Beurteilung von Regenerationsmaßnahmen durch vegetationskundliche und faunistische Untersuchungen -...

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205 Angewandte Landschaftsökologie H. 37 2000 205-216 Hrsg.: Bundesamt für Naturschutz, Bonn Beurteilung von Regenerationsmaßnahmen durch vegetationskundliche und faunistische Untersuchungen - Beispiele aus der Oberweserniederung Assessment of Measures of Restoration by Phytosociological and Faunistic Investigations – Examples from the Upper Weser BERND GERKEN, HANS BÖTTCHER, DIRK LEIFELD, MATHIAS LOHR, KARSTEN DÖRFER und CHRISTA LEUSHACKE-SCHNEIDER 1 Ausgangssituation und Fragestellung Die Oberweseraue ist eine intensiv von menschlichen Ansprüchen und Nutzungen geprägte Flußlandschaft. Gewerbegebiete, Siedlungsflächen, Kiesabgrabungen, zunehmende Verkehrserschließung sowie die konventionelle Landwirtschaft lassen immer weniger Raum für naturnahe Lebensräume. Darin gleicht die Oberweserniederung den meisten mitteleuropäischen Flußlandschaften und kann als Modellgebiet für die Erprobung von Regenerationsmaßnahmen dienen. Abb. 1: An der Oberweser sind die meisten Flutrinnen - wie hier bei Höxter-Corvey - nicht durch Hochwasserschutzdämme vom Strom abgetrennt (Foto: M. Lohr). Fig. 1: Most floodplain channels at the Upper „Weser“ are not separated from the main channel by flood prevention dikes as illustrated in this picture at Höxter-Corvey (Photo: M. Lohr). In Teilbereichen besitzt die Oberweserniederung ein hohes Potential für die Entwicklung auen- typischer Standorte. Besonders bei Hochwasserereignissen zeigt sich, daß es an der Oberweser nur wenige Hochwasserschutzdämme und nur eine Stauhaltung bei Hameln gibt, so daß der Fluß noch

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Angewandte Landschaftsökologie H. 37 2000 205-216 Hrsg.: Bundesamt für Naturschutz, Bonn

Beurteilung von Regenerationsmaßnahmen durch vegetationskundliche und faunistische Untersuchungen - Beispiele aus der Oberweserniederung

Assessment of Measures of Restoration by Phytosociological and Faunistic Investigations – Examples from the Upper Weser BERND GERKEN, HANS BÖTTCHER, DIRK LEIFELD, MATHIAS LOHR, KARSTEN DÖRFER und CHRISTA

LEUSHACKE-SCHNEIDER 1 Ausgangssituation und Fragestellung Die Oberweseraue ist eine intensiv von menschlichen Ansprüchen und Nutzungen geprägte Flußlandschaft. Gewerbegebiete, Siedlungsflächen, Kiesabgrabungen, zunehmende Verkehrserschließung sowie die konventionelle Landwirtschaft lassen immer weniger Raum für naturnahe Lebensräume. Darin gleicht die Oberweserniederung den meisten mitteleuropäischen Flußlandschaften und kann als Modellgebiet für die Erprobung von Regenerationsmaßnahmen dienen.

Abb. 1: An der Oberweser sind die meisten Flutrinnen - wie hier bei Höxter-Corvey - nicht durch

Hochwasserschutzdämme vom Strom abgetrennt (Foto: M. Lohr).

Fig. 1: Most floodplain channels at the Upper „Weser“ are not separated from the main channel by flood prevention dikes as illustrated in this picture at Höxter-Corvey (Photo: M. Lohr).

In Teilbereichen besitzt die Oberweserniederung ein hohes Potential für die Entwicklung auen-

typischer Standorte. Besonders bei Hochwasserereignissen zeigt sich, daß es an der Oberweser nur wenige Hochwasserschutzdämme und nur eine Stauhaltung bei Hameln gibt, so daß der Fluß noch

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regelmäßig über die Ufer treten kann (Abb. 1). Die Projektgruppe Weserniederung der Lehrgebiete Tierökologie und Vegetationskunde an der Universität Paderborn, Abteilung Höxter, beschäftigt sich mit der Frage, mit welchen Methoden diese Auenlandschaft wieder regeneriert werden kann.

2 Ziele der Auenregeneration Das typische Kennzeichen von Auenlebensräumen ist die dort herrschende Standortdynamik, die gleichsam die Basis für die Vielfalt der Lebensgemeinschaften von Pflanzen und Tieren in natürlichen Flußniederungen ist (u.a. ELLENBERG 1996, GEPP 1986, GERKEN 1988). Eine nachhaltige Auen-regeneration ist notwendig, um die Dynamik des Abflußgeschehens wieder den ursprünglichen Bedingungen weitestmöglich anzunähern. „Dynamik” wird dabei nicht nur durch die morphologisch wirksamen Kräfte des fließenden Wassers ausgelöst, sondern auch durch die in der Aue in typischer Weise wechselnden Wasserstände. Flutrinnen tragen dazu bei, daß diese dynamischen Kräfte in der Aue wirken können (Abb. 1). Ihre Reaktivierung sollte daher im Mittelpunkt jeder Auenregeneration stehen. Als weitere wichtige Ziele seien genannt: 1. die Förderung der Ansiedlung und Entwicklung auentypischer Lebensgemeinschaften, 2. die Wiederherstellung von Auengewässern sowie 3. die Schaffung von Retentionsraum für den Hochwasserschutz (ROBINSON 2000). 3 Vorgehen bei der Auenregeneration in der Oberweserniederung Im Rahmen eines gleichnamigen Erprobungs- und Entwicklungsvorhabens des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) beschäftigt sich die Projektgruppe seit mehr als 10 Jahren mit Fragen zur „Regeneration landschaftstypischer Auenstandorte in der Oberweserniederung“. Das Projekt und die durchgeführten Maßnahmen sind mehrfach in Publikationen vorgestellt worden (vgl. u.a. BÖWINGLOH et al. 1995, GERKEN et al. 1998a, 1998b), so daß an dieser Stelle nur einige Grundsätze der Vorgehensweise dargestellt werden.

Alle Maßnahmen waren als Initialmaßnahmen konzipiert, die Dynamik lediglich wieder zulassen oder anstoßen sollten. Eingriffe in die bestehenden Lebensgemeinschaften erfolgten so schonend wie möglich.

Bereits vor der Durchführung der Maßnahmen wurde mit den wissenschaftlichen

Begleituntersuchungen begonnen, die im Rahmen einer Erfolgskontrolle bis heute in allen sechs Gebieten fortgeführt werden.

Am Beispiel des Regenerationsgebietes „Lake“ bei Würgassen (ca. 12 km südlich von Höxter)

beschreiben wir einige typische Entwicklungen, die in ähnlicher Weise auch in den anderen Projektgebieten zu beobachten waren. Die Lake ist ein ehemaliger Nebenarm der Weser, der zu Beginn unseres Jahrhunderts durch den Weserausbau vom Fluß abgekoppelt worden war. In dem ca. 30 ha großen Gebiet wurden 1993 folgende Regenerationsmaßnahmen durchgeführt:

1. Wiedervertiefung von Flutmulden in dem vorhandenen Flutrinnensystem

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2. Wiederherstellung bzw. Erweiterung auentypischer Kleingewässer 3. Schaffung von Pionierstandorten durch flächigen Oberbodenabtrag, sowohl in der Flutrinne als

auch auf höher gelegenen Flächen 4. Initialpflanzungen zur Begründung von Auenwaldbeständen mit autochthonen Weich- und

Harthölzern 5. Nutzungsaufgabe und somit freie Sukzession nahezu flächendeckend

Abb. 2: Vegetationsentwicklung eines Flutrinnenabschnittes der „Lake“ 1989-1999.

Fig. 2: Development of the vegetation in the floodplain channel 1989-1999.

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4 Entwicklungen im Regenerationsgebiet „Lake“ 4.1 Vegetationskundliche Aspekte In Abb. 2 ist die Entwicklung der Vegetation im Projektgebiet „Lake“ für einen repräsentativen Flutrinnenabschnitt dargestellt. Die Kartierung der Vegetation wurde 1989 und seit 1993 alljählich jeweils im September durchgeführt.

Im Jahr 1989 wiesen bei einer intensiven Weidenutzung nur die typischen Weidelgras-Weißkleeweiden (Lolio-Cynosuretum) und das beweidungstolerante Rohrglanzgrasröhricht (Phalaridetum arundinaceae, Phalaris arundinacea-Gesellschaft) größere Flächenanteile auf. Andere Röhrichtgesellschaften (z.B. Glycerietum maximae, Butomus umbellatus-Gesellschaft) kamen in der Nähe von Kleingewässern zwar vor, spielten jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Die Vegetation zeigte ein uniformes Bild.

Bereits im ersten Jahr nach Durchführung der Maßnahmen (1994) - wurde das Vegetationsmosaik komplexer. Auf den durch die Maßnahmen entstandenen Rohbodenstandorten siedelten sich typische Pionierfluren aus einjährigen Arten (mit zahlreichen Arten der Bidentetea) an, die in den nächsten Jahren wieder verdrängt wurden. Der Wasserfenchel (Oenanthe aquatica) hatte in der amphibischen Zone schnell große Bestände gebildet (vgl. OBERDORFER 1977), als Pionier auf Schlickböden profitierte er direkt von den Baumaßnahmen. In der Folgezeit nahmen die Bestände der Art wieder ab, ohne jedoch ganz zu verschwinden. Dies sind Beispiele für sehr kurzfristige Entwicklungen, die sich infolge der Maßnahmen ergeben haben, jedoch nicht von langer Dauer waren.

Abb. 3: Spontan aufgekommene Weiden bilden den Keim des künftigen Weichholzauenwaldes (Foto: D. Leifeld).

Fig. 3: Spontaneously growing willows represent the nucleus of a softwood floodplain forest (Photo: D. Leifeld).

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Verschiedene Weidenarten konnten sich auf natürliche Weise fast ausschließlich auf den durch die Maßnahmen entstandenen Rohbodenflächen ansiedeln. Mittlerweile sind diese Weiden teilweise bis zu 5 m hoch (Abb. 3).

1998 traten erstmals mit einem großen Flächenanteil typische Flußufer-Schleiergesellschaften (u.a. Cuscuto-Calystegietum) und andere Staudengesellschaften feuchter Standorte im Randbereich der Flutrinne auf.

Auf den Vegetationskarten 1997, 1998 und 1999 fällt im linken Bereich ein „Pulsieren“ der

Rohrglanzgras-Bestände auf: Im Jahr 1998 wurden sie in der Flutrinne vorübergehend von Dominanzbeständen der Brennessel verdrängt, um 1999 wieder die nahezu gleiche Ausdehnung wie 1997 zu erreichen. Es handelt sich um natürliche Bestandsschwankungen in Abhängigkeit von den sich jährlich ändernden Standortbedingungen (hier v.a. des Wasserhaushaltes) in der Flutrinne.

1999 konnten erstmals nach 1994 wieder Annuellenfluren in der Flutrinne festgestellt werden. Die

zwei großen Hochwasserereignisse verbunden mit lang anhaltend hohen Wasserständen hatten die Vegetation in einigen Bereichen der Flutrinne absterben lassen. Nach Absinken des Wassers waren somit zu Beginn der Vegetationsperiode neue Rohbodenstandorte vorhanden, die zahlreichen Bidentetea-Arten wie Bidens tripartita, Atriplex prostrata, Atriplex sagittata, Polygonum *lapathifolium u.a. als typischen „Flußufer-Pionieren“ beste Keim- und Wuchsbedingungen boten. Die Sukzession war in auentypischer Weise durch die lang anhaltend hohen Wasserstände unterbrochen worden. Wir werten das Wiederauftreten dieser Flußufer-Pionierfluren als Indikation der stattfindenden auentypischen dynamischen Prozesse.

Die ständige Zunahme der Komplexität der Vegetationsstrukturen infolge der Regenerations-

maßnahmen läßt sich auch durch Zahlen verdeutlichen: 1989 wurden an der „Lake“ 37 Pflanzen-gesellschaften mit 123 Pflanzenarten festgestellt, 1999 konnten dagegen 64 Pflanzengesellschaften mit 266 Pflanzenarten kartiert werden. 4.2 Libellenkundliche Aspekte Libellen lassen sich u.a. aufgrund ihrer aquatischen Lebensweise während ihrer Larvalzeit gut als Indikatorgruppe für Gewässerstrukturen verwenden. Veränderungen der Libellengemeinschaften veranschaulichen viele der Entwicklungen stellvertretend für aquatische Lebensgemeinschaften.

Die Strukturvielfalt der Gewässer nahm im Untersuchungsgebiet „Lake“ infolge der Regenerations-maßnahmen stark zu.

Mit 32 bislang beobachteten Libellenarten weist das Gebiet einen für die Region bemerkenswerten

Artenreichtum auf. Die Zunahme der Artenzahl geht einher mit einer Zunahme des Strukturreichtums in den Jahren während und direkt nach Durchführung der Maßnahmen von 14 bzw. 12 Arten in den Jahren 1989 und 1993 auf 20 Arten 1994 bzw. 23 bis 25 Arten in den Jahren 1995 bis 1999 (Tab. 1). Obwohl die

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jeweils beobachtete Anzahl der Arten seit 1995 relativ konstant blieb, wurden starke Veränderungen der Libellengemeinschaften beobachtet. Jahrweise traten beträchtliche Schwankungen in der Dominanz einzelner Arten auf und die Artenzusammensetzung änderte sich durch das Hinzutreten bzw. Ausfallen einzelner Arten. Diese Schwankungen spiegeln die Dynamik der Lebensgemeinschaften wider, die Ausdruck der initiierten auendynamischen Prozesse ist.

Ähnlich dem Wasserfenchel (Oenanthe aquatica) profitierte die Kleine Pechlibelle (Ischnura pumilio)

direkt von den durch die Maßnahmen geschaffenen Rohbodenstandorten. Die Art flog noch während der Durchführung der Maßnahmen im Sommer 1993 ein und fand sich auch 1994 an den neu geschaffenen bzw. wiedervertieften Gewässern der Flutrinne, die zunächst nur eine sehr geringe Vegetationsbedeckung aufwiesen. Seit 1995 konnte die Art jedoch nicht mehr beobachtet werden.

Die Zunahme der Röhricht- und Riedstrukturen an vielen Gewässern hatte insbesondere bei den

Teichjungfern (Lestidae) eine Zunahme sowohl der Artenzahl als auch der Abundanzen bei den meisten Arten zur Folge. Viele Arten dieser Familie tolerieren während bestimmter Perioden ihrer Ei- und Larvenentwicklung eine Austrocknung ihrer Gewässer (vgl. z.B. SCHIEMENZ 1953, ROBERT 1959, JÖDICKE 1997). In Mitteleuropa ist diese Artengruppe deshalb für die Indikation von Auengewässern besonders geeignet, da die meisten dieser Gewässer gerade durch starke Wasserstandsschwankungen geprägt sind. Die einzelnen Arten der Teichjungfern lassen sich ökologisch insbesondere durch die Nutzung verschiedener Riedstrukturen als Eiablage- bzw. Larvalhabitate differenzieren (GERKEN & STERNBERG 1999).

Die Gemeine Binsenjungfer (Lestes sponsa), deren Häufigkeit nach Durchführung der Maßnahmen

zugenommen hat, bevorzugt Gewässer mit Binsenröhrichten im Uferbereich, die zur Eiablage genutzt werden. Sie meidet Gewässer, die vollständig mit Röhrichten bewachsen sind.

Demgegenüber findet sich die Glänzende Binsenjungfer (Lestes dryas) insbesondere in verlandenden

Gewässern mit stark schwankenden Wasserständen, die meist dichte Röhrichte ohne offene Wasserfläche aufweisen. Populationsschwankungen, die bei dieser Art beobachtet wurden (Tab. 1), lassen sich vermutlich auf die Tatsache zurückführen, daß jahrweise zumindest einige Larvalgewässer schon im Frühsommer austrockneten (z.B. 1998).

Als wärmeliebende Art, die in Mitteleuropa ihre nördliche Verbreitungsgrenze erreicht, findet sich die

Südliche Binsenjungfer (Lestes barbarus) an kleinen, meist flachen Gewässern mit geringer Vegetationsbedeckung, die sich v.a. im Frühsommer stark erwärmen können. Die Art, die erst seit 1995 im Gebiet nachgewiesen wurde, hat ebenfalls von der Entwicklung geeigneter Gewässer profitiert, gleichzeitig dürften die warmen Sommer wie in weiten Teilen Mitteleuropas auch im Gebiet zu einer Zunahme der Art geführt haben.

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Tab. 1: Die Libellenfauna im Untersuchungsgebiet Lake von 1989 bis 1999.

Tab. 1: The dragonfly fauna in the area of investigation „Lake“ from 1989 to 1999.

Durchführung der Maßnahmen im Sommer 1993

1989 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999Kleinlibellen Zygoptera

1 Gebänderte Prachtlibelle Calopteryx splendens 1 1 5 2 3 3 2 22 Gemeine Binsenjungfer Lestes sponsa 2 5 3 7 5 6 6 73 Glänzende Binsenjungfer Lestes dryas 6 4 3 1 34 Südliche Binsenjungfer Lestes barbarus 6 5 2 2 35 Weidenjungfer Lestes viridis 2 2 3 6 66 Kleine Binsenjungfer Lestes virens 2 17 Gemeine Winterlibelle Sympecma fusca 4 5 38 Gemeine Federlibelle Platycnemis pennipes 2 19 Frühe Adonislibelle Pyrrhosoma nymphula 2 3 4 3 7 6 4

10 Großes Granatauge Erythromma najas 7 6 7 5 6 711 Kleines Granatauge Erythromma viridulum 6 3 2 7 712 Hufeisen-Azurjungfer Coenagrion puella 6 6 7 7 7 7 7 713 Pokal-Azurjungfer Cercion lindeni 3 314 Becher-Azurjungfer Enallagma cyathigerum 4 5 6 7 7 3 1 515 Kleine Pechlibelle Ischnura pumilio 1 216 Große Pechlibelle Ischnura elegans 3 6 7 7 6 6 6 7

Großlibellen Anisoptera17 Herbst-Mosaikjungfer Aeshna mixta 1 5 5 3 2 3 618 Blaugrüne Mosaikjungfer Aeshna cyanea 1 2 1 1 2 1 419 Südliche Mosaikjungfer Aeshna affinis 120 Keilflecklibelle Anaciaeshna isosceles 121 Große Königslibelle Anax imperator 1 3 3 3 2 1 2 322 Gemeine Smaragdlibelle Cordulia aenea 2 123 Glänzende Smaragdlibelle Somatochlora metallica 1 1 1 2 2 124 Vierfleck Libellula quadrimaculata 3 2 3 225 Plattbauch Libellula depressa 3 3 5 4 3 2 3 426 Großer Blaupfeil Orthetrum cancellatum 2 4 4 3 1 3 327 Große Heidelibelle Sympetrum striolatum 4 1 2 3 3 3 5 428 Gemeine Heidelibelle Sympetrum vulgatum 2 2 5 4 529 Gefleckte Heidelibelle Sympetrum flaveolum 5 4 2 2 330 Blutrote Heidelibelle Sympetrum sanguineum 2 5 6 7 5 5 7 731 Schwarze Heidelibelle Sympetrum danae 3 2 1 232 Gebänderte Heidelibelle Sympetrum pedemontanum 2

Anzahl der Arten 14 12 20 24 24 24 23 25

dargestellt ist jeweils die maximale Abundanz(Abundanzklassen nach SCHMIDT 1964):

Abundanzkl. Anz. d. Imagines1 12 2-33 4-64 7-125 13-256 26-507 >50

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Abb. 4: Eiablage der Weidenjungfer (Lestes viridis): die Libellenart hat von der Entwicklung von

Auengehölzen profitiert; im Untersuchungsgebiet Lake (Oberweser) wurde die Eiablage auch am Bittersüßen Nachtschatten (Solanum dulcamara) nachgewiesen.

Fig. 4: Oviposition of Lestes viridis: this species profited by the development of floodplain wood; at the investigation area „Lake“ (Upper Weser) the oviposition on Solnum dulcamara was also detected.

Von der Gehölzentwicklung in der Flutrinne hat erwartungsgemäß die Weidenjungfer (Lestes viridis)

profitiert. Die Art nutzt die Rinde ufernaher, verholzender Pflanzen zur Eiablage. Vor der Durchführung der Maßnahmen waren infolge der intensiven Grünlandnutzung geeignete Gehölze nicht vorhanden. Seit 1995 besiedelt die Art mit steigender Abundanz das Gebiet, wobei die Eiablage nicht nur in Weiden, sondern auch in anderen verholzenden Pflanzen wie dem Bittersüßen Nachtschatten (Solanum dulcamara) erfolgt (Abb. 4).

Erstmals 1996 wurde die Gemeine Winterlibelle (Sympecma fusca) nachgewiesen, die an der Lake

mehrere Gewässer mit einer reich ausgebildeten Unterwasservegetation besiedelt. Exuvienfunde in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren belegen, daß die Art hier bodenständig ist. Das Fehlen der Art im Jahr 1999 könnte auf das Hochwasser im Herbst 1998 zurückzuführen sein. Eventuell wurden die Larven durch das Hochwasser verdriftet, vielleicht trat die Art daher nur in geringen Abundanzen auf, so daß sie übersehen wurde.

5 Folgerungen aus den Untersuchungen und Beurteilung der Maßnahmen Seit vielen Jahren werden im Rahmen der Eingriffsregelung Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen durchgeführt. In der überwiegenden Zahl der Fälle werden für die wissenschaftliche Beweissicherung Bestandsaufnahmen an Standortfaktoren, Pflanzen und Tieren nur wenige Monate und in ganz seltenen Fällen eine oder zwei Vegetationsperioden vor den Eingriffen vorgenommen. Methodengleiche Untersuchungen als Beitrag zu einer Erfolgskontrolle kommen in noch stärkerem Maße zu kurz. Und wenn sie durchgeführt werden, handelt es sich meist um zeitlich und inhaltlich begrenzte Programme.

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Langzeituntersuchungen unterbleiben weitestgehend, obwohl seitens der Fachwissenschaft solche stets als notwendig erachtet werden.

Ein Teilziel des E+E-Vorhabens „Oberweserniederung“ war es daher, mit systematischen methodengleichen Untersuchungen bereits 2 Jahre vor Durchführung der Maßnahmen zu beginnen und diese dann über Jahre weiterzuführen. Inzwischen überblicken wir einen kontinuierlichen Untersuchungs-zeitraum von 12 Jahren. Bei den Diskussionen um das Für und Wider solch aufwendigen Vorgehens stellte sich mehrfach die Frage, ob sich dieser Aufwand lohnen würde.

Die alljährlich fortlaufend durchgeführte Vegetationskartierung läßt eine keineswegs kontinuierliche

Vegetationsentwicklung erkennen. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn man – eine diskontinuierliche Dokumentation simulierend – einzelne Jahre ausblendet (Abb. 2):

Ohne die Vegetationskarte 1998 wäre beispielsweise das unter 4.1 beschrieben dynamische

„Pulsieren“ der Rohrglanzgras-Bestände in Abhängigkeit vom Wasserhaushalt der Flutrinnen nicht dokumentiert. Nur durch langjährige, regelmäßige Untersuchungen läßt sich diese Standortdynamik, die durch die in der Aue in typischer Weise wechselnden Wasserstände entsteht, erfassen – stichprobenhafte Untersuchungen würden hier zu völlig falschen Schlußfolgerungen führen.

Ohne die Vegetationskartierung 1999 wäre das unter 4.1 beschriebene Vorkommen von Pionierfluren

in der Flutrinne noch 6 Jahre nach Durchführung der Regenerationsmaßnahmen nicht erfaßt worden. Auch dies zeigt, daß langjährige, regelmäßige Untersuchungen notwendig sind, um die durch die Maßnahmen geförderte Dynamik belegen zu können.

Die Erkenntnisse aus den wissenschaftlichen Begleituntersuchungen zu den Regenerationsmaßnahmen

- hier dargestellt am Beispiel der Vegetation und der Libellenfauna - lassen deutlich die Notwendigkeit langfristiger Untersuchungsprogramme erkennen. Nur so kann abgeschätzt werden, ob bestimmte Entwicklungen maßnahmenbedingt und bzw. oder witterungsbedingt sind. Bestimmte, direkt durch die Maßnahmen ausgelöste Entwicklungen treten relativ rasch ein, andere, durch auendynamische Prozesse ausgelöste Entwicklungen ergeben sich jedoch unter Umständen erst nach mehreren Jahren. Darüberhinaus berücksichtigen kurzfristige oder lediglich punktuelle Untersuchungen nicht die zeitliche Dynamik der Lebensgemeinschaften. Viele der beobachteten Prozesse verlaufen nicht gerichtet und erscheinen daher diskontinuierlich. Ergebnisse lediglich aus einzelnen Jahren würden bestimmte Entwicklungen nicht dokumentieren und daher zu falschen Schlußfolgerungen führen.

Die Ergebnisse aus den Untersuchungen in den Regenerationsgebieten belegen, daß durch die

Maßnahmen auentypische Lebensgemeinschaften gefördert und entwickelt werden konnten. Außerdem zeigt sich, daß auentypische Prozesse auch mit einfachen Maßnahmen und mit geringem finanziellen Aufwand reaktiviert werden können. Im Untersuchungsgebiet Lake finden wieder verstärkt dynamische Entwicklungen statt, die insbesondere durch den für Flußauen typischen Wechsel von Trockenfallen und Überflutung ausgelöst werden. Da Wald in der Öffentlichkeit einen hohen ästhetischen Stellenwert besitzt, kann die Akzeptanz für Regenerationsmaßnahmen durch die Entwicklung von Auenwald stark

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erhöht werden. Mit Initialpflanzungen haben wir deshalb die Bildung auentypischer Weidengehölze eingeleitet. Eine spontane Besiedlung durch Gehölze erfolgte bislang nur auf den durch die Maßnahmen geschaffenen Rohbodenstandorten in nennenswertem Umfang, daneben wurden Gehölzansiedlungen infolge von Genistablagerungen beobachtet. Eine natürliche Gehölzbesiedlung erfolgt - allerdings recht langsam - auch ohne Pflanzung, hier ist aber entsprechende Geduld erforderlich.

6 Ausblick Wir konnten Maßnahmen zur Reaktivierung auendynamischer Vorgänge lediglich kleinflächig (auf insgesamt 62 ha) durchführen. Der überwiegende Teil der Oberweseraue wird von den Auswirkungen dieser Maßnahmen kaum oder gar nicht beeinflußt. Zukünftig müssen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Flußlandschaft das Hauptgerinne mit einbeziehen. Insbesondere an der Oberweser, die nurmehr eine geringe Bedeutung für die Schiffahrt besitzt, könnten aufwendige, der Flußdynamik entgegenwirkende Maßnahmen zukünftig extensiviert werden oder gänzlich unterbleiben. Flachgängigere Schiffstypen machen aufwendige Fahrrinnenvertiefungen überflüssig, die gleichzeitig die z.B. für viele Fischarten wichtigen Sand- und Kiesbänke zerstören. Selbst Totholz könnte wieder im Fluß verbleiben und würde nicht nur die Strukturvielfalt sondern auch den Erlebniswert der Flußlandschaft für die Menschen erhöhen.

Durch Absenkungen der Uferwälle im Ein- und Ausströmungsbereich kann eine bessere Anbindung von Flutrinnen an den Hauptstrom erreicht werden. Hierdurch können verstärkt auch morphodynamisch wirksame Prozesse ausgelöst werden. Im Gebiet „Lake“ wurde eine solche Absenkung nicht vorgenommen, in einigen anderen Regenerationsgebieten des E+E-Vorhabens „Oberweserniederung“ wurden jedoch entsprechende Maßnahmen mit Erfolg durchgeführt. Dennoch stößt die direkte Anbindung von Flutrinnen an den Hauptstrom im Bereich von Bundeswasserstraßen leider immer noch auf Bedenken seitens der Unterhaltungsbehörden. Hier muß zukünftig verstärkt Überzeugungsarbeit geleistet werden.

Die Regenerationsgebiete haben ferner eine große Bedeutung für den Hochwasserschutz (vgl.

ROBINSON 2000). Im Gebiet Lake bietet sich nach Stillegung und Rückbau des unmittelbar benachbarten Kernkraftwerks Würgassen dem Land NRW kostengünstig die Möglichkeit, weiteren Hochwasser-rückhalteraum zu schaffen und gleichzeitig Flächen in ein Auenregenerationskonzept einzubringen.

Die im E+E-Vorhaben „Oberweserniederung“ berücksichtigten Flächen waren mit max. 30 ha zu

klein, um eine auenverträgliche Beweidung in das Erprobungs- und Entwicklungskonzept des Vorhabens mit einzubeziehen. Bei einer schrittweisen Erweiterung der Gebiete sollten zukünftig Teilflächen für eine extensive Beweidung genutzt werden. Die Beweidung durch robuste Weidetiere wie z.B. Heckrinder oder Koniks hat sich - bei geeigneter Beweidungsdichte - unter verschiedenen Gesichtspunkten bereits bewährt und wird in anderen Gebieten erfolgreich praktiziert (BUNZEL-DRÜKE et al. 1994, MEISSNER et al. 1998, GERKEN & GÖRNER 1999).

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7 Abstract This paper is based on a project whose objective was the Regeneration of conditions and biotopes typical for natural floodplains of the upper Weser landscape. The project’s main aim was to encourage and initiate measures to restore the dynamic conditions associated with high and low flows in a floodplain. Investigations of the physical environment and the vegetation are used to illustrate the effects of the regeneration measures on the project areas and their living communities. The degree of success in restoring the desired floodplain dynamics are explored with the help of results from the vegetation and fauna investigations. It is demonstrated that both the regeneration measures and weather conditions influence certain developments in the area. Hence long term investigations are necessary to establish the actual driving force of the developments which have taken place. 8 Zusammenfassung Im E+E-Vorhaben „Regeneration landschaftstypischer Auenstandorte in der Oberweserniederung“ wurden Auen-Regenerationsmaßnahmen durchgeführt mit dem Ziel, die ursprüngliche Hoch- und Niedrigwasserdynamik wiederzubeleben und zu fördern. Standortkundliche und biozönologische Begleituntersuchungen dokumentieren die Wirkungen der Maßnahmen au f die Regenerationsgebiete und ihre Lebensgemeinschaften. Der vorliegende Beitrag erörtert am Beispiel einiger vegetationskundlicher und faunistischer Ergebnisse, ob und in welchem Maße die Förderung der ursprünglichen Auendynamik erreicht werden konnte. Dabei wird deutlich, daß es zu Überlagerungen von maßnahmen- und witterungsbedingten Ursachen für bestimmte Entwicklungen kommt. Dies konnte nur durch langjährige Untersuchungen festgestellt werden. 9 Literatur

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LEUSHACKE-SCHNEIDER Projektgruppe Weserniederung Universität-Paderborn, Fachhochschulabteilung Höxter An der Wilhelmshöhe 44 37671 Höxter E-mail: [email protected]