenstadt anzunehmen. Seit dem überaus gut besuchtenEröffnungstag wurden vom Archiv weitere öffentlicheund themenbezogene Führungen angeboten, aber auchzahlreiche Wünsche nach Sonderführungen erfüllt. Auch

1 Das Stadtarchiv Münster – Bilanz und Neubeginn 2003. Dokumentationaus Anlass der Verlagerung von der Innenstadt in die SpeicherstadtNord, hrsg. v. Franz-Josef Jakobi, Hannes Lambacher, Red.: IrmgardPelster, Münster 2003.

Die offizielle Schlüsselübergabeam 22. 11. 2003

230 Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

die neuen Öffnungszeiten des Archivs sind von den Nut-zern positiv aufgenommen worden. Im Gegensatz zu frü-her hat das Archiv nun an einem Wochentag (montags)geschlossen, der innerarchivischen Arbeiten und Bespre-chungen vorbehalten bleiben soll, und an den anderenTagen eine Stunde später, dafür aber über Mittag durchge-hend geöffnet (Di-Mi 10–17 Uhr, Do 10–18 Uhr, Fr 10–13Uhr). Nach den ersten drei Monaten zeigt sich bereits eineerhöhte Benutzerfrequenz gegenüber den Vorjahren.

Münster Anja Gussek-Revermann/Christa Wilbrand

Archivbau für Kirchenverwaltung im OldenburgerLand

Zum Sprengel der Diözese Münster gehören gegenwär-tig zwei Gebietsteile, das Kernland des Bistums im westfä-lischen Münsterland mit der im 19. Jahrhundert erworbe-nen niederrheinischen Region und der territorial davongetrennte, im Bundesland Niedersachsen gelegene Offi-zialatsbezirk Oldenburg. In diesem 1830/31 geschaffenenJurisdiktionsbezirk nimmt das – vom Generalvikariat inMünster unabhängige – Bischöflich Münstersche Offizia-lat in Vechta die Aufgaben einer zentralen kirchlichen Ver-waltungsbehörde wahr. Seit 1983 besteht am Offizialateine Fachstelle Archiv, die zur Zeit personell mit zweiArchivaren, beide so genannte Seiteneinsteiger, einerBenutzeraufsicht und einer Halbtagssekretariatskraftbesetzt ist.

Das Archiv ist zuständig für die fachliche Betreuungdes amtlichen Schrift- und Dokumentationsguts derkatholischen Kirche im genannten Jurisdiktionsbezirk.Dieser reicht geographisch von den Dammer Bergen imSüden bis zur Nordseeinsel Wangerooge und vom Ems-

land im Westen bis vor die Tore Bremens, deckt sich alsoim Wesentlichen mit dem Oldenburger Land. Die seit Jah-ren drängende Raumnot, insbesondere das Fehlen einesMagazins, konnte unlängst durch die Umnutzung eines1963/64 errichteten Kindergartengebäudes zu einemArchivzweckbau behoben werden.

Am 21. Januar 2004 wurde das neue Archivgebäudevon Weihbischof Heinrich Timmerevers, der seit 2001 alsOffizial in Vechta amtiert, benediziert und damit offiziellseiner Bestimmung übergeben. Der modern gestaltete Baukann als vorbildhaft im Hinblick auf kostenbewussteAdaption eines Gebäudes für Archivzwecke bezeichnetwerden. In einem kompakten, zweigeschossigen, vollunterkellerten Baukörper können die archivischen Grund-aufgaben – von der technischen Bearbeitung des Archiv-guts über die Erschließung, sichere Verwahrung und Aus-wertung – wahrgenommen werden. Den Umbau trotz desallgemeinen Sparzwangs durchgeführt zu haben, bedeu-tet eine kluge Investition des Offizialates in die Zukunft,durch die auch die Übernahme des Schriftguts nicht mehrbesetzter Pfarrstellen demnächst möglich sein wird. Paral-lel zur Fertigstellung des Archivzweckgebäudes wurdeeine Benutzungsordnung (inkl. einer Gebührenordnung)erlassen.

Zum Umbau selbst ist anzumerken, dass das vorhan-dene Gebäude hinsichtlich des Grundrisses, im Wesentli-chen auch in seiner Kubatur nicht verändert wurde. DieGebäudehülle wurde wärmedämmtechnisch aufgewertet,das vorhandene Flachdach durch ein über 20 m freitragen-des, mit Aluminiumwellprofil eingedecktes Tonnendachersetzt und eine grundlegende Sanierung der Innenräumeunter Berücksichtigung funktionaler und sicherheitstech-nischer Aspekte vorgenommen. Der Lesesaal bietet Platz

Neues Kirchenarchivgebäude in Vechta – Haupteingang des Archivs (Nordostansicht)

231Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

für 10 Benutzer. In den beiden Magazinräumen kann 1Regalkilometer Aktenschriftgut in herkömmlichen Stand-regalen gelagert werden. Das erforderliche konstanteRaumklima wird durch ein Zusammenspiel konstruktiverund technischer Maßnahmen erreicht. Durch den Wand-aufbau, die Dämmung der Außenwände und Decken, diereduzierten Fensterflächen und den Einsatz einer Lüf-tungsanlage sowie entsprechend dimensionierter Heizflä-chen und Deckenkühlgeräte werden die Sollwerte trotzsüdlicher Ausrichtung der Magazinräume erzielt. Die bis-herigen Messwerte deuten darauf hin, dass lediglich zeit-weise ein mobiles Gerät zur Luftbefeuchtung eingesetztwerden muss.

Insgesamt hat das behinderten- und lastengerechterschlossene Gebäude eine Nutzfläche von knapp 1050qm. Aufgrund des Raumkonzepts und der für ein Archiv-gebäude üblichen Sicherheitsvorkehrungen kann – wasfür die tägliche Praxis eines Kleinarchivs mit durchgehen-den Öffnungszeiten nicht unwichtig ist – der Betrieb not-falls von einer Person geführt werden.Anschrift: Archiv des Bischöflich Münsterschen Offizialates, Kar-meliterweg 4, 49377 Vechta; Tel.: 04441–872230; Fax:04441–872451; E-Mail: [email protected]; Web: www.kir-chentuer.de.

Vechta Willi Baumann

Neues Kirchenarchivgebäude in Vechta – Nebeneingang für Behinderte und Aktenanlieferung (Südwestansicht)

Das Karl Dedecius Archiv – Ein Projekt der DeutschenForschungsgemeinschaftAn der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) istim Zeitraum von zwei Jahren im Rahmen eines Projektsder Universitätsbibliothek der Europa-Universität Via-drina Frankfurt (Oder) ein kleines Literatur-, Überset-zungs- und Personalarchiv entstanden: Das Karl DedeciusArchiv. Gefördert wurde es für den Zeitraum von zwei

Jahren, von Oktober 2001 bis Januar 2004, von der Deut-schen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Die Europa-Universität hatte im August 2000 das pri-vate Archiv des vielfach mit wissenschaftlichen Ehrungenin Deutschland und Polen ausgezeichneten Übersetzers,Essayisten und Förderers polnischer Literatur und KulturKarl Dedecius erworben. Das Archiv wurde dem Colle-gium Polonicum in Sl/ ubice, einer wissenschaftlichenGemeinschaftseinrichtung der Europa-Universität inFrankfurt (Oder) und der Adam Mickiewicz-Universitätin Poznan, in einem Festakt im Juni 2001 als Depositumübergeben. In der Gründungsurkunde des Archivs ist die-ser Tatbestand festgehalten.

In der Bibliothek des Collegium Polonicum wurden fürdas Archiv drei Räume zur Verfügung gestellt. Ein Raumwurde mit Bibliotheksregalen als Archivmagazin einge-richtet. Die beiden anderen Räume sind Arbeitsräume,ausgestattet mit drei Computerarbeitsplätzen und moder-nen Büromöbeln. Die Archivalien werden in mit Karbonatgepufferten Archivkartons und Jurismappen verwahrt,somit ist auch konservatorischen Gesichtspunkten Rech-nung getragen. Der Beschreibstoff der Archivalien bestehtaus Papieren, die in den 50er Jahren des vorigen Jahrhun-derts hergestellt wurden, und reicht bis zu Papieren, dieaus den letzten Jahren stammen.

Dieses DFG-Projekt ist in mehrfacher Hinsicht ein bina-tionales Projekt an der deutsch-polnischen Grenze inSl/ ubice gleich hinter der Frankfurter Oder-Brücke. DieMitarbeiterinnen kommen aus Polen und Deutschland,die Räume und ihre Ausstattung aus Polen. Personal fürzwei Vollzeitstellen und eine studentische Hilfskraftfinanzierte die DFG.

Für die erste Phase des Projekts war die Verzeichnungder Autographen vorgesehen. Diese geben Auskunft über

232 Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

die deutsch-polnischen Kultur- und Literaturbeziehungender letzten fünfzig Jahre. Deutsche und polnische Korres-pondenzen, wobei anzahlmäßig die letzteren überwiegen,biographisches Material von Karl Dedecius, seine Preiseund Ehrungen, z. B. die Korrespondenzen zur Verleihungdes Friedenspreises des deutschen Buchhandels, seineEssays, eigene Manuskripte/Typoskripte und Briefwech-sel mit den von ihm übersetzten Autoren sowie derenManuskripte sind in dem Archiv zu finden. Dazu gehörenu. a. zwei Nobelpreisträger für Literatur Wisl/ awa Szym-borska (1996) und Czesl/ aw Mil/ osz (1980), der für Polenbedeutende Poet Zbigniew Herbert (1924–1998) sowie derPabst Karol Wojtyla (geb. 1920) und der Serbokroate VaskoPopa (1922–1991).

Das Archiv wurde zunächst so strukturiert, dass es fürden Nutzer übersichtlich ist und sich gleiche Autoren an

einer Stelle und nicht an vielen Stellen befinden. Nachdemeine Gesamtstruktur angelegt worden war, wurden dieArchivalien zugeordnet. Dies erwies sich als ein kompli-zierter Prozess, wobei einzelne neue Strukturpunkte hin-zugekommen sind. Dafür wurde ein erheblicher Zeitraumdes Projekts beansprucht.

Entsprechend der angelegten Archivstruktur wurdendie Autographen, mehr als 23 000 Dokumente, nach denRegeln der RNA in ca. 12 300 Datensätzen verzeichnet. Indiesem Zusammenhang wurden mehr als 3 500 Daten-sätze zur Personennormdatei (PND) angelegt. Die elektro-nische Erfassung der Autographen des Karl DedeciusArchivs erfolgt mittels einer Richtfunkanlage von Sl/ ubicenach Frankfurt (Oder) und von dort aus via Internet zurStaatsbibliothek in Berlin. Die von der Staatsbibliothek zurVerfügung gestellte Software a/DIS/BMS für die Erfas-

Blick in die Arbeitsräumedes Karl Dedecius Archivs

Blick in den Magazinraumdes Karl Dedecius Archivs

233Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

sung der Autographen ist ein Produkt der Berliner FirmaaStec Angewandte Systemtechnik GmbH.

Begonnen wurde mit der Einzelverzeichnung der Auto-graphen so wie sie dem System a/DIS/BMS immanent ist.Um die Aufgabe im zur Verfügung stehenden Zeitrahmenlösen zu können, sind die Mitarbeiterinnen des Projektsdann jedoch zu einer Konvolutverzeichnung übergegan-gen. Dafür haben sich die zuvor vorgenommene grobeOrdnung und die immer wieder durchgeführten Feinord-nungen als unverzichtbare Vorleistungen für die eigentli-che Verzeichnung des Bestandes erwiesen.

Das eigenständige Projekt steht unter der Federführungder Staaatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz. Aufderen Server sind auch die Datensätze des Archivs abge-legt. Die Aufgabe war, den heterogenen Vorlass nutzer-freundlich zu erschliessen und die Dokumente für For-schung und Publikationen bereit zu halten. Die Praxiszeigt, dass Themen wie biographische Forschung, Über-setzerforschung, literarische und Osteuropa-Studien, Wis-senschafts- und Mediengeschichte von großem Interessefür die Nutzer sind.

Zugänglich ist das Archiv über das nutzerfreundlicheKalliope-Portal. Das Kalliope-Portal ist der zentraleSucheinstieg für Nachlässe und Autographen (inkl. 1,2Millionen Nachweise der Zentralkartei der Autographen)in Deutschland. Es führt derzeit zu Quellen von über 1000deutschen Bibliotheken, Archiven und Museen. Das Kal-liope-Portal bietet neben der Suche in der zentralen Daten-bank Kalliope derzeit über 550 000 Nachweise von Auto-graphen von über 250 000 Personen, auch den Zugriff aufandere Nachlass- oder Autographendatenbanken mit ca.1 300 Beständen. Neben den Korrespondenzen und Manu-skripten des Dedecius-Vorlasses wurden als Eigenleistungder Bibliothek ca. 2 600 Titel von Büchern erfasst. Diesesind sowohl im OPAC der Frankfurter Universitätsbiblio-thek als auch im OPAC der Bibliothek des Collegium Polo-nicum bestellbar. Buchexemplare mit Widmungen befin-den sich im Archiv.

Öffentlichkeitsarbeit wurde von den Mitarbeiterinnenals zusätzliche Leistungen erbracht. Am 17. Oktober 2002

wurde nach einjähriger Projektzeit in Anwesenheit vonKarl Dedecius, dem Präsidenten der Stiftung PreußischerKulturbesitz, Prof. Dr. Klaus-Dieter Lehmann, und derPräsidentin der Frankfurter Europa-Universität, Prof. Dr.Gesine Schwan, die feierliche Eröffnung des Archivs mitca. 200 Gästen vorgenommen. Eine Benutzungsordnungund eine Gebührenordnung wurden erarbeitet. Selbstver-ständlich verfügt das Archiv auch über eine zweispra-chige Homepage (deutsch/polnisch).

Das Archiv präsentierte sich zu den internationalenHanse-Tagen 2003 und den Tagen der offenen Tür in bei-den Einrichtungen, in der Europa-Universität und im Col-legium Polonicum. Faltblätter gibt es in deutscher, polni-scher und englischer Sprache. Auf einer Tagung der DFGzu dem Kalliope-Portal im Dezember 2002 in der Staatsbi-bliothek in Berlin stellte die Archivmitarbeiterin Frau Dr.Agnieszka Swierszcz das Projekt beispielhaft vor.

Im Projektzeitraum wurden mehr als 70 Führungendurch das Archiv veranstaltet, u. a. für die Tagungsteil-nehmer der 69. IFLA- Tagung (World Library and Informa-tion Congress and Council) in Berlin am 7. August 2003.Sieben Ausstellungen konnten aus den Archivbeständenim Universitätsbereich präsentiert werden. Einige derAusstellungen wurden sowohl an der Europa-Universitätin Frankfurt (Oder) als auch in der Bibliothek des Colle-gium Polonicum in Sl/ ubice gezeigt.

Verlage und Wissenschaftler aus Deutschland undPolen haben begonnen, Anfragen an das Archiv zu richtenund die Bestände zu nutzen. Ungefähr 1 800 Dokumentewurden bereits zur Nutzung bereitgestellt.

An der Europa-Universität Viadrina und am CollegiumPolonicum, insbesondere bei den Leitungen der Universi-tätsbibliothek und des Collegium Polonicum sowie bei derStaatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zu Berlin undbeim Deutschen Poleninstitut in Darmstadt, fand das Pro-jekt dankenswerter Weise eine stetige Förderung undUnterstützung. Der Vorlassgeber, Prof. Dr. h.c. mult. KarlDedecius, hat die ganze Zeit über das Projekt mit Rat undTat befördert.

Blick in den Magazinraumdes Karl Dedecius Archivs

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Es wird daran gedacht, in einer zweiten Projektphasedie Materialien zu erschließen, die nicht zum Autogra-phenbestand gehören. Dazu zählen Fotos, Videos, CD-ROMs, Kunstgegenstände und ein umfangreiches Presse-archiv.

Ausstellungen

Karl Dedecius – Lebenslauf aus Büchern und Blättern (Juni 2001)Die Geschichte des Karl Dedecius Archivs (August 2002)Porträts Polnischer Schriftsteller (Oktober 2002)Der Heilige Hieronymus – Schutzpatron der Übersetzer (Oktober2002)Marion Gräfin Dönhoff – die Herausgeberin der deutschenWochenzeitschrift „Die Zeit“ (März 2003)Was die Wirklichkeit verlangt – zum 80. Geburtstag von Wisl/ awaSzymborska (Juli 2003)Karl Dedecius – Mein Russland (November 2003)Projektleitung vom 01.10. 2001 bis 30. 09. 2003Margarete [email protected]. Agnieszka [email protected] in Deutschland:Europa-Universität ViadrinaGrosse Scharrnstrasse 59D 15230 Frankfurt (Oder)Tel.: +49 335 5534 16 359Standort:Collegium Polonicumul. T. Kosciuszki 1PL 69–100 Sl/ ubiceTel.: +48 95 7592 359www-Adresse:http://dedecius.ub.euv-frankfurt-o.deRecherche im Internet:http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.deÖffnungszeiten:Dienstag und Mittwoch: 12–16 UhrDonnerstag: 10–16 Uhr

Frankfurt/Oder Margarete Hager

Archivierung, Bewertung und ErschließungDer Aktenbestand der IG MetallEin Erschließungsprojekt des Archivs der sozialen DemokratieSpätestens mit Vertragsabschluss und Übergabe der erstengroßen Teillieferung des Archivs des IG Metall Vorstandsim Jahre 1998 sahen sich das Archiv der sozialen Demokra-tie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Vorstandder IG Metall mit dem Problem konfrontiert, diesenbedeutenden Archivbestand so rasch wie möglich der For-schung zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig war beidenSeiten klar, dass eine zeitnahe archivarische Erschließungeines so umfangreichen Archivs von mehr als 1.200 lfmAktengut die finanziellen und personellen Kapazitätenbeider Seiten angesichts der angespannten Haushaltslageüberstrapaziert hätte. Andererseits bestand auch Überein-stimmung darüber, dass es sich bei dem Archiv um eineaußerordentlich wichtige Primärquelle für die Geschichts-schreibung der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik undfür große Teile der Forschungsprojekte zu Geschichte,Struktur und Politik der Gewerkschaften handelt, nichtzuletzt deshalb, weil spätestens seit Mitte der fünfziger

Jahre alle grundlegenden Entscheidungen des DGB-Bun-desvorstandes von der IG Metall angestoßen oder abermitgeprägt worden sind.

Nach intensiven Vorarbeiten und Gesprächen konnteder VolkswagenStiftung ein qualifizierter Antrag unter-breitet werden, dem mit kleineren Einschränkungen imJahre 2000 stattgegeben wurde. Das Projekt wurde imHerbst 2000 unter der Leitung von Dr. Hans-Holger Paulbegonnen und im Frühjahr 2004 abgeschlossen (Förder-zeitraum: Oktober 2000 – September 2003). Insgesamtwurden 25.616 Akteneinheiten archivarisch erschlossen.

Zu den von der VolkswagenStiftung geförderten Pro-jektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern zählten MichaelOberstadt als wissenschaftlicher Projektmitarbeitersowie Steffen Elsner, Ralf Gräf, Martin Raabe, GuidoSchorr und Jutta Spoden. Darüber hinaus waren nebendem Projektleiter zusätzlich folgende Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter der AG Gewerkschaften des AdsD mitErgänzungsarbeiten in einzelnen Projektphasen befasst:Sohel Ahmed, Christine Bobzien, Ulrike Ehnes, RalfGräf (zusätzlich zur Förderphase) und Günter Schön-feldt.

Aus dieser Aufstellung wird deutlich, dass von Seitendes AdsD zusätzlich erhebliche personelle Kapazitäten ineinen erfolgreichen Projektabschluss gesteckt wurden.Der Vorstand der IG Metall übernahm die nicht unerhebli-che Finanzierung der Sachmittel.

Ausgangslage

Bei Aktenübernahme befand sich das Archivgut aus archi-varischer Sicht in einem sehr heterogenen Zustand. DenSchwerpunkt des Bestandes bildet die Überlieferung dereinzelnen Vorstandsabteilungen. Daneben waren vom frü-heren Archivbetreuer nahezu vollständige Protokollseriender wichtigsten Organe der IG Metall angelegt worden,nicht ohne z. T. aus anderen Bestandsteilen fehlendeDokumente zur Ergänzung herauszuziehen, ein Verfah-ren, das in den meisten Gewerkschaften gängige Praxis ist.Darüber hinaus war jedoch vom früheren Archivbetreuerunter dem Gesichtspunkt optimaler Serviceleistung eineAktendokumentation angelegt worden. Potentiell wich-tige Dokumente waren aus der Überlieferung der Abtei-lungsstruktur herausgezogen und dem Pertinenzprinzipfolgend zu einem jeweiligen Parallelbestand (chronologi-sches Sammlungsgut der Abteilungen) neu zusammenge-stellt worden. Da dies ohne entsprechende Fundstellen-nachweise erfolgte, mussten alle Versuche der Rekons-truktion der Provenienzen trotz einer Reihe von Testläufenletztlich scheitern. So finden sich in der Bestandsüberliefe-rung zum einen chronologisch geordnet historisch wich-tige Dokumente der verschiedenen Abteilungen des Vor-stands, zum anderen eine außerordentlich breite zusam-menhängende Überlieferung der Arbeit der jeweiligenAbteilungen der IG Metall, die bis in die Anfänge nach1945 zurückreicht.

Ein ähnliches Bild ergab die Überprüfung der perso-nenbezogenen Akten. So existierten sowohl einige klei-nere echte Nachlässe als auch separat davon Nachlass-Splitter, die vom ehemaligen Archivar nach und nachangereichert worden waren. Der Rest des Bestandesumfasst im wesentlichen Archivgut über Ordnungsver-fahren, Akten des ehemaligen IG Metall-Zweigbüros Düs-seldorf sowie zahlreiche Sammlungen, die von Geschäfts-

235Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

berichten und Publikationen der Bezirke und Verwal-tungsstellen bis zu Rundschreiben und Presseausschnitt-sammlungen reichen.

Bestandsneugliederung

Nach ausführlicher Sichtung und Überprüfung desgesamten Aktenbestandes wurde dieser unter Berücksich-tigung des Entstehungszusammenhangs der Akten in eineplausible Reihenfolge gebracht und vollständig neugegliedert. Die Benennung der verschiedenen Bestands-teile, die insbesondere aufgrund häufigen Wechsels derBezeichnungen im Laufe der Jahre, z. B. bei den Abteilun-gen, variierte, wurde auf Grundlage des IG Metall-Geschäftsberichts 1986–1988 vereinheitlicht. Dies erschienaus prinzipiellen Gründen notwendig, besonders aberauch deshalb sinnvoll, weil die Laufzeit der meisten Aktenbis Ende der 1980er Jahre reicht und es sich anbot, dieletzte Geschäftsverteilung des Vorstands, dessen Aktendurch das Projekt noch erfasst sind, für alle Bezeichnun-gen zugrunde zu legen.

Im Bereich der Abteilungsakten erschien es aus Grün-den der Benutzerfreundlichkeit sinnvoll, das nach Perti-nenzen herausgezogene und separat gesammelte Archiv-gut als bedeutende Ergänzung zu den umfangreichenAktenbeständen der Abteilungen zumindest virtuellzusammenzuführen. Dies umso mehr, da sich derUmgang mit diesen aus den Provenienzen herausgezoge-nen Akten im internen Benutzungsverkehr des IG Metall-Vorstands in der Vergangenheit bewährt hatte. So findet inZukunft der/die Benutzer/in bei einer FAUST-Recherchebeispielsweise zu Einzelfragen der Abteilung Tarifpolitiksowohl Archivalien der Abteilung Tarifpolitik als auchUnterlagen aus der Gruppe Tarifpolitik der ehemaligenAktendokumentation. Bleibt zu erwähnen, dass selbstre-dend bei den Ordnungs- und Verzeichnungsarbeitendarauf geachtet wurde, dass die beiden Bestandsteile (z. B.Abteilung Tarifpolitik und Sammlungsgruppe Tarifpoli-tik) in ihrer Struktur selbständig erhalten blieben.

Im Bereich des Nachlassgutes ließ sich das Ziel, mög-lichst viele der Provenienzen zu rekonstruieren, z. T. bes-ser verwirklichen. Zunächst wurde grundsätzlich ent-schieden, alle an verschiedenen Stellen aufbewahrte Teil-Nachlässe und angereicherte Nachlass-Splitter einem neuaufgebauten Bereich Nachlässe/Deposita zuzuordnen.Innerhalb einiger weniger Nachlässe, wie im Fall desNachlasses Otto Brenner, gelang es sogar, Provenienzen zurekonstruieren und so den vorgefundenen Restnachlassmit zuvor separat gesammelten weiteren Bestandsteilenzu einem Nachlass zusammenzuführen.

Strukturierung und Erschließung

Die größte Herausforderung stellte die Erschließung desBestandes dar. Da es sich um Massenakten handelt, warvon Anfang an eine Einzelblattverzeichnung ausgeschlos-sen. Angestrebt wurde das Ziel einer mittleren Verzeich-nungstiefe. Jede Akteneinheit wurde so knapp wie mög-lich inhaltlich zusammenfassend beschrieben. Aus diesemGrund erschien eine detaillierte Strukturierung desBestandes umso wichtiger. Die Akten einer Abteilungwurden jeweils nach Abschluss der Erschließungsarbeitengeordnet und im Anschluss daran einer Untergruppezugewiesen.

Es wurde nach eingehender Prüfung und praktischerErprobung folgendes Raster für die innere Ordnung derAbteilungen erstellt:

1. Abteilung2. IGM Vorstand3. IGM Beirat und Kontrollausschuss4. IGM Geschäftsführende Vorstandsmitglieder5. IGM Abteilungen6. IGM Bezirke und Verwaltungsstellen7. IGM Kommissionen, Ausschüsse, Arbeitsgruppen8. Deutsche Gewerkschaften und Gewerkschafts-

dachverbände9. Internationale Gewerkschaftsbewegung

10. Betriebe und Unternehmen11. Deutsche Staatsorgane und Europäische Institutio-

nen12. Parteien, Organisationen und Institutionen13. Veranstaltungen14. ff. einzelne Themen (z. B. Tarifvertragsrecht in der

Abt. Tarifpolitik)Hervorzuheben ist, dass dieses Gerüst nicht statisch

behandelt worden ist, sondern immer wieder der beson-deren Arbeitsstruktur und damit der Aktenentstehung inder jeweiligen Abteilung angepasst wurde.

Nach Zuweisung zur jeweiligen Untergruppe wurdendie Akten auch innerhalb der Untergruppe geordnet. Fin-den sich beispielsweise innerhalb einer Abteilung unterder Untergruppe „DGB und andere Gewerkschaften” ver-schiedene Korrespondenz-Akten mit dem DGB sowie mitder ÖTV und der Gewerkschaft Textil-Bekleidung (GTB),so wurden die DGB-Akten unter Wahrung des Prove-nienzprinzips ebenso chronologisch geordnet wie die Kor-respondenz mit den beiden anderen Gewerkschaften.Dort, wo die Möglichkeit bestand, wurden erkennbareSerien nach jeweiligen Aktenbildnern zusammengeführtund in sich chronologisch geordnet. Mit Hilfe dieser ver-gleichsweise tiefgehenden Ordnung, die den Entste-hungszusammenhang des Archivguts gleichwohl berück-sichtigt, lassen sich Entscheidungsprozesse, die sich in denAkten niederschlagen, im Zusammenhang nachvollzie-hen.

Technische Bearbeitung

Der Gesamtbestand wurde in altersbeständige, säurefreieMappen und anschließend in alterungsbeständige Ord-nerkassetten umgebettet. Darüber hinaus wurden Schrift-stücke und Dokumente von hohem Überlieferungswert,die vom Zerfall bedroht waren, in säure- und weichma-cherfreie Folien eingebettet. Der oft unterschätzte, arbeits-aufwendige Prozess der Entfernung aller Metallteile ausdem Aktengut ist in absehbarer Zeit abgeschlossen.

Benutzung durch die Forschung, Kooperationen

Obwohl nicht immer einfach, wurde die Servicefunktionparallel zur archivarischen Bearbeitung des historischenArchivs für den gesamten Bestand durchgängig beibehal-ten. Während des Bearbeitungszeitraums wurde das IGMetall-Erschließungsprojekt in zahlreiche archivwissen-schaftliche Diskussionen ebenso eingebracht wie indiverse Hinterlegergespräche. Es lieferte Argumentations-hilfe und Anstöße für die Entwicklung von gemeinsamenkleineren Aktenerschließungsprojekten mit Hinterlegern,wie z. B. die Ordnung und Verzeichnung des gesamten

236 Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

Aktengutes des IG Metall-Bezirks Baden-Württemberg(Findbuch liegt vor) und die Erschließung der Altregistra-turen der IG Metall-Verwaltungsstelle Stuttgart (Projektläuft seit Mai 2004). Für die spätere Forschung werdendiese ergänzenden Quellen ebenfalls von großer Bedeu-tung sein, da insbesondere auf dem wichtigsten Arbeits-feld der Gewerkschaften, der Tarifpolitik, dieser Bezirkmit seiner Verwaltungsstelle Stuttgart seit Jahrzehnteneine Schlüsselrolle einnimmt.

Im Oktober 2003 wurde das Archivprojekt erstmalswährend des IG Metall-Gewerkschaftstages in Hannoverden Delegierten des Gewerkschaftstages, der Vertreterinder VolkswagenStiftung und einer größeren Zahl vonexternen Besucher(inne)n, darunter einer Reihe von For-scher(inne)n aus dem Umfeld der Gewerkschaften, vorge-stellt. Das AdsD betreute in Kooperation mit dem RessortArchiv und Dokumentation der IG Metall-Vorstandsver-waltung einen eigenen Informationsstand, auf dem dasProjekt in elektronischer Form mit Hilfe einer Einzelplatz-version von FAUST 5 dargestellt und von Interessentenbereits durch Recherchen getestet werden konnte. Da-rüber hinaus konnte durch die Präsentation einer Reihegedruckter vorläufiger Findbücher auch das Interesseanderer, weniger EDV-orientierter Gäste geweckt wer-den.

Resümee

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Projektinsgesamt erfolgreich verlaufen ist und in Kürze mit derVorlage der gedruckten und gebundenen Findmittel end-gültig abgeschlossen sein wird. Projektverzögerungenergaben sich immer wieder aufgrund der Größe und Viel-gestaltigkeit des zu bearbeitenden ungeordneten Bestan-des. Die konzeptionelle Phase der Neugliederung desAktengutes und die phasenweise Weiterentwicklung derVerzeichnungsstrukturen nahmen mehr Zeit in Anspruchals zunächst geplant. Ferner soll nicht verschwiegen wer-den, dass auch die personellen Wechsel bei den Bearbei-ter(inne)n jeweils zusätzlich Einarbeitungszeit erforder-ten, selbst wenn es im Einzelfall gelang, hoch qualifizierteMitarbeiter(inne)n für die Fortführung zu gewinnen.Angesichts der Arbeitsmarktlage und befristeter Stellenwird diese Problematik auch in Zukunft nicht auszuschlie-ßen sein.

Als Ergebnis des Projekts ist uneingeschränkt positivhervorzuheben, dass– erstens mit dem erschlossenen IG Metall-Archiv eineaußerordentlich reiche Quelle zur Nachkriegsgeschichteder Bundesrepublik und der Gewerkschaften für die For-schung aufbereitet und benutzbar vorliegt,– zweitens aus archivwissenschaftlicher Sicht ein bedeu-tender Beitrag zu einer rascheren und inhaltlich aussage-kräftigeren Erschließung ursprünglich unstrukturierterMassenakten geleistet werden konnte, der innovativeErkenntnisse und Vorschläge für die zukünftige Bearbei-tung (Ordnung und Verzeichnung) derart umfangreicherArchivbestände hervorgebracht hat.

Insbesondere das Strukturierungs- und Erschließungs-verfahren des IG Metall-Archivs und die hierbei gemach-ten Erfahrungen dienen gegenwärtig in abgewandelterForm als Grundlage für eine raschere archivarische Bear-beitung anderer gewerkschaftlicher (Groß-)Bestände.

Bonn Michael Oberstadt/Hans-Holger Paul

EDV und Neue MedienVgl. auch die Beiträge „Die wachsenden Probleme ...“ (untenunter der Rubrik „Aus- und Fortbildung, berufsständischeAngelegenheiten“), „Neue Medien ...“ (unten unter der Rubrik„Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen“), „Mediensammlun-gen ...“ (unten unter der Rubrik „Auslandsberichterstattung –Internationales“), „Jahrestagung der IASA-Ländergruppe ...“(unten ebenda), „Eine neue Dienstleistung ...“ (unten unter derRubrik „Auslandsberichterstattung – Schweiz“).

Neues Intranetangebot des Landesarchivs Berlin fürdie Berliner Verwaltung

Die Bedeutung und Notwendigkeit von eigenen Weban-geboten ist in Archivkreisen inzwischen allgemein aner-kannt. Die Möglichkeit zu einer umfassenden und aktuel-len Information der Benutzer, die Gelegenheit, Zielgrup-pen besser erreichen und binden zu können, oder auch dieFähigkeit zu einer optimalen Selbstdarstellung – kurz: derWille, über ein zeitgemäßes Kommunikationsmittel zuverfügen, hat eine Vielzahl von Archiven dazu veranlasst,die eigenen Leistungen im Internet zu präsentieren undanzubieten.

Die Webangebote wenden sich derzeit jedoch noch fastausschließlich an Benutzer, also nur an einen Teil des archi-vischen Kundenkreises. Die eigenen anbietungspflichti-gen Behörden als eine andere, für die Archive wesentlicheZielgruppe blieben dagegen bislang weitgehend unbe-rücksichtigt. Auf diesen Mangel hatte schon vor zwei Jah-ren Katharina Ernst nachdrücklich hingewiesen. DenVerwaltungsstellen ist bei ihren anders gearteten Proble-men, wie Aktenanbietung und -übergabe oder optimaleAktenverwahrung, mit umfangreichen Beständeübersich-ten, komfortablen Online-Findmitteln sowie Benutzungs-hinweisen und Recherchestrategien wenig geholfen.

Für die Berliner Behörden und sonstigen Einrichtungenhat das Landesarchiv Berlin als zuständige Stelle daherseit kurzem ein speziell auf ihre Wünsche zugeschnittenesWebangebot entwickelt. Es wird im landeseigenen Intra-net präsentiert, zu dem zahlreiche VerwaltungsstellenZugang besitzen. Damit ist gewährleistet, dass die Präsen-tation eine große Zahl der Angesprochenen auch tatsäch-lich erreicht. In Verbindung mit der Einrichtung des Ange-bots auf einem gesonderten Server ist so außerdem sicher-gestellt, dass kein Anwender von außerhalb Zugang zumarchivinternen System erlangt.

Grundlage der Planung war, dass das Angebot vierErfordernissen gerecht werden sollte. Erstens sollte es derVerwaltung auf übersichtliche Weise umfassende Infor-mationen zu allen Angelegenheiten bereitstellen, in denenBehörden und Archiv durch gesetzlichen Auftrag zusam-menarbeiten. Damit sollte die Tätigkeit des Landesarchivstransparent gemacht, sein Dienstleistungscharakter fürdie Verwaltung unterstrichen und Barrieren seitens derstaatlichen Einrichtungen abgebaut werden. Häufig wie-derkehrende Fragen, auch frequently asked questions(FAQ) genannt, sollten zur Entlastung der Archivarinnenund Archivare schon hier beantwortet werden. Zweitenssollten die Informationen in einer für die Verwaltungsmit-arbeiter sprachlich verständlichen und optisch anspre-chenden Weise vermittelt werden. Drittens sollte dasAngebot ein ausbaufähiges Grundgerüst aufweisen, dasErweiterungen zulässt, ohne den Anwendern immer wie-der veränderte Präsentationen zuzumuten, in denen sie

237Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

sich neu zurecht finden müssen. Und schließlich sollte dasWebangebot einen geringen Pflegeaufwand erfordern.

Vorteilhaft für die Entwicklung des Konzepts erwiessich erstens die langjährige Beteiligung des Landesarchivsan der internen Fortbildung der Landesverwaltung. AlsErgebnis zahlreicher Seminare mit Mitarbeitern BerlinerBehörden waren so bereits deren häufigste Fragen, auf diedas Webangebot eingehen musste, bekannt. Erwartungs-gemäß waren sie selten vom Bewusstsein geprägt, bedeu-tende Kulturwerte erhalten zu müssen, sondern fragtenstets ganz praktisch nach den Möglichkeiten, mit denensich wieder Platz in den übervollen Registraturen ver-schaffen ließ und welche Unterstützung das Landesarchivdabei anbot, oder sie zeigten sich an den einschlägigengesetzlichen Bestimmungen interessiert. Um die Behördenzu gewinnen, scheut sich das Landesarchiv in der Intranet-präsentation dementsprechend nicht, Bewertung undÜbernahmen auch als Mittel gegen Platzprobleme zuempfehlen. Es verbindet das Angebot aber zugleich mitdem Hinweis auf die rechtlichen Normen und die kultu-relle Bedeutung dieses Tuns.

Bei der Konzeptionierung kam zweitens erleichterndhinzu, dass das Landesarchiv seit mehreren Jahren überein vollkommen neu gestaltetes Internetangebot verfügt.Es baut auf einer Grundstruktur auf, die sich für zahlrei-che Neuerungen und Erweiterungen als tragfähig erwie-sen hat. Dieses erprobte Gerüst konnte daher bequem alsGrundlage für das behördliche Intranetangebot übernom-men und mit neuen Inhalten gefüllt werden. Damit wurdezugleich ein nicht unerheblicher Programmierungsauf-wand, den neue Entwicklungen erfordern, vermieden.

So stellt sich das Landesarchiv den Behördenmitarbei-tern im Landesintranet nunmehr mit einem sechsteiligenMenü und folgenden Unterrubriken vor:

ProfilAufgabenGeschichteGebäudeJahresberichteStandortHomepageImpressum

Unser ServiceAktenübernahmenAktennutzungFachberatungFortbildung

AktenmanagementAufbewahrungAufbewahrungsfristenIT-Einsatz in BehördenNotfälle

AktenübernahmenAnbietung undAbgabeAbgabeformulareVernichtung

RechtsgrundlagenArchivgesetzGGOInformations-freiheitsgesetz

KontaktAllgemeine HinweiseIhr AnsprechpartnerOrganigrammAndere Dienstleister

Hierbei übernimmt die erste Rubrik „Profil“ zunächst dieVorstellung des Hauses. In ihr finden sich fast ausschließ-lich Inhalte aus dem Internetangebot des Landesarchivs,so dass sowohl die Erstellung als auch die Pflege keinenbesonderen Aufwand erfordert. Die Stellung der Rubrikam linken Rand sorgt zugleich dafür, dass die wichtigstenRubriken „Unser Service“, „Aktenmanagement“ und„Aktenübernahmen“ auch optisch im Zentrum des Menüsstehen.

Die Rubrik „Unser Service“, die in der Menüleiste rothinterlegt ist und somit den Blick der Anwender als erstesauf sich zieht, fasst für eine erste Orientierung in wenigenWorten die wichtigsten Dienstleistungen des Landesar-chivs für die Berliner Verwaltung zusammen. Die Textebieten mit zahlreichen Links direkten Zugriff auf weiter-führende Informationen innerhalb der Intranetpräsenta-tion. Überhaupt verfügt das Angebot über ein dichtesNetz von Verlinkungen, um die Anwender möglichstschnell zu den gewünschten Informationen zu führen.Hierbei besteht die Möglichkeit, sich nicht selten die ein-schlägigen Rechtsnormen im Wortlaut anzeigen zu lassen,

Startseite des archivischenIntranetangebots für dieBerliner Verwaltung

238 Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

entweder vollständig, wie das Archivgesetz Berlin, odersoweit sie die behördlich-archivische Zusammenarbeitbetreffen, wie die GGO und das Informationsfreiheitsge-setz Berlin.

Die Rubriken „Aktenmanagement“ – die Bezeichnungwurde bewusst gewählt, um der Tätigkeit der Registrato-rinnen und Registratoren gerecht zu werden und behör-denintern motivierend zu wirken – sowie „Aktenübernah-men“ setzen sich eingehend mit den jeweiligen Bereichenauseinander. So gibt die Rubrik „Aktenmanagement“ denRegistratoren vielfältige Informationen zur Pflege undAufbewahrung von Unterlagen in den Behörden an dieHand. Hier finden sich etwa Hinweise zur Anlage undFührung von Akten, zur optimalen Aktenverwahrungsowie zur Altakten-Ablage. Ferner erhalten Interessierteallgemeine Empfehlungen zu Aufbewahrungsfristen undInformationen über Schadensprävention ebenso wie übererste Maßnahmen bei Brand, Wasser- oder sonstigen Schä-den. Neben den für Notfälle verantwortlichen Mitarbeite-rinnen des Landesarchivs, die als Ansprechpartner zurVerfügung stehen, finden sich hier auch Adressen von pri-vaten Dienstleistern.

Die Rubrik „Aktenübernahmen“ erläutert dagegendetailliert alle Schritte von der Anbietung über die Bewer-tung bis hin zur Übernahme von behördlichem Schriftgut.Sie macht somit ein Verfahren transparent, dessenUnkenntnis Verwaltungsstellen bisher nicht selten dazuveranlasste, Unterlagen lieber nicht anzubieten. Zur Ver-einfachung des Abgabeverfahrens sind zugleich Abgabe-formulare als Word- und Excel-Dateien beigefügt, die aucharchivintern helfen, das Abgabeverfahren zu standardisie-ren. Die häufig in Fortbildungsseminaren gestellte Fragenach den Möglichkeiten zur behördeneigenen Aktenver-nichtung führte schließlich dazu, eine gesonderte Seite„Vernichtung“ einzurichten. Sie verneint unter Verweisauf die rechtlichen Grundlagen die Möglichkeit und führtden Anwender mit einem Link auf die Erläuterungen zur„Anbietung und Abgabe“ zurück.

Das Webangebot bliebe unvollständig ohne umfas-sende Informationen zur Erreichbarkeit des Landesar-chivs. Dementsprechend findet sich in der Rubrik „Kon-takt“ neben einem aktuellen Organigramm und allgemei-nen Hinweisen eine umfangreiche Liste aller mit BerlinerVerwaltungsstellen in Kontakt stehenden Archivmitarbei-ter. Hier können Interessierte aller Landesbehörden und-einrichtungen ihren zuständigen Mitarbeiter im Landes-archiv schnell und ohne aufwändige Suche mit Telefon-und Mailadresse ermitteln. Durch Anklicken des entspre-chenden Namens öffnet sich als zusätzlicher Service einekleine virtuelle Visitenkarte, die das gesamte Aufgaben-spektrum der jeweiligen Person benennt und zukünftigdurch Porträts der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterergänzt werden kann. Zudem findet sich in der Rubrikeine über Notfalldienste hinausgehende Liste privaterDienstleister für archivische Belange aller Art. Es verstehtsich von selbst, dass diese Zusammenstellung weder wer-tenden Charakter hat und noch Anspruch auf Vollständig-keit erhebt.Das Landesarchiv Berlin stellt interessierten Archiven einenumfassenden Auszug aus seinem Intranetangebot für Landesbe-hörden zur Verfügung. Wenden Sie sich dazu bitte an das Landes-archiv Berlin, Eichborndamm 115–121, 13403 Berlin, oder mailenSie an [email protected].

Berlin Michael Klein

Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und ForschungVgl. auch den Beitrag „Direktor des renommierten Gorki-Insti-tuts ...“ unten unter der Rubrik „Auslandsberichterstattung –Internationales“.

Bemerkungen zu einem archivischen Wissenschafts-dienstGanz grundsätzlich gilt für einen archivischen Wissen-schaftsdienst, dass er den Universitäten den Zugang zumArchivgut erleichtern soll. Er muss dafür sorgen, dass diefür eine Benutzung nötige Infrastruktur in spezifischerWeise den Universitäten zur Verfügung gestellt wird mitdem Ziel, das Forschungsinteresse auf die Archivbeständezu lenken. Ein solcher Dienst muss dabei das Vorwissender Studierenden und Dozenten im Blick haben und dieDiskussion um die Erwartungen dieser Wissenschafts-klientel suchen. Nur so lassen sich die Voraussetzungeneiner für beide Seiten nützlichen Kooperation schaffen.

Sicherlich können die Archivarinnen und Archivare„im Dienste von Forschung und Wissenschaft“ auf einelange Tradition zurückblicken und erkleckliche Erfahrun-gen vorweisen.1 In dieser Tradition steht eine große Zahlvon Publikationen, die von den Schriftenreihen der jewei-ligen Archivverwaltungen getragen werden. Das Angebotreicht von den Beständeübersichten und sachthemati-schen Inventaren bis hin zu Quellenpublikationen undquellenbezogenen Darstellungen.2 Darüber hinaus gibt esdie direkte Zusammenarbeit mit den Studierenden in Ver-anstaltungen an der Universität oder im Archiv selbst.Vier Grundformen lassen sich dabei immer wieder ausma-chen. Es handelt sich erstens um Einführungen in dieArchivkunde, zweitens um paläographische Übungen,drittens um die Bearbeitung von Forschungsthemen aufQuellenbasis und viertens um Führungen im Archiv, diemit einer Einführung in die archivische Arbeit einherge-hen. Diese Aufgaben werden in aller Regel von den Mitar-beitern der Landesarchive wahrgenommen. Zahlreichesolcher Unternehmungen gehen auf Einzelinitiativenzurück und verlangen einen hohen Arbeits- und Zeitein-satz. Aus arbeitsökonomischen Gründen ist eine der hierrelevanten Arbeitsbedingungen die Nähe des Archivs zurUniversität. Deshalb engagieren sich auch zahlreiche Uni-versitäts- und Stadtarchive für universitäre Veranstaltun-gen. Ohne Zweifel sind Einsatz und Engagement dieserArt sehr zu begrüßen, doch gleichermaßen zweifelsfrei lie-ßen sich die eingesetzten Kräfte gewiss noch besser koor-dinieren, auch könnten diese Aktivitäten unabhängigerwerden von persönlichen Konstellationen.

In diesem Zusammenhang müssen die Veränderungenin Archiv und Universität zur Kenntnis genommen wer-den. Die Universitäten haben sich gerade in den letztenJahren in bedeutsamer Weise entwickelt. Ihre inhaltlicheAusrichtung und Organisation hat sich ebenso verändertwie die Interessenschwerpunkte der Studierenden undderen Arbeitsmethoden und -ziele. Die aus Sparzwängenerwachsene und auch von der Forschung als notwendig

1 Beispielhaft für die ältere Zeit M. Miller, Die Archive im Dienste vonForschung und Wissenschaft, in: Der Archivar, Jg. 17, 1964, Sp. 165–170.

2 Eine Übersicht hierzu samt der weiterführenden Literatur bietet E. G.Franz, Einführung in die Archivkunde, 5., aktualisierte Aufl., Darm-stadt 1999, S. 102–106. Aktuell dazu R. Kretzschmar (Red.), Archiveund Forschung. Referate des 73. Deutschen Archivtages 2002 in Trier, hg.vom Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e. V, Siegburg2003.

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erachtete extreme Spezialisierung der Wissenschaftenreduzierte das Lehrangebot an den Hochschulen. Unteranderem sind die Lehrstühle für historische Hilfswissen-schaften rar geworden. Das quellenkundliche Rüstzeug,das den Seminarteilnehmern in früheren Jahren mitgege-ben wurde und das der Mediävistik und der Frühneuzeitzugute kam, fehlt heute mitunter.3 Stattdessen ist einwachsendes Interesse an zeitgeschichtlichen Themen fest-zustellen. Insbesondere die zwölf nationalsozialistischenJahre liefern den jungen Historikerinnen und Historikernnunmehr seit Jahrzehnten thematischen Stoff. Hinzukommt die zunehmende Bedeutung der neuen Medienund der Trend zur Visualisierung, allesamt Prozesse, wel-che die Orientierungs- und Kommunikationsmethodender Studierenden nachhaltig prägen. Ferner ist es keinGeheimnis, dass sich auch die archivische Landschaftstark verändert hat. Der Aufgabendruck, den die Neu-strukturierung der Verwaltungen aufgebaut haben, istbeträchtlich. Auch Datenschutz und Informationsfreiheithaben unmittelbar Auswirkungen auf das archivarischePensum. Überdies nimmt die Beschäftigung mit Verfahrenzur elektronischen Vorgangsbearbeitung in Behörden undDienststellen einen stetig breiteren Raum im archivischenArbeitsalltag ein. Die Offenheit der Kolleginnen und Kol-legen ist schließlich nicht allein beim Einsatz neuerMedien gefragt, sondern auch bei den zahlreichen Projek-ten zur Modernisierung der Verwaltung. Bei geringer wer-denden Ressourcen müssen die Archive folglich auf eineveränderte Benutzerklientel zugehen. Unter den skizzier-ten Bedingungen scheint zumindest fraglich, ob die bishe-rigen Formen der Zusammenarbeit noch ausreichend sindund den Interessen der Archive entgegenkommen.4

Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen hat dasMinisterialarchiv des NRW Hauptstaatsarchivs im Laufedes Jahres 2003 Kontakt zu den umliegenden rheinischenUniversitäten aufgenommen. Vorrangig geht es darum,verlorenes Terrain der Archive an den Universitätenzurückzugewinnen, auch in Erinnerung zu rufen, dass his-torische Wissenschaft eine quellenkundliche Dimensionhat. Um Examenskandidaten und Doktoranden für dieBestände des Hauses zu interessieren, organisierte dasMinisterialarchiv bisher drei Veranstaltungen mit denUniversitäten Düsseldorf, Köln und der Universität-Gesamthochschule Wuppertal. Die Präsentationen, die imNRW Hauptstaatsarchiv stattfinden, sind dreiteilig: Einerster Teil liefert den Teilnehmern Definitionen undBeschreibungen archivischer Funktionen und Aufgaben,erörtert die rechtlichen Grundlagen archivischer Arbeitund illustriert die Vielfalt der deutschen Archivlandschaft,bevor die Problematik archivischer Zuständigkeiten vor-gestellt wird. Der zweite Teil beinhaltet eine Führungdurch das Haus und bietet überdies einige ausgewähltezeitgeschichtliche Akten, die das Besondere dokumentie-

3 Vgl. allgemein E. Henning, Die aktuelle Lage der Historischen Hilfs-wissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland, in: Kretzschmar,Archive, S. 59–69 (vgl. Anm. 2). Für die Kenntnislücken im Bereich derMediävistik vgl. beispielsweise Th. Kölzer, Welche Erwartungen hatder Mittelalter-Historiker an die Archive und Archivare?, in: ebd.,S. 311–325, bes. S. 313.

4 Geänderte Erwartungen bzw. Anforderungen der Historiker an einArchiv im sog. Informationszeitalter benennt B. Sösemann, Archivareund Historiker vor den Herausforderungen der Informations- und Kom-munikationssysteme. Was dürfen Historiker von einem elektronischenArchiv erwarten?, in: Archiv und Wirtschaft. Zeitschrift für das Archivwesender Wirtschaft, Jg. 36, 2003, S. 57–64, bes. S. 60f.

ren. Das alles bewegt sich in traditionellen Bahnen, ist aberfür das Vorhaben unabdingbar, einesteils um ein gemein-sames Grundlagenwissen zu schaffen, andernteils um dasInteresse an der Materie zu wecken. Erst dann folgt ineinem dritten Teil die eigentliche „Werbeveranstaltung“.Sie ist als Gruppenarbeit organisiert und bezieht Aktender obersten Landesbehörden und der Landesoberbehör-den NRW seit 1946 ein. Die Bestände, welche die politi-schen Diskussionen der Zeit in anschaulicher Weise reprä-sentieren, machten neugierig: Projekte, Konflikte undMaßnahmen zur Rückführung sog. „unbegleiteter“ Kin-der nach 1945, zur Sexualkundeerziehung, zur Denkmal-pflege im Braunkohlegebiet, dem Fernsehen als Werbeträ-ger für den Mittelstand, dem Schutz vor Fluglärm usw.faszinierten die Teilnehmer, die nicht selten zum erstenMal ein Archiv besuchten. Von diesen Einzelvorgängenaus verweist ein Beständeprospekt auf benachbarte the-matische Felder wie die Landesplanung, den Umwelt-schutz, den Flug-, Schienen- und Straßenverkehr, Auslän-der oder die erst jüngst von der Forschung wahrgenom-mene Wasserwirtschaftspolitik. Grob chronologischgegliedert, ist das Prospekt eigens für diesen Zweckzusammengestellt worden. In strenger Auswahl berück-sichtigt es sowohl bisher vernachlässigte Quellenbeständeals auch solche Themenbereiche, die in der Forschung zurZeit aktuell diskutiert werden. Es ist vorgesehen, dieseListe ins Internet zu stellen und künftig zu ergänzen. InEinzelfällen sind nötige Nutzungsbeschränkungen kennt-lich gemacht. Auf offensive Weise haben diese Veranstal-tungen das Archivgut beworben5 und geholfen, Hemm-schwellen bei den Studierenden abzubauen. Das Hausund die im Archiv üblichen Arbeitsverfahren wurdenbekannt. Studierenden wie Dozenten konnte sodann diebreite Quellenpalette zeitgeschichtlicher Themen einesArchivs vorgestellt werden. Die positiven Reaktionen derTeilnehmer vermögen allerdings nicht den Blick darauf zuverstellen, dass angesichts der knappen Ressourcen einearchivische Betreuung der Universitäten schwierig bleibt,denn der niederrheinische Raum und das nahe gelegeneRuhrgebiet sind Hochschullandschaften besondererDichte. Für das NRW Hauptstaatsarchiv ist zu fragen, obdiese Aufgabe allein noch zu meistern ist. Es wäre sinn-voll, die Zusammenarbeit zwischen historischer Wissen-schaft und Archiv künftig auf eine breitere Basis zu stellenund insgesamt planvoller zu gestalten.

Ein Verbundsystem auf Kooperationsbasis6 und mitfestgeschriebenen Standards für eine Präsentation könntediesen Anforderungen genügen. Ein solches Systemkönnte die großen Betreuungslücken bei den Universitä-ten füllen und die Kräfte koordinieren. Abhängig von denKapazitäten und Spezialgebieten der einzelnen Häuserwären den Historischen Instituten und Fachbereichendabei feste archivische Ansprechpartner zu bezeichnen:

5 In letzter Zeit werden häufiger Stimmen laut, die eine solche Offensivefür eine strategische Notwendigkeit der Archive halten. Vgl. beispiels-weise R. Kretzschmar, Archivwissenschaft als Historische Hilfswis-senschaft: Schnittstelle der Forschung (http://www.lad-bw.de/sixcms_upload/media/90/archivwissenschaft.pdf).

6 Die Kooperation von Archiven untereinander, aber auch mit Museenund Bibliotheken liegt seit einigen Jahren im Trend. Beispiele für dieseZusammenarbeit auf verschiedenen Feldern der Öffentlichkeitsarbeitbei G. Stüber, Qualitätsparameter archivischer Arbeit – Überlegungenzur Dienstleistung und Ressourcengewinnung, in: Der Archivar, Jg. 56,2003, S. 203–213, hier S. 211. An anderer Stelle heißt es: „...die Fähigkeitzu Kooperation und Zusammenarbeit nicht nur im eigenen Team ist eineSchlüsselkompetenz der Zukunft.“ Ebd., S. 212.

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Landes-, Stadt- und Kirchenarchive ebenso wie Unterneh-mens- und Pressearchive müssten sich dafür sowohluntereinander als auch mit den Hochschulen absprechen.Den Studierenden würde die Möglichkeit geboten, histori-sche Entwicklungen quellennah und aus unterschiedli-cher archivischer Perspektive in den Blick zu nehmen, his-torisches Geschehen ebenso mittels staatlichem oder kom-munalem Schriftgut wie durch Unterlagen aus Firmenar-chiven zu betrachten. Gewiss würde dies voraussetzen,dass sich die am Verbundsystem beteiligten Partner aufStandards und Ziele des quellenkundlichen Unterrichtsfestlegten und dabei sowohl elektronisches als auch audio-visuelles Material heranziehen würden. Die Vorteile einessolchen Systems sind offenkundig: Die Zusammenarbeitzwischen Archiven und Universitäten würde institutiona-lisiert und könnte ähnlich dem archivpädagogischen Ser-vice für Schulen eine eigene Systematik und Programma-tik entwickeln.7 Freilich wäre dies mit einem nicht uner-heblichen Aufwand verbunden: Wie bei allen bereits lau-fenden Aktivitäten müsste auch dieses Unternehmengetragen sein von dem persönlichen Einsatz und demEngagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derArchive, ja es verlangte zunächst für die Konzeptualisie-rung und programmatische Umsetzung einen zusätzli-chen archivischen Arbeitsbeitrag. Der Einsatz scheintindes lohnend, denn vermutlich kann nur auf diese Weisedie hilfswissenschaftliche und quellenkundliche Kompe-tenz der Archivarinnen und Archivare zurückgewonnenund die Präsenz der Archive als Institutionen an den Lehr-stühlen verstärkt werden.

Düsseldorf Uwe Zuber

7 Zum Unterrichtsdienst vgl. G. Richter, Öffentlichkeitsarbeit, Bildungs-aufgaben und Unterrichtsdienst der Archive, in: ders. (Hg.), Aus derArbeit des Archivars. Festschrift für Eberhard Gönner, Stuttgart 1986(Veröffentlichungen der staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg;Bd. 44), S. 23–41. Vgl. zudem die Web-Site des Arbeitskreises Archivpä-dagogik und Historische Bildungsarbeit im Verband deutscher Archiva-rinnen und Archivare unter http://www.archivpaedagogen.de/.

Ausstellung „25 Jahre Direktwahlen zum EuropäischenParlament“ des Archivs für Christlich-DemokratischePolitik (ACDP) der Konrad-Adenauer-Stiftung inSankt AugustinDie Ausstellung trägt im Hinblick auf die ständige Erwei-terung der Befugnisse des Europäischen Parlaments inden letzten 25 Jahren den Untertitel „Von einer beratendenVersammlung zum politischen Akteur“. Anlässlich derEuropawahlen im Juni 2004 konzipiert, dokumentiert sieauf 15 Tafeln mit Plakaten, Fotos, Diagrammen und kur-zen Texten nicht nur die Geschichte der Direktwahlen seit1979; sie informiert auch über die allgemeine Entwicklungdes Europäischen Parlaments bzw. der Gemeinsamen Ver-sammlung der Montanunion, über die Europäische Unionund über die wichtigsten Stationen der europäischen Eini-gung seit 1950. – Einzelne Themen sind:– 50 Jahre CD- bzw. EVP-ED-Fraktion im Europäischen

Parlament und die Europäische Volkspartei (mit Doku-menten aus den entsprechenden Beständen des ACDP),

– Frankreich und Deutschland als Motor der europäi-schen Einigung,

– das Europäische Parlament, wie es sich heute darstellt,– Einheit Deutschlands und Einigung Europas,– die Unterstützung der neuen deutschen Länder durch

die EU,

– die Erweiterung der EU und– die Diskussion um eine europäische Verfassung.

Die Ausstellung ist vornehmlich für die politische Bil-dungsarbeit gedacht und kann als Wanderausstellungkurzfristig ausgeliehen werden. Alle Exponate könnenauch im Internet unter http://www.kas.de/upload/dokumente/direktwahl-europa.pdf eingesehen werden.

Sankt Augustin Reinhard Schreiner

Aus- und Fortbildung, berufsständischeAngelegenheiten„Die wachsenden Probleme werden durch Zuwartennicht kleiner“Fortbildungsveranstaltung „Digitale Archivierung. AktuellePraxisberichte aus der öffentlichen Verwaltung“Am 21. und 22. Januar 2004 fand in Bonn die vom „Cen-trum für Weiterbildung (CfW)“ ausgerichtete Veranstal-tung „Digitale Archivierung. Aktuelle Praxisberichte ausder öffentlichen Verwaltung“ statt. Unter Archivierungverstanden die meisten Teilnehmer und die Systemanbie-ter – wie schon zu erwarten – nicht die dauerhafte Lesbar-keit digitaler Unterlagen, sondern deren Speicherung übereinen längeren Zeitraum. Auf die Begriffsverwirrungwurde im Lauf der Veranstaltung insbesondere von denReferenten aus dem Archivbereich hingewiesen.

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde der rund 80 Teil-nehmer führte Angela Ullmann (Parlamentsarchiv desDt. Bundestages) in ihrem Beitrag „Vom analogen zumhybriden öffentlichen Archiv“ in die Thematik ein underläuterte Authentizität, Persistenz und Provenienz alswichtige Kriterien für eine sachgerechte digitale Archivie-rung. Sie hob die Vielfalt digitaler Überlieferung hervor:neben Datenbanken dürften auch digitale Bilder, Multime-dia- oder Webangebote nicht vergessen werden. Entspre-chend konsequent arbeitet das Parlamentsarchiv an einemProjekt zur Archivierung digitaler Bilder und an einemGrobkonzept zur Archivierung digitaler Verwaltungsak-ten.

Im Anschluss ging Dr. Ulrich Kampffmeyer(Geschäftsführer der Project-Consult Hamburg) in seinemVortrag „Softwarelösungen für Records Management undelektronische Archivierung“ zunächst ebenfalls auf Defi-nitionsfragen ein und unterstrich, dass im digitalen Zeital-ter nicht mehr die Form, sondern der Inhalt eines Doku-mentes dessen Rechtscharakter bestimme. Er gab einenÜberblick über internationale Standards und Normen wiebspw. die ISO 15489 Records Management. Mit Blick auffür die Langzeitspeicherung geeignete Formate wie XML,JPEG2000 und PDF/A ist für ihn die Diskussion nochoffen.

An praktischen Beispielen wurde die Implementierungdigitaler Systeme in der Verwaltung vorgestellt. DasFinanzgericht Hamburg arbeitet seit einiger Zeit mit derdigitalen Verfahrensakte. Aus rechtlichen Gründen beste-hen derzeit aber noch parallele Papierakten. Die zustän-dige Leiterin der EDV-Abteilung Jutta Drühmel sieht inder digitalen Akte viele Vorteile für die Arbeit der Richter.Anstatt in einer dicken analogen Akte durch BlätternBeweisanträge herauszusuchen oder dieselben mit gelbenZetteln zu markieren, kann jetzt insbesondere in der Vor-bereitungsphase des Verfahrens gezielt und schnell zuge-

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griffen werden, da das System automatisiert ein Inhalts-verzeichnis aufbaut und so die in der Akte befindlichenStücke klassifiziert. Die Mehrfachverfügbarkeit der Akteunterstützt zudem die kollegiale Arbeitsweise der Richter.Die Einhaltung von Vorlagefristen hat sich durch dendirekten Weg per E-Mail wesentlich vereinfacht, die Jagdzum bereits überquellenden Briefkasten des Finanzgerich-tes oder das „Fax-Wettrennen“ gehört so schon fast derVergangenheit an. Sobald die Pflicht zur analogen Akten-führung wegfällt, kann auch noch Lagerraum eingespartwerden. Das ganze Szenario entspricht dem Mainstream:das schlanke High-Tech-Gericht besiegt in der öffentlichenWahrnehmung mühelos das verstaubte graue Gericht, indem Mitarbeiter gemächlich mit Aktenwägelchen über dieGänge schlürfen. Verwaltungsreform und Informations-technologie verschmelzen zu einer Botschaft für dieMediengesellschaft, in der die IT-Technologie frischenWind in graue Amtsstuben bläst und das lang ersehnteEnde der Bürokratie verspricht, die wiederum durchnichts so sehr wie durch Akten symbolisiert wird. In dieserEuphorie schaut man dann vielleicht auch nicht so genauhin und akzeptiert denn auch das groteske Motto: Büro-kratie nein danke, aber her mit dem „Office“, weg mit denAkten, her mit den „records“ – und fertig ist der Moderni-sierer!

Ein Beispiel, wie digitale Systeme zu mehr Bürgernäheund effizienterem Arbeiten führen sollen, zeigt das vonGabriele Bogacz vorgestellte Workflow-Projekt derStadtverwaltung Cottbus, das die Kommunikation zwi-schen Rathaus, Stadtverordneten und Bürgern mit einemSystem zur einfachen Speicherung von Informationen, zurAbfrage von Datenbanken und zur Modifikation vonInformationen (SESAM) verbessern soll. Dazu gehört bei-spielsweise, dass den Sitzungen der Stadtverordnetenver-sammlung keine Kopierorgien mehr vorausgehen, son-dern die Volksvertreter auch von zu Hause aus direkt aufVorlagen und andere Informationen zugreifen können.Das System arbeitet mit differenzierten Zugriffsrechten,der Öffentlichkeit stehen verlinkte geografische Datenund Informationen zum Ortsrecht sowie relevante Lan-des- und Bundesgesetze zur Verfügung. Die Beispiele zei-gen, dass EDV-Projekte auch mit knappen Ressourcen rea-lisiert werden können. Das Cottbuser Projekt entstand fürmehrere hundert Euro in enger Kooperation mit der Tech-nischen Universität Cottbus.

Der elektronischen Signatur als wichtigem Instrumentim elektronischen Geschäftsverkehr widmete sich RichardStelzer (Bayerischer Städtetag). Er erklärte u. a. die Stu-fen der elektronischen Signatur: Die einfache Signatur hatals beliebiges Authentifizierungszeichen (bspw. einegescannte Unterschrift) keine weiteren Rechtswirkungen.Dies gilt auch für die fortgeschrittene Signatur, die einPublic-Key-Verfahren nutzt. Eine zuverlässige Sicherstel-lung der Authentifizierung und Datenkonsistenz durchzwingend notwendige sichere Signaturerstellungseinheit(Chipkarte, Trust-Center) wird mit der qualifizierten elek-tronischen Signatur erreicht. Sie erfüllt die im Zivil- undVerwaltungsrecht vorgeschriebene Schriftform. Die Dauerihrer Prüfbarkeit beträgt 5 Jahre nach Ende der Zertifikats-gültigkeit. Das Höchstmaß an Sicherheit bietet die „Akkre-dierte“ Signatur, die darüberhinaus eine nachgewieseneSicherheit bietet mit einer Vorabprüfung auf freiweilligerBasis, der Anscheinsbeweis ist erfüllt mit dem Nachweisder Akkreditierung des Herausgebers, die Dauer der Prüf-

barkeit beläuft sich auf 30 Jahre nach Ende der Zertifikats-gültigkeit. Auch wenn Versuche des Deutschen Städteta-ges vom November 2003 zeigen, dass der derzeitige Standder Technik noch unbefriedigend ist, insbesondere weildie Lösungen der verschiedenen Trust-Center nicht inter-operabel sind, wird sich die digitale Signatur mittelfristigausbreiten.

Im Gegensatz zur Einführung der digitalen Verfahrens-akte und der Implementierung von SESAM in Cottbuswaren in das durch Dr. Bernd Kappelhoff (Leiter der nie-dersächsischen Archivverwaltung) vorgestellte ProjektArchiSig von vornherein Archivare eingebunden. Archi-Sig bietet eine Perspektive, wie die digitale Signatur imRahmen von E-Government so eingesetzt werden kann,dass rechtliche Normen erfüllt und ihr Einsatz auch archi-visch beherrschbar bleibt. Erforderlich sind elektronischePoststellen, die automatisiert fremdsignierte Dokumentebeim Eingang auf ihr Format prüfen und ggf. in einArchivformat transferieren, das vorher verbindlich fürden gesamten Verwaltungsbereich vorgeschrieben wird.Die Umwandlung wird mit einer elektronischen Beglaubi-gung gemäß § 33 VerwVfg gekoppelt. Eine wesentlicheVoraussetzung hierfür ist die Einführung automatisierterVerfahren zur Signaturverifikation und -vervollständi-gung sowie zentrale Langzeitspeicher mit entsprechendenFunktionalitäten. Ein solcher Langzeitspeicher arbeitet inNiedersachsen für die gesamte Landesverwaltung. Archi-Sig hat einen Prototyp zur blockweisen Signaturerneue-rung entwickelt. Nach der Anbietung und Übergabe andas Archiv entfällt die Weiterpflege der digitalen Signatur,die Glaubwürdigkeit ergibt sich aus der lückenlosen Über-lieferungskette. Ein gut 300 Seiten starker Projektberichtsoll in diesem Jahr erscheinen.

Die Veranstaltung zeigte, die Einführung von E-Government wird keine Kostenersparnis bringen. Dieerforderliche kontinuierliche Migration, deren Planungund Umsetzung ist ein Wirtschaftlichkeitsproblem, dasvon den Anbietern entsprechender Systeme nur ungernangesprochen wird. Insofern birgt das Digitalisierungs-tempo unkalkulierbare Haushaltsrisiken, will man denInformationsverlust nicht hinnehmen. Auch Dr. Kampff-meyer wies auf bereits unwiderbringlich verlorengegan-genes elektronisches Wissen hin und schloß mit der Fest-stellung: „Die wachsenden Probleme werden durchZuwarten nicht kleiner!“Als Schlussfolgerungen ergeben sich:

1. Archivare sollten das IT-Zeitalter als Aufwertungihres Berufes verstehen, wird doch der Auftrag, Unterla-gen auf Dauer in lesbarer Form vorzuhalten, nochanspruchsvoller. Dieser Aufwertung müssen wir uns aberauch gewachsen zeigen.

2. Archivare sind immer noch unzureichend in die Ein-führung elektronischer Systeme eingebunden. Wenn demnicht massiv entgegengesteuert wird, besteht die Gefahr,dass Standards zur Langzeitarchivierung unberücksich-tigt bleiben und die Anbietungspflicht de facto ausgehe-belt wird. Damit korreliert, dass unser retrospektivesSelbstverständnis durch eine prospektive Komponenteergänzt wird.

3. Daraus folgt ein Veränderungsbedarf in der Ausbil-dung und der Arbeitsorganisation sowie Schwerpunktset-zung der Archive. Für die praktische Umsetzung bishereher theoretischer Einsichten wie bspw. die Erarbeitungvon Metadatenkatalogen, Schnittstellengestaltung und

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Migrationsstragien braucht man viel Zeit, Kontinuität undKonzentration, dies gilt auch für neue Lösungsansätze imBereich Bestandserhaltung, Bewertung und Erschließung– d. h. wir müssen über das Ende von überlieferungsorien-tierten Organisationsstrukturen nachdenken und siedurch aufgabenorientierte Schwerpunktabteilungenbspw. für IT-Archivierung ersetzen. Die Notwendigkeitdieser Reform erklärt sich auch daraus, dass Archive nichtnur punktuell bei der Einführung elektronischer SystemeStandards erarbeiten müssen, sondern die Anwendungvon Systemen mit potentiell archivwürdigen Unterlagenmit Blick auf die Migration innerhalb der Behörde bis zumAnbietungszeitpunkt permanent bzw. linear begleitenmüssen. Am Ende werden ggf. dann Lösungen stehen, diewir uns heute noch gar nicht vorstellen können.

4. Die von den Archiven zu erbringenden Problemlö-sungen sind weitgehend gleich. Es macht keinen Sinn,wenn mehrere Landesarchivverwaltungen unabhängigvoneinander bspw. eigene Metadatenkataloge entwerfenund Kommunal- wie Wirtschaftsarchivare auch getrenntdarüber beraten, ebenso sollte die Beschäftigung in inter-nen Zirkeln beendet werden. An die Stelle des Profilie-rungsstrebens Einzelner sollten Koordinierung undArbeitsteilung treten. Im Alleingang fehlen ohnehin dieRessourcen für die Problemlösung. Archivare sind keinedigitalen Däumchendreher – ob dies allerdings der Öffent-lichkeit bewusst ist, darf bezweifelt werden. Eine breiteDiskussion und die Zusammenarbeit mit Juristen, Biblio-thekaren, Dokumentaren und Informatikern sind unver-zichtbar.

5. Die Anforderung der Archive, die dauerhafte Lesbar-keit bei der Projektierung von Systemen zu berücksichti-gen, birgt in der allgemeinen IT-Euphorie die Gefahr, dassArchivare als Bremser und Bedenkenträger erscheinenund ihre Anforderungen als maßlos zurückgewiesen wer-den. Unser Problem ist, dass im Focus der IT-Technologieniemals die dauerhafte Lesbarkeit stand, diese aber grund-legend für das Selbstverständnis und die Kernaufgabeeines Archivs ist. Wir brauchen deshalb Bündnispartner,zum Datenschutz gehört auch der Schutz vor dem digita-len Desaster bzw. dem Verlust von Daten, verlorene Datenkönnen auch verlorene Rechte sein. Parlament, Verwal-tung, Wirtschaft und Wissenschaft haben jedoch ein Inte-resse an der Lesbarkeit elektronischer Unterlagen überihren Entstehungszweck hinaus.

Leipzig/Berlin Hans-Christian Herrmann/Angela Ullmann

Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen58. Fachtagung rheinland-pfälzischer und saarländi-scher Archivare und ArchivarinnenÜber 40 Kolleginnen und Kollegen aus den beiden Bun-desländern und Ostfrankreich hatten sich am 3. November2003 im traditionsreichen Salzbrunnenhaus in Sulzbach/Saar eingefunden. Nach der Eröffnung durch den Direktordes Landesarchivs Saarbrücken Dr. Wolfgang Laufer unddem Grußwort des Bürgermeisters der Stadt SulzbachHans-Werner Zimmer vermittelte Prof. Dr. ClemensZimmermann (Universität des Saarlandes) unter demMotto „Stadtgeschichte, Urbanisierungsforschung undArchiv“ einen facettenreichen Überblick über Tendenzen

der neueren Forschung.1 So geht es unter anderem heutenicht mehr nur um Fragen nach der Entwicklung undModernisierung der Stadt, sondern die Geschichtswissen-schaft richtet den Blick in Abkehr von linearen Moderni-sierungsmodellen vielmehr auch auf Spekulation und Pla-nung, Armut und Milieu2, die Wahrnehmung von Stadt,Vorstellungen von städtischem Leben, städtischer Identi-tät, Traditionsfindung und -pflege. In seinem Panoramaließ der Referent, der auch dem Vorstand der 2000 gegrün-deten „Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisie-rungsforschung“ angehört, die Forschungen zum Bürger-tum, zu Medien und Mediengebrauch3, zur Besonderheitvon Grenzen und zur Visualisierung und Wahrnehmungvon Stadt Revue passieren. Dabei erwähnte er die keines-wegs problemlose Stadt-Typologie, den die kleine Stadtvernachlässigenden Übergang zur Großstadtforschung,die Notwendigkeit zur Integration von Stadtgeschichte indie Analyse der Stadt-Land-Beziehungen4 oder die Forde-rungen an die Historie aus den aktuellen Stadtdebatten,die Stadt als stark differenziertes Phänomen wahrzuneh-men.

Daher müssen die städtischen Quellen mit neuem Blick-winkel und neuen Ansätzen ausgewertet werden. So bie-ten beispielsweise die städtischen Adressbücher5 auchInformationen über die Sozialstruktur und in ihrem narra-tiven Teil Auskunft zum städtischen Selbstverständnis.Besondere Bedeutung kommt ferner den statistischenSammlungen – etwa den durch die Volkszählung ermittel-ten Angaben und dem Diskurs der Verwaltung darüber –zu. Der interne und externe Informationsaustausch undKommunikationsprozess der Stadtverwaltungen überInfrastrukturmaßnahmen bietet außerdem Aufschlüssezur Analyse der Professionalisierung der Administration.Nicht zuletzt liefern Zeitungen der Forschung einenwesentlichen und oft noch systematisch auszuwertendenQuellenkorpus.

Der Referent betonte auch den besonderen „Bedarf anautobiographischen Quellen“ und „Spuren der einfachenBevölkerung“, wie Eingaben an die Wohlfahrtsbehördenoder Informationen aus Polizei- und Ortspolizeiakten.„Graue Literatur“, Flugblätter, Broschüren und Stadtteil-Zeitungen sollten ebenso umfassend gesammelt werdenwie alle für Fragen nach der Wahrnehmung von Stadt rele-vanten Unterlagen. Eine wichtige Rolle kommt ebenfallsder kontinuierlichen fotografischen Dokumentation undihrer Erschließung zu. Die Sicherung des digitalen Verwal-

1 Vgl. unter anderem aus der Fülle der Literatur Christian Engeli/HorstMatzerath (Hrsg.): Moderne Stadtgeschichtsforschung in Europa,USA und Japan, Stuttgart 1989. Clemens Zimmermann: Die Zeit derMetropolen, Urbanisierung und Großststadtentwicklung, 2. Auflage,Frankfurt 2000. Clemens Zimmermann (Hrsg.): Die Kleinstadt in derModerne, Stuttgart 2003. Insbesondere ist auch hinzuweisen auf die wis-senschaftlichen Zeitschriften Die alte Stadt, Informationen zur ModernenStadtgeschichte und Urban History.

2 Vgl. Martina Heßler: Stadt als innovatives Milieu – ein interdisziplinä-rer Forschungsansatz, in: Neue politische Literatur 47, 2002, S. 193–223.

3 Karl Christian Führer/Knut Hickethier/Axel Schildt: Öffentlichkeit– Medien – Geschichte. Konzepte der modernen Öffentlichkeit undZugänge zu ihrer Erforschung, in: Archiv für Sozialgeschichte 41, 2001,S. 1–38.

4 Bruno Fritzsche: Stadt und Land im 19. und 20. Jahrhundert, in: Itinera19, 1998, S. 89–109.

5 Vgl. jetzt Gareth Shaw/Tim Cole: European directories: a universalsource for urban historians, In: Urban History 22, 1995, S. 85–102. GarethShaw/Tim Cole: A Guide to European Town Directories. Vol. I Ger-many, Austria, Switzerland, Sweden, Finland, Norway, Denmark, Vol. 2France, Belgium, The Netherlands, Italy, Spain, Portugal, Aldershot1997.

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tungsschriftgutes bleibt ebenso unerlässlich, um – nichtzuletzt in Gegenwart und Zukunft – Fragen der modernenStadt, ihrer Entwicklung und Verwaltung beantworten zukönnen. Historiker und Archivare eint daher – so das Fazit– „der gemeinsame kulturbewahrende Auftrag“.

Im zweiten Vortrag, der 2004 im Heft 49 von UnsereArchive – Mitteilungen aus rheinland-pfälzischen und saarlän-dischen Archiven veröffentlicht werden wird, präsentierteder am Hessischen Staatsarchiv Darmstadt tätige Archiv-pädagoge Dr. Thomas Lange seinen Erfahrungsbericht„Lernort Archiv – eine außerschulische Bildungsinstitu-tion in der Informationsgesellschaft“6. Dabei beleuchteteer die Situation der Archivpädagogik in der Bundesrepu-blik und die sich intensivierende europäische Zusammen-arbeit, stellte die Ziele archivpädagogischer Arbeit sowieArbeitsformen und Probleme im Lernort Archiv vor undverwies auf das in eine CD-ROM mündende Projekt„Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg“7, das in Darm-stadt realisiert worden ist.

Vor der Mittagspause beschrieb der Leiter des Kultur-amts und der Volkshochschule Sulzbach Dr. Dieter Staerkam Beispiel der Salzgewinnung ausführlich die Sulzba-cher Wirtschaftsgeschichte und stellte den Teilnehmendenden im Tagungszentrum befindlichen Salzbrunnen vor.

Am Nachmittag informierten die Kolleginnen ChristineFrick (Landesarchiv Saarbrücken) und Andrea Kraft(Landesarchiv Speyer) über ihre Überlegungen, ein neues,dringend wünschenswertes Kirchenbuchverzeichnis fürdie Pfalz zu erarbeiten, dieses Projekt als „virtuelles“ Kir-chenbuchverzeichnis zu planen, den Aufbau eines Daten-pools im Archivportal anzustreben und in einem erstenSchritt die Umfrageergebnisse einzubringen. Nach breiterZustimmung in der Diskussion soll dieses Projekt auch alsBeispiel der länderübergreifenden Zusammenarbeit fort-gesetzt werden.

Mit guten Wünschen an die Kolleginnen und Kollegenverabschiedete sich in der „Aktuellen Stunde“ der Direk-tor des Landesarchivs Saarbrücken Dr. Wolfgang Laufervon der Fachtagung und kündigte seinen bevorstehendenEintritt in den Ruhestand zum Jahresende 2003 an. AufGoethes Spuren endete die Tagung mit dem Besuch desNaturdenkmals „Brennender Berg“, das den jungen Dich-ter bei seiner Reise im Elsaß und Westrich im Sommer 1770fasziniert und zu einer Reminiszenz im 10. Buch von„Dichtung und Wahrheit“ angeregt hatte.

Die nächste Fachtagung wird im November 2004 zum50. Geburtstag des Stadtarchivs in St. Ingbert stattfinden.

Saarbrücken Wolfgang Müller

6 Vgl. demnächst Thomas Lange: „Historisches Lernen im Archiv –Methoden des Geschichtsunterrichts mit archivischen Quellen“ in derReihe Klaus Bergmann/Ulrich Mayer/Hans-Jürgen Fandel/GerhardSchneider (Hrsg.): Methoden historischen Lernens, voraussichtlichWochenschau-Verlag Schwalbach 2004.

7 Thomas Lange (Bearbeiter) und Herausgeber mit Klaus Fischer/Gün-ter Laute/Bijan Rafiei/Patrick Schlicher: „...fand den Heldentod“.Feldpostbriefe und Lebensläufe von im Ersten Weltkrieg 1914–1918gefallenen Darmstädter Soldaten. Ein Datenbankprojekt von Schülernder Bertolt-Brecht-Schule in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv unddem Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt, Darmstadt Bertolt-Brecht-Schule, 2000 CD-ROM, 10,50 Euro. Erhältlich beim Hessischen Staatsar-chiv Darmstadt mit elektronischer Post bei: [email protected].

35. Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Archive im Städte-tag Baden-Württemberg in Stuttgart

Aus Anlass des 75-jährigen Bestehens des StadtarchivsStuttgart fand die 35. Sitzung der ArbeitsgemeinschaftArchive im Städtetag Baden-Württemberg am 9. April2003 in Stuttgart statt. Nach der Begrüßung durch den Vor-sitzenden, Dr. Ernst Otto Bräunche (Karlsruhe), berich-tete der Leiter des Stadtarchivs, Dr. Roland Müller, übereinige aktuelle Aufgabenschwerpunkte. In den Mittel-punkt stellte er die unbefriedigende räumliche Situationdes Stadtarchivs, das auf vier durchweg fachlichenAnsprüchen nicht genügende Gebäude aufgeteilt ist. Trotzdes anstehenden Verkaufs eines Hauptgebäudes sind Vor-schläge des Archivs zur Unterbringung in einem Zweck-bau bisher nicht aufgegriffen worden. Weiter berichteteDr. Müller von den konzeptionellen Überlegungen für einStadtmuseum, das neben drei bereits bestehenden musea-len Einrichtungen (Hegelhaus, Lapidarium, StadtmuseumBad Cannstatt) beim Stadtarchiv angesiedelt werden soll.

Im Anschluss informierte Dr. Bräunche aus der Arbeitder Bundeskonferenz für Kommunalarchive beim Deut-schen Städtetag (BKK): Zur Verbesserung des Informati-onsflusses Kommunikation soll in den Sitzungen derFachgruppe 2 bei Archivtagen künftig über die Arbeit derBKK berichtet werden, ebenso bei den Treffen der AGArchive; die Empfehlungen der BKK werden in Zukunftauch von einer eigenen Homepage abrufbar sein. BeimArchivtag in Chemnitz wird die BKK in Zusammenarbeitmit der Fachgruppe 2 des VDA eine öffentliche Veranstal-tung anbieten, bei der vor allem über die Arbeit der Unter-ausschüsse (für Aus- und Fortbildung, Überlieferungsbil-dung, EDV, Historische Bildungsarbeit und Archivtech-nik) berichtet werden wird. – Weiter wurde nochmals aufdas von der BKK erarbeitete Positionspapier „Das Kom-munalarchiv“ (Der Archivar 1/2003) hingewiesen sowieauf die von BKK und Westfälischem Archivamt geplanteTagung zum Katastrophenschutz und den Erfahrungenaus der Flutkatastrophe des vergangenen Jahres.

Stefan Benning (Bietigheim-Bissingen) berichtete ausdem VdA-Vorstand über die Zuständigkeiten imgeschäftsführenden Vorstand sowie über die Planungenfür den nächsten Tag der Archive am 25. September 2004.Langfristig soll der Termin für den Tag der Archive imFrühjahr liegen, und zwar am Samstag vor Christi Him-melfahrt, er soll dann in zweijährigem Turnus stattfinden.Der übernächste Tag der Archive soll somit am 20. Mai2006 stattfinden. Der VdA hat Kritik am ersten Tag derArchive berücksichtigt; frühzeitig sollen Plakat, Flyer undallgemeine Presseinformationen angeboten werden.

Anschließend informierte Dr. Roland Müller über dasProjekt eines Inventars der Fotobestände in baden-würt-tembergischen Archiven, Museen und Bibliotheken. DasLandesmedienzentrum, die Foto-AG des Museumsver-bandes, die Landesarchivdirektion und die AG Archivehaben gemeinsam einen Projektantrag für die StiftungKulturgut beim Ministerium für Wissenschaft, Forschungund Kunst erarbeitet. Beantragt wird eine Projektstelle,angesiedelt beim Landesmedienzentrum. Geplant istzunächst eine Fragebogenaktion bei 300 Archiven allerSparten, 80 staatlichen und kommunalen Medienzentrenund Bildarchiven, 20 wissenschaftlichen Bibliotheken und1000 Museen; anschließend sollen ausgewählte Beständevom Projektmitarbeiter vor Ort genauer recherchiert wer-

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den. Eine Entscheidung über den Antrag steht allerdingsnoch aus.

Die Digitalisierung der staatlichen Grundbücher (ca. 50km) und Grundakten (ca. 70 km) soll in Baden-Württem-berg bis zum Jahr 2010 erfolgen. Es wird in erster Linie vonden Kosten abhängen, ob das Land zentral archiviert oderdie Archivierung den Kommunen überträgt. Dr. RolandMüller berichtete über eine Besprechung im Wissen-schaftsministerium mit Vertretern des Städte- und desGemeindetags, der LAD sowie der Arbeitsgemeinschaftender Archive im Städte- und im Landkreistag. Demnachgeht die LAD davon aus, dass in einem Grundbucharchivzunächst fünf Mitarbeiter genügen, um 30 km Archivgutzu betreuen; sie favorisiert deshalb eine zentrale Lösung.Die Kommunen sind mehrheitlich zu einer Archivierungder Grundbuchunterlagen bereit, wenn die entstehendenSach- und Personalkosten voll erstattet werden. EineArbeitsgruppe soll die voraussichtlichen Kosten ermittelnund mit einer Arbeitsgruppe der AG der Kreisarchive dieAngelegenheit weiter behandeln. In der lebhaften Diskus-sion wurden Zweifel an den Zahlen der LAD angemeldet,die Bedeutung der Grundbuchunterlagen für die lokalge-schichtliche Forschung sowie die Notwendigkeit einesraschen Zugriffs vor Ort betont.

Ein weiteres Thema war die Protokollierung und Archi-vierung von Gemeinderatssitzungen. Dr. Bräunche(Karlsruhe) berichtete über Pläne in Karlsruhe, die schrift-lichen Verlaufsprotokolle der Gemeinderatssitzungenabzuschaffen und stattdessen lediglich ein Tondokumentzu archivieren. Das Stadtarchiv Karlsruhe konnte dies ver-hindern. Aus mehreren Städten und Gemeinden wurdeberichtet, dass die Verlaufsprotokolle abgeschafft unddurch Ergebnisprotokolle ersetzt worden sind. Erfahrun-gen über die Archivierung von Tondokumenten lagennicht vor. Dr. Ulrich Nieß (Mannheim) schlug vor, dieArchivierung von Gemeinderatsprotokollen einmal zueinem grundsätzlichen Thema bei einer Sitzung der AG zumachen. Das Thema soll auch in die BKK eingebracht wer-den. – Weiter wurde nach der Nutzung der Protokollenichtöffentlicher Sitzungen gefragt. Grundsätzlich gilteine 60-Jahres-Sperrfrist (Gemeindeordnung). In der Dis-kussion wird diese lange Sperrfrist problematisiert unddarauf verwiesen, dass häufig Protokolle öffentlicher undnichtöffentlicher Sitzung zusammengebunden sind.

Stefan Benning berichtete über die Ausbildung zum/zur Fachangestellten für Medien- und Informations-dienste (Fami). Beim VdA hat sich ein Arbeitskreis konsti-tuiert. In Baden-Württemberg haben sich die Ausbil-dungsberater bewährt, die eine Verbindung zwischenAusbildungsstelle, Berufsschule und Auszubildendendarstellen. Es gibt nach wie vor Probleme mit dem Fach„Archiv“ an der Berufsschule. Angesichts der großenUnterschiede in den Erwartungen an die Auszubildendensollen Standards formuliert werden, in denen die Anfor-derungen an die Famis und ihr Berufsbild festgelegt wer-den. Archive, die schon für den gehobenen und höherenArchivdienst ausbilden, benötigen den Ausbildungsbefä-higungsnachweis für die Ausbildung zum/zur Fami nichtmehr. Kritisiert wurde der Aufwand für die von den Aus-bildungsarchiven zu erstellenden detaillierten Stunden-pläne.

Dr. Roman Janssen (Herrenberg) führte seinen Berichtaus dem Vorjahr über Mikrobenbefall fort. Das Landesge-sundheitsamt hat im Stadtarchiv Herrenberg 133 Pilze,

darunter drei als gefährlich anzusehende, festgestellt undden Ursprung der gefährlichen Kontamination identifi-ziert. Die verseuchten Archivalien wurden begast, dieArchivräume nach einer Spezialreinigung baulich saniert,eine Klimaanlage wurde eingebaut. Die Kosten belaufensich auf 100.000 C (66.000 C für die Behandlung der Archi-valien, 34.000 C für bauliche Maßnahmen). Dazu kommenKosten für Restaurierungsmaßnahmen am geschädigtenArchivgut.

Abschließend stand die turnusmäßige Wahl des Vor-stands auf dem Programm. Einstimmig gewählt wurdenMarlis Lippik (Mühlacker), Stefan Benning (bisherigerVorstand), Dr. Roland Müller (bisheriger Vorstand, alsVorsitzender), und Dr. Ulrich Nieß. Der neugewählte Vor-sitzende sprach dem scheidenden Vorsitzenden Dr. ErnstOtto Bräunche sowie den bisherigen Vorstandsmitglie-dern Reinhild Kappes (Singen) und Dr. Roman Janssen,die nicht mehr kandidiert hatten, Dank für ihre Arbeit ausund überreichte ein Geschenk. Die nächste Sitzung der AGArchive im Städtetag Baden-Württemberg wird am21. April 2004 in Offenburg stattfinden.

Am Nachmittag eröffnete die Beigeordnete für Kultur,Bildung und Sport der Stadt Stuttgart, Bürgermeisterin Dr.Iris Jana Magdowski, eine zweitägige Fortbildungsver-anstaltung des Stadtarchivs Stuttgart und der AG Archiveim Städtetag Baden-Württemberg. In der ersten Sektionzum Thema Archivbau stellten Dr. Karljosef Kreter(Stadtarchiv Hannover) und Thomas Kübler (StadtarchivDresden) Erfahrungen mit für Archivzwecke adapiertenAltbauten vor, Dr. Norbert Haag berichtete über die neueUnterbringung des Landeskirchlichen Archivs in Stutt-gart; Dr. Christoph Schmider stellte den Neubau des Erz-bischöflichen Archivs Freiburg vor. Die zweite Sektionüber Fotobestände in Archiven eröffnete Dr. Peter K.Weber vom Rheinischen Archivamt in Brauweiler miteinem Grundsatzvortrag zum Thema „Überlieferungsbil-dung in regionaler Verantwortung“. Im Anschluss refe-rierte Wolfgang Jaworek (Stuttgart) über das Projekt„Fotobestände in württembergische Archiven, Museenund Bibliotheken“. Udo Rauch (Tübingen) gab einenArbeitsbericht über die Bilddigitalisierung in Stadtarchi-ven. Abschließend vermittelte DiplomrestauratorinSusanne Westphal (Göppingen) an der Praxis kommuna-ler Archive orientierte Hinweise über „Konservierungund Restaurierung von Fotobeständen“.

Stuttgart Katharina Ernst

Konstituierende Sitzung der Arbeitsgemeinschaft dernordrhein-westfälischen Stadtarchive des StädtetagsNRW (ARGE)Am 5. November 2003 fand beim Städtetag NRW in Kölndie konstituierende Sitzung der ARGE statt, die aus einerseit mehr als 40 Jahren bestehenden Arbeitsgemeinschaftvon Stadtarchivaren hervorgegangen ist. Durch die engeAnbindung an den Städtetag NRW ist die ARGE nun stär-ker institutionalisiert. Sie wird in Zukunft von den Dienst-leistungen des Städtetages NRW profitieren und die Inte-ressen der Kommunalarchive unseres Bundeslandes stär-ker gegenüber der Öffentlichkeit zur Geltung bringen kön-nen. Vor dem Eintritt in die Erörterung der Sachthemenwurde die Geschäftsordnung der ARGE beschlossensowie deren Vorsitz geregelt. Zum Vorsitzenden wurde Dr.Ortmanns, Stadtarchiv Mülheim, bisher Vorsitzender der

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nun neu positionierten Arbeitsgemeinschaft der Stadtar-chivare NRW, und zu seinen Stellvertretern Dr. Metzdorf,Stadtarchiv Neuss, und Dr. Wisotzky, Stadtarchiv Essen,einstimmig gewählt.

Im Vordergrund der Diskussion der Sachthemen standzunächst die Verwaltungsgebührenordnung zum Infor-mationsfreiheitsgesetz NRW, da eine Diskrepanz zwi-schen der Verwaltungsgebührenordnung zum IFG NRWund den in Finanzhoheit der Kommunen erlassenenGebührenordnungen besteht. Der Städtetag wird eine Klä-rung herbeizuführen suchen.

Breiten Raum nahm erneut das Thema „DigitalesSchriftgut“ ein, zu dem inzwischen bundesweit die ver-schiedensten Papiere vorliegen, eine praktikable Handrei-chung, mit der man auf die Organisationsdienststellenund Rechenzentren zugehen kann, fehlt jedoch. Daherwurde eine Arbeitsgruppe unter Federführung von Dr.Oppel, Stadtarchiv Bocholt, ins Leben gerufen, die eineigenes Papier erarbeiten soll. – Der Arbeitskreis „Verti-kale Bewertung“ unter Leitung von Dr. Teske, Westfäli-sches Archivamt, der auf Vorschlag der Staatsarchivezustande kam, soll auf Wunsch der ARGE zum Anlassgenommen werden, die Zusammenarbeit zwischenStaats- und Kommunalarchiven einer grundlegendenErörterung zu unterziehen, da auf zahlreichen Feldern einerheblicher Klärungsbedarf besteht.

Die Sitzung schloss mit einer Reihe gedrängt vorgetra-gener Informationen für die Teilnehmer, dabei wurdedeutlich, dass die aus Sicht der Archive wenig befriedi-gende Situation der Ausbildung der Fachangestellten fürMedien- und Informationsdienste Diskussionsthema ineiner der nächsten ARGE-Sitzungen sein wird.

Mühlheim/Ruhr Eva Kniese

„Neue Medien in der Regionalgeschichte. Internet,Mailinglisten und CD-ROM: Forschungsinstrumente –Wissensvermittler – Infoangebote“ in KölnX. Deutzer Gespräch des Landschaftsverbandes Rheinland(LVR)Der Titel charakterisiert das Spannungsverhältnis zwi-schen weltumspannendem Internet und der Regional-und Lokalgeschichte. Durch den Einzug der neuenMedien in die Regionalgeschichte werden die Beteiligteneinerseits vor große Anforderungen gestellt, andererseitseröffnen sie neue Möglichkeiten des Informationserwerbs– ob als Rechercheinstrument, Präsentationsmittel oderInformationsquelle. Doch sind mit den neuen Medienauch Probleme verbunden: Viele Informationen sind nurschwer auffindbar, in unterschiedlicher Form vorhanden,unstrukturiert oder nicht differenziert verzeichnet. Nichtzuletzt aus diesen Gründen veranstaltete die Fachstelle fürRegional- und Heimatgeschichte des LVR am 28. 11. 2003das X. Deutzer Gespräch zum Thema „Neue Medien in derRegionalgeschichte“, zu dem zahlreiche Interessentengekommen waren.

In einem Grundsatzreferat über „Internetzeitschriftenund Regionalgeschichte“ erläuterte Prof. Dr. GudrunGersmann (RWTH Aachen) die Entwicklung und Struk-tur von Internetzeitschriften am Projekt „www.histori-cum.net“, der Zeitschrift „zeitenblicke“ und des Rezensi-onsjournals „sehepunkte“. Das „historicum.net“, an des-sen Anfang der „Server Frühe Neuzeit (sfn)“ stand, ver-steht sich als Netzwerk für die Geschichts- und Kunstwis-

senschaften, das unter einem Dach unterschiedliche Ange-bote und Unterportale zusammenfasst. Das „histori-cum.net“ bietet mit den hohen Zugriffszahlen (über300.000 Zugriffe monatlich von über 12.000 unterschiedli-chen Rechnern) die Möglichkeit, ein großes Fachpublikumzu erreichen. Es gibt bereits ein breites Spektrum mit denSektoren: Server „Frühe Neuzeit“, „Hexenforschung“,„Schwabenkrieg 1499“, „Zeitportal 1675–1725“, „Pompa-dour und ihre Zeit“, „Französische Revolution“, „Napo-leon Bonaparte“, „Resorgimento“, „Bombenkrieg1939–1945“, „Internationale Geschichte“, „Krieg undGesellschaft“ sowie „Photographie“. Bislang existierenLänderportale für Frankreich, Italien, Spanien und Polen.Zukünftig ist an Portale für einzelne Regionen zu denken.Zudem findet man Hinweise auf Bibliographien, virtuelleKataloge, Neuerwerbungsdienste, Lexika, eine Zeitschrif-tenschau, den Online-Buchhandel sowie den OnlineReviews Index. In der Abteilung „Zeitschriften“ gibt eseinen Einstieg zu Fachzeitschriften und (Online-) Journa-len. Unter dem Namen „zeitenblicke“ wird ein dreimaljährlich erscheinendes Online-Magazin präsentiert. EinAnliegen der „zeitenblicke“ ist die „Visualisierung“ derInhalte durch die Ergänzung mit Bild- und Quellenmate-rial. Über eine bloße Illustration hinaus werden damit dievielseitigen Darstellungsformen genutzt, die das WWWbietet. Rezensionen zur Geschichte und Kunstgeschichtefinden sich in den Journalen „sehepunkte“ und „KUNST-FORM“. Mit der Rubrik „Forschung“ werden Forschungs-institutionen und Graduiertenkollegs präsentiert. DasPortal wird längerfristig Lehrmaterialien im Netz undTools für internetgestützte Veranstaltungen bereitstellen.Vorhanden sind eine Linksammlung zur Geschichtsdidak-tik, der Webkatalog „Lehre und Internet“ sowie dasOnline-Tutorial „Historische Fachinformation mit elektro-nischen Medien“.

Dr. Marcus Weidner vom Landschaftsverband Westfa-len-Lippe, Westfälisches Institut für Regionalgeschichtepräsentierte das „Internetportal www.westfaelische-geschichte.de“, das im Juni 2004 eröffnet wird. Das Ange-bot ist als ein themenspezifisches Wissensportal konzi-piert, das sich auf Westfalen konzentriert und den Infor-mationsaustausch fördern, Ressourcen zur Geschichte zurVerfügung stellen und auf Internetressourcen aufmerk-sam machen möchte. Bestehende Strukturen sollen umneue Angebote erweitert oder ins „digitale Zeitalter“ über-führt sowie dezentrale Angebote vernetzt werden. Mankooperiert mit Einrichtungen, Projekten, Verlagen, Stif-tungen und Fachhochschulen. Das Portal richtet sich andie Öffentlichkeit, Universitäten, Archive, Bibliothekenund Museen sowie an Schulen und Bildungseinrichtun-gen und umfasst 4 Schwerpunktbereiche: eine Linkliste,eine bereits bestehende moderierte E-Mailing-Liste (mitProjekten, Neuerscheinungen, Ausstellungen, Terminenund Stellenausschreibungen), ein Dokumentationsbereichmit Text- oder Bildmaterialien, ein Server zur Informati-onssuche und als interaktives Informationssystem. Umdie Beschäftigung mit der Regionalgeschichte im Unter-richt zu fördern, wird eine Plattform für Pädagogen undSchüler erstellt, in der Materialien für den Unterrichtsowie Informationen zur Vorbereitung von Bibliotheks-und Archivbesuchen im Rahmen von Facharbeiten oderSchülerwettbewerben enthalten sind.

Wolfgang Rosen, M. A. vom LVR stellte die „Internet-plattform: www.rheinische-geschichte.de“ vor, die seit

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August 2003 online eingerichtet ist und den Beginn einesumfangreicheren Projektes darstellt. Im 1. Teil der Platt-form wird die Arbeit der Fachstelle für Regional- und Hei-matgeschichte vorgestellt, im 2. Teil befinden sich Linklis-ten zu und Hinweise auf im Internet vorhandene Texte zurrheinischen Geschichte. In der Rubrik „Aktivitäten“ sindHinweise auf Veranstaltungen zu finden; über Tagungs-publikationen informieren eingestellte Inhaltsverzeich-nisse. Im 2. Teil dieser Plattform sind in der Rubrik „Link-Listen“ 8 Gruppen aufgeführt: Archive, Bibliotheken undBibliographien, Projekte zur rheinischen Geschichte,Geschichtsvereine, Historische Zeitschriften, Museen,Nachschlagewerke und Arbeitshilfen (u. a. biographischeund numismatische Nachschlagewerke, Lexika zur Zeit-rechnung, Karten, Bilder, Rechtsgeschichte, Quellen-sammlungen, Nachrichtendienste und Zeitschriftenarti-kel). Bei den „Weiteren Info-Angeboten“ findet man„Internettexte zur rheinischen Geschichte“, wo Hinweisezu Texten zur Wirtschafts-, Verkehrs-, Kirchen- undRechtsgeschichte, zur Reformation, zur rheinisch-jüdi-schen Geschichte, zur Hexenverfolgung, zu Biographien,zur Alltagsgeschichte und zum Karneval sowie statisti-sche Beschreibungen zu finden sind. Die Zielgruppe die-ses Angebotes ist groß: Geschichtsinteressierte, Historikerund Geschichtsvereine. Die Resonanz gestaltet sich in qua-litativer und quantitativer Hinsicht sehr positiv. Geplantist die Einstellung von weiteren Texten, eine Mailinglisteund ein Rezensionsjournal.

Dr. Beate Dorfey vom Landeshauptarchiv Koblenz(LHA) referierte über „Möglichkeiten und Grenzen archi-vischer Informationsvermittlung im Internet. Internet-Auftritt der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz“[www.landeshauptarchiv.de]. Mitte 1998 begann man mitden Planungen, und seit Februar 1999 ist die Seite online.Derzeit sind im LHA 4 Personen – bei jeweils 5–10% derArbeitszeit – mit der Pflege der Seiten befasst; zudembesteht ein Wartungsvertrag zur technischen Aktualisie-rung. Die Kosten beliefen sich bislang auf ca. 40.000 Euro.Die Seiten umfassen 12 Rubriken mit über 500 Unterseiten,ca. 3.000 Bildern, ca. 3.500 Dateien und rd. 5 GigabyteDaten. Derzeit sind 10 Rubriken mit Anwenderzugang zurAktualisierung der Seiten eingerichtet; bislang gibt es fast6 Mio. Seitenaufrufe. Die Öffentlichkeitsarbeit ist zentralerAspekt der Präsentation. Zu den weiteren Zielen zählendie Reduzierung des Beratungsaufwands durch eine Vor-bereitung des Archivbesuchs. Zu den Voraussetzungengehören die Digitalisierung von Archivgut und die Ver-wendung von Wasserzeichen zum Schutz gegen uner-laubte Weiterverbreitung. Geplant sind die Einbeziehungaller rheinland-pfälzischen Archive und archivübergrei-fende Recherchen. Zu den Nahzielen gehören die Überset-zung der wichtigsten Seiten ins Englische und Französi-sche sowie der Ausbau des Angebots in Richtung „digita-ler Lesesaal“. Ideal wären eine uneingeschränkte Archiv-benutzung am PC, eine online-Recherche in Findmitteln,eine Bildschirmansicht aller Archivdokumente, eineonline-Bestellung der Dokumente sowie ein online-Bezahlsystem für Reproduktionen. Probleme liegen aller-dings im rechtlichen (Datenschutz und Urheberrecht),technischen (Datenvolumen) und finanziellen Bereich.Grundsätzlich ist jedoch zu bedenken, dass die Archivnut-zung vor Ort – schon allein wegen der Beratungsmöglich-keiten – der Regelfall sein sollte. Der „digitale Lesesaal“kann nur für ausgewählte Bestände eingerichtet werden.

Dr. Ingrid Bodsch vom Stadtmuseum Bonn erläutertedas seit 1999 bestehende Angebot „Stadtmuseen im Inter-net. Der Internetauftritt des Stadtmuseums Bonn“[www.bonn.de/stadtmuseum/]. Z. Zt. sind ca. 3.500Zugriffe pro Monat zu registrieren. Die Präsentationumfasst mehrere Unterrubriken: So kann man sich in derRubrik „Service“ über Öffnungszeiten, Lageplan, Ein-trittspreise und Führungen informieren. Einen Einblickgewährt der virtuelle Rundgang mit Objektbeschreibun-gen. Ein Kalender informiert über Ausstellungen und inder Rubrik „Publikationen“ können Kataloge bestellt wer-den. Durch solche Präsentationen werden neben derÖffentlichkeitsarbeit zentrale Ziele erreicht: 1. Anreizeschaffen für einen Besuch im Museum. 2. Inhaltliche Vor-bereitung – v. a. für Schulklassen – von Museumsbesu-chen.

Dr. Markus Krause vom Rheinischen Industriemu-seum des LVR / Verein Industriemuseen in der EUREGIOreferierte über „Industriemuseen in der EUREGIO. Inter-netpräsentation des Vereins ‚Industriemuseen in derEUREGIO‘. Probleme und Chancen der grenzüber-schreitenden Zusammenarbeit“ [www.industriemuseen-emr.de]. Präsentiert werden 11 Museen auf deutscher, 3auf niederländischer und 16 Museen auf belgischer Seite.In der Rubrik „Veranstaltungen“ wird auf Vorträge undFührungen aufmerksam gemacht. Die Abteilung „Ser-vice“ ist untergliedert in „News“, „Touren“, „Publikatio-nen“ und „Newsletter“. Die Präsentation wird in Franzö-sisch, Englisch, Niederländisch und Deutsch angeboten.Beachtenswert ist die Einstellung vieler eigener – nachBranchen gruppierter – Texte über die Geschichte derIndustrialisierung dieser Region.

Dr. Klaus Herdepe vom Bergischen Geschichtsverein(BGV) berichtete über das „Internetangebot eines regiona-len Geschichtsvereins. Der BGV im Internet“ [www.bgv-online.de]. Einige der 14 Abteilungen des BGV verfügenüber eigene Internetpräsentationen. Für den Auftritt desGesamtvereins erscheint wichtig, dass ein einheitlicherRahmen deutlich wird. Man findet Informationen überden Verein und über das Bergische Land, Veröffentlichun-gen des BGV, einen Veranstaltungskalender, Aktuelles,Link-Empfehlungen und Kontaktadressen. Herdepe wiesv. a. auf die technischen Probleme hin, die mit der Erstel-lung der Präsentation verbunden sind.

Dr. Joachim Oepen vom Historischen Archiv und Dr.Udo Wallraf von der Medienzentrale des ErzbistumsKöln referierten über „Kirchliche Regionalgeschichte imInternet und auf CD. Das Beispiel www.christen-am-rhein.de“. Das Projekt geht auf eine Ausstellung sowieeine dazu erschienene Publikation zurück. Die Kombina-tion des historischen Materials mit den Möglichkeiten vir-tueller Medien präsentiert die Inhalte in vielfältiger Form.Zudem kann ein komplexes Themenfeld neuen Zielgrup-pen näher gebracht werden. Abbildungen und Doku-mente sind zu vergrößern und zu kombinieren, Tondoku-mente zu hören und Texte auszudrucken. Faszinierend istdie Verbindung von historischen Überblickstexten undder Vorstellung der Quellen. Das Projekt „christen-am-rhein“ ist eine gute Möglichkeit, eine Ausstellung einerviel breiteren Öffentlichkeit auf Dauer zugänglich zumachen.

Heike Hawicks M. A. vom Institut für niederrheini-sche Kulturgeschichte und Regionalentwicklung an derUniversität Duisburg-Essen referierte über „Neue Medien

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in der Regionalgeschichte – Die Präsentation des Duis-burg-Planes von Johannes Corputius aus dem 16. Jahrhun-dert auf CD-ROM: Eine Kooperation von Universität,Museum, Archiv und Geschichtsverein“ [www.uni-duis-burg.de/FB1/GESCHICHTE/Corputius-Plan.html].Durch das Audiovisuelle Medienzentrum und das Institutfür niederrheinische Kulturgeschichte und Regionalent-wicklung in Kooperation mit dem Kultur- und Stadthisto-rischen Museum Duisburg und dem Stadtarchiv Duisburgist eine multimediale Aufarbeitung des detailgenauenCorputius-Planes der Stadt Duisburg von 1566 erstelltworden. Erklärungen können über ein sachthematischesVerzeichnis angesteuert werden. Neben historischenInformationen findet man Übersetzungen der lateinischenTexte. Druck-Option und Flash-basierte Zoom-Funktio-nen erlauben ein Studium der Gebäude und Beschriftun-gen. Neben Erläuterungen zur Entstehung des Planes undAusführungen zu Zeit und Person des Corputius wird dasAngebot durch eine 3d-Animation des Planes und zeitge-nössische Musikeinlagen abgerundet. Das Ziel, einenneuen Rezipientenkreis zu gewinnen, wurde erreicht.

In der Schlussdiskussion wies man auf das Spannungs-verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag hin: Sind etwaInternetangebote im Vergleich zu den konventionellenMedien wie Zeitschrift, Buch etc. kostengünstiger? EineFrage, die sich erst mittelfristig beantworten lässt, da nochErfahrungswerte fehlen. Damit zusammenhängend ist derKomplex von inhaltsgleichen Angeboten, die im WWWmehrfach vorhanden sind: Einerseits besteht die Gefahreiner Ressourcenverschwendung – andererseits wird hier-durch die Konkurrenz belebt. Als ein Kernproblem

erscheint die Qualitätssicherung – also die Gefahr vonschlechten, falschen oder politisch extremen Angeboten:Abhilfe schaffen können die Evaluation von Netzressour-cen, moderierte Mailinglisten sowie eine Qualitätssiche-rung durch die Bewertung durch Fachredakteure im „PeerReview-Verfahren“. Durch die Veränderung der traditio-nellen Rezeptionsweisen stellt sich die Frage, wieweit sichdas Lesen am Bildschirm gegenüber dem Lesen einergedruckten Publikation durchsetzen kann: Periodizität,ein einheitliches Format und Angebote im pdf-Formatkönnten Brücken zwischen Internet und Buch schlagen.Ein weiteres Problem ist das der dauerhaften Verfügbar-keit, sei es in elektronischer Form, in der die vielfältigenMöglichkeiten des Mediums erhalten bleiben, – oder sei esin der gedruckten Version, wodurch die Möglichkeiten desMediums allerdings verloren gehen. Wünschenswerterscheint zudem eine zitierfähige und beständige Adresseim Netz. Nachzudenken wäre auch über elektronischeParallelausgaben bislang gedruckter Publikationen sowievon retrospektiven Digitalisierungen älterer Publikatio-nen. Zudem ist die Migrationsfähigkeit zu beachten, dennnur hierdurch bleiben die vielfältigen multimedialenMöglichkeiten erhalten. Darüber hinaus stellt sich die Auf-gabe nach der Trägerschaft der Internetangebote. Konkretbedeutet dies: Welche Institutionen können die Inhaltevon Internetangeboten in finanzieller, technischer undinhaltlicher Hinsicht langfristig sichern? Ein zentralesErgebnis der Tagung war, dass die neuen Medien – trotzder genannten Probleme – in der Regionalgeschichte eineimmer wichtigere Rolle spielen werden.

Köln Wolfgang Rosen

Auslandsberichterstattung

InternationalesMediensammlungen in Deutschland im internationa-len VergleichSymposion des Netzwerks Mediatheken in BonnDie Bedeutung audiovisueller Medien für die Informati-onsgesellschaft und Möglichkeiten, den Zugang zuMediensammlungen zu erleichtern, nahm das Symposion„Mediensammlungen in Deutschland im internationalenVergleich. Bestände und Zugänge“ in den Blick, das am7./8. Oktober 2003 in Bonn stattfand. Die Tagung wurdevon der Stiftung Haus der Geschichte der BundesrepublikDeutschland (HdG) als geschäftsführendem Institut desNetzwerks Mediatheken in Kooperation mit dem Deut-schen Rundfunkarchiv (DRA) veranstaltet. 26 Expertenaus Wissenschaft, Politik und der Medienlandschaftwaren als Referenten eingeladen.

Hermann Schäfer, Präsident der Stiftung Haus derGeschichte, hob in der Begrüßung der rund 200 Teilneh-mer die zunehmende Prägung des kollektiven Gedächt-nisses durch Bewegtbilder und Töne hervor. Audiovisu-elle Medien seien Kulturgut, das es mit dem Aufbau ent-sprechender Bestände in vernünftiger Form zu erhaltengelte. Aus dem Verständnis von AV-Medien als Kulturgutresultiere ein gesellschaftlicher Anspruch auf Zugang zu

ihnen. Mit eben diesem Ziel, Zugänge zu audiovisuellenMedien zu erleichtern, konstituierte sich im November2000 auf gemeinsame Initiative des DRA und des HdG dasNetzwerk Mediatheken. Es basiert auf der Überzeugung,dass nationale und internationale Mediatheken im Infor-mations- und Kommunikationszeitalter organisatorisch,ökonomisch und sinnvoll nur dezentral entstehen können.40 Institutionen – Archive, Bibliotheken, Forschungsein-richtungen, Hochschulmediatheken und Museen – habensich zwischenzeitlich dem Netzwerk angeschlossen.

Die von Dieter Wiedemann (Hochschule für Film undFernsehen) moderierte Eingangssektion eröffnete KnutNevermann (BKM) mit einem Beitrag über „Kulturpoli-tische Aspekte von Mediensammlungen“. Nevermannbetonte, dass im audiovisuellen Zeitalter die öffentlichenMedienarchive neben der klassischen Verantwortung fürdie Bewahrung und Erschließung des audiovisuellenErbes vor allem die Aufgabe hätten, die Archive zu öffnenund eine aktive Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger andiesen kulturellen Schätzen zu gewährleisten. Eine stär-kere Vernetzung der Bibliotheken, Archive und Mediathe-ken sei erforderlich. Die Bundesregierung begrüße daherausdrücklich eine Organisation wie das Netzwerk Media-theken.

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Fritz Pleitgen (WDR) unterstrich in seinem Beitrag dieBedeutung von Mediensammlungen und -archiven alsKulturgut. Rundfunkjournalisten betrachteten darüberhinaus Archivquellen auch als Wirtschaftsgut, da es sichum „nachwachsende Rohstoffe“ für neue Produktionenhandele. Die Erwartungshaltung, dass mit Zahlung derRundfunkgebühren auch der unentgeltliche, elektroni-sche Zugriff auf das Programmvermögen der öffentlich-rechtlichen Sender eingeräumt werden müsse, wies Pleit-gen aufgrund bestehender persönlichkeits- und daten-schutzrechtlicher Regelungen zurück, räumte aber ein,dass die Sender gerne bestimmte Inhalte unter ihrer edito-rischen Kontrolle auch mittels der neuen Techniken zurVerfügung stellen wollen. Urheberrechtliche Gründe setz-ten hier jedoch Grenzen. Die Lösung der Nutzungsblocka-den erfordere die Mithilfe des Gesetzgebers.

Crispin Jewitt (British Library) stellte mit SCENAA(Standing Council of European National AudiovisualArchives) ein im November 2002 gegründetes europäi-sches Netzwerk vor. Die Partner des Verbunds kommenaus Schweden, Dänemark, Deutschland, Österreich, derSchweiz, Italien, Spanien, den Niederlanden und Großbri-tannien. Ziel der Zusammenarbeit ist es, die Interessenvon Medienarchiven vor allem auf europäischer Ebene indie öffentliche Diskussion einzubringen. Langfristige Pla-nungen zielen auf den Aufbau eines Internet-Portals, mitdem die AV-Medienbestände der nationalen Archive übereine einzige Browseroberfläche abrufbar sind.

Unter der Leitung von Veit Scheller (ZDF) gewährtendie Referate der Sektion „Klassische Archive“ eine verglei-chende Sicht auf die Situation in der BundesrepublikDeutschland, den USA und in Frankreich. Wie Karl Griep(Bundesarchiv-Filmarchiv) darlegte, hat das zentraledeutsche Filmarchiv lediglich Anspruch auf Kopien vonFilmen, die von der Bundesverwaltung produziert wer-den oder Mittel der kulturellen Filmförderung des Bundeserhalten. Bei allen anderen Produktionen bemüht man sichum eine freiwillige Hinterlegung. Derzeit dringendsteAufgabe des Filmarchivs ist die konservatorische Siche-rung älterer und alter deutscher Filme. Seit Mitte 2003macht das Bundesarchiv in einem Gemeinschaftsprojektmit der DEFA-Stiftung, der Deutschen WochenschauGmbH, der Transit-Film GmbH und der Progress-Filmver-leih GmbH 90 Stunden Wochenschau-Material über dasInternet (www.wochenschau-archiv.de) zugänglich.

Eine der weltweit größten Sammlungen audiovisuellerMedien stellte Gregory Lukow von der Library of Con-gress (LC) vor. Deren Sammlungen umfassen fast vier Mil-lionen Filme und Tondokumente. Über die National Digi-tal Library („American Memory Website“) stehen Tau-sende von AV-Medien bereits heute online zur Verfügung.In vielen Fällen ist dies möglich, weil das Urheberrechtnicht mehr greift, in anderen Fällen wurden mit Rechtein-habern entsprechende Regelungen ausgehandelt. Die LCbereitet derzeit die Einrichtung des National Audio-VisualConservation Centers in Culpeter, Virginia, vor. Hier wer-den erstmals die kompletten AV-Bestände inklusive derZuwächse der kommenden 25 Jahre an einem Standortunterzubringen sein. Zugleich wird der öffentlicheZugang stark erweitert. Eine Grundlage hierfür bietengesetzliche Regelungen. Darüber hinaus werden in Ver-handlungen mit privaten Rechteinhabern notwendigevertragliche Absprachen getroffen.

Dominique Saintville (Institut National de l'Audiovi-suel) präsentierte eine der größten AV-Mediensammlun-gen in Europa. Der INA obliegt auf gesetzlicher Grundlagedie zentrale Archivierung von Fernseh- und Hörfunkpro-duktionen in Frankreich. Die Bestände umfassen zweigroße Sammlungen: die „Professional Archives“ mit535.000 Stunden Fernseh- und 620.000 Stunden Hörfunk-material, an denen die INA Teile des Nutzungsrechts hält,und die „Inathèque de France Collections“ mit 430.000Stunden Fernseh- und 500.000 Stunden Hörfunksendun-gen. Auf 130.000 Stunden Fernsehmaterial kann über dasInternet zugegriffen werden. Mit höchster Priorität strebtdie INA an, den Service für professionelle Nutzer zu ver-bessern und den Zugang für neue Nutzungen und Nutzer-gruppen zu erweitern. Hierbei setzt sie auf Digitalisie-rung, die Verstärkung von Synergien zwischen den beidenSammlungen und internationale Kooperation.

Als Gäste der von ihr moderierten Sektion „Hörfunk-und Fernseharchive“ begrüßte Ulrike Leutheusser (Baye-rischer Rundfunk) Ansgar Diller (DRA), Gisela Süle(WDR) und Peter Dusek (ORF). Ansgar Diller verwiesdarauf, dass abweichend von der Situation in anderenLändern das DRA nicht für die Sammlung aller rundfunk-spezifischen AV-Medien in Deutschland zuständig ist. DerKern der Sammlung am Standort Frankfurt/M. bestehtaus Hörfunk- und anderen Audioaufnahmen aus der Zeitbis 1945. Den zweiten Schwerpunkt bilden mit den Archi-ven des aufgelösten DDR-Rundfunks bzw. des DDR-Fern-sehens die Bestände in Potsdam-Babelsberg. Als Gemein-schaftseinrichtung der ARD versteht sich das DRA alsDienstleister für die Archive und das Programm derRundfunkanstalten der ARD. Daneben zählen privat-kommerzielle Rundfunkanbieter, Wissenschaft und Pri-vatpersonen zu den Nutzern. Diller unterstrich, dass derSpagat zwischen Bestandsbewahrung, aktiver Informati-onsvermittlung und der Notwendigkeit, moderne Techno-logien einzusetzen, angesichts von knapper werdendenfinanziellen Mitteln zunehmend Kooperationen, wie etwadas Netzwerk Mediatheken, erfordere.

Gisela Süle stellte die sieben Archive des WDR vor,deren Bestände die Politik-, Wirtschafts-, Sozial- und Kul-turgeschichte des Landes Nordrhein-Westfalen seit den1950er Jahren nahezu lückenlos widerspiegeln. Ihrer Auf-gabe entsprechend standen die Archive zunächst nahezuausschließlich für Produktion und Sendung zur Verfü-gung. Die Einstellung gegenüber einer Nutzung durchExterne wandelte sich mit der Erkenntnis, dass es sich beiden archivierten Beiträgen um Teile des audiovisuellenErbes handelt. Der WDR kann den Zugang auf seineBestände allerdings nicht völlig freigeben. Zuschauerko-pien werden kostenpflichtig abgegeben. Wissenschaftli-che Vorhaben und Ausstellungsprojekte werden – soweitmöglich – in Abhängigkeit von personellen und techni-schen Ressourcen unterstützt.

In seinem Beitrag über das Fernseharchiv des ORF, dergrößten audiovisuellen Mediensammlung Österreichs,forderte Peter Dusek, dass in modernen Medienarchivendie Sammlung und Sicherung relevanter Daten bereitswährend des Produktionsprozesses beginnen müsse. DerORF setzte diese Überlegung bei der Einrichtung einesdigitalen Newsrooms um. Mit Blick auf die Öffnung derArchive käme einer umfassenden Rechteverwaltung undder Qualifikation der Mitarbeiter entscheidende Bedeu-tung zu. Letztere müssten neben AV-Medien-spezifischen

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auch über journalistische sowie technische und urheber-rechtliche Kenntnisse verfügen.

Die ersten beiden Sektionen des zweiten Veranstal-tungstags hatten „spezielle Mediensammlungen“ zumGegenstand. In einer von Peter M. Spangenberg (Ruhr-Universität Bochum) geleiteten Runde kamen zunächstvier Vertreter aus Partnerinstitutionen des NetzwerksMediatheken zu Wort. Zu den Aufgaben des Hauses desDokumentarfilms (HDF), erläuterte Wilhelm Reschl, zäh-len die Sammlung, Erforschung und Förderung des Doku-mentarfilms. Der Filmbestand wird über eine Online-Datenbank öffentlich gemacht. Mit der „Landesfilm-sammlung Baden-Württemberg“ hat sich das HDF diesystematische Sicherung von audiovisuellen Quellen imSinne einer Gesamtdokumentation zur Landesgeschichtezur Aufgabe gemacht. Reschl kündigte an, dass dieBestände in Zukunft verstärkt in der Öffentlichkeit prä-sentiert und die Produktion eigener Videofilme ausgebautwerden. Geplant ist, das Online-Angebot der Landesfilm-sammlung und des Hauses insgesamt wesentlich zuerweitern.

Dietmar Preißler, Verantwortlicher im HdG für dasNetzwerk Mediatheken, skizzierte die Bedeutung, dieBewegtbilder und Töne für ein Museum für Zeitge-schichte haben. Preißler zeigte auf, wie aufwändig die AV-Medien-Recherche in der Museumspraxis ist und dassgezieltere Zugriffsmöglichkeiten erhebliche Einsparungenbewirken könnten. Mit dem Internet und einer Vielzahlexzellenter Medienabspielplätze in zahlreichen Einrich-tungen existieren gute Rahmenbedingungen für einenbreiteren Zugang. An diesem Punkt setzen die Überlegun-gen zu einem Netzwerk Mediatheken an. Preißler warf dieFrage auf, ob nicht bestimmte Sendungen an einembestimmten Ort des Netzwerks im Interesse von Sendernund Nutzern vorgehalten werden könnten. Für die Senderbedeute es eine Entlastung von vielen Anfragen, wennbestehende Institutionen mit ihrer Medieninfrastrukturdiesen Dienst an der Öffentlichkeit übernähmen. Die Inte-ressen von Urhebern und Produzenten seien selbstver-ständlich zu wahren; Vervielfältigung und Verbreitungoder gar „öffentliche Zugänglichmachung“ im Internetdurch die dienstleistenden Institutionen kämen nicht inBetracht. Preißler sprach sich für eine effiziente Nutzungbereits existierender Infrastrukturen in Bezug auf Abspiel-technik und Dokumentationsleistung aus. Ein Ziel desNetzwerks Mediatheken sei es, Medieninstitutionen überseinen Internetauftritt (www.netzwerk-mediatheken.de)auffindbar zu machen. Ferner gelte es, Vertrauen zwischenden produzierenden und nutzenden Institutionen zuschaffen. Unterschiedliche Kooperationsmodelle sind hiermöglich und denkbar. Interessierte Institutionen ludPreißler zur Teilnahme am Netzwerk ein.

Im Anschluss stellte Eva Orbanz (Stiftung DeutscheKinemathek/Filmmuseum Berlin) die Filmsammlung imFilmmuseum Berlin vor. Dessen Sammlungskonzept zieltnicht auf die Archivierung der gesamten deutschen Film-produktion, sondern auf Ergänzung vorhandener Ansätzeund Hinzufügung von Filmen, die neue Entwicklungenund Tendenzen belegen. Filmvorführungen, Retrospekti-ven und der Verleih von Filmen erweitern das Aufgaben-spektrum. An der Veröffentlichung einer Internet-Daten-bank wird zur Zeit gearbeitet. Geplant ist die Realisierungder seit vielen Jahren diskutierten Pläne einer deutschenMediathek und die Gründung eines Fernsehmuseums.

Jürgen Keiper (DIF) präsentierte das „Internet-Portalzum Deutschen Film“, das das Deutsche Filminstitut inZusammenarbeit mit CineGraph aufbaut. Das Portal(www.filmportal.de) geht Ende 2004 mit umfassendenInformationen und Materialien zu mehr als 25.000 deut-schen Spiel- und Dokumentarfilmen an den Start. Wie Kei-per ausführte, wird es neben filmografischen DatenInhaltsangaben, Biografien, Fotos, Plakate und Werbema-terialien, Kritiken und einführende Aufsätze in die deut-sche Film- und Kinogeschichte enthalten und Kaufmög-lichkeiten nachweisen. Zielgruppen sind Journalisten,Filmwissenschaftler und Marketing-Fachleute sowieKinogänger, Fernsehzuschauer und Kulturinteressierte.Neben Umfang und Qualität legen die Verantwortlichenbesonderen Wert auf eine – auf dem Konzept des „Seman-tic Web“ basierende – innovative und sinnvolle Vernet-zung der Informationen.

Gegenstand des zweiten Teils der Sektion „SpezielleMediensammlungen“, moderiert von Ansgar Diller(DRA), waren Netzwerke aus Deutschland und derSchweiz sowie ein Konzernarchiv. Rudolf Geisler (Lan-desbildstelle Bremen) berichtete über den Verbund ausFWU, Landes- und kommunalen Medienzentren, einNetzwerk der Medienarbeit im Bildungsbereich. DieArbeitskreise Filmarchive und Fotoarchive dieses Ver-bunds sichern seit über einem Jahrzehnt die Zusammenar-beit auf Länderebene. In den Landesmedienzentren stehtdie aktuelle, gegenwartsbezogene Vermarktung von Fil-men im Mittelpunkt. Die Fortsetzung der Arbeit seigefährdet, da in vielen Ländern die Ressourcen für eineadäquate Sicherung und Archivierung der Bestände feh-len.

Das Konzernarchiv der DaimlerChrysler AG – vonHarry Niemann präsentiert – versteht sich als Dienstleis-ter für Journalisten, Markenenthusiasten, Oldtimer-Besit-zer, Wissenschaftler und für interne Bereiche. Als ein ent-scheidender Schritt in die „digitale Zukunft“ erwies sichdie Herstellung einer CD-ROM zur Automobilgeschichte.Im Zuge des Projekts wurde eine Datenbank angelegt, dieden Weg für die Implementierung einer multimedialenOnline-Datenbank ebnete, die Bilder, Filme, Töne undTextdokumente rund um das Unternehmen liefert. Nebensämtlichen Nutzern des DaimlerChrysler-Intranet sindgegenwärtig mehr als 7.000 Journalisten und etwa 1.000Agenturen als Benutzer der Datenbank akkreditiert.

Kurt Deggeller referierte über „Memoriav – ein Netz-werk zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturguts derSchweiz“. 1995 mit dem Zweck gegründet, die Erhaltungund Vermittlung der audiovisuellen Dokumente zu ver-bessern, basiert der Verein auf der Idee eines Netzwerksbestehender Schweizer Institutionen. Das Tätigkeitsprofilumfasst die Betreuung und Unterstützung von Projektenzur Erhaltung und Vermittlung des audiovisuellen Kul-turguts in den Bereichen Film, Fotografie, Tonaufnahmenund Video, Sensibilisierung und Vernetzung. Memoriavsetzt sich dafür ein, die Grundlagen einer zukunftsgerich-teten Archivierungspolitik im audiovisuellen Bereich zuschaffen, um Erhaltung, Wertschätzung und Vermittlungdes audiovisuellen Kulturguts der Schweiz zu fördern.

Den Abschluss des Symposions bildete unter der Lei-tung von Axel Bussek (ARTE G.E.I.E.) die Sektion „AV-Medien im Spannungsfeld zwischen Urheberschutz und Nut-zung des Kulturguts“. Hier wurde die Frage diskutiert, wiedie Interessen der Urheber und jene der Öffentlichkeit an

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einem breiteren Zugang zu den Medien aufeinander zuge-führt werden können. Tomas Brinkmann (HR) zeigteFragestellungen auf, die sich für die Archivbestände ausder neuen Nutzungsart der Online-Verbreitung und derAnforderung einer Sicherung des audiovisuellen Erbesergeben. Archivbestände sind für das „Öffentlich Zugäng-lichmachen“ mit Ausnahme der Online-Verbreitung vonWerken der bildenden Kunst zur Ausstellungswerbungfaktisch nicht verwendbar. Hiermit ist weder den Kommu-nikations- und Verwertungsinteressen der Urheber nochden Interessen der Institutionen gedient. Einen Auswegsieht Brinkmann in einem kollektiven, gesetzlichen Rege-lungssystem, wie es derzeit mit der Vogel-Initiative disku-tiert wird. Brinkmann regte an, den gesetzlichen Rahmenfür eine Zugangsregelung so anzulegen, dass zwischenoriginären und sekundären Online-Nutzungen und zwi-schen nicht kommerziellen und kommerziellen Nut-zungszwecken differenziert wird. Für größere Projekteempfehlen sich pauschale Abgeltungen, die in einzelver-traglichen Regelungen zwischen den beteiligten Institutio-nen vereinbart werden. Aufgrund der Risiken des Miss-brauchs zeigte sich Brinkmann skeptisch, dass Sammlun-gen über das Internet erschlossen werden können. DerOnline-Zugang zu AV-Medien werde sich eher auf Beleg-beispiele und Ausschnitte beschränken.

Gegenstand des Vortrags von Christoph Bach (ZDF)war das „Datenschutzrechtliche Medienprivileg“, nachdem die Datenverarbeitung durch die Massenmediengrundsätzlich unter den Datenschutz fällt und dessenVoraussetzung eine ausschließliche Nutzung zu eigenenjournalistischen Zwecken ist. Es geht verloren, wennMedienarchive Dritten für individuelle Anfragen oderOnline-Recherchen zugänglich gemacht werden. Persön-lichkeitsrecht und Datenschutz werden – so Bach – denfreien, ungeregelten Zugriff auf die Medienarchive auchkünftig nicht zulassen, Verbesserungen aber sind denkbarund notwendig. Die Kriterien, nach denen Material fürden Zugriff der Öffentlichkeit angeboten werden darf, lie-ßen sich z. B. in Form von Selbstverpflichtungen aufstellenund könnten im Wege der Selbstregulierung kontrolliertwerden. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, die gesetzlichenGrundlagen für eine breitere Öffnung der Medienarchivezu schaffen.

Francisco Javier Cabrera Blázquez (EuropäischeAudiovisuelle Informationsstelle) nahm Urheber- undNutzerinteressen aus europäischer Sicht in den Blick. Erlegte dar, dass sich das Gleichgewicht zwischen Urheber-und Nutzerinteressen im digitalen Zeitalter verändert hatund mit der Einführung von neuen Normen im Urheber-recht endgültig zerstört scheint. Die neuesten internatio-nalen Verträge zum Urheberrecht (WIPO-Urheberrechts-vertrag und WIPO-Vertrag über Darbietungen und Ton-träger) – geschlossen als Reaktion auf die Probleme derInternet-Piraterie – haben die Stellung der Rechteinhaberdeutlich gestärkt, indem sie Rechtsschutz gegen dieUmgehung wirksamer technischer Maßnahmen vorsehen.Gleiches gilt für die Richtlinie 2001/29/EG des Europäi-schen Parlaments und des Rats vom 22. Mai 2001 zur Har-monisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts undder verwandten Schutzrechte in der Informationsgesell-schaft. Eine besondere Problematik stellt die Nutzung älte-rer audiovisueller Werke dar, deren Rechteinhaber nichtmehr oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwandzu ermitteln sind. In der bestehenden Situation droht ein

Teil des kulturellen Erbes Europas durch Probleme derRechteklärung verloren zu gehen. Eine Lösung zeichnetsich noch nicht ab.

Abschließend resümierte Hermann Schäfer, dass einedezentrale Organisationsform wie das Netzwerk Media-theken in einem föderalen Staat die angemessene Form sei,um dem Ziel, audiovisuelle Medien als Kulturgut zuerhalten und zugänglich zu machen, näher zu kommen.Über die Aufgaben, die ein kulturelles Gedächtnis derVielfalt von Organisationen stellt, die sich bei der Kon-textualisierung von Medien mit unterschiedlichen Anfor-derungen auseinander zu setzen haben, bleibt weiternachzudenken.

Ein Tagungsband, der die Vorträge und Diskussionser-gebnisse zusammenfassen wird, erscheint voraussichtlichim Frühjahr 2004.

Bonn Claudia Wagner

Jahrestagung der IASA-Ländergruppe Deutschland/Deutschschweiz e. V. in Potsdam-BabelsbergMit einem Rekordbesuch von rund 80 Teilnehmerinnenund Teilnehmern stellte die am 24./25. Oktober veranstal-tete Jahrestagung 2003 der IASA-Ländergruppe auf demeindrucksvollen Gelände der Filmstadt Babelsberg einebesondere organisatorische Herausforderung an unserenGastgeber, das dortige Deutsche Rundfunkarchiv, dar.Doch sorgte das DRA in gewohnter Professionalität glei-chermaßen für einen reibungslosen Programmablauf wiefür eine angenehme Atmosphäre, die genügend Raumzum anregenden Pausengespräch bot. Ein herzliches Dan-keschön an dieser Stelle an Anke Leenings und ihr exzel-lentes Organisationsteam mit Ute Bach, Lisa-Marie Hen-schel und Christiane Ickstadt!

In seiner Begrüßung erinnerte Hans-Gerhard Stülb,Vorstand des DRA, an eine Reihe von Veranstaltungen derIASA, für die das Deutsche Rundfunkarchiv im Lauf derletzten zehn Jahre an einem seiner beiden Standorte Gast-geber war. Mit Blick auf die „historisch relevante Umge-bung“, den Rundfunk Berlin-Brandenburg, die Hoch-schule für Film und Kunst und den Filmpark, hob Stülbdie besondere Rolle des „DRA-Babelsberg“ gerade bei derZulieferung zu neueren Produktionen wie den „Ostalgie-Sendungen“ des ZDF oder dem Filmhit „Goodbye Lenin“hervor.

Der amtierende IASA-Präsident Kurt Deggellerbegrüßte die Tagungsteilnehmer zum letzten Mal in seinerEigenschaft als Vorsitzender der Ländergruppe und stelltewie Stülb die Bedeutung der Kooperation mit anderenInstitutionen, Organisationen, der phonographischenIndustrie und der Politik heraus. Auch „kleine Clubs“ wiedie IASA und diese Ländergruppe leisteten dank ihrerVielfalt aus privaten und institutionellen Mitgliederneinen starken Beitrag zur Bewahrung des audiovisuellenKulturguts und zur Schaffung eines entsprechendenBewusstseins in Öffentlichkeit und Politik.

Mit einem brillanten multimedialen Vortrag eröffneteJörg Wyrschowy, DRA Frankfurt am Main, den erstenThemenblock dieser Tagung. Unter dem Titel „Nutzung –Segen oder Fluch?“ berichtete er – einem Zitat Strawinskysüber Archive folgend – „von toten, heiligen Dingen undmodernem Informationsmanagement“. Ausgehend vomUntergang der Bibliothek in Umberto Ecos „Der Name derRose“ durch die Unterdrückung des Informationsbedürf-

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nisses führte Wyrschowy sein Publikum vom Postulat derZugangsberechtigung für jeden interessierten Nutzer(„berechtigtes Interesse“) über die sich daraus für dasArchiv ergebenden Aufgaben, Organisationsstrukturen,Arbeitsabläufe und Nutzungsbeschränkungen hin zummodernen Informationsmanagement. „Wie wir mit demNutzer umgehen“, so Wyrschowy, ist entscheidend für dieFrage, ob das Ziel des konzeptionell denkenden Nutzerserreicht werden kann.

Dr. Peter-Paul Schneider, Standortchef des DRA inBabelsberg, stellte das „Projekt zur Digitalisierung vonGeräuschen im Deutschen Rundfunkarchiv“ vor. Nahezu1100 Stunden auf Tonband festgehaltene Geräuschekamen nach der Wende vom ehemaligen Rundfunk derDDR ins DRA. Aus dem alle Genres umfassenden Bestandwurden im Rahmen einer ABM-Stelle zunächst die etwa90 Stunden Verkehrsgeräusche in der Datenbank des DRAerfasst. Nach Einsparung dieser Stelle 1999 wurde dieDigitalisierung dann Ende 2002 an eine Leipziger Firmamit entsprechender Erfahrung im Rundfunkbereich ver-geben. Die „Ablage“ der Geräusche erfolgt auf zweigetrennten Servern für Vorhören und Sendung beim Hes-sischen Rundfunk in Frankfurt am Main. Mit der Online-Darbietung einer Reihe eindrucksvoller „Ostgeräusche“,die als Programmvermögen einen hohen zeitgeschichtli-chen Wert repräsentieren, rundete Schneider sein Referatab.

„Die Veröffentlichungspraxis von Radio SuisseRomande (RSR)“ wurde anschließend von Ralf Dahler,bei RSR in Lausanne verantwortlich für das Tonarchiv,präsentiert. Neben modernen digitalen Tonträgern besitztdas Archiv rund 170.000 Magnetbänder und 85.000 78erDirektschnittplatten. In enger Zusammenarbeit mit Memo-riav, dem Verein zur Erhaltung des audiovisuellen Kultur-gutes der Schweiz, werden die Analogbestände erfasst,digitalisiert und Teile durch ein Redaktionskomitee zurVeröffentlichung ausgewählt. Sowohl über die eigeneOnline-„Boutique“ unter www.rsr.ch als auch über denTonträgerfachhandel werden jährlich etwa zehn CDs aufdem eigenen Label „Les Productions RSR“ veröffentlicht.Dazu gehören Aufnahmen wie „Les Carillons Valaisons“(Walliser Glockenspiele) oder von Sitzungen des Völker-bundes und später der UNO in Genf.

Als „Exot unter sorgfältigen, wissenschaftlichen Archi-varen“ stellte sich Hans Dieter Queren vor, bei Sonopressin Gütersloh Leiter des Audio-Premasterings, außerdemzuständig für die Bearbeitung von Urheberrechtsfragenund Pirateriebekämpfung und unter anderem Mitglied imFachausschuss Musik und Medien des Deutschen Musik-rats. Queren beantwortete die Frage „Neue Datenträger-formate – Archiv-Vernetzung Quo Vadis?“, indem erzunächst zwei Neuentwicklungen am Tonträgermarktpräsentierte: Der mitgebrachte, kaum Handygröße errei-chende iPod von Apple speichert auf einer 15GB-Festplatteetwa 3.700 Musiktitel, die als MP3- oder WAV-Files wie-dergegeben werden können. Für 2004 ist die Markteinfüh-rung der Blu-ray Disc geplant, einer wiederbeschreibbarenScheibe von CD-Größe mit einer Kapazität von 23 GB,deren Anwendungsgebiet besonders der Surround-Bereich sein soll. Schließlich erläuterte Queren das Musik-Promotion-Network, mit dem die phonographischeIndustrie künftig den neuen Weg der Online-Bemusterungihrer Medienkunden mit sendefähigem Material beschrei-ten wird (www.musik-promotion.net).

Der Nachmittag gehörte einer ausführlichen Präsenta-tion des DRA am Standort Babelsberg durch Dr. Peter-PaulSchneider und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter:„Geschichte und Bestände, Führung und Forschungspro-jekte“. Während in § 36 des Einigungsvertrags zwischender BRD und der DDR „das Entstehen neuer Landessen-der nach ARD-Vorbild“ ausdrücklich angestrebt wurde,fehlte darin eine Aussage über das Verfahren mit dem vor-handenen Programmvermögen des Hörfunks und Fernse-hens der DDR. Nach einigem Hin und Her in den Jahrennach der Wende kam es dann 1994 zur Übernahme derBestände durch das „DRA Ost“ in Berlin-Adlershof. ImHerbst 2000 folgte der Umzug nach Potsdam-Babelsberg.

Im Vergleich zur Schallplattenproduktion „West“ warjene der DDR von geringerer Bedeutung. Alle wichtigenProduktionen besorgte der DDR-Rundfunk, was in allein450.000 Hörfunkdokumenten seinen Niederschlag fand.Das Bildarchiv des Deutschen Fernsehfunks der DDRumfasste 3,5 Millionen Fotos und Negative, die Presseaus-schnittsammlung rund fünf Millionen Exemplare. DerBestand der Allgemeinbibliothek wurde an verschiedeneInstitutsbibliotheken verschenkt. Die Gerätesammlung istals Bestand des Deutschen Rundfunkmuseums Berlinheute Eigentum der ARD.

Neben schon länger im Bestand des DRA befindlichen,bemerkenswerten zeitgeschichtlichen Dokumenten (wieden inzwischen unter www.dra.de zugänglichen Manu-skripten Karl-Eduard von Schnitzlers für seinen regelmä-ßigen Fernsehauftritt „Der Schwarze Kanal“) tauchenimmer noch „neue“, für den Archivbestand des DRAwichtige Dokumente auf. So fanden sich im Jahr 2003 imBundesarchiv in Koblenz rund 19.000 Bänder mit im Wes-ten mitgeschnittenen Sendungen des DDR-Radios.

Ein umfangreiches Projekt stellt die Erschließung desMusikkatalogs des DDR-Rundfunks dar. In Phase 1 wirdnach dem Scannen des gesamten Katalogs eine einfacheSuche in der ZWM-Datenbank des DRA nach wenigenBegriffen, der Signatur und in den gescannten Images derKatalogkarten möglich sein. Phase 2 sieht dann die Voller-schließung in ZWM vor. Ein weiteres großes Nutzungs-vorhaben ist als Projekt der Deutschen Forschungsge-meinschaft die „Komparative Programmgeschichte desDDR-Fernsehens“.

Großes Interesse aller Teilnehmer fanden zumAbschluss des ersten Tages die Führungen durch dasmoderne Haus, vorbei an bemerkenswerten Beständenmit manch herausragendem Dokument der deutsch-deut-schen Zeitgeschichte. – Nach einem von anregendenGesprächen begleiteten gemütlichen Abendessen im hol-ländischen Viertel Potsdams begann der Samstag mit derjährlichen Mitgliederversammlung, auf der der scheidendeVorsitzende Kurt Deggeller besonders auf den Stand desProjekts „Firmen-Discographien historischer Tonträger(FDHT)“ und die Kooperation mit den österreichischenund italienischen Kolleginnen und Kollegen im EU-Pro-jekt „SOKRATES“ einging. Im weiteren Verlauf der Ver-sammlung gab Anke Leenings als Vorsitzende des Wahl-ausschusses das Ergebnis der Vorstandswahlen bekannt.Neuer Vorsitzender ist in der Amtszeit 2003–2006 Dr.Michael Crone, Hessischer Rundfunk Frankfurt am Main.Zu stellvertretenden Vorsitzenden wurden Dr. IngoKolasa, Deutsches Musikarchiv Berlin, Rudolf Müller,Memoriav Zürich, und Reinhard Otto, Hamburg,gewählt. Schatzmeister ist Klemens Helmholz, Südwest-

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rundfunk Baden-Baden. Sekretär ist Detlef Humbert.Kurt Deggeller, Memoriav Bern, ist nunmehr Alt-Vorsit-zender mit beratender Funktion.

Das Offene Forum erlebte die stärkste Beteiligung seitseiner Einführung und zeigte einmal mehr die Vielfaltunseres Metiers und ganz besonders die Hingabe und Lei-denschaft unserer privaten Sammlerkollegen, denen ihrHobby längst zur Profession geworden ist. So stelltezunächst Henner Pfau, Leverkusen, in seinem Referat die„Deutsche Schlagerproduktion 1925–1945“ vor. Im Mittel-punkt seiner detaillierten Analyse stand die Frage „Wieviel Foxtrott gab es eigentlich?“, dargestellt am Beispielder Plattenmarke Odeon.

Pio Pellizzari, Direktor der Schweizerischen Landes-phonothek Lugano, und Kurt Deggeller gaben anschlie-ßend einige Ergänzungen zum Projekt FDHT, das künftigden neuen Namen „Eurosound“ tragen soll. Katalogisie-rungsregeln wurden erarbeitet (und bereits im von derGesellschaft für historische Tonträger Wien koordiniertenSOKRATES-Projekt angewendet). Nach Vorlage an dieinternationale IASA soll die Vorstellung der Plattform spä-testens auf der nächsten IASA Conference im Sommer2004 in Oslo stattfinden. Der Vorstand der Ländergruppeist im Projekt durch Reinhard Otto vertreten.

Dr. Wolfgang Bender, Dozent an der Johannes-Guten-berg-Universität Mainz, berichtete über seine Arbeit am„Archiv für die Musik Afrikas“. Ausgangspunkt derGründung seines am Institut für Ethnologie und Afrika-Studien beheimateten Archivs im Jahr 1991 war das„zunehmende Verschwinden populärer Musik Afrikas“.Zu den Sammlungsschwerpunkten zählen Kongo undZaire, die sehr stark prägend für die afrikanische Populär-musik sind. Besonders wichtig für die Arbeit des Archivsist die Zusammenarbeit mit existierenden und die Schaf-fung neuer Archive in Afrika selbst.

Der Viernheimer Sammler Hans-Werner Kimmerl-Armack hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, sein „Opera-Data-Archiv“ als quellengeschichtliches Daten- und Ton-trägerarchiv des europäischen Musiktheaters aufzubauenund darin sämtliche veröffentlichten Opern zu dokumen-tieren und davon nach Möglichkeit jeweils ein Musikbei-spiel zu archivieren. Zur Zeit besitzt Kimmerl-ArmackTonbeispiele von 3.995 Opern.

Über „Emile Berliner in Deutschland 1889 bis 1890“referierte Stephan Puille, Diplomrestaurator aus Berlin.Emile Berliner traf zeitgleich mit Thomas Alva Edison am11. September 1889 in Hannover ein. Nachdem erzunächst in einem Laboratorium der Telefonfabrik seinesBruders mit seinem aus den USA mitgebrachten „Auf-nahme-Grammophon“ Zinkschallplatten hergestellthatte, die nach einem Ätzverfahren mit Chromsäure direktmit dem „Wiedergabe-Grammophon“ abspielbar waren,lernte er den Frankfurter Fabrikanten Louis Rosenthalkennen. Dieser erkannte das kommerzielle Potenzial undentwickelte unter anderem ein patentierbares Pressverfah-ren. Vorführungen vor bedeutenden Wissenschaftlern folg-ten, und Anfang 1890 fand die wohl erste kommerzielleGrammophonpräsentation statt. Zu Weihnachten 1890, dreiMonate nach der Rückreise Emile Berliners in die USA,wurden die ersten Grammophone verkauft, der Durch-bruch erfolgte jedoch erst einige Jahre später in den USA.

Auch die Präsentation der sprechenden Puppe von Wil-liam Jacques, der ersten kommerziellen Anwendung einesEdison-Phonographen, fand zu Beginn des Jahres 1890

statt. Bei dieser Gelegenheit entstand möglicherweise derKontakt zwischen Berliner und der Puppenfabrik Käm-mer & Reinhardt, für die er den Prototypen einer Miniatur-ausgabe seines Wiedergabe-Grammophons zum Einbauin die sprechende Puppe herstellte.

Christina Siegert, ebenfalls Diplomrestauratorin beimPhonogrammarchiv des Ethnologischen Museums Berlin,stellte in ihrem Vortrag eben diese „restaurierte Grammo-phon-Puppe von Kämmer & Reinhardt“ vor. Durch dieRestaurierung dieses vermutlich einzigen existierendenStücks seiner Art im Rahmen der Diplomarbeit der Refe-rentin konnte ein außergewöhnliches Zeugnis klingendenKulturguts erhalten werden. Das vorgeführte Tonbeispiel„Kommt ein Vogel geflogen“ ist auf der acht Zentimeterkleinen, einzigen existierenden Platte für dieses Geräterhalten. Die Puppe befindet sich heute im Heimatmu-seum im thüringischen Waltershausen, dem damaligenSitz der „Gelenkpuppen u. Spielwarenfabrik Kämmer &Reinhardt, Waltershausen“.

Von einem besonderen „Sammlererlebnis“ berichteteHans Lahme, Ahlen, in seinem Beitrag „Wie kommtRichard Wagner auf Ernst Busch?“ und zeigte, wie derSammler historischer Tondokumente plötzlich mit denpolitischen Verhältnissen früherer Tage konfrontiert wer-den kann. Eine auf dem Flohmarkt erstandene Odeon-Platte, dem Label nach mit der Arie „Winterstürme wichendem Wonnemond“ aus Wagners „Walküre“, enthielt nichtCarl Hartmanns Gesang, sondern das „Lied der Baum-wollpflücker“, gesungen von Ernst Busch. Ähnlich densogenannten Tarnschriften sozialistischer Gruppen wäh-rend des Nationalsozialismus wurde aus der vermutlich1930/31 entstandenen Busch-Aufnahme nach der Macht-übernahme durch die Nazis eine nach Lahmes Feststellun-gen wohl Anfang 1933 mit dem unverdächtigen Etikettbeklebte „Wagner-Arie“.

Prof. Dr. Wolfgang Krueger, HdM Stuttgart, stellte inseiner anschließenden Präsentation „Musikinformations-management als deutsch-schweizerisches Studienangebotder Hochschule der Medien Stuttgart“ vor. Dieser Studi-enschwerpunkt innerhalb des Masterstudiengangs Biblio-theks- und Medienmanagement wird in Kooperation derHochschulen in Chur und Stuttgart als neuer Ausbil-dungsgang für Musikinformationsspezialisten im Zweit-studium angeboten. Neben der Qualifizierung für Lei-tungspositionen, fachwissenschaftliche Informationstätig-keiten und Musikwissensmanagement sollen insbeson-dere die Erlangung einer Zusatzqualifikation unter Beibe-haltung von (Teilzeit-)Berufstätigkeit und die Erleichte-rung des beruflichen Wiedereinstiegs – z. B. nach Unter-brechung der Berufstätigkeit durch eine Erziehungszeit –ermöglicht werden (http://bmm.iuk.hdm-stuttgart.de).

Zum Abschluss des Offenen Forums stellte sich denZuhörern mit dem Musikethnologen und Musikwissen-schaftler Dr. Lars-Christian Koch, MusikethnologischesMuseum Berlin, zunächst der neue Leiter der dort neugeschaffenen Abteilung Musikethnologie, Medientechno-logie und Phonogrammarchiv vor. Sein besonderesAugenmerk gelte der Aufgabe, das Berliner Phono-grammarchiv „am Laufen zu halten“, betonte Koch. Alserste Publikation der neuen Reihe „Berliner Phonogramm-archiv – Historische Klangdokumente“ stellte Dr. SusanneZiegler zwei CDs mit Aufnahmen aus Japan und Peruvor, deren Erste in der japanischen Presse besonders starkeResonanz fand.

253Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

Die Jahrestagung wurde durch zwei Präsentationenabgerundet, die Babelsberg als Medienstandort beleuchte-ten. Zunächst gab Reinhard Otto, Hamburg, dem Publi-kum mit dem Titel „Die frühere Schallplattenproduktionin Babelsberg und Nowawes – Geburtsorte der Tempo-,Amiga- und Electrola-Labels“ ein geographisches Rätselauf. Der stark steigende Absatz von Platten des Electrola-Labels führte zur Ausweitung der in Lohnpressung vonLindström in Berlin betreuten Schallplattenfertigung.Daher wurde in Nowawes, wo schon seit 1924 Grammo-phone hergestellt wurden, eine eigene Schallplattenpro-duktion aufgebaut. Das Dorf Nowawes, im Jahr 1751 vonFriedrich dem Großen zur Ansiedlung evangelischer Böh-men gegründet, lag an der Bahnstrecke Berlin-Potsdambei der S-Bahn-Station „Nowawes-Neuendorf“, dieAnfang der 30er Jahre in „Babelsberg“ umbenannt wurde.

Von Babelsbergs überragender Bedeutung als Standortder Filmproduktion konnten sich die Tagungsteilnehmerim Filmmuseum Potsdam überzeugen. Neben der Vorfüh-rung des von der gewaltigen Welte-Kinoorgel und ihrenvielfältigen Effekten begleiteten Dokumentarfilms „Dreh-ort Potsdam“ mit bemerkenswertem historischen Materialgab die Dauerausstellung Zeugnis vom Wirken der Film-größen aus UFA- und DEFA-Zeiten und ermöglichte ganzbesondere Einblicke in filmhistorische Novitäten (wie dievon Murnau für den Jannings-Film „Der letzte Mann“erdachte „entfesselte Kamera“).

In einem gemütlichen Lokal in der Nähe konnten dieTeilnehmer schließlich die Fülle der auf dieser Tagunggewonnenen Eindrücke austauschen. Gastgeber dernächsten Jahrestagung wird am 5. und 6. November 2004die Deutsche Welle in Bonn sein.

Stuttgart Detlef Humbert

Direktor des renommierten Gor´kij-Instituts im Staats-archiv MarburgAm 6. November 2003 besuchten Sergej Esin, Direktordes Gor´kij-Instituts Moskau, und sein Stellvertreter, Ser-gej Tolkacv ev, das Staatsarchiv Marburg. Das Gor´kij-Institut ist die traditionsreiche zentrale Ausbildungsstättefür künftige Dichter und Schriftsteller in Russland. Anlassdes Besuches in Marburg war das Jubiläum zum 30-jähri-gen Bestehen der Neuen Literarischen Gesellschaft Mar-burg, zu der seit langen Jahren Kontakte bestehen. SergejEsin und Sergej Tolkacv ev ließen sich durch die geradeeröffnete Ausstellung des Staatsarchivs Marburg „Derhessische Löwe und der russische Bär. Die Beziehungenzwischen Hessen-Kassel und Russland 16.–20. Jahrhun-dert” führen. Im Rahmen eines Pressetermins fand darü-ber hinaus ein Austausch von Geschenken statt. NachRussland ging eine Sammelmappe mit Facsimiles vonArchivalien zum Aufenthalt des Universalgenies MichaelLomonosov in Marburg, das aus der Sicht des Gor´kij-Instituts wertvollste Geschenk zum 70-jährigen Jubiläumdes Moskauer Instituts am 9. Dezember 2003, und dasBuch von Inge Auerbach zur oben erwähnten Ausstel-lung. Das Staatsarchiv Marburg erhielt einen prächtigenBildband über die Kunstschätze der St. Petersburger Ere-mitage sowie ein Bändchen mit russischen Aufsätzen desDichters und Herausgebers einer literarischen Zeitschrift,Stanislav Kunjaev.

Marburg Inge Auerbach

Widersprüchliche Wahlverwandtschaft – Deutsche undRussen in der Geschichte

Ausstellung im Haus der Geschichte der BundesrepublikDeutschland in Bonn

„Deutsche gibt es in unserer Wahrnehmung mal zu viele(die beiden letzten Kriege), mal zu wenige (persönlicheBekannte)“, so der Schriftsteller Andrej Bitow, Präsidentdes russischen P.E.N., anlässlich der Frankfurter Buch-messe 2003.

Deutsche und Russen: Das ist im 20. Jahrhundert eineGeschichte extremer Begegnungen, zumeist im Zeichenvon Krieg und Diktatur. Es ist aber auch eine Geschichtegroßer Faszination, vor allem – aber nicht nur – wenn sichder Blickwinkel über das 20. Jahrhundert hinaus erweitert.

Deutsch-russische Begegnungen in ihren vielfältigenund widersprüchlichen Facetten in Erinnerung zu rufen,ist Ziel der Ausstellung „Spuren – Sledy. Deutsche undRussen in der Geschichte“, die das Haus der Geschichteder Bundesrepublik Deutschland vom 3. Dezember 2003bis 12. April 2004 in Bonn präsentierte. Die politisch-histo-risch und zugleich kulturhistorisch angelegte Ausstellungist ein Beitrag zu den deutsch-russischen Kulturbegeg-nungen der Jahre 2003/2004, deren reichhaltiges Pro-gramm im Übrigen kaum historische Ausstellungen ver-zeichnet.

Das Haus der Geschichte hat gemeinsam mit seinemlangjährigen russischen Kooperationspartner, dem Staatli-chen Historischen Museum in Moskau, 23 deutsch-russi-sche „Spuren“ ausgewählt, die jeweils eine besonders inte-ressante und in ihrer historischen Tiefe variierendeGeschichte erzählen: Russen in Berlin, deutsche Bauhaus-architekten in Russland, das Lager für russische Kriegsge-fangene Stukenbrock oder die Uranerzförderung in derDDR durch die Sowjetische Aktiengesellschaft Wismut.

Die geografisch in beiden Ländern verorteten „Spuren“ergeben insgesamt einen repräsentativen Querschnittdeutsch-russischer Beziehungen. Um die Orientierung fürden Ausstellungsbesucher zu erleichtern, gruppieren sichdie „Spuren“ zu sechs großen Themenbereichen: Projek-tionen, Heimat, Krieg, Widersprüche, Faszination undPerspektiven. Jedem Themenbereich sind bis zu vier „Spu-ren“ zugeordnet. „Aktuelle Aufmacher“ (zum Beispieleine Karikatur, ein Foto, eine Zeitung, ein Plakat...) leitendie einzelnen „Spuren“ jeweils ein.

Ausstellungen des Hauses der Geschichte erreichen,nicht zuletzt dank ihrer besucherorientierten Konzeptionund Gestaltung, auch mit komplexen politisch-histori-schen Themen Menschen, die selten oder nie historischeMuseen und Ausstellungen besuchen. Von zentralerBedeutung für den Erfolg einer Ausstellung ist die Präsen-tation von aussagekräftigen wie visuell attraktiven Expo-naten oder Exponatensembles. Im Kontext einer demThema angepassten Ausstellungsgestaltung entfaltenauthentische Objekte ihre Anziehungs- und Faszinations-kraft sowie ihr spezifisches Informationspotential. DieBandbreite der Exponate reicht von einer Schmuckscha-tulle, die die Moskauer Deutschen 1879 dem General-Gou-verneur der Stadt zum 50. Dienstjubiläum widmen, bis zueiner interaktiven Medieninstallation, die zu einemBesuch in das rekonstruierte Bernsteinzimmer einlädt. Diebesondere museale Qualität, die ausgewählten Archiva-lien in einem solchen Kontext zuwächst, soll an zwei Bei-spielen verdeutlicht werden. So handelt es sich bei der

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Ehrendoktorurkunde der Universität Kaliningrad fürMarion Gräfin Dönhoff nicht nur um ein äußerst attrakti-ves Dokument, sondern auch um ein herausragendes Zei-chen deutsch-russischer Versöhnung. Nach jahrzehntelan-ger Tabuisierung der deutschen Vergangenheit Kalinin-grads (Königsbergs) würdigt die russische Seite 1999 dasaufrichtige Engagement der ehemaligen Herrin vonSchloss Friedrichstein um die deutsch-russische Verstän-digung. Marion Gräfin Dönhoff hatte 1945 das Schicksalzahlloser Flüchtling geteilt und ihre ostpreußische Heimatvor der heranrückenden Roten Armee verlassen müssen.

Fast unscheinbar neben der repräsentativen Urkundewirkt dagegen das improvisierte Notizbüchlein einesdeutschen Zwangsarbeiters aus Workuta. Und dennochhandelt es sich um ein Objekt mit einer besonderen „narra-tiven“ Qualität. Das aufgeklappt nur 3,4 x 5,4 cm große, inStoff eingeschlagene Heft ist ein selbstgefertigter Notbe-helf, in dem sein Schöpfer mit blauem Stift handschriftli-che Eintragungen vorgenommen hat: „Wer leben will,muss das Fieber riskieren! (Hebbel)“, so ein literarischesZitat, das eine Ahnung vom Elend des Gefangenendaseinsvermittelt.

Unter den rund 150 in- und ausländischen Leihgebernder Ausstellung „Spuren“ sind auch eine Reihe Archive inunterschiedlicher Trägerschaft. Die Zusammenarbeit mitihnen gestaltet sich nach unterschiedlichen Modellen, dienicht zuletzt darauf zurückzuführen sind, dass einzelneArchive aus grundsätzlichen konservatorischen Erwägun-gen keine Originale verleihen. Dies gilt zum Beispiel fürdie Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisatio-nen der DDR im Bundesarchiv. Sollte, wie in diesem Fall,die Präsentation von Dokumenten aus inhaltlichen Grün-den zwingend erforderlich sein, so bemüht sich das Hausder Geschichte zumindest um hochwertige Reproduktio-nen beziehungsweise Faksimiles. Dies gilt zum Beispielfür eine Mitgliederliste der „Gruppe Ulbricht“ vom April1945, die anlässlich der Abreise aus dem Moskauer HotelLux angefertigt wurde.

Einen anderen Weg, der dem musealen Interesse desHauses und seiner Besucher entgegenkommt, beschreitetdie Stiftung Akademie der Künste Berlin. Hier verpflichtetsich das Haus der Geschichte, die präsentierten Original-dokumente aus den Nachlässen von Konrad Wolf undJohannes R. Becher nach einer festgelegten Frist durchReproduktionen beziehungsweise Faksimiles zu ersetzen.

Je nach Art und Erhaltungszustand der Exponategenehmigen weitere Leihgeber die Präsentation der Archi-valien auch für den gesamten Ausstellungszeitraum vonknapp vier Monaten. So verdankt die Ausstellung derErbengemeinschaft Böll, dem Heinrich-Böll-Archiv unddem Lew Kopelew Forum in Köln persönliche Dokumenteund Briefe der Freunde Lew Kopelew und Heinrich Böllsowie Geburtstagsglückwunsche von Alexander Solsche-nizyn und Andrej Sacharow für Heinrich Böll. DieUrkunde zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandelsfür Lew Kopelew, der als Kenner der klassischen deut-schen Literatur den Begriff der Wahlverwandtschaft wie-derholt auf das deutsch-russische Verhältnis bezog,kommt aus dem Archiv der Forschungsstelle Osteuropaan der Universität Bremen.

Eine letzte Gruppe aussagekräftiger Originaldoku-mente stammt aus Privatbesitz, so eine Beurteilung desjungen Wolfgang Leonhard vom 23. September 1939, als er

im Moskauer Exil die deutschsprachige Karl-Liebknecht-Schule besuchte.

In allen genannten wie ungenannten Fällen ist es für dasHaus der Geschichte selbstverständlich, optimale konser-vatorische Bedingungen für die Präsentation von Papier-objekten zu garantieren und deren Einhaltung währendder Laufzeit der Ausstellung durch die Restauratoren desHauses ständig zu kontrollieren. Hierzu gehört nichtzuletzt die kontinuierliche Überwachung der Licht-, Tem-peratur- und Feuchtigkeitswerte in der Ausstellung.

Ein letztes, nicht nur unter Archivgesichtspunkten inte-ressantes Kapitel, auf das kurz eingegangen werden soll,bilden Dokumente russischer Provenienz. Hier schöpftdas Haus der Geschichte im Wesentlichen aus den Bestän-den der Museen, die in der Regel sorgfältig – leider nichtimmer fotografisch – erfasst und dokumentiert sind. Sofinden sich zum Beispiel Akten von Lagerhäftlingen ausdem Interregionalen Heimatmuseum Workuta in der Aus-stellung.

Auch wenn eine noch so gute Vorauswahl den persönli-chen Besuch nicht ersetzen kann, beruhen Ausstellungenin der Regel auf den unverzichtbaren Vorarbeiten speziali-sierter Historiker. Unter Berücksichtigung des aktuellenForschungsstandes werden die Exponate unter ausstel-lungs- und vermittlungsspezifischen Kriterien ausge-wählt. Dies gilt in besonderer Weise für die Arbeit in russi-schen Archiven, die je nach Untersuchungsgegenstandhäufig kaum mehr als ein Jahrzehnt der historischen For-schung offen stehen.

Dabei ist die Bereitschaft zur Ausleihe bestimmterExponate auf russischer Seite durchaus vorhanden. Diesgilt auch für früher tabuisierte Themen wie das Schicksalder Kriegsgefangenen. Entsprechende Erfahrungenkonnte das Haus der Geschichte bereits in den Jahren 1994bis 1996 machen. Damals präsentierte das Haus die Aus-stellung „Kriegsgefangene. Sowjetische Kriegsgefangenein Deutschland – Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjet-union“ mit großem Erfolg zuerst in Bonn und anschlie-ßend im Zentralen Museum des Großen VaterländischenKrieges in Moskau. Für die Ausstellung „Spuren“ hättedas Haus der Geschichte aus dem Staatlichen Archiv derRussischen Föderation sogar ein Totenbuch aus dem Spe-ziallager Sachsenhausen als Leihgabe erhalten können.Organisatorische Erwägungen sowie Kostengründe führ-ten dann dazu, dass mit Zustimmung des Archivs eineReproduktion angefertigt wurde, die nun auch für künf-tige Ausstellungen des Hauses zur Verfügung steht.

Sicher wäre es vermessen, ausgehend von den gutenErfahrungen des Hauses der Geschichte mit russischenPartnern eine Prognose über die weitere Entwicklung derdeutsch-russischen Beziehungen zu wagen. Bundestags-präsident Wolfgang Thierse, der am 25. September 2001mit Wladimir Putin erstmals ein russisches Staatsober-haupt im Deutschen Bundestag willkommen hieß, hatte inseiner damaligen Begrüßung darauf hingewiesen, wiewenig selbstverständlich es doch sei, dass sich Russen undDeutsche heute mit Sympathie und Respekt begegnen.Dies wird auch in der Ausstellung „Spuren“ deutlich,obwohl sie eine Verengung der Perspektive auf die trau-matischen Erfahrungen von Krieg und Diktatur vermei-det.

Viktor Jerofejew, um erneut einen russischen Schrift-steller zu zitieren, hat einmal geschrieben: „Russland istjederzeit im Stande, nicht nur die anderen, sondern auch

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sich selbst in Erstaunen zu versetzen.“ Es bleibt zu hoffen,dass dies auch künftig für das deutsch-russische Verhält-nis gilt und dass es sich immer um ein wechselseitig positi-ves Erstaunen handelt.

Das Begleitbuch zur Wechselausstellung „Spuren – Sledy.Deutsche und Russen in der Geschichte“ kann über das Haus derGeschichte (www.hdg.de) oder den Buchhandel bezogen werden.

Bonn Christian Peters

SchweizEine neue Dienstleistung des Archivs der ETH Zürich:Recherche onlineSeit November 2003 ist eine im WEB frei zugänglicheArchivdatenbank des Archivs der ETH Zürich aufgeschal-tet (http://www.ethbib.ethz.ch/eth-archiv/dachs.html).Damit können die Bestände des Archivs der ETH Zürichsowie die der Sammlung Handschriften und Nachlässeder ETH-Bibliothek online abgefragt werden. Zudem wer-den neu Volltexte von Dokumenten zu wichtigen Protago-nisten aus der Geschichte der ETH sowie zu Protokollendes ETH-Schulrates angeboten.Die Datenbank weist Dokumente aus folgenden Bestän-den nach:Historisches SchulratsarchivArchiv der ETH Zürich

Archiv des ETH-RatsArchiv zur Geschichte der Kernenergie in der SchweizSammlung Handschriften und Nachlässe der ETH-Biblio-thek.

Dokumente, die einer Schutzfrist unterliegen und somitfür die Forschung noch nicht zugänglich sind, werden inder Datenbank nicht nachgewiesen. Die Datenbankermöglicht eine Volltextsuche an Hand von Stichworten.Dabei ist es möglich, die Suche auf einzelne Bestände oderZeiträume einzuschränken. Im Feld „Schlagwortsuche“können Stammdaten, d. h. Personen-, Körperschafts- undOrtsregister abgefragt werden.

Integraler Bestandteil dieser neuen Datenbank ist einevirtuelle Edition der Dienstakten des Physikers WolfgangPauli. Zu diesem Zweck wurden annähernd 700 Doku-mente aus dem Historischen Schulratsarchiv digitalisiertund verzeichnet. Sie stehen der/dem Benutzer/in absofort als PDF zur Verfügung. Weiter bestehen konkretePlanungen für eine virtuelle Edition von Dokumenten zuAlbert Einstein und für die Digitalisierung der Protokolledes Schulrates der ETH aus den Jahren von 1854 bis 1955.

Mit der neu angebotenen Dienstleistung bewegt sichdie ETH-Bibliothek auf zwei Ebenen: Zum einen liefert sieeinen Nachweis von Dokumenten, die sich im Archiv derETH Zürich befinden. Auf der anderen Seite bietet sie mitihrer Reihe der virtuellen Editionen auch Volltexte an.

Zürich Margit Unser

Literaturbericht

Abkürzungen aus Personalschriften des XVI. bisXVIII. Jahrhunderts. Bearb. von Rudolf Lenz, UweBredehorn und Marek Winiarczyk. 3. Auflage.Frank Steiner Verlag, Stuttgart 2002. IX, 244 S., brosch.12,– C.(Marburger Personalschriften-Forschungen, Bd. 35.)

Rund 25 Jahre nach dem Erscheinen der ersten Auflage undimmerhin zehn Jahre nach der Herausgabe der seit vielen Jahrenvergriffenen 2. Auflage ist dieses Standardwerk der Personal-schriftenforschung erfreulicherweise wieder auf dem Markt. Her-vorgegangen aus der täglichen Arbeit des Marburger Instituts fürPersonalschriften mit Leichenpredigten war die erste Auflagezwar schon eine verdienstvolle Sammlung von Abkürzungen,doch basierte sie auf einer vergleichsweise geringen Quellen-sammlung.

Diese konnte für die 2. Auflage, die im Sommer 1993 herausge-geben wurde, erheblich erweitert werden. Sie basiert nun aufmehr als 30 verschiedenen Leichenpredigt-Sammlungen. Zudemkonnten damals mit dem von Professor Marek Winiarczyk,Wrocl/ aw, zusammengestellten Verzeichnis lateinischer Abkür-zungen zahlreiche neue Einträge aufgenommen werden. Die nunvorliegende dritte Auflage ist eine leicht erweiterte der zweiten.

Auf nunmehr 243 Seiten von „A“ wie „Academia“ bis „Z“ wie„zur Zeit“ werden Hunderte von Abkürzungen erschlossen, diebei Weitem nicht nur in Leichenpredigten anzutreffen sind. DieHerausgeber bieten dem Leser ohne eine Trennung von lateini-schen und deutschen Abkürzungen, wie sie in Gruns Schlüssel zualten und neuen Abkürzungen noch vorherrscht, rein alphabe-tisch neben den links stehenden Abkürzungen rechts die Auflö-sung. Sind mehrere Auflösungen denkbar, so werden diese reinalphabetisch sortiert aufgelistet.

Was das Werk im Gegensatz zu den Schriften von Demandt,Dülfer, Grun, Ribbe und anderen besonders wertvoll macht, istdie Tatsache, dass die Bearbeiter sich die Mühe gemacht haben,die lateinischen Abkürzungen ins Deutsche zu übersetzen, wasangesichts abnehmender Lateinkenntnisse sowohl in der Bevöl-kerung als auch unter Studenten ebenso verdienstvoll wie not-wendig ist. Zudem weist das Verzeichnis zahlreiche, über dieÜbersetzung hinausgehende Worterklärungen und grammatika-lische Erklärungen auf, die die Benutzung vor allem für interes-sierte Laien erheblich vereinfachen.

Insgesamt gesehen legen die Bearbeiter ein Werk vor, das,ebenso wie die zuvor genannten, im Regal jedes Bearbeiters früh-neuzeitlicher Quellen nicht fehlen darf, denn viele der Abkürzun-gen sind auch in anderen Zusammenhängen anzutreffen. Esbleibt zu hoffen, dass auch weiterhin die Arbeit an diesem so hilf-reichen Katalog fortgeführt werden kann und die Ergänzungen inspäteren Auflagen ebenfalls wieder eingebunden werden.

Marburg Karsten Uhde

Die Archivalischen Quellen. Mit einer Einführung indie Historischen Hilfswissenschaften. Hrsg. von Fried-rich Beck und Eckart Henning. 3. überarbeitete underweiterte Auflage. Böhlau Verlag, Köln – Weimar –Wien 2003. XI, 405 S., 122 Abb., geb. 39,90 C.

Der Böhlau Verlag Köln hat mit der dritten Auflage der „Archiva-lischen Quellen“ ein längst zum Standardwerk gewordenes undschon seit einiger Zeit nicht mehr lieferbares Werk in einer starküberarbeiteten und erweiterten Form wieder zugänglichgemacht. Das Buch ist durch die Veränderungen um mehr als 100Seiten angewachsen, eine Erweiterung, die man in jeder Hinsichtals erfreulich und sinnvoll bezeichnen kann, zumal sie in weiten

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Teilen darauf zurückzuführen ist, dass die von den Rezensentender ersten Auflagen angemerkten Desiderate in vielen Fällen auf-gearbeitet wurden.

Keine bzw. keine großen Veränderungen, sondern nur leichteÜberarbeitungen erfuhren die Kapitel über Urkunden, Akten,Briefe, Selbstzeugnisse und über Schriftträger und Schreibmate-rialien, was sicherlich auch mit den durchweg positiven Bespre-chungen gerade dieser Teile zusammenhängt.

Andere wurden ergänzt, wie das in den ersten Auflagen vonJosef Hartmann stammende Kapitel über die Amtsbücher, dasnun um einen Abschnitt von Jürgen Kloosterhuis erweitertwurde. Dieser beruht auf seinen Ausführungen im Unterricht ander Archivschule, die damit erfreulicherweise nun auch gedrucktvorliegen. Vor allem die Kapitel, in denen in den älteren Auflagenmehrere Themen zusammengefasst waren, wie beispielsweise beiden Karten, Plänen und Bildern, wurden in der Neufassung vonden Herausgebern getrennt. Der Teil über die Bilder ist offenbaridentisch geblieben und gibt nach wie vor den Text von HerbertEwe wieder, während der nun von diesem getrennte Abschnittüber Karten und Pläne neu von Andreas Matschenz geschrie-ben wurde. Ähnliches gilt auch für die bisherigen Ausführungenüber Münzen, Maße und Gewichte, bei dem der numismatischeTeil von Reinhold Zilch unverändert blieb, während das davongetrennte Kapitel über Maß, Zahl und Gewicht neu von HaraldWitthöft erstellt wurde.

Ergänzungen durch den bisherigen Autor bieten die Kapitelüber die Schrift und über die Datierung. Der Text von FriedrichBeck über die Schrift ist an seinem Ende, bei der Behandlung derSchriften des 20. Jahrhunderts, erfreulicherweise stark erweitertworden und bietet damit eine bis in die Nachkriegszeit hineinrei-chende, hervorragende Überblicksdarstellung. Ähnlich verhält essich mit dem Abschnitt über die Datierung von Josef Hartmann,bei dem der bislang leider fehlende französische Revolutionska-lender und der Hinweis auf die Versuche faschistischer Kalender-reformen von ihm in einem Abschnitt über „jüngere Kalenderver-besserungen“ neu hinzugefügt wurden.

Nicht nur ergänzt, sondern völlig neu geschrieben wurde dasKapitel über „Neue Quellengattungen“ von Botho Brachmann,das nun den Titel „Moderne Quellengattungen. Neue Medienund Massenmedien“ trägt. Er macht hierbei nicht nur auf dasMassenproblem der Archive aufmerksam, sondern spricht auchdie Quellengruppen an, die im übrigen Teil nicht näher angespro-chen werden, nämlich die Filme und Tonträger, die sicherlich aberauch eine eigene Behandlung verdient hätten. Andere Teile desBuches sind vollkommen überarbeitet worden, wie die Kapitelüber Siegel bzw. Wappen, die für die 3. Auflage von Toni Diede-rich bzw. Eckart Henning ganz neu geschrieben wurden.

Ganz neu aufgenommen sind die Abschnitte über Anredenund Titel von Eckart Henning, über Abstammung und Ver-wandtschaft von Waldemar Schupp und Orden und Ehrenzei-chen von Dietrich Herfurth. Dadurch konnte die Gruppe derHilfswissenschaften nun um diese bislang in vielen Werken ver-nachlässigten Teilgebiete erweitert werden. Durch diese Ergän-zung wird die dritte Auflage der Archivalischen Quellen dem neuformulierten Untertitel „Mit einer Einführung in die HistorischenHilfswissenschaften“ deutlich gerechter als dies bei Ahasver vonBrandts „Werkzeug des Historikers – Eine Einführung in die His-torischen Hilfswissenschaften“ der Fall ist.

Ergänzt wurden auch die Abbildungen, die insgesamt als sehranschaulich zu bezeichnen sind. Leider sind einzelne Aufnah-men, wie z. B. die Urkunden in Abb. 1 und 8, gegenüber der 2.Auflage nicht mehr ganz so gestochen scharf bzw. kontrastreich.

Am Ende des Buches ist die von Regina Rousavy zusammen-gestellte Bibliographie ebenfalls überarbeitet worden. Diesemacht insgesamt einen guten Eindruck und wird den Benutzerüber die hier angeführten Werke sicherlich in die Lage versetzen,selbst Detailfragen klären zu können. Lediglich der Abschnittüber Archivwissenschaft und Schriftgutverwaltung wird denArchivar nicht immer zufrieden stellen. Hier wäre vor allem eineAufnahme der wichtigsten laufenden Zeitschriften und Reihenwie Der Archivar oder der seit Jahren regelmäßig erscheinendenBibliographie zum Archivwesen ebenso wünschenswert wie wei-terführend.

Dennoch wird das Buch seinem Anspruch jederzeit gerechtund besticht vor allem durch seine Breite und das weder in Allge-meinplätze noch in fachwissenschaftliche Spezialisierungenabdriftende Niveau, wodurch das Werk im besten Sinne des Wor-tes als Handbuch zu bezeichnen und zu benutzen ist.

Marburg Karsten Uhde

Bauaktenüberlieferung und Denkmalpflege. Prak-tische Aspekte zu zwei benachbarten Wirkungskreisenkommunalarchivischer Arbeit. Referate des 10. Fortbil-dungsseminars der Bundeskonferenz der Kommunal-archivare (BKK) vom 16.-18. 10. 2001 in Stendal undergänzende Beiträge. Red.: Hans-Jürgen Höötmann.Landschaftsverband Westfalen-Lippe – WestfälischesArchivamt, Münster 2002. 107 S., 28 z. T. farb. Abb.,brosch. 5,– C.(Texte und Untersuchungen zur Archivpflege Band 15.)

Bauunterlagen haben in der archivfachlichen Diskussion bislangeher ein Schattendasein geführt. Um so verdienstvoller ist es, dassdie Bundeskonferenz der Kommunalarchivare dem Thema jetzteine eigene Tagung gewidmet hat. Das vorliegende kleine Bänd-chen fasst die Beiträge dieser Tagung zusammen, bei denen es sichin der überwiegenden Zahl um Erfahrungsberichte handelt. Kon-zentriert auf die „praktische[...] Arbeit vor Ort“ (S. 7) skizzierendie Autoren lokale Problemstellungen und Lösungsstrategien imSpannungsfeld zwischen Behörde, Archiv und Nutzern. Die Aus-gangslage und Grundkonstellation ist dabei in vielen Fällen ähn-lich: Nach Jahrzehnten, gelegentlich nach über einem Jahrhundertseiner Tätigkeit will sich ein Bauamt vom Ballast seiner alten,nicht mehr benötigten Akten und Pläne trennen. In einem mehroder minder klaren Bewusstsein von der rechtlichen und histori-schen Verantwortung, die ein solcher Schritt mit sich bringt, stehtes vor der Wahl, die überkommenen Unterlagen zu vernichten, zuverfilmen oder zu verlagern. Nicht unbedingt ist – wie das Hage-ner Beispiel verdeutlicht – das Archiv in diesen Entscheidungs-prozess von vornherein einbezogen. Aber für ein Archiv, das seineRolle gegenüber den Behörden aktiv wahrnimmt, eröffnen sichfast in jedem Fall Handlungsspielräume und Gestaltungsmög-lichkeiten. Die Autoren des Bandes machen deutlich, wie dieseMöglichkeiten genutzt werden können. Sie decken dabei ein brei-tes Spektrum archivischer Themenfelder ab. Es reicht von der Ver-waltungsgeschichte (im Beitrag F. Kaspars über die örtliche Bau-verwaltung in der Provinz Westfalen) und der Entstehung derAkten (im Beitrag von I. Buchholz über die Geschichte des Bau-aktenbestandes im Stadtarchiv Magdeburg) über Fragen der Aus-wahl und Bewertung (vor allem in den Beiträgen von N. Dam-berg über Coesfeld und D. Freiesleben über Hagen), der Ord-nung, Sicherung und Erschließung bis hin zur späteren Nutzung,nicht zuletzt im Verbund mit anderen Quellen (vor allem in denBeiträgen von E. Schäferhenrich, Chr. Kleiber und S. Wernerüber die Verwendung von Bauakten für die Stadtplanung undDenkmalpflege). Von den meisten Autoren wird die Vielfalt derAspekte eher schlaglichtartig beleuchtet, stets ausgehend von denjeweiligen Gegebenheiten vor Ort. Für den Leser hat dies den Vor-teil, dass die Darstellung stets anschaulich bleibt. Sie zeigt Wegeund schafft damit auch den in der Praxis gelegentlich notwendi-gen Mut, um eine Aktengruppe, die schon wegen ihres Umfangsnicht zu vernachlässigen ist, mit pragmatischen Mitteln archi-visch zu bewältigen. Allerdings wird in nicht wenigen Beiträgendie an sich lobenswerte Praxisorientierung um den Preis erkauft,dass die für eine breitere inhaltliche Diskussion notwendige Abs-traktion vom Einzelfall fehlt oder zumindest zu kurz kommt.

Wie uneinheitlich und konzeptionsschwach die Vorschlägegelegentlich sein können, zeigen beispielhaft die Überlegungenzur Bewertung. In Coesfeld und Hagen werden Bauakten – unteranderem auch – in Stichproben archiviert. Einzelne Straßen,bestimmte Hausnummern werden übernommen in der Hoff-nung, auf diese Weise die Gesamtüberlieferung in der Form eines„repräsentative[n] Querschnitt[s]“ (S. 22) mit möglichst geringemInformationsverlust komprimieren zu können. Das Verfahrenentspricht dem heute in vielen Archiven üblichen Umgang mit

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massenhaft gleichförmigen Einzelfallakten. Ob und inwieweit esallerdings zulässig ist, die Bauakten nach dem Muster der Fallak-tenserien als eine nicht nur formal, sondern auch inhaltlich gleich-mäßig strukturierte Bestandsgruppe anzusehen, dessen Charak-teristik sich vollständig oder auch nur in angemessenem Maßeüber eine Stichprobenauswahl archivisch abbilden lässt, bleibt inden Beiträgen undiskutiert. Die Tatsache, dass in einer Stadtunterschiedliche Viertel existieren, die auch historisch unter-schiedlich gewachsen sind, dass darüber hinaus die spezifischeFunktionsbestimmung sowie die Individualität von Bauherrenund Architekten einzelnen Bauten auch unabhängig von ihremStadtteil und ihrer Entstehungszeit ein eigenes Gepräge verliehenhaben, lässt zumindest Zweifel an einer solchen Auffassung auf-kommen. Und auch die Entscheidung der Autoren, neben Sam-pling-Methoden und in Vermischung mit diesen zugleich qualita-tive Kriterien der Bewertung an die Bauakten anzulegen(„gezielte Auswahl herausragender Einzelfälle“, S. 22), zeugenvon einer gewissen Unsicherheit, die im Grunde nur zu behebenist, wenn man sich im Vorfeld der Überlieferungsbildung diffe-renzierter mit der grundsätzlichen Frage nach der formalenStruktur, dem Maß der inhaltlichen Differenzierung und demdaraus sich ergebenden Dokumentationspotential der Bauunter-lagen für unterschiedliche Nutzergruppen auseinandersetzt. Einbisschen weniger Praxisorientierung und ein bisschen mehr anprinzipiellen Überlegungen wäre in diesem Punkt sicherlichwünschenswert gewesen.

Das gilt im Übrigen auch für die technische Seite der Archivie-rung. Bauakten sind schon wegen ihrer großen Zahl und dann vorallem wegen der Planunterlagen, die sie enthalten, schwierig zuverwahren und zu sichern. Sie werden deshalb oft in den Behör-den nach Ablauf einer bestimmten Frist verfilmt und die Origi-nale vernichtet. Aus archivischer Sicht stößt eine solche Form derpauschalen Ersatzverfilmung, wie die Beiträge des vorliegendenBandes deutlich dokumentieren, immer auf Bedenken. Allerdingskönnen diese Bedenken nicht von vornherein von der Verpflich-tung entbinden, sich gründlich mit der Praxis der Verfilmung aus-einanderzusetzen und dabei auch überkommene Prinzipien aufden Prüfstand zu stellen. Macht es wirklich Sinn, dass die Archiveneben der vollständigen Aufbewahrung der Filme in der Behördein größerer Zahl Bauakten im Original archivieren? WelcheAnforderungen könnten eventuell an eine Verfilmung gestelltwerden, damit diese vielleicht auch unter archivischen Gesichts-punkten vertretbar sein könnte (immerhin haben gute Filme, ver-glichen mit manchen modernen Akten, oft eine erheblich längereLebensdauer)? Und schließlich: Wo lohnt sich eine Archivierungim Original und mit welchen Mitteln muss gerade diese Überlie-ferung gesichert werden, damit sie auch für die Zukunft in opti-maler Weise erhalten bleibt. Diese Fragen, die vor dem Hinter-grund einer von den Autoren bereits prognostizierten Tendenzzur elektronische Bauakte an Brisanz keinesfalls abnehmen, gehö-ren sicherlich zu dem noch „gehörigen Maß an Diskussionsbe-darf“ (S. 7), das Reimann in seinem Vorwort des Bandes konsta-tiert. Es war das Ziel und ist das Verdienst der Bundeskonferenzder Kommunalarchivare, „den Anstoß für eine intensivere Fach-diskussion hinsichtlich der archivischen Behandlung von Bauak-ten“ gegeben zu haben. Bleibt zu hoffen, dass die weitere Ent-wicklung diese ersten Ansätze produktiv aufgreift und in einemdann auch über die Grenzen der Kommunalarchive erweitertenKreis fortführt.

Düsseldorf Andreas Pilger

Die Bestände des Landeshauptarchivs Schwerin.Band 2. Staatliches Archivgut 1945–1990. Bearb. vonKlaus Baudis, Sigrid Fritzlar und SiegfriedSchlombs. Landeshauptarchiv Schwerin, Schwerin2002. 324 S., zahlr., z. T. farbige Abb., geb. 25,– C.Das nach wie vor ungebremste Interesse der Historiker an zeit-

geschichtlicher Forschung erforderte von den Archivaren in denNeuen Bundesländern eine schnelle und effiziente Bearbeitungder nach 1990 in die Archive übernommenen Bestände. Im Ergeb-nis dieser Arbeiten erschienen in den letzten Jahren bereits einige

Bestandsübersichten.1 Zwei Jahre nach Erscheinen des erstenBandes2 der auf drei Bände konzipierten Bestandsübersicht desLandeshauptarchivs Schwerin liegt nun der zweite Band vor.Nachdem im ersten Band die Bestände bis 1945 (Hauptgruppen1–5) vorgestellt wurden, erstreckt sich vorliegender Band auf dieHauptgruppe 6 – Land Mecklenburg (-Vorpommern) 1945–1952 –und Hauptgruppe 7 – Bezirke Schwerin und Neubrandenburg1952–1990 – und deckt damit den o. a. Forschungsbereich ab. DieHauptgruppen 10–17 (Nichtstaatliches Archivgut; Sammlungen;Karten, Pläne, Risse; Bilder und Fotografien; Filme, Videos, Ton-träger; Reproduktionen; Archivbibliothek und Bestandsabgren-zungen aus anderen Archiven) sind für den dritten Band vorgese-hen. Über die „Trennung“ der staatlichen Überlieferung von derÜberlieferung der Parteien und Massenorganisationen aus derZeit 1945–1990 ist unter den Kollegen im Landeshauptarchiv dis-kutiert worden, und letztlich hat man sich dafür entschieden. IhreBegründung, dass bei Forschungsarbeiten zur SBZ- und DDR-Geschichte auch Sammlungen wie Karten, Bilder und Plakate ein-bezogen werden müssen, die von vornherein im Band dreibeschrieben werden sollten, lässt sich nachvollziehen (S. 10).

Auf rund 260 Seiten werden 360 Bestände vorgestellt, die sichfolgendermaßen auf die beiden Hauptgruppen verteilen: LandMecklenburg (-Vorpommern) 68 Bestände (1208 lfm), BezirkSchwerin 147 Bestände (2705 lfm) und Bezirk Neubrandenburg145 Bestände (2211 lfm). Jeder Hauptgruppe wird eine verfas-sungs- und verwaltungsgeschichtliche Einführung und eine Lite-raturliste vorangestellt.

Für den Zeitraum 1945–1952 soll der Blick auf die Überliefe-rung wichtiger staatlicher Behörden wie Ministerpräsident,Ministerium des Innern, Ministerium für Wirtschaft, Ministeriumfür Land- und Forstwirtschaft, Industrie- und HandelskammerMecklenburg gelenkt werden. Aus den Beständen des Zeitraums1952–1990 ragen nicht nur quantitativ die Bestände Bezirkstag/Rat des Bezirkes Schwerin und Neubrandenburg (je fast 1000 lfm)heraus. Als weitere wichtige Überlieferungen aus beiden Bezir-ken sind die Bezirksbehörden der Volkspolizei Schwerin (120 lfm)und Neubrandenburg (63 lfm), die ABI- Bezirkskomitees Schwe-rin (71 lfm) und Neubrandenburg (52 lfm inkl. Kreiskomitees)und die Überlieferungen des Finanzsektors, wie die Bezirksdirek-tionen und Kreisfilialen der Bank für Landwirtschaft und Nah-rungsgüterwirtschaft, zu nennen. Besonders hingewiesen werdensoll auf wichtige Wirtschaftsbestände wie VEB Elbewerften Roß-lau/Boizenburg, Werk Boizenburg (40 lfm), VEB Nähmaschinen-werk Wittenberge (100 lfm), und für die Lederindustrie auf diedrei Bestände VEB Lederwerke Neustadt-Glewe, VEB KombinatLederwaren Schwerin und VEB Lederwarenwerk Schwerin (mit103 lfm).

Zu jedem Bestand wird eine kurze Behörden- und Bestandsge-schichte, der Bestandsumfang in laufenden Metern, der Zeitraumder Überlieferung, die Qualität der vorhandenen Findmittel undLiteratur zum Bestandsbildner bzw. über dessen Aufgabenberei-che angegeben. Erwartungsgemäß liegen v. a. für die Beständedes Landes Mecklenburg (-Vorpommern) Findbücher vor, wäh-

1 Vorliegende Bestands- bzw. Kurzübersichten der staatlichen Archive derNeuen Bundesländer einschließlich Bundesarchiv für den Zeitraum1945–1952/1990: Das Landesarchiv Berlin und seine Bestände/hrsg. vonJürgen Wetzel. Berlin, 1992. (Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin; 1). –Die Bestände des Sächsischen Hauptstaatsarchivs und seiner Außenstel-len Bautzen, Chemnitz und Freiberg/Hrsg.: Historische Kommission derSächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Leipzig, 1994. –Die Bestände der Landesarchive des Landes Sachsen-Anhalt 1945–1952:Kurzübersicht/hrsg. vom Landesarchiv Magdeburg – Landeshauptar-chiv – Magdeburg, 1995. (Veröffentlichung der staatlichen Archivverwaltungdes Landes Sachsen-Anhalt: Reihe A; 10). – Die Bestände der Stiftung Archivder Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) im Bundes-archiv : Kurzübersicht/hrsg. von der SAPMO. Berlin, 1996. – Verzeichnisder Bestände der Abteilung DDR/Gesamtred. Hermann Schreyer.Koblenz, 1998. (Findbücher zu den Beständen des Bundesarchivs ; 64). –Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Landeshauptar-chivs. Teil III/1: Behörden und Institutionen in der Provinz Mark Bran-denburg/im Land Brandenburg 1945–1952/hrsg. von Klaus Neitmann.Berlin, 2002. (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs,Bd. 39).

2 Vgl. Literaturbericht A. Graßmann, Der Archivar, Jg. 54, 2001, S. 152 f.

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rend für die Unterlagen der Behörden aus dem Zeitraum1952–1990, die größtenteils erst nach 1990 ins Archiv gelangten,Ablieferungsverzeichnisse und Findkarteien den Zugang zumArchivgut gewährleisten. „Die Qualität dieser Findmittel ent-spricht in den wenigsten Fällen archivischen Forderungen, sodass die Bestände überwiegend (83%) als bedingt benutzbar ein-zustufen sind“ (S. 137). Die Ausnahme bildet das Fehlen jeglicherArt von Findmitteln und damit eine Unbenutzbarkeit dieserBestände (5 Bestände mit 34 lfm). Eine unklare Angabe auf S. 170(die Signatur 7.12.-4/8 scheint doppelt vergeben zu sein: Staatli-che Zentralverwaltung für Statistik Kreisstelle Schwerin-Stadtoder Prenzlau?) bedarf der Klärung.

Positiv anzumerken ist die Auflockerung mit Bildmaterial,sowohl zur Archiv- als auch zur Landesgeschichte, und die Abbil-dung von Faksimiles aus den Akten.

Ein Orts- und Personennamen- und ein Sachbegriffsregisterschließt dieses wichtige und gelungene Hilfsmittel ab. Da derdritte Band, wie oben bereits angemerkt, die Überlieferung desZeitraumes ergänzt und vervollständigt, kann man auf sein baldi-ges Erscheinen gespannt sein.

Potsdam-Bornim Torsten Hartisch

Biographisches Lexikon der hervorragendenÄrzte der letzten fünfzig Jahre von IsidorFischer, Berlin und Wien 1932–1933. Bände III-IV:Nachträge und Ergänzungen. Bearb. und hrsg. vonPeter Voswinckel. Dritter Band: Aba-Kom. GeorgOlms Verlag Hildesheim 2002. LXXIV, 882 S., 18 Por-traittafeln, Ln. 101,– C.

Das hier anzuzeigende Lexikon ist von besonderer Art. Es ist einMemorial gegen das Vergessen, für das Erinnern und Bewahren.Dem Lübecker Medizinhistoriker Peter Voswinckel ist es gelun-gen, in dem kurzen Zeitraum von sieben Jahren Fischers ver-dienstvolles Lexikon mit 7800 aufgeführten Ärzten und Ärztin-nen, von denen bei Erscheinen 1932/33 noch über die Hälfte lebte,auf der Grundlage von eingehenden Archiv- und Bibliotheksstu-dien sowie unter Einbeziehung der noch verfügbaren narrativenQuellen zu ergänzen. Nach eigenen Angaben konnten so 98% derLebensschicksale aufgeklärt werden. Nur ein einziges Biogrammist neu entstanden, das über Isidor Fischer selbst. Damit erfülltVoswinckel das Vermächtnis von Isidor Fischer und trägt eineBringschuld ab, insbesondere für die große Zahl der rassisch undpolitisch verfolgten Ärzte, die in den Totalitarismen des 20. Jahr-hunderts emigrieren mussten, sich das Leben nahmen oder inKonzentrationslagern ermordet wurden. Viele unter ihnen sindbisher namenlos geblieben, oder ihre Biographien sind bisher ver-harmlosend dargestellt worden. Dieser minutiösen, aufklärendenArbeit im Zusammenspiel mit verschütteten Erinnerungen undzahlreichen , darunter auch vergeblichen Archivstudien ist Vos-winckel nachgegangen, um sowohl auf „Täter“- wie auch auf„Opferseite“ ein objektives Bild zu rekonstruieren. Die Arbeitwurde ihm quantitativ erleichtert durch die Öffnung der Archiveim sogenannten Ostblock nach dem Zusammenbruch des sowjeti-schen Machtimperiums.

Vollständigkeit konnte nicht erreicht werden. Das ergibt sichnotwendig aus den unterschiedlich dichten archivischen Überlie-ferungen, dennoch fand ein erstaunlich exakter Näherungspro-zess statt. Befragt wurden unterschiedliche Archivtypen wie dieBundes-, Staats- , Stadt- und Universitätsarchive, aber auch dasWiener Stadt- und Landesarchiv, Kirchen- und Akademiearchivesowie zahlreiche Institutionen und Personen, die über einschlä-gige Quellen verfügen.

Dieser erste Nachtragsband ist nicht nur wichtig für Medizin-historiker, sondern für alle, die sich mit der gerechten Aufarbei-tung von Zeitgeschichte befassen, die an Überlegungen zu Quel-leneditionen interessiert sind, weil hier exemplarisch und metho-disch vorbildlich in einem biographischen, berufständigen Lexi-kon die Zeit 1933 bis 1945 aufgearbeitet wird.

Das Material für den 2. Band „ist vorhanden und wird fortlau-fend vervollständigt“ (S. XXXII). Dennoch liegt es brach, weil diemateriellen Voraussetzungen sowohl für den Autor wie für das

Werk nicht gegeben sind. Das rasch zu ändern sollte auch beiknapper Kassenlage eine moralische Pflicht sein. Sonst ist zubefürchten, dass es zu einer „damnatio memoriae“ kommt.

Leipzig Gerald Wiemers

Chemnitzer Schicksale. Hrsg. vom ChemnitzerGeschichtsverein e. V. 1990. Selbstverlag des Chemnit-zer Geschichtsvereins, Chemnitz 2002. 142 S., zahlr.Abb., brosch.

Chemnitzer Schicksale – im wahren Sinne des Wortes nach einemöffentlichen Aufruf aus einer sehr großen Anzahl ausgewählt undin 34 Beiträgen von fast ebensoviel Autoren dargestellt – das bein-haltet dieses neuerliche Buch des Chemnitzer Geschichtsvereins.Es ergänzt damit die bereits erschienen drei Bände des Vereins„Chemnitz im 20. Jahrhundert“ aus einer ganz eigenen und indi-viduellen Sichtweise und ist damit ebenfalls ein „Jahrhundert-buch“.

Die Autoren, die vor allem der älteren Generation angehören,vertreten alle Schichten und Bereiche der Einwohnerschaft. IhreErinnerungen aus dem 20. Jahrhundert als Chemnitzer Bürgerspiegeln in Zeitausschnitten von der Kindheit bis zum Alter wei-testgehend das persönliche Alltagsleben wider, und zwar so, wiees in die jeweiligen politischen Systeme von der Weimarer Repu-blik bis hin in die neunziger Jahre der heutigen BundesrepublikDeutschland eingebettet war. Erlebnisse aus Kindheit, Schulzeit,Lehre, Studium und aus der Arbeitssphäre, aber auch aus der per-sönlichen sportlichen Betätigung sind aufgezeichnet worden. EinBericht zum jüdischen Leben in Chemnitz bis 1938 gehört unteranderem ebenso dazu wie einer zum Aufbau eines kulturellenLebens in Chemnitz in den ersten Jahren der DDR. Einige ausge-wählte Beiträge sollen nachfolgend in Auszügen von der Vielfaltder vorliegenden Publikation Zeugnis ablegen.

Heinz Hösel schreibt in den „Erinnerungen an mein Leben inChemnitz – Aufbau der Städtischen Theater Chemnitz nach demKriege“ ausführlich über die Arbeit in den Werkstätten und denWiederaufbau des Theaterbetriebes – ein lohnender Beitrag fürInteressenten an Theatergeschichte. Aber er beschreibt auch seineKindheitserinnerungen an sein Wohnumfeld im ChemnitzerStadtteil Sonnenberg mit vielen Details. Diese sind deshalb wert-voll, weil, nachdem bereits der Bombenangriff von 1945 großeLücken gerissen hatte, nun im gesamten Areal in den letzten 15Jahren die alten, auch geschichtsträchtigen Gebäude abgerissenwurden und neuere Bauten nun dort das Stadtbild bestimmen. –Unter dem Titel „Der ‚alte‘ Gasthof Ebersdorf“ lässt uns MargittaKönig an ihren Erinnerungen an Kindheit und Jugend in ihremteilweise noch dörflichen Stadtteil teilhaben. Sie berichtet vomalten Gasthof in der Gegenüberstellung zur heutigen Nutzungund gibt Einblick, wie die damaligen Einwohner in und um denGasthof noch um 1950 den Kirmessonntag mit einem Volksfestbegingen. „Erinnerungen an meine Schulzeit und den altenChemnitzer Geschichtsverein“ heißt der Beitrag von MargareteKahl. Sie beschreibt detailliert ihre Schulzeit und den Unterrichtbis zum Abitur in verschiedenen Schulen der Stadt, die es heutezum Teil nicht mehr gibt, darunter auch ihren Besuch der„Reformpädagogischen Humboldt-Versuchsschule“ ab 1929. Eineigenes Kapitel widmet sie ihrer Tätigkeit und Mitgliedschaft imChemnitzer Geschichtsverein 1940/41. Sie schreibt über Vorträgeund Familienforschung im Verein. Durch ihre Arbeit im Kirchen-buchamt war sie sehr an familiengeschichtlichen Forschungeninteressiert und selbst tätig. Zu den in jener Zeit erarbeiteten undgesammelten Schriften schreibt sie im letzten Satz ihres Beitrages:„Alle die erwähnten Mitteilungshefte und sonstigen Unterlagenüberstanden den Krieg im Luftschutzkeller, und ich konnte sienun dem Geschichtsverein wieder zurückgeben.“

Breiten Raum in den Beiträgen nehmen die Ereignisse zumzweiten Weltkrieg wie Kriegsteilnahme, Gefangenschaft sowiedie Notzeit danach ein. Herausragendes Thema, also ein heutenoch viele Menschen bewegendes Thema, ist die Zerstörung derStadt Chemnitz im März 1945, die das Stadtbild und das Lebendieser Menschen in dieser Stadt für Jahrzehnte bis in die heutigeZeit prägte. Drei Beispiele sollen das hier verdeutlichen. Über ihre„...Tätigkeit als Rotkreuzschwester während des Zweiten Welt-

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krieges“, die sie durch ganz Europa führte, berichtet ElisabethHänchen auch über ihre mehrjährige aufopferungsvolle Arbeitin Chemnitz, und zwar im Behelfslazarett Pelzmühle in Raben-stein und in der Lazarettabteilung des BezirkskrankenhausesRabenstein (Rabenstein ist heute Stadtteil von Chemnitz – d. A.)sowie im Standortlazarett Chemnitz. – Christa Damaschschreibt in ihrem Beitrag „Der 5. März 1945 – Kindheit unter Bom-ben“: „Das Haus brennt, und wir mussten durch den Mauer-durchbruch in das Haus Nr. 15. Die Bewohner des Nachbarhausesließen uns aber nicht hinein mit der Begründung, dass auch ihrHaus brenne. Nun gab es nur noch die Möglichkeit, in die Kellerder Schlossbrauerei zu gelangen. Dort war meines Wissens derEvakuierungsort für die Bevölkerung des Schlossviertels. DieSchlossbrauerei befand sich auf der Salzstraße zwischen der Insel-und Hechlerstraße. Heute ist sie abgerissen, und auf dem Geländestehen Häuser für betreutes Wohnen ... Diese Erinnerungenschreibe ich deshalb, weil in bisherigen Berichten noch nie dieRede von den Schutzräumen in der Schlossbrauerei war.“ „Mitder Straßenbahn durch Chemnitz – Ein junger Mann nimmtAbschied von seiner noch unzerstörten Stadt“ betitelt Emil S.Müller seinen Aufsatz. Im Juni 1944 wurde er zum Arbeitsdienstnach Osten einberufen. Er schildert seine Eindrücke von den Stra-ßen und Plätzen am letzten Tag davor, als er sich in die Straßen-bahnen seiner Heimatstadt setzte und alle Linien abfuhr. Nun, dieStadt nahm von ihm Abschied!

Das vorliegende Buch wirkt locker und gewinnt sehr aufgrundder geschickten Auswahl und Nutzung verschiedener Erzählfor-men durch den Herausgeber. Wir finden den Bericht und dieAnekdote, Tagebuchnotizen und die kleine Chronik persönlicherEreignisse, das Interview und das Gedächtnisprotokoll, Feldpost-briefe und Gedichte. Durch die Wiedergabe realer persönlicherErlebnisse sind diese Geschichten zeitlich und räumlich sehr kon-kret. Sie bewahren damit stadtgeschichtliche Einordnungen undZusammenhänge, die für die jüngeren Generationen heute durchdie völlig neue stadtplanerische Überbauung der zerstörtenInnenstadt in der sozialistischen Ära sowie die politisch beding-ten Namensänderungen von Stadtteilen, Plätzen und Straßen sonicht mehr evident sind.

In einzelnen Beiträgen wird der Einfluss der Politik der jeweili-gen Zeit, vor allem in der DDR, in den einzelnen Familien oder aufdie Einzelschicksale dargestellt. Das ist von besonderem histori-schen Interesse. Hier wird die Vergangenheit mit Abstandbetrachtet und zum Teil mit Witz dargestellt. Auch an dieserStelle, gleichsam abschließend, sollen einige Leseproben denInhalt des Buches verdeutlichen. „Streuselkuchenzeit – Was 1954ein Streuselkuchen-Paket bei Studentinnen alles auslösenkonnte“ nennt Heidi Huß ihren Beitrag und schreibt: „‚Die Rotehat ein Paket, ein riesengroßes!‘, rief Erika, eine der Bewohnerin-nen aus Zimmer 12, den anderen zu. ‚Und woher? Aus Zwickau?‘,wollte Jolly wissen. Jolly, die Wilde, das Energiebündel, das Mäd-chen mit der Wespentaille, die oftmals mit dem Ruf ‚Es lebe diePariser Kommune!‘ ins Sechs-Mann-Zimmer stürmte und ihreknüllige Aktentasche auf eines der oberen Betten schleuderte. Jol-lys Freude war ungebremst. Das Paket kam aus Zwickau – vonAnnalenes Großmutter –, und es würde Fettlebe geben, keine mittropfender Rübenmelasse beschmierte Schnitten am Nachmittag,sondern Streuselkuchen, goldgelb, knusprig. Einmal im Monatkam solch ein Paket: Ein riesiger Kuchen, ein ganzes großes Blechvoll, akkurat in gleiche Quadrate geschnitten und mit guter Buttergebacken ...”.

Herbert Höft beschreibt unter dem Titel „Die Falle – PolitischeSorgen und Nöte einer DDR-Studentenzeit“ ausführlich einenLebensabschnitt aus den Anfangsjahren der DDR. Am Anfang,wie er Student wurde, schreibt er unter anderem: „Als FDJ-Sekre-tär und BGL-Mitglied ging ich in das Büro der führenden Partei.‚So, du willst studieren? Wir brauchen eine neue Intelligenz.Erzähl mal, wer du bist und wo du herkommst.‘ Der Betrieb hattemein Kommen und mein Interesse für die Schule schon gemeldet.Ich wehrte ab. ‚Ich kann nicht studieren. Ich möchte die siebenteund achte Klasse nachholen.‘ ‚Junge, willst du dich mit achtzehnunter die kleinen Kinder in die Schule setzen?‘ ‚Ja, wenn es nichtanders geht.‘ ‚Woher stammst du denn?‘ ‚Aus Polen, bei Lodz.‘‚Was waren und sind deine Eltern?‘ ‚Sie waren Bauern. Jetzt ist der

Vater Arbeiter und die Mutter Hausfrau.‘ ‚Bauern? Wie groß wareure Landwirtschaft?‘ Er blätterte in einem Heft. Ich sah die Über-schrift ‚Bauernkinder‘ und die Zeile ‚bis 7 ha‘ unterstrichen! Ichsagte: ‚Sieben Hektar.‘ Dass mein Vater noch weitere fünf Hektargepachtet hatte, verschwieg ich. ...“ – Monika Oehmig schreibtunter dem Titel „August 1968“, der Zeit des Einmarsches der sow-jetischen Truppen in die damalige CSSR, von einem Liebesaben-teuer mit jähem Ende: „Um den Augenblick festzuhalten, batmich mein Geliebter, dass ich mich mit viel, wenig oder ohne Klei-dung ablichten lasse. ... Urplötzlich tauchte auf dem Stoppelfeldein sowjetischer Jeep mit Fahrer, Offizier und einem Soldat mitaufgepflanztem Gewehr auf. ... [Der Offizier] gab uns zu verste-hen, dass im gegenüberliegenden Wald viele sowjetische Soldatenlägen. Die Wachposten hatten uns erspäht und keine Lust mehr,auf den Feind zu achten, sondern lieber auf die nackte Frau. DerOffizier wurde ziemlich ausfällig und erklärte uns, ... wenn ichmich nicht beeile, ... werde er den Fotoapparat beschlagnahmenund müsse uns mit zur Kommandantur nehmen wegen Zerset-zung der Truppenmoral.“

Auch solche Beiträge tragen wie die anderen aufgeführtenFaktoren dazu bei, dass das Buch nicht nur von historischem Wertist, sondern auch zu einem interessanten, nachdenklichen undzum Teil vergnüglichen Lesebuch wird.

Chemnitz Ulrich Krieger

Das Ende reichsstädtischer Freiheit 1802. ZumÜbergang schwäbischer Reichsstädte vom Kai-ser zum Landesherrn. Begleitband zur Ausstellung„Kronenwechsel – Das Ende reichsstädtischer Freiheit1802“. Hrsg. von Daniel Hohrath, Gebhard Weig,Michael Wettengel. Kommissionsverlag W. Kohlham-mer, Stuttgart 2002. 306 S., 94 Abb., brosch. 22,– C.(Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm, ReiheDokumentationen, Bd. 12.)

Die Bedeutung der Mediatisierung der Reichsstädte für den Auf-bau moderner Flächenstaaten ist gerade für den reichsstädterei-chen Südwesten des Heiligen Römischen Reiches nicht zu unter-schätzen. Der vorliegende Band ist mit einem großzügig bebilder-ten Katalogteil der Begleitband zu einer Ausstellung, die von sie-ben ehemaligen Freien Reichsstädten Oberschwabens getragenwird: Biberach, Buchhorn (Friedrichshafen), Kaufbeuren, Lindau,Memmingen, Ravensburg und Ulm. Er bildet eine wichtigeErgänzung zu den Begleitbänden der Großen Landesausstellung„Alte Klöster – Neue Herren“.

Eingeleitet wird der Band durch drei Aufsätze. Daniel Hoh-rath und Andreas Schmauder fassen in dem Beitrag „Schwäbi-sche Reichsstädte am Ende des 18. Jahrhunderts“ die ökonomi-sche und gesellschaftliche Problemlage zusammen und verwei-sen zugleich auf die zum Teil weitreichenden Unterschiede zwi-schen den einzelnen Städten. Dem bekannten Problemfeld Ver-schuldung und der entwicklungshemmenden ständisch zemen-tierten Herrschaftsstruktur stellen sie das vielfältig vorhandeneReform- und Modernisierungspotential gegenüber. Die Macht-verhältnisse allerdings sorgten dafür, „dass die Ansätze zu Refor-men ... nicht mehr zum Tragen kamen und ihre Bewährung in derhistorischen Wirklichkeit ungeprüft blieb“ (S. 33).

Stefan Fischer und Daniel Hohrath zeichnen „Vorphasenund Ereignisse auf dem Weg zur Mediatisierung“ nach, wobeineben den schwachen und schon bald resignativen Versuchen,den Herrschaftswechsel abzuwenden oder zumindest einige Pri-vilegien sich zu erhalten, auch die Befürworter der Mediatisie-rung in den Städten selbst zu Wort kommen: oligarchische Struk-turen und unklares Finanzgebaren ließen die aufgeklärte Verwal-tung der neuen Mittelstaaten zum Hoffnungsträger werden.

Umfangreich analysiert Georg Wieland die „Integration derStädte in die neuen Staaten“ über den Machtwechsel hinaus, derfür viele Städte mit mehrfachem Herrschaftswechsel verbundenwar und erst 1810 abgeschlossen wurde. Das Modernisierungspo-tential der neuen Ordnung entfaltete sich nur zögerlich: erst1818/1819 erhielten die meisten Städte eine moderne Gemeinde-verfassung; altüberkommenes Sonderrecht hielt sich in Bayern

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z. T. bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches1899/1900. Trotz der Vereinheitlichung von Münzen und Maßenbelebte sich Handel und Gewerbe nur langsam, und auch dieneuen gesellschaftlichen und kirchlichen Freiheiten stießen nichtsofort auf Zustimmung.

Dennoch: machtpolitisch gab es keine Chance, der Mediatisie-rung zu entgehen, und auch die romantische Verklärung derreichsstädtischen Zeit im ausgehenden 19. Jahrhundert war sichdessen bewusst. So wird dieser Prozess häufig in die „Erfolgsge-schichte“ der Mittelstaaten Baden, Württemberg und Bayern ein-gebunden und von seinem Ende her gerechtfertigt; die zweifels-ohne prekäre Lage der Reichsstädte am Ende des Alten Reichesführte zum Diktum, sie seien „reif zum Untergang“ gewesen – einUrteil, das so apodiktisch wohl nicht gerechtfertigt ist.

Mannheim Christoph Popp

Gabriele Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund1530 –1541/42. Eine Studie zu den genossenschaftli-chen Strukturelementen der politischen Ordnung desHeiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. DRW-Verlag, Leinfelden-Echterdingen 2002. XX,764 S., 1 sw-Abb., 2 Kartenbeilagen, geb. 118,– C.(Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 44.)

Diese an der Universität Tübingen als Habilitationsschrift ange-nommene Untersuchung wurde noch von Volker Press angeregt.Sie folgt dessen Anliegen, die bündischen Organsationsformender politischen Herrschaftsträger des Reiches stärker ins Blickfeldder Forschung zu rücken. Der Schmalkaldische Bund war die zen-trale Formation der Protestanten und zugleich Teil einer allgemei-nen Oppositionsbewegung gegen das sich zu Beginn der 1530erJahre wieder machtvoller präsentierende Kaisertum. Auf dieweltliche Ordnung des Reiches hat er eindeutig desintegrierendgewirkt. Verf. geht einleitend den Darstellungen des Bundes inder religions- und verfassungsgeschichtlichen Forschung nach,zeigt dabei seine Stilisierung – u. a. von protestantischer Seite alsHort reichsständischer Freiheit – und bilanziert den gegenwärti-gen Forschungsstand.

In einem Grundlagenteil wird ein chronologisch-politikge-schichtlich aufgebauter Überblick über die Rolle der protestanti-schen Stände in der Reichsgeschichte der Jahre 1530 bis 1541/42gegeben. Die vertraglichen Übereinkünfte und die Bundesverfas-sung werden vorgestellt und grundsätzliche Fragen des Einungs-wesens angesprochen. Während die Bundesverträge 1531/36 denRahmen schufen, indem sie den Inhalt des Bündnisses, das Pro-blem der Causae religionis und das Eintreten des Bündnisfallssowie den Teilnehmerkreis umschrieben, machten die Bundesver-fassungen 1535/36 das Bündnis zu einem „realhistorisch wirk-mächtigen Handlungszusammenhang“ mit weitreichenden Fol-gen für das Reich. Eine begriffliche Charakterisierung des Bundesals Glaubensbündnis führt nach der Verf. in die Irre. Vielmehrwird die Verschränkung von Religion und Gegenwehr aufge-zeigt, die sich aus der 1535 und 1536 unterschriebenen „Verfas-sung zur Gegenwehr“ ergab.

Verf. erläutert die Genese des Bündnisses, seine Struktur undMitgliederentwicklung. Dabei wird deutlich, dass das Bündnisaus regional begrenzten Kommunikationsgemeinschaftenbestand, die von einigen Ausnahmen abgesehen nicht über denoberrheinischen, sächsischen und schwäbischen Reichskreishinausreichten. In einem weiteren Teil der Untersuchung wirddas schmalkaldische Bündnis als Handlungsraum vorgestellt, dieBedeutung für die einzelnen Mitglieder, das innerbündische Kon-fliktpotential, das sich u. a. aus den Versuchen ergab, Territorial-politik und Bundespolitik zu koppeln, die aber stets an der passi-ven Resistenz der Stände scheiterten. Eine Ausnahme bildeteallein der Konflikt der Stadt Goslar mit Herzog Heinrich d. J. vonBraunschweig. Zweck, Anlass, Einberufung des Bundestages,Beschickung, Verfahren und Abstimmungsprozesse, Kosten, Ver-handlungsgegenstände, äusserer Ablauf, Abschied werden aufder Basis umfassender Quellenstudien ebenso dargestellt undanalysiert wie Personenkreis und Persönlichkeitsprofil, Bestal-lung und Rolle der Funktionsträger, der Hauptleute und Kriegs-

räte, die Hilfspflicht und Finanzverfassung. Ein eigenes Kapitelist dem Thema Schmalkaldischer Bund und Reformation gewid-met, eine prosopographische Analyse den schmalkaldischenRäten und städtischen Delegierten. Im Anhang werden dieSchmalkaldischen Tage aufgelistet, Tabellen und Nachweise zurFinanzverfassung erbracht und Kurzbiographien der fürstlichenRäte und städtischen Vertreter und der Kriegsräte vorgelegt.

Die Verf. konstatiert an einer Stelle, dass die Geschichte desSchmalkaldischen Bundes nicht geschrieben sei. Sie wird auchmit diesem grundgelehrten Werk nicht geliefert. Man mag esbedauern, dass nicht die ganze Geschichte des Bündnisses vonseinen Anfängen 1530/31, der Zug gegen Herzog Heinrich d. J.von Braunschweig 1542 und das dramatische Ende 1547 in denBlick genommen wurde, muss aber die Begründung der Verf. alsüberzeugend anerkennen. Die nahezu erdrückende Menge deshier bereits verarbeiteten Quellenmaterials lässt erahnen, was fürdas folgende ereignisreiche halbe Jahrzehnt noch zu erwarten ist.

Münster Hans-Joachim Behr

Internet-Handbuch Geschichte. Hrsg. von StuartJenks und Stephanie Marra. Böhlau Verlag, Köln –Weimar – Wien 2001. X, 294 S., brosch. 19,90 C.Das Internet hat nach etwa einem Jahrzehnt seiner Existenz

bereits alle Bereiche der Geschichtswissenschaft und ihrerbenachbarten Gebiete erfasst und mehr oder weniger stark beein-flusst. Mit dem hier anzuzeigenden Internet-HandbuchGeschichte, das in Weiterentwicklung zu älteren „Internet für His-toriker“-Büchern die Beherrschung der Internet-Grundlagen und-techniken voraussetzt, wollen die Herausgeber, der ErlangerMediävist Stuart Jenks und die Dortmunder Frühneuzeitlerin Ste-phanie Marra, „ein möglichst differenziertes Bild über die Gege-benheiten im zumeist deutschsprachigen Internet vermitteln“ (S.IX). Es sei bereits vorweggenommen, dass dies den 15 Autorenhervorragend gelingt.

Einen Überblick über „die Entwicklung des PCs und derrechnerbasierten Telekommunikationstechnik [...] – von derWarte der Geschichte aus“ (S. 1) gibt der einführende Aufsatz vonLynn Nelson. In den fünf Beiträgen zu den einzelnen histori-schen Epochen von Andreas Brunn (Ur- und Frühgeschichte),Ulrich Schmitzer (Alte Geschichte), Jenks (Mittelalter), Marra(Frühe Neuzeit) und Ralf Blank (Neueste Geschichte und Zeitge-schichte) werden anhand besonders gelungener oder problemati-scher Online-Angebote exemplarisch die wesentlichen Aspektevon Geschichtsforschung im Internet vorgestellt: UniversitäreForschung, Quellenpublikationen, Historische Hilfswissenschaf-ten und spezielle Themen, auch Fachportale, Datenbanken,Online-Fachzeitschriften und Bibliographien. Die Situation derLandesgeschichte im Netz stellen Georg Köglmeier und DanielSchlögl am Beispiel Bayerns vor. Waltraut Buschbacher undElisabeth Erdmann beleuchten im Rahmen der Geschichtsdi-daktik die Verwendung des Internets in Schulen und Universitä-ten. Sie gehen auch auf die Schulung der Medien- und methodi-schen Kompetenz sowie der Quellenkritik ein. In ähnliche Rich-tung zielen die „Kriterien zur Bewertung von thematischen Inter-netangeboten“ von Marra in ihrem Beitrag über Online-Angebotezwischen Popularität und Wissenschaft (S. 261–264) und derabschließende Essay von Jenks, der anhand einer im Internet alsseriös hochgelobten akademischen Persiflage die Notwendigkeitzu einer ausgeprägten Kritik aller Online-Inhalte plastisch vorAugen führt. Patrick Sahle beschreibt in seinem Beitrag überdigitale Editionstechniken und historische Quellen die noch rechtheterogenen Ansätze innerhalb der digitalen Formen und ihreEntwicklungstendenzen. Er entdeckt hier nicht nur die Nutzungspezieller technischer Möglichkeiten, sondern sieht die Fragenach Sinn und Funktion von Quellenerschließung neu gestellt.Aus den der Geschichtswissenschaft nahestehenden Bereichenwerden Bibliotheken und Sondersammelgebiete (Marianne Dörr,Wilfried Enderle), Archive (Wilfried Reininghaus) sowieMuseen (Thomas Schuler) behandelt. All jenen, die selbst Inhalteins Internet stellen, sei der Beitrag von Blank und Marra anemp-fohlen, der überzeugend die Notwendigkeit und Möglichkeitenvon Besucherforschung und Qualitätsmanagement darlegt.

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Die durchwegs klar gegliederten Beiträge zeigen stets auchPerspektiven und Wünsche für die weitere Entwicklung auf, wieetwa die Vision eines vernetzten Informationssystems virtuellerRessourcen statt der bestehenden Informationsflut oder dieAnwendung des so genannten Dataminings auf die Geschichteund ihre Quellen (S. 63–68). Die kompletten Adressen dererwähnten und einiger besonders empfehlenswerten Internetsei-ten sind, neben den üblichen Anmerkungen in Fußnoten, als End-noten angegeben. Diese Adressen stehen lobenswerterweise auchals so genannter externer „elektronischer Anhang“ im Netz(www.erlangerhistorikerseite.de/geschichte). Ein Anhang miteiner ausgewählten Bibliographie, einem Glossar zu technischenBegriffen und Abkürzungen sowie einem Sachregister dererwähnten Internetangebote rundet das Handbuch ab.

Auch wenn manche Beschreibungen und Bewertungen bei derSchnelllebigkeit des Internets bereits überholt sind (für aktuellereBewertungen sei auf die Virtual Library Geschichte Deutschlandunter www.vl-geschichte.de verwiesen), so liefert das Internet-Handbuch Geschichte doch grundsätzliche Informationen inklassischer Handbuch-Qualität, die es nicht nur für Studenten,Schüler und historische Laien rundweg empfehlenswert machen.

Wertheim Monika Schaupp

Ulrich Kiehl, Die Literatur im Bezirk Leipzig1945–1990. Eine Bibliographie der Bücher und Zeit-schriften. Bibliographien: Buch, Bibliothek, Literatur.Bd. 4. Harrassowitz Verlag Wiesbaden, 2002. 661 S., Pp.80,– C.

Die Olympiabewerbungsstadt Leipzig kann auch mit ihrer Litera-tur wuchern. So jedenfalls ist der Eindruck, wenn man UlrichKiehls Bibliographie „Die Literatur im Bezirk Leipzig 1945–1990“,vom Harrassowitz Verlag Ende 2002 herausgebracht, zur Handnimmt. Der heutige Leiter des Literaturarchivs in der Stadtbiblio-thek Leipzig, der bereits zu DDR-Zeiten mit Hörspielen im Rund-funk der DDR und Veröffentlichungen in Anthologien sowie Zeit-schriften hervortrat und Absolvent des Leipziger Literaturinsti-tuts „Johannes R. Becher“ war, hat sich mit der vorgelegten Biblio-graphie das Ziel gesetzt, einen zusammenfassenden Überblicküber die Literatur von Stadt und Region (später Bezirk) Leipzig zugeben, welche im o. g. Zeitraum entstand. Dabei will er sie alsAusschnitt eines Abbildes von 45 Jahren territorialer Zeit- undKulturgeschichte verstanden wissen, die in wesentlichen Teilenimmer mit der wechselvollen Geschichte der DDR (vorherGeschichte der Sowjetischen Besatzungszone), vor allem ihrerLiteraturgeschichte, eng verbunden war. Diesem Anliegen wirder in vielfältiger Weise gerecht.

Der Bibliographie ist ein einführender Essay vorangestellt, indem in mehreren Abschnitten Entwicklungsetappen der Leipzi-ger Literatur charakterisiert werden. Es wird nachgewiesen, wieLeipziger Schriftsteller und Dichter in der konfliktreichen Ausei-nandersetzung mit den damaligen gesellschaftlichen Verhältnis-sen und Zeitereignissen nicht nur regionale Wirksamkeit erreich-ten, sondern darüber hinaus Impulsgeber für die Literatur in derDDR waren. Autoren wie z. B. Bruno Apitz, Helmut Baierl, HeinzCzechowsky, Werner Heiduczek, Wieland Herzfelde, Erich Loest,Georg Maurer, Ferdinand May, Gerhard W. Menzel, Hans Pfeiffer,Gunter Preuß, Hildegard Maria Rauchfuss, Helmut Richter, MaxWalter Schulz, Valerian Tornius, Gerhard Zwerenz gehörten u. a.dazu. Unterbrochen wird der Essay durch Darstellungen überden gesamtdeutschen Schriftstellerkongress von 1947 in Berlin,über Hans Mayer und Ernst Bloch in Leipzig und über das Institutfür Literatur „Johannes R. Becher“.

Breiten Raum widmet Kiehl der Zeit des Neubeginns (1945 bis1953), als sich eine keineswegs homogene Gruppe unter dem ers-ten Geschäftsführer des neugegründeten SchriftstellerverbandesSachsen, Arbeitskreis Leipzig, Kurt Herwarth Ball, sammelte undzu wirken begann. In diese Zeit fällt auch „Der Fall Loest“, der mitkritischen Äußerungen des damaligen Vorsitzenden des Schrift-stellerbezirksverbandes an der Pressearbeit in Verbindung mitden Ereignissen des 17. Juni 1953 zusammenhing. In anderenAbschnitten erfährt der Leser u. a., welche Haltung LeipzigerLiteraturschaffende zum „Bitterfelder Weg“ einnahmen oder wel-

che Auswirkungen das 11. Plenum des ZK der SED vom Dezem-ber 1965 auf die Leipziger Kulturszene hatte. Interessant sindauch die angeführten unterschiedlichen Meinungen LeipzigerAutoren zur Ausbürgerung Wolf Biermanns vom November1976.

Im Aufsatz wird die zugespitzte Situation im Herbst 1989unter dem Aspekt der Tätigkeit des Schriftstellerbezirksverban-des Leipzig widergespiegelt. So bekommen wir z. B. Kenntnisvon einer Erklärung des Vorstandes des Leipziger Schriftsteller-verbandes, in der Ende Oktober 1989 von der DDR-Führunggefordert wird, notwendige wirksame Schlussfolgerungen ausder angespannten Lage zu ziehen. Ausführlich geht der Autor ineinem Epilog auf das Ende des Literaturinstituts in der Karl-Tauchnitz-Str. 8 ein, indem gezeigt wird, wie es trotz massivenWiderstands – Institutsdirektor Prof. Helmut Richter quittiertesogar Ende 1992 seinen Dienst – zur endgültigen Schließung imSommer 1993 durch die sächsische Landesregierung kam.Durch die geschickte Einbeziehung von zahlreichen Publikations-beispielen sowie authentischen Materials werden die Ausführun-gen für den Leser lebendig und plastisch. – In der anschließendenBibliographie wurde das literarische Werk von etwa 250 Autoren,Übersetzern sowie Literaturwissenschaftlern ausgewertet, die inder Zeit von 1945 bis 1990 in der Region Leipzig lebten und wirk-ten. Hinzu kommt die Primärliteratur, die vom erwähnten Perso-nenkreis in Anthologien und Zeitschriften der DDR im genanntenZeitraum erschien. Darüber hinaus wurde in der Rubrik „ÜberLeben und Werk“ die Bewertung der Veröffentlichungen durchdie offizielle DDR-Literaturkritik als Sekundärliteratur aufge-führt. Wertvoll sind auch die verfassten Kurzbiographien zu denjeweiligen Autoren. Insgesamt wurden 6992 Dokumente (Primär-und Sekundärliteratur) verzeichnet. Für alle Recherchierendenein wahrer Fundus an Informationen, mit dem Leipzig auch dannwuchern kann, wenn es – wider Erwarten natürlich – mit Olym-pia nicht klappen sollte. Übrigens, wer an weiteren Informationenzu einigen Leipziger Autoren interessiert ist, kann ihre Vor- undNachlässe im Literaturarchiv der Stadtbibliothek nutzen.

Leipzig Günther Röska

Olpe – Geschichte von Stadt und Land. Bd. 1: Vonden Anfängen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges.Red.: Günther Becker, Josef Wermert und ManfredWolf. Hrsg. im Auftrag der Stadt Olpe. Selbstverlagder Stadt Olpe, Olpe 2002, 968 S., 300 Abb., Ln. 28,90 C.

Nach Werl (1994), Medebach (1994) und Rüthen (2000) reiht sichOlpe in die Städte des ehemaligen Herzogtums Westfalen ein, diein den vergangenen Jahren eine nach den Grundsätzen dermodernen Stadtgeschichtsforschung verfasste Ortsgeschichteerarbeitet haben. Von der auf insgesamt fünf Bände konzipierten„Geschichte von Stadt und Land Olpe“ gab die Stadt Olpe 2002 imSelbstverlag den ersten Band heraus. Er umfasst die Anfänge derGeschichte bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Der das 20. Jahr-hundert thematisierende 2. Band soll bis zur 700-Jahrfeier derStadt Olpe 2011 vorliegen, der 3. Band, das Plattdeutsche Wörter-buch für Olpe und das Olper Land, erscheint voraussichtlichschon vorher in den nächsten Jahren. Als 4. und 5. Band sind einBild- und Dokumentarband sowie ein Register geplant.

Allein der Umfang des ersten Bandes – knapp 1000 Seiten mitca. 300 schwarz-weiß Abbildungen – verdeutlicht, dass die OlperStadtgeschichte ein Werk von bleibender Bedeutung ist, aber auchwie notwendig eine umfassende Gesamtdarstellung der Stadtge-schichte war. Die vorliegende Konzeption bezieht jene Gemein-den in die Betrachtung ein, die 1969 im Zuge der kommunalenNeugliederung Teil der Stadt Olpe geworden sind. Abgeschlos-sene Dorfgeschichten bietet der Band jedoch nicht, vielmehr wer-den einzelne Ortschaften in verschiedenen Beiträgen beispielhaftfür das Olper Land herangezogen. Lediglich bei den Landpfar-reien und Kapellen, dem Volksschulwesen und im statistischenAnhang wird man umfassender über einzelne Dörfer informiert.Angebracht wäre sicher, im geplanten zweiten Band näher auf dieEntwicklung der Dörfer einzugehen, ohne dass deswegen von derOlper Stadtgeschichte als Schwerpunkt abgewichen werdenmuss.

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Band 1 gliedert sich nach einer Zeitleiste (J. Wermert) in fol-gende größere Kapitel: Raum und Besiedlung; Politik, Wirtschaft,Sozialstrukturen; Kirchen, Glaubensgemeinschaften und Schu-len; Biographien/Prosopographie. Diesen schließen sich einumfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis an. Die 34 Bei-träge – sie sind zwischen 4 und über 50 Seiten lang – wurden von18 Autorinnen und Autoren geschrieben, wobei einige mehrereTexte verfasst haben.

Im ersten Kapitel werden die naturräumlichen Grundlagenund die siedlungsgeschichtliche Entwicklung des Olper Raumes(beides G. Becker) skizziert. Letzterer Text wird um die Erläute-rung der Stadtgeographie mit einem Schwerpunkt auf dem Stadt-brand von 1795 und dem danach folgenden planmäßigen Wieder-aufbau ergänzt (P. Weber). Das rund 450 Seiten umfassendezweite Kapitel wird durch Beiträge bestimmt, die zum einen denVerlauf der politischen Entwicklung der Stadt Olpe vom Mittelal-ter bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (B. Isphording,A. Schröder, M. Schöne) schildern, zum anderen die dortigenVerhältnisse in die politischen Verfassungs- und Verwaltungs-strukturen einordnen. Das gelingt insbesondere Elisabeth Kloos-terhuis, die weit über die Ortsgeschichte hinausgeht und mitihrem Text „Kurköln und das Herzogtum Westfalen“ einen Bei-trag liefert, der in der Diskussion zu diesem bis heute nichtabschließend behandelten Thema eine Rolle spielen wird. Ebensoist hier der Aufsatz über „Verfassung und Verwaltung in preussi-scher Zeit“ von Norbert Wex zu nennen, der sich thematisch anKloosterhuis anschließt, aber noch stärker und quellenorientierterdie Olper Verhältnisse berücksichtigt. Schließlich vertiefen wei-tere Beiträge zum 19. Jahrhundert die Wirtschaftsgeschichte(R. Stremmel) und verschiedene sozialgeschichtliche Aspekte,wie Sozialfürsorge und Gesundheitswesen sowie Bevölkerungund Sozialstruktur (beides H.-B. Thieme), das Vereinsleben derStadt (J.-C. Kaiser) und politische Organisationsformen (C.Leitzbach).

Schwerpunkt des größeren Kapitels zu Kirchen, Glaubensge-meinschaften und Schulen sind zwei Beiträge von Manfred Wolfzur Geschichte der Pfarrei St. Martinus von der Frühzeit bis um1900. Von besonderem Interesse dürften die Ausführungen Wolfsüber die Entstehung der Pfarrei sein, da er den Thesen des Lan-deshistorikers Hömberg widerspricht, der die Kirche in Olpe alseine Gründung der Mutterkirche Attendorn ansah und von einemursprünglichen Johannespatrozinium ausging. Wolf zeigt dage-gen die durch Indizien belegbare Möglichkeit auf, dass die PfarreiOlpe zur Karolingerzeit entstanden ist und auf eine fränkischeSiedlung und ehemaliges Reichsgut zurückgeht. Er weist außer-dem plausibel nach, dass St. Martinus der ursprüngliche Patronder Olper Kirche war. Wolfs Ausführungen folgen die entspre-chend ihrer im behandelten Zeitraum geringeren stadtgeschicht-lichen Bedeutung kürzeren Beiträge über die Evangelische Kir-chengemeinde (H.-B. Thieme) und jüdische Familien (G. Kem-per), wobei diese beiden Themen sicher im zweiten Band aus-führlicher behandelt werden. Es schließen sich Texte zu denVolksschulen (M. Linten) und dem Höheren Bildungswesen(S. Stickeler) an.

Das letzte Kapitel enthält neben sechs biographischen ArtikelnAngaben und Aufstellungen zu Ehrenbürgern der Stadt, Einwoh-nerzahlen, Bürgermeistern, Landräten, Pfarrern, Auswanderern,Gefallenen und Schützenkönigen. Allein schon diese Übersichtenmachen die Olper Stadtgeschichte zum unentbehrlichen Nach-schlagewerk.

Dem Herausgeber (J. Wermert) der Olper Stadtgeschichte istes gelungen, gut lesbare und wissenschaftlich fundierte Beiträgein einem voluminös geratenen Band zu vereinen, der es einembreiten Personenkreis ermöglicht, tiefere Einblicke in die Ent-wicklung der Stadt Olpe zu nehmen. Den Rezensenten haben mit-unter die undifferenzierten Überschriften einzelner Beiträgegestört. So ist beispielweise der Text „Die Stadt Olpe“ zwar unterder Zwischenüberschrift „Olpe in der Frühen Neuzeit“ eingeord-net, doch wird das bei der Zitierung des Textes nicht mehr deut-lich. Vielleicht sollte man darauf beim zweiten Band achten, dadurch konkretisierendere Überschriften auch ein schnelleresNachschlagen ermöglicht wird. Abgesehen von dieser Neben-sächlichkeit zeichnet sich die Olper Stadtgeschichte dadurch posi-

tiv aus, dass viele Autorinnen und Autoren bei der Beschäftigungmit Teilaspekten der Stadtgeschichte die äußeren Rahmenbedin-gungen nicht aus dem Auge verloren haben und dem Leserdadurch zugleich ein Stück Landesgeschichte des südlichen West-falens vermittelt werden kann.

Die Stadt Olpe kann mit Stolz auf den ersten Band ihrer neuenStadtgeschichte blicken. Der im Verhältnis zur Qualität überausgünstige Preis des Bandes dürfte dazu beitragen, dass er auf einebreite Nachfrage trifft und darüber hinaus Interesse und Neugierauf die kommenden Bände geweckt wird.

Bad Oeynhausen Rico Quaschny

Preußen an Peel, Maas und Niers. Das preußischeHerzogtum Geldern im 18. Jahrhundert. Hrsg. von Ste-fan Frankewitz. Verlag B.o.s.s. Druck und Medien,Kleve 2003. 391 S. mit zahlr. Abb., geb. 25,– C.

Das umfangreiche, reich illustrierte Werk ist Begleitband zu einerAusstellung über die Geschichte des preußischen Gelderlandesim 18. Jahrhundert im Preußenmuseum zu Wesel. Bei dem auseiner Initiative des Stadtarchivs Geldern erwachsenen Projekthaben deutsche und niederländische Partner eng zusammengear-beitet. Anlass war die 300-jährige Wiederkehr der Eroberung derFestung Geldern durch preußisch-brandenburgische Truppen,mit der die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, dass Preu-ßen zehn Jahre später im Frieden von Utrecht den Hauptteil desOberquartiers Geldern erwarb. Preußen rundete damit seinenBesitz am Niederrhein ab, der fortan durch zwei starke Festungen– Geldern und Wesel – gesichert schien. Die zunächst recht engenBeziehungen zum neuen Landesherrn und seiner Hauptstadtreduzierten sich indes bald auf ein Minimum, als Friedrich II. mitder Eroberung Schlesiens das Schwergewicht Preußens nach demOsten verschob.

Der preußische Anteil umfasste gerade 15% des alten Herzog-tums Geldern. Keine hundert Jahre hat das behandelte Gebiet zuPreußen gehört, und nur ein Teil davon ist nach 1815 zur Rhein-provinz zurckgekehrt. Eine zu kurze Zeit, um in Anbetracht derLage, fernab den Kernlanden der Monarchie, bei einer zudemnoch überwiegend katholischen Bevölkerung starke Anhänglich-keiten zu entwickeln. Die preußische Herrschaft hinterließ ihreSpuren, doch blieb Geldern ein Sonderfall, kulturell, konfessionellund wirtschaftlich den Niederlanden eng verbunden. Für dieZentralisierung und Ausbildung des modernen Beamten- undMilitärstaates fehlten hier die sozialen Grundlagen, zumal Preu-ßen den Ständen im Abtretungsvertrag mit Österreich ihre über-kommenen Rechte, wie Versammlungsfreiheit, Steuerbewilli-gung und Mitwirkung bei der Gesetzgebung, verbrieft hatte unddiese Verpflichtung auch im großen und ganzen einhielt. Für Ber-lin war das umso weniger problematisch, als die westlichen Pro-vinzen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts längst zu poten-tiellen Tauschobjekten herabgesunken waren, hauptsächlich nochvon fiskalischem Interesse.

Es ist die Geschichte einer Grenzlandschaft, die in der Ausstel-lung und dem Begleitband in ihren verschiedensten Facetten auf-gearbeitet und dargestellt wird. Dabei wird ein buntes vielseitigesPanorama geboten. Die von deutschen und niederländischenWissenschaftlern verfassten Beiträge spannen einen weitenBogen. In grundlegenden Artikeln stellt V. Veltzke Kriegführungund preußische Machtpolitik am Niederrhein dar. Einen Schwer-punkt der Ausstellung nimmt die Belagerung und Eroberung derFestung Geldern ein, dazu kommen die Topographie, bisherweniger bekannte Karten und Pläne aus der Staatsbibliothek PKin Berlin, Stadtbild, einzelne Bauten und eine nach dem Vorbilddes deutschen Städteatlas i. w. aus dem Urkataster erarbeitete his-torische Karte der Stadt Geldern. Die Rolle der Festungen Geldernund Wesel, Geldern im Titel und Wappen der Könige von Preu-ßen, deren Besuche in der neuen Provinz werden ebenso themati-siert wie Verwaltung, Behörden, Gouverneure, Rittersitze, Gren-zen, Wirtschaft und Gewerbe, Alltagskultur, Religion, Bildung,Musik und dabei auch einige umfangreiche Quellen wie Ritter-matrikel und Gewerbetabellen abgedruckt. Ein letztes Kapitelbefasst sich mit Gedenkfeiern und Erinnerungsstücken an diepreußische Zeit. Die Geschichte dieses Landstriches zwischen

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dem Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges und dem Friedenvon Basel ist von den Autoren des Bandes umfassend aufgearbei-tet worden. Darin liegt sein bleibender Wert.

Münster Hans-Joachim Behr

Rolf Sprandel, Das Würzburger Ratsprotokoll des15. Jahrhunderts. Eine historisch-systematische Ana-lyse. Verlag Ferdinand Schöningh, Würzburg 2003. XIII,331 S., 11 Abb., 1 Karte, kart. 24,80 C.(Veröffentlichungen des Stadtarchivs WürzburgBand 11.)

Anlässlich des 2004 bevorstehenden 1300-jährigen Jubiläums vonBurg und Stadt Würzburg wurde auf Initiative des Stadtarchivsder erste Band einer umfassenden, primär aus den eigenenArchivquellen schöpfenden Stadtgeschichte herausgegeben(Ulrich Wagner, Hrsg.: Geschichte der Stadt Würzburg, Bd. 1: Vonden Anfängen bis zum Ausbruch des Bauernkriegs, Würzburg2001). Unter den 26 Autoren befand sich auch der Verfasser dervorliegenden Monographie, Rolf Sprandel, ehemals Ordinariusdes Instituts für Geschichte der Universität Würzburg. Bei seinenRecherchen für die Abschnitte „Wirtschaftsgeschichte“ und„Rekonstruktion des Marktviertels“ der Würzburger Stadtge-schichte stieß Sprandel auf eine bisher wenig bekannte und aus-gewertete Quelle, das seit 1432 fortlaufend geführte Ratsprotokolldes sog. „Niederen“ oder „Unteren Rats“. Um die seines Erach-tens zu Unrecht unbeachteten Protokolle des eigentlichen Würz-burger Stadtrats einem breiteren Kreis von Interessierten bekanntund nutzbar zu machen, hat der Verfasser sich der aufwendigenund entsprechend verdienstvollen Mühe unterzogen, die erstensieben Protokollbände von 1432 bis 1500 inhaltlich auszuwertenund die beeindruckende Fülle der entnommenen Informationenthematisch gegliedert in Paraphrase zu publizieren.

Es handelt sich demnach um keine Quellenedition in Analogiezu den bekannten „Ratsverlässen“ des Nürnberger Staatsarchivs,wie sie von Hampe (1904), Stahl (1983) und Schieber (1995) vorge-legt worden sind. Sprandel sondiert die Würzburger Ratsproto-kolle nach einem Raster, das er als historisch-systematische Ana-lyse bezeichnet. Die strukturierenden Gesichtspunkte werden beidiesem Verfahren nicht von einer forschungsbedingten Frage-oder Problemstellung vorgegeben, sondern ergeben sich zwang-los aus den immer wiederkehrenden Themen und Tagungsord-nungspunkten, mit denen sich der Würzburger Unterrat bei sei-nen Sitzungen beschäftigen musste. Auf diese Weise löst Sprandelnoch ein weiteres methodisches Problem: Ein Querschnitt durchdas Alltagsgeschäft der Stadtpolitik ist eigentlich nur schwer miteiner längsschnittartigen Darstellung über 68 Jahre hinweg ver-einbar, weil die synchrone Untersuchung auf andere Interdepen-denzen als eine diachrone Analyse abzielt. Beim Leser wird dabeivorausgesetzt, dass er sich hinsichtlich der politischen und sozia-len Strukturen des spätmittelalterlichen Würzburg mit seinerfürstbischöflich limitierten Ratsherrschaft ausreichend auskenntund die gebotenen Informationen einzuordnen weiß. Insofernhandelt es sich um eine anspruchsvolle Lektüre, auch wenn dienach Sachgruppen geordneten Inhalte der Protokolle oft in reges-tenhafter Kürze und Einfachheit erzählt werden. Der Verfasserlegt auf eine quellennahe Darstellung sogar besonderen Wert undzitiert deshalb häufig im modernisierten Wortlaut, wodurch dieSchilderung von Gerichtsstreitigkeiten, Rüstungen, Fehden, Krie-gen, Problemen der öffentlichen Ordnung, An- und Verkauf vonGrundstücken usw., kurzum alles, was der Rat im politischen All-tagsgeschäft zu regeln hatte, Anschaulichkeit und Unmittelbar-keit gewinnt.

Wer also – gerade auch als interessierter Laie – stadtgeschicht-lich vorgebildet ist, bekommt ein farben- und facettenreiches Bilddes alten Würzburg im Spiegel des politisch (weitgehend) verant-wortlichen Rats geboten. Die Palette der Themen reicht vom agie-renden „Rat“ über „Klimaschwankungen“, „zivilisatorische Eng-pässe“, „Friedlosigkeit/äußere Gefahren“, „Druck der Herr-schaft“, „bürgerlich-geistlicher Antagonismus“ bis zu „Verar-mung der Stadt“ sowie „innere Spannungen“. Unschwer ist zuerkennen, dass trotz aller Verflochtenheit in die LandesgeschichteFrankens und in die deutsche Geschichte die typischen Probleme

einer mittleren Kommune und die Alltagsgeschichte überwiegen.Das war wohl bisher der Hauptgrund dafür, dass das Ratsproto-koll seitens der mehr an der hohen Politik orientierten Forschungwenig Interesse gefunden hat. Zu Unrecht, denn die Quelle kannzu den frühesten städtischen Protokollserien überhaupt gerech-net werden und besitzt zudem den Vorzug, in geschlossenerÜberlieferung vorzuliegen. Sprandels Überblick kann deshalb dieTätigkeit des Würzburger Stadtrates, die Würzburger Lokalpoli-tik in all ihren Aspekten und das städtische Leben von ehedemüber einen Zeitraum von beinah 70 Jahren fast lückenlos doku-mentieren und bietet sich geradezu für vergleichende, insbeson-dere überregionale Studien aller Art an.

Gerade weil dies so ist, sei zum Schluss auch ein Wort der Kri-tik an dem sonst rundum gelungenen Werk gestattet: Warum fol-gen die Zitate nicht öfters der Textgestaltung, wie sie seit Schultze(1966) und dem Jahrbuch der historischen Forschung (Berichts-jahr 1980) für frühneuzeitliche Texte festgelegt worden ist? Diealte Diktion erscheint häufig sprachlich sehr geglättet, was zwardie Lesbarkeit erhöht, aber zweifellos einen Verlust an Originali-tät bedeutet. Weiterhin werden viele Bürger und Bauern – also diesog. kleinen Leute – nicht mit Namen, sondern nur mit ihrenTätigkeiten, Berufen, Herkunftsorten etc. genannt. Das liegt nichtimmer an der Quelle. Wenn aber z. B. Rotschmiede, Büchsenmeis-ter und andere qualifizierte Handwerker aus Gewerbezentrenwie dem benachbarten Nürnberg aufgeführt werden, ist es wenighilfreich, dass ihre Namen – sofern vorhanden – nicht generellangegeben werden. Wer hier hofft, auf bekannte Persönlichkeitenzu stoßen, muss selbst im Stadtarchiv recherchieren. Dabei ist dasBuch mit einem ausführlichen Gesamtregister versehen und ten-denziell sehr benutzerfreundlich ausgelegt. Es ist und bleibt trotzder bemängelten Punkte auf absehbar lange Sicht das einzige undwichtigste Werk, das die neue Quelle „Ratsprotokoll“ bis zumJahr 1500 erfasst und erschließt – ein neues Standardwerk derWürzburger Stadtgeschichte.

Bochum Wilfried Tittmann

Thomas Urban, Überleben und Sterben vonZwangsarbeitern im Ruhrbergbau. Ardey-Verlag,Münster 2002. 178 S., brosch. 12,90 C.(Forum Regionalgeschichte 9.)Thomas Urban untersucht in seiner materialreichen Studie, die

auf seiner Magisterarbeit basiert und 27 Schachtanlagen derHibernia Bergwerksgesellschaft, der Harpener Bergbau AG undder Essener Steinkohlenbergwerke berücksichtigt, den „Arbeits-einsatz“ von Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen im Ruhr-bergbau. Nach einem kompakten Überblick zum Forschungs-stand, zur Quellenlage, zur Organisation des „Ausländereinsat-zes“ und zum Begriff „Zwangsarbeit“ untersucht er zunächst dieersten Kriegsjahre, für die er einen schleichenden Übergang vonder Anwerbung Freiwilliger zur zwangsweisen Ausländerbe-schäftigung konstatiert. Wie der Autor im folgenden Kapitelüberzeugend darlegt, verfestigte sich diese Entwicklung 1942insofern, als – zurückgehend auf eine Initiative Paul Pleigers undder Reichsvereinigung Kohle – fortan sowjetische Kriegsgefan-gene und Zivilarbeiter unter Zwang im Ruhrbergbau arbeitenmussten. Sie stellten dort im August 1944, zusammen mit den ita-lienischen Militärinternierten, etwa 120.000 Personen und damitein Drittel der Gesamtbelegschaft.

Resümieren lassen sich Thomas Urbans Forschungen, die füreine Magisterarbeit ein sehr hohes Niveau aufweisen, vielleichtso: Der Ruhrbergbau war infolge notorischen Arbeitskräfteman-gels und trotz einer hohen Quote unabkömmlich gestellter Berg-arbeiter ein bevorzugtes Feld des „Ausländereinsatzes“. Zudemboten die Produktionsbedingungen unter Tage den Verfechterneiner rassistischen Segregation die Gewähr, dass hier Arbeit undRepression in Einklang zu bringen waren. Unter Tage wurden vorallem die sowjetischen Zwangsarbeiter auffällig oft von deut-schen Arbeitern und nicht nur von Wachleuten oder Vorgesetztenmisshandelt, was von den Zechenleitungen meist stillschweigendgeduldet wurde. Das häufige Schlagen dürfte maßgeblich mitdem Gedingesystem, der unter Tage üblichen Form des Akkord-lohnes, zusammengehangen haben. In Streben, in denen das

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Kameradschaftsgedinge angewandt wurde, war die Lohnhöheder Deutschen von den Leistungen der Ausländer abhängig.Nicht wenige deutsche Kumpel versuchten unter diesen Umstän-den, aus den als „rassisch minderwertig“ stigmatisierten Zwangs-arbeitern Leistungssteigerungen herauszuprügeln. In einigenKohlestreben wurden die Ausländer auch gezwungen, das Pen-sum der deutschen Arbeiter mit zu erledigen.

Als die sowjetischen Arbeiter seit 1943 in gesonderten „Rus-senstreben“ eingesetzt und angelernt wurden, hatte das Produkti-onssteigerungen zur Folge. Die Situation besserte sich auch des-halb rudimentär, weil der Grundsatz der „Leistungsverpfle-gung“, nach dem gerade Kranken, Schwachen und Unterernähr-ten als vermeintlich „Leistungsunwilligen“ die Rationen gekürztwurden, etwas relativiert wurde. Daneben blieb allerdings diePraxis bestehen, „Leistungsunfähige“ in die Stalags zurückzu-schicken, von wo einige zum „Aufpäppeln“ in die Landwirtschaftkamen, viele andere aber nur noch starben.

An der Mitverantwortung der Unternehmen für den Zwangs-arbeitereinsatz bestehen für Thomas Urban ebenso wenig Zweifelwie an den erheblichen Entscheidungsspielräumen, die man aufden Zechen mit Blick auf die Lebens- und Arbeitsbedingungender Ausländer hatte, jedoch zu ihren Lasten weitgehend unge-nutzt ließ.

Essen Michael Zimmermann

Zwangsarbeit in Düsseldorf. „Ausländereinsatz“während des Zweiten Weltkrieges in einer rheinischenGroßstadt. Hrsg. von Clemens von Looz-Corswa-rem in Zusammenarbeit mit Rafael R. Leissa und Joa-chim Schröder. Klartext Verlag, Essen 2002. 672 S., 95Abb., geb. 22,90 C.(Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichteund zur Geschichte Nordrhein-Westfalens Band 62.)

Unter den in den letzten Jahren zahlreich erschienen Regionalstu-dien zu diesem Thema nimmt der vom Düsseldorfer Stadtarchivbetreute, hier vorzustellende Band eine herausragende Stellungein. Er setzt Maßstäbe für weitere Studien.

Hauptteil der Arbeit – und eigentlich ein eigenes Buch – ist dermit beinahe 350 Seiten gut die Hälfte des Bandes umfassendeBasisartikel „Zwangsarbeit in Düsseldorf“ der beiden jungenDüsseldorfer Historiker Rafael R. Leissa und Joachim Schröder. Inihrer klaren Einleitung stellen Leissa/Schröder die Ziele ihrer Stu-die vor: Sie soll einen Gesamtüberblick über den Einsatz ausländi-scher Arbeitskräfte in Düsseldorf bieten und auch Art und Aus-maß der Beteiligung der Stadt Düsseldorf nicht nur in Bezug aufdie Zahl, sondern auch in Bezug auf Arbeits- und Lebensverhält-nisse aufzeigen. Auf wenigen Seiten stellen die Autoren gekonntund sicher Forschungsstand und Quellenlage vor. Darüberhinaus werden in der Einleitung der Begriff „Zwangsarbeiter“und die Gründe für den „Ausländereinsatz“ ebenso knapp wiepräzise dargestellt. Um es vorweg zu nehmen: Ihrem selbstgestellten Anspruch werden die Autoren mehr als gerecht. DieGliederung ist klar und schlüssig und wird auch konsequent ein-gehalten. Jedem einzelnen Kapitel ist eine profunde Kenntnis derim wesentlichen aus dem Nordrhein-Westfälischen Hauptstaats-archiv Düsseldorf und dem Stadtarchiv Düsseldorf stammendenQuellen anzumerken. Die Recherchen vermitteln den Eindruckgroßer Sorgfalt und Gründlichkeit, wobei lobend anzumerken ist,dass es den Autoren gelingt, unter Beweis zu stellen, dass einemethodisch mustergültige, quellengesättigte und mit wissen-schaftlicher Akribie geschriebene Studie durchaus lesbar bleibenkann. Gekonnt werden immer wieder lokale Ereignisse, Befundeund Quellen in Verbindung mit Gesetzen, Verordnungen undErlassen und der Entwicklung im Reich dargestellt und interpre-tiert.

Im zweiten Kapitel „Organisation, Struktur und Entwicklungdes ‚Ausländereinsatzes‘“ stellen Leissa und Schröder zunächstden Weg von der Anwerbung freiwilliger Arbeiter zur Arbeits-verpflichtung und die Rolle des Generalbevollmächtigten für denArbeitseinsatz, Fritz Sauckel, dar, bevor das System der Vertei-lung der Arbeitskräfte mit den verschiedenen Institutionen und

Ebenen des „Ausländereinsatzes“ erläutert wird. Brillant wirddas komplizierte Geflecht von Gauleitung, Rüstungsinspektionund Rüstungskommando, Rüstungskommission und Industrie-und Handelskammer/Gauwirtschaftskammer vorgestellt.

Beispielhaft ist die Darstellung der Organisation des Auslän-dereinsatzes innerhalb der Düsseldorfer Stadtverwaltung miteinem Organigramm der Dienststelle für „Bauliche Sofortmaß-nahmen“ (S. 76/77). Porträts fast aller lokalen Entscheidungsträ-ger, angefangen vom Oberbürgermeister über den Stadtbaudirek-tor bis zu Stadtinspektoren und den Mitarbeitern der „Arbeitsein-satzstelle“, lockern die Darstellung auf. – Neben der städtischen„Abteilung für den Arbeitseinsatz“ wird auch die Rolle andereram Arbeitseinsatz beteiligter Ämter, der Organisation Todt undder Bauhilfe der Deutschen Arbeitsfront dargestellt. – BreitenRaum nimmt die Schilderung des zahlenmäßigen Einsatzes des„Ausländereinsatzes“ in Düsseldorf ein. Aussagekräftig sind diedieses Kapitel beschließenden Tabellen und Schaubilder vorallem deshalb, weil Vergleichszahlen aus dem Deutschen Reichund dem Landesarbeitsamtbezirk Rheinland (Gauarbeitsamtsbe-zirk Düsseldorf) geliefert werden.

In einem dritten Teil des Beitrages werden die Lebens- undArbeitsbedingungen der ausländischen Arbeitskräfte in Düssel-dorf aufgezeigt. Ausgehend von der rechtlichen Situation vonAusländern vor 1933 wird die Entwicklung des Ausländerrechtsim Nationalsozialismus mit den Sonderrechten (Polenerlasse,Ostarbeitererlasse) erläutert, bevor ausführlich das Lagersystemin der Stadt Düsseldorf dargelegt wird. Sehr deutlich wird geradein diesem Kapitel, dass der Schilderung nicht nur ausgezeichneteQuellen-, sondern auch eine hervorragende Ortskenntniszugrunde lag. Verpflegung und Versorgung der ausländischenArbeitskräfte werden ebenso fundiert anhand einer Fülle vonMaterial veranschaulicht wie deren medizinische Behandlung,wobei es den Autoren gelingt herauszuarbeiten, dass die Funk-tion der Behandlung nicht die Genesung des Patienten, sonderndie Wiederherstellung seiner Arbeitskraft war. Zu den Pluspunk-ten der Arbeit gehört zweifellos die ausführliche Aufarbeitungder arbeitsrechtlichen Behandlung der ausländischen Arbeits-kräfte (Sozialversicherungen, Löhne, Steuer, Arbeitszeit, Urlaub).Hervorzuheben ist zudem die Schilderung der Situation an denArbeitsplätzen von der Rolle der DAF bis zu „Arbeitsvertrags-bruch“ und „Bummelei“.

Das vierte Kapitel „Überwachung und Disziplinierung“beschreibt die menschenverachtende Behandlung von Zwangsar-beitern bei vermeintlichen und tatsächlichen Vergehen. Dabeiwird neben der Erklärung verschiedener Lagertypen auch derzunehmend brutale Einsatz der Gestapo bis hin zur euphemis-tisch „Sonderbehandlung“ genannten Tötung von Zwangsarbei-tern ohne Gerichtsentscheidung auf bloßen Antrag der Gestapoan das Reichssicherheitshauptamt verdeutlicht.

Dass mit dem Ende des Krieges bzw. mit dem Einmarsch ame-rikanischer Truppen im April 1945 Not und Leid der Zwangsar-beiter nicht beendet waren, wird im fünften und letzten Teil deut-lich, der sich mit dem Schicksal ehemaliger Zwangsarbeiter vonder Befreiung und Repatriierung bis zur Frage der Entschädigungbeschäftigt. Auch hier gelingt es den Autoren meisterhaft, denWeg der ehemaligen Zwangsarbeiter zu Displaced Persons undProbleme bei der Repatriierung aufzuzeigen.

Man merkt diesem ersten Teil des Buches nicht an, dass er vonzwei Autoren stammt, er wirkt wie aus einem Guss, die bei zweiAutoren gegebene Gefahr von Wiederholungen und Redundan-zen wurde gekonnt vermieden. Die weit über 1000 Fußnoten bele-gen die Fakten und Hinweise und bieten im Detail weitere Infor-mationen für den interessierten Leser. Fazit: Der kenntnisreicheÜberblick ist beispielhaft für eine Regionalstudie und für jeden ander Geschichte Düsseldorfs im Nationalsozialismus Interessier-ten ein absolutes Muss.

Auch der zweite Teil des Buches bietet ein Füllhorn anregenderLektüre. Hervorgegangen aus einem am Düsseldorfer Stadtar-chiv angesiedelten Forschungsprojekt besteht er aus sieben Ein-zeluntersuchungen zu Firmen, städtischen Tochterunternehmenund den beiden Kirchen, die mit einer Ausnahme jeweils etwa20–30 Seiten umfassen und einen ähnlichen Aufbau haben. DerHerausgeber weist bereits im Vorwort darauf hin, dass „die Fir-

265Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

men in ihren Beiträgen ihre Sichtweise der Beschäftigung mit demThema Zwangsarbeit“ einbrachten und der Sammelband damit„auch ein Dokument der unterschiedlichen Art und Weise [sei],wie dem Thema Zwangsarbeit noch zu Beginn des 21. Jahrhun-derts begegnet wird“ (S. 15). Gemeinsam ist den Beiträgen dieüberwiegend dürftige Quellenlage, da z. T. keine entsprechendenArchive existieren und schon während des Krieges wichtigesMaterial verloren ging. Michael Pützhofen stellt Zwangsarbeitbei den Stadtwerken Düsseldorf vor. Reinhard Manter infor-miert über Zwangsarbeit bei der Rheinischen BahngesellschaftAG. Christian Leitzbach berichtet über den Einsatz ausländi-scher Arbeiterinnen und Arbeiter bei Rheinmetall-Borsig, undvon Wolfgang Zengerling stammt der Beitrag über Ausländi-sche Mitarbeiter während des Zweiten Weltkrieges bei Henkel.Mit 70 Seiten umfangreicher ist der Beitrag von Horst A. Wesselüber „Ausländische Mitarbeiter in den Düsseldorfer Betriebender Mannesmannröhren- und der Deutschen Röhrenwerke AGwährend des Zweiten Weltkrieges“. Der aufmerksame Leser wirdsich an die Einleitung des Herausgebers erinnern, in der aus-drücklich darauf hingewiesen wird, dass „die Verfasser der jewei-ligen Beiträge für ihre Texte selbst verantwortlich“ sind (S. 15).Die Darstellung hätte etwas entschlackt werden können durchden Verzicht auf Allgemeines und durch eine gemeinsame Dar-stellung der beiden Unternehmensteile. Eine Straffung im Bereichder Übersichten und Tabellen hätte diesen Beitrag lesefreundli-cher gestaltet.

Mit den beiden wichtigen Beiträgen zu Zwangsarbeit in Ein-richtungen der evangelischen und katholischen Kirche schließlichwird dem Leser vor Augen geführt, dass auch in DüsseldorfZwangsarbeit in allen Bereichen des öffentlichen Lebens geleistetwurde. Uwe Kaminsky liefert trotz des konstatierten Mangelsan auswertbaren Quellen in souveräner Manier einen zuverlässi-gen Überblick. Die großen Einrichtungen Diakonissenanstalt inDüsseldorf-Kaiserswerth und das Evangelische Krankenhaus amFürstenwall stehen als größte Arbeitgeber im Mittelpunkt seinerDarstellung. Kaminsky arbeitet heraus, dass in den Einrichtungender evangelischen Kirche der statistische Anteil ausländischerBeschäftigter zwar im Vergleich zu Gewerbe und Industrie gerin-ger war, gleichwohl die „Teilnahme am gesellschaftlich institutio-nalisierten System der Ausbeutung ausländischer Arbeitskraft ...bewusst in Kauf genommen“ wurde (S. 526). – Anne Ostermannweist selbst darauf hin, dass ihre Ausführungen zu „Fremdarbei-tern“ in Einrichtungen der katholischen Kirche in Düsseldorf aufGrund der noch nicht abgeschlossenen Forschungen einen vor-läufigen Charakter haben. Hier darf man auf weitergehendeErkenntnisse hoffen.

Den Abschluss des Bandes bildet eine von Klaudia Wehovenmit ebenso viel Fleiß wie Akribie zusammengestellte Liste von402 Lagern, Haftstätten und Wohnplätzen ausländischer Arbeite-rinnen und Arbeiter in Düsseldorf mit auf Grund der Quellenlagesehr unterschiedlichen Angaben zu den Arbeitgebern, Art undDauer der Nutzung und Anzahl und Nationalität der Insassen.Die Ordnung der Lager nach Stadtteilen erleichtert dem Benutzerebenso die rasche Orientierung wie der dem Band beigefügte zeit-genössische Stadtplan, der eine gute Übersicht über die Vertei-lung der Lager bietet.

Knapp hundert Abbildungen lockern den Band auf, wobei dieeine oder andere Bildunterschrift durch eine quellenkritischeKommentierung gewonnen hätte (Abb. 74 Essenausgabe, Abb. 82Wöchnerinnenzimmer, Abb. 85 „Wir lernen Deutsch!“). Ein aus-gezeichnetes Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Regis-ter mit sorgfältiger Aufnahme der Straßennamen runden denBand ab.

Die Düsseldorfer können sich glücklich schätzen, das Thematrotz der nicht in allen Teilbereichen befriedigenden Quellenlageso hervorragend in einem eindrucksvollen Gesamtbild aufgear-beitet zu haben. Die Lektüre beschert eine Fülle an Erkenntnisge-winn, und selbst der mit der Materie vertraute Leser wird denBand mit Gewinn aus der Hand legen.

Hilden Wolfgang Antweiler

Kataloge zu ArchivalienausstellungenZusammengestellt von Meinolf WosteVorbemerkungen: Diese Zusammenstellung setzt die letzteÜbersicht in Der Archivar 56, 2003, S. 289 fort. Berücksichtigungkönnen nur solche Kataloge und Begleitbände zu Ausstellungenfinden, für die der Schriftleitung genaue bibliographische Anga-ben (inkl. Verkaufspreis) mitgeteilt werden.

Bayern

Bayerisches Hauptstaatsarchiv: Zwischen Newa und Isar. Blick aufbayerisch-russische Beziehungen im 19. Jahrhundert. Eine Aus-stellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs anlässlich des 200.Geburtstages des Dichters und Diplomaten Fjodor IwanowitschTjutschew. Bearb. von Gerhard Hetzer, Gerhard Immler, Elisa-beth Lukas-Götz. Generaldirektion der Staatlichen Archive Bay-erns, München 2003. 131 S. 8,50 C. (Staatliche Archive Bayerns –Kleine Ausstellungen 22.)Staatsarchiv Amberg: Vom mittelalterlichen Briefgewölbe zummodernen Staatsarchiv. Eine Ausstellung zur Geschichte desStaatsarchivs Amberg. Bearb. von Karl-Otto Ambronn undRudolf Fritsch. Generaldirektion der Staatlichen Archive Bay-erns, München 2003. 114 S., zahlr. Abb., kart. 6,10 C. (StaatlicheArchive Bayerns – Kleine Ausstellungen 20.)Staatsarchiv Augsburg: Postagenten, Schwarzsender und Sommer-reisen. Geschichte der Post in Schwaben zwischen 1808 und 1945.Eine Ausstellung des Staatsarchivs Augsburg. Bearb. von ClaudiaKalesse. Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns,München 2003. 72 S. 6,70 C. (Staatliche Archive Bayerns – KleineAusstellungen 21.)Staatsarchiv Würzburg: Wege in die Vernichtung. Die Deportationder Juden aus Mainfranken 1941–1943. Begleitband zur Ausstel-lung des Staatsarchivs Würzburg und des Instituts für Zeitge-schichte München-Berlin in Zusammenarbeit mit dem BezirkUnterfranken. Gesamtredaktion: Albrecht Liess. Generaldirek-tion der Staatlichen Archive Bayerns, München 2003. 199 S., zahlr.Abb., geb. 8,– C (in der Ausstellung) bzw. 12,10 C (außerhalb derAusstellung).

Bremen

Staatsarchiv Bremen: 700 Jahre Bremer Recht 1303–2003. Begleit-band zur Ausstellung des Staatsarchivs Bremen 28. 11. 2003 –16. 1. 2004. Hrsg. von Konrad Elmshäuser und Adolf E. Hof-meister. Selbstverlag des Staatsarchivs Bremen, Bremen 2003.376 S., 167 meist farb. Abb., geb. 38,– C. (Veröffentlichungen ausdem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen, Bd. 66.)

Sachsen

Sächsische Archivverwaltung: Passage. Frankreich – Sachsen. Kul-turgeschichte einer Beziehung 1700 bis 2000. Hrsg. vom Sächsi-schen Staatsministerium des Innern. Red.: Alke Hollwedel, JörgLudwig und Katharina Middell. mdv Mitteldeutscher Verlag,Halle/Saale 2004. 272 S., zahlr. Abb., Pappband. 25,– C. (Veröf-fentlichungen der Sächsischen Archivverwaltung. Reihe C: Aus-stellungskataloge, Bd. 2.)

Schleswig Holstein

Landesarchiv: Schleswig-Holstein und die Niederlande. Aspekteeiner historischen Verbundenheit. Katalog einer Ausstellung imLandesarchiv Schleswig-Holstein. Hrsg. von Ernst Joachim Für-sen und Reimer Witt. Red.: Marion Bejschowetz-Iserhoht.Schleswig 2003. 183 S., 66 Abb., kart. 14,80 C. (Veröffentlichungendes Schleswig-Holsteinischen Landesarchivs, Bd. 80.)Kirchliches Leben in Schleswig-Holstein im 17. Jahrhundert. Vor-träge zu einer Ausstellung im Landesarchiv. Hrsg. von MarionBejschowetz-Iserhoht und Reimer Witt. Schleswig 2003.215 S., kart. 17,50 C. (Veröffentlichungen des Schleswig-Holstei-nischen Landesarchivs, Bd. 78.)

266 Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

Stadtarchive und Archive sonstiger Gebietskörper-schaftenStadtarchiv Erlangen: Erlanger Stadtansichten. Zeichnungen,Gemälde und Graphiken aus sieben Jahrhunderten. Katalog zurAusstellung von Stadtarchiv und Universitätsbibliothek im Stadt-museum Erlangen vom 14. Dezember 2003 bis 15. Februar 2004.Hrsg. von Andreas Jakob und Christina Hofmann-Randall.Erlangen 2003. 345 S., ca. 700 Abb., kart. 29,80 C. (Veröffentlichun-gen des Stadtarchivs Erlangen, Nr. 1.)Stadtarchiv Schweinfurt: Matthäus Merian d. Ä. Ätzkünstler undVerleger. Ausstellung der Bibliothek Otto Schäfer und des Stadt-

archivs Schweinfurt vom 27. April 2003 bis 31. Oktober 2004.Schweinfurt 2003. 144 S., zahlr. Abb., kart. 18,– C. (Veröffentli-chungen des Stadtarchivs Schweinfurt, Nr. 17.)Der Stadt Schweinfurt Original-Privilegia und anderer Briefe,Bücher, Rechnungen und dergleichen. Archivalien zur Stadtge-schichte des 14. bis 16. Jahrhunderts. Ausstellung des StadtarchivsSchweinfurt, 23. Januar 2004 – 14. März 2004, Halle Altes Rathaus.Hrsg. von Uwe Müller. Schweinfurt 2004. 67 S., 44 Abb., kart.10,– C. (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Schweinfurt, Nr. 19.)

PersonalnachrichtenZusammengestellt von Meinolf Woste

Bund

Bundesarchiv

Ernannt:Oberst i. G. Dr. Hans-Joachim Harder zum LeitendenWissenschaftlichen Direktor (1. 5. 2004),Regierungsrätin z. A. Inge Schödel zur Regierungsrä-tin (27. 4. 2004),Wissenschaftlicher Angestellter Dr. Oliver Sanderzum Archivrat z. A. (23. 3. 2004),Daniel Alexander Jost M. A., Horst Henning PahlM. A. und Andreas Christian Petter M. A. zu Archiv-referendaren (3. 5. 2004),Regierungsamtsrat Michael Griebling zum Regie-rungsoberamtsrat (3. 5. 2004),Verwaltungsangestellter Thomas Machunze zumRegierungsinspektor z. A. (31. 3. 2004).

In den Ruhestand getreten:Leitender Archivdirektor Dr. Manfred Kehrig (30. 4.2004),Leitender Regierungsdirektor Dr. Gunter Holzweißig(31. 5. 2004),Regierungsoberamtsrat Joachim Lipski (30. 4. 2004).

Sonstiges:Dr. Hans-Joachim Harder, zuletzt als Oberst im Gene-ralstab stellvertretender Leiter des Militärgeschichtli-chen Forschungsamtes in Potsdam, übernahm die Lei-tung der Abteilung MA (Militärarchiv) des Bundesar-chivs in Freiburg/Br. (3. 5. 2004).

Politisches Archiv des Auswärtigen Amts

Höhergruppiert:Dr. Gerhard Keiper in die Vergütungsgruppe I b, Fall-gruppe 1 (1. 1. 2004).

Verstorben:Der frühere stellvertretende Leiter des PolitischenArchivs des Auswärtigen Amts, Vortragender Legati-onsrat a. D. Dr. Theodor Gehling, im Alter von 73 Jah-ren (21. 3. 2004).

Baden-Württemberg

Ernannt:Archivassessor Dr. Thomas Fritz bei der Landesarchiv-direktion Baden-Württemberg zum Archivrat unterVerleihung der Eigenschaft eines Beamten auf Lebens-zeit (30. 4. 2004).

Bayern

In den Ruhestand getreten:Leitender Archivdirektor Dr. Alfred Tausendpfundbeim Staatsarchiv München (1. 5. 2004).

Sonstiges:Archivdirektor Dr. Rainer Braun wurde zum Leiter desStaatsarchivs München bestellt (1. 5. 2004).

Brandenburg

Eingestellt:Diplom-Bibliothekarin Martina Bernitt bei der Lan-desfachstelle für Archive und öffentliche Bibliothekenim Brandenburgischen Landeshauptarchiv als Ange-stellte (1. 4. 2004).

Sonstiges:Die Abschlussprüfung zur Fachangestellten fürMedien- und Informationsdienste/Fachrichtung Ar-chiv haben alle Teilnehmerinnen des ersten berufsbe-gleitenden Ausbildungsganges als Externe vor demPrüfungsausschuss des Staatlichen Prüfungsamtes fürVerwaltungslaufbahnen des Landes Brandenburgbestanden (Zeugnisübergabe am 8. 3. 2004):Kathrin Böttcher-Fried (Stadtarchiv Pritzwalk),Christiane Bohnsack (Stadtarchiv Kyritz), EvelyneBrauchler (Stadtarchiv Prenzlau), Alama Domingos,Daniela Fahldieck (Stadtarchiv Finsterwalde), GabiGiering (Archiv der sozialen Demokratie der Fried-rich-Ebert-Stiftung, Bonn), Kerstin Großpietsch(Kreisarchiv Elbe-Elster), Ramona Heide (StadtarchivFalkenberg/Elster), Annette Hietschold (KreisarchivOberspreewald-Lausitz), Sylke Hilmer (StadtarchivBrandenburg an der Havel), Marlies Kosel (Amtsar-chiv Ruhland), Jeanette Krause (Kreisarchiv Oder-

269Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

und trat nach abgelegter Staatsprüfung am 2. Januar 1952als Archivassessor beim Bayerischen Hauptstaatsarchivseinen Dienst an, wo er bis zu seiner Versetzung als Vor-stand des Staatsarchivs Landshut 1968 wirkte.

Hemmerle hat in München jahrelang die Referate fürFoto- und Restaurierungswesen innegehabt. Unter seinerLeitung wurden seit den fünfziger Jahren in der bayeri-schen Archivverwaltung Überlegungen angestellt, aufwelche Weise nach den Erfahrungen des Weltkriegs daskulturelle Erbe in Zukunft optimal geschützt werdenkönnte. Die in der zentralen bayerischen Verfilmungsstellein München bei der Verfilmung verschiedenster Archiva-lientypen gemachten Erfahrungen waren für die Konfe-renz der Archivreferenten des Bundes und der Länder derGrund dafür, dass man 1955, als die Sicherungsverfilmungauf Bundesebene spruchreif wurde, die StaatlichenArchive Bayerns ersuchte, Umfang und Wertstufe des inden westdeutschen Archiven liegenden Archivguts imHinblick auf eine Verfilmung in Dringlichkeitsstufen sta-tistisch zu erfassen. In dem 1955 gegründeten Fototechni-schen Ausschuss der Archivverwaltungen des Bundesund der Länder kam Bayern dank der tatkräftigen undvon hohem fachlichen Wissen getragenen Arbeit von JosefHemmerle von Anfang an eine Schlüsselrolle zu. Hem-merle war seit seiner Gründung Mitglied dieses Gremi-ums, von 1971 bis 1975 dessen Vorsitzender. Hemmerlesweit über die bayerischen und auch die deutschen Gren-zen hinaus anerkannte und genutzte Arbeit auf demGebiet der archivischen Fototechnik hat nicht nur ganzkonkret konservatorisch segensreich gewirkt, sondernzugleich die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Bayernbis heute auf diesem Sektor führend geblieben ist.

In Hemmerles Zeit als Direktor des Hauptstaatsarchivsfiel auch der Umzug des Archivs in den Neubau an derSchönfeldstraße und die zum 1. Januar 1978 erfolgte neueAbteilungsgliederung des größten bayerischen Archivs.Letztere ergab sich folgerichtig aus der seit den siebzigerJahren durchgeführten Beständebereinigung. Auf diesemGebiet ist es Hemmerles großes Verdienst, dass er diese diebayerische Archivlandschaft umwälzenden Maßnahmengefördert hat, die kompetenten Fachleute am richtigenPlatz arbeiten ließ und die ihm vorgetragenen Lösungenauch gegen Widerstände im eigenen Hause unterstütztund durchgesetzt hat. Ganz gezielt hat er, wenn er mit kri-tischem Blick die Fähigkeiten junger Kollegen erkannthatte, diese bereits zu Beginn ihrer Laufbahn mit verant-wortungsvollen Aufgaben betraut. Diese gezielte Förde-rung des Nachwuchses bewirkte so unabhängig von

Anciennität und Lebensalter Kontinuität und Fortschritt.Seinem ihm im letzten Dienstjahr als Generaldirektor vor-gesetzten, fast 18 Jahre jüngeren ehemaligen Abteilungs-leiter und engsten bisherigen Mitarbeiter hat er durchseine loyale Haltung den Start wesentlich erleichtert.

Der Schwerpunkt Hemmerles wissenschaftlicherArbeiten lag neben seinen Beiträgen zur Archivtechnikentsprechend seiner Ausbildung auf der Kirchen-,Ordens- und Universitätsgeschichte in Böhmen und Bay-ern. Hingewiesen sei auf seine Arbeiten zur Geschichtedes Augustinerordens und auf das Standardwerk „DieBenediktinerklöster in Bayern“ (Bd. 2 der „GermaniaBenedictina“, erste Auflage 1970). Nach seinem Ausschei-den aus dem aktiven Dienst saß Hemmerle als Benützer,der keine Sonderansprüche stellte, lange im Lesesaal desBayerischen Hauptstaatsarchivs und erarbeitete für dieGermania Sacra den ersten Band des Bistums Augsburg„Benediktinerabtei Benediktbeuern“, der 1991 erschien(Germania Sacra NF Bd. 28). Zu dieser letzten großenArbeit hat ihn nicht zuletzt die Erinnerung daran veran-lasst, dass er – wie er in der Einleitung schreibt – nach derVertreibung seiner Familie und seiner Rückkehr aus derKriegsgefangenschaft inmitten der Benediktbeuerer Klos-terlandschaft sesshaft geworden war. Auch seiner altenböhmischen Heimat ist er mit zahlreichen Arbeiten stetsverbunden geblieben.

Hemmerle war Mitglied der Benediktiner-Akademie,der Sudetendeutschen Akademie, des Collegium Caroli-num, der Historischen Kommission der Sudetenländerund des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates. ImAugust 1977 verlieh der Bundespräsident Josef Hemmerledas Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens derBundesrepublik Deutschland.

Bei der Trauerfeier am 4. November in der katholischenKirche in Eichenau bei München fasste GeneraldirektorProf. Dr. Rumschöttel das Lebenswerk Josef Hemmerleswie folgt zusammen: „Mit seinen Leistungen beim Bezugdes Münchener Archivneubaus, seiner Mitwirkung beider Beständebereinigung, seinen weit in die Zukunft wei-senden archivtechnischen Aktivitäten und der beispiel-haft bleibenden Verbindung von archivfachlicher undgeschichtswissenschaftlicher Arbeit ist er über 31 Jahreaktiver Dienstzeit hinaus bis heute ein Teil der bayerischenArchive geblieben, und er bleibt es durch unsere beson-dere Wertschätzung auch über seinen Tod hinaus.“

Josef Hemmerle verstarb nach kurzem Krankenhaus-aufenthalt zu Hause im Kreis seiner Familie.

München Albrecht Liess

Kurzinformation, Verschiedenes

Adressen, Ruf- und FaxnummernDas Stadtarchiv Buchen (Odenwald) hat die neueTelefonnummer: 0 62 81 / 3 11 62, Fax: 0 62 81 / 3 11 51,E-Mail: [email protected] Stadtarchiv Chemnitz hat die neue E-Mail-Adresse: [email protected] Stadtarchiv Hilden zieht um und hat ab September2004 die neue Anschrift: Gerresheimer Str. 20, 40721 Hilden.Die Telefon- und Faxnummern bleiben (nach dem jetzigenStand) unverändert: Tel.: 02103/241879, Fax: 02103/23248.

Das Stadtarchiv Münster hat die neue Anschrift: Anden Speichern 8, 48157 Münster, Tel.: 02 51 / 492-47 12.Das Stadtarchiv Osterode am Harz hat die neue E-Mail-Adresse: [email protected] Fürstlich Castell’sche Archiv in Castell hat fol-gende neue Ruf- und Faxnummern: Tel.: 0 93 25 / 98 06 22(mit Anrufbeantworter), Fax (Archiv) 0 93 25 / 98 06 23(nur bei eingeschaltetem PC), Fax (Kanzlei): 0 93 25 / 601-26, E-Mail-Adresse: [email protected].

270 Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

„Management in Archiven“ – das bundesweite Qualifi-zierungsprogramm der FH Potsdam, der Freien Univer-sität Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlinbeginnt im November 2004Diese berufsbegleitende wissenschaftliche Weiterbildungdreier Hochschulen richtet sich an Führungskräfte inöffentlichen und wissenschaftlichen Archiven, in Doku-mentationseinrichtungen und in Unternehmens-, Rund-funk-/Fernseharchiven bzw. an MitarbeiterInnen, die sol-che Führungspositionen anstreben. In dem systemati-schen und qualitativ hochwertigen Qualifizierungspro-gramm unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr.Hartwig Walberg und Prof. Dr. Hans-ChristophHobohm, Fachbereich Informationswissenschaften derFH Potsdam, erwerben die Teilnehmenden in einem Bau-steinprogramm methodisch-fachliche, betriebswirtschaft-liche, technologische und wissenschaftliche Kompeten-zen.

Die Weiterbildung wird bereits das zweite Mal durch-geführt, sie kann mit einem Zertifikat der FH Potsdam undder FU Berlin abgeschlossen werden. Anmeldungen sindnoch möglich.

Weitere Informationen:Dr. Rolf Busch, FU Berlin, WeiterbildungszentrumTel. 0 30-838 51 414 / 51 458E-Mail: [email protected] Heinrich, FH Potsdam, Zentrale EinrichtungWeiterbildungTel. 03 31-580 24 30E-Mail: [email protected]/Weiterbildung

Aufruf nach FarbfilmarchivmaterialDie Produzenten der mit dem British Academy Awardausgezeichneten und international anerkannten ITV Fern-sehserie „The Second World War in Colour“, „Britain atWar in Colour“ und „The British Empire in Colour“ pro-duzieren jetzt eine weitere „In Colour“ Serie: „Hitler’sWar“. Dieser 90-minütige Dokumentarfilm erzählt dieGeschichte eines Mannes der 12 Jahre lang die Geschichteder deutschen Nation dominierte; Adolf Hitler führte seinVolk zur Eroberung Europas und war kurz davor, eineneue Weltordung zu kreieren.

Da wir bis jetzt das große Glück hatten, bewegendesFarbfilmmaterial durch öffentliche Aufrufe ermitteln zukönnen, hoffen wir auch diesmal, neues Material aus pri-vaten Kollektionen zu finden. Hiermit wenden wir unsdeshalb wieder an die Öffentlichkeit. Wir sind auf derSuche nach Farbfilmmaterial, das in den 30er und 40er Jah-ren während des Aufstiegs des Dritten Reiches aufgenom-men wurde, als auch nach Material, das in den besetztenGebieten während und nach dem Krieg gefilmt wurde.Außerdem suchen wir Briefe und Tagebücher, die sich aufdiese Zeit oder sogar auf Hitler selbst beziehen. Über dieJahre und im Verlauf von fünf verschiedenen Produktio-nen hatten wir Umgang mit sehr persönlichem Material,welches uns von Privatpersonen geliehen wurde, und wirkönnen deshalb aus Erfahrung garantieren, dass jeglichesMaterial mit der größtmöglichen Sorgfalt behandelt undso schnell wie möglich zurückgesendet wird.

Falls Sie im Besitz von Material sind, das für uns vonInteresse sein könnte, würden wir uns sehr freuen, von

Ihnen zu hören. Auch wenn Sie zuerst mehr über das Pro-jekt „Hitler’s War in Colour“ erfahren wollen, freuen wiruns über Ihren Anruf oder eine E-mail.

Kristine Jürgensen/Marie-Denise DormisTWIMcCormack HouseBurlington LaneLondonW4 2THTel.: +44 20 8233 5068Fax: +44 20 8233 6478mailto:[email protected]

Veranstaltungstermine(ohne Gewähr)ab 20. 9. 2001: Wanderausstellung des Nordelbi-

schen Kirchenarchivs Kiel „Kirche,Christen, Juden in Nordelbien 1933bis 1945“29. 8. bis 26. 9. 2004: Kirchenkreis Pinneberg

(Uetersen, Klosterkir-che)

10. 10. bis 9. 11. 2004: Kirchenkreis Niendorf(Norderstedt, Schalom-kirche)

ab 17. 9. 2002: Wanderausstellung der rheinland-pfälzischen und saarländischenArchive „Unrecht und Recht. Krimi-nalität und Gesellschaft im Wandel1500–2000“5. 12. 2004 bis 5. 1. 2005: Koblenz (Haus Met-

ternich)

ab 30. 10. 2002: Wanderausstellung der sächsischenStaatsarchive „Fremd- und Zwangs-arbeit in Sachsen 1939 bis 1945“23. 8. bis 17. 9. 2004: Riesa (Städtisches

Zentrum für Ge-schichte und Kunst)

22. 9. bis ca. 20. 10. 2004: Bautzen (Gedenk-stätte)

ab 4. 11. 2002:Stuttgart

Ausstellungsreihe des Hauptstaats-archivs Stuttgart „Archivale desMonats“1. 6. bis 31. 8. 2004: Plakate zur Europawahl1. bis 30. 9. 2004: Quellen zur barocken

Frömmigkeit4. 10. bis 26. 11. 2004: Die deutsch-französi-

schen Beziehungen imSpiegel deutscher Schul-atlanten

ab 1. 10. 2003: Wanderausstellung der Kommis-sion für Geschichte des Parlamenta-rismus und der politischen Parteien„Bismarcks Reichstag. Das Parla-ment in der Leipziger Straße“21. 9. bis 26. 11. 2004: Dessau (Landeshaupt-

archiv Sachsen-Anhalt,Abteilung Dessau)

ab 22. 1. 2004:Wertheim-Bronnbach

Bronnbacher Gespräche 2004 –Weingeschichten (Staatsarchiv)16. 9. 2004: Weinwirtschaft des Klosters

Bronnbach21. 10. 2004: Johann Wolfgang von Goethe

und der Wertheimer Wein

271Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

11. 11. 2004: „Die mannigfalltigen schedli-chen und gefarlichen gemechte,vermyschung und verenderungder weyn“... oder „Welche Zuta-ten braucht man für gutenWein?“

17. 2. bis 27. 8. 2004:Erfurt

Ausstellung des Stadtarchivs Erfurt„‚etwas Treues, Ehrliches und sehrWürdiges‘ – Die Einführung des All-gemeinen Preußischen Landrechtsin Erfurt vor 200 Jahren“ (Stadtar-chiv)

ab 2. 3. 2004: Wanderausstellung des BayerischenStaatsarchivs Würzburg in Zusam-menarbeit mit dem Institut für Zeit-geschichte München – Berlin „Wegein die Vernichtung. Die Deportationder Juden aus Mainfranken1941–1943“2. 7. bis 29. 8. 2004: Nürnberg (DB-

Museum)September/Oktober 2004: SchweinfurtOktober/November 2004: AschaffenburgNovember/Dezember 2004: München

(Hauptstaatsar-chiv)

ab 7. 3. 2004: Gemeinschaftsausstellung des Säch-sischen Hauptstaatsarchivs Dres-den, des Stadtgeschichtlichen Muse-ums Leipzig, des Zentrums fürHöhere Studien der UniversitätLeipzig und von Schloss Moritzburg„Passage. Frankreich – Sachsen. Kul-turgeschichte einer Beziehung 1700bis 2000“25. 6. bis 30. 8. 2004: Schloss Moritzburg

16. 4. bis29. 10. 2004:Schleswig

Ausstellung des LandesarchivsSchleswig-Holstein „Von ehrbarenHandwerkern und Böhnhasen.Handwerksämter in SCHLESWIG-Holstein“ (Landesarchiv, Prinzenpa-lais)

22. 4. bis29. 10. 2004:Speyer

Ausstellung des Zentralarchivs derEvangelischen Kirche der Pfalz zumGedächtniskirchenjubiläum „DieGedächtniskirche zu Speyer – EinDenkmal protestantischer Erinne-rungskultur“ (Domplatz 6)

23. 4. bis 22. 8. 2004:Köln

Ausstellung des NS-Dokumentati-onszentrums Köln „Von Navajosund Edelweißpiraten. Unangepass-tes Jugendverhalten in Köln1933–1945“ (EL-DE-Haus, Appell-hofplatz 23–25)

ab 28. 4. 2004: Wanderausstellung des Haupt-staatsarchivs Stuttgart „Kurt GeorgKiesinger (1904–1988). Rechtsge-lehrter – Ministerpräsident – Bun-deskanzler“20. 7. bis 14. 9. 2004: Ravensburg (Rathaus)25. 9. bis 20. 10. 2004: Konstanz (Stadtar-

chiv)

27. 10. bis 11. 11. 2004: Berlin (Landesvertre-tung Baden-Württem-berg beim Bund)

19. 11. 2004 bis 12. 1. 2005: Albstadt

11. 5. bis24. 10. 2004:Forchheim

Bayerische Landesausstellung „Edelund frei. Franken im Mittelalter“(Pfalzmuseum)

17. 5. bis 8. 8. 2004:Coburg

Ausstellung des Staats- und desStadtarchivs sowie des Stadtmuse-ums Coburg „Voraus zur Unzeit.Coburg und der Nationalsozialis-mus in Deutschland“ (Staatsarchiv,Herrngasse 11)

1. 7. bis 29. 10. 2004:Wien

Ausstellung des Wiener Stadt- undLandesarchivs „Archivbauten inÖsterreich“ (Ausstellungsfoyer, Ga-someter D)

9. 7. bis 19. 9. 2004:Ulm

Ausstellung des Stadtarchivs Ulm„1150 Jahre Stadt Ulm: Die Stadt undihre Menschen“ (Südlicher Münster-platz)

17. 7. bis 17. 9. 2004:Karlsruhe

Ausstellung „Generallandesarchiv –Verwaltungsgericht – Rechnungs-hof. Badischer Staatsbau vor 100 Jah-ren“ (Generallandesarchiv und Ver-waltungsgericht)

23. bis 29. 8. 2004:Wien

XV. Internationaler ArchivkongressThema: Archive, Gedächtnis undWissen

6. bis 10. 9. 2004:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 1: Einführung in die Ordnungund Verzeichnung von Archivgut(Anmeldung unter Tel.: 06421/16971–12,E-Mail: [email protected])

15. bis 16. 9. 2004:Neuss

Fortbildungsveranstaltung des Rhei-nischen Archiv- und Museumsamtes„Verzeichnung von Akten undSammlungsgut“ (Stadtarchiv Neuss,Oberstr. 15)(Weitere Informationen unter Tel.: 02234/9854–223 oder E-Mail: [email protected])

23. bis 25. 9. 2004:Berlin

Tagung der Preußischen Histori-schen Kommission „Das ThemaPreußen in Wissenschaft und Wis-senschaftspolitik des 19. und 20.Jahrhunderts“ (Geheimes Staatsar-chiv Preußischer Kulturbesitz, Ar-chivstr. 12–14)

29. bis 30. 9. 2004:Pulheim

Fortbildungsveranstaltung des Rhei-nischen Archiv- und Museumsamtes„Akten- und Schriftkunde des 19.und 20. Jahrhunderts“ (Abtei Brau-weiler, Ehrenfriedstr. 19)(Weitere Informationen unter Tel.: 02234/9854–223 oder E-Mail: [email protected])

272 Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

6. bis 7. 10. 2004:Fulda

Workshop des ArbeitskreisesDiplom-Archivarinnen und -Archi-vare (FH) im VdA „Homo archiva-rius – Ein Exot in der Verwaltung“(Bonifatiushaus, Haus der Weiterbil-dung, Neuenburger Str. 3–5)(Weitere Informationen und Anmeldung:Beate Dördelmann, Landesarchiv NRW Staats-archiv Münster, Tel.: 0251/4885–115, E-Mail:[email protected])

8. 10. 2004:Markelsheim

15. Tag der HeimatforschungThema: Fränkischer Wein und Ver-brauchergewohnheiten im 20. Jahr-hundert (Weingärtnergenossen-schaften)

9. 10. 2004:Weingarten

Kolloquium im Rahmen der Hei-mattage Baden-Württemberg (Aka-demie der Diözese Rottenburg-Stuttgart)Thema: Von newen Gebaeuen auffalte Stoeck. Archivalische Quellenzur Häusergeschichte

11. bis 15. 10. 2004:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 4: Einführung in Methoden undManagement archivischer Arbeit(Anmeldung unter Tel.: 06421/16971–12,E-Mail: [email protected])

13. bis 14. 10. 2004:Pulheim

Fortbildungsveranstaltung des Rhei-nischen Archiv- und Museumsamtes„Umgang mit historischen Fotobe-ständen“ (Abtei Brauweiler, Ehren-friedstr. 19)(Weitere Informationen unter Tel.: 02234/9854–223 oder E-Mail: [email protected])

15. 10. 2004:Stuttgart

Herbsttagung des Arbeitskreises fürLandes- und Ortsgeschichte (Haupt-staatsarchiv)Thema: Der württembergische Hofim 15. Jahrhundert

18. bis 19. 10. 2004:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgEK 52: Archivierung elektronischerUnterlagen(Anmeldung unter Tel.: 06421/16971–12,E-Mail: [email protected])

18. bis 20. 10. 2004:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 22: Schäden an Archivgut erken-nen, begrenzen und behandeln(Anmeldung unter Tel.: 06421/16971–12,E-Mail: [email protected])

19. bis 20. 10. 2004:Augsburg

Fachtagung der Fachgruppe 2 desVdA

Thema: Archivarbeit unter verän-derten Rahmenbedingungen(Nähere Informationen auf S. 274.)

24. bis 29. 10. 2004:Heidelberg

Fortbildungsveranstaltung der Ver-einigung deutscher Wirtschaftsar-chivare e.V.53. VdW-Lehrgang: Einführung indas Wirtschaftsarchivwesen(Information und Anmeldung: Dr. Peter Blum,Tel.: 06221/581980, Fax: 06221/584947, E-Mail:[email protected])

3. 11. 2004:Köln

Fortbildungsveranstaltung des Rhei-nischen Archiv- und Museumsamtes„Workshop für ‚Augias‘-Anwender“(Horion-Haus, Hermann-Pünder-Straße 1)(Verbindliche Anmeldung bis zum 6. Oktober2004 ist unbedingt erforderlich. Weitere Infor-mationen unter Tel.: 02234/9854–223 oder E-Mail: [email protected])

4. bis 5. 11. 2004:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgEK 53: Die Beratung von Behördenim Bereich der Schriftgutverwaltung(Anmeldung unter Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: [email protected])

8. bis 10. 11. 2004:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 5: Einführung in die Paläogra-phie(Anmeldung unter Tel.: 06421/16971–12,E-Mail: [email protected])

15. 11. 2004:Marburg

Workshop „Archivische Überliefe-rungsbildung heute“(Nähere Informationen auf S. 273.)

22. bis 24. 11. 2004:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgEK 62: Midosa – Schulung(Anmeldung unter Tel.: 06421/16971–12,E-Mail: [email protected])

24. bis 25. 11. 2004:Pulheim

Fortbildungsveranstaltung des Rhei-nischen Archiv- und Museumsamtes„‚Oral History‘ – Einführung in dieTheorie und Praxis der Gesprächs-führung“ (Abtei Brauweiler, Ehren-friedstr. 19)(Weitere Informationen unter Tel.: 02234/9854–223 oder E-Mail: [email protected])

25. bis 26. 11. 2004:Stuttgart

Fachtagung mit Workshop undöffentlichen VorträgenThema: Die Wasserzeichensamm-lung Piccard online(Hauptstaatsarchiv)

2. bis 3. 5. 2005:Dresden

Regionaltagung Süd des Verbandeskirchlicher Archive in der EKD

273Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

MITTEILUNGEN DES VdA - VERBAND DEUTSCHERARCHIVARINNEN UND ARCHIVARE e.V.

Informationen und Hinweise aus der Geschäftsstelle

Zustellung der Fachzeitschrift Der Archivar1. Da der Bezug der Fachzeitschrift Der Archivar bei VdA-Mitglie-

dern eine Teilleistung der Verbandsmitgliedschaft ist, wird andieser Stelle darauf aufmerksam gemacht, dass Adressände-rungen von VdA-Mitgliedern nicht an die Redaktion oder anden Verlag zu richten sind, sondern an die Geschäftsstelle desVdA. Der Verlag liefert jeweils an die aktuellen Anschriften derVdA-Verwaltung aus.

2. Die bei der Deutschen Post AG in Auftrag gegebenen Nach-sendeaufträge ersetzen nicht die Adressänderung beim VdA,da ermäßigte Postsendungen (hier: Fachzeitschrift Der Archi-var) von der Nachsendung ausgeschlossen sind.

TAG DER ARCHIVE 20041. Die vom VdA zur Vorbereitung und Durchführung des TAGES

DER ARCHIVE 2004 angebotenen Materialien (CD-ROM, Pla-kat) werden nach Eingang der Bestellung verschickt. EinAnspruch auf Lieferung erlischt, sobald der Lagerbestand anMaterialien in der VdA-Geschäftsstelle aufgebraucht ist.

2. Unter www.tagderarchive.de wurde eigens für dieses bundes-weite Projekt eine Plattform geschaffen, um sowohl Archiva-rinnen und Archivare als auch die interessierte Öffentlichkeitund die Presse informieren zu können. Unter dem dort gesetz-ten Link „Teilnehmer“ sind, alphabetisch nach Städten undGemeinden geordnet, Archive zu finden, die dem Aufruf desVdA folgen und am 25. September 2004 eine öffentlichkeits-wirksame Veranstaltung durchführen. Registrierungen wer-den von der Geschäftsstelle weiterhin gerne entgegen genom-men!

E-Mail-AdressenUm die Portokosten des Verbandes weiter senken zu können, istbeabsichtigt, Einladungen zu Veranstaltungen der Fachgruppen,der Landesverbände und der Arbeitskreise zukünftig überwie-gend per E-Mail zu versenden. Das setzt aber voraus, dass diese inder VdA-Mitgliederverwaltung gespeichert sind. Helfen Sie bittemit, den Kostenfaktor „Porto“ zu verringern und melden Sie derGeschäftsstelle ihre E-Mail-Adressen (bei persönlichen Mitglied-schaften sowohl dienstlich als auch privat).Thilo Bauer M. A.Geschäftsführer

Tagungen

Archivische Überlieferungsbildung heuteFachliche Grundsätze – fachfremde Einflüsse

Gemeinsamer Workshop– des Arbeitskreises Archivische Bewertung im VdA –

Verband deutscher Archivarinnen und Archivare,– der Archivschule Marburg – Institut für Archivwissen-

schaft, Fachhochschule für Archivwesen und der– Bundeskonferenz der Kommunalarchivare beim Deut-

schen StädtetagTermin: 15. November 2004Ort: Evangelische Stadtmission, Wilhelmstraße 15, Mar-burg

Dass dem Arbeitsbereich der archivischen Überlieferungs-bildung hohe Priorität zukommt, ist seit den ausgehendenachtziger Jahren immer deutlicher geworden. Über theore-tische Ansätze und beispielhafte Erfahrungen wurde seit-dem viel publiziert. Heute verlangt die Verwaltungsre-form Begründungen für den Ressourceneinsatz und dieFolgekosten. In Rechnungshofberichten und ministeriel-len Vorgaben zum Umfang des jährlich übernommenenRegistraturguts macht sich eine „aufgewachte“ Öffentlich-keit bemerkbar.Dies verlangt mehr denn je Zielorientierung und methodi-sche Sicherheit bei der archivischen Bewertung. Wo abersteht die Diskussion heute? In dem Workshop werdenzwei neue Grundsatzpapiere mit praxisbezogenen Emp-fehlungen vorgestellt: ein alle Archivsparten übergreifen-des Positionspapier, das vom Arbeitskreis ArchivischeBewertung im VdA - Verband deutscher Archivarinnenund Archivare erarbeitet wurde, und ein speziell auf dieAnforderungen im kommunalen Bereich ausgerichtetesGrundsatzpapier, das eine Arbeitsgruppe der Bundeskon-ferenz der Kommunalarchivare beim Deutschen Städtetagerstellt hat.Ausgehend von konkreten Erfahrungen werden sodanndie gegenwärtigen Rahmenbedingungen der Überliefe-rungsbildung beleuchtet und die Möglichkeiten reflek-tiert, die das Internet zu einem Diskurs über die Bewer-tung bietet. Ein letzter Block problematisiert den Stand derBewertungsdiskussion in der Schweiz und die Ausbil-dung auf dem Arbeitsfeld der Überlieferungsbildung.Insgesamt soll der Workshop aus aktuellem Anlass einerStandortbestimmung dienen: Welche fachlichen Grund-sätze sollen heute Standard sein? Und wie wollen wir fach-fremden Einflüssen begegnen, die sie in Frage stellen?

Programm:

10:15 Begrüßung und Eröffnung

10:30 Dr. Robert Kretzschmar, Stuttgart, TransparenteZiele und Verfahren. Ein Positionspapier des VdAzur archivischen Überlieferungsbildung

11:00 Dr. Irmgard Christa Becker, Saarbrücken, Was istaus kommunaler Sicht Überlieferungsbildung? DasGrundsatzpapier der BKK, Ziele und Inhalte

11:30 Diskussion zu den beiden Referaten

13:30 Dr. Thekla Kluttig, Dresden, Aufgeweckte Archi-vare? Anmerkungen aus dem Sächsischen Haupt-staatsarchiv Dresden zur gegenwärtigen Situationder Überlieferungsbildung

14:00 Dr. Kathrin und Dr. Andreas Pilger, Düsseldorf,Das www.forum-bewertung.de: Erfahrungen undPerspektiven

14:30 Diskussion zu den beiden Referaten

15:00 Dr. Josef Zwicker, Basel, Zum Stand der Bewer-tungsdiskussion in der Schweiz

274 Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

15:30 Dr. Frank M. Bischoff, Marburg, Bewertung alsGegenstand der Ausbildung in der BundesrepublikDeutschland

16:00 -16:30 Diskussion zu den Referaten und Schluss-diskussion

Anmeldung: Bis zum 25. Oktober 2004 per E-Mail:www.uni-marburg.de/archivschule/work-shop2004anmeld.html

Kontakt: Archivschule Marburg, Bismarckstr. 32, 35037Marburg, Tel. ++49 6421/16971-12 (Christa Kieselbach)oder ++49 6421/169710 (Geschäftszimmer), E-Mail: [email protected]

Hotels und Stadtplan: www.marburg.de/touristik7.asp

Stuttgart, Robert Kretzschmar

Archivarbeit unter veränderten Rahmenbedingungen

Tagung der Fachgruppe 2 im VdA in Zusammenarbeit mitder Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deut-schen StädtetagTermin: 19. / 20. Oktober 2004Ort: Kongresshalle Augsburg / Mozartsaal

Programm:

19.10.2004, 14:00 Uhr

Eröffnung durch die Vorsitzende der FG 2, Gabriele Vier-tel, Chemnitz

Grußworte: Eva Leipprand, 3. Bürgermeisterin und Kul-turreferentin der Stadt Augsburg,

Prof. Volker Wahl, Weimar, Vorsitzender des VdA

Moderation: Prof. Clemens Graf von Looz-Corswarem,Düsseldorf

Gabriele Viertel, Chemnitz, Aktuelle Entwicklungen undneue Herausforderungen an Kommunalarchive

Dr. Ernst Bräunche, Karlsruhe, Das Positionspapier „DasKommunalarchiv“ der BKK – Hilfe zur Selbsthilfe

Dr. Eberhard Illner, Köln, Sammlungen und privateArchive – eine Aufgabe für Kommunalarchive?

Dr. Michael Diefenbacher, Nürnberg, Historische Bil-dungsarbeit als Pflichtaufgabe

Richard Hermans, Niederlande, Erfahrungen aus nieder-ländischen Kommunalarchiven

20:00 Uhr

Empfang des Oberbürgermeisters der Stadt Augsburg, Dr.Paul Wengert, im „Goldenen Saal“

20.10.2004, 9:00 Uhr

Katharina Tiemann, Münster, Kommunalarchive undVerwaltungsreform

Jutta Katernberg, Köln, Datenschutzrechtliche Überle-gungen zur Privatisierung kommunaler Archive

Podiumsdiskussion

Leitung: Dr. Robert Zink, Bamberg

Ende der Tagung gegen 13:00 Uhr

Anmeldung bitte bis spätestens 10. September 2004 an:Stadtarchiv Augsburg, Fuggerstraße 12, 86150 Augsburg,Fax: 0821/324-3883, [email protected]

Organisatorische Hinweise entnehmen Sie dann bitte demendgültigen Programm.

Unterkünfte: Hotelreservierungen übernimmt die REGIOAUGSBURG TOURISMUS GMBH (Tel.: 0821/5020731,Fax:0821/5020746,E-Mail:[email protected]).

Chemnitz, Gabriele ViertelAugsburg, Michael Cramer-Fürtig

275Der Archivar, Jg. 57, 2004, H. 3

Von Boetticher, Manfred, Réaménagement de la salle delecture des Archives principales du Land de Basse-Saxe àHanovre.

Der Archivar, Jg. 57, 2004, S. 199–203.L’exposé présente les travaux de transformation et de rénovationde la salle de lecture des Archives principales de Basse-Saxe àHanovre, qui ont eu lieu début 2003. Les transformations répon-dent au cahier des charges donné par la Protection des Monu-ments Historiques et met en évidence l’architecture intérieured’un des peu nombreux bâtiments de la capitale du Land deBasse-Saxe ayant survécu aux bombardements de la SecondeGuerre. Les travaux de transformation et de rénovation ont égale-ment permis la mise en place des conditions nécessaires à l’utilisa-tion optimale d’outils techniques modernes. De plus, les transfor-mations ont rendu possible une organisation plus rationelle desprocessus de travail dans la salle de lecture. Cependant les res-sources humaines des Archives principales restent surtout ori-entées vers l’aide au lecteur afin qu’il puisse – au final – sedébrouiller par lui – même dans le choix des fonds et la com-mande de dossiers grâce entre autres au recours à des techniquesmodernes.

Klein, Michael, Organization of access to archival information– The Landesarchiv Berlin.

Der Archivar, Jg. 57, 2004, S. 203–207.The rising of the knowledge society emphasizes the importance ofaccess to archival information and the way how to organize it. TheLandesarchiv Berlin for example took the needs and priorities ofits users in consideration, when it discussed its service for accessat a new location it moved in 2001. Under regard of outer conditi-ons like architecture, number of staff, legal rights or differentkinds of clients, the service could be improved. Enlarged openinghours, free access to finding aids and a comprehensive online-pre-sentation including a continual extended catalogue and online-finding aids are several offers to enable the public better access toarchival information. The more the users work on their own whilethe archival staff gets time to intensify description and specialconsultation.

Klose, Dieter, Link, Roswitha, Pieper, Joachim, Rehm, Cle-mens, Rohdenburg, Günther, Perspectives on Historical Edu-cation in Archives. An European Balance.

Der Archivar, Jg. 57, 2004, S. 208–216.Sixty representatives from 15 European countries met for firstEuropean Conference on historical education in archives at Euro-päische Staatsbürgerakademie/EStA in Bocholt from June, 19-21,2003. They discussed projects and ideas for international coopera-tion of pedagogic staff in archives and decided to create a networkin order to enhance the sharing of experience (www.elan-net.info). – The three day conference was dominated by firsthandreports from various countries. Participants were especiallyimpressed by the reports of „Memorial“ in Moscow, presentingunique archival documents which shed light on the sinister Stalinera in the former SU. This example, as well as the other reportsfrom Eastern European countries and future members of the EU,especially the reports from Latvia and Poland, showed that archi-ves can be instruments of the process of democratization – archi-ves as custodians of the authentic past. In these countries the needfor „Glasnost“ is growing, increasingly more people begin toresearch their family history. In the view of the representatives,

Neuheuser, Hanns Peter, Protective Measures while HandlingArchival Materials Contaminated by Biological Agents. Mea-ning and Text of the New TRBA 240.

Der Archivar, Jg. 57, 2004, S. 217–225.The Federal Ministry of Economy and Labour edited in 2003 the„Technical Rules for Biological Agents 240“ (TRBA 240) imple-menting both the Federal Act on Safety and Health at Work and onthe other hand the Ordinance on Safety and Health Protection atWork involving Biological Agents (EU Directives). So a legal regu-lation clearly defines the handling of archival materials contami-nated by biological agents. The contribution deals with the historyand the main content of the TRBA, shows the possibilities of itsrealisation in archives and wants to promote the forthcoming dis-cussion.

this constitutes a great chance for historical education in theirarchives. Reports from countries with a long standing Tradition ofeducational work in archives, such as United Kingdom, Franceand the Netherlands, impressed the audience by the large numberand diversity of educational programs in their archives. Theseprograms are tailored for different age and interest groups. Theyalso cater for „life-long learning“ as well as „learning online“. –The Scandinavian countries Norway and Sweden introduced con-crete examples of historic education in archives and research pro-grams for cooperation with schools and universities. It becameevident that there are cultural and organisational differencesamongst the fifteen countries. Some of them are organised on afederal, others on a centralistic basis. There are great differences inthe role archives play in the various countries and how archivescan be accessed etc. Despite this, there are many similarities inmethods and approaches in European archives. – Finally, thereports on competitions in history in Germany and in numerouscountries in Europe (EUSTORY) stressed the importance of „lear-ning by discovering“ and „learning by researching“ for the pro-cess of democratization in the respective societies. During the con-ference archivists, teachers, researches in the field of arts andhumanities, experts from memorials and representatives of natio-nal and international organisations emphasised the importance ofarchives as „structured memory of a society“ and the decisivecontribution made by historical education. At the same time,shortcomings were recognised and demands for change were arti-culated. Especially the education of teachers should be improvedby integration visits to archives into their vocational training. –The reports and debates, translated into English, German, Frenchand even Russian, did not stop at noncommittal declarations ofintent. The conference ended with specific work assignments forthe near future to instil life into the newly created exchange ofinformation. From this conference, impulses have spread all overEurope. The conference, sponsored by the EU, the Körber Founda-tion in Hamburg and the Association of German Archivists(VdA), has set up a first platform for the exchange of experienceswhich all agreed should be continued. The initiator and organizerof this meeting, the working committee for historical education inthe VdA („Arbeitskreis Archivpädagogik und historische Bil-dungsarbeit im Verband deutscher Archivarinnen und Archi-vare“), will continue to organize and intensify this exchange viainternet and follow-up conferences. – The Integration of Europe,the increasing ethnological multiplicity and migration all overEurope will be a major subject linking together all those workingon historical education in archives. It will constitute a focal pointfor the cooperation across borders.