Bunte Kühe? Zu den frühesten Farbbezeichnungen im Alten Orient

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Transcript of Bunte Kühe? Zu den frühesten Farbbezeichnungen im Alten Orient

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INHALTSVERZEICHNIS TABLE OF CONTENTS Vorwort V Preface IX Einleitung Introduction 1 I EMPIRICISM IN THE ANCIENT NEAR EAST BABYLONIAN METEOROLOGICAL OBSERVATIONS

AND THE EMPIRICAL BASIS OF ANCIENT SCIENCE von Gerd Graßhoff 33

REMARKS ON THE EMPIRICAL FOUNDATION OF EARLY MESOPOTAMIAN KNOWLEDGE ACQUISITION

von Gebhard J. Selz 49 A HAIR PERHAPS DIVIDES THE FALSE AND THE TRUE

von Petr Charvát 71 IN KLEINEN SCHRITTEN ZUR MESOPOTAMISCHEN KURZCHRONOLOGIE

DES 2. JTS. VOR CHR. von Regine Pruzsinszky 83

GOAL-YEAR PERIODS AND THEIR USE IN PREDICTING PLANETARY PHENOMENA

von John M. Steele 101 14-MONTH INTERVALS OF LUNAR VELOCITY AND COLUMN Ф

IN BABYLONIAN ASTRONOMY: ATYPICAL TEXT C von Lis Brack-Bernsen und John M. Steele 111

TABLETS, TIDES AND THE LEVEL OF EUPHRATES

von Salvo De Meis 131

Inhaltsverzeichnis

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MATHEMATICS HIDDEN BEHIND THE PRACTICAL FORMULAE OF BABYLONIAN GEOMETRY

von Kazuo Muroi 149 SPEZIALISIERUNG UND DIFFERENZIERUNG IM BEREICH

DER ALTORIENTALISCHEN MEDIZIN von Jeanette C. Fincke 159

II THE EMPIRICAL FOUNDATIONS OF MESOPOTAMIAN SUBSISTENCE IRRIGATION MANAGEMENT IN THE UR III PERIOD: A RECONSTRUCTION

BASED ON A CASE STUDY OF THE MAINTENANCE OF THE ÍD-NINA-ŠÈ-DU CANAL OF THE PROVINCE LAGAŠ von Stephanie Rost 211

THE SIZE OF THE CULTIVATED AREA OF THE MESOPOTAMIAN ALLUVIUM

AS AN HISTORICAL AND POLITICO-EMPIRICAL PROBLEM von Daniel T. Potts 271

BABYLONIAN LAND SURVEY IN SOCIO-POLITICAL CONTEXT

von Heather D. Baker 293

BUNTE KÜHE? ZU DEN FRÜHESTEN FARBBEZEICHNUNGEN IM ALTEN ORIENT von Rosel Pientka-Hinz 325

ZUR REKONSTRUKTION VON SPEISEN IN SUMER ANHAND ADMINISTRATIVER URKUNDEN

von Hagan Brunke 375 III THE ORGANISATION AND PERCEPTION OF SPACE

ZUR FUNKTION MESOPOTAMISCHER TEMPEL von Dominique Charpin 403

Table of Contents

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WILLIAM KENNETT LOFTUS AND THE BEGINNINGS OF “SCIENTIFIC” ARCHAEOLOGY IN IRAQ von Craig Crossen 423

ASPEKTIVE UND PERSPEKTIVE IM NEUASSYRISCHEN FLACHBILD von Jürgen Borchardt und Erika Bleibtreu 477

MESOPOTAMISCHE BAUZEICHNUNGEN

von Ariel M. Bagg 543 IV TRANSMITTING EMPIRICAL KNOWLEDGE SCHULE VOR DER SCHRIFT von Hans J. Nissen 589 EMPIRICAL SCHOLARSHIP IN THE NEO-ASSYRIAN COURT

von Eleanor Robson 603 EXZELLENTE NETZWERKE: DIE ASTRONOMEN VON URUK

von Mathieu Ossendrijver 631

A SCRIBAL FAMILY AND ITS ORTHOGRAPHIC PECULIARITIES. ON THE SCIENTIFIC WORK OF A ROYAL SCRIBE AND HIS SONS von Klaus Wagensonner 645

DAS SUMERISCHE NUMERALIASYSTEM – VERSUCH EINER TYPOLOGISCHEN EINORDNUNG von Thomas E. Balke 703

Indices A Sachregister General Index 733 B Eigennamen Proper Nouns 749 C Zitierte Texte Texts Cited 755 D Wörter Words 763

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VORWORT Unter dem Titel „The Empirical Dimension of Ancient Near Eastern Studies – Die empirische Dimension altorientalischer Forschungen“ legen wir hier als 6. Band der „Wiener Offenen Orientalistik“ eine Sammlung von Arbeiten vor, die sich aus den unterschiedlichsten Perspektiven mit der Verbindung assyriologischer Forschun-gen zu den empirischen Wissenschaften befasst. Die Idee, diese Thematik in einer gesonderten Veröffentlichung zu behandeln, entstand im Anschluss an ein Sympo-sium, das das Institut für Orientalistik mit Unterstützung des Dekans der Philolo-gisch-kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien aus Anlass der Pensionierung von Professor Hermann Hunger vom 18. bis 21. Juli 2007 in Wien veranstaltete. Das Programm umfasste die folgenden Vorträge:

1. Lis Brack-Bernsen: „Worte und Zahlen: Entzifferung von babylonischen astronomi-schen Vorhersageregeln / Words and Numbers: unravelling Babylonian Astronomical Predicting Rules“

2. John Steele: „Goal Year Periods and Their Use in Predicting Planetary Phenomena“ 3. Salvo de Meis: „Some hints from the Astronomical diaries and other works by

Hermann Hunger“ 4. Hans J. Nissen: „Vor der Schrift“ 5. Martha Roth: „Philological basic research: On the history of the Chicago Assyrian

Dictionary“ 6. Karen Radner: „The king and his scholars: How representative are the letters to

Esarhaddon and Assurbanipal?“ 7. Dominique Charpin: „Zur Funktion mesopotamischer Tempel“ 8. Tzvi Abusch: „Omens and Voodoo-Death in Ancient Mesopotamia“

Den Kolleginnen und Kollegen, die damals eine Veröffentlichung ihrer – über-arbeiteten – Beiträge initiierten, gilt unser aufrichtiger Dank. Die Bereitschaft, an einem solchen Band mitzuwirken ist in der gegenwärtigen Lage der universitären Forschung keinesfalls selbstverständlich. Diese droht aufgerieben zu werden zwischen der Scylla eines explizit nicht-wissenschaftlichen Unterrichts, wie ihn die neue Studienarchitektur für die so genannten Bachelor-Studien vorsieht, und der Charybdis von Exzellenz-Behauptungen, die Forschung auf Drittmittel finanzierte Projekte reduziert, einhergehend mit großem Verwaltungsaufwand und nicht immer deutlicher Sinnhaftigkeit.

Ausgangspunkt für den vorliegenden Band waren die Erörterungen und Diskus-sionen der wichtigen Beiträge Hermann Hungers zur Geschichte der astronomischen Forschung während des erwähnten Symposiums. Diese sind in den vergangenen

Vorwort

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Jahrzehnten weit über den kleinen Kreis von Spezialisten hinaus bekannt geworden. Eine Würdigung seines Schaffens haben Freunde und Kollegen in der ihm gewid-meten Festschrift (Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Bd. 97, hrsg. von M. Köhbach, R. Lohlker, St. Procházka und G.J. Selz) versucht. Und obwohl die Idee zu dem vorliegenden Bande bei Hermann Hunger auf positive Resonanz stieß, unterstrich er jedoch in der für ihn bekannten Bescheidenheit auch, dass dies „keinesfalls eine zweite Festschrift“ sein dürfe. Entsprechend sind zwar einige Beiträge mehr oder minder eng mit dem Hungerschen Forschungsprogramm ver-bunden, andere aber beleuchten weitere wichtige Gebiete der Altorientalistik.

Der Titel, den wir für diesen Band wählten und unter dem wir die Autorinnen und Autoren um einen Beitrag ersuchten, ist wenig spezifisch. Er kann und soll in zweierlei Richtungen verstanden werden. Zum einen dreht es sich um die Bedeutung, die die empirischen Wissenschaften für altorientalische Forschungen besitzen, zum anderen um mögliche Beiträge der Altorientalistik zur Geschichte der empirischen Wissenschaften. Wir sehen es als Vorteil an, dass die einzelnen Autorinnen und Autoren sich ganz unterschiedlich dieser Thematik näherten; einige Beiträge sind daher enger dem Thema verbunden, während dies bei anderen weniger deutlich scheint. Alle jedoch befassen sich mit unseren Bemühungen um ein Verständnis der Quellen des Altertums, oder mit den Bemühungen der altorien-talischen Gelehrten um eine „wissenschaftliche“ Deutung ihrer Welt. Die Entste-hungsgeschichte dieses Bandes und die gegenwärtigen Diskussionen in der Altorientalistik sind auch der Grund dafür, dass wir von eher programmatischen Titeln, wie wir sie andernorts finden – etwa bei den zurecht berühmten Werken von G.E.R. Lloyd, Magic, Reason and Experience (1979) oder von St.J. Tambiah, Magic, Science, Religion, and the Scope of Rationality (1990) –, abgesehen haben. Gerade für den Bereich der Magie, genauer der mesopotamischen Vorzeichen-kunde, sind in den letzten Jahrzehnten nicht nur ausgezeichnete kommentierte Editionen publiziert worden, sondern es liegen auch zahlreiche hervorragende Studien zu diesem Thema vor. Auch wenn der Wissenschaftsbegriff in einigen der hier veröffentlichten Arbeiten explizit diskutiert wird, so steht doch die Praxis der unserer Auffassung zu Unrecht „vor-wissenschaftlich“ genannten Verfahren des Alten Orients im Vordergrund. Wenn wir dabei ausgehen von der These eines wesentlich empirisch basierten altorientalischen Wissenserwerbs, so sind wir uns gleichzeitig bewusst, dass jegliche Wahrnehmung eines epistemischen Rahmens bedarf. Unsere Frage nach Erfahrung und Wahrnehmung beleuchtet also nur eine Seite der mesopotamischen Kultur. Die gleicher Weise zweifach zu stellende Frage nach den epistemischen Konzepten – den modernen, auf denen unsere Argumentationen und Wahrnehmungen des Alten Orient

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beruhen, wie auch jenen, die wir in den altorientalischen Quellen antreffen, – steht nicht im Zentrum dieses Bandes. Dennoch berühren manche Beiträge die hier zentrale Frage nach den altorientalischen Wissensformen, ein Thema, dass nach unserer Auffassung dringend weiterer Untersuchungen bedarf.

Die beiden diesem Band zugrunde gelegten Fragen, nämlich inwieweit assyrio-logische Forschungen zum Fortschritt in den verschiedenen wissenschafts-geschichtlichen Feldern beitragen können und welche Rolle der Erfahrung in der impliziten und expliziten Konstruktion der altorientalischen Wissenschaften zukam, werden selbstverständlich weder erschöpfend noch gar abschließend beantwortet. Eine Sammlung von Arbeiten, wie wir sie hier der Öffentlichkeit vorlegen, kann und soll das nicht leisten. Unser Ziel war vielmehr, ihre zentrale Bedeutung deutlich zu machen, und wir glauben, dass wir in summa diesem Ziel zumindest nahe gekommen sind. Es bleibt an dieser Stelle unser Dank an die Autoren, deren Beiträge – obwohl ganz unterschiedlich konzipiert – dies ermöglichen. Ohne deren Geduld und die Nachsicht mit unserem Anfragen und mit unserem Insistieren wäre der vorliegende Band nicht zum Abschluss gekommen. Wenn es uns gelungen ist, die Bedeutung der skizzierten Thematik im vorliegenden Werke vielleicht auch über den engen Kreis der jeweiligen Spezialisten hinaus deutlich zu machen, hat sich unser Unterfangen gelohnt.

Abschließend darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Druckvorlagen sämtlich von Klaus Wagensonner in seiner „Freizeit“ erstellt wurden. Mit dem Index half Nadia Linder (Universität Wien). Der Druck des Bandes erfolgte mit finanzieller Unterstützung des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung und der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universi-tät Wien.

Wien, im November 2010

Gebhard J. Selz, Klaus Wagensonner

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PREFACE We present here as the sixth volume of the series “Wiener Offene Orientalistik” a collection of 23 essays entitled “The Empirical Dimension of Ancient Near Eastern Studies – Die empirische Dimension altorientalischer Forschungen.” The contribu-tions address the relationship between Assyriological research and science from different perspectives. This volume was conceptualized after a symposium orga-nized with the university’s Oriental Institute between 18th and 21st of July 2007, in order to honour Hermann Hunger on the occasion of his retirement. The programme of the symposium listed the following contributions:

1. Lis Brack-Bernsen: „Worte und Zahlen: Entzifferung von babylonischen astronomi-schen Vorhersageregeln / Words and Numbers: unravelling Babylonian Astronomical Predicting Rules“

2. John Steele: „Goal Year Periods and Their Use in Predicting Planetary Phenomena“ 3. Salvo de Meis: „Some hints from the Astronomical diaries and other works by

Hermann Hunger“ 4. Hans J. Nissen: „Vor der Schrift“ 5. Martha Roth: „Philological basic research: On the history of the Chicago Assyrian

Dictionary“ 6. Karen Radner: „The king and his scholars: How representative are the letters to

Esarhaddon and Assurbanipal?“ 7. Dominique Charpin: „Zur Funktion mesopotamischer Tempel“ 8. Tzvi Abusch: „Omens and Voodoo-Death in Ancient Mesopotamia“

We wish to express our gratitude to those colleagues who asked for an eventual publication of their—revised—contributions. We are indebted even more to the other authors who agreed to contribute to this volume, which is far from being normal in the present difficult situation of the universities. An increasing teaching load on a college level at one side and the quest for excellence financed from the outside and within the framework of elaborated but not always feasible and sensible projects consume much time, leaving little time for actual research.

The contributions and discussions of Hermann Hunger’s important works on the history of astronomy formed the point of departure for this volume. In the last decades his work became known far beyond the field of cuneiform specialists. An attempt to pay homage to Hermann Hunger was made with the publication of numerous essays in his Festschrift, which appeared 2007 as volume 97 of the Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes (M. Köhbach, R. Lohlker, S. Procházka and G.J. Selz, eds.). Despite the fact that Hermann Hunger was very

Vorwort

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supportive of the present volume’s concept, he insisted, in his well-known modesty, that it must not become a second “Festschrift.” Accordingly, whereas a number of contributions are related to Hunger’s research programme, others originate from quite different fields of Assyriology.

The title we chose for this volume and to which contributions were asked, is not very specific. In fact, it encapsulates two possible ways of understanding. In one interpretation the theme asks after the relevance of empiricism for the field of Near Eastern Studies, but on the other hand, it does also refer to possible con-tributions of Ancient Near Eastern studies to the history of sciences. As we see it, this opaqueness turned into an advantage. The authors approached the topic from very different angles. Given this freedom it is of course unavoidable that the thematic relevance of the contributions to the theme is also varying. The conceptualization of this volume and the ongoing discussions in Assyriology prevented us from choosing a more programmatic heading as we find it, for example, in the famous works of G.E.R. Lloyd, Magic, Reason and Experience (1979) or of S.J. Tambiah, Magic, Science, Religion, and the Scope of Rationality (1990). It is well known that divination was the most prominent field for the Mesopotamian scholars, but as there were a number of excellent editions and studies published in the last decades, magic became not a salient topic. Nevertheless magical concepts cannot be overlooked when one discusses epistemic concepts, related to definitions of “science,” as some contributions do. But, even when we insist on the hypothesis that Mesopotamian knowledge acquisition was primarily empirically based, we are well aware of the fact that all empiricism is based on an epistemic framework. Hence, perception, observation or empiricism deal just with one side of Mesopotamian culture. Epistemic concepts – both ancient and modern – as important as they are, are not in the centre of this volume. Nevertheless, some contributions do address these forms of Mesopota-mian knowledge, a topic for which, we feel much further research is wanted.

The two major questions of this collection, namely how much Assyriological research can contribute to the different fields in the history of science, and which role empiricism played in the implicit and explicit construction of Mesopotamian scholarship are certainly not fully answered. Such a collection of essays, as offered here to the reader, neither would nor could do so. Our aim was to draw attention to and eventually shed some light on the relevance of empirical approaches in Ancient Near Eastern studies. If we could demonstrate this, eventually beyond the circle of specialists, this undertaking was not in vain.

Finally it has to be mentioned that the sometimes difficult task of layouting was entirely done by Klaus Wagensonner in his spare time. The indices were

Vorwort

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prepared with the help of Nadia Linder (University of Vienna). The printing of this book was supported by grants from the Austrian Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung and the Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät der Universität Wien.

Vienna, November 2010

Gebhard J. Selz, Klaus Wagensonner

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EINLEITUNG [0] Mythen und Monster – die Erinnerung an die Leistungen altorientalischer Kulturen wurde lange durch diese Themen bestimmt, und es ist das damit zusammenhängende „Fremde“, das auch heute noch nicht selten die Rezeption des stetig wachsenden und inzwischen kaum mehr überschaubaren mesopotami-schen Quellenmaterials beeinflusst. Dieser Band versucht mit eher allgemeinen aber auch hoch spezialisierten Beiträgen solche Vorurteile auszuräumen. Bekannt ist etwa die Skepsis, die der große A.L. Oppenheim vor rund 50 Jahren gegenüber unseren Möglichkeiten die altorientalischen Kulturen und insbesondere deren integraler Bestandteil „Religion“ zu verstehen äußerte.1 Dennoch haben wir den Eindruck, dass die Fortschritte in der Erforschung des Alten Orients in den letzten Jahrzehnten es erlauben, diese Skepsis einzuschränken. Diese Einleitung wendet sich vor allem an den interessierten Leser, der, ohne sogleich in die teilweise komplexen Arbeiten einzusteigen, sich vorab einen Eindruck über die Gegenstände der einzelnen Autoren und ihren Platz im Zusammenhang der Thematik des Bandes gewinnen möchte.2

Zwei Hypothesen liegen dem hier vorgelegten Bande zugrunde: [0.1] Der Referenzrahmen aller kultureller Hinterlassenschaften des Alten

Orients bildet letztlich ein Erfahrungswissen. Da dem mesopotamischen Denken allerdings vorgängige Kategorisierungen wie „Materie“ und „Geist“, ja sogar „Natur“ und „Kultur“ im wesentlichen immer unbekannt geblieben sind, basiert es auf einer wesentlich anderen epistemischen Kultur. Weitgehend wird z.B. davon abgesehen, zwischen Erscheinungen erster, zweiter oder dritter Ordnung grundsätzlich zu unterscheiden. So werden natürliche Phänomene wie kulturelle Errungenschaften ähnlichen Erkenntnisprinzipien unterworfen. Nur wenn wir diese einschlägigen Quellen nicht von vorne herein in unser Kategoriensystem pressen, nähern wir uns einem Verständnis der Leistungen des Alten Orients wirklich. Insgesamt geht es uns also um die empirische Dimension der altorientalischen Kulturen.

[0.2] Die hervorragende Bedeutung der altorientalischen Quellen für die Geschichte der empirischen Wissenschaften ist in Fachkreisen bestens bekannt,

1 A.L. Oppenheim, Ancient Mesopotamia. Portrait of a Dead Civilization, Chicago, London 1964, hier speziell 172-183. 2 Für die Zusammenfassung der Arbeiten von Teil I und III zeichnet G.J. Selz, für jene von Teil II und IV K. Wagensonner verantwortlich.

Einleitung

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spielt aber im „Bildungswissen“ noch immer eine eher marginale Rolle. Umgekehrt bewirkt die fortschreitende Spezialisierung aber auch, dass selbst den Altorientalis-ten viele dieser empirischen Fachgebiete und deren Beitrag zur Erforschung der altmesopotamischen Quellen kaum bekannt sind. Wer sich etwa auf politische oder juristische Quellen spezialisiert hat, wird nicht unbedingt ein tieferes Ver-ständnis für mathematische, astronomische oder medizinische Texte besitzen. Im vorliegenden Fall lautete also unsere Fragestellung nach den Beiträgen der modernen empirischen Wissenschaft zur Erforschung altmesopotamischer Quellen.

[0.3] Die Beiträge des vorliegenden Bandes sind von den Autoren völlig unabhängig und nur nach unseren eher vagen Vorgaben verfasst worden. Die Arbeiten dieses Bandes haben wir dann in vier Kapitel gegliedert – dabei hat die Entstehungsgeschichte des Bandes zur Folge, dass thematische Überschneidungen nicht völlig vermieden werden können. So werden z.B. in vielen Artikeln auch außerhalb des I. Kapitels, das sich mit dem grundlegenden Thema „On Empiricism in the Ancient Near East“ beschäftigt, eher theoretische Fragen angeschnitten. Obwohl es unsere Absicht war, einen thematisch einigermaßen kohärenten Band zusammenzustellen, sollten und haben sich die verschiedenen Autoren der Frage nach der Relevanz von empirischen Forschungen in und für die Altorientalistik aus ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten angenähert. Wir sehen dies sogar als Vorteil unseres Konzeptes.

[I] Das I. Kapitel behandelt das Thema „Empiricism in the Ancient Near East“ und beschäftigt sich mit Beobachtungen zur empirischen Basis altmesopotami-scher Wissenschaften.

[I.1] Unter theoretischen Gesichtspunkten zentral ist der erste Beitrag von Gerd GRASSHOFF über „Babylonian Metrological Observations and the Empirical Basis of Ancient Science“. Er beschäftigt sich aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht mit der Frage des Verhältnisses von „science“ und „myth“, oder mit der gerade auch in der Altorientalistik so einflussreichen Unterscheidung von „science“ und „pseudoscience“. Den häufig postulierten Gegensatz beschreibt Graßhoff so: „the objectives of science include[s] the acquisition of truth and the avoidance of errors by following methodical procedures, … pseudosciences … serve(s) other, ideological orientations than those of truth. Consequently, their methodology does not necessitate the acquisition of knowledge and empirical observations“. Allerdings gäbe es in der gesamten altorientalischen Überlieferung keinen über-zeugenden Beweis für die Existenz solcher zwei unterschiedlicher epistemischer Kulturen; die Konsequenzen aus dieser These sind bedeutend: Wenn das mesopo-

Introduction

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tamische Konzept von Wissen methodische Untersuchungen und (Mythos-basierte) Spekulationen gleichermaßen umschließt, ergibt sich eine Neuorientierung wissen-schaftsgeschichtlicher Fragestellungen „from content to the function of knowledge“. Graßhoff versucht am Beispiel der „Astronomical Diaries“ nachzuweisen, dass die alte These von solchen zwei unterschiedlichen epistemischen Kulturen „mislead the systematic interpretation of texts.“

Am Beispiel eines historisch besonders bemerkenswerten aber formal typi-schen Eintrags und zwar dem Sieg Alexanders über die Perser in der Schlacht bei Gaugamela im Nordiraq im 6. Monat des 5. Regierungsjahres von Darius III., dem 1. Oktober 331 v. Chr., wird ausgeführt, wie astronomische und meteorologische Beobachtungen verbunden werden, nicht nur mit den Monatspreisen für bestimmte Güter, sondern auch mit dem Bericht über Alexanders Sieg über Darius.

Graßhoff3 notiert für diese Textgruppe ein über sechs Jahrhunderte prinzipiell erstaunlich stabiles Aufzeichnungsverfahren – (weitgehend) unabhängig also von kulturellen und politischen Veränderungen: „A global distribution of the key concepts is, therefore, a precondition for finding patterns in the reoccurrences of natural events“. Unterstreichen möchten wir an dieser Stelle auch Graßhoffs Feststellung, dass eine systematische Sammlung empirischer Daten ohne theoreti-sche Fundierung unmöglich bleibt.4

[I.2] Im folgenden Beitrag „Remarks on the Empirical Foundation of Early Mesopotamian Knowledge Acquisition“ diskutiert Gebhard SELZ das mesopotami-sche Konzept von Wahrnehmung und dessen Verbindung zu Weisheit und Wissen. Er erörtert die Problematik evolutionistischer Hypothesen zur Geschichte der Wissensformen und besteht auf einem Nebeneinander verschiedener epistemi-scher Modelle. Am Beispiel von Taxonomien und Klassifikationen und der mesopotamischen „Listenwissenschaft“ illustriert er anschließend das für die Erforschung der mesopotamischen Kulturen zentrale Verhältnis von „explicit and implicit knowledge“.

3 Die Kombination von meteorologischen, astronomischen und ökonomischen Daten sowie politischen Ereignissen ist typisch für die „Astronomical Diaries“. 4 Gewiss, dies ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit, die allerdings im Bereich des Diskurses in der Altorientalistik, wo nicht selten ein Gegensatz zwischen „theoretischen“ und „praktischen“ Zugängen konstruiert wird, nicht immer berücksichtigt scheint. Vgl. dazu G.J. Selz, „Political History: Aspects of conflicts and their management before the Old Babylonian Period“, in: A. Hausleiter, S. Kerner, B. Müller-Neuhof (eds.), Material Cultures and Mental Spheres (AOAT 293), bes. 107-115 und die Kommentare von M. Liverani und N. Yoffee in jenem Band.

Einleitung

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[I.3] Petr CHARVÁT widmet sich in „A Hair Perhaps Divides the False and the True“ den Möglichkeiten und Differenzen in der (wissenschaftlichen) Hypothesen-bildung in der modernen und der alten Welt. Er untersucht sein Thema zunächst anhand der Frage nach dem Verhältnis der diversen altorientalischen Quellen für eine mögliche Geschichtsschreibung. Eine solche, so betont er zurecht, bleibt immer fragmentarisch, denn „une histoire totale se réduirait au zéro“. Das zentrale Problem bleibt der Vorgang der auf Fakten basierten Hypothesenbildung. Er unter-streicht, dass, obgleich in der vorklassischen Antike keine grundsätzliche Ver-schiedenheit zu modernen Denkprozessen vorläge, im Alten Orient dennoch die Hypothesenbildung „usually began from a different set of assumptions about the visible and invisible world“. Daher sei es unvermeidlich, dass „the so-called objective facts … must be assessed in the light of what we know about the assumptions of the ancient mind-set“. Der Autor gibt dann einen Überblick über „große Hypothesen“, von Wittfogel, Polanyi, Renfrew, Binford u.a.m. bis hin zu den post-prozessualen und handlungsorientierten Beschreibungsmodellen. Obzwar die Kenntnis und wohlüberlegte Anwendung der unterschiedlichsten Theorien sehr nützlich sein kann, so zweifelt Charvát jedoch grundsätzlich an der Existenz von „general laws of historical development“. Stattdessen beschreibt er anhand zweier Fallstudien aus dem Emar des 13. Jhd. v. Chr. und aus dem Böhmen des 12. Jhd. n. Chr., wie von verantwortungsbewussten Personen Sklaven durch eine Schreiberausbildung die Möglichkeit eröffnet wurde, ihr Schicksal zu verbessern. Die ungeheure Anzahl und die große Diversität der altorientalischen Quellen kann für das Aufdecken solcher „structures de longue durée“ oder ein verbesser-tes Verständnis der conditio humana wichtige Beiträge liefern.

[I.4] Regine PRUZSINSZKY nähert sich „In kleinen Schritten zur mesopotami-schen Kurzchronologie des 2. Jts. vor Chr.“5 In der Tat gilt die Chronologie ja „als Grundgerüst historischer Forschung“. Jeder Altorientalist, der einmal z.B. anhand der Verwaltungsarchive des 3. Jts. wirtschaftliche Abläufe von Tag zu Tag und Monat zu Monat rekonstruieren konnte, kennt das Kopfschütteln von geschichtlich Interessierten, deren Frage nach der absoluten Datierung er dann nicht einmal auf das Jahrhundert sicher beantworten kann. Für die verschiede-nen existierenden Datierungsansätze entscheidend ist oft die Art der Quellen, von denen ausgegangen wird. Die Autorin resümiert zunächst den Forschungs- 5 Vgl. weiters H. Hunger & R. Pruzsinszky (ed.), Mesopotamian Dark Age Revisited, in: Contributions to the Chronology of the Eastern Mediterranean 6, Wien (2004) und R. Pruzsinszky, Mesopotamian Chronology of the 2nd Mill. BC, An Introduction to the Textual Evidence and Related Chronological Issues, in: Contributions to the Chronology of the Eastern Mediterranean 22, Wien (2009).

Introduction

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stand und nimmt das Ende der Babylon I Dynastie im Jahre 1499 v. Chr. als Bezugspunkt entsprechend der „New Chronology“ (NC). Nachfolgend skizziert sie die lange Diskussion und die weit divergierenden Ansätze vor allem für die altbabylonische Zeit, und zwar seit dem 19. Jh. n. Chr. bis in die Gegenwart. Einstimmig akzeptierte Fixpunkte der absoluten Chronologie sind noch heute nur die Sonnenfinsternis von 763 v. Chr. und die durch einschlägige Listen rekon-struierten und bis ca. 1420 v. Chr. zurückreichenden Jahresfolgen. Dann werden die Venus Daten der 63. Tafel von EAE in ihrer problematischen Auswertung besprochen: Daraus ergaben sich für das 1. Jahr Ammiṣaduqas die unterschiedli-chen Daten –1701, –1645 oder –1581, die in etwa den Ansätzen der langen, mittleren und kurzen Chronologie entsprechen. Pruzsinszky betont abschließend, dass nun, nach der wachsenden Ablehnung der Datierungsrelevanz der Venus-tafeln und aufgrund der fehlenden Textzeugnisse für die Verhältnisse „zwischen dem Ende der Babylon I Dynastie und dem mit Hilfe der Eponymen- und Königs-listen eruierten Zeitpunkt von 1420 v. Chr.“, die „assyrische Chronologie mit der Vernetzung über Šamši-Adad I. zu naturwissenschaftlichen und astronomischen Daten an Bedeutung“ gewinnt.

[I.5] John M. STEELE widmet sich den „Goal Year Periods and Their Use in Predicting Planetary Phenomena“; der Aufsatz ist ein spezieller Tribut an H. Hunger, der die entsprechenden Texte herausgab. Der auf A. Sachs zurück-gehende Begriff beschreibt jene Texte, die – beruhend auf der Beobachtung von Himmelskörpern und der Regelmäßigkeit ihrer Umlaufzeiten, wie sie in den „Diaries“ festgehalten wurden –, astronomische Voraussagen für ein bestimmtes „Zieljahr“ machen.6 Steele bemerkt, dass solche empirisch-basierten Vorhersagen „probably antedates the so-called ACT methods“, d.h. die mathematische Methode der Astronomical Cuneiform Texts von O. Neugebauer. Beobachtet wurden zwei Typen planetarischer Phänomene: Der erste Typ sind die „synodic phenomena …, which depend upon the spatial relationship between the planet and the sun as seen from the earth“, der zweite die „sideareal phenomena, which depend upon the position of the planet within the fixed stars“. Die Anwendung der Goal-Year-Perioden erlaubte – anders als die ACT Methoden – auch die Vorhersage der Konjunktionen von Planeten und Fixsternen (sp. den sog. „Normal Stars“).

Als ein Beispiel für solche Vorhersagen dient z.B. Jupiter. Er erscheint etwa alle dreizehn Monate am Nachthimmel vor Morgengrauen und nach 71 Jahren

6 Die Goal-Year Texts heißen nach den Formularen auch: „First Days, appearances, passings and eclipses which are established for year x“.

Einleitung

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wiederholt sich dieses Phänomen an ziemlich genau demselben Tag des baby-lonischen Kalenders.

Steele weist darauf hin, dass bereits in den ältesten „Diaries“ und in den Briefen und Berichten der Astronomen an die neuassyrischen Könige sich Bei-spiele für solche Vorhersagen finden, wenngleich die besseren erst in die Perser-zeit datieren. Hier wird dann BM 38823 als Beispiel für das komplexe tabellarische Arrangement solcher Texte vorgestellt und gezeigt, wie kleinere Abweichungen von den geschätzten Regelmäßigkeiten korrigiert wurden; entsprechende Texte werden anschließend besprochen (vgl. Tabelle 1). Für den Wissenschafts-geschichtler von besonderer Bedeutung ist die Annahme des Autors, die Abweichun-gen einzelner Berechnungen seien nicht „intended improvements“ früherer Daten, sondern illustrierten „the plurality of astronomy in Babylonia“.

Nachfolgend bietet der Autor eine Beschreibung des Aufbaus der Goal Year-Texte (synodische Phänomene von Jupiter, Venus, Merkur, Saturn, Mars und andere Daten) und ihrer Funktionen. Die Vorhersagen fanden dann höchstwahr-scheinlich Eingang in die „Almanacs“ and „Normal Stars Almanacs“, deren Be-ziehung zu den Goal Year-Texten (kurz GYT) anschließend diskutiert wird. Steele schließt mit der Feststellung, dass die GYT ein erstaunlich einfaches aber wirk-sames Mittel für die Vorhersage planetarischer Phänomene darstellten: „they reduced the prediction of planetary phenomena to little more than record-keeping“, erreichten dabei aber oft eine genauso hohe Treffsicherheit wie Berechnungen nach der ACT Methode. Damit zeigt auch dieser Beitrag, welche Bedeutung der Empirie in den babylonischen Wissenschaften zukam.

[I.6] Lis BRACK-BERNSEN und John M. STEELE beschäftigen sich hier mit einem speziellen Aspekt der babylonischen Astronomie und zwar den „14-months Intervals of Lunar Velocity and Column Ф in Babylonian Astronomy: Atypical Text C“. Dabei handelt sich um einen weiteren Beitrag zu den zentralen Forschungen von H. Hunger, gewidmet den besonders schwierigen Texten der babylonischen Astrono-mie, die sich beschäftigen mit „predicting rules for finding, among others, lunar phases (the Lunar Six), duration of the lunar month and the time of lunar eclipses“. Damit leisten die Autoren einen wichtigen Beitrag zur Rekonstruktion und Verständnis der babylonischen mathematischen Astronomie. Nachdem Vorher-sagen bezüglich der „Lunar Four“ („the time differences between the risings and settings of the sun, measured in the days around opposition“) mit Hilfe der GYT seit dem 6. Jhd. belegt sind, wird hier auf die Rolle der „Lunar Four“ für die Rekonstruktion von Ф diskutiert und anschließend dessen mathematische Rekon-struktion vorgeführt. Ein drittes Kapitel des Beitrags diskutiert dann die Bezie-

Introduction

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hungen zum „Atypical Text C“ (BM 36301). Unsere mathematische Expertise reicht bei weitem nicht aus, den Beitrag an dieser Stelle zu würdigen; es bleibt also den kundigen Lesern überlassen, seine Bedeutung für Theorie und Praxis der babylonischen mathematischen Astronomie zu würdigen (inklusive der Berechnung von Mondfinsternissen und einem möglichen Bezug zur Mondfinsternis unter Kandalanu).

[I.7] Salvo DE MEIS beschäftigt sich mit „Tablets, Tides and the Level of the Euphrates“. Unter den vielfältigen Beobachtungen, die in den „Astronomical Diaries“ gesammelt wurden, finden sich auch Berichte über systematische Wasser-standsbeobachtungen etwa zwischen den Jahren 626 v. Chr. und 75 n. Chr., wobei die Daten allerdings, im Gegensatz zu den astronomischen, recht bruchstückhaft und unvollständig sind. De Meis summiert zunächst die Informationen der „Diaries“, und sucht nach der Verbindung dieser Daten mit der durch die Gravitation von Mond und Sonne beeinflussten Fluten. Bedeutung hat dabei die Tatsache, dass extreme Erdnähe oder Erdferne des Mondes extreme Flutverhältnisse hervor-rufen, jene aber nicht regelmäßig auftreten. Die Berechnung von Erdferne und Erdnähe neben Mond- und Sonnenfinsternisse wurden dann in Beziehung gesetzt zu den Fluß-Wasserständen der „Diaries“. Berücksichtigt in De Meis Berechnun-gen wurden dann auch die in den Diaries erwähnten Regenfälle. Die Bedeutung der klimatischen Bedingungen, die zu größeren Flutwellen von März bis Mai führen, wird an rezenten Daten (1985-1988) vorgeführt; ähnliche Berechnungen anhand der Daten der „Diaries“ werden zunächst in Aussicht gestellt. Deren Bedeutung für die Rekonstruktion der Umweltverhältnisse und damit auch der Geschichtsschreibung liegt klar auf der Hand. In einer Nachschrift zeigt der Autor dann die überraschende Übereinstimmung der babylonischen Messungen mit den erwähnten rezenten Daten auf und fügt neue Berechnungen zum kompli-zierten Einfluss der Meeresfluten auf die Flusswasserstände bei.

[I.8] Kazuo MUROI beschäftigt sich mit den „Mathematics Hidden Behind the Practical Formulae of Babylonian Geometry“. Er beginnt mit sumerischen Sprich-wörtern, die auf die große Wertschätzung des „Rechnens“ in der babylonischen Schreiberausbildung verweisen. Dann unterstreicht Muroi das Interesse der Babylo-nier an „Zahlentheorie“ und an „Lösungen von Gleichungen“ im Hinblick auf die praktische Anwendung.

Nun diskutiert der Autor zunächst eine Formel aus der Flächenvermessung zur Berechnung von Vierecken mit ungleichen Seitenlängen; er nimmt dies als Beispiel für das Interesse der babylonischen Schreiber an den „general properties of mathematics“. Anschließend beschäftigt Muroi sich mit dem viel diskutierten

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Wert von π = 3, und argumentiert dafür, dass diese nur éin den Babyloniern bekannter Annäherungswert darstellt: So findet sich nach dem Autor aufgrund von detaillierten Überlegungen zur Berechnung von Kreissegmenten anhand des Textes BM 85194 dort auch ein Wert von π = 3,15. Sodann beschäftigt er sich mit den „pythagoreischen Tripeln“ zur Berechnung trapezoider Flächen, und schlägt vor, dass die griechische Mathematik hier auf babylonischen Vorläufern fuße, unterstreicht aber auch, dass „the Babylonians gave priority to the ease of calculations in solving various equations“.

[I.9] Jeanette FINCKE verdanken wir eine Arbeit über „Spezialisierung und Differenzierung im Bereich der altorientalischen Medizin“. Sie beginnt zunächst mit dem „medizinischen Experten“ a-zu, a-zu5 bzw. a-su, der bereits („volksetymo-logisch“) in der 2. Hälfte des 2. Jahrtausends als der „Wasserkundige“, also jener der die Körperflüssigkeiten kennt, interpretiert wurde.7 Empirische Beobachtungen „am Menschen selbst“, bzw. auch an Tieren, die per Analogieschluss auf den Menschen übertragen wurden, befähigten diese Experten in Verbund mit der tradierten Kenntnis von Heilpflanzen, Mineralien und anderer Substanzen, zum Heilen, wobei die Heilkunst schon früh mit der Göttin Gula verbunden war. Sie erwähnt die unterschiedlichsten Behandlungsmethoden und verweist auf das aus Bronze hergestellte medizinische Instrumentarium und die verschiedensten Operationen, inklusive der bereits seit dem Neolithikum bezeugten Trepanation. Wie auch andere Wissensgebiete wurde das überlieferte Wissen Babyloniens im 1. Jt. in Kompendien zusammengefasst. Ein Überblick über die Krankheits-bezeichnungen schließt sich nun an, von denen eine Reihe eher phänomenolo-gisch, andere eher mythologisch konnotiert sind. Das Konzept des Krankseins wird selbstverständlich mit religiös-magischen Aspekten in Verbindung gebracht, weshalb die Behandlungen durch Beschwörungen, Gebete u.a. begleitet werden. Der Aufgabenbereich des dafür verantwortlichen „Beschwörers“ lässt sich von jenem des „Arztes“ oft nicht eindeutig abgrenzen. Jedoch ist auf der anderen Seite die Spezialisierung nach Fachgebieten gut belegt. Recht schwierig erweist sich auch im Detail die Identifizierung der Krankheiten und Symptome, was Fincke an mehreren Beispielen darlegt.

Besondere Schwierigkeiten bestehen bei gegenwärtigem Forschungsstand noch im Bereich der Hautkrankheiten, mit denen sich die Autorin dann ausführlicher befasst und dazu neues Material vorstellt (BM 41282(+)41294. Sie ediert und

7 Mit den meisten Keilschriftwissenschaftlern hält die Autorin dies aber nicht für die „ursprüng-liche“ Etymologie.

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diskutiert umfassend die in diesem Text behandelten Hautsymptome, begleitet von umfangreichen Verweisen auf Übereinstimmungen mit anderen medizinischen Texte.

Insgesamt bereichern die in Kapitel I versammelten Beiträge unsere Kenntnis der Methoden und Resultate der mesopotamischen „empirischen Wissenschaf-ten“: das altmesopotamische Erbe umfasst weit mehr als „Mythen und Monster“. Der Leser bekommt zugleich einen hervorragenden Einblick, welche beein-druckenden Forschungsleistungen hinter der Erschließung dieser Quellen stehen. [II] Im Kapitel „The Empirical Foundations of Mesopotamian Subsistence“ sind Beiträge zur Nutzung von Land und seiner Bewässerung, Viehzucht sowie Ernährung gesammelt. Die einzelnen Arbeiten fokussieren sich auf sehr unter-schiedliche Epochen, beginnend mit einer Auswertung von bereits in den frühesten Texten des ausgehenden 4. Jahrtausends bezeugten Farbtermini bis hin zu ethnographischen Studien des ausgehenden 19. Jh. n. Chr.

[II.1] In der ersten Arbeit dieses Kapitels beschäftigt sich Stephanie ROST in ihrem Beitrag „Irrigation Management in the Ur III Period: A Reconstruction Based on a Case Study of the Maintenance of the íd-NINA-šè-DU Canal of the Province Lagaš” mit zwei bedeutenden Quellen zur Bewässerung in der Provinz Lagaš am ausgehenden 3. Jahrtausend. Diese Studie basiert auf ihrer in Wien eingereich-ten Magisterarbeit.8 Die beiden Texte, die im Zentrum ihrer Auswertung stehen, tragen zur Rekonstruktion der Nutzung eines Teilabschnittes des sog. „Kanals, der nach NINA führt“ (i7-NINAki-še3-DU) bei. Obgleich diese beiden Texte bereits zuvor publiziert worden sind,9 wurden die enthaltenen Informationen noch nie empirisch ausgewertet. Sehr anschaulich ist der von der Autorin erstellte Plan des in den Texten beschriebenen Kanalabschnittes (S. 269). Sie bemerkt, dass „both texts make reference to the same secondary canals íd-kun – mentioned at the end of text BM 21335 and at the beginning of BM 93831 – and as such, they discuss two overlapping points, throughout the content of this text and can be joined with each other“. Eine Neu-Edition der Texte folgt in ihrem Appendix auf S. 242ff.

8 Zur Organisation der Bewässerung in der Provinz Lagaš in der Ur III-Zeit (2112-2004 v. Chr.) (Wien 2006). 9 Es handelt sich um die beiden sehr gut erhaltenen Tafeln CT 3, 35ff. (BM 21335) und ASJ 19, Nr. 127 (BM 93831).

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Nach einer kurzen Einführung in die Thematik behandelt sie im folgenden Abschnitt „Methods applied in the re-evaluation of the available information“ die Frage nach der Organisation des Ur III-zeitlichen Bewässerungssystems und ins-besondere den Grad der Kontrolle einer Zentralgewalt. Da „the terms ‘centralization’ and ‘decentralization’ do not allow for describing the relationship between the internal authority structures and how the irrigation management system relates to other social systems“, möchte die Autorin die Begriffe “concentrated” und “dispersed” verwenden, um die interne Kontrolle einer Organisationseinheit zu charakterisieren.

Nach einigen Bemerkungen zum „environmental background“ beschäftigt sich Rost ausführlich mit dem „cultural background of the Ur III period“. Die Struktu-ren des straff organisierten Ur III-Reiches erstreckten sich auf drei Ebenen, (1) einer staatlichen mit dem Palast als Zentralgewalt, (2) einem von Tempelwirt-schaft geprägten Sektor, der vor allem für die Getreideproduktion im Distrikt Lagaš verantwortlich war sowie (3) einem privaten Sektor. Aufgrund ihrer Bedeutung für die Organisation der Bewässerungswirtschaft zieht die Autorin die Provinz Lagaš insbesondere für ihre Studie heran.

Nachdem sie bisher etablierte Erklärungsmodelle für eine staatlich organi-sierte Verwaltung des Bewässerungssystem angeführt hat, versucht Rost diese Modelle zu relativieren aufgrund der Tatsache, dass „scholars have not paid enough attention to the fact that the available documents have come almost exclusively from public/institutional households and therefore are not represen-tative of the private sector“. Weiters unterstreicht die Autorin das Fehlen (1) von archäologischen Daten zu Größe und Aussehen des tatsächlichen Bewässerungs-systems und (2) von administrativen Aufzeichnungen bezüglich der Verteilung von Wasser sowie die relativ dünn gesäten Informationen zu Wasser bezogenen Konfliktlösungen. Insbesondere bei letzterem Punkt hätte eine zentrale Ver-waltung wesentlich mehr Informationen erbracht: „This lack of data (…) argues that the state did not manage all aspects (or not to its full extent) of irrigation“. Auch das Fehlen (3) von Berufsbezeichnungen und Funktionen, die für die Organi-sation des Bewässerungssystem zu erwarten wären, spricht für die Hypothese der Autorin, dass die Bewässerung offenbar nicht zur Gänze unter staatlicher Kontrolle stand: „the complete absence of a hierarchy of professions and offices for irrigation management casts doubts on the degree of state interference in irrigation works“.

Mithilfe der zuvor angesprochenen Texte versucht Rost eine „partial schematic reconstruction“ eines 10–15 km langen Abschnittes des i7-NINAki-še3-DU, der ursprünglich auf etwa 50 km die Orte Girsu, Lagaš, NINA und möglicherweise Guʾabba verband. Anhand der beiden „work assignment texts“ kann die Organi-

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sation eines Hauptkanals plausibel rekonstruiert werden, da die Texte so struktu-riert sind, dass spezifische Abschnitte, die damit verbundene Arbeitsleistung sowie die Person, Gruppe oder Institution, der der betreffende Abschnitt zugewiesen ist, angeben. Rost kann fünf verschiedene Gruppen nachweisen: (1) (möglicher-weise) private Individuen ohne erkennbare Affiliation zu einer Institution; (2) Individuen, die zusätzlich mit Berufsnamen identifiziert sind; (3) Leute, die zu Berufsgruppen zählen; (4) Funktionsträger, die möglicherweise zu zentral ver-walteten Institutionen gehören; (5) Individuen, zu denen eine Affiliation zu einem Tempel besteht. Anhand dieser Einteilung sowie der in den Texten zugeteilten Kanalabschnittslänge konnte Rost die unterschiedliche Arbeitslast (berufs)gruppen-bezogen berechnen. Die Längen variieren zwischen 9 m für einen Gärtner und 4155 m für den Hausverwalter des Nanna.

Folgend diesen Beobachtungen stellt Rost die Hypothese auf, dass die Zuteilung der Arbeitslast hauptsächlich von der Provinzverwaltung ausging und die Instand-haltung des Kanals in den Händen der Individuen, Berufsgruppen oder Tempel lag, als Gegenleistung für das Recht, den jeweiligen Kanalabschnitt zu nutzen. Insbe-sondere für die oben angeführten Gruppen 1-3 ist es sehr wahrscheinlich, dass der Staat nur wenig oder überhaupt keinen Einfluss auf die Arbeitszuteilung ausübte.

[II.2] In „The Size of the Cultivated Area of the Mesopotamian Alluvium as an Historical and Politico-Empirical Problem“ versucht Daniel T. POTTS, die Berichte von Reisenden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts n. Chr. auf empirischer Basis auszuwerten. Großes Augenmerk legt Potts auf die Arbeiten des Tirolers Aloys Sprenger und insbesondere auf das 1886 erschienene Werk Babylonien, das „as instructive on matters of empiricism and source criticism as it is on late 19th century attitudes towards colonial expansion“. Das (vorgebliche) Fehlen von westlichen Kolonisationsbemühungen im Irak des 19. Jahrhunderts trotz seiner durch Bewässerung hervorgerufenen Fruchtbarkeit und des dadurch vorhandenen großen Potentials wird von Sprenger durch das fehlende Geschichtsbewusstsein der Kapitalisten und Politiker des ausgehenden 19. Jahrhunderts begründet. Dennoch gab es in der Folge durchaus Bestrebungen, den Irak auch mit Hilfe der Baghdadbahn als Getreide- und Wolllieferanten für Deutschland zu etablieren. Nach Potts hat Sprengers Babylonien „considerable relevance to modern studies of ancient Mesopotamian agriculture“. Potts diskutiert Sprengers statistische Auswertung älterer arabischer Quellen und die sich aus seinen Berechnungen ergebenden, positiven Aussichten für eine Kolonisation bzw. Einflussnahme irgendeiner Art und Weise (nach Sprenger: „Der Orient ist das einzige Territorium der Erde, das noch nicht von einer der emporstrebenden Nationen in Beschlag

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genommen worden ist; er ist aber das schönste Kolonisationsfeld“). Sprengers Arbeit fand großen Anklang, doch stand sie schon kurz darauf in Kritik, so u.a. durch den Mathematiker und Geographen Hermann Wagner. Diesem gelang die „deconstruction of Sprenger’s argument“, indem er die von Sprenger konsultierten arabischen Quellen mit Hilfe von führenden Semitisten seiner Zeit durchsah und Sprengers Kalkulationen bezüglich der nutzbaren Fläche im südlichen Irak ad absurdum führte. Mit Wagners Studien zu den Distanzangaben und den arabischen Itineraren konnte er die Berechnungen der von Sprenger zuvor korrigierten arabischen Gelehrten Māwardī, Qudāma und Ibn Khurdādhbih bestätigen. Potts beleuchtet, dass Wagner noch kein Bewusstsein für die „great antiquity of Mesopotamian ʻpractical geometryʼ or ʻsub-scientific mathematicsʼ“ besaß. Dieser jedoch kritisierte selbst die Herangehensweise Qudāmas, der für die Berechnung der Fläche „Babyloniens“ ein Parallelogramm annahm, dessen „vier Seitenlinien niemals durch die vier Hauptpunkte ʻAlth, Holwân, ʻAbbadân, ʻOdhaib gelegt werden könnten, ohne ungeheure Strecken der Nebenländer in die Figur einzuziehen“. Diesen (wiederholten) Fehler lastete er auch Sprenger an.

Potts diskutiert anschließend die verschiedenen moderneren Ansätze für die Bestimmung der kultivierten bzw. bewässerten Fläche in Mesopotamien, welche von 800.000 in der untersten Extreme bis zu 5.000.000 ha als Obergrenze reicht. Potts Argument – basierend auf neueren Forschungen – ist, dass „much potentially cultivable land was in fact not cultivated and any estimates of cultivated land area must take such factors into consideration“. Er schließt mit dem Argument, dass “Assyriological research cannot be accused of being anti-empirical, but (…) empiricism with limited or faulty data is dangerous”.

[II.3] In „Babylonian Land Survey in socio-political Context“ beschäftigt sich Heather D. BAKER mit der Landvermessung, die beispielsweise bei dem Transfer von Grundstücken eine entscheidende Rolle spielte, um zu gewährleisten, dass der Käufer exakt das vereinbarte Grundstück erhält. Baker basiert ihre Quellen auf zwei wichtigen Textcorpora, den mittelbabylonischen sog. Kudurrus und den Kaufurkunden des 1. Jahrtausends v. Chr. Wenngleich Landvermessung sowohl im individuellen als auch im institutionellen Bereich sehr spezifische Funktionen erfüllte (z.B. Ermittlung des Preises, Basis für Steuer etc.), konzentriert sich die Autorin in der Hauptsache auf privaten Grundbesitz.

In der Folge listet Baker das in den herangezogenen Textcorpora verwendete und mit der Landvermessung in Verbindung stehende Vokabular auf und kommt zu dem Schluss, dass insbesondere die Kudurrus die vielfältigsten termini technici bzw. eine breite Phraseologie aufweisen. Diese Terminologie ist vorrangig mit

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der Vermessung von Feldern und Gärten assoziiert und weniger mit Haus- bzw. städtischen Grundstücken. Aus diesem Grund diskutiert Baker auf den darauf folgenden Seiten zwei wichtige Charakteristika dieser Inschriften: (1) den Umgang mit Grenzen und (2) die Häufigkeit der entsprechenden Termini in den Texten. Zur Überlieferung von Vermessungsdaten meint Baker, dass „the medium of writing (…) was adequate to the task of describing physical boundaries but not to that of establishing legal ones“. Die Präzision der wenigen erhaltenen „Planzeichnungen“ war zu gering, um dieses Defizit auszugleichen. Laut Baker scheinen die Grund-stückszeichnungen (des 1. Jts.) aufgrund ihrer geringen Anzahl nicht als „Anhang“ einer Kaufurkunde gedient zu haben.

Herauszustellen ist die Beobachtung, dass die Behandlung von „Grenzen“ in den Kudurru-Inschriften einen besonderen Stellenwert einnimmt, wohingegen dieses Charakteristikum in den Urkunden weitestgehend fehlt. Baker teilt die Verweise auf „Grenzen“ auf den Kudurrus in zwei Kategorien: (1) Verweise auf Lang- und Schmalseite des Areals („standard property description formulary“), welche charak-teristisch für Kaufurkunden des 1. Jts. sind, und (2) Verweise auf Abgrenzungen außerhalb dieser Standardformel, wie beispielsweise in dem dem Kudurru zuge-wiesenen Namen. Baker sieht in der Königsideologie den Schlüssel für die Besonder-heit, dass rechtliche Grenzen in den Kudurru-Inschriften so vorrangig vertreten sind, während sie in anderen vergleichbaren Corpora fehlen. Es ist sehr wahr-scheinlich, dass Ländereien, die mittels royal grant an Individuen übergeben wurden, zuvor „state land“ waren. Baker merkt an, dass „during periods of strong state control the king was in the best position to relinquish direct control over his land by parcelling it out to favoured members of the elite“.

Baker geht nun über zu den Landkaufverträgen des 1. Jts. und konzentriert ihre Beobachtungen vor allem auf der zuvor erwähnten „standard property description formulary“. Eine wichtige Beobachtung ist das relative Fehlen von Verweisen zur Landvermessung, „because they are predominantly concerned with recording the end result, not the process“. Mittels eines diachronen Vergleichs der unterschied-lichen Konventionen, die für die Angabe von Feldgrößen, -preisen etc. verwendet wurden, kann die Autorin überzeugend auf eine Verwaltungsreform um etwa 580 v. Chr. in der Regierung Nebukadnezzars II. schliessen. Es scheint, als würde das Bestreben nach größerer Präzision darauf hinweisen, dass „the taxation underlying the reform was based on property size rather than on value“.

[II.4] In den sehr schwierigen Bereich der mesopotamischen Farben wagt sich Rosel PIENTKA-HINZ in „Bunte Kühe? Zu den frühesten Farbbezeichnungen im Alten Orient“. Laut der Autorin sind es „insbesondere spezifische Technologien sowie

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charakteristische soziale Aktivitäten, die zu einer Farbkategorisierung der damali-gen Welt geführt haben“. Als frühestes Beispiel für die Verschriftlichung von Farb-termini muss natürlich das südmesopotamische Uruk gelten. Diese schriftliche Fixierung eröffnete die „Möglichkeit, Worte eines bestimmten Wahrnehmungs-bereiches mit materiellen Hinterlassenschaften zu vergleichen“.

Der Hauptteil der Studie befasst sich mit der bereits Uruk-zeitlich relativ gut rekonstruierbaren lexikalischen Liste von Rindern, der sog. Archaic Animals A. Nach Pientka-Hinz lässt sich anhand dieser Liste ein „Teil der Genese altorien-talischer Farbbegrifflichkeit besonders eindrucksvoll zeigen“. Diese lexikalische Liste ist bereits in der Uruk III-Zeit in mindestens drei „Kapitel“ gegliedert, nämlich (1) (domestizierte) Kühe (AB2), (2) (domestizierte) Stiere (GU4), und (3) (domestizierte) Kälber (AMAR).10 Der interessante Aspekt dieser Liste liegt in der Stereotypie der Reihung von Charakteristika in jedem dieser Bereiche. Anhand dieser Bezeichnungen und unter Einbeziehung der frühdynastischen Überlieferung dieser Liste aus Fāra, Abū Ṣalābīḫ und dem syrischen Ebla versucht die Autorin, das Spektrum der Farbtermini am exemplarischen Beispiel von Rindern zu demonstrieren. Neben den typischen Färbungen „weiß“ bzw. „hell“ (U4) und „schwarz“ bzw. „dunkel“ (GI6) beinhaltet die Auflistung auch spezifische Fell-zeichnungen oder -eigenschaften, die zum Teil noch mit heutigen Züchtungen in Einklang gebracht werden können. Ein interessanter Fall ist die Eigenschaft ŠAḪ2 „nach Schweineart“, die möglicherweise Ähnlichkeiten im Habitus der Rinder beschreibt. Neben den Fellfärbungen ist die Liste vor allem bei „markante[n] Eigenarten in Bezug auf Haarlänge und Körperstatur“ besonders akkurat.

In Ägypten lassen sich – worauf die Autorin hinweist – auffällige Parallelen feststellen. Dort ist insbesondere die Einteilung von Rindern anhand ihres Felles im Bereich des Totenkults zu beobachten.

In ihrem letzten Abschnitt beschäftigt sich die Autorin mit der Rinderzucht im südlichen Mesopotamien. Darstellungen einer „Tempelherde“ sind in Uruk mannig-fach überliefert. Gemessen an der Rinderliste scheint „allein die Zucht einer durch bestimmte Merkmale gekennzeichneten Herde von Kühen und Stieren“ primäres Zuchtziel gewesen zu sein, während Züchtungen späterer Perioden auf Fleisch-qualität und Leistungsfähigkeit abzielen. Mit Pientka-Hinz ist es durchaus vorstell-bar, dass bereits im ausgehenden 4. Jt. hervorstechende Merkmale bei den Tieren für eine „künstliche Auslese und kontrollierte Fortpflanzung“ berücksichtigt wurden. Nach einem damit in Verbindung stehenden „Rinderkult“ in Uruk kann nur 10 Nach den Kälbern bricht die Liste ab. Ein Eintrag könnte noch mit Bezeichnungen für Wild-stierkälber (AM) ansetzen. Dieser Abschnitt ist in den frühdynastischen Versionen erhalten.

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vorsichtig gefragt werden, jedoch weist die Autorin darauf hin, dass an den theriomorphen Kultgegenständen „ähnliche Farbkontraste“ wie in den Rinderlisten festgestellt werden können.

[II.5] Der letzte Beitrag dieses Kapitels, „Zur Rekonstruktion von Speisen in Sumer anhand administrativer Urkunden“, stammt von Hagan BRUNKE. Die Studie basiert auf seiner 2008 eingereichten Dissertation Essen in Sumer – Metrologie, Herstellung und Terminologie nach Zeugnis der Ur III-zeitlichen Wirtschaftsurkunden (München). Es sind vor allem die administrativen Texte über die „Verwaltung der verschiedenen Bereiche des Wirtschafts- und Alltagslebens“, die „[e]inen sehr unmittelbaren und unverfälschten Blick auf [die konkrete] Lebensrealität [der Menschen] gestatten“. Der Autor untersucht die „intensive Wechselwirkung zwischen dem Wissen um das Denken der Menschen einerseits und der inhaltlichen (…) Erschließung der Urkunden und damit der in ihnen reflektierten Aspekte des Alltagslebens“, besonders in realienkundlicher Hinsicht.

Der Autor unterstreicht, dass wir „durch die Brille der Verwaltung“ auf diese Lebensrealität blicken, da trotz der Nennung eines Verwendungszweckes nach einer Auflistung von Grundnahrungsmitteln wie beispielsweise „für den Kochtopf“ die Zutatenlisten nicht vollständig sein muss und daher auch keine „Rezepte“ darstellen, deren erste Beispiele erst in altbabylonischer Zeit datiert werden können. Die Angabe des Verwendungsvermerks dient vielmehr in der Hauptsache der Präzisierung für die Buchführung, die Lieferung und Eingang von Waren abrechnet. Nur die vergleichende Analyse verschiedener und aus unterschiedlichen Verwaltungseinheiten stammenden Urkunden kann die Zutatenlisten „vervollständigen“. Wie in seiner Dissertation zieht Brunke insbesondere die für diese Studie sehr wichtigen Texte aus Garšana heran, die umfangreiche Listen von Grundnahrungsmitteln inklusive ihres Verwendungs-zweckes erwähnen. Brunke weist u.a. auf die Problematik der „kombinierten Listen“ hin, die für verschiedene Speisen gemeinsam eine Zutatenliste angeben, wobei aber die Verteilung jener in den Listen aufgeführten Nahrungsmittel nicht mengenmäßig auf die einzelnen Speisen verteilt werden können.

Im zweiten Teil seiner Arbeit beschäftigt sich der Autor mit Rezepten für Eintopfgerichte (Sum. tu7), deren Zutatenlisten vor allem in den Texten aus Garšana als vollständig gelten können. Von Bedeutung ist der starke Schematisierungs-grad bei den Auflistungen, bei denen eine „bestimmte Reihenfolge sowohl der einzelnen Produktkategorien wie auch innerhalb jeder Kategorie der einzelnen aufgelisteten Produkte“ eingehalten wird. Einen unverstellten Blick auf die Lieferung für das Totenopfer für den verstorbenen Statthalter Šukabta bietet der

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Text CUNES 50-09-001 und analoge Beispiele aus Garšana. Diesen Texten stellt der Autor als Vergleichsbasis einen ähnlichen aus Umma stammenden Text (Umma 2053) gegenüber, der im Gegensatz zu ersteren keinen Verwendungszweck der einzelnen Posten nennt, aber durch die sehr detailreichen „Rezepttexte“ aus Garšana neu interpretiert werden kann.

[III] Die Beitrage des III. Kapitels haben wir unter dem Rubrum „The Organisation and Perception of Space“ zusammengestellt; in gewisser Hinsicht behandeln dieses Thema natürlich auch die Beiträge von K. Muroi, St. Rost, D.T. Potts, J. Borchardt und E. Bleibtreu, A.M. Bagg sowie M. Ossendrijver. Mit dem korres-pondierenden Thema, der „Organisation der Zeit“, beschäftigen sich die Mehrzahl der in Kapitel I „On Empiricism in the Ancient Near East“ zusammengestellten Aufsätze.

[III.1] Grundsätzliche Überlegungen „Zur Funktion mesopotamischer Tempel“ stellt D. CHARPIN an: Bislang lege die Forschung Gewicht vor allem auf die „Kult-realitäten“ – die „soziale Funktion der Tempel“ erscheine demgegenüber weit-gehend vernachlässigt.11 Charpin beschäftigt sich mit einer solchen Funktion der Tempel im altbabylonischen Larsa, mit drei zentralen Beispielen, dem „Tempel der Kittum“, dem „Tempel der Gula“ und dem „Šamaš-Tempel“.

Der Tempel der Kittum fungierte im wirtschaftlichen Leben des Königreiches von Larsa als „Eichamt“, vor allem bei der Kontrolle von Gewicht und Qualität des im Wirtschaftskreislauf wichtigen „Silbers“: die Bezeichnung kù-lá kann als „Eichmeister“ bestimmt werden. Wichtig ist auch die anhand der Quellen gemachte Beobachtung, dass für die Eintreibung des Steuer-Silbers nicht diese Beamten

11 Es wäre allenfalls zu bemerken, dass es bekanntlich eine reiche Diskussion um die wirt-schaftliche Bedeutung und die Rolle (und den meist unterstellten Antagonismus) von Tempel- und Palastwirtschaft gibt. In der jüngsten Zeit ist hier allerdings ein gewisser Stillstand einge-treten, wohl aufgrund der Tatsache, dass die zugrunde gelegten theoretischen Modelle in ihrer Erklärungskraft weitgehend erschöpft sind. Die Nachzeichnung der Entwicklung inner-halb einer Institutionsgeschichte des Alten Orients, ist noch nicht befriedigend gelöst; vgl. z.B. J.N. Postgate, Early Mesopotamia. Society and Economy at the Dawn of History, London (1992) und s. dazu z.B. N. Yoffee (1993), „‘Present at the Re-creation’. Review article of J. N. Postgate, Early Mesopotamia: Society and Economy at the Dawn of History“, Antiquity 67: 657-659. Zum genannten „Antagonismus“ als einer möglichen historiographischen Falle vgl. G.J. Selz, „‘He put in order the accounts …’ Remarks on the Early Dynastic Background of the Administrative Reorganizations in the Ur III State“, CRRAI 53 (2010), 5-30. Der hier vorgelegte Artikel von D. Charpin verlangt ebenfalls nach einer grundsätzlichen Neubewertung solcher Modelle.

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sondern der „Bürgermeister“ verantwortlich war. Auch andere Hohlmaße wurden in diesem Tempel geeicht.

Den zweiten Tempel, den der Heilgöttin Gula, bzw. der Nin-Isina in Larsa, mit dem bezeichnenden Namen „Tempel des Lebenskrautes“, hat der Autor als Kur-zentrum (mit Drogerie) bestimmt, in dem vor allem dem lú-maḫ-Priester eine besondere Rolle zukam; (hier ergibt sich eine schöne Verbindung zur Arbeit von J. Fincke). Ausgesprochen einleuchtend sind die Bemerkungen Charpins zur trans-historischen Rolle des Hundes in der Heilkunst, seine Beobachtungen zum „Hunde-zwinger“ und „Hundefriedhof“ in Isin wie auch zu den bei Ausgrabungen aufge-fundenen Votivgaben. Sie sind ein schönes Beispiel für die „empirische“ Fundierung mesopotamischer Religion.12 [Die Frage nach einem „Hundekult“ muss wohl je nach den entsprechenden geschichtlichen Perioden und im Kontext mit anderen mit Gottheiten assoziierten sowie den sog. deifizierten Tieren, den theriomorphen Gottheiten, betrachtet werden.]

Beim Šamaš-Tempel diskutiert Charpin zunächst dessen postulierte Rolle als „Bank“. Dabei ergibt sich zunächst, dass das Kreditwesen eher mit diesem Gott (u.ä. Gottheiten), nicht aber notwendigerweise mit einem ihm geweihten Tempel zu verbinden ist. Nimmt man überhaupt eine „spezifische Funktion“ des Šamaš-Tempels an, so sei sie die eines Gerichtes gewesen. In Verbindung mit dem an der Gerichtsstätte geleisteten Schwur, der in Sippar am Nungal-Tor geleistet wurde, diskutiert der Autor dann das mit dem Nungal-Tempel verbundene „Gefängnis“.

Ganz in Übereinstimmung mit dem Vorstehenden wird dann die Funktion des Nissaba-Tempels als „Archiv“ erörtert; der Nergal-Tempel hatte die Funktion eines „Bestattungsinstituts“, der Nanna/Sîn-Tempel fungierte als „Molkerei“. Ähnliche Funktionalität schlägt Charpin noch für andere (teilweise viel spätere) Tempel vor: „Im Nabû-Tempel – eine Bibliothek“, „Der Enki-Tempel – die spezialisierte Handwerksstätte“ und „Der Ištar-Tempel – ein Freudenhaus“.

Dass solche Funktionalität von Tempeln nicht exklusiv sondern variierend mit teils verschiedenen Gottheiten in Verbindung gebracht werden muss, darauf weist der Autor mehrfach zurecht hin. Seinen Schluss, „dass selbst die in unseren Augen ‘profansten’ Aspekte der mesopotamischen Zivilisation eine religiöse Dimension hatten“, kann man nur unterstreichen. Nach unserer Auffassung trifft allerdings auch der Umkehrschluss zu: Die mesopotamischen „Religionen“ hatten insgesamt 12 Parallelen zu Praktiken vor allem im Katholizismus (Charpin nennt den Heiligen Rochus) liegen auf der Hand und überleben bis heute. Im Wallfahrtsort Maria Taferl in Niederösterreich konnte man noch vor wenigen Jahren kleine Wachsnachbildungen von Augen, Gliedmaßen u.ä. erwerben, um sie der Muttergottes mit dem Gebet um Genesung zu weihen.

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eine praktisch-empirische Fundierung: Sie handeln eben von mehr als von „Mythen und Monstern“.

[III.2] Craig CROSSEN nähert sich unserem Thema aus einem ganz anderen Blickwinkel. Er untersucht „William Kennett Loftus and the Beginnings of ‘Scientific’ Archaeology in Iraq“.

Zunächst beschreibt der Autor in einer „introduction“ seine Terminologie, insbesondere, was die Verwendung des Begriffs „scientific“ im archäologischen Bereich bezeichnen könnte. Auch wenn Archäologie gewiss nicht als eine „hard science“ betrachtet werden kann, so besitze sie doch, etwa im Unterschied zu Soziologie, Anthropologie oder den politischen Wissenschaften, „concrete physical objects“ als primäre Gegenstände. Deren Auswertung erfolge entlang von Hypo-thesen, die gegen das Material getestet werden und die sich allerdings bestenfalls als „plausible“ erweisen; Hypothesen sind also der Dreh- und Angelpunkt, beson-ders, weil sie (zumindest anfangs) oft auf Intuition beruhen. Hypothesenbildung ist aber ein synthetischer, kein analytischer Prozess. Deshalb sieht Crossen – mit kritischem Verweis auf J.S. Cooper – sogar die Schreibtischgelehrtheit der (meisten) Assyriologen sehr skeptisch: „unless you know the physical environment and material culture of ancient people, you cannot possibly translate their texts properly“. Crossen legt auch seine Hand auf die immer schwärende Wunde, dass die akademischen Strukturen der Qualität der Synthetisierung eher hinderlich sind, wobei er darauf hinweist, dass selbst in den „hard sciences“ aus solchem institutionellen Konservatismus riesige Probleme resultieren (oder falsche Lösungs-wege eingeschlagen werden). Hypothesenbildung selbst sei aber kein Teil der „Feld-archäologie“, sondern gehöre in den Bereich der Anthropologie. Im Hinblick auf die disputierte Qualität der Ausgrabungen des University of Pennsylvania Museum (Philadelphia) in Nippur demonstriert der Autor in seinem Beitrag, dass viele der Archäologen jener Zeit durchaus wussten, was sie taten; es waren (und sind(?))13 13 Gewiss verbleiben die Funde heute regelmäßig in ihren Heimatländern. Daraus resultieren freilich auch sekundäre Probleme, wie beispielsweise die der Konservation und der Zugänglichkeit für die wissenschaftliche Forschung. Dabei unterscheidet sich das von den lokalen Behörden bevorzugte Verlangen nach „museum pieces“ oft nicht wesentlich von den o.g. – und von Crossen dargestellten – früheren Zugängen. Auch heute noch hängt Ausgrabungsfinanzierung oft mit dem Wunsch nach „spektakulären Ergebnissen“, zusammen; es muss alles „sensationell“ sein. Letztlich handelt es sich um eine Teilkapitulation der Wissenschaft vor den Motiven der Öffent-lichkeit. Ein weiteres Problem riesigen Ausmaßes betrifft den Schmuggel von Antiquitäten und den Kunsthandel; das Problem besteht nicht in der Veröffentlichung und wissenschaftlichen Bearbeitung solcher Objekte, sondern in der Frage der „property rights“, ganz ähnlich wie dies M. Müller-Karpe immer unterstreicht, der deswegen ein bevorzugter Buhmann von verschiedenen

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in vielen Fällen die finanzierenden Institutionen, die adäquate Forschungen beeinträchtigten, da sie nach „exportable finds“ verlangten.

Es folgt nun eine kritische Geschichte der frühesten Ausgrabungen in Meso-potamien, und es entsteht ein lebendiges Bild der Situationen, in welchen diese Ausgräber handelten. Dieses Kapitel I „From Rich to Layard“ gliedert sich in folgende Unterkapitel: „1. The Ruin-Mounds“, in dem dargelegt wird, von welchen Missverständnissen die früheste neuzeitliche Wahrnehmung der antiken Ruinen Mesopotamiens bestimmt war. Besondere Aufmerksamkeit schenkt der Autor dann „2. Claudius James Rich“, dessen systematisches Herangehen, zum Beispiel durch eine erste topographische Aufnahme der Ruinen Babylons, die noch später dem Ausgräber R. Koldewey nützlich war, er zurecht hervorhebt. Dabei berichtet Crossen insbesondere über die Rolle, die dem nahe gelegenen Borsippa (Birs Nimrūd) für den Anschluss der ersten archäologischen Befunde an die Überlie-ferungen von Herodot und der Bibel zukam. Sein Bericht über „3. The First Excavations in Mesopotamia“ behandelt dann die Anfänge von Botta, Layard und Rassam im Bereich der assyrischen Königsstädte Ninive (Kujundschik und Nebi Junus), Dūr Šarrukīn (Ḫorsābād) und Nimrūd (Kalchu), wobei er in „4. Layard“ dann diesen Archäologen und seine Leistungen kritisch würdigt. Er beschreibt Layard als „Schatzgräber“ bzw. als „art historian“ und bemerkt, dass grabungs-technisch gesehen „his methods were as appalling as they could be“.

Neben die Achtung vor den Leistungen vieler der „beginner“ tritt bei der Lektüre aber immer wieder die Einsicht, dass insbesondere bei Botta und Layard, die archäologische Feldarbeit bedeutend mehr vernichtet hat, als es denn hätte sein müssen. Aus der Tatsache, dass jede archäologische Forschung unwider-ruflich auch zerstört, bestimmt sich die Notwendigkeit äußerster Sorgfalts-waltung.

Die Geburtsstunde der Assyriologie ist bekanntlich mit „5. The Royal Library of Ashurbanipal“ verbunden, wobei Crossen die Umstände beschreibt, unter denen Layards Vorarbeiter, der Araber Thoma Shishman, während dessen Abwesenheit im Herbst 1849 die ersten Tontafeln in zwei Räumen von Sanheribs Süd-West-Palast auffand, deren ganzer Boden über einen Fuß hoch mit Tafeln

Vereinigungen von „art collectors“ geworden ist; vgl. auch G.J. Selz, „Looted, Stolen and Destroyed. The World Heritage of Mesopotamia in a historical perspective“, Electronically published 2007 in the papers of Workshop 11 “Archäologie & Computer”; CD-ROM, Phoibos-Verlag, Wien.

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und Fragmenten angefüllt war.14 1851 verließ Layard in einer immer schwierige-ren Situation und aufgrund mangelnder (finanzieller) Unterstützung enttäuscht Mesopotamien für immer.

Im zentralen Kapitel „II Loftus“ gibt Crossen wohl die erste umfangreichere Darstellung der Person und der Leistung von William Kennett Loftus (13. November 1820 – 27. November 1858). Wenige wissen, dass Loftus 1849 (in Tell Hamman) die erste Gudea-Statue, in Uruk die ersten Stiftmosaiken vom Ende des 4. Jt. v. Chr. („Loftus-Fassade“) und in Susa einen achämenidischen Säulengang mit monu-mentalen Doppel-Stierkopfkapitellen entdeckte. Er fand weiter den Metallhort in Tell Sifr,15 und untersuchte Larsa und Badtibira. R.D. Barnetts Feststellung zur Herkunft (eines Großteils) der „Nimrud Ivories“ und C.J. Gadds Korrektur zur Herkunft (eines Großteils) der Ninive-Reliefs im British Museum haben dennoch bis heute nicht zu einer korrekten Bewertung von Loftus Leistung geführt. Diese erfolgt dann in „9. Loftus on Nineveh and Nimrud“.

Insgesamt zeigt sich Loftus als der erste Ausgräber Mesopotamiens. Der Autor rückt in „7. Loftus at Uruk“ dessen Bedeutung für den Beginn der Ausgrabungen in dieser Stadt ins Licht, die durch die noch heute andauernden deutschen Ausgrabungen zu einem zentralen Referenzort für die mesopotamische Vor- und Frühgeschichte geworden ist. Ähnliche Vorarbeitet leistete Loftus in Susa, das später zu einem zentralen Ort für die französische Orient-Archäologie wurde. Es scheint sogar so, als habe Loftus als erster die Bedeutung von Keramiksequenzen für die relative Chronologie erkannt.

Im Zug einer oft populistisch gewordenen „Orientalismus Debatte“ in der Nachfolge von E. Said ist es bequem geworden, die Leistungen, die Berichte und die Zeichnungen der frühen Ausgräber beiseite zu schieben. Crossen unterstreicht, nach unserer Auffassung zurecht, nicht nur deren wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung als Beitrag zur Erforschung des Orients, natürlich auch zu dessen Imagination, einschließlich der von Babylonien und Assyrien: „Loftus’ Travels and Researches, Layard’s Nineveh and its Remains and Nineveh and Babylon, and Peters’ Nippur are not just books about archaeology, they are books about physical and social geography and often offer observations that have never been bettered.“ 14 Gegenwärtig verzeichnet das British Museum für die Bibliothek Assurbanipals etwas über 30.000 Textnummern; der ursprüngliche Bestand der Bibliothek wird auf etwa 10.000 Texte geschätzt. 15 Vgl. P.R.S. Moorey, J.E. Curtis, D.R. Hook, M.J. Hughes (1988), „New Analyses of Old-Babylonian Metalwork from Tell Sifr“, Iraq 50, 39-48.

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In diesem Zusammenhang gehören auch die Bemerkungen in „8. Loftus and the Arabs“, in welchem der Autor einen Überblick gibt über die Beziehungen der frühen Ausgräber zur arabischen Bevölkerung, die – trotz der zeitgeschichtlichen Situation des „Imperialismus“ – oft (insbesondere Loftus), aber nicht immer (insbesondere Peters) von einem tiefen (gegenseitigen) Respekt geprägt waren.

[III.3] Jürgen Borchardt und Erika Bleibtreu geben uns in „Aspektive und Perspektive im neuassyrischen Flachbild“ eine wichtige detailreiche Beschrei-bung der neuassyrischen und neubabylonischen Darstellungskunst des 7. und 6. Jhd. v. Chr., „die die Kühnheit besaß[en], in die Darstellung der dritten Dimension vorzustoßen und das fruchtbare Nebeneinander von Aspekten wie Aufriss und Grundriss praktizierte[n]“.

Im Absatz A des Kapitels „I Ikonographische Analysen“ beschäftigen sich die Autoren mit dem „Typus der Stadt im Frieden“. Sie bemerken, dass – entgegen der vorherrschenden Auffassung – weder in Nimrūd noch Ḫorsābād, weder in Assur noch in Ninive den Darstellungen „der Leistungen der königlichen Bauherren“ besondere Bedeutung zukam. Dies gälte bereits für das 2. Jt. v. Chr., wo sich nur wenige Beispiele für diesen Typus finden ließen, die anschließend von den Autoren diskutiert werden. Interessant ist die wiederholte Anwendung der „Kenner-Methode“, hier zuerst für das Beispiel A, dem „sog. Ziqqurrat-Relief von Ninive“, zur Grundriss-Gewinnung, hier der dargestellten Stadt Arbīl. Besondere Beachtung verdient auch die Bemerkung zu Beispiel A 4, der Darstellung des „Turm[s] zu Babel im Aufriss mit dem Grundriss des Hochtempels“, die in die Zeit Nebu-kadnezars II. datiert; weiter die Reproduktion der Zeichnung von A.R. George durch die Autoren, unten auf Tafel 4.2. Da auch A. Bagg sich in seinem Artikel auf dieses hoch bedeutsame Monument bezieht, reproduzieren wir hier mit freundlicher Genehmigung die beiden Abbildungen – ein Foto der beiden Hauptbruchstücke sowie eine Umzeichnung des oberen Stelenteiles – von der Homepage der Sammlung M. Schøyen in Oslo (MS 2063):16, 17

16 Quelle: http://www.schoyencollection.com/babylonianhist.htm#2063 (Aufruf. 1.9.2010); dort ist die Bearbeitung durch A. George in Aussicht gestellt. Wir zitieren aus der dort gegebenen Beschreibung des Stücks MS 2063 im Wortlaut: „The missing part of the stele’s back, was in a religious institution in U.S.A., the present whereabouts unknown. The stele was found in a special hiding chamber, broken into 3 parts in antiquity, at Robert Koldewey’s excavations of the site of the Tower of Babel in 1917. … One part was taken to Germany, one part to Jordan and then to London, the third part to U.S.A.“. 17 Die neueren Rekonstruktionen und Diskussionen beruhten vor allem auf der Esagil-Tafel (Louvre AO 6555) aus seleukidischer Zeit. MS 2063 trägt aber eine Bauinschrift Nebukadnezars

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Borchardt und Bleibtreu fahren in diesem I. Kapitel dann mit Untersuchungen zu „B Der Typus der Stadt im Krieg“ fort. Zunächst widmen sie sich drei Ansichten „der elamischen Haupt- und Residenzstadt Susa“ (B 1). Bei ihrer Diskussion des Wandreliefs BM ANE 124938 aus dem Nord-Palast Assurbanipals Raum H (B 1.1) kommen sie nach gründlicher Besprechung aufgrund zahlreicher Indizien zum Schluss, die dargestellte Stadt sei nicht Ninive, sondern Susa. Das wohl daran anschließende Relief BM 124939 (Raum H; B 1.2) wird entsprechend ebenfalls neu interpretiert: Dargestellt ist die Umgebung „der elamischen Hauptstadt mit Heiligtum auf einem Hügel, Stauwehr, Königsstele und Altar“. Anders als von P. Matthiae angenommen, handele es sich also nicht um die rühmende Erwähnung eigener assyrischer Leistungen, sondern vielmehr um die „Anerkennung einer fremden Kultur mit hoher Baukunst und perfekter Wasserversorgung“.

und zeigt damit den Zustand, den der von Hammurapi errichtete Turm von Babel nach den Restaurationen unter Nabupolassar hatte, bevor ihn die Perserkönige demolierten und dann Alexander der Große völlig abriss.

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Das nur in einer Zeichnung erhaltene „Ziqqurrat-Relief aus dem Nord-Palast Assurbanipals“ (B 1.3) zeigt eine am Ulai-Fluß (wohl Rūd-e Karche)18 situierte „elamische“ Ziqqurrat auf einem Hügel in einem heiligen Hain“. Der auf der dritten Etage befindliche Bau wird von zwei Bukranien gekrönt; eine Explikation der elamischen „gehörnten“ Tempel, die ikonographisch seit der Frühgeschichte belegt sind.19 Beide Autoren schließen sich dem Vorschlag J.E. Reades an, dass die darge-stellte Ziqqurrat jene von Susa sei. In B 2 besprechen die Autoren die beiden Darstellungen der Belagerung und Zerstörung der Stadt Hamânu20 aus dem selben Palast (BM ANE 124931 Raum F; bzw. BM ANE 124919 Raum S’). Mit Hilfe der Kenner-Methode rekonstruieren sie zwei Ansichten dieser Stadt. In B 3 beschäfti-gen sich Borchardt und Bleibtreu mit dem verschollenen Relief aus dem Palast Sargons II. in Ḫorsābād (Raum 2, Platte 7), das die Eroberung der medischen Stadt Harhar abbildet. Auch hier gelingt es ihnen, die Topographie der Siedlung zu rekonstruieren. Von besonderem Interesse ist die Beobachtung zur perspek-tivischen Verkürzung. B 4 behandelt BM ANE 124802 aus Raum XXXIII des Süd-West-Palasts Sanheribs – Ausstattung unter Assurbanipal – in Ninive mit der Darstellung der eroberten und aufgelassenen medischen Stadt Madaktu. Diese wird mit Tepe Patak zwischen den Flüssen Karhe und Duwairij21 oder mit Tepe Senjar identifiziert. B 5 befasst sich mit dem berühmten Lachiš-Relief BM ANE 124904-124915 aus Raum XXXVI von Sanheribs Süd-West-Palast in Ninive.

In Kapitel II folgen „Stilistische Beobachtungen“, wobei zunächst „C Perspek-tivisches und aspektivisches Sehen“ behandelt wird. Ausgehend von der Position des Lachiš-Reliefs im Palast zeigen die Autoren die „optischen Tricks“ auf, die hier Verwendung fanden und die das Relief beim Durchblick vom Eingang her in

18 Vgl. den Artikel „Ulai“ von Ariel M. Back in einem WiBiLex-Eintrag (April 2008) (http://www.bibelwissenschaft.de/nc/wibilex/das-bibellexikon/; Aufruf 3.9.2009). 19 Man fühlt sich unmittelbar erinnert an den Widder im Traumgesicht Daniels am Ulai-Fluss:

Dan. 8.1-3: „Im dritten Jahr der Regierung des Königs Belsazar erschien mir, Daniel, ein Gesicht nach dem, das mir im Anfang erschienen war. / Und ich sah im Gesicht: Und es geschah, während ich sah, da war ich in der Burg Susa, die in der Provinz Elam ist; und ich sah im Gesicht, dass ich am Fluss Ulai war. / Und ich erhob meine Augen und sah: Und siehe, ein Widder stand vor dem Fluss, der hatte zwei Hörner …“ [Zur Frage, worauf sich „Ulai“ hier bezieht, vgl. die Diskussion bei A.M. Bagg (s. vorher-

gehende Fußnote)] 20 Vgl. auch D. Nadali (2007), „Assurbanipal against Elam. Figurative Patterns and Architec-tural Location of the Elamite Wars“, Historiae 4, 57-92. 21 D.T. Potts, The Archaeology of Elam, Cambridge (1998), 272.

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weite Ferne rückten, denn zunächst sollten die Besucher die „vermutlich aufge-stellten Beutestücke“ bewundern. In beeindruckender Weise gelingt es ihnen, die Wirkung, die solche revolutionären Neuerungen in der assyrischen Flachbildkunst erzeugt haben müssen, zu rekonstruieren. Sie zeigen, wie mit dem Begriff der „Aspektive“ ältere Vorstellungen „einer vorstelligen Kunst“ präziser erfasst werden können. Als ausgesprochen hilfreich für das Verständnis der Argumentation von Borchardt und Bleibtreu erweist sich ein Abriss über die Geschichte des Sehens, die in Verbindung mit der Entwicklung der Linearperspektive skizziert wird. Anhand der Lachiš-Szenen kommen sie dann zu dem Schluss: „Wir haben es also mit einer tiefen-räumlichen, perspektivischen Darstellung zu tun mit der Absicht, die einzelnen Teile einem übergeordneten Blick zu unterwerfen“. Diese Verfahren würden zudem noch ergänzt durch die „C 3 Luft-Perspektive oder atmosphärische Perspektive“. Den Ergebnissen lassen die Autoren nun einen Abschnitt über „D Komparative Methode“ folgen, die sich mangels Städtedarstellungen im Westen auf literarische Traditionen beschränken musste.

Das III. Kapitel erörtert nun die „hermeneutischen Grundlagen“ der beiden Forscher. In „1. Soziologische Betrachtungen“ führen sie uns vor Augen, in welchem Masse die Gestaltung des Raumes XXXVI des Süd-West-Palastes von Sanherib in Ninive auf den Betrachter einwirkte und wie er bei seiner Annäherung an den König geleitet und beeinflusst wurde. Natürlich sollen die behandelten Reliefs B 1–5 auch „den militärischen Ruhm des Regenten und seiner Armee“ verherr-lichen. Die Autoren schließen ihren Beitrag mit Erörterungen zur Künstlerfrage und einem Vergleich mit den militärischen Auffassungen von Clausewitz, und ver-suchen zuletzt, die aus ihrer Arbeit gewonnenen „philosophischen Einsichten“ zu beschreiben. Hier soll nur auf ihre Bemerkungen zum „additiven Verfahren“, die der „seriellen Ereignischronologie“ in gewisser Hinsicht überlegen sei, besonders hingewiesen werden. Borchardts und Bleibtreus Schluss, dass „aspektivisches Sehen“ habe etwas „Sezierendes an sich“ verweist in unerwarteter Weise auch auf das Thema des vorliegenden Bandes.

[III.4] Ariel M. Bagg widmet sich in seinem Beitrag den „Mesopotamischen Bauzeichnungen“. Jede Verfertigung eines Artefaktes (oder eines Bauwerkes) be-steht aus zwei Vorgängen: „Entwurf und Herstellung“. Die architektonischen Entwurfszeichnungen stehen am Anfang einer solchen graphischen Repräsentation von Entwürfen und reichen bis in das 3. Jt. zurück. Konstruktionszeichnungen jeder Art werden insbesondere dann notwendig, wenn Entwerfer und Erbauer, Konstrukteur und Hersteller, nicht ein und dieselbe Person sind. Bagg legt ein Korpus von 34 altorientalischen Gebäudezeichnungen vor (fast ausschließlich

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Grundrisse), überwiegend aus Südmesopotamien, die er sämtlich in einem Katalog erfasst und in Abbildung wiedergibt. Dieses Korpus gliedert er nach folgenden Kriterien (1.) „bemaßte Pläne“ (14), (2.) Pläne mit „nicht numerischer Beschriftung“ (4) und (3.) „stumme Pläne“ (16). Manche der „bemaßten Pläne“ transponiert der Autor in Umschrift. Fast alle Pläne (mit Ausnahme von Nr. 1), die einen Maßstab erkennen lassen, sind maßstäblich korrekt gezeichnet. Ein besonders großer und detaillierter „Tempelplan“ aus dem 1. Jt. (Nr. 32) gibt sogar die Ziegelverbände wieder. Unter Nr. 30 behandelt Bagg den Plan des Etemenanki, des „Turms von Babel“ aus der Zeit Nebukadnezzars II.22 Bemerkenswert an ihm ist insbesondere eine „Kombination zweier Orthogonalprojektionen – Ansicht und Grundriß“. Der vorherrschenden Ansicht, die Bauzeichnungen seien keine Pläne sondern „Bauaufnahmen existierender Gebäude“ teilt der Autor nicht, er akzeptiert sie nur für diesen Ziqqurrat-Plan. Unter den beschrifteten Bauzeich-nungen sind hier zwei zu nennen: Nr. 12 nennt die Funktionsräume „Küche“, ,,Waschraum“, „Weberei“ und „Magazin“, es handelt sich also um ein „Wirtschafts-gebäude“. Merkwürdig ist auch Nr. 15, wo unklar bleibt, ob ein Wohnhaus oder ein Tempel gemeint ist. Unter den „stummen Bauzeichnungen“ fallen die „Schul-übungen“ auf, die erkennen lassen, dass „technisches Zeichnen“ Unterrichts-gegenstand der Schreiberausbildung gewesen ist. Es gibt Vorzeichnungen und Reinzeichnungen. Nachfolgend beschäftigt sich Bagg mit der schriftlichen (und ikonographischen) Evidenz der „Grundrisse“, sum. ĝeš-ḫur.23

In Summe kommt Bagg zu der Schlussfolgerung, dass es sich bei den von ihm behandelten „mesopotamischen Bauzeichnungen“ in aller Regel um „Skizzen bzw. Entwurfszeichnungen“ handelt. Er verweist weiter auf die Bedeutung der mensch-lichen Fähigkeit, sich innere Bilder zu machen, die dabei eine wichtige Rolle spielen. Eine Bemerkung, von besonderer Wichtigkeit für all jene, die postulie-ren, dass Denken sprachgebunden sei.

[IV] Das IV. Kapitel unter dem Überbegriff „Transmitting Empirical Knowledge“ versammelt in der Hauptsache Beiträge, die sich mit der Weitergabe von Wissen im alten Orient beschäftigen. Die Institution, die man als antike Entsprechung

22 Vgl. oben die Abbildungen auf S. 22. 23 Es wäre ausgesprochen interessant, diesen Begriff auch in seinen weiteren kosmologischen Konnotationen zu untersuchen. So heißt es etwa in dem „Streitgespräch zwischen Vogel und Fisch“, Z. 1-2: [ud-ul-re-a]-˹ta˺ nam-dug3-tar-ra-a-ba / [an den-lil2] an-ki ĝiš-ḫur-bi mu-un-ĝar-re-eš-a-ba „Als in fernen Tagen ein gutes Schicksal entschieden wurde (und) als An und Enlil den ‘Plan’ der Welt (Himmel-Erde) festgesetzt hatten“.

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für den modernen Begriff „Schule“ versteht, bildet zum Teil den roten Faden, der sich durch dieses Kapitel zieht. Aber auch das „Gelehrtentum“ und die damit verbundenen Fragestellungen sind ein zentrales Thema.

[IV.1] In dem von H.J. Nissen verfassten Beitrag „Schule vor der Schrift“ begibt sich der Autor auf einen faszinierenden Pfad in die vorschriftliche Zeit Mesopotamiens und bemerkt, obgleich die Weitergabe von Wissen in organisierter Form „in unserer Vorstellung so sehr mit der Kulturtechnik des Schreibens und Lesens verbunden [ist], [so] dass die Vorstellung einer Schule in einer Zeit, bevor es eine Schrift gab, abwegig erscheint“, man durchaus eine Art von zentraler Institution annehmen darf, die Wissen weitergab.

Vor allem für die Uruk III-Zeit spricht die weit verbreitete „Gleichförmigkeit“ der Proto-Keilschrift für einen gewissen Grad von Institutionalisierung. Obwohl das Unterfangen, „über eine ‘Schule vor der Schrift’ zu sprechen, (…) naturgemäß ein schwieriges Unterfangen sein [muss]“, versucht der Autor mit Hilfe der frü-hesten schriftlichen Zeugnisse und archäologischen Forschungsergebnissene, dieses Bild zu relativieren.

Im folgenden beschäftigt sich Nissen mit einer Analyse des „vermutlichen Hergangs der Schriftentstehung“ und versucht, die „verschiedenen Einzelstränge auseinander zu nehmen, aus denen das Gesamtkonzept ‘Schrift’ besteht“. Um der Fragestellung relativ nah zu bleiben, wertet Nissen ausschließlich Texte der Schriftstufe IV aus und betrachtet die „Einzelstränge“ der Schrift, nämlich (1) die Schriftzeichen und (2) die Tafelformate. Bei ersterem ist besonders die Kategorisierung der etwa 600 Zeichen für die Uruk IV-Texte herauszustellen, deren Auswertung klar der Auffassung widerspräche, die frühesten Schriftzeichen seien vorrangig bildgebunden. Sehr wichtig ist die Beobachtung, dass „bereits die komplexen [Zählm]arken den gleichen Stand von Abstraktion aufweisen wie spätere Schriftzeichen“. Bei der Besprechung der Tafelformate streicht Nissen heraus, dass „offensichtlich schon zum Zeitpunkt der Schrifterfindung feste Konven-tionen vorlagen“, die „nicht ex nihilo erfunden wurden“. Die Schrift als „neue[s] System der Informationsspeicherung erscheint fast ohne die Unsicherheiten, die man bei einem völligen Neuanfang erwarten könnte, und ist in Zeichenformen und Informationsverwaltung annähernd ausgereift“.

[IV.2] Besonderen Fokus auf den praktikablen Aspekt von empirischen Studien legt der Beitrag von Eleanor ROBSON unter dem Titel „Empirical Scholarship in the Neo-Assyrian Court“. Die Autorin versucht, die vorhandenen Zeugnisse aus den Briefen der Opferschauer (bārû) sowie ihren Anfragen (queries) und Berichten (reports) mit den tatsächlichen Omen-Serien zu vergleichen und damit die Handlungsabläufe

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der Opferschauer zu Zeiten Asarhaddons und seines Nachfolgers Assurbanipal näher zu beleuchten. Eine für diese Studie besonders wichtige Textgruppe sind die Reports, die nach Robson „an unparalleled means of accessing the divinatory process“ darstellen, da sie im Gegensatz zu den Queries „were written during or after the ritual inspection of the sacrificial animal’s innards“.

Bevor Robson auf die Opferschau in der Praxis eingeht, diskutiert sie ausführlich Rolle und Status des Opferschauers bei Hofe und insbesondere sein Verhältnis zum König sowie die Interaktionen zwischen den einzelnen Opferschauern und ihre Beziehung zu anderen Gelehrten. Vor allem die Schirmherrschaft (patronage) und die mit ihr in Verbindung stehenden Aspekte wie politischen Zugang, Schutz und materielle Vergütung auf Seiten des „Patrons“, respektive Loyalität, Dienst und Prestige durch die Expertenmeinung des „Klienten“ sind wichtige Themen der Königskorrespondenz. Die Briefe zeigen uns weiters u.a. Probleme, die bei der Thronbesteigung eines neuen Königs für die Weiterführung der Pflichten des Opfer-schauers bzw. seines Sohnes entstehen können.

Zur Kollegialität zwischen den am Hof angestellten Opferschauern merkt Robson an, dass im Falle der 38 (ausreichend) erhaltenen Queries immer mindestens zwei Gelehrte – das Maximum liegt bei zehn Personen – für deren Abfassung verant-wortlich zeichneten. Im Falle der 33 (mit Autor versehenen) Reports kann auch ein einzelner bēl ṭēmi als Verfasser auftreten. Aus dieser Beobachtung ergibt sich, dass es abgesehen vom rab bārî keine „hard-and-fast hierarchies“ bei den Opferschauern gab.

Obwohl uns die für diese Thematik relevanten Texte keine Filiationen für die be-kannten Opferschauer geben, gibt es dennoch Indizien, dass die Funktion des bārû vererbt wurde. Trotz der Opferschau als „ultimate royal decision-maker“, scheinen die meist kleinen Teams mehr oder weniger abgeschirmt gewesen zu sein und nicht mit königlichen Gelehrten anderer Disziplinen kollaboriert zu haben. Robson merkt dazu treffend an, dass „if extispicy was to be seen as kēnu ‘reliable’ then it must also been seen as incorruptible and untainted by contact with the methods it was meant to test”.

Der zweite Teil der Studie befasst sich mit der „Divination in action“. Da die Opferschauer zum direkten Umfeld des Königs gehörten, waren sie auch außer-halb der Residenz in Ninive tätig. Die Informationen über die Herkunft der Opfer-tiere und insbesondere dem Prozedere nach der Opferschau sind relativ gering. Aus Assurbanipals Regierungszeit sind 76 Opferschauberichte erhalten, die uns einen gewissen Blick auf die Praktiken des Opferschauers gewähren. Robson merkt u.a. an, dass in den Reports die meisten Merkmale der Innereien des Opfertieres nur in Form der Protasis eines Omens angegeben sind, andere jedoch das voll-

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ständige Omen zitieren. Die Autorin kommt nach einer Auswertung des zur Ver-fügung stehenden Materials zum Schluß, dass „the whole process was biased towards reporting unfavourable outcomes“.

Wie die relevanten Omina ausgewählt wurden und so zur „vital evidence for or against a particular course of action“ wurden, sind Fragen, mit denen sich Robson in ihrem letzten Abschnitt „Bārûtu in the library“ eingehend beschäftigt. Hochgerechnet ergeben sich für die „super-series“ bārûtu etwa 8000 Omina. Eine wichtige Aufgabe übernahm die Kommentarserie mukallimtu, die Omen mit gleichen Protasen in der Manzāzu-Serie zusammenträgt, aus denen der Opferschauer wählen konnte und so „negotiated a path through [the full complexity of the sacrificial omen series“.

[IV.3] Mit dem Beitrag „Exzellente Netzwerke: Die Astronomen von Uruk“ von Mathieu OSSENDRIJVER kommen wir in eine sehr späte Phase des mesopotamischen Denkens, eine Zeit, in der astronomische Beobachtungen und deren Auswertung einen letzten Höhepunkt erreichten. So bemerkt der Autor treffend, dass die Tempel der Seleukidenära in Babylonien „Zentren der Gelehrsam-keit“ waren, in denen „sich spezialisierte Schreiber mit Astronomie, Astrologie, und anderen Bereichen der mesopotamischen Wissenskultur beschäftigten“. Aus archäologischer Sicht fällt insbesondere Uruk mit seiner immens langen Besied-lungsphase von der ʿUbaid-Zeit bis in die Partherzeit ins Gewicht. Der Autor ver-sucht anhand der unschätzbaren Informationen, die wir aus den Kolophonen gewinnen können, die „Biographien“ der urukäischen Astronomen zu rekon-struieren, ihre Wissenskultur zu beleuchten und die Verbindungen respektive Interaktionen zwischen den einzelnen Schreiberfamilien aufzuzeigen.24

M. Ossendrijver beleuchtet sodann die Aufgaben und das social setting der in Uruk tätigen Gelehrten, deren Hauptaugenmerk in den Bereichen „Omenastrologie, observationeller Astronomie, mathematischer Astronomie und Tierkreisastrologie“ lag. Die Bezeichnung der Astronomen, die bereits in der neuassyrischen Zeit bezeugt ist, ist ṭupšar Enūma Anu Enlil „Schreiber (der Serie) Enūma Anu Enlil“, also nach einem der Hauptwerke der babylonischen Astronomie. Die „Himmelskunde“ erfuhr in der Seleukiden- und darauf folgenden Arsakidenzeit im südlichen Babylonien eine besondere Blüte. Die beiden Zentren der „Gelehrsamkeit“ waren Babylon mit dem Esagila-Tempel und Uruk mit dem Rēš-Tempel. 24 Vgl. auch die Arbeit von K. Wagensonner in diesem Band, die sich mit den Kolophonen einiger Schreiber aus dem mittelassyrischen Assur beschäftigt. Als bedeutendstes und noch immer unerlässliches Werk zu den Kolophonen muss H. Hungers Babylonische und assyrische Kolophone (AOAT 2), Neukirchen-Vluyn (1968) gelten.

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Um die „Netzwerke“ und Interaktionen der Astronomen in jener Zeit näher zu beleuchten, sind die Kolophone der in Uruk gefundenen Texte besonders auf-schlussreich, da sie (1) zwei Individuen nennen, einerseits einen ṭuppi PN1-Vermerk und einen qāt PN2-Vermerk aufweisen, (2) die Angabe von drei Generationen bei den Personen sowie der Stammesname, welche für eine gute Identifikation der Gelehrten sorgt und (3) die relativ kurze Zeitspanne (SÄ 60-150), in die die Texte zu datieren sind sowie der gute Kenntnisstand des archäologischen Kontextes dieser Texte. Danach diskutiert Ossendrijver anhand des vorhandenen Textcorpus die bereits oben erwähnten Vermerke ṭuppi PN1 „Tafel des PN1“ (Besitzer) und qāt PN2 „Hand des PN2“ (Schreiber). Er unterscheidet demnach eine „Schreiberphase“ von einer „Besitzerphase“.

Zwei Gelehrte fallen aufgrund der Häufigkeit ihres Auftretens in den Kolophonen besonders auf und werden im folgenden eingehend diskutiert. Es handelt sich um die beiden Astronomen Šamaš-ēṭir aus dem Ekur-zākir-Klan sowie Anu-uballiṭ aus dem Ḫunzû-Klan.25 Letzterer scheint eine Generation älter zu sein als ersterer. Anhand der verschiedenen Kollaborationen, die dank der in den Kolophonen gespeicherten Informationen rekonstruiert werden können, kommt Ossendrijver zu dem Schluss, dass die meisten Gelehrten Uruks in einem „Netzwerk“ involviert waren, das sich auf die vier wichtigsten Klans erstreckte.

Eine wichtige Beobachtung ist, dass die Astronomen unabhängig von ihrem Status als „Besitzer“ oder „Schreiber“ die gleichen Titel benutzen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die „Schreiber“ bereits voll bzw. zum größten Teil ausgebildet waren,26 da insbesondere Individuen, die über eine lange Phase als „Schreiber“ in den Kolophonen bezeugt sind, kaum eine so lange Zeitspanne in Ausbildung verbracht haben werden. Ossendrijver möchte alternativ einen Zusammenhang mit dem Eintritt des „Schreibers“ in den Tempel sehen, eine Deutung, die – wie er selbst anmerkt – auch Probleme birgt. Aufgrund der vorhandenen Dokumentation „könnte man schließen, dass die Gelehrten, die in der Besitzerphase sind, überhaupt keine gelehrten Tafeln mehr geschrieben haben, was merkwürdig erscheint“.27

25 Zu letzterem sowie den Interaktionen zwischen den Gelehrten siehe nun auch E. Robson, Mathematics in Ancient Iraq. A Social History. Princeton und Oxford (2008), 240ff. 26 Ein ähnliches Bild kann für die mittelassyrischen „gelehrten“ Texte aus Assur gezeichnet werden. 27 Siehe nun auch die Typologisierung der babylonischen Bibliotheken der Spätzeit in Ph. Clancier, Les bibliothèques en Babylonie dans la deuxième moitié du Ier millénaire av. J.-C. (AOAT 363), Münster (2009).

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[IV.4] Einen ähnlichen Ansatz wie Ossendrijver verfolgt Klaus WAGENSONNER in seinem Beitrag „A Scribal Family and its Orthographic Peculiarities. On the Scientific Work of a Royal Scribe and his Sons“. Die Arbeit legt ihr Hauptaugen-merk auf eine mittelassyrische Schreiberfamilie, deren Mitglieder dank der Ko-lophone benannt werden können. Den drei bezeugten Schreibern können inzwi-schen 22 Tafeln zugewiesen werden, die heute auf fünf Sammlungen verteilt sind. Es besteht durchaus die Chance mittels paläographischer Studien in Zukunft noch auf weitere Exemplare zu stoßen. Damit sind die Texte, die von den Söhnen des königlichen Schreibers (ṭupšar šarri) Ninurta-uballissu kopiert wurden, die größte kohärente Gruppe in der von Olof Pedersén benannten „reconstructed library M 2“ in Assur. Ziel der Arbeit ist vor allem, die bekannten Texte und insbesondere deren Kolophone zusammenzutragen. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf der Orthographie dieser Texte, die im Detail zahlreiche Besonderheiten aufweist.

[IV.5] Der letzte Beitrag in diesem Kapitel und zugleich der Abschluss des ganzen Bandes mit dem Titel „Das sumerische Numeraliasystem – Versuch einer typologischen Einordnung“ stammt von Thomas E. BALKE. Da sich für die sumerischen Zahlwörter „zahlreiche Probleme bezüglich Lesung bzw. morpho-logischer Grundform (…), seiner Etymologie oder syntaktischen Einordnung“ ergeben, versucht der Autor, durch „Heranziehen sprachtypologischer Studien zu universalsprachlichen Bildungsmustern“ zu gelangen. Ausgangspunkt bildet das vorhandene Quellenmaterial, das die Lesungen der Kardinalzahlen 1–10 angibt. Neben der (späten) lexikalischen Überlieferung in (Proto-)Ea und Aa sind es insbesondere zwei Texte aus Ebla, die – obwohl teils starke Unterschiede auf-weisend – wichtige Informationen zur Studie und zur „typologischen Einordnung“ des sumerischen Numeraliasystems beitragen.

Balke gliedert seine Detailbeobachtungen in eine Studie einiger Kardinalzahl-wörter (1) unter den Zahlen 1–5 sowie (2) einen Versuch, die weiteren Dekaden bis 60 auf die Grundzahl 20 (Sum. niš) zurückzuführen. Eine weitere Gruppe von sumerischen Zahlwörtern bildet ein „ternäre[s] Numeraliasystem“, das die Zahlenreihe 3–7 mit der Basis peš bildet.

Der Autor kommt zu dem Schluss, dass „sumerische Kardinalia, sofern sie als reine Quantifikatoren verwendet werden, in einem Mischsystem angesiedelt sind, welches teils quinär-vigesimal (= niedrige Numeralia) und teils sexagesimal (= höhere Numeralia) aufgebaut ist“.

II

THE EMPIRICAL FOUNDATIONS OF MESOPOTAMIAN SUBSISTENCE

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BUNTE KÜHE? ZU DEN FRÜHESTEN FARBBEZEICHNUNGEN IM ALTEN ORIENT* Rosel PIENTKA-HINZ (Marburg)

„Only when empirical investigations take into account pragmatic factors, rather than solely pursuing constraints from neurophysiology, psychophysics,

or basic colour vocabulary, is colour categorization likely to reveal its true systematic structure.“ (Braisby / Franks 1997: 182)

Schon immer waren Menschen fasziniert von Licht und Farbe. Angeregt durch den in ihrem natürlichen Umfeld wahrzunehmenden ständigen Wechsel sowohl ästhe-tisch reizvoller als auch beängstigender Farb- und Lichterscheinungen, die sich etwa im Bereich des Himmels oder der Vegetation manifestierten, scheuten einzelne Parteien ganz unterschiedlicher Gesellschaftsformen keine Mühe, Glanz und Farbe in aufwendig hergestellten Objekten einzufangen, entwickelten sie diesbezüglich im Laufe der Jahrhunderte bzw. Jahrtausende erstaunliche hand-werkliche Fähigkeiten. So wurde durch die Herstellung ungewöhnlicher Objekte nicht nur eine neuartige und bereicherte visuelle Identität geschaffen, es erwei-terten sich auch die Möglichkeiten, metaphorische Beziehungen zwischen Dingen gleicher Couleur herzustellen, ja sogar numinose und entfernte Bereiche, wie die Welt der Götter oder der Verstorbenen, in die diesseitige Welt einzubeziehen. Eingebettet in ein religiöses Umfeld waren somit besonders wertvolle Gegen-stände wichtiger Teil ritueller Handlungen. Licht und Farbe übermittelten symbo-lische Aussagen, stellten Bezüge her, grenzten Bereiche voneinander ab. Der Gebrauch unterschiedlich gestalteter Keramik etwa konnte sakrale von profanen Situationen trennen, ebenso farblich variierende Kleidung und glanzvoller Schmuck, die oftmals einen eindeutigen Statuswechsel erwirkten. Plastische Figuren viel-

* Dieser Aufsatz versteht sich als Auftakt zu einer Reihe von Untersuchungen, altorientalische Nomenklatur, Wahrnehmung und Symbolik von Farben betreffend. Erste Ergebnisse wurden an-lässlich der Tagung „Organizing the world of Knowledge: Sign formation and lexical ontologies in a cross-cultural perspective“ im Mai 2008 am Institut für Orientalistik in Wien vorgetragen (im Rahmen des COST A 31 Projektes „Stability and Adaptation of Classification Systems in a Cross-Cultural Perspective“). An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal bei Gebhard Selz für manchen Hinweis sowie den ermunternden Anstoß bedanken, mit meinen Ergebnissen in die Publikationsphase einzutreten.

R. Pientka-Hinz

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fältiger Form- und Farbgebung, Metall- und Steinwerkzeuge, Ornamente aus Muscheln und Knochen aber auch mehr oder weniger aufwendig gestaltete Wand-malereien, primär in den Farben Weiß, Schwarz und verschiedenen Rotbraun-tönen gehalten, spielten bereits im Neolithikum eine zentrale Rolle.1

Im Laufe der Entwicklung urbaner Organisation wird der Gebrauch von Farben bzw. unterschiedlich gefärbter und zum Teil etwa durch Polieren zum Glänzen gebrachter Materialien besonders deutlich. So lässt sich zum Ende des 4. Jts. v. Chr. beispielsweise in der südmesopotamischen Metropole Uruk – dem Ort, an dem die ältesten Schriftzeugnisse zu Tage kamen und der aus diesem Grunde im Fokus folgender Untersuchung steht – die Einbeziehung eines breiten Farb- und Lichtspektrums beobachten. Dies zeigt sich vor allem in einer u. a. aus weißem Kalkstein gebauten oder mit Stiftmosaiken verzierten Sakralarchitektur (vgl. Brandes 1968; Behm-Blancke 1989), bemalter Keramik, Steingefäßen und -figuren unterschiedlicher Färbung, aufwendigen Siegeln und buntem Schmuck sowie Gegenständen aus Metall und schließlich der vielfältigen Verwendung von Bitumen und Gips (zur Illustration vgl. etwa Aruz & Wallenfels 2003: 16-42).

Zeigt sich somit nicht nur im Alten Orient lange vor der Erfindung der Schrift, dass der materielle Gebrauch von Farbe deutlich ihrer linguistischen Beschreibung und Kategorisierung vorangeht,2 so darf dieser über die Jahrtausende gewachsene Erfahrungshorizont altorientalischer Menschheit bei einer modernen Betrachtung der frühesten Farbbezeichnungen nicht außer acht gelassen werden. Wird in den Kognitionswissenschaften immer noch die Bedeutung von „Farbe“ als autonome Einheit, als auf Wahrnehmung und Verhalten bezogene Universalie diskutiert, so folgt die Autorin im folgenden der gegenläufigen These, nach der linguistische Untersuchungen eine Universalität grundlegender Farbkategorien negieren. Vielmehr sind es insbesondere spezifische Technologien sowie charakteristische soziale Aktivitäten, die zu einer Farbkategorisierung der damaligen Welt geführt haben.3 In dem Moment, in dem die Bewohner des frühzeitlichen Uruk zum 1 Vgl. die anschauliche Studie von Gaydarska & Chapman 2008 zur Entwicklung farb- und glanzbezogener Technologien sowie zur Verbindung ästhetischen Empfindens mit ritueller Inszenierung und gesellschaftlichen Wertevorstellungen im Bereich des prähistorischen Balkan. Zur Entwicklung der Wandmalereien im Vorderen Orient s. Nunn 1988. 2 Vgl. für den ägyptischen Raum die Studie von Baines 1985: insbesondere 289: „But whereas language is generally ahead of pictorial representation in recording visual phenomena, such as the diminution of scale with distance, explicitly (...), in the case of color, language lags behind, at least in Egypt. Color is more easily painted than talked about.“ 3 Vgl. die ausführliche Diskussion einer möglichen Einflussnahme nicht-trivialer Zwänge auf die Herausbildung von Farbkategorisierungen (etwa neurophysiologischer, psychologischer

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ersten Mal Farbbegriffe schriftlich fixierten, gaben sie uns die Möglichkeit, Worte eines bestimmten Wahrnehmungsbereiches mit materiellen Hinterlassen-schaften zu vergleichen. Wir werden sehen, dass das Spektrum dieser frühesten Farbtermini mit den Farbvokabeln der überlieferten materiellen Welt nicht unbe-dingt kongruent sein muss (vgl. allgemein Jones & MacGregor 2002).

Eine archaische lexikalische Liste von Rindern „... object-colours were just as important as environmental colours in the creation of significance and meaning. The recognition of focal colours – that small group of colours of greatest visual significance in social practices – was related to object-colours as much as environmental colours and colour terminologies. The naming of an object-colour, based upon a specific kind of flint or chert, represented one way to make the world comprehensible and meaningful. The relation of each object-colour to every other focal colour led to the development of an overall system of symbolism which gave meaning to the prehistoric world.” (Gaydarska & Chapman 2008: 65)

Bereits mit dem ersten Aufkommen der Verschriftlichung altorientalischen Wissens, den seit dem Ende des 4. Jts. in Form von lexikalischen Listen vorge-nommenen Kategorisierungen einzelner Bereiche altorientalischer Kultur, wurden Farbbegriffe verwendet. Es handelt sich dabei vor allem um Auflistungen von Rindern, Schweinen, Fischen, Vögeln, Pflanzen, Getreide, Metallen, Gefäßen und Textilien4 – allesamt Bereichen, in denen ein Ordnungsprinzip ohne Farbunter-scheidungen fast undenkbar erscheint. Im Fokus folgender Untersuchung soll die recht umfangreiche, in Teilen aber zerstörte Liste der Rinder stehen (ATU 3, 89-93: Liste „Animals“), anhand derer sich ein Teil der Genese altorientalischer Farbbegrifflichkeit besonders eindrucksvoll zeigen lässt. In keiner der anderen Listen findet sich eine derartig ausführliche Farbdifferenzierung, wie sie hier zur

oder semantischer Art), angestoßen durch die von Saunders & Brakel 1997 veröffentlichten Thesen. Zur Dominanz kultureller Anschauungen als Kategorisierungskatalysator neben den üblichen nicht überzubewertenden Wahrnehmungsprozessen s. insbesondere die Stellungnahme von Dubois 1997. Vergleichbar betrachten Braisby & Franks 1997 eine Kategorisierung von Farbe, der klare semantische Attribute schlechthin fehlen, als pragmatisch und kontext-sensitiv – eine Betrachtungsweise, die zudem die zu beobachtenden Verzögerungen in der Entwicklung von Farbbegriffen zu erklären vermag. 4 S. Englund & Nissen 1993, im Folgenden als ATU 3 zitiert. Das Fehlen einer entsprechenden Liste von Schafen und Ziegen möchte Englund 1998: 94 Anm. 203 auf einen Zufall der Überlieferung zurückführen. Grundlegend zu den archaischen Listen aus Uruk s. jetzt auch Veldhuis 20062.

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Beschreibung der Rinder zur Anwendung kommt. Diese Uruk III-zeitliche Liste von Rindern, die verschiedene Rassen bzw. Züchtungen und deren Charakteristika aufführt,5 hatte sich trotz einer Tradierung über frühdynastische Abschriften und einer syllabischen Version aus Ebla6 bisher in großen Teilen einer sinnvollen Inter-pretation entzogen (s. Englund & Nissen 1993: 22 mit Anm. 41, mit Literatur); unter dem Gesichtspunkt der Ermittlung von Farbbegriffen scheint der geeignete Schlüssel zum Zugang des Textes gefunden.

In vier parallelen Abschnitten werden (domestizierte) Kühe (ÁB), (domestizierte) Stiere (GU4), (domestizierte) Kälber (AMAR) und wahrscheinlich Wildstierkälber (AM) – also Jungtiere der der Rinderdomestikation (Bos taurus) zugrunde liegenden Wildart der heute ausgestorbenen Auerochsen (Bos primigenius)7 – jeweils mit zum größten Teil identischen Epitheta aufgelistet. Auch die frühdynastischen Abschriften miteinbeziehend, lassen sich hinsichtlich dieser die Tiere qualifi-zierenden Beschreibungen zusammenfassend folgende Beobachtungen machen:

1. „zum Haushalt gehörig“ (É) > „für die Zucht“ / „reinrassig“ Einleitend werden die nachfolgenden Rinder als „Haus-“, vielleicht sogar als

5 Als solche bereits von Green 1980: 6 identifiziert („archaic lexical list of cattle breeds or characteristics“). 6 Abschriften aus Fāra, Abū Ṣalābīḫ und Ebla (SF 81; OIP 99, Nr. 25-27; MEE 3, 47-50: Nr. 12-17 „Lista die animali A“); syllabische Version aus Ebla (MEE 3, 251-252: 62); s. auch die Bearbeitungen von Krispijn 1981-1982 und Krecher 1983. Parallelen finden sich zudem in administrativen Texten aus Uruk; vgl. Green 1980; Englund 19952. 7 Dieser Teil der Liste ist weitestgehend zerstört, so dass Englund & Nissen 1993: 22 sogar die Existenz eines Wildstiere auflistenden Teils, so wie er in der späteren Überlieferung vorhanden ist, bezweifeln und statt dessen eine m. E. unwahrscheinliche alternativen Lesung SISKUR „Opfer“ (später AMAR׊E) zur Sprache bringen. Das in der archaischen Liste aus Uruk verwendete Zeichen unterscheidet sich tatsächlich von späterem AM(GU4×KUR) „Wildstier“, stellt vielmehr ein durch Striche gekennzeichnetes „langhaariges(?) Kalb“ (AMAR.gunû) dar; s. ATU 2, 174: 27, und vgl. unten die Qualität DARA4 „(lang)haarig, lockig(?)“. Abgesehen von der Zeichen-form wird die Identifikation mit einem Wildstierkalb dadurch bestätigt, dass das Tier (am) auch in frühdynastischen Texten aus Ebla in der unmittelbaren Gesellschaft von „Kälbern“ (amar) und „Lämmern“ (sila4) geführt wird; s. PSD A/3, 184. Zur Stellung dieser Wildstierkälber innerhalb domestizierter Rinderherden s. u. S. 329 mit Anm. 110. Vergleichbare Beobachtungen konnte Cavigneaux 2006: 17 und 24 hinsichtlich der für Haus- bzw. Wildschweine gebräuch-lichen Piktogramme machen, wonach eine ursprüngliche Unterscheidung von Hausschwein (ŠÁḪ– = Schwein ohne Mähne) und Wildschwein (ŠÁḪ+ = Schwein mit Mähne) später aufge-geben wurde. In Listen des 3. Jts. kontrastieren dann šáḫ giš-gi(-k) „Röhrichtschwein“ (wild) und šáḫ ú(-k) „Grasschwein“ (domestiziert).

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„Tempeltiere“ kategorisiert. Dabei soll zunächst die Frage nach der Identität des Haushalts zurückgestellt bleiben,8 vielmehr scheint der regelmäßig in den jünge-ren Abschriften zu verzeichnende Wechsel zu einer Bezeichnung „Tier (mit) Unterstand(?)“ (ùr)9 von Bedeutung. In beiden Fällen wird durch einen architek-tonischen Begriff eine Beziehung zwischen Mensch (bzw. Gottheit) und Tier ausge-drückt, letzteres gleichsam unter den „Schutz“ der Menschen gestellt. Da anschlie-ßend die unterschiedlichsten Rinderzüchtungen aufgelistet werden, erscheint es sinnvoll, die für eine Zucht unbedingt erforderliche Absonderung und entspre-chende Pflege einzelner Tiere zu assoziieren.10 Hat dies in Uruk vermutlich unter der Obhut eines bestimmten institutionellen Haushalts (É) stattgefunden (vgl. Abb. 1 und 2),11 so wird diese Formulierung in den frühdynastischen Abschriften durch den Begriff (ùr „Dach“ > „Abschirmung, Schutz“) ersetzt. In neusumerischer und altbabylonischer Zeit werden die Tiere dann als „Hürdenkühe“ (áb é-tùr)12 oder auch als „Weidekühe“ (áb lu-a)13 bezeichnet. In Opposition zu der nachfol-genden Rinderklasse sind diese unter besonderen Bedingungen herangezogenen exklusiven Tiere vielleicht auch als nach damaligem Verständnis „reinrassig“ einzustufen.

8 S. Englund 19952: 34 („stall“). Zu Schweinen, die einzelnen archaischen Tempelhaushalten zugewiesen werden, s. ders. 1995: 127. 9 Ich möchte mit Krecher 1983: 183 eine Gleichsetzung mit jüngerem gu4-(da/á-)ùr-ra „hinteres Pflugrind“ ausschließen; ebenso die Überlegung von Krebernik 1984: 40 (eine Farbbezeich-nung). 10 Zur Abgrenzung von Haus- und Wildtieren, u. a. durch den vom Menschen gestalteten Lebens-raum bedingt, sowie zu wilden „Haustieren“, die sich dem Menschen eng angeschlossen haben, s. Benecke 1994: 20ff. Vgl. auch Cavigneaux 2006: 19: DUN-ùr „Zuchthengst“. 11 Zur Sakralarchitektur im archaischen Uruk – (GI) èš „Inanatempel“, g̃iparx([GI] KISAL) „G̃ipar (des En)“, tùr „Viehhürde“ – s. Steinkeller 1999: 109ff. Die in Zame-Hymnen aufeinander-folgenden Zeilen áb ùr und áb babbar stehen in Verbindung zur „Herrin des reinen Hauses“ (dNin-é-kù); vgl. Krebernik 1984: 40. Zu dieser nur in Texten aus Fāra und Abū Ṣalābīḫ bezeugten Göttin s. Cavigneaux & Krebernik 1999. Vgl. auch PSD A/3, 182: 4.2 (gu4-am:E2). 12 S. Hall 1986: 155: 16 („weitläufige Tempelhürden“ [é-tùr-gal], in denen die wertvollen Rinder-herden hausten); PSD A/3, 163: 3.7 (e2-ab2-lu-a tur3-dagal-la „house with numerous cows, wide cattle-yard“); 158: 1.7.4 (ab2-e2-tur3 „stable cow“ (Ur III)); MSL 8/1, 87: 209 (Nippur Vorläufer zu Ḫḫ XIII); Waetzoldt 2007: 380f. (Einrichtungen zur Verwaltung und Versorgung der Rinder, die zu Tempeln, größeren Institutionen oder einer Stadt gehörten); Weszeli 2007: 399 (verschiedene Ställe und Hürden). 13 S. Sjöberg 1973: 40 zu 17 („to pasture, tend“ [= riteʾʾû]).

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2. „Mischling“ (NE) Bei der Identifikation dieses nicht allzu häufig belegten und bisher völlig unge-klärten Begriffes NE stehen zwei nützliche Hinweise im Vordergrund: ein in der syllabischen Wortliste aus Ebla verzeichneter, ansonsten unbekannter Lautwert šarx(NE)14 sowie das in der archaischen Liste für den gesuchten Begriff bezeugte Piktogramm „Fackel > Feuer“.15 In Anbetracht des nachfolgenden Listenaufbaus, der sämtliche bekannten Rinderrassen des ausgehenden 4. Jts. nach ihrer äußeren Erscheinung beschreibt, wobei die eigentliche Darstellung erst mit dem folgenden Eintrag „weiß“ einzusetzen scheint, liegt die Vermutung nahe, den auch in weiteren Texten mit den „Zucht- bzw. Rasserindern“ gepaarten Begriff NE eben-falls als übergeordnete Qualifikation zu verstehen. Bei der Suche nach einer sinnvollen Deutung, welche auch innerhalb der Paarung von auf der einen Seite durch É und auf der anderen Seite durch NE qualifizierten Rindern überzeugen mag, fand sich folgende Lösung: das zu šarx(NE) homonyme Verbum šár(ŠÁR/ḪI)16 mit der Bedeutung „(ver)mischen, schmelzen“, welches zudem einen eindeutigen Bezug zu dem archaischen Piktogramm „Feuer“ herstellt („durch Feuer zusammen-schmelzen, verschmelzen“ und zwar zu etwas „Neuem“ = gibil4(NE)).17

Zeichnen sich die „Haus- bzw. Rasserinder“ durch eine vom Menschen kontrol-lierte Fortpflanzung und das daraus resultierende, als solches zu bewahrende Zuchtergebnis aus und werden Wildrinder gleichzeitig durch eigene Bezeich-nungen von der für Hausrinder gebräuchlichen Nomenklatur ausgeschlossen (s.

14 S. Krebernik 19842; Civil 1988. S. auch die syllabischen Schreibungen in PSD A/3, 162: 3.6.3 (ab2-ur2 ab2-ša-ra). 15 Obwohl dieses Zeichen durchaus für eine Farbe „Rot“ gestanden haben mag, sollte es hier in Bezug auf Rinder nicht zur Anwendung kommen; vgl. hingegen Englund 19952: 34 („reddish“). Für „rot-braune“ Tiere war der Begriff SI4 von Bedeutung (s. u.). 16 Zum Wechsel dieser beiden sehr ähnlichen Zeichen s. George 1985: 111 Anm. 12; Krebernik 1998: 277 (Paare ähnlicher Zeichen, die später zusammenfielen: ḪI/DUG3 und ŠÁR). Man beachte auch die semantische Nähe von ḫi „(ver-)mischen“, ḫi-a „vermischt“ (< „eine Menge an unter-schiedlichen/diversen Einheiten“) zu šár „zahlreich sein/machen“, „unzählig, zahllos“ (< „eine Menge an nicht mehr unterscheidbaren Einheiten“). 17 Vgl. George 1985: 111 mit Anm. 12 („Let no one smelt [nam-ba-da-ab-šár-re] your fine silver along with crude ore!“); Selz 1989: 364 mit Lit. (NE-r „vermischen“, Pflanzenzüchtungen?); Civil 1964: 76f., 81 (šár „to mix“, Bierherstellung); van Dijk 1960: 16f. (šár „in eins mischen“ > „sich insgesamt im Staub wälzen“); Civil 1983: 57: 144 (un ní-bi ḫa-ra-NE), liest: „Laß die Leute sich miteinander vermischen!“ [= „eine Menge bilden“]); s. auch AHw. I 97 balālu(m) „besprengen; vermischen, legieren”; III 1453 w/babālu(m) Št2 „zusammenbringen, gründlich erwägen, berechnen“.

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Waetzoldt 2007: 387 und vgl. unten Anm. 110), so stellt sich die Frage nach einer begrifflichen Einordnung der aus beiden Bereichen gekreuzten Mischlinge, die es sicherlich, unter Umständen sogar vom Menschen beabsichtigt, gegeben hat. Wie es sich auch in der weiteren Geschichte der altorientalischen Kultur immer wieder zeigen wird, haben gerade Grenzgänger zwischen zwei Bereichen – insbesondere zwischen Natur und Kultur und damit oft einhergehend zwischen Gefahr und Sicherheit18 – die besondere Aufmerksamkeit der Menschen erregt. Sowohl aus Zucht- und Wildrind neu entstandene Züchtungen19 als auch echte Hybriden, wie sie durch die Kreuzung von verschiedenen Vertretern der Familie Bovinae möglich waren,20 mussten nach altorientalischen Vorstellungen durch einen eigenen Begriff von den ursprünglichen Gruppen geschieden werden. Mit den „gemischten“ bzw. „miteinander verschmolzenen Rindern“ scheint dieser Begriff gefunden.21

Die gleiche Paarung von „Zuchttieren“ und „Mischlingen“ (áb ùr, áb šarx / am ùr, am šarx) erscheint zu Beginn einer frühdynastischen Geburtsbeschwörung aus Fāra, nach der die so bezeichneten „Rinder Enlils“ im Zusammenhang mit einem „reinen Pferch“ (g̃á kù) genannt werden.22 Parallelen in jüngeren Geburtsbe-schwörungen erwähnen stattdessen den „rechten (Zucht-)Bullen“ (nínda zi), der die Kuh im „reinen Geburtshauspferch“ (é-tùr-amaš kù-ga) begattet.23 Eine weitere Verbindung zu Fruchtbarkeit und Nachwuchs findet sich in „Enmerkar und En-suḫgir-ana“ (Z. 10), wonach die Stadt Uruk in strahlendem Licht erscheint und „wie Rasse- und Mischlingskühe im Überfluss herauskommt“ (áb ùr áb šarx-gin7

18 Zu diesem Themenkomplex s. Veldhuis 1993: 167f. (Schlange, Skorpion, Hund); Pientka 2004 (Skorpion); Pientka-Hinz 2009: bes. 120f. (Löwe); und demnächst Pientka-Hinz (in Vorb., Skorpion). 19 Zu jüngeren sumerischen Bezeichnungen für solche Einkreuzungen s. u. Anm. 110. S. auch Vila 1998: 123. 20 Unter Rindern ist Hybridisation weit verbreitet, so können etwa auch Hausrinder mit Wisenten oder Buckelrindern, nicht jedoch mit Büffeln, gekreuzt werden. Durch Kreuzung verschiede-ner Kulturrassen lassen sich diverse Neukombinationen erzielen; s. Benecke 1994: 25f. 21 In Bezug auf Schweine lies jetzt mit Veldhuis 2006, 27 Anm. 6, šáḫ zaḫ(NE) tur „Ferkel“. 22 S. Krebernik 1984: 36f.: Beschwörung 6: A 2f. / B 6f., und 41. Im weiteren Verlauf der Beschwörung kommt zudem ein Geburtsritual, das gemeinsam mit der „großen Hebamme von Kulaba“ (šà-zu-gal kul-ab) im DAG.É.NUN stattfindet, zur Sprache (s. a.a.O. 41ff.). 23 Vgl. Krebernik, a.a.O. 39f. mit Anm. 37 („Hürde-Pferch-Haus“). Zu „rechten“ (zi) Rindern s. auch PSD A/3, 162: 3.6.5.

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ḫe-nun-ta è-a).24 Schließlich finden sich in einer Hymne an den Mondgott „Weide-kühe“ (áb lu-a, s. o. Anm. 13) und „Mischlingskühe“ (áb šarx-ra), die von Nanna gehegt werden (mí-du11, s. Sjöberg 1960: 44-46: 15). Diese Tiere scheinen demnach vor allem mit fruchtbarer Vermehrung und strahlender Schönheit assoziiert worden zu sein. Gehörten sie laut administrativer Texte im archaischen Uruk zum summierten Viehbestand (s. Green 1980: 6 [áb(-áb)-NE]), so finden sie sich noch in neusumerischer Zeit zu Festen in Ĝirsu wieder.25

Auf der Basis einer solchen Interpretation wären die beiden anfänglichen Listeneinträge als wesentliche Elemente der damaligen Rinderzucht zu verstehen. An der Spitze der Kette stand demnach die der menschlichen Pflege unterstellte (heilige) Herde von Rindern, die womöglich auf „reinrassige Züchtungen“ speziali-siert war, gefolgt von einer weiteren Rindergruppe, die sich aus Mischlingen im Sinne von Kreuzzüchtungen und/oder Tieren, die weniger behütet in wildlebende Rindergruppen entlassen wurden, zusammensetzte. Ob diese zweite Gruppe ebenfalls Teil einer exklusiven Tempelherde war oder nicht vielmehr das Ergebnis neuartiger Zuchtversuche bzw. natürlicher Vermischungen von Haus- und Wild-tieren oder ob gar manche neue Züchtungen, die bestimmte Kriterien erfüllten, später in die erste Gruppe aufgenommen wurden, derartige Fragen lassen sich noch nicht beantworten. Gewiss waren beide Gruppen Zeugnis einer fruchtbaren Vermehrung von Tieren, die neben einer sicherlich auch viehwirtschaftlichen Verwertung26 kultischen Zwecken zugeführt wurden.

Nach einer solchen die Herde in ihrer Gesamtheit charakterisierenden Über-schrift, die die Tiere in zwei Gruppen, nämlich „Rasse- bzw. Hausrinder“ und „Mischlinge bzw. Halbwilde“ einteilt, fährt die Liste mit einer detaillierten Beschreibung der äußeren Erscheinung unterschiedlicher Rinder, angefangen mit dem Offensichtlichsten, der divergierenden Färbung des Fells, fort. Dies ist umso verständlicher, als zu den auffälligsten Veränderungen im Vergleich zwischen Wild- und Haustier immer die Ausfärbung und Musterung des Haarkleides gehört. Während Wildtiere in der Regel farblich einheitlich erscheinen, weisen

24 S. Berlin 1979: 38f.: 10 und 62f. Anm. 10. Noch in den altbabylonischen Listen findet sich ein Reflex dieser Paarung als áb tùr / áb tur / áb šarx (MSL 8/1, 87: 209-211, Nippur Vorläufer zu Ḫḫ XIII). 25 Zu Riten bei Kühen in der Ur III-Zeit s. Sallaberger 1993: 296f. mit Anm. 1378 (áb-šarx(NE)-ra) (mit Lit.). 26 Zu einem nach Aussage der archaischen Wirtschaftstexte mit der Uruk III-Zeit verbundenen Aufblühen der Milchwirtschaft s. Englund 19952; s. auch unten Anm. 109.

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Haustiere generell eine breite Palette von Färbungs- und Musterungsvarianten auf.27

3. „weiß“ (U4) Jede nach Farbbezeichnungen ausgerichtete lexikalische Auflistung beginnt

(von wenigen Ausnahmen abgesehen) mit der Qualität „weiß“ bzw. „(besonders) hell“ (U4, sum. babbar). Weiße Rinder, die im Extremfall rein weiß (Albino-Färbung) gewesen sein mochten – eine vor allem durch Züchtung hervor-gerufene Fellfärbung, die bei den nicht domestizierten Auerochsen eher selten vorkam28 – werden auch in der sumerischen Literatur erwähnt, symbolisieren ausgesprochene Reinheit und Vollkommenheit.29 Noch in einer altbabylonischen Hymne an den Mondgott werden „weiße Kühe“ (áb bábbar) nach „buntäugigen Kühen“ (áb igi gùn) als eine Besonderheit gepriesen (s. Hall 1986: 156: 23). Schließlich gehört ein durch ein aufwendiges Erhitzungsverfahren hergestelltes zoomorphes Kultgefäß aus gebleichtem, dadurch stellenweise kristallartig erscheinendem Chlorit zu einer Gruppe von rindergestaltigen Objekten, die eine nicht unwichtige Rolle im kultischen Geschehen des frühzeitlichen Uruk gespielt haben (s. u. S. 353f. und vgl. Kawami 2008: besonders 303f. Figure 10).

4. „schwarz“ (GI6) Die häufig im Kontrast zu „weiß“ stehende Farbmarkierung „schwarz“ bzw.

27 S. Benecke 1994: 48ff. Viele Färbungen beim Hausrind sind auch heute für einzelne Rassen unmittelbar kennzeichnend und haben deren Namen geprägt, wie Rotvieh, Rotbunte, Fleckvieh, Gelbvieh, Schwarzbunte, Blondvieh, Braunvieh u. a. Daneben gibt es schwarze und weiße Färbungen in unterschiedlichen Abstufungen. Beim Zebu, einer afrikanisch-asiatischen Hausrindform, dominieren braune, graue, schwarze und weiße Tönungen und Scheckungen. 28 S. Benecke 1994: 48f.: „Da in freier Wildbahn die Individuen in hohem Maße mischerbig (heterozygot) sind, kommen die von Farmtieren bekannten Färbungstypen bei Wildtieren über-haupt nicht oder nur als seltene Ausnahme vor. Erst unter Farmbedingungen, d. h. in kleinen Populationen mit begrenzter freier Paarung, mehren sich dann Fälle, in denen solche rezessiven Allele reinerbig (homozygot) werden und zur Ausprägung gelangen. Auf diese Weise ent-stehen neue, von der Wildfärbung abweichende Färbungstypen, um deren Erhaltung sich der Mensch auf züchterischem Wege bemüht.“ Vgl. dennoch PSD A/3, 181: 3.2 (am babbar). 29 So preist Šulgi sich etwa als wohlgenährtes „Kalb einer weißen Kuh“; s. Heimpel 1968: 212: 9.7 („einer schneeweißen Kuh“). An anderer Stelle stellt er eine weiße Kuh samt Kalb (zu kultischen Zwecken) bereit (dù); s. Klein 1981: 142f.: 129 und 162. S. auch PSD A/3, 162: 3.6.1; 165: 9; Waetzoldt 2007: 382 (Ritual mit weißer Kuh und schwarzen Mutter-schafen zur Amtseinführung eines En-Priesters).

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„(besonders) dunkel“ (GI6, sum. kukku5, syll. Ebla ki-ki) mag vermehrt auf die männlichen Auerochsen zugetroffen haben,30 allerdings werden sich zumeist hellere Bereiche an den Flanken sowie den Bauch- und Beininnenseiten von der restlichen Fellfärbung abgehoben haben. Vollkommen schwarze Tiere werden auch hier vor allem das Resultat intensiver Züchtung gewesen sein (s. Benecke 1994: 49). Da schwarze Wesen allgemein in der sumerischen Literatur bevorzugt mit der finsteren Unterwelt bzw. magischen Ritualen assoziiert werden, mag auch die Präsenz „schwarzer Stiere“ in Uruk mit einer derartigen Konnotation verhaftet gewesen sein.31 Eine auffällige Parallele findet sich ebenso wie beim weißen Rind (s. o.) in aus schwarzem Kalkstein geschnittenen Kultgefäßen in Rinder-gestalt (s. Abb. 7).

5. „mit Aalstrich(?)“ (EŠ16) Davon ausgehend, dass sich die Liste – wie im weiteren Verlauf deutlich werden

wird – mit Fellfärbungen fortsetzt, ist auch für diesen Begriff im Bereich einer auf Rinder bezogenen adäquaten Farbnomenklatur zu suchen. Daher sollte der in der archaischen Liste aus Uruk bisher nicht erhaltene Ausdruck (sum. eš, syll. Ebla má-uš) auch nicht zwangsläufig analog zu jüngeren, konzeptionell abweichenden Listen mit einer Altersangabe in Übereinstimmung gebracht werden.32 Hinsichtlich der markanten Form des Keilschriftzeichens EŠ16

33 – drei parallele Linien – könnte es auch zum Ausdruck einer bestimmten Fellzeichnung verwendet worden sein. Eine hier vorliegende Darstellung des besonders auffälligen über den Rücken der Auerochsen verlaufenden Aalstriches erscheint nicht zuletzt hinsichtlich der Platzierung direkt nach dem „weißen“ bzw. „schwarzen“ Rind sinnvoll.34 Fallen

30 Zum Fellkleid europäischer Wildstiere s. Gilbert 2002: 15. 31 Bei dem in einer Beschwörung aus Fāra angerufenen „schwarzen Stier“, dessen Schwanz mit Feuer bedeckt ist, mag es sich eher um eine Metapher für den Skorpion handeln; s. Krebernik 1984: 88f. Zu weiteren derartigen Metaphern s. auch Roudik 2003 und demnächst Pientka-Hinz (in Vorb.). Vgl. auch PSD A/3, 181: 3.4 (am-gi6 „black bull“); 166: 25 („black cow“); 164: 4.3 (kuš-ab2-peš-gi6, kuš-gu4-gi6). Zur Opferung von schwarzen Stieren s. Waetzoldt 2007: 381 und Weszeli 2007: 389, 400 (Ritual zum „Bespannen der Kesselpauke“). 32 Vgl. Krecher 1983: 183 und Krispijn 1981-1982: 50 (mu eš „dreijährig“). Gegen eine Alters-angabe spricht auch der Umstand, dass diese dann bei allen drei Tieren – Kuh, Stier und Jungtier, also Kalb (s. MEE 3, 12) – gleichwertig nebeneinander vorgenommen worden wäre. 33 Vgl. unten EŠ16 ZAG „mit dritter Schulter“. 34 Vielleicht darf die syllabische Schreibung aus Ebla má-uš als Ausdruck für muš „schlange(n-förmige Linie)“ verstanden werden.

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diese Fellmarkierungen doch gerade bei einheitlich gefärbten Tieren besonders ins Auge (s. Abb. 15).35

6. „(schwarz-weiß) gesprenkelt / grau“ (ŠU) Noch in neusumerischen Urkunden werden Kühe, Stiere und Esel mit einer

durch ŠU ausgedrückten Qualifikation gekennzeichnet, die nicht mit einer abge-kürzten Schreibweise von sum. šu-gi „alt“ identisch sein kann, sich aber bisher einer plausiblen Erklärung entzogen hat.36 Der in der syllabischen Abschrift aus Ebla angegebene Lautwert surx(ḪI×MAŠ / šu-ur, vgl. Krecher 1983: 183f.), mit dem sumerischen Verbum sur „tropfen (lassen)“ bzw. „eine Linie ziehen“37 gleich-gesetzt, liefert vielleicht den entscheidenden Hinweis zum Verständnis eines wiede-rum in der archaischen Liste aus Uruk anzusetzenden Farbbegriffes. Demnach könnte die schwarz-weiße Sprenkelung, die bis heute bei einigen Rinder- und Eselzüchtungen hervorsticht, gemeint sein (s. Abb. 13 rechts und 14, zu einer ebenso benannten Sprenkelung bzw. Strichelung beim Stachelschwein s. u.). Je feingliedriger sich dabei das abwechselnde Miteinander von weißen und schwarzen Markierungen gestaltet und je größer der Abstand des Betrachters zur derartig gefärbten Fläche, desto eher erscheint eine solche Musterung als homogener Grauton38 (später sum. šu-gi(4)).39

35 Vgl. auch unten weitere Fellzeichnungen wie „gesprenkelt“ und „stern/blütenförmige“ bzw. „rautenförmige(?) Flecken“. 36 S. Molina 1990: 74ff. und jetzt ausführlich Hilgert 2004: 78ff; vgl. auch Green 1980: 8 Anm. 37. Einen altbabylonischen Beleg erwähnt Weszeli 2007: 389 (gu4 ŠU neben udu ŠU). Beeinflusst durch jüngere Abschriften dieser Liste entstanden seinerzeit wenig überzeugende Interpretationen wie etwa die von Krispijn 1981-1982: 50 („eine (Dresch?) Aktivität“). 37 S. Cohen 1975: 601: 24: „May the woman drip (sur5) oil as a cow stationed by the waters (drips water)!“; dazu 602 Anm. 24 (sur / sur5). Vgl. auch Heimpel 1968: 108: 3.43 („wie Körner hingestreut“). Nach Hinweis von G. Selz ist auch das Verbum sur „(ab)grenzen, (ein)ritzen“ in Erwägung zu ziehen, welches, auf eine Fellmarkierung bezogen, ein „gestricheltes“ Muster benennen könnte. 38 Vgl. auch den sogenannten Wildfarbigkeitsfaktor, der eine Bänderung jedes einzelnen Haares bewirkt, indem der Farbstoff rhythmisch in Zonen mit verschiedenfarbigen Pigmenten eingelagert wird. In diesem Fall führt der so entstandene Wechsel heller und dunkler Bereiche im Haar zur grauen Wildfärbung; s. Benecke 1994: 49. 39 Es bleibt fraglich, ob die „Hand“ (ŠU) als graphischer Hinweis etwa für „(etwas) verstreuen“ (Handbewegung?) oder „tüpfeln“ (mit den Fingern tupfen?) bzw. „stricheln“ (mit dem Finger einritzen?) gewertet werden darf.

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7. „mit (schwarz-weiß) gesprenkeltem / grauem Rücken(fell)“ (ŠU BAR)40 Häufig tragen Rinder ein mehrfarbiges Fell, wobei die Musterung sehr fein strukturiert (gesprenkelt) sein kann oder auch sehr großflächig (gescheckt) gestaltet. Unterschiedliche Scheckungsmuster können durch Züchtungen weiter-gegeben und forciert werden. Sind Kopf, Beine, Unterbauch und Schwanzquaste andersfarbig als der restliche Körper41 oder ist das Tier etwa durch einen „Sattel“ gekennzeichnet (vgl. Abb. 16), so wird diese Art der Zweifarbigkeit mithilfe des sumerischen Begriffes bar „(obere) Hälfte; Rücken(fell)“42 wiedergegeben. Zahl-reiche figürliche Darstellungen werden einer solchen Vielfarbigkeit durch den Einsatz verschiedener Materialien gerecht (vgl. Abb. 8). Man beachte etwa auch die altbabylonischen Stiftungen von Kuhstatuetten mit bronzenem Bauch (áb šà zabar) aus Ur (s. Butz 1973/74: 5 Anm. 20). Tiere mit besonders auffällig gefärbtem Rücken wie die Jungtiere von Wildschweinen oder auch das

40 Die sumerische Lesung sur bar wird in den frühdynastischen Abschriften mit ŠU bar/AŠ, in der syllabischen Version aus Ebla mit ga!-bar šu-ur wiedergegeben; vgl. Krecher 1983: 184 und unten Anm. 47. 41 So heute etwa beim europäischen Fleckvieh zu beobachten. 42 Auch vom „Bergrücken“ gesagt; s. „Inana und Ebiḫ“ (Z. 145, 149, 165), dazu Attinger 1998: 176ff. („les flancs“). – Zum mit einem „Fell“ (bar) bedeckten Schlaflager s. „Lugal-e“ (Z. 370), dazu van Dijk 1983: I 98 („elle couvrit ses chairs (d’une fourrure) comme une brebis gravide“). Besonders deutlich wird der Vergleich eines solchen „fellbedeckten Lagers“ (bar) mit einer liegenden Kuh in „Gudea Zyl. B“ (Z. 16:19-17:3): „Sein im Schlafzimmer stehendes Bett war eine an ihrem Schlafplatz liegende Mutterkuh (šilamx). Auf seinem reinen mit frischen Kräutern bestreuten Fell (bar kù ú za-gìn ba-ra-ga-ba) lag Mutter Bau behaglich mit dem Herrn Ning̃irsu.“; vgl. Averbeck 1987: 704 mit Anm. 108. – Die „(Rücken-)Felle“ werden eventuell auch in administrativen Texten aus Uruk summiert; anders Green 1980: 6 („extra“, „exceptional“, „additional“); Nissen, Damerow & Englund 1991: 134f. („zusätzliche (Tiere)“). Die Interpretation als Ablieferung von „Fellen“ (im Buchungszeitraum verstorbener Tiere) wird durch die Beobachtung gestützt, dass der später übliche Begriff für „Fell, Haut“ (KUŠ) in den archaischen Texten kaum belegt ist (s. ATU 2, 276: 485). – Bei Schafen und Ziegen stellt sum. bar das „Vlies“ dar; s. Steinkeller 1995: 60 (bar-gál „with fleece“, bar-su-ga „without fleece“); Kienast & Volk 1995: 235 (siki-bar-udu „Wollvlies“); Waetzoldt 1972: 39. – Zum offen auf den Rücken fallenden Haupthaar beim Menschen (síg-bar-ra = sigbarrû) s. Sjöberg 1967: 278: 8. – Ein Gott (Enlil oder Ninurta) bekleidet sich laut Barton Zylinder (VI 11-13) mit Löwen-fellen (kuš-[piriĝ]~ bar nam-mi-mu4 / [kuš]~-piriĝ-piriĝ / zà mu-ni-kéšda „Mit einem Löwenfell bekleidete er seinen Rücken, Löwenfelle band er sich an die Seiten“), vgl. Alster & Westenholz 1994: 20, 28 („(...) he dressed his body in a lion’s skin. With lion’s skins he harnished himself“). – Die Deutung von Krispijn 1981-1982: 50 („draußen stehendes, verbleibendes Rind/Kuh“) ist nun auszuschließen.

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Stachelschwein werden noch in Listen des 2. Jts. mit ähnlichen Begriffen be-schrieben.43

8. „gelblich“ (GI) Der in jüngerer Zeit vermehrt mit dem Zeichen SIG7 geschriebene Farbbegriff

„grün-gelb“44 wird in den archaischen Texten mit dem Zeichen GI wiederge-geben.45 Das Piktogramm markiert eine vegetabile Einheit, höchstwahrscheinlich stellt es einen Rohrstengel bzw. (getrocknetes) Schilf dar – als Bezeichnung für gelbliche bzw. falbe Rinder erscheint die Wahl passend (s. auch unten S. 359f.). Nach der syllabischen Wortliste aus Ebla wird dem Zeichen GI eine Lesung šu-gu /sugu/ (oder /sügü?/) zugeordnet, die somit deutlich an den späteren Lautwert sig7 anklingt.46

9. „mit gelblichem Rücken(fell)“ (GI BAR) Demnach gab es neben Rindern mit (schwarz-weiß) gesprenkeltem / grauem

Rückenfell auch solche mit einem gelblich bzw. falb gefärbten (GI BAR, sum. bar sügü(?)/sig7, syll. Ebla bar šu-gu),47 welches sich vom übrigen Fellton abhob.

10. „mit stern- bzw. blütenförmigen Flecken auf dem Rücken(fell)“ (BAR MUL) > „mit geschecktem Rücken(fell)“

Das mit „stern- bzw. blütenförmigen Flecken versehene Rückenfell“ (BAR MUL, sum. MUL BAR/AŠ [= barumx], syll. Ebla ba4-ru12-um)48 scheint in Anbetracht der 43 Vgl. Cavigneaux 2006: 18 und 22 mit Anm. 42: Ḫḫ XIV šáḫ bar gùn-nu, šáḫ zé-da bar-sur-ra („cochon multicolore“) = burmāmu „Stachelschwein“; zé-da-šáḫ / šáḫ-zé-da „Frischling“, Asso-ziation wegen des mehrfarbigen gestreiften Fells. S. auch unten „mit stern- bzw. blüten-förmigen Flecken auf dem Rücken(fell)“. 44 Vgl. Landsberger 1967: 140f. mit Anm. 14; PSD A/3, 167: 48 ([ab2-si]g7(-sig7)). 45 S. Englund 1998: 98 („yellow“). Zu jüngeren Belegen s. Steinkeller 1995: 60 (sig17[GI] „yellow, tan“). 46 Überlegungen, das Zeichen GI mit sumerisch šu-gi4 „alt“ in Verbindung zu bringen (s. Krecher 1983: 184; Krispijn 1981-1982: 50), können nun fallen gelassen werden. Gegen eine solche Interpretation spricht auch die ansonsten unpassende Qualifikation beim Kalb („altes Kalb“) sowie die nachfolgende Qualifikation „mit gelblichem (und nicht altem!) Rücken(fell)“. 47 Zu den Varianten in den frühdynastischen Abschriften sügü?(GI) bar/AŠ bzw. in der syllabi-schen Version ga!-bar šu-gu s. auch oben Anm. 40. 48 Ansonsten findet sich mul zum Ausdruck kleiner verzweigter Einheiten vor allem in der Pflanzenwelt (= „Blüten“, „blühende Zweige“, vgl. Abb. 3), aber auch als Metapher für Keil-schriftzeichen (am Himmel); vgl. Cohen 1973: 258: 342 (= papallu „sprout, shoot“); Sjöberg

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zahlreichen ähnlich gestalteten archaischen Abbildungen von Rindern eine besonders begehrte Züchtung gewesen zu sein (vgl. Abb. 9 und 10).49 Tatsächlich kommen im Gegensatz zu (wesentlich kleineren) Sprenkelungen (s. o.) Scheckun-gen seltener auf dem Bauch der Tiere vor, dieser Körperbereich ist vorzugsweise einheitlich heller gefärbt, somit werden keine am ganzen Körper gescheckten Tiere aufgeführt. Der syllabischen Wortliste aus Ebla zufolge ist nun der Zeichen-kombination MUL BAR ein Lautwert ba4-ru12-um /barum/ zugeordnet. Zieht man die in Ḫḫ XIII: 316 gegebene Gleichung gu4-bar-mul = [x-x(-x)]-ma-nu als Hinweis auf ein mit –/ānu/ vom sumerischen /barum/ abgeleitetes Wort in Betracht,50 so ergibt sich vielleicht für diese späte Zeit ein akkadisches Äquiva-lent barmānu „Gescheckter“.51 Später scheint sich zum Ausdruck einer solchen Mehrfarbigkeit, also Scheckungen verschiedenen Typs, vor allem sumerisch gùn(-a) durchgesetzt zu haben,52 auch werden Begriffe für „gesprenkelt“ und

1973: 24 zu 7’ („young, fresh branches“); Flückiger-Hawker 1999: 339, 345 („ramifying branches“); Attinger 1998: 176f.: 123 (pa mul-mul-la „branches ramifiées“); Sjöberg, Bergmann & Gragg 1969: 138 (=šiṭirtum „script“). – Zur Gleichsetzung von Rosette und Stern auch für das Schriftzeichen DIĜIR vgl. Moortgat-Correns & Böck 1994. – Eine dem sumerischen Wort mul ebenfalls anhaftende Bedeutung „leuchten, glänzen“ ist m. E. hier nicht gemeint (vgl. PSD A/3, 165: 10: ab2-bar-mul „cow with a shining body“). Zum einen mag bereits das gelbliche, sicherlich das weiße Fell einen gewissen Glanz ausgestrahlt haben, macht somit einen gesonderten Begriff innerhalb dieser Liste entbehrlich, zum anderen ist das Zeichen MUL in den archaischen Texten nur sehr selten und fast ausschließlich in Bezug auf Tiere (Kühe und Fische) zur Anwendung gekommen (ATU 2, 247: 367), scheint also vielmehr eine ansonsten nicht allzu gängige Besonderheit im Aussehen dieser Tiere – etwa ungewöhnliche Flecken – zu beschreiben. 49 Zu unterschiedlichen Blütenformen auf rindergestaltigen Kultgefäßen aus der frühen Uruk-Zeit s. Kawami 2008. – Vielleicht handelt es sich bei dem in seiner Bedeutung noch unge-klärten Begriff gu4-súḫub(MUL) „Stiefelrind(?)“ – einer sumerischen Bezeichnung für anscheinend privilegierte Rinder, die vom Arbeitsdienst befreit waren und besonders frisches Futter fressen durften – ebenfalls um „gescheckte“ Tiere; vgl. Waetzoldt 2007: 378 und 380. – Man beachte aber auch das späte Ritual zum „Bespannen der Kesselpauke“, nach dem gerade „weiße stern-förmige Einsprengsel“ (7 SÍK BABBAR ki-ma MUL) auf dem zu verwendenden schwarzen Rinder-fell unerwünscht waren; s. Weszeli 2007: 400; zu ähnlichen Ritualen vgl. Scurlock 2002: 381f. 50 So bereits von Krecher 198: 184, vorgeschlagen („eine Farbbedeutung“). 51 S. AHw. I 105 barāmu I „bunt, mehrfarbig sein”; 107 barmu(m) „mehrfarbig, bunt“; burmāmu „Stachelschwein“ (dazu oben Anm. 43). Vgl. vielleicht auch die auf ein Rind zutreffende Bezeichnung pārum in AHw. II 836 pārum IV „unkl.“; dazu Krispijn 1981-1982: 50. 52 Vgl. etwa Steinkeller 1995: 60 (gùn-a „spotted, mottled“). Die spätere Gleichung bar-gùn-gùn-nu(Var.: bar-mušen-na)-kur-ra = a-a-ar(ia-ar) ili „Gescheckter Rücken/Vogelrücken des

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„gefleckt“ austauschbar (vgl. oben Anm. 43). Ob die „stern- bzw. blütenförmigen Flecken“ zusätzlich einem bestimmten Farbcode unterworfen waren – etwa auch aufgrund der Positionierung in der Liste „gelbliche Sterne/Blüten“ auf dunklem oder hellem Grund53 – kann nur vermutet werden (vgl. oben die Anordnung der „(Schwarz-weiß?-)Sprenkelung“ direkt nach den beiden Grundtönen „weiß“ und „schwarz“).54

11. „rot-braun“ (SI4) Obwohl sich in der archaischen Liste aus Uruk bisher kein rot-braunes Rind

zweifelsfrei nachweisen lässt, ist die zerstörte Stelle „Animals 11“ (ATU 3, 90) aller Wahrscheinlichkeit nach analog zu den frühdynastischen Abschriften zu ergänzen. Auch hinsichtlich des Vorkommens eines Farbbegriffes „rot-braun“ (SI4, sum. si4/su4,55 syll. Ebla su) in jüngeren lexikalischen Listen sowie der natürli-chen Begebenheiten innerhalb der damaligen Rinderherden56 ist die Auflistung rot-brauner Tiere in dieser Reihe allemal zu erwarten (vgl. Abb. 15, 16 und 17).57

12. „(lang)haarig, lockig(?)“ (DARA4) Mit weißen, schwarzen, gesprenkelten/grauen, gelblich-falben und rot-

braunen Rindern sowie diversen Scheckungen erscheint die Reihe der Termini für Fellfarben und -zeichnungen hinreichend beschrieben – eine Identifikation

Gebirges“ = „Blüte Gottes“ verdeutlicht noch einmal die Assoziation eines „bunten/gescheck-ten Rückens“ mit „Blüten“; vgl. AHw. I 24 ajjaru(m) „Blüte; Rosette; 3) ajjar ili ‘Blume Gottes’ = Chamäleon?“. 53 Die Blüteneinlagen der urukzeitlichen zoomorphen Gefäße aus hellem sowie dunklem Stein sind oftmals nicht mehr erhalten, dennoch finden sich einige Beispiele für Einlagen aus Lapislazuli. 54 Vgl. die im 2./1. Jts. belegte Differenzierung zwischen „gescheckt“ und „schwarz-gescheckt“ bei Weszeli 2007: 390 (gùn-a, ge6 gùn-a). 55 Es herrscht keine Einigkeit zu der Lesung, die vielleicht auch mit einem Lautwert /sü(-sü)/ zu verbinden sein mag. Krispijn 1981-1982: 50 zieht einen reduplizierten Stamm in Erwägung; vgl. unten si su-šum „mit rot-braunem Horn“ und PSD A/3, 182: 3.15 (am-si4-si4). 56 Rückzüchtungen des ausgestorbenen Auerochsen haben vor allem braun-rote Fellfarben hervor-gebracht; vgl. Gilbert 2002: 15. Die Jungtiere kommen generell mit hellerem Fell zur Welt, welches dann im Laufe eines Jahres nachdunkelt; vgl. unten Anm. 64. Laut Barton Zylinder (XIV 4-7) werden schwarze, weiße und rot-braune sowie (lang)haarige/lockige(?) (dara4) Wild-stiere in einer Reihe genannt; s. Alster & Westenholz 1994: 23, 29f. und unten Anm. 65. 57 S. auch PSD A/3, 167: 51 („brown cow“). Zu rot-braunen Kühen in neusumerischen Texten s. Stol 1994: 195 (áb.si4.a „a red cow“).

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dieses letzten „Farbbegriffes“ bleibt problematisch. Aufgrund einer späteren Gleich-setzung mit akkad. daʾmum „dunkel“ hatte Krecher 1983: 183f., eine weitere Farb-qualität „dunkel, grau“58 in Erwägung gezogen. Auch eine Gleichstellung von dara4 mit daraḫ „Wildziege“ wurde zur Grundlage einer m. E. unwahrscheinli-chen Farbbestimmung „dunkelrot“.59

Vielmehr gibt das Piktogramm DARA4, welches eine Erweiterung des Zeichens SÍG „Haar, Wolle“ darstellen könnte,60 den Rahmen für ein bestimmtes von Farb-terminologien abweichendes Wortfeld an.61 Die Positionierung eines durch DARA4 qualifizierten Stoffes (TÚG) innerhalb der Liste „Vessels“ (ATU 3, 132: 105), welcher eben nicht in der Farbenreihe („Vessels 91-98“ s. u.) zu finden ist, sondern einige Zeilen weiter im Umfeld von Herstellungsmethoden und Web-typen (vgl. Englund 1998: 153 mit Anm. 351), zeigt deutlich, dass es sich in dieser Zeit keineswegs um einen Farbterminus handeln muss.62 Vergleichbar dem frühen Zeichen für „Wildstierkalb“, welches das Piktogramm „Kalb“ mit zusätzli-chen Strichen darstellt (s. o. Anm. 7), könnte das in ähnlicher Weise durch Striche gekennzeichnete Piktogramm DARA4 in gleichem Maße eine Qualität „(lang)haarig, lockig“ abbilden.63 Ein Übergang zu Haarlängen wird u. a. durch die auffällige Prominenz dieser Qualität DARA4 bei der Beschreibung von Kälbern

58 Eine schnelle Durchsicht der in den Wörterbüchern vermerkten Belege für daʾāmum (AHw. I 146 „dunkelfarbig sein“) scheint vielmehr auf diffus-trübe oder undurchsichtige Zustände insbesondere von Licht und Wasser hinzudeuten; vgl. auch Waetzoldt 1972: 278 („matt“, bei Einfärbung von Stoffen). 59 S. Steinkeller 1989; ebenso Alster & Westenholz 1994: 36 und Waetzoldt 2007: 376. Da das archaische Zeichenrepertoire über ein eigenes von DARA4 klar zu trennendes Zeichen DARA3 für „Wildziege“ verfügt (ATU 2, 184: 70), erscheint eine solche Gleichstellung zumindest für diese frühe Zeit nicht sinnvoll. Eine Differenzierung zwischen „rot-braun“ (SI4) und einem weiteren ebenfalls eher dunklen Rotton möchte in Anbetracht der daneben recht groben Farbgliede-rung auch nicht wirklich überzeugen. 60 Vgl. Krecher 1983: 184f.; ATU 2, 185: 73 („Clear association in adm. with sheep/wool“). 61 Gegen eine Farbbezeichnung spricht zudem die ausschließlich durch DARA4 erfolgte nähere Qualifizierung einzelner Körperteile bzw. Rinderarten (s. u. „Bauch“, „Flanken“, „Buckelrind“, „Stirn“). In einem solchen Fall wären nur die durch eine DARA4-Farbe markierten Merkmale besonders hervorgehoben worden – eine Betonung, die dem ansonsten beobachtbaren hohen Stellenwert gerade anderer Farbtöne, wie etwa „weiß“, widerspräche. 62 Vgl. auch Englund 1998: 153 mit Anm. 350, der einen Text mit DARA4-Textilprodukten, die wiederum unterschiedlich gefärbt waren, erwähnt. 63 Vgl. dazu die im Königsfriedhof von Ur gemachten Textilfunde, u. a. ein „locker gewebter Stoff, bei dem auf einer Seite lange Fäden herabhingen“, s. Waetzoldt 1972: XIXf.

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bestätigt, deren Fell sich, abgesehen von helleren Tönungen, die im Laufe eines Jahres nachdunkeln, vor allem durch die Weichheit und Länge der Haare von dem der Elterntiere unterscheidet (vgl. Abb. 17, 18 und 21).64 Eine Deutung der Fellqualität DARA4 (sum. dara4, syll. Ebla da-ra) als „langhaarig“ bzw. „lockig“, „besonders dicht“ oder auch „flauschig“ erscheint naheliegend.65 Das mit runden Eindrücken versehene, sehr naturalistisch dargestellte Kälbchen von einem Einlagefries aus Uruk stellt vielleicht ein derartig gelocktes Jungtier dar (s. Abb. 4) (vgl. unten die Rinder „mit lockigem(?) Bauch / mit lockigen(?) Flanken“, „mit Stirnlocke(?)“ sowie das „(lang)haarige(?) Buckelrind“).

13-14. „mit lockigem(?) Bauch“ (DARA4 ŠÀ) / „mit lockigen(?) Flanken“ (DARA4 TI)

Diese in der archaischen Liste nur noch bezüglich der Kälber erhaltenen Zeilen (ATU 3 Tafel 29: W 20266,56) sind nach den frühdynastischen Abschriften auch für die Elterntiere als Rind „mit (lockigem(?)) Bauch“ (sum. dara4 šà, syll. Ebla u8

?.SAL da-ra)66 sowie als Rind „mit lockigen(?) Flanken“ (sum. dara4 ti, syll. Ebla ti da-ra)67 zu ergänzen. „Stiere mit (auffallendem) Bauch“ (gu4 šà-ga = karšānû) bzw. „mit (auffallenden) Flanken“ (gu4 ti-ti = ṣēlānû) werden auch noch in den jüngeren lexikalischen Listen aufgeführt.68

64 Vgl. vor allem das Listenstück W 20266,56 (ATU 3 Tafel 29), welches neben gelblichen Kälbern nur noch in verschiedener Hinsicht als „gelockt(?)“ (DARA4) gekennzeichnete Kälber vermerkt. Hingegen stellen in der Natur gerade „dunkle“ Kälber eine Seltenheit dar. 65 Neben schwarzen, weißen und rot-braunen Wildstieren nennt ein frühdynastischer literarischer Text (Barton Zylinder) schließlich „(lang)haarige(?) Wildstiere“ (am dara4), vielleicht sind damit sogar „Wisente“ angesprochen; vgl. oben Anm. 56 sowie Abb. 19. Zu einem womöglich aus Uruk stammenden Kultgefäß in der Gestalt eines Wisents s. u. mit Anm. 116 und Abb. 11. Vgl. auch Krispijn 1981-1982: 50 (= rapšum „breit, (mit dickem Pelz?)“); eventuell AHw. III 1382 ṭarru(m) „bärtig“, lex. [ṭ]a-ar = da-a-mu (vgl. oben Anm. 58). – Nach Benecke 1994: 50f. zeigen sich in der Form und Anordnung von Haaren bei Haustieren ebenfalls beachtliche Abweichungen im Vergleich zu den Wildarten. Besonders auffällig ist die Verlängerung von Haaren, die bei Verlust des klimabedingten Haarwechsels zum sogenannten Angorismus führt. Es können aber auch Hemmungen in der Haarbildung bis zur Nacktheit auftreten. 66 Die syllabische Schreibung u8

?.SAL für šà ist unverständlich; vgl. vielleicht PSD A/3, 168: 55 (ab2-ŠÀ×SAL). 67 So ist m. E. auch in ATU 3, 92 „Animals 66“ zu lesen. 68 S. Krecher 1983: 185. Vgl. auch Krispijn 1981-1982: 50f. („Rind mit dickem Bauch“, „Rind mit hervorstehenden Rippen“); AHw. I 450 karšānû/u „‚Bauchrind’, Wisent“; III 1090 ṣēlānû „mit hervortretenden Rippen“. Vgl. auch PSD A/3, 159: 1.9 (ab2 ŠÀ UD; ab2 šà gid2

? ; ab2 te-te).

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15. „mit buschigen Augenbrauen“ (SIG7 SÍG) Rückzüchtungen des Auerochsen zeichnen sich durch auffällig heller gefärbte Stirnlocken und Augenringe aus. Auch diese markante Eigenart findet in der lexikalischen Liste ihren Niederschlag. Rinder „mit dichten, buschigen Augen-brauen“ (SIG7 SÍG, sum. úgur (/ug̃ur/), syll. Ebla an-gal-si)69 lassen sich auch durch zahlreiche figürliche Darstellungen des 3. Jts. belegen, bei deren Herstellung gerade die Augenringe durch starke Einritzungen oder gar Einlegearbeiten, etwa aus Lapislazuli, besonders betont wurden (vgl. Abb. 7, 9 und 10).70

16. „mit schwarzen buschigen Augenbrauen“ (SIG7 SÍG GI6) Waren die Augenringe dunkel gefärbt (SIG7 SÍG GI6, sum. úgur kukku5),71 ist

dies in der Liste eigens vermerkt. Nur in der syllabischen Abschrift aus Ebla ist bisher ein weiterer Eintrag für helle Augenbrauen (an-gal-si babbar) erhalten.

17. „mit auffälligen (weißen) Hufen/Unterschenkeln(?)“ (AL) Obwohl in jüngeren Listen Tiere mit einer Qualifikation máḫ(AL) „ausge-

wachsen“ tradiert werden,72 scheint im Hinblick auf das frühe Stadium dieser archaischen Liste die in dem Piktogramm wiedergegebene Hacke primär auf eine grabende Tätigkeit bzw. das dafür nötige Werkzeug hinzuweisen. Der mit und ohne nähere Qualifikation „weiß“ erhaltene Eintrag (AL, sum. al, syll. Ebla al du-KUM-NE) sollte sich demnach am ehesten auf die Hufe bzw. die Beine der Rinder

69 Die archaische Zeichenfolge SIG7 SÍG wird in den frühdynastischen Abschriften zu sig7 = úgur verkürzt. Wahrscheinlich ist in der archaischen Liste eine Kombination von „Augen-braue“ (SIG7) und „Haar“ gemeint, die sich eventuell auch in der syllabischen Schreibung an-gal-si = /aĝal-si/ < /uĝur-sig/ wiederfindet; vgl. Krecher 1983: 185 (/angal/ o.ä. als Körper-teil oder ein körperliches Merkmal). Zu einer Lesung úgur(SIG7) für ein der Augenbraue nach-empfundenes architektonisches Element s. Klein 1989: 54: 23. Vgl. auch AHw. III 1287 šuʾru(m), šūru IV „Haarbüschel, Augenbraue“. – Die Deutung von Krispijn 1981-1982 („wohl-geformt“, „großgezüchtet“) erscheint nun wenig wahrscheinlich. 70 Die abweichende Lesung in ATU 3, 91 „Animals 41, 42“ (SIG7 DU8-gunû [GI6] GU4) erscheint nach Einsichtnahme des einzigen Textzeugen fraglich, obwohl eine Markierung der insbesondere beim Stier besonders ausgeprägten Brustbehaarung inhaltlich passend wäre. Zudem würde sich eine Differenzierung zwischen „Kühen mit buschigen Augenbrauen“ und „Stieren mit lockiger Brust“ ergeben. 71 Vgl. PSD A/3, 183: 2 (am-sa7:gi6). 72 S. PSD A/3, 166: 36 (ab2-maḫ2). Vgl. ausführlich Stol 1995: 175f. (áb-máḫ = būrtum); Weszeli 2007: 389 („Prachtrind“).

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beziehen.73 Die sich durch einen anderen Ton oftmals von der Farbgebung des restlichen Fells abhebenden unteren Teile der Beine sind in einer frühzeitlichen Stierfigurine aus Uruk eindrucksvoll illustriert. Hier wurden diese aus Silber gefertigten Beine dem aus hellen Kalkstein geschnittenen Tierrumpf extra an-gefügt (s. Abb. 8).

18. „mit weißem Schwanz“ (kun babbar) Die Schwanzquasten der Rinder, die häufig einen anderen Farbton als das

restliche Fell des Tieres annehmen, dürfen in einer solch detaillierten Beschrei-bung von Rindern nicht fehlen. Ein Rind „mit weißem Schwanz“ (kun babbar, syll. Ebla kum bù-ru12-um)74 ist in der archaischen Liste aus Uruk bisher nicht belegt, wird jedoch als auffällige Eigenart in den frühdynastischen Listen aufge-führt.75

19. „mit auffälligem Euter(?)“ (MUNSUB GA) In der archaischen Liste nur in der Reihe der Kälber erhalten (MUNSUB GA

AŠ?),76 ist diese in den frühdynastischen Listen mit der Lesung ušx(MUNSUB)-ga (syll. Ebla uš-ga) überlieferte Zeichenfolge schwer zu deuten. Da das zugrunde-liegende Bild ein Euter darstellen könnte, ist ein bestimmter Interpretations-rahmen vorgegeben.77 Eventuell wird hier auch eine Eigenart, die ein bestimmtes

73 Der mit der Qualifikation „weiß“ (U4) versehene Eintrag in ATU 3, 91 „Animals 51“ scheint hier am Ende der Liste falsch positioniert. Der Anfang der syllabischen Abschrift aus Ebla ist vielleicht als al du-gamx(KUM) „Huf (und) Knie bzw. Unterschenkel“ zu deuten; zu sum. du10-gam/gúr s. Römer 1965: 172: 98. Ein Attribut „weiß“ könnte in bar7(NE) verborgen sein; vgl. die weiteren Varianten bù-ru12-um bzw. bar in der nachfolgenden Anmerkung. Vgl. auch die recht ähnlichen Zeichenformen von UMBIN, ÚR und AL in ATU 2, 581, 588 und 24. – Krispijn 1981-1982: 51 möchte eine ganz andere Lesung DILMUN(AL) in Erwägung ziehen. 74 Nach Krecher 1983: 185 handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine Vokalvariante /bur/ zu nicht redupliziertem bar6. Vgl. unten si ba[r]?-ru12-um „mit weißen Hörnern“. 75 Vgl. die „Kuh mit weißem Schwanz“ in Nippur Vorläufer zu Ḫḫ XIII (MSL 8/1, 87: 219a) und den „Stier mit schwarzem Schwanz“ in Ḫḫ XIII: 313 (gu4 kun-ga kukku5 = a-lap zib-bat-su ṣal-mat); AHw. III 1511 zappu(m) „A. Haarbüschel, Borste“; PSD A/3, 164: 4.2; 166: 35. 76 Vgl. ATU 3, 92 „Animals 71“. ATU 2, 247: 369 liest ab2-[šub4-ga]~, amar-[šub4]~-ga, den Vogel dagegen aganmušen. Zu „säugenden Kühen“ (áb-šub4-ga) bzw. „trinkenden Kälbern“ (amar-šub4-ga) s. auch Stol 1994: 191. 77 In altbabylonischen Listen wird dieser Eintrag in direkter Nachbarschaft zu „Kühen, die bereits geboren haben“ (áb ù-tu) geführt (MSL 8/1, 87: 213f.).

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Rind mit einem ušx-ga-Vogel gemein haben kann, beschrieben.78

20. „nach Schweineart“ (ŠÁḪ)“79 Der Vergleich zweier Tiere miteinander findet zumeist hinsichtlich ihres Aus-

sehens oder Verhaltens statt. Schweineähnliche Züge beim Rind sind vielleicht am ehesten im zweiten Bereich, also einem ähnlichen Habitus, zu suchen. Denk-bar wäre etwa das für Schweine besonders typische Wühlen im Schlamm („suhlen“, sum. dun(ŠÁḪ)).80 Eine Art des sumpf- und wasserliebenden Wasserbüffels (Bubalus bubalus) könnte vielleicht ein solches „Schweinerind“ bzw. „wühlendes Rind“ darstellen, bleibt aber aufgrund des archäo-zoologischen Befundes sehr unsicher.81 Kreuzzüchtungen zwischen Rind und Büffel waren ohnehin nicht möglich.

21. „mit dritter Schulter“ (EŠ16 ZAG) > „Buckelrind“ Ein Rind „mit drei Seiten bzw. Schultern“82 (EŠ16 ZAG, sum. eš/eš16 zà, syll.

Ebla zu uš) erscheint im ersten Moment unsinnig, in Anbetracht eines Buckel-rindes (Zebu, Bos primigenius taurus, B. indicus), dessen auffälligstes Merkmal ein auf der Schulter befindlicher mächtiger Muskelkamm ist, jedoch unmittelbar eingängig (s. Abb. 20).83 Laut einer altbabylonischen Hymne an den Mondgott (s. Hall 1986: 156: 27 und 162 zu 27), in deren Verlauf die verschiedenen Rinder-arten zahlenmäßig aufgeführt werden, gehörten Buckelrinder (áb-zà-è-zà-eš5-bi „Kühe mit heraustretender dritter Schulter“) aufgrund ihrer sehr geringen Stück-

78 Vgl. Krecher 1983: 186; weitere Überlegungen bei Krispijn 1981-1982: 51. 79 Zu den verschiedenen Zeichenformen ŠÁḪ „Wildschwein“ (mit und ohne Mähne, = ZATU-508) und ŠUBUR “Hausschwein“ (ŠÁḪ + 1 = ZATU-539) s. Cavigneaux 2006: bes. 21. 80 So auch ATU 2, 281: 508; vgl. Cavigneaux 2006: 18f. PSD A/3, 183: 2 (am-šul); 154 ab2 1.1.2 (ab2 dun-a-PN). 81 Nach Gilbert 2002: 15f. ist Zeitpunkt und Ort der ersten Wasserbüffeldomestikation (China, Indien oder Mesopotamien) noch nicht geklärt: „(...) and though it may have been native to rivers and marshes of Mesopotamia, there is also the possibility that it was introduced into the Near East as the domesticated B. bubalis.“ Vgl. auch den ab der altakkadischen Zeit belegten Begriff áb-za-za; Waetzoldt 2007: 387 (importierte „Wasserbüffel“); Weszeli 2007: 389 und 404 (gu4-íd, áb-za-za). Zur rezenten Wasserbüffelfauna im Südirak s. Ochsenschlager & Gustav 1995. Eine erwähnenswerte Parallele zu Schweinen stellt sich in der heutigen Geringschätzung des Fleisches von Wasserbüffeln dar. 82 Vgl. AHw. I 136 būdu(m) II „Schulter“ lex. 83 Die wiederum von jüngeren Listen beeinflusste Deutung bei Krispijn 51 („3-faches Pflug-gespann“) sollte nun aufgegeben werden.

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zahl offensichtlich zu den wertvollsten Tieren.84 Zebus darstellende Terrakotta-figurinen und Siegelabrollungen aus dem 3. Jts. dokumentieren deren Verbreitung im syrisch-mesopotamischen Raum.85

22. „(lang)haarig(?) (und) mit dritter Schulter“ (EŠ16 DARA4 ZAG) > „(lang)haariges Buckelrind“

Besaß das Buckelrind ein längeres Fell als andere, wurde es als „(lang)-haariges(?) Buckelrind“ ((EŠ16) DARA4 ZAG, sum. eš zà da-ra / zà dara4 eš / dara4 eš16 zà, syll. Ebla zu uš da-ra) bezeichnet. Das besonders seidige Fell der rezenten Zebus wird heute als qualitativ erlesen gepriesen.

23. „mit Fleck auf der Stirn“ (ḪI SAG) Eine charakteristische Blesse auf der Stirn eines Rindes, hier vielleicht drei-

oder viereckig bzw. kreisförmig (ḪI SAG),86 hat nicht selten besondere Aufmerk-samkeit erregt, gerade die Stirn von Stieren war in antiken Kulturen bevorzugter Träger symbolischer Zeichen.87 In den frühdynastischen Abschriften wird die Zeichnung anscheinend nur noch als „auffälliger Kopf“ bzw. „auffällige Stirn“ (sum. sag̃, syll. Ebla sa-ki-n[a])88 tradiert. „Stiere mit weißer Stirn“ finden sich 84 Ein Reflex des „Katzenbuckels“ findet sich in MSL VIII/2, 16: 133 (piriĝ zà-3 = šul-lu-šú), wo sicherlich nicht mit Landsberger 1934: 11 „dreiseitiger Löwe“, sondern vielmehr „buckelnder Löwe“ zu übersetzen sein wird – offensichtlich eine ältere Terminologie, die auch dem babylo-nischen Gelehrten nicht mehr geläufig war. Vgl. auch PSD A/3, 181: 3.5: am-gu2-e3-gu2-e3 („Wildstier, dessen Nacken weit herausragt(?)“). Zu jüngeren Belegen s. Weszeli 2007: 390 und 396 (ḫuruppu „Rinderbuckel“); AHw. I 75 asqubītu, asqumbittu, išqubītu „(Rinds-)Buckel, (Kamel-)Höcker“. 85 Zu rotbraunen Terrakottafigurinen aus Nordsyrien s. Hauser 2007: 90 und 108ff. Das einen auf einem Buckelrind reitenden Mann (Akrobat?) abbildende Relief aus altbabylonischer Zeit mag Ausdruck für den Sanftmut dieser Tiere oder auch deren Exotik gewesen sein; s. Parrot 1960: Fig. 360. Das Sternzeichen „Himmelsstier“ (= Taurus) wird im 1. Jts. als Buckelrind dargestellt; s. Weszeli 2007: 404. Vgl. auch von den Driesch 2007: 409. 86 Vielleicht ist gu4-ḪI-da bei Waetzoldt 2007: 376 zu vergleichen. 87 Vgl. Behm-Blancke 1979: 4 mit Anm. 22. Zu sternförmigen Flecken s. auch Breniquet 2002: 159: „The marked preference for horned animals with a starry spot on their foreheads could perhaps be explained by the similarity of the horn with the crescent moon and of the star shape with the sun.“ – vgl. dazu Abb. 8. 88 Krecher 1983: 187 deutet sag̃ als Abkürzung von sag̃-ki „Stirn“, wobei -na unklar bleibt. Vgl. Krispijn 1981-1982: 51, der aufgrund jüngerer Listeneinträge sa-gi-na für sag̃-g̃en-na („voran gehend“) lesen möchte – eine Deutung, die im Gesamtzusammenhang der Liste nicht mehr überzeugen mag.

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auch noch in Ḫḫ XIII: 312 (gu4 sag̃-ki babbar = a-lap pu-ut-su pe-ṣa-at).89 Neben einer besonderen Blesse auf der Stirn könnte allerdings auch die gesamte Kopf-form angesprochen sein, da sich gerade am Schädel von Haustieren auffällige Veränderungen gegenüber dem der Wildarten beobachten lassen.90

24. „mit lockiger(?) Stirn“ (sag̃ dara4) Neben den oben erwähnten buschigen Augenbrauen fielen auch die oftmals

farblich divergierenden Stirnlocken ins Auge (vgl. Abb. 21). In der archaischen Liste aus Uruk nur noch bezüglich der Kälber erhalten, notieren die früh-dynastischen Abschriften Rinder „mit lockiger(?) Stirn“ (sum. sag̃ dara4, syll. Ebla dar sa-ki-na). Späturukzeitliche Kultgefäße in Rinderform weisen oftmals eine dreieckige Aussparung auf der Stirn aus, die ursprünglich zur Darstellung einer solchen Stirnlocke oder einer Blesse (s. o.) mit einem auffälligen Material einge-legt war (vgl. Abb. 9 und Behm-Blancke 1979: 21).

25. „zweifaches(?) Rind“ (ÁB ÁB) > „besonders groß(?)“ Auch die letzten beiden Einträge der archaischen Liste aus Uruk sind nicht

ganz einfach zu deuten. Wird die Auflistung von Charakteristika des Felles fortgeführt, dann könnte ein zweimal gesetztes Zeichen (ÁB ÁB, sum. áb-áb, syll. Ebla a-zu-ub)91 für ein Tier mit besonders voluminösem bzw. zotteligem Fell Verwendung gefunden haben.92 Bei einer Beschreibung der Gesamterscheinung entsprechend der letzten Zeile ist vielleicht eher noch an die Benennung einer besonders großen oder breiten Kuh zu denken.93 89 Ein häufig vorzufindender weißer Fleck auf der Stirn rezenter südirakischer Wasserbüffel deutet nach Ochsenschlager & Gustav 1995: 1 auf den Einfluss ägyptischer Züchtungen hin. 90 Neben Formunterschieden, die rein größenbedingt sind, weisen Haustierschädel auch völlig größenunabhängige Veränderungen in der Proportionierung (Wuchsform) auf. Bei horntragenden Haustieren wird das Schädelbild entscheidend vom Gehörn mitgeprägt; vgl. Benecke 1994: 43ff. Vgl. auch Kawami 2001: 35ff., die die urukzeitlichen Rinderfigurinen als die mit besonders kurzen Hörnern ausgestattete Rinderart „shorthorn“ identifiziert. 91 S. auch MEE 3, 47: n. 12: II´ 4´: amar-amar. 92 Vgl. Krispijn 1981-1982: 52, der Ḫḫ XIII 307 (gu4

su.bizubi = luḫ-[ḫ]u-mu „mit Langhaarfell“) anführt. Eine derartig qualifizierte Mischlingskuh findet sich auch in dem Wirtschaftstext W 20274,12; s. Englund 19952: 38 Fig. 3. 93 Bei fast allen Haustieren ist die Körpergröße im Vergleich zur jeweiligen Wildart mehr oder weniger verändert worden, sowohl in Richtung kleinwüchsiger als auch in Richtung groß-wüchsiger Tiere (Zwergen und Riesen). Die Domestikation hat zunächst zu einer Größen-minderung bei den Haustieren geführt. Die frühen Haustierbestände von Schaf, Ziege, Rind

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26. „massiges(?) Rind“ (gur8) Eine ausgesprochen massige Statur mit womöglich kurzen Beinen mag an die Ladung eines Frachtschiffes (má-gur8) erinnert haben und für ein Rind „mit Hängebauch“94 (gur8 / LAK-50, syll. Ebla gú-ur) namensgebend gewesen sein.95 Schließt die archaische Liste aus Uruk mit diesem Eintrag, führen die früh-dynastischen Abschriften ihre Reihung mit „(großen) (Mutter-)Kühen“ (šilam (gal)) bzw. (großen) Wildkühen (immal (gal)),96 vielleicht einer „munzer-Kraut (fressenden) Kuh“ (NANNA.MUN áb)97 und Züchtungen aus bestimmten Orten (Nagar, Karkara, Ereš?)98 sowie „Mutterschafen“ (U8) fort (s. Krecher 1983: 187f. und Krispijn 1981-1982: 52f.). Im Hinblick auf eine Farbterminologie sind noch die beiden Einträge einer „Kuh mit weißen Hörnern“ (babbar si, syll. Ebla si ba[r]?-ru12-um)99 sowie einer „Kuh mit rot-braunen Hörnern“ (si si4, syll. Ebla si

und Schwein waren im Vergleich zur jeweiligen Wildform im Durchschnitt kleinwüchsiger, insgesamt besaßen sie allerdings bereits eine größere Variabilität in der Köpergröße. Änderungen in der gesamten Wuchsform des Körpers konnten zudem zur Entstehung von Schlank- oder Breitwuchstypen führen; s. Benecke 1994: 41f. und 47. Wurden demnach die Rinder im Laufe ihrer Domestikation immer kleiner (z. T. nur 1,10 m hoch), so sind dennoch für die Uruk-Zeit besonders große Exemplare nachgewiesen; s. Vila 1998: 123. – Einer weiterhin zu erwägenden Deutung der Reduplikation als „sonstige“, d. h. zuvor klassifikatorisch nicht erfasste Rinder (Vorschlag G. J. Selz) stehen die unverständliche Schreibung aus Ebla (a-zu-ub) sowie die Ein-reihung dieses Eintrages an vorletzter und nicht – wie zu erwarten – letzter Stelle der Liste entgegen. 94 Zum Vergleich einer schwangeren Frau mit einem vollbeladenen Boot s. Stol 2000: 62 mit Anm. 85. Laut neusumerischen Hymnen wurde auch der Mond(gott) als „má-gur8-Schiff des Himmels“ (= liegende Mondsichel) verehrt; s. Sjöberg 1960: 44-47: 1 mit Anm. 95 Vgl. PSD A/3, 159: 1.9 (ab2 gur8-gur8); Waetzoldt 2007: 384 (gu4-á-gur8 „drohend aufge-richteter Stier“); Steinkeller 1995: 60 (GUR8.GUR8 „potbellied(?)“, als Missbildung bei Schafen und Ziegen). Zu einer durch Domestikation bedingten Veränderung von Körpergröße und -gestalt – etwa auch Proportionsänderungen im Bereich der Beine – s. Benecke 1994: 41ff. 96 S. jetzt Veldhuis 2002: bes. 72f., der davon ausgeht, dass in dieser Liste ausschließlich domestizierte Tiere genannt seien. Tatsächlich handelt es sich um Haus-, Wild- und Mischlings-tiere, s. u. Anm. 110. 97 S. auch PSD A/3, 161: 3.1.3. 98 Interessant ist die von Krecher 1983: 188 festgestellte parallele Reihung dieser Ortsnamen in den Zame-Hymnen. Zu Rinderzüchtungen mit fremder Herkunft s. auch PSD A/3, 159: 1.7.8 (ab2-mar-du2 „‚Amorite’ cow“) und Waetzoldt 2007: 376f. 99 Vgl. oben kum bù-ru12-um „mit weißem Schwanz“.

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su-šum)100 von Interesse. Es bleibt festzuhalten, dass die archaische Liste aus Uruk die dargestellten

Rinder ausschließlich nach deren äußerer Erscheinung – insbesondere diverse Fellfärbungen, aber auch markante Eigenarten in Bezug auf Haarlänge und Körperstatur – beschreibt. Die dabei zu beobachtende besonders sorgfältige und ausführliche Vorgehensweise demonstriert die große Bedeutsamkeit, die diesem Sujet offensichtlich beigemessen wurde. Eine Spezifizierung nach Alter und Ver-wendungsweise in der Landwirtschaft oder auch nach Art der Fütterung, wie sie in jüngeren Listen üblich wird (vgl. den Überblick bei Waetzoldt 2007: 375-380), findet in dieser frühen Auflistung unterschiedlichster Rinderrassen101 nicht statt. Ebenso wenig waren offenbar die Hörner der Tiere von besonderem Interesse.

Eine auffällige Parallele zu einer anhand ihres Fells ausgeführten Einteilung von Rindern findet sich im ägyptischen Totenkult, in dessen Verlauf die sieben himmlischen Kühe gemeinsam mit ihrem Stier eine bedeutsame Rolle gespielt haben (vgl. El Sayed 1980). Nach diesem seit dem Mittleren Reich bezeugten Brauch garantierte neben vielerlei anderen Prüfungen erst die Kenntnis der Götternamen des nördlichen und südlichen Himmels als auch der Namen der sieben Kühe sowie des Stieres, die als Führer in der Nekropole fungierten, einen gesicherten Aufstieg in den Himmel und eine angemessene Versorgung des Toten, schließlich seine Wiederauferstehung. Auch diese den Verstorbenen beschüt-zenden Tiere wurden – wie im Grab der Nefertari eindrucksvoll anzusehen (s. Abb. 12a+b) – farblich differenziert: Die erste Kuh namens „Schloß der Ka,102 Herrin des Universums“ war rot, die zweite namens „Himmelswolke, die den Gott trägt“ war schwarz mit gelben Linien am Bauch, die dritte namens „Land der Stille, die am Kopf ihres Platzes steht“ oder „Herrin des Westens“ war rot mit weißen Flecken, die vierte namens „Sumpfige Insel, die den Gott einwickelt“ oder „Herrin des Ostens“ war weiß mit roten Linien, die fünfte „die mit dem Leben Wiedervereinigte, die Gefärbte/Rote/Hautfarbene“ oder „Herrin des Ostens“ war schwarz mit weißen Flecken, die sechste namens „Groß ist ihre Liebe, mit fuchsfarbenem/rot-geflecktem Fell/die Rote“ oder „Herrin der heiligen

100 So nach Krispijn 1981-1982: 49; vgl. oben „rot-braune“ Rinder. Zu weiteren lexikalischen Einträgen, die in Bezug auf die Hörner hauptsächlich deren Vorhanden- bzw. Nichtvorhandensein vermerken, s. PSD A/3, 167: 47. 101 Somit ist die Feststellung von Waetzoldt 2007: 377, dass eine Differenzierung in Rinder-rassen für die Texte des 3. Jts. zu negieren sei, in ihrer Absolutheit zu überdenken. 102 Damit ist die dem Kult des Verstorbenen geweihte Kapelle gemeint, in der die schöpferi-sche Lebenskraft (Ka) des Toten genährt wird.

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Erde“ war rot, die siebente namens „Mächtig durch ihren Namen (als Herrin der Erde/über den Westen) und ihr Werk/ihren Schatten“ war weiß und schließlich der Stier namens „Stier der Stiere, Männlicher der Kühe (Hervorragender, der in der Mitte des roten Schlosses steht)“ oder „Männlicher Stier, der in der Nekro-pole steht“ bzw. „Stier, Herr der Kühe“ oder „Heiliger Stier, Vorsteher der Schönen“ war schwarz. In einem anderen Dokument war die erste Kuh weiß, die zweite rot, die dritte schwarz, die vierte weiß mit blauen kreuzförmigen Flecken, die fünfte weiß mit roten Flecken, die sechste grau, die siebente weiß mit blauen kreuz-förmigen Flecken und der Stier wiederum schwarz. Zuweilen sind die Kühe gleich-farbig mit gelbem Kopf und rotem Körper oder allesamt gelb-orange, der Stier jedoch stets schwarz (vgl. El Sayed 1980: 371f.). Der heilige Apis-Stier, Symbol der aufgehenden Sonne, unterlag einem ganz besonderen Farbcode, nach dem er unterschiedlichen Quellen zufolge ein helles Dreieck auf seiner Stirn, ein bestimmtes Muster auf seinem Rücken, bestimmte Schwanzhaare oder auch einen einem Skarabäus ähnelnden Fleck auf seiner Zunge vorweisen musste (vgl. Houlihan 1996: 19f. mit Fig. 15).

Die Zucht einer „Heiligen Rinderherde“ in Uruk „A breed, therefore, may be considered an artifact, and as with any artifact its appearance and use may be analysed to provide information regarding other aspects of the culture in which the breed appears.” (Kawami 2001: 35)

Paläontologische Untersuchungen haben gezeigt, dass im südlichen Mesopota-mien des 3. Jts. die Knochenfunde von Wildtieren im Verhältnis zu solchen von domestizierten Tieren immer mehr zurückgingen und die Rinderzucht in dieser Zeit mit nachhaltigen Folgen rapide anwuchs.103 Bestanden noch zur Uruk-Zeit große Unterschiede hinsichtlich der Artenvielfalt in den Regionen Mesopotamiens, Syriens, Anatoliens sowie des Iran, so wurden die Zuchtausrichtungen ab dem 3. Jts. homogener. Entwicklungen im Bereich der Haustierzucht, die sich anhand von Knochenfunden, archäologischen Hinterlassenschaften sowie schriftlichen Quellen erforschen lassen, in einen kulturellen Kontext zu stellen, ist nun keine leichte Aufgabe.104 103 S. Vila 1998: 33ff. und 90 („Il semble bien, à l’échelle générale de l’ensemble des sites, qu’il existe une transformation subtile dans les stratégies d’élevage entre la période Chalcolithique finale/Uruk et le Bronze ancien“). 104 Vgl. Vila 1998: 92f. („Ainsi, cette analyse montre que, d’une part, il existe une évolution « générale » de l’exploitation des animaux, car, d’un élevage uniformément concentré sur les caprinés au IVe millénaire (...), on passe, dans les périodes les plus récentes, à une plus grande

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Künstlerische Darstellungen insbesondere des 3. Jts. zeigen regelmäßig drei Rinder-arten: Auerochse (Bos primigenius), Hausrind (Bos taurus) oder Zebu (Bos primigenius taurus, B. indicus) sowie Wisent (Bison bison) und Wasserbüffel (Bubalus arnee, Bubalus bubalus). Allerdings sind bisher hauptsächlich Knochen von Auerochse und Hausrind regelmäßig bei archäologischen Ausgrabungen gefunden und doku-mentiert worden. Aufgrund der Ähnlichkeit der Knochenreste verschiedener Rinder-arten liegt die Vermutung nahe, daß Knochenfunde von Zebu, Wisent und vielleicht auch Wasserbüffel schlechthin nicht als solche erkannt worden sind. Die Ver-breitung des Wasserbüffels, der zumindest in der 2. Hälfte des 3. Jts. sicher auch als exotisches Tier gehandelt wurde, ist noch nicht geklärt (s. oben Anm. 81). Wisent und Auerochse konnten sich gut an die klimatischen Verhältnisse an-passen und waren deshalb weit verbreitet. Das Zebu wird recht häufig in der süd-mesopotamischen Glyptik ab dem 3. Jts. abgebildet und hat sich besonders lange in Syrien gehalten (vgl. oben Anm. 85); der Buckel ist ein Ergebnis der Domes-tikation. Die Domestikation des Rindes hat vor allem in der Levante statt-gefunden, das erste domestizierte Rind tritt zwischen 6500 und 6000 v. Chr. auf (s. Vila 1998: 112ff.).

Wie nun in den ersten beiden Einträgen der archaischen Rinderliste fest-gehalten, galt einer der frühesten Keilschrifttexte aus Uruk (Uruk III-Zeit) der detaillierten Beschreibung verschiedener Rinderzüchtungen, die unter der Obhut eines bestimmten institutionellen Haushalts standen und höchstwahrscheinlich in ein kultisches Geschehen eingebunden waren.105 Dabei wurde offensichtlich ein besonderes Augenmerk auf das äußere Erscheinungsbild der Tiere, vorrangig Farbe, Musterung und Haarqualität ihres Fellkleides, geworfen. Nirgends findet sich ein Anhaltspunkt dafür, dass diese besonderen Rinder in irgendeiner Weise als Last- oder Zugtiere eingesetzt worden wären,106 vielmehr scheint allein die Zucht einer durch bestimmte Merkmale gekennzeichneten Herde von Kühen und

diversification des espèces domestiques, d’autre part, le type d’élevage, d’après les fréquences des espèces, peut être très variable d’une région à l’autre, d’un site à l’autre, et d’une occupation à l’autre sur un même lieu. La question est de savoir si les différences ou similitudes que l’on observe sont liées à des raisons culturelles, fonctionnelles ou environnementales.“). 105 Nach Green 1980: 15 handelte es sich um Viehherden für kultische Zwecke des Uruk-Tempel-komplexes. Vgl. auch oben Anm. 11. 106 Ein solcher Befund wird im übrigen durch die zeitgleichen administrativen Texte bestätigt; s. Englund 19952: 33 und ders. 1998: 155 mit Anm. 360. In ähnlicher Weise wurde etwa auch in sumerischen Tempelhaushalten der 2. Hälfte des 3. Jts. zwischen Pflugrindern und solchen, die der Hürde (é-tùr) zugewiesenen waren, unterschieden; s. Waetzoldt 2007: 377.

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Stieren Grundlage dieser lexikalischen Liste gewesen zu sein.107 Das aus dem Aufbau der Liste abzulesende Zuchtziel war demnach – konträr zu den Züchtungen späterer Perioden, in denen einerseits gutes Fleisch und andererseits gute Leis-tungen als Zugtier angestrebt wurden108 – vielmehr die äußere Gestaltung der Tiere, insbesondere Entwicklungen bezüglich der Felle und der Statur.109

Unter den Bedingungen des Hausstandes erhalten sich nun Erbanlagen und Rekombinationen, die in natürlichen Populationen nicht bestehen können. So fällt bei Haustieren die bedeutend größere Vielfalt und Buntheit im Erschei-nungsbild (Phänotyp) auf. Bereits unter einfachen Haltungsbedingungen zeigt sich im Vergleich zur jeweiligen Wildform eine größere Variabilität in Größe, Gestalt und Färbung des Körpers. Diese steht offensichtlich in Zusammenhang 107 Die Einzigartigkeit dieser Liste, deren bloße Existenz in der gegebenen Form die immense Bedeutung der Verschiedenartigkeit einzelner Rinderzüchtungen unterstreicht, zeigt sich auch darin, dass sie noch nicht den üblichen orthographischen, linguistischen sowie assoziativen Kriterien eines akademischen Schreibercurriculums unterworfen war, sondern lediglich einen bestimmten, relativ eingeschränkten Sachverhalt in logischer Reihenfolge beschreibt. Im Gegen-satz zu der archaischen Schweineliste (vgl. den Überblick bei Cavigneaux 2006: 20f.), deren Zweck ein anderer gewesen zu sein scheint (nach Cavigneaux „une liste exceptionelle (...) occasionnelle, qui échapperait à toute canonisation (...) une liste plus linguistique que zoologique“; nach Dahl 2006: 32, „The Uruk pig-list enumerates all possible administrative signs relating to swine; it does not however read as a book of names of different types of swine, and products.“), werden nicht sämtliche mit der Rinderhaltung verbundenen Begeben-heiten aufgereiht. Zudem zeigen die Abweichungen der jüngeren frühdynastischen Rinderlisten den Einfluss einer konzeptionellen Redaktion, die die ursprüngliche Intention der archaischen Listenschreiber verkennt. Bereits im frühdynastischen Werk werden Kühe, Stiere, Kälber und Wildstierkälber nicht mehr ihrer Natur entsprechend beschrieben, sondern vielmehr generalisiert (so finden sich hier etwa die Kälber entgegen ihres natürlichen Vorkommens in allen Fell-schattierungen [s. o. Anm. 56 und 64], aus den Wildstierkälbern werden adulte Wildstiere [s. o. Anm. 7], die Differenzierung zwischen „Kühen mit buschigen Augenbrauen“ und „Stieren mit lockiger Brust“ wird aufgegeben [s. o. Anm. 70], usw.). Standardisierte Reihen von Ein-trägen, deren Natürlichkeit und kulturelle Aussage zum Teil verloren gegangen ist, sind das Ergebnis. 108 So nach Waetzoldt 2007: 377 und Weszeli 2007: 392. Zur kaum nachweisbaren Fleisch-verwertung von Rindern im archaischen Uruk s. Englund 1998: 155 mit Anm. 361. 109 Sicherlich wird auch die in den administrativen Texten verbuchte Milchwirtschaft eine Rolle gespielt haben. Dabei lässt sich ein Übergang von der Uruk IV-Zeit mit besonderem Interesse an der Zusammenstellung von Rinderherden mit bis zu 50 Tieren zur Uruk III-Zeit mit auffälligem Anstieg der Milchwirtschaft und Herdengrößen von 100-200 Tieren beobachten; s. Englund 19952: bes. 33-37 mit Anm. 3 und ders. 1998: 155 mit Anm. 362; vgl. auch Vila 1998: 126 (Wechsel von reiner Fleisch- zu Milchproduktion im 4. Jts.).

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mit den besonderen Fortpflanzungsverhältnissen bei Haustieren, die durch züch-terische Einflussnahme, wie die genetische Isolation von den Wildformen, dem Zusammenstellen von Herden gleicher Körperfarbe oder der Ausübung der Kastration („physiologische Zähmung“; s. auch Waetzoldt 2007: 377) bis zu hochentwickelten Zuchtmethoden (Auslesezüchtung und Kombinationskreuzung) bedingt sein können (s. Benecke 1994: 23, 38).

Alles deutet darauf hin, dass bereits die Bewohner Uruks zum Ende des 4. Jts. v. Chr. durch künstliche Auslese und kontrollierte Fortpflanzung bestimmten, welche Rinder sich paarten, damit diese Nachkommen gemäß ihren Vorstellun-gen und Wünschen hervorbrachten. Gerade abweichend gestaltete Individuen – wie etwa besonders weiße, vollkommen schwarze oder gescheckte Tiere bzw. bestimmte Blessen auf der Stirn (vgl. Behm-Blancke 1979: 4) – mögen dabei die besondere Aufmerksamkeit der Züchter erlangt haben. Einkreuzungen von Wild-tieren in die Haustierpopulation haben wiederum dazu beigetragen, den Genpool zu erweitern bzw. zum Zweck der Erhaltung bestimmter Wildtiermerkmale – wie vielleicht eines lockigen Fells oder einer größeren Statur – die Zucht voranzu-treiben. Zu diesem Zweck wurden höchstwahrscheinlich leicht zu zähmende Wildstierkälber eingefangen und in die Herde domestizierter Rinder integriert; auf diese Weise mögen die als „Mischlinge“ bezeichneten Tiere entstanden sein.110 Eine entsprechende Zusammenstellung von u. a. zwei Mischlingskühen (NE ÁB), einer weißen Kuh (U4 ÁB), zwei gesprenkelten/grauen Kühen (ŠU ÁB), zwei schwarzen Kühen (GI6 ÁB) sowie einem (männlichen) Wildstierkalb (KUR.AM)111

110 Vgl. oben Anm. 7. Zu gelegentlich in sumerischen Texten erwähnten Einkreuzungen (áb/gu4-a-am „Kuh/Bulle aus Samen des Urs“) s. Waetzoldt 2007: 377. Zum Nebeneinander von Wildrindern und domestizierten Rindern in Verwaltungsurkunden, literarischen sowie lexikalischen Texten s. auch PSD A/3, 182: 4 und 184; Waetzoldt 2007: 387; Englund 1995: 123ff.; Steinkeller 1989: 4f. – Werden domestizierte und wilde Tiere normalerweise in der Listentradition, die wenig Wert auf eine zoologische Taxonomie legt, getrennt behandelt (s. Veldhuis 2006: 25), so finden sich in der archaischen Liste aus Uruk dennoch Wildstiere, Mischlinge und Hausrinder nebeneinander. Die dargestellte Reihung von Rinderrassen basiert in diesem Fall auf einem kulturellen Prinzip, nämlich der Zähmung von wilden Tieren zugunsten der Züchtung von Haustieren vermittels „halbwilder“ Mischlingsrinder. Somit werden die Wild-tiere in die Gruppe der Kulturtiere integriert und sind nicht mehr Bestandteil der ansonsten im Rahmen solcher Listen von Haustieren ausgegrenzten natürlichen Umwelt. Zum Problem der lexikalischen Zusammenführung von Haus- und Wildschweinen in Texten der altbabyloni-schen Zeit vgl. Veldhuis 2006. – S. auch Benecke 1994: 37. 111 Das hier durch den Zusatz KUR als „männlich“ markierte Wildstierkalb (AM = AMAR.gunû, vgl. oben Anm. 7) stellt für den Zuchtbullen noch keine Konkurrenz dar und kann somit

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und einem Mischlingsstier ([N]E GU4) findet sich in einem mit der lexikalischen Rinderliste zeitgleichen administrativen Text aus Uruk (W 14275), welcher demnach derartig auf die Fellfärbungen ausgerichtete, bisher nur für die Uruk III-Zeit nachzuweisenden Zuchtversuche anschaulich dokumentiert.112

Welche religiösen Vorstellungen mit einer Rinderzucht, eventuell sogar einem Rinderkult in der frühen Uruk-Zeit zu verbinden sein mögen, ist ebenso schwer zu ermitteln wie die näheren Begleitumstände kultischer Rituale, zu deren Zweck Rinder womöglich nach ihrem Äußeren beurteilt und zugelassen oder auch ausge-schlossen wurden. Steinerne Gefäße in der Form einer Kuh oder eines Stieres, aus deren Maul eine Flüssigkeit gegossen werden konnte, Siegel in ähnlicher Gestalt, Figurinen, Anhänger und Fragmente von größeren Skulpturen bezeugen einen vielfältigen Gebrauch eindeutig mit Rindern verbundener Objekte höchst-wahrscheinlich im Umfeld des urukzeitlichen Kultgeschehens.113 Interessanter-weise lassen sich an diesen Kultgegenständen ähnliche Farbkontraste wie an den eingangs aufgelisteten Rindern beobachten. Dabei fallen vor allem zwei Gruppen der polychromen Komposittechnik ins Auge: zum einen schwarze oder weiße stehende Stiere mit ehemals separaten aus einem anderen Material gefertigten Augen, Ohren, Hörnern, Stirnlocken sowie Beinen und zuweilen eingelegten (blütenförmigen) Scheckungen (s. Abb. 7 und 8) und zweitens dunkle und helle liegende Kühe mit ebenfalls einst farbigen Einlagen in Rosetten- oder Klee-blattform sowie wiederum extra eingefügten Augen, Ohren, Stirnlocken und Hörnern, die nicht mehr erhalten sind (s. Abb. 9).114 Hinzu kommen ähnlich

gefahrlos in die Herde integriert werden. Einmal ausgewachsen, wird es wiederum als Zucht-bulle, (der dann Mischlinge zeugt?), eingesetzt werden können. 112 S. Englund 19952: 35 und 37 Fig. 2. Zu Texten, die zusätzlich zu bestimmten Herden-konfigurationen deren Nachwuchs sowie erwirtschaftete Milcherträge dokumentieren, s. a.a.O. 38 Fig. 3. Vgl. auch Green 1980: 11. Zur Schweinezucht, die sich insbesondere durch die Aus-sortierung von Tieren bestimmten Alters und Geschlechts auszeichnet, s. Dahl 2006. – Auf Zuchtabsichten dürfte auch der in altsumerischen Urkunden verzeichnete Import von Tieren aus Elam hinweisen; s. Selz 1991, 39 und 41. 113 Vgl. Behm-Blancke 1979; Peltenburg 1991: 38ff.; Kawami 2001 sowie dies. 2008, wonach sie die Rindergefäße im Anu-, Enlil- und/oder Inana-Kult verorten möchte (305). „This herd of stone vessels forms a discrete group of highly specialized containers. The complexity of production and the luxury of the materials indicate their place in an elite religious context. These vessels should be included in the limited corpus of temple furnishings like the Warka Vase and the White Head, datable to the latter part of the fourth millennium B.C.” (306). 114 Zur im späteren 4. Jts. aufkommenden Präferenz von dunklen, wahrscheinlich importierten Steinen vgl. Kawami 2008: 303.

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gestaltete Steinfigurinen, unter denen sich auch Kälber finden (s. Abb. 10), mit oder ohne Einlagen gefertigt, sowie zumeist aus hellem Stein geschnittene rinder-gestaltige Siegel. Fast immer wurden augenscheinlich als wesentlich empfundene Körperbezirke in farbigem Kontrast hervorgehoben.115 Ein weiteres Gefäß in der Gestalt eines Wisents mag ebenfalls zu dieser besonderen Gruppe von Kult-objekten, die teilweise im Verbund eines Hortfundes auf uns kam, gehört haben – eventuell zeigt sich hier das durch ein langhaariges bzw. lockiges Fell gekennzeichnete Rind (s. o. und Abb. 11).116

Gewiss galten Stiere bzw. Auerochsen als Symbol für besondere Stärke, versinn-bildlichten Kühe mit ihren Kälbern Fruchtbarkeit und Lebenskraft.117 Darstel-

115 Daneben erlaubte die Komposittechnik natürlich auch, die Grenzen der Gestaltbarkeit von Stein zu überwinden; s. Behm-Blancke 1979: 4. 116 Nach Kawami 2008: 306f. könnte dieses aus Mastik gefertigte Gefäßfragment aufgrund seines für den iranischen Raum typischen Materials auch mit einem ähnlichen Gegenstand aus Susa in Zusammenhang stehen. Zu einen Wisent darstellende Tierplastiken aus Uruk vgl. Behm-Blancke 1979: 46ff. 117 Früheste Zeugnisse sind seit dem Neolithikum insbesondere in Syrien und Anatolien aufge-fundene Depots von Stierschädeln und Knochen, die in und an den Häuserwänden angebracht worden waren, s. Vila 1998: 150f., und vgl. die Rekonstruktion des neolithischen Heiligtums aus Çatal Höyük sowie das Bild eines gewaltigen Auerochsen bei Hrouda 1991: 38f. Vgl. auch Breniquet 2002: 157f.: „People from archaic periods perceived their environment as organized into a hierarchy, at least with respect to the natural elements of earth, water, and sky, and assigned specific animals an important role in their symbolic perception of the natural world based on this hierarchy. (...) The role played by the bull and the lion is without contest: they both occupy the highest place. This fact may be connected to their natural characteristics like strength or vigor, as well as to their bellowing and roaring, which evoke thunder. (...) Two opposing principles were represented in Mesopotamian art: a male one, depicted as a whole bull or as part of it (horns with or without the head), and a female one, often realistic figurines. The male concept is the simplest: the link with the bull seems clear, chosen for his virility, strength, and power. This animal acts as a symbol throughout the evolution of Mesopotamian art: horns, arranged by pairs, are linked to important figures, either gods themselves or deified kings. The female principle is more complex: as life is given directly by woman, she is at the center of a complex symbolism involving the union of opposing forces in relation with a cyclical natural process which is not properly a Mesopotamian idea.“ Und schließlich Scurlock 2002: 366: “If real animals could be used by gods to communicate with men, representations of animals could be used to signal desired outcomes from the spirit world. A typical animalian charm is the ubiquitous representation of a cow suckling a calf (...). On these, the calf suckles in one direction, while the cow turns to lick it in the opposite direction, thus forming a magic circle of protection and motherly concern.“ – Zur hohen Wertschätzung von Rindern in Personen-namen sowie literarischen Zeugnissen vgl. Waetzoldt 2007: 382ff. Eine starke Verbindung

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lungen von Rindern in Verbindung mit Hürden, aus denen Jungtiere heraus-treten (s. Abb. 1 und 2), sowie besonders realistisch gefertigte Figurinen von Kälbern (s. Abb. 10) lassen unter Umständen auf Geburtsrituale schließen.118 Fütterungsszenen, in denen der En-Priester blühende Zweige an Schafe oder Rinder verteilt (s. Abb. 3), suggerieren herrschaftlichen Schutz, der ebenso auf einer weiteren Ebene, in der der Herrscher als guter Hirte seines Volkes fungiert, verstanden werden darf (vgl. Breniquet 2002: 160).

Besonders augenfällig ist die Beziehung zwischen Inana, der Stadtgöttin von Uruk, und einer „(heiligen) Herde von Rindern bzw. Schafen“ – mehrfach in der urukzeitlichen Ikonographie abgebildet (vgl. Abb. 5 und Szarzyńska 2000: 67). Dabei scheint ein archaisches Siegel mit einer rebusartigen Inschrift – einer Kombination von piktographischen Zeichen und bildhaften Komponenten119 – besonders bedeutungsvoll, zeigt es doch ein stattliches Rind über dessen Rücken drei Sterne (MUL) schweben sowie eine daneben angebrachte Reihung mehrerer Symbole, die als EZEN AN INANA U4 SIG gelesen, eine eindeutige Verbindung her-stellen zwischen dem „mit blütenförmigen Flecken versehenen Rind“ (ÁB BAR MUL)120 und dem „Fest von Inana des Morgens bzw. Abends“ (sum. ezen dInana ḫúd sig) – demnach ihren beiden Manifestationen als Morgen- und Abendstern (s. Abb. 6).121 Ähnliche Einträge finden sich auch in archaischen Abrechnungen

dieser Tiere mit der Stadt Uruk zeigt sich bereits im einheimischen Onomastikon, wonach etwa der Name der Gattin des Lugalbanda (dNin-súmun-(a)k „Herrin der Wildkühe“ oder „Same der zahlreichen Kühe“) sowie diejenigen von mehreren seiner Kinder (dKul[NUMUN]-áb-šár-ra, dŠilam-kur, dNunus-áb-ba) auf Kühe anspielen; s. Krebernik 2001. 118 Vgl. Breniquet 2002: 159f.: „In this case, realism is desired by the artists in order to emphasize the young age of the animals and thus give the clearest possible meaning to the image.“ 119 Weitere Beispiele für eine derartige frühe Mischschrift auf Siegeln finden sich bei Moortgat-Correns & Böck 1994. 120 Bildhafte Darstellung des Rindes und Positionierung des MUL-Zeichens direkt über dem Rücken (BAR) des Tieres könnten als die aus der lexikalischen Liste bekannte Zeichenfolge ÁB BAR MUL (s. o.) „gelesen“ werden. In diesem Fall wäre die geschwungene Rückenlinie des Rindes als Dar-stellung des Zeichens BAR zu betrachten und als solches vielleicht sogar ins Zeichenrepertoire aufgenommen worden. 121 Vgl. Szarzyńska 2000: 64f. mit Anm. 8 („Morning Inana“, „Evening Inana“) und Nissen, Damerow & Englund 1991: 44 (eine Festbezeichnung). Da der Gottesname in dieser Zeit nicht geschrieben werden muss (s. Szarzyńska 2000: 64 mit Anm. 4), könnte es sich eventuell auch um das Fest zweier Gottheiten, nämlich von „An (und) Inanna“, handeln (eventuell sind auch weitere Textstellen so zu interpretieren?). Ungewöhnlich scheint zudem die Nennung beider Inana-Manifestationen gleichzeitig.

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von Bier und Getreide.122 Steinkeller 1999, 109, hat zudem darauf hingewiesen, daß dieses Fest in einer Reihe mit der „Viehhürde“ (tùr), dem „Hauptverwalter“ (gal-sanga-sanga), dem „G̃ipar (des En)“ (g̃iparx[(GI) KISAL]) und dem „Inana-heiligtum“ ([GI] èš) genannt wird.123 Welche Rolle das auf dem Siegel abgebildete Rind im Rahmen eines solchen Festes tatsächlich eingenommen haben mag, bleibt ungewiss. Die zum Ausdruck gebrachte blütenförmige Scheckung scheint das Tier in den Status eines privilegierten Festteilnehmers gehoben zu haben – ein Vorzug, der gleichermaßen in den Darstellungen mit Rosetten verzierter zoo-morpher Ritualgefäße dokumentiert wird.

Schließlich sei an die auf der Warka-Vase dargestellte Kultszene, die wo-möglich die Hauptaspekte des archaischen Neujahrsfestes inklusive Prozession mit Opfergaben an den Inana-Tempel abbildet,124 erinnert – hier fallen im Hin-blick auf einen eventuellen Rinderkult zwei Dinge ins Auge: zum einen die beiden zoomorphen Kultgefäße in Gazellen- und Löwengestalt, demnach Tiere der Wildnis und damit in starkem Kontrast zu den hier nicht repräsentierten rinder-gestaltigen Gefäßen stehend, zum anderen der neben weiteren Opfergaben darge-botene Rinderkopf (s. auch Selz 2000: 31 mit Anm. 20). Offenbar kamen im Ver-lauf des hier dargestellten Festes die rindergestaltigen Kultgefäße im Gegensatz zu anderen gerade nicht zum Einsatz, erstere waren in einen anderen Kontext kultischen Geschehens eingebunden (s. o.). Dagegen ist die Opferung eines Rindes nur sehr selten bezeugt, die einzige urukzeitliche Abbildung findet sich hier. Auffällig bleibt der in den archaischen Uruk-Texten belegte „Dolch zum Töten von Kühen“ (GÍR ÁB (TAR)),125 dessen Präsenz auf eine spezifische, vielleicht im Rahmen des hier abgebildeten Festes zu verortende Opfertätigkeit hinweist. 122 Vgl. Nissen, Damerow & Englund 1991: 16f. und 74 Abb. 9g Text 4.11 und 81 Abb. 10d Text 10.8 („[Fest des] Abendsterns [der Göttin] Inanna [Stadtgöttin von Uruk]“); Green 1980: 8 mit Anm. 34 („either ‚evening festival of Inanna’ or ‚the evening of the festival of Inanna’“, „daytime/morning [of the] festival of Inanna“); und jetzt Steinkeller 1999: 109 mit Anm. 19 („the festival of the ‚Inanna of the west (= evening)’ (Inanna sig)“). 123 Vgl. auch die Ausführungen zur Rolle des Herrschers (en) und seinem Bezug zum Ĝipar bzw. zur Göttin Inana a.a.O. 109ff. („[...] en of Uruk, who served as the chief political, administrative, and military leader of that city’s temple community, and who, at the same time, played the role of Inanna’s human consort“ [116]). 124 Vgl. Szarzyńska 2000: 63 und 68 („Heilige Hochzeit“ im Verbund mit dem Neujahrsfest), 74 Fig. 13. 125 S. ATU 2, 171: 12; PSD A/3, 164: 5; 168: 76. Nach Selz 1997: 189 Anm. 45, war dieser Dolch neben weiteren Schlachtmessern Teil eines standardisierten Tempelinventars, welches in die Listentradition des 3. Jts. als (d)ĝír-áb-ug7-urudu „(divine) copper dagger for killing cows“

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Zu welchen kultischen Anlässen Rinder welchen Gottheiten geopfert wurden, welche Rolle die unterschiedlichen Tiere jeweils etwa innerhalb des Totenkultes, im Rahmen von Prozessionen und Festen sowie weiteren Ritualen wie womöglich Geburtsritualen126 und solchen im Umfeld einer Gotteskindschaft127 gespielt haben mögen, lässt sich auch anhand der nachfolgenden Überlieferung altorien-talischer Religiosität erahnen, bleibt aber für die archaische Zeit noch relativ ungeklärt.128 Die hier vorgelegten Überlegungen mögen als Beitrag zu diesem frühzeitlichen Themenkomplex verstanden sein.

Ausblick „Les hypothèses sur l’universalité (ou la relativité) des couleurs, comme phénomène cognitif, reposent sur le présupposé du caractère universel de la conception que notre culture a construite de cette dimension de l’environnement physique à travers la notion de couleur. On peut en effet s’interroger d’abord sur le fait de savoir si le concept de couleur renvoie à une même réalité dans toutes les cultures.“ (Dubois, Resche-Rigon & Tenin 1997, 21)

Bereits die frühesten lexikalischen Listen aus Uruk – Zeugnis altmesopotami-scher Bedürfnisse, die Welt im Hinblick auf ihre wichtigsten natürlichen und kulturellen Einheiten zu klassifizieren und gleichzeitig Ausdruck altorientali-scher Gelehrsamkeit, Schriftzeichen in unterschiedlichen Kategorisierungs- und Assoziationsmustern zur Anwendung zu bringen – stellen eine wertvolle Quelle altorientalischer Farbterminologie dar. Bezeichnenderweise findet sich die bei weitem ausführlichste Auflistung frühester Farbbegriffe im Zusammenhang mit einging. Vgl. auch unten Anm. 128 (“stierfressender Ofen/Dolch Enlils”). Zu Schlachthäusern und Schlachtmessern in jüngerer Zeit s. Waetzoldt 2007: 379. 126 Zu frühdynastischen Geburtsbeschwörungen s. oben Anm. 22 und vgl. Stol 2000: 59ff.; Scurlock 2002: 367. 127 Vgl. Stol 2000: 83ff. In Bezug auf den ägyptischen Kulturraum vgl. die sieben himmlischen Kühe als Ammen des Gottes Rē, dazu El Sayed 1980: 375f. 128 So wurden im 3. Jts. insbesondere den Hauptgottheiten (speziell Enlil und Ninlil), aber auch als Grabbeigabe und im Rahmen des Totenkultes verstorbener Herrscher Rinder geopfert; s. Waetzoldt 2007: 381f. Man beachte den „stierfressenden Ofen (oder Dolch?)“ Enlils laut Barton Zylinder (V 11), s. Alster & Westenholz 1994: 20, 28, 35 (gír-maḫ ×(like GÁ) gud gu7-gu7-zu(?) „Your(?) supreme ox-devouring oven“). Zu an Rindern vollzogenen Riten s. auch Civil 1989: bes. 52f.: 22-24 und 56 (Nindara-Kult, Ur III); Biga 1998 (Stierkult in Ebla). Zu Belegen aus dem 2./1. Jts. vgl. Weszeli 2007: 400f. und 404 (Wildrinder). Von besonderem Interesse sei hier das Ritual zum „Bespannen der Kesselpauke“, welches dem Stier galt, dessen makelloses Fell für eine solche Pauke ausgewählt worden war.

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der Beschreibung unterschiedlichster Rinderarten, deren äußere Gestalt offen-sichtlich von besonderem Interesse war. Stand die Rinderzucht nun in einem engen Verbund mit dem kultischen Geschehen um die Hauptgottheiten von Uruk, An und insbesondere dessen Gattin Inana (s. o.), so stellt sich die Frage nach der besonderen Relevanz farblich gekennzeichneter Kühe und Stiere im religiösen Weltbild der Bewohner von Uruk.

Unter der Prämisse der Dominanz kultureller Anschauungen als Kategorisie-rungskatalysator auch im Hinblick auf Farbbegrifflichkeiten (s. o. Anm. 3) sollte bei einer näheren Untersuchung altorientalischer Farbtermini also vielmehr deren kulturspezifische Aussage als eine von unserer eigenen Wahrnehmung beein-flusste vermeintliche Allgemeingültigkeit herausgearbeitet werden.129 Welche spezifischen Vorstellungen und Aktivitäten mögen also die Bewohner des früh-zeitlichen Uruk dazu bewogen haben, die nach ihrer äußeren Erscheinung vorge-nommene Auflistung von Rindern mit eben den Attributen zu versehen, die wir heute in Kategorien von Farbe, Struktur und Form auffassen? Bei dem Versuch einer emischen Betrachtungsweise dieser Qualitäten lassen sich grundlegende Abweichungen erkennen, die im Folgenden kurz skizziert, an anderer Stelle ausführlicher behandelt werden sollen.

Erste Hinweise auf kontextbezogene Begriffsbildungen liefern die Schrift-zeichen bzw. zugrundeliegenden Piktogramme selbst. Findet sich zu Beginn der archaischen Rinderliste eine Einteilung der Tiere in solche, die der menschlichen Pflege als „Rasse- bzw. Hausrinder“ (É) unterstellt waren, und andere, die als „Mischlinge bzw. Halbwilde“ (NE) ein Bindeglied zwischen Haus- und Wildtieren darstellten, so werden hier Kategorien angewandt, die zwar das Äußere der Rinder implizieren mochten, aber primär die Zugehörigkeit zu einem von der „Natur“ abgegrenzten Bereich der „Kultur“ signalisierten, wobei die „Mischlinge“ eher zum zweiten Bereich, demnach als Teil der „Kultur“ eingestuft wurden.130

Die nachfolgenden aus unserer Sicht stets als Beginn einer Farbenreihe ver-standenen Qualifikationen „weiß“ (U4) und „schwarz“ (GI6) werden durch zwei Piktogramme wiedergegeben, die vielmehr Licht- als Farbphänomene beschreiben, nämlich das Bild der aufgehenden Sonne (U4) für „Licht“ bzw. „hell, strahlend“ und das Bild eines nächtlichen Firmaments oder vielleicht auch einer düsteren Gewitterwolke (GI6) für „Dunkelheit, Nacht“ bzw. „dunkel, lichtlos“ – beides eher 129 Zum Problem der Übertragung unserer eigenen Kategorisierungsmuster und Hierarchi-sierungen auf die mesopotamische Kultur s. jetzt auch Selz 2008. 130 So auch durch die Zeichenwahl des „Feuers“ als Prototyp kultureller Errungenschaften angezeigt; s. o. S. 329 mit Anm. 17.

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Zustände als Farben,131 die unmittelbar mit dem Himmel verbunden sind und zunächst wenig mit Rindern zu tun haben. Der nächste Eintrag, als eine aus drei Linien zusammengesetzte geometrische Figur (EŠ16) zur Kennzeichnung des oftmals auf dem Rücken von Rindern verlaufenden „Aalstrichs“ verstanden (s. o. S. 334f.), könnte nach unseren Vorstellungen einer neuen Kategorie „(abstrakter) Musterung“ zugeordnet werden, bildet aber womöglich tatsächlich nur einen durch eine Linie gekennzeichneten Rinderrücken ab,132 steht demnach in einem engen Zusammenhang mit der Beschreibung solcher Tiere und wurde nicht aus einem anderen Bereich übertragen. In gleichem Maße könnte die Qualität „gesprenkelt“ (ŠU) als Teil einer unserem Verständnis folgenden Kategorie „Musterung“ aufgefasst werden, jedoch weist bereits die Wahl des dafür benutzten Piktogrammes „Hand“ auf ein anderes semantisches Feld hin.133 Ein möglicher Übergang von „(schwarz-weiß) gesprenkelt“ zu „grau“ (s. o. S. 335) rückt das Attribut zudem in den Bereich unserer Farbkategorisierungen, macht anscheinend eine eindeutige Zuordnung schwierig.134

Hob sich das Rückenfell der Tiere farblich vom restlichen Körper ab, wurde diese Art der Zweifarbigkeit durch Benennung der Erscheinung des Rückens (BAR) mitgeteilt (s. o. S. 336 mit Anm. 42), eventuell stellt das dafür vorgesehene Piktogramm die geschwungene Rückenlinie eines Rindes dar (s. o. Anm. 120), ist somit vergleichbar mit dem Zeichen für den „Aalstrich“ direkt vom Objekt „Rind“ abgeleitet worden. Hingegen entbehrt eine nach unserem Verständnis weitere Farbbezeichnung „gelblich, falb“ (GI), dargestellt durch das einen Rohrstengel bzw. Schilf abbildende Piktogramm, jeglicher Verbindung zu einem Rind. Ebenso wie die Beschreibungen von „Licht“ und „Dunkelheit“ vermittelt auch hier vielmehr ein Zustand die grundlegende Idee – ein Zustand, der den gesamten Vegetationszyklus von der ergrünenden jungen Pflanze bis hin zu der in der Hitze des Sommers vertrocknenden bzw. vergilbenden und damit sterbenden Pflanze umfasst. Als Zustandsbeschreibung „vegetabil“ verstanden, löst sich der nach unserer Kategorisierung entstandene scheinbare Konflikt einer einheitli-

131 Zur Übertragung anderer Phänomene als Beschreibung und Klassifikation von Farbe – neben „Licht und Dunkelheit“ etwa auch „Trockenheit und Nässe“ – s. auch Jones & MacGregor 2002, 5. 132 Man beachte vergleichend die Bedeutung des deutschen Begriffes „Aalstrich“, die eine solche Linie auf dem Rücken eines anderen Tieres vermittelt. 133 Eine sich eigens diesem Wortfeld widmende Studie ist in Vorbereitung. Vgl. auch oben S. 329 Anm. 39. 134 Vgl. Selz 2008, 14: „Mesopotamian classification shows fuzzy boundaries between classes“.

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chen Bezeichnung zweier divergierender Farbbegriffe „grün“ und „gelb“. Nach altorientalischem Verständnis war eben nicht die Farbkategorie „grün bis gelb“ gemeint, sondern ein Zustand, der den in der Pflanzenwelt zu beobachtenden Veränderungen entsprach. Die „stern- bzw. blütenförmigen Flecken“ (MUL) wurden in ähnlicher Weise am Himmel bzw. in der natürlichen Umwelt wahrgenommen und auf die Erscheinung von Rindern übertragen.

Das unserem Farbbegriff „rot-braun“ (SI4) zugrunde liegende Piktogramm stellt wiederum einen eindeutigen Bezug zu Rindern her, zeigt es doch m. E. ein in bestimmter Weise (durch „Gunierung“) gekennzeichnetes Rinderhorn. Aufgrund des zu beobachtenden Variantenreichtums (s. ATU 2, 270: 450), lässt sich die durch Strichelung angezeigte Kennzeichnung des Horns kaum eindeutig bestimmen. Doch geben manche Zeichenformen, bei denen sich gerade an der Spitze des Horns Markierungen finden, verbunden mit dem durch spätere Quellen bestätigten Wissen um die dargestellte Bedeutung eines Farbtons „Rot-braun“ Anlass zu folgender Vermutung. Das Horn eines Rindes, dessen charakteristische Eigen-schaft gerade kein rot-brauner Farbton gewesen ist, fällt nur bei einer einzigen Gelegenheit durch eine Rotfärbung auf – nach einem blutigen Kampf, bei dem das Tier ein anderes verletzt hat.135 Somit von einem Rinderblut darstellenden Piktogramm ausgehend, wäre ein für die Farbe Rot in vielen Kulturen typischer Vertreter (Blut) gefunden, der zudem hinsichtlich einer religiös-symbolischen Einordnung (Rinderblut) mächtiger nicht sein könnte.136 Daneben rückt auch diese Farbpalette „rot-braun“ – ähnlich wie die Darstellungen von „Licht“ und „Dunkelheit“, aber auch von „Vegetation“ – in die Nähe einer Zustandsbeschrei-bung, stellt Blut doch den Inbegriff des Lebens (frisches rotes Blut) und gleich-zeitig auch des Todes (getrocknetes dunkelrot-braunes Blut) dar.

Eine unmittelbar auf die „Farbbezeichnungen“ folgende, nach unserem Ver-ständnis neue Kategorie von „Haarqualität“ oder auch „Struktur“ beinhaltet Rinder, 135 Eine weitere blutige Situation ergab sich bei der in domestizierten Rinderherden zum Schutz der Tiere üblicherweise vorgenommenen Kürzung besonders langer Hörner. Vgl. PSD A/3, 161: 3.1.3: áb-maḫ-bi si-mùš-bi ba-ra-an-dab5-bé-eš si-bi ba-ra-an-ku5 „its mighty cows with shining horns were captured, their horns were cut off” (Lamentation over Sumer and Ur 411). 136 Warum gerade „Rinderblut“ und nicht etwa dasjenige von Menschen zum Bedeutungs-träger erkoren wurde, bedarf noch einer eingehenden Untersuchung. Hier könnten Tabu-bereiche ebenso wie die Signifikanz eines über Jahrtausende entstandenen, weit verbreiteten Rinderkults eine Rolle gespielt haben; s. auch unten Anm. 138 und vgl. Nunn 1988, 238 (Bilder von Rindern an der urukzeitlichen Tempelwand von Tell ʿUqair wurden in dunkel-roter Vorzeichnung mit orangener Ausmalung gefertigt).

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die durch ein „(lang)haariges / lockiges(?)“ (DARA4) Fell oder auch besonders auffällige Hautfalten um die Augen („mit buschigen Augenbrauen“ [SIG7 SÍG]) ausgewiesen sind, wobei die piktographische Darstellung des „(lang)haarigen Fells“ dem Bild für „Haar, Wolle“ nahe zu stehen scheint (s. o. S. 340f.). Kein anderes Attribut dieser Liste kommt derartig häufig und auch explizit auf einzelne Körperbereiche wie „Bauch“ (ŠÀ), „Flanken“ und „Stirn“ (SAG) bezogen zur Anwendung, zeugt somit von einer besonderen Beachtung. Nur die Qualität „hell, weiß“ wird ebenfalls zuweilen extra hervorgehoben („mit weißen Hufen/ Unterschenkeln(?)“ [AL U4], „mit weißem Schwanz“ [kun babbar]); hinzu kommt das eigens als „gesprenkelt“, „gelblich“ oder „gefleckt“ markierte Rückenfell. Das gleichwertige Nebeneinander von Bezeichnungen wie „hell“, „dunkel“, „rot-braun“ und „(lang)haarig, gelockt(?)“ auch in anderen Textgattungen (s. o. Anm. 65) macht zudem deutlich, dass immer nur ein Merkmal namengebend war, nämlich das am meisten hervortretende. Eine Kombination mehrerer Attribute, wie sie etwa „mit hellem langhaarigen Fell“ oder „mit gelben blütenförmigen Flecken“ denkbar wäre, findet nur ganz selten statt, einmal in Bezug auf die Augenbrauen („mit schwarzen buschigen Augenbrauen“ [SIG7 SÍG GI6]), ein anderes Mal das Buckelrind betreffend („(lang)haarig(?) (und) mit dritter Schulter“ (EŠ16 DARA4 ZAG) > „(lang)haariges Buckelrind“).

Die Rinderliste schließt mit Besonderheiten, die einzelne Körperbereiche wie die Beine, den Schwanz, das Euter, den Kopf oder auch den Buckel des Zebus bzw. die gesamte Statur (Größe und gedrungener Körperbau), eventuell auch das Verhalten der Tiere („nach Schweineart“ [ŠÁḪ]) miteinbeziehen.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass diejenigen Farbbegriffe, die nach unserer Kategorisierung als „Grundfarben“ („basic colour terms“) verstanden werden, in der Begrifflichkeit der hier dargestellten frühen Rinderliste einer ganz anderen Klassifizierung zu unterliegen scheinen. Vermeintliche Farbbezeichnun-gen wie „weiß“, „schwarz“, „gelb“ und „rot“ werden durch Piktogramme darge-stellt, die unstete Zustände wie „Licht“ und „Dunkelheit“, „aufblühende und wieder vertrocknende Vegetation“ sowie gleichzeitig das Leben als auch den Tod verkörperndes „Blut“ signalisieren. Die Intensität der mit diesen Erscheinungen verbundenen Empfindungen mag in den sumerischen Bezeichnungen, die durch eine emphatische Gemination auffallen, zum Ausdruck kommen: babbar „hell; weiß“,137 kukku5 /kükkü(-g)?/ „dunkel; schwarz“,138 sig7 /süggü(-g)?/ „vegetabil;

137 Vgl. Krispijn 1981-1982: 49 (babbar < babr-[um]). 138 Vgl. Krispijn 1981-1982: 49 (kikki).

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gelb-grün“ (s. o. S. 337) und si4/su4 /sü(-sü)?/ „lebendig;139 rot-braun“ (s. o. S. 339 mit Anm. 55). All diese Qualifikationen konnten zwar auch auf Rinder ange-wandt werden, sind aber nicht explizit zur Kennzeichnung rinderspezifischer Eigenschaften – wie es wahrscheinlich bei der Benennung des Aalstriches, des Rückenfells oder auch des Buckels der Fall gewesen war – entwickelt worden.

Was hat nun die Menschen dazu veranlasst, die Welt konstituierende Zustands-beschreibungen auf die äußere Erscheinung von Rindern zu übertragen? Denn offenbar wurden metaphorische Beziehungen zwischen Bereichen ähnlich wahr-genommener Erscheinungen hergestellt – Erscheinungen, die sich vor allem im Bereich des Himmels und der irdischen Fruchtbarkeit (Vegetation und ‚Blutwesen’ [= Mensch und Tier]) manifestierten und auf dem Fell der Rinder wiederer-kannt wurden.140 So mag ein „helles“ Rind den klaren Himmel, ein „dunkles“ Rind den Nachthimmel, die Dunkelheit repräsentiert haben, ein „gesprenkeltes/ graues“ Rind vielleicht den Sternenhimmel oder auch ein Unwetter, ein „pflanzen-farbenes“ bzw. „blütengeflecktes“ Rind die fruchtbare Vegetation, ein „blutrotes“ Rind die Lebenskraft von Mensch und Tier. Hob sich das Rückenfell farblich vom restlichen Körper ab, wurde dies vielleicht als eine bestimmte Abgrenzung wie eine Wolke („gesprenkelter Rücken“)141 oder eine Wiese („gelblicher Rücken“, „blütengefleckter Rücken“) gesehen. Schließlich mag das „(lang)haarige/gelockte“ Tier als Ausdruck besonderer Kraft einen prominenten Stellenwert bekommen haben,142 ist diese Qualität (DARA4) doch auffällig häufiger Bestandteil der Rinder-liste. Somit wurden die Rinder zur Projektionsfläche von Himmel und Erde; durch die Integration der Mischlinge war zudem die Grenze zur Wildnis aufgehoben, gleichsam nicht nur die himmlische, sondern auch die gesamte irdische Welt in den Rindern vereint.143 Als Referenz auf die Welt und alle Erscheinungsformen 139 Wobei vielleicht am ehesten die mit dem Blut verbundene „Lebenskraft“ von Mensch und Tier gemeint sein könnte. Man vergleiche etwa die Verwendung von Rot- und Brauntönen zur Darstellung von Menschen und Tieren in den frühen Wandmalereien; s. Nunn 1988, 238. Eine ausführliche Studie rund um den Themenkomplex „Blut“ steht noch aus. Zum ambivalenten Kontakt mit Blut s. Pientka-Hinz 2008. 140 Kühe als Projektionsfläche himmlischer Erscheinungen spielen auch in der ägyptischen Kultur eine wichtige Rolle, s. o. S. 329f. 141 Vgl. die ägyptische Kuh „schwarze Wolke“ oben S. 329. 142 Zu Haar als Ausdruck von Potenz und Kraft s. Scheyhing 2003. Zum astralen Aspekt des Wisents, der ein besonders langes Fell trug, welches durchaus mit der Qualität DARA4 verbunden gewesen sein mag (s. o. S. 329ff. Anm. 65) s. Behm-Blancke 1979, 51. 143 Vgl. Westenholz 1996: „(...) that the earliest lexical compilations may have been more than a utilitarian convenience for the scribes who wrote them; that they contained a systematization

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der Göttin Inana wurden sie somit zur „heiligen Herde“ von Uruk.144 Inana als „Herrin des Himmels und der Fruchtbarkeit“145 – Aspekte, die in

Symbolen wie dem Venusstern und der Blüte/Rosette146 angezeigt waren – wurde als besonders mächtige Göttin vielleicht auch mit dem (lang)haarigen/lockigen Fell von Schafen, Ziegen und manchen Rindern in Verbindung gebracht. Tatsächlich lassen sich Hinweise auf eine kultische Inszenierung von langem Haar finden. So scheint die archaische Frauenmaske aus Uruk („Dame von Warka“, s. Szarzyńska 2000: 68 und 74: Fig. 14), die im Zentrum des urukzeitlichen Inana-Kultes gestanden haben wird, ehemals mit einer Perücke und künstlich angebrachten

of the world order; and that at least one was considered as containing ‚secret lore’ (451) (...)‚ Knowledge’ of the words, the names of objects, in the lexical lists gave insight into the nature of things, a basis for power and control on various levels as well as the control and manipulation of information. On the religious level, knowing the names of the deities confers magic power à la Rumpelstiltskin (...). On the intellectual level, knowing the organization of the world made it possible to affect the universe by magical means (452f.).“ 144 Vgl. den kunsthistorischen Standpunkt bei Breniquet 2002, 157-161: „(...) artistic conventions do not refer simply to animals themselves, or to the human prevailing over natural order, or even to natural values carried by animals that could be taken over by man. They seem to refer to general concepts as well, such as the opposition between nature and culture, or untamed and civilized. (...) What animal art probably expresses in Mesopotamia from the Neolithic through at least the end of the Sumerian period is a symbolic perception of the world, a perception whose traces are visible throughout Mesopotamian history. The very meaning of these early representations is debatable and controversies are numerous (...). For some scholars, these animal depictions should be considered the first appearance of divinities. It is easy to imagine that prehistoric man might have wanted to take over the skills personified by the animals depicted in the art through magical practices, but there is no evidence that we are dealing with the beginnings of a theriomorphic religion. (...) it seems that Mesopotamian archaic art is wholly metaphoric and refers to general notions like order, fertility, prosperity, abundance, and birth, which are central to the interests of all prehistoric societies. (...) The general background and the basis of interpretation given above (hierarchical organization of the natural world, association between animals and concepts) nevertheless make a complete reading possible. Bovines depicted in Mesopotamian art could be young calves or pregnant cows, that is to say pacific animals. Or they could be terrifying aurochs with impressive horns that fight the king himself (...), thus evoking two aspects, the unsubjugated world and the tamed one belonging to man. With the exception of calves, these depictions are identical from an artistic point of view: nothing helps us separate wild and domestic animals. The sense is given by the other protagonists in the scene.“ 145 S. etwa Selz 2000 und ders. 2008, 15. 146 Vgl. oben S. 329 und Szarzyńska 2000, 67.

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Augenbrauen147 bestückt gewesen zu sein – vielleicht einer aus Tierhaar gefertig-ten Lockenpracht, die sich kontrastreich vom „lichten“ Weiß des Gesichtes dieses sicherlich von der Inana-Priesterin getragenen Kultobjekts abhob.

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Abbildungen Siegelabrollungen:

Abb. 1: urukzeitliche Siegelabrollung: Tempelherde mit Hürde (vgl. Aruz & Wallenfels 2003: 40: 10c)

Abb. 2: urukzeitliche Siegelabrollung: Tempelherde mit Hürde (aus: Moortgat 1935: Abb. 28.2)

Abb. 3: urukzeitliches Siegel: En-Priester füttert Tempelherde von Widdern (aus: Moortgat 1935: Taf. 5, Nr. 29 b)

Abb. 4: Vorderteil eines Kälbchens von einem Einlagefries aus Uruk, um 2600 v. Chr. (Jakob-Rost u. a. 1992: 56: 8)

Abb. 5: urukzeitliches Siegel: En-Priester fährt mit dem auf einem Rind stehenden Kult-symbol der Inana in einem Boot (aus: Moortgat 1935: Taf. 5, Nr. 26/1)

Abb. 6: urukzeitliche Siegelabrollung: Rind mit Symbolen der Inana (Nissen, Damerow & Englund 1991: 45: Abb. 5a)

Kultgefäße und Figurinen: Abb. 7: urukzeitliches Kultgefäß in Stiergestalt aus grauem Kalkstein (Strommenger &

Hirmer 1962: Taf. 29) Abb. 8: urukzeitliche Kompositfigur eines Stieres (Kalkstein, Silber, Lapislazuli) (Hrouda

1991: 190) Abb. 9: urukzeitliches Kultgefäß in Kuhgestalt aus grauem Kalkstein (Jakob-Rost et al.

1992: 67: 20) Abb. 10: urukzeitliche Kompositfigurine eines Kälbchens (Kalkstein, Lapislazuli) (Aruz &

Wallenfels 2003: 17: 2b) Abb. 11: urukzeitliches Kultgefäß in Wisentgestalt aus Mastik (Kawami 2008: 307 Fig. 13)

Ägypten: Abb. 12: die sieben himmlischen Kühe mit Stier aus dem Grab der Nefertari, 19.

Dynastie (Germond 2001: 152f.: 191) Abb. 13: Modell einer Rinderinspektion, 12. Dynastie (Houlihan 1996: 16: Fig. 12) Abb. 14: Detail einer Wandmalerei: Rinderinspektion, 18. Dynastie (Houlihan 1996: 147: Pl.

XXII) Tiere:

Abb. 15: Rückzüchtung eines Auerochsen mit Jungtier (Skånes Djurpark Höör, Schweden, August 2008)

Abb. 16: Rückzüchtung eines Auerochsen (Skånes Djurpark Höör, Schweden, August 2008) Abb. 17: Auerochse (http://tierdoku.com/index.php?title=Auerochse) Abb. 18: Auerochse mit Kalb (http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Weilburg_-

_Tiergarten_-_Auerochse.jpg) Abb. 19: junger Wisent (Skånes Djurpark Höör, Schweden, August 2008) Abb. 20: Buckelrind oder Zebu (http://bromberghof.de) Abb. 21: Heckrind (http://www.heim-und-haustiere.de/nutztiere/bilder/heckrind.jpg)

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Abb. 12a Abb. 12b

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Abb. 20 Abb. 21