Baumberger_Die Grenzen des Legalitätsprinzips im Steuerrecht_AJP 2012_903 ff

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903 Die Grenzen des Legalitätsprinzips im Steuerrecht AJP/PJA 7/2012 Verwaltungsrecht, 6. A., Zürich/St. Gallen 2010, Rz. 415; Pierre Moor, Droit administratif, Vol. I: Les fondements généraux, 2. A., Bern 1994, 353 f.; Xavier oberson, Droit fiscal suisse, 3. A., Basel 2007, § 4 Rz. 10; Markus reich, Steuerrecht, 2. A., Zü- rich et al. 2012 (zitiert: reich, Steuerrecht), § 4 Rz. 87; klaus a. vallender/rené Wiederkehr, in: Bernhard Ehrenzeller et al. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. A., Zürich et al. 2008, BV 127 N 4. Siehe auch botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl 1997 I, 1–642, 346. 2 Statt vieler BGE 123 I 1 E. 2b, 4; botschaft (FN 1), 131 f., je m.w.N. te. Um eine steuerrechtliche Analyse vorzubereiten, wird zu Beginn auf das Legalitätsprinzip im öffentlichen Recht im Allgemeinen eingegangen. Im Anschluss werden die Grenzen aufgezeigt, die dem Gesetzmässigkeitsgrundsatz durch die Rechtsanwendungspraxis gesetzt werden. II. Legalitätsprinzip 1. Grundgehalt «Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.» Mit diesen Worten wurde in Art. 5 Abs. 1 BV 1999 das bereits als ungeschriebener Verfassungsgrund- satz 2 anerkannte Legalitätsprinzip ausdrücklich verankert. Nach neuerer Ansicht stehen zwei Anforderungen an die Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Legalitätsprinzip 1. Grundgehalt 2. Steuerrechtliche Konkretisierung III. Grenzen 1. Lückenfüllung a. Traditioneller Lückenbegriff b. Anwendung in der Praxis c. Lücke als planwidrige Unvollständigkeit 2. Auslegung a. Keine Wortlautgrenze b. Wirtschaftliche Betrachtungsweise 3. Steuerumgehung IV. Fazit I. Einleitung Rechtsprechung und Lehre heben regelmässig die beson- dere Bedeutung des Legalitätsprinzips im Steuerrecht her- vor 1 . Dieser Beitrag widmet sich dessen heutiger Tragwei- La jurisprudence et la doctrine considèrent unanimement que le prin- cipe de la légalité revêt une importance particulière en droit fiscal. La question centrale est celle de l’existence d’une base légale suffisante pour la perception d’un impôt. La portée du principe de la légalité dé- pend dans ce cadre essentiellement de la manière d’appliquer les lois fiscales applicables. Le présent article commence par esquisser le prin- cipe de la légalité consacré à l’art. 127 al. 1 Cst. Il analyse ensuite la pratique actuelle relative au comblement de lacunes, à l’interprétation (en mettant l’accent sur l’aspect économique) et à l’évasion fiscale. Le but est de déterminer si le traitement du principe de la légalité en droit fiscal est vraiment si particulier et dans quelle mesure son application stricte est limitée par la pratique jurisprudentielle. Rechsprechung und Lehre sind sich einig, dass das Legalitätsprinzip im Steuerrecht von besonderer Bedeutung ist. Im Zentrum steht die Frage nach einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage zur Erhebung einer Steuer. Die Tragweite des Legalitätsprinzips hängt dabei ent- scheidend von der Art und Weise der konkreten Rechtsfindung anhand der massgebenden Steuergesetze ab. Der vorliegende Beitrag umreisst zunächst das in Art. 127 Abs. 1 BV positivierte steuerrechtsspezifische Legalitätsprinzip. Im Anschluss erfolgt eine Analyse der aktuellen Pra- xis im Bereich der Lückenfüllung, der Auslegung – unter besonderer Beachtung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise – und der Steuer- umgehung. Dadurch soll aufgezeigt werden, ob die Handhabung des Legalitätsprinzips im Steuerrecht tatsächlich so besonders ist und in- wiefern dessen strengen Geltung durch die Rechtsfindungspraxis Gren- zen gesetzt sind. SILVANO BAUMBERGER Die Grenzen des Legalitätsprinzips im Steuerrecht silvano bauMberger, MLaw, Universität Bern. Der vorliegende Aufsatz ist aus den Recherchen hervorgegangen, die der Autor im Rahmen des Berner Kommentars zu Art. 1 ZGB am Lehrstuhl von Frau Prof. Susan Emmenegger an der Universität Bern unternehmen konnte. Frau Prof. Emmenegger gilt sein herz- lichster Dank für die Ermutigung zum Verfassen einer Publikation, ihre Anregungen, die interessanten Diskussionen sowie ihre kriti- sche Durchsicht des Manuskripts. 1 Siehe etwa BGE 135 I 130 E. 7.2, 140; BGE 131 II 562 E. 3.1, 565; ulrich häfelin/georg Müller/feliX uhlMann, Allgemeines

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Die Grenzen des Lega l i tä tspr inz ips im Steuerrecht

AJP/PJA 7/2012

Verwaltungsrecht,6.A.,Zürich/St.Gallen2010,Rz.415;Pierre Moor,Droitadministratif,Vol.I:Lesfondementsgénéraux,2.A.,Bern 1994, 353 f.;Xavier oberson, Droit fiscal suisse, 3.A.,Basel2007,§4Rz.10;Markus reich,Steuerrecht,2.A.,Zü-richet al. 2012 (zitiert:reich,Steuerrecht), §4Rz.87;klaus a. vallender/rené Wiederkehr, in:BernhardEhrenzeller etal. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar,2.A.,Zürichetal.2008,BV127N4.SieheauchbotschaftübereineneueBundesverfassungvom20.November1996,BBl1997I,1–642,346.

2 StattvielerBGE123I1E.2b,4;botschaft (FN1),131f., jem.w.N.

te.UmeinesteuerrechtlicheAnalysevorzubereiten,wirdzuBeginnaufdasLegalitätsprinzipimöffentlichenRechtimAllgemeineneingegangen. ImAnschlusswerdendieGrenzenaufgezeigt,diedemGesetzmässigkeitsgrundsatzdurchdieRechtsanwendungspraxisgesetztwerden.

II. Legalitätsprinzip

1. Grundgehalt

«Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist dasRecht.»Mit diesenWortenwurde inArt. 5Abs. 1BV1999dasbereits alsungeschriebenerVerfassungsgrund-satz2anerkannteLegalitätsprinzipausdrücklichverankert.NachneuererAnsichtstehenzweiAnforderungenandie

Inhaltsübersicht

I. EinleitungII. Legalitätsprinzip

1. Grundgehalt2. Steuerrechtliche Konkretisierung

III. Grenzen1. Lückenfüllung

a. Traditioneller Lückenbegriffb. Anwendung in der Praxisc. Lücke als planwidrige Unvollständigkeit

2. Auslegunga. Keine Wortlautgrenzeb. Wirtschaftliche Betrachtungsweise

3. SteuerumgehungIV. Fazit

I. Einleitung

RechtsprechungundLehrehebenregelmässigdiebeson-dereBedeutungdesLegalitätsprinzipsimSteuerrechther-vor1.DieserBeitragwidmetsichdessenheutigerTragwei-

La jurisprudence et la doctrine considèrent unanimement que le prin-cipe de la légalité revêt une importance particulière en droit fiscal. La question centrale est celle de l’existence d’une base légale suffisante pour la perception d’un impôt. La portée du principe de la légalité dé-pend dans ce cadre essentiellement de la manière d’appliquer les lois fiscales applicables. Le présent article commence par esquisser le prin-cipe de la légalité consacré à l’art. 127 al. 1 Cst. Il analyse ensuite la pratique actuelle relative au comblement de lacunes, à l’interprétation (en mettant l’accent sur l’aspect économique) et à l’évasion fiscale. Le but est de déterminer si le traitement du principe de la légalité en droit fiscal est vraiment si particulier et dans quelle mesure son application stricte est limitée par la pratique jurisprudentielle.

Rechsprechung und Lehre sind sich einig, dass das Legalitätsprinzip im Steuerrecht von besonderer Bedeutung ist. Im Zentrum steht die Frage nach einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage zur Erhebung einer Steuer. Die Tragweite des Legalitätsprinzips hängt dabei ent-scheidend von der Art und Weise der konkreten Rechtsfindung anhand der massgebenden Steuergesetze ab. Der vorliegende Beitrag umreisst zunächst das in Art. 127 Abs. 1 BV positivierte steuerrechtsspezifische Legalitätsprinzip. Im Anschluss erfolgt eine Analyse der aktuellen Pra-xis im Bereich der Lückenfüllung, der Auslegung – unter besonderer Beachtung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise – und der Steuer-umgehung. Dadurch soll aufgezeigt werden, ob die Handhabung des Legalitätsprinzips im Steuerrecht tatsächlich so besonders ist und in-wiefern dessen strengen Geltung durch die Rechtsfindungspraxis Gren-zen gesetzt sind.

Silvano BaumBerger

DieGrenzendesLegalitätsprinzipsimSteuerrecht

silvano bauMberger,MLaw,UniversitätBern. DervorliegendeAufsatzistausdenRecherchenhervorgegangen,

diederAutorimRahmendesBernerKommentarszuArt.1ZGBamLehrstuhlvonFrauProf.SusanEmmeneggeranderUniversitätBernunternehmenkonnte.FrauProf.Emmeneggergiltseinherz-lichsterDankfürdieErmutigungzumVerfasseneinerPublikation,ihreAnregungen,dieinteressantenDiskussionensowieihrekriti-scheDurchsichtdesManuskripts.

1 SieheetwaBGE135I130E.7.2,140;BGE131II562E.3.1,565;ulrich häfelin/georg Müller/feliX uhlMann,Allgemeines

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11 BGE135I130E.7.2,140;BGE131II565E.3.1,565;BGE130I1E.3.1,5;BGE123I1E.2b,4.

12 ernst höhn, Legalitätsprinzip und modernes Auslegungsver-ständnis,in:UlrichHäfelinetal.(Hrsg.),Festschriftzum70.Ge-burtstagvonHansNef,Zürich1981,157–166,160;tschannen/ZiMMerli/Müller(FN4),§19Rz.22.

13 Vgl.auchArt.164Abs.1lit.dBV.14 botschaft(FN1),345;BGE131II562E.3.1,565;reich,Steu-

errecht(FN 1),§4Rz.87.FürRechtsprechungundLehrevorderGeltungderBV1999:BGE126I180E.2a/aa,182;BGE123I248E.2,249;BGE120Ia265E.2a,266;ernst höhn/robert Waldburger, Steuerrecht,Band I, 8.A.,Bern et al. 1997, § 4Rz.104ff.und§5Rz.13.

15 BGE136I142E.3.1,145;BGE132I117E.4.1,120;BGE128I317E.2.2.1,320f.DasgaltschonvorderBV1999,damalsge-stütztaufArt.4BV1874:BGE126I180E.2a/aa,182;BGE123I248E.2,249;BGE120Ia265E.2a,266.

16 ernst höhn/robert Waldburger,Steuerrecht,BandI,9.A.,Bernetal.2001,§4Rz.118.

17 Vgl.auchBGE136I142E.3.1,145;BGE135I130E.7.2,140;reich,Steuerrecht(FN1),§4Rz.88.

3 häfelin/Müller/uhlMann(FN1),Rz.380;reich(FN1),§4Rz.86.SiehezudenAnforderungenauchBGE130I1E.3.1,5.FrüherstandenVorrangundVorbehaltdesGesetzesimZentrum,siehestattvielerlukas WidMer,DasLegalitätsprinzipimAbga-berecht,Diss.Zürich1988,10f.

4 häfelin/Müller/uhlMann (FN 1), Rz. 381; reich, Steuer-recht(FN1)§4Rz.86.Pierre tschannen/ulrich ZiMMerli/ Markus Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. A., Bern2009,§19Rz.8,14ff.klammerndiegenügendeNormendichtealseigenenAspektausdemErfordernisdesRechtssatzesaus.

5 BGer1P.827/2006vom25.September2006,E.3.2;BGE125I361E.4a,364;BGE124I203E.2a,205.

6 Yvo hangartner in: Bernhard Ehrenzeller et al. (Hrsg.), DieschweizerischeBundesverfassung,Kommentar,2.A.,Zürichetal.2008,BV5N11.Vgl.auchBGE130I360E.14.2,362,wonachesfüreinenschwerenEingriffindieEigentumsgarantieeinerklarenundeindeutigengesetzlichenGrundlagebedarf.

7 ernst bluMenstein/Peter locher, System des schweizeri-schen Steuerrechts, 6. A., Zürich 2002, 14; häfelin/Müller/uhlMann(FN1),Rz.383.

8 bluMenstein/locher (FN7),14;häfelin/Müller/uhlMann(FN1),Rz.394;vgl.auchArt.164Abs.1BV.

9 BGE132I157E.2.2,159;BGE126I180E.2a/aa,182;bluMen­stein/locher(FN7),14;hangartner(FN6),BV5N15.Sie-hezumBegriffdesformellenGesetzesadrian hungerbühler,Grundsätze des Kausalabgabenrechts, ZBl 104/2003, 505–531,514f.

10 häfelin/Müller/uhlMann (FN1),Rz.396 ff.;georg Mül­ler,ElementeeinerRechtssetzungslehre,2.A.,Zürichetal.2006,§9Rz.211;tschannen/ZiMMerli/Müller(FN4),§19Rz.4ff.

DerGrundsatzderGesetzmässigkeitgiltimgesamtenVerwaltungsrecht11.DieAnforderungenvariierenaberjenachRechtsbereich.DeshalbkönnensienurbeschränktingenerellerWeiseumschriebenwerdenundderGehaltdesLegalitätsprinzipsmussrechtsbereichsabhängigkon-kretisiertwerden12.

2. SteuerrechtlicheKonkretisierung

ImSteuerrechthatdasLegalitätsprinzipeinespezifischeverfassungsrechtlicheAusgestaltung inArt. 127Abs. 1BV1999 erfahren13.DieBestimmung führt imWesent-lichendieRechtsprechungdesBundesgerichtsunterderaltenBundesverfassungnach14.ImGegensatzzumallge-meinenLegalitätsprinzipkommtdemGesetzmässigkeits-grundsatz im Steuerrecht der Rang eines selbständigenverfassungsmässigen Rechts zu, dessen Verletzung un-mittelbargestütztaufArt.127Abs.1BVgeltendgemachtwerdenkann15.

Die Bestimmung lautet: «Die Ausgestaltung derSteuern,namentlichderKreisderSteuerpflichtigen,derGegenstandderSteuerundderenBemessung,istindenGrundzügen im Gesetz selbst zu regeln.» Daraus folgtzumeinen,dassneueSteuernnuraufgrundeinesformel-lenGesetzes eingeführtwerdenkönnen16.Daneben ent-hältArt.127Abs.1BVeinePräzisierung,wasalswich-tige BestimmungimformellenGesetzzuregelnist.Dazugehören gemässWortlaut namentlich dasSteuersubjekt,dasSteuerobjektunddieSteuerbemessungsgrundlagen17.AlsSteuermassbezeichnetmandievorgeschriebeneArt

gesetzliche Grundlage imVordergrund: das ErfordernisdesRechtsatzesunddasErfordernisderGesetzesform3.

DasErfordernis des Rechtsatzes setzt eine generell-abstrakte Rechtsnorm mit genügender Bestimmtheitvoraus4. Der Bürger muss sein Verhalten nach der ge-setzlichenGrundlage richtenund«dieFolgen einesbe-stimmtenVerhaltensmiteinemdenUmständenentspre-chendenGradanGewissheit»erkennenkönnen5.UmsostärkersichstaatlichesHandelnaufdieRechtsspähredesEinzelnenauswirkt,destohöherenAnforderungenmussdieNormendichtegenügen6.DasErfordernisdesRechts-satzesdientsomitvorabderVerwirklichungvonRechts-sicherheitundRechtsgleichheit7.

NachdemErfordernis der GesetzesformmüssenallewichtigenrechtsetzendenBestimmungenimGesetzselbstenthaltensein,umdemBedürfnisdemokratischerLegi-timation zu genügen8. Erforderlich ist ein sogenanntesformellesGesetz,dasimverfassungsmässigenGesetzge-bungsverfahrenzustandegekommenist9.ZurBeurteilungderWichtigkeitgibteskeinestarrenRegeln,grundsätz-lichgehörtallesWesentlicheundGrundlegendeinsGe-setzselbst.DarunterfallenvorabNormenmiterhöhtemLegitimationsbedarf,etwawenneingrosserAdressaten-kreiserfasstwirdodererheblichefinanzielleFolgen fürdieBetroffenenresultieren10.

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27 reich,Steuerrecht(FN1),§6Rz.1;vgl.auchhöhn/Waldbur­ger(FN16),§5Rz.10.

28 Für die ältere Lehre:Walther burckhardt, Die Lücken desGesetzes und dieGesetzesauslegung, Bern 1925, 18 f.; Zacca­ria giacoMetti, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Ver-waltungsrechts, Zürich 1960, 209 f. Siehe hierzu auch silvan hutter,DieGesetzeslücke imVerwaltungsrecht,Diss.Freiburg1989, 193 f. Für die ältere Steuerrechtslehre: ernst bluMen­stein, DieAuslegung der Steuergesetze in der schweizerischenRechtsprechung,ASA8,161–195,225–245,273–291,168f.FürdieheutigeVerwaltungsrechtslehre:häfelin/Müller/uhlMann(FN1),Rz.233ff.;tschannen/ZiMMerli/Müller(FN4),§25Rz.7ff.

29 ernst höhn,Gesetzesauslegung,Rechtsfortbildungundrichter-licheGesetzesergänzungimSteuerrecht,ASA51,385–406(zitiert:höhn,ASA51),388;höhn/Waldburger(FN16),§5Rz.18;rené Matteotti,SteuergerechtigkeitundRechtsfortbildung,Ha-bil. Bern 2007 (zitiert:Matteotti, Steuergerechtigkeit), 102 f.;oberson (FN1),§4Rz.11.Vgl. auchdieDarstellungder tra-ditionellenLehrebeiPeter locher,GrenzenderRechtsfindungimSteuerrecht,Habil.Bern1983(zitiert:locher,Rechtsfindung),85f.undklaus a. vallender,DieAuslegungdesSteuerrechtsunterbesondererBerücksichtigungderAktienübertragungaufHol-dinggesellschaften,2.A.,Bern1988,60.DieLetztgenanntenwei-cheninderFolgezumTeilvonderherkömmlichenAuffassungab(locher,Rechtsfindung,135f.;vallender,139ff.).

30 ulrich häfelin, Zur Lückenfüllung im öffentlichenRecht, in:UlrichHäfelinetal. (Hrsg.),Festschrift zum70.GeburtstagvonHansNef,Zürich1981,91–124,93;Matteotti,Steuergerechtig-keit(FN29),103.

18 bluMenstein/locher (FN 7), 289. Bei den vorherrschendenBemessungssteuernwirdzur rechnerischenFeststellungder (ein-fachen)SteuerderimGesetzumschriebeneSteuersatzbzw.-tarifinBeziehungzurBemessungsgrundlagegesetzt.SiehezumGan-zenbluMenstein/locher (FN7),289ff.,insb.289f.und294;höhn/Waldburger(FN16),§12Rz.1ff.;reich,Steuerrecht(FN1),§5Rz.57ff.

19 bluMenstein/locher (FN 7), 289, 294; höhn/ Waldburger (FN 16), § 4 Rz. 119;reich, Steuerrecht (FN 1), § 4 Rz. 88;tschannen/ZiMMerli/Müller (FN4),§59Rz.5;vallender/Wiederkehr (FN1),BV127N7;botschaft (FN1),346; indieseRichtungauchBGE100Ia60E.2aund2b,66f.

20 BGE 135 I 130 E. 7.2, 140;höhn/Waldburger (FN 16), § 4Rz.119;reich,Steuerrecht(FN 1),§4Rz.88.

21 Dieses ist im allgemeinen Legalitätsprinzip (Art. 5Abs. 1 BV)enthalten (BGer 1P.586/2004 vom 28. Juni 2005, E. 4.5;rené Matteotti, Wirtschaftliche Betrachtungsweise und Steuerge-rechtigkeit, ZSR 129/2010 I, 217–245 [zitiert:Matteotti, ZSR129/2010I],227).ZumTeilwirdesauchausdemGrundsatzvonTreuundGlauben (Art.5Abs.3BV)abgeleitet (reich,Steuer-recht[FN1],§4Rz.104m.w.N.).

22 BGE136II149E.5.1,157;BGE136I142E.3.1,144f.;BGE131II735E.3.2,739m.w.N.

23 Matteotti,ZSR129/2010I(FN21),227.24 BGE121I230E.3g/aa,238;BGE115Ib238E.5b,244;Matte­

otti,ZSR129/2010I(FN21),228;vgl.auchbotschaft (FN1),346.SiehefüreinBeispielmangelhafterBestimmtheitderBemes-sungsgrundlagenunddesSteuermassesBGE129I346E.5.3,357.

25 DerBegriffstammtvonreich,Steuerrecht(FN1),§4Rz.89.26 BGE131II271E.6.1,278;BGE123I1E.4b,5;reich,Steuer-

recht(FN1),§4Rz.105.

formuliert,dasiewirtschaftlicheVorgängeerfassenmüs-sen, die sich durchKomplexität und eineVielzahl vonGestaltungsmöglichkeiten auszeichnen27. Die TragweitedesLegalitätsprinzipshängt letztlichvonderkonkretenHandhabungderSteuergesetzedurchdieVeranlagungs-behördenundGerichteab.

ImFolgendenwerden einigeAspekte derRechtsfin-dungimSteuerrechtdurchdasBundesgerichtbetrachtet.Dabei wird zuerst die Praxis zur Lückenfüllung darge-stellt,bevoraufdieAuslegungunddieSteuerumgeheungeingegangenwird.

1. Lückenfüllung

Das früher im materiellen Verwaltungsrecht vertreteneDogma der Lückenlosigkeit ist seit längerer Zeit über-wunden28.DiesteuerrechtlicheLehrefolgtheuteüberwie-gendder traditionellenUnterscheidungzwischenechtenundunechtenLücken29.

a. TraditionellerLückenbegriff

Eineechte Lückeliegtvor,wenneinesichunvermeidlichstellende Frage vomGesetz nicht beantwortetwird. Eshandeltsichumeinen«logischenMangel»30,ohnedessen

undWeisederFestsetzungdesSteuerbetrags18.UnstrittiggehörtdiesesebenfallszudenimGesetzfestzuhaltendenGrundsätzen19.

DieseElementemüssenmithinreichenderBestimmt-heitumschriebenwerden20.DasGebotderRechtssicher-heit21 verlangt, «dass den rechtsanwendendenBehördenkeinübermässigerSpielraumverbleibtunddiemöglichenAbgabepflichten voraussehbar und rechtsgleich sind»22.DamitderVoraussehbarkeitundBerechenbarkeit (soge-nanntesKalkulabilitätsgebot23)Genügegetanwird,mussdie zu erwartende ungefähre Höhe der Steuer aus demGesetzersichtlichsein24.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dassdiese umrissenen «Grundpfeiler»25 einer Steuer denSchutzbereichvonArt.127Abs.1BVbilden.

III. Grenzen

DasGebotderBestimmtheitgiltnichtabsolut.DerGe-setzgeber ist gezwungen, mehr oder weniger vage Be-griffe zu verwenden, die durch den Rechtsanwenderausgelegt werden müssen26. Gerade Steuernormen sindregelmässig offen und auf hohem Abstraktionsniveau

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40 eMMenegger/tschentscher (FN38),ZGB1N123.SiehezurAusnahmederSteuerumgehunghintenIII.3.

41 StattvielerBGE136I142E.3.1,145;BGE135I130E.7.2,140;reich, Steuerrecht (FN 1), § 4 Rz. 88;bluMenstein/locher(FN7),14.

42 BGE131II562E.3.4,567.43 BGE95I504E.2a,510:«Silaloi,dûmentinterprétée,nefournit

pasaufiscunebasesuffisante,lecontribuableéchappeàl’impôt,quandbienmêmeilprofiteraitd’unpuroubli.»;höhn/Waldbur­ger(FN16),§5Rz.14;a.A.oberson(FN1),§4Rz.11.

44 höhn/Waldburger (FN 16), § 5 Rz. 18;Matteotti, Steuer-gerechtigkeit (FN 29), 103; vgl. auch locher, Rechtsfindung(FN29),86.BeispielefürLückenimformellenRechtfindensichetwainBGE124I247E.5,250f.(fehlendeVerjährungsfristdesAnspruchs auf Rückerstattung der Quellensteuer); BGer vom3.Februar1982,E.2b/cc,in:ASA53,160–164,164(fehlendeVer-jährungsfristfürSteuerforderungen).

45 eMMenegger/tschentscher (FN38),ZGB1N124.Siehene-bendemfolgendenBeispielauchBGervom20.November1974,E.2b, in:ASA44,595–599,598:DasBundesgericht liessunterWillkürgesichtspunkten die kantonale Besteuerung von «dauern-den, aber unwesentlichen» Belastungen zu, obwohl das Gesetznur dauernde wesentliche und zeitlich beschränkte Belastungenalssteuerbarerklärte.Kritischhierzu:Walter rYser,Dixleçonsintroductivesaudroitfiscal,Impôtsdirect,2.A.,Bern1980,74.

46 BGE131II562E.3.6,568f.undE.3.8,570.47 BGE131II562E.3.7,569.InsbesonderewerdedadurchdasGe-

botderGleichbehandlungderSteuerpflichtigenunddieBesteue-rungnachderwirtschaftlichenLeistungsfähigkeit(Art.127Abs.2BV)garantiert(a.a.O.).

48 SiehedieNachweiseinFN19.

31 heinZ hausheer/Manuel Jaun, Die Einleitungsartikel desZGB,Bern2003,ZGB1N220;ernst höhn,PraktischeMetho-dikderGesetzesauslegung,Zürich1993(zitiert:höhn,Methodik),320;hans Michael rieMer,DieEinleitungsartikeldesSchwei-zerischenZivilgesetzbuches(Art.1–10ZGB),2.A.,Bern2003,§4Rz.103;tschannen/ZiMMerli/Müller(FN4),§25Rz.8.

32 Stattvielerhäfelin (FN30),92;Moor (FN 1),154.SiehefürBeispieleausderRechtsprechung:BGE115II97E.2,97ff.,insb.E.2b,99f. (Übergangsbestimmung);BGE114Ib261E.4,267(Zuständigkeit);BGE107II375E.2d,379(Kompetenzkonflikt).

33 Statt vieler BGE 131 II 562 E. 3.5, 568 m.w.N.; tschannen/ ZiMMerli/Müller(FN4),§25Rz.10.

34 höhn,Methodik (FN 31), 323;rieMer (FN 31), § 4 Rz. 106;tschannen/ZiMMerli/Müller(FN4),§25Rz.10.

35 StattvielerBGE131II562E.3.5,568m.w.N.;rieMer(FN31),§4Rz.110.

36 ulrich häfelin/Walter haller/helen keller,Schweizeri-schesBundesstaatsrecht,7.A.,Zürichetal.2008,Rz.140.

37 giovanni biaggini, Verfassung und Richterrecht, Diss. Basel1991,75;häfelin(FN30),93;hutter(FN28),63.

38 Siehe nunmehrsusan eMMenegger/aXel tschentscher, in:Heinz Hausheer/Hans PeterWalter (Hrsg.), Berner Kommentar,BandI:EinleitungundPersonenrecht,1.Abt:Einleitung,Art.1–9ZGB,Bern2012,ZGB1N344ff.,insb.N358ff.Sieheauchhin-tenIII.1.c.

39 BGer2A.372/2006vom21.Januar2008,E.4.1;BGE131II562E.3.5,567f.

ZweitensverbietetdasLegalitätsprinzipdieLücken-füllungimSchutzbereichvonArt.127Abs.1BV40.DerKreisderAbgabepflichtigen,derGegenstandunddieBe-messungsgrundlagenderSteuermüssenineinemformel-lenGesetzenthaltensein41.BestehtindieserHinsichtkei-negenügendeGrundlage,darfeineSteuernichterhobenwerden42.Diesgiltauch,wenndiefehlendeBesteuerungauf einemVersehen oderVersäumnis des Gesetzgebersberuht43.Mit anderenWorten besteht im SchutzbereichvonArt.127Abs.1BVeinLückenfüllungsverbot.

NachdieserRechtsprechungsindausfüllbareLückeninersterLinieimformellenSteuerrechtdenkbar,imma-teriellensindsiehingegenunwahrscheinlich44.ImEinzel-fallfülltedasBundesgerichthingegenderSachenachLü-ckenimgeschütztenBereich45.SoerkanntendieRichtereineechteLückeinderRegelungderzeitlichenBemes-sung, welche dieAnnualisierung des BruttospielertragseinesCasinoszurBestimmungdesSteuersatzesbeiun-terjährigerSteuerpflichtnichtvorsah46.InderFolgewen-detensiedieAufrechnungals«principegénéralementad-mis»47auchohnegesetzlicheGrundlagean,obwohlnachherrschenderLehreauchdasSteuermassindenSchutzbe-reichdesLegalitätsprinzipfällt48unddieAnnualisierung

BehebungdasGesetznichtanwendbarist31.DieüblichenBeispiele bilden das Fehlen einerVerfahrens- oder Zu-ständigkeitsregelung32.Beieinerunechten LückeenthältdasGesetzhingegeneineAntwort,dieseistimkonkretenFallaberunbefriedigend33.Deshalbwirdauchvoneiner«rechtspolitischenLücke»gesprochen34.

EchteLückensindvomRichterzufüllen,dieBehe-bungvonunechtenistihmgrundsätzlichverwehrt35.DasVerbot,unechteLückenzufüllen,folgtausdemGesetz-mässigkeitsprinzip, denn Normkorrekturen sind demGesetzgeber vorbehalten36. Die Unterscheidung dientdamitderAbgrenzungzulässigergegenüberunzulässigerRechtsfortbildung durch Lückenfüllung37. Dieser her-kömmlicheBegriff der Lücke befindet sich seit einigerZeitimWandel38.

b. AnwendunginderPraxis

AuchimSteuerrechtanerkenntdasBundesgerichtdieLü-ckenhaftigkeitdergesetzlichenOrdnung.DerenFüllunglässtesunterzweiVoraussetzungenzu:

Erstens folgt es ebenfalls der Differenzierung zwi-schenechtenundunechtenLücken,wobeinurechteLü-cken zur richterlichenGesetzesergänzung berechtigen39.InsoweitunterscheidetsichdieRechtsprechungnichtvonanderenRechtsgebieten.

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Die Grenzen des Lega l i tä tspr inz ips im Steuerrecht

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100; häfelin/Müller/uhlMann (FN 1), Rz. 243; heinrich honsell,in:HeinrichHonselletal.(Hrsg.),BaslerKommentar,ZivilgesetzbuchI,Art.1–456ZGB,4.A.,Basel2010,ZGB1N30;hutter(FN28),88f.;ernst kraMer,JuristischeMethodenleh-re,3.A.,Bern2010,185f.;arthur Meier­haYoZ,Schlusswort,in: Peter Forstmoser et al. (Hrsg.),Rechtsanwendung inTheorieundPraxis,BeiheftzurZSR,Heft15,Basel1993,89–94(zitiert:Meier­haYoZ,Schlusswort),91.

56 häfelin(FN30),97,99;sieheauchhutter(FN28),60ff.,insb.64.

57 Siehe für eine Übersicht der verschiedenen Bedeutungsinhalte:kraMer (FN 55), 185 f.;Meier­haYoZ, Schlusswort (FN 55),91f.

58 BGE128I34E.3b,42.59 Der Begriff geht auf die deutsche Methodenlehre zurück. Er

stammtvonhans elZe,LückenimGesetz,BegriffundAusfül-lung,München/Leipzig1916,3ff.,insb.6,12.Sieheauchclaus­WilhelM canaris,DieFeststellungvonLückenimGesetz,2.A.,Berlin1983,16,39;karl larenZ,MethodenlehrederRechtswis-senschaft,6.A.,Berlinetal.1991,373.

60 Für die Methodenlehre:eMMenegger/tschentscher (FN 38),ZGB1N344;forstMoser/vogt (FN55),§15Rz.39;hon­sell(FN55),ZGB1N30;kraMer(FN55),181.a.M.rieMer(FN31),§4Rz.112,welcherallerdingsdiestrengeUnterschei-dung zwischen echten und unechten Lücken aufweicht und sichteilweise der planwidrigen Unvollständigkeit annähert (ders.,§ 4Rz. 114). Für dasVerwaltungsrecht:häfelin (FN30), 113;häfelin/haller/keller (FN36),Rz.141;häfelin/Müller/uhlMann (FN 1), Rz. 243; tschannen/ZiMMerli/Müller(FN4),§25Rz.11;a.M.Moor(FN1),156.

61 Mit besonderer Deutlichkeit vorab das Bundesverwaltungsge-richt: BVGer B-5272/2009 vom 30. November 2011, E.1.3.3;BVGerB-3988/2010vom31.Mai2011,E.3.2;BVGE2010/63E.4.2.3,896f.;BVGE2010/46E.3.4.1,652;BVGerA-1571/2006vom21.Januar2010,E.1.3;BVGE2009/61E.6.3,857;BVGerA-7391/2008vom19.Oktober2009E.6.3;BVGerC-3164/2006vom 10. Dezember 2008, E. 2.5 f.; BVGer B-2141/2006 vom4.April 2008, E. 8.5.1; BVGer B-7384/2006 vom 2. Juli 2007,

49 I.c. erhöhte sichdermassgeblicheSteuersatzdurchdieAufrech-nung ummehr als 10%,was zu einer effektivenMehrbelastungvonüberzweiMillionenCHFführte.

50 Die Steuerrechtslehre folgt überwiegend der Umschreibung derechtenLückealsfürdieAnwendungdesGesetzesnotwendigerwei-sezufüllendeUnvollständigkeit(siehedieNachweiseinFN29).

51 BGE131 II562E.3.6, 569. Inzwischenwurdeeine ausdrückli-chegesetzlicheGrundlageinArt.87Abs.4derVerordnungüberGlücksspieleundSpielbankenvom24.September2004 (VSBG,SR935.521)geschaffen.

52 BGervom15.Mai1968,E.2,in:ASA37,417–424,421.53 BGer2A.372/2006vom21.Januar2008,E.4.1;vgl.auchBGE

131II562E.3.5,567f.:«Unelacuneauthentique(oulacunepro-prementdite)supposequelelégislateurs’estabstenuderéglerunpointqu’ilauraitdûrégleretqu’aucunesolutionnesedégagedutexteoudel’interprétationdelaloi.».

54 BGE136II149E.5.1,157.55 Siehe hierzu nunmehr eMMenegger/tschentscher (FN 38),

ZGB1N358ff.Ebensobiaggini (FN37),487;Peter forst­Moser/hans­ueli vogt, Einführung in dasRecht, 4.A.,Bern2008,§15Rz.52f.;fritZ gYgi,VomAnfangundvomEndederRechtsfindung,in:recht1/1983,73–82,79ff.;häfelin(FN30),

Umschreibung der «logischen» echten Lücke –wie imerwähnten steuerrechtlichen Entscheid zur Annualisie-rung – durch den vermehrten Rückgriff auf materielleKriterienanKlarheit56.FürzusätzlicheVerwirrungsorgt,dass die unechte Lücke neben dem rechtspolitischenMangelauchalsBezeichnungfürandereErscheinungengebrauchtwird57. So räumt dasBundesgericht ein, dass«mitdemLückenbegriff in seinerheutigen schillerndenBedeutungsvielfalt» leichtdieGrenzezwischenzulässi-ger Rechtsfindung und unzulässiger Gesetzeskorrekturverwischtwird58.DeshalbwirddieinkohärentebisherigeTerminologie zusehends zugunsten eines einheitlichenBegriffsderausfüllbarenLückeals«planwidrigeUnvoll-ständigkeit»59 aufgegeben.NebenVertreternderMetho-denlehrehat sichdieherrschendeverwaltungsrechtlicheDoktrin dieser Auffassung angeschlossen60. In neuererZeit bekennt sich auchdieRechtsprechung regelmässigzurplanwidrigenUnvollständigkeit61.

zurFestsetzungdesSteuersatzeseinenerheblichenEin-flussaufdieHöhedergeschuldetenSteuerhatte49.

Der Entscheid verträgt sich zudem schlechtmit derherkömmlichenengenDefinitionderechtenLücke50.DiefehlendeAufrechnung beruhte auf einemVersehen desVerordnungsgebers51. Dieses hätte die Anwendung desGesetzesabernichtverhindert,lediglichdiegeschuldeteSteuer wäre tiefer ausgefallen. Nach traditioneller Ter-minologiewurdeinWahrheiteineunechteLückegefüllt.DieseswenigerrestriktiveVerständnisderechtenLückezeigtsichauchanderenimLaufederZeitgewandeltenUmschreibung. Ursprünglich als fehlende Regelung ei-ner sich unvermeidlich stellenden Frage bezeichnet52,verwendetdasBundesgerichtinjüngererZeitdieoffene-reFormulierung,dass«derGesetzgeberetwaszuregelnunterlassenhat,waserhätteregelnsollen»53.Aufhorchenlässtaucheinobiterdictum:«VorbehältlicheinerechtenGesetzeslücke sollen nicht durch eine extensiveAusle-gung bestehender Rechtsgrundlagen neue Steuerpflich-ten,neueSteuerregelnoderSteuertatbeständegeschaffenwerden.»54ImGrundewirdhiermitdieGeltungdesLega-litätsprinzips relativiert, indem implizit dieBegründungneuerSteuerpflichtenbeimVorliegeneinerechtenLückezugelassen wird. Ob dies tatsächlich der Intention desBundesgerichtsentspricht,wirdsichzeigenmüssen.

c. LückealsplanwidrigeUnvollständigkeit

Ausserhalb des Steuerrechts wird die traditionelle Un-terscheidungzwischenechtenundunechtenLückenzu-nehmend kritisiert55. In der Rechtsprechung verlor die

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S i l v a n o B a u m b e r g e r

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KlausTipke/JoachimLang(Hrsg.),Steuerrecht,19.A.,Köln2008,§5Rz.54f.m.w.N.

67 eMMenegger/tschentscher(FN38),ZGB1N122.68 Vgl.häfelin(FN30),S.120.69 reich,Steuerrecht(FN1),§6Rz.12;vgl.auchhöhn/Waldbur­

ger(FN14),§5Rz.49.70 forstMoser/vogt(FN55),§15Rz.22;häfelin(FN30),121;

höhn,Methodik(FN31),312.71 BGE136II149E.5.1,157;BGE 131 ii 562 E. 3.4, 567; Walter

rYser/bernard rolli,Précisdedroitfiscal suisse (impôtsdi-rects),4.A.,Bern2002,70.

72 höhn/Waldburger (FN14), § 5Rz. 20; JoachiM lang,DieAusfüllung von Lücken in Steuergesetzen, in: Francis Cagianut/KlausA.Vallender (Hrsg.), Steuerrecht, Festschrift zum65.Ge-burtstagvonErnstHöhn,Bernetal.1995,159–188(zitiert:lang,

E.3.1,3.7;BVGerB-726/2007vom1.März2007,E.7.1.Zuneh-mendauchdasBundesgericht:BGer9C_83/2009vom14.April2010E.2und3.1;BGE132III470E.5.1,478;BGE131III345E.2.2.2,351;BGE131V233E.4.1,238;BGE129II438E.4.1.2,446;BGE127II91RegesteundE.3a/aa,96;BGE123II69Re-gesteundE.3c,73.SiehefernerBGer9C_98/2009vom30.Juni2009,E.5.1;BGer9C_654/2007vom28.Januar2008,E.2.5.2.6;BGE133V1E.4.3,8;BGer2P.107/2006vom17.Januar2007,E.5.3.

62 eMMenegger/tschentscher(FN38),ZGB1N344mitVerweisaufBGE135IV113E.2.4.2,116.

63 BVGerA-1571/2006vom21.Januar2010,E.1.3;BVGE2009/61E. 6.3, 857; eMMenegger/tschentscher (FN 38), ZGB 1N 346; häfelin/Müller/uhlMann (FN 1), Rz. 243; ähnlichtschannen/ZiMMerli/Müller,(FN4),§25Rz.11.

64 häfelin (FN 30), 113; vgl. aucheMMenegger/tschentscher(FN38),ZGB1N346.

65 IneinemEntscheidzurVerjährungderRegressforderungdesVer-rechnungssteuerpflichtigen(BVGerA-1571/2006vom21.Januar2010)definiertdasBundesverwaltungsgerichteineLückezunächstalsplanwidrigeUnvollständigkeit(E.1.3).IndenweiterenAusfüh-rungenisthingegenwiedervoneinerbestehendenechtenLückedieRede (E.2.6.1 f.).Dies ist insbesondere inkonsequent,daeszurBegründung derLückenhaftigkeit anführt, dass das Fehlen einerabsoluten Verjährungsfrist angesichts des Bedürfnisses nach ra-scherRechtssicherheitundgesellschaftlichemFriedenunbefriedi-gendsei(E.2.6.1)unddamitimWiderspruchzuralthergebrachtenDefinitionderechtenLückeaufmaterielleKriterienzurückgreift.Das Bundesgericht verneinte im Beschwerdeentscheid das Vor-liegeneinerLücke,dadiegesetzlicheRegelung«vollständigundwiderspruchsfrei» erscheine, ohne näher auf den Lückenbegriffeinzugehen(BGer2C_188/2010vom24.Januar2011,E.5.4).

66 höhn,ASA 51 (FN 29), 401 f.;höhn/Waldburger (FN 14),§5Rz.9 (insb.FN4)undRz.14;Peter locher,Rechtsmiss-brauchsüberlegungenimRechtderdirektenSteuernderSchweiz,ASA75, 675–700 (zitiert:locher,ASA75), 684 f.Anders diedeutscheSteuerrechtslehre:SiehestattvielerJoachiM lang, in:

Spielbankenentscheid lässt aber darauf schliessen, dasssich das Bundesgericht auch im Steuerrecht der neuenAuffassungannähert.SowohlinderBegründungalsauchimErgebnis erinnert derEntscheid an eine planwidrigeUnvollständigkeit.Sollte sichdieneueAuffassungend-gültig durchsetzen, dürfte der neueLückenbegriffwohlauchindersteuerrechtlichenRechtsprechungEinzughal-ten67.

AndieserStellekannnichtabschliessendaufeineall-fälligeRezeptionimSteuerrechtundderenImplikationeneingegangenwerden.DasausArt.127Abs.1BVabge-leiteteLückenfüllungsverbotgebietetaberzumindestFol-gendes:Auch eine planwidrige Unvollständigkeit kannnichtbehobenwerden,wenndiesentwederzurSchaffungvonimGesetznichtenthaltenenSteuerpflichtenoderzueinermitdemLegalitätsprinzipnichtzuvereinbarendenAusweitungbestehenderSteuernführenwürde68.ImZu-sammenhangmitderPlanwidrigkeit ist insbesonderezubeachten,dassdervomGesetzgeberentworfenePlanmit-unternichteinersachgerechtenSteuerordnungentspricht.SystemwidrigeBesteuerungslücken dürfen nichtmittelsallgemeinen Gerechtigkeitsüberlegungen gefüllt wer-den69.

2. Auslegung

Der Lückenbereich liegt jenseits der Auslegung70. DieTragweite des Lückenfüllungsverbots hängt folglichmassgeblichdavonab,wodieGrenzederzulässigenAus-legung gesetzt wird.Als Richtschnur verbietet das Ge-setzmässigkeitsprinzipdieSchaffungneuerSteuerpflich-ten,neuerSteuersubstrateoderneuerTatbeständedurchextensiveInterpretationvonSteuernormen71.Dabeiistzubeachten,dassAuslegungimmereinewertendeTätigkeitbeinhaltet, die rein deduktiveAbleitung einer einzigenrichtigenLösungausdemGesetzistnichtmöglich72.

aa. Definition

Eineplanwidrige Unvollständigkeitliegtvor,wenn«dasGesetz nach seiner Auslegung eine Antwort schuldigbleibt,obgleichnachseinemZweckeineAntwortgebo-tenwäre, oderwenn demGesetz eineAusnahme fehlt,obwohlesnachseinemZweckeineAusnahmeenthaltenmüsste.»62Massgebend sind die demGesetz inhärentenWertungen und Zielsetzungen63. Durch die Beurteilungder Lückenhaftigkeit anhand gesetzesimmanenter Zwe-ckekanndieplanwidrigeUnvollständigkeitvomrechts-politischenMangelabgegrenztwerden,beiwelchemdieUnzulänglichkeitdesGesetzesanhandausserhalbdesGe-setzesliegenderKriteriengeltendgemachtwird64.

bb. RezeptionimSteuerrecht

ImSteuerrechtfehlenbishereindeutigePräjudizen65unddie wenigen Stellungnahmen in der Lehre stehen derneuenAuffassungablehnendgegenüber66.Dererwähnte

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droitinterne,RDAF2010II,125–167,131f.;reich,Steuerrecht(FN1),§6Rz.8;vallender(FN29),33f.

80 Jacques­andré reYMond,VonderfiskalischenzurmoralischenBetrachtungsweise,ASA60,19–29,19ff.rYser/rolli (FN71)kritisieren die praktizierte Auslegung namentlich als «utilitaris-tisch»(75f.,81).häfelin(FN30),123,fragtsich,«obnichtme-thodischklarereVerhältnissegeschaffenwürden,wenndieAusle-gungandenWortlautdesGesetzesgebundenwürde»,wodurchesmöglichwäre,«AuslegungundLückenfüllungklarerundgrund-sätzlichervoneinanderzu trennen».DashättezurFolge,dass imSteuerrecht«dasAnalogieverbotklarerausgestaltetwerdenkönnte,weil alleAnalogie aus demVerfahren derAuslegung verwiesenwürde».KritischzurunklarenAbgrenzungderextensivenAusle-gung zur unzulässigen Schaffung neuer Steuertatbestände aucheMMenegger/tschentscher (FN38),ZGB1N124.

81 BGE131II562E.3.4,567;BGer1P.586/2004vom28.Juni2005,E. 4.5.2.4; BGE 125 II 113 E. 3a, 117;bluMenstein/locher,(FN7),25;höhn/Waldburger (FN14),§5Rz.21;vgl.auchoberson(FN1),§4Rz.1.

82 BGE137IV99E.1.2,100f.;BGE134IV297E.4.3.1,302.Zu-stimmend:günter stratenWerth, Schweizerisches Strafrecht,AllgemeinerTeil I:DieStraftat,4.A.,Bern2011,§4Rz.29 f.;stefan trechsel/Peter noll, Schweizerisches Strafrecht,AllgemeinerTeilI,AllgemeineVoraussetzungenderStrafbarkeit,6.A.,Zürich2004,48f.A.M.:Marcel a. niggli,ZurProble-matikderAuslegunginZivil-undStrafrecht,Analogie,Subsum-tion,SelbstreferenzundWortlautgrenze,AJP/PJA1993,154–172,169;Peter PoPP/PatriZia levante, in:MarcelA.Niggli/HansWiprächtiger(Hrsg.),BaslerKommentar,StrafrechtI,Art.1–110StGB,Jugendstrafgesetz,2.A.,Basel2007,StGB1N29;franZ riklin, Schweizerisches Strafrecht,Allgemeiner Teil I, Verbre-chenslehre, 3. A., Zürich 2007, § 3 Rz. 29;kurt seelMann,Strafrecht,AllgemeinerTeil,5.A.,Basel2012,35f.Kritischauchandreas donatsch/brigitte tag,StrafrechtI,Verbrechensleh-re,8.A.,Zürich2006,38.

83 DiewirtschaftlicheBetrachtungsweisebeschränktsichnichtnuraufdasSteuerrecht,auchinanderenRechtsbereichenistsievonRele-vanz.Siehez.B.raPhael lanZ,DiewirtschaftlicheBetrachtungs-weiseimPrivatrecht,Diss.Bern2000,passim;ders.,Vonderwirt-schaftlichen Betrachtungsweise im Privatrecht, ZBJV 137/2001,1–20, 1 ff.;hans Michael rieMer, «Wirtschaftliche Betrach-tungsweise» bei der Auslegung im Privatrecht (Gesetze undRechtsgeschäfte)?,in:HansUlrichWalderetal.(Hrsg.),AspektedesWirtschaftsrechts,FestgabezumSchweizerischen Juristentag1994,Zürich1994,129–137,129ff.;roger Zuber,Wirtschaftli-

Lücken),160f.;reich,Steuerrecht(FN1),§6Rz.1f.;vallen­der (FN29),129f.

73 bluMenstein/locher (FN7),25;häfelin/Müller/uhlMann(FN1),Rz.214;Peter locher,KommentarzumDBG,I.Teil,Art.1–84DBG,Therwil/Basel2001 (zitiert:locher,Kommen-tar), Vorb. N 132;Moor (FN 1), 142;tschannen/ZiMMerli/Müller(FN4),§25Rz.2.

74 arthur Meier­haYoZ, Steuerkommissär und Steuergesetz,ZBl54/1953,297–307,304f.;Jacob Wackernagel,DieSteuer-umgehungundihreVerhütungunterbesondererBerücksichtigungdesschweizerischenRechts,Basel1949,74f.;ders.,DasLegali-tätsprinzipimSteuerrecht,ZSR71/1952,401–437,426.Grundsätz-lichauchbluMenstein(FN28),164f.,unterUmständenabermitAusnahmen(165,187).Kritischgegenübereinerzweckorientier-tenAuslegungauchirene bluMenstein,RechtsstaatlicheAusge-staltungundAnwendungderSteuer,ASA25,273–302,337–356,350.

75 ErstmalsausdrücklichinBGE72I305E.1,310;bestätigtinBGE76 I 206 E. 1, 210. Seither ständige Rechtsprechung (siehe dieNachweiseindenfolgendenFussnoten).

76 BGer1P.586/2004vom28.Juni2005,E.4.5.2.5.77 BGer1P.586/2004vom28.Juni2005,E.4.5.3.78 SeitBGE87I10E.3,16verwendetdasBundesgerichtregelmäs-

siginetwadieseFormel.AusneuererZeitBGE136II149E.3,154;BGE125II113E.3a,117;vgl.auchBGer2P.130/2003vom28.Mai2004,E.4.3(miteiner inhaltlichwohl identischen,aberetwasandersformuliertenAussage).DieFormulierungstimmtmitderjenigenindenübrigenRechtsbereichenüberein,siehenurBGer1C_271/2011vom27.September2011,E.4.4.1(Baurecht);BGE137 III 217E. 2.4.1, 221 (Delegationsnorm/Handelsrecht);BGE134 I 184E. 5.1, 193 (Verfahrensrecht/BGG);BGE133 III 497E. 4.1, 499 (TeilungderAustrittsleistung ausberuflicherVorsor-ge);BGE132III532E.3.2,535(Firmenrecht);BGE132III226E.3.3.5,237(Verjährungsverzicht/OR).

79 höhn/Waldburger (FN 14), § 5 Rz. 36; höhn, ASA 51(FN29),395;locher,ASA75 (FN 66),682ff.;ders.,Legali-tätsprinzipimSteuerrecht,ASA60,1–18,7;ders.,Rechtsfindung(FN 29), 135;Matteotti, Steuergerechtigkeit (FN 29), 334 ff.;oberson(FN1),§4Rz.15;floran Ponce,L’évasionfiscaleen

SomitführtdasLegalitätsprinzipimSteuerrechtnichtzueinerRückbindungderzulässigenAuslegungaufdenmöglichenWortsinn. Es gelten die allgemeinenAusle-gungsregeln81.DiesentsprichtauchderPraxis imStraf-recht,wo das inArt. 1 StGB verankerte Prinzip «nullapoenasinelege»einerüberdenmöglichenWortsinnhin-ausgehendenInterpretationnichtentgegensteht82.

b. WirtschaftlicheBetrachtungsweise

BeiderAuslegungvonSteuergesetzenhatdiesogenanntewirtschaftlicheBetrachtungsweisebesondereBedeutungerlangt83.UrsprünglichwurdediesealsmethodischesIns-

a. KeineWortlautgrenze

Ziel derAuslegung ist die Ermittlung des RechtssinnseinerNorm73.DieältereSteuerrechtslehreplädierteüber-wiegendfürdenWortsinnalsGrenzederzulässigenAus-legung74.DasBundesgericht lehnthingegen inkonstan-terPraxisauchimSteuerrechteineWortsinngrenzeab75.DemLegalitätsprinzipwirdgrundsätzlichGenügegetan,wennbei derAuslegungdasgrammatikalischeElementalsAusgangspunktdient76.DarüberhinausbleibtderGe-halt einer abgaberechtlichenBestimmung nicht auf denGesetzeswortlaut beschränkt, sondern es ist der wahreSinngehaltderNormzuermitteln77.DabeidarfvomWort-lautabgewichenwerden,wenntriftigeGründedafürspre-chen,dassdiesernichtdenwahrenSinnderBestimmungwiedergibt78.DieserMeinung folgtheuteauchdieherr-schendeLehre79, zumTeilwird allerdings eine stärkereOrientierungamWortlautgefordert80.

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91 GrundlegendBGE109Ia97E.2a,99f.InderFolgeetwaBGervom25.November1983,E.9,in:ASA53,54–66,65;BGE115Ib238E.3b,241;BGE115Ib249E.2b,252;BGer2P.126/1998vom27.Januar2000,E.3a/bb.DasBundesgerichtstütztsichdabeihauptsächlichaufhans dubs,WirtschaftlicheBetrachtungswei-se undSteuerumgehung, in:AssociationHenri Zwahlen (Hrsg.),MélangesHenriZwahlen,Lausanne1977,569–581,569ff.,insb.578.SiehezurEntwicklungderbundesgerichtlichenPraxisdieum-fassendeDarstellungbeikoller(FN85),302ff.,zurRechtspre-chungseitdemLeiturteil(BGE109Ia97E.2,99f.)insb.384ff.ZurSteuerumgehungsiehehintenIII.3.

92 Bundesgesetzvom14.Dezember1990überdiedirekteBundes-steuer(SR642.11).

93 BGervom22.Oktober2001,E.2,in:ASA72,218–225,221;BGervom16.November1990,E.4b,in:ASA59,717–726,720;BGE115Ib249E.2c,252f.;vgl.auchreich,Steuerrecht(FN1),§13Rz.135.

94 BGer 2C_349/2008 vom 14. November 2008, E. 2.3 m.w.N.;Markus reich,in:MartinZweifel/PeterAthanas(Hrsg.),Kom-mentarzumSchweizerischenSteuerrecht,BundesgesetzüberdiedirekteBundessteuer(DBG),Art.1–82,2.A.,Basel2008(zitiert:reich,Kommentar),DBG20N81.

95 BGer 2C_349/2008 vom 14. November 2008, E. 2.4 m.w.N.;locher,Kommentar(FN73),DBG20N89;reich,Steuerrecht(FN1),§13Rz.137.Vgl.auchdieausdrücklicheRegelungdesMantelhandels in Art. 5 Abs. 2 lit. b des Bundesgesetzes vom27.Juni1973überdieStempelabgaben(StG,SR641.10).

96 Siehereich, Steuerrecht (FN1), § 6Rz. 13 ff.;bluMenstein/ locher (FN 7), 30 ff. Kritisch:rYser/rolli (FN 71), 79 ff.;reYMond(FN80),19ff.

cheBetrachtungsweiseundDurchgriffimZivilprozessrecht,Diss.Bern2005,passim.

84 SiehezurSteuerumgehunghintenIII.3.85 DieseAuffassungwurdemassgeblichvonbluMensteingeprägt,

sieheetwaders. (FN28), 190, 232.SiehezurLehreBlumensteinsthoMas koller,PrivatrechtundSteuerrecht,EineGrundlagen-studiezurInterdependenzzweierRechtsgebiete,Habil.Bern1993,267 ff. Siehe zur ursprünglichen Sichtweise auch höhn, Wirt-schaftlicheBetrachtungsweiseimSteuerrecht,StR18/1963,387–405(zitiert:höhn,StR18/1963),393;reich,Steuerrecht(FN1),§6Rz.14.

86 locher, Rechtsfindung (FN 29), 183 f.; Matteotti, ZSR129/2010 I (FN 21), 218 f.; vgl. auch bluMenstein/locher(FN7),30ff.

87 Matteotti,ZSR2010I,S.219.88 bluMenstein/locher(FN7),30;locher,Kommentar(FN73),

Vorb.N136f.89 höhn/Waldburger (FN 14), § 5 Rz. 37; reich, Steuerrecht

(FN1),§6Rz.14.90 DieFormulierungstammtvonarthur Meier­haYoZauseinem

privatrechtlichenZusammenhang(ders.,DerVorkaufsfall,ZBGR45/1964,257–284,271).Sietrifft imSteuerrechtebensozu(vgl.Matteotti,ZSR2010I[FN21],218).

vor,kannnurbeimVorliegeneinerSteuerumgehungaufdaswirtschaftlicheVerhältniszurückgegriffenwerden91.

So wird beispielsweise der Begriff der LiquidationwirtschaftlichausgelegtundimSteuerrechtdeutlichwei-tergefasstals imHandelsrecht.NichtnurdieförmlicheAuflösung einer Gesellschaft nach Obligationenrechtlöst die Besteuerung des Liquidationsüberschusses ge-mässArt.20Abs.1 lit. cDBG92aus, sondernauchan-dere wirtschaftlich gleichwertige Vorgänge93. Dazu ge-hörtdiefaktischeLiquidation,beidereinerGesellschaftdiewirtschaftlicheSubstanzentzogenwird,ohnesieimhandelsrechtlichenSinnezuliquidieren94.Auchbeimso-genanntenMantelhandel kommtdiewirtschaftlicheBe-trachtungsweisezumZug:DieVeräusserungeinesliqui-dationsreifenUnternehmenswirdsteuerrechtlichwiedieLiquidationderbisherigenunddieGründungeinerneuenGesellschaftbehandelt95.

bb. Kritik

Die wirtschaftliche Betrachtungsweise ist in der Lehreanerkannt96.SieermöglichtdieeinheitlicheBesteuerungvon wirtschaftlich gleichwertigen Sachverhalten undträgtdamitzurVerwirklichungderSteuergerechtigkeits-prinzipieneinergleichmässigenBesteuerunganhandder

trumentverstanden,umausnahmsweise–imFokusstan-denSteuerumgehungen84–vomformalenzivilrechtlichenGehalt einer Bestimmung abzuweichen und den wirt-schaftlichenGegebenheitendesEinzelfallsRechnungzutragen85.HeutegiltsiealsRechtsanwendungsprinzip,wo-beisieein«doppeltesGesicht»hat:EinerseitsistsieWer-tungsprinzip bei der Sachverhaltsbeurteilung, anderer-seitsdientsiealsAuslegungsprinzipfürSteuernormen86.DiebeidenAspektestehenimRahmenderRechtsfindungingegenseitigerAbhängigkeit87.

ImGrundsatzgeht esum folgendeProblemstellung:EinsteuerrechtlicherSachverhaltlässtsichindessenzi-vilrechtliches Erscheinungsbild und den zugrunde lie-gendenwirtschaftlichenVorgangunterteilen.OftbestehtKongruenz,teilweiseerscheintdiezivilrechtlicheAusge-staltung demwirtschaftlichenVorgang aber nicht ange-messen88.BeiderRechtsanwendungstellt sichdanndieFrage,wannderwirtschaftlicheGehaltdesSachverhaltszuberücksichtigenist89bzw.eine«durchdieäussereFormhindurchdringendematerielleWürdigung»Platzgreift90.

aa. Rechtsprechung

InderPraxisfolgtdasBundesgerichteinemZweistufen-modell:EsunterscheidetzunächstzwischenNormenmitzivilrechtlicherundsolchenmitwirtschaftlicherAnknüp-fung.BeiletzterenistnichtstriktediezivilrechtlicheGe-staltungmassgebend,sondernderSachverhaltistgemässseinemwirtschaftlichenGehaltzuwürdigen.Liegthinge-gen eineNormmit zivilrechtlichemAnknüpfungspunkt

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aufgabe,Habil.Bern2004,102ff.SieheauchkraMer (FN 55),64f.m.w.N.AnschaulichfürdasVerhältniszwischenPrivatrechtundSozialversicherungsrecht:thoMas koller,ZumBegriffder«Familie»imSozialversicherungsrecht–oder«DasHoheliedderBegriffsharmonie»,AJP/PJA1995,1080–1082,1080ff.

105 Vgl.eMMenegger(FN104),104;höhn/Waldburger(FN14),§5Rz.35.

106 eMMenegger(FN104),104.FürdasSteuerrechtähnlich:höhn/Waldburger(FN14),§5Rz.41,diefüreinAbweichenvonderzivilrechtlichenBedeutung«triftigesachlicheGründe»verlangen;Matteotti,ZSR2010I(FN21),235,dereinAbweichenvonderstriktenzivilrechtlichenAuslegungvoneinerKollisiondiesesAus-legungsergebnissesmit denverfassungsrechtlichenSteuergerech-tigkeitsprinzipienabhängigmacht.Sieheallgemeinzursog.Relati-vitätderRechtsbegriffekraMer(FN55),65m.w.N.

107 Schuldzinsen:BGer2C_516/2011vom28.Dezember2011,E.3.1;BGer2C_393/2008vom19.November2008,E.2.3.Fremdkapital:BGE117Ib248E.5e,259f.;BGE109Ia97E.2b,100(vgl.aberdieheutigegesetzlicheRegelungdesverdecktenEigenkapitalsinArt.65DBGundArt.29adesBundesgesetzesvom14.Dezember1990überdieHarmonisierungderdirektenSteuernderKantoneundGemeinden[StHG,SR642.14]).

108 dubs (FN 91), 575 f.; eMMenegger/tschentscher (FN 38),ZGB1N331;höhn,StR18/1963(FN85),404f.;Matteotti,ZSR2010I(FN21),240.

109 bluMenstein/locher(FN7),35;dubs(FN91),575;locher,ASA75(FN65),677.

110 InsbesonderekannwirtschaftlichenBegriffenimSteuerrechteinevom allgemeinen wirtschaftlichen Verständnis abweichende Be-deutungzukommen(höhn/Waldburger[FN14],§5Rz.35,55m.w.H.).

97 Matteotti,ZSR129/2010I(FN21),222f.98 Vgl. etwa BGer 2C_516/2011 vom 28. Dezember 2011, E. 3.1;

BGer 2C_393/2008 vom 19. November 2008, E. 2.3; BGer2C_349/2008vom14.November2008,E.2.3;BGer2P.230/2001vom7.Januar2002,E.2a;BGer2A.53/2000vom15.August2000,E.2b;BGE123II218E.1a,219f.SieheauchdiediesbezüglicheKritik inderLehre:Marcus desaX,VonderMethodologiederbundesgerichtlichenRechtsprechungimSteuerrecht,ASA60,31–52,38ff.;eMMenegger/tschentscher(FN38),ZGB1N331;Matteotti,ZSR129/2010I(FN21),240;Ponce(FN79),133.AuchLocher,ASA75 (FN66), 693 kommt zumSchluss, dass«dieFeststellung,es liegeeine‹SteuernormmitwirtschaftlichemAnknüpfungspunkt›vor,fürsichalleinnochsehrvage[ist].»Siehefernerernst höhn,«Videantiudices…»,KritischeAnmerkungenzurRechtsprechungzuArt.21Abs.1lit.cBdBStausmethodologi-scherSicht,ASA56(zitiert:höhn,ASA56),463–477,463ff.

99 SiehevorneIII.2.a.100 höhn,StR18/1963(FN85),404f.;reich,Steuerrecht(FN1),§6

Rz.14;vgl.auchdubs(FN91),569;locher,ASA75(FN66),693;ders.,Rechtsfindung(FN29),186.

101 In derLehrewird diewirtschaftlicheBetrachtungsweise in ihrerAusprägung alsAuslegungsprinzip denn auch alsTeilaspekt desteleologischen Auslegungselements bezeichnet (bluMenstein/locher[FN7],34FN16;dubs[FN91],569;locher,Rechts-findung[FN29],186;reich,Steuerrecht[FN1],§6Rz.16).

102 Matteotti,ZSR2010I(FN21),240.103 dubs (FN 91), 570. Grundlegend zur Interdependenz zwischen

PrivatrechtundSteuerrechtkoller(FN85),passim.104 eMMenegger/tschentscher (FN38),ZGB1N332.Siehezur

Rechtsfigur der Begriffsparallelisierung und ihren Wirkungensusan eMMenegger,BankorganisationsrechtalsKoordinations-

tendenBegriffenvermutungsweisedergleicheSinngehaltzu.DurchdieAufnahmevonBegriffenineinSteuerge-setz werden diese aber zu steuerrechtlichen Begriffen,wodurchdemSteuerrechtdieDefinitions-undWertungs-herrschaft zukommt105. Aus der Entstehungsgeschichte,derSystematikundderTeleologiederbetreffendenRe-gelung kann sich eine vom zivilrechtlichenVerständnisabweichendeBedeutungergeben106.UmzurAussagezugelangen,dass«Schuldzinsen»imGegensatzzu«Fremd-kapital» wirtschaftlich auszulegen sind107, muss unter-suchtwerden,obaufgrundderratiolegisnebendemzivil-rechtlichumschriebenenSachverhaltauchwirtschaftlichgleichwertigeVorgängeerfasstwerdensollen108.

Verwendet dasGesetz hingegenwirtschaftliche odersteuerrechtliche Ausdrücke (Einkommen, Gewinn) istvon vornherein nach wirtschaftlichen Gesichtspunktenzuprüfen,obderSachverhaltunterdieNormsubsumiertwerdenkann109.DasführtaberzukeinemFreipassbeiderAuslegung,sondernesmussauchhiereinesteuerrechts-spezifischeSinnermittlungerfolgen110.

DassauchbeiansichunstrittigerwirtschaftlicherAn-knüpfungderRückgriffaufdiewirtschaftlicheBetrach-tungsweisezueinerallzuextensivenInterpretationeines

wirtschaftlichenLeistungsfähigkeitbei (Art.127Abs.2BV)97.

Das methodische Vorgehen des Bundesgerichts gibtaberAnlass zuKritik. Es stellt regelmässig ohne nähe-re Auseinandersetzung mit der Bestimmung und demSachverhalt abstrakt fest, dass eine wirtschaftlicheAn-knüpfungvorliege,umimAnschlussdiewirtschaftlicheGleichwertigkeit der Sachverhalte zu prüfen98. Ob eineNormwirtschaftlichoderzivilrechtlichanknüpft,hatabermassgeblichen Einfluss auf deren Anwendungsbereich.WiegesehenorientiertsichdieAuslegungimSteuerrechtamNormsinn99.DieseristsomitauchBasisundSchrankejederwirtschaftlichenBetrachtungsweise100.Dieratiole-giskannwiederumnurunterZuhilfenahmedesgesamtenMethodenkanons zuverlässig extrahiert werden101. «DieFeststellung,obeineNormwirtschaftlichoderzivilrecht-lichanknüpft,istdahernichtAusgangspunkt,sondernEr-gebnisderAuslegung.»102

Bei der Verwendung von zivilrechtlichen Begriffen(Eigentum,Liquidation,Schuldzins)stelltsichvorabdieFrage,obdiesesteuerrechtsautonomauszulegensindoderder Rechtsanwender an die zivilrechtliche Bedeutunggebundenbleibt103.InderSachehandeltessichumeineBegriffsparallelisierung104: Demnach kommt gleichlau-

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in:ErnstHöhn/KlausA.Vallender(Hrsg.),SteuerrechtimRechts-staat,FestschriftfürProf.Dr.FrancisCagianutzum65.Geburtstag,Bern/Stuttgart1990,245–276(zitiert:höhn,FSCagianut),245ff.

119 Vgl.reich,Steuerrecht(FN1),§4Rz.105.120 Vgl. desaX (FN 98), 42 f.; Matteotti, Steuergerechtigkeit

(FN29), 168 f., 179, der von einer teilweisen «fiktiven indirek-tenTeilliquidation» aufgrund steuersystematischerÜberlegungenspricht.Vgl.fernerPonce(FN79),136.

121 reich, Steuerrecht (FN 1), § 6 Rz. 12; höhn/Waldburger(FN14),§5Rz.49,80;vgl. auchreich,Kommentar (FN94),DBG16N53.

122 häfelin/haller/keller(FN36),Rz.88.123 höhn,FSCagianut(FN118),246;ders.,ASA56(FN98),473.124 Siehehierzuhöhn,Methodik(FN31),316.125 StattvielerBGer2C_632/2007vom7.April2008,E.4.1;BGE131

II627E.5.2,635 f. (jemitHinweisen).SiehezudeneinzelnenVoraussetzungenreich,Steuerrecht(FN1),§6Rz.20ff.

111 In derPraxiswerden andieMitwirkung aber keinegrossenAn-forderungengestellt(höhn/Waldburger[FN14],§14Rz.90;reich,Kommentar[FN94],DBG20N103;jeweilsm.w.N.).

112 BGervom22.Oktober2001,E.3a,in:ASA72,218–225,221f.;BGer vom23.April 1999, E. 2b und 2c, in:ASA69, 642–651,645ff.;BGE115Ib249E.2d,253f.;siehezudieserRechtspre-chungreich,Kommentar (FN94),DBG20N100 ff.Grundle-gendzurindirektenTeilliquidationPeter locher,DieindirekteTeilliquidation im Recht der direkten Bundessteuer, in: MarkusReich/Martin Zweifel (Hrsg.), Das schweizerische Steuerrecht,Festschriftzum70.GeburtstagvonProf.Dr.FerdinandZuppinger,Bern1989,219–238,219ff.

113 BGer2A.331/2003vom11.Juni2004,E.4.5.114 Gemässreich,Kommentar(FN94)istdieRechtsprechung«völlig

entgleist»(DBG20aN4)undeshabeeine«massiverechtsschöp-ferischeAusweitung» stattgefunden (DBG20N 106). Siehe zurKritik weiter die detaillierten Urteilsbesprechungen vonPhiliPP betschart,GrenzenloseindirekteTeilliquidation,ST2004,873–876,873ff.;Michael buchser/Martin Jau,MethodischeÜber-legungenzurindirektenTeilliquidation,ASA74,125–147,125ff.;Peter gurtner/ernst giger,UnzulässigeErbenholdingbesteu-erung–massiveAusweitungderindirektenTeilliquidationstheorie,StR59/2004,658–667,658ff.

115 SiehedienunmehrausdrücklichegesetzlicheNormierungder in-direktenTeilliquidationinArt.20aAbs.1DBG(inKraftseit1.Ja-nuar2007)undArt.7aAbs.1lit.aStHG(inKraftseit1.Januar2008).SiehehierzuauchBGer2C_388/2010vom28.Januar2011,E. 3.3.3. Siehe zur Entstehungsgeschichte reich, Kommentar(FN94),DBG20aN5ff.

116 reich,Kommentar(FN94),DBG20aN4.117 reich,Steuerrecht(FN1),§6Rz.48.118 SiehezumBeispieldieausführlichemethodischeAnalysederindi-

rektenTeilliquidationvonernst höhn,Diesog.«indirekteTeil-liquidation» als Testfall derAuslegungsmethode im Steuerrecht,

weitgehende Auslegung Steuertatbestände ausgedehnt,wirdderSchutzbereichvonArt.127Abs.1BVtangiert.InsbesonderewirddasBestimmtheitsgebotunddamitdieRechtsicherheit beeinträchtigt119.Wird dabei unter Ver-weisaufdiewirtschaftlicheBetrachtungsweiseeineAus-einandersetzung mit dem Normsinn umgangen, bestehtdieGefahreinereinseitigenBerücksichtigungsteuersys-tematischer und -politischer Erwägungen zulasten desLegalitätsprinzips120.SystemwidrigeBesteuerungslückendürfenaberauchnichtmittelseinerextensivenAuslegunggefülltwerden121.DerRichteristandieWertentscheidun-gendesGesetzgebersgebunden122.Deshalbmussdieaus-zulegendeNormauchbeieinerwirtschaftlichenBetrach-tungsweiseimMittelpunktbleiben123.Ansonstenbestehtdie Gefahr «versteckter Gesetzesergänzung»124 und derRichtertrittandieStelledesGesetzgebers.

3. Steuerumgehung

Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist bei zivil-rechtlicherAnknüpfung einer Norm die wirtschaftlicheBetrachtungsweiseimEinzelfalldennochmöglich,wenneineSteuerumgehungvorliegt.DasistderFall,wenndiegewählte Rechtsgestaltung ungewöhnlich, sachwidrigoderabsonderlichoderdenwirtschaftlichenGegebenheitvölligunangemessenerscheint,dieseWahlinderAbsichteinerSteuereinsparunggetroffenwurdeunddieDuldungdieses Vorgehens auch tatsächlich zu einer erheblichenSteuerersparnis führenwürde. Sind dieseVoraussetzun-gen erfüllt, wird trotz der an sich zivilrechtlichenAn-knüpfungnichtaufdiezivilrechtlicheGestaltungdes inFragestehendenRechtsgeschäftsabgestützt,sonderndie-jenigeOrdnungzugrundegelegt,welchedersachgemässeAusdruckdeserstrebtenwirtschaftlichenZwecksgewe-senwäre125.DasBundesgerichtnimmtsomiteineUmqua-

Steuertatbestandesführenkann,illustriertderFallderin-direktenTeilliquidation:BedientsichdieKäuferineinerGesellschaft zur Finanzierung des Kaufpreises aus denMitteln der übernommenen Gesellschaft und wirkt derVerkäufer am Substanzentzug mit111, qualifiziert dieserVorganggemässRechtsprechungals indirekteTeilliqui-dationderGesellschaft.Wirtschaftlichbetrachtetwerdenformell alsVeräusserungserlös verdeckte Gesellschafts-mittel indirekt an denVerkäufer und bisherigenAktio-närausgeschüttet112.IneinemweiterenUrteilschlossdasBundesgericht auch auf eine indirekte Teilliquidation,wenn der Verkaufspreis nicht aus bereits vorhandenen,sondernerstnochzuerwirtschaftendenMittelnderüber-tragenen Gesellschaft finanziert worden war113. DieserEntscheidführtezuharscherKritik114undderGesetzge-berreagierte115,umdieRechtsprechung«inrechtssichereSchranken»zurückzuführen116.

Hierzeigtsich,dassdieAuslegungzum«SpielohneGrenzen»117ausartenkannundwiewichtigentsprechendeine nachvollziehbare undmethodisch korrekte Sinner-mittlung von Steuernormen ist118. Werden durch eine

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133 Matteotti,ZSR129/2010I(FN21),240f.:«EineNormkorrektur[mittels Steuerumgehung] nachAusschöpfung des gesamten In-terpretationsspielraumszuLastenderSteuerpflichtigenwürdeaufeineVerletzung desGesetzesvorbehalts hinauslaufen.»;locher,ASA 75 (FN 65), 691 betont aufgrund ähnlicher Überlegungen,dass«diesesKorrektiv–wennüberhaupt–nur inabsolutenEx-tremsituationenzumZugekommendarf»;ähnlichreich,Steuer-recht(FN1),§6Rz.47.

134 höhn/Waldburger(FN14),§5Rz.81.Vgl.alsBeispielefürEr-satztatbeständeArt.5Abs.2lit.bStG(Mantelhandel)undArt.12Abs.2lit.aStHG(wirtschaftlicheHandänderung).

135 Vgl.auchdieKritikbeirYser/rolli(FN71),75f.136 BGE103Ia20E.4a,23;BGE99Ia459E.2,463.Sieheausneu-

ererZeitBGE131II562E.3.4,567:«L’administrationetlejugesontassurémenttenusdefairepreuved’unecertainecirconspectionlorsqu’ilsinterprètentlesnormesfiscales[...].».

126 höhn/Waldburger (FN 14), § 5 N 39; reich, Steuerrecht(FN1),§6Rz.24.NachandererAnsichthandeltessichumdieFüllungeinerunechtenLücke(bluMenstein/locher[FN7],33;locher,ASA75[FN65],686).ImErgebnisistdieseUnterschei-dung irrelevant (koller [FN 85], 298; bluMenstein/locher[FN7],33).

127 bluMenstein/locher(FN7),33;höhn/Waldburger(FN14),§ 5Rz. 84;locher,ASA75 (FN65), 686;reich, Steuerrecht(FN1),§6Rz.40f.;vallender(FN29),51f.

128 reich,Steuerrecht(FN1),§6Rz.17.SoausdrücklichauchBGer2C_351/2011vom4.Januar2012,E.3.4.

129 Vgl. etwa BGer 2C_658/2009 vom 12.März 2010, E. 2; BGer2C_354/2008vom2.März2009,E.4;BGer2C_632/2007vom7.April 2008, E. 4; BGer 2A.470/2002 vom 22.Oktober 2003,E.4.DifferenzierterBGer2C_351/2011vom4.Januar2012,E.3.4undBGer2C_393/2008vom19.November2008,E.2.1,wonachzunächst die Steuerpflicht aufgrund der ausgelegten Gesetze zuprüfenseiunderstsubsidiärallenfallsdasInstrumentderSteuer-umgehungzumZugekomme.

130 Vgl.locher,ASA75(FN65),682;Matteotti,ZSR129/2010I(FN21),237;ders.,Steuergerechtigkeit(FN29),138,178f.

131 SiehedieNachweiseinFN85.132 locher, Kommentar (FN 73), Vorb. N 145; ders., ASA 75

(FN65),685f.;koller(FN85),298f.SieheauchdieKritikbeiurs r. behnisch/andrea oPel,DiesteuerrechtlicheRechtspre-chungdesBundesgerichtsimJahr2008,ZBJV145/2009,503–581,580f.

generalklauselartigerGebrauchvielmehr dasLegalitäts-prinzip133.

Weiter wird zu Recht darauf hingewiesen, dass dierechtlicheinwandfreieLösungzurVermeidungvonSteu-erumgehungenineinerbesserenFormulierungbestehen-der Steuertatbestände oder der Schaffung sogenannterErsatztatbestände bestünde, die mögliche UmgehungeneinerSteuerpflichtausdrücklichalssteuerbarerklärten134.

IV. Fazit

ÜberdentheoretischenGehaltdesLegalitätsprinzipsbe-stehtweitgehendEinigkeit.Durch dieAnwendungspra-xiswirddessenTragweite abermehrfachbegrenzt.DerGrundsatz der Gesetzmässigkeit führt zwar zu einemLückenfüllungsverbotindemdurchArt.127Abs.1BVkonkretisiertenSchutzbereich.Durcheineweitgehendeteleologische Auslegung unter Zuhilfenahme der wirt-schaftlichenBetrachtungsweiseundderimmernochan-gewandtenSteuerumgehungsdoktrinwirddiesesindessenstarkrelativiert135.Eine«gewisseZurückhaltung»,welchesichdasBundesgerichtnacheigenerAuffassungbeiderRechtsfindung im Steuerrecht auferlegt136, schlägt sichnichtindenkonkretenEinzelfallentscheidennieder.DieBedeutungdesLegalitätsprinzipsistimSteuerrechtdamitwenigerausgeprägt,alsesaufdenerstenBlickerscheint.

InmethodischerHinsicht fälltauf,dassdasBundes-gericht unterRückgriff auf diewirtschaftlicheBetrach-tungsweiseunddieSteuerumgehungeinevertiefteAus-einandersetzungmit der betreffendenNormanhanddesanerkanntenMethodenkanonszurErmittlungdesNorm-sinns vermissen lässt. Durch dieAblehnung derWort-sinngrenzeundderOrientierungander ratio legis trägtdieAuslegung die Tendenz zur extensiven Gesetzesan-

lifikation des Sachverhalts vor126. Dogmatisch wird dieSteuerumgehungvorabmitdemVerbotdesRechtsmiss-brauchs(Art.2Abs.2ZGB)begründet127.

SinddieVoraussetzungenderSteuerumgehungerfüllt,erfolgt eineBesteuerung, obwohl der Sachverhalt nichtunterdaslegeartisausgelegteGesetzsubsumiertwerdenkann128.MitanderenWortenwirdderKreisdersteuerbe-gründendenSachverhaltenochmalsausgeweitet.ZudemistdieTendenzdesBundesgerichtsproblematisch,ohnevorgängigeAuslegung der betreffenden Normen direktauf die Steuerumgehung zu rekurrieren129. Die dadurchfehlendeErmittlungdestatsächlichenNormsinnsakzen-tuiertdieGefahreinerunsachgemässenAusdehnungderSteuerpflicht130.

Es istzweifelhaft,obdieFigurderSteuerumgehungheute überhaupt noch eigenständige Bedeutung habenkann.IhrenUrsprunghattesiezueinerZeit,alsdermög-licheWortsinndieAuslegunginderRegelbegrenzteunddeshalbeinevomzivilrechtlichenVerständnisabweichen-deInterpretationeinerbesonderenRechtfertigungbedurf-te131. Angesichts des heutigen Methodenverständnissesist die Steuerumgehungsdoktrin zur Überbrückung derDiskrepanz zwischenWort- und Normsinnn unnötig132.ImHinblickaufdensichanderratiolegisorientierendenInterpretationsspielraumbeiderAuslegungunterläuftihr

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137 höhn, ASA 51 (FN 29), 402;reich, Steuerrecht (FN 1), § 6Rz.12.

138 lang,Lücken(FN72),162.139 ZumBeispieldurchAbstützenaufdieÜberzeugungskraftderBe-

gründungalsAbgrenzungskriteriumzwischenGesetzesanwendungundGesetzesüberschreitung.Sohöhn,ASA51(FN29),396ff.

140 Matteotti,ZSR129/2010I (FN21),225ff., insb.235;ders.,Steuergerechtigkeit(FN29),258ff.,insb.270f.

141 WiediesdasBundesgerichtimGrundeselbertut,wennestriftigeGründefürdasAbweichenvomWortlautfordert(siehedieNach-weise in FN 78).Vgl. für die erhöhtenAnforderungen bei vomWortlautabweichenderAuslegungimAllgemeinenaucheMMen­egger/tschentscher(FN38),ZGB1N229,239ff.;hausheer/Jaun(FN31),ZGB1N79ff.

wendung insich137.UmeineRechtsprechungsecundumlegemzugewährleisten, istdeshalbbesondersbei einerAuslegungpraeterverbalegisaufeinestringenteundme-thodischkorrekteSinnermittlungzuachten.AuchwennimmereingewisserWertungsspielraumübrigbleibt,kanndamitdieRechtsanwendungkontrolliertundobjektiviertwerden,waswiederum derRechtssicherheit dient138. InderLehrewirdentsprechendimmerwiederversucht,derAuslegungüberdenmöglichenWortsinnhinausklarereSchrankenzusetzen139.InneuererZeitgreiftMatteottidazu auf die Verfassungskonformität zurück, indem erdieZulässigkeiteinerwirtschaftlichenAuslegungpraeteroder contra verba legis von einerKollisiondes striktenzivilrechtlichen Auslegungsergebnisses mit den verfas-sungsrechtlichen Steuergerechtigkeitsprinzipien abhän-gigmacht140.

InsgesamtkanndemLegalitätsprinzipvermehrtNach-achtung verschafft werden, indemman bei der Rechts-findung jenseits des möglichen Wortsinns erhöhte Be-gründungsanforderungen stellt141 und dieser besonderenRechtfertigungspflicht mit einer methodisch korrektenSinnermittlungnachkommt.