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Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung im Immobilienrecht 2013/2014 Herrler/Hertel/Dr. Kesseler Inhaltsübersicht Seite A) Grundstückskauf 1 I. Änderung der Energieeinsparverordnung (EnEV) zum 1.5.2014 (CH) 1 II. Mängelrechte beim Grundstückskauf (CH) 21 III. Keine Haftungsbeschränkung für Kardinalpflichten möglich (SH) 37 IV. Mietrecht (SH) 45 V. Risiken des Anderkontos in der Insolvenz des Auszahlungsberechtigten (K) 58 VI. Erfüllungsablehnung in der Käuferinsolvenz (K) 71 VII. Verteilung der Löschungskosten zwischen den Kaufvertragsparteien nach GNotKG (CH) 78 VIII. Kostentragung bei vollmachtloser Vertretung (CH) 84 B) Bauträgervertrag 91 I. Änderung des § 17 Abs. 2a BeurkG (SH) 91 II. Annahmefrist im Verbrauchervertrag (SH) 108 III. Abnahme und Mängelhaftung im Bauträgervertrag (K) 152 IV. Aufspaltung in Grundstückskauf- und Werkvertrag (SH) 167 V. Freistellungsverpflichtung (CH) 171 VI. Betreutes Wohnen (CH) 185 C) Überlassungsvertrag u.ä. 190 I. Unwirksamkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln (K) 190 II. Bereicherungsanspruch bei Vornahme von Bauarbeiten in der begründeten Erwartung künftigen Eigentumserwerbs (SH) 202 III. Schenkungsrückforderung bei aufgegebenen Wohnungsrecht (SH) 207 IV. Zuwendung an Schwiegerkind (K) 214 D) Wohnungseigentum und Erbbaurecht 222 I. Wohngeldrückstände als dingliche Last (K ) 222 II. Abgrenzung zwischen Sonder- und Gemeinschaftseigentum, Kostentragung (SH)232 III. Änderung der Teilungserklärung (CH) 244

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Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung

im Immobilienrecht 2013/2014 Herrler/Hertel/Dr. Kesseler

Inhaltsübersicht Seite

A) Grundstückskauf 1

I. Änderung der Energieeinsparverordnung (EnEV) zum 1.5.2014 (CH) 1

II. Mängelrechte beim Grundstückskauf (CH) 21

III. Keine Haftungsbeschränkung für Kardinalpflichten möglich (SH) 37

IV. Mietrecht (SH) 45

V. Risiken des Anderkontos in der Insolvenz des Auszahlungsberechtigten (K) 58

VI. Erfüllungsablehnung in der Käuferinsolvenz (K) 71

VII. Verteilung der Löschungskosten zwischen den Kaufvertragsparteien nach GNotKG (CH) 78

VIII. Kostentragung bei vollmachtloser Vertretung (CH) 84

B) Bauträgervertrag 91

I. Änderung des § 17 Abs. 2a BeurkG (SH) 91

II. Annahmefrist im Verbrauchervertrag (SH) 108

III. Abnahme und Mängelhaftung im Bauträgervertrag (K) 152

IV. Aufspaltung in Grundstückskauf- und Werkvertrag (SH) 167

V. Freistellungsverpflichtung (CH) 171

VI. Betreutes Wohnen (CH) 185

C) Überlassungsvertrag u.ä. 190 I. Unwirksamkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln (K) 190

II. Bereicherungsanspruch bei Vornahme von Bauarbeiten in der begründeten Erwartung künftigen Eigentumserwerbs (SH) 202

III. Schenkungsrückforderung bei aufgegebenen Wohnungsrecht (SH) 207

IV. Zuwendung an Schwiegerkind (K) 214

D) Wohnungseigentum und Erbbaurecht 222 I. Wohngeldrückstände als dingliche Last (K ) 222

II. Abgrenzung zwischen Sonder- und Gemeinschaftseigentum, Kostentragung (SH)232

III. Änderung der Teilungserklärung (CH) 244

Inhaltsübersicht Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

IV. Beschlussfassung der Wohnungseigentümer (SH) 254

V. Erbbaurecht (K ) 260

E) Grundbuchrecht 285

I. Grundbucheinsicht beim Notar (§ 133a GBO) (CH) 285

II. Vollmachtsbescheinigung (§ 21 Abs. 3 BNotO) (CH) 295

III. Verwirrung bei Grundstücksvereinigung (CH) 297

IV. Vollmacht und (Allein-)Erbenstellung; Abgrenzung zwischen Vorsorgevollmacht und Erbschein (SH) 301

V. Nachweis der Ehegattenzustimmung (§ 1365 BGB) (SH) 318

VI. Nachweise zur Erbfolge im Grundbuchverfahren (CH) 323

VII. Nachweis der Entgeltlichkeit im Grundbuchverfahren bei Verfügungen eines Vorerben oder Testamentsvollstreckers (CH) 329

F) Beschränkte dingliche Grundstücksrechte 338 I. Die abstrakte Hypothek (K ) 338

II. Wirksamkeitsvermerk und Rangvermerke bei der Vormerkung (K) 342

III. Für den Fall der Auflösung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft auflösend bedingtes Wohnungsrecht (SH) 357

G) Öffentliches Recht, Steuerrecht und Zwangsvollstreckung 359

I. BauGB-Novelle 2013 (BGBl. 2013, 1548) (CH) 359

II. Einheimischenmodell im Licht der EuGH-Entscheidung (CH) 373

III. Grunderwerbsteuer (K) 377

IV. Versteigerung eines GbR-Grundstücks (K) 383

Anhang: Muster Energieausweis

Inhaltsverzeichnis Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Inhaltsverzeichnis Seite

A) Grundstückskauf 1

I. Änderung der Energieeinsparverordnung (EnEV) zum 1.5.2014 (CH) 1 1. Änderungen beim Energieausweis 1

a) Inhalt des Energieausweises 1 b) Kontrolle der Energieausweise 5

2. Immobilienanzeigen, Vorlage und Übergabe des Energieausweises 7 a) Immobilienanzeigen 7 b) Vorlage- und Übergabepflicht 9 c) Formulierungsbeispiel 13 d) Aushangpflicht bei öffentlichen Gebäuden 13

3. Energetische Standards 14 a) Verstoß gegen Modernisierungspflicht künftig Ordnungswidrigkeit 14 b) Formulierungsbeispiel zur Modernisierungspflicht 17 c) Neubauten 18 d) Modernisierung von Altbauten 19

II. Mängelrechte beim Grundstückskauf (CH) 21 1. Was ist ein Mangel? (OLG Brandenburg, 8.8.2013 - 5 U 75/12) 21 2. Konkludente Beschaffenheitsvereinbarung (BGH, 19.12.2012 - VIII ZR

152/12) 23 3. Wohnungsgröße im Maklerexposé falsch angegeben 25

a) OLG Koblenz, 21.3.2013 - 10 U 834/12 25 b) OLG Bremen, 21.11.2013 – 3 U 23/13 27

4. Subjektive Anforderungen an Arglist - Offenbarungspflicht bei fehlender Baugenehmigung (BGH, 12.4.2013 - V ZR 266/11) 29

5. Offenbarungspflicht für Ertragsfähigkeit des Grundstücks (BGH, 1.2.2013 - V ZR 72/11) 32

6. Abtretung der Mängelansprüche 34 a) Durchsetzbarkeit der Mängelansprüche (OLG Koblenz, 29.09.2011 - 5 U

840/11) 34 b) Sonstige Gestaltung der Klausel 36 c) keine Mängelansprüche gegen Werkunternehmer bei Schwarzarbeit 36

III. Keine Haftungsbeschränkung für Kardinalpflichten möglich (SH) 37 1. Eröffnung des Anwendungsbereichs der §§ 307 ff. BGB 37

a) Verbrauchervertrages i. S. v. § 310 Abs. 3 BGB 37 b) C2C-Konstellation 37

2. § 309 Nr. 7 lit. a und b BGB 38 3. Kardinalpflichten gem. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB 38

a) Beispiele aus der BGH-Rechtsprechung 39 b) Hinreichend transparente Definition von Kardinalpflichten 40 c) Angemessene und zugleich transparente Beschränkung des

Haftungsumfangs 41

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d) Zwischenergebnis 42 e) Relevanz für Kaufverträge über „gebrauchte Immobilien“? 42

4. Gestaltung der Freizeichnungsklausel 44

IV. Mietrecht (SH) 45 1. Mietrechtsänderungsgesetz 2013 im Überblick 45

a) Anreiz für energetische Wohnraumsanierung (§§ 555a ff. BGB) 45 b) Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete (§ 558 BGB) 46 c) Mieterhöhung nach Modernisierungsmaßnahmen (§§ 559-559b BGB) 47 d) Gewerbliche Wärmelieferung (sog. Contracting, vgl. § 556c BGB) 47 e) Außerordentliche Kündigung wegen Verzugs mit Kautionszahlung (§ 569

Abs. 2a BGB) 47 2. Erwerbermodelle 48

a) Kündigungssperrfrist nach § 577a BGB 49 b) Mietervorkaufsrecht beim en-bloc-Verkauf 51

3. Vertragliche Beschränkung des Rechts zur ordentlichen Kündigung 56

V. Risiken des Anderkontos in der Insolvenz des Auszahlungsberechtigten (K) 58 1. Der Beispielssachverhalt 58 2. Die Entscheidungen des BGH 58

a) Der bösgläubige Treuhänder 60 b) Der Treuhänder im eröffneten Verfahren 62

3. Bewertung 63 a) Vorsatzanfechtung 63 b) Zahlung nach Verfahrenseröffnung 65

4. Konsequenzen für die Gestaltung 67 a) Vorsatzanfechtung 68 b) Auszahlung im Insolvenzverfahren 68

5. Am Rande: Freiwillige Zahlungen Dritter 69

VI. Erfüllungsablehnung in der Käuferinsolvenz (K) 71 1. Der Sachverhalt - vereinfacht 71 2. Das Rechtsproblem 71

a) Das Insolvenzverwalterwahlrecht - § 103 InsO 71 b) Mangelnde insolvenzrechtliche Regelung der ausbleibenden

Erfüllungswahl 72 c) Fortbestand des Synallagmas 73

3. Die Entscheidung 73 4. Rechtsdogmatische Einordnung 74 5. Konsequenzen des Nichthandelns 76 6. Praktische Konsequenzen – Vorzeitiger Besitzübergang 77

VII. Verteilung der Löschungskosten zwischen den Kaufvertragsparteien nach GNotKG (CH) 78 1. Bisherige Lösung 78 2. Neues Kostenrecht 79

a) Lösung 1: Käufer trägt immer volle Vollzugskosten 80

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b) Lösung 2: Verkäufer trägt (Mehr-)Kosten für Löschung von Belastungen 81 c) Lösung 3: Pauschale Aufteilung 82 d) Was tun? 83

VIII. Kostentragung bei vollmachtloser Vertretung (CH) 84 1. Hälftige Teilung zwischen Gesamtschuldnern nach § 426 Abs. 1 BGB 85 2. Übernahmepflicht für volle Kosten 85

a) Verschulden bei Vertragsschluss (cic) 85 b) Vertragliche Regelung 87

3. Vertragsgestaltung (mit Formulierungsbeispiel) 87 a) Vollmachtlose Vertretung 87 b) Genehmigungsbedürftiger Vertrag 89

B) Bauträgervertrag 91

I. Änderung des § 17 Abs. 2a BeurkG (SH) 91 1. Amtshaftung bei Missachtung der Zwei-Wochen-Frist 91

a) Sachverhalt 91 b) Entscheidung 92 c) Stellungnahme 93

2. Neufassung durch das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im notariellen Beurkundungsverfahren 97 a) Überblick über die Neuregelung 98 b) Detailfragen 101

II. Annahmefrist im Verbrauchervertrag (SH) 108 1. Fortgeltungsklauseln 109

a) Ausgangssituation 109 b) Entscheidung des V. Zivilsenats vom 7.6.2013 (V ZR 10/12) 113 c) Stellungnahme 114

2. BGH, Urt. v. 27.9.2013 (V ZR 52/12): 4-wöchige Regelbindungsfrist auch beim Bauträgervertrag 120 a) Grds. keine Sonderbehandlung des Bauträgervertrags im Rahmen von

§ 147 Abs. 2 BGB 120 b) Konsequenzen für die Gestaltungspraxis 121 c) Relevanz der Offenlegung des Motivs für eine längere Bindungsfrist(?) 126 d) Fazit 132

3. Längere formularmäßige „Bindungsfristen“ bei vertraglichen Gestaltungsmodellen 133 a) Optionsvertrag bzw. aufschiebend bedingter Kaufvertrag 133 b) Formularmäßiges Rücktrittsrecht 137 c) Zwischenergebnis 143

4. Wann ist eine Überschreitung der Regelbindungsfrist erheblich? 144 5. Sonderfall Veräußerungskonstellation? 144

a) Echte Gegenleistung (Optionsvertrag) 145 b) Verkaufspreis erheblich über derzeitigem Verkehrswert 145 c) Vertragliche Gestaltungsmodelle vorzugswürdig 146

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6. Bindungsfrist für Kaufzwangklausel in einem Erbbaurechtsvertrag 147 a) Sachverhalt 147 b) Rechtsnatur einer sog. Kaufzwangklausel 147 c) Inhaltskontrolle 148

III. Abnahme und Mängelhaftung im Bauträgervertrag (K) 152 1. Erwartbarer, wenn auch nicht ausdrücklich vereinbarter Qualitätsmaßstab 152 2. Schallschutz bei Altbau 154 3. Nicht behebbare Mängel sind in aller Regel erheblich 155 4. Untersuchungsrecht des Werkunternehmers 157 1. Abnahmevollmacht an den Erstverwalter 159

a) Die Entscheidung 160 b) Bewertung 161 c) Empfehlung 162

2. Wem steht die Abnahmekompetenz zu? 163 a) Ausgangspunkt 163 b) Meinungsstand 164 c) Bewertung 165 d) Praktischer Umgang 166

IV. Aufspaltung in Grundstückskauf- und Werkvertrag (SH) 167 1. Ausgangssituation 167 2. Sachverhalt 167 3. Entscheidung 168 4. Fazit 169

V. Freistellungsverpflichtung (CH) 171 1. Sachverhalt 171 2. Zulässiger Inhalt der Freistellungsverpflichtung 172

a) Freistellungspflicht auch, wenn Erwerber Steckenbleiben zu vertreten hat 173 b) Zug um Zug gegen Löschung der Auflassungsvormerkung 174

3. Rechtsfolgen einer inhaltlich unzureichenden Freistellungsverpflichtung 174 a) OLG München: Bauträger darf keine Zahlungen entgegennehmen 175 b) BGH: Unzulässige Klauseln in Erklärung der Bank unwirksam 175 c) Entscheidungsanalyse 177 d) Prüfung durch den Notar 179

4. Bauträgervertrag 179 a) Verfahren: Bezugnahme auf vorliegende Freistellungsverpflichtung 179 b) Hinweis auf Inhalt des Freistellungsversprechens, insbes. Vorbehalt der

Rückzahlung 180 c) Vertragsgestaltung 183

5. Sonstiger Inhalt der Entscheidung 183 a) Abweichung von der Baugenehmigung 183 b) Fehlende Lastenfreistellung von Dienstbarkeiten 184

VI. Betreutes Wohnen (CH) 185

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1. Keine Dienstbarkeit für Abschluss eines Betreuungsvertrages über mehr als zwei Jahre 185 a) BGH, 21.12.2012 - V ZR 221/11 185 b) BGH, 13.10.2006 – V ZR 289/05 187

2. Hinweise zur Vertragsgestaltung 188 a) Wohnungseigentumsrecht 188 b) Gesellschaft der Wohnungseigentümer 189

C) Überlassungsvertrag u.ä. 190 I. Unwirksamkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln (K) 190

1. Urteilssachverhalt 190 2. Die Bedeutung des § 119 InsO 190 3. Die Entscheidung des BGH 191 4. Hatten wir das nicht schon? 192 5. Die Überlegungen des BGH 194 6. Fortbestand aller gesetzlichen Leistungsstörungsrechte 195 7. Welche Verträge sind betroffen? 195 8. Lösungsklauseln mit Bedacht verwenden 199 9. Zur Wiederholung: Anfechtbarkeit der Rückfallklauseln 200

II. Bereicherungsanspruch bei Vornahme von Bauarbeiten in der begründeten Erwartung künftigen Eigentumserwerbs (SH) 202 1. Sachverhalt 202 2. Entscheidung 203

a) Zweckabrede in Gestalt einer tatsächlichen Willensübereinstimmung 203 b) Rechtsgeschäftlicher Ausschluss des Ausgleichsanspruchs? 203 c) Kein Scheinbestandteil bei Einbau in Erwartung des Eigentumserwerbs 204 d) Verjährung 204

3. Stellungnahme und Folgen für die Gestaltungspraxis 204 a) Leistungs- oder Nichtleistungskondiktion? 204 b) Vertragsgestaltung 204

4. Exkurs: Leistung (u. a.) in Erwartung eines späteren Eigentumserwerbs infolge Erbeinsetzung 205 a) Entscheidung 205 b) Konsequenzen für die Gestaltungspraxis 206

III. Schenkungsrückforderung bei aufgegebenen Wohnungsrecht (SH) 207 1. Ausgangssituation 207

a) BGH: Kein Anspruch auf Auskehrung des Mieterlöses bei eigenmächtiger Vermietung 207

b) BGH: Verzicht des Betreuers auf ein zu Gunsten des Betreuten bestelltes Wohnungsrecht 207

2. OLG Nürnberg, Urt. v. 22.7.2013 – 4 U 1571/12 208 a) Sachverhalt 208 b) Entscheidung 208

3. Stellungnahme 210

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a) Notwendige Entreicherung des Schenkers 210 b) Eigenständiger Schenkungsbegriff in § 1804 BGB? 211 c) Abwägung aller Vor- und Nachteile auch bei betroffenen Drittinteressen 212 d) Ergebnis 213 e) Vorliegender Sachverhalt 213

4. Konsequenzen für die Gestaltungspraxis 213

IV. Zuwendung an Schwiegerkind (K) 214 1. Urteilssachverhalt 214 2. Zuwendungen an das Schwiegerkind? 214 3. Die Entscheidungsbegründung 215 4. Praktische Handhabung 216

a) Übertragung in zwei Schritten 216 b) Zuwendung in einer Urkunde 217 c) Kriterien der Schenkungskette 219

5. Warnung vor gestalterischem Übermut? 219

D) Wohnungseigentum und Erbbaurecht 222 I. Wohngeldrückstände als dingliche Last (K ) 222

1. Übersicht 222 2. Die Entscheidung 222 3. Die Entscheidungsbegründung 223 4. Rechtsdogmatisches Kuddelmuddel 224 5. Geklärte und ungeklärte Fragen 226

a) Befriedigungsprivileg ist keine dingliche Last 226 b) Berechtigung bei freihändigem Verkauf im Insolvenzverfahren 227 c) Verhältnis zur Vormerkung 228

6. Praktische Handhabung 230

II. Abgrenzung zwischen Sonder- und Gemeinschaftseigentum, Kostentragung (SH)232 1. Rechtliche Rahmenbedingungen und Relevanz der Abgrenzung 232

a) Beschränkte Möglichkeit zur Begründung von Sondereigentum 232 b) Folgen der (zwingenden) Zuordnung zum Gemeinschaftseigentum 232 c) Fazit 233

2. Aktuelle BGH-Rechtsprechung zu notwendigem Gemeinschaftseigentum 233 a) Wohnungseingangstüren stets notwendiges Gemeinschaftseigentum 233 b) Leitungen als notwendiges Gemeinschaftseigentum 237

3. Konsequenzen für die Gestaltungspraxis 240 a) Verzicht auf „Sondereigentumskataloge“ 240 b) (Vorsorgliche) Zuordnung zum Gemeinschaftseigentum nach § 5 Abs. 3

WEG 240 c) Abweichende Regelung v. a. der Kostentragung 241 d) Alternativ: Hilfsweise Regelung zur Instandhaltung/-setzung und

Kostentragung 242 4. Unmittelbare Geltung der Heizkostenverordnung 243

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III. Änderung der Teilungserklärung (CH) 244 1. Änderungsvollmacht für den Bauträger 244

a) Zwischen Skylla und Charybdis 244 b) Formulierungsbeispiel 245 c) Im Außenverhältnis unbeschränkt heißt unbeschränkt (OLG München,

7.11.2012 – 34 Wx 208/12) 247 d) Zeitliche Begrenzung der Vollmacht (OLG München, 10.4.2013 – 34 Wx

31/13) 249 2. Änderung der Teilungserklärung 250

a) Zweckbestimmung nach Unterteilung (OLG München, 5.7.2013 - 34 Wx 155/13) 250

b) Umwandlung eines schuldrechtlichen in ein dingliches Sondernutzungsrecht (OLG München, 11.05.2012 - 34 Wx 137/12 und 18.4.2013 - 34 Wx 363/12) 252

IV. Beschlussfassung der Wohnungseigentümer (SH) 254 1. Teilflächenveräußerung: Keine Beschlusskompetenz der

Eigentümergemeinschaft 254 a) Problemaufriss 254 b) Sachverhalt 255 c) Entscheidung 255 d) Fazit 256 e) Exkurs: Vormerkung nur an einem Miteigentumsanteil zur Sicherung des

Anspruchs auf eine Teilfläche des Gemeinschaftseigentums? 257 2. Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer zum Einbau von

Rauchwarnmeldern 257 3. Mehrheitserfordernis bei einer eine optische Veränderung bewirkenden

baulichen Maßnahme 258 a) Sachverhalt 258 b) Entscheidung 258

V. Erbbaurecht (K ) 260 1. OLG München v. 10.12.2012 - Bestimmtheit des Gebäudes - 260

a) Die Entscheidung 260 b) Bewertung 261 c) Bestimmung des Bauwerks 262

2. OLG Köln, Beschl. v. 6.5.2013 – Das Nachbarerbbaurecht - 265 a) Die Entscheidungsbegründung 266 b) Anwendungsbereich und Alternativen 267 c) Ein wenig Rechtsdogmatik 268 d) Gestaltungshinweis 269

3. Die Konsequenzen der Beendigung des Erbbaurechts 270 a) Fallgestaltung: 270 b) Lösungen 270

4. Absicherung von Grunddienstbarkeiten bei Bestellung eines Erbbaurechts 277 a) Sachverhalt 277

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b) Doppeleintragung 278 c) Absicherung gegen den Entschädigungsanspruch 279 d) Exkurs: Erlöschen der Dienstbarkeit beim Heimfall 282

E) Grundbuchrecht 285

I. Grundbucheinsicht beim Notar (§ 133a GBO) (CH) 285 1. Durchführung der Grundbucheinsicht beim Notar 285

a) Anwendungsbereich: „Isolierte“ Grundbucheinsicht 285 b) Ausschließliche Zuständigkeit des Grundbuchamts 286 c) Berechtigtes Interesse 286 d) Verfahren: Protokollierung 286 e) Rechtsbehelf und Kontrolle 288 f) Gebühr 289

2. Berechtigtes Interesse an Grundbucheinsicht (§ 12 GBO) 289 a) Notar muss berechtigtes Interesse vor Grundbucheinsicht prüfen (OLG

Celle, 3.3.2011 - Not 26/10) 289 b) Grundbucheinsicht durch Pflichtteilsberechtigte (OLG München,

7.11.2012 - 34 Wx 360/12; OLG Karlsruhe, 5. 9. 2013 - 11 Wx 57/13) 291 c) Grundbucheinsicht durch Nachbarn (OLG Karlsruhe, 29.5.2013 - 11 Wx

40/13) 293 d) Kaufinteressent 294 e) Gläubiger 294

II. Vollmachtsbescheinigung (§ 21 Abs. 3 BNotO) (CH) 295 a) Gesetzliche Neuregelung (BGBl. 2013 I, 1800) 295 b) Formulierungsbeispiel 295

III. Verwirrung bei Grundstücksvereinigung (CH) 297 1. Allgemeiner Begriff der Verwirrung 297

a) Was ist (grundbuchverfahrensrechtliche) Verwirrung? 297 b) Rechtsfolgen 298

2. Neuregelung zur Verwirrung bei Grundpfandrechten oder Reallasten 298 a) §§ 5, 6 GBO i.d.F. durch BGBl. 2013 I, 3719 298 b) Vergleichbare landesrechtliche Regelungen 300 c) Andere Belastungen 300

IV. Vollmacht und (Allein-)Erbenstellung; Abgrenzung zwischen Vorsorgevollmacht und Erbschein (SH) 301 1. Ausgangssituation 301

a) Rechtslage bei Tod des Vollmachtgebers 301 b) Exkurs: Nebeneinander von Vollmacht und Testamentsvollstreckung 302 c) Bevollmächtigter als Alleinerbe des Vollmachtgebers – Meinungsstand 303

2. OLG Hamm, Beschl. v. 10.1.2013 – 15 W 79/12 304 a) Sachverhalt 305 b) Entscheidung 305

3. Materiell-rechtliche Situation 306

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a) Erlöschen der Vollmacht 307 b) Kontrollüberlegungen 310 c) Exkurs: Ermächtigung i. S. v. § 185 Abs. 1 BGB als fortbestehender

„Vollmachtrestbestand“ 312 4. Grundbuchverfahren 313

a) Recht des Grundbuchamts zur Anzweiflung der Fortexistenz einer Vollmacht 314

b) Sondersituation des „sowieso Berechtigten“ 315 c) Zwischenergebnis 316

5. Empfehlungen für die Praxis 316 a) Keine näheren Ausführungen zur Erbfolge 316 b) Handeln auch im eigenen Namen 316 c) Risikohinweis in der Vorsorgevollmacht 317

6. Fazit 317

V. Nachweis der Ehegattenzustimmung (§ 1365 BGB) (SH) 318 1. Problemstellung 318

a) Sog. Einzeltheorie 318 b) Reichweite des grundbuchamtlichen Prüfungsrechts 318

2. Beschluss des BGH v. 21.2.2013 (V ZB 15/12) 319 a) Sachverhalt 319 b) Entscheidung 319 c) Fazit 320

3. Berücksichtigung eines vorbehaltenen dinglichen Wohnungsrechts im Rahmen von § 1365 BGB 321

VI. Nachweise zur Erbfolge im Grundbuchverfahren (CH) 323 1. Erbschein für Erben selbst erforderlich 323

a) Nacherbe braucht Nacherbschein 323 b) Öffentliche Urkunden zur Auslegung des Erbscheins 323

2. Grundbuchamt muss öffentliches Testament selbst auslegen (OLG München, 25.1.2012 – 34 Wx 316/11) 324

3. Ergänzende eidesstattliche Versicherung 324 a) Keine weiteren Kinder vorhanden (OLG München, 12.01.2012 - 34 Wx

501/11) 325 b) Pflichtteil nicht geltend gemacht (OLG Braunschweig, 30.12.2012 - 2 W

138/12, OLG Hamm, 8.2.2011 - I-15 W 27/11, und OLG München, 11.12.2012 - 34 Wx 433/12, ) 326

c) Kein Rücktritt vom Erbvertrag (OLG Düsseldorf, 25.4.2013 – I-3 Wx 219/12, gegen OLG München, 3.11.2011 – 34 Wx 272/11) 327

VII. Nachweis der Entgeltlichkeit im Grundbuchverfahren bei Verfügungen eines Vorerben oder Testamentsvollstreckers (CH) 329 1. Erfahrungssätze 330

a) Kaufvertrag mit einem unbeteiligten Dritten 330 b) Genehmigung durch das Betreuungs- oder Familiengericht 332 c) Vermächtniserfüllung 332

Inhaltsverzeichnis Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

d) Anstandsschenkung 334 2. Konkrete Zweifel an der Entgeltlichkeit 335

a) Grundsatz 335 b) Persönliche Näheverhältnis 336 c) Zweifel an Testierfähigkeit 337

F) Beschränkte dingliche Grundstücksrechte 338 I. Die abstrakte Hypothek (K ) 338

1. Risikobegrenzung und Umgehung 338 2. Zur Einordnung 339 3. Die Entscheidung 340 4. Bewertung 340

II. Wirksamkeitsvermerk und Rangvermerke bei der Vormerkung (K) 342 1. Der Entscheidungssachverhalt 342 2. Wie kann es überhaupt dazu kommen? 342 3. Kosten 344 4. Rechtsdogmatik im materiellen und formellen Recht 344 5. Risiken ohne Eintragung bei der Vormerkung? 347 6. Materielle Gründe für den Wirksamkeitsvermerk? 350 7. Rechtsdogmatik und Wortlautdogmatik 352

a) Rangfähigkeit der Vormerkung 352 b) Unzulässigkeit der Rangänderung wegen der Möglichkeit eines

Wirksamkeitsvermerks? 354 c) Rangänderung trotz bestehendem Wirksamkeitsvermerk? 354

8. Zusammenfassend kann deshalb festgehalten werden: 355 9. Exkurs: Vorrangvorbehalt bei der Vormerkung? 356

III. Für den Fall der Auflösung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft auflösend bedingtes Wohnungsrecht (SH) 357 1. Problemstellung 357 2. Sachverhalt 357 3. Entscheidung 358

G) Öffentliches Recht, Steuerrecht und Zwangsvollstreckung 359

I. BauGB-Novelle 2013 (BGBl. 2013, 1548) (CH) 359 1. Erschließungsvertrag 359

a) Erschließungsvertrag jetzt als Unterfall des städtebaulichen Vertrages 359 b) „Regimeentscheidung“ nach Rechtsprechung des BVerwG 362 c) Korrektur durch den Gesetzgeber 362

2. Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts zugunsten Dritter (§ 27a BauGB) 364

3. Verdichtung im Innenbereich vor Flächenverbrauch 366 a) Innenverdichtung vor Baulandausweisung 366 b) Rückbaugebot (§ 179 BauGB) 366

Inhaltsverzeichnis Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

4. Bauen im Außenbereich (§ 35 BauGB) 367 a) Massentierhaltung nicht mehr privilegiert 367 b) Neubau bei Nutzungsänderung ehemaliger landwirtschaftlicher Gebäude 368 c) Zurückstellung von Bauanträgen 369

5. Genehmigungserfordernis bei Erhaltungssatzung (§ 172 BauGB) 370 6. Änderungen der BauNVO 372

II. Einheimischenmodell im Licht der EuGH-Entscheidung (CH) 373 1. Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland 373 2. EuGH-Entscheidung im Vorlageverfahren Libert u.a. (8.5.2013 – Rs C-

197/11 und C-203/11) 373 3. Deutsche Einheimischenmodelle 375

III. Grunderwerbsteuer (K) 377 1. Erwerbsnebenkosten als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbssteuer 377

a) Fallgestaltung 377 b) Die Entscheidung 377 c) Anwendung auf andere Kosten? 378 d) Vorsicht bei solchen Gestaltungen 379

2. Nichtfestsetzung der Grunderwerbssteuer wegen Rückgängigmachung des Kaufvertrages und Neubegründung in einer Urkunde 379 a) Fallgestaltung 379 b) Die Entscheidung 380 c) Praktische Bedeutung 381

IV. Versteigerung eines GbR-Grundstücks (K) 383 1. Der Entscheidungssachverhalt 383 2. Die Entscheidung 383 3. Bewertung 384

Anhang: Muster Energieausweis

S. 1 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

A) Grundstückskauf

I. Änderung der Energieeinsparverordnung (EnEV) zum 1.5.2014 (CH)

Nach langen Vorbereitungen tritt die Energieeinsparverordnung (EnEV) nun endlich zum 1.5.2014 in Kraft (nachfolgend als EnEV 2013 bezeichnet).1 Damit setzt Deuschland eine EU-Richtlinie2 um - allerdings mit etwa einem Jahr Verspätung.3

In der notariellen Praxis betrifft uns v.a.:

– Energieausweise müssen künftig verpflichtend in Immobilienanzeigen erwähnt, dem Kauf- oder Mietinteressenten vorgelegt und nach Vertragsschluss übergeben werden (§ 16 EnEV).

– Alte Heizkessel müssen bei Eigentümerwechsel bereits ab Jahrgang 1985 ausgetauscht werden (bisher Jahrgang 1978)4 - bzw. nach 30 Jahren Nutzung.

– Die energetischen Anforderungen für Neubauten steigen zum 1.1.2016 (25% weniger Primärenergiebedarf). Für die Modernisierung von Altbauten ändert sich aber nichts.

1. Änderungen beim Energieausweis

a) Inhalt des Energieausweises

aa) Betrachten wir das - zur Verwendung vorgeschriebene - amtliche Muster für einen Energieausweis für Wohngebäude5, so fallen folgende Änderungen auf - in der Reihenfolge der Seiten des Ausweises:

– Angabe, aufgrund welcher Fassung der EnEV der Energieausweis erstellt wurde,

– Registrierungsnummer (auf jeder Seite des Energieausweises rechts oben) (§ 26c, § 17 Abs. 4 Satz 3 EnEV 2013),

– Angabe zum wesentlichen Energieträger sowie Präzisierung der Angaben zu erneuerbaren Energien und Lüftung.

1 BGBl. 2013 I, 3951. 2 Richtlinie 2010/31/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 über die

Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, ABl. EU vom 18.6.2010, L 153/13. Rechtsgrundlage im deutschen Recht sind §§ 1 und 2 EnEG (Energieeinspargesetz i.d.F. vom 4.7.2013 (BGBl. 2013 I 2197).

3 Nach Art. 28 RL 2010/31/EU wären die Mitgliedstaaten verpflichtet gewesen, die Umsetzungs-vorschriften bis spätestens 9.7.2012 zu veröffentlichen und ab 9.1.2013 bzw. 9.7.2013 anzuwenden.

4 Jahrgang des Heizkessels - nicht des Eigentümers (:-). 5 Das Muster ist am Ende des Skripts abgedruckt.

S. 2 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Die Registernummer vergibt – jedenfalls für die nächsten sieben Jahre - das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) .

Ein Energieausweis ohne Registriernummer ist nur vorläufig wirksam . (Änderun-gen mit Wirkung ab 1.5.2014 sind unterstrichen. Hervorhebungen sind von mir).

„§ 17 EnEV 2013 - Grundsätze des Energieausweises

(Abs. 4) Energieausweise einschließlich Modernisierungsempfehlungen müssen nach Inhalt und Aufbau den Mustern in den Anlagen 6 bis 9 entsprechen und mindestens die dort für die jeweilige Ausweisart geforderten, nicht als freiwillig gekennzeichneten Angaben enthalten. Zusätzliche, nicht personenbezogene Angaben können beigefügt werden. Energieausweise sind vom Aussteller unter Angabe seines Namens, seiner Anschrift und Berufsbezeichnung sowie des Ausstellungs-datums eigenhändig oder durch Nachbildung der Unterschrift zu unterschreiben. Vor Übergabe des neu ausgestellten Energieausweises an den Eigentümer hat der Aussteller die nach § 26c Absatz 2 zugeteilte Registriernummer einzutragen. Hat bei elektronischer Antragstellung die nach § 26c zuständige Registrierstelle bis zum Ablauf von drei Arbeitstagen nach Antragstellung und in sonstigen Fällen der Antragstellung bis zum Ablauf von sieben Arbeitstagen nach Antragstellung keine Registriernummer zugeteilt, sind statt der Registriernummer die Wörter „Registrier-nummer wurde beantragt am“ und das Datum der Antragstellung bei der Registrierstelle einzutragen (vorläufiger Energieausweis). Unverzüglich nach Erhalt der Registriernummer hat der Aussteller dem Eigentümer eine Ausfertigung des Energieausweises mit der eingetragenen Registriernummer zu übermitteln. Nach Zugang des vervollständigten Energieausweises beim Eigentümer verliert der vorläufige Energieausweis seine Gültigkeit. Die Modernisierungs-empfehlungen nach § 20 sind Bestandteil der Energieausweise nach den Mustern in den Anlagen 6 und 7.“

bb) Energieausweise (§§ 17-19 EnEV) können wie bisher entweder auf Grundlage des errechneten Energiebedarfs (Energiebedarfsausweis) oder des tatsächlichen Energieverbrauchs (Energieverbrauchsausweis) ausgestellt werden - oder auch sowohl Energiebedarf wie -verbrauch angeben (§ 17 Abs. 1 EnEV). Je nachdem ist entweder die zweite oder die dritte Seite des Energieausweises ausgefüllt.

Wie bisher ist für ganz alte und ganz neue Objekte ausschließlich ein Energiebedarfs-ausweis zulässig, nämlich:

– für noch zu errichtende Neubauten (unabhängig von der Zahl der Wohnungen) (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EnEV)

– sowie für „Wohngebäude, die weniger als fünf Wohnungen haben und für die der Bauantrag vor dem 1. November 1977 gestellt worden ist“ (ausgenommen sie erfüllen das Anforderungsniveau der Wärmeschutzverordnung vom 11.8.1977 (BGBl. I S. 1554) (§ 17 Abs. 2 Satz 2 EnEV).

Eine Wahl zwischen Bedarfs- und Verbrauchsausweis bleibt damit v.a. für Bestands-objekte mit Bauantrag ab 1.11.1977 (unabhängig von der Zahl der Wohnungen).

cc) Neu im Energieausweis ist die Einteilung in Energieeffizienzklassen (nur bei Wohngebäuden).

S. 3 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

„Anlage 10 EnEV 2013 - Einteilung in Energieeffizienzklassen

Die Energieeffizienzklassen ergeben sich gemäß der nachfolgenden Tabelle unmittelbar aus dem

Endenergieverbrauch oder dem Endenergiebedarf.

Energieeffizienzklasse Endenergie

[kWh/(m2 ·a)]

A+ < 30

A < 50

B < 75

C < 100

D < 130

E < 160

F < 200

G < 250

H > 250

Oder - in den Farben ausgedrückt: A+ bis B ist grün, C bis E ist gelb, F bis H ist (orange bis) rot.

Der Gesetzgeber verspricht sich, dass man die Energieeffizienzklassen als Art Schulnoten leichter verstehen und mitteilen kann als die Skala.

„Die Einführung der Energieeffizienzklassen ermöglicht auch Laien, unmittelbar die energetische Qualität eines Gebäudes beurteilen zu können und sich damit im Vergleich für eine Wohnung beziehungsweise ein Gebäude entscheiden zu können, das insgesamt niedrigere Betriebskosten erwarten lässt. Dies ist insbesondere erforderlich, da es sich bei den Gebäuden um die Güter mit dem höchsten Energieverbrauch handelt.“

BR-Drucks. 113/13 (Beschluss), S. 18

dd) Völlig verändert haben sich aber die Vergleichswerte auf der Skala:

– Als Verbrauch für den „Durchschnitt Wohngebäudebestand“ waren in der EnEV 2009 ca. 225 kWh/(qm und Jahr) angeben. Nunmehr ist es etwa ein Drittel weniger, nämlich nur mehr ca. 150 kWh/(qm und Jahr).

– Das „EFH (= Einfamilienhaus) energetisch nicht wesentlich modernisiert“ als schlechtestes Beispiel verbrauchte nach der EnEV 2009 an die 400 kWh/(qm und Jahr), nunmehr nur etwa ca. 225 kWh/(qm und Jahr) - eine beachtliche Einsparung, die noch dazu ohne energetische Modernisierung erzielt wurde! Auch bei energetisch nicht wesentlich modernisierten Mehrfamilienhäusern erzielt die Neufassung der Verordnung wundersame Einsparungen von fast 50%. Ich kann mir die Differenz nur dadurch erklären, dass man die Vergleichsgruppe jetzt anders definiert und auch wesentlich neuere (und damit energetisch bessere) Bauten als „nicht modernisiert“ erfasst (also vielleicht auch das „energetisch nicht modernisierte“ Gebäude aus dem Jahr 2010).

S. 4 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– Eher verständlich sind die Änderungen am anderen Ende der Skala, bei Neubauten. Hier ordnete die EnEV 2009 einen Einfamilienhausneubau bei ca. 100 kWh/(qm und Jahr) ein, ihre Nachfolgeverordnung von 2013 nur mehr bei etwas über 50 (vielleicht knapp 60) kWh/(qm und Jahr). Beim Mehrfamilienhausneubau ist der Sprung geringer - von knapp über auf knapp unter 50 kWh/(qm und Jahr). Und der Musterschüler hat nur seinen Namen gewechselt und heißt nicht mehr Passivhaus, sondern „Effizienzhaus 40“, weil er - nicht 40, sondern ca. ca. 25 kWh/(qm und Jahr) verbraucht.

Damit bildet die neue Skala nur mehr gut die Hälfte der alten Skala ab. Was früher ein durchschnittliches Gebäude war (in der gelben Mitte der Skala) ist nun ein tiefroter Schandfleck ganz am rechten Ende der Skala. Man darf also bei einem alten Energie-ausweis keinesfalls nach der Farbe auf die neuen Energieeffizienzklassen umrechnen.

Alte Energieausweise können aber weiterverwendet werden, auch wenn sie noch keine Angaben zur Energieeffizienzklasse enthalten (solange sie noch gültig sind, d.h. für 10 Jahre seit ihrer Ausstellung).

Wer also ein energetisch nicht so gutes Gebäude hat, wird mit einem besseren Zeugnis belohnt, wenn er sich rechtzeitig noch der EnEV 2009 einen Energieausweis hat ausstellen lassen. Oder: Wer rechtzeitig kommt, den belohnt das Leben.

Zur Beruhigung: Als Pflichtangabe für Immobilienanzeigen ist (auch) der absolute Endenergieverbrauch (in kWh/qm und Jahr) anzugeben.

dd) Zu den bereits bisher bei Neubauten erforderlichen Angaben zu Ersatzmaßnahmen nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 EEWärmeG kommen künftig noch Angaben zur Nutzung erneuerbarer Energien (mit dem jeweiligen Deckungsgrad) hinzu.

Wie bisher muss der Aussteller des Energieausweises auch Modernisierungs-empfehlungen geben. Diese sind künftig Bestandteil des Energieausweises (§ 17 Abs. 4 Satz 7 EnEV 2013), nicht nur diesem beizufügen; ggf. ist ausdrücklich zu vermerken, dass keine Modernisierungsmaßnahmen möglich sind. Außerdem ändert sich der Art der Darstellung leicht.

§ 20 EnEV - Empfehlungen für die Verbesserung der Energieeffizienz

Der Aussteller des Energieausweises hat dem Eigentümer im Energieausweis Empfehlungen für Maßnahmen zur kosteneffizienten Verbesserung der energetischen Eigenschaften des Gebäudes (Energieeffizienz) in Form von kurz gefassten fachlichen Hinweisen zu geben (Modernisierungs-empfehlungen), es sei denn, solche Maßnahmen sind nicht möglich. Die Modernisierungs-empfehlungen beziehen sich auf Maßnahmen am gesamten Gebäude, an einzelnen Außenbauteilen sowie an Anlagen und Einrichtungen im Sinne dieser Verordnung. In den Modernisierungs-empfehlungen kann ergänzend auf weiterführende Hinweise in Veröffentlichungen des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit dem Bundes-ministerium für Wirtschaft und Technologie oder in Veröffentlichungen von ihnen beauftragter Dritter Bezug genommen werden. Die Bestimmungen des § 9 Absatz 2 Satz 2 über die

S. 5 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

vereinfachte Datenerhebung sind entsprechend anzuwenden. Sind Modernisierungsempfehlungen nicht möglich, hat der Aussteller dies im Energieausweis zu vermerken.

dd) Wie bisher sind Energieausweise zehn Jahre ab ihrer Ausstellung gültig (§ 17 Abs. 6 EnEV). Alte Energieausweise können also weiterverwendet werden, auch wenn sie nicht alle nach neuem Recht erforderlichen Angaben enthalten (§ 29 Abs. 1 EnEV 2013).

§ 17 Abs. 6 EnEV (unverändert) „Energieausweise sind für eine Gültigkeitsdauer von zehn Jahren auszustellen. Unabhängig davon verlieren Energieausweise ihre Gültigkeit, wenn nach § 16 Absatz 1 ein neuer Energieausweis erforderlich wird.“

§ 16 Abs. 1 verweist wiederum auf § 9 Abs. 1 und 2 EnEV, wonach bei wesent-lichen Änderungen eine Neuberechnung wie einem Neubau durchzuführen ist.

§ 29 EnEV 2013 - Übergangsvorschriften für Energieausweise und Aussteller

(1) Energiebedarfsausweise für Wohngebäude, die nach Fassungen der Energieeinsparverordnung, die vor dem 1. Oktober 2007 gegolten haben, ausgestellt worden sind, gelten als Energieausweise im Sinne des § 16 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 2 bis 4 sowie des § 16a; sie sind ab dem Tag der Ausstellung zehn Jahre gültig. Satz 1 ist entsprechend anzuwenden auf Energieausweise, die vor dem 1. Oktober 2007 ausgestellt worden sind

1. von Gebietskörperschaften oder auf deren Veranlassung von Dritten nach einheitlichen Regeln, wenn sie Angaben zum Endenergiebedarf oder -verbrauch enthalten, die auch die Warmwasser-bereitung und bei Nichtwohngebäuden darüber hinaus die Kühlung und eingebaute Beleuchtung berücksichtigen, und wenn die wesentlichen Energieträger für die Heizung des Gebäudes angegeben sind, oder

2. in Anwendung der in dem von der Bundesregierung am 25. April 2007 beschlossenen Entwurf dieser Verordnung (Bundesrats-Drucksache 282/07) enthaltenen Bestimmungen.

Energieausweise, die vor dem 1. Oktober 2007 ausgestellt worden sind und nicht von Satz 1 oder Satz 2 erfasst werden, sind von der Fortgeltung im Sinne des Satzes 1 ausgeschlossen; sie können bis zu sechs Monate nach dem 30. April 2014 für Zwecke des § 16 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 2 bis 4 verwendet werden.

(2) …

b) Kontrolle der Energieausweise

Die erstellten Energieausweise werden künftig stichprobenmäßig kontrolliert. Die Vorschrift ist insgesamt neu.

Es gibt drei Stufen der Kontrolle mit steigender Kontrollintensität – und umgekehrt abnehmender Zahl der auf der jeweiligen Stufe geprüften Energieausweise:

– bloßer elektronischer Plausibilitätscheck bei der bundeseinheitlichen Registrier-stelle (Deutsches Institut für Bautechnik - DIBt),

– Nachrechnen durch die Behörde (Bundesland),

S. 6 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– Nachprüfung vor Ort durch behördliche Inspektion des Gebäudes (Bundesland).

§ 26d EnEV 2013 - Stichprobenkontrollen von Energieausweisen und Inspektionsberichten über Klimaanlagen

(1) Die zuständige Behörde (Kontrollstelle ) unterzieht Inspektionsberichte über Klimaanlagen nach § 12 und Energieausweise nach § 17 nach Maßgabe der folgenden Absätze einer Stich-probenkontrolle.

(2) Die Stichproben müssen jeweils einen statistisch signifikanten Prozentanteil aller in einem Kalenderjahr neu ausgestellten Energieausweise und neu ausgestellten Inspektionsberichte über Klimaanlagen erfassen.

(3) Die Kontrollstelle kann bei der Registrierstelle Registriernummern und dort vorliegende Angaben nach § 26c Absatz 1 zu neu ausgestellten Energieausweisen und Inspektionsberichten über im jeweiligen Land belegene Gebäude und Klimaanlagen erheben, speichern und nutzen, soweit dies für die Vorbereitung der Durchführung der Stichprobenkontrollen erforderlich ist. …

(4) Die gezogene Stichprobe von Energieausweisen wird von der Kontrollstelle auf der Grundlage der nachstehenden Optionen oder gleichwertiger Maßnahmen überprüft:

1. Validitätsprüfung der Eingabe-Gebäudedaten, die zur Ausstellung des Energieausweises verwendet wurden, und der im Energieausweis angegebenen Ergebnisse;

2. Prüfung der Eingabe-Gebäudedaten und Überprüfung der im Energieausweis angegebenen Ergebnisse einschließlich der abgegebenen Modernisierungsempfehlungen;

3. vollständige Prüfung der Eingabe-Gebäudedaten, die zur Ausstellung des Energieausweises verwendet wurden, vollständige Überprüfung der im Energieausweis angegebenen Ergebnisse einschließlich der abgegebenen Modernisierungsempfehlungen und, falls dies insbesondere auf Grund des Einverständnisses des Eigentümers des Gebäudes möglich ist, Inaugenschein-nahme des Gebäudes zur Prüfung der Übereinstimmung zwischen den im Energieausweis angegebenen Spezifikationen mit dem Gebäude, für das der Energieausweis erstellt wurde.

Wird im Rahmen der Stichprobe ein Energieausweis gezogen, der bereits auf der Grundlage von Landesrecht einer zumindest gleichwertigen Überprüfung unterzogen wurde, findet keine erneute Überprüfung statt. Die auf der Grundlage von Landesrecht bereits durchgeführte Überprüfung gilt als Überprüfung im Sinne derjenigen Option nach Satz 1, der sie gleichwertig ist.

(5) Aussteller von Energieausweisen sind verpflichtet, Kopien der von ihnen ausgestellten Energieausweise und der zu deren Ausstellung verwendeten Daten und Unterlagen zwei Jahre ab dem Ausstellungsdatum des jeweiligen Energieausweises aufzubewahren.

(6) Die Kontrollstelle kann zur Durchführung der Überprüfung nach Absatz 4 in Verbindung mit Absatz 1 vom jeweiligen Aussteller die Übermittlung einer Kopie des Energieausweises und die zu dessen Ausstellung verwendeten Daten und Unterlagen verlangen. Der Aussteller ist verpflichtet, dem Verlangen der Kontrollbehörde zu entsprechen. Der Energieausweis sowie die Daten und Unterlagen sind der Kontrollstelle grundsätzlich in elektronischer Form zu übermitteln. Eine Übermittlung in Papierform ist zulässig, soweit die elektronische Übermittlung für den Antragsteller eine unbillige Härte bedeuten würde. Angaben zum Eigentümer und zur Adresse des Gebäudes darf die Kontrollstelle nur verlangen, soweit dies zur Durchführung der Überprüfung im Einzelfall erforderlich ist; werden die im ersten Halbsatz genannten Angaben von der Kontrollstelle nicht verlangt, hat der Aussteller Angaben zum Eigentümer und zur Adresse des Gebäudes in der Kopie des Energieausweises sowie in den zu dessen Ausstellung verwendeten Daten und Unterlagen vor der Übermittlung unkenntlich zu machen. Im Fall der Übermittlung von Angaben nach Satz 5 erster Halbsatz in Verbindung mit Satz 2 hat der Aussteller des Energieausweises den Eigentümer des Gebäudes hierüber unverzüglich zu informieren.

(7) …

S. 7 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

In einer Information des BMVI (Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur) im Internet heißt es (Hervorhebungen von mir):6

„Fragen und Antworten zur Energieeinsparverordnung (EnEV)

Wie funktioniert das neue Kontrollsystem für Energieausweise?

… Die Aufgaben der Registrierstelle wird für eine Übergangszeit von bis zu sieben Jahren das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) übernehmen.

Sobald ein Ausweis eine Registriernummer erhalten hat, steht er für eine mögliche Stichprobenkontrolle zur Verfügung. Für jede Kontrollstufe der Nummern 1 bis 3 wird ein bestimmter Umfang an Stichproben zufällig gezogen.

Die Kontrolle nach der oben genannten 1. Stufe wird elektronisch vom DIBt durchgeführt, während die Kontrolle der Stufen 2 und 3 das jeweils zuständige Bundesland veranlassen muss. Zuständig ist das Bundesland, in dem sich das betroffene Gebäude befindet. Der Aussteller des Energieausweises wird von der nach Landesrecht zuständigen Behörde darüber informiert, dass ein bestimmter, von ihm erstellter Ausweis für die Kontrolle als Stichprobe gezogen wurde und welche Unterlagen er zur Durchführung der Überprüfung der Behörde zu übermitteln hat (vergl. § 26d Absatz 6 EnEV 2013). Der Energieausweis sowie die Daten und Unterlagen sind grundsätzlich elektronisch zu übermitteln. Angaben zum Eigentümer und zur Adresse des Gebäudes darf die Kontrollstelle nur verlangen, soweit dies zur Durchführung der Überprüfung in Einzelfall erforderlich ist. Der Aussteller hat den Eigentümer des Gebäudes unverzüglich darüber zu informieren, wenn er diese Angaben übermittelt. Werden Angaben zum Eigentümer und zur Gebäudeadresse von der Kontrollstelle nicht verlangt, so muss der Aussteller sie in den zu übermittelnden Unterlagen vor der Übermittlung unkenntlich machen.“

Die Stichprobe soll etwa 0,5% aller Energieausweise umfassen.7 D.h. etwa jeder 200te Energieausweis wird näher überprüft.

In der Regierungsbegründung heißt es: „Es wird dabei – unter Zugrundelegung einer 0,5-Prozent-Stichprobe - von einer zu prüfenden Zahl von Energieausweisen und Inspektionsberichten von insgesamt rund 2 200 Stück jährlich und von einem durchschnittlichen Prüfaufwand pro Ausweis bzw. Bericht von 58,10 Euro (eine Stunde im höheren Dienst à 58,10 Euro) ausgegangen.“

BR-Drucks. 113/13 vom 10.2.2013, S. 71.

2. Immobilienanzeigen, Vorlage und Übergabe des Energieausweises

a) Immobilienanzeigen

Ab 1. Mai 2014 müssen in Immobilienanzeigen die wesentlichen Daten aus dem Energieausweis erwähnt werden (vorausgesetzt bei Aufgabe der Anzeige liegt bereits ein Energieausweis vor). Dies gilt sowohl für Verkaufs- wie für Vermietungsanzeigen (und für Anzeigen in Print- wie in elektronischen Medien). Die Vorschrift ist insgesamt neu (Hervorhebungen stammen von mir).

§ 16a EnEV - Pflichtangaben in Immobilienanzeigen

6 http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/FAQs/EnEV/enev-faq.html?nn=36222 – abgerufen 31.1.14. 7 BR-Drucks. 113/13 vom 10.2.2013, S. 71.

S. 8 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(1) Wird in Fällen des § 16 Absatz 2 Satz 1 vor dem Verkauf eine Immobilienanzeige in kommerziellen Medien aufgegeben und liegt zu diesem Zeitpunkt ein Energieausweis vor, so hat der Verkäufer sicherzustellen, dass die Immobilienanzeige folgende Pflichtangaben enthält:

1. die Art 8 des Energieausweises: Energiebedarfsausweis oder Energieverbrauchsausweis im Sinne des § 17 Absatz 1 Satz 1,

2. den im Energieausweis genannten Wert des Endenergiebedarfs oder Endenergieverbrauchs für das Gebäude,

3. die im Energieausweis genannten wesentlichen Energieträger für die Heizung des Gebäudes,

4. bei Wohngebäuden das im Energieausweis genannte Baujahr und

5. bei Wohngebäuden die im Energieausweis genannte Energieeffizienzklasse.

Bei Nichtwohngebäuden ist bei Energiebedarfs- und bei Energieverbrauchsausweisen als Pflichtangabe nach Satz 1 Nummer 2 der Endenergiebedarf oder Endenergieverbrauch sowohl für Wärme als auch für Strom jeweils getrennt aufzuführen.

(2) Absatz 1 ist entsprechend anzuwenden auf den Vermieter, Verpächter und Leasinggeber bei Immobilienanzeigen zur Vermietung, Verpachtung oder zum Leasing eines Gebäudes, einer Wohnung oder einer sonstigen selbständigen Nutzungseinheit.

(3) Bei Energieausweisen, die nach dem 30. September 2007 und vor dem 1. Mai 2014 ausgestellt worden sind, und bei Energieausweisen nach § 29 Absatz 1 sind die Pflichten der Absätze 1 und 2 nach Maßgabe des § 29 Absatz 2 und 3 zu erfüllen.

§ 29 Absatz 3 besagt, dass bei alten Energieausweisen nur die dort enthaltenen Daten anzugeben sind - also nicht etwa für die Anzeige ein neuer Ausweis erforderlich ist.

§ 29 EnEV 2013 - Übergangsvorschriften für Energieausweise und Aussteller

(1) …

(2) § 16a ist auf Energieausweise, die nach dem 30. September 2007 und vor dem 1. Mai 2014 ausgestellt worden sind, mit den folgenden Maßgaben anzuwenden. Als Pflichtangabe nach § 16a Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 ist in Immobilienanzeigen anzugeben:

1. bei Energiebedarfsausweisen für Wohngebäude der Wert des Endenergiebedarfs, der auf Seite 2 des Energieausweises gemäß dem Muster nach Anlage 6 angegeben ist;

2. bei Energieverbrauchsausweisen für Wohngebäude der Energieverbrauchskennwert, der auf Seite 3 des Energieausweises gemäß dem Muster nach Anlage 6 angegeben ist; ist im Energieverbrauchskennwert der Energieverbrauch für Warmwasser nicht enthalten, so ist der Energieverbrauchskennwert um eine Pauschale von 20 Kilowattstunden pro Jahr und Quadratmeter Gebäudenutzfläche zu erhöhen;

3. bei Energiebedarfsausweisen für Nichtwohngebäude der Gesamtwert des Endenergiebedarfs, der Seite 2 des Energieausweises gemäß dem Muster nach Anlage 7 zu entnehmen ist;

4. bei Energieverbrauchsausweisen für Nichtwohngebäude sowohl der Heizenergie-verbrauchs- als auch der Stromverbrauchskennwert, die Seite 3 des Energieausweises gemäß dem Muster nach Anlage 7 zu entnehmen sind.

Die Sätze 1 und 2 sind entsprechend auf Energieausweise nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 anzu-wenden. Bei Energieausweisen für Wohngebäude nach Satz 1 und nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, bei denen noch keine Energieeffizienzklasse angegeben ist, darf diese freiwillig angegeben werden, wobei sich die Klasseneinteilung gemäß Anlage 10 aus dem Endenergiebedarf oder dem Endenergieverbrauch des Gebäudes ergibt. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und

8 Hervorhebungen sind von mir.

S. 9 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Stadtentwicklung kann im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie für Energieausweise nach Satz 1 und nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 Arbeitshilfen zu den Pflichtangaben in Immobilienanzeigen im Bundesanzeiger bekannt machen.

(3) § 16a ist auf Energieausweise nach Absatz 1 Satz 1 und 2 Nummer 1 mit folgenden Maßgaben anzuwenden. …

b) Vorlage- und Übergabepflicht

aa) Verkauf eines Bestandsgebäudes

Wie Ihnen Herr Herrler schon bei der letztjährigen Veranstaltung angekündigt hat, muss künftig der Verkäufer (Vermieter)

– den Energieausweis bei der Besichtigung vorlegen

– und nach Vertragsschluss übergeben.

Dies ergibt sich aus der Neufassung des § 16 Abs. 2 EnEV:

§ 16 EnEV 2013 - Ausstellung und Verwendung von Energieausweisen

(1) …

(2) Soll ein mit einem Gebäude bebautes Grundstück, ein grundstücksgleiches Recht an einem bebauten Grundstück oder Wohnungs- oder Teileigentum verkauft werden, hat der Verkäufer dem potenziellen Käufer spätestens bei der Besichtigung einen Energieausweis oder eine Kopie hiervon mit dem Inhalt nach dem Muster der Anlage 6 oder 7 vorzulegen; die Vorlagepflicht wird auch durch einen deutlich sichtbaren Aushang oder ein deutlich sichtbares Auslegen während der Besichtigung erfüllt. Findet keine Besichtigung statt, hat der Verkäufer den Energieausweis oder eine Kopie hiervon mit dem Inhalt nach dem Muster der Anlage 6 oder 7 dem potenziellen Käufer unverzüglich vorzulegen; der Verkäufer muss den Energieausweis oder eine Kopie hiervon spätestens unverzüglich dann vorlegen, wenn der potenzielle Käufer ihn hierzu auffordert. Unverzüglich nach Abschluss des Kaufvertrages hat der Verkäufer dem Käufer den Energie-ausweis oder eine Kopie hiervon zu übergeben. Die Sätze 1 bis 3 sind entsprechend anzuwenden auf den Vermieter, Verpächter und Leasinggeber bei der Vermietung, der Verpachtung oder dem Leasing eines Gebäudes, einer Wohnung oder einer sonstigen selbständigen Nutzungseinheit.

(3) …

Bisher lautet § 16 Abs. 2 EnEV hingegen:

§ 16 EnEV 2009 - Ausstellung und Verwendung von Energieausweisen

(1) …

(2) Soll ein mit einem Gebäude bebautes Grundstück, ein grundstücksgleiches Recht an einem bebauten Grundstück oder Wohnungs- oder Teileigentum verkauft werden, hat der Verkäufer dem potenziellen Käufer einen Energieausweis mit dem Inhalt nach dem Muster der Anlage 6 oder 7 zugänglich zu machen, spätestens unverzüglich, nachdem der potenzielle Käufer dies verlangt hat. Satz 1 gilt entsprechend für den Eigentümer, Vermieter, Verpächter und Leasinggeber bei der Vermietung, der Verpachtung oder beim Leasing eines Gebäudes, einer Wohnung oder einer sonstigen selbständigen Nutzungseinheit.

Dazu heißt es in der Regierungsbegründung:

S. 10 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

„Im ersten Halbsatz des Satzes 1 wird die bestehende Pflicht zur Vorlage des Energieausweises gegenüber potenziellen Käufern verdeutlicht. Danach muss die Vorlage des Energieausweises oder einer Kopie spätestens bereits bei der Besichtigung des Gebäudes bzw. der Wohnung durch den potenziellen Käufer erfolgen. Anstelle des bisherigen Begriffs „zugänglich machen“ wird in Anlehnung an den Richtlinienwortlaut das Wort „vorlegen“ verwendet. Zudem wird in Satz 1 erster Halbsatz entsprechend der Richtlinienvorgabe ergänzt, dass beim Vorlegen des Energie-ausweises gegenüber potenziellen Käufern neben der Vorlage des Originals ausdrücklich auch die Vorlage einer Kopie zulässig ist. Der Vorlagepflicht wird nach Satz 1 zweiter Halbsatz auch Genüge getan, wenn der Energieausweis oder die Kopie beim Besichtigungstermin an deutlich sichtbarer Stelle ausgehängt oder ausgelegt wird. In den eher seltenen Fällen, in denen es nicht zu einer Besichtigung kommt, besteht ebenfalls eine Pflicht des Verkäufers, dem potenziellen Käufer unverzüglich den Energieausweis oder eine Kopie hiervon vorzulegen (Satz 2 erster Halbsatz). Der Verkäufer muss diese Vorlagepflicht spätestens unverzüglich dann erfüllen, wenn der potenzielle Käufer ihn hierzu auffordert (Satz 2 zweiter Halbsatz).

Der neu eingefügte Satz 3 begründet die Pflicht zur Aushändigung des Energieausweises oder einer Kopie des Ausweises an den Käufer. Ferner wird festgelegt, dass der Energieausweis oder die Kopie unverzüglich nach Abschluss des Kaufvertrages zu übergeben ist. Die Übergabepflicht wird die praktische Bedeutung des Energieausweises noch weiter erhöhen.

Die Aushändigungspflicht gilt für alle nach Inkrafttreten des neuen Satz 3 geschlossenen Kauf-verträge. Einer gesonderten Überleitungsvorschrift hierzu bedarf es nicht.“

(BR-Drucks. 113/13 vom 10.2.2013, S. 93)

Eine Verzichtsmöglichkeit gibt es damit nicht mehr. Die Vorlage- und Aushändi-gungspflicht ist nach dem Gesetzeswortlaut unabhängig von einem Verlangen des potentiellen Käufers oder Mieters. Das Verlangen bestimmt nur noch den Zeitpunkt, zu dem die (unbedingte) Vorlagepflicht zu erfüllen ist, falls der Interessent die Wohnung nicht besichtigt hat.

– Damit ist das Argument aus dem Wortlaut der Norm weggefallen.

– Die Nichtvorlage ist eine Ordnungswidrigkeit . Auch dort wird nicht darauf abgestellt, ob der potentielle Käufer oder Mieter die Vorlage verlangt hat.

– Nach ihrem Zweck dient der Energieausweis zwar der Information des potentiellen Käufers oder Mieters – aber nur als Teil des Ziels, Energie zu sparen. Der Zweck Energieeinsparung (oder allgemeiner Umweltschutz) steht aber nicht zur Disposi-tion der Vertragsparteien.

Aus den Vertragsmustern ist daher die Variante des Verzichts auf den Energie-ausweis zu streichen. Dies ist bei Kaufvertragsschluss ab 1. Mai 2014 nicht mehr möglich.

Nachdem dies für alle ab 1. Mai 2014 abgeschlossenen Verträge gilt, sollten die Makler schon vorher die Verkäufer informieren, damit diese ggf. rechtzeitig einen Energieausweis beantragen.

S. 11 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

bb) Bauträger

Verkauft der Bauträger – wie typischerweise – bereits vor Fertigstellung des Gebäudes, so greift nicht § 16 Abs. 2 EnEV ein, sondern dessen Absatz 1:

§ 16 EnEV 2013 - Ausstellung und Verwendung von Energieausweisen

(1) Wird ein Gebäude errichtet, hat der Bauherr sicherzustellen, dass ihm, wenn er zugleich Eigen-tümer des Gebäudes ist, oder dem Eigentümer des Gebäudes ein Energieausweis nach dem Muster der Anlage 6 oder 7 unter Zugrundelegung der energetischen Eigenschaften des fertig gestellten Gebäudes ausgestellt und der Energieausweis oder eine Kopie hiervon übergeben wird. Die Ausstellung und die Übergabe müssen unverzüglich nach Fertigstellung des Gebäudes erfolgen. Die Sätze 1 und 2 sind entsprechend anzuwenden, wenn unter Anwendung des § 9 Absatz 1 Satz 2 für das gesamte Gebäude Berechnungen nach § 9 Absatz 2 durchgeführt werden. Der Eigentümer hat den Energieausweis der nach Landesrecht zuständigen Behörde auf Verlangen vorzulegen.

Beim Bauträgervertrag ist der Bauträger Bauherr. (Dies setzt § 34c Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a) GewO ausdrücklich voraus.) D.h. der Bauträger muss sich darum kümmern,

– dass ein Energieausweis für das neu errichtete Gebäude ausgestellt wird (dies galt schon bisher)

– und dass ihm dieser unverzüglich nach Fertigstellung des Gebäudes übergeben wird. (Dies wurde klarstellend ergänzt. Denn was sonst sollte man mit dem Energieausweis anfangen?)

In der EnEV ist nicht ausdrücklich geregelt, dass der Bauträger den Energieausweis dann auch an den Erwerber übergeben muss. Der Energieausweis wäre aber nutzlos, wenn er nach der Veräußerung beim Bauträger verbleibt.

– Vermutlich kann man aus einer Gesamtanalogie zu § 16 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 eine Übergabepflicht an den Erwerber nach Fertigstellung ableiten.

– Da sich die Übergabepflicht aber nur aus einer analogen Anwendung ergibt, dürfte bei Wohnungseigentum genügen, wenn der Bauträger den Energieausweis an den WEG-Verwalter übergibt (wie derzeit wohl meistens praktiziert).

– Weil eine ausdrückliche Regelung fehlt, liegt keine Ordnungswidrigkeit vor, falls der Bauträger die Übergabe verabsäumt. Denn eine straf- oder ordnungswidrig-keitenrechtliche Sanktion kann nicht auf eine Gesetzesanalogie gestützt werden.

Man kann die Übergabepflicht natürlich im Bauträgervertrag ausdrücklich regeln.

cc) Mögliche Ausnahmen:

Gibt es Ausnahmen zur Vorlage- und Übergabepflicht des Energieausweises - etwa beim Verkauf eines Abbruchhauses oder eines Bestandsobjekts, das umfassend saniert werden soll, so dass ein Energieausweis allenfalls von historischem Interesse wäre?

Das Gesetz sieht als Ausnahme in § 16 Abs. 5 EnEV 2013 (= § 16 Abs. 4 EnEV 2009) nur vor:

S. 12 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

„Auf kleine Gebäude sind die Vorschriften dieses Abschnitts nicht anzuwenden. Auf Baudenkmäler sind die Absätze 2 bis 4 nicht anzuwenden.“

„Kleine Gebäude“ sind nach § 2 Nr. 3 EnEV solche mit nicht mehr als 50 qm Nutzfläche.

Auch die Befreiungsmöglichkeit des § 25 Abs. 1 EnEV (bei „unbilliger Härte“) gilt ausdrücklich nicht für die Vorschriften des fünften Abschnitts (über Energieausweise) (§ 25 Abs. 1 EnEV).

Das auf Abbruch verkaufte Gebäude fällt aber m.E. nicht in den Anwendungs-bereich der Verordnung, da es nicht mehr beheizt wird:

§ 1 EnEV 2013 - Zweck und Anwendungsbereich

(1) …

(2) Diese Verordnung gilt

1. für Gebäude, soweit sie unter Einsatz von Energie beheizt oder gekühlt werden, und

2. …“

Bei einem Bestandsobjekt, das lediglich umfassend energetisch saniert werden soll, sehe ich aber keine Ausnahme im Text der Verordnung - es sei denn, das Objekt kann nicht mehr beheizt werden. Man könnte eine teleologische Reduktion erwägen, da der Energieausweis seinen Zweck der Information über den aktuellen Verbrauch verfehlt. Ganz ist der Zweck des Ausweises aber nicht verfehlt, da er dem Käufer in Form der Modernisierungsempfehlungen zumindest einen ersten Anhaltspunkt über mögliche Maßnahmen gibt.

dd) Verstoß

Ein Verstoß gegen die (jetzt erweiterte) Vorlage- oder Übergabepflicht stellt - wie bisher - eine Ordnungswidrigkeit dar. (Änderungen im Verordnungstext sind unter-strichen.)

§ 27 EnEV 2013 - Ordnungswidrigkeiten

(1) …

(2) Ordnungswidrig im Sinne des § 8 Absatz 1 Nummer 2 des Energieeinsparungsgesetzes handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig

1. entgegen § 12 Absatz 1 eine Inspektion nicht oder nicht rechtzeitig durchführen lässt,

2. entgegen § 12 Absatz 5 Satz 1 eine Inspektion durchführt,

3. entgegen § 16 Absatz 1 Satz 1 nicht sicherstellt, dass ein Energieausweis oder eine Kopie hiervon übergeben wird,

4. entgegen § 16 Absatz 2 Satz 1 erster Halbsatz oder Satz 2 zweiter Halbsatz, jeweils auch in Verbindung mit Satz 4, einen Energieausweis oder eine Kopie hiervon nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig vorlegt,

5. entgegen § 16 Absatz 2 Satz 3, auch in Verbindung mit Satz 4, einen Energieausweis oder eine Kopie hiervon nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig übergibt,

S. 13 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

6. entgegen § 16a Absatz 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Absatz 2, nicht sicherstellt, dass in der Immobilienanzeige die Pflichtangaben enthalten sind,

7. …

c) Formulierungsbeispiel

Bisher hatte ich in meinem Vertragsmuster im Würzburger Notarhandbuch formuliert:9

V. 5. Energieausweis

Alternative 1: Der Verkäufer erklärt, keinen Energieausweis für das Gebäude zu besitzen. Der Käufer erklärt, auch keinen vom Verkäufer verlangt zu haben; er verzichtet auf sein gesetzliches Vorlagerecht.

Alternative 2: Der Käufer erklärt, vom Verkäufer einen Energieausweis erhalten zu haben.

Bei alten Häusern zusätzlich: Der Notar wies auf eine mögliche Nachrüstpflicht nach § 10 EnEV hin, wonach innerhalb von zwei Jahren nach einem Eigentümerwechsel Heizkessel außer Betrieb zu nehmen sind, die vor dem 01.10.1978 eingebaut wurden, sowie ungedämmte Warmwasserleitungen und nicht begehbare, aber zugängliche oberste Geschossdecken wärmegedämmt werden müssen.

Der Verzicht auf den Energieausweis ist nach der Neufassung der EnEV nicht mehr möglich. Man könnte daher wie folgt formulieren:

V. 5. Energieausweis

Der Käufer erklärt, vom Verkäufer einen Energieausweis erhalten zu haben.

Alternative 2: a

Bei alten Häusern zusätzlich: …

d) Aushangpflicht bei öffentlichen Gebäuden

Die Aushangpflicht gilt künftig bereits ab 500 Quadratmeter Nutzfläche mit starkem Publikumsverkehr – mit leichten Unterschieden zwischen „behördlicher Nutzung“ und Privatnutzung.

– Bei privater Nutzung muss nicht eigens ein Energieausweis erstellt werden. Aber wenn es einen gibt, muss er ausgehängt werden.

– Bei behördlicher Nutzung ist (ab der Mindestgröße) in jedem Fall ein Energie-ausweis auszuhängen. D.h. ggf. muss der Energieausweis eigens dafür erstellt werden. Zweck ist natürlich, die Behörde zu energiesparenden Modernisierungs-maßnahmen anzuhalten.

– Auch greift die Aushangpflicht bei behördlicher Nutzung ab Juli 2015 bereits ab 250 qm Nutzfläche.

9 Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 3. Aufl. 2012, Teil 2 Kap. 2 Rn. 3.

S. 14 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

§ 16 EnEV 2013 - Ausstellung und Verwendung von Energieausweisen

(1) …

(3) Der Eigentümer eines Gebäudes, in dem sich mehr als 500 Quadratmeter oder nach dem 8. Juli 2015 mehr als 250 Quadratmeter Nutzfläche mit starkem Publikumsverkehr befinden, der auf behördlicher Nutzung beruht, hat dafür Sorge zu tragen, dass für das Gebäude ein Energieausweis nach dem Muster der Anlage 6 oder 7 ausgestellt wird. Der Eigentümer hat den nach Satz 1 ausgestellten Energieausweis an einer für die Öffentlichkeit gut sichtbaren Stelle auszuhängen. Wird die in Satz 1 genannte Nutzfläche nicht oder nicht überwiegend vom Eigentümer selbst genutzt, so trifft die Pflicht zum Aushang des Energieausweises den Nutzer. Der Eigentümer hat ihm zu diesem Zweck den Energieausweis oder eine Kopie hiervon zu übergeben. Zur Erfüllung der Pflicht nach Satz 1 ist es ausreichend, von einem Energiebedarfsausweis nur die Seiten 1 und 2 nach dem Muster der Anlage 6 oder 7 und von einem Energieverbrauchsausweis nur die Seiten 1 und 3 nach dem Muster der Anlage 6 oder 7 auszuhängen; anstelle des Aushangs eines Energie-ausweises nach dem Muster der Anlage 7 kann der Aushang auch nach dem Muster der Anlage 8 oder 9 vorgenommen werden.

(4) Der Eigentümer eines Gebäudes, in dem sich mehr als 500 Quadratmeter Nutzfläche mit starkem Publikumsverkehr befinden, der nicht auf behördlicher Nutzung beruht, hat einen Energieausweis an einer für die Öffentlichkeit gut sichtbaren Stelle auszuhängen, sobald für das Gebäude ein Energieausweis vorliegt. Absatz 3 Satz 3 bis 5 ist entsprechend anzuwenden.

(5) …

Als Notar mag man sich fragen, ob die Geschäftstelle eines Notars eine „behördliche Nutzung“ i.S.d. EnEV ist und daher jedenfalls ab 8. Juli 2015 ein Energieausweis auszuhängen ist (auch wenn bisher keiner für das Haus erstellt ist). Aber wahrschein-lich wird es darauf nicht ankommen, da die Nutzfläche „mit starkem Publikums-verkehr“ weniger als 250 qm betragen dürfte. (Ausfertigung, Archiv u.a. Räume ohne oder mit geringem Publikumsverkehr sind dabei nicht mitzurechnen.)

3. Energetische Standards

a) Verstoß gegen Modernisierungspflicht künftig Ordnungswidrigkeit

aa) Künftig müssen bei einem Eigentümerwechsel alte Heizkessel bereits dann ausgewechselt werden, wenn sie älter als 30 Jahre sind (oder jedenfalls vor dem Stichtag 1.1.1985 eingebaut wurden). Bisher war Stichtag der 1.10.1978.

– Ausgenommen sind Niedertemperatur-Heizkessel oder Brennwertkessel sowie Anlagen mit Nennleistung von weniger als vier Kilowatt oder mehr als 400 Kilowatt (zum Vergleich: Einfamilienhaus je nach Baujahr um die 10 kW Nenn-leistung).

– Auch für die Pflichten zur Wärmedämmung wurde ein neuer Standard festgelegt.

Wie bisher gelten die Modernisierungspflichten bei „Wohngebäuden mit nicht mehr als zwei Wohnungen, von denen der Eigentümer eine Wohnung am 1. Februar 2002

S. 15 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

selbst bewohnt hat“, erst im Falle eines Eigentümerwechsels nach dem 1.2.2002. Dann ist die Modernisierung binnen zwei Jahre ab dem (ersten) Eigentumsübergang durchzuführen.

Die Modernisierungspflicht gilt aber nicht nur für Kaufverträge, sondern auch wenn das Eigentum schenkweise übergeben wurde.

Nachstehend der neue Verordnungstext (Änderungen sind unterstrichen):

§ 10 EnEV 2013 - Nachrüstung bei Anlagen und Gebäuden

(1) Eigentümer von Gebäuden dürfen Heizkessel, die mit flüssigen oder gasförmigen Brennstoffen beschickt werden und vor dem 1. Oktober 1978 eingebaut oder aufgestellt worden sind, nicht mehr betreiben. Eigentümer von Gebäuden dürfen Heizkessel, die mit flüssigen oder gasförmigen Brennstoffen beschickt werden und vor dem 1. Januar 1985 eingebaut oder aufgestellt worden sind, ab 2015 nicht mehr betreiben. Eigentümer von Gebäuden dürfen Heizkessel, die mit flüssigen oder gasförmigen Brennstoffen beschickt werden und nach dem 1. Januar 1985 eingebaut oder aufgestellt worden sind, nach Ablauf von 30 Jahren nicht mehr betreiben. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn die vorhandenen Heizkessel Niedertemperatur-Heizkessel oder Brennwertkessel sind, sowie auf heizungstechnische Anlagen, deren Nennleistung weniger als vier Kilowatt oder mehr als 400 Kilowatt beträgt, und auf Heizkessel nach § 13 Absatz 3 Nummer 2 bis 4.

(2) Eigentümer von Gebäuden müssen dafür sorgen, dass bei heizungstechnischen Anlagen bisher ungedämmte, zugängliche Wärmeverteilungs- und Warmwasserleitungen sowie Armaturen, die sich nicht in beheizten Räumen befinden, nach Anlage 5 zur Begrenzung der Wärmeabgabe gedämmt sind.

(3) Eigentümer von Wohngebäuden sowie von Nichtwohngebäuden, die nach ihrer Zweckbestimmung jährlich mindestens vier Monate und auf Innentemperaturen von mindestens 19 Grad Celsius beheizt werden, müssen dafür sorgen, dass zugängliche Decken beheizter Räume zum unbeheizten Dachraum (oberste Geschossdecken), die nicht die Anforderungen an den Mindestwärmeschutz nach DIN 4108-2: 2013-02 erfüllen, nach dem 31. Dezember 2015 so gedämmt sind, dass der Wärmedurchgangskoeffizient der obersten Geschossdecke 0,24

Watt/(m²·K) nicht überschreitet. Die Pflicht nach Satz 1 gilt als erfüllt, wenn anstelle der obersten Geschossdecke das darüber liegende Dach entsprechend gedämmt ist oder den Anforderungen an den Mindestwärmeschutz nach DIN 4108-2: 2013-02 genügt. Bei Maßnahmen zur Dämmung nach den Sätzen 1 und 2 in Deckenzwischenräumen oder Sparrenzwischenräumen ist Anlage 3 Nummer 4 Satz 4 und 6 entsprechend anzuwenden.

(4) Bei Wohngebäuden mit nicht mehr als zwei Wohnungen, von denen der Eigentümer eine Wohnung am 1. Februar 2002 selbst bewohnt hat, sind die Pflichten nach den Absätzen 1 bis 3 erst im Falle eines Eigentümerwechsels nach dem 1. Februar 2002 von dem neuen Eigentümer zu erfüllen. Die Frist zur Pflichterfüllung beträgt zwei Jahre ab dem ersten Eigentumsübergang.

(5) Die Absätze 2 bis 4 sind nicht anzuwenden, soweit die für die Nachrüstung erforderlichen Aufwendungen durch die eintretenden Einsparungen nicht innerhalb angemessener Frist erwirtschaftet werden können.

Auf der Homepage des Bundesverkehrsministeriums finden Sie folgende Beispiels-fälle (Hervorhebungen sind von mir).10

10 http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/FAQs/EnEV/enev-faq.html?nn=36222 („Fragen und

Antworten zur Energieeinsparverordnung - Abruf 31.1.2014).

S. 16 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

„Welche Pflichten habe ich als Hauseigentümer im Hinblick auf den Austausch alter Heizkessel? …

Einzelfälle:

Besteht eine Kesselaustauschpflicht, wenn ich nach dem 1. Februar 2002 ein Ein- oder Zweifamilienhaus gekauft habe, in dem ich mindestens eine Wohnung selbst nutze?

• Ja. In diesen Fällen (Selbstnutzung nach dem 1. Februar 2002) greift die zuvor beschriebene Ausnahme nicht. Die Pflicht zum Austausch von Heizkesseln, die vor dem 1.10.1978 eingebaut wurden, war dann bis Ende 2008, teilweise schon bis Ende 2006 zu erfüllen.

Zukünftig sind in diesen Fällen auch Kessel, die vor dem 1. Januar 1985 eingebaut oder aufgestellt worden sind, ab dem Jahr 2015 auszutauschen bzw. solche Kessel, die nach dem 1. Januar 1985 eingebaut oder aufgestellt worden sind, wenn sie länger als 30 Jahre in Betrieb sind.

Besteht eine Kesselaustauschpflicht, wenn ich im eigenen Mehrfamilienhaus mit mindestens drei Wohnungen seit dem 1. Februar oder früher eine Wohnung selbst nutze?

• Ja. Für Mehrfamilienhäuser besteht in Fällen der Selbstnutzung keine Ausnahme. Demnach waren Heizkessel, die vor dem 1.10.1978 eingebaut oder aufgestellt wurden, bis Ende 2008, teilweise schon bis Ende 2006 auszutauschen.

Zukünftig sind bei Mehrfamilienhäusern – wie oben beschrieben – ab dem Jahr 2015 auch solche Kessel auszutauschen, die vor dem 1. Januar 1985 eingebaut oder aufgestellt worden sind bzw. Kessel, die nach dem 1. Januar 1985 eingebaut oder aufgestellt worden sind, wenn sie länger als 30 Jahre in Betrieb sind.

Begehe ich eine Ordnungswidrigkeit , wenn ich gegen die Pflicht zum Austausch alter Heizkessel verstoße?

• Die EnEV 2013 sieht in einem neuen § 27 Absatz 1 Nr. 4 vor, dass wer vorsätzlich oder leichtfertig entgegen § 10 Absatz 1 Satz 1, 2 oder Satz 3 einen Heizkessel weiter betreibt, ordnungswidrig handelt.“

bb) Die entscheidende Neuerung liegt darin, dass ein Verstoß gegen die Modernisie-rungspflichten künftig eine Ordnungswidrigkeit darstellt.

§ 27 EnEV 2013 - Ordnungswidrigkeiten

(1) Ordnungswidrig im Sinne des § 8 Absatz 1 Nummer 1 des Energieeinsparungsgesetzes handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig

1. entgegen § 3 Absatz 1 ein Wohngebäude nicht richtig errichtet,

2. entgegen § 4 Absatz 1 ein Nichtwohngebäude nicht richtig errichtet,

3. entgegen § 9 Absatz 1 Satz 1 Änderungen ausführt,

4. entgegen § 10 Absatz 1 Satz 1, 2 oder Satz 3 einen Heizkessel weiter betreibt,

5. entgegen § 10 Absatz 2 nicht dafür sorgt, dass eine dort genannte Leitung oder eine dort genannte Armatur gedämmt ist,

6. entgegen § 10 Absatz 3 Satz 1 nicht dafür sorgt, dass eine dort genannte Geschossdecke gedämmt ist,

7.

S. 17 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

b) Formulierungsbeispiel zur Modernisierungspflicht

Bisher hatte ich in meinem Vertragsmuster im Würzburger Notarhandbuch formuliert:11

V. 5. Energieausweis

Alternative 1: Der Verkäufer erklärt, keinen Energieausweis für das Gebäude zu besitzen. Der Käufer erklärt, auch keinen vom Verkäufer verlangt zu haben; er verzichtet auf sein gesetzliches Vorlagerecht.

Alternative 2: Der Käufer erklärt, vom Verkäufer einen Energieausweis erhalten zu haben.

Bei alten Häusern zusätzlich: Der Notar wies auf eine mögliche Nachrüstpflicht nach § 10 EnEV hin, wonach innerhalb von zwei Jahren nach einem Eigentümerwechsel Heizkessel außer Betrieb zu nehmen sind, die vor dem 01.10.1978 eingebaut wurden, sowie ungedämmte Warmwasserleitungen und nicht begehbare, aber zugängliche oberste Geschossdecken wärmegedämmt werden müssen.

Ab dem 1.5.2014 könnte man wie folgt formulieren:

V. 5. Energieausweis

Bei alten Häusern zusätzlich: Der Notar wies auf eine mögliche Nachrüstpflicht nach § 10 EnEV hin, wonach innerhalb von zwei Jahren nach einem Eigentümerwechsel Heizkessel außer Betrieb zu nehmen sind, die vor dem 01.1.1985 eingebaut wurden oder länger als 30 Jahre in Betrieb sind, sowie ungedämmte Warmwasserleitungen und die oberste Geschossdecke bzw. das Dach wärmegedämmt werden müssen. Ein Verstoß kann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

Ob man einen solchen Hinweis aufnimmt, war jedenfalls bisher Ermessen des Notars. Die Literatur (Rechtsprechung dazu gibt es keine) sah keine Belehrungspflicht des Notars. Dies gilt m.E. auch weiterhin.

– Jetzt, wo es eine Ordnungswidrigkeit ist, spricht zwar ein weiteres Argument jedenfalls für die Zweckmäßigkeit einer Belehrung.

– Man könnte auch argumentieren, dass die Modernisierungspflicht zur Belehrung über die unmittelbaren Rechtsfolgen gehört,12 weil sie kraft Gesetzes an den im Vertrag vereinbarten Eigentumsübergang anknüpft.

– Andererseits ist der Hinweis im Regelfall überflüssig, weil der Käufer bei einem alten Haus ohnehin im Eigeninteresse vor dem Einzug Wärmedämmung und Heizung erneuern lässt. (Ich habe bisher immer erlebt, dass die Beteiligten bei

11 Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 3. Aufl. 2012, Teil 2 Kap. 2 Rn. 3. 12 Zum Begriff der unmittelbaren Rechtsfolgen vgl. insbes. Ganter, in: Ganter/Hertel/Wöstmann,

Handbuch der Notarhaftung, 2. Aufl. 2009, Rn. 1064 ff.

S. 18 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

einer derart alten Heizung ohnehin eine Erneuerung nach der Veräußerung planten.)

– Und über Selbstverständliches muss der Notar nicht belehren.

Man könnte jedoch erwägen, einen solchen Hinweis zumindest (oder auch) in Überlassungsverträge aufzunehmen, weil hier die Beteiligten (bei Weiternutzung durch die Übergeber) häufig keine Umbaumaßnahmen planen - und auch keine Rechtspflicht dafür erwarten.

– Allerdings macht der Hinweis den Erwerber bösgläubig, so dass er jedenfalls nach einem solchen Hinweis - wenn er dennoch die Modernisierung unterlässt - vorsätz-lich eine Ordnungswidrigkeit nach § 27 Abs. 1 Nr. 4 EnEG 2013 begeht.

c) Neubauten

Die Standards für Neubauten werden in zwei Schritten erhöht,

– zunächst zum 1.1.2016 um ca. ein Viertel (vgl. Anlage 1 zur EnEV).

– Ab 1.1.2021 soll es bei Neubauten nur mehr Niedrigstenergiehäuser geben. Deren genauer Standard muss erst noch festgesetzt werden.

Auch hierzu zitiere ich die Homepage des Bundesverkehrsministeriums:13

„Die Änderungsverordnung zur EnEV beinhaltet im Wesentlichen Folgendes:

• Angemessene und wirtschaftlich vertretbare Anhebungen der energetischen Anforderungen an Neubauten ab dem 1. Januar 2016 um durchschnittlich 25 Prozent des zulässigen Jahres-Primärenergiebedarfs und um durchschnittlich 20 Prozent bei der Wärmedämmung der Gebäudehülle - dem sogenannten zulässigen Wärmedurchgangskoeffizienten.

• Die Anhebung der Neubauanforderungen ist ein wichtiger Zwischenschritt hin zum EU-Niedrigstenergiegebäudestandard (siehe hierzu oben). Die konkreten Vorgaben an die energetische Mindestqualität von Niedrigstenergiegebäuden werden rechtzeitig bis spätestens Ende 2016 - für Behördengebäude - bzw. Ende 2018 - für alle Neubauten - festgelegt.

• Keine zusätzlichen Verschärfungen der heute geltenden Anforderungen bei Modernisie-rungen im Gebäudebestand, da zu geringes Energieeinsparpotenzial;

• …“

Ein ehrgeizigeres Programm steht aber noch bevor, wie § 2a EnEG umreißt:

§ 2a EnEG 2013 - Zu errichtende Niedrigstenergiegebäude

(1) Wer nach dem 31. Dezember 2020 ein Gebäude errichtet, das nach seiner Zweckbestimmung beheizt oder gekühlt werden muss, hat das Gebäude, um Energie zu sparen, als Niedrigstenergie-gebäude nach Maßgabe der nach Absatz 2 zu erlassenden Rechtsverordnung zu errichten. Für zu errichtende Nichtwohngebäude, die im Eigentum von Behörden stehen und von Behörden genutzt werden sollen, gilt die Pflicht nach Satz 1 nach dem 31. Dezember 2018. Ein Niedrigstenergie-

13 http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/SW/energieeinsparverordnung-novellierung.html,

zuletzt eingesehen am 31.1.2014.

S. 19 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

gebäude ist ein Gebäude, das eine sehr gute Gesamtenergieeffizienz aufweist; der Energiebedarf des Gebäudes muss sehr gering sein und soll, soweit möglich, zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Die §§ 1 und 2 bleiben unberührt.

(2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Anforderungen an die Gesamtenergieeffizienz von Niedrigstenergiegebäuden zu regeln, denen zu errichtende Gebäude genügen müssen.

(3) Die Bundesregierung hat die Rechtsverordnung nach Absatz 2 für Gebäude im Sinne von Absatz 1 Satz 1 vor dem 1. Januar 2019 und für Gebäude im Sinne von Absatz 1 Satz 2 vor dem 1. Januar 2017 zu erlassen.

d) Modernisierung von Altbauten

Die Anforderungen an die energetische Sanierung von Altbauten werden durch die EnEV 2013 nicht erhöht (§ 9 EnEV).

Weil vielleicht der eine oder andere Beteiligte zu den dreifach verglasten Fenstern fragt: Diese sind auch künftig nicht verpflichtend. Der Bau muss nur insgesamt die Energiestandards einhalten – ob mit Zwei- oder Dreifachverglasung ist egal.

Ich zitierte nochmals die Internet-Information des BMVI: 14

Fragen und Antworten zur Energieeinsparverordnung (EnEV)

„Begründet die neue EnEV eine Pflicht zum Einbau von dreifach verglasten Fenstern?

Bestehende Gebäude

An den Effizienzanforderungen für bestehende Gebäude, auch an den Anforderungen an Fenster, wird sich durch die neue EnEV (Inkrafttreten am 1. Mai 2014) nichts ändern. Wer an einem bestehenden Gebäude Änderungen vornimmt, die Maßnahmen im Sinne des § 9 in Verbindung mit Anlage 3 EnEV darstellen, hat die in Anlage 3 genannten Anforderungen einzuhalten. Für Fenster und Verglasungen bedeutet dies, dass - sofern die in Tabelle 1 Zeile 2a bis 3c genannten Voraussetzungen vorliegen - die dort genannten Höchstwerte der Wärmedurchgangskoeffizienten einzuhalten sind. Diese stellen verbindliche Anforderungen dar. Um sie zu erfüllen, ist jedoch keine Dreifachverglasung erforderlich. Die Werte sind mit entsprechenden 2-fach verglasten Fenstern erfüllbar. Daran wird sich auch durch die neue EnEV nichts ändern.

Wichtig ist aber, dass die EnEV keine Pflicht begründet, Fenster von bestehenden Gebäuden nachzurüsten. Erst wenn eine Maßnahme vorgenommen wird, die einen der Tatbestände des § 9 in Verbindung mit Anlage 3 EnEV erfüllt, stellt die EnEV verbindliche Anforderungen an Außenbauteile, wie z. B. Fenster. Eine anlasslose Pflicht zur Nachrüstung besteht somit nicht.

Neubauten

Für Neubauten enthält die EnEV keine verbindlichen Anforderungen an Fenster. Die Einzelwerte in den Referenzgebäudetabellen (Anlage 1 und Anlage 2, jeweils Tabelle 1) sind unverbindliche Einzelposten in einer Gesamtrechnung, die mit dem (verbindlichen) höchstzulässigen Jahres-Primärenergiebedarf des Gebäudes abschließt. Dieser darf nicht überschritten werden. Für Fenster bedeutet dies: es handelt sich bei den in den Referenzgebäudetabellen genannten Werten nicht um Mindestanforderungen an Fenster. Die genannten Werte sind nicht bindend. Die EnEV fixiert insoweit keine bauteilbezogenen Obergrenzen, schreibt also nicht etwa vor, dass Fenster in Neubauten dreifach verglast sein müssen, sondern überlässt es dem Bauherrn, zu entscheiden, mit welchen Mitteln der vorgegebene Höchstwert des Jahres-Primärenergiebedarfs eingehalten wird.

14 http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/FAQs/EnEV/enev-faq.html?nn=36222 – abgerufen 31.1.14.

S. 20 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Wird ein Fenster mit schlechterer Qualität in einem Neubau eingebaut, muss an anderer Stelle – sei es bei der Gebäudehülle, sei es bei der Anlagentechnik – ein Ausgleich geschaffen werden. Entscheidend ist, dass der zulässige Jahres-Primärenergiebedarf und der Höchstwert der Nebenanforderung an die Gebäudehülle (siehe Anlage 1 Nr. 1.2 und Anlage 2 Tabelle 2) insgesamt nicht überschritten wird. Hieran wird sich auch mit der neuen EnEV nichts ändern.

Ändern sich durch die Verschärfung der Anforderungen an Neubauten die Einzelposten in der Referenzgebäudetabelle?

Nein. Die Einzelposten des Referenzgebäudes ändern sich nicht.

Zwar wird mit der geänderten EnEV (Inkrafttreten am 1. Mai 2014) der Höchstwert des zulässigen Jahres-Primärenergiebedarfs für Neubauten ab dem 1. Januar 2016 um 25 % verringert. Dies geht aber nicht mit einer entsprechenden rechnerischen Anpassung der Einzelposten in der Referenz-tabelle einher. Die Summe der Einzelposten, also die Referenzgebäudeausführung, wird auf dem Niveau der EnEV 2009 "eingefroren". Wer also den Neubau exakt so ausführt, wie in der Referenztabelle beschrieben, kann den um 25 % reduzierten Höchstwert nicht einhalten und muss daher überlegen, wie er die Differenz durch bessere Außenbauteile oder Anlagentechnik, als in der Referenztabelle beschrieben, ausgleichen kann. In dieser Situation befindet sich schon heutzutage ein Planer, der z. B. ein KfW-70-Haus plant.“

S. 21 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

II. Mängelrechte beim Grundstückskauf (CH)

Das Thema Mängelrechte ist ein Dauerbrenner im Grundstückskaufvertrag. Lassen Sie mich daher ein paar neue Entscheidungen hierzu vorstellen. Es ging jeweils um die Frage, ob trotz generellen Ausschlusses von Sachmängelansprüchen („verkauft wie besichtigt“/„verkauft wie es liegt und steht“) Mängelansprüche bestanden,

– sei es aufgrund (konkludenter) Beschaffenheitsvereinbarung,

– sei es aufgrund arglistigen Verschweigens eines Mangels

– oder aufgrund falscher Angaben über die Beschaffenheit der Immobilie.

1. Was ist ein Mangel? (OLG Brandenburg, 8.8.2013 - 5 U 75/12)

Beginnen wir mit einer Entscheidung zur Frage, was überhaupt ein Mangel ist – und zu den Voraussetzungen für Arglist, insbes. auch zur Beweislast.

OLG Brandenburg, Urt. v. 8.8.2013 - 5 U 75/12, ZfIR 2013, 687 m. Anm. Bickert

Ist ein feuchter im Keller bei einem Altbau aus dem Jahr 1920 ein Mangel?

Ich denke, Sie werden alle antworten, dass bei Vorkriegsbauten oder Bauten der ersten Nachkriegsjahre die Keller eigentlich nie ganz trocken sind. Ist der Keller ein bisschen feucht, ist das kein Mangel, sondern normal. Genauso entschied auch das OLG Brandenburg. Aber es steckt deutlich mehr in der Entscheidung.

Sachverhalt: Im Bezirk des Landgerichtes Neuruppin wurde ein Grundstück mit einem Altbau aus dem Jahr 1920 für 80.000,00 EUR verkauft. Die Käuferin hatte das Haus zuvor zweimal mit dem Makler besichtigt. Nach Kaufvertragsschluss machte die Käuferin geltend, ihr sei arglistig verschwiegen worden, dass der Keller feucht sei. Wegen der feuchten Wände hätte sich auch im Erdgeschoß an den Innenwänden Schimmel gebildet. Insgesamt machte die Käuferin Mängelbeseitigungskosten von 99.000,00 EUR (brutto) geltend.

Das Haus war innen und außen neu gestrichen. Daher machte die Käuferin geltend, die Verkäufer hätten ihr sagen müssen, dass es keine horizontalen und vertikalen Feuchtigkeitssperren in den Wänden gebe.

Zunächst stellte das OLG Brandenburg fest, dass die Vereinbarung „verkauft wie besichtigt“ keine Beschaffenheitsvereinbarung sei – erst recht keine Vereinbarung, dass die Wände über den Anstrich hinaus saniert wurden.

(Juris Rn. 20) „Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 7. Januar 2013 ausgeführt hat, kann allerdings entgegen der Auffassung des Landgerichts in der Formulierung „Vertragsbesitz von außen und innen besichtigt“ eine Vereinbarung einer konkreten Beschaffenheit der Kauf-sache (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB) nicht gesehen werden. Damit wird schon eine Eigenschaft oder

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ein der Sache anhaftender tatsächlicher, wirtschaftlicher oder rechtlicher Umstand nicht in Bezug genommen. Der Begriff der „Beschaffenheit“ ist mit dem tatsächlichen Zustand der Sache gleich-zusetzen, d. h. mit den ihr anhaftenden Eigenschaften. Mit der Angabe, dass die Kaufsache besich-tigt worden ist, wird zudem lediglich eine Wissenserklärung des Käufers bekundet, nicht aber eine vertragliche Abrede über die geschuldete Beschaffenheit der Kaufsache getroffen (vgl. …).“

Wenig überraschend ist auch die Feststellung des OLG Brandenburg, dass ältere Bauten keine Feuchtigkeitssperre haben. Das ist noch kein Mangel.

(Rn. 23) „a) Es ist bereits zweifelhaft, ob die vom Keller aufsteigende Feuchtigkeit ein Mangel des Hauses im Sinne des § 434 BGB ist.

(Rn. 24) Das Fehlen einer Horizontal- und Vertikalsperre ist, wie sich aus dem im Beweis-sicherungsverfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr.-Ing D… ergibt, für sich genommen kein Mangel der Kaufsache, weil solche Abdichtungsmaßnahmen bei einem um 1920 errichteten Haus nicht erwartet werden können. Auch wenn im Rahmen der Neuherstellung des Sockelputzes diese Abdichtungsmaßnahmen – theoretisch – hätten vorgenommen werden können, hätte es sich nach den weiteren Feststellungen des Sachverständigen auf S. 26 seines Gutachtens vom 10. September 2010 um eine Modernisierung gehandelt und nicht um eine Instandsetzung der vorhandenen Baukonstruktion.“

Weil es kein Mangel ist, mussten die Verkäufer gar nicht darüber aufklären . Sie würden nur haften, wenn sie bewusst wahrheitswidrig behauptet hätten, dass eine Feuchtigkeitssperre eingebaut sei.

(Rn. 25) „Das Fehlen dieser Abdichtungsmaßnahmen begründet damit schon keinen Mangel der Kaufsache im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB. Zudem lässt sich ein arglistiges Verhalten der Beklagten insoweit nicht feststellen. Weder haben die Beklagten zu 1 und 2 bzw. der Beklagte zu 3 im Rahmen der durchgeführten Besichtigungen diesbezügliche Fragen der Klägerin wahrheitswidrig beantwortet noch haben sie das Vorhandensein einer solchen Bauwerksabdichtung wahrheitswidrig behauptet. …“.

Ob der feuchte Keller ein Mangel ist, hängt davon ab, wie stark die Feuchtigkeit ist. Ein Mangel kann vorliegen, wenn die gewöhnliche Nutzung nicht möglich ist (also keine Nutzung als Vorratskeller, für Skier etc. möglich ist – Kleidung oder Bücher muss man allerdings m.E. wohl nicht lagern können) – oder wenn der Verkäufer angibt, dass das Gebäude einschließlich Keller umfassend saniert sei.

(Rn. 26) Hinsichtlich der von dem Sachverständigen festgestellten massiven Durchfeuchtung der Kellerwände ist das Vorliegen eines Mangels zumindest zweifelhaft. Bei Häusern, die zu einer Zeit errichtet wurden, als Kellerabdichtungsmaßnahmen noch nicht üblich waren, begründet nicht jede Feuchtigkeit im Keller einen Sachmangel, es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere darauf, welchem Zweck die Kellerräume dienen und ob das Haus in einem sanierten Zustand verkauft worden ist (m. w. Nachw. BGH NJW-RR 2012, 1078). Ein Sachmangel könnte danach, da die Kellerräume ersichtlich nicht für eine Nutzung zu Wohn-zwecken geeignet sind, allenfalls dann vorliegen, wenn die übrige Bausubstanz und damit die Nutzbarkeit als Wohngebäude betroffen ist und/oder die gewöhnliche Nutzung von Keller-räumen in Altbauten beeinträchtigt ist.“

Sofern ein Mangel vorlag, muss der Käufer beweisen, dass er nicht offenbart wurde. Nachdem ihm dieser allgemeine Negativbeweis nicht möglich ist,

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– muss der Verkäufer zunächst vortragen, wann und mit welchem Inhalt er aufgeklärt hat.

– Der Käufer muss dann beweisen, dass diese behauptete Aufklärung nicht stattgefunden hat.

(Rn. 29) „Der für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung darlegungs- und beweispflichtige Käufer muss zudem dann, wenn der Verkäufer im Rahmen der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast eine konkrete Aufklärung über einen Mangel behauptet, diese seinerseits widerlegen (BGH NJW 2001, 64).“

Dieser Beweis gelang der Käuferin im entschiedenen Fall nicht.

Weiter rügte die Käuferin auch Schimmel im Erdgeschoß. Dies ist sicher ein offen-barungspflichtiger Mangel. Die Offenbarungspflicht setzt aber voraus, dass die Verkäufer den Mangel kennen. Dies muss der Käufer beweisen – und konnte sie im vorliegenden Fall nicht beweisen.

So zeigt die Entscheidung geradezu lehrbuchmäßig die Voraussetzungen für Mängel-ansprüche aufgrund arglistigen Verschweigens – bzw. woran der Anspruch scheitern kann.

2. Konkludente Beschaffenheitsvereinbarung (BGH, 19.12.2012 - VIII ZR 152/12)

Eine Beschaffenheitsvereinbarung sollte im notariellen Kaufvertrag möglichst ausdrücklich erfolgen. Dann regelt man zunächst, welche Beschaffenheit der Kauf-gegenstand haben muss. Sachmängelansprüche werden dann nur „im übrigen“ ausgeschlossen. Denn natürlich geht die Beschaffenheitsvereinbarung dem Gewähr-leistungsausschluss vor.

Ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarungen sind aber selten.

Lediglich beim Typus des Bauplatzverkaufes dürfte praktisch immer eine Beschaffenheit vereinbart werden (zumindest der Bebaubarkeit als solcher, ggf. noch ein bestimmtes Mindestmaß der zulässigen Bebauung).

Aber was ist, wenn die Kaufvertragsparteien bei der Wohnungsbesichtigung noch weiteres besprochen haben, was sie dem Notar nicht mitteilen? In der Regel werden dies nur tatsächliche Angaben des Verkäufers über die Immobilie sein.

Was eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung voraussetzt, verdeutlicht eine BGH-Entscheidung zum Mietrecht:

BGH, Urt. v. 19.12.2012 - VIII ZR 152/12, MDR 2013, 262 = NJW 2013, 680 = NZM 2013, 184

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1. Zu den Voraussetzungen einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung in Bezug auf die Mietsache (im Anschluss an BGH, Urteil vom 23. September 2009, VIII ZR 300/08, NJW 2010, 1133).

2. Fehlt es an einer Beschaffenheitsvereinbarung, bestimmt sich der zum vertrags-gemäßen Gebrauch geeignete Zustand der Mietsache nach der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben.

3. Eine vorübergehende erhöhte Verkehrslärmbelastung aufgrund von Straßenbauarbeiten stellt unabhängig von ihrer zeitlichen Dauer jedenfalls dann, wenn sie sich innerhalb der in Innenstadt-lagen üblichen Grenzen hält, keinen zur Minderung berechtigenden Mangel der vermieteten Wohnung dar.

Sachverhalt:

– Mieter hatten seit dem Jahr 2004 Mieter eine Wohnung in Berlin gemietet in einer ruhigen Parallelstraße zu einer Hauptverkehrsstraße gemietet. Von Juni 2009 bis November 2010 (d.h. knapp anderthalb Jahre) wurde wegen Bauarbeiten auf der Hauptverkehrsstraße der stadteinwärts fahrende Verkehr über ihre Straße geleitet. Ab Oktober 2009 minderten die Mieter ihre Miete.

– Das Amtsgericht hatte den klagenden Vermietern die rückständige Miete zuge-sprochen. Das Landgericht hielt den Mieteinbehalt hingegen für berechtigt.

Entscheidung:

Der BGH hob das landgerichtliche Urteil auf.

Über das Mietrecht hinaus auch für das Kaufrecht interessant sind die Ausführungen zur konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung:

(Juris Rn. 10) a) Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die vom Berufungsgericht nicht näher begründete Annahme, die Parteien hätten bei Abschluss des Mietvertrages hinsichtlich zukünftiger, von Dritten verursachter Lärmbelästigungen den zur Zeit des Vertragsschlusses bestehenden Zustand für die gesamte Dauer des auf unbestimmte Zeit geschlossenen Mietvertrags als unverändert bestehend bleibend „stillschweigend vereinbart“. Auch eine konkludente Verein-barung setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Für die Annahme einer solchen Willensübereinstimmung bezüglich eines sogenannten Umweltfehlers reicht es jedoch nicht aus, dass der Mieter bei Vertragsschluss einen von außen auf die Mietsache einwirkenden Umstand - wie hier den in der Wohnung zu vernehmenden Straßenlärm - in einer für ihn vorteilhaften Weise wahrnimmt (etwa: „ruhige Lage“) und er sich (möglicherweise auch) wegen dieses Umstands dafür entscheidet, die Wohnung anzumieten. Zur konkludent geschlossenen Beschaffenheitsvereinbarung wird dieser Umstand vielmehr nur, wenn der Vermieter aus dem Verhalten des Mieters nach dem objektiv zu bestimmenden Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) erkennen musste, dass der Mieter die Fortdauer dieses bei Vertragsschluss bestehen-den Umstands über die unbestimmte Dauer des Mietverhältnisses hinweg als maßgebliches Kriterium für den vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung ansieht, und der Vermieter dem zustimmt. Eine einseitig gebliebene Vorstellung des Mieters genügt für die Annahme einer diesbezüglichen Willensübereinstimmung selbst dann nicht, wenn sie dem Vermieter bekannt ist. Erforderlich ist jedenfalls, dass der Vermieter darauf in irgendeiner Form zustimmend reagiert (vgl. Senatsurteil vom 23. September 2009 – VIII ZR 300/08, aaO Rn. 14). Die Voraussetzungen,

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unter denen hiernach eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung angenommen werden kann, ergeben sich weder aus den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen noch aus den sonstigen Umständen.

Voraussetzung für eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung ist also auch,

– dass auch dem anderen Vertragsteil (Vermieter/Verkäufer) erkennbar ist, dass für den Mieter/Käufer eine bestimmte Beschaffenheit des Vertragsgegenstandes für den Vertragsschluss entscheidend ist,

– und dass er dem auch zustimmt.

Vor allem an letzterem wird es fehlen. Der Verkäufer will i.d.R. nicht für bestimmte Eigenschaften einstehen.

Konsequenzen für die Vertragsgestaltung:

Nachdem bei Bestandobjekten im notariellen Kaufvertrag so gut wie immer Sachmängelansprüche ausgeschlossen werden und in diesem Zusammenhang meist ausdrücklich festgestellt wird, dass keine bestimmte Beschaffenheit des Kaufgegenstandes vereinbart ist, dürften konkludente Beschaffenheitsvereinbarungen die Ausnahme sein.

Hat der Käufer aber ausdrücklich nach einer bestimmten Eigenschaft gefragt und der Verkäufer hierüber Auskunft gegeben, so muss er auch dafür einstehen – trotz des Ausschlusses der Mängelrechte.

Allerdings wird man auch dann im Regelfall nicht annehmen können, dass der Verkäufer bei Aussagen über äußere Umweltfaktoren (Art der Wohngegend, Belastung mit Immissionen, Verkehrsanbindung) damit eine Aussage trifft, dass diese Umweltfaktoren auf Dauer unverändert so bleiben. Dies kann der Käufer redlicherweise nicht hinlesen, wenn ihm der Verkäufer auf seine Frage nach den (derzeitigen) Umstände der Immobilie antwortet. (Lediglich wenn dem Verkäufer schon bekannt ist, dass eine Änderung bevorsteht, tritt ihn – jedenfalls bei entsprechender Frage des Käufers – eine Offenbarungspflicht.)

3. Wohnungsgröße im Maklerexposé falsch angegeben

Gleich zwei oberlandesgerichtliche Entscheidungen ergingen zur Frage, ob und wann der Verkäufer für eine fehlerhafte Angabe zur Wohnungsgröße im Maklerexposé haftet.

a) OLG Koblenz, 21.3.2013 - 10 U 834/12

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Richtig entschied m.E. das OLG Koblenz, dass der Verkäufer haftet, wenn er selbst die Wohnungsgröße dem Makler falsch angegeben hat.

OLG Koblenz, Beschl. v. 21.3.2013 - 10 U 834/12, ZMR 2013, 649

Leitsätze: 1. Über aktuelle kostenaufwendige Sanierungsmaßnahmen muss der Veräußerer einer Eigentumswohnung aufklären.

2. Eine Minderfläche von über 10% rechtfertigen einen quotalen Rückzahlungs-anspruch; dies gilt auch dann, wenn laut Kaufvertrag nicht für eine bestimmte Größe der Wohnung gehaftet werden soll, sofern die größere Wohnfläche arglistig vorgespiegelt wurde.

3. Eine Vielzahl von WEG-Verfahren (Prozesslawine) ist unschädlich, wenn diese Verfahren überwiegend von dem aus der Gemeinschaft ausscheidenden Verkäufer initiiert wurden.

Sachverhalt (aus LG Koblenz, Urt. v. 15.06.2012 - 8 O 353/06, ZMR 2012, 895):

– Im Maklerexposé war die Wohnfläche der verkauften Wohnung mit 143,15 qm angegeben – wie vom Verkäufer dem Makler mitgeteilt. Tatsächlich war die Wohnung nur 128,58 qm groß. Auch in der Teilungserklärung (aus dem Jahr 1987) war die Wohnungsgröße mit 143 qm angegeben. Im Jahr 1991 war die Wohnungsanlage aber vermessen und dabei die Wohnfläche korrigiert worden. Auch die Wohngeldabrechnungen seit 1993 erfolgten auf Grundlage der neu ermittelten (kleineren) Wohnungsgröße.

– Die Käufer machten eine Kaufpreisminderung entsprechend der Minderfläche geltend (d.h. um 11,33 %).

– Der Kaufvertrag enthielt einen üblichen Ausschluss der Sachmängelansprüche – der sich ausdrücklich auch auf die Wohnungsgröße bezog: „Der Käufer erwirbt den Kaufgegenstand in seinem derzeitigen Zustand. Der Verkäufer haftet nicht für offene oder verborgene Sachmängel und eine bestimmte Größe oder Beschaffen-heit. Der Verkäufer versichert, dass ihm verborgene Sachmängel nicht bekannt sind.“

Vorliegend hatten die Verkäufer wohl gewusst, dass die Wohnung tatsächlich kleiner als angeben war.

(Juris Rn. 5) „Unerheblich ist, dass den Beklagten beim Erwerb der Wohnung deren tatsächliche Größe nicht bekannt war und dass auch in ihrem Kaufvertrag eine falsche Größe der Wohnung angegeben war. Ihre Behauptung, auch in der Folgezeit keine Kenntnis von der tatsächlichen Größe der in Rede stehenden Wohnung erlangt zu haben, steht im Widerspruch mit ihrem erstinstanzlichen Sachvortrag. …“

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Diese Kenntnis musste ihnen aber nicht nachgewiesen. Wenn der Verkäufer nicht wusste, wie groß seine Wohnung war, durfte er dem Makler nicht „ins Blaue hinein“ Angaben machen.15

(Rn. 6) „Arglist in Bezug auf die Wohnungsgröße ist jedoch auch dann anzunehmen, wenn den Beklagten die Größe der Wohnfläche tatsächlich nicht bekannt gewesen wäre. Arglistig handelt auch, wer ins Blaue hinein Erklärungen abgibt, deren Unrichtigkeit ohne weiteres für ihn erkennbar war. Die Beklagten hätten aufgrund der ihnen zugegangenen Unterlagen ohne weiteres erkennen können, dass die von ihnen dem Makler mitgeteilte Wohnungsgröße nicht zutreffend war.“

Nachdem die Angabe im Maklerexposé erwiesenermaßen vom Verkäufer stammte, musste er auch für deren Richtigkeit einstehen, so als hätte er sie selbst gegenüber dem Käufer gemacht (§ 166 BGB).

(Rn. 8) „Weiterhin sind die im Maklerexposé enthaltenen Angaben hinsichtlich der Wohnfläche den Beklagten auch nach § 166 BGB zuzurechnen. Der Senat teilt die aufgrund der Beweis-aufnahme getroffene Würdigung des Landgerichts, dass die Beklagten selbst für die Angaben in dem Exposé verantwortlich sind, da sie den Maklern die entsprechenden Informationen geliefert haben, und da sie auch für das Exposé mit der falschen Flächenangabe die Freigabe erteilt haben.

(Rn. 9) Nicht gefolgt werden kann der Auffassung der Beklagten, dass der Makler verpflichtet gewesen wäre, unabhängig von den Unterlagen, die sie ihm überlassen haben, die tatsächliche Wohnfläche zu ermitteln. Es lag in der Verantwortung der Beklagten, dafür Sorge zu tragen, dass den möglichen Käufern das Kaufobjekt zutreffend dargestellt wurde. Sie können sich nicht darauf berufen, dass der Makler verpflichtet gewesen wäre, von ihnen stammende Falschangaben von sich aus zu berichtigen.“

b) OLG Bremen, 21.11.2013 – 3 U 23/13

Weniger eindeutig, aber im Ergebnis m.E. ebenfalls richtig erscheint mir die Entschei-dung des

OLG Bremen, Urt. v. 21.11.2013 – 3 U 23/13, OLG Report Nord 48/2013 Anm. 6

Leitsätze 1. Wenn sich die Käufer eines Grundstücks erst am Rande des Notar-termins bei der Verkäuferin allgemein nach der Richtigkeit der Zahlen im Makler-exposé erkundigen, ohne konkrete Bedenken bezüglich der Flächenangaben offen-zulegen, kann der betreffenden mündlichen Bestätigung der Verkäuferin keine bindende Erklärung zur Fläche des Objektes im Sinne einer Beschaffenheits-vereinbarung entnommen werden.

2. Die Verkäuferin handelt nicht arglistig, wenn sie nicht offen legt, dass sie das Exposé selbst nicht eingesehen oder überprüft hat, wenn sie der Maklerin gegen-über zutreffende Angaben gemacht hat, die Maklerin aber versehentlich und ohne

15 Ebenso OLG Hamm, MDR 2010, 1174 = NJW-RR 2010, 1643 = NZM 2011, 83 (Baujahr des

Hauses ins Blaue hinein gegenüber dem Makler angegeben).

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Wissen der Verkäuferin eine falsche Flächenangabe in das Exposé aufgenommen hat.

Sachverhalt:

– Hier hatte die Verkäuferin der Maklerin die Wohn- und Nutzfläche des verkauften Zweifamilienhauses korrekt angegeben (mit 342,02 qm). Die Maklerin hatte hingegen im Exposé die gesamte Wohn- und Nutzfläche versehentlich mit ca. 491 qm beziffert (aber die erzielte Kaltmieter korrekt übernommen).

– Die Kaufinteressenten erhielten auch die meisten Grundrisspläne. Bei der Besichti-gung kamen ihnen Zweifel, ob die angegebene Gesamtnutzfläche stimmte. Ob sie die Maklerin konkret darauf angesprochen hatten, konnten sie nicht beweisen.

– Sie hatten allerdings bei der Kaufvertragsbeurkundung die Käuferin allgemein gefragt, ob die Angaben im Maklerexposé korrekt seien. Die Käuferin hatte dies bejaht, ohne das Maklerexposé zu kennen.

Entscheidung:

Die falsche Angabe im Maklerexposé mussten sich die Verkäuferin nicht zurechnen lassen, da sie nicht von ihr stammte.

Anders wäre dies, wenn der Erklärende „Verhandlungsführer“ für den Verkäufer ist. Dann greift die Zurechnung nach § 166 BGB grds. auch ohne Kenntnis des Verkäufers vom konkreten Inhalt der Aussage.16 Der Verkäufer kann sich allerdings ggf. von den Aussagen seines Verhandlungsführers distanzieren.17

Zunächst könnte man aber meinen, dass die Verkäuferin haften müssen, weil sie die Angaben des Exposés – und damit auch die falsche Angabe der Wohnungsgröße – pauschal bestätigt hatte.

– Sie wusste zwar nicht, dass das Exposé insoweit unrichtig war.

– Sie kannte das Exposé aber gar nicht. Dies könnte man als (haftungsbegründende) falsche Angabe „ins Blaue hinein“ ansehen. Denn auch dann handelt der Verkäufer vorsätzlich, weil er billigend in Kauf nimmt, dass seine Aussage falsch ist.

– Das OLG Bremen verneinte dies: Die Verkäuferin hatten der Maklerin die Wohnungsgröße korrekt angegeben; sie musste nicht damit rechnen, dass die Maklerin dies falsch übernimmt.

(Juris Rn. 30) „Die Beklagte hat unstreitig die Richtigkeit „der Zahlen“ im Exposé bestätigt, obwohl die darin enthaltenen Flächenangaben unzutreffend waren. Ebenso unstreitig war dieser Umstand der Beklagten aber jedenfalls nicht positiv bekannt. Der Senat hat keinen Anhaltspunkt

16 BGH, Urt. v. 21.2.1992 – V ZR 268/&90, BGHZ 117, 260 = NJW 1992, 1500 = WM 1992, 921. 17 BGH, Urt. v. 2.6.1995 – V ZR 52/94, DNotZ 1996, 964 = NJW 1995, 2550 = WM 1995, 1542.

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dafür, dass die Beklagte nicht in gutem Glauben geantwortet hat, da die Angaben, die sie selbst gegenüber der Maklerin gemacht hatte, zutreffend waren. Allerdings wäre zu erwarten gewesen, dass ein Verkäufer sich über das Maklerexposé informiert. Für die rechtliche Bewertung kommt es hierauf indes nicht an, da es für die Beklagte unschädlich ist, wenn ihr guter Glaube auf Fahrlässigkeit oder gar Leichtfertigkeit beruhte. Dass die Beklagte es für möglich gehalten und in Kauf genommen hätte, dass das Maklerexposé trotz ihrer zutreffenden Angaben falsche Zahlen enthalten haben könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Sie war auch nicht verpflichtet, offen zu legen, dass sie das Exposé nicht selbst eingesehen oder überprüft hatte. Es handelte sich gleich-wohl nicht um Angaben „ins Blaue hinein“. Solche liegen nämlich nur dann vor, wenn Angaben gemacht werden, ohne dass eine Tatsachengrundlage vorliegt (vergleiche OLG Hamm, aaO., m.w.N.). Eine solche Tatsachengrundlage bestand hier aber in den zutreffenden Angaben, die die Klägerin der Nebenintervenientin gegenüber gemacht hatte und die gerade der Erstellung eines Exposés hatten dienen sollen. Wenn die Beklagte auf dieser Grundlage auf die Frage der Kläger geantwortet hat, ist dies nicht als arglistiges Verhalten einzuordnen, so dass der Gewährleistungs-ausschluss greift.“

Damit griff der vereinbarte Gewährleistungsausschluss ein.

Allerdings würde ich gegenüber der Entscheidung des OLG Bremen präzisieren, dass dies m.E. nur gilt, weil die die Käufer nur allgemein fragten, ob die Angaben im Exposé stimmen. Hätten die Käufer hingegen speziell nach der Wohnungsgröße gefragt – etwa noch dazugefügt, dass ihnen die Angabe zu groß vorkäme, hätten die Verkäuferin m.E. nicht einfach „Ja“ sagen dürfen, ohne das Exposé zu kennen. Sondern sie hätten entweder fragen müssen, was denn als Wohnungsgröße im Exposé steht – oder sagen müssen: „Ja, die gesamte Nutzfläche beträgt 342 qm.“ In beiden Fällen wäre der Fehler aufgedeckt worden. Hier steht ein bisschen der Verdacht im Raum, dass die Käufer die Verkäuferin ins offene Messer laufen lassen wollten.

Auf die Frage, ob die Käufer (wegen der ihnen übergebenen Grundrisse) möglicher-weise den Mangel kannten – und damit nach § 442 BGB mit Mängelansprüchen ausgeschlossen waren – kam es daher gar nicht mehr an.

4. Subjektive Anforderungen an Arglist - Offenbarungspflicht bei fehlender Baugenehmigung (BGH, 12.4.2013 - V ZR 266/11)

BGH, Urt. v. 12.4.2013 - V ZR 266/11, BauR 2013, 1273 = NJW 2013, 2182 = ZNotP 2013, 145, dazu Krauß, NotBZ 2013, 297

Leitsätze: 1. Eine fehlende Baugenehmigung stellt regelmäßig einen Sachmangel des veräußerten Wohnungseigentums dar; die Frage der Genehmigungs-bedürftigkeit haben die Zivilgerichte in eigener Verantwortung - ohne Bindung an einen erst nach Gefahrübergang ergangenen baubehördlichen Bescheid - zu beantworten.

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2. Arglist setzt zumindest Eventualvorsatz voraus; dem steht es nicht gleich, wenn sich dem Verkäufer das Vorliegen von Tatsachen hätte aufdrängen müssen, die einen Mangel des Kaufobjekts begründen.

Sachverhalt:

Im Jahr 2005 wurde eine Dachgeschoßwohnung verkauft. Der Verkäufer hatte das Dachgeschoß saniert - möglicherweise (dies war strittig) erstmals als Wohnraum ausgebaut. Im Jahr 2009 wollten die Käufer die Wohnung weiterverkaufen. Dabei stellte sich heraus, dass für die Wohnung und den dazu gehörenden Balkon keine Baugenehmigung vorlag. Die Käufer erklärten daraufhin wegen arglistiger Täuschung den Rücktritt von dem Kaufvertrag von 2005 und verlangten Schadens-ersatz.

Fehlende Baugenehmigung als Sachmangel:

Dass der Verkäufer offenbaren muss, wenn er einen Schwarzbau oder ein ungenehmigt ausgebautes Objekt verkauft, dürfte niemanden von Ihnen überraschen. Ein Mangel liegt bereits dann vor, wenn die Genehmigung erforderlich war, aber (noch) nicht erteilt wurde - unabhängig davon, ob der (Um-)Bau genehmigungsfähig ist. Die Frage, ob für die fraglichen Änderungen eine Baugenehmigung erforderlich war, muss das Zivilgericht inzident im Mängelprozess entscheiden.

(Juris Rn. 9) „a) Eine fehlende Baugenehmigung stellt regelmäßig einen Sachmangel des veräußerten Wohnungseigentums dar (vgl. Senat, Urteil vom 30. April 2003 - V ZR 100/02, NJW 2003, 2380, 2381), weil die Baubehörde die Nutzung der Wohnung jedenfalls bis zur Erteilung der erforderlichen Genehmigung untersagen kann, und zwar unabhängig von der Frage, ob eine Genehmigung unter Zulassung einer Ausnahme hätte erteilt werden können (vgl. nur Senat, Urteil vom 26. April 1991 - V ZR 73/90, BGHZ 114, 260, 262). Dabei besteht der Sachmangel bereits darin, dass es an der baurechtlich gesicherten Befugnis fehlt, das Objekt für den vertraglich vorausgesetzten Zweck zu nutzen. Die Frage, ob bauliche Veränderungen überhaupt genehmigungsbedürftig sind, haben die Zivilgerichte als Vorfrage der Fehlerhaftigkeit der Kaufsache zu beantworten (vgl. nur Senat, Urteil vom 26. April 1991 - V ZR 73/90, aaO, S. 261).“

Kriterien für Arglist:

Eher überraschend ist, dass der BGH hier zur Feststellung der Arglist an die Tatsacheninstanz zurückverwies.

– Die Ehefrau des Verkäufers hatte einen Bauantrag gestellt, der im Jahr 2000 zurückgewiesen wurde. Der Verkäufer trug vor, davon nichts gewusst zu haben.

– Das OLG Rostock hatte ihm dies nicht abgenommen. Es hatte aber nicht etwa im Wege der Beweiswürdigung geschlossen, dass der Ehemann doch von der Zurückweisung des Bauantrags wusste, sondern die rechtlichen Maßstäbe für Arglist anders formuliert:

OLG Rostock, Urt. v. 08.12.2011 - 3 U 16/11, NotBZ 2012, 184 = RNotZ 2012, 230

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Leitsätze 1. Ausnahmsweise steht der positiven Kenntnis im Rahmen einer Arglist die bloße Erkennbarkeit von aufklärungspflichtigen Tatsachen gleich, wenn sich diese dem Täuschenden nach den Umständen des Einzelfalles aufdrängen mussten. Derjenige ist dann nach Treu und Glauben nicht berechtigt, seine Augen vor solchen Tatsachen zu verschließen. Weigert sich also der Verkäufer einer Immobilie, von sich aufdrängenden Umständen und deren sich ebenfalls aufdrängenden Bedeutung für einen Käufer Kenntnis zu nehmen, muss dies nach den für die Bankenhaftung entwickelten Grundsätzen dem positiven Wissen, dem sich der Verkäufer verschließt, gleichstehen.

2. Zur Zulässigkeit eines Grundurteils bei Klage auf Rückabwicklung des Kaufvertrages.

– Diese rechtliche Beurteilung war falsch. Daher hob der BGH auf und verwies an das OLG zurück.

„(Juris Rn. 11) b) Revisionsrechtlich zu beanstanden sind auch die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Arglist.

(Rn. 12) aa) Diese setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zumindest Eventualvorsatz voraus (so etwa Senat, Urteil vom 15. Juni 2012 − V ZR 198/11, NJW 2012, 2793; …); leichtfertige oder grob fahrlässige Unkenntnis genügt dagegen nicht (vgl. Senat, Urteil vom 16. März 2012 - V ZR 18/11, ZfIR 2012, 463, 465 f. Rn. 24 u. 28). Ein arglistiges Verschweigen ist danach nur gegeben, wenn der Verkäufer den Mangel kennt oder ihn zumindest für möglich hält und zugleich weiß oder doch damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (so etwa Senat, Urteil vom 10. Juni 1983, V ZR 292/81, WM 1983, 990; Urteil vom 7. März 2003 - V ZR 437/01, NJW-RR 2003, 989, 990; vgl. auch Krüger in Krüger/Hertel, Der Grundstückskauf, 10. Aufl., Rn. 35 u. 1003 ff.; jeweils mwN).

(Rn. 13) bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts genügt es dagegen nicht, wenn sich dem Verkäufer das Vorliegen aufklärungspflichtiger Tatsachen hätte aufdrängen müssen, weil dann die Arglist vom Vorsatz abgekoppelt und der Sache nach durch leichtfertige oder grob fahrlässige Unkenntnis ersetzt würde.

(Rn. 14) (1) Der Senat hat bereits entschieden, dass selbst ein bewusstes Sichverschließen nicht den Anforderungen genügt, die an die Arglist zu stellen sind (Urteil vom 7. März 2003 - V ZR 437/01, NJW-RR 2003, 989, 990). Eine Gleichstellung mit der Kenntnis kommt lediglich in Betracht, soweit es bei bestimmten Tatbestandsmerkmalen um eine rechtliche (Gesamt-)Bewer-tung von Tatsachen geht. So erfordert etwa die Kenntnis davon, nicht zum Besitz berechtigt zu sein (§ 990 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder etwas rechtsgrundlos empfangen zu haben (§ 819 Abs. 1 BGB), nicht nur das Wissen um die tatsächlichen Umstände, aus denen auf die Nichtberechtigung zu schließen ist, sondern auch die Kenntnis dieser Rechtsfolge selbst (zu § 819 Abs. 1 BGB vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 1992 - XII ZR 119/91, BGHZ 118, 383, 392 mwN; zu § 990 Abs. 1 Satz 2 BGB vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1960 - II ZR 125/58, BGHZ 32, 76, 92). Die Kenntnis der Tatsachen ist dabei stets nötig. Sie kann keinesfalls durch wertende Überlegungen ersetzt werden. Nur hinsichtlich des Schlusses von der Tatsachenkenntnis auf die Einschätzung der Rechtslage - in den Beispielen der Mangel des rechtlichen Grundes und die fehlende Besitzberechtigung - kommt eine Abmilderung des Erkenntnisgrades in Betracht. Um eine solche rechtliche Gesamtbewertung geht es bei § 444 BGB jedoch nicht. Bei der Frage der Arglist ist allein entscheidend, ob der Verkäufer die den Mangel begründenden Umstände kennt (Senat, Urteil vom 7. März 2003 - V ZR 437/01, aaO, mwN), mögen diese auch im Einzelfall - wie hier die revisionsrechtlich zu unterstellende Genehmigungsbedürftigkeit - einen normativen Gehalt aufweisen. Liegt diese Kenntnis zumindest in der Form des Eventualvorsatzes vor, ist es unerheblich, ob der Verkäufer daraus den Schluss auf einen Sachmangel zieht (Senat, Urteil vom 7. März 2003 - V ZR 437/01, aaO; Krüger in Krüger/Hertel, aaO, Rn. 1005).“

S. 32 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– Ich gehe aber davon aus, dass bei der dann vom OLG vorzunehmenden Beweiserhebung höchstwahrscheinlich nachgewiesen werden kann, dass der Ehemann von der Zurückweisung des Bauantrags Kenntnis hatte.

5. Offenbarungspflicht für Ertragsfähigkeit des Grundstücks (BGH, 1.2.2013 - V ZR 72/11)

Mit der Frage, inwieweit der Verkäufer die (mangelnde) Ertragsfähigkeit eines Grund-stücks offenbaren muss, beschäftigt sich

BGH, Urt. v. 1.2.2013 - V ZR 72/11, NJW 2013, 1807 = ZfIR 2013, 501 m. Anm. Hertel = ZNotP 2013, 101, dazu Krauß, NotBZ 2013, 258

Leitsätze: 1. Vermitteln die von dem Verkäufer eines Hausgrundstücks angegebenen Mieteinnahmen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses aufgrund besonderer Umstände ein falsches Bild über die Ertragsfähigkeit des Grundstücks, muss er den Käufer über diese Umstände aufklären, wenn sie für dessen Kaufent-schluss erkennbar von Bedeutung sind.

2. Die in einem Kaufvertrag vereinbarten Informationspflichten können über das hinausgehen, was der Verkäufer aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis mitzuteilen verpflichtet gewesen wäre.

Sachverhalt: Die Entscheidung betrifft einen speziellen Fall, der sich nicht auf den Standardkaufvertrag übertragen lässt. Gleichwohl gibt die rechtliche Argumentation auch Hinweise für einen Standardkauf.

– Ein ganzes Einkaufszentrum wurde für 11,8 Mio. Euro war. Der Kaufpreis war auf Grundlage der Jahresmieten errechnet worden. Deren Richtigkeit garantierte der Verkäufer ausdrücklich.

– Diese Miete war aber nicht auf Dauer erzielbar. Der Hauptmieter nutzte seine Teile nicht mehr selbst, sondern hatte untervermietet - und zwar nur zu etwa einem Viertel der Quadratmetermiete, die er selbst zahlte. Die Untervermietung als solche hatte der Verkäufer mitgeteilt. Strittig war, ob er auch mitgeteilt hatte, dass die Untermieter nur wesentlich geringere Mieten zahlten.

Musste dies der Verkäufer offenbaren?

Prüfungsmaßstab: Nach ständiger Rechtsprechung des BGH, die der BGH auch in der vorliegenden Entscheidung zitiert, muss ein Vertragspartner von sich aus - auch ohne Frage des anderen Vertragspartners - diesen „über Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach

S. 33 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Vertragsanschauung redlicherweise erwarten darf“ (Rn. 8).

Aus diesem allgemeinen Maßstab hatte der BGH bereits in früheren Fällen abgeleitet, dass der Verkäufer offenbaren muss, wenn ihm konkrete Gefährdungen bekannt sind, dass die derzeitige Miete nicht dauerhaft erzielt werden kann.

– So muss der Verkäufer ungefragt mitteilen, wenn die vereinbarte (und auch gezahlte) Miete höher als die eigentlich rechtlich zulässige Miete liegt.18

– Ebenso muss er offenbaren, wenn bei einem Heimgrundstück die gezahlte Miete höher als die von Kostenträgern erstattungsfähige Miete ist.19

– Ebenso bejahte der BGH eine Offenbarungspflicht im vorliegenden Sachverhalt: „Vermitteln die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses erzielten Mieten aufgrund besonderer Umstände ein falsches Bild über die Ertragsfähigkeit des Grund-stücks, ist also die übliche Schlussfolgerung von den vereinbarten Mieten auf die Ertragsfähigkeit nicht gerechtfertigt, muss der Verkäufer den Käufer hierüber ungefragt aufklären“ (Rn. 9).

Das OLG Hamburg hatte als Tatsacheninstanz dennoch eine Offenbarungspflicht verneint. Denn die Käuferin habe ihre Preiskalkulation nicht auf die derzeitige Miete, sondern offensichtlich auf ein anderes Nutzungskonzept gestützt - auch wenn sich der Kaufpreis nach dem Vertragstext aus dem aktuellen Mietzins ableitete. Dies entnahm das OLG u.a. daraus, dass der Käuferin bekannt war, dass der Hauptmieter das Objekt schon länger nicht mehr selber nutzte, dass sein Mietvertrag in Kürze auslief und dass erhebliche Leerstände bestanden.

Der BGH konnte darin keine revisionsrechtlich relevanten Rechtsfehler erkennen. Nachdem sich die revisionsgerichtliche Kontrolle auf Rechtsfehler beschränkt, hätte die Tatsachen-instanz möglicherweise auch zu einem anderen Ergebnis kommen können.

Der BGH hob die Entscheidung dennoch auf und verwies an die Tatsacheninstanz zurück. Denn die Beteiligten hatten vereinbart, dass die Verkäuferin der Käuferin zur Durchführung einer „due diligence“ auch sämtliche Mietvertragsunterlagen und die Mieterkorrespondenz zu übergeben. Die Tatsacheninstanz hatte nicht geprüft, ob dies auch erfolgt war.

Für die Vertragsgestaltung bei einem „normalen“ Grundstückskaufvertrag ergibt sich kein Änderungsbedarf. Hier lässt man ja üblicherweise den Verkäufer bestimmte Angaben zum Mietvertrag versichern (insbes. dass keine Nebenabreden bestehen und dass keine Mietstreitigkeiten geführt werden).

Ist ausnahmsweise (bei einem Großobjekt) eine due diligence vereinbart, so muss man genau abgrenzen, welche Unterlagen der Verkäufer dem Käufer (im „Datenraum“) zur Verfügung stellen muss. Denn wenn etwas schief läuft, werden sich die Kaufvertragsparteien hierüber streiten - wie im dargestellten BGH-Fall.

– Dabei haben die Kaufvertragsparteien gegensätzliche Interessen. Der Käufer will im Zweifel möglichst viele Unterlagen - auch wenn er dann manches Irrelevantes durchsehen muss.

18 BGH NJW 1989, 1795; NJW-RR 1990, 1161. 19 BGH NJW-RR 1996, 690.

S. 34 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– Der Verkäufer will umgekehrt möglichst wenig vorlegen müssen, weil er möglichst wenig Interna offenbaren will, falls der Kauf dann doch nicht vollzogen wird, - und weil er dann weniger Gefahr läuft, Unterlagen zu vergessen und dafür später haftbar gemacht zu werden.

– Auch empfiehlt sich, genau festzuhalten, welche Kopie vorgelegt wurden (oder welcher Datenraum zur Verfügung gestellt wurde), damit dies im Streitfall nachweisbar ist. Dazu kann man die Kopien oder den Datenraum bei einem Treuhänder (etwa einem Notar) bereitstellen oder über diesen weiterleiten lassen.

6. Abtretung der Mängelansprüche

In meinem Kaufvertrag sehe ich standardmäßig vor, dass der Verkäufer allfällige Mängelansprüche gegen Bauhandwerker, frühere Verkäufer etc. an den Käufer abtritt:20

V. 4. Abtretung von Mängel- oder Schadensersatzansprüchen

Soweit dem Verkäufer noch unverjährte Ansprüche wegen Mängeln oder Schadens-ersatzansprüche gegen frühere Veräußerer, gegen an Baumaßnahmen Beteiligte, (ggf. ergänzen: Mieter) oder Dritte zustehen (ausgenommen gegen Angehörige des Verkäufers - ggf. ergänzen: oder Mitbewohner der selbstgenutzten Wohnung), tritt er diese an den Käufer ab, aufschiebend bedingt mit Kaufpreiszahlung, spätestens mit Eigentumsübergang.

a) Durchsetzbarkeit der Mängelansprüche (OLG Koblenz, 29.09.2011 - 5 U 840/11)

Was ist, wenn restliche Erfüllungsansprüche oder Mängelansprüche bestehen (und abgetreten werden), aber nicht durchsetzbar sind? Haftet dann der Verkäufer für die Durchsetzbarkeit?

Damit beschäftigte sich eine Entscheidung des

OLG Koblenz, Beschl. v. 29.09.2011 - 5 U 840/11, BauR 2012, 1152 = DWW 2012, 216

Verkäufer haftet nicht für Durchsetzbarkeit abgetretener Mängelansprüche

(Juris Rn. 9) „Besteht noch ein Restanspruch gegen den Bauunternehmer (hier: auf Fertigstellung des Außenputzes), übernimmt der Verkäufer eines Hauses durch die Übertragung dieses Anspruchs auf den Erwerber nur dann eine Garantiehaftung für die Realisierbarkeit des Erfüllungsanspruchs aus dem Bauvertrag, wenn das ausdrücklich vereinbart und notariell beurkundet wurde. Darüber, dass der abgetretene Erfüllungs- und Gewährleistungsanspruch gegen den Bauunternehmer

20 Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 3. Aufl. 2012, Teil 2 Kap. 2 Rn. 3.

S. 35 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen verjährt, muss der Verkäufer den Erwerber nicht aufklären.“

In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatten die Verkäufer das Haus (rechtlich eine Eigentumswohnung) wenige Jahre zuvor vom Bauträger erworben. Nun verkauften sie es weiter. Der Bauträger hatte manche Restarbeiten noch nicht erbracht. Insbes. war das Haus außen noch nicht verputzt.

Beim Weiterverkauf regelten die Beteiligten: § 1 Nr. 5:

(Juris Rn. 2) „Der Verkäufer erklärt, dass er den Vertragsgegenstand durch von ihm beauftragte Handwerker bzw. Bauträger hat erstellen lassen. Die Abnahme erfolgte nach Aussage des Verkäufers am 19.07.2004. Der Käufer hat den Vertragsgegenstand eingehend besichtigt. Der derzeitige Bautenstand ist dem Käufer bekannt. Der Außenputz, die Fertigstellung der Außenanlagen sowie noch diverse Restarbeiten im Innenbereich wird der Käufer in eigener Regie und auf eigene Kosten durchführen bzw. durchführen lassen. Der Verkäufer hat den Käufer darauf hingewiesen, dass für die Anbringung des Außenputzes an den Bauträger Teilzahlungen erfolgt sind und gegen eine Restzahlung von ca. 3.000 € durch den Käufer an den Bauträger dieser das Gewerk fertig stellt.“

Ferner regelten sie in § 4 Nr. 2:

(Rn. 3) „Der Verkäufer tritt seine Gewährleistungsansprüche an den dies annehmenden Käufer ab. Abgetreten werden ferner alle sonstigen Ansprüche und Rechte gegen alle an der Baumaßnahme beteiligten Personen, wie Statiker, Ingenieure etc. Für die Durchsetzbarkeit der abgetretenen Rechte übernimmt der Verkäufer jedoch keine Haftung.“ Jedoch wurde in § 4 Nr. 3 „eine Haftung (der Verkäufer) für Sachmängel an den Aufbauten ausgeschlossen“.

Außerdem sicherten sie zu, dass ihnen nichts bekannt sei, was der Durchsetzbarkeit der abgetretenen Forderungen entgegenstehe.

Als die Käufer vom Bauträger die Aufbringung des Außenputzes verlangten, weigerte sich dieser und wandte Verjährung ein. Später fiel der Bauträger in Insolvenz. Andere Firmen verlangten für den Außenputz 13.000,- Euro. Die Differenz zu den erwarteten 3.000,- Euro klagten die Käufer von den Verkäufern ein. Sie hatten damit vor dem OLG Koblenz keinen Erfolg.

Das OLG Koblenz entschied, dass der Verkäufer grds. nicht für die Durchsetzbarkeit der abgetretenen Forderung haftet. Hier war dies sogar ausdrücklich geregelt. Im Normalfall ist m.E. eine ausdrückliche Regelung nicht erforderlich. Auch das OLG Koblenz stellte nicht auf diese Regelung ab, sondern verneinte schon unabhängig davon eine Haftung für die Durchsetzbarkeit der abgetretenen Forderung:

(Rn. 9) „Auch aus den vertraglichen Regelungen lässt sich eine Forderungsberechtigung der Kläger nicht herleiten. In § 1 Nr. 5 ist dazu niedergelegt, dass der Außenputz von den Klägern "in eigener Regie und auf eigene Kosten" aufgebracht wird. Klarer konnten sich die Beklagten kaum freizeichnen. Dass sie darüber hinaus darauf hinwiesen, der Bauträger werde " das Gewerk gegen

S. 36 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

eine Restzahlung von ca. 3.000 € fertig" stellen begründete weder eine persönliche Werkleistungsverpflichtung noch eine Garantieübernahme.“

Ergo: Kein Änderungsbedarf für unsere Klauseln.

b) Sonstige Gestaltung der Klausel

Nur kurz hingewiesen sei auf zwei weitere Regelungspunkte bei der Abtretung der Mängelrechte:

– Wegen Eigenleistungen sollen keine Mängelansprüche bestehen. Daher sind im zitierten Muster auch Ansprüche gegen „Angehörige“ und „Mitbewohner der Wohnung“ (= Lebensgefährte/in) ausgeschlossen.

– Inwieweit der Verkäufer ggf. bei der Durchsetzung der Ansprüche mithelfen muss, regle ich nicht. Als Nebenpflicht ergibt sich m.E. auch ohne ausdrückliche Regelung, dass der Verkäufer auf Verlangen die bei ihm noch vorhandenen Unterlagen dem Käufer zur Verfügung stellen muss. Ebenso muss er schon kraft Gesetzes ggf. als Zeuge einer gerichtlichen Ladung Folge leisten. Weitergehende Mitwirkungspflichten (etwa längere Aufbewahrungspflichten für Unterlagen) sehe ich nicht - und halte ich auch nicht für vertraglich angebracht.

c) keine Mängelansprüche gegen Werkunternehmer bei Schwarzarbeit

Bei der Abtretung kann indirekt eine Rolle spielen, dass der BGH nunmehr - in Abkehr von seiner vorherigen Rechtsprechung - nunmehr Mängelansprüche bei Schwarzarbeit versagt:

BGH, Urt. v. 1.8.2013 - VII ZR 6/13, NJW 2013, 3167

BauR 2013, 1852 = DB 2013, 2023 = ZIP 2013, 1918 = MDR 2013, 1216 = NJW 2013, 3167 = NotBZ 2013, 382 = NZBau 2013, 627 = NZM 2013, 689

Leitsätze: 1. § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG enthält das Verbot zum Abschluss eines Werkvertrages, wenn dieser Regelungen enthält, die dazu dienen, dass eine Vertragspartei als Steuerpflichtige ihre sich aufgrund der nach dem Vertrag geschuldeten Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt.

2. Das Verbot führt jedenfalls dann zur Nichtigkeit des Vertrages gemäß § 134 BGB, wenn der Unternehmer vorsätzlich hiergegen verstößt und der Besteller den Verstoß des Unternehmers kennt und bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt.

3. Mängelansprüche des Bestellers bestehen in diesem Fall grundsätzlich nicht.

S. 37 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

III. Keine Haftungsbeschränkung für Kardinalpflichten möglich (SH)

BGH, Urt. v. 18.7.2012 – VIII ZR 337/11, NJW 2013, 291 (Haftungsausschluss und Kardinalpflichten)

Besonders sensibel sind nach wie vor formularmäßige Haftungsbeschränkungen, insbesondere, aber nicht nur im Verbrauchervertrag i. S. v. § 310 Abs. 3 BGB. Aufgrund des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion21 hat die Teilunwirksamkeit einer Haftungsbeschränkung – gleich ob aufgrund Verstoßes gegen § 309 Nr. 7 oder § 307 BGB – grundsätzlich die Gesamtunwirksamkeit der betreffenden Klausel zur Folge,22 was regelmäßig mit einem erheblichen Eingriff in die vertraglich vereinbarte Parität von Leistung und Gegenleistung verbunden ist.

Folglich ist im Anwendungsbereich der §§ 307 ff. BGB besondere Sorgfalt bei der Formulierung einer formularmäßigen Haftungsbeschränkung geboten. Neben dem strengen Klauselverbot nach § 309 Nr. 7 BGB gilt es dabei ebenfalls die Generalklausel des § 307 BGB und hier insbesondere den Kardinalpflichtenvorbehalt in § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB im Blick zu behalten.

1. Eröffnung des Anwendungsbereichs der §§ 307 ff. BGB

a) Verbrauchervertrages i. S. v. § 310 Abs. 3 BGB

Im Fall eines Verbrauchervertrages i. S. v. § 310 Abs. 3 BGB sind die Vorgaben der §§ 307 ff. BGB in aller Regel zu beachten. Daher ist stets zu klären, in welcher Eigenschaft die Parteien den Vertrag abschließen (auch im Hinblick auf § 17 Abs. 2a BeurkG).

b) C2C-Konstellation

Aber auch bei einem Vertrag zwischen zwei Verbrauchern (C2C-Vertrag) kann im Einzelfall der Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB eröffnet sein. Sofern der Notar sein „übliches“ Kaufvertragsmuster verwendet, fehlt es allerdings regelmäßig an einem Stellen i. S. v. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB durch eine Vertragspartei.

21 Vgl. hierzu Herrler, in: Limmer, Gestaltungspraxis und Inhaltskontrolle, 2014, S. 1, 44 ff. 22 BGH, Urt. v. 29.5.2013 – VIII ZR 174/12 (Abkürzung der Verjährungsfrist für

Gewährleistungsansprüche im Gebrauchtwagenhandel – keine Ausnahme von der zeitlichen Haftungsbegrenzung für Schäden i. S. v. § 309 Nr. 7 lit. a BGB); BGH NJW 2007, 3774 (umfassender Haftungsausschluss im B2B-Verkehr); NJW-RR 1998, 1998 (Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit im B2B-Verkehr, keine Ausnahme für Verletzung von Kardinalpflichten); OLG Hamm NJW-RR 2005, 1220 (umfassender Haftungsausschluss bei Verkauf eines gebrauchten Pkw im C2C-Verkehr – vgl. insoweit jüngst BGH NJW 2010, 1131).

S. 38 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Anders ist dies aber dann zu beurteilen, wenn das Handeln des Dritten bei wertender Betrachtung einer Vertragspartei zuzurechnen ist, etwa deshalb, weil der Dritte das Formular im Auftrag dieser Partei entwickelt hat,23 das Vertragsmuster des Dritten Regelungen enthält, die eine Partei ständig oder zumindest regelmäßig verwendet,24 oder es sich bei dem Dritten um den sog. „Hausnotar“ einer Vertragspartei handelt, dieser also regelmäßig für eine der beiden Vertragsparteien tätig wird.25 Angesichts der sehr hohen Anforderungen an ein „Aushandeln im Einzelnen“ i. S. v. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB lässt sich – sofern ein Stellen zu bejahen ist -, eine Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB in aller Regel nicht vermeiden. Dies gilt erst recht, wenn eine Partei die betreffende Klausel als conditio sine qua non betrachtet.

2. § 309 Nr. 7 lit. a und b BGB

Im Anwendungsbereich von § 309 Nr. 7 BGB sind Haftungsbeschränkungen jeder Art unzulässig, u. a. höhenmäßige Beschränkungen der Haftung, der Ausschluss bestimmter Schäden, die Verkürzung der Verjährungsfrist oder Klauseln betreffend eine lediglich subsidiäre Haftung des Verwenders. Auch wenn ein Vorbehalt gerade betreffend § 309 Nr. 7 lit. a BGB in der Beurkundung manchmal für Unverständnis der Vertragsparteien sorgt, kann auf eine Rückausnahme von einem generellen Haftungsausschluss oder einer Haftungsbeschränkung im Hinblick auf Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit sowie im Hinblick auf vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachte Schäden nicht verzichtet werden.

Die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung illustriert, dass es der BGH mit der peinlichen Beachtung der Vorgaben durch § 309 Nr. 7 BGB (nach wie vor) sehr genau nimmt.26 Allerdings genügt eine schlagwortartige Bezeichnung der nicht von der Haftungsbegrenzung erfassten Schäden i. S. v. § 309 Nr. 7 lit. a und b BGB.

3. Kardinalpflichten gem. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB

Es ist allgemein anerkannt, dass die durch §§ 308 und 309 BGB gezogenen Grenzen nicht abschließend sind, sondern im Anwendungsbereich eines besonderen Klauselverbots Raum für einen Rückgriff auf die Generalklausel des § 307 BGB bleibt. Auch bei Beachtung der Vorgaben von § 309 Nr. 7 lit. a und b BGB kann sich eine Haftungsbegrenzung somit als unangemessen benachteiligend erweisen, wenn diese die Verletzung von sog. Kardinalpflichten i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB

23 BGH NJW-RR 2010, 39; NJW 1985, 2477; OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 659, 660. 24 OLG Köln VersR 2000, 730; NJW-RR 1988, 1459. 25 BGH NJW 1992, 2160, 2162. 26 Vgl. BGH, Urt. v. 29.5.2013 – VIII ZR 174/12 (Abkürzung der Verjährungsfrist auch im

Anwendungsbereich des § 309 Nr. 7 BGB), NJW 2013, 2584; Urt. v. 4.7.2013 – VII ZR 249/12 (Haftungsbegrenzung auf die Höhe des Zeitwertes auch bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung), NJW 2013, 2502.

S. 39 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

erfasst. Insoweit kommt ein formularmäßiger Haftungsausschluss auch für leichte Fahrlässigkeit nicht in Betracht. Eine dies nicht berücksichtigende Klausel ist grundsätzlich im Ganzen unwirksam,27 da es in aller Regel an einer sprachlichen Teilbarkeit der unzulässigen Klausel fehlen wird.28

Für den mit der Formulierung einer Haftungsausschluss- bzw. Haftungsbe-schränkungsklausel betrauten Vertragsgestalter stellt sich demzufolge die Frage, was unter wesentlichen Rechten oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben und durch deren Einschränkung die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet würde, zu verstehen ist. Wesentliche Vertragspflichten in diesem Sinne sind solche, deren Erfüllung die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrages überhaupt erst ermöglicht (bzw. deren Erfüllung den Vertrag prägt) und auf deren Einhaltung der andere Teil regelmäßig vertrauen darf.29 Mangels einer anerkannten, präziseren Definition der Kardinalpflichten i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB sind die Reichweite sowie die Grenzen dieser Norm nur schwer vorhersehbar.30

Sofern Kardinalpflichten i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB in Rede stehen, darf die Erreichung des Vertragszwecks durch eine formularmäßige Bestimmung nicht gefährdet werden. Dies bedeutet für Haftungsbeschränkungsklauseln, dass vertragstypisch vorhersehbare Schäden nicht von der Haftung ausgenommen werden dürfen.31 Der Vertragsgestalter hat diesen Vorgaben bei der Formulierung der formularmäßigen Haftungsbeschränkung Rechnung zu tragen, darf dabei andererseits allerdings nicht die Anforderungen des Transparenzgebots nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB aus dem Auge verlieren. Dass dies nicht ganz einfach ist, illustrieren zwei Entscheidungen des BGH:

a) Beispiele aus der BGH-Rechtsprechung

aa) Haftungsbeschränkung Kfz-Vertragshändlervertrag (Kaufvertrag)

„… Jedoch haftet H nur für den aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Vertragsverletzung resultierenden

Schaden, soweit es sich nicht um die Haftung für die Verletzung von Kardinalpflichten handelt.“32

27 St. Rspr., vgl. BGH NJW-RR 1998, 1426, 1427; NJW 1984, 1350, 1351; jüngst auch BGH NJW

2013, 291. Eine Haftungsausschluss ist ebenfalls unzulässig, wenn der Verwender in besonderem Maße Vertrauen in Anspruch genommen oder aufgrund seines Berufs eine qualifizierte Vertrauensstellung inne hat (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl. 2014, § 309 Rn. 50 mit weiteren Fallgruppen).

28 Vgl. H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl. 2011, § 306 Rn. 13 m. w. N.; Christensen, in: Ulmer/Brandner/Hensen, § 306 Rn. 40 m. w. N. (Überblick an Anforderungen an wirksame Freizeichnungsklausel).

29 Vgl. BGH NJW 2013, 291. 30 Vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl. 2014, § 309 Rn. 48 m. w. N. 31 Vgl. jüngst BGH NJW 2013, 291 Tz. 40. 32 BGH NJW-RR 2005, 1496, 1497, 1505.

S. 40 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

bb) Haftungsbeschränkung Privatkunden Stromlieferungsverträge e.on

„… [umfassende Haftung bei Vorsatz, grober Fahrlässigkeit sowie Verletzung von Leben, Körper oder

Gesundheit]. Bei fahrlässig33 verursachten Sach- und Vermögensschäden haften das Versorgungsunternehmen

und seine Erfüllungsgehilfen nur bei der Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht, jedoch der Höhe nach

beschränkt auf die bei Vertragsschluss vorhersehbaren und vertragstypischen Schäden; wesentliche

Vertragspflichten sind solche, deren Erfüllung den Vertrag prägt und auf die der Kunde vertrauen darf.“ 34

b) Hinreichend transparente Definition von Kardinalpfl ichten

Das Transparenzgebot als Maßstab der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB fordert eine eindeutige und verständliche Darstellung der Rechte und Pflichten des anderen Teils, damit sich dieser bei Vertragsschluss über die rechtliche Tragweite seiner eingegangenen Verpflichtungen bewusst werden kann. Diesen Anforderungen genügt die Haftungsbeschränkung im Kfz-Vertragshändlervertrag nach Auffassung des BGH nicht, da der Terminus „Kardinalpflichten“ selbst im unternehmerischen Verkehr aus sich selbst heraus nicht hinreichend verständlich ist. Hinzu kommt, dass es sich hierbei weder um einen Terminus der Umgangssprache noch der Gesetzessprache handelt. „Gerade Freizeichnungsklauseln müssten klar und eindeutig formuliert sein. Für den konkreten Vertragstyp sei eine hinreichende Konkretisierung der in Rede stehenden Pflichtverletzungen erforderlich und möglich.“35

Der BGH scheint davon auszugehen, dass es grundsätzlich gelingen kann, Kardinalpflichten abstrakt zu definieren bzw. zu erläutern und zugleich den Vorgaben des Transparenzgebots Rechnung zu tragen.36 Wie eine derartige abstrakte und transparente Definition aussehen sollte, war jedoch lange Zeit unklar.

Klarheit brachte insoweit erst das Urteil des VIII. Zivilsenats des BGH vom 18.7.2012, welches zur formularmäßigen Haftungsbeschränkung in Stromlieferungsverträge für Privatkunden von e.on erging. Die dortige Klausel wird einerseits den materiell-rechtlichen Anforderungen von § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB (und natürlich von § 309 Nr. 7 BGB) gerecht und ist andererseits ausreichend transparent, da die verwendeten Begriffe dem allgemeinen Sprach- und Gesetzesgebrauch entstammen und sich deren Inhalt, d. h. die wesentlichen Vertragspflichten, mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Kernvertrag bzw. den beigefügten AGB ergeben.37 Zugegebenermaßen ist noch nicht letztverbindlich geklärt, dass sich diese tendenziell großzügige Handhabung durch den VIII. Zivilsenat auf sämtliche Konstellationen übertragen lässt. Denn die

33 Ggf. klarstellen: „einfach fahrlässig“; m. E. allerdings nicht zwingend erforderlich, da die

begriffliche Abgrenzung durch den zuvor verwendeten Begriff „grob fahrlässig“ auch unter Berücksichtigung von § 305c Abs. 2 BGB (kundenfeindlichste Auslegung) hinreichend deutlich wird (zweifelnd allerdings Korte, EWiR 2013, 41, 42).

34 BGH NJW 2013, 291. 35 BGH NJW-RR 2005, 1496, 1505. 36 BGH NJW-RR 2005, 1496, 1505. 37 BGH NJW 2013, 291 Tz. 44, 46.

S. 41 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Transparenz einer derartigen Klausel wurde gerade auch unter Bezugnahme auf einen konkreten Energielieferungsvertrag bejaht.38 Sofern der einigermaßen abstrakte Begriff der vertragswesentlichen Pflichten – wie im vorliegenden Sachverhalt – weiter erläutert wird, dürften m. E. allerdings keine durchgreifenden Bedenken gegen die Transparenz einer derartigen Klausel bestehen.39

c) Angemessene und zugleich transparente Beschränkung des Haftungs-umfangs

Ist die erste Hürde, die transparente Definition der vertragswesentlichen Pflichten i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB geglückt, ist der Vertragsgestalter vielfach noch nicht am Ziel. Denn der Klauselverwender wird in aller Regel daran interessiert sein, den Haftungsumfang weitmöglichst zu beschränken. Danach ist regelmäßig keine umfassende Haftung für die Verletzung von Kardinalpflichten gewünscht, sondern lediglich die vom BGH als Mindeststandard geforderte Haftung für vertragstypisch vorhersehbare Schäden. Denkbar wäre hierfür die Angabe einer Haftungshöchst-summe, doch bereitet deren Bezifferung aus ex-ante-Sicht erhebliche Schwierigkeiten, da diese ausreichend bemessen sein muss, um die vertragstypisch vorhersehbaren Schäden abzudecken.40

Eine Pflicht bzw. eine Obliegenheit zur Angabe einer Höchstsumme besteht freilich nicht. Vielmehr ist es im Grundsatz ebenfalls möglich, den Haftungsumfang abstrakt auf den vertragstypisch zu erwartenden Schaden aufgrund der Verletzung von Kardinalpflichten unter Herausnahme atypischer Schäden zu begrenzen.41 Probleme könnten sich insoweit erneut aufgrund des Transparenzgebots stellen, da im Einzelfall nicht unschwer feststellbar ist, ob es sich beim eingetretenen Schaden um einen vorhersehbaren handelt, und die Qualifikation eines Schadens als vertragstypischen eine wertende Betrachtung erfordert, somit die Klauselgegner im Zweifel von der Durchsetzung ihrer Rechte abgehalten werden. Der BGH erachtete die vorstehende Klausel gleichwohl als hinreichend transparent. Mit dem Kriterium der Vorhersehbarkeit sei keine Haftungsverkürzung verbunden, da sich bereits der Fahrlässigkeitsvorwurf als Haftungsvoraussetzung hierauf stützt.42 Der weiter verwendete Begriff der vertragstypischen Schäden entstamme der Gesetzessprache (vgl. Gesetzesüberschriften u. a. in §§ 433, 488, 581, 631 BGB) werde in der betreffenden Klausel noch näher erläutert.43 In diesem Zusammenhang weist der BGH – in einer für die Vertragsgestaltung besonders erfreulichen Weise – darauf hin, dass

38 Details in Tz. 44 der vorgenannten Entscheidung. 39 Eine weitere Erläuterung für erforderlich haltend auch Dammann, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer,

AGB-Recht, 5. Aufl. 2009, § 309 Rn. 98 (Arg.: sonst unklar, ob nur Pflichten von zentraler Bedeutung oder alle nicht ganz unwesentlichen Pflichten erfasst).

40 BGH NJW 2013, 291 Tz. 40 m. w. N. 41 BGH NJW 2013, 291 Tz. 40. 42 BGH NJW 2013, 291 Tz. 42. 43 BGH NJW 2013, 291 Tz. 43.

S. 42 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

keine Pflicht zu einer abschließenden oder beispielhaften Nennung bestimmter derartiger Schäden bestehe, sondern eine abstrakte Formulierung genüge. Anderenfalls bestehe die Gefahr einer unvollständigen Aufzählung. Eine lediglich beispielhafte Nennung verlagere die Abgrenzungsproblematik lediglich bzw. enthalte u. U. gar (ungewollte) Wertungen.44

Abschließend stellt der BGH in seiner Entscheidung klar, dass der in der Haftungsausschlussklausel als maßgeblich zugrunde gelegte Zeitpunkt des Vertragsschlusses im vorliegenden Sachverhalt nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des anderen Teils führe. Hierfür verweist er u. a. auf den Aspekt der Risikobeherrschung sowie darauf, dass es sich hierbei um den spätestmöglichen Zeitpunkt für die Kalkulation von Rückstellungen handele.45 Ausnahmsweise genieße der Selbstschutz hier Vorrang, da der Stromkunde den Umfang des zu versichernden Interesses (Stichwort „besondere Störungsempfindlichkeit“) am besten beurteilen könne und durch diesen ggf. abzuschließende Versicherungen gegen neu entstehende Schadensrisiken ökonomischer seien als pauschale Preiserhöhungen.46 Jedenfalls der Vorrang des Selbstschutzes ist der besonderen Konstellation des Stromlieferungs-vertrages geschuldet. Ob die Beschränkung auf bei Vertragsschluss vorhersehbare Schäden der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB in anderen Konstellationen standhält, steht damit noch nicht fest.47

d) Zwischenergebnis

Auch wenn nicht abschließend geklärt ist, ob die abstrakte Definition der Kardinalpflichten als vertragswesentliche Pflichten in der Zusammenschau mit den übrigen Vertragsbestimmung stets als hinreichend transparent zu betrachten ist, weist die Entscheidung des VIII. Zivilsenats vom 18.7.2012 für die Praxis einen gangbaren Weg für die Gestaltung einer möglichst weitreichenden, formularmäßigen Haftungsfreizeichnung, die der Inhaltskontrolle standhält und für die Vertragspraxis handhabbar ist.

e) Relevanz für Kaufverträge über „gebrauchte Immobilien“?

In Anbetracht dessen, dass die Rückausnahme für die Verletzung von Kardinalpflichten in formularmäßigen Haftungsbeschränkungen seit dem Urteil des BGH vom 18.7.2012 nunmehr auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des Transparenzgebots möglich zu sein scheint, stellt sich für die notarielle

44 BGH NJW 2013, 291 Tz. 45. 45 BGH NJW 2013, 291 Tz. 51; krit. Korte, EWiR 2013, 41, 42 unter Verweis auf die damit

verbundene Steuerungsfunktion. 46 BGH NJW 2013, 291 Tz. 51 f., auch unter Verweis auf die Regelung der Haftung des

Netzbetreibers in § 18 NAV. 47 Zutr. Korte, EWiR 2013, 41, 42.

S. 43 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Gestaltungspraxis die Frage, ob die Haftungsbeschränkungen in Kaufverträgen über gebrauchte Immobilien entsprechend angepasst werden sollten.

aa) h. M.: Umfassender Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit

Nach h. M. ist ein umfassender Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit bei Kaufverträgen über gebrauchte Sachen zulässig.48 Die zahlreichen zwingenden kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften (§§ 309 Nr. 8 lit. b, 444, 475 BGB) sollen einen ausreichenden Schutz zur Sicherung des Vertragszwecks darstellen.49 Teilweise wird auf einen Umkehrschluss aus §§ 309 Nr. 8 lit. b, 475 BGB verwiesen,50 teilweise wird ein Erst-recht-Schluss aus § 309 Nr. 8 lit. a BGB gezogen.51 Schließlich wird angeführt, eine Haftungsbeschränkung bzw. ein Haftungsausschluss würde den Vertragszweck beim Verkauf gebrauchter Sachen generell nicht gefährden.52

bb) A.A.: Wesentlichkeitsvorbehalt

Die Gegenauffassung fordert hingegen auch beim Verkauf gebrauchter Sachen einen Wesentlichkeitsvorbehalt hinsichtlich des Haftungsausschlusses für einfache Fahrlässigkeit.53 Maßgebliches Argument ist der im Rahmen der Schuldrechtsreform neu gefasste § 433 Abs. 1 S. 2 BGB, wonach der Verkäufer zur Lieferung einer mangelfreien Sache verpflichtet ist. Hierbei handele es sich um eine Kardinalpflicht i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Ein umfassender Ausschluss der Mängelrechte insoweit stelle den Käufer rechtlos.

Vereinzelt werden differenzierende Auffassungen vertreten, wonach im Anwendungsbereich von § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit betreffend den Schadensersatz neben der Leistung (i. d. R. Mangelfolgeschäden) unzulässig sein soll.54

48 Dammann, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 5. Aufl. 2009, § 309 Rn. 99;

Palandt/Grüneberg, BGB 73. Aufl. 2014, § 307 Rn. 37, 101, § 309 Rn. 85; Krafka, DNotZ 2013, 360, 361; Litzenburger, NJW 2002, 1244, 1245; differenzierend Tettinger, AcP 205 (2005), 1 ff.

49 So insb. Krafka, DNotZ 2013, 360, 361. 50 Vgl. OLG Hamm NJW-RR 2005, 1220. 51 Litzenburger, NJW 2002, 1244, 1245: Wenn der Ausschluss des Rücktritts bei Lieferung einer

gebrauchten, mangelhaften Sache selbst bei einfacher Fahrlässigkeit zulässig ist, muss dies erst recht für den Schadensersatzanspruch gelten.

52 Tiedtke/Burgmann, NJW 2005, 1153, 1156. 53 Arnold, ZGS 2004, 16, 20; Koch, WM 2002, 2173, 2178 ff.; Pfeiffer, ZGS 2002, 175, 177; v.

Westphalen, NJW 2002, 12, 22 f.; tendenziell auch Staudinger/Coester, BGB, Neubearb. 2006, § 307 Rn. 456; Schulze/Ebers, JuS 2004, 462, 466 m. w. N.

54 MünchKommBGB/Wurmnest, 6. Aufl. 2012, § 307 Rn. 87; Tiedtke/Burgmann, NJW 2005, 1153, 1156.

S. 44 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

4. Gestaltung der Freizeichnungsklausel

Wenngleich nach wie vor gute Gründe für die Position der h. M., d. h. für die Zulässigkeit eines umfassenden Haftungsausschlusses für einfache Fahrlässigkeit bei Kaufverträgen über gebrauchte Immobilien, sprechen, mag man im Anwendungsbereich der §§ 307-309 BGB, also insbesondere bei Verbraucherverträgen, erwägen, die „handelsüblichen“ Freizeichnungsklauseln zu überdenken. Denn es erscheint nicht gänzlich ausgeschlossen, dass die Rechtsprechung beispielsweise die Funktionsfähigkeit der vorhandenen Versorgungsanlagen (Kalt- und Warmwasser, Elektrizität, Telekommunikation, Heizung) als Inhalt einer Kardinalpflicht und auf dieser Grundlage einen Wesentlichkeitsvorbehalt in der Freizeichnungsklausel für notwendig erachtet.55

In Anlehnung an die Entscheidung des BGH vom 18.7.2012 könnte eine Haftungsfreizeichnungsklausel unter Berücksichtigung der Kardinalpflichten beispielsweise wie folgt lauten:

Hat der Verkäufer aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen für einen Schaden aufzukommen, der leicht fahrlässig verursacht wurde, so haftet er beschränkt: Die Haftung besteht nur bei Verletzung vertragswesentlicher Pflichten und ist auf den bei Vertragsabschluss vorhersehbaren typischen Schaden begrenzt.56 Vertragswesentliche Pflichten sind solche, deren Erfüllung den Vertrag prägt und auf die der Kunde vertrauen darf. Diese Beschränkung gilt nicht bei Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit.

55 Sofern im Kaufvertrag hierfür bereits Sorge getragen wird, z. B. durch Normierung einer

ausdrücklichen Haftung für die Funktionsfähigkeit dieser Anlagen, besteht ggf. kein Anlass für eine entsprechende Rückausnahme.

56 Meines Erachtens sollte eine Begrenzung auf bei Vertragsschluss vorhersehbare Schäden beim Immobilienkaufvertrag anders als u. U. bei Dauerschuldverhältnissen generell zulässig sein.

S. 45 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

IV. Mietrecht (SH)

1. Mietrechtsänderungsgesetz 2013 im Überblick

Das Mietrechtsänderungsgesetz (MietRÄndG) ist im Wesentlichen am 1. Mai 2013 in Kraft getreten (BGBl. 2013 I, S. 434; Details zum Inkrafttreten in Art. 9 MietRÄndG). Die Neuerungen haben mit Ausnahme der Erstreckung der Kündigungssperrfrist auf sog. Erwerbermodelle (vgl. § 577a BGB n. F., vgl. unten Ziff. 2) nur geringe Relevanz für die notarielle Praxis und sollen daher nur kurz überblicksartig dargestellt werden:

a) Anreiz für energetische Wohnraumsanierung (§§ 555a ff. BGB)

• Duldungspflichten des Mieters bei Erhaltungsmaßnahmen, § 555a BGB

o Zum Begriff der Erhaltungsmaßnahme vgl. § 535 Abs. 1 S. 2 BGB

o Grds. Ankündigungserfordernis (§ 555a Abs. 2 BGB)

• Modernisierungsmaßnahmen, §§ 555b-555e BGB

o Abschließende Definition von Modernisierungsmaßnahmen in § 555b BGB („bauliche Veränderungen …“)

� Insb. energetische Modernisierung (Nr. 1), d. h. bauliche Veränderungen, durch die in Bezug auf die Mietsache Endenergie nachhaltig eingespart wird (Legaldefinition).

• Beispiele: Einbau einer Holzpelletheizung, Fernwärmeanschluss (Kraft-Wärme-Koppelung)57

• Nicht: Photovoltaikanlage zur Stromerzeugung und Einspeisung in das allgemeine Stromnetz gegen Vergütung. Diese unterfallen § 555b Nr. 2.58

o → fehlender Bezug zur Mietsache

• Bestimmter Umfang der Energieeinsparung nicht erforderlich59

o relevant aber im Rahmen der Härtefallabwägung nach § 559 Abs. 4 BGB

� Im Falle einer energetischen Modernisierung Ausschluss des Minderungsrechts für 3 Monate nach § 536 Abs. 1a BGB

57 Flatow, NJW 2013, 1185, 1186. 58 Hannemann, IMR 2013, 435, 438. 59 BT-Drucks. 17/10485, S. 24..

S. 46 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

• Bei mehreren eigenständigen Maßnahmen (wohl) jeweils neue 3-Monats-Frist

• Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüche des Mieters bleiben nach der Gesetzesbegründung unberührt.60

o Ankündigungserfordernis, § 555c BGB

� Art und Umfang

� Beginn und Dauer

� ggf. Betrag der Mieterhöhung (nach § 559 BGB)

� künftige Betriebskosten

o Duldungspflicht nach § 555d Abs. 1 BGB

� Pflicht zur Duldung, nicht zur Mitwirkung

� Im Einzelfall Härteeinwand (Abs. 2-5)

o Sonderkündigungsrecht des Mieters nach § 555e BGB

� daneben ggf. Recht zur fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB bei unzumutbaren Modernisierungsmaßnahmen

o Vereinbarungen über Erhaltungs- oder Modernisierungsmaßnahmen aus Anlass einer konkreten baulichen Maßnahmen gem. § 555f BGB zulässig

b) Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete (§ 558 BGB)

• „Energetische Ausstattung und Beschaffenheit“ nunmehr als relevantes Wohnwertmerkmal zu berücksichtigen (§ 558 Abs. 2 S. 1 BGB)

o im Mietspiegel zu berücksichtigen

• Kappungsgrenze für Mieterhöhungen (§ 558 Abs. 3 S. 1 BGB)

o Grds. nicht mehr als 20% innerhalb von 3 Jahren

o Öffnungsklausel für Landesregierungen (§ 558 Abs. 3 S. 2 BGB) zur Senkung der Kappungsgrenze auf 15% in Gebieten, in denen „die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen“ besonders gefährdet ist, d. h. konkrete Mangelsituation erforderlich.

� Verordnungsermächtigung in § 558 Abs. 3 S. 3 BGB

� Vgl. § 577a Abs. 2 BGB für eine parallele Regelung

60 BT-Drucks. 17/10485, S. 18.

S. 47 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

c) Mieterhöhung nach Modernisierungsmaßnahmen (§§ 559-559b BGB)

• 11% der aufgewendeten Kosten für Modernisierungsmaßnahmen i. S. v. § 555b Nr. 1, 3, 4, 5 oder 6 BGB können auf jährliche Miete umgelegt werden

• (Wirtschaftliche) Härtefallregelung in § 559 Abs. 4 BGB

o Belastungsgrenze bislang bei ca. 30% des zu berücksichtigenden Einkommens (Einkommenssituation von Mitbewohnern ggf. auch zu berücksichtigen)

o Ausschlussfrist für Geltendmachung des Härtefalleinwands, d. h. grds. rechtzeitige Mitteilung gem. § 555d Abs. 3-5 BGB erforderlich (§ 559 Abs. 5 BGB)

d) Gewerbliche Wärmelieferung (sog. Contracting, vgl. § 556c BGB)

• Wahlrecht des Vermieters bei der Heizungsversorgung61

• Möglichkeit zum Übergang vom Eigenbetrieb der Heizungsanlage zum sog. Contracting während eines laufenden Mietverhältnisses, sofern

1. Wärme mit verbesserter Effizienz aus neu errichteter Anlage oder aus Wärmenetz geliefert (§ 556c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB) oder Betriebsfortführung einer bestehenden Anlage bei Jahresnutzungsgrad von mindestens 80% (§ 556c Abs. 1 S. 2 BGB)

und

2. Kostenneutralität (§ 556c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB)

• → Vorgaben für Vergleichsrechnung in einer von der Bundesregierung nach § 556c Abs. 3 BGB erlassenen Verordnung über die Umstellung auf gewerbliche Wärmelieferung für Mietwohnraum

e) Außerordentliche Kündigung wegen Verzugs mit Kautionszahlung (§ 569 Abs. 2a BGB)

Vgl. näher zu den Neuerungen durch das Mietrechtsänderungsgesetz Flatow, NJW 2013, 1185 ff.: Hannemann, IMR 2013, 435 ff. und IMR 2013, 481 ff.; Hinz, NZM 2013,209 ff. (speziell zu Minderungsausschluss und Modernisierungsmieterhöhung).

61 Flatow, NJW 2013, 1185, 1188.

S. 48 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

2. Erwerbermodelle

Wird an vermieteten Wohnräumen nach deren Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet, gewährleisten §§ 577 und 577a BGB Schutz vor Verdrängung des Mieters im Falle des Verkaufs bzw. der Veräußerung des Wohnungseigentums, zum einen durch Statuierung einer Kündigungssperrfrist im Falle der ordentlichen Kündigung gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 BGB (§ 577a BGB), zum anderen durch ein Vorkaufsrecht des Mieters gem. § 577 BGB. Voraussetzung dieser beiden Schutzinstrumentarien ist jeweils, dass Wohnungseigentum nach Abschluss des Mietvertrages und der Überlassung der Wohnräume an den Mieter begründet wurde und es anschließend zum Verkauf an einen Dritten bzw. zur Veräußerung kommt. In beiden Fällen soll der Mieter vor einer Verdrängung im Zusammenhang mit der Umwandlung seiner Wohnung in Wohnungseigentum geschützt werden, da vielfach die Gefahr insbesondere einer Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB seitens des Erwerbers bestehen wird.

Um den vorstehend beschriebenen Schutzstandard der §§ 577, 577a BGB zu umgehen, wurde in der Vergangenheit nicht selten auf die Aufteilung eines vermieteten Mehrfamilienhauses in Wohnungseigentum vor dem Verkauf bzw. der Veräußerung verzichtet. Stattdessen haben Erwerbsinteressenten die gesamte Wohnanlage als Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder in Bruchteilsgemeinschaft erworben, anschließend von ihrem Recht zur Eigenbedarfskündigung gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB Gebrauch gemacht und sodann (vereinbarungsgemäß) an der nunmehr nicht mehr vermieteten Wohnanlage Wohnungseigentum begründet (sog. Erwerbermodell, im Fall des Erwerbs in Gesellschaft bürgerlichen Rechts auch „Münchener Modell“ genannt). Grundlage dieser Gestaltung war die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach sich eine GbR – im Gegensatz zu Personenhandelsgesellschaften62 – auf einen in der Person eines Gesellschafters bestehenden Eigenbedarf berufen kann.63 Unter diesen Umständen besteht das gesteigerte Verdrängungsrisiko unabhängig von einer Aufteilung in Wohnungseigentum und einem anschließenden Abverkauf der Wohnungen.64

Im Falle des vorbeschriebenen Erwerbermodells als Spezialfall des en-bloc-Verkaufs droht somit eine Umgehung sowohl des – aus notarieller Sicht besonders relevanten – Mietervorkaufsrechts nach § 577 Abs. 1 S. 1 BGB als auch der verlängerten Kündigungssperrfrist nach § 577a BGB.

Abzugrenzen sind die Fälle des Verkaufs bzw. der Veräußerung eines noch unaufgeteilten Mehrfamilienhauses (bzw. mehrerer Einfamilienhäuser auf einem Grundstück) vom sog. Paketverkauf, der dadurch gekennzeichnet ist, dass mehrere Wohnungseigentumseinheiten bzw. das gesamte in Wohnungseigentum aufgeteilte

62 Vgl. BGH NJW 2011, 993. 63 BGH NJW-RR 2012, 237; NJW 2009, 2738. 64 Vgl. Klühs, NZM 2013, 809, 815 m. w. N.

S. 49 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Objekt in einem einheitlichen Vertrag zu einem Paketpreis veräußert wird. In diesem Fall besteht weitgehend Einvernehmen über die Anwendbarkeit sowohl des Mietervorkaufsrechts als auch der Kündigungssperrfrist.65

a) Kündigungssperrfrist nach § 577a BGB

aa) Bisherige Rechtslage

Nach bisheriger Rechtslage bestand im Falle des Erwerbermodells kein Schutz vor Eigenbedarfskündigungen nach § 577a BGB (a. F.). Der VIII. Zivilsenat hatte in mehreren Entscheidungen zum sog. Münchener Modell sowohl eine unmittelbare als auch eine analoge Anwendung von § 577a BGB abgelehnt. Seines Erachtens fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke, da kein Schutz vor einer unabhängig von der Umwandlung bestehenden Eigenbedarfslage bezweckt sei. Auch eine unzulässige Umgehung des § 577a BGB lehnte der Senat ab.66 Dies soll selbst dann gelten, wenn Investoren der erwerbenden GbR erst nach Eigentumsumschreibung mit dem Ziel beitreten, eine bestimmte Wohnung im Rahmen der Auseinandersetzung als Wohnungseigentum zu erhalten.67

Es verwundert wenig, dass in der Literatur die Gestattung der Umgehung der Kündigungssperrfrist durch Erwerb in GbR bzw. Bruchteilsgemeinschaft durch den BGH kritisiert wurde, da die Erwerbsstruktur letztlich lediglich deshalb gewählt wird, um Sperrfristen bei der Eigenbedarfskündigung zu vermeiden.68 Nicht ohne weiteres konsistent erschien in diesem Zusammenhang auch die BGH-Rechtsprechung zur analogen Anwendung von § 577a BGB im Falle der Realteilung von mit Reihenhäusern bebauten Grundstücken. Der BGH begründet die analoge Anwendung der Kündigungssperrfrist damit, dass im Falle der Realteilung die Verdrängungsgefahr in einem mit der Umwandlung in Wohnungseigentum vergleichbaren Umfang erhöht werde.69

bb) § 577a Abs. 1a BGB (n. F.)

Die vorbeschriebene Schutzlücke im Hinblick auf die fehlende Kündigungsbeschränkung trotz gesteigerter Verdrängungsgefahr bei Erwerb durch

65 BGH DNotZ 2008, 116 = MittBayNot 2008, 115 = ZNotP 2007, 336; Klühs, NZM 2013, 809, 811

m. w. N. 66 BGH NJW 2009, 2738 Tz. 17 ff. 67 BGH NJW-RR 2012, 237 Tz. 18 ff.; vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung auch Klühs, RNotZ

2012, 555, 556 ff. 68 Häublein, WuM 2010, 392, 400 ff. 69 BGH NJW 2010, 3571 Tz. 14; DNotZ 2008, 771 Tz. 8 f.; vgl. auch BVerfG NJW 2011, 1723.

Vgl. hierzu Rüßmann, RNotZ 2012, 97 ff. sowie Albrecht, in: DAI-Skript, Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung im Immobilienrecht 2010/2011, S. 26 ff.; ders., DAI-Skript, Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung im Immobilienrecht 2008/2009, S. 148 ff.

S. 50 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

eine Erwerbermehrheit hat der Gesetzgeber nunmehr durch § 577a Abs. 1 BGB geschlossen.70

§ 577a BGB n. F. Kündigungsbeschränkung bei Wohnungsumwandlung

(1) Ist an vermieteten Wohnräumen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet und das Wohnungseigentum veräußert worden, so kann sich ein Erwerber auf berechtigte Interessen im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 erst nach Ablauf von drei Jahren seit der Veräußerung berufen. (1a) 1Die Kündigungsbeschränkung nach Absatz 1 gilt entsprechend, wenn vermieteter Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter 1. an eine Personengesellschaft oder an mehrere Erwerber veräußert worden ist oder 2. zu Gunsten einer Personengesellschaft oder mehrerer Erwerber mit einem Recht belastet worden ist, durch dessen Ausübung dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch entzogen wird. 2Satz 1 ist nicht anzuwenden, wenn die Gesellschafter oder Erwerber derselben Familie oder demselben Haushalt angehören oder vor Überlassung des Wohnraums an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist. (2) 1Die Frist nach Absatz 1 oder nach Absatz 1a beträgt bis zu zehn Jahre, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in einer Gemeinde oder einem Teil einer Gemeinde besonders gefährdet ist und diese Gebiete nach Satz 2 bestimmt sind. 2Die Landesregierungen werden ermächtigt, diese Gebiete und die Frist nach Satz 1 durch Rechtsverordnung für die Dauer von jeweils höchstens zehn Jahren zu bestimmen. (2a) Wird nach einer Veräußerung oder Belastung im Sinne des Absatzes 1a Wohnungseigentum begründet, so beginnt die Frist, innerhalb der eine Kündigung nach § 573 Absatz 2 Nummer 2 oder 3 ausgeschlossen ist, bereits mit der Veräußerung oder Belastung nach Absatz 1a. (3) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.

Durch die Neufassung von § 577a BGB wurde der Anwendungsbereich der Kündigungssperrfristen auf Erwerbermodelle erweitert, da insoweit künftig keine Begründung von Wohnungseigentum erforderlich ist, sondern die bloße Veräußerung von vermietetem Wohnraum bzw. die Belastung des Grundstücks mit einem dinglichen Recht (Nießbrauch, Wohnungsrecht, Erbbaurecht etc.) genügt. Die Gesetzesnovelle legt die bisherige BGH-Rechtsprechung zugrunde, wonach bei Vermietermehrheiten bzw. Gesellschaften bürgerlichen Rechts der Eigenbedarf eines

70 Vgl. BT-Drucks. 17/10485, S. 2, 26.

S. 51 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Miteigentümers bzw. Gesellschafters für ein berechtigtes Interesse i. S. v. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB genügt.71

In § 577a Abs. 2a BGB n. F. ist klargestellt, dass die Kündigungssperrfrist mit Veräußerung bzw. Belastung i. S. v. § 577a Abs. 1a BGB zu laufen beginnt, eine nachfolgende Umwandlung in Wohnungseigentum somit die (laufende) Frist nicht verlängert und eine bereits abgelaufene Frist nicht erneut in Gang setzt. Dem Mieter soll nach dem Gesetzeszweck die Kündigungssperrfrist nur einmal zugutekommen, da sich das Verdrängungsrisiko durch den Erwerb durch eine Personengesellschaft bzw. Bruchteilsgemeinschaft bereits relevant erhöht hat.72

Infolge der Neufassung von § 577a BGB durch das Mietrechtsänderungsgesetz bestehen bei Erwerbermodellen im Hinblick auf die Kündigungssperrfrist keine relevanten Schutzlücken mehr. Selbst wenn die Rechtsprechung eine Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB in der Zukunft bei Personenhandelsgesellschaften zulassen würde – was sie derzeit nicht tut73 –, wäre dem durch die weite Fassung von § 577a Abs. 1a S. 1 Nr. 1 BGB („Personengesellschaft“) Rechnung getragen.

Hinweis: In seinem aktuellen Urteil vom 22.11.2013 zum Mietervorkaufsrecht beim Erwerbermodell (dazu sogleich unter lit. b) hat der BGH aber klargestellt, dass die bestehende Schutzlücke im Hinblick auf die Kündigungssperrfrist in Altfällen hinzunehmen ist.74

b) Mietervorkaufsrecht beim en-bloc-Verkauf

Für die notarielle Praxis von erheblich größerer Bedeutung als die Kündigungssperrfrist nach § 577a BGB ist das (lediglich schuldrechtlich wirkende)75 Mietervorkaufsrecht gem. § 577 Abs. 1 S. 1 BGB. Im Unterschied zu § 577a BGB setzt das Mietervorkaufsrecht nicht notwendig die Begründung von Wohnungseigentum vor dem anschließenden Verkauf bzw. der anschließenden Veräußerung voraus, sondern kann auch ausgelöst werden, wenn Wohnungseigentum erst noch begründet werden soll. Anknüpfungspunkt für das Vorkaufsrecht ist in der sog. Absichtsalternative gem. § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB somit der Verkauf eines sachenrechtlich überhaupt noch nicht existenten Wohnungseigentums, was insbesondere beim Verkauf eines unaufgeteilten Mietshauses in Betracht kommt (en-bloc-Verkauf).

71 Vgl. insoweit auch BGH, Urt. v. 22.11.2013 – V ZR 96/12, Tz. 29. 72 BR-Drucks. 313/12, S. 35; Klühs, RNotZ 2012, 555, 560. 73 BGH NJW 2011, 993. 74 BGH, Urt. v. 22.11.2013 – V ZR 96/12, Tz. 29. 75 Bei Missachtung droht somit „lediglich“ ein Schadensersatzanspruch des Mieters gegen den

Vorkaufsverpflichteten; der Vertragsvollzug wird demgegenüber nicht gehindert.

S. 52 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

cc) Allgemeine Anforderungen an die Umwandlungsabsicht i. S. v. § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB

Voraussetzung für die Entstehung des Mietervorkaufsrechts bei Verkauf eines noch ungeteilten Mehrfamilienhauses ist zum einen, dass die Begründung von Wohnungseigentum bei Abschluss des Kaufvertrages beabsichtigt war und sich diese Absicht hinreichend manifestiert hat. Zum anderen muss die von dem Mieter bewohnte Wohnung einen rechtlich bestimmten oder zumindest bestimmbaren Teil des Vertragsgegenstandes bilden.76

(1) Manifestation der Aufteilungsabsicht

Bis zur Entscheidung des BGH vom 22.11.2013 war nicht abschließend geklärt, unter welchen Voraussetzungen die Umwandlungsabsicht für die Zwecke des § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB ausreichend manifestiert ist. Weitgehende Einigkeit bestand nur insoweit, als eine lediglich intern gebliebene Aufteilungsabsicht des Erwerbers nicht genügt. Demgegenüber soll eine ausreichende Manifestation dann vorliegen, wenn sich der Verkäufer im Drittkaufvertrag zur Aufteilung des Grundstücks verpflichtet hat oder die Teilungserklärung bereits beurkundet und beim Grundbuchamt eingereicht wurde.77

Abgesehen von diesen Extremkonstellationen wurde teilweise jegliche Konkretisierung der Umwandlungsabsicht in beliebiger äußerer Form (z. B. durch Beantragung bzw. Erteilung einer Abgeschlossenheitsbescheinigung) für ausreichend erachtet.78 Nach der ganz überwiegenden Gegenansicht genügen reine Vorbereitungshandlungen hingegen nicht für eine hinreichende Manifestation der Umwandlungsabsicht. Ausreichend sei allerdings die Beurkundung der Teilungserklärung nach § 8 WEG im Zeitpunkt des Vertragsschlusses,79 die Verpflichtung des Verkäufers zur Aufteilung im Drittkaufvertrag80 oder die wechselseitige vertragliche Verpflichtung der Parteien des Drittkaufvertrages, welche die Begründung von Wohnungseigentum herbeiführen sollen.81 Sollen erst die Erwerber Wohnungseigentum begründen, ist darin hingegen nach überwiegender Ansicht keine ausreichende Manifestation der Aufteilungsabsicht zu sehen.82

(2) Bestimmbarkeit des Kaufgegenstandes

76 Vgl. jüngst BGH, Urt. v. 22.11.2013 – V ZR 96/12, Tz. 7 m. w. N. 77 Vgl. Klühs, NZM 2013, 809, 810 m. zahlr. w. N. 78 Staudinger/Rolfs, BGB, Neubearb. 2011, § 577 Rn. 23 m. w. N. 79 BayObLGZ 1992, 100, 109 i. V. m. 106 (zu § 2b Abs. 1 WoBindG a. F.). 80 Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Aufl. 2013, § 577 BGB Rn. 17 m. w. N. 81 KGR 1994, 146 ff. (zu § 2b Abs. 1 WoBindG a. F.). 82 Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Aufl. 2013, § 577 BGB Rn. 16; Schöner/Stöber,

Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 4184; Bamberger/Roth/Hannappel, 3. Aufl. 2012, § 577 Rn. 8; Wirth, NZM 1998, 390, 392.

S. 53 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Neben der Manifestation der Aufteilungsabsicht muss das zukünftige Wohnungseigentum bestimmt oder jedenfalls bestimmbar sein, d. h. die Wohnung in dem Drittkaufvertrag selbst als Teilobjekt so konkretisiert sein, dass sie in Verbindung mit einem Miteigentumsanteil an dem Grundstück der rechtlich selbständige Gegenstand eines rechtsgültigen Kaufvertrages sein kann.83 Das Kammergericht hat es insoweit für ausreichend erachtet, dass bei Abschluss des Kaufvertrages ein Aufteilungsplan vorlag.84 Nicht genügen soll es demgegenüber, wenn das Grundstück „als Ganzes“ verkauft wird.85

dd) Sonderfall Erwerbermodell?

(1) Meinungsstand

Ob die Anforderungen an die Bejahung eines Mietervorkaufsrechts nach § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB im Falle von sog. Erwerbermodellen abweichend von den vorstehend geschilderten Voraussetzungen zu bestimmen sind, wird unterschiedlich beurteilt.

(a) Teilweise wird unter Verweis auf die unabhängig von einer Aufteilung und einem nachfolgenden Verkauf der Wohnungen allein durch den Erwerb in Bruchteilsgemeinschaft bzw. in Gesellschaft bürgerlichen Rechts gesteigerte Verdrängungsgefahr ein Vorkaufsrecht bereits dann bejaht, wenn auf die Erwerber nicht unmittelbar Wohnungseigentum übertragen wird, sondern andere, im Hinblick auf das Verdrängungsrisiko vergleichbare Gestaltungsformen gewählt werden (Begründung von Miteigentum, Erwerb in GbR).86 Mangels existierenden Wohnungseigentums sei Gegenstand des Vorkaufsrechts in diesen Fällen der betroffene Miteigentumsanteil.87

(b) Teilweise wird ein Vorkaufsrecht bei Erwerbermodellen nur dann bejaht, wenn jedem Erwerber von vornherein eine hinreichend bestimmte Wohnung zur alleinigen Nutzung zugewiesen ist.88

(c) Die Gegenauffassung lehnt eine Sonderbehandlung von Erwerbermodellen hingegen ab und wendet auch auf diese schlicht die allgemeinen Anforderungen an die Bejahung der Aufteilungsabsicht i. S. v. § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB an. Danach müsse die Aufteilung grundsätzlich durch den Veräußerer erfolgen. Eine Teilung erst durch die Erwerber genüge hingegen nicht.89

83 BayObLGZ 1992, 100, 108 (zu § 2b Abs. 1 WoBindG a. F.); Klühs, RNotZ 2012, 555, 561 f.

m. w. N. 84 KGR 1994, 146, 148 (zu § 2b Abs. 1 WoBindG a. F.). 85 Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Aufl. 2013, § 577 BGB Rn. 18. 86 MünchKommBGB/Häublein, 6. Aufl. 2012, § 577 Rn. 8; Derleder, NJW 1996, 2817, 2821. 87 Vgl. Staudinger/Rolfs, BGB, Neubearb. 2011, § 577 Rn. 32 m. w. N. 88 So Blank, WuM 1993, 573, 578; Staudinger/Rolfs, BGB, Neubearb. 2011, § 577 Rn. 32. 89 Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Aufl. 2013, § 577 BGB Rn. 16, 20; Klühs, NZM 2013,

809, 815 f. (Arg.: Mieter können nur im Ausnahmefall auf die nutzungs- bzw. gesellschaftsvertraglichen Regelungen der Erwerber zugreifen → Nachweisproblem; Problematik

S. 54 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(2) BGH: Keine Sonderbehandlung von Erwerbermodellen – BGH, Urt. v. 22.11.2013 – V ZR 96/12, DNotI-Report 2014, 13

(Grds. kein Vorkaufsrecht des Mieters beim Verkauf eines ungeteilten Grundstücks)

In seiner Entscheidung vom 22.11.2013 lehnt der BGH mit der zuletzt dargestellten Auffassung m. E. im Ergebnis zu Recht eine Differenzierung zwischen „normalen“ Fällen des en-bloc-Verkaufs und sog. Erwerbermodellen im Hinblick auf die Anforderungen an eine Umwandlungsabsicht i. S. v. § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB ab.

Seines Erachtens soll ein Vorkaufsrecht des Mieters nach § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB beim Verkauf eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten ungeteilten Grundstücks grundsätzlich nur dann entstehen, wenn sich der Veräußerer vertraglich zur Durchführung der Aufteilung gem. § 8 WEG verpflichtet und ferner die von dem Vorkaufsrecht erfasste zukünftige Wohnungseigentumseinheit in dem Vertrag bereits hinreichend bestimmt oder zumindest bestimmbar ist. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn erst die Erwerber Wohnungseigentum begründen sollen, auch dann nicht, wenn diese beabsichtigen, die neu geschaffenen Einheiten jeweils selbst zu nutzen.

(a) Maßgebend für diese restriktive Auslegung der Absichtsalternative in § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB, welche die notarielle Praxis vor schwierigen Abgrenzungs-fragen bewahrt, sind für den V. Zivilsenat (angesichts der Unergiebigkeit des Gesetzeswortlauts sowie der Gesetzeshistorie) vor allem systematische Überlegungen. Da das Vorkaufsrecht weder zum Erwerb des gesamten Grundstücks noch dazu führen soll, dass der Mieter dauerhaft einen ideellen Miteigentumsanteil in einer Bruchteilsgemeinschaft ohne Sondereigentum an der angemieteten Wohnung hält,90 muss gewährleistet sein, dass der Mieter einen Anspruch auf die Begründung des Wohnungseigentums, welches Gegenstand des Vorkaufsrechts ist, erwirbt. In Anbetracht dessen, dass ein Vorkaufsrecht grundsätzlich keine Rechtsbeziehungen des Mieters zu den teilenden Erwerbern als Drittkäufern begründet, kommt es nicht darauf an, ob diese die Teilungserklärung bereits vor Abschluss des Kaufvertrages beurkundet haben oder zu diesem Zeitpunkt lediglich eine unverbindliche Umwandlungsabsicht – etwa wegen Missachtung des Formgebots nach § 3 i. V. m. § 4 Abs. 3 WEG, § 311b Abs. 1 BGB – besteht. Denn die Erwerber können von der zuvor geplanten Aufteilung ohne weiteres Abstand nehmen bzw. eine beurkundete Teilungserklärung einverständlich aufheben. Demgegenüber erwirbt der Mieter durch die Ausübung des Vorkaufsrechts dann einen Anspruch auf Begründung von Wohnungseigentum, wenn der Verkäufer als

der zeitlich hinausgeschobenen Aufteilung; kein Anspruch auf Aufteilung gegenüber den Erwerbern).

90 Vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2013 – V ZR 96/12, Tz. 22; vgl. darüber hinausgehend zur Rechtsfolgenproblematik der Ausübung eines Mietervorkaufsrechts beim en-bloc-Verkauf Klühs, NZM 2013, 809, 812 ff.

S. 55 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Vorkaufsverpflichteter in dem Drittkaufvertrag, dessen Bedingungen gem. § 577 Abs. 1 S. 3 i. V. m. § 464 Abs. 2 BGB auch im Verhältnis zum Mieter gelten, eine entsprechende Verpflichtung übernommen hat (ausdrücklich oder konkludent, etwa durch Bezugnahme auf die Teilungserklärung).91

(b) Nach Auffassung des BGH werde durch eine derartige Auslegung nicht der Zweck des § 577 BGB vereitelt, den Mieter vor einer Verdrängung im Zuge der Umwandlung von Mehrfamilienhäusern in Wohnungseigentum zu schützen. Beim Erwerb durch Kapitalanleger, die keine Kündigung wegen Eigenbedarfs beabsichtigen, sei der Mieter ohnehin durch das unverändert fortbestehende Mietverhältnis (§ 566 Abs. 1 BGB) sowie das im Falle der nachfolgenden Veräußerung nach Aufteilung in WEG eingreifende Vorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB geschützt. Im Falle des Erwerbs durch eine Eigentümermehrheit zum Zwecke der späteren Eigennutzung, d. h. bei drohender Eigenbedarfskündigung, bestehe hingegen eine Schutzlücke. Dies sei allerdings hinzunehmen, da – auch im Interesse des Mieters – verhindert werden müsse, dass dieser lediglich einen Miteigentumsanteil erwirbt, der es ihm nicht ermöglicht, die Aufteilung durchzusetzen. Anderenfalls wäre die Ausübung des Vorkaufsrechts, welche durch privatschriftliche Erklärung und damit i. d. R. ohne vorangehende notarielle Beratung erfolgt (vgl. § 577 Abs. 3 BGB), für den Mieter mit ganz erheblichen Risiken verbunden. Denn ein ideeller Miteigentumsanteil kann die alleinige Nutzung der gemieteten Wohnung nicht ohne weiteres sichern. Ein Miteigentümer haftet gegenüber Dritten – anders als ein Wohnungseigentümer (vgl. § 10 Abs. 8 WEG) – i. d. R. unbeschränkt. Ferner wäre ein Miteigentumsanteil im Vergleich zu Wohnungseigentum i. d. R. auch nur unter erschwerten und finanziell weniger attraktiven Bedingungen veräußerlich.92 Schließlich weist der BGH darauf hin, dass der Mieter seit dem 1.5.2013 durch die erweiterte Kündigungssperrfrist des § 577a Abs. 1a BGB auch bei Erwerbermodellen vor einer Verdrängung geschützt wird. In Altfällen sei die bestehende Schutzlücke indes hinzunehmen.

(c) Unbeschadet dessen kann im Einzelfall eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des Mietervorkaufsrechts zu bejahen sein, wenn

„die Parteien des Kaufvertrags nur zur Ausschaltung des Vorkaufsrechts bewusst auf eine an sich beabsichtigte Teilung durch den Veräußerer verzichten und die Teilung den Erwerbern überlassen.“ – Tz. 25

Hierfür sei aber jedenfalls ein eigenes Interesse des Verkäufers an der späteren Aufteilung erforderlich. Ein Umgehungsfall liegt hingegen nicht allein deshalb vor, weil der Verkäufer den Käufern die für die Teilung erforderlichen Informationen zukommen lässt oder Kenntnis von deren Aufteilungsabsicht hat, da es nachvollziehbare Gründe dafür geben kann, die Aufteilung den Käufern zu überlassen

91 BGH, Urt. v. 22.11.2013 – V ZR 96/12, Tz. 20-24 m. w. N. 92 BGH, Urt. v. 22.11.2013 – V ZR 96/12, Tz. 26-28; vgl. auch Klühs, NZM 2013, 809, 810 zu

anderenfalls drohenden Abgrenzungs- und Beweisschwierigkeiten für den Mieter, da das Vorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 S. 1 BGB nur im ersten Vorkaufsfall besteht.

S. 56 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(keine Gewähr für bestimmte Aufteilung durch den Verkäufer, Wunsch nach eigenständigem Zuschnitt der Einheiten und der Einräumung von Sondernutzungsrechten durch die Erwerber).

Angesichts dieser Vorgaben des BGH wird ein Umgehungsfall, der zu einer Bejahung des Vorkaufsrechts und im Ergebnis wohl auch zu einem Anspruch des Mieters auf die Begründung von Wohnungseigentum führt, nur in besonderen Ausnahmefällen zu bejahen sein. Eine routinemäßige Prüfung durch den Notar, ob ein derartiger Ausnahmefall vorliegt, dürfte daher nicht veranlasst sein.

In der Literatur wird als Beispiel eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens das planmäßige Schließen der Wohnungsgrundbücher durch den Verkäufer, etwa um ein Überschreiten der den gewerblichen Grundstückshandel begründenden Drei-Objekt-Grenze zu vermeiden, und anschließende Aufteilung durch den Erwerber überwiegend jedenfalls dann bejaht, wenn der Veräußerer von der geplanten Wiederbegründung von Wohnungseigentum Kenntnis hat.93 Das vom BGH geforderte eigene Interesse des Verkäufers an der späteren Aufteilung ließe sich etwa damit begründen, dass der Käufer an sich die bestehenden Wohnungseigentumseinheiten erwerben wollte und sich nur auf Bitten des Verkäufers auf die vorliegende Gestaltung eingelassen hat.

ee) Exkurs: Notarielle Pflichten im Rahmen von § 577 BGB

Nach § 20 BeurkG hat der Notar auf ggf. eingreifende gesetzliche Vorkaufsrechte hinzuweisen und diesen Hinweis in der Niederschrift zu dokumentieren. In Anbetracht der Entscheidung vom 22.11.2013 wird ein Mietervorkaufsrecht in Fällen von Erwerbermodellen kaum je ausgelöst werden, da es an der hierfür erforderlichen Aufteilungsverpflichtung des Verkäufers fehlt. Ein Hinweis ist daher an sich nicht erforderlich. Gleichwohl dürfte es sich aber empfehlen, das gesetzliche Mietervorkaufsrecht und insbesondere die nach § 577a Abs. 2a BGB eingreifende Kündigungssperrfrist knapp zu thematisieren.

3. Vertragliche Beschränkung des Rechts zur ordentlichen Kündigung

BGH, Urt. v. 16.10.2013 - VIII ZR 57/13, NZM 2013, 824 (Erhöhter Bestandsschutz bei vertraglich vereinbarter Kündigungsbeschränkung)

BGB § 573 Abs. 2, 4 Mietvertragliche Beschränkung des Rechts zur ordentlichen Kündigung

Durch eine mietvertragliche Bestimmung, der zu Folge der Vermieter das Mietverhältnis "nur in besonderen Ausnahmefällen unter Einhaltung der

93 Vgl. Klühs, NZM 2013, 809, 816 m. w. N.

S. 57 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

gesetzlichen Fristen kündigen kann, wenn wichtige berechtigte Interessen des Vermieters eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen", wird dem Mieter ein gegenüber den gesetzlichen Vorschriften erhöhter Bestandsschutz eingeräumt. Für eine Kündigung genügt dann das in § 573 Abs. 2 BGB genannte berechtigte Interesse des Vermieters nicht.

S. 58 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

V. Risiken des Anderkontos in der Insolvenz des Auszahlungsberechtigten (K)

a) BGH Urteil vom 26.4.2012 - IX ZR 74/11, BGHZ 193, 129 = NJW 2012, 1959 = DStR 2012, 1236 = WM 2012, 999 = NZI 2012, 453 = ZIP 2012, 1038 = ZInsO 2012, 924.

b)

BGH, Beschl. v. 12.7. 2012 − IX ZR 213/11, NJW-RR 2012, 1129 = WM 2012, 1496 = NZI 2012, 803 (m. Anm. Riewe) = ZIP 2012, 1517 = ZInsO 2012, 1419.

1. Der Beispielssachverhalt

V ist Eigentümer eines Grundstücks, das er an K verkauft. Der Vertrag wird bei Notar

N beurkundet, der aus – als gegeben anzusehenden – berechtigten

Sicherungsinteressen den Vertrag unter Verwahrung des Kaufpreises auf

Notaranderkonto abwickelt. In der Verwahrungsanweisung ist geregelt, dass der

Notar den verwahrten Betrag zur Ablösung der am Kaufgrundbesitz eingetragenen

Belastungen und den etwa verbleibenden Rest nach Anweisung des Verkäufers auf ein

von diesem noch zu benennendes Konto zur Auszahlung bringen soll.

Der Vertrag wird vollständig abgewickelt, der Kaufpreis weisungsgemäß zur Ablösung

der Gläubiger verwendet. Der Verkäufer weist den Notar alsdann schriftlich an, den

verbleibenden Kaufpreisrest nicht auf eines seiner Konten, sondern auf das Konto

seiner Lebensgefährtin L zu überweisen, was der Notar auch pflichtgemäß erfüllt.

Was der Notar nicht weiß, ist, dass über das Vermögens des Verkäufers bei Erteilung

der Weisung bereits das Insolvenzverfahren eröffnet war.

Der Insolvenzverwalter verlangt vom Notar die Zahlung des Kaufpreisrestes.

2. Die Entscheidungen des BGH

Der vorgetragene Sachverhalt lässt einen aufhorchen. Hinterlegungsanweisungen, die

eine Zahlung eines verbleibenden Restbetrages nach noch zu erteilender Weisung des

Auszahlungsberechtigten vorsehen, dürften in der Praxis keine Seltenheit sein – ich

jedenfalls kann mich daran erinnern, diese auch schon vorgelesen zu haben.

S. 59 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Der IX. Senat hatte tatsächlich zwei Fälle zur Entscheidung vorliegen, in denen es um

die insolvenzrechtliche Behandlung von Zahlungen vom Anderkonto ging. In beiden

Fällen handelte es sich allerdings um Treuhandkonten, die nicht als amtliche

Verwahrung beim Notar, sondern bei Steuerberatern und einem sonstigen Dritten

geführt wurden.

Fall 1:

BGH Urteil vom 26.4.2012 - IX ZR 74/11, BGHZ 193, 129 = NJW 2012, 1959 =

DStR 2012, 1236 = WM 2012, 999 = NZI 2012, 453 = ZIP 2012, 1038 = ZInsO 2012,

924.

Eine Steuerberatungsgesellschaft erbrachte für der späteren Insolvenzschuldner

umfangreiche wirtschaftliche und steuerrechtliche Beratungsleistungen und

verwahrte treuhänderisch Mittel für diesen. In kritischer Zeit führte sie (in im

Revisionsverfahren unterstellter Kenntnis der Voraussetzungen des § 133 InsO)

auf Anweisung des Schuldners mehrere Zahlungen an Arbeitnehmer und

Sozialversicherungen durch.

Der Insolvenzverwalter verlangte mittels der Vorsatzanfechtung von der

Treuhänderin die Erstattung dieser auf das Anderkonto gezahlten Beträge an die

Masse.

Fall 2:

BGH, Beschl. v. 12.7. 2012 − IX ZR 213/11, NJW-RR 2012, 1129 = WM 2012, 1496

= NZI 2012, 803 (m. Anm. Riewe) = ZIP 2012, 1517 = ZInsO 2012, 1419.

S. 60 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Ein Rechtsanwalt führte für den Insolvenzschuldner ein ausschließlich

fremdnütziges Treuhand. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wies der

Schuldner den Treuhänder an, eine Zahlung an einen Dritten zu leisten. In

Unkenntnis der Insolvenzverfahrenseröffnung leistete der Treuhänder an den

Dritten.

Auf den ersten Blick scheinen beide Entscheidungen abgesehen von dem geführten

Treuhandkonto wenig miteinander zu tun zu haben. Sie unterscheiden sich nämlich im

Wesentlichen darin, dass im ersten Fall der Steuerberater an „Schweinskram“

mitwirkt, also in Kenntnis des Benachteilugungsvorsatzes Zahlungen vornimmt und

im anderen Fall gutgläubig gehandelt wird.

Der erste Fall betrifft uns also nie. Der zweite Fall lässt uns nachdenken.

Den ersten Fall muss ich tatsächlich nur behandeln, weil der BGH im Fall 2 die Frage

nach den Wirkungen des § 82 InsO, der die Erfüllungstauglichkeit einer in

Unkenntnis der Verfahrenseröffnung an den Schuldner erbrachten Erfüllungsleistung

regelt, unter Verweis auf den ersten Fall ausurteilt.

Was sagt der BGH?

a) Der bösgläubige Treuhänder

Dass die Zahlungen des Treuhänders im Sinne des § 129 InsO eine objektive

Benachteiligung für die Gläubiger bedeuteten, braucht nicht erörtert zu werden. Das

Geld ist weg. Nur lässt diese Feststellung zunächst keinen Zugriff auf den Treuhänder,

sondern nur auf den bereicherten Dritten zu.

S. 61 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Um aber eine Anfechtung gegen den Treuhänder zu ermöglichen, musste der BGH

zunächst eine im Schrifttum vertretene Auffassung, wonach eine Leistung auf ein

Treuhand-Anderkonto keine gläubigerbenachteiligende Wirkung hat (so Henckel, in:

Jaeger, InsO, § 129 Rn. 193f.), ausräumen. Henckel meint, die Zahlung auf das

Treuhandkonto wirke deshalb nicht benachteiligend, weil die dort verwahrten Mittel

dem Schuldner ebenso wie sein Girokonto zuzurechnen seien. Schließlich könne der

Schuldner diese Mittel im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Treuhänders

nicht ab-, sondern aussondern (= eigentumsgleiche Berechtigung). Der IX. Senat weist

diese Auffassung damit zurück, dass schon das Wegpacken von Geldern auf solche

Treuhandkonten wegen der dadurch bewirkten Verschleierung des

Schuldnervermögens benachteiligend wirke.

Auch die auf den ersten Blick eigenartig erscheinende Überlegung, der Treuhänder,

der Mittel auftragsgemäß an einen Dritten überweise, sei selbst nicht bereichert, ist für

den BGH leicht zu umschiffen. Dadurch, dass die weisungsgemäß erfolgte Weitergabe

des Treugutes nicht nur eine Zuwendung an den Dritten, sondern gleichzeitig eben

auch die Beseitigung der Herausgabeverpflichtung an den Treugeber darstelle, liege

die Gläubigerbenachteiligung eben in dem Verlust des Herausgabeanspruchs.

Faktisch bringt sich der Treuhänder also durch die Entgegennahme der Mittel bereits

in die Position, an einer Gläubigerbenachteiligung mitwirken zu können. Die

anschließende weisungsgemäße Weitergabe der Mittel an den Dritten ist nur noch für

die Frage relevant, inwieweit sich der Anfechtungsgegner auf Entreicherung im Sinne

des § 143 Abs. 1 InsO berufen kann. Da das Anfechtungsrecht den herausgepflichtigen

Anfechtungsschuldner wie einen Herausgabeschuldner in Kenntnis des mangels des

rechtlichen Grundes behandelt, ist die Berufung auf die Drittweitergabe als

entreichernd im Grundsatz ausgeschlossen.

Lösen musste sich der Senat von einer früheren Rechtsprechung (BGH, Urteil vom

9.12.1993 - IX ZR 100/93, BGHZ 124, 298 = NJW 1994, 726), wonach ein

S. 62 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

uneigennütziger Treuhänder Wertersatz nur im Umfang seiner eigenen Bereicherung

zu leisten habe. An die entsprechenden Überlegungen, die damals noch zum Recht der

alten Gläubigeranfechtung angestellt worden waren, sah sich der Senat wegen der

ausdrücklichen Regelungen in § 143 InsO nicht mehr gebunden.

Als Lehre aus dem Urteil kann nur festgehalten werden:

=> Wer als Treuhänder Mittel des Schuldners annimmt, obschon es um die

gläubigerbenachteiligende Intention der Einrichtung des Treuhandkontos weiß,

der muss damit rechnen, dass er auf Herausgabe auch solcher Beträge haftet, die

er den Weisungen des Schuldners entsprechend an Dritte weitergeleitet hat.

b) Der Treuhänder im eröffneten Verfahren

Während mich der Fall des bösgläubigen Treuhänders noch weitgehend kalt lässt,

kann einem bei der Entscheidung vom 12.7.2012 schon ein wenig mulmig werden.

Im konkreten Fall hat der BGH tatsächlich nicht gegen den uneigennützigen und

gutgläubigen Treuhänder entscheiden müssen, weil der Insolvenzverwalter – ich meine

freundlicherweise – nicht den Treuhänder, sondern den Zahlungsempfänger in

Anspruch genommen hat.

Es ging in dem Fall – anders als dies vom Berufungsgericht noch angenommen

worden war – nicht um eine Frage der Insolvenzanfechtung. Diese ergreift nach

dem klaren Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen gerade nicht Handlungen, die

nach Verfahrenseröffnung vorgenommen werden, sondern eben nur solche, die vorher

stattgefunden haben. Den Schutz der Masse vor Verfügungen nach

Verfahrenseröffnung sieht die InsO über die §§ 80 ff. gewährleistet. Wäre die

Anfechtung relevant, müssten wir uns mit dem Fall nicht beschäftigen, da der

Treuhänder nach den Feststellungen des BGH gutgläubig war und so mit einer

S. 63 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Anfechtung der an ihn geleisteten Zahlungen auf das Treuhandkonto nicht rechnen

musste.

Worum ging es also? Im konkreten Fall wollte der Insolvenzverwalter die Zahlungen

vom Dritten zurück erlangen. Dies funktionierte, da der Treuhänder als materieller

Vollrechtsinhaber über das verwahrte Geld trotz Verfahrenseröffnung wirksam

verfügen konnte, nach Ansicht des BGH nur über § 816 Abs. 2 BGB.

An diesem Punkt des Beschlusses (Nichtzulassungsbeschwerde war erhoben) klingeln

die Glocken. Warum beschäftigt sich der Senat mit § 816 BGB? Auf die Idee kann er

nur kommen, wenn er im Grundsatz den Treuhänder als trotz der

weisungsentsprechenden Zahlung an den Dritten verpflichtet sah, an die Masse die

verwahrten Mittel herauszugeben bzw. mangels Vorhandensein dieser Mittel Ersatz zu

leisten.

Im Ergebnis musste der BGH dazu also der Leistung des Treuhänders an den

Dritten die Erfüllungswirkung hinsichtlich des Auskehrungsanspruchs der Masse

aberkennen.

3. Bewertung

So unterschiedlich die beiden Urteile sind, so unterschiedlich muss deren Bewertung

ausfallen.

a) Vorsatzanfechtung

Kenntnis vom Vorsatz des Schuldners, seine Gläubiger zu benachteiligen, wird der

Notar bei der Durchführung von Zahlungsvorgängen sein Anderkonto betreffend wohl

nicht haben. Das liegt regelmäßig bereits daran, dass dem Notar schlicht die

Kenntnisse um die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners fehlen.

S. 64 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Sieht man in der Einzahlung von Geld auf ein Treuhandkonto bereits den Beginn einer

gläubigerbenachteiligenden Handlung des Schuldners, dann ist die vom IX. Senat

getroffene Wertung nahezu unumgänglich. Der Treuhänder, der diese Mittel annimmt

und weiß, dass der Schuldner wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse die

Gläubigerbenachteiligung zumindest billigend in Kauf nimmt, setzt sich dem Risiko

aus, bei Zahlungen an Dritte nicht erfüllungswirksam auf den Rückzahlungsanspruch

des Schuldners hin zu leisten.

Die Prämisse des IX. Senats, die Einzahlung von Geldern auf ein Treuhandkonto

bewirke bereits eine Gläubigerbenachteiligung ist es, die die Entscheidung in

kritischem Licht erscheinen lässt. Pauschal erklärt der BGH dazu, durch die

Überweisung auf ein Treuhandkonto werde der Zugriff des Gläubigers auf das

Vermögen des Schuldners erschwert. Diese Auffassung kann große Unsicherheit

bewirken. Das beim Steuerberater geführte Treuhandkonto ist schließlich wesentlich

transparenter als das vom aus Hamburg stammenden Schuldner bei der Volksbank

Raiffeisenbank Oberbayern Südost eG in Berchtesgaden geführte Girokonto. Dass

diese These durchaus zweifelbehaftet ist, zeigt sich nicht allein daran, dass Henckel –

immerhin einer der Altmeister des Insolvenzrechts – diese Überlegung im Jaeger

ablehnt. Bankverbindungen und auch – rein fremdnützige – Treuhandkonten können

durchaus als der Barkasse vergleichbar angesehen werden.

Konsequenz der Auffassung des IX. Senats ist (und war es auch in der Entscheidung)

dass sich der Senat gerade mit der Frage auseinandersetzen muss, inwieweit sich den

Banken, die als Zahlungsverkehrstellen des Schuldners dessen Weisungen ausführen,

auch einem Anfechtungsrisiko in gleichem Umfang aussetzen. Dieses Problem

umschiffen kann der Senat nur, indem er Banken, die solche Zahlungsaufträge in

kritischer Zeit ausführen, zu Gute hält, dass sie regelmäßig nicht erkennen könnten, ob

eine Überweisung mit dem Willen vorgenommen werde, die Gläubiger zu

benachteiligen. Selbst nach Stellung eines Insolvenzantrages sei Zahlungen nicht

anzusehen, ob diese berechtigt oder unberechtigt vorgenommen würden.

S. 65 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Wie der BGH in Rn. 27 des Urteils treffend ausführt, sind deshalb auch Zahlungen

einer Bank, die diese im Einvernehmen mit dem Schuldner „geplant“ einzelnen

Gläubigern bevorzugt zukommen lässt, ebenfalls kritisch anzusehen. Banken, die in

kritischer Zeit die Zahlungsvorgänge mit ihren Sanierungsabteilungen abstimmen und

Liquiditätskonzepte erarbeiten und umsetzen, begeben sich so möglicherweise ins

Risiko.

Die Grenze ist dabei durchaus schwierig zu ziehen.

b) Zahlung nach Verfahrenseröffnung

Die rechtliche Bewertung des zweiten Urteils des IX. Senats fällt leichter. Es geht

letztlich nur um die Frage, inwieweit Leistungen, die ein Treuhänder nach

Verfahrenseröffnung – zu einem Zeitpunkt also, zu dem der Schuldner bereits die

Verfügungsbefugnis über sein Vermögen verloren hat, noch erfüllungswirksam auf

dessen Weisung hin erbringen kann.

Die im konkreten Verfahren behandelte Frage des Vorgehens gegen den Dritten als

Empfänger der Zahlung des Treuhänders – die Anwendungsvoraussetzungen des § 816

Abs. 2 BGB also - soll uns hier weniger interessieren. Entscheidend ist die Aussage

des BGH zur Voraussetzung dieses Anspruchs, der Unwirksamkeit der Leistung des

Treuhänders nämlich.

Im Verhältnis zwischen dem Treuhänder und dem Treugeber besteht ein

grundsätzlicher Anspruch auf Herausgabe des Treugutes. Diesen Anspruch erfüllt

der Schuldner entweder durch Herausgabe des Treugutes an den Treugeber selbst oder

eben an den von diesem benannten Dritten.

S. 66 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Durch den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den

Insolvenzverwalter verliert der Schuldner mit Verfahrenseröffnung auch die

Kompetenz,

a) die Leistung erfüllungstauglich anzunehmen, oder

b) dem Treugeber erfüllungstauglich einen Leistungsempfänger zu benennen.

Dabei handelt es sich um keine Besonderheit, sondern stellt insolvenzrechtliches

Allgemeingut dar.

Ob eine nach Verfahrenseröffnung erfolgende, nicht an den Insolvenzverwalter (oder

nach dessen Weisung) erbrachte Leistungshandlung dennoch erfüllungstauglich sein

kann, bestimmt sich nach § 82 InsO, der Schwesternorm zu § 407 BGB.

§ 82 Leistungen an den Schuldner

Ist nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an

den Schuldner geleistet worden, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu

erfüllen war, so wird der Leistende befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die

Eröffnung des Verfahrens nicht kannte. Hat er vor der öffentlichen Bekanntmachung

der Eröffnung geleistet, so wird vermutet, dass er die Eröffnung nicht kannte.

Dem Wortlaut der Norm entsprechend sind Leistungen als erfüllungstauglich

eingestuft, die in Unkenntnis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Schuldner

erbracht werden.

Die Schwäche des Urteils des IX. Senates besteht nun darin, dass der Senat sich mit

keinem Wort damit auseinander setzt, warum eine Leistung an den Schuldner nicht

auch – jedenfalls bei einem für diesen geführten Treuhandkonto - eine Leistung auf

Anweisung des Schuldners sein soll. Es war nach meiner Kenntnis jedenfalls bislang

herrschende Auffassung, dass eine Bank, die in Unkenntnis der Verfahrenseröffnung

eine Überweisung des Schuldners durchführt, nach § 82 InsO erfüllungstauglich

S. 67 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

leistet.94 Warum dies nicht auch zu Gunsten des gutgläubig leistenden Treuhänders der

Fall sein soll, erschließt sich nicht.

Der IX. Senat verweist hinsichtlich der Begründung dieser Auffassung auf die

vorgenannte Entscheidung zur Vorsatzanfechtung. Der einzige Satz zur Begründung

lautet: „Darum wird der Drittschuldner ungeachtet seiner Gutgläubigkeit nicht gem. §

82 InsO von der Zahlungspflicht befreit (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 12.

Juli 2012 - IX ZR 210/11, zVb).“ Nur enthält die zitierte Entscheidung nicht einmal

eine Erwähnung des § 82 InsO, ganz davon abgesehen, dass sich im

Anfechtungsverhältnis auch nicht wirklich erschließt, wer denn nun der Drittschuldner

sein soll. Da die zitierte Entscheidung gerade nicht den Fall der Gutgläubigkeit betraf,

macht das Urteil den Eindruck, auf dem Weg zum gewollten Ergebnis – Anspruch

nach § 816 Abs. 2 BGB gegen Zahlungsempfänger – auf die Begründung ein wenig

verzichtet zu haben.

Auch wenn dies möglicherweise nicht in letzter Konsequenz so gemeint ist, muss

vorsichtshalber wohl davon ausgegangen werden, dass der BGH tatsächlich streng am

Wortlaut die Zahlung des gutgläubigen Treuhänders auf eine Anweisung des im

Insolvenzverfahren befindlichen Schuldners als nicht im Sinne des § 82 S. 1 InsO an

den Schuldner geleistet ansieht. Nur so kann ihr die Erfüllungswirkung versagt

werden.

4. Konsequenzen für die Gestaltung

Anderkonto des Notars und Treuhandkonto des Steuerberaters sind zwei verschiedene

Paar Schuhe. Das amtliche Verwahrungsverfahren ist Tätigkeit des Notars im Rahmen

der Amtstätigkeit, das Verfahren des Steuerberaters ist eine rein privatrechtliche

94 OLG Brandenburg ZInsO 2004, 806; Schimansky, Bankrechtshandbuch, § 50 RdNr. 19, 21; Bork, Zahlungsverkehr, RdNr. 169; Ott/Vuia, in: Münchener Kommentar zur InsO, § 82 Rn. 21; Uhlenbruck, InsO, § 82 Rn. 22.

S. 68 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Tätigkeit. Was die Konsequenzen von Auszahlungen angeht, gibt es aber gewisse

Parallelen.

a) Vorsatzanfechtung

Auch der vorsichtige Notar wird sich mit den Konsequenzen der Entscheidung zur

Anfechtung in Vorsatzkonstellationen nicht ernsthaft auseinanderzusetzen haben.

Zwar mag der Schuldner einen entsprechenden Vorsatz besitzen – dass dem Notar aber

zur Last gelegt werden könnte, er habe von der entsprechenden Situation des

Schuldners gewusst und an dessen Benachteiligungshandlung mitgewirkt, scheint mir

fernliegend. Der Steuerberater mag solche Kenntnisse besitzen, der Notar wohl nur

dann, wenn dieser wirklich mit dem Schuldner zusammen wirkt. In einem solchen Fall

wird er sich über die Anfechtung dann aber wiederum nicht wundern.

b) Auszahlung im Insolvenzverfahren

Bauchschmerzen bereitet dagegen die Entscheidung vom 12.7.2012. Die Situation,

dass wir vom Verkäufer die Anweisung erhalten, den auf dem Anderkonto verwahrten

Betrag an einen anderen Empfänger oder gar überhaupt erst nach dessen separater

Weisung auszuzahlen, ist nicht wirklich selten. Was den freien Teil von verwahrten

Geldern angeht, erfüllt auch der Notar eine Verpflichtung gegenüber dem Schuldner,

wenn er diese Mittel „frei“ zur Auszahlung bringt. Unterschiede des amtlichen

Verwahrungsverfahrens gegenüber der privat vereinbarten Treuhand bestehen nicht.

Der Berechtigte hat schlicht einen Auszahlungsanspruch gegen den Notar.

Angesichts der Entscheidung des IX. Senates scheint mir das geschilderte Auszahlen

auf Anweisung aber nur dann risikolos zu empfehlen zu sein, wenn vor der

Ausführung entsprechender Auszahlungen geprüft wird, ob sich der Anweisende noch

im Besitz der entsprechende Anweisungskompetenz befindet, d.h. eben gerade nicht in

Insolvenz gefallen ist. Besser ist es allemal, die Auszahlungsanweisungen von

vornherein auch hinsichtlich etwa zur Verteilung anstehender freier Teile des

verwahrten Betrages klar zu regeln. Soweit solche Anweisungen vor der

S. 69 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Verfahrenseröffnung erteilt werden, sind diese wohl ausreichend, um

erfüllungswirksam leisten zu können.

Soweit eine Festlegung nicht erreicht werden kann, bleibt letztlich nur die Möglichkeit

sich weitestgehend gegen das Risiko dadurch abzusichern, dass vor der Vornahme

einer solchen Auszahlung eine Recherche über www.insolvenzbekanntmachungen.de

angestellt wird.

5. Am Rande: Freiwillige Zahlungen Dritter

BGH, Urteil vom 24.10.2013 - IX ZR 104/13, WM 2013, 2231 = BeckRS 2013, 19535.

Nicht selten bieten der Insolvenz nahe Schuldner an, Zahlungen, die sie selbst nicht

leisten können, von hilfsbereiten Angehörigen erfüllen zu lassen, wenn im Gegenzug

dafür eine vergleichsweise Einigung über die Höhe des noch zu leistenden Betrages

erzielt werden kann.

Mit einer solchen Ausgangslage sah sich auch das im vorgenannten Verfahren

beklagte Finanzamt konfrontiert, dem der, dem Finanzamt natürlich bekannt

überschuldete, Schuldner gegen Stundung einer erheblichen Steuerforderung

monatliche Zahlungen über das Konto des Vaters in Höhe von € 250,-- leistete.

Tatsächlich handelte es sich, wovon das FA aber nichts wusste, um Mittel des

Schuldners, die dieser auf das Konto des Vaters transferiert hatte.

Auf den ersten Blick kommen hier Gesichtspunkte der Insolvenzanfechtung an sich

nicht in Betracht. Die Anfechtung nach den §§ 129 ff. InsO setzt voraus, dass das

Vermögen des Schuldners durch die Anfechtung erhöht wird, also Mittel in seinem

Vermögen vorhanden wären, wäre es nicht zur angefochtenen Rechtshandlung

gekommen.

S. 70 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Für die Kenntnis des Gläubigers im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO kommt es nicht

nur darauf an, dass dieser um die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners weiß,

sondern auch, dass die Leistungen mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht

vorgenommen werden. Da die Zahlung vom Konto des Vaters stammte, war für den

Gläubiger an sich eine Belastung des Vermögens des Schuldners nicht erkennbar.

Damit wäre eigentlich eine Vorsatzanfechtung ausgeschlossen gewesen.

Der BGH erklärt dazu aber, dass sich auch der geschäftlich ungewandte Gläubiger

eines der Insolvenz nahen Schuldners davon ausgehe, dass Zahlungen auf Forderungen

gegen den Schuldner aus dessen Vermögen stammten.

„Eine fehlende Kenntnis kann nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen

anerkannt werden, in denen der Anfechtungsgegner über den maßgeblichen

Geschehensablauf im Ansatz unterrichtet ist, aber auf der Grundlage des für

ihn nicht vollständig erkennbaren Sachverhalts - etwa im berechtigten

Vertrauen auf einen ihm mitgeteilten Zahlungsweg - bei unvoreingenommener

Betrachtung eine Rechtshandlung des Schuldners oder eine

Gläubigerbenachteiligung zuverlässig ausschließen darf.“

Der BGH hängt damit die Latte für die Unkenntnis der Gläubigerbenachteiligung sehr

hoch. Sollen solche Zahlungen, die angeblich von dritter Seite stammen, tatsächlich

aber (dem Gläubiger natürlich unbekannt) zum Schuldnervermögen gehören,

insolvenzfest transferiert werden, bedarf es einer genauen Darlegung der

Drittzuwendungsabsicht und Plausibilität der Schenkung – ansonsten ist Vorsicht

geboten!

S. 71 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

VI. Erfüllungsablehnung in der Käuferinsolvenz (K)

BGH, Urteil vom 07.02.2013 - IX ZR 218/11 (OLG Frankfurt a. M.),

BGHZ 196, 160 = DNotZ 2013, 755 = NJW 2013, 1245 = ZfIR 2013, 438 = NZI

2013, 296 = ZNotP 2013, 356 = BeckRS 2013, 03812; Ahrens, in: LMK 2013,

345912; Karsten Schmidt, in: JuS 2013, 562.

1. Der Sachverhalt - vereinfacht

Der spätere Insolvenzschuldner K kauft zu € 100.000,-- ein Grundstück von V, wobei

der Kaufpreis in zwei Raten zu je € 50.000,-- zu leisten ist. Der Besitzübergang erfolgt

nach Zahlung der 1. Rate.

Noch vor Zahlung der 2. Rate fällt K in die Insolvenz. Dessen Insolvenzverwalter

entscheidet sich auf die Aufforderung des V für die Nichterfüllung des Kaufvertrages.

V verlangt die Löschung der Vormerkung und Herausgabe des Besitzes am

Grundstück. Der Insolvenzverwalter ist dazu nur gegen Rückzahlung der bereits

geleisteten € 50.000,-- bereit. V will mit dem ihm entstandenen Schadenersatzanspruch

in Höhe von € 28.000,-- aufrechnen und ist nur zur Zahlung von € 22.000,-- bereit.

2. Das Rechtsproblem

Der Fall spielt im Insolvenzrecht mit seinen dort geregelten Besonderheiten zum

gegenseitigen Vertrag. Zum Verständnis des Falles muss dabei sowohl der

Regelungsbereich der §§ 103 InsO wie auch das Allgemeine Leistungsstörungsrecht

des gegenseitigen Vertrages ins Auge genommen werden.

a) Das Insolvenzverwalterwahlrecht - § 103 InsO

Wäre K nicht im Insolvenzverfahren, stellte sich die Frage nach seinem Recht, den

Vertrag nicht zu erfüllen nicht. V könnte ihn auf Erfüllung in Anspruch nehmen –

eigene Rechte bestünden nicht.

S. 72 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Dieses Recht des V, den K auf Leistung in Anspruch zu nehmen, wird nach der heute

geltenden (und einzig richtigen) Rechtsprechung des BGH durch die Eröffnung des

Insolvenzverfahrens seiner Durchsetzbarkeit beraubt. Um zu diesem Ergebnis zu

kommen, bedürfte es an sich keiner besonderen Theorie und auch keines Rückgriffs

auf die Bestimmungen des § 103 InsO. Ist ein Vertragspartner insolvent, scheitert

dessen Inanspruchnahme einfach an § 80 InsO. Geht nämlich die Verfügungs-

kompetenz am Vermögen des Schuldners auf den Verwalter über, sind alle

Folgeanordnung, so für Vollstreckungen in das Vermögen des Schuldners der das

Vollstreckungsverbot aussprechende § 89 InsO letztlich nur Folgeregelungen.

§ 103 InsO begründet deshalb kein besonderes Ablehnungsrecht des Insolvenz-

verwalters. Gäbe es § 103 InsO nicht, ermöglichten auch die sonstigen Bestimmungen

des Insolvenzverfahrens nur die Anmeldung der Forderung des V auf Zahlung der

€ 50.000,-- zur Tabelle.

Was § 103 InsO damit regelt, ist das dem Verwalter an sich ebenfalls schon aus § 80

InsO zustehende Recht, die Erfüllung eines beidseitig noch nicht vollständig erfüllten

gegenseitigen Vertrages zu verlangen. Besonders ist diese Regelung deshalb, weil der

Verwalter nach den Grundsätzen der InsO an sich verpflichtet ist, alle

Insolvenzgläubiger gleich zu behandeln. Wählt ein Verwalter aber die Erfüllung eines

gegenseitigen Vertrages, dann wird die bisherige bloße Insolvenzforderung des

Vertragspartners zu einer sonstigen Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO

hochgestuft.

b) Mangelnde insolvenzrechtliche Regelung der ausbleibenden Erfüllungswahl

Eine gesetzliche Regelung dazu, was mit dem Vertragsverhältnis geschieht, wenn der

Verwalter nicht die Erfüllung wählt, ist in der InsO nicht enthalten. Dazu entwickelt

die Rechtsprechung seit ihrem Bekenntnis zum bloßen insolvenzrechtlichen

Durchsetzbarkeitsverlust Lösungen für die einzelnen Fallgruppen.

S. 73 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Tatsächlich richtet sich die Lösung der Fälle mit ausbleibender Erfüllungswahl

schlicht nach den gesetzlichen Bestimmungen, die das Leistungsstörungsrecht des

BGB im Falle der teilweisen Erfüllung vorsieht. Letztlich geht es also um eine

Regelung nach den §§ 320 ff. BGB.

c) Fortbestand des Synallagmas

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird das Kernelement des

Leistungsschutzes im gegenseitigen Vertrages, die Regeln der §§ 320 ff. BGB nicht

ausgehebelt. Der Anspruch darauf, die eigene Leistung nur Zug um Zug gegen die

Leistung des anderen Vertragspartners erbringen zu müssen, wird auch im

Insolvenzverfahren geschützt.

Karsten Schmidt weist in seiner Urteilsanmerkung95 treffend darauf hin, dass § 103

InsO nur im Zusammenspiel mit den Bestimmungen der §§ 320 ff. BGB verstanden

werden kann und umgekehrt das Recht der gegenseitigen Verträge nur mit einem

Grundverständnis auch für § 130 InsO verstanden werden kann.

3. Die Entscheidung

Der IX. Senat sah sich mit dem vom Berufungsgericht zugesprochenen Antrag des

Insolvenzverwalters konfrontiert, im Gegenzug für die Aufgabe des Besitzes an dem

verkauften Grundstück die von ihm geleistete Anzahlung in voller Höhe zurück zu

erlangen.

Das Berufungsgericht hatte dazu angenommen, der durch die Nichtabwicklung des

Kaufvertrages dem Verkäufer entstandene Anspruch auf Schadenersatz wegen

Nichterfüllung nach §§ 325, 280, 281 BGB sei eine bloße Insolvenzforderung, die zur

95 Karsten Schmidt, in: JuS 2013, 562.

S. 74 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Tabelle angemeldet werden könne. Da es an den Voraussetzungen der

Aufrechenbarkeit der §§ 94, 95 InsO mangele, komme eine Aufrechnung nicht in

Betracht.

Der BGH hingegen lässt den Schutz des gegenseitigen Vertrages auch in diesen

Konstellationen voll durchgreifen. Das, was der Vertragspartner als Sicherungsgut in

den Händen hält – hier also die bereits erhaltene Anzahlung – verbleibt diesem auch

zur Verrechnung mit seinen Ansprüche aus dem – auch rückabgewickelten Schuld-

verhältnis. Entsprechend beschränkte der Senat den Anspruch des Insolvenzverwalters

auf Rückzahlung der Anzahlung auf den Betrag, der nach Verrechnung mit dem

Schadenersatzanspruch des V aus diesem verblieb.

Allerdings bleibt der Rechtsgrund sowohl der Rückabwicklung wie auch des „Ersatz-

anspruchs“ des Verkäufers unspezifiziert. Ausdrücklich abgelehnt hat der Senat den

Rückgriff auf das Bereicherungsrecht. Bezeichnet hat der Senat den Anspruch des

Vertragspartners als „Ersatzanspruch“.

4. Rechtsdogmatische Einordnung

Auf insolvenzrechtlicher Grundlage kann der vom BGH zuerkannte Ersatzanspruch

des Vertragspartners nicht verortet werden. Dazu sieht die InsO schlicht keine

Regelung vor. Der Ersatzanspruch muss also dem BGB, hier insbesondere dem

allgemeinen Leistungsstörungsrecht zugerechnet werden.

Zu Recht nämlich hat der BGH die Einordnung des Ersatzanspruchs unter das

Bereicherungsrecht abgelehnt. Die Erklärung der Nichtausübung des Erfüllungswahl-

rechts durch den Insolvenzverwalter – diese Nomenklatur sollte man sich einprägen! –

führt nicht (mehr) zum Erlöschen der gegenseitigen Ansprüche aus dem

Vertragsverhältnis. Die mangelnde Durchsetzbarkeit des Anspruchs des

Insolvenzgläubigers ergibt sich, wie vorstehend schon gesagt, daraus, dass dem

S. 75 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Schuldner die Verfügungskompetenz über sein Vermögen entzogen ist, er also schlicht

nicht erfüllen kann. Umgekehrt hängt die mangelnde Durchsetzbarkeit des Anspruchs

des Schuldners nicht an insolvenzrechtlichen Sonderbestimmungen, sondern allein

daran, dass ihm der Vertragspartner die Einrede des nichterfüllten Vertrages nach §320

BGB entgegen halten kann.

Letztlich muss in dem vom Verkäufer geltend gemachten Recht auf Aussonderung

konkludent der Rücktritt vom Kaufvertrag erkannt werden. Hat die Ablehnung der

Erfüllung des Kaufpreisanspruches durch den Verwalter nur zur Folge, dass der

Anspruch des Verkäufers der Durchsetzbarkeit beraubt bleibt und wird deshalb der

Anspruch des Insolvenzschuldners über § 320 BGB ebenso undurchsetzbar, hängt das

weitere Schicksal des Vertrages vom Verhalten des Verkäufers ab. Unternimmt dieser

nichts, bleibt es beim Fortbestand der vertraglichen Abreden. Dem Insolvenzschuldner

verbleibt das Recht zum Besitz aus dem Kaufvertrag, dem Verkäufer das Eigentum an

der Kaufsache.

Die Geltendmachung eines insolvenzrechtlichen Aussonderungsanspruchs setzt

logisch vorrangig voraus, dass das kaufvertragliche Recht auf Besitz beseitigt ist. Dies

wiederum lässt sich nach allgemeinem Leistungsstörungsrecht nur durch die Erklärung

des Rücktritts vom Vertrag herbeiführen. Der IX. Senat muss entsprechend vom

Vorliegen eines Rücktritts durch den Vertragspartner ausgehen, auch wenn er dies

nicht ausdrücklich sagt.96 Der Rücktrittsgrund findet sich in § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB

wegen der vom Verwalter erklärten ausdrücklichen Verweigerung der Erfüllung aus

der Insolvenzmasse.

Der vom BGH anerkannte Ersatzanspruch kann seinen Rechtsgrund ebenfalls nur im

Leistungsstörungsrecht haben, nämlich in den nach § 325 BGGB weiter eröffneten §§

280 Abs. 1, 281 Abs. 1 und 2 BGB. Anerkannt ist, dass im Rahmen der

96 So auch Ahrens, in: LMK 2013, 345912.

S. 76 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

schadenersatzrechtlichen Betrachtung die gegenseitigen Ansprüche einschließlich

derjenigen aus dem Rückgewährschuldverhältnis zu saldieren sind.97

5. Konsequenzen des Nichthandelns

Interessant ist nun die Frage, welche Konsequenzen sich in Vorleistungsfällen auf

Seiten des Insolvenzschuldners ergeben, wenn der Vertragspartner nicht den Weg in

die Rückabwicklung wählt, sondern schlichtweg nichts tut.

Das allgemeine Leistungsstörungsrecht sieht keine Rechtsbehelfe für den Partner vor,

der durch seine Pflichtverletzung die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts des

anderen teils ausgelöst hat. Entsprechend kann sich der Vertragspartner des

Insolvenzschuldners einfach darauf berufen, die bereits erhaltene Leistung zu behalten

und einfach nichts zu tun. Der grundsätzliche Ausweg aus dieser Stillstandssituation

besteht schlicht in der Erfüllung des Vertrages durch den anderen teil oder eben der

Hinnahme des Verlustes der eigenen Teilleistung.

Ob sich im Insolvenzverfahren unter Anwendung des Rechtsgedankens des § 320 Abs.

2 BGB ein gegenüber dem § 320 Abs. 2 BGB erweiterter Anspruch des

Insolvenzverwalters darauf ergeben kann, dass der Vertrag im Fall der

Erfüllungsablehnung rückabgewickelt wird, erscheint zumindest möglich. Nach

herrschender Auffassung ist zwar Regelfall das Recht der Verweigerung der Erfüllung

durch den Berechtigten des Zurückbehaltungsrechts,98 allerdings können Treu und

Glauben im Einzelfall auch eine weitergehende Anwendung als nur im Fall der

Geringfügigkeit bestehen. Dies dürfte im Insolvenzverfahren wohl regelmäßig

gegeben sein, da die Individualinteressen der Beteiligten im Lichte der durch das

97 BGH v. 28.11.2007 - VIII ZR 16/07, BGHZ 174, 290 = NJW 2008, 911 (m. Anm. Gsell) = ZIP 2008, 319. 98 BGH v. 13.7.1970 - VII ZR 176/68, BGHZ 54, 244, 249 = NJW 1970, 2019; Staudinger/Otto (Bearbeitung 2009) § 320, Rn. 38; MüKo/Emmerich, § 320 Rn. 42.

S. 77 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Insolvenzverfahren intendierten Gläubigergleichbehandlung etwas weiter als im

Normalfall zurücktreten müssen.

6. Praktische Konsequenzen – Vorzeitiger Besitzübergang

Für den Vertragspartner eines insolventen Käufers bringt die Entscheidung des BGH

eine erfreuliche Stärkung seiner Rechtsposition. Die Sorge, wegen des

Insolvenzverfahrens zur Rückgabe der erhaltenen Leistung verpflichtet zu sein und die

eigene Schadenersatzforderung nur zur Tabelle anmelden zu können, ist unberechtigt.

Das durch die erhaltene Teilleistung des Insolvenzschuldners in der Person des

Verkäufers entstandene Sicherungsfaustpfand verbleibt auch im Insolvenzverfahrens

ein durchsetzbares Sicherungsgut.

=> Die Anzahlung auf den Kaufpreis stellt bei Grundstückskaufverträgen, bei

denen der Besitz schon vor vollständiger Kaufpreiszahlung übergehen soll, ein

vielfach verwendetes Gestaltungsmittel dar. Der BGH hat nun bestätigt, dass

diese Sicherung auch im Insolvenzverfahren zieht.

Übersehen darf allerdings nicht, dass diese Sicherheit natürlich nur insoweit

etwas taugt, als der Verkäufer diese im Krisenfall auch sicher behalten kann.

Ungeeignet sind deshalb solche Anzahlungen, die nicht aus freien Mitteln des

Käufers stammen, sondern durch Kreditinstitute abgesichert am

Kaufgegenstand finanziert werden.

So lange der BGH die Rechtsnatur des Aussonderungsrechts des Verkäufers nicht

geklärt hat, empfiehlt es sich für den Verkäufer ebenfalls, ausdrücklich den Rücktritt

vom Vertrag und die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen

Nichterfüllung zu erklären.

S. 78 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

VII. Verteilung der Löschungskosten zwischen den Kaufvertragsparteien nach GNotKG (CH)

Das Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG)99 hat bekanntlich das System von Betreuungs- und Vollzugsgebühren völlig neu geregelt. Damit stellt sich die Frage, wie die Kosten für die Löschung von Vorbelastungen (insbes. die Grundschuld-löschung) im Kaufvertrag vertraglich verteilt werden sollen.

1. Bisherige Lösung

Typischerweise übernahm bisher der Käufer alle Notar- und Grundbuchkosten - mit Ausnahme der Löschung nicht übernommener Belastungen (oder von auf seiner Seite erforderlichen Genehmigungen).

Im Würzburger Notarhandbuch habe ich dies wie folgt formuliert:100

„XI. Kosten und Steuern Der Käufer trägt die Notar- und Grundbuchkosten dieses Vertrages und seines Vollzugs,

ebenso die Grunderwerbsteuer. Der Verkäufer trägt hingegen die Kosten der Löschung

nicht übernommener Belastungen (sowie ggf. die Kosten für auf seiner Seite erforderliche

Genehmigungen).

Auf die gesetzliche Haftung beider Kaufvertragsparteien für Kosten und Steuern wurde

hingewiesen.“

Diese Regelung funktionierte unproblematisch, wenn - wie bisher im Regelfall - der beurkundende Notar den Entwurf der Löschungsbewilligung fertigte.

– Die Entwurfsgebühr trug der Verkäufer nach der vertraglichen Regelung.

– Eine Vollzugsgebühr nach § 146 Abs. 1 KostO fiel bei Entwurfserstellung jeden-falls nicht wegen der Lastenfreistellung an (sondern ggf. nur aus anderen Gründen), so dass sie dann nach der vertraglichen Regelung der Käufer übernehmen musste.

Bereits bisher konnte man über die Auslegung derartiger vertraglicher Regelungen zweifeln, wenn (mangels Entwurfsfertigung) die Vollzugsgebühr (auch) wegen der Lastenfreistellung anfiel. Die Rechtsprechung101 legte derartige Klauseln dann so aus, dass der Verkäufer die aufgrund der Lastenfreistellung anfallenden (Mehr-)Kosten der Vollzugsgebühr zu tragen hatte, also

99 BGBl. 2013 I, 2586. 100 Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 3. Aufl. 2012, Teil 2 Kap. 2 Rn. 3. 101 OLG Düsseldorf JurBüro 2007, 373 = MittBayNot 2007, 430; NotBZ 2008, 75 m. Anm. Otto =

ZNotP 2008, 334 m. Anm. Tiedtke; vgl. Tiedtke/Sikora, in: Würzburger Notarhandbuch, 3. Aufl. 2012, Teil 2 Kap. 2 Rn. 913.

S. 79 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– die ganze Vollzugsgebühr, wenn diese nur wegen der Lastenfreistellung anfiel - oder anders gesagt, wenn ohne die Lastenfreistellung gar keine Vollzugsgebühr angefallen wäre.

– Sofern sonst nur eine geringere Vollzugsgebühr angefallen wäre (etwa 1/10 Gebühr bei einer bloßen Vorkaufsrechtsanfrage nach § 28 BauGB), so musste der Verkäufer den Mehrkostenanteil für die Vollzugsgebühr wegen der Lastenfrei-stellung tragen (dann 5/10 Vollzugsgebühr - minus 1/10 für die Vorkaufsrechts-anfrage ohnehin anfallende Vollzugsgebühr = ergibt 4/10 Vollzugsgebühr zu Lasten des Verkäufers, 1/10 zu Lasten des Käufers).

– Wäre ohne die Lastenfreistellung eine Vollzugsgebühr in gleicher Höhe angefal-len, so teilte die Rechtsprechung die Vollzugsgebühr hälftig auf (also z.B. wenn wegen der Einholung einer sanierungsrechtlichen Genehmigung ohnehin eine 5/10 Vollzugsgebühr angefallen wäre).

2. Neues Kostenrecht

Diesen schon bisher problematischen Fall hat man künftig immer. Denn für die Einholung der Lastenfreistellungsunterlagen fällt künftig immer eine 0,5 Vollzugs-gebühr an (Vorb. 2.2.1.1. Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 KV) - aber keine Entwurfsgebühr mehr.

Und der Gegenstandswert der Vollzugsgebühr bestimmt sich nach dem vollen Gegen-standswert des Vertrages, also beim Kaufvertrag i.d.R. nach dem Kaufpreis - . auch wenn die zu löschende Grundschuld nur einen Bruchteil des Kaufpreises ausmacht.

– Wird ein Grundstück für 300.000,- EUR verkauft und holt der Notar zur Lasten-freistellung die Löschungsunterlagen für eine Grundschuld über 30.000,- EUR ein, so fällt dafür eine 0,5 Vollzugsgebühr aus einem Wert von 300.000,- EUR an (= 381,- EUR + MWSt) (nicht nur aus einem Wert von 30.000,- EUR - wo sie 75,- EUR betrüge).

– Das Problem stellt sich nicht, wenn die Beteiligten die Löschungsunterlagen bereits mitbringen. Denn dann liegt keine Vollzugstätigkeit nach Vorb. 2.2.1.1. Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 KV („Anforderung und Prüfung einer Erklärung“) vor.

Regelt man nichts, so muss der Käufer nach der gesetzlichen Regelung des § 448 Abs. 2 BGB sämtliche Kosten tragen.

§ 448 Abs. 2 BGB

„Der Käufer eines Grundstücks trägt die Kosten der Beurkundung des Kaufvertrags und der Auf-lassung, der Eintragung ins Grundbuch und der zu der Eintragung erforderlichen Erklärungen.“

Regelt man wie bisher nur allgemein, dass der Verkäufer die „Kosten der Lastenfrei-stellung“ trägt,

S. 80 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– so ist dies eindeutig für die Löschungskosten im Grundbuch

– sowie für die Betreuungsgebühr wegen der Treuhandauflagen der abzulösenden Grundpfandrechtsgläubiger (22201 KV) (deren Gegenstandswert sich nach der Höhe des als Treuhandauflage verlangten Ablösebetrages richtet).

– Für die Vollzugsgebühr wird man dies wohl wie nach vorstehend zitierter Recht-sprechung des OLG Düsseldorf als durch die Löschung verursachte „Mehrkosten“ auszulegen haben. Aber sinnvollerweise sollte man dies im Kaufvertrag eindeutig regeln.

Die Neuregelung des Kostenrechts bietet auch Anlass, zu überlegen, wie man im Regelfall sinnvollerweise die Gebühren zwischen den Kaufvertragsparteien verteilt (sofern die Kaufvertragsparteien nicht von sich aus eine andere Lösung vorschlagen). Ich sehe im Wesentlichen drei Gestaltungsmöglichkeiten:

– Entweder der Käufer trägt immer die vollen Vollzugskosten.

– Oder der Verkäufer trägt die betragsmäßig zu ermittelnden (Mehr-)Kosten für die Löschung der Belastungen.

– Oder man teilt die Vollzugsgebühr pauschal zwischen den Kaufvertragsparteien auf.

a) Lösung 1: Käufer trägt immer volle Vollzugskosten

Die erste Gestaltungsmöglichkeit wäre, dem Verkäufer in jedem Fall die volle Vollzugsgebühr aufzuerlegen. Ausgehend von meiner Formulierung im Würzburger Notarhandbuch könnte man wie folgt formulieren (Änderungen sind unterstrichen):

XI. Kosten und Steuern

Der Käufer trägt die Notar- und Grundbuchkosten dieses Vertrages und seines Vollzugs (einschließlich der vollständigen Vollzugsgebühr), ebenso die Grunderwerbsteuer. Der Verkäufer trägt hingegen die außerhalb dieser Urkunde anfallenden Kosten der Löschung nicht übernommener Belastungen (sowie ggf. die außerhalb dieser Urkunde anfallenden Kosten für auf seiner Seite erforderliche Genehmigungen).

Auf die gesetzliche Haftung beider Kaufvertragsparteien für Kosten und Steuern wurde hingewiesen.

Nach dieser Lösung würde der Verkäufer lediglich die Löschungsgebühren im Grund-buch sowie die gesondert anfallenden Betreuungsgebühren für die Treuhandauflagen der abzulösenden Gläubiger übernehmen.

– Die volle Vollzugsgebühr bleibt - entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 448 Abs. 2 BGB - beim Käufer.

S. 81 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– Die Lösung ist einfach zu handhaben.

– Aber wenn der Käufer nachfragt und erfährt, dass er ggf. mehrere Hundert Euro nur deshalb zahlen muss, weil der Verkäufer noch Grundschulden auf dem verkauften Objekt hat, wird er dies wohl nicht als gerechte Verteilung empfinden.

b) Lösung 2: Verkäufer trägt (Mehr-)Kosten für Löschung von Belastungen

aa) Will man dem Käufer nur die Teile der Vollzugsgebühr aufbürden, die auch ohne die Lastenfreistellung entstünden, so kann man dies wohl auch schon durch Auslegung aus der oben zitierten Klausel entnehmen. Vorsorglich sollte man dies aber durch einen kleinen Einschub verdeutlichen:

XI. Kosten und Steuern

Der Käufer trägt die Notar- und Grundbuchkosten dieses Vertrages und seines Voll-zugs, ebenso die Grunderwerbsteuer. Der Verkäufer trägt hingegen die (Mehr-)Kosten aufgrund der Löschung nicht übernommener Belastungen (sowie ggf. die (Mehr-)Kosten aufgrund auf seiner Seite erforderlicher Genehmigungen).

Auf die gesetzliche Haftung beider Kaufvertragsparteien für Kosten und Steuern wurde hingewiesen.

Mit dem Hinweis auf die Mehrkosten ist m.E. ausreichend klargestellt, dass die Vollzugsgebühr ggf. aufzuteilen ist:

– Fällt die Vollzugsgebühr nur wegen der Lastenfreistellung an, so trägt sie der Verkäufer in voller Höhe. (Dies betrifft v.a. den Verkauf von Wohnungseigentum.)

– Fiele ohne die Lastenfreistellung eine Vollzugsgebühr in geringerer Höhe an, so trägt der Verkäufer nur die Mehrkosten. D.h. wenn bei einem Grundstücksverkauf nur 100,- EUR Vollzugsgebühr für die Vorkaufsrechtsanfragen nach BauGB und Naturschutzrecht anfielen, so trägt der Verkäufer den darüber hinausgehenden Betrag der Vollzugsgebühr.

– Fällt hingegen auch ohne die Lastenfreistellung eine Vollzugsgebühr in gleicher Höhe an (etwa weil ein privatrechtliches Vorkaufsrecht besteht, Vorb. 2.2.1.1. Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 KV), so trägt der Käufer die Vollzugsgebühr in voller Höhe. Insofern weicht die Klausel von der Auslegung einer allgemeinen Klausel durch das OLG Düsseldorf ab.

Mir erscheint die Überwälzung der Mehrkosten der Löschung auf den Verkäufer vorzugswürdig. Allerdings gibt es auch dagegen Gegenargumente:

– Während der Käufer Notar- und Grundbuchgebühren als Nebenkosten schon eingeplant hat, rechnet der Verkäufer häufig nicht damit, wegen der Löschung drei Rechnungen zu erhalten (Vollzugsgebühr - ggf. anteilig, Betreuungsgebühr bei Treuhandauflagen der Banken, Löschungsgebühr des Grundbuchamtes).

S. 82 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– Die Kostenteilung erfordert etwas mehr Bearbeitungsaufwand, ist aber zu bewältigen. Ich denke, dass alle Notarprogramme auch eine Zuweisung von Teilen der Vollzugsgebühr zulassen (sei es 50% der Vollzugsgebühr oder 50,- oder 100,- EUR als Festbetrag).

bb) Will man (entsprechend der Entscheidungen des OLG Düsseldorf) bei Lastenfreistellung auch eine sowieso in gleicher Höhe anfallende Vollzugsgebühr hälftig aufteilen - weil sie Verkäufer und Käufer gleichermaßen verursacht haben, so könnte man wie folgt formulieren:

XI. Kosten und Steuern

Der Käufer trägt die Notar- und Grundbuchkosten dieses Vertrages und seines Voll-zugs, ebenso die Grunderwerbsteuer. Der Verkäufer trägt hingegen die (Mehr-)Kosten aufgrund der Löschung nicht übernommener Belastungen (mindestens aber die Hälfte der für die Lastenfreistellung anfallenden Vollzugsgebühr) (alternativ: bzw. wenn keine Mehrkosten anfallen, die Hälfte der für die Lastenfreistellung anfallenden Vollzugsgebühr). (Dasselbe gilt für die Kosten oder Mehrkosten aufgrund ggf. auf Seiten des Verkäufers erforderlicher Genehmigungen.)

Auf die gesetzliche Haftung … wurde hingewiesen.

– Die hälftige Aufteilung würde ich als Mindestregel formulieren. Sonst kann es bei einer Vollzugsgebühr unter 200,- EUR zu systemwidrigen Sprüngen kommen: Bei 150,- EUR Vollzugsgebühr trüge der Verkäufer beim Grundstücksverkauf (mit zwei Vorkaufsrechtsanfragen - BauGB und Naturschutz) 100.- EUR, beim Wohnungsverkauf nur 75.- EUR.

– Allerdings ist mit der Mindestregel die Berechnung komplizierter.

cc) Ähnliche Fragen zur „gerechten“ Kostenverteilung stellen sich, wenn eine Vollzugsgebühr nur wegen der Einholung einer familien- oder betreuungsgericht-lichen Genehmigung anfällt oder der Zustimmung eines vollmachtlos Vertretenen anfällt (oder sich deshalb erhöht).

Dies regeln die Formulierungsbeispiele jeweils parallel zu den Kosten zur Lasten-freistellung. Auch diese Regelung sollte schon in dem vorab vom Betreuer (oder den Eltern) dem Betreuungs- oder Familiengericht vorgelegten Entwurf enthalten sein, damit die Genehmigung nicht daran scheitert (oder deshalb ein Nachtrag erforderlich wird).

c) Lösung 3: Pauschale Aufteilung

Die dritte Gestaltungsmöglichkeit wäre eine pauschale Aufteilung der Vollzugsgebühr - etwa Halbe/Halbe.

S. 83 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Dies sieht etwa Otto102 in seinem Vertragsmuster vor:

㤠13 - Kosten

Die Kosten dieser Urkunde und ihres Vollzugs bei Notar und Grundbuchamt, die Grunderwerbsteuer sowie etwaige Kosten für Genehmigungen und Negativatteste trägt der Käufer mit Ausnahme der Kosten für die Löschung nicht übernommener Rechte. Diese trägt der Verkäufer, was der Notar auch dem in dessen Namen dem Grundbuchamt gegenüber erklären soll. Einheitliche Vollzugs- und Nebentätig-keitsgebühren werden hälftig geteilt, wenn sie auch für die Löschung anfallen.“

Will man die Klausel aus dem Würzburger Notarhandbuch umformulieren, könnte dies wie folgt lauten:

XI. Kosten und Steuern

Der Käufer trägt die Notar- und Grundbuchkosten dieses Vertrages und seines Vollzugs, ebenso die Grunderwerbsteuer. Der Verkäufer trägt hingegen die Kosten der Löschung nicht übernommener Belastungen (sowie ggf. die Kosten für auf seiner Seite erforderliche Genehmigungen). Fallen Gebühren (insbes. die Vollzugsgebühr) auch wegen der Löschung oder Einholung von Genehmigungen an, trägt der Verkäufer die Hälfte davon.

Auf die gesetzliche Haftung beider Kaufvertragsparteien für Kosten und Steuern wurde hingewiesen.

Der Vorteil der Pauschalierung ist, dass sie einfach handzuhaben ist, der Nachteil, dass die Pauschalierung möglicherweise im Einzelfall nicht passt - insbes. wenn die Vollzugsgebühr nur wegen der Lastenfreistellung/Genehmigung auf Seiten des Verkäufers anfällt.

d) Was tun?

Alle drei grundsätzlichen Gestaltungsmöglichkeiten - und noch diverse hier nicht dargestellte Untervarianten - kann der Notar den Beteiligten vorschlagen. Eine Amtspflicht zur Vertragsgestaltung in der einen oder anderen Richtung besteht nicht. Ebensowenig muss der Notar mit den Beteiligten Gestaltungsalternativen besprechen.

Allerdings muss die vom Notar vorgeschlagene Klausel eindeutig sein.

Mein persönlicher Favorit ist die Überwälzung nur der Mehrkosten auf den Verkäufer.

Für welche Klausel Sie sich auch entscheiden - Sie können ja vorsorglich auch die anderen Gestaltungsvarianten speichern, um sie zur Hand zu haben, wenn Beteiligte eine abweichende Gestaltung wünschen.

102 Otto, in: Münchener Vertragshandbuch, Band 5, Bürgerliches Recht I, 7. Aufl. 2013, Muster I.1.

§ 13.

S. 84 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

VIII. Kostentragung bei vollmachtloser Vertretung (CH)

BGH, Urt. v. 9.11.2012 - V ZR 182/11, DNotZ 2013, 288 = MDR 2013, 271 = NJW 2013, 928 = ZfIR 2013, 337 m. Anm. Heinemann = ZNotP 2013, 65; dazu Krauß, NotBZ 2013, 181

Leitsätze: 1a. Bei einem Grundstückskaufvertrag haftet auch die vollmachtlos vertretene Vertragspartei nicht schon dann auf Ersatz der vergeblichen Vertrags-kosten, wenn sie die als sicher erscheinende Genehmigung ohne triftigen Grund verweigert, sondern nur, wenn eine besonders schwerwiegende, in der Regel vorsätzliche Treuepflichtverletzung vorliegt, etwa das Vorspiegeln einer tatsächlich nicht vorhandenen Genehmigungsbereitschaft.

1b. Ist der Vertrag aufschiebend bedingt, haftet die Vertragspartei auch bei einer besonders schwerwiegenden Treuepflichtverletzung auf Ersatz der vergeblichen Vertragskosten nur, wenn anzunehmen ist, dass die Bedingung bei Erteilung der Genehmigung eingetreten wäre.

2. Die gesetzliche Kostenregelung in § 448 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass der Kaufvertrag wirksam wird.

Der Sachverhalt ist nicht von der Tatsache der vollmachtlosen Vertretung her, wohl aber von der Höhe des Kaufpreises her ungewöhnlich:

(Rn. 1) „Eine Investorin beabsichtigte, Truppenunterkünfte errichten zu lassen. Dazu sollte eine Kommanditgesellschaft als Projektgesellschaft mit der Beklagten als Komplementärin und der Investorin als Kommanditistin gegründet werden. Die Verhandlungen mit dem Kläger über den Ankauf der benötigten Grundstücke in einer Gesamtgröße von etwa 182.000 m² und die Errichtung der Unterkünfte führte der Geschäftsführer der Beklagten, ein Rechtsanwalt. Ergebnis dieser Verhandlungen war der Entwurf eines Grundstückskaufvertrags, demzufolge der Kläger der Projektgesellschaft die Grundstücke zu einem Gesamtpreis von 75,5 Mio. € verkaufen, der Vertrag aber unter anderem "unter der aufschiebenden Bedingung (stehen sollte), dass die vom Käufer hinsichtlich des Kaufgegenstands durchgeführte sog. due-diligence-Prüfung und Bewertung zufrieden stellend verläuft". Bei der Beurkundung des Kaufvertrags war die Projektgesellschaft durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht vertreten. Der Vertrag wurde nicht genehmigt. Der Kläger zahlte die Notarkosten von 60.637,84 € und verlangt von der Beklagten vollständige Erstattung dieser Kosten nebst Zinsen.“

Verständlich, dass der Verkäufer die Notarkosten auf die Käuferin abwälzen wollte, die nicht genehmigt hatte. Dafür kommen verschiedene mögliche Anspruchs-grundlagen in Betracht:

– eine vertragliche Vereinbarung über die Kostentragung,

– der gesetzlichen Ausgleichsanspruch zwischen Gesamtschuldnern nach § 426 Abs. 1 BGB

– oder ein Anspruch aus Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten.

S. 85 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

1. Hälftige Teilung zwischen Gesamtschuldnern nach § 426 Abs. 1 BGB

Das Landgericht hatte der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die abgesprun-gene Käuferin hatte dies in Höhe der Hälfte der Klagesumme hingenommen und lediglich hinsichtlich der anderen Hälfte zunächst Berufung - und nach deren Erfolglosigkeit Revision zum BGH eingelegt.

Der BGH hatte also nicht mehr zu entscheiden, ob ein Anspruch auf Gesamt-schuldnerausgleich bestand. Er bejahte dies jedoch in einem einleitenden obiter dictum, sofern - wie in der Praxis regelmäßig bei vollmachtloser Vertretung - auch der vollmachtlos Vertretene die Beurkundung veranlasst hat und daher für die Kosten mithaftet.

(Rn. 5) „1. Die Beklagte ist rechtskräftig verurteilt, dem Kläger die Hälfte der vergeblich aufgewandten Beurkundungskosten - 30.318,92 € - zu ersetzen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Beklagte die Beurkundung veranlasst hat und nach § 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1 KostO für die Kosten mit dem Kläger, der in der Urkunde Erklärungen abgegeben hat, gesamtschuldnerisch haftete. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist deshalb nur die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger mehr als die Hälfte der Beurkundungskosten zu ersetzen.“

2. Übernahmepflicht für volle Kosten

a) Verschulden bei Vertragsschluss (cic)

Damit ist der Verkäufer aber nur halb erleichtert. Er hätte gern die vollen Kosten ersetzt. Landgericht und OLG hatten sie ihm auch zugesprochen. Der BGH verwies zurück.

(Rn. 7) „a) Im Rahmen der Privatautonomie hat jede Partei bis zum Vertragsabschluss das Recht, von dem in Aussicht genommenen Vertrag Abstand zu nehmen. Aufwendungen, die in Erwartung des Vertragsabschlusses gemacht werden, erfolgen daher grundsätzlich auf eigene Gefahr (BGH, Urteil vom 22. Februar 1989 - VIII ZR 4/88, ZIP 1989, 514, 515; MünchKomm-BGB/Emmerich, 6. Aufl., § 311 Rn. 175). Nur wenn der Vertragsschluss nach den Verhandlungen zwischen den Parteien als sicher anzunehmen ist und in dem hierdurch begründeten Vertrauen Aufwendungen zur Durchführung des Vertrages vor dessen Abschluss gemacht werden, können diese vom Verhandlungspartner unter dem Gesichtspunkt der Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten zu erstatten sein, wenn er den Vertragsabschluss später ohne triftigen Grund ablehnt (BGH, Urteile vom 6. Februar 1969 - II ZR 86/67, WM 1969, 595, 597, vom 12. Juni 1975 - X ZR 25/73, WM 1975, 923, 924 und vom 7. Februar 1980 - III ZR 23/78, BGHZ 76, 343, 349). Davon geht das Berufungsgericht noch zutreffend aus.

(Rn. 8) b) Es hat aber übersehen, dass an die Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten bei einem Grundstückskaufvertrag strengere Anforderungen zu stellen sind. Bei einem solchen Vertrag löst die Verweigerung der Mitwirkung an der Beurkundung durch einen Verhandlungspartner nicht schon dann Schadensersatzansprüche aus, wenn es an einem triftigen Grund dafür fehlt, sondern nur, wenn eine besonders schwerwiegende, in der Regel vorsätzliche Treuepflichtverletzung vorliegt, wie sie beispielsweise beim Vorspiegeln einer tatsächlich nicht vorhandenen Abschlussbereitschaft gegeben ist. Begründete schon das Fehlen triftiger Gründe für die Verweigerung der Beurkundung eines Grundstückskaufvertrags die Haftung des Verhandlungspartners, bedeutete das nämlich einen indirekten Zwang zum Abschluss des Vertrags. Ein solcher Zwang liefe dem Zweck der Formvorschrift des § 311b BGB zuwider, nach

S. 86 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

der wegen der objektiven Eigenart des Vertragsgegenstandes eine Bindung ohne Einhaltung der Form verhindert werden soll (Senat, Urteile vom 18. Oktober 1974 - V ZR 17/73, NJW 1975, 43, 44, vom 8. Oktober 1982 - V ZR 216/81, WM 1982, 1436, 1437 und vom 29. März 1996 - V ZR 332/94, NJW 1996, 1884, 1885). Entschieden ist das bisher für Fälle, in denen der Verhandlungspartner die Mitwirkung an der Beurkundung verweigert hat. Für die hier vorliegende Konstellation, dass der Verhandlungspartner bei der Beurkundung durch einen vollmachtlosen Vertreter vertreten wird und die Genehmigung des Vertrags verweigert, gilt nichts anderes. Denn nach der Vorschrift des § 311b BGB soll eine Bindung erst und nur eintreten, wenn der aus dem Vertrag Verpflichtete die zu seiner Bindung erforderlichen Erklärungen formgerecht abgegeben, bei einem Abschluss durch vollmachtlosen Vertreter also den Vertrag formgerecht genehmigt hat. Das Berufungsgericht durfte deshalb nicht bei der Feststellung stehen bleiben, triftige Gründe für die Verweigerung der Genehmigung des Vertrags lägen nicht vor. Es musste vielmehr feststellen, ob die Beklagte über die Verweigerung der Genehmigung ohne triftigen Grund hinaus ihre Treuepflichten besonders schwerwiegend verletzt hat. Daran fehlt es.

(Rn. 9) III. Die Sache ist nicht entscheidungsreif und deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

(Rn. 10) 1. Im Hinblick auf eine Haftung wegen Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten wird zunächst festzustellen sein, ob die Beklagte ihre Treuepflicht besonders schwerwiegend verletzt hat.

(Rn. 11) a) Eine solche Treuepflichtverletzung kann nicht schon darin gesehen werden, dass die Beklagte mit dem Vertragsschluss durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht im Ergebnis eine einseitige Bindung des Klägers bis zur Erteilung oder Verweigerung der Genehmigung erreicht hat, die dieser vermeiden wollte. Denn darauf hat sich der Kläger sehenden Auges eingelassen. Eine besonders schwerwiegende Verletzung der Treuepflicht wird vielmehr nur angenommen werden können, wenn die Käuferin dem Kläger eine tatsächlich nicht vorhandene Bereitschaft, das Handeln des vollmachtlosen Vertreters zu genehmigen, vorgespiegelt oder das Auftreten des vollmachtlosen Vertreters mit dem Kläger abgesprochen und die Erteilung der Genehmigung sicher in Aussicht gestellt hätte oder wenn sich ein ähnlich schwerwiegender Treubruch feststellen ließe. Dabei kommt es nicht auf die Vorstellungen des Klägers, sondern darauf an, wie ein Verkäufer in der Lage des Klägers Äußerungen oder aussagekräftiges Verhalten der Käuferin bei objektiver Betrachtung verstehen musste. Zu berücksichtigen ist auch, ob der beurkundete Vertrag dem verhandelten Entwurf entsprach oder ob er bei dem Notartermin gegenüber dem Entwurf noch nennenswerte inhaltliche Änderungen erfahren hat. Im zweiten Fall könnte die Verweigerung der vor dem Termin in Aussicht gestellten Genehmigung nur bei Vorliegen zusätzlicher Umstände als besonders schwerwiegende Treuepflichtverletzung angesehen werden.

(Rn. 12) b) Selbst wenn eine solche Verletzung der Treuepflicht in der neuen Verhandlung dargelegt und nachgewiesen werden sollte, führte das nicht ohne Weiteres zu einer Haftung der Beklagten. Vielmehr müsste der Kläger substantiiert darlegen und beweisen, dass der Vertrag wirksam geworden wäre.

(Rn. 13) Den dargestellten Grundsätzen der Haftung auf Schadensersatz wegen Verweigerung des Vertragsschlusses ohne triftigen Grund liegt der Gedanke zugrunde, dass der Vertrag nur an der verweigerten Mitwirkung am Vertragsschluss durch die andere Vertragspartei scheitert. Hier liegt indessen der Sonderfall vor, dass das Zustandekommen des Vertrags nicht allein von der Erteilung der Genehmigung abhing. Der Vertrag sollte nämlich unter anderem unter der aufschiebenden Bedingung stehen, dass die von der Käuferin vorgesehene due-diligence-Prüfung und Bewertung zufriedenstellend verliefen. Er wäre deshalb nicht schon mit der Genehmigung durch die vollmachtlos vertretene Käuferin wirksam geworden, sondern erst mit dem Eintritt dieser und der weiteren Bedingungen. Dann aber kommt eine Haftung auf Ersatz vergeblicher Vertragskosten nur in Betracht, wenn davon auszugehen ist, dass bei Mitwirkung der Beklagten am Vertragsschluss die aufschiebenden Bedingungen, unter denen der Vertrag stehen sollte, eingetreten wären.“

S. 87 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

b) Vertragliche Regelung

Die Vertragsparteien können aber vertraglich - auch schon Abschluss des Kauf-vertrages - regeln, wer im Fall der Verweigerung der Genehmigung die Kosten zu tragen hat.

Möglicherweise kann eine diesbezügliche (konkludente) Vereinbarung bereits aus der für den Kaufvertrag beabsichtigten Kostentragungsregelung herauszulesen sein.

(Rn. 14) „2. Ferner wird zu prüfen sein, ob der Kläger Ersatz der Vertragskosten aufgrund der im Vertrag enthaltenen Regelung verlangen kann, dass die Kosten des Vertrags von dem Käufer getragen werden.

(Rn. 15) a) Allerdings setzen die gesetzliche Kostenregelung in § 448 Abs. 2 BGB und dieser entsprechende vertragliche Regelungen voraus, dass der Vertrag (erst einmal) wirksam wird (...). Bei der Rückabwicklung eines nichtigen Vertrags könnte der Käufer die von ihm getragenen Vertragskosten zwar nicht dem Verkäufer anlasten (Senat, Urteil vom 6. Dezember 1991 - V ZR 311/89, BGHZ 116, 251, 256). Daraus folgt aber nicht, dass er unabhängig von dem Zustandekommen des Vertrags verpflichtet wäre, sie allein zu tragen. Es bleibt vielmehr bei seiner gesamtschuldnerischen Verpflichtung mit dem Verkäufer nach Maßgabe von § 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1 KostO und dem im Grundsatz hälftigen Gesamtschuldnerinnenausgleich nach § 426 Abs. 1 BGB.

(Rn. 16) b) Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass hier etwas anderes vereinbart ist. Die auf konkret festzustellende Umstände zu stützende Auslegung des Kaufvertrags kann ergeben, dass die vertragliche Kostenregelung ausnahmsweise unabhängig von dem Zustandekommen des Vertrags gelten sollte. Die Parteien können eine gesonderte Vereinbarung darüber getroffen haben, dass der Käufer die Beurkundungskosten auch dann tragen soll, wenn der Vertrag im Übrigen nicht wirksam wird (vgl. OLG Köln, MDR 1974, 136, 137; ... ), oder dass die Notarkosten in ihrem Innenverhältnis als Gesamtschuldner anders verteilt werden sollen, als das der Regel des § 426 Abs. 1 BGB entspricht. Der Kläger hat eine Kostenfreistellungszusage der Beklagten behauptet und unter Beweis gestellt. Dem wird nachzugehen sein.“

3. Vertragsgestaltung (mit Formulierungsbeispiel)

a) Vollmachtlose Vertretung

Man könnte also vergleichbare Probleme dadurch lösen, dass man die vollmachtlose Vertragspartei zuvor eine Vereinbarung unterzeichnen lässt, wonach sie bei Verweigerung der Genehmigung die Beurkundungskosten zu tragen hat.

– Am besten regeln die Vertragsparteien dies untereinander.

– M.E. genügt jedoch auch, wenn der vollmachtlos Vertretene eine entsprechende Erklärung an den Notar als Empfangsboten des anderen Vertragsteils schickt (die der Notar diesem zumindest im Rahmen der Beurkundung mitteilen wird).

Will sich eine Vertragspartei vollmachtlos vertreten lassen, schicke ich bisher vorab den Vertragsentwurf mit der Bitte zu, allfällige Änderungswünsche rechtzeitig vor dem beabsichtigten Beurkundungstermin mitzuteilen. Ich überlege jetzt, künftig eine ausdrückliche Zustimmung mit Kostenübernahme einzuholen - etwa wie folgt:

S. 88 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Sehr geehrte Frau, sehr geehrter Herr,

anbei darf ich Ihnen den (überarbeiteten) Entwurf für den beabsichtigten Kaufvertrag übersenden.

Als Beurkundungstermin darf ich Ihnen bestätigen: ???

Sie hatten angekündigt, sich bei der Beurkundung vollmachtlos durch ??? die andere Vertragspartei/durch ??? vertreten zu lassen. Ich weise darauf hin, dass mit der Beurkundung die Beurkundungsgebühren anfallen und spätere Änderungen weitere Kosten auslösen würden.

Ich bitte Sie daher, mir auf beigefügtem Formblatt rechtzeitig vor dem beabsichtigten Beurkundungstermin mitzuteilen,

- ob Sie mit dem übersandten Entwurf einverstanden sind oder ob Sie Änderungswünsche habe,

- und ob Sie bereit sind, die (dann zwecklosen) Notargebühren für die Beurkundung zu übernehmen, falls der Vertrag inhaltsgleich mit dem Entwurf beurkundet wird, Sie aber dennoch nicht genehmigen.

Für Rückfragen stehen Frau/Herr als Sachbearbeiter oder ich selbst gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen!

(Unterschrift/Notar)

Das beigefügte und vom Beteiligten zurückzusendende Formblatt sähe dann wie folgt aus:

zurück an

Notar/in …

Betrifft: Kaufvertragsentwurf ???/???

Ich habe den Kaufvertragsentwurf enthalten.

o Ich bin mit dem übersandten Entwurf einverstanden und habe keine Änderungswünsche.

o Ich habe meine Änderungswünsche auf dem Entwurf vermerkt (und sende dies dem Notar anbei zu). Wird der Vertrag inhaltlich mit diesen Änderungen beurkundet, bin ich mit der Beurkundung einverstanden.

S. 89 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

o Ich bin bereit, die Notargebühren für die Beurkundung zu übernehmen, falls der Vertrag inhaltsgleich mit dem Entwurf (und ggf. meinen Änderungswünschen) beurkundet wird, ich aber dennoch nicht genehmige.

Mit freundlichen Grüßen!

(Unterschrift Beteiligter)

Ein Schönheitsfehler auch dieser Lösung ist allerdings, dass auch ohne Beurkundung Gebühren für die vorzeitige Beendigung des Beurkundungsverfahrens nach Nr. 24302 KV anfallen (vorausgesetzt natürlich ein Beurkundungsauftrag wurde erteilt) - und zwar nach § 92 Abs. 2 GNotKG in derselben Höhe wie für die Beurkundung (lediglich ohne Vollzugs- und Betreuungsgebühr), da bei derartigen Verträgen fast immer der Entwurf bereits versandt wurde.

I.d.R. wurde die Beurkundung von beiden Seiten beauftragt, so dass auch beide Seiten Gesamtschuldner der Notarkosten sind (und damit zumindest der gesamtschuld-nerische Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB gegeben ist).

b) Genehmigungsbedürftiger Vertrag

Auch bei Verträgen, die zu ihrer Wirksamkeit einer gerichtlichen oder behördlichen Genehmigung bedürfen, stellt sich die Frage, wer im Fall der Verweigerung der Genehmigung die Kosten zu tragen hat.

– Unterliegt der Vertrag als solcher einem Genehmigungsbedürfnis (etwa beim Verkauf land- oder forstwirtschaftlicher Grundstücke nach GrdStVG ), so wird man die vertragliche Kostentragungsregelung im Zweifel so auslegen können, dass sie auch unabhängig von der Wirksamkeit der Veräußerungspflicht gilt.

– Ist hingegen nur die Erklärung einer Vertragspartei genehmigungsbedürftig (etwa durch das Familien- oder Betreuungsgericht), so ist fraglich, ob sich diese Vertragspartei vorab verpflichten kann, im Falle der Versagung der Genehmigung die Beurkundungskosten zu tragen. Der Vertreter persönlich (z.B. der Betreuer oder die Eltern) können sich aber zur Kostentragung verpflichten. Eine andere Frage ist, ob sie dazu auch bereit sind. Nachdem sie aber die Genehmigungs-fähigkeit vorab mit dem Gericht besprechen sollten - und Sie näher an dem Risiko stehen als die andere Vertragspartei, halte ich es für sinnvoll, ihnen dieses Risiko ausdrücklich aufzubürden.

Daher schlage ich im Rahmen meiner Klausel zur Genehmigungsbedürftigkeit bei Verkauf durch einen Betreuer folgende Regelung vor (entsprechend bei minder-jährigen Verkäufern).

Betreuungsgerichtliche Genehmigung

S. 90 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Der Vertrag bedarf der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, die der Betreuer hiermit beantragt. Zugleich bevollmächtigt er den Notar, die Genehmigung für ihn zu beantragen, entgegenzunehmen und den anderen Beteiligten mitzuteilen. Die anderen Beteiligten bevollmächtigen den Notar, die Mitteilung für sie entgegenzunehmen.

Alle Beteiligten bevollmächtigen den Notar, für sie auf Rechtsmittel zu verzichten, wenn die Genehmigung wie beantragt erteilt wird - und für sie zu erklären, ob Einverständnis mit einer Sprungrechtsbeschwerde besteht.

Der Betreuer erklärt, dass er den beabsichtigten Verkauf und den Kaufpreis vorab mit dem Betreuungsgericht besprochen hat und dass dieses keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Genehmigungsfähigkeit geäußert hat.

Sollte die betreuungsgerichtliche Genehmigung verweigert werden, muss der Betreuer die Beurkundungskosten tragen. Weitergehende Ansprüche des Käufers auf Aufwendungs- oder Schadensersatz sind ausgeschlossen.

S. 91 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

B) Bauträgervertrag

I. Änderung des § 17 Abs. 2a BeurkG (SH)

1. Amtshaftung bei Missachtung der Zwei-Wochen-Frist – BGH, Urt. v. 7.2.2013 - III ZR 121/12, DNotI-Report 2013, 62 = DNotZ 2013, 552

= MittBayNot 2013, 325 m. Anm. Rieger = NJW 2013, 1451 = NotBZ 2013, 174 m. Anm. Renner = ZfIR 2013, 427 m. Anm. Grziwotz = ZNotP 2013, 74.

– Vgl. hierzu auch Grziwotz, notar 2013, 343; Heinze, ZNotP 2013, 122; Schlick, ZNotP 2013, 362; Terner, NJW 2013, 1404.

a) Sachverhalt

Die Kläger erwarben mit von dem Beklagten beurkundeten Kaufvertrag vom 16.4.2007 vom Verkäufer zwei Eigentumswohnungen zu einem Kaufpreis von insgesamt 151.000 €. Der Kaufvertrag enthielt folgende ausgesprochen ausführliche Vorbemerkung:

Vorliegend handelt es sich um ein Verbrauchergeschäft iSd. § 13 BGB. Dies ist der Fall, wenn der Verkäufer in Ausübung einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt (§ 14 Abs. 1 BGB). Bei einem Verbrauchergeschäft hat der Notar gem. § 17 BeurkG darauf hinzuwirken, dass den Käufern der Entwurf der not. Verhandlung 14 Tage vor der Beurkundung vorliegt.

Hier ist diese Überlegungsfrist nicht gewahrt. Die Käufer werden eindringlich belehrt, dass es ratsam ist, sich vor einem Immobilienkaufvertrag mit Vertrauenspersonen zu besprechen, um sich die Risiken klarzumachen und dass der Gesetzgeber die 14-tägige Überlegungsfrist als Regelfall vorsieht.

Die Käufer werden darauf hingewiesen, dass sie sich mit der Finanzierung der Immobilie für fast 30 Jahre binden und sie wegen des aufzunehmenden Kredits mit der Wohnung und ihrem gesamten persönlichen Vermögen haften. Dies gilt umso mehr, wenn Mieter die Miete nicht zahlen sollten. Die Käufer wollen auch nach dieser Belehrung noch unbedingt heute beurkunden und lehnen den Vorschlag des Notars ab, die 14-tägige Überlegungsfrist abzuwarten. Sie bestehen also trotz der geschilderten tatsächlichen und rechtlichen Umstände und Bedenken des Notars auf die heutige Beurkundung.

Die Kläger erklärten mit Schriftsatz vom 7.5.2007 dem Verkäufer gegenüber die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung und Irrtum und daneben den Rücktritt vom Vertrag. Im Rahmen einer Aufhebungsvereinbarung vom 16.6.2007 einigten sich die Kläger mit dem Verkäufer darauf, dass dieser sie gegen Zahlung von 5.000 € bei gleichzeitiger Freistellung des Verkaufs von sämtlichen Kosten und Steuern aus dem Vertrag entließ. Für die anwaltliche Vertretung gegenüber dem Verkäufer stellten die Bevollmächtigten der Kläger diesen eine Rechnung über 5.870,87 €.

Mit ihrer Klage verlangen die Kläger vom Beklagten Ersatz für die durch den Abschluss des Kaufvertrags entstandenen Kosten der Abstandszahlung sowie der in diesem Zusammenhang erwachsenen Rechtsanwaltskosten. Daneben begehren sie Erstattung der an den Verkäufer gezahlten Notarkosten sowie Freistellung von den

S. 92 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Kosten ihrer vorgerichtlichen Rechtsverfolgung. Sie stützen ihre Klage darauf, dass der Beklagte die Frist des § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG pflichtwidrig nicht eingehalten hat. Das Landgericht hat die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage endgültig abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Klageantrag weiter.

b) Entscheidung

Die Revision hat Erfolg. Den Klägern steht ein Schadensersatzanspruch nach § 19 Abs. 1 S. 1 BNotO gegen den Beklagten zu, da dieser laut BGH die ihm den Klägern gegenüber obliegende Amtspflicht aus § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG durch die Vornahme der Beurkundung des Kaufvertrags verletzt hat.

Der Notar habe nicht darauf hingewirkt, dass die Kläger als Verbraucher ausreichend Gelegenheit erhielten, sich vor der Beurkundung mit dem Gegenstand der Beurkundung auseinanderzusetzen. Der Beklagte durfte im vorliegenden Fall nicht von der in § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 S. 1 Hs. 2 BeurkG normierten Regelfrist von zwei Wochen zwischen Zuverfügungstellung des Vertragsentwurfs und der Beurkundung abweichen. Zwar stehe die 2-Wochen-Frist in einem gewissen Spannungsverhältnis zu § 15 Abs. 1 BNotO (Anspruch auf Amtstätigkeit des Notars). Dieses Spannungsverhältnis sei aber mit Blick auf den Gesetzeszweck des § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG aufzulösen. Durch die gesetzliche Neuregelung wollte der Gesetzgeber den Verbraucher vor allem vor unüberlegtem Handeln schützen, was regelmäßig durch die Zurverfügungstellung des Textes des beabsichtigten Rechtsgeschäfts zwei Wochen vor der Beurkundung gewährleistet werde. Wegen der Ausgestaltung als Regelfrist könne die 2-Wochen-Frist im Einzelfall unterschritten werden; in besonders gelagerten Fällen möge zudem eine Überschreitung der Frist geboten sein (vgl. BT-Drs. 14/9266, S. 51). Durch diese flexible Ausgestaltung könne und solle (auch) vermieden werden, dass sich die 2-Wochen-Frist als unnötige „Beurkundungssperre“ auswirke.

Der III. Zivilsenat des BGH macht allerdings deutlich, dass insoweit der Gedanke des Verbraucherschutzes nicht in den Hintergrund treten darf.

Ein Abweichen von der Regelfrist soll demnach allein dann in Betracht kommen, wenn im Einzelfall nachvollziehbare Gründe – auch unter Berücksichtigung der Schutzinteressen des Verbrauchers – es rechtfertigten, die dem Verbraucher zugedachte Schutzfrist zu verkürzen. Voraussetzung für die Nichteinhaltung der Frist ist daher ein sachlicher Grund für ihre Abkürzung. Dieser ist nur dann gegeben, wenn der vom Gesetz bezweckte Übereilungs- und Überlegungsschutz auf andere Weise als durch die Einhaltung der Regelfrist gewährleistet ist (vgl. Tz. 20 m. w. N.).

Dabei stellt der BGH ausdrücklich klar, dass die Einhaltung der Frist nicht zur Disposition der Beteiligten steht. Der vom Gesetzgeber bezweckte

S. 93 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Verbraucherschutz sei nur dann ausreichend gewahrt, wenn dem Notar die Amtspflicht auferlegt werde, die Beurkundung trotz eines entgegenstehenden Wunsches der Urkundsbeteiligten abzulehnen, sofern die Regelfrist von zwei Wochen nicht abgelaufen und die Zwecke dieser Wartefrist nicht anderweitig erfüllt seien.

Vorliegend hat laut BGH keine hinreichende Auseinandersetzung der Kläger mit dem zu beurkundenden Kaufvertrag stattgefunden. Die Kläger hatten die Wohnung nicht besichtigt und die Finanzierung war nicht geklärt. Der Beklagte selbst habe angegeben, „dass er nicht mitbekommen habe, welchen Grund die Kläger hatten, den Kaufvertrag sofort beurkunden zu lassen“. Er sei lediglich der Aufforderung zur Beurkundung nachgekommen. Auch habe er nicht einmal ansatzweise irgendwelche Feststellungen dazu getroffen, dass die Zwecke der Regelwartefrist nach § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 S. 1 Hs. 2 BeurkG gewahrt gewesen seien. Folglich hätte er die Beurkundung am 16.4.2007 nicht durchführen dürfen. Bloße Hinweise seitens des Notars genügen nicht.

Nach Ansicht des BGH hat der Beklagte die Amtspflichtverletzung zumindest fahrlässig verwirklicht. Aufgrund der Amtspflichtverletzung sei der Vertrag unter Missachtung der Regelfrist am 16.4.2007 beurkundet worden. Durch die „vorzeitige“ Beurkundung seien die geltend gemachten Schäden eingetreten. Zweifel an der haftungsausfüllenden Kausalität bestünden nicht, da die Einhaltung der gesetzlichen Regelfrist nicht zur Disposition der Urkundsbeteiligten stehe und eine Beurkundung daher bei pflichtgemäßem Vorgehen nicht an diesem Tag hätte erfolgen können.

c) Stellungnahme

Bei oberflächlicher Lektüre der Entscheidung mag man diese zunächst für überaus streng halten, hat der beurkundende Notar den Verbraucher im vorliegenden Fall doch in einer besonders ausführlichen Vorbemerkung eindringlich auf die Überlegungsfrist und die Risiken des sofortigen Vertragsabschlusses belehrt. Der BGH erläutert allerdings zutreffend, dass ein effektiver Schutz des Verbrauchers, der durch die Einführung des § 17 Abs. 2a S. 1 Nr. 2 BeurkG beabsichtigt war, nur dann erreicht wird, wenn der Verbraucher hierüber nicht frei disponieren kann. Aus diesem Grund ist es auch überzeugend, dass den Notar die Amtspflicht zur Ablehnung der Beurkundung trotz eines entsprechenden Wunsches der Urkundsbeteiligten trifft, wenn die Regelfrist von zwei Wochen nicht abgelaufen ist und die Zwecke dieser Wartefrist nicht anderweitig erfüllt sind.103

ff) Haftungsfragen

(1) Kausalität

Die Ausführungen des III. Zivilsenats zur Kausalität fallen in der vorliegenden Entscheidung sehr knapp aus. Die Amtspflichtverletzung des Notars ist nur dann

103 Ebenso Rieger, MittBayNot 2013, 329, 330; Grziwotz, ZfIR 2013, 430, 431; Terner, NJW

2013, 1404, 1407.

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schadensursächlich, wenn der Schaden bei amtspflichtgemäßem Verhalten des Notars nicht eingetreten wäre, der Käufer den Vertrag somit 14 Tage später nicht mehr geschlossen hätte. Der Vorsitzende Richter des III. Zivilsenats des BGH hat diesbezüglich in einem Vortrag ausgeführt, dass insoweit keine Beweislastumkehr eingreife, also „insbesondere nicht etwa bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen [sei], dass es bei pflichtgemäßem Verhalten des Notars nicht mehr zur Beurkundung gekommen wäre.“104 Zwar finde die Beweiserleichterung des § 287 ZPO Anwendung, doch lasse sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass der nachteilige Vertrag bei Einhaltung der 2-Wochen-Frist nicht abgeschlossen worden wäre, wenn der Käufer – anders als im vorliegenden Sachverhalt – erst geraume Zeit nach der Beurkundung die Rückgängigmachung des Vertrages verlangt.105 Dies entspricht der Rechtsprechung des OLG Celle, welches die vorgenannten Grundsätze in den beiden Entscheidungen vom 5.10.2012 (3 U 42/12) und vom 19.12.2012 (3 U 102/12) aufgestellt hat.106

Bei lebensnaher Betrachtung dürfte daher in der ganz großen Mehrzahl der Fälle der zunächst gefasste Kaufentschluss in nahem zeitlichem Zusammenhang mit dem eigentlichen Vertragsabschluss fortbestanden haben. Konstellationen, in denen sich die Kaufreue bereits unmittelbar nach Vertragsschluss hinreichend nach außen manifestiert hat, dürften wohl verhältnismäßig selten sein. Unter diesen Umständen ist die zu sanktionierende Überrumpelungssituation evident, so dass die Inanspruchnahme des Notars durchaus angebracht erscheint.

(2) Mitverschulden (§ 254 BGB)

Die vorliegende Entscheidung illustriert, dass der BGH einen sehr ausführlichen Risikohinweis im Anwendungsbereich des § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG nicht als ausreichend erachtet, um ein Mitverschulden i. S. v. § 254 BGB anzunehmen oder überhaupt nur anzusprechen. Im Ergebnis wohl zu Recht wird die Verantwortung wegen der nicht disponiblen 2-Wochen-Frist insoweit ausschließlich dem Unternehmer zugewiesen.107

Schlick weist aber zutreffend darauf hin, dass ein haftungsverringerndes bzw. gar haftungsausschließendes Mitverschulden des Verbrauchers – nach alter Rechtslage – insbesondere dann in Betracht kommt, wenn dieser unzutreffende Angaben hinsichtlich der Einhaltung der 2-Wochen-Frist macht, um den Notar zur Vornahme der Beurkundung zu bewegen. Sofern die Angaben plausibel sind und der Notar – mangels positiver Kenntnis des Gegenteils – hierauf vertrauen darf, dürfte vielfach freilich bereits keine Pflichtverletzung vorliegen.108

104 Schlick, ZNotP 2013, 362, 366. 105 Schlick, ZNotP 2013, 362, 364, 366. 106 Vgl. insoweit Herrler, in: DAI-Skript, Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung

im Immobilienrecht 2012/13, B II 4 lit. e und f = S. 103 ff. 107 Kritisch insoweit Heinze, ZNotP 2013, 122, 123. 108 Schlick, ZNotP 2013, 362, 366 f. m. w. N.

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Gleiches dürfte mutatis mutandis für unzutreffende Angaben gelten, die für den Notar für die Beurteilung des sachlichen Grundes einer etwaigen Unterschreitung der 2-Wochen-Frist und der anderweitigen Zweckerreichung sowie für die Abgrenzung Verbraucher-Unternehmer von Bedeutung sind.

gg) Voraussetzungen für ein Unterschreiten der 2-Wochen-Frist

Da es sich bei der 2-Wochen-Frist des § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG nur um eine Regelfrist handelt, kommt im Einzelfall eine Unterschreitung grundsätzlich in Betracht. Der III. Zivilsenat hat klargestellt, dass hierfür im Einzelfall nachvollziehbare, auch unter Berücksichtigung der Schutzinteressen des Verbrauchers sachlich gerechtfertigte Gründe vorliegen müssen, die Schutzfrist zu verkürzen.

Ob es insoweit genügt, dass der vom Gesetz bezweckte Übereilungs- und Überlegungsschutz auf andere Weise gewährleistet ist, oder ob es stets zusätzlich eines sachlichen Grundes für die Abkürzung der Frist bedarf – worauf der zweite Leitsatz der BGH-Entscheidung hindeutet –, wird unterschiedlich beurteilt.109 Jedenfalls dürfte in derartigen Konstellationen in aller Regel die haftungsausfüllende Kausalität zu verneinen sein, was freilich nichts an der ggf. zu bejahenden Amtspflichtverletzung ändert.

Angesichts dessen, dass die Erkenntnismöglichkeiten des Notars nicht grenzenlos sind und er vielfach – jedenfalls ganz überwiegend – auf die Angaben des Verbrauchers angewiesen ist, erscheint es überzeugend, dem Notar einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich des Vorliegens eines sachlichen Grundes für die Abkürzung der Frist sowie der anderweitigen Zweckerreichung einzuräumen.110 Eine gewisse Skepsis des Notars gegenüber den Angaben des Verbrauchers kann aber nicht schaden, insbesondere wenn bestimmte „Standardgründe“ regelmäßig bei Beteiligung eines bestimmten Unternehmers genannt werden.111 Zu Ausforschungen ist der Notar aber weder berechtigt noch verpflichtet.

Zur Problematik von Falschangaben des Verbrauchers eingehend Heinze, ZNotP 2013, 122, 125.

109 Für kumulative Voraussetzungen „sachlicher Grund“ und „anderweitige Gewährleistung des

durch die Wartefrist bezweckten Überlegungs- und Übereilungsschutzes“ Heinze, ZNotP 2013, 122, 124; Terner, NJW 2013, 1404, 1406 unter Verweis auf BT-Drs. 14/9266, S. 51, der allerdings bei Rechts- und Geschäftserfahrenheit des Verbrauchers, d. h. anderweitiger Sicherstellung des Übereilungsschutzes, offenbar doch auf die Eilbedürftigkeit verzichten will. A. A. tendenziell Rieger, MittBayNot 2013, 329, 330, der vorrangig auf die Erreichung des Schutzzweckes, d. h. die Verhinderung einer übereilten, uninformierten Entscheidung, abstellt, und die Eilbedürftigkeit daher wohl für verzichtbar hält.

110 Zutreffend Rieger, MittBayNot 2013, 329, 330; Terner, NJW 2013, 1404, 1406. 111 Vgl. Grziwotz, ZfIR 2013, 343, 345 („Gründe … von Immobilienvertrieben gezielt

eingesetzt“); Heinze, ZNotP 2013, 122, 124.

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(1) Sachliche Gründe

In welchen Fällen ein sachlicher Grund für die Abkürzung der Frist im vorgenannten Sinne vorliegt, ist in der Rechtsprechung noch kaum thematisiert worden. Jedenfalls muss der betreffende Grund der Verbrauchersphäre entstammen. Denkbar sind insoweit beispielsweise eine bevorstehende längere Ortsabwesenheit oder sonstige Verhinderung (z. B. Krankheit) und die Sorge, der Verkäufer werde anderweitig disponieren, insbesondere an einen konkurrierenden „Unternehmer-Kaufinteressenten“, für den die 2-Wochen-Frist nicht gilt, verkaufen.112

• Ob es bei dem „Drittveräußerungsrisiko “ auf die subjektive Sichtweise des Verbrauchers ankommt113 oder eine „objektive“ Gefahr vorliegen muss,114 ist noch nicht abschließend geklärt. Jedenfalls für den Notar dürfte die Feststellung einer objektiven Drittveräußerungsgefahr in aller Regel kaum sinnvoll möglich sein, so dass insoweit richtigerweise grundsätzlich auf die Einschätzung des Verbrauchers abzustellen ist.115 Ein sachlicher Grund für eine Unterschreitung der 2-Wochen-Frist wegen der Gefahr einer anderweitigen Veräußerung besteht mangels Bindung des Unternehmers hingegen nicht, wenn sich Letzterer vollmachtlos vertreten lässt oder der Verbraucher lediglich ein (einseitiges) Angebot abgibt.116

• Ob allein der Umstand, dass es sich um einen wirtschaftlich überschaubaren Vertragsgegenstand handelt (Stellplatz, Garage, Gartenland etc.), einen sachlichen Grund im vorgenannten Sinne darstellt, ist in der Literatur heftig umstritten.117

(2) Anderweitige Zweckerreichung

Unabhängig davon, ob man die anderweitige Wahrung des Übereilungs- und Überlegungsschutzes bereits für die Abkürzung der 2-Wochen-Frist genügen lassen möchte, kommt diesem Kriterium in jedem Fall unter Schutzzweckgesichtspunkten entscheidende Bedeutung zu. Dem Urteil des III. Zivilsenats vom 7.2.2013 lässt sich entnehmen, dass der BGH der Besichtigung des Vertragsobjekts sowie der Klärung der Käuferfinanzierung erhebliche Bedeutung beimisst. Ganz generell sollte sichergestellt sein, dass sich der Verbraucher bereits hinreichend mit dem

112 Vgl. KG DNotZ 2009, 47, 49; Terner, NJW 2013, 1404, 1406; Winkler, BeurkG, 17. Aufl.

2013, § 17 Rn. 187 ff. m. w. N. 113 So KG DNotZ 2009, 47, 49. 114 So Junglas, VuR 2013, 114, 116. 115 Heinze, ZNotP 2013, 122, 123 f. 116 Heinze, ZNotP 2013, 122, 124. 117 Vgl. Staudinger/Hertel, BGB, Neubearb. 2012, Vorbem. zu §§ 127a, 128 (BeurkG) Rn. 529.

Geringere Anforderungen bei einem weniger kostspieligen Gegenstand befürwortend auch Renner, NotBZ 2013, 174, 176. Gegen eine „Bagatellausnahme“ Grziwotz, notar 2013, 343, 346.

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Kaufgegenstand und dessen steuerlichen sowie wirtschaftlichen Konsequenzen auseinandergesetzt hat.118

Welche Anforderungen im Einzelnen an die anderweitige Zweckerreichung zu stellen sind, hängt ganz maßgeblich von dem jeweiligen individuellen Erfahrungsschatz sowie der Geschäftsgewandtheit des Verbrauchers ab und muss deshalb vom Notar einzelfallbezogen geprüft werden.

Vgl. auch den „Fragenkatalog“ bei Renner, NotBZ 2013, 174, 176:

• Seit wann interessiert sich der Verbraucher für die Immobilie?

• Wann fand die erste Besichtigung statt?

• Wurden Berater hinzugezogen (Sachverständiger bzw. Gutachter, Steuerberater, Rechtsanwalt etc.)?

• Wann und auf welche Weise wurde die Frage der Finanzierung geklärt?

Sofern der Notar davon überzeugt ist, dass der Verbraucher z. B. aufgrund professioneller Beratung oder wegen vorangehender Erwerbe (ggf. sogar in derselben Anlage) hinreichend aufgeklärt ist, um eine wohl abgewogene Entscheidung treffen zu können, dürfte dem Schutzzweck von § 17 Abs. 2a S. 1 Nr. 2 BeurkG hinreichend Rechnung getragen sein. Insoweit ist auch von Bedeutung, in welchem Umfang die Frist unterschritten werden soll.119 Vgl. oben zum insoweit richtigerweise bestehenden gewissen Beurteilungsspielraum.

2. Neufassung durch das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im notariellen Beurkundungsverfahren

Durch das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im notariellen Beurkundungsverfahren (BGBl. 2013 I, 2378) wurde § 17 Abs. 2a BeurkG neu gefasst. Vgl. hierzu Grziwotz, notar 2013, 343; Junglas, VuR 2013, 114; Lerch, NotBZ 2014, 37 (insb. zu § 50 Abs. 1 Nr. 9 BNotO n. F.).

§ 17 BeurkG n. F. Grundsatz

… (2a) 1Der Notar soll das Beurkundungsverfahren so gestalten, daß die Einhaltung der Pflichten nach den Absätzen 1 und 2 gewährleistet ist. 2Bei Verbraucherverträgen soll der Notar darauf hinwirken, dass 1. die rechtsgeschäftlichen Erklärungen des Verbrauchers von diesem persönlich oder durch eine Vertrauensperson vor dem Notar abgegeben werden und 2. der Verbraucher ausreichend Gelegenheit erhält, sich vorab mit dem Gegenstand der Beurkundung auseinanderzusetzen; bei Verbraucherverträgen, die der

118 Vgl. Rieger, MittBayNot 2013, 329, 330. 119 Renner, NotBZ 2013, 174, 176.

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Beurkundungspflicht nach § 311b Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs unterliegen, soll dem Verbraucher der beabsichtigte Text des Rechtsgeschäfts vom beurkundenden Notar oder einem Notar, mit dem sich der beurkundende Notar zur gemeinsamen Berufsausübung verbunden hat, zur Verfügung gestellt werden. Dies soll im Regelfall zwei Wochen vor der Beurkundung erfolgen. Wird diese Frist unterschritten, sollen die Gründe hierfür in der Niederschrift angegeben werden. 3Weitere Amtspflichten des Notars bleiben unberührt. …

a) Überblick über die Neuregelung

Durch die Neufassung von § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG soll der Vertrieb von sog. „Schrottimmobilien“, der vielfach durch einen sehr schnellen Vertragsabschluss auf Drängen eines Vertriebsmitarbeiters befördert wurde, (weiter) zurückgedrängt werden. Wie schon bislang, soll dem Verbraucher durch die für Verbraucherimmobilien-verträge in § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 S. 2 BeurkG normierte 2-Wochen-Frist ausreichend Gelegenheit gegeben werden, sich vorab mit dem Gegenstand der Beurkundung auseinanderzusetzen.

aa) Zurverfügungstellung durch den beurkundenden Notar

Im Unterschied zur bisherigen Rechtslage ist der beabsichtigte Text des Rechts-geschäfts dem Verbraucher vom beurkundenden Notar oder seinem Sozius zur Verfügung zu stellen. Hierdurch soll eine neutrale, fachkundige Beratung bereits im Vorfeld der Beurkundung sowie die eigenständige Prüfung der Einhaltung der 2-Wochen-Frist durch den Notar ermöglicht werden. Selbstverständlich kann der Versand auch durch die Mitarbeiter des Notars erfolgen, wobei ihn Überwachungs- und Dokumentationspflichten treffen.

Entscheidend ist, dass der beabsichtigte Text des Rechtsgeschäfts aus der „Sphäre“ des Notars oder seines Sozius kommt.120

Auf diese Weise soll eine in „Schrottimmobilienfällen“ häufig gezielt herbeigeführte „Beratungsisolation“ des Verbrauchers vermieden werden.121

Vgl. insoweit auch die Erwägungen in der Gesetzesbegründung:

„Eine Zurverfügungstellung des Vertragstextes durch die Notarin oder den Notar ermöglicht diesen in allen Fällen die Kontrolle der Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist, da das Datum der Zurverfü-gungstellung in den Akten zu dokumentieren ist. Auch wird gewährleistet, dass die Notarin oder der Notar – und gerade nicht der Unternehmer – als die für den Vertrag verantwortliche Person und damit als Ansprechpartner vom Verbraucher wahrgenommen wird. Bei rechtlichen Fragen zum Vertrag und zur Beurkundung wird sich der Verbraucher daher an die Notarin oder den Notar

120 BR-Drs. 619/12, S. 6. 121 BR-Drs. 619/12, S. 3.

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wenden, die – anders als der Unternehmer – fachkundig und neutral bereits im Vorfeld der Beurkundung zu allen etwa auftretenden Fragen Auskunft geben können. Der Verbraucher erhält so die Gelegenheit, sich mit dem Vertrag vor Beurkundung rechtlich auseinanderzusetzen und eine Entscheidung dahingehend zu treffen, ob er einen Vertrag mit diesem Inhalt abschließen will; die erwähnte „Beratungsisolation“ wird durchbrochen. Schließlich hat die Erfahrung gezeigt, dass ein von einem Notariat übersandter Vertragstext Verbrauchern deutlicher vor Augen führt, dass eine rechtliche Bindung bevorsteht.“122

Sinnvoll, wenngleich nicht zwingend geboten, dürfte ein Begleitschreiben sein, in welchem der Notar den Zweck der 2-Wochen-Frist erläutert (insbesondere Ermögli-chung einer wirtschaftlichen Prüfung, die der Notar nicht vornehmen kann) und darauf hinweist, dass der Verbraucher ihm schon vor der Beurkundung Fragen zum Vertrag stellen kann.123 Vgl. Formulierungsvorschlag bei Grziwotz, notar 2013, 343, 346.

bb) Zur-Verfügung-Stellen des beabsichtigten Textes des Rechtsgeschäfts

Der beurkundende Notar hat dem Verbraucher den beabsichtigten Text des Rechts-geschäfts zur Verfügung zu stellen, damit dieser Gelegenheit erhält, sich vorab mit dem Gegenstand der Beurkundung auseinanderzusetzen. Folglich muss der Notar dem Verbraucher die Möglichkeit eröffnen, vom beabsichtigten Text des Rechtsgeschäfts Kenntnis zu nehmen. Dies kann beispielsweise durch Übergabe des Textes, Übersendung per Post, per Fax oder per E-Mail und schließlich auch dadurch erfolgen, dass der Notar dem Verbraucher per E-Mail einen Link übersendet, über den der beabsichtigte Text des Rechtsgeschäfts von einem Server des Notars abgerufen werden kann. Die (abstrakte) Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht natürlich nur dann, wenn die Nachricht des Notars den Verbraucher auch tatsächlich erreicht hat, weshalb es sich jedenfalls aus praktischen Erwägungen empfehlen dürfte, eine entsprechende Bestätigung des Verbrauchers einzuholen.

Nach bisher ganz herrschender Auslegung von § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG war es nicht zwingend erforderlich, die essentialia negotii (insbesondere Vertragsgegenstand und Kaufpreis) in den dem Verbraucher ausgehändigten bzw. übersandten Vertrags-entwurf einzupflegen. Vielmehr sollte es ausreichend sein, wenn jenem diese Informa-tionen aus anderen Unterlagen zur Verfügung stehen und er somit den unvollständigen Text vervollständigen kann.124 Trotz insoweit unverändertem Gesetzestext – zur Verfügung zu stellen ist weiterhin der „beabsichtigte Text des Rechtsgeschäfts“ – sehen es die Anwendungsempfehlungen der Bundesnotarkammer vom 2.10.2013 nun-mehr aber als erforderlich an, dass sich die sog. essentialia negotii aus dem übersand-ten Text ergeben, da durch die Neuregelung gewährleistet werden sollte, „dass der

122 BR-Drs. 619/12, S. 2 f.; vgl. auch Begründung zum Gesetzentwurf BT-Drs. 17/12035, S. 6 f. 123 So u. a. Grziwotz, in: Grziwotz/Heinemann, BeurkG, 2012, § 17 Rn. 79; Hertel, ZNotP 2002,

286, 288; Junglas, VuR 2013, 114, 116; Rieger, MittBayNot 2002, 325, 333; Sorge, DNotZ 2002, 593, 596.

124 Vgl. Heinze, ZNotP 2013, 122, 127; Winkler, BeurkG, 17. Aufl. 2013, § 17 Rn. 167, jew. m. w. N.; a. A. zur bisherigen Rechtslage Grziwotz, ZfIR 2009, 627, 629.

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Verbraucher die zur Auseinandersetzung mit dem beabsichtigten Rechtsgeschäft maßgeblichen Informationen vom beurkundenden Notar oder dessen Sozius erhält.“

Sofern der Verbraucher sich beispielsweise in einem Bauträgerobjekt für mehrere Wohnungen interessiert, stellt sich die Frage, ob ihm deshalb mehrere vollständig ausgestaltete Vertragsentwürfe übersandt werden müssen oder es genügt, wenn man ihm einen vollständigen Vertragsentwurf und im Übrigen die relevanten Details der anderen Wohnungen (Größe, Grundriss, Preis) zur Verfügung stellt.125 Letzteres kann jedenfalls nur dann genügen, wenn der beabsichtigte Text des Rechtsgeschäfts im Übrigen (nahezu) identisch ist. Ob hierdurch die gebotene hinreichende Transparenz gewährleistet ist,126 dürfte einzelfallbezogen zu beurteilen sein.

Setzt sich das avisierte Rechtsgeschäft aus mehreren Urkunden zusammen, sind dem Verbraucher auch sämtliche Verweisungsurkunden zur Verfügung zu stellen (z. B. Baubeschreibung, Teilungserklärung).

cc) Dokumentation bei Nichteinhaltung der Frist

§ 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 S. 3 BeurkG sieht nunmehr vor, dass im Falle einer Unter-schreitung der 2-Wochen-Frist die Gründe hierfür in der Niederschrift angegeben werden sollen. Hierdurch werden mehrere Ziele verfolgt:

„Zunächst wird dadurch nachvollziehbar festgehalten, auf welche Gründe die Notarin oder der Notar die Abweichung von der Regelfrist stützen möchte. Damit kann eine spätere Überprüfung, insbesondere durch die Dienstaufsichts-behörden, auf einer verlässlich dokumentierten Grundlage erfolgen. Da die Dokumentation in der Niederschrift und nicht in der Notariatsnebenakte zu erfolgen hat, wird dem Verbraucher durch das Verlesen dieser Gründe bei der Beurkundung zudem deutlich vor Augen geführt, dass und aus welchen Gründen von der ihn schützenden Regelfrist abgewichen werden soll.“127

Renner weist darauf hin, dass die Gründe für eine Fristunterschreitung stets einzelfall-bezogen und nicht „formularmäßig“ in der Urkunde erläutert werden sollten.128 Zwar ist hierdurch nicht gänzlich ausgeschlossen, dass der Verbraucher durch „geschickt agierende“ Vertriebsmitarbeiter zu Falschangaben betreffend den sachlichen Grund bzw. den anderweitig gewährleisteten Übereilungsschutz angehalten wird, doch müssen diese deutlich substantiierter als nach der bisherigen Rechtslage sein und werden vom Notar dann auch noch verlesen. Ob der Verbraucher unter diesen

125 Von einem Leerformular (vgl. Grziwotz, notar 2013, 343, 345) kann unter diesen Umständen

m. E. nicht gesprochen werden. 126 Vgl. hierzu Grziwotz, notar 2013, 343, 345. 127 Gesetzentwurf des Bundesrats, BT-Drs. 17/12035, S. 8. 128 Renner, NotBZ 2013, 174, 176. Formulierungsbeispiel bei Grziwotz, notar 2013, 343, 346.

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Umständen, d. h. bei detaillierten, bewusst wahrheitswidrigen Angaben, noch schutz-würdig ist, erscheint – jedenfalls im Verhältnis zum Notar – zweifelhaft.129

Die Einhaltung der Frist muss nicht notwendig in der Urkunde dokumentiert werden. Eine entsprechende Versicherung des Verbrauchers, dass er den Vertragsentwurf bzw. den beabsichtigten Text des Rechtsgeschäfts vom Notar vor mindestens zwei Wochen erhalten hat, dürfte sich indes – wie schon bislang verbreitet - empfehlen.

b) Detailfragen130

aa) Wer ist Verbraucher i. S. v. § 17 Abs. 2a S. 2 BeurkG?

Für die Frage, ob ein Verbraucherimmobilienvertrag i. S. v. § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG vorliegt, ist es irrelevant, ob der Verbraucher als Verkäufer oder Käufer auftritt. Abgrenzungsschwierigkeiten treten insbesondere bei der Verwaltung eigenen Vermögens, beim Handeln eines Insolvenzverwalters im Rahmen einer Privatinsol-venz sowie bei Handeln einer GbR oder Wohnungseigentümergemeinschaft auf.131

(1) Verwaltung eigenen Vermögens

Schließt eine natürliche Person einen Immobilienkaufvertrag im Rahmen der Verwaltung ihres eigenen Vermögens, handelt sie insoweit grundsätzlich als Verbraucher. Etwas anderes kann sich nach der Rechtsprechung des BGH allerdings aus dem Umfang, der Komplexität und der Anzahl der mit der Vermögensverwaltung verbundenen Geschäfte ergeben, etwa dann, wenn die Vermögensverwaltung einen planmäßigen Geschäftsbetrieb erfordert.132

(2) Insolvenzverwalter

Auch wenn teilweise vertreten wird, dass der Insolvenzverwalter im Rahmen einer Privatinsolvenz als Verbraucher handelt, erscheint mir die Gegenauffassung aus Schutzzweckgesichtspunkten überzeugender. Daher sollte stets davon ausgegangen werden, dass der Insolvenzverwalter als Unternehmer tätig wird.

(3) GbR und Wohnungseigentümergemeinschaft

Was die GbR sowie die Wohnungseigentümergemeinschaft anbelangt, müsste man bei bloßer Lektüre der §§ 13 und 14 BGB eigentlich ohne weiteres davon ausgehen, dass diese niemals als Verbraucher handeln, da es sich aufgrund der Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit schlicht um keine natürlichen Personen handelt. Gleichwohl wird in der untergerichtlichen Rechtsprechung sowie der Literatur vielfach vertreten, dass

129 Heinze, ZNotP 2013, 122, 126 f., auch zur Pflicht des Notars zur Sachverhaltsaufklärung. 130 Vgl. auch Anwendungsempfehlungen der BNotK vom 2.10.2013, S. 6 ff. für die Frage der

Anwendbarkeit von § 17 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BeurkG auf Grundstücksversteigerungen. 131 Vgl. zur Abgrenzung Unternehmer-Verbraucher im Überblick Grziwotz, notar 2013, 343, 344;

Herrler, in: Limmer, Gestaltungspraxis und Inhaltskontrolle, 2014, S. 1, 20 ff. m. w. N. 132 Vgl. BGH NJW 2002, 368, 369.

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jedenfalls eine ausschließlich aus natürlichen Personen bestehende GbR bzw. Wohnungseigentümergemeinschaft als Verbraucher zu qualifizieren ist.133

(4) Praxisempfehlung

Gerade bei nicht abschließend geklärtem Status eines Vertragsbeteiligten sollte der Notar im Zweifel von einem die 2-Wochen-Frist auslösenden Immobilien-verbrauchervertrag ausgehen. Gleichwohl kann diese grundsätzlich richtige Empfehlung im Einzelfall problematisch sein. Denn gerade bei günstigen Kauf-gelegenheiten kann sich die Einhaltung der Wartefrist als „Wettbewerbsnachteil“ für den (ggf. bloßen Schein-)Verbraucher erweisen. Schlick weist darauf hin, dass es jedenfalls denkbar sei, dass ein Erwerbsinteressent aufgrund Nichtzustandekommens des Kaufvertrages infolge der Anwendung der 2-Wochen-Frist durch den beurkunden-den Notar Letzteren wegen Verstoßes gegen die Urkundsgewährspflicht in Anspruch nimmt.134

Im Einzelfall mag man erwägen, das Problem dadurch lösen, dass die am Vertrags-abschluss interessierte natürliche Person, die den Ablauf der 2-Wochen-Frist nicht abwarten möchte, schlicht eine Gesellschaft gründet und Letztere den Vertrag schließt. Insoweit sind allerdings die weiteren Konsequenzen zu beachten, die mit einem Erwerb durch die Gesellschaft anstelle der natürlichen Person verbunden sind (Bilan-zierungspflicht, steuerrechtliche Folgen etc.). Der Notar sollte an einer derartigen Gestaltung nicht mitwirken, wenn durch die Zwischenschaltung einer Gesellschaft für ihn erkennbar die Schutzzwecke des § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG vereitelt werden.

Zur Problematik des sog. „Scheinunternehmers“ (Vorspiegeln eines unternehmeri-schen Handelns) vgl. Herrler, in: Limmer, Gestaltungspraxis und Inhaltskontrolle, 2014, S. 1, 19 f.135

bb) Wesentliche vs. unwesentliche Änderungen

Nicht unerhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten resultieren ferner aus nachträglichen Änderungen des beabsichtigten Textes des Rechtsgeschäfts. Im Ausgangspunkt dürfte Konsens darüber herrschen, dass nicht jede nachträgliche Änderung zu einem Neuanlauf der 2-Wochen-Frist führt, da dies vom Schutzzweck der Vorschrift nicht geboten ist und im Extremfall dazu führen könnte, dass es niemals zum wirksamen Vertragsschluss kommt.136 Unwesentliche Änderungen137 sowie Änderungen

133 Vgl. Meinungsstand im Überblick bei Herrler, in: Limmer, Gestaltungspraxis und

Inhaltskontrolle, 2014, S. 1, 21 f. 134 Vgl. Schlick, ZNotP 2013, 362, 366. 135 Theoretisch denkbar ist auch der umgekehrte Fall des „Scheinverbrauchers“, der aber nur bei

natürlichen Personen in Betracht kommt (vgl. Heinze, ZNotP 2013, 122, 125). 136 Vgl. exemplarisch Lerch, NotBZ 2014, 37, 38 m. w. N. 137 Auch unter das Tatbestandsmerkmal „unwesentliche Änderung“ könnte man besondere Fälle

des Austausches des Vertragspartners auf Verbraucherseite bzw. des Hinzutretens eines weiteren Verbrauchers subsumieren. Derartige Vorgänge sollen unschädlich sein, d. h. keine

S. 103 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

zugunsten des Verbrauchers werden daher für unschädlich gehalten.138 Gleiches dürfte für vom Verbraucher ausgehende Änderungen gelten.139

Wann eine wesentliche Änderung vorliegt, ist vom Notar im Einzelfall eigenverantwortlich zu beurteilen.

Leitlinie für die Abgrenzung sollte dabei die Zielsetzung des § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG sein, wonach es dem Verbraucher ermöglicht werden soll, sich vorab mit dem Gegenstand der Beurkundung auseinanderzusetzen.140 Mit Blick darauf kann ein Austausch des Kaufobjekts jedenfalls nicht von vornherein als unwesentliche Änderung qualifiziert werden. Anders mag das dann zu beurteilen sein, wenn das zunächst vorgesehene und das nunmehr gewünschte Kaufobjekt nahezu identisch sind. Möglicherweise ist der Austausch des Objekts sowie eine Änderung des Kaufpreises auch dann unproblematisch, wenn der Notar dem Verbraucher von vornherein neben dem beabsichtigten Text des Rechtsgeschäfts zusätzlich eine Preisliste übersandt hat, in welcher auch alle anderen Wohnungseigentumseinheiten des betreffenden Projekts samt Größe, Grundriss und Kaufpreis aufgeführt waren. Geht man indes von dem unausgesprochenen Ziel des Gesetzgebers aus, den Verbraucher (auch) zu einer Besichtigung des Kaufobjekts anzuhalten, wird man die bloße Übersendung einer derartigen „Preisliste“ nicht stets als ausreichend ansehen können, d. h. der Notar sollte jedenfalls zusätzlich nachfragen, ob und wenn ja, wann eine Besichtigung des letztlich ausgewählten Objekts stattgefunden hat.

cc) Versand durch einen anderen Notar?

Nach dem Gesetzeswortlaut von § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG muss der zur Verfügung gestellte beabsichtigte Text des Rechtsgeschäfts aus der Sphäre des beurkundenden Notars oder seines Sozius stammen. Ungeachtet dessen stellt sich mit Blick auf Sinn und Zweck der Vorschrift die Frage, ob im Einzelfall nicht auch die Übersendung durch einen anderen Notar, beispielsweise den Zentralnotar bei einem überregional vertriebenen Bauträgerobjekt, ausreichend ist (ggf. auch beschränkt auf die Übersendung nur der Teilungserklärung durch den Zentralnotar).

Nach Ansicht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages ist die Versendung durch den beurkundenden Notars oder seinen Sozius entbehrlich,

„wenn der beurkundende Notar sicherstellen kann, dass der übersandte mit dem zu beurkundenden Text weitgehend identisch ist und dass die

neue 2-Wochen-Frist in Gang setzen, wenn der Adressat des Vertragsentwurfs eine Vertrauensperson des hinzutretenden Verbrauchers ist (Arg.: Systematik bzw. Wertung von § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 1 BeurkG), vgl. Sorge, DNotZ 2002, 593, 605; Winkler, BeurkG, 17. Aufl. 2013, § 17 Rn. 192.

138 Vgl. nur Schlick, ZNotP 2013, 362, 366; Anwendungsempfehlungen der Bundesnotarkammer vom 2.10.2013, S. 5 f.

139 Anwendungsempfehlungen der Bundesnotarkammer vom 28.4.2003, S. 9. 140 Vgl. Anwendungsempfehlungen der Bundesnotarkammer vom 2.10.2013, S. 5 f.

S. 104 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Zwei-Wochen-Frist eingehalten wurde. Denn auch so ist dem Gesetzes-zweck des Verbraucherschutzes durch hinreichende Überlegensfrist aufgrund Übersendung des Textes des Rechtsgeschäfts Genüge getan. Ein Bestehen auf Versendung durch den beurkundenden Notar wäre an dieser Stelle bloße Förmelei.“141

Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen in der Gesetzesbegründung ist aber zu berücksichtigen, dass die Versendung durch einen anderen, mit dem beurkundenden Notar nicht zur gemeinsamen Berufsausübung verbundenen Notar nach dem Gesetzes-text gerade nicht ausreichend ist. Aus diesem Grund bestehen jedenfalls bei systema-tischem Vorgehen Bedenken gegen eine Praxis, wonach der Zentralnotar von vornherein sämtliche Vertragsentwürfe (beispielsweise in einer Angebots-Annahme-Konstellation) versendet. Zwar lässt sich die Einhaltung der 2-Wochen-Frist (wohl) vergleichbar zuverlässig überprüfen und der Verbraucher hat in Gestalt des Zentral-notars ebenfalls einen Ansprechpartner für Fragen zum Vertragstext.142 Auch der Bin-dungscharakter des beabsichtigten Geschäfts dürfte ihm deutlich vor Augen geführt werden. Der Neuregelung scheint jedoch die Vorstellung zugrunde zu liegen, dass dem Verbraucher gerade die Kontaktaufnahme mit „seinem“ Notar im Vorfeld des Vertragsschlusses erleichtert bzw. er hierzu animiert werden soll. Hiermit dürfte ein Versand beispielsweise durch den Zentralnotar nicht ohne weiteres in Einklang stehen.

In ihren Anwendungsempfehlungen vom 2.10.2013 interpretiert die Bundesnotar-kammer die Ausführungen in den Beschlussempfehlungen des Rechtsausschusses denn auch restriktiv. Ihres Erachtens beansprucht

„die Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses nur für den Fall Geltung […], in dem im Zeitpunkt der Versendung des beabsichtigten Textes des Rechtsgeschäfts die Beurkundung beim versen-denden Notar oder dessen Sozius stattfinden sollte. § 17 Abs. 2a S. 2 BeurkG regelt, wie der systematische Zusammenhang mit § 17 Abs. 2a S. 1 BeurkG zeigt, die Ausgestaltung des Beurkundungsverfahrens. Folglich kann eine Textversendung nur dann tauglich zur Erfüllung der Pflicht des § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG sein, wenn sie im Zusammenhang mit einer beim versendenden Notar oder dessen Sozius angestrebten Beurkundung steht.“

dd) Bestellung von Grundpfandrechten

Zur bisherigen Fassung von § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG wurde – soweit ersichtlich – von niemanden vertreten, dass die 2-Wochen-Frist auf Grundschuldbestellungen Anwendung findet. Nicht ganz einheitlich wurde lediglich die Frage beurteilt, ob § 17

141 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestags, BT-Drs. 17/13137, S. 4. 142 Der Zentralnotar kennt sich in aller Regel mit den Details der Teilungserklärung wesentlich

besser aus als der „Kaufvertragsnotar“, insbesondere wenn es um nachträglich aufgrund Vollmacht bestellte Dienstbarkeiten etc. geht.

S. 105 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Abs. 2a S. 2 Nr. 2 S. 1 Hs. 1 BeurkG überhaupt eingreift, d. h. dem Verbraucher Gelegenheit zu geben ist, sich vorab mit der Grundschuldbestellung ausein-anderzusetzen.143 Bei unbefangener Lektüre der Neuregelung könnte man jedenfalls auf den ersten Blick der Ansicht sein, dass die 2-Wochen-Frist nunmehr auch auf andere Verbraucherverträge Anwendung findet, da die sprachliche Bezugnahme in § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 S. 2 BeurkG („Dies“) von ihrem Wortsinn nicht nur den Verbraucherimmobilienvertrag, d. h. § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 S. 1 Hs. 2 BeurkG, sondern generell den gesamten vorstehenden Satz zu erfassen scheint. Bei einer derartigen Lesart wäre die 2-Wochen-Frist bei Grundschulden und anderen Verbraucherverträgen zu beachten.

Für eine derartige, die bisherige Regelung ganz erheblich erweiternde Auslegung bestehen jedoch keinerlei weitere Anhaltspunkte. Vielmehr ist in der Begründung des Gesetzesentwurfs klargestellt, dass die notariellen Amtspflichten durch die Neuregelung von § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG (lediglich) präzisiert werden sollen: „Der Regelungsmechanismus, insbesondere die Ausgestaltung der Zwei-Wochen-Frist als Regelfrist, bleibt erhalten. Lediglich aus Gründen der sprachlichen Klarheit wird diese in einem eigenen Satz geregelt.“144

Im Ergebnis bestehen daher m. E. keine Zweifel, dass sich das „Dies“ in § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 S. 2 BeurkG lediglich auf Hs. 2 des vorangehenden Satzes, d. h. auf die Zurverfügungstellung von nach § 311b Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 BGB beurkundungs-bedürftigen Verbraucherverträgen, bezieht und somit die 2-Wochen-Frist für Grund-schulden wie für sonstige Verbraucherverträge nicht gilt. Soweit ersichtlich, wird im jüngeren Schrifttum zur Neuregelung auch nirgends eine gegenteilige Auffassung vertreten.

ee) Ausländischer Beteiligter

Handelt es sich bei dem Verbraucher um einen (für den Notar erkennbar) der deutschen Sprache nicht Mächtigen, stellt sich die Frage, ob die Zurverfügungstellung des deutschen Textes des Rechtsgeschäfts genügt oder ob eine Übersetzung für die Zwecke des § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG erforderlich ist.

(1) Vorgaben von § 16 BeurkG

Aus § 16 BeurkG lässt sich hierfür nichts ableiten. Diese Vorschrift, insbesondere die Pflicht zur Vorlage einer schriftlichen Übersetzung in § 16 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BeurkG, betrifft lediglich die Aufnahme der notariellen Niederschrift selbst. Im Vorfeld der Beurkundungsverhandlung besteht jedenfalls aufgrund der Vorgaben des § 16 BeurkG keine Pflicht zur Übersendung eines übersetzten Textes.

143 Im ersteren Sinne Winkler, BeurkG, 17. Aufl. 2013, § 17 Rn. 159 m. w. N.; Brambring, ZfIR

2002, 597, 600; einschränkend hingegen Grziwotz, in: Grziwotz/Heinemann, BeurkG, 2012, § 17 Rn. 78 („kürzere Frist“).

144 Vgl. BT-Drs. 17/12035, S. 7 rechte Spalte Mitte.

S. 106 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(2) Teleologisch extensive Auslegung von § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG

In § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG ist lediglich die Pflicht normiert, den beabsichtigten Text des Rechtsgeschäfts zur Verfügung zu stellen, d. h. den (voraussichtlichen) Vertragstext in der Urkundssprache. Nun könnte man erwägen, dass sich mit Blick auf den Schutzzweck aus der Hinwirkungspflicht des Notars, dem Verbraucher ausreichend Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit dem Beurkundungsgegenstand zu geben, eine Pflicht zur Erstellung einer schriftlichen Übersetzung ableiten ließe, da der nicht der deutschen Sprache kundige Verbraucher auf diese Weise ohne weitere Schwierigkeiten in der Lage wäre, sich mit den einzelnen Regelungen auseinanderzusetzen.

Für ein derart extensives Verständnis des § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG besteht m. E. aber kein Anlass. Zum einen ist schon nach § 16 Abs. 2 BeurkG eine schriftliche Übersetzung nur dann erforderlich, wenn ein Beteiligter dies verlangt, d. h. grundsätzlich wird eine mündliche Übersetzung für ausreichend erachtet. Diese in der Beurkundungsverhandlung durch den Notar bzw. einen Dolmetscher erfolgende mündliche Übersetzung kann im Vorfeld der Beurkundungsverhandlung ebenfalls ohne weiteres mündlich erfolgen, hier sogar durch Personen, die nach § 16 Abs. 3 S. 2 i. V. m. §§ 6 f. BeurkG nicht als Dolmetscher in Betracht kommen.

Ferner dürfte in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sein, dass dem BeurkG eine partielle Sprachunkundigkeit unbekannt ist, also die nicht vollständige Sprachfähigkeit mit Sprachunkundigkeit gleichbedeutend ist, so dass es stets einer Übersetzung der Niederschrift gem. § 16 BeurkG bedarf.145 Gerade bei Beteiligten, die den deutschen Text ganz überwiegend verstehen und lediglich im Hinblick auf spezielle Regelungen gewisse Verständnisschwierigkeiten haben, erscheint das – im Gesetz nicht angelegte – Erfordernis einer stets schriftlichen Übersetzung entgegen § 16 Abs. 2 S. 2 BeurkG nicht gerechtfertigt.

Schließlich ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Verbraucher, der vom Notar einen ihm unverständ-lichen Text übersandt bekommt, ihm notwendig erscheinende Hilfspersonen beiziehen und sich von einer der deutschen Sprache mächtigen Person den Text erklären lassen wird.146

(3) (Fremdsprachige) Erläuterungen des Notars im Anschreiben?

Im Einzelfall mag sich im Anschreiben des Notars an den Verbraucher ein Hinweis darauf empfehlen, welcher Zweck mit der Vorabübersendung des beabsichtigten Textes des Rechtsgeschäfts verfolgt wird und dass der Verbraucher gem. § 16 Abs. 2 S. 2 BeurkG eine schriftliche Übersetzung verlangen kann.147 Seinen Zweck erfüllen kann ein derartiger Hinweis aber wohl nur dann, wenn er in einer dem Verbraucher

145 Vgl. hierzu jüngst DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2013, 129. 146 Vgl. Winkler, BeurkG, 17. Aufl. 2013, § 17 Rn. 153. 147 Vgl. zu entsprechenden Erläuterungen Hertel, ZNotP 2002, 286, 288, der allerdings nicht die

Konstellation des der deutschen Sprache unkundigen Verbrauchers erörtert.

S. 107 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

verständlichen Sprache erfolgt. Jedenfalls dann, wenn dem Notar eine entsprechende Sprachkenntnis fehlt, kann ein derartiger Hinweis nicht gefordert werden (vgl. § 5 Abs. 2 S. 2 BeurkG).

(4) Aber: Im Einzelfall längere Wartefrist

In Anbetracht dessen, dass es sich bei der 2-Wochen-Frist des § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG um eine bloße Regelfrist handelt, mag – je nach den Umständen des Einzelfalls – bei Beteiligung eines der deutschen Sprache nicht mächtigen Verbrauchers eine Verlängerung der Frist angezeigt sein. Eine automatische Fristverlängerung auf beispielsweise vier Wochen ist m. E. allerdings nicht gerechtfertigt, da bei sprachkundigen Familienangehörigen bzw. Beratern ohne weiteres eine Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Beurkundung innerhalb der 2-Wochen-Frist möglich erscheint.

ff) C2C-Vertrag und Maklerklausel

Sind an einem Grundstückskaufvertrag als Verkäufer und als Käufer ausschließlich Verbraucher beteiligt (C2C-Vertrag), findet die in § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 S. 1 Hs. 2 BeurkG bestimmte 2-Wochen-Frist keine Anwendung. Ob dies auch dann gilt, wenn zugunsten des den Vertrag vermittelnden Maklers eine entsprechende Klausel aufge-nommen wird, ist noch nicht abschließend geklärt. In der Rechtsprechung wurde die Anwendbarkeit der 2-Wochen-Frist bei der Aufnahme einer Maklerklausel – soweit ersichtlich – noch nicht behandelt. Einvernehmen herrscht jedenfalls insoweit, dass allein die Beteiligung eines Maklers am Zustandekommen des Grundstücks-kaufvertrages und dessen „Auftrag“ an den Notar die 2-Wochen-Frist nicht auslöst. Gleiches gilt für bloße Bestätigungsklauseln.

Im Übrigen, d. h. im Hinblick auf konstitutive Maklerklausel, wird in jüngster Zeit in der Literatur vermehrt die Anwendbarkeit der 2-Wochen-Frist bejaht, jedenfalls wenn sich Verkäufer und/oder Käufer wegen der Verpflichtung zur Zahlung des Mäkler-lohns der Zwangsvollstreckung unterwerfen,148 da (im Verhältnis zum Makler) ein Verbrauchervertrag vorliege und daher der Anwendungsbereich des § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 S. 1 Hs. 2 BeurkG eröffnet sei.149 Andere Stimmen weisen demgegenüber darauf hin, dass durch die Vereinbarung mit dem - bzw. besser zugunsten des – Makler(s) keine Pflicht zu Veräußerung oder Erwerb eines Grundstückes i. S. v. § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 S. 1 Hs. 2 BeurkG begründet wird. Der Makler ist am Grundstückskaufvertrag nicht beteiligt. Somit könne allenfalls ein sonstiger Verbrauchervertrag nach § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 S. 1 Hs. 1 BeurkG vorliegen, für welchen gerade keine feste Frist vorgesehen ist.150

148 So insbesondere Grziwotz, notar 2013, 343, 344; ders. ZfIR 2010, 601, 603; Suppliet, DNotZ

2012, 270; Winkler, BeurkG, 17. Aufl. 2013, § 17 Rn. 95 (bei Zwangsvollstreckungsunterwerfung bezüglich des Mäklerlohnanspruchs).

149 Grziwotz, ZfIR 2010, 601, 603; ders., notar 2013, 343, 344; ders., ZfIR 2006, 189, 190; Suppliet, DNotZ 2012, 270, 284, 285.

150 Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 3. Aufl. 2012, Teil 2 Kap. 2 Rn. 453, Fn. 620; Rieger, MittBayNot 2013, 325, 331.

S. 108 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

II. Annahmefrist im Verbrauchervertrag (SH)

– BGH, Versäumnisurt. v. 7.6.2013 - V ZR 10/12 (unbefristete Annahmemöglichkeit eines Angebots in AGB unwirksam), DNotI-Report 2013, 116 = DNotZ 2013, 923 = MittBayNot 2013, 42 m. Anm. Suttmann = ZfIR 2013, 766 m. Anm. Hertel = ZNotP 2013, 226. Vgl. hierzu Herrler, DNotZ 2013, 887; ders., NJW 2013, 19.

– BGH, Urt. v. 27.9.2013 - V ZR 52/12 (Regelbindungsfrist von vier Wochen gilt auch beim Bauträgervertrag), DNotI-Report 2013, 188 = ZfIR 2014, 51 m. Anm. Reichelt/Kruska.

– BGH, Revision anhängig unter V ZR 5/12 (Annahme nach 5 Wochen und 5 Tagen als erhebliche Überschreitung der Regelbindungsfrist?)

Sämtliche aktuelle Entscheidungen betreffend formularmäßige Bindungsfristen beim Immobilienkauf gleichen sich darin, dass der jeweilige Erwerber mit seinem Immobilieninvestment unzufrieden ist, sei es, weil sich seine Renditeerwartungen nicht erfüllt haben, er sich mit dem Kauf finanziell übernommen hat und/oder er im Einzelfall durch einen „geschickten“ Vertriebsmitarbeiter zu einem übereilten Vertragsschluss gedrängt wurde151 und deshalb die Rückabwicklung des Vertrages begehrt (primär gegenüber dem Bauträger bzw. Verkäufer, bei Uneinbringlichkeit der Forderung direkt gegenüber dem beurkundenden Notar). Nicht selten hatten die unzufriedenen Käufer zunächst versucht, den Vertrieb bzw. die finanzierenden Banken in Anspruch zu nehmen, in aller Regel jedoch erfolglos. Seit mittlerweile mehr als einem Jahrzehnt befassen sich die obergerichtliche sowie die höchstrichterliche Rechtsprechung mit der (Un-)Wirksamkeit formularmäßiger Bindungsfristen, stets im Zusammenhang mit der Geltendmachung eines bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruchs mangels wirksamen Vertragsschlusses.

Die erste Stellungnahme des BGH in diesem Kontext vom 11.6.2010 hat in der Kautelarpraxis für große Verunsicherung gesorgt. Insoweit bringen die beiden Entscheidungen vom 7.6.2013 und vom 27.9.2013 ein Stück Rechtssicherheit, da nunmehr feststeht, dass ein nach kurzer Bindungsfrist zeitlich unbefristet fortbestehendes, allerdings jederzeit widerrufliches Angebot ebenfalls mit § 308 Nr. 1 BGB unvereinbar ist und die Regelbindungsfrist nach § 147 Abs. 2 BGB auch beim Bauträgervertrag grundsätzlich vier Wochen beträgt. Aber auch die jüngsten Entscheidungen des BGH werfen aber zahlreiche Folgefragen auf. Nach wie vor völlig ungeklärt ist schließlich, welche Grundsätze für die sog. Veräußerungskonstellation gelten, wenn der Klauselverwender also nicht als Veräußerer, sondern als Erwerber auftritt.

151 Letzteres ist durch die Verschärfung von § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG mit Wirkung zum

1.10.2013 erheblich erschwert.

S. 109 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

1. Fortgeltungsklauseln

„An das Angebot hält sich der Anbietende bis zum 30.06.2005 unwiderruflich gebunden. Nach Ablauf der Frist erlischt lediglich die Bindung an das Angebot, nicht jedoch das Angebot selbst, das dann in stets widerruflicher Weise fortbesteht. Zur Wirksamkeit der Annahme genügt deren Erklärung zu notariellem Protokoll, ohne dass es des Zugangs der Annahmeerklärung beim Anbietenden bedarf.“152

a) Ausgangssituation

Aus heutiger Sicht mag es verwunderlich erscheinen, wie es zu formularmäßigen Bindungsfristen von drei, vier, sechs und mehr Monaten kommen konnte, zumal die Spezialliteratur zum AGB-Gesetz bereits schon zu Beginn des Jahrtausends eine vier Wochen (erheblich) übersteigende Bindungsfrist beim Kauf einer Eigentumswohnung als mit § 10 Nr. 1 AGBG unvereinbar ansah.153 Jedenfalls bis zur ersten Entscheidung des OLG Dresden vom 26.6.2003 spiegelten die Gestaltungsempfehlungen in der Notarliteratur dieses Meinungsbild aber in keiner Weise wider.

aa) Gestaltungsempfehlungen vor 2004

Basty wies in seiner Entscheidungsanmerkung zu OLG Dresden darauf hin, dass jedenfalls bei Bauträgerverträgen Bindungsfristen von deutlich mehr als vier Wochen bislang eher die Regel denn die Ausnahme seien.154 Nur vereinzelt wird die AGB-Problematik in der Gestaltungsliteratur aus der Zeit vor 2004 überhaupt thematisiert.155 Allerdings findet sich dort bereits vielfach der Vorschlag, dass das Angebot mit Ablauf der Bindungsfrist nicht notwendig erlöschen müsse, sondern in jederzeit widerrufbarer Weise fortbestehen könne.156 Die Literatur zum AGB-Gesetz scheint derartige Gestaltungen offenbar nicht an § 10 Nr. 1 AGBG (= § 308 Nr. 1

152 Aus BGH DNotZ 2013, 923. 153 Vgl. Hefermehl/Werner, in: Erman, BGB, 10. Aufl. 2000, § 10 Nr. 1 AGBG Rn. 5; v.

Westphalen, in: Löwe/v. Westphalen/Trinkner, GroßkommAGBG, Bd. II, 2. Aufl. 1983, § 10 Nr. 1 Rn. 13; Walchshöfer, WM 1986, 1041, 1044; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl. 1999, § 10 Nr. 1 Rn. 15; tendenziell ebenso Staudinger/Coester-Waltjen, AGBG, 13. Bearb. 1998, § 10 Nr. 1 Rn. 11, die im Falle eines Platzierungsinteresses allerdings Bindungsfristen von mehreren Monaten für möglich hält.

154 MittBayNot 2005, 302. 155 Basty, Der Bauträgervertrag, 4. Aufl. 2002, Rn. 117; Kutter, in: Beck’sches Notar-Handbuch,

3. Aufl. 2000, A II Rn. 25; Schmidt/Eue, in: Münchener Vertragshandbuch, Bd. 5, S. 307, allerdings ohne Problematisierung von § 10 Nr. 1 AGBG.

156 So bspw. Langenfeld, in: Münchener Vertragshandbuch, Bd. 5, 5. Aufl. 2003, S. 154; Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 2. Aufl. 2003, Rn. 944; Basty, in: Kersten/Bühling, 21. Aufl. 2001, § 36 Rn. 238 ff.; Möhrle, in: Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht, 8. Aufl. 2003, S. 255.

S. 110 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

BGB) messen zu wollen.157 Ausdrücklich thematisiert wird das Bindungsfrist-Annahmefrist-Modell jedoch nicht.

bb) Gestaltungsempfehlungen zwischen 2004 und 2010

In Reaktion auf die Entscheidung des OLG Dresden vom 26.6.2003, welche offenbar erst mit einiger zeitlicher Verzögerung publik wurde,158 wird nun ganz überwiegend zu einer kurzen Bindungsfrist von vier bis maximal sechs Wochen geraten.159 Ob ein Platzierungsinteresse des Bauträgers eine längere Frist zu rechtfertigen vermag, wird unterschiedlich beurteilt.160 Angesichts der Ungewissheit über die höchstzulässige Bindungsfrist wird immer mehr das Bindungsfrist-Annahmefrist-Modell propagiert, also die fortbestehende Annahmefähigkeit nach Ablauf einer kurzen (i. d. R. vierwöchigen) Bindungsfrist bei jederzeitiger Widerruflichkeit.161 Ob sich insoweit ein Endtermin für die fortbestehende Annahmefähigkeit empfiehlt, wird unterschiedlich beurteilt.162 Ausführungen zur AGB-rechtlichen Problematik einer widerruflich fortbestehenden Annahmefähigkeit, etwa mit Blick auf § 308 Nr.1 BGB, finden sich weder in der AGB-rechtlichen Spezial- noch in der Notarliteratur.

Einzig Thode befasste sich mit diesem Modell und äußerte Zweifel an der fortbestehenden Annahmefähigkeit des Angebots nach Ablauf der kurzen Bindungsfrist:

157 Vgl. MünchKommBGB/Basedow, Band 1, 4. Aufl. 2001, § 10 Nr. 1 AGBG Rn. 4; ebenso

MünchKommBGB/Basedow, Band 2a, 4. Aufl. 2003, § 308 Rn. 4: „Nicht erfaßt werden […] Klauseln, die an den Fristablauf eine andere Folge als die Unwirksamkeit des Angebots knüpfen“.

158 Erstmals als Kurzzusammenfassung in IBR 2004, 372 (Heft Juli 2004). 159 So Basty, Der Bauträgervertrag, 5. Aufl. 2005, Rn. 145 f.; ders., in: Kersten/Bühling, 22. Aufl.

2008, § 32 Rn. 313 ff.; Blank, Bauträgervertrag, 3. Aufl. 2006, Rn. 1160; Brambring, in: Beck’sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2009, A I Rn. 384; Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 2005, Teil 2 Rn. 1300-1302 (grds. sechs Wochen, bei Kapitalanlegern ca. drei Monate); ders., in: Krüger/Hertel, Der Grundstückskauf, 9. Aufl. 2008, Rn. 911; Riemenschneider, in: Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, Teil 3 Rn. 202 (nicht mehr als vier Wochen); vgl. auch OLG Brandenburg, Urt. v. 30.6.2005 – 5 U 118/03, IBR 2005, 544.

160 Bejahend Blank, Bauträgervertrag, 3. Aufl. 2006, Rn. 1160; Eue, in: Münchener Vertragshandbuch, Bd. 5, 6. Aufl. 2008, S. 326 m. w. N.; ebenso Kutter, in: Beck’sches Notar-Handbuch, 4. Aufl. 2006, A II Rn. 27; ebenso auch in der 5. Aufl. 2009; a. A. Basty, Der Bauträgervertrag, 5. Aufl. 2005, Rn. 146.

161 So Eue, in: Münchener Vertragshandbuch, Bd. 5, 6. Aufl. 2008, S. 326; Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 2. Aufl. 2010, Teil 2 Kap. 2 Rn. 711 ff. (Immobilienkaufvertrag), Teil 2 Kap. 4 Rn. 31 ff. (Bauträgervertrag); Kutter, in: Beck’sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2009, A II Rn. 27; Riemenschneider, in: Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, Teil 3 Rn. 202.

162 Bejahend Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, Teil 2 Kap. 2 Rn. 712; Teil 2 Kap. 4 Rn. 32 (empfohlen: sechs Monate, bei Kapitalanlegern spätestens drei Monate vor Jahresende); ders., in: Krüger/Hertel, Der Grundstückskauf, 9. Aufl. 2008, Rn. 912; Eue, in: Münchener Vertragshandbuch, Bd. 5, S. 326; Kutter, in: Beck’sches Notar-Handbuch, A II Rn. 27; keine Endfrist für erforderlich haltend: Cremer/Wagner, NotBZ 2004, 331, 335 f.; tendenziell auch Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 4. Aufl. 2008, Rn. 1611; ebenfalls eher großzügiger Basty, Der Bauträgervertrag, 5. Aufl. 2005, Rn. 146.

S. 111 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Diese Rechtsfolge „ist mit der in § 147 Abs. 2 BGB geregelten Rechtsfolge einer verspäteten Annahme wohl kaum vereinbar. Der Erwerber, der über einen für ihn nicht abschätzbaren Zeitraum mit der Annahme seines Angebots rechnen muss, wäre gezwungen, sein Angebot zu dem Zeitpunkt zu widerrufen, zu dem er den Abschluss des Vertrages nicht mehr wünscht. Dadurch wäre er, wenn er den Widerruf versäumt, mit dem Risiko eines Vertragsabschlusses belastet, der seinen Vorstellungen und Interessen nicht mehr entspricht. Diese möglichen Folgen benachteiligen den Erwerber, der als juristischer Laie die Konstruktion eines verbindlichen Angebots, das er widerrufen muss, nicht kennt [Hervorhebung durch Verfasser], erheblich. In der Praxis hat der Lösungsvorschlag der genannten Autoren gerade die Folge, die durch § 10 Nr. 1 AGBG (= § 308

Nr. 1 BGB n. F.) verhindert werden soll.“163

Bei näherer Lektüre seines Beitrags wendet er sich – entgegen einem verbreiteten Missverständnis - mit keinem Wort gegen eine ausdrückliche vertragliche Regelung einer kurzen Bindungsfrist und einer sich daran anschließenden fortbestehenden Annahmefähigkeit des Angebots. Vielmehr stellt er lediglich klar, dass sich ein derartiges Ergebnis (kurze Bindungsfrist, danach fortbestehende Annahmefähigkeit bei freier Widerruflichkeit – entgegen dem Vorschlag von Cremer/Wagner164 – nicht im Wege der ergänzenden Auslegung einer unangemessen langen und damit unwirk-samen formularmäßigen Bindungsfrist gewinnen lasse. Hierdurch würde – insoweit ist Thode zuzustimmen – der Erwerber als juristischer Laie in der Tat erheblich überfordert, da er nicht nur mit dem Risiko eines Vertragsschlusses belastet wird, wenn er den Widerruf versäumt, sondern sich überhaupt nicht darüber im Klaren sein dürfte, dass sein vermeintlich bindendes Angebot von ihm jederzeit widerrufen werden kann.165 Damit dürfte sich aus den Ausführungen Thodes lediglich das Postulat ableiten lassen, dass eine vertragliche Differenzierung zwischen Bindungs- und Annahmefrist hinreichend transparent, d. h. für den Klauselgegner klar und verständ-lich sein muss.

Somit ist zu konstatieren, dass vor der Entscheidung des V. Zivilsenats vom 11.6.2010 zwar Einvernehmen darüber bestand, dass eine formularmäßige Bindungsfrist im Regelfall nicht länger als mit vier bis maximal sechs Wochen zu bemessen ist. Gegen das Bindungsfrist-Annahmefrist-Modell, noch dazu, wenn dieses mit einem Endtermin versehen war, wurden hingegen keine Bedenken vorgebracht. Soweit ersichtlich, finden sich auch in der AGB-rechtlichen Spezialliteratur keine die Zulässigkeit einer fortbestehenden Annahmefähigkeit über die höchstzulässige Bindungsfrist hinaus bezweifelnde Stimmen.

cc) Gestaltungsempfehlungen nach 2010

Seit der Grundsatzentscheidung des V. Zivilsenats vom 11.6.2010 werden im Schrifttum vermehrt Bedenken gegen die Differenzierung zwischen kurzer

163 Thode, ZNotP 2005, 162, 165. 164 Cremer/Wagner, NotBZ 2004, 331, 336 f. 165 Thode, ZNotP 2005, 162, 165; vgl. zu einem ähnlichen Problemkomplex OLG Dresden

NotBZ 2012, 105 (keine Gesamtunwirksamkeit der Bindungs- sowie der Annahmefrist bei unangemessen langer Bindungsfrist), zustimmend Walter, NotBZ 2012, 81, 84; ablehnend Herrler, notar 2013, 71, 82 (Arg.: sonst faktische Fortwirkung der unangemessenen Bindungsfrist) und Müller/Klühs, RNotZ 2013, 81, 90.

S. 112 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Bindungsfrist und deutlich längerer Annahmefrist geltend gemacht, zum einen, weil der Klauselgegner entgegen der in § 146 BGB niedergelegten Wertung aktiv werden müsse, um einen Vertragsschluss nach Ablauf der Bindungsfrist zu verhindern, zum anderen, weil wegen der Entbehrlichkeit des Zugangs der Annahmeerklärung gemäß § 152 S. 1 BGB in aller Regel ein gewisser Interimszeitraum entstehe, in welchem der Anbietende keinen anderen Kaufvertrag abschließen kann, sofern er keine doppelte Verpflichtung riskieren möchte.166 Mit Blick darauf, dass der V. Zivilsenat in der Entscheidung vom 11.6.2010 eine Unterscheidung zwischen einer Bindungs- und einer Annahmefrist noch nicht einmal andeutungsweise in Erwägung gezogen hat, werden im unmittelbaren Nachgang der Entscheidung vereinzelt generelle Zweifel an der Zulässigkeit dieser Gestaltung geäußert, alsbald aber wieder verworfen.167 Ganz überwiegend wird das Bindungsfrist-Annahmefrist-Modell weiterhin im Grundsatz für zulässig erachtet, jedenfalls dann, wenn der Zeitraum der fortbestehenden Annahme-fähigkeit angemessen beschränkt und dem Anbietenden zudem der Widerruf erleichtert wird, so dass die Gefahr sich kreuzender Erklärungen ausgeschlossen ist (Abbedingung von § 152 BGB, d. h. Zugangsbedürftigkeit der Annahmeerklärung; ggf. rechtzeitige Absendung des Widerrufs für dessen Wirksamkeit maßgeblich, vgl. § 355 Abs. 1 S. 2 HS 2 BGB).168

Sowohl verfahrens- (§ 17 Abs. 1 BeurkG) als auch materiell-rechtlich (§ 305c Abs. 1 und Abs. 2, § 307 Abs. 1 S. 2 BGB) soll es geboten sein, den das Angebot Abgebenden hinreichend deutlich über den Wirkungsmechanismus des zweigleisigen Fristenlaufs in Kenntnis zu setzen. Insoweit ist es erforderlich, dass dem Anbietenden mit einfachen Worten erläutert wird, dass sein Angebot mit Ablauf der Bindungsfrist gerade nicht erlischt, sondern er selbst aktiv werden muss, will er einen Vertragsschluss bis zum Ablauf der Annahmefrist vermeiden. Angesichts der gewissen Parallele einer derartigen Regelung mit dem in § 177 Abs. 2 BGB vorgesehenen Mechanismus dürfen die Transparenzanforderungen insoweit freilich nicht überspannt werden.169

166 Vgl. DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2010, 181, 183. 167 Krauß, NotBZ 2010, 336, 337 („wahrscheinlich würde der BGH auch diese Gestaltung

verwerfen“); anders dagegen später ders., notar 2010, 360, 361, und ders., Immobilienkaufverträge in der Praxis, 6. Aufl. 2012, Rn. 2955 f.; gewisse Zweifel äußernd auch Kesseler, RNotZ 2010, 533, 534; anders dagegen später ders., in. DAI-Skript 9. Jahresarbeitstagung des Notariats, 2011, S. 15, 21; auf eine gewisse Rechtsunsicherheit hinweisend auch Basty, Der Bauträgervertrag, 7. Aufl. 2012, Rn. 174.

168 Vgl. DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2010, 181, 184; Herrler, in: Münchener Vertragshandbuch, Bd. 5, 7. Aufl. 2013, S. 225 ff., insb. S. 229 (Endtermin drei bis vier Monate ab Beurkundung; weitestmögliche Erleichterung des Widerrufs); ders., notar 2013, 71, 85 f.; Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 3. Aufl. 2012, Teil 2 Kap. 2 Rn. 766 f. (Immobilienkauf); Teil 2 Kap. 3 Rn. 32 f. (Bauträgervertrag); ders., in: Münchener Vertragshandbuch, Bd. 5, 7. Aufl. 2013, S. 424; Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 6. Aufl. 2012, Rn. 2955 f. (Endtermin sechs bis neun Monate ab Beurkundung überlegenswert; weitestmögliche Erleichterung des Widerrufs); Müller/Klühs, RNotZ 2013, 81, 89; Walter, NotBZ 2012, 81, 84.

169 Formulierungsvorschlag bei Herrler, in: Münchener Vertragshandbuch, Bd. 5, 7. Aufl. 2013, Muster I. 15 b = S. 225.

S. 113 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

b) Entscheidung des V. Zivilsenats vom 7.6.2013 (V ZR 10/12)

In der Entscheidung vom 7.6.2013 hatte sich der V. Zivilsenat des BGH erstmals mit einem derartigen Bindungsfrist-Annahmefrist-Modell zu befassen. Nach Ablauf eines Monats seit Beurkundung des Angebots sollte dieses nicht erlöschen, sondern in stets widerruflicher Weise fortbestehen. Die Annahme erfolgte erst nach Ablauf der Bindungsfrist. Nunmehr verlangt die Klägerin u. a. Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen lastenfreie Rückübertragung der Wohnung, da der Kaufvertrag nicht wirksam zustande gekommen sei.

aa) Unzulässigkeit der unbefristeten Fortgeltungsklausel

Nach Auffassung des V. Zivilsenats hält eine formularmäßige Fortgeltungsklausel einer Prüfung am Maßstab des § 308 Nr. 1 BGB nicht stand. Ausgangspunkt für die Prüfung der Angemessenheit nach § 308 Nr. 1 BGB sei der in § 147 Abs. 2 BGB bezeichnete Zeitraum. Werde formularmäßig ein wesentlich längerer Zeitraum bestimmt, sei die Klausel nur dann wirksam, wenn der Verwender daran ein schutzwürdiges Interesse habe, hinter dem das Interesse des Kunden an dem Wegfall seiner Bindung zurückstehen müsse. Auch eine bloße Fortgeltungsklausel bestimme das Gegenteil von dem, was sich nach § 147 Abs. 2 i. V. m. § 146 BGB ergäbe (kurzfristige Entscheidung im Verkehrsinteresse). Zwar beschränke eine bloße Fortgeltungsklausel den anderen Teil nicht in gleicher Weise wie ein nach § 145 BGB bindendes Angebot in seiner Dispositionsfreiheit, da er sich durch einen Widerruf jederzeit von seinem Angebot lösen könne. Hierdurch würden die mit einer unbefristeten Fortgeltungsklausel für den Antragenden verbundenen Nachteile allerdings nicht annähernd ausgeglichen (ggf. sehr lange Ungewissheit über das Zustandekommen des Vertrages; Zustandekommen des Vertrages noch nach Monaten oder Jahren – Überraschungseffekt). Der BGH hat aber klargestellt, dass die Annahmefähigkeit eines Angebots für den Fall unbefristet aufrechterhalten werden kann, dass es sich nicht um Allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. v. § 305 Abs. 1 BGB handelt und auch § 310 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BGB nicht eingreift.170

bb) Zweifel an der Zulässigkeit der befristeten Fortgeltungsklausel

Ohne dass es im vorliegenden Fall darauf ankäme, befasst sich der Senat auch kurz mit einer Fortgeltungsklausel ohne Endtermin. Aus Sicht des BGH könnten sich

„Bedenken gegen ihre Wirksamkeit […] ungeachtet der Dauer der Befristung daraus ergeben, dass abweichend von der gesetzlichen Regelung über die verspätete Annahme (§ 150 Abs. 1 BGB) nicht der andere Teil als Erstanbietender, sondern stets der Verwender das „letzte Wort“ über das Zustandekommen des Vertrages hat, selbst wenn er den Anbietenden eine unverhältnismäßig lange Zeit über seine Entscheidung zur Annahme des Angebots im Unklaren gelassen hat (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB)“. – Tz. 26

170 Vgl. OLG Celle MDR 2012, 1402 = NotBZ 2012, 386 (Darlegungs- und Beweislast des

Erwerbsinteressenten für Vorformulierung für Vielzahl von Verträgen); Basty, RNotZ 2013, 425, 426.

S. 114 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

c) Stellungnahme

In seiner aktuellen Entscheidung schließt sich der V. Zivilsenat der strengen Linie des OLG Celle an und sieht Fortgeltungsklauseln ohne Endtermin als mit § 308 Nr. 1 BGB unvereinbar an, da ggf. sehr lang Ungewissheit über das Zustandekommen des Vertrages bestehe und eine Zustandekommen des Vertrages noch nach Jahren möglich sei (Überraschungseffekt).171 Auch befristeten Fortgeltungsklauseln begegnet der BGH mit großer Skepsis, wie das obiter dictum in Tz. 26 zeigt, da diese u. U. mit dem gesetzlichen Leitbild in § 150 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren sind.

In der relativ knappen Interessenabwägung scheint sich der BGH allein auf die mit einer unbefristeten Fortgeltung für den Anbietenden verbundenen Nachteile zu fokussieren, ohne „entlastende“ Faktoren hinreichend in den Blick zu nehmen. Im Folgenden soll daher die vom Senat geforderte „wertende Betrachtung der Interessen beider Vertragsteile unter Berücksichtigung der für den Vertragsgegenstand typischen Umstände“ (vgl. Tz. 21) etwas ausführlicher nachgezeichnet bzw. vorgenommen werden, wobei im Hinblick auf die Belastungsintensität zwischen befristeten und unbefristeten Fortgeltungsklauseln zu differenzieren ist.

aa) Unbefristete Fortgeltungsklauseln

(1) Schwebezustand ad infinitum und „überraschender“ Vertragsschluss

Im Ausgangspunkt ist dem V. Zivilsenat darin zuzustimmen, dass infolge einer derartigen Fortgeltungsklausel u. U. ein langer Schwebezustand möglich ist, also für den Anbietenden lange Ungewissheit über das Zustandekommen des Vertrages bestehen bzw. es zu einem Zeitpunkt zum Vertragsschluss kommen kann, in welchem der Anbietende bei verständiger Betrachtung gar nicht mehr mit einer Annahme rechnen musste. Es ist weiterhin richtig, dass der Klauselgegner dadurch - jedenfalls im Grundsatz - auch in seiner Dispositionsfreiheit beeinträchtigt wird.

Insoweit ist aber zweierlei zu bedenken. Zum einen handelt es sich vorliegend – anders als im idealtypischen Fall einer § 308 Nr. 1 HS 1 BGB unterfallenden Klausel – nicht um eine Bindungsfrist, sondern es wird lediglich die Annahmefähigkeit des Angebots bei jederzeitiger Widerruflichkeit aufrechterhalten. Es steht dem Klauselgegner somit frei, durch einseitige Erklärung den Schwebezustand mit ex nunc-Wirkung zu beenden. Der Anbietende dürfte von dem Vertragsschluss in aller Regel auch deshalb nicht überrascht werden, weil es sich bei dem Erwerb einer Immobilie nicht um ein alltägliches Geschäft handelt, das man alsbald aus dem Blick verliert.172

Zuzugeben ist, dass die Dispositionsfreiheit des Anbietenden durch die fortbestehende Annahmefähigkeit insoweit beschränkt wird, als das „Vertragsschlussrisiko“ wegen der Entbehrlichkeit des Zugangs der Annahme gem. § 152 S. 1 BGB nicht bereits mit Absendung bzw. Zugang des Widerrufs beim Vertragspartner entfällt (Gefahr sich kreuzender Erklärungen). Allerdings sollte man die hieraus resultierende Ungewissheit

171 BGH DNotZ 2013, 923 Tz. 24. 172 Basty, RNotZ 2013, 425.

S. 115 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

über die Wirksamkeit des Widerrufs nicht überschätzen. Will sich der Klauselgegner nicht länger an seinem Angebot festhalten lassen, wird er den Widerruf des Angebots entweder persönlich übergeben oder mit eingeschriebenem Brief an den Angebotsempfänger senden und sich nach Erhalt der Empfangsbestätigung bei jenem und/oder bei dem Vollzugsnotar erkundigen, ob die Annahme bereits erfolgt ist. Auf diese Weise lässt sich regelmäßig innerhalb weniger Tage feststellen, ob der Anbietende seine Dispositionsfreiheit zurück gewonnen hat. In Sachen Beeinträchtigungsintensität bleibt ein jederzeit widerrufliches Angebot somit deutlich hinter einem bindenden Angebot zurück.

(2) Aktive Beseitigung des Schwebezustands

Ein aktives Verhalten zur Beseitigung des Vertragsschlussrisikos ist dem Anbietenden auch nicht schlechterdings unzumutbar. Aus der in § 145 BGB angelegten Unterscheidung zwischen Bindungs- und Annahmefrist folgt zwangsläufig, dass der Widerruf des Angebots während der fortbestehenden Annahmefähigkeit als ein dem Anbietenden grundsätzlich zumutbares Verhalten angesehen wird. Anderenfalls würde sich die Annahmefrist stets als Bindungsfrist darstellen. Hinzu kommt, dass eine Vielzahl von (überwiegend verbraucherschützenden) Normen dem jeweiligen Adressaten als zentrales Schutzelement eine Widerrufsmöglichkeit bzw. -obliegenheit einräumen (u. a. §§ 312, 312d, 495 BGB). Gegen die Zumutbarkeit eines aktiven Verhaltens bestehen nur dann durchgreifende Bedenken, wenn nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht wird, dass, wie und ab wann der Anbietende sein fortbestehendes Angebot zurückziehen kann. Die betreffende Regelung darf also weder überraschend noch unklar formuliert sein (§§ 305c, 307 Abs. 1 S. 2 BGB).173 Sofern diese Anforderungen jedoch erfüllt werden, besteht kein Anlass, den Anbietenden vor sich selbst (vor der eigenen Trägheit o.Ä.) zu schützen.

(3) Vorteile der fortbestehenden Annahmefähigkeit

Im Rahmen der wertenden Betrachtung der Interessen beider Vertragsteile ist weiterhin zu berücksichtigen, dass eine Fortgeltungsklausel nicht allein den Interessen des Klauselverwenders dient. Vielmehr ist der Anbietende, der sich die Abgabe des Angebots schon wegen der 2-wöchigen-Überlegungsfrist des § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG reiflich überlegt haben dürfte, in aller Regel nach fruchtlosem Ablauf der kurzen Bindungsfrist weiterhin am Vertragsschluss interessiert. Würde das Angebot notwendig mit Ablauf der Bindungsfrist erlöschen, wären der erneute Gang zum Notar und die erneute Abgabe eines kostenpflichtigen Angebots erforderlich. Durch die fortbestehende Annahmefähigkeit wird ein aus Sicht des Anbietenden unerwünschter Automatismus vermieden. Dies gilt umso mehr, wenn der Kaufinteressent bewusst

173 Aus diesem Grund die „Umdeutung“ einer unangemessen langen Bindungsfrist in eine

lediglich fortbestehende Annahmefähigkeit des Angebots im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ablehnend Thode, ZNotP 2005, 162, 165.

S. 116 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

sehr frühzeitig ein entsprechendes Angebot abgegeben hat, um sich ein „Filetstück“ in der Wohnungseigentumsanlage zu sichern.174

Im Übrigen könnte die Verneinung der fortbestehenden Annahmefähigkeit des Angebots für den Klauselgegner auch Nachteile bringen, insbesondere, wenn er im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Kaufvertrages den Kaufpreis geleistet hat. Zwar dürfte ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch des Klauselverwenders selbst ausscheiden. Sobald Drittinteressen betroffen sind - ggf. auch bei Handeln des Insolvenzverwalters als Gläubigervertreter -, stellt sich die Lage aber schon differenzierter dar. Noch nicht geklärt ist ferner, ob die Eigentumsvormerkung der strengen Akzessorietät zum Opfer fällt und ob der Eigentumsübergang geglückt ist, wenn der Klauselverwender die Auflassung (auch) kraft der im (erloschenen) Angebot enthaltenen Vollmacht erklärt hat.

(4) „Rechtmäßiges Alternativverhalten“

Schließlich hat man sich die Steuerungswirkung der vom BGH vorgenommenen Interessenabwägung zu vergegenwärtigen. Als „rechtmäßiges Alternativverhalten“ steht den Parteien der Vertragsschluss durch Vertreter ohne Vertretungsmacht zur Verfügung, d. h. entweder schließt der Erwerbsinteressent den Vertrag zugleich als vollmachtloser Vertreter ab oder ein nicht bevollmächtigter Angestellter des Unternehmers nimmt am Beurkundungstermin teil. In diesem Fall hängt die Wirksamkeit des Vertrages von der Genehmigung des Vertretenen ab, die ohne jede Höchstfrist erteilt werden kann. Anders als bei einem Angebot mit Fortgeltungsklausel hat der Erwerbsinteressent aufgrund der Offenlegung des Mangels der Vertretungsmacht kein Widerrufsrecht (vgl. § 178 S. 1 BGB), sondern kann lediglich nach § 177 Abs. 2 BGB vorgehen (zweiwöchige Entscheidungsfrist). Zwar könnte diese Aufforderung unmittelbar nach Vertragsschluss erfolgen. Da dem Erwerbsinteressenten aber primär an einem Zustandekommen des Vertrages gelegen ist, stellt dies keine realistische Handlungsoption dar, so dass der vorgenannte Vorteil des Vertragsschlusses durch Vertreter ohne Vertretungsmacht bei typisierender Betrachtung nicht ins Gewicht fällt.175

Per Saldo erweist sich der Vertragsschluss durch Vertreter ohne Vertretungsmacht für den schutzbedürftigen Erwerbsinteressenten daher als deutlich nachteiliger als ein Angebot mit kurzer Bindungsfrist und unbefristet fortbestehender Annahmefähigkeit bei jederzeitiger Widerruflichkeit. Die Annahme eines Umgehungsgeschäfts i. S. v. § 306a BGB dürfte ausscheiden, da es sich bei § 177 BGB um ein gesetzlich vorgesehenes Modell handelt, auf das in rechtmäßiger Weise zurückgegriffen werden kann. Vor diesem Hintergrund überzeugt es weder in tatsächlicher Hinsicht noch bei systematischer Betrachtung, dass der V. Zivilsenat das in § 177 BGB normierte

174 Eine Garantie, dass nicht doch an einen anderen Interessenten verkauft wird, hat der

Anbietende freilich nicht. 175 Herrler/Suttmann, DNotZ 2010, 883, 893.

S. 117 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Vertragsschlussmodell als für die Prüfung der Fortgeltungsklausel gänzlich außer Betracht lässt.

(5) Aber: Fehlendes berechtigtes Interesse an Annahmemöglichkeit ad infinitum

Ungeachtet dessen, dass der Schutzzweck von § 308 Nr. 1 BGB nur teilweise einschlägig ist, die vom Senat angeführten Nachteile durchaus beherrschbar erscheinen und eine Fortgeltungsklausel Vorteile für den Anbietenden mit sich bringt, ist dem Unangemessenheitsverdikt des BGH im Ergebnis zuzustimmen, da ein berechtigtes Interesse der Verwender an einer Annahmefähigkeit des Angebots ad infinitum nicht erkennbar ist.

cc) Befristete Fortgeltungsklauseln

Im obiter dictum in Tz. 26 bringt der BGH seine Tendenz zum Ausdruck, das Unangemessenheitsverdikt ebenso bei zeitlich begrenzter Annahmefähigkeit des Angebots auszusprechen. Die für die Unangemessenheit der unbefristeten Fortgeltungsklausel angeführten Argumente fallen bei Bestimmung eines Endtermins abhängig von der Zeitdauer der Annahmefähigkeit entweder gänzlich weg oder sind jedenfalls nur noch beschränkt einschlägig. Wird die Annahmefähigkeit z. B. lediglich für einen Zeitraum von drei bis vier Monaten ab Beurkundung aufrechterhalten, fehlt es an einem Überraschungsmoment und – wegen der jederzeitigen Widerrufsmöglichkeit – ebenso an einem langen Schwebezeitraum, insbesondere wenn dem Anbietenden der Widerruf erleichtert wird (Abbedingung von § 152 S. 1 BGB, Zeitpunkt der Absendung für Rechtzeitigkeit maßgebend). Das Ergebnis der Interessenabwägung scheint also nicht vorgezeichnet, sondern von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig zu sein.

All dies ist dem V. Zivilsenat offenbar bewusst, da er nicht auf das spezielle Klauselverbot in § 308 Nr. 1 BGB, sondern auf § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB rekurriert. Wäre die Fortgeltungsklausel mit einem „wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung“ unvereinbar, würde dies die Abwägung prägen und regelmäßig zur Unangemessenheit führen. Im Ergebnis würde der Maßstab für Bindungsfristen ebenfalls für (bloße) Annahmefristen gelten. Daher ist vorrangig zu klären, ob es sich bei § 150 Abs. 1 BGB um ein gesetzliches Leitbild i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB handelt.

(1) Leitbildcharakter von § 150 Abs. 1 BGB?

Für die bislang noch nicht geklärte Frage, ob der Fiktion in § 150 Abs. 1 BGB Leitbildfunktion zukommt, kommt es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung darauf an, ob sich diese Regelung als „Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots darstellt“ oder ob sie „nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht“.176 Gewisse Zweifel an der Qualifizierung von § 150 Abs. 1 BGB als Leitbild resultieren bereits daraus, dass eine verspätete Annahme nicht stets als neues Angebot behandelt wird (vgl. § 149 BGB). Dem mag man den Ausnahmecharakter von § 149 BGB entgegen halten. Schwerer

176 BGH NJW 1997, 1700, 1701 m. w. N.

S. 118 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

wiegt, dass § 150 Abs. 1 BGB keine (typische und daher ggf. schutzwürdige) Erwartungshaltung des Anbietenden widerspiegelt. Letzterer geht im Falle einer verspäteten Annahme typischerweise nicht davon aus, dass die Entscheidung über den Vertragsschluss nunmehr allein in seinen Händen liegt. Die Angebotsfiktion in § 150 Abs. 1 BGB dient lediglich dem Zweck, trotz verspäteter Annahme einen vielfach weiterhin beiderseits angestrebten Vertragsschluss zu erleichtern, insbesondere im Falle des Leistungsaustausches in Unkenntnis der verspäteten Annahme.

Hinzu kommt, dass diese Regelung des § 150 Abs. 1 BGB in den Gesetzesberatungen zum BGB nicht unumstritten war.177 Ebenso wenig findet sich in den Materialien eine Rechtfertigung der Fiktion eines neuen Angebots samt Bindung nach Maßgabe von § 147 Abs. 2 BGB. Dass § 150 Abs. 1 BGB primär Zweckmäßigkeitserwägungen zugrunde liegen, wird dadurch unterstrichen, dass zahlreiche Modellgesetze eine verspätete Annahme nicht als neues Angebot fingieren, sondern grundsätzlich von einem Scheitern des Vertragsschlusses ausgehen. Nur bei unverzüglicher Reaktion des Anbietenden soll etwas anderes gelten (vgl. Art. 2:207 PECL, Art. 21 Abs. 1 CISG, jüngst Art. 37 Abs. 1 CESL-E178). Auch im Vergleich der europäischen Rechtsordnungen ist eine § 150 Abs. 1 BGB entsprechende Regelung nicht allgemein oder auch nur überwiegend etabliert.179

Vor diesem Hintergrund liegt es jedenfalls nicht auf der Hand, § 150 Abs. 1 BGB als den „im Lichte der Gerechtigkeitsidee einzig denkbaren Interessenausgleich“180 und damit als Leitbild i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB anzusehen.

(2) Zusätzliche Erwägungen im Rahmen der Angemessenheitsprüfung

Im Rahmen der vorzunehmenden „allgemeinen“ Angemessenheitsprüfung (§ 308 Nr. 1, § 307 Abs. 1 S. 1 BGB) sind neben den bereits unter Ziff. 1 angesprochenen Aspekten vor allem die Länge der Annahmefrist und das konkrete Interesse des Klauselverwenders am Fortbestehen des Angebots von Bedeutung. Es ist zu berücksichtigen, dass bloße Fortgeltungsklauseln die Dispositionsfreiheit des Anbietenden nur geringfügig beeinträchtigen. Jener kann zwar den Vertragsschluss nicht einseitig herbeiführen, den (ohnehin zeitlich befristeten) Schwebezustand aber jederzeit beenden. Insoweit steht ihm – wenn man so will - auch das letzte Wort zu. Ein generelles Unangemessenheitsverdikt hätte zur Folge, dass eine formularmäßige bloße Annahmefrist ungeachtet der im Vergleich zur Bindungsfrist deutlich geringeren Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Klauselgegners stets an den für Letztere geltenden Maßstäben zu messen wäre. Hierdurch würde die in § 145 BGB angelegte Differenzierung für die Zwecke der Klauselkontrolle gänzlich ausgehebelt.

177 Vgl. Gegenantrag bei Jakobs/Schubert (Hrsg.), Die Beratungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs,

Allgemeiner Teil, 1985, §§ 145-156, S. 801 oben (zu § 17). 178 Vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein

Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, KOM (2011) 635 endgültig. 179 Vgl. Überblick bei v. Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Teile I

und II, 2002, S. 197, Anmerkungen Ziff. 1. 180 Staudinger/Coester, BGB, Neubearb. 2013, § 307 Rn. 230.

S. 119 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Mit Blick darauf erscheint es nicht fernliegend, dass auch ein Interesse, das u. U. keine oder eine nur geringfügig längere Bindungsfrist zu rechtfertigen vermag, für eine fortdauernde Annahmefähigkeit fruchtbar gemacht werden kann. Zu denken ist insoweit neben der noch nicht abgeschlossenen Klärung der baurechtlichen Zulässigkeit insbesondere an das sog. Platzierungsinteresse bei der Veräußerung noch zu errichtender Immobilien. Gerade die Finanzierung von Großvorhaben wird sich in aller Regel nicht innerhalb des vom BGH akzeptierten 4-wöchigen Bindungszeitraums klären lassen. Zwar ist dies grundsätzlich Sache des Veräußerers, doch dient die vorherige Klärung der Realisierbarkeit des Projekts letztlich zugleich dem Erwerber, der das Fertigstellungsrisiko trägt.181

Wird bei der Urkundsgestaltung das Transparenzgebot beachtet, der Anbietende also ausreichend über die ihm im Zeitraum der fortbestehenden Annahmefähigkeit zustehenden Rechte informiert, droht keine ein generelles Unangemessenheitsverdikt rechtfertigende Beeinträchtigung der Schutzgüter des § 308 Nr. 1 BGB. Alternative Gestaltungsvarianten (§ 177 BGB), die nicht der Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 307-309 BGB unterliegen, sind für den Erwerbsinteressenten in aller Regel mit zusätzlichen Belastungen verbunden (typischerweise – jedenfalls faktisch – längere Einschränkung der Dispositionsfreiheit).

(3) Fazit: Kein pauschales Unangemessenheitsurteil

Das Unangemessenheitsverdikt betreffend unbefristete Fortgeltungsklauseln lässt sich daher nicht ohne Berücksichtigung der näheren Umstände des Einzelfalls auf befristete Fortgeltungsklauseln übertragen. Allein der Verweis darauf, dass stets der Klauselverwender letztverbindlich über das Zustandekommen des Vertrages entscheidet, genügt insoweit nicht. Vielmehr ist in jedem Einzelfall eine wertende Betrachtung der Interessen beider Vertragsteile vorzunehmen.

181 Vgl. BGH DNotZ 2011, 273 Tz. 19-21.

S. 120 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

2. BGH, Urt. v. 27.9.2013 (V ZR 52/12): 4-wöchige Regelbindungsfrist auch beim Bauträgervertrag

In seiner Entscheidung vom 11.6.2010 bezifferte der BGH die Regelbindungsfrist für ein Angebot auf Abschluss eines Grundstückskaufvertrags auf vier Wochen. Ob diese bei einem anvisierten Vertrag über eine noch zu errichtende Immobilie ebenfalls gelte, konnte der V. Zivilsenat damals offen lassen.182 Handelt es sich bei dem Vertragsgegenstand nicht um eine bereits fertiggestellte Immobilie, muss der Bauträger seiner finanzierenden Bank vielfach als „Eigenkapitalersatz“ die Platzierung einer hinreichenden Anzahl von Einheiten nachweisen, bevor der Kredit freigegeben wird (sog. Abverkaufsquote). Gerade bei größeren Bauprojekten dürfte eine über vier Wochen hinausgehende Bindungsfrist bzw. jedenfalls eine nach Ablauf von vier Wochen fortbestehende Annahmefähigkeit des Angebots183 nicht selten überhaupt erst die Finanzierung und damit die Realisierung des Vorhabens ermöglichen. Denn bei großen Wohnungseigentumsanlagen wird sich die von finanzierenden Banken häufig verlangte Abverkaufsquote (von z. B. 70 %) kaum je innerhalb eines 4-wöchigen Zeitraums erreichen lassen, zumal wohl nahezu ausnahmslos die 2-Wochen-Frist des § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG zu beachten ist. Bis zur vorliegenden Entscheidung des V. Zivilsenats war nicht höchstrichterlich geklärt, ob bei Verträgen über noch zu errichtende Immobilien generell eine längere als die in der Entscheidung vom 11.6.2010 postulierte 4-wöchige Regelbindungsfrist i. S. v. § 147 Abs. 2 BGB anzunehmen ist. Während der BGH dies in der vorgenannten Entscheidung in einem obiter dictum bezweifelt hatte,184 hielten einzelne Oberlandesgerichte eine längere Regelbindungsfrist jedenfalls im Grundsatz für möglich,185 ohne dass diese Frage aber je streitentscheidend gewesen wäre.

a) Grds. keine Sonderbehandlung des Bauträgervertrags im Rahmen von § 147 Abs. 2 BGB

In seinem Urteil vom 27.9.2013 hat der V. Zivilsenat einer Sonderbehandlung von Verträgen über noch zu errichtende Immobilien nunmehr eine Absage erteilt. Die 4-wöchige Regelbindungsfrist i. S. v. § 147 Abs. 2 BGB finde vielmehr auch beim Bauträgervertrag Anwendung. Da das Erfordernis einer Platzierungsphase von der

182 BGH DNotZ 2010, 913. 183 Zur strengen Behandlung bloßer Fortgeltungsklauseln vgl. BGH DNotZ 2013, 923. 184 BGH DNotZ 2010, 913 Tz. .13. 185 So OLG Dresden DNotZ 2012, 374; OLG Nürnberg MittBayNot 2012, 461. Vgl. im Übrigen

die Nachweise zum Streitstand in BGH ZfIR 2014, 51 Tz. 12.

S. 121 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Finanzkraft des Bauträgers und den Vermarktungschancen des Vorhabens abhänge, sei nach der Verkehrsanschauung nicht typischerweise anzunehmen, dass die Entscheidung über die Annahme erst nach Vorliegen einer hinreichend großen Anzahl von Angeboten falle. Somit scheide eine generelle Verlängerung der für den Immobilienkaufvertrag geltenden Regelbindungsfrist aus („unter regelmäßigen Umständen“, § 147 Abs. 2 BGB). In diesem Zusammenhang hat der BGH zutreffend darauf hingewiesen, dass das (berechtigte) Interesse an einer längeren Bindungsfrist im Übrigen mit Erreichen der geforderten Abverkaufsquote entfalle,186 selbst wenn eine Platzierungsphase im Einzelfall notwendig ist.187

Der Senat hat aber zugleich klargestellt, dass eine auch erheblich über die Regelbindungsfrist hinausgehende formularmäßige Bindungsfrist beim Bauträgervertrag nicht generell unangemessen benachteiligend i. S. v. § 308 Nr. 1 BGB sein muss. Vielmehr können im Einzelfall schutzwürdige Interessen des Klauselverwenders vorliegen, welche das Interesse des anderen Teils an einer zeitnahen Entscheidung über die Annahme überwiegen und daher eine längere Bindung rechtfertigen. Welche Interessen hierfür in Betracht kommen, hat der BGH indes weitgehend offen gelassen (hierzu unten Ziff. III. 1). Eine Bindungsfrist von mehr als drei Monaten ist nach Ansicht des BGH jedoch unabhängig von der Interessenlage im Einzelfall in keinem Fall angemessen i. S. v. § 308 Nr. 1 BGB, da der in seiner Annahmeentscheidung völlig freie Verkäufer in diesem Zeitraum auf Kosten des Anbietenden, der seine Dispositionsfreiheit gänzlich verliere, spekulieren könne.188

b) Konsequenzen für die Gestaltungspraxis

Ebenso wie schon das Versäumnisurteil vom 7.6.2013 erfreut die jüngst Entscheidung des V. Zivilsenats ebenfalls wieder mit klaren Aussagen, welche der Praxis (im Rahmen des Möglichen) verlässliche Leitlinien für eine künftige rechtssichere Gestaltung an die Hand geben. Auch wenn exakte Zeitangaben aufgrund der Vielgestaltigkeit der denkbaren kollidierenden Interessen durchaus nicht unproblematisch sind, ist es sehr zu begrüßen, dass sich der BGH nicht nur zur Regelbindungsfrist beim Bauträgervertrag geäußert und die konkret vereinbarte Bindungsfrist für unangemessen benachteiligend angesehen, sondern darüber hinausgehend eine absolute Obergrenze von drei Monaten für eine einseitige Bindung

186 Und vor diesem Zeitpunkt mit jedem weiteren Angebot kontinuierlich abnimmt. 187 BGH ZfIR 2014, 51 Tz. 12. Kritisch insoweit Reichelt/Kruska, ZfIR 2014, 55, 57 f. 188 BGH ZfIR 2014, 51 Tz. 16.

S. 122 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

im formularmäßigen Angebot auf Erwerb einer noch zu errichtenden Immobilie festgelegt hat.

aa) Sachgründe und Länge der Bindungsfrist

Eine die (4-wöchige) Regelbindungsfrist i. S. v. § 147 Abs. 2 BGB erheblich übersteigende Bindungsfrist (vgl. hierzu unten Ziff. II. 4) kann im formularmäßigen Angebot von vornherein nur dann wirksam sein, „wenn der Verwender hierfür ein schutzwürdiges Interesse geltend machen kann.“189 In einem ersten Schritt gilt es in derartigen Konstellationen also festzustellen, ob überhaupt ein relevanter Sachgrund auf Seiten des Klauselverwenders vorliegt, der für sich genommen geeignet ist, eine längere Einschränkung der Dispositionsfreiheit des anderen Teils zu rechtfertigen.

(1) Schutzwürdige Interessen des Klauselverwenders

Generell relevant im Rahmen der Angemessenheitsprüfung i. S. v. § 308 Nr. 1 BGB sind der Sphäre des Klauselgegners zuzuordnende Umstände, insbesondere Sonderwünsche, deren Abklärung einen erheblichen zeitlichen und finanziellen, bei Nichtabschluss verlorenen Aufwand erfordert. Grundsätzlich nicht relevant sind hingegen der Sphäre des Klauselverwenders zuzurechnende Umstände (Abklärung der eigenen Erfüllungsfähigkeit, Bonitätsprüfung des Kunden).190 Gleichwohl hat der Senat die Gewährleistung der Durchführbarkeit des Gesamtprojekts durch Sicherstellung der Gesamtfinanzierung nicht von vornherein als unbeachtlich verworfen, wohl nicht zuletzt mit Blick darauf, dass der Käufer trotz der Schutzmechanismen der MaBV das Fertigstellungsrisiko zu tragen hat.191 Gleiches gilt für die steuerlichen Rahmenbedingungen, wonach bestimmte Sonderabschreibungen nur gewährt werden, wenn mit den Sanierungsarbeiten erst nach Vertragsschluss begonnen wurde (§ 7i Abs. 1 S. 5 EStG). Letzteres liege daher „im wohlverstandenen Interesse sämtlicher Erwerber“.192

Zwar konnte der BGH wegen der drei Monate übersteigenden Bindungsfrist offen lassen, ob die vorgenannten Interessen des Verwenders als schutzwürdig i. S. v. § 308 Nr. 1 BGB anzusehen sind.193 Die nicht tragenden Ausführungen des Senats deuten

189 BGH DNotZ 2010, 913 Tz. 8. 190 BGH DNotZ 2010, 913 Tz. 9. 191 Vgl. zu diesem Aspekt in anderem Kontext bereits BGH DNotZ 2011, 273. 192 BGH ZfIR 2014, 51 Tz. 15. 193 BGH ZfIR 2014, 51 Tz. 16 („Selbst wenn dies ein schutzwürdiges Interessen […] begründen

sollte“).

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jedoch m. E. darauf hin, dass das Platzierungsinteresse ebenso wie steuerliche Anforderungen an Sonderabschreibungen - gerade wegen der Bedeutung auch für die Erwerber - durchaus im Grunde einen Sachgrund für eine vier Wochen erheblich übersteigende Bindungsfrist darstellen, was auch sachgerecht erscheint.194 Jedenfalls unter dieser Prämisse dürfte eine noch ausstehende abschließende Klärung der baurechtlichen Zulässigkeit ebenso ein schutzwürdiges Interesse des Verwenders an einer längeren Bindungsfrist begründen.195

(2) Im Einzelfall zulässige Bindungsfrist

Eine formularmäßige Bindungsfrist von drei Monaten dürfte indes der Inhaltskontrolle am Maßstab des § 308 Nr. 1 BGB kaum je standhalten. Dies würde voraussetzen, dass das schutzwürdige Verwenderinteresse gegenüber dem „Interesse des Kunden an dem baldigen Wegfall seiner Bindung“ mit Blick auf die konkrete

Länge der Bindungsfrist vorrangig ist.196 Nach den Ausführungen in Tz. 16 sieht der Senat in der Bindung und dem darin begründeten Verlust der eigenen Dispositionsfreiheit eine erhebliche Beeinträchtigung der Interessen des Anbietenden und spiegelbildlich eine einseitige Bevorzugung des Angebotsempfängers. Daher dürften bei der Gesamtabwägung die Beschränkungen, die der Anbietende hinzunehmen hat, mit zunehmender Fristlänge wohl überproportional in Rechnung zu stellen sein.

Das bloße Platzierungsinteresse wird allenfalls geeignet sein, einen sechs-, im äußersten Fall achtwöchigen Bindungszeitraum zu rechtfertigen, Letzteres wohl nur dann, wenn der Anbietende selbst an einer frühzeitigen Abgabe seines Angebots interessiert ist (Sicherung eines „Filetstücks“ o.Ä.).197 Im Anwendungsbereich des § 7i Abs. 1 EStG dürfte eine längere Bindung ebenfalls kaum je zulässig sein.

Schließlich ist es bei vier Wochen erheblich übersteigenden Bindungsfristen stets ratsam, das konkrete Interesse des Klauselverwenders an der langen Bindungsfrist gegenüber dem anderen offenzulegen, idealiter in der Urkunde selbst, auch wenn noch nicht abschließend geklärt ist, ob und wenn ja, wie dieser Umstand zu berücksichtigen ist. Näher zu etwaigen Folgen der Offenlegung des (mit-)bestimmenden Motivs für die Zulässigkeit einer längeren Bindungsfrist unten lit. c.

194 Zweifelnd Hertel, ZfIR 2013, 769, 771. Zu der sich dadurch rechtfertigenden Länge der

Bindungsfrist sogleich unter (2). 195 Eine Vorklärung dürfte freilich in jedem Fall empfehlenswert sein. 196 BGH DNotZ 2010, 913 Tz. 8. 197 Großzügiger insoweit wohl Reichelt/Kruska, ZfIR 2014, 55, 57.

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Trotz der grundsätzlichen Offenheit des BGH für formularmäßige Bindungsfristen von (erheblich) längerer Dauer als vier Wochen wird man bei der Vertragsgestaltung eher nicht darauf vertrauen, dass die im Einzelfall gewählte Bindungsfrist von beispielsweise sechs, sieben oder acht Wochen noch als angemessen i. S. v. § 308 Nr. 1 BGB angesehen wird, da weitgehend ungeklärt ist, welche Umstände im Rahmen der Angemessenheitsprüfung Berücksichtigung finden und mit welchem Gewicht. Die Frage, ob und wenn ja, welche Bindungsfrist im Einzelfall gerade noch zulässig ist, wird sich vielmehr vorrangig im Hinblick auf bereits abgeschlossene Sachverhalte stellen.

bb) Vertragliche Gestaltungsmodelle

Wie künftig zu verfahren ist, wenn der Klauselverwender eine vier Wochen erheblich übersteigende Bindungsfrist wünscht, hat der BGH in Tz. 17 der Entscheidung vom 27.9.2013 angedeutet. Längere formularmäßige „Bindungsfristen“ als drei Monate sind nach Ansicht des V. Zivilsenats von vornherein nur auf vertraglicher Grundlage denkbar, sei es in Gestalt einer Bedingungseintrittsfrist beim aufschiebend bedingten Vertragsschluss, sei es in Gestalt einer Rücktrittsfrist bei formularmäßiger Vereinbarung eines Rücktrittsrechts.198 Das vertragliche Gestaltungsmodell hat für den Erwerbsinteressenten den Vorteil, dass auch auf Seiten seines Vertragspartners bereits vertragliche Pflichten begründet werden, jedenfalls Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB, darüber hinausgehend die Pflicht zur Kostentragung bei Scheitern des Vertragsschlusses und ggf. die Verpflichtung, im Rahmen der Zumutbarkeit alles Erforderliche zu tun, damit die wechselseitigen Rechte und Pflichten endgültig zur Entstehung gelangen.199 Sofern der Eintritt der Bedingung bzw. der zum Rücktritt berechtigenden Umstände nicht bewusst in das freie Belieben des Klauselverwenders gestellt wird – unter diesen Umständen dürften hinsichtlich der zulässigen Länge der Bindungsfrist ohnehin die dargestellten Maßstäbe gelten -, ist es jenem verwehrt, auf Kosten des anderen Teils zu spekulieren (Eintritts- bzw. Nichteintrittsfiktion nach § 162 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB analog).200

Aus steuerlicher Sicht ist der aufschiebend bedingte Vertragsschluss gegenüber dem vorbehaltenen Rücktrittsrecht im Vorteil, da die Grunderwerbsteuer nach § 14 Nr. 1

198 Dass die im Einzelfall gewählte vertragliche „Bindungsfrist“ der AGB-Kontrolle standhält, ist

damit freilich noch nicht gesagt, so dass sich auch bei vertraglichen Gestaltungsmodellen Zurückhaltung empfiehlt.

199 Für einen zumindest weitgehenden Gleichlauf von § 308 Nr. 1 und § 308 Nr. 3 BGB gleichwohl Hertel, ZfIR 2013, 769, 771.

200 Vgl. Herrler, DNotZ 2013, 887, 910, 912, auch zum Einwand eines etwaigen „Vollzugsdefizits“.

S. 125 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

GrEStG erst mit Bedingungseintritt entsteht und nicht bei Scheitern des Vertrages nach Maßgabe von § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG zurückgefordert werden muss. Beim formularmäßigen Rücktrittsrecht dürfte allerdings eine etwas längere „Bindungsfrist“ zulässig sein, da dort der Unternehmer aktiv werden muss, um die bereits wirksam entstandenen vertraglichen Pflichten wieder zu beseitigen, und der Rücktrittsgrund im Übrigen - über seine sachliche Rechtfertigung hinaus - konkret im Vertrag anzugeben ist (Transparenzerfordernis, vgl. § 308 Nr. 3 BGB). Sofern die „Bindungsfrist“ im Einzelfall analog § 308 Nr. 1 bzw. nach § 308 Nr. 3 BGB unangemessen benachteiligend sein sollte, wird die Wirksamkeit des Vertragsschlusses beim Rücktrittsrecht hiervon nicht beeinträchtigt. Etwaige Streitigkeit hinsichtlich der Wirksamkeit des erklärten Rücktritts dürften zeitnah ausgetragen werden.

Vgl. näher zu vertraglichen Gestaltungen mit Formulierungsvorschlägen unten Ziff. 3.

cc) Individualvertrag als Ausweg?

An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die vorstehend beschriebene strenge Kontrolle der Bindungsfrist nur im Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB eingreift. Aus diesem Grund hat der BGH auch bereits (zumindest) zweimal an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit dieses aufklären möge, ob eine Individualvereinbarung oder AGB vorliegen bzw. jedenfalls die Inhaltskontrolle nach § 310 Abs. 3 BGB zur Anwendung gelangt.201 Sofern es sich bei der Bindungsfrist also um eine Individualvereinbarung handelt, sind lange Bindungsfristen nur an den allgemeinen Grenzen zu messen (u. a. §§ 138, 242 BGB), so dass ein weitgehender Gestaltungsspielraum besteht.

Das individualvertragliche Aushandeln der Bindungsklausel wird daher mitunter als Ausweg angesehen, um die strenge AGB-rechtliche Inhaltskontrolle zu vermeiden.202 Im Einzelfall wird man mit dieser Gestaltung ggf. Abhilfe schaffen können, wenn der Klauselverwender dem anderen Teil einen echten Spielraum zur Wahrung eigener Interessen lässt. Ob es sich hierbei wirklich um einen allgemeintauglichen „Königsweg“ handelt, scheint mir aber zweifelhaft. Jedenfalls bei Beteiligung eines Unternehmers dürfte die Inhaltskontrolle in aller Regel über § 310 Abs. 3 BGB eröffnet sein.203

201 BGH DNotZ 2013, 923 Tz. 28 ff.; BGH, Versäumnisurt. v. 22.11.2013 – V ZR 229/12,

Tz. 15 ff., n.v. 202 Reichelt/Kruska, ZfIR 2014, 55, 57. 203 Vgl. einerseits OLG Celle MDR 2012, 1402 = NotBZ 2012, 386, andererseits Herrler, notar

2013, 71, 81.

S. 126 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

c) Relevanz der Offenlegung des Motivs für eine längere Bindungsfrist(?)

Ob die Offenlegung des (mit-)bestimmenden Motivs für die im konkreten Fall gewählte Bindungsfrist von Bedeutung für deren Angemessenheit ist, konnte der Senat vorliegend dahinstehen lassen, da der Anbietende über die Hintergründe der bzw. Motive für die lange(n) Bindungsfrist nicht informiert worden war.204 Hätte der Klauselverwender hingegen dem Anbietenden, z. B. im vorgegebenen Text des Angebots bzw. in einem Begleitschreiben, erläutert, dass er das Angebot erst annehmen werde, wenn Angebote für sämtliche Einheiten des Objekts vorliegen, weil nur auf diese Weise sichergestellt sei, dass die Sonderabschreibungen nach § 7i EStG für sämtliche Einheiten in Anspruch genommen werden können, bzw. weil die finanzierende Bank dies als Voraussetzung für die Bewilligung des erforderlichen Kredits verlange, könnte dieser Umstand zum einen bei der Interessenabwägung im Rahmen der AGB-Kontrolle zu berücksichtigen sein oder auf vorgelagerter Ebene eine Verlängerung des Zeitraums zur Folge haben, in welchem der Antragende den Eingang der Annahme unter regelmäßigen Umständen erwarten darf (§ 147 Abs. 2 BGB).

Auch wenn diese Erwägung in Tz. 13 nach dem Wortlaut der Entscheidung nicht im Hinblick auf die Regelbindungsfrist nach § 147 Abs. 2 BGB, sondern in Verbindung mit § 308 Nr. 1 BGB angeführt wird und sich der BGH daher unter dem Gesichtspunkt der Transparenz sogleich der Angemessenheitsprüfung gem. § 308 Nr. 1 BGB zuzuwenden scheint, sind grundsätzlich zunächst die etwaigen Auswirkungen der Offenlegung auf die Regelbindungsfrist nach § 147 Abs. 2 BGB zu erörtern, da deren Länge die Grundlage der Angemessenheitsprüfung gem. § 308 Nr. 1 BGB bildet.205 Bei den in Tz. 13 in Bezug genommenen Ausführungen der Entscheidung vom 11.6.2010206 (dort Tz. 12) geht es denn auch um die „unter regelmäßigen Umständen“ zu erwartende Frist i. S. v. § 147 Abs. 2 BGB.

aa) Allgemeine Kriterien für die Bemessung der Annahmefrist nach § 147 Abs. 2 BGB

Für die nach objektiven Maßstäben zu bemessende gesetzliche Annahmefrist i. S. v. § 147 Abs. 2 BGB kommt es darauf an, wann ein verständiger Dritter in der Person des Anbietenden „unter regelmäßigen Umständen“ mit einer Antwort rechnet. Abgesehen von der Übermittlungsdauer von Angebot und Annahme fallen

204 Vgl. BGH ZfIR 2014, 51 Tz. 15. 205 Vgl. auch den Verweis in Tz. 13 auf die Entscheidung vom 11.6.2010 Tz. 12 (Relevanz von

besonderen absehbaren Verzögerungen). 206 BGH DNotZ 2010, 913.

S. 127 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

insbesondere die zu erwartende Bearbeitungs- und Überlegungsfrist des Angebotsempfängers ins Gewicht. Teilweise wird insoweit – wohl mit Blick auf den Wortlaut von § 147 Abs. 2 BGB - eine generalisierende, von den besonderen Einzelfallumständen losgelöste Betrachtungsweise zugrunde gelegt.207 Die überwiegende Ansicht will hingegen im Einklang mit den Gesetzesmaterialien besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigen, sofern sie dem Antragenden bekannt oder jedenfalls erkennbar sind, und die Regelbindungsfrist i. S. v. § 147 Abs. 2 BGB damit konkret individuell festlegen.208

Bei der Bestimmung der „regelmäßigen“ Annahmefrist handelt es sich letztlich stets um eine Wertungsfrage, bei welcher die berechtigten Interessen von Antragendem und Angebotsempfänger in Ausgleich zu bringen sind. Dem Wortlaut von § 147 Abs. 2 BGB lässt sich insoweit lediglich entnehmen, dass nicht jegliche Übermittlungsschwierigkeit oder Verzögerung in der Sphäre des Empfängers von Bedeutung ist. Eine generalisierende, typisierende Betrachtungsweise wird demgegenüber nicht gefordert, zumal diese zu zahlreichen Abgrenzungsschwierigkeiten im Hinblick auf das Maß der Generalisierung führen würde (einheitliche Bindungsfrist für einen Vertragstyp – Kaufvertrag, Werkvertrag?; Differenzierung nach Art des Kaufgegenstands: Mobilie – Immobilie?; weitergehende Differenzierung nach wirtschaftlicher Bedeutung, Art der geplanten Nutzung, Zuschnitt auf den Erwerbsinteressenten etc.?). Vielmehr stellt § 147 Abs. 2 BGB auf die Perspektive des objektivierten Antragenden ab.209 Auf diese Weise ist gewährleistet, dass außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls, die diesem nicht erkennbar sind, nicht zu einer Verlängerung der Annahmefrist führen. Eines weitergehenden Schutzes durch eine Ausblendung auch jener besonderen Einzelfallumstände, die ein verständiger Anbietender erkennen kann, bedarf es hingegen nicht, auch deshalb, weil dieser grundsätzlich eine kurze Annahmefrist anordnen könnte, wenn ihm an einer schnellen Antwort gelegen ist und er ansonsten mit einer aus seiner Sicht zu späten Reaktion des Empfängers rechnen muss.

Bei der Bestimmung der „regelmäßigen“ Annahmefrist i. S. v. § 147 Abs. 2 BGB sind demnach auch außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls (fristverlängernd oder -verkürzend) zu berücksichtigen, sofern diese dem Antragenden bekannt oder jedenfalls erkennbar sind. In diesem Zusammenhang wird zutreffend darauf hingewiesen, dass

207 H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl. 2011, § 308 Nr. 1 Rn. 11

m. w. N., unklar allerdings, ob generell oder nur im Anwendungsbereich der §§ 307 ff. BGB. 208 Vgl. nur BGH DNotZ 2010, 913 Tz. 12 f.; NJW 2008, 1148, 1149; RGZ 142, 402, 404;

MünchKommBGB/Busche, 6. Aufl. 2012, § 147 Rn. 32 („auch außergewöhnliche Umstände“); Staudinger/Bork, BGB, Neubearb. 2010, § 147 Rn. 11 („bekannte Beförderungshindernisse“), Rn. 12 (urlaubsbedingte Abwesenheit, Krankheit, besondere Arbeitsüberlastung), jew. m. w. N.

209 Motive, Bd. 1, S. 170.

S. 128 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

die von den Gerichten für bestimmte Vertragstypen bzw. Konstellationen in der Vergangenheit angewandte Regelbindungsfristen nur als „unverbindliche Anhaltspunkte“ heranzuziehen und sodann auf den Einzelfall anzupassen sind.210

Es gibt nicht „die“ Regelbindungsfrist für den Immobilienkaufvertrag.

Ist dem antragenden Erwerbsinteressenten bei Abgabe des Angebots beispielsweise bekannt,211 dass der Empfänger das Angebot erst annehmen werde, wenn ihm seine Hausbank den erforderlichen Kredit bewilligt hat, was wegen noch fehlender Bonitätsnachweise frühestens in acht Wochen erfolgen werde, ist für einen verständigen Dritten in der Position des Anbietenden erkennbar, dass „unter regelmäßigen Umständen“ bis zur Annahme ein längerer Zeitraum als vier Wochen vergehen wird. Entsprechend länger ist dann grundsätzlich die Regelbindungsfrist nach § 147 Abs. 2 BGB zu bemessen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Verlängerung der Regelbindungsfrist, sondern um die Festlegung der Regelbindungsfrist unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände.

bb) Wechselwirkung von § 147 Abs. 2 und § 308 Nr. 1 BGB

Die vorstehend beschriebenen Maßstäbe zur Ermittlung der Regelbindungsfrist i. S. v. § 147 Abs. 2 BGB können im Anwendungsbereich der §§ 307 ff. BGB indes nicht uneingeschränkt Geltung beanspruchen. Anderenfalls könnte der Klauselverwender als Erklärungsempfänger die Länge der Regelbindungsfrist als Grundlage der Angemessenheitsprüfung „willkürlich“ dadurch beeinflussen, dass er dem Erwerbsinteressenten schlicht eine spätere Annahme in Aussicht stellt. Da es ihm nach § 308 Nr. 1 BGB verwehrt ist, die Länge der Annahmefrist gem. § 148 BGB beliebig festzulegen, müssen deren Bestimmung „über die Hintertür“, also durch Beeinflussung der im Rahmen von § 147 Abs. 2 BGB relevanten Faktoren, ebenfalls Grenzen gesetzt werden. In diesem Sinne dürften wohl auch die vom BGH in Tz. 13 zitierten Ausführungen von H. Schmidt212 zu verstehen sein. Es spricht einiges dafür, dass der V. Zivilsenat nicht generell den konkret-individuellen Maßstab zur Bemessung der Regelbindungsfrist in Frage stellen, sondern lediglich zum Ausdruck bringen wollte, dass - ungeachtet der Ausführungen des Senats in seiner Entscheidung vom 11.6.2010213 - noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob bzw.

210 Eckert, in: Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl. 2012, § 147 Rn. 11. 211 Etwa aufgrund einer ausdrücklichen mündlichen oder schriftlichen Erläuterung. 212 H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl. 2011, § 308 Nr. 1 Rn. 11. 213 BGH DNotZ 2010, 913 Tz. 12 f. Die nicht tragenden Ausführungen in dieser Entscheidung

lassen vermuten, dass bei „besonderen absehbaren Verzögerungen“, „die auch ein verständiger Offerent […] in Rechnung stellt“, der regelmäßige Annahmezeitraum grundsätzlich zu verlängern ist.

S. 129 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

inwieweit die gesetzliche Annahmefrist nach § 147 Abs. 2 BGB im Anwendungsbereich der §§ 307 ff., insbesondere von § 308 Nr. 1 BGB, abstrakt-generell oder konkret-individuell zu bestimmen ist.

Man mag in dieser (nicht entscheidungserheblichen) „Klarstellung“ ein Indiz dafür sehen, dass der BGH heute eher zur gegenteiligen Auffassung, also dazu neigt, die Regelbindungsfrist beim formularmäßigen Immobilienkaufvertrag ohne Rücksicht auf die Einzelfallumstände generell mit vier Wochen zu bemessen. Meines Erachtens ist eine gänzliche Außerachtlassung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls durch § 308 Nr. 1 BGB jedoch nicht vorgezeichnet, da der dieser Vorschrift zugrunde liegende Schutzzweck nicht zwingend eine Erstreckung des abstrakt-generellen Maßstabs214 auf § 147 Abs. 2 BGB fordert, sondern ohne weiteres bei der Ermittlung der „regelmäßigen Umstände“ (Maßstab des verständigen Offerenten) Berücksichtigung finden kann. Auf diese Weise wird auch den bereits oben angeführten Argumenten gegen eine generalisierende Bestimmung der Regelbindungsfrist (v.a. Abgrenzungsschwierigkeiten) Rechnung getragen.

Legt man dies zugrunde, führen m. E. Umstände, die auf Seiten des Klauselverwenders auf eine längere Überlegungs- und/oder Entscheidungsfrist schließen lassen, wegen der Ausstrahlungswirkung des § 308 Nr. 1 BGB nur dann zu einer längeren Regelbindungsfrist als vier Wochen, wenn diese dem Antragenden bekannt oder zumindest erkennbar sind und darüber hinaus ein berechtigtes Interesse des anderen Teils widerspiegeln.

Es genügt also nicht, wenn der Verwender dem Erwerbsinteressenten schlicht mitteilt, er benötige acht Wochen für die Entscheidung über die Annahme des Angebots.215 Umgekehrt führt ein einzelfallbezogenes, berechtigtes Interesse des Klauselverwenders an einer längeren Überlegungs- und Entscheidungsfrist, welches dem Antragenden nicht erkennbar ist, zu keiner Verlängerung der Regelbindungsfrist, kann jedoch ggf. bei der Angemessenheitsprüfung nach § 308 Nr. 1 BGB relevant werden, welche eine Überschreitung der Regelbindungsfrist voraussetzt. Die bei § 147 Abs. 2 und § 308 Nr. 1 BGB anzulegenden Maßstäbe nähern sich somit aneinander an, ohne allerdings deckungsgleich zu sein.

cc) Folgerungen für den Bauträgervertrag

214 Im Übrigen ist nicht abschließend geklärt, ob beim Verbrauchervertrag eine Berücksichtigung

von Einzelfallumständen trotz des restriktiven Wortlauts von § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB auch im Anwendungsbereich des § 308 BGB zuungunsten des Verbrauchers möglich ist.

215 Gleiches gilt bei Mitteilung eines „sachlichen“ Grundes, der allerdings die gewünschte Länge der Bindungsfrist nicht zu rechtfertigen vermag.

S. 130 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Die vom V. Zivilsenat postulierte 4-wöchige Regelbindungsfrist gilt nach der hier vertretenen Auffassung somit beim Bauträgervertrag nicht generell, sondern vorbehaltlich besonderer, sachlich gerechtfertigter und dem Antragenden bekannter bzw. erkennbarer Umstände des Einzelfalls.

(1) Vorgaben des BGH

Bei der Bemessung der im konkreten Fall anzuwendenden Annahmefrist nach § 147 Abs. 2 BGB sind darüber hinaus die Vorgaben des BGH zu beachten: Aufgrund der nach § 308 Nr. 1 BGB maximal zulässigen Bindungsfrist von drei Monaten muss die Regelbindungsfrist nach § 147 Abs. 2 BGB unabhängig von den Einzelfallumständen etwas kürzer ausfallen. Die bloße Kenntnis, dass es sich bei dem Projekt um eine steuerbegünstige Kapitalanlage handelt, führt nicht zu einer Verlängerung der Frist nach § 147 Abs. 2 BGB. Gleiches gilt für den Umstand, dass aufgrund der steuerlichen Förderbedingungen nach § 7i EStG erst nach dem Verkauf sämtlicher Einheiten mit der Durchführung der Sanierungsarbeiten begonnen werden konnte. Denn der Anbietende muss aufgrund dieser Umstände nicht damit rechnen, dass die Überlegungs- bzw. Bearbeitungsfrist auf Seiten des Angebotsempfängers deutlich länger ausfällt.216

(2) Sachgründe für längere Regelbindungsfrist

Ist dem antragenden Erwerbsinteressenten bei Abgabe des Angebots jedoch (z. B. aufgrund ausdrücklicher Erläuterung) bekannt, dass der Empfänger das Angebot erst annehmen werde, wenn Angebote für eine bestimmte Anzahl von bzw. für sämtliche Einheiten des betreffenden Projekts vorliegen (Sicherstellung der Finanzierung bzw. der steuerlichen Förderung nach § 7i EStG für sämtliche Einheiten), ist für einen verständigen Dritten in der Position des Anbietenden in aller Regel erkennbar, dass „unter regelmäßigen Umständen“ bis zur Annahme ein längerer Zeitraum als vier Wochen vergehen wird. Wie bereits erörtert, ist die Sicherstellung der Finanzierung grundsätzlich allein Sache des Verkäufers ist, liegt aber mit Blick auf das vom Erwerber zu tragenden Fertigstellungsrisiko ebenfalls in dessen Interesse. Somit ist dieses Motiv – ebenso wie die Sicherstellung der Sonder-AfA nach § 7i EStG – nicht sachfremd und führt m. E. bei Erkennbarkeit seitens des Antragenden zu einer längeren Regelbindungsfrist nach § 147 Abs. 2 BGB.

216 BGH ZfIR 2014, 51 Tz. 13.

S. 131 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(3) Folgen der konkret-individuellen Bemessung der jeweiligen Regelbindungsfrist

Bei der konkret-individuellen Bemessung der jeweiligen Regelbindungsfrist i. S. v. § 147 Abs. 2 BGB ist allerdings bei Abgabe eines jeden Angebots zu prüfen, ob die nötige Abverkaufsmenge bereits erreicht ist bzw. wie viele Angebote bereits vorliegen, um bezogen auf den jeweiligen Einzelfall zu ermitteln, ob überhaupt ein berechtigtes Interesse des Verwenders zu bejahen ist und wenn ja, inwieweit es eine Überschreitung der 4-wöchigen Regelbindungsfrist trägt.217 Dies ist im Grundsatz wohl die unvermeidliche Folge der konkret-individuellen Bemessung der Regelbindungsfrist.

Im Falle eines „Ein-Notar-Modells“, bei welchem sowohl die Angebote als auch die Annahmen (nahezu) ausnahmslos bei demselben Notar beurkundet werden, mag dies (gerade) noch praktikabel sein. Sobald – z. B. bei Kapitalanlegermodellen, die überregional vertrieben werden - zahlreiche Notare beteiligt sind, dürften die Grenzen des Machbaren aber schnell erreicht sein. Allerdings dürften bei der konkret-individuellen Bemessung der Regelbindungsfrist unter Berücksichtigung der wechselseitigen schutzwürdigen Belange wohl etwas geringere Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung des bestimmenden Motivs zu stellen sein, da ein berechtigtes Verwenderinteresse im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 308 Nr. 1 BGB nicht nur bei Erkennbarkeit zu berücksichtigen ist. Wurde das berechtigte Interesse und dessen Offenlegung bereits im Rahmen von § 147 Abs. 2 BGB zugunsten des Verwenders berücksichtigt, hat es bei der Angemessenheitsprüfung nach § 308 Nr. 1 BGB außer Betracht zu bleiben. Hiervon scheinen offenbar auch sämtliche Kommentierungen zu § 308 Nr. 1 BGB auszugehen, da der Gesichtspunkt der Transparenz unerwähnt bleibt.218

dd) Zwischenergebnis

Sofern der Angebotsempfänger offenlegt, dass er länger als üblich für die Bearbeitung des bzw. Entscheidung über das Angebot benötigt, führt dies grundsätzlich zu einer Verlängerung der Regelbindungsfrist nach § 147 Abs. 2 BGB. Ob dies im Anwendungsbereich der §§ 307 ff. BGB ebenfalls gilt oder dort stets die 4-wöchige

217 BGH ZfIR 2014, 51 Tz. 12. Vgl. auch Stresemann in: DAI-Skript, 11. Jahresarbeitstagung des

Notariats, 2013, S. 1, 13 f.; a. A. Reichelt/Kruska, ZfIR 2014, 55, 57 f., allerdings ohne auf die Bedeutung von § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB einzugehen.

218 Lehnt man eine einzelfallbezogene Verlängerung der Regelbindungsfrist entgegen der hier vertretenen Ansicht hingegen generell ab, muss der Transparenzgedanke zumindest im Rahmen der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB Berücksichtigung finden (unklar insoweit BGH ZfIR 2014, 51 Tz. 13).

S. 132 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Regelbindungsfrist zugrunde zu legen ist, wurde vom BGH offen gelassen. Wegen der Ausstrahlungswirkungen der §§ 307 ff. BGB kommt eine längere Regelbindungsfrist in jedem Fall nur dann in Betracht, wenn das Interesse des Klauselverwenders an einer längeren Bindungsfrist sachlich gerechtfertigt ist. Die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung dürfen indes nicht überspannt werden. Besteht im Einzelfall ein berechtigtes Interesse des Klauselverwenders an einer längeren Annahmefrist und ist dieses dem anderen Teil zumindest erkennbar ist, führt dies ggf. zu einer vier Wochen erheblich übersteigenden Regelbindungsfrist, was insbesondere in Altfällen von Relevanz ist, wenn beispielsweise die vereinbarte fünfmonatige Bindungsfrist unwirksam ist, der Empfänger das Angebot aber bereits nach sechs Wochen und daher u. U. noch innerhalb der individuellen Regelbindungsfrist angenommen hat.

d) Fazit

aa) Die 4-wöchige Regelbindungsfrist i. S. v. § 147 Abs. 2 BGB gilt grundsätzlich auch beim Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages betreffend ein noch zu errichtendes Gebäude. Allerdings kann u. a. das Interesse des Klauselverwenders an der Sicherstellung der Gesamtfinanzierung des Projekts bzw. an der Erfüllung der steuerlichen Förderbedingungen nach § 7i EStG ggf. eine vier Wochen erheblich übersteigende (Regel-)Bindungsfrist rechtfertigen, die jedoch keinesfalls länger als drei Monate sein darf. Bei der im Rahmen von § 308 Nr. 1 BGB vorzunehmenden Gesamtabwägung dürften die Beschränkungen, die der Anbietende hinzunehmen hat, mit zunehmender Fristlänge überproportional in Rechnung zu stellen sein.

bb) Das für eine längere Bindungsfrist streitende Interesse des Klauselverwenders sollte stets in der Angebotsurkunde offen gelegt werden. Zwar ist jedenfalls im Anwendungsbereich der §§ 307 ff. BGB noch nicht abschließend geklärt, ob ein derartiges einzelfallbezogenes Interesse zu einer Verlängerung der Regelbindungsfrist nach § 147 Abs. 2 BGB führen kann, doch dürfte bei wertender Betrachtung - ein berechtigtes Verwenderinteresse vorausgesetzt - „unter regelmäßigen Umständen“ mit einer späteren Antwort zu rechnen sein. Die bloße Erläuterung, dass die Annahme des Angebots erst nach längerer Zeit erfolgen könne, genügt aufgrund der Ausstrahlungswirkung des § 308 Nr. 1 BGB demgegenüber nicht für eine Verlängerung der 4-wöchigen Regelbindungsfrist.

cc) Die individuelle Bemessung der Regelbindungsfrist i. S. v. § 147 Abs. 2 BGB ist insbesondere in Altfällen von Relevanz, wenn die vereinbarte Bindungsfrist nach § 308 Nr. 1 BGB unwirksam ist, der Empfänger das Angebot aber deutlich vor Ablauf der vereinbarten Frist und daher u. U. noch innerhalb der individuellen Regelbindungsfrist angenommen hat.

S. 133 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

dd) Trotz der grundsätzlichen Offenheit des BGH für längere formularmäßige Bindungsfristen wird man auf vertragliche Gestaltungsmodelle zurückgreifen, wenn der Klauselverwender eine vier Wochen erheblich übersteigende Bindungsfrist wünscht. Ob man den aufschiebend bedingten Vertragsschluss oder den Vorbehalt eines Rücktrittsrechts wählt, dürfte davon abhängen, ob der Fokus auf einer möglichst späten Entstehung der Grunderwerbsteuer oder einer möglichst langen „Bindungsfrist“ liegt (dazu sogleich näher unter Ziff. 3).

3. Längere formularmäßige „Bindungsfristen“ bei vertraglichen Gestaltungsmodellen

a) Optionsvertrag bzw. aufschiebend bedingter Kaufvertrag

Will man den Klauselverwender bereits von Anfang an stärker einbinden und auf seiner Seite bereits Pflichten begründen – was auch mit Blick darauf empfehlenswert sein kann, dass dem anderen Teil vielfach bereits unmittelbar Aufwendungen entstehen, die bei Nichtzustandekommen des Vertrages u. U. verloren wären (insb. Abschluss des Darlehensvertrags) -,219 kommt alternativ der Abschluss eines Options- oder aufschiebend bedingten Kaufvertrages in Betracht. Neben der Begründung von Pflichten auch auf Seiten des Klauselverwenders (z. B. Übernahme der Notarkosten bei Nichteintritt der Bedingung bzw. Nichtannahme des Angebots; Verpflichtung zur Angebotsannahme bzw. Ausübung der Option bei Eintritt eines bestimmten Ereignisses) werden dem Vertragsmodell mitunter Vorteile hinsichtlich der Insolvenzfestigkeit der Eigentumsvormerkung zugeschrieben.220 Der Abschluss eines aufschiebend bedingten Kauf- bzw. eines Optionsvertrages hat aus grunderwerbsteuerlicher Sicht – trotz des Vertragscharakters – den Charme, dass die Steuer gemäß § 14 Nr. 1 GrEStG erst mit Bedingungseintritt entsteht.

Zwar herrscht überwiegend Einvernehmen, dass § 308 Nr. 1 BGB jedenfalls analog auch aufschiebende Bedingungen erfasst.221 Gleichwohl ist wohl ein längerer Schwebezustand hinnehmbar.222 Für die Frage, welcher Schwebezeitraum dem Klauselgegner im Einzelfall noch zumutbar ist, dürfte danach zu differenzieren sein, ob das Zustandekommen des Vertrages bzw. der Bedingungseintritt im freien Belieben des Klauselverwenders steht oder dieser keine Möglichkeit der Einflussnahme auf den Bedingungseintritt hat. Erbringt der Unternehmer für die zeitlich befristete Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Klauselgegners hingegen eine echte

219 Diesen Aspekt jüngst betonend LG Heidelberg, Urt. v. 11.1.2013 – 5 O 205/12, BeckRS 2013,

03710. 220 Vgl. Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 6. Aufl. 2012, Rn. 2942. 221 Vgl. zum Meinungsstand Staudinger/Coester-Waltjen, BGB, Neubearb. 2013, § 308 Nr. 1

Rn. 9. 222 Vgl. BGH ZfIR 2014, 51 Tz. 17.

S. 134 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Gegenleistung (Bindungsentgelt,223 ggf. auch Sachleistung), stehen sich die eingeräumte Option und das Entgelt als nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB grundsätzlich nicht kontrollfähige Leistung und Gegenleistung gegenüber (Ausnahme: Umgehungsgestaltung i. S. v. § 306a BGB).224

aa) Potestativ- vs. echte Bedingung

Im Fall eines auf die Abgabe einer im Belieben des Unternehmers stehenden Gestaltungserklärung aufschiebend bedingten Kaufvertrags gilt im Ergebnis nicht anderes als beim Angebot-Annahme-Modell. Liegt der Eintritt der Bedingung hingegen gänzlich außerhalb des Einflussbereichs des Unternehmers, wird die Dispositionsfreiheit beider Vertragspartner in gleicher Weise eingeschränkt. Es besteht daher kein Anlass, die strengen Maßstäbe des BGH zur Anwendung zu bringen.225 Vielmehr handelt es sich für beide Seiten um ein Risikogeschäft, so dass eine (beiderseitige) deutlich längere Bindung als vier Wochen meines Erachtens zulässig sein dürfte.

bb) Gewisser Einfluss auf Bedingungseintritt

Hat der Unternehmer zwar einen gewissen Einfluss auf den Bedingungseintritt, ohne dass dieser zu seiner freien Disposition steht (Erreichen einer bestimmten Abverkaufsquote, Erteilung der Baugenehmigung), und verpflichtet er sich, sich redlich um den Bedingungseintritt zu bemühen, scheint mir ebenfalls ein längerer Schwebezustand hinnehmbar, da bei Vereitelung des Bedingungseintritts die Eintrittsfiktion des § 162 Abs. 1 BGB greift und es ihm daher verwehrt ist, aus Opportunitätsgründen226 ein bestimmtes Angebot trotz Realisierung des Projekts abzulehnen.227 Zwar ist zuzugeben, dass § 162 Abs. 1 BGB bei Nichtrealisierung des Projekts faktisch – Nachweisproblematik - von sehr geringem Nutzen ist.228 Allerdings besteht das beschriebene „Vollzugsdefizit“ nicht, wenn das Projekt trotz (vermeintlichen) Ausfalls der Bedingung gleichwohl zeitnah realisiert wird. In Anbetracht dessen, dass der Klauselverwender kaum dazu neigen dürfte, den Bedingungseintritt – und damit das von ihm zunächst angestrebte Geschäft – durch

223 Die bloße Übernahme der Vertragskosten für den Fall des Nichteintritts der

Bedingung/Ausübung der Option kann allerdings noch nicht als Bindungsentgelt in diesem Sinne angesehen werden, da hierdurch nur nutzlose Aufwendungen verhindert werden (kein echter Vermögenszufluss - Vergleich mit Vermögenssituation vor Abschluss des Vertrags).

224 Vgl. Herrler, notar 2013, 71, 88 m. w. N. 225 Dammann, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer/, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, § 308 Nr. 1 BGB Rn. 24

(§ 308 Nr. 1 BGB nicht anwendbar); Herrler, notar 2013, 71, 87 f. 226 Ein anderer Erwerbsinteressent erklärt sich bereit, einen höheren Kaufpreis zu bezahlen. 227 So Kesseler, DAI-Skript, 9. Jahresarbeitstagung des Notariats, 2011, S. 15, 26; im Ergebnis

ebenso Blank, Bauträgervertrag, 4. Aufl. 2010, Rn. 1235, 1240 f. 228 Zutr. Müller/Klühs, RNotZ 2013, 81, 93.

S. 135 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Einstellung seiner Verkaufsbemühungen gänzlich zu vereiteln, insbesondere mit Blick auf die bereits entstandenen Aufwendungen sowie mit Blick auf seine regelmäßig vertraglich übernommene Pflicht zur Kostentragung, ist das Hauptrisiko für den Klauselgegner, der Vertragsabschluss mit einer anderen Partei zu einem höheren Preis bzw. allgemein zu besseren Konditionen, aufgrund der Eintrittsfiktion des § 162 Abs. 1 BGB gebannt. Nach meiner persönlichen Ansicht dürfte daher ein Schwebezustand von bis zu drei Monaten noch akzeptabel sein.229

cc) Formulierungsvorschlag „Abverkaufsquote als aufschiebende Bedingung“230

Vorbemerkung

Dem Erwerber ist bekannt, dass der Veräußerer für die Realisierung des Projekts (Errichtung von bis zu acht Eigentumswohnungen auf dem Grundstück …, Veräußerung an einzelne Erwerber nach Aufteilung in Wohnungseigentum) auf eine Zwischenfinanzierung angewiesen ist. Diese wird seitens der finanzierenden Bank nur gewährt, wenn die abgeschlossenen Bauträgerverträge betreffend das vorgenannten Bauvorhaben ein Gesamtkaufpreisvolumen in Höhe von … € erreichen. Bislang ist dies noch nicht der Fall. Um dem Veräußerer den Abschluss der erforderlichen weiteren Bauträgerverträge zu ermöglichen, erklärt sich der Erwerber mit einer Bindung bis zum … [Datum] einverstanden.

Aufschiebende Bedingung

Die schuldrechtlichen Regelungen des Bauträgervertrages werden erst wirksam, wenn der Veräußerer bis spätestens mit Ablauf des … [Datum] Bauträgerverträge gemäß Anlage 1 betreffend die vertragsgegenständliche Wohnungs- und Teileigentumsanlage mit einem Gesamtkaufpreisvolumen in Höhe von … € abgeschlossen hat (Abverkaufsquote).231 Der Veräußerer ist berechtigt, durch schriftliche Erklärung, die dem Erwerber bis spätestens … [Datum] zugehen muss, auf vorstehende Bedingung zu verzichten.232 Der Erwerber nimmt diesen Verzicht bereits jetzt an.

229 Herrler, DAI-Skript, 11. Jahresarbeitstagung des Notariats, 2013, S. 21, 65 f. mit

Formulierungsvorschlag. 230 Vgl. Blank, Bauträgervertrag, 4. Aufl. 2010, Rn. 1225 ff., auch zu den darüber hinaus gebotenen

Regelungen. 231 Gegebenenfalls ausdrückliche Verpflichtung des Veräußerers zu weiteren

Abverkaufsbemühungen aufnehmen. 232 Gegebenenfalls Bevollmächtigung des beurkundenden Notars zur Entgegennahme der

Verzichtserklärung.

S. 136 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Der Veräußerer verpflichtet sich gegenüber dem Erwerber, dem beurkundenden Notar den Bedingungseintritt bzw. den Verzicht auf die Bedingung unverzüglich schriftlich233 mitzuteilen.

Sofern dem beurkundenden Notar nicht bis spätestens mit Ablauf des … [Datum] eine entsprechende schriftliche Mitteilung des Veräußerers vorliegt, gilt die Bedingung als endgültig ausgefallen. Hierüber wird der Notar den Erwerber und den Veräußerer unverzüglich unterrichten.

Beruht der Ausfall der Bedingung darauf, dass die erforderliche Abverkaufsquote nicht erreicht wurde und ist dem Veräußerer insoweit weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, hat der Veräußerer lediglich die durch die Beurkundung des Vertrages entstandenen Kosten zu tragen. Die Geltendmachung weiterer Schadensersatzansprüche ist in diesem Fall ausgeschlossen.

dd) Exkurs: Rechtsfolgen bei unangemessen langer Optionsausübungs- bzw. Bedingungseintrittsfrist

Anders als im Falle einer unangemessen langen Bindungsfrist, an deren Stelle schlicht gemäß § 306 Abs. 2 BGB die Bestimmung des § 147 Abs. 2 BGB tritt, fehlt es beim Options- und ebenso beim aufschiebend bedingten Kaufvertrag im Falle einer unangemessen langen Optionsausübungs- bzw. Bedingungseintrittsfrist an einer dispositiven gesetzlichen Regelung. Teilweise wird eine Fiktion des Bedingungseintritts für möglich gehalten,234 teilweise wird für einen Ausfall der Bedingung und damit für eine Unwirksamkeit des Vertrages plädiert.235 Andere wollen die Lücke einzelfallbezogen unter Heranziehung der Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung schließen.236 Hält man sich vor Augen, dass der Options- sowie der aufschiebend bedingte Vertrag dem bindenden Angebot wertungsmäßig sehr nahestehen, wenn der Bedingungseintritt vom Klauselverwender maßgeblich beeinflusst werden kann, erscheint es m. E. sachgerecht, auch rechtsfolgenseits auf die in § 147 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommende Wertung zurückzugreifen und daher eine unangemessen lange Optionsausübungs- bzw. Bedingungseintrittsfrist durch eine angemessene Frist zu ersetzen.237 Im Ergebnis wird das häufig dazu führen, dass die Optionsausübung bzw. der Bedingungseintritt nicht rechtzeitig erfolgt und es folglich an einem wirksamen Vertragsschluss fehlt.

233 Gegebenenfalls auch strengere Formanforderungen (Unterschriftsbeglaubigung,

Beurkundung). 234 Suttmann, MittBayNot 2011, 297, 299. 235 In diesem Sinne wohl Kesseler, DAI-Skript, 9. Jahresarbeitstagung des Notariats, 2011, S. 15,

25 a. E. 236 Müller/Klühs, RNotZ 2013, 81, 95. 237 Herrler, DNotZ 2011, 273, 278.

S. 137 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

b) Formularmäßiges Rücktrittsrecht

Mit Blick auf die bestehende Ungewissheit hinsichtlich der höchstzulässigen Optionsausübungs- bzw. Bedingungseintrittsfrist und die drohenden Rechtsfolgen, d. h. im Regelfall die Unwirksamkeit des Kaufvertrages und die sich hieran knüpfenden Rückforderungs- bzw. Schadensersatzansprüche, stellt der unbedingte Abschluss des Kaufvertrages bei gleichzeitigem (formularmäßigem) Vorbehalt eines Rücktrittsrechts möglicherweise die vorzugswürdige Handlungsalternative dar.

Die wirksame Vereinbarung eines formularmäßigen Rücktrittsrechts setzt nach § 308 Nr. 3 BGB voraus, dass das Rücktrittsrecht des Verwenders sachlich gerechtfertigt ist und der Rücktrittsgrund im Vertrag selbst angegeben wird (Transparenzgebot). Aus steuerlicher Sicht hat das Rücktrittsmodell den Nachteil, dass die Grunderwerbsteuerpflicht zunächst entsteht und eine nachträgliche Aufhebung der Steuerfestsetzung gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG nur dann möglich ist, wenn das Rücktrittsrecht innerhalb von zwei Jahren seit Entstehung der Steuer ausgeübt wird.

aa) Position des Klauselgegners

In gewisser Weise ähnelt ein befristetes, formularmäßiges Rücktrittsrecht des Klauselverwenders einer formularmäßigen Bindungsfrist beim Angebot-Annahme-Modell. Hier wie dort behält es sich der Unternehmer vor, über die Verbindlichkeit der gegenseitigen Leistungspflichten zu entscheiden. Aus Sicht des Klauselgegners ist das Rücktrittsmodell aber deutlich weniger belastend als ein bindendes Angebot. Zum einen ist es bei Abschluss des Vertrages unter Rücktrittsvorbehalt der Unter-nehmer, der zur Beseitigung der Bindungswirkung aktiv werden muss. Hinzu kommt, dass der Dispositionsspielraum des Klauselverwenders gegenüber dem Angebot-Annahme-Modell (deutlich) geringer ist. Während ein etwa vorhandener Sachgrund für die Bestimmung einer Bindungsfrist beim Angebotsmodell ein bloßes Motiv des Klauselverwenders darstellt und allenfalls für die Bemessung der nach § 308 Nr. 1 BGB höchstzulässigen Bindungsdauer von Bedeutung ist – der Angebotsempfänger kann das Angebot grundsätzlich willkürlich ausschlagen –, ist im Fall des Vertrags-schlusses unter Rücktrittsvorbehalt bereits eine Bindung (auch) des Klauselverwenders eingetreten, von der er sich nur lösen kann, wenn es zum Eintritt des klar umrissenen Rücktrittsgrundes kommt. Der Unternehmer kann gerade nicht beliebig auf Kosten der anderen Vertragspartei disponieren und schlicht unter Inanspruchnahme seines Rücktrittsrechts von einer wirtschaftlich attraktiveren Vertragsschlussgelegenheit Gebrauch machen. Dieser Befund wird nicht dadurch relativiert, dass es dem Unternehmer bei einem grundsätzlich von ihm beeinflussbaren Rücktrittsgrund möglich ist, diesen herbeizuführen. Denn dem Erwerber kommt insoweit ebenfalls die Fiktion des § 162 Abs. 2 BGB (in analoger Anwendung) zugute. Führt der Unter-nehmer den vertraglich vereinbarten Rücktrittsgrund wider Treu und Glauben herbei,

S. 138 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

ist ihm die Berufung auf das vertragliche Rücktrittsrecht verwehrt.238 Wie bereits ausgeführt, besteht insoweit auch kein ins Gewicht fallendes Vollzugsdefizit.

bb) Sachlich gerechtfertigter Grund i. S. v. § 308 Nr. 3 BGB

Ob es sich bei der Nichterreichung der erforderlichen Abverkaufsquote bzw. der Nichterteilung der Baugenehmigung um einen sachlich gerechtfertigten Grund i. S. v. § 308 Nr. 3 BGB handelt, ist allerdings nicht abschließend geklärt.

Nach Auffassung des BGH erfordert § 308 Nr. 3 BGB

„eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsteile […], ob der vorformulierte Rücktrittsgrund durch ein überwiegendes oder zumindest anerkennenswertes Interesse auf Seiten des Klauselverwenders gerechtfertigt ist“. 239

(1) Vorhersehbarkeit; Vertretenmüssen

Nach diesen Maßstäben soll eine sachliche Rechtfertigung immer dann ausscheiden, wenn das Vorliegen der zum Rücktritt berechtigenden Umstände dem Klausel-verwender bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses erkennbar ist, da sein Lösungs-interesse unter diesen Umständen nicht schutzwürdig erscheint. Hierfür genügt allerdings nicht eine bloß abstrakte Vorhersehbarkeit im Sinne der nicht ganz fernliegenden Möglichkeit des Eintritts des Rücktrittsgrundes. Vielmehr muss der Eintritt des zum Rücktritt berechtigenden Ereignisses für den Klauselverwender bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersehbar sein.240

Neben der Vorhersehbarkeit spricht der Umstand, dass der Verwender den Eintritt eines Rücktrittsgrundes zu vertreten hat, im Zweifel ebenfalls gegen das Vorliegen eines sachlich gerechtfertigten Grundes. Ein etwaiges Vertretenmüssen führt jedoch nicht stets zur Verneinung der sachlichen Rechtfertigung, insbesondere nicht bei Unvermögen bzw. Unmöglichkeit der Leistungserbringung i. S. v. § 275 BGB. Überwiegend wird danach differenziert, inwieweit das zu einem Rücktrittsrecht führende Leistungshindernis auf Seiten des Klauselverwenders in die gesetzliche Risikoverteilung eingreift. Zu beachten sind dabei insbesondere die Grenzen einer Modifizierung des Leistungsstörungsrechts, unter anderem § 309 Nr. 7 BGB.241

(2) Wechselwirkung mit Länge der Rücktrittsfrist

238 Vgl. bereits DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2007, 157, 160. 239 BGH NJW 1987, 831, 833 m. w. N. 240 Vgl. BGH NJW 1987, 831, 833. 241 Staudinger/Coester-Waltjen, BGB, Neubearb. 2013, § 308 Nr. 3 Rn. 13 m. w. N.

S. 139 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Im Rahmen der Interessenabwägung, ob der normierte Rücktrittsgrund als sachlich gerechtfertigt anzusehen ist, kann die (maximale) Dauer des Schwebezustands (insb. Rücktrittsfrist) nicht unberücksichtigt bleiben. Bei systematischer Betrachtung, insbesondere im Lichte der Rechtsprechung zu § 308 Nr. 1 BGB, wäre es nicht konsistent, einem der Verwendersphäre zuzurechnenden Umstand unabhängig von der Rücktrittsfrist die sachliche Rechtfertigung abzusprechen, jedenfalls dann, wenn durch die vertragliche Regelung sichergestellt ist, dass der Klauselgegner seine Leistung erst nach fruchtlosem Verstreichen der Rücktrittsfrist zu erbringen und der Verwender bei Ausübung des Rücktrittsrechts die Kosten des Vertragsschlusses zu tragen hat. Denn unter diesen Umständen steht der Klauselgegner bei bloßer Abgabe eines bindenden Angebots keinesfalls besser als bei unbedingtem Vertragsschluss unter Rücktrittsvorbehalt, sondern tendenziell schlechter, da er bei Ausbleiben des „Rücktrittsgrundes“ keine Gewähr für das Zustandekommen des Vertrages hat.242

Aber auch losgelöst von § 308 Nr. 1 BGB ist anerkannt, dass es für die sachliche Rechtfertigung des Rücktrittsgrundes u. a. darauf ankommt, wie lange der Klauselgegner am Vertrag festgehalten und damit in seiner Dispositionsfreiheit eingeschränkt wird. Je länger etwaige Leistungs- und Nachfristen ausfallen, desto strenger soll der Maßstab sein, der an den sachlichen Grund anzulegen ist.243 Umgekehrt dürfte daraus abzuleiten sein, dass bei verhältnismäßig kurzen Fristen keine allzu hohen Anforderungen an den Sachgrund zu stellen sind. Somit bleibt festzuhalten, dass ein zum Rücktritt berechtigender Umstand, der der Verwendersphäre zuzurechnen ist, nicht von vornherein zu einer unangemessenen Benachteiligung i. S. v. § 308 Nr. 3 BGB führt, sondern die weiteren Rahmenbedingungen (insbesondere Rücktrittsfrist, Rücktrittsrecht beider) bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind.

(3) Fallgruppen

Ungeachtet dessen dürfte jedenfalls ein freies Rücktrittsrecht nicht mit § 308 Nr. 3 BGB vereinbar sein.

(a) Nichterteilung der Baugenehmigung

Für den Rücktrittsgrund Nichterteilung der beantragten Baugenehmigung, der zwar der Verwendersphäre zuzurechnen ist, jedoch nicht im alleinigen Belieben des Unternehmers steht, stellt sich die Lage schon differenzierter dar. Teilweise wird unabhängig von der im Einzelfall normierten Rücktrittsfrist eine sachliche Rechtfertigung des Lösungsrechts bei Nichterteilung der Baugenehmigung abgelehnt (Klärung vor Vertragsschluss zumutbar; keine Risikoabwälzung auf Erwerber).244

242 Herrler, notar 2013, 71, 89; Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 3. Aufl. 2012, Teil 2

Kap. 3 Rn. 38; Kesseler, in: DAI-Skript, S. 15, 27; Müller/Klühs, RNotZ 2013, 81, 91; Walter, NotBZ 2012, 81, 87.

243 MünchKommBGB/Wurmnest, 6. Aufl. 2012, § 308 Nr. 3 Rn. 6. 244 Riemenschneider, in: Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, Teil 3 Rn. 699 f.

S. 140 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Insoweit ließe sich zudem die nicht ganz unerhebliche Einflussnahmemöglichkeit des Klauselverwenders auf den Bedingungseintritt sowie die in § 3 Abs. 1 Nr. 4 MaBV zum Ausdruck kommende gesetzliche Risikoverteilung anführen. Überwiegend wird die Nichterteilung der Baugenehmigung allerdings als statthafter Rücktrittsgrund i. S. v. § 308 Nr. 3 BGB angesehen, da anderenfalls die Durchführung des Bauvorhabens scheitere und durch die Normierung des Rücktrittsrechts somit lediglich die Geschäftsgrundlage des Vertrages klargestellt werde.245

Trotz der jüngst vom V. Zivilsenat eingenommenen strengen Haltung erscheint mir die Nichterteilung der Baugenehmigung als statthafter Rücktrittsgrund i. S. v. § 308 Nr. 3 BGB geeignet. Dabei dürfte auch eine vier Wochen erheblich übersteigende Rücktrittsfrist nicht generell zu beanstanden sein. Zum einen ist die Position des Klauselgegners beim bloßen Rücktrittsrecht deutlich besser als beim Angebot-Annahme-Modell. Zum anderen kann ein frühzeitiger Vertragsschluss vor abschließender Klärung der baurechtlichen Zulässigkeit ebenfalls im Interesse des Erwerbsinteressenten liegen („Filetstück). Sofern die Nichterteilung der Baugenehmigung darüber hinaus nicht bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit einiger Gewissheit absehbar war und dem Klauselverwender an ihrer späteren Versagung weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, dürfte nichts gegen eine längere Rücktrittsfrist sprechen. Dies gilt erst recht, wenn vor Vertragsschluss bereits eine hinreichend belastbare Vorklärung der baurechtlichen Zulässigkeit stattgefunden hat.

Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass eine kurze Rücktrittsfrist den Unternehmer u. U. dazu veranlasst, vorsorglich von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch zu machen, obwohl eine Klärung noch aussteht, um Schadensersatzansprüchen zu vermeiden, was möglicherweise den Interessen des Erwerbsinteressen komplett zuwiderläuft, der nichts gegen einen noch einige Zeit fortbestehenden Schwebezustand einzuwenden hat. Gleichwohl ist die durch eine lange Rücktrittsfrist verursachte Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit des Erwerbsinteressenten angemessen zu berücksichtigen, was etwa dadurch erfolgen könnte, dass man ihm nach einem kurzen Zeitraum, in welchem lediglich dem Klauselverwender das Rücktrittsrecht zusteht (sechs bis acht Wochen), im Sinne der Waffengleichheit ebenfalls ein Rücktrittsrecht bis zur endgültigen Verbindlichkeit des Vertrages einräumt. Eine derartige Gestaltung würde für Letzteren die Vorteile des Bindungsfrist-Annahmefrist-Modells mit denen des Rücktrittsmodells kombinieren. Im Grundsatz muss der Unternehmer aktiv werden, um sich vom Vertrag zu lösen. Er kann aber nur dann zurücktreten, wenn ein bestimmtes, vertraglich definiertes Ereignis (gegebenenfalls noch nicht) eingetreten ist, längstens bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Vertragsschluss. Sofern der Rücktrittsgrund vorliegt und der kurze Bindungszeitraum abgelaufen ist, kann der Erwerber ebenfalls seine Dispositionsfreiheit durch Ausübung des ihm zustehenden Rücktrittsrechts

245 So Basty, Der Bauträgervertrag, 7. Aufl. 2012, Rn. 287; Kutter, in: Beck’sches Notar-

Handbuch, 5. Aufl. 2009, A II Rn. 27; Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 3. Aufl. 2012, Teil 2 Kap. 3 Rn. 138.

S. 141 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

wiederherstellen.246 Unter diesen Umständen erscheinen mir sechs, ggf. auch neun Monate nicht zu beanstanden.

(b) Abverkaufsquote als Sachgrund

Die vorstehenden Erwägungen gelten grundsätzlich mutatis mutandis für das Erreichen einer bestimmten Abverkaufsquote als Rücktrittsgrund. Gleichwohl wird vielfach das Nichterreichen einer bestimmten Abverkaufsquote nicht als sachlich gerechtfertigter Grund i. S. v. § 308 Nr. 3 BGB angesehen, überwiegend wohl aufgrund der Erwägung, dass der Klauselverwender den Rücktrittsgrund willkürlich herbeiführen kann. Auf die Länge der Rücktrittsfrist soll es insoweit nicht ankommen.247 Wie bereits ausgeführt, kann der Klauselverwender aber eben nicht beliebig über den Rücktrittsgrund Abverkaufsquote disponieren, sondern unterliegt – jedenfalls wenn er das Projekt weiterhin realisieren will – bereits einer rechtlichen wie faktischen Bindung. Ein strukturelles Vollzugsdefizit besteht nicht.

In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, dass lediglich ein allgemeiner Leistungsvorbehalt für unvereinbar mit § 308 Nr. 3 BGB angesehen wird. Demgegenüber klingt bereits in der Gesetzesbegründung zu § 8 Nr. 3 AGB-Gesetz an, dass im Einzelfall ein an den Vermarktungserfolg des Produkts geknüpfter Rücktrittsgrund als sachlich gerechtfertigt angesehen werden kann. Konkret ging es dort um einen Veranstalter von Individualreisen, der sich ein Rücktrittsrecht für den Fall vorbehält, dass eine bestimmte Mindestteilnehmerzahl nicht erreicht wird.248 Einen derart spezifizierten Leistungsvorbehalt hat das OLG München mit Urteil vom 25.3.1993 für zulässig erachtet.249 Es erscheint durchaus nicht fernliegend, eine Parallele zur Abverkaufsquote zu ziehen.

Angesichts der vorgenannten Unterschiede zur bloßen Bindungsfrist im Angebot-Annahme-Modell dürfte daher im Anwendungsbereich von § 308 Nr. 3 BGB - bei im Übrigen identischem Sachverhalt - ein deutlich längerer Schwebezustand akzeptabel sein.250 Dies gilt umso mehr, wenn das Rücktrittsrecht nach einem kurzen Bindungszeitraum nicht nur dem Klauselverwender, sondern im Interesse der „Waffengleichheit“ zugleich dem Erwerber eingeräumt wird (Rücktrittsfrist von drei bis vier, vielleicht auch sechs Monaten).251

246 Für diesen Fall erscheint es nicht unangemessen, dem Klauselgegner die Vertragskosten

zuzuweisen. 247 So u. a. Basty, Der Bauträgervertrag, 7. Aufl. 2012, Rn. 286; Riemenschneider, in:

Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, Teil 3 Rn. 669 f. 248 RegBegr., BT-Drs. 7/3919 v. 6.8.1975, S. 26. 249 OLG München VuR 1993, 182. 250 Herrler, notar 2013, 71, 89; Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 6. Aufl. 2012,

Rn. 2960; tendenziell ebenso DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2007, 157, 159 f.; Pause, Bauträgerkauf und Baumodelle, 5. Aufl. 2011, Rn. 227.

251 Vgl. Herrler, DAI-Skript, 11. Jahresarbeitstagung des Notariats, 2013, S. 21, 78 f. mit Formulierungsvorschlag.

S. 142 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

aa) Formulierungsvorschlag „Rücktrittsrecht wegen Platzierungsinteresses“:252

Vorbemerkung

Dem Erwerber ist bekannt, dass der Veräußerer für die Realisierung des Projekts (Errichtung von bis zu acht Eigentumswohnungen auf dem Grundstück …, Veräußerung an einzelne Erwerber nach Aufteilung in Wohnungseigentum) auf eine Zwischenfinanzierung angewiesen ist. Diese wird seitens der finanzierenden Bank nur gewährt, wenn die abgeschlossenen Bauträgerverträge betreffend das vorgenannten Bauvorhaben ein Gesamtkaufpreisvolumen in Höhe von … € erreichen (erforderliche Abverkaufsquote). Vor Erreichen der erforderlichen Abverkaufsquote kann mit dem Bauvorhaben nicht begonnen werden.

Rücktrittsrecht

1. Sofern der Veräußerer nicht bis zum … [Datum – maximal sechs Wochen nach dem Tag der Beurkundung] Kaufverträge betreffend das in der Vorbemerkung bezeichnete Bauvorhaben mit einem Gesamtkaufpreisvolumen in Höhe von … € abgeschlossen hat, ist er berechtigt, durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Erwerber vom Vertrag zurückzutreten, es sei denn, ihm ist insoweit Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

Dem Erwerber steht ebenfalls ein entsprechendes Rücktrittsrecht zu, sofern der Veräußerer nicht bis zum … [Datum – maximal sechs Wochen nach dem Tag der Beurkundung] durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Erwerber auf sein Rücktrittsrecht verzichtet oder bestätigt hat, dass die erforderliche Abverkaufsquote erreicht wurde. Der Erwerber nimmt diesen Verzicht bereits jetzt an. Der Veräußerer verpflichtet sich, den Erwerber und den beurkundenden Notar unverzüglich über das Erreichen der erforderlichen Abverkaufsquote zu informieren.

2. Veräußerer und Erwerber können ihr jeweiliges Rücktrittsrecht nur bis spätestens … [Datum – drei bis vier Monate nach dem Tag der Beurkundung] ausüben. Maßgeblich ist der Zugang der Rücktrittserklärung beim jeweils anderen Vertragsteil. Danach erlischt das Rücktrittsrecht. Die zurücktretende

252 Angelehnt an den Vorschlag von Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 6. Aufl. 2012,

Rn. 2960.

S. 143 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Partei hat den beurkundenden Notar unverzüglich durch Übersendung einer Kopie der Rücktrittserklärung über den Rücktritt zu unterrichten.253

3. Wird die erforderliche Abverkaufsquote nach dem … [Datum, siehe Ziffer 1] erreicht, erlischt das noch nicht ausgeübte Rücktrittsrecht des Veräußerers. Gleiches gilt für das noch nicht ausgeübte Rücktrittsrecht des Erwerbers, wenn der Veräußerer gegenüber dem Erwerber auf sein Rücktrittsrecht verzichtet oder er das Erreichen der erforderlichen Abverkaufsquote bestätigt.

[Kostentragung etc.]

bb) Exkurs: Rechtsfolgen bei Nichtanerkennung des Rücktrittsgrundes

Das Rücktrittsmodell ist den anderen Gestaltungsvarianten auch deshalb überlegen, weil nicht lange Zeit nach Abschluss und Durchführung des Vertrages Rückabwicklungs- bzw. Haftungsstreitigkeiten drohen. Sofern das formularmäßige Rücktrittsrecht den Anforderungen des § 308 Nr. 3 BGB nicht standhält, ändert dies nichts am wirksamen Vertragsschluss. Dem Klauselverwender steht lediglich kein Rücktrittsrecht zu (§ 306 Abs. 2 BGB). Will er sein vermeintlich bestehendes Rücktrittsrecht ausüben, hat dies innerhalb der Rücktrittsfrist zu erfolgen. Bestehen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Wirksamkeit des Rücktritts, dürften diese ebenfalls einigermaßen zeitnah nach Vertragsschluss geklärt werden. Fällt das Rücktrittsrecht weg und besteht der Vertragspartner des Verwenders auf Erfüllung, dürfte die Durchführung des Vertrages in den vorgenannten Konstellationen nicht in Betracht kommen, so dass lediglich Sekundäransprüche im Raum stehen, die wiederum nicht erst nach vielen Jahren geltend gemacht werden.

c) Zwischenergebnis

Soll eine Entscheidung über die (verbindliche) Begründung der wechselseitigen vertraglichen Pflichten noch einige Zeit hinausgeschoben werden und überschreitet der hierfür ggf. erforderliche Zeitraum vier Wochen ab dem Tag der Beurkundung der Willenserklärungen des Erwerbsinteressenten deutlich, erscheint mir das Rücktrittsmodell trotz bereits bei Vertragsschluss anfallenden Grunderwerbsteuer gegenüber allen anderen vorgenannten Gestaltungsvarianten im Vorteil. Wegen der weitreichenden Bindung des Klauselverwenders dürfte ein verhältnismäßig großzügiger Maßstab im Rahmen der Inhaltskontrolle254 anzulegen sein. Ferner sind die Folgen bei Unwirksamkeit des Rücktrittsrechts aufgrund Verstoßes gegen die Vorgaben von § 308 Nr. 3 BGB weniger einschneidend, da sie entweder alsbald oder überhaupt nicht ein- bzw. hervortreten.

253 Gegebenenfalls Bevollmächtigung des beurkundenden Notars zur Entgegennahme der

Rücktrittserklärung. 254 Konkret: sachliche Rechtfertigung des Rücktrittsgrundes.

S. 144 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

4. Wann ist eine Überschreitung der Regelbindungsfrist erheblich?

Kürzlich hatte sich der V. Zivilsenat mit einem Fall zu befassen, in welchem der Unternehmer das Angebot – bei Unwirksamkeit der formularmäßigen Bindungs- bzw. Annahmefrist - nach 5 Wochen und 5 Tagen angenommen hat. Diese Entscheidung ist bislang noch nicht veröffentlicht.255 Dies will ich aber zum Anlass nehmen, noch einmal kurz den Meinungsstand zusammen zu fassen, wann eine Überschreitung der Regelbindungsfrist noch als unerheblich anzusehen ist.

Im notarrechtlichen Schrifttum wird vielfach eine Bindungsfrist von bis zu sechs Wochen noch als akzeptabel angesehen.256 Jüngst wurde allerdings von der Vorsitzenden Richterin des V. Zivilsenats darauf hingewiesen, dass eine Überschreitung von 50 % begrifflich durchaus erheblich sein dürfte. Unter Umständen sei gar nur eine Überschreitung um einige Tage bedenkenlos möglich.257

Ob ein derart restriktives Verständnis, welches die Vertragsfreiheit im Hinblick auf die Länge der Bindungsfrist faktisch gänzlich aufhebt, zum Schutz des Klauselgegners geboten ist, sei dahingestellt. Für die Praxis dürfte es sich vor diesem Hintergrund wohl bis zu einer höchstrichterlichen Klärung empfehlen, sich beim Immobilienerwerb schlicht mit der vom BGH vorgegebenen vierwöchige „Regelbindungsfrist“ i. S. v. § 147 Abs. 2 BGB anzufreunden.258

5. Sonderfall Veräußerungskonstellation?

Die bisherigen Entscheidungen des BGH und der Oberlandesgerichte betrafen ausschließlich die sog. Erwerbskonstellation, in welcher der Klauselverwender auf Veräußererseite auftritt und der Erwerbsinteressent ihm die Entscheidung über das Zustandekommen des Vertragsschlusses durch Abgabe eines bindenden bzw. nach Ablauf der Bindungsfrist jedenfalls weiterhin annahmefähigen Angebots überlässt. In der sog. Veräußerungskonstellation sind die Rollen vertauscht, d. h. der Klausel-verwender handelt auf Erwerberseite und lässt sich vom derzeitigen Eigentümer des Grundstücks eine wie auch immer gestaltete, für längere Zeit gültige Erwerbs-möglichkeit betreffend das gewünschte Grundstück einräumen. Insoweit stellen sich die vorstehend skizzierten Probleme grundsätzlich in gleicher Weise. Es gilt also zu

255 BGH, Revision unter V ZR 5/12. 256 Vgl. zum Meinungsstand Herrler, notar 2013, 71, 74 m. w. N. 257 Stresemann, DAI-Skript, 11. Jahresarbeitstagung des Notariats, 2013, S. 1, 11, unter Hinweis

auf Dammann, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer/, AGB-Recht, 5. Aufl. 2009, § 308 Nr. 1 BGB Rn. 11 (Überschreitung absolut maximal ein bis zwei Tage und relativ maximal 20 %).

258 Ebenso Hertel, ZfIR 2013, 769, 771.

S. 145 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

klären, ob die formularmäßige Bindung des (ggf. prospektiven) Verkäufers mit den Anforderungen der § 308 Nr. 1 bzw. Nr. 3 sowie § 307 BGB vereinbar ist.259

Angesichts der Ausführungen des V. Zivilsenats in der Entscheidung vom 27.9.2013 dürfte meines Erachtens eher nicht davon auszugehen sein, dass der BGH die Regel-bindungsfrist i. S. v. § 147 Abs. 2 BGB in der Veräußerungskonstellation generell länger als mit vier Wochen bemisst.

Sofern man sich der oben vertretenen Auffassung einer konkret-individuellen Bemessung der Regelbindungsfrist anschließt, dürften längere Regelbindungsfristen in der Veräußerungskonstellation aber insbesondere dann nicht unwahrscheinlich sein, wenn der erwerbsinteressierte Unternehmer offenlegt, weshalb er eine längere Bindungsfrist benötigt, und diese Gründe auch ein berechtigtes Interesse des Unternehmers widerspiegeln.

a) Echte Gegenleistung (Optionsvertrag)

Unabhängig davon dürfte der Abschluss eines Optionsvertrages ohne weiteres zulässig sein, in welchem sich der Klauselverwender zu einer echten Gegenleistung verpflichtet (Zahlung eines Bindungsentgelts, Herbeiführung der Baureife bzw. dahingehender, ernsthafter Bemühungen o. Ä.). Leistung (Ermöglichung der Vertragsabschlussgelegenheit für einen bestimmten, deutlich über vier Wochen hinausgehenden Zeitraum) und Gegenleistung unterfallen dann gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB grundsätzlich nicht der Inhaltskontrolle.

b) Verkaufspreis erheblich über derzeitigem Verkehrswert

Bei einem reinen Angebot-Annahme-Modell halte ich persönlich ebenfalls deutlich längere Bindungsfristen dann für mit § 308 Nr. 1 BGB vereinbar, wenn der avisierte Verkaufspreis den derzeitigen Verkehrswert des Grundstücks offenkundig erheblich übersteigt, etwa weil der Klauselverwender beabsichtigt, die Baureife von Acker-flächen herbeizuführen, und der Verkaufspreis in gewissem (nicht ganz unerheb-lichem) Umfang bereits die künftige Nutzbarkeit des Grundstücks widerspiegelt. Im Interesse der Transparenz dürfte es sich empfehlen, die Wertrelation in der Urkunde kurz zu erläutern.

Wirtschaftlich betrachtet erkauft sich der Eigentümer die Chancen auf einen erheblichen Mehrerlös mit der Einschränkung seiner Dispositionsfreiheit. Dies rechtfertigt m. E. eine erheblich längere Bindungsfrist, ohne dass es eines

259 Vgl. allgemein zur Veräußerungskonstellation DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2008, 19.

S. 146 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

vertraglichen Anspruchs gegen den Klauselverwender auf Herbeiführung der Baureife bzw. auf ernsthafte, dahingehende Bemühungen bedarf.260

c) Vertragliche Gestaltungsmodelle vorzugswürdig

Da aber in Anbetracht der Entscheidung vom 27.9.2013 jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass der BGH die dort postulierte Höchstgrenze von drei Monaten nicht nur auf die Erwerbskonstellation und speziell den Bauträgervertrag, sondern ebenfalls auf die Veräußerungskonstellation anwendet, in welcher vielfach deutlich längere Bindungsfristen gewünscht werden (9 Monate bis 1 Jahr, teilweise auch 2 Jahre), empfiehlt sich bei gewünschter längerer Bindung (und wohl auch bei einer Bindung nahe bzw. an der 3-Monats-Grenze) eine vertragliche Gestaltung unter Einbindung des Klauselverwenders (aufschiebend bedingter Vertrag, Options-modell, Rücktrittsvorbehalt).

Wählt man das Rücktrittsmodell und räumt man im Interesse der Waffengleichheit beiden Vertragsteilen (jedenfalls nach Ablauf eines kurzen „echten“ Bindungs-zeitraums) ein Rücktrittsrecht ein, wird je nach Bemessung des Kaufpreises (niedriger Ansatz mit Preisanpassungsmechanismus bei Eintritt der Baureife oder von vornherein Verkaufspreis deutlich über dem Verkehrswert und Rücktrittsrecht bei Nichteintritt der Baureife bis zu einem bestimmten Zeitpunkt) entweder der Grundstückseigentümer oder der Erwerber am Rücktritt interessiert sein. Jedenfalls in der erstgenannten Variante lässt sich eine Unwirksamkeit des formularmäßigen Rücktrittsrechts kaum mit §§ 307-309 BGB begründen, insbesondere dann, wenn das Rücktrittsrecht nur dem Klauselgegner eingeräumt wird.261 Es ließe sich allenfalls darüber nachdenken, hierin eine unzulässige Umgehungsgestaltung i. S. v. § 306a BGB zu sehen, da anstelle eines hohen Kaufpreises sowie eines kontrollfähigen Rücktrittsrechts des Klauselverwenders ein niedrigerer Kaufpreis sowie ein Rücktrittsrecht des anderen Teils vereinbart wurde.262

260 Vgl. Herrler, DNotZ 2011, 276, 280; Ph. Müller/Klühs, RNotZ 2013, 81, 85 f., je m. w. N. In

aller Regel wird dem Klauselverwender schon im Eigeninteresse an einer Realisierung des Projekts gelegen sein.

261 Vgl. Herrler, DNotZ 2011, 276, 281. 262 In diesem Sinne könnte man die – freilich abstrakten – Ausführungen bei Staudinger/Coester-

Waltjen, BGB, Neubearb. 2013, § 308 Nr. 3 Rn. 15 (Spekulant muss bei Kauf von Bauerwartungsland das Risiko der weiteren Entwicklung tragen).

S. 147 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

6. Bindungsfrist für Kaufzwangklausel in einem Erbbaurechtsvertrag

BGH, Urt. v. 1.3.2013 - V ZR 31/12, MittBayNot 2013, 477 m. Anm. Rapp = NJW-RR 2013, 1028 = ZNotP 2013, 382.

a) Sachverhalt

In dem der BGH-Entscheidung vom 1.3.2013 zugrunde liegenden Sachverhalt wurde in einem am 14.8.1964 abgeschlossenen Erbbaurechtsvertrag eine sog. Kaufzwangklausel folgenden Inhalts vereinbart:

„Der Erbbauberechtigte macht hierdurch mit Wirkung für sich und seine Rechts-nachfolger für die Dauer der Zeitspanne, die zwischen der Eintragung des Erbbau-rechts und dessen vertragsmäßigem Ende liegt, dem jeweiligen Eigentümer das Angebot, die Grundstücke zu den in § 5 niedergelegten Bedingungen zu kaufen.“

Weiterhin war im Erbbaurechtsvertrag geregelt, dass der jeweilige Eigentümer nach Ablauf des Erbbaurechts gem. § 2 Nr. 7 ErbbauRG verpflichtet ist, das Grundstück zu den in § 5 niedergelegten Bedingungen an den Erbbauberechtigten zu verkaufen oder das Erbbaurecht auf weitere 99 Jahre zu verlängern.

In der Folgezeit fanden etwa alle fünf bis acht Jahre Gespräche zwischen den Grundstückseigentümern und dem Erbbauberechtigten, einem Wohnungsbau-unternehmen, über die Erhöhung des Erbbauzinses statt. Dabei bestätigten die Grundstückseigentümer zwischen August 1973 und April 2001 mehrfach, von ihrem Vorkaufsrecht keinen Gebrauch zu machen.

Im Jahr 2007 „behielten“ sich die Beklagten als Gesamtrechtsnachfolger des früheren Grundstückseigentümers gegenüber der Klägerin (Gesamtrechtsnachfolgerin der früheren Erbbauberechtigten) die Annahme des in dem Erbbaurechtsvertrag enthaltenen Kaufangebots „vor“. Mit notarieller Erklärung vom 16.12.2008 nahmen sie das Angebot an.

Der BGH hatte zu entscheiden, ob durch die Annahme des im Erbbaurechtsvertrag aus dem Jahr 1964 vereinbarten Kaufangebots ein wirksamer Grundstückskaufvertrag zustande gekommen ist.

b) Rechtsnatur einer sog. Kaufzwangklausel

Bei der vorliegend vereinbarten (in der Praxis eher seltenen)263 Kaufzwangklausel, durch welche sich der Erbbauberechtigte dem Grundstückseigentümer zum Ankauf des Grundstücks durch Abgabe eines (jederzeit bzw. unter bestimmten Voraussetzun-gen annehmbaren) Angebots verpflichtet, bildet das Pendant zu der in § 2 Nr. 7 ErbbauRG angesprochenen Verpflichtung des Grundstückseigentümers, das Grund-stück an den jeweiligen Erbbauberechtigten zu verkaufen. Da diejenigen Vereinbarun-

263 Rapp, MittBayNot 2013, 480.

S. 148 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

gen zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Erbbauberechtigten, die als dinglicher Inhalt des Erbbaurechts auch gegenüber Sonderrechtsnachfolgern Gültigkeit beanspruchen, in §§ 2 Nr. 1-7, 5, 27 Abs. 1 und 32 Abs. 1 S. 2 ErbbauRG abschließend aufgezählt sind, kann der vorliegend in Rede stehenden Kaufzwang-klausel nur schuldrechtliche Bedeutung zukommen. Hierauf kommt es vorliegend allerdings deshalb nicht an, weil der derzeit Erbbauberechtigte Gesamtrechts-nachfolger des ursprünglichen Vertragspartners des Grundstückseigentümers ist und damit auch dessen schuldrechtliche Verpflichtungen auf ihn übergegangen sind.264

c) Inhaltskontrolle

Bedenken gegen die Wirksamkeit einer Kaufzwangklausel können sich zum einen unter dem Aspekt der Sittenwidrigkeit und zum anderen, sofern es sich bei der betreffenden Bestimmung um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt oder die §§ 307 ff. BGB über § 310 Abs. 3 BGB Anwendung finden, aufgrund der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle ergeben.265

aa) Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB)

Eine schuldrechtliche Vereinbarung, mit der sich der Erbbauberechtigte zum Ankauf des Erbbaugrundstücks auf Verlangen des Grundstückseigentümers verpflichtet, ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH grundsätzlich zulässig. Etwas anderes gilt allerdings im Falle einer übermäßig langen Bindungsdauer des Kaufzwangs (näher unter (2)). In diesem Fall ist die Vereinbarung aber regelmäßig nicht insgesamt unwirksam, sondern entsprechend § 139 BGB auf die im Einzelfall angemessene Bindungsdauer zu reduzieren.266

(1) Ankaufsverlangen zur Unzeit

Das Ankaufsverlangen ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH sittenwidrig,

• wenn es zur Unzeit erklärt wird. Dies ist bei einem einer natürlichen Person zu Wohnzwecken bestellten Erbbaurecht u. a. dann der Fall, wenn der Kaufvertrag in den ersten zehn Jahren nach der Bestellung des Rechts zustande kommen soll,

• wenn dem Erbbauberechtigten nicht ein angemessener Zeitraum für die Finanzierung des Grundstückskaufs eingeräumt wird,

• wenn die Ausübung des Vorkaufsrechts erst in einem Zeitpunkt erfolgt, in welchem der Erbbauberechtigte bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist oder bald ausscheiden wird oder

264 Vgl. Rapp, MittBayNot 2013, 480. 265 Vgl. zur Zulässigkeit bereits ausführlich DNotI-Gutachten, DNotI-Report 1997, 121, auch zur

rechtsmissbräuchlichen Ausübung der Ankaufsverpflichtung. 266 BGH MittBayNot 2013, 477, 478 m. w. N.

S. 149 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

• wenn das Ankaufsverlangen erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem der Berechtigte bereits Erbbauzinsen in mehrfacher Höhe des Grundstücks gezahlt hat.267

Ein die Sittenwidrigkeit begründendes Ankaufsverlangen zur Unzeit kommt demgegenüber bei einem finanzstarken Erbbauberechtigten, der das Grundstück auch gerne unmittelbar gekauft hätte, nicht in Betracht. Gleiches gilt bei einem Erbbauberechtigten, der das Erbbaurecht im Rahmen seines Geschäftsbetriebs als Bauträger zum Zweck der Bebauung und Weiterveräußerung erworben hat, da ihm gegenüber die soziale Zweckbestimmung des ErbbauRG nicht zum Tragen kommt.268

Da es sich beim Erbbauberechtigten vorliegend nicht um eine natürliche Person, sondern um ein auf Gewinnerzielung ausgerichtetes Wohnungsbauunternehmen handelt, kommt danach eine Sittenwidrigkeit wegen eines Ankaufsverlangens zur Unzeit nicht in Betracht.

(2) Länge der Bindungsdauer (44 Jahre)

Der BGH stellt in der vorstehenden Entscheidung ferner heraus, dass eine Bindungs-dauer von 44 Jahren für sich genommen nicht sittenwidrig ist. Ungeachtet der sowohl im Verjährungsrecht als auch im Recht des Wiederkaufs geltenden 30-jährigen Höchstfrist (§§ 197, 462 S. 1 BGB), der 20-jährigen Höchstfrist für langfristige Bindungen im Rahmen von Bierlieferungsverträgen sowie der Unzulässigkeit von erheblich über vier Wochen hinausgehenden Bindungen in formularmäßigen Kauf-angeboten, stellt der V. Zivilsenat heraus, dass eine vereinbarte Ausübungsfrist von 99 bzw. 90 Jahren für ein Wiederkaufsrecht bei Grundstücken nicht sittenwidrig ist269 und dass Unterlassungsverpflichtungen nach § 137 S. 2 BGB (schuldrechtliche Verfü-gungsverbote) nicht nach 30 Jahren nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unwirksam werden.270

Im vorliegenden Fall sei darüber hinaus zu berücksichtigen, dass eine Verkaufspflicht seitens des Grundstückseigentümers i. S. v. § 2 Nr. 7 ErbbauRG besteht. Insoweit wird eine Bindung über die gesamte Vertragslaufzeit für zulässig erachtet.271 Zudem kam die Annahme des Kaufangebots für den Erbbauberechtigten nicht überraschend, da der Grundstückseigentümer immer wieder aufs Neue für einen Zeitraum von fünf Jahren auf einen Verkauf verzichtet hatte, so dass jeweils nach Ablauf des Verzichtszeitraums mit einer Annahme des Kaufangebots zu rechnen war. An dieser Beurteilung ändert sich auch durch die fehlende Frist zur Kaufpreiszahlung im Erbbaurechtsvertrag nichts, da das Ankaufsverlangen des Grundstückseigentümers

267 BGH MittBayNot 2013, 477, 478 m. w. N. 268 BGH MittBayNot 2013, 477, 478 m. w. N. 269 Vgl. BGH NJW 2011, 515, 516 Tz. 9 ff.; NJW-RR 2011, 1582, 1583 Tz. 11 ff. 270 BGH NJW 2012, 3162, 3163 Tz. 10 ff. 271 Ingenstau/Hustedt, ErbbauRG, 9. Aufl. 2010, § 2 Rn. 96, 98; Staudinger/Rapp, BGB,

Neubearb. 2009, § 2 ErbbauRG Rn. 31.

S. 150 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

vorliegend rechtzeitig durch das Vorbehalten der Angebotsannahme mehr als ein Jahr zuvor und damit rechtzeitig angekündigt wurde.272

Für die Frage der Sittenwidrigkeit soll es nach Ansicht des BGH lediglich auf den ursprünglichen Vertragspartner des Grundstückseigentümers ankommen, vorlie-gend also die Wohnungsbaugenossenschaft, die das Erbbaurecht nicht zu eigenen Wohnzwecken erwirbt. Ohne Bedeutung ist grundsätzlich, dass die Möglichkeit der Weitergabe des Erbbaurechts an natürliche Personen mit gesteigertem Schutzbedürfnis besteht.273

Ein weiterer Faktor für die Frage der Sittenwidrigkeit dürfte – auch wenn der V. Zivilsenat vorliegend hierauf nicht rekurriert hat – die vertraglich vereinbarte Methode der Kaufpreisbestimmung sein. Ob insoweit an der BGH-Rechtsprechung aus dem Jahr 1988 festzuhalten ist, wonach die Belastung des Grundstücks mit dem Erbbaurecht bei der Ermittlung des Verkehrswerts außer Betracht zu bleiben hat,274 erscheint nicht zweifelsfrei, da zu Recht darauf hingewiesen wird, dass das Erbbaurecht insbesondere im Falle eines verhältnismäßigen niedrigen Erbbauzinses einen erheblichen Wert haben kann, welchen der Erbbauberechtigte durch die Pflicht zum Grundstücksankauf zum vollen Verkehrswert verliert.275

Bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit im Hinblick auf die Bindungsdauer durch den BGH verwundert ein wenig, dass insoweit nicht durchgängig eine ex-ante-Betrachtung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgenommen wird, sondern – ebenso wie bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit des Ankaufsverlangens – auf das weitere Verhalten des Grundstückseigentümers abgestellt wird, was eher einer Ausübungskontrolle entspricht. Richtigerweise ist bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit allein auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts abzustellen.276 Allerdings sollen nachträgliche Änderungsvereinbarungen bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit eines Vertrags zu beachten sein.277 Unter Umständen lassen sich daher die (wohl) einseitigen Erklärungen des Grundstückseigentümers als in diesem Sinne relevante nachträgliche Umstände interpretieren.

Dem Vertragsgestalter kommt diese Herangehensweise freilich entgegen, da er nicht sämtliche berechtigten Interessen des Ankaufsverpflichteten antizipieren muss. Gleichwohl dürfte es sich empfehlen, die anerkannten Grundsätze für eine vertraglich vereinbarte Kaufzwangklausel, d.h. die vom Eigentümer zu beachtenden Grenzen seines Anspruchs, im Interesse der Transparenz und der Streitvorbeugung im

272 Offenbar möchte der BGH derartigen Unbilligkeiten allein auf der Ebene der „Ausübung“ der

Kaufzwangklausel begegnen. Eine vorsorgliche Beschränkung der Ankaufsverpflichtung ist für die Zwecke des § 138 Abs. 1 BGB offenbar nicht erforderlich.

273 BGH MittBayNot 2013, 477, 479 m. w. N. 274 NJW 1989, 2129. 275 Zutreffend Rapp, MittBayNot 2013, 480, 481 m. w. N. 276 Vgl. jüngst BGH NJW 2012, 1570 Tz. 13 m. w. N. 277 BGH NJW 2012, 1570 Tz. 14 f. m. w. N.

S. 151 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Erbbaurechtsvertrag niederzulegen. Dies gilt erst recht in Fällen, in denen die Anwendbarkeit der §§ 307 ff. BGB nicht mit Gewissheit auszuschließen ist.

bb) AGB-rechtliche Inhaltskontrolle

Sofern es sich bei der vereinbarten Ankaufspflicht des Erbbauberechtigten jedoch um eine Formularklausel handelt, weicht diese vom gesetzlichen Leitbild des Erbbaurechts (vgl. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB i. V. m. § 2 Nr. 7 ErbbauRG) ab und ist daher grundsätzlich nur dann wirksam, wenn dem Erbbauberechtigten bereits im Erbbaurechtsvertrag eine angemessene Frist zur Beschaffung des Kaufpreises zugestanden wird278 und die Ankaufspflicht nicht während der gesamten Dauer eines langfristigen Erbbaurechts besteht.279 Zwar lassen sich die vorgenannten Kriterien nicht uneingeschränkt auf juristische Personen bzw. Personenhandelsgesellschaften als Erbbauberechtigte übertragen, doch sollen auch gegenüber Unternehmen sogar individualvertragliche Kaufbindungen, die sich über die gesamte Laufzeit eines lang laufenden Erbbaurechts erstrecken, bedenklich sein. Der V. Zivilsenat hält eine Bindung an ein Grundstückskaufangebot für 99 Jahre für unangemessen lang, da die

„Entwicklung des Kaufpreises und die sonstigen mit einem Kauf verbun-denen Risiken über einen Zeitraum von 99 Jahren […] auch für ein Wohnungsbauunternehmen bei Abgabe des Angebots unkalkulierbar [waren]. Die Klausel lässt eine Annahme kurz vor Ende der Vertrags-laufzeit zu, unabhängig davon, ob der Kaufpreis in diesem Zeitpunkt aufgrund der Bodenpreisentwicklung auf eine für die Klägerseite unzumutbare Höhe angestiegen ist oder ob sie bis dahin bereits Erbbauzinsen in mehrfacher Höhe des Kaufpreises geleistet hat.“ 280

Zudem resultiere eine unangemessene Benachteiligung aus der sofortigen Fälligkeit des Kaufpreises (§ 271 Abs. 1 i. V. m. § 433 Abs. 2 BGB) mangels abweichender Regelung im Erbbaurechtsvertrag.

Sofern ein Formularvertrag vorliegt, müssen alle vorstehend angesprochenen Beschränkungen der Kaufzwangklausel klar und deutlich im Erbbaurechtsvertrag niedergelegt werden.

278 Ankündigungs- und/oder Fälligkeitsfrist, vgl. BGH DNotZ 1992, 106, 107. 279 BGH DNotZ 1992, 106 ff. 280 BGH MittBayNot 2013, 477, 480; a. A. Rapp, MittBayNot 2013, 480, 481.

S. 152 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

III. Abnahme und Mängelhaftung im Bauträgervertrag (K)

Teilabschnitt 1: Mängelhaftung

Die Mängelhaftung im Bauträgervertrag beschäftigt uns bei den Aktuellen Problemen

jedes Jahr aufs Neue. Neben der weiter laufenden grundsätzlichen Diskussion darum,

welche Mängelrechte aus dem Bauträgervertrag wem zuzuordnen sind - Recht des

einzelnen Erwerber, gekorenes oder geborenes Recht der Gemeinschaft -, sind es auch

laufend Einzelfragen, die uns beschäftigen.

1. Erwartbarer, wenn auch nicht ausdrücklich vereinbarter Qualitätsmaßstab

BGH vom 21.11.2013 - VII ZR 275/12, BeckRS 2013, 22120 = IBRRS 95337.

Gestritten wurde über die Frage, ob eine Hoffläche einer Wohnungseigentumsanlage

auch dann ein Gefälle aufweisen müsse, wenn dieses Gefälle weder in der

Baubeschreibung beschrieben noch für das Objekt zwingend erforderlich ist.

Das OLG hatte die diesbezügliche Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft mit

genau diesen Hinweisen,

- nicht ausdrücklich vereinbart,

- nicht zwingend erforderlich,

abgewiesen.

Der BGH konkretisiert mit der Entscheidung und den entsprechenden Hinweisen an

die Berufungsinstanz, der die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen

wurde, die Erfordernisse, die auch an die Gebäudeteile zu stellen sind, die nicht

ausdrücklich beschrieben und die auch nicht Gegenstand besonderer Normen wie

bspw. der DIN sind.

S. 153 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

In der Regel enthalten die Bauträgerverträge eine Klausel dazu, woran sich der

Standard nicht ausdrücklich beschriebener und nicht von Normen explizit geregelter

Elemente des Bauvorhabens richten soll. Typisch ist dafür eine Formulierung wie:

„Soweit in der Baubeschreibung Leistungen nur allgemein beschrieben sind,

bestimmt der Veräußerer die näheren Einzelheiten unter Berücksichtigung des

heute üblichen Baustandards und der Qualität der sonstigen in der

Baubeschreibung beschriebenen Leistung.“

Im entschiedenen Fall hat der BGH das Berufungsgericht ausdrücklich darauf

verpflichtet, die Bewertung der vertraglichen Verpflichtungen der Beteiligten in dieser

Hinsicht zu untersuchen. Auch das, was technisch noch als ordnungsgemäß zu

bezeichnen ist, kann nach dem Inhalt der insoweit auslegungsbedürftigen Erklärungen

der Beteiligten Gegenstand der Verpflichtungen sein. Handelt es sich also um eine

Eigentumswohnanlage mit niedrigen Baustandard und einer nur Mindeststandrads

genügenden Ausführung der Einzeldetails, wird es wohl auch vereinbarter

Vertragsinhalt sein, dass die Hoffläche ohne Gefälle und damit mit dem Risiko des

Stehenbleibens von Pfützen und einer erhöhten Verschmutzungsanfälligkeit ausgeführt

ist. Ist die Anlage dagegen durch einen entsprechend höheren Standard

gekennzeichnet, dann ergibt sich selbstredend auch die Verpflichtung, diesen Standard

auch bei den Bauteilen einzuhalten, die nicht ausdrücklich beschrieben sind.

Was lässt sich daraus für die Praxis ableiten?

So schwer es den bauträgern auch fallen mag, es zahlt sich für diese regelmäßig aus,

die von ihnen erbrachten Leistungen so konkret wie irgend möglich in der

Baubeschreibung auszuführen. Hätte der Bauträger in der Baubeschreibung

ausdrücklich ausgeführt, dass der Hof ohne Gefälle ausgeführt wird, dann hätte er mit

dem Risiko der entsprechenden Verpflichtung wohl nur dann leben müssen, wenn

diese Art der Ausführung gänzlich überraschend und aus dem Standard der sonstigen

Ausführung nicht zu erwarten war.

=> Sorgfalt bei der Baubeschreibung sichert vor späterem Streit.

S. 154 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

2. Schallschutz bei Altbau

OLG Brandenburg, Urt. v. 13.6.2013 - 12 U 162/12, BeckRS 2013, 12027 = LSK

2013, 450869.

Das Urteil des OLG Brandenburg vom 13. Juni 2013 ist in mehrfacher Hinsicht

interessant. Neben den hier behandelten Aspekten der Schallschutzerfordernisse im

Altbau war ein wesentlicher Bestandteil des Urteils die Beschäftigung mit

vertraglichen Abnahmevereinbarungen.

Die Beteiligten hatten einen Bauträgerkaufvertrag über eine Wohnung in einem

komplett zu sanierenden Denkmalschutzgebäude geschlossen. Die dem beklagten

Bauträger obliegenden Sanierungspflichten sollten unter Berücksichtigung des

Denkmalschutzes erfolgen. § 2 des Vertrages enthielt eine Klausel, wonach der

Beklagten hinsichtlich der Sanierungsleistungen ein „billiges Ermessen“ eingeräumt

werden sollte. Der Schallschutz in der erworbenen Wohnung entsprach nach einem

eingeholten Sachverständigengutachten nicht einmal dem Mindestschallschutz nach

DIN 4109.

Das OLG entschied, dass jedenfalls dann, wenn eine umfassende Sanierung eines

Altbaus zwischen den Parteien vereinbart wurde, Mindestanforderungen an den

Schallschutz zu erfüllen sind. Insoweit hat das OLG Brandenburg die Grundsätze aus

dem Urteil des BGH vom 16. 12. 2004281 fortgeführt, das einem Verbraucher

grundsätzlich dann, wenn keine ausdrücklichen Regelungen getroffen sind, die

Erfüllung der Erwatung sichert, dass der Unternehmer beim Schall- und Wärmeschutz

„im Rahmen des technisch Möglichen die Maßnahmen angewandt hat, die

erforderlich sind, um den Stand der anerkannten Regeln der Technik zu

281 BGH vom 16. 12. 2004 - VII ZR 257/03, NJW 2005, 1115 = DNotZ 2005, 464 (m. Anm. Basty) = ZfIR 2005, 134 (m. Anm. Vogel).

S. 155 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

gewährleisten.“ Dass es sich beim vorliegenden Bauobjekt um eine

Denkmalschutzimmobilie handelte, hat den entscheidenden Senat nicht zu einer

Abweichung von diesen Grundsätzen veranlasst.

Das Problem besteht bei Altbauten und insbesondere auch solchen unter Denkmal-

schutz, dass zwar einige Maßnahmen zur Erfüllung heutiger Standards bei Schall- und

Wärmeschutz schlicht nicht ergriffen werden können, weil diese bauartbedingt nicht

durchführbar sind. Im Übrigen ist es aber im Wesentlichen eine Frage des Preises,

welches Niveau bei der Durchführung dieser Maßnahmen erreicht werden kann.

Für die Praxis

sollte auch hier wieder der Rat gelten, dass der Bauträger gerade in den Sanierungs-

fällen klar benennt, welche Standards er bei der Durchführung des Bauvorhabens

anwenden wird. Will er sich dazu gerade nicht festlegen, dann riskiert er, auf das in

Anspruch genommen zu werden, was technisch machbar und wirtschaftlich tragbar ist.

Dass diese Maßnahmen gerade, wenn sie nachträglich erfolgen, jede Kalkulation

sprengen können, versteht sich von selbst. Wer sich meint, durch die Einräumung des

„billigen Ermessens“ bei der Bauausführung freizeichnen zu können, verkennt, dass

„billig“ nur das ist, was auch „gebilligt“ werden kann.

=> Wer schreibt, der bleibt!

3. Nicht behebbare Mängel sind in aller Regel erheblich

OLG Hamm, Urt. v. 12.9.2013 - 21 U 35/13, BeckRS 2013, 17547.

Im konkret entschiedenen Fall des OLG Hamm ging es um einen Feuchtigkeits-

schaden an einer Außenwand, die auf einen Mangel im Mauerwerk zurückzuführen

war und praktisch nicht mehr behoben werden konnte, ohne das gesamte Bauteil zu

S. 156 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

entfernen, was wohl – das Urteil äußert sich dazu nicht – einem Abriss des Gebäudes

entsprochen hätte.

Interessant ist die Entscheidung vor allem wegen ihres 4. Leitsatzes, der wie folgt

lautet:

„Nicht behebbare Mängel sind in aller Regel erheblich. Bei behebbaren

Mängeln ist grundsätzlich auf die Kosten der Mängelbeseitigung und nicht auf

das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung abzustellen. Auf das Ausmaß der

Funktionsbeeinträchtigung kommt es aber dann entscheidend an, wenn der

Mangel nicht oder nur mit hohen Kosten behebbar oder die Mangelursache im

Zeitpunkt der Rücktrittserklärung ungeklärt ist, etwa weil auch der Verkäufer

sie nicht hat feststellen können.“

Worum es dabei geht, ist die Frage, ob die Voraussetzung des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB,

der den Rücktritt ausschließt, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist, gegeben

sind.

Mit diesem Leitsatz hat es sich das OLG Hamm vergleichsweise einfach gemacht. Die

Problematik des Falles bestand nämlich darin, dass zwar die Durchfeuchtung des

Bauteils nachgewiesen wurde, konkrete Schimmelbildungen aber wohl nicht sicher

gefunden wurden.

Im konkreten Fall war die Entscheidung wegen der Feuchtigkeit wahrscheinlich

richtig. Bei dem aufgestellten Leitsatz sollte man allerdings Vorsicht walten lassen.

Nur deshalb, weil ein Mangel nicht behoben werden kann, ist gerade nicht festgestellt,

dass dieser auch immer ein Reißen der „Unerheblichkeitsschwelle“ des § 323 Abs. 5

S. 2 BGB mit sich bringt. Als Beispiel sei hier nur die praktisch nie behebbare

Flächenminderung eines versprochenen Baukörpers zu nennen. Weist dieser statt der

versprochenen 80qm nur deren 79,5qm auf, liegt ein Mangel vor, der so nicht zu

S. 157 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

beheben ist. Gleichwohl dürfte die Zuerkennung eines Rücktrittsrechts in diesen Fällen

ausgeschlossen sein.

Für die Praxis der Vertragsgestaltung

spielt das Urteil keine erhebliche Rolle.

Die Frage behebbar/nicht behebbar kann für die Erheblichkeitsbetrachtung beim § 323

Abs. 5 S. 2 BGB keine Rolle spielen. Diese bemisst sich immer danach, wie

beeinträchtigend der durch die Pflichtverletzung entstehende Mangel ist.

4. Untersuchungsrecht des Werkunternehmers

BGH, Urt. v. 19.12.2012 - VIII ZR 96/12, NJW 2013, 1074; dazu Looschelders, JA

2013, 785.

Etwas ungewöhnlich ist es schon, die vorstehend genannte Entscheidung für das

Bauträgerrecht anzuführen. Im entschiedenen Fall ging es nämlich um ein bei Ebay

ersteigertes Kajütboot – die praktische Nähe zum Bauträgerrecht ist da auf den ersten

Blick nicht zu erkennen.

Kern der Entscheidung war aber die Rechtsfrage, welche Mitwirkungsverpflichtungen

den Erwerber einer Sache für den Fall der mängelbasierten Nacherfüllung treffen.

Konkret hatten hier die Käufer den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt, obschon sie

dem Verkäufer nicht die Möglichkeit gegeben hatten, den Kaufgegenstand zum

Zwecke der Untersuchung am Erfüllungsort in Augeschein zu nehmen. Die Käufer

hatten das Kajütboot nämlich – nachdem sie den Mangel schon festgestellt hatten, von

Berlin an die Ostsee verbracht. Das vom Verkäufer angebotene Besichtigen zwecks

Eruierung des Nachbesserungsaufwandes im Raum Berlin hatten sie abgelehnt. Ent-

sprechend hatte der BGH die Geltendmachung des Rücktritts abgelehnt. Dazu gehöre

S. 158 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

nun einmal vorrangig, dass dem Nacherfüllungsschuldner am rechten Ort die Besich-

tigung und alsdann die Erbringung der Nacherfüllungsleistungen ermöglicht werde.

Das pikante an der Entscheidung war, dass das Kajütboot nur einen Kaufpreis von

rund € 2.000,-- hatte, der Aufwand für dessen Sanierung aber durch sachverständiges

Gutachten mit € 12.800,-- ermittelt worden war. Das Berufungsgericht hatte deshalb

angenommen, ein Rücktritt ohne Fristsetzung zur Nacherfüllung sei wegen Vorliegens

des Leistungsverweigerungsrechts aus § 275 Abs. 2 BGB (wirtschaftliche

Unmöglichkeit) aufgrund der Bestimmung des § 326 Abs. 5 BGB möglich.

Der BGH hingegen hat die Beurteilung des Falles ganz formenstreng vorgenommen.

Die Berufung auf § 275 Abs. 2 BGB sei Sache des Leistungsschuldners. Diese habe es

nicht gegeben. Nur dann, wenn Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB

vorliege, könne ein sofortiger Rücktritt geltend gemacht werden. So es sich aber nur

um einen Fall der wirtschaftlichen Unmöglichkeit handele, bedürfe es der Berufung

auf den Leistungsausschluss. Da diese hier nicht vorlag, war auch kein Recht zum

Rücktritt gegeben.

Was bedeutet das für den Bauträgervertrag?

Vorschnell sollte kein Erwerber davon ausgehen, dass eine Nacherfüllung durch den

Bauträger entfällt. Der Erwerber ist vielmehr verpflichtet, dem bauträger in jedem

Falle die Besichtigung des Mangels und dessen Untersuchung zu ermöglichen.

Unterlässt er dieses, kann er des Rechts auf weitergehende Mängelrechte verlustig

gehen. Dies gilt auch, wenn der Erwerber die Mängelbeseitigung für wirtschaftlich

unsinnig hält!

Praxishinweis:

Da Erwerber nach dem Einzug wegen Mängeln der Bauleistungen leicht geneigt sind,

eine Antipathie gegen den Bauträger zu entwickeln und diesen nicht an der Tür herein

zu lassen, kann es sich empfehlen, in den Kaufvertrag einen ausdrücklichen Hinweis

auf die Mängelrechte und den Primäranspruch der Nacherfüllung aufzunehmen.

S. 159 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Teilabschnitt 2: Abnahme

Zur Abnahme der Bauleistungen aus einem Bauträgervertrag etwas zu schreiben und

vorzutragen, macht derzeit nur Spaß, wenn es sich um Einzelobjekte oder die

Abnahme des Sondereigentums handelt. Unbefriedigend ist die Situation derzeit bei

der Abnahme des Gemeinschaftseigentums einer Wohnungseigentumsanlage.

Während die Abnahme des Sondereigentums durch den einzelnen Erwerber

selbstverständlich ist, stellt sich beim Gemeinschaftseigentum automatisch die Frage,

wer die Abnahme vornehmen soll. Dabei geht es nicht nur darum, dem Bauträger eine

sichere Grundlage der Abnahme seiner Leistungen zu schaffen. Die Erwerber sind

oftmals ebenso an einer klaren Regelung der Abnahme interessiert. Handelt es sich um

kleine WEG, dann kommt eine Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch die

einzelnen Wohnungseigentümer noch in Betracht. Handelt es sich aber um eine große

Anlage ggf.. mit mehreren Blöcken, Tiefgaragen, diversen Aufzügen, Klimatisie-

rungstechnik und ähnlichem, dann kommt eine Abnahme durch den „Otto-Normal-

Erwerber“ zwar in der Rechtstheorie, praktisch aber eher nicht in Betracht.

1. Abnahmevollmacht an den Erstverwalter

BGH, Urt. v. 12.9.2013 – VII ZR 308/12, NJW 2013, 3360 = DNotZ 2014, 39 = ZWE

2013, 455 (m. Anm. Ott) = NotBZ 2013, 467 = ZNotP 2013, 344.

=> Nichtzulassungsbeschwerde zu OLG Brandenburg Teil 1 Ziffer 2.

Mit einer in der Praxis häufig verwendeten, allerdings schon in der Vergangenheit

durchaus kritisch gesehen Klausel282 hatte sich der BGH in der Entscheidung vom

12.9.2013 zu beschäftigen.

282 Siehe dazu mit umfangreichen nachweisen die Ausführungen von Hertel aus dem Jahr 2012: Hertel, in: Albrecht/Hertel/Kesseler, DAI- Immobilienrecht 2011/2012, S. 84ff.

S. 160 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

a) Die Entscheidung

Der Bauträger hatte in den Erwerbsverträgen unter anderem folgende Regelung zur

Abnahme des Gemeinschaftseigentums vorgesehen:

„Für das Gemeinschaftseigentum findet im Regelfall eine gesonderte Abnahme

statt. Der Käufer bevollmächtigt unter Befreiung von den Beschränkungen des

§ 181 BGB, und zwar jeden für sich allein, den nachgenannten vereidigten

Sachverständigen, den nach dem Wohnungseigentumsgesetz für das Kaufobjekt

bestellten Verwalter sowie den Verwaltungsbeirat mit der Abnahme des

Gemeinschaftseigentums. Das Gemeinschaftseigentum ist somit abgenommen,

wenn entweder alle Käufer oder anstelle von Käufern der Sachverständige oder

der Verwalter oder der Verwaltungsbeirat das Gemeinschaftseigentum

abnimmt.“

Tatsächlich unterzeichnet hatte das Abnahmeprotokoll die Erstverwalterin des

Objektes; explizite Abnahmen durch die Erwerber selbst lagen nicht vor. Dem BGH

war die Entscheidung auf Grundlage der herrschenden Auffassung zur Zulässigkeit

von Vollmachten recht einfach.

Der Erwerber sei aufgrund der im Vertrag getroffenen Abnahmeregelung

unangemessen benachteiligt; die Klausel sei entsprechend nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB

unwirksam. Als teilender Eigentümer habe es der Bauträger in der hand gehabt, zum

Verwalter eine Person zu bestellen, die ihm selbst nahe steht und die deshalb keine

Gewähr für neutrale Abnahme biete. Es entspreche einer nahezu einhelligen

Auffassung, dass diese Benennung unangemessen sei.

S. 161 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

b) Bewertung

Tatsächlich entspricht es von wenigen Stimmen abgesehen283 der absolut herrschenden

Auffassung im Schrifttum, dass eine der wesentlichen Voraussetzungen für die

Erteilung einer Abnahmevollmacht die ist, dass diese von einem neutralen und in der

Sache sachverständigen Dritten wahrgenommen wird, auf dessen Person und dessen

Vergütung der Veräußerer keinen Einfluss hat.284

Nicht Gegenstand der Entscheidung aber ebenfalls von Bedeutung für die Zulässigkeit

der Bevollmächtigung bei der Abnahme ist, dass

- die Vollmacht jederzeit widerruflich ist, und

- als solche auch keine verdrängende Vollmacht darstellt.

Die Vorzüge der Vollmacht, die vor allem darin bestehen, dass nicht jeder der

Erwerber zur Abnahme selbst verpflichtet ist, vermag ich allerdings nicht wirklich zu

erkennen. Einen neutralen Dritten als Abnahmebevollmächtigten wird frühestens eine

konstituierte in Gang gesetzte Wohnungseigentümergemeinschaft benennen können.

Ist diese Gemeinschaft aber entstanden, kann sie- so man der entsprechenden

Auffassung von der möglichen Vergemeinschaftung der Abnahme folgt - diese

Benennung alsdann selbst beschließen.

Im Vertrag wird eine entsprechende Regelung wohl faktisch immer ins Leere laufen,

es sei denn die Benennungskompetenz wird einem neutralen Dritten, wie bspw. dem

Präsidenten der örtlich zuständigen IHK übertragen. Ob diese dann aber auch zur

283 So vom BGH zitiert: Basty, Der Bauträgervertrag, 7. Aufl., Rn. 1008, 1018; Häublein, DNotZ 2002, 608, 627 f. 284 Siehe dazu nur Koeble in: Koeble/Grziwotz, Rechtshandbuch Immobilien, Stand: 1. 11. 2012, Bd. I, 18. Kap. Rn. 18; Pause, Bauträgerkauf und Baumodelle, 5. Aufl., Rn. 603; Blank, Bauträgervertrag, 4. Aufl., Rn. 346; Staudinger/Bub, WEG, Neubearbeitung 2005, § 21 Rn. 245; von Oefele, DNotZ 2011, 249, 258; Ott, ZWE 2013, 253, 255; sowie die weiteren umfangreichen Nachweise in der Entscheidung.

S. 162 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Durchführung der rechtlichen Abnahme bereit sind, ist durchaus zweifelhaft, weil sie

sich so wohl der Haftung gegenüber den Wohnungseigentümern aussetzen.

c) Empfehlung

Folgende Empfehlung möchte ich geben:

aa) § 640 BGB

Ich persönlich halte es deshalb für regelmäßig sinnvoll die Abnahme im Sinne des

§ 640 BGB durch jeden der Erwerber einzeln vornehmen zu lassen. Die von Basty

gesehene Gefahr, dann mit jedem der Erwerber die gesamte Anlage untersuchen und

dafür bei größeren Einheiten unter Umständen Monate aufwenden zu müssen,285 dürfte

in der Realität keine Rolle spielen. Die meisten Erwerber werden sich die Begehung

der gesamten Anlage schenken und die Abnahme des Gemeinschaftseigentums auch

so vornehmen. Hinzu kommt, dass die aus Sicht des Bauträgers problematischsten

Erwerber ohnehin die Vollmacht widerrufen, während die anderen Erwerber

regelmäßig die nötige Unterschrift leisten. Es ist auch allemal besser, den Konflikt um

die Abnahme bei Fertigstellung des Objektes zu führen, als sich später um die

Wirksamkeit von Vollmachten zu streiten.

Ist die Abnahme durch den Erwerber selbst erfolgt, wird man sich anschließend auch

nicht mit der Frage herumschlagen müssen, ob eine etwa aufgrund Vollmacht erfolgte

Abnahme tatsächlich noch wirksam war. Wegen der immensen Nachteile aus einer

nicht erfolgten Abnahme sollte dieses Risiko vermieden werden.

bb) Technische Abnahme

Ob man der tatsächlichen rechtlichen Abnahme noch eine Begehung des

Gemeinschaftseigentums mit einem oder mehreren Sachverständigen vorausschaltet,

285 So Basty im Skript der 11. Jahresarbeitstagung des Notariats 2013, S. 402.

S. 163 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

um insoweit den Erwerbern hinsichtlich der von ihnen kaum zu überblickenden

Ordnungsmäßigkeit der technischen Anlagen zu helfen, scheint mir zumindest nicht

abwegig. Eines sollte man nämlich nicht vergessen: Was die Geltendmachung von

Mängeln der Bauleistung angeht, sitzen Erwerber und Bauträger sehr oft in einem

Boot. Hat der bauträger nämlich Dritte mit der Errichtung des Bauwerks oder teilen

desselben beauftragt, sind bei der Abnahme auffallende Mängel im Wege der

Mängelhaftung vom tatsächlichen Errichter der Anlage zu beseitigen. Bei komplexen

Anlagen ist eine solche technische Prüfung und Begutachtung sinnvoll.

2. Wem steht die Abnahmekompetenz zu?

Ungelöst bleibt damit aber das heute größte Problem der Abnahme, nämlich das der

Zuordnung der Abnahmekompetenz.

a) Ausgangspunkt

Die der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in § 10 Abs. 6 S. 3 WEG

zugewiesene Kompetenz, gemeinschaftsbezogene Rechte geltend zu machen und

auszüben, hat auch zur Frage geführt, ob nicht auch die Abnahmekompetenz zum

Gemeinschaftseigentum der Gemeinschaft zusteht.

§ 10 Abs. 6 S. 3 WEG lautet:

„Sie übt die gemeinschaftsbezogenen Rechte der Wohnungseigentümer aus und

nimmt die gemeinschaftsbezogenen Pflichten der Wohnungseigentümer wahr,

ebenso sonstige Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer, soweit diese

gemeinschaftlich geltend gemacht werden können oder zu erfüllen sind.“

Den Vertrag über die Übereignung der Wohnungseigentumseinheit und die Errichtung

des Bauwerks schließt der Bauträger allein mit dem jeweiligen Erwerber als künftigem

S. 164 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Miteigentümer ab. Partner des Bauträgervertrags sind ausschließlich der Bauträger und

der Erwerber. Folgerichtig stehen im Grundsatz auch allein dem Erwerber die

vertraglichen Rechte aus dem werkvertraglichen Teil des Kaufvertrages zu.

Entsprechend liegt bei Betrachtung allein auf Grundlage des Werkvertragsrechts die

Abnahmekompetenz sowohl für das Sonder- wie auch für das Gemeinschaftseigentum

allein beim individuellen Erwerber.286

b) Meinungsstand

Nun hat diese grundlegende werkvertragliche Betrachtung des Rechtsverhältnisses

zwischen dem Bauträger und dem Erwerber aber durch den § 10 Abs. 6 S. 3 WEG eine

neue Perspektive gewonnen. Seit der Zuweisung der Ausübungskompetenz für die

gemeinschaftsbezogenen Ansprüche an die Gemeinschaft finden sich unterschiedliche

Stimmen in der Literatur dazu, wer tatsächlich Berechtigter hinsichtlich der Erklärung

der Abnahme zum Gemeinschaftseigentum ist.

- Die traditionelle Meinungsgruppe geht weiter von einer alleinigen

Abnahmekompetenz der individuellen Erwerber aus.287 Sie begründet dies

damit, dass die Abnahme als zentrales Element des Vertrages zwischen

Bauträger und Erwerber keines der von der Gemeinschaft ausübbaren Rechte

sei. Es könne nicht zum Gegenstand der gemeinschaftlichen Entscheidung

gemacht werden, ob eine individuell versprochene Leistung als vertragsgerecht

angenommen wird.

- Die genau gegenteilige Auffassung wird von Rapp288 und Klein289 vertreten.

Nach deren Dafürhalten handelt es sich auch bei der Abnahme um ein

geborenes Recht der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer mit der

Konsequenz, dass nur diese die Abnahme erklären können. Es bestehe eine

286 BGH vom 21.2.1985 – VII ZR 72/84, NJW 1985, 1551; BGH vom 25.2.1999 – VII ZR 208/07, BGHZ 141, 63. 287 Vogel, NZM 2010, 377, 381; Pause/Vogel, ZMR 2007, 577, 581; Riecke/Schmid/Vogel, Anhang zu § 8 Rn 29; Ott, ZWE 2010, 157, 161; Pause, NZBau 2009, 427; Pause/Vogel, BauR 2007, 1298. 288 Rapp, MittBayNot 2012, 169, 173f.

S. 165 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

sachliche Nähe zu den ohnehin von der Gemeinschaft auszuübenden

Mängelrechten, im Übrigen sei diese für den Bauträger genauso notwendig wie

bei den Mängelrechten.

- Vermittelnd wird nun auch vertreten, die Abnahme sei zwar keine geborene

Zuständigkeit der Gemeinschaft, sie könne aber im Wege des Beschlusses oder

der Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung zu einer solchen gemacht

werden. § 10 Abs. 6 S. 3 Alt. 2 erlaube dies, wenn Ansprüche gemeinschaftlich

geltend gemacht werden können.290

c) Bewertung

Auf dem Umweg über § 10 Abs. 6 S. 3 WEG könnte es so gelingen, die Abnahme von

der Ebene des einzelnen Erwerbers weg hin zu einer gemeinschaftlichen einheitlichen

Erklärung zu bringen, ohne mit dem Modell der Vollmacht arbeiten zu müssen.

So praktisch diese Auffassung für den Bauträger sein kann, diese Überlegungen

bergen erhebliche Risiken:

- Wie wird ausgeschlossen, dass, unabhängig davon, ob die Gemeinschaft

originär oder erst durch Beschluss/Vereinbarung von vom Bauträger genehmen

Personen vertreten wird?

- Wer bürgt für die Abnahmekompetenz in inhaltlicher Hinsicht?

- Wie schützt sich ein Eigentümer davor, vom Bereich der Erfüllungsansprüche

wider Willen in den der Mängelgewährleistung geschoben zu werden?

Ich halte schon die logische Struktur dieser Auffassung für höchst problematisch. Wie

sollen vertraglich vereinbarte Rechtspositionen von einer Gemeinschaft wahrgenom-

men werden, der der Erwerber regelmäßig zum Zeitpunkt der relevanten Erklärung

noch gar nicht angehört? Die Bauträger müssten bereit sein, die Abnahme des

289 Bärmann/Klein, WEG , 12. Aufl. 2013, Anhang zu § 10 Rn. 56. 290 So vor allem Müller/Hügel, Beck'sches Formularbuch, 2. Aufl., O. I.2 Anm. 1; Hügel/Scheel, Rechtshandbuch, Teil 3 Rdnr. 52.

S. 166 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Gemeinschaftseigentums auf einen Zeitpunkt zu verschieben, der mindestens nach

dem Besitzübergang liegt. Hinzu kommt, dass der Erwerber aus seinem Vertrag die

Abnahme, also die Erklärung, das Werk sei im wesentlichen mangelfrei, vorgesetzt

bekommen kann, obschon er selbst daran zweifelt.

d) Praktischer Umgang

Derzeit weiß noch niemand so recht, wie mit der vergemeinschafteten Abnahme

umzugehen ist. Ist sie originär von der Gemeinschaft wahrzunehmen, muss dafür

vorgesorgt werden. Die Chancen dieser gemeinschaftlichen Abnahme können aber

auch genutzt werden, und zwar auch durch entsprechende Regelung der Gemein-

schaftsordnung. Erweist sich die Idee aber doch als Fata Morgana, dann sollte der

Bauträger nicht ohne Abnahme des Gemeinschaftseigentums dastehen.

Nach meinem Dafürhalten muss deshalb eine vorsichtige Vertragsgestaltung weiter

davon ausgehen, dass die Abnahme von jedem Erwerber einzeln zu erklären ist. Hat

der Bauträger diese Abnahmeerklärungen, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen, da

eine individuell von allen Erwerbern erklärte Abnahme gleichzeitig auch eine solche

für die Gemeinschaft ist.

Wer mutiger ist, der wähle eine der Gestaltungen zur Verankerung der

Abnahmekompetenz in der Gemeinschaftsordnung. Diese sollte dann aber wie schon

die Vollmachtslösungen vorsehen, dass der Bauträger selbst, soweit er noch Mitglied

der Gemeinschaft bei Vornahme der Abnahme oder dem Beschluss zur Betrauung des

Verwalters daran nicht mitwirken kann. Sonst drohen für solche Regelungen die

gleichen Probleme wie bei den Vollmachtslösungen.

S. 167 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

IV. Aufspaltung in Grundstückskauf- und Werkvertrag (SH)

– BFH, Urt. v. 19.6.2013 - II R 3/12 (einheitlicher Erwerbsgegenstand bei GrESt), DB 2013, 2249. Vgl. hierzu Loose, jurisPR-SteuerR 46/2013 Anm. 5.

1. Ausgangssituation

Bereits im vergangenen Jahr wurde an dieser Stelle erörtert, dass die Aufspaltung eines Bauträgervertrages in einen Kaufvertrag betreffend das unbebaute Grundstück und einen Werkvertrag betreffend die Errichtung des Gebäudes mit einer anderen Person als dem Verkäufer des Grundstücks in zivilrechtlicher Hinsicht nicht notwendig dazu führt, dass lediglich der Grundstückskaufvertrag nach § 311b Abs. 1 S. 1 BGB zu beurkunden ist und die MaBV keine Anwendung findet. Ferner besteht das Risiko, dass die Bauleistung sowohl der Umsatz- als auch der Grunderwerb-steuer unterliegt, da die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 lit. a UStG mangels einheitlicher Leistung i. S. d. UStG auf den Werkvertrag keine Anwendung findet,291 während Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer der Kaufpreis zzgl. des Werklohns ist, wenn zwischen Kauf- und Werkvertrag ein enger sachlicher Zusammenhang besteht.292

Im Hinblick auf diese drohende Doppelbesteuerung der Bauleistung war bislang allerdings noch ungeklärt, ob ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen Kauf- und Werkvertrag i. S. d. GrEStG beim Zusammenwirken mehrerer Personen oder Unter-nehmen auf der Veräußererseite auch dann anzunehmen ist, wenn der Erwerber deren abgestimmtes Verhalten nicht erkennen musste, ob es also neben des objektiven Zusammenhangs auch eines subjektiven Tatbestandsmerkmals bedarf.

2. Sachverhalt

Der Käufer erwarb mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 21. März 2005 von der B-Bank ein unbebautes Grundstück. Das Geschäft wurde von der B-GmbH vermittelt, einer Immobiliengesellschaft mehrerer Banken, u. a. der Verkäuferin. Am 4. April 2005 schloss der Kläger mit der C-GmbH einen Vertrag über die Errichtung einer Doppelhaushälfte auf seinem Grundstück.

Gegenüber dem Finanzamt erklärte der Käufer, er habe sich das Grundstück und den Vertragspartner der Bebauung selbst ausgesucht. Daraufhin setzte das FA unter dem

291 BFH MittBayNot 2000, 63 = ZNotP 2000, 31, 33. 292 BFH DNotI-Report 2013, 17; DNotI-Report 1997, 54; vgl. EuGH DNotI-Report 2009, 63

sowie Herrler, in: DAI-Skript, Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung im Immobilienrecht 2012/13, B IV = S. 120 ff.

S. 168 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Vorbehalt der Nachprüfung die Grunderwerbsteuer nur auf Grundlage des Kaufvertrages über das unbebaute Grundstück fest.

Spätere Ermittlungen des FA ergaben, dass die B-GmbH mit der C-GmbH für das Objekt des Klägers einen Immobilienvermittlungsvertrag abgeschlossen hatte. Für die Vermittlung des Grundstücks berechnete die B-GmbH vereinbarungsgemäß eine Provision. Auf Rückfrage des FA erklärte der Käufer, er habe die C-GmbH beauftragt, weil sie ihm vom Architekten, einem Cousin seines Vaters, empfohlen worden sei. Mit der Planung habe er bereits lange vor dem Kauf des Grundstücks angefangen.

Gleichwohl erließ das FA einen geänderten Grunderwerbsteuerbescheid, bezog die Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage ein und setzte die Grunderwerbsteuer neu fest, woraufhin der Käufer Klage erhob.

3. Entscheidung

Während das FG der Klage noch stattgegeben hatte, da zwar ein abgestimmtes Verhalten auf den Abschluss beider Verträge, Werkvertrag und Kaufvertrag, der B-GmbH und der C-GmbH vorliege, dieser Zusammenwirken auf der Veräußererseite für den Käufer jedoch objektiv nicht erkennbar gewesen sei, steht der BFH auf dem Standpunkt, dass es für die Annahme eines einheitlichen Erwerbsvorgangs bei mehreren Anbietern auf der Veräußererseite nur darauf ankomme, dass diese objektiv zusammenwirken, ohne dass das Zusammenwirken für den Erwerber erkennbar sein muss.

„Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs, nach dem sich gemäß § 8 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG die als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer anzusetzende Gegenleistung richtet, wird zunächst durch das […] zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft bestimmt. Ergibt sich jedoch aus weiteren Vereinbarungen, die mit diesem Rechtsgeschäft in einem rechtlichen oder zumindest objektiv sachlichen Zusammenhang stehen, dass der Erwerber das beim Abschluss des Kauf-vertrags unbebaute Grundstück in bebautem Zustand erhält, bezieht sich der grunderwerb-steuerrechtliche Erwerbsvorgang auf diesen einheitlichen Erwerbsgegenstand.“ – Tz. 10

„Ein [objektiv sachlicher] Zusammenhang ist nicht nur gegeben, wenn der Erwerber beim Abschluss des Grundstückskaufvertrags gegenüber der Veräußererseite in seiner Entscheidung über das "Ob" und "Wie" der Baumaßnahme nicht mehr frei war und deshalb feststand, dass er das Grundstück nur in einem bestimmten (bebauten) Zustand erhalten werde, [sondern] wird vielmehr auch indiziert, wenn der Veräußerer dem Erwerber vor Abschluss des Kaufvertrags über das Grundstück aufgrund einer in bautechnischer und finanzieller Hinsicht konkreten und bis (annähernd) zur Baureife gediehenen Vorplanung ein bestimmtes Gebäude auf einem bestimmten

S. 169 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Grundstück zu einem im Wesentlichen feststehenden Preis anbietet und der Erwerber dieses Angebot später annimmt.“ Tz. 11293

„Für einen objektiv sachlichen Zusammenhang zwischen Kauf- und Bauvertrag ist es nicht erforderlich , dass das Angebot der Veräußererseite in einem Schriftstück und zu einem einheitlichen Gesamtpreis unterbreitet wird […]. Entscheidend ist vielmehr, dass die Veräußererseite das Angebot zur Bebauung des Grundstücks bis zum Abschluss des Grundstückskaufvertrags abgegeben und der Erwerber das Angebot später unverändert oder lediglich vom Umfang her mit geringen Abweichungen, die den Charakter der Baumaßnahmen nicht verändern, angenommen hat.“ – Tz- 12

„Auf der Veräußererseite können dabei auch mehrere Personen als Vertragspartner auftreten, so dass sich die Ansprüche des Erwerbers auf Übereignung des Grundstücks und auf Errichtung des Gebäudes zivilrechtlich gegen verschiedene Personen richten. Entscheidend ist insoweit, dass (auch) der den Grundstücksübereignungsanspruch begründende Vertrag in ein Vertragsgeflecht miteinbezogen ist, das unter Berücksichtigung aller Umstände darauf gerichtet ist, dem Erwerber als einheitlichen Erwerbsgegenstand das Grundstück in bebautem Zustand zu verschaffen […]. Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn die auf der Veräußererseite auftretenden Personen entweder personell, wirtschaftlich oder gesellschaftsrechtlich eng verbunden sind […] oder aufgrund von Abreden bei der Veräußerung zusammenarbeiten oder durch abgestimmtes Verhalten auf den Abschluss sowohl des Grundstückskaufvertrags als auch der Verträge, die der Bebauung des Grundstücks dienen, hinwirken […], insbesondere Angebote über Grundstück und Bebauung abgeben.“ – Tz. 13

„In diesen Fällen hat der BFH in früheren Entscheidungen für die Annahme eines einheitlichen Erwerbsvorgangs gefordert, dass das Zusammenwirken für den Erwerber objektiv erkennbar war. […] [Hierbei] handelt es sich […] nicht um ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal. Für die Annahme eines einheitlichen Erwerbs-vorgangs kommt es allein auf das objektiv vorliegende Zusammenwirken auf der Veräußererseite zur Abgabe eines einheitlichen Angebots an, ohne dass dies für den Erwerber erkennbar sein muss […]. Ausreichend ist, wenn dieses Zusammenwirken anhand äußerer Merkmale objektiv festgestellt werden kann.“ – Tz. 14.

4. Fazit

Schließt der Erwerber getrennte Grundstückskauf- und Werkverträge ab, kann er nicht ohne weiteres sicher sein, dass damit für ihn die erwünschte Ersparnis an Grunderwerbsteuer verbunden ist, selbst wenn er keine (jedenfalls keine nachweisbare) Kenntnis von dem sachlichen Zusammenhang der beiden Rechtsgeschäfte hat. Konnte der Erwerber den sachlichen Zusammenhang nicht

293 Indizien hierfür sind u. a. der Abschluss des Werkvertrages innerhalb kurzer Zeit nach

Abschluss des Kaufvertrags über das Grundstück, ggf. auch werkvertragliche Planungen, die aus der Zeit vor Abschluss des Kaufvertrags datieren (vgl. BFH DB 2013, 2249, 2251).

S. 170 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

erkennen, dürfte ihm jedoch (wohl) ein Schadensersatzanspruch gegen seine beiden Vertragspartner zustehen, da diese ihn wohl (auch ungefragt) über diesen erkennbar wesentlichen Umständen hätten unterrichten müssen. Teilweise wird in der Literatur aber offenbar eine Nachforschungspflicht des Erwerbers angenommen.294

Ungeachtet dessen dürfte die rein objektive Betrachtung des BFH für die Zweck der Grunderwerbsteuer ein weiterer Grund dafür sein, von einer derartigen Aufspal-tung von Grundstückskauf- und Werkvertrag als Gestaltungsmittel abzusehen, zumal die zivilrechtlichen Risiken295 einer derartigen Gestaltung nicht zu unterschätzen sind.

294 Mostler/Mies, SteuK 2005, 502. 295 I. d. R. kein der MaBV entsprechender Ratenplan bzw. Erwerberschutzstandard gewünscht

bzw. vereinbart, Beschränkung von Mängelrechten, Abwälzung der Leistungsgefahr auf den Käufer (vgl. hierzu jüngst Magel, ZNotP 2011, 202).

S. 171 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

V. Freistellungsverpflichtung (CH)

Vor zwei Jahren hatte Herr Dr. Albrecht Ihnen die Entscheidung des

OLG München, Urt. v. 30.6.2011 - 9 U 1977/10, DNotZ 2011, 929 m. Anm. Basty,

vorgestellt. Nunmehr hat der BGH im Revisionsverfahren entschieden:

BGH, Urt. v. 7.11.2013 – VII ZR 167/11 (auf der DNotI-Homepage unter TOP-Aktuell, noch nicht in Zeitschriften veröffentlicht)

Leitsätze: a) Es ist mit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 MaBV unvereinbar, die Verpflichtung der kreditgebenden Bank zur Pfandfreistellung an die Bedingung zu knüpfen, den Auftraggeber dürfe hinsichtlich der Nichtvollendung des Bauvorhabens kein Verschulden treffen.

b) Enthält die Pfandfreistellungsverpflichtungserklärung eine solche Bedingung, muss dies nicht zwingend zu ihrer Unwirksamkeit führen.

c) Nimmt ein Bauträgervertrag entgegen § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 MaBV nicht auf die zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegenden, zur Sicherung der Freistellung erforderlichen Erklärungen Bezug, beeinträchtigt dies nicht die Wirksamkeit des Bauträgervertrages.

1. Sachverhalt

Zu entscheiden war über die Zulässigkeit zweier Klauseln in der Freistellungs-erklärung der Globalgläubigerin:

„Für den Fall, dass die Baumaßnahme aus Gründen, die der Käufer nicht zu vertreten hat (Heraushebung durch den Senat; nachfolgend: Vertreten-müssen-Klausel), nicht ordnungsgemäß vollendet werden sollte, werden wir

a) die einzelnen, noch zu bildenden Wohnungseigentumseinheiten/Teileigentumseinheiten gegen vorbehaltlose Zahlung des dem erreichten Bautenstand entsprechenden Teiles der geschuldeten Kaufvertragssumme pfandfrei stellen.

b) Wir behalten uns aber ausdrücklich vor, anstelle der Pfandfreistellung gemäß Ziffer 3 a - unter angemessener Berücksichtigung der Interessen des Käufers - die vom Käufer geleisteten Kaufpreiszahlungen maximal bis zum anteiligen Wert des Vertragsobjekts ohne Zinsen Zug-um-Zug gegen Löschung der Auflassungsvormerkung (Heraushebung durch den Senat; nachfolgend: Zug-um-Zug-Klausel) des jeweiligen Käufers an diesen zurückzuzahlen.

Sofern freizugebende Beträge durch Grundpfandrechte am Vertragsobjekt abgesichert sind, ist außerdem Voraussetzung, dass gleichzeitig die Löschung dieser Belastung erfolgt.“

Die Beteiligten hatten einen Bauträgervertrag mit einem Kaufpreis von gut 450.000.- EUR abgeschlossen. Erst nach Fertigstellung und Eigentumsumschreibung wurde bemerkt, dass der mitverkaufte Tiefgaragenstellplatz noch mit einer Nutzungs-dienstbarkeit zugunsten der Stadt und eines Miteigentümers belastet war. Dies wurde bereinigt. Der Erwerber prüfte nun aber genauer und rügte, dass verschiedene

S. 172 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Verstöße gegen die MaBV vorlägen, insbes. in der Freistellungsverpflichtung. Daher hätte der Bauträger die Zahlungen nicht entgegennehmen dürfen. Der Erwerber machte Nutzungsersatz in Form ersparter Zinsen geltend - und zwar in Höhe der im Vertrag vorgesehenen Verzugszinsen von 12 %.

Mit seinem Zahlungsanspruch in Höhe von gut 67.000.- EUR war der Erwerber vor dem Landgericht nur in Höhe von gut 2.000.- EUR erfolgreich. Das OLG München hatte ihm hingegen gut 53.000.- EUR zugesprochen. Der BGH hob im Umfang der Revision auf und verwies an das OLG München zurück.

Worum ging es wirtschaftlich ? Der Erwerber hatte alles bekommen, was ihm nach dem Vertrag zustand: Er stützte seinen Anspruch weder auf Verzug noch auf Mängel (oder nur zu einem kleinen Teil, indem er vortrug, das Dach sei begrünt statt eines Blechdachs). Es ging nur darum, ob er wegen möglicherweise unzulässiger Klauseln in der Freistellungsverpflichtung nunmehr sein Objekt mit 20% Abschlag erhielte.

2. Zulässiger Inhalt der Freistellungsverpflichtung

Betrachten wir zunächst, was der BGH zum notwendigen oder zulässigen Inhalt der Freistellungsverpflichtung sagt. Denn das müssen wir als Notare prüfen, wenn uns die Erklärung der Bank vorgelegt wird.

Rufen wir uns zunächst die Vorgaben der Verordnung in Erinnerung:

§ 3 MaBV - Besondere Sicherungspflichten für Bauträger

(1) 1Der Gewerbetreibende darf in den Fällen des § 34c Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a der Gewerbeordnung, sofern dem Auftraggeber Eigentum an einem Grundstück übertragen oder ein Erbbaurecht bestellt oder übertragen werden soll, Vermögenswerte des Auftraggebers zur Ausführung des Auftrages erst entgegennehmen oder sich zu deren Verwendung ermächtigen lassen, wenn

1. …

3. die Freistellung des Vertragsobjekts von allen Grundpfandrechten, die der Vormerkung im Rang vorgehen oder gleichstehen und nicht übernommen werden sollen, gesichert ist, und zwar auch für den Fall, daß das Bauvorhaben nicht vollendet wird,

4. … 2Die Freistellung nach Satz 1 Nr. 3 ist gesichert, wenn gewährleistet ist, daß die nicht zu über-nehmenden Grundpfandrechte im Grundbuch gelöscht werden, und zwar, wenn das Bauvorhaben vollendet wird, unverzüglich nach Zahlung der geschuldeten Vertragssumme, andernfalls unver-züglich nach Zahlung des dem erreichten Bautenstand entsprechenden Teils der geschuldeten Vertragssumme durch den Auftraggeber. 3Für den Fall, daß das Bauvorhaben nicht vollendet wird, kann sich der Kreditgeber vorbehalten, an Stelle der Freistellung alle vom Auftraggeber vertrags-gemäß im Rahmen des Absatzes 2 bereits geleisteten Zahlungen bis zum anteiligen Wert des Vertragsobjekts zurückzuzahlen. 4Die zur Sicherung der Freistellung erforderlichen Erklärungen einschließlich etwaiger Erklärungen nach Satz 3 müssen dem Auftraggeber ausgehändigt worden sein. 5Liegen sie bei Abschluß des notariellen Vertrages bereits vor, muß auf sie in dem Vertrag Bezug genommen sein; andernfalls muß der Vertrag einen ausdrücklichen Hinweis auf die Verpflichtung des Gewerbetreibenden zur Aushändigung der Erklärungen und deren notwendigen Inhalt enthalten.

S. 173 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

a) Freistellungspflicht auch, wenn Erwerber Steckenbleiben zu vertreten hat

§ 3 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 MaBV verlangt, dass sich die (Global-)Gläubigerin ausdrücklich auch für den Fall zur Freistellungsverpflichtung verpflichtet, dass das Bauvorhaben nicht vollendet wird, sondern steckenbleibt - und zwar „unverzüglich nach Zahlung des dem erreichten Bautenstand entsprechenden Teils der geschuldeten Vertragssumme durch den Auftraggeber“. Diese Verpflichtung enthielt die vorliegende Freistellungserklärung auch.

Sie war jedoch auf den Fall eingeschränkt, „dass die Baumaßnahme aus Gründen, die der Käufer nicht zu vertreten hat, nicht ordnungsgemäß vollendet werden sollte“. Gemeint sind damit insbes. Fälle, in denen ein Erwerber fällige Abschlagszahlungen zu Unrecht zurückbehält und der Bauträger deshalb in Zahlungsschwierigkeiten gerät und den Weiterbau einstellen muss. Das ist ein durchaus verständliches Anliegen der Bank.

Der BGH entschied jedoch, dass diese Einschränkung § 3 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 MaBV widerspricht .

„(Rn. 16) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 MaBV darf der Bauträger Vermögenswerte des Auftrag-gebers erst entgegennehmen, wenn die Freistellung des Vertragsobjekts von allen Grundpfand-rechten, die der zugunsten des Auftraggebers eingetragenen Vormerkung im Rang vorgehen oder gleichstehen, gesichert ist, und zwar auch für den Fall der Nichtvollendung des Bauvorhabens. Diese Regelung wird durch § 3 Abs. 1 Satz 3 MaBV ergänzt. Danach kann sich der Kreditgeber für den Fall der Nichtvollendung des Bauvorhabens vorbehalten, an Stelle der Freistellung alle vertragsgemäß geleisteten Zahlungen bis zum anteiligen Wert des Vertragsobjekts zurückzuzahlen.

(Rn. 17) Mit diesen Regelungen ist es unvereinbar, die Verpflichtung zur Pfandfreistellung an die Bedingung zu knüpfen, den Auftraggeber dürfe hinsichtlich der Nichtvollendung des Bauvorhabens kein Verschulden treffen. Durch diese in der Makler- und Bauträgerverordnung nicht vorgesehene Bedingung wird systemwidrig ohne sachliche Rechtfertigung eine Einwendung aus dem Verhältnis zwischen Bauträger und Auftraggeber in das Verhältnis von Kreditgeber zum Auftraggeber eingeführt (heute allgemeine Meinung: ... ). Soweit die Revision meint, der Senat habe diese Klausel in seinem Urteil vom 30. September 2004 (VII ZR 458/02, BGHZ 160, 277) gebilligt, ist das unzutreffend. Zwar lag der Entscheidung eine entsprechende Klausel zugrunde. Die Frage, ob eine solche Klausel von der Makler- und Bauträgerverordnung abweicht, war jedoch nicht entscheidungserheblich, weshalb sich der Senat mit diesem Problem nicht auseinandergesetzt hat.“

Ganz so eindeutig, wie der BGH dies meint, war dies in der Literatur nicht gesehen. So schreibt etwa Basty296 an der vom BGH zitierten Fundstelle:

„Wenn § 3 Abs. 1 Satz 3 eine Rückzahlungspflicht nur für „vertragsgemäß“ geleistete Zahlungen verlangt, zeigt sich, dass ihr Schutz grundsätzlich nur dem

296 Basty, Der Bauträgervertrag, 7. Aufl. 2012, Rn. 419.

S. 174 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

vertragstreuen Erwerber zukommen soll. Auf derselben Linie liegt die hier in Frage stehende Klausel. Immerhin wurde sie jahrzehntelang annähernd allgemein als zulässig angesehen. Insofern lässt sich schwerlich sagen, dass die Klausel dazu führt, dass das Freigabeversprechen nicht den Anforderungen der MaBV genügt.“

Insofern könnte man durchaus vertreten, dass die Freistellungsverpflichtung einer Bürgschaft ähnelt und daher ein Rückgriff auf Einwendungen aus dem anderen Schuldverhältnis nicht wesensfremd ist. Aber der BGH hat nun entschieden.

b) Zug um Zug gegen Löschung der Auflassungsvormerkung

Ausdrücklich offen ließ der BGH, ob die Einschränkung auf eine Freistellung Zug um Zug gegen Löschung der Auflassungsvormerkung des Käufers zulässig ist.

(Rn. 18) „b) Ob, wie das Berufungsgericht weiterführend meint, auch die Zug-um-Zug-Klausel im Widerspruch zu § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 MaBV steht, ist umstritten (bejahend: Basty, aaO, Rn. 385 ff.; Schmitz in Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, 5. Teil, Rn. 118; Holland in Lambert-Lang/Tropf/Frenz, Handbuch der Grundstückspraxis, 2. Aufl., Teil 2 Abschnitt 1, Rn. 806; Pause, aaO, Rn. 267; Kutter, Beck'sches Notar-Handbuch, 5. Aufl., A II Bauträgervertrag, Rn. 68; Häublein, ZWE 2001, 303, 308 f.; Grziwotz, BauRB 2004, 246, 248; verneinend: Reithmann, NJW 1997, 1816, 1818; Blank, ZfIR 2005, 678, 680; Eue in Münchener Vertragshandbuch Bd. 5, Bürgerliches Recht I, 6. Aufl., S. 346 f.). Für den Senat bestand bisher keine Veranlassung, zu dem Problem Stellung zu nehmen (vgl. Beschluss vom 16. April 2009 VII ZR 240/06). Es bedarf auch in diesem Verfahren keiner Entscheidung zu dieser Frage, da ein möglicher Verstoß der Klausel gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 MaBV nicht zu den vom Berufungsgericht angenommenen Rechtsfolgen führt.“

Man sollte hier nicht mehr hineingeheimnissen, als in der Entscheidung steht. Der BGH musste die Frage nicht entscheiden. Daher hat er sie - zu Recht - nicht entschieden, sondern für einen anderen Fall offen gelassen. Bis dahin könnten ja Literatur und Rechtsprechung noch weitere durchschlagende Argumente in die eine oder andere Richtung finden.

3. Rechtsfolgen einer inhaltlich unzureichenden Freistellungsverpflichtung

Wichtig ist die Entscheidung aber v.a. wegen ihrer Aussagen zur Rechtsfolge einer unzulässigen Einschränkung der Freistellungsverpflichtung. Es geht um die Frage: Ist eine Klausel unwirksam, die die Freistellungsverpflichtung der Bank unzulässig einschränkt?

Es gibt zumindest drei denkbare Lösungen:

– Eine denkbare Lösung wäre, nur bedauernd festzustellen, dass die MaBV als Normadressaten nur den Bauträger hat, nicht die Bank als Globalgläubigerin. Verstoßen Klauseln in der Freistellungserklärung gegen die MaBV, so seien nicht etwa die Klauseln unwirksam - denn die MaBV gilt für die Bank nicht. Allerdings

S. 175 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

darf der Bauträger keine Zahlungen entgegennehmen (weil ja die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Sätze 2-5 MaBV nicht vorliegen) und muss ggf. schon erhaltene Zahlungen wieder herausgeben (oder Nutzungsersatz zahlen). Dies war die Lösung des OLG München.

– Die zweite Lösung wäre, unzulässige Klauseln in der Freistellungsverpflichtung als unwirksam anzusehen und damit - gedanklich - aus der Freistellungserklärung zu streichen. Übrig bliebe eine gereinigte und damit wirksame Freistellungs-verpflichtung. Der Bauträger dürfte Zahlungen entgegennehmen. Dies ist jetzt die Lösung des BGH.

– Eine dritte Lösung wäre, auf der Rechtsfolgenebene anzusetzen. Die Bank ist nicht an die MaBV gebunden. Daher sind auch nach der MaBV unzulässige Klauseln unwirksam. Mangels hinreichender Freistellungsverpflichtung dürfte der Bauträger eigentlich keine Zahlungen entgegennehmen. Hat er sie aber entgegen-genommen und dabei nicht erkannt, dass ein Verstoß gegen die MaBV vorliegt, schuldet er - mangels vorsätzlichen Gesetzesverstoßes (§ 817 Satz 1 BGB) - keinen Nutzungsersatz. Dies wurde bisher nicht diskutiert.

a) OLG München: Bauträger darf keine Zahlungen entgegennehmen

Das OLG München wählte die erste Lösung. Da die Freistellungsverpflichtung unzulässige Klauseln enthielt, durfte der Bauträger keine Zahlungen entgegennehmen.

(Juris Rn. 29) „Nicht im Einklang mit § 3 Abs 1 MaBV steht auch, dass in der Pfandfreistellungsverpflichtungserklärung eine Freistellungverpflichtung nur für den Fall übernommen wird, dass der Käufer die Nichtvollendung des Baus nicht zu vertreten hat ...Das entspricht nicht der MaBV. Diese Gestaltung der Freistellungsverpflichtung hat zur Folge, dass die Beklagte Zahlungen nicht entgegennehmen durfte.“

OLG München, Urteil vom 30. Juni 2011 - 9 U 1977/10, DNotZ 2011, 929 m. Anm. Basty

Das OLG München diskutiert gar nicht, ob die Klausel in der Freistellungs-verpflichtung möglicherweise unwirksam ist. Es geht wohl als selbstverständlich davon aus, dass die MaBV die Bank nicht bindet.

b) BGH: Unzulässige Klauseln in Erklärung der Bank unwirksam

Von daher ist es schon erstaunlich, dass der BGH nun der MaBV widersprechende Klauseln in der Freistellungserklärung im Ergebnis als unwirksam verwirft.

Zunächst stellt der BGH fest, dass die Bank nicht an die MaBV gebunden ist.

(Rn. 19) „3. Von Rechtsfehlern beeinflusst ist die Auffassung des Berufungsgerichts, ein Verstoß der Vertreten-müssen-Klausel und/oder der Zug-um-Zug-Klausel gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 MaBV führe über § 12 MaBV, § 134 BGB wegen der Nichtigkeit der Klauseln zur Gesamt-nichtigkeit der Pfandfreistellungsverpflichtungserklärung der L.-Bank (a). Entsprechendes gilt für eine Überprüfung der Klauseln im Rahmen der Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB (b).

(Rn. 20) a) aa) Nach § 12 MaBV darf der Bauträger seine sich aus § 3 MaBV ergebenden Verpflichtungen durch eine vertragliche Vereinbarung mit dem Auftraggeber weder ausschließen

S. 176 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

noch beschränken. Diese Vorschrift findet keine unmittelbare Anwendung auf die Pfandfrei-stellungsverpflichtungserklärung der kreditgebenden Bank, da diese nicht das Vertragsverhältnis von Bauträger und Auftraggeber betrifft, sondern Ansprüche des Auftraggebers gegen die kreditgebende Bank begründet (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 1983 - V ZR 252/80, DNotZ 1984, 322, 323). Eine Vereinbarung zwischen Bauträger und Auftraggeber, wie in § 12 MaBV vorausgesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2000 - VII ZR 310/99, BGHZ 146, 250, 258; Urteil vom 22. Oktober 1998 - VII ZR 99/97, BGHZ 139, 387, 392), liegt deshalb nicht vor.

Dann fährt der BGH fort, dass gegen die MaBV verstoßende Klauseln gleichwohl unwirksam sein könnten - entweder aufgrund einer Analogie zu § 12 MaBV oder infolge Klauselkontrolle nach §§ 305 ff. BGB. Dies würde aber allenfalls zu einer Teilunwirksamkeit der Freistellungsverpflichtung führen, nicht zu deren Gesamt-nichtigkeit .

(Rn. 21) bb) Ob § 12 MaBV wegen der in § 3 Abs. 1 Satz 5 MaBV vorgesehenen Verknüpfung der Pfandfreistellungsverpflichtungserklärung mit dem Bauträgervertrag analog anzuwenden ist, kann dahingestellt bleiben. Die Anwendung von § 12 MaBV analog, § 134 BGB würde jedenfalls nicht zur Gesamtnichtigkeit der Pfandfreistellungsverpflichtungserklärung führen.

(Rn. 22) Rechtsfolge des § 134 BGB ist in Verbindung mit § 139 BGB grundsätzlich die Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Das gilt aber nicht, wenn sich aus dem Zweck des Verbotsgesetzes anderes ergibt (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2010 - IX ZR 48/10, NJW 2011, 373, 374; Urteil vom 16. Dezember 1999 - IX ZR 117/99, NJW 2000, 1333, 1335; ... ). Zweck des § 3 MaBV ist es, den Erwerber vor Vermögensschäden zu bewahren, indem der Bauträger nicht unbeschränkt und ohne Sicherung Vermögenswerte entgegennehmen darf. Damit wird der Erwerber in zweifacher Weise geschützt. Zum einen wird die Herstellung des Bauwerks gewährleistet. Zum anderen erfolgt die Eigentumsverschaffung lastenfrei (... ). Letzterer Zweck liegt § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 MaBV zugrunde. Damit wäre es unvereinbar, die Freistellungsverpflichtungserklärung insgesamt als nichtig anzusehen und damit dem Auftraggeber den Anspruch auf Freistellung zu nehmen. Zugunsten des Auftraggebers muss die Freistellungsverpflichtung grundsätzlich bestehen bleiben; nichtig sind nur die Teile der Verpflichtung, die gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 MaBV verstoßen. Damit ist das Interesse des Erwerbers an einer lastenfreien Eigentumsverschaffung vollständig gewahrt.

(Rn. 23) Das steht nicht im Widerspruch zum Urteil des Senats vom 22. März 2007 (VII ZR 268/05, BGHZ 171, 364 Rn. 20 ff.), in dem über die Rechtsfolgen entschieden wurde, die sich aus einem § 3 Abs. 2 MaBV widersprechenden Zahlungsplan ergeben. In diesem Fall ist ein Rückgriff auf die gesetzliche Regelung des § 3 Abs. 2 MaBV (nur deshalb) nicht möglich, weil diese Norm lediglich einen Rahmen vorgibt. Dieser Gedanke kann für § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 MaBV nicht herangezogen werden.

(Rn. 24) b) Die das Vertragsverhältnis von Auftraggeber und kreditgebender Bank betreffenden Klauseln unterliegen in diesem Verhältnis der Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB. Soweit die Vertreten-müssen-Klausel und die Zug-um-Zug-Klausel gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 MaBV verstoßen, können sie nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, Art. 2 EGBGB unwirksam sein. Die Wirksamkeit der Pfandfreistellungsverpflichtungserklärung im Übrigen bliebe davon jedoch unberührt.

(Rn. 25) Zwar darf eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die gegen § 307 BGB verstößt, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht im Wege der geltungserhaltenden Reduktion auf den gerade noch zulässigen Inhalt zurückgeführt und damit aufrechterhalten werden. Lässt sich eine Formularklausel jedoch nach ihrem Wortlaut aus sich heraus verständlich und sinnvoll in einen inhaltlich zulässigen und in einen unzulässigen Regelungsteil trennen, so ist die Aufrechterhaltung des zulässigen Teils rechtlich unbedenklich (BGH, Urteil vom 12. Februar 2009 - VII ZR 39/08, BGHZ 179, 374 Rn. 15).

S. 177 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(Rn. 26) Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Vertreten-müssen-Klausel und die Zug-um-Zug-Klausel können gestrichen werden, und es verbleiben inhaltlich zulässige, in sich geschlossene, verständliche Regelungen über die Verpflichtungen der kreditgebenden Bank.“

Und weil die Freistellungserklärung ja allenfalls teilunwirksam sei, schließt der BGH, liege ja jedenfalls eine Freistellungserklärung vor, so dass der Bauträger Zahlungen entgegennehmen durfte.

(Rn. 27) „4. Da die Pfandfreistellungsverpflichtungserklärung der L.-Bank trotz teilweise bedenklicher Klauseln wirksam ist, lagen die Voraussetzungen von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 MaBV vor, als die Beklagte die Zahlungen der Klägerin entgegennahm. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann deshalb der Klageanspruch nicht gerechtfertigt werden. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar.“

c) Entscheidungsanalyse

Die Argumentation muss man zweimal lesen, um sie zu verstehen. Würde ein Student in einer Klausur so argumentieren, schriebe der Prüfer an den Rand „gewagte Argumentation“ (wenn er wohlwollend ist) oder gar „abenteuerlich“ (wenn er weniger wohlwollend ist). Und dennoch hat der BGH im Ergebnis recht.

Die Argumentation des BGH ist schief.

– Der BGH dürfte nicht offenlassen, ob die unzulässigen Klauseln unwirksam sind. Denn nur wenn sie unwirksam sind, liegt eine insgesamt wirksame Frei-stellungsverpflichtung vor und durfte der Bauträger Zahlungen entgegennehmen. Wären die unzulässigen Klauseln hingegen wirksam, so läge zwar eine wirksame Freistellungsverpflichtung vor; sie entspräche aber nicht den Anforderungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 MaBV; der Bauträger dürfte keine Zahlungen entgegennehmen.

– Dann wäre es natürlich schön gewesen, wenn der BGH die Unwirksamkeit besser begründet hätte. Der Verweis auf Recht und Gesetz in Art. 2 EGBGB liest sich schon sehr wie ein Notnagel, wenn man gar nicht mehr weiß, wie man das gewünschte Ergebnis begründen soll.

– Ähnliche Fragen stellen sich bei unzulässigen Klauseln in der Bürgschaft nach § 7 MaBV . Auch hier hat der BGH wiederholt der MaBV widersprechende Klauseln für unbeachtlich erklärt - meist durch Auslegung, weil ja über der Urkunde „MaBV-Bürgschaft“ stand,297 auch mit dem Argument, dass Auslegungszweifel zu Lasten des AGB-Verwenders gehen,298 oder dass eine der MaBV widersprechende Klausel als überraschend Klausel (§ 305c Abs. 1 BGB) unwirksam sei.299 Dieselben Argumente könnte man auch für die Freistellungserklärung heranziehen.

297 BGH DNotZ 1999, 482 m. Anm. Basty = MittBayNot 1999, 279 m. Anm. Eue = NJW 1999, 1105. 298 BGH DNotZ 1999, 482 = NJW 1999, 1105. 299 BGH DNotZ 2007, 22 = NJW 2006, 3275.

S. 178 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– M.E. spricht viel dafür, den Knoten zu durchschlagen und der MaBV wider-sprechende Einzelklauseln analog § 12 MaBV für unwirksam zu erklären - wie es der BGH andeutet. Dieses Ergebnis kann man mit einer bürgenähnlichen Stellung der Bank begründen. Denn letztlich erklärt die Bank, dass sie die vertragliche Freistellungspflicht des Bauträgers erfüllen wird, wenn der Erwerber seinerseits seine vertraglichen Zahlungspflichten erfüllt hat.

Das Ergebnis des BGH ist richtig.

Bei der BGH-Entscheidung mögen sich einem manche Haare sträuben, wenn man die Begründung genauer liest. Bei der Entscheidung des OLG München stehen einem hingegen die Haare zu Berge, wenn man den Urteilstenor liest: Da soll der Erwerber 20% seines Kaufpreises (als Nutzungsersatz) zurückerhalten, nur weil zwei umstrittene (aber keineswegs einhellig für unzulässig gehaltene) Klauseln in der Freistellungserklärung vom Gericht als unzulässig beurteilt werden.

Mit der Entscheidung des BGH ist die Verantwortung genau dort, wo sie hingehört - nämlich bei der Bank, die die Freistellungsverpflichtung formuliert.

– Das OLG München hatte den schwarzen Peter dem Bauträger zugeschoben. Der hätte erkennen müssen, dass die Klauseln in der Freistellungsverpflichtung unwirksam sind. Aber der Bauträger soll bauen - ordentlich bauen und sich darauf konzentrieren - und nicht über Auslegungsprobleme der MaBV grübeln. Der Bauträger hätte natürlich ggf. einen Regreßanspruch gegen die Bank, die ihm vertraglich eine MaBV-gemäße Freistellungsverpflichtung schuldet. Aber den müsste er erst wieder einklagen.

– Die Prüfung der Freistellungsverpflichtung ist natürlich unsere Verantwortung als Notare. Aber was sollen wir den machen, wenn strittig ist, ob eine Klausel zulässig ist - und das waren beide angefochtenen Klauseln vor der jetzigen BGH-Entschei-dung und das ist eine der beiden Klauseln weiterhin. Stellen wir nicht fällig, weil wir die Klausel für unzulässig halten, laufen wir Gefahr, dass uns der Bauträger in Regreß nimmt, wenn unsere Bedenken sich nachträglich als unbegründet herausstellen. Stellen wir umgekehrt fällig, weil wir die strittige Klausel für zulässig halten, so könnte uns der Erwerber für seinen Verfrühungsschaden in Regreß nehmen (wenn er diesen nicht vom Bauträger ersetzt erhält). Von daher hält es die Literatur - m.E. zu recht - für zulässig, wenn der Notar zwar fällig stellt, aber auf mögliche Zweifel hinweist.300 Aber eine befriedigende Lösung ist das nicht.

– Man könnte versuchen, beide Probleme von der Rechtsfolgenseite her zu lösen, indem man bei strittigen Rechtsfragen den Vorsatz als Voraussetzung für den Nutzungsersatz (§ 817 BGB) bzw. Verschulden als Voraussetzung der Amtshaftung (§ 19 BNotO) verneint.

300 Basty, Der Bauträgervertrag, Rn. 391; Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 3. Aufl. 2012,

Teil 2 Kap. 3 Rn. 159; Pause, Bauträgerkauf und Baumodelle, 5. Aufl. 2011, Rn. 267.

S. 179 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– Am einfachsten löst man das Problem da, wo es auftritt: Bei der Bank, die die Freistellungsverpflichtung formuliert. Nimmt sie eine zusätzliche Klausel auf, die gegen die MaBV verstößt, so tut sie dies auf eigenes Risiko. Ggf. streicht ihr das Gericht die Klausel später wieder. Bei allen anderen Lösungen könnte die Bank hingegen auf dem Rücken anderer Beteiligter experimentieren - sei es auf Risiko des Bauträgers oder des Notars, die bitte schön prüfen mögen, ob das, was sich die Bank da ausgedacht hat, noch MaBV-konform ist.

d) Prüfung durch den Notar

Das heißt nicht, dass Sie künftig gar nicht mehr lesen, was Ihnen die Bank als Freistellungserklärung zuschickt.

– Denn wenn der Mindestinhalt fehlt , kann man dies schlecht über § 12 MaBV analog heilen. Was nicht da ist, kann man nicht streichen.

– Und natürlich darf der Notar nicht fällig stellen, wenn die Freistellungs-verpflichtung eindeutig gegen die MaBV verstößt.

– Bei zweifelhaften Klauseln, über die aber noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde, kann der Notar aber fällig stellen - ggf. mit einem Hinweis, dass eine bestimmte Klausel problematisch ist.

Die Bank wird zwar nicht bei jedem Hinweis auf Bedenken in der Literatur gleich den Text ihrer Freistellungsverpflichtung ändern. Wenn aber starke Bedenken bestehen - etwa wenn bereits ein Oberlandesgericht eine Klausel als unzulässig oder doch bedenklich eingestuft hat -, stehen die Chancen gut, dass die Bank auf den Hinweis des Notars reagiert und eine geänderte neue Freistellungsverpflichtung übersendet, wie die Reaktionen nach dem Urteil des OLG München zeigten.

4. Bauträgervertrag

a) Verfahren: Bezugnahme auf vorliegende Freistellungsverpflichtung

Die Praxis erleichtert auch, was der BGH zur Pflicht entscheidet, auf die Freistellungs-erklärung im Bauträgervertrag Bezug zu nehmen.

(Rn. 28) „a) Die Beklagte hat die Zahlungen der Klägerin nicht unter Missachtung von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MaBV in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 MaBV entgegengenommen.

(Rn. 29) aa) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MaBV ist der Bauträger nur berechtigt, Vermögenswerte des Auftraggebers entgegenzunehmen, wenn der Bauträgervertrag rechts-wirksam ist. Zum Inhalt des Bauträgervertrages bestimmt § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 MaBV, dass auf die zur Sicherung der Freistellung erforderlichen Erklärungen einschließlich etwaiger Erklärungen nach § 3 Abs. 1 Satz 3 MaBV in dem Bauträgervertrag Bezug genommen werden muss, wenn sie zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegen. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Die Freistellungsverpflichtungserklärung der L.-Bank vom 9. Mai 2005 lag bei Abschluss des "Bauträgerkaufvertrages" am 8. Mai 2006 bereits vor, ohne dass in dem "Bauträgerkaufvertrag" auf die Erklärung Bezug genommen wird.

S. 180 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(Rn. 30) bb) Dieser Verstoß beeinträchtigt die Wirksamkeit des Bauträgervertrages nicht.

(Rn. 31) § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 MaBV ist im Zusammenhang mit Halbsatz 2 auszulegen. Die in Halbsatz 1 geforderte Bezugnahme vermeidet die in den Bauträgervertrag aufzunehmenden Hinweise nach Halbsatz 2. In diesem Sinne ist das "Muss" nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung des Vertragsschlusses zu verstehen (...). Eine andere Auslegung, die die Durchführung des Erwerbsvertrages dauerhaft behinderte, wäre zudem mit dem von der MaBV beabsichtigten Erwerberschutz nicht zu vereinbaren (...). Aus diesem Grund ist es ebenfalls nicht gerechtfertigt, wie vereinzelt in der Literatur vertreten wird (...), zwar die Wirksamkeit des Erwerbsvertrages zu bejahen, dem Bauträger aber das Recht zu versagen, Zahlungen des Auftraggebers entgegen-zunehmen.“

Ich muss zugeben, dass auch ich - wie der Kollege im entschiedenen Fall - öfter beurkunde, ohne auf eine schon vorliegende Freistellungsverpflichtung Bezug zu nehmen - sei es, dass das Muster nicht umgestellt wird, wenn mittlerweile die Freistellungsverpflichtung eingegangen ist, sei es, dass man nicht geprüft hat, ob die Voraussetzungen für die Verwendung der Freistellungsverpflichtung im konkreten Fall vorliegen (insbes. der Mindestpreis laut Tabelle vereinbart wurde). Ich hatte auch gar kein Schuldbewusstsein, weil ich gar nicht auf die Idee gekommen wäre, dass jemand deshalb den Vertrag für unwirksam halten könnte. Nun hat dies auch der BGH entschieden.

b) Hinweis auf Inhalt des Freistellungsversprechens, insbes. Vorbehalt der Rückzahlung

Selbstverständlich muss der Bauträgervertrag dann den von § 3 Abs. 1 Satz 5 geforder-ten „ausdrücklichen Hinweis auf die Verpflichtung des Gewerbetreibenden zur Aushändigung der Erklärungen und deren notwendigen Inhalt enthalten“.

– Ich würde sogar raten, diesen Hinweis immer aufzunehmen. Denn dann kann man einfach den letzten Satz des Musters („Diese Erklärung muss dem Käufer ausgehändigt sein - Kopie genügt.“) ersetzen durch: „Das Freigabeversprechen liegt bereits vor; es wurde dem Erwerber in Kopie übergeben.“301

– Andersrum ist es gefährlich, wenn man im Muster nur die Bezugnahme enthalten hat. Will man dann - weil die Freistellungserklärung noch nicht vorliegt (oder deren Auflagen nicht eingehalten sind) - in der Beurkundung schnell den Hinweis ergänzen, besteht die Gefahr, dass man etwas vergisst. Denn der Erwerber muss den notwendigen Inhalt der Freistellungsverpflichtung aus dem Vertragstext des Bauträgervertrages selbst entnehmen können. Es genügt nicht, wenn der Bauträger nur vermerkt, dass er über den notwendigen Inhalt belehrt hat.

Mit den Anforderungen an den Hinweis auf den „notwendigen Inhalt“ befasste sich der BGH ebenfalls.

301 Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, Teil 2 Kap. 3 Rn. 1, Ziffer V. 2. c).

S. 181 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Im Bauträgervertrag waren die allgemeinen Fälligkeitsvoraussetzungen wie folgt geregelt:

㤠6 - Kaufpreiszahlung

1. Der Kaufpreis ist in den festgelegten Raten laut folgender Ziffer 3. zu bezahlen, jedoch erst, wenn die Bürgschaft nach Ziffer 2. ausgehändigt ist oder wenn der Notar dem Erwerber nach Vollzug der Teilungserklärung schriftlich bestätigt hat, dass

a) der Vertrag rechtswirksam ist im Sinne des § 3 MaBV und die für seinen Vollzug erforder-lichen Genehmigungen vorliegen,

b) die Auflassungsvormerkung des Erwerbers im Grundbuch an erster Rangstelle bzw. im Rang lediglich nach Belastungen eingetragen ist, die nach diesem Vertrag bestehen bleiben dürfen oder die mit Zustimmung des Erwerbers erfolgt sind oder für die die Erklärung der Gläubigerin gemäß nachstehendem Buchstaben c) vorliegt,

c) die Freistellung des Vertragsobjekts von allen Grundpfandrechten, die der Auflassungs-vormerkung im Range vorgehen oder gleichstehen und vom Erwerber nicht übernommen werden, oder gegebenenfalls die Rückzahlung bereits bezahlter Kaufpreisteile im Sinne des § 3 Abs. 1 MaBV gesichert ist; eine Abschrift dieser Erklärung der Grundpfandrechts-gläubiger nach § 3 Abs. 1 MaBV ist dem Erwerber auszuhändigen; dies geschieht durch Übersendung einer Abschrift, wozu der Notar hiermit angewiesen wird.

…“

Das ist deutlich kürzer als in der MaBV geregelt.

– Der Kollege spricht lediglich davon, dass die Freistellung i.S.d. § 3 Abs. 1 MaBV gesichert sein muss

– dass auch eine Rückzahlung möglich ist

– und dass dem Erwerber die Erklärung auszuhändigen ist.

Vergleicht man dies mit dem Text von § 3 Abs. 1 MaBV, könnte man noch einiges ergänzen, etwa

– dass eine bloße Freistellungsverpflichtung genügt (während sonst unter Sicher-stellung - etwa bei Auslegung von Treuhandaufträgen für das Notaranderkonto verlangt wird, dass der Grundbuchvollzug möglich ist, pflichtgemäßes Handeln von Notar und Grundbuchamt vorausgesetzt),

– dass die Freistellung auch den Fall erfassen muss, dass das Bauvorhaben steckenbleibt

– und dass die Freistellung die Zahlung der geschuldeten Vertragssumme voraus-setzen kann (bzw. des dem erreichten Bautenstand entsprechenden Teils der geschuldeten Vertragssumme).

Dem BGH genügte aber dieser kurze Hinweis.

(Rn. 32) „b) Die Beklagte hat die Zahlungen der Klägerin nicht unter Missachtung von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MaBV in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 MaBV entgegengenommen.

S. 182 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(R. 33) Sind die Voraussetzungen von § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 MaBV nicht erfüllt, verlangt § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 MaBV, dass der Bauträgervertrag einen ausdrücklichen Hinweis auf die Verpflichtung des Bauträgers zur Aushändigung der Freistellungsverpflichtungserklärungen und deren notwendigen Inhalt enthält.

(Rn. 34) § 6 Abs. 1 c) des "Bauträgerkaufvertrages" enthält einen Hinweis auf die Aushändigung der Freistellungsverpflichtungserklärung und beschreibt deren Inhalt auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 3 MaBV. Auf das in § 3 Abs. 1 Satz 3 MaBV vorgesehene Wahlrecht ist hinreichend Bezug genommen.“

Dies hatte auch das OLG München als Vorinstanz so gesehen.

Wichtig ist, dass die Wahlmöglichkeit der Rückzahlung anstelle der Freistellung ausdrücklich erwähnt wird. Denn die Rückzahlung ist kein - ggf. durch den Verweis auf § 3 MaBV enthaltenes - Detail der Freistellung, sondern eine Alternative zur Freistellung.

– Dem OLG Düsseldorf302 hatte daher der bloße Hinweis auf die „Freistellung nach § 3 MaBV“ nicht genügt, um einen Rückzahlungsvorbehalt im Vertrag zuzulassen. Enthielt die Freistellungserklärung dann einen Rückzahlungsvorbehalt, so entsprach sie nicht der vertraglichen Vereinbarung. Der Kaufpreis wurde nicht fällig . Der Notar haftete dem Erwerber, weil er eine falsche Fälligkeitsmitteilung erteilt hatte.

– Diese Entscheidung halte ich für richtig.

Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass lediglich der Hinweis nicht den Anforderungen des § 3 Abs. 1 Satz 5 MaBV entspricht.

Der BGH entschied nicht (weder hier noch in früheren Entscheidungen), welche Folgen ein ungenügender Hinweis für die Zahlungspflicht hätte.

– M.E. ist auch dies nur eine verfahrensrechtliche Vorschrift an den Notar, aber nicht Voraussetzung für die Entgegennahme von Zahlungen. Denn der Erwerberschutz ist bereits dadurch gewährleistet, dass der Notar in seiner Fälligkeitsmitteilung feststellt, dass eine der MaBV genügende Freistellungsverpflichtung vorliegt.

– Basty303 hingegen meint, dass der Bauträger keine Zahlungen entgegennehmen darf, wenn der Hinweis im Bauträgervertrag nicht genügt - wobei er möglicherweise nur einen ungenügenden Hinweis auf den Inhalt des Versprechens meint, nicht den fehlenden Hinweis auf die Aushändigungspflicht.

– Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist hier nicht einschlägig. Denn dort ging es nicht darum, dass der Hinweis auf die Voraussetzungen der Freistellung nicht

302 OLG Düsseldorf DNotZ 1992, 153 = MittBayNot 1992, 135 = MittRhNotK 1991, 110 m. abl.

Anm. Knoche; dazu Basty, DNotZ 1992, 131. Der BGH nahm die Revision mangels Erfolgsaussicht nicht an.

303 Basty, Der Bauträgervertrag, Rn. 433.

S. 183 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

genau formuliert war, sondern darum, dass die Rückzahlung als Alternative zur Freistellung nicht ausdrücklich zugelassen war.

Mit dem großzügigen Maßstab des BGH, was als Hinweis genügt, hat die Frage aber an Brisanz verloren.

c) Vertragsgestaltung

Mit der BGH-Entscheidung bleibt dem Notar überlassen, wie ausführlich er den Hinweis formuliert.

– Er kann es ausführlich machen und vorsorglich den Verordnungstext mehr oder weniger abschreiben.304

– Er kann es knapp machen mit drei Stichworten - Freistellung nach § 3 MaBV gesichert / oder Rückzahlung / Erklärung auszuhändigen.

Noch kürzer widerspräche allerdings der MaBV. So fehlt etwa in einem älteren Formulierungs-muster der Hinweis auf die Aushändigungspflicht, wenn dort nur formuliert ist, dass „die Lastenfreistellung oder Rückzahlung in üblicher Weise (§ 3 MaBV) gesichert ist.“305

5. Sonstiger Inhalt der Entscheidung

a) Abweichung von der Baugenehmigung

Schließlich hatte sich der Erwerber in der Revision noch darauf berufen, dass der Bau abweichend von der Baugenehmigung erfolgte - indem das Dach begrünt worden sei anstelle des beantragten Blechdachs. Daher hätte keine (ausreichende) Baugenehmigung vorgelegen. Der Bauträger hätte keine Zahlung entgegennehmen dürfen.

Auch dies verwarf der BGH.

(Rn. 37) „d) Die Beklagte hat die Zahlungen nicht unter Missachtung von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 MaBV entgegengenommen. Nach dieser Vorschrift ist der Bauträger nur berechtigt, Vermögens-werte des Auftraggebers entgegenzunehmen, wenn die erforderliche Baugenehmigung erteilt ist. Das war der Fall. Der von der Klägerin vorgetragene Umstand, die Beklagte habe statt des vertraglich geschuldeten Blechdachs ein begrüntes Dach errichtet, ändert daran nichts. Selbst wenn das begrünte Dach nicht der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit entspräche, läge darin - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - keine nennenswerte Abweichung von der Baugenehmigung, die die Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 MaBV rechtfertigen würde.

(Rn. 38) Die nach dem Vortrag der Klägerin nicht vertragsgerechte Ausführung des Dachs stellte zudem für die Beklagte kein öffentlich-rechtliches Hindernis nach § 3 Abs. 2 MaBV in Verbindung mit § 6 Nr. 3 c) "Bauträgerkaufvertrag" dar, Zahlungen der Klägerin entgegen-

304 So nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf vorsorglich der Rat von Knoche, MittRhNotK

1991, 112 (obwohl er die Entscheidung für falsch hielt). 305 Reithmann, in: Reithmann/Meichssner/von Heymann, Kauf vom Bauträger, 7. Aufl. 1995, B Rn.

116.

S. 184 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

zunehmen. Mängel der Bauleistung führen ausschließlich zu zivilrechtlichen Vertrags-erfüllungsansprüchen und Zurückbehaltungsrechten (...).“

Anders könnte es also nur sein, wenn die Abweichung so weit geht, dass das vertraglich geschuldete Vorhaben gar nicht mehr dem genehmigten entspricht.

b) Fehlende Lastenfreistellung von Dienstbarkeiten

Nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens vor dem BGH war die Nutzungs-entschädigung für die Zahlungen auf den Kaufpreis des Tiefgaragenstellplatzes. Hier waren noch Nutzungsdienstbarkeiten eingetragen gewesen. Im Kaufvertrag war aber vereinbart, dass die Vormerkung nur nach bestehen bleibenden Belastungen und nach abzulösenden Grundpfandrechten eingetragen sein durfte.

– Damit war bei Zahlung die Vormerkung nicht „an der vereinbarten Rangstelle im Grundbuch eingetragen“ und damit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MaBV verletzt.

– Wäre hingegen auch insoweit nur die Sicherstellung der Lastenfreistellung vereinbart gewesen, hätten zwar die vertraglichen Fälligkeitsvoraussetzungen gefehlt. Die MaBV wäre aber nicht verletzt gewesen, da diese nur die Sicherstellung der Lastenfreistellung für Grundpfandrechte regelt, nicht die für andere Belastungen.

Insoweit hatte die Revision die Verurteilung zur Zahlung einer Nutzungs-entschädigung nicht angegriffen.

Fazit: Insgesamt also eine wichtige und begrüßenswerte Entscheidung des BGH.

S. 185 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

VI. Betreutes Wohnen (CH)

1. Keine Dienstbarkeit für Abschluss eines Betreuungsvertrages über mehr als zwei Jahre

a) BGH, 21.12.2012 - V ZR 221/11

Für in Wohnungseigentum aufgeteilte Seniorenimmobilien mit Betreutem Wohnen wichtig ist eine Entscheidung des BGH zum Wohnungsbesetzungsrecht bei Betreutem Wohnen:

BGH, Urt. v. 21.12.2012 - V ZR 221/11, MDR 2013, 458 = NJW 2013, 1963 = NZM 2013, 324 = Rpfleger 2013, 257 = ZfIR 2013, 292 m. Anm. Grziwotz; dazu Otto, NotBZ 2013, 179

Leitsätze: 1. Eine als Wohnungsbesetzungsrecht eingetragene beschränkte persön-liche Dienstbarkeit ist als dingliches Recht auch dann wirksam, wenn mit ihr auf den Eigentümer des belasteten Grundstücks Druck zum Abschluss eines bestimmten Vertrags ausgeübt wird (Fortführung von Senat, Urteil vom 3. Mai 1985, V ZR 55/84, NJW 1985, 2474, 2475).

2. Die Ausübung des Unterlassungsanspruchs aus einer Dienstbarkeit stellt sich jedoch als eine mit dem Gebot von Treu und Glauben unvereinbare unzulässige Rechtsausübung dar, wenn der Berechtigte seine dingliche Rechtsstellung zur Durchsetzung inhaltlich unzulässiger Vereinbarungen nutzt.

Sachverhalt:

– Die Gemeinde verkaufte einem Bauunternehmer ein Grundstück, auf dem gemäß einem gemeindlichen Bebauungsplan eine Seniorenwohnanlage entstehen sollte. Die Anlage sollte aus 32 öffentlich geförderten Wohnungen, einer Begegnungs-stätte und 13 frei finanzierten Wohnungen bestehen.

– Der Käufer verpflichtete sich zur Bebauung gemäß diesen Vorgaben sowie dazu, die 13 frei finanzierten Wohnungen nur Personen zur Nutzung zu überlassen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, und diese nur an Interessenten zu veräußern oder zu vermieten, die einen Betreuungsvertrag mit dem Verein „Betreutes Wohnen D. e.V.“ oder dessen Rechtsnachfolger abschließen.

– Entsprechend wurden in den Grundbüchern der frei finanzierten Wohnung folgende Wohnungsbesetzungsrechte eingetragen :

„Die … Wohnungen dürfen nur an Personen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, zur Nutzung überlassen werden …

Die … Wohnungen dürfen nur von Personen genutzt werden, die von der Gemeinde D. benannt werden. Diese Benennung gilt als erteilt für Personen, die oder für die gleichzeitig ein Betreuungsvertrag gem. Anlage 3 mit dem Verein ‚Betreutes Wohnen D. e.V.’ oder deren Rechtsnachfolger abschließen bzw. abgeschlossen wird.“

S. 186 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– Ein Käuferehepaar kündigte später den Betreuungsvertrag. Darauf klagte die Gemeinde gegen sie.

Entscheidung:

Der BGH entschied zunächst, dass eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit in Form eines Wohnungsbesetzungsrechts grds. möglich ist.

(Rn. 17) „c) Ein solches Verbot, die Nutzung der Wohnung durch alle Personen zu unterlassen, die nicht von den Berechtigten benannt worden sind (oder als benannt gelten), ist ein zulässiger Inhalt einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit nach § 1090 BGB. Nach dieser Vorschrift kann ein Grundstück in der Weise belastet werden, dass der Berechtigte das Grundstück in einzelnen Beziehungen benutzen darf oder dass ihm eine sonstige Befugnis zusteht, die Inhalt einer Grunddienstbarkeit sein kann. Dies ist bei dem Wohnungsbesetzungsrecht der Fall.“

Das Wohnungsbesetzungsrecht kann – wie auch andere Formen von Dienstbarkeiten oder andere dingliche Rechte – auch dazu verwendet werden, um die schuldrechtliche Pflicht zum Abschluss eines Vertrages dinglich abzusichern. Der BGH verweist dazu auf seine Rechtsprechung zu Unterlassungsdienstbarkeit des Getränkevertriebs und –ausschanks (bei Bierlieferungsverträgen) oder des Betriebs einer eigenen Heizung (bei Fernwärmeanschlussverträgen).

(Rn. 21) „d) Eine als Besetzungsrecht eingetragene Dienstbarkeit ist auch dann wirksam, wenn mit ihrer Bestellung der Zweck verfolgt wird, den Eigentümer zum Abschluss eines Vertrags zu veranlassen. Richtig ist allerdings der Einwand der Revisionserwiderung, dass die Dienstbarkeit einen unzulässigen Inhalt hätte, wenn das dingliche Recht einen unmittelbaren Kontrahierungs-zwang begründete (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Januar 1959 - V ZB 31/58, BGHZ 29, 244, 247 und Urteil vom 18. Mai 1979 - V ZR 70/78, BGHZ 74, 293, 296; BGH, Urteil vom 25. März 1980 - KZR 17/79, NJW 1981, 343, 344 - zu Verpflichtungen zum Abschluss von Bierbezugsverträgen).

(Rn. 22) Das ist hier jedoch nicht der Fall, weil Inhalt der Dienstbarkeit allein das Benennungsrecht der Klägerin und die Unterlassungspflicht des Eigentümers sind. Dass der Eigentümer durch die Dienstbarkeit faktisch dazu gezwungen sein wird, einen Betreuungsvertrag abzuschließen, wenn er sein Grundstück zum Wohnen nutzen will, ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts unerheblich. Die Dienstbarkeit ist - wie von dem Landgericht richtig ausgeführt - ungeachtet des von ihr ausgehenden Drucks zum Abschluss eines Betreuungsvertrags als dingliches Recht wirksam (vgl. Senat, Urteil vom 3. Mai 1985 - V ZR 55/84, NJW 1985, 2474, 2475). Die einen derartigen Zwang zum Vertragsschluss auslösende Dienstbarkeit ist auch dann nicht unzulässig, wenn der Eigentümer tatsächlich darauf angewiesen ist, den Vertrag abzuschließen, weil er die ihm gehörende Sache andernfalls nicht wirtschaftlich sinnvoll nutzen kann (vgl. Senatsurteil vom 2. März 1984 - V ZR 155/83, WM 1984, 820, 821 zum Verbot einer Beheizung der Wohnung zur Absicherung des Bezugs von Fernwärme; Senatsurteile vom 13. Juli 1979 - V ZR 70/78, BGHZ 74, 293, 296 und vom 29. Januar 1988 - V ZR 310/86, NJW 1988, 2364 zum Verbot des Ausschanks von Getränken in Gaststätten zur Sicherung von Bezugsverpflichtungen).“

Das dingliche Recht darf aber nicht dazu verwendet werden, um einen schuldrecht-lich unwirksamen Anspruch durchzusetzen. Dies wäre rechtsmißbräuchlich.

(Rn. 29) „Nach § 309 Nr. 9a BGB (vormals § 11 Nr. 12a AGBG) kann der Dienstberechtigte durch vorformulierte Verträge jedoch höchstens für zwei Jahre vertraglich gebunden werden.

S. 187 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Der Senat hat entschieden, dass sich daraus auch eine zeitliche Höchstdauer für die in einer Teilungserklärung begründeten Gebrauchsregelungen nach § 10 Abs. 2 Satz 2 WEG ergibt, mit denen eine Verpflichtung sämtlicher Wohnungseigentümer festgeschrieben wird, einen Betreuungsvertrag abzuschließen (Urteil vom 13. Oktober 2006 – V ZR 289/05, WM 2006, 2374, 2376 Rn. 15). Dies gilt auch dann, wenn die Wohnungen in der Anlage nur zum Zwecke des betreuten Wohnens genutzt werden dürfen. Da das Gesetz für den Bereich des betreuten Wohnens keine Sonderregelung enthält, ist das zeitliche Höchstmaß jedenfalls für vorformulierte, von den Wohnungseigentümern abzuschließende Betreuungsverträge nach der für Dienstverträge geltenden Vorschrift in § 309 Nr. 9a BGB zu bestimmen (Senat, Urteil vom 13. Oktober 2006 - V ZR 289/05, aaO Rn. 17).

(Rn. 30) Das gilt unabhängig davon, ob die Wohnungen, die zu Zwecken des betreuten Wohnens genutzt werden sollen, Einheiten einer Wohnungseigentumsanlage sind oder sich auf mehreren Grundstücken befinden, die zusammen eine Seniorenwohnlage mit gemeinsamen Betreuungseinrichtungen bilden. Der personale Bezug von Betreuungsleistungen und das sich daraus ergebende Bedürfnis, sich von Unternehmen oder Vereinen trennen zu können, die den Erwartungen des Betreuten nicht entsprochen haben oder zu denen dieser kein Vertrauen mehr hat, hängen nicht von der sachenrechtlichen Gestaltung der Wohnanlage ab.

(Rn. 31) Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs aus der Dienstbarkeit, mit dem Ziel, die Beklagten zum (erneuten) Abschluss eines Betreuungsvertrags zu bewegen, stellt daher eine missbräuchliche, unzulässige Rechtsausübung dar. Dies gilt selbst dann, wenn in dem neuen Vertrag ein Recht zur Kündigung aufgenommen werden würde. Rechtsmissbräuchlich ist die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs aus der Dienstbarkeit nämlich auch, wenn damit ein sukzessiver Abschluss mehrerer Verträge erzwungen werden soll, deren Dauer zusammen die für solche Verträge zulässige zeitliche Höchstgrenze überschreitet (vgl. Amann, DNotZ 1986, 578, 591 - zu hintereinander abzuschließenden Bierbezugsverträgen).“

b) BGH, 13.10.2006 – V ZR 289/05

Damit bekräftigte der BGH seine Rechtsprechung aus

BGH, Urt. v. 13.10.2006 – V ZR 289/05, DNotZ 2007, 39 = MittBayNot 2007, 43 = NJW 2007, 213 = WM 2006, 2374

Leitsätze: 1. Es steht dem teilenden Eigentümer frei, in der Teilungserklärung eine Gebrauchsregelung vorzugeben, wonach Wohnungen nur im Sinne betreuten Wohnens genutzt werden dürfen.

2. Eine in der Teilungserklärung enthaltene Verpflichtung der Wohnungseigen-tümer, einen Betreuungsvertrag mit einer zeitlichen Bindung von mehr als zwei Jahren abzuschließen, ist unwirksam.

(Juris Rn. 15) „Allerdings lässt das Wohnungseigentumsrecht den Wohnungseigentümern weitgehend freie Hand, wie sie ihr Verhältnis untereinander ordnen wollen (Senat, BGHZ 37, 203, 207; Beschl. v.24. Februar 1994, V ZB 43/93, NJW 1994, 2950, 2951 ). Daher steht es auch dem teilenden Eigentümer nach §§ 8 Abs. 2, 5 Abs. 4 i.V.m. §§ 15 Abs. 1, 10 Abs. 2 WEG frei, in der Teilungserklärung eine Gebrauchsregelung vorzugeben, wonach Wohnungen nur im Sinne betreuten Wohnens genutzt werden dürfen und demgemäß die Wohnungsnutzer ein bestimmtes Mindestalter erreicht haben oder betreuungsbedürftig sein müssen. Auch sind keine grundsätz-lichen Einwände dagegen zu erheben, wenn zur Umsetzung der Gebrauchsregelung mit Bindungs-wirkung nach § 10 Abs. 2 WEG eine Verpflichtung sämtlicher Wohnungseigentümer festgeschrieben wird, einen Betreuungsvertrag abzuschließen (vgl. … zur Verpflichtung, dem Abschluss eines bestimmten Verwaltervertrages zuzustimmen), um auf diese Weise die Grundlage

S. 188 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

für eine möglichst kostengünstige Betreuung zu schaffen. Auf durchgreifende Bedenken stößt ein solcher Kontrahierungszwang indessen jedenfalls dann, wenn die Wohnungseigentümer zum Abschluss von Verträgen mit einer Bindung von mehr als zwei Jahren verpflichtet werden sollen und weder den einzelnen Wohnungseigentümern noch der Wohnungseigentümergemeinschaft wirkliche Spielräume für die Ausgestaltung der Verträge verbleiben. Dabei kann offen bleiben, ob von dem teilenden Eigentümer einseitig gesetzte Bestimmungen in der Teilungserklärung der Inhaltskontrolle nach den für allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Vorschriften der §§ 307 ff. BGB (§§ 9 ff. AGBG) in entsprechender Anwendung unterliegen oder ob sich diese Kontrolle unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls am Maßstab von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auszurichten hat (vgl. dazu Senat, BGHZ 151, 164, 173 f. m.w.N auch zum Streitstand). Beide Standpunkte führen vorliegend zu demselben Ergebnis.“

2. Hinweise zur Vertragsgestaltung

Literatur:

Heinemann, „Betreutes Wohnen“ in der Form des Wohnungs- und Teileigentums, MietRB 2013, 363;

Kahlen, „Betreutes Wohnen“ in der Eigentumswohnung, ZMR 2007, 67;

Pauly, Betreutes Wohnen - notwendige Problembewältigung einer neuen Wohnform, ZMR 2008, 864;

Rapp, Gemeinschaftsordnung und Bauträgervertrag bei Betreutem Wohnen, MittBayNot 2012, 432; Rapp, Betreutes Wohnen in der notariellen Praxis, notar 2013, 359 (= leicht aktualisierte Version).

Welche Regelungen können für eine „Seniorenimmobilie“ mit „Betreutem Wohnen“ bei mehreren Eigentümer zulässigerweise getroffen werden?

a) Wohnungseigentumsrecht

aa) Wohnungseigentumsrechtlich kann die zulässige Nutzung auf „Betreutes Wohnen“ beschränkt werden, also insbes. ein bestimmtes Mindestalter (bei Ehepaaren zumindest für einen Ehegatten) oder Betreuungsbedürftigkeit der Bewohner gefordert werden.

vgl. Leitsatz 1 von BGH, Urt. v. 13.10.2006 – V ZR 289/05, DNotZ 2007, 39 = MittBayNot 2007, 43 = NJW 2007, 213 = WM 2006, 2374.

bb) Nachdem der BGH in dem zitierten Urteil von 2006 zwar eine mehr als zweijährige Bindungsfrist (und damit die Bindung an ein bestimmtes Betreuungs-unternehmen) als unzulässig verwarf - aber sich nicht gegen die Verpflichtung zum Abschluss eines (kürzerfristigen) Betreuervertrages aussprach, geht die Literatur davon aus, dass eine solche Verpflichtung möglich ist - auch in der Form, dass alle

S. 189 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Wohnungseigentümer verpflichtet sind, den Vertrag mit dem von der Mehrheit ausgesuchten Betreuungsunternehmen abzuschließen.306

Eine andere Meinung kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, indem sie als Vertrags-partner bei einer für Betreutes Wohnen konzipierten Wohnungseigentümer-gemeinschaft und den Vertragsabschluss als Verwaltungsmaßnahme ansieht.307

cc) Alternativ könnte jedenfalls bei einem reinen Anlegerobjekt in der Gemeinschafts-ordnung auch die Verpflichtung zur Vermietung an einen Betreiber vorgesehen werden - wie bei Hotelanlagen oder Studentenwohnheimen (so entschieden für die Pflicht zur Vermietung der Apartments in einem Studentenwohnheim an einen gewerblichen Zwischenmieter).

BayObLG, Beschl. v. 10.3.1994 - 2Z BR 143/93, BayObLG-Report 1994, 36 = WE 1995, 93 = WuM 1994, 570

Das ist aber wirtschaftlich weniger interessant, weil man damit die zahlungskräftige Gruppe der Eigennutzer ausschließt.

b) Gesellschaft der Wohnungseigentümer

Denkbar wäre auch, parallel zur Wohnungseigentümergemeinschaft eine personenidentische Gesellschaft zu schaffen und diese Gesellschaft dann den Betreuungsvertrag abschließen zu lassen. Gesellschaftsvertraglich wären die Wohnungseigentümer dann verpflichtet, einen Betreuungsvertrag mit der von der Mehrheit bestimmten Betreuungsgesellschaft abzuschließen.

Die Lösung hat den Charme, dass man nicht überlegen muss, ob eine solche Verpflichtung wohnungseigentumsrechtlich möglich ist. Dafür stellt sich das Problem, ob eine parallele Gesellschaft nicht als unzulässige (und intransparente) Umgehung der WEG-Vorschriften angesehen werden könnte.

Und kompliziert ist die Doppelung der körperschaftlichen Strukturen allemal.

Daher würde ich eine gesellschaftsrechtliche Lösung eher als Auffangnetz vorsehen, sofern die wohnungseigentumsrechtliche Pflicht sich später als unwirksam erweisen würde.

306 Bärmann/Klein, WEG, 12. Aufl. 2013, § 10 WEG Rn. 104; Forst, RNotZ 2003, 295; Pauly, ZMR

2008, 864: 307 Hügel/Scheel, Rechtshandbuch Wohnungseigentum, 3. Aufl. 2011, Teil 6 Rn. 26; Rapp,

MittBayNot 2012, 432, 435 = notar 2013, 359, 363.

S. 190 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

C) Überlassungsvertrag u.ä.

I. Unwirksamkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln (K)

– BGH, Beschl. v. 20.12.2012 - IX ZR 56/12, ZIP 2013, 274 BGH v. 15.11.2012 - IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 = NJW 2013, 1159 (m. Anm.

Römermann) = NZG 2013, 434 = NZI 2013, 178 (m. Anm. Eckhoff) = DB 2013, 513 =

ZIP 2013, 274; Seagon, LMK 2013, 346233; Schmitz, IBR 2013, 278; Böhner, FD-

InsR 2013, 342731.

1. Urteilssachverhalt

Der spätere Insolvenzschuldner hatte mit einem Energieversorger einen Vertrag über

die Lieferung von Strom zu besonderen Vertragskonditionen vereinbart, die im

Arbeitspreis erheblich unter den Konditionen des Normaltarifes lagen. In dem Vertrag

war folgendes vereinbart:

„Der Vertrag endet auch ohne Kündigung automatisch, wenn der Kunde einen

Insolvenzantrag stellt oder auf Grund eines Gläubigerantrags das vorläufige

Insolvenzverfahren eingeleitet oder eröffnet wird.“

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens lieferte der Versorgungsträger weiter,

verlangte aber vom Insolvenzverwalter aufgrund der Beendigung der Sonderverein-

barung über den geringeren Arbeitspreis den erhöhten Normalpreis. Dagegen wandte

sich der Insolvenzverwalter mit dem Argument, bei der getroffenen vertraglichen

Vereinbarung handele es sich um ein gegen § 119 InsO verstoßendes Lösungsrecht.

2. Die Bedeutung des § 119 InsO

§ 119 InsO bestimmt, dass (vertragliche) Vereinbarungen, die im Voraus die Anwend-

barkeit der besonderen Bestimmungen der InsO zu den gegenseitigen Verträgen

ausschließen, unwirksam sind. Zweck der Bestimmung ist es, die Durchführung des

Insolvenzverfahrens nicht dadurch zu beeinträchtigen, dass sich einzelne Vertrags-

S. 191 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

partner entgegen der gesetzlichen Regelungen durch Sondervereinbarung Rechte

einräumen lassen, die die Entscheidungskompetenzen des Verwalters beschneiden.

Wie weit der Geltungsbereich des § 119 InsO reicht, war bislang in Rechtsprechung

und Literatur sehr umstritten.

Eine in Rechtsprechung und Literatur weit verbreitete Auffassung sah die hier

betroffenen insolvenzbedingten Lösungsklauselen als nicht von § 119 InsO erfasst

an.308 Lösungsklauseln beträfen den Bestand des Vertrags betreffen, nicht aber dessen

Abwicklung im Sinne der Bestimmungen der §§ 103 - 118 InsO.

Überwiegend war aber bereits bislang schon die Gegenauffassung, die insolvenz-

abhängige Lösungsklauseln für grundsätzlich unwirksam hält.309 Zwar lassen die

Vertreter dieser Auffassung Lösungsrechte, die spezialgesetzlichen Lösungsrechten

inhaltlich entsprechen, regelmäßig als nicht von § 119 InsO erfasst zu. Dies stellt

allerdings keine Einschränkung zur grundsätzlichen Unzulässigkeit dar. Der Verwalter

kann einen Vertrag nur in dem Zustand übernehmen, in dem sich dieser bei

Verfahrenseröffnung befindet. Steht dem Vertragspartner bspw. wegen Verzugs des

Insolvenzschuldners ein Rücktrittsrecht vom vertrag zu, hat dies nicht mit einer

Lösungsklausel im Sinne des § 119 InsO zu tun, da dieses Lösungsrecht auch völlig

unabhängig von jedem Insolvenzverfahren bestanden hätte.

3. Die Entscheidung des BGH

Der IX. Senat hat sich durch die hier besprochene Entscheidung klar positioniert:

308 OLG München vom 26. 4. 2006 - 7 U 5350/05, ZInsO 2006, 1060; Huber, in: MünchKomm-InsO, § 119 Rdnrn. 28 ff.; von Wilmowsky, ZIP 2007, 553. 309 OLG Düsseldorf vom 17.08.2006 - 10 U 62/06, ZInsO 2007, 152; Tintelnot, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 119 Rdnrn. 16 ff.; Marotzke, in: HK-InsO, § 119 Rdnr. 4; Gerhardt, AcP 2000, 426, 443; Abel, NZI 2003, 121.

S. 192 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(Rein) Insolvenzbedingte Lösungsklauseln sind unwirksam.

Dieses Verdikt gilt dabei nicht nur für Klauseln, die an die Eröffnung des Insolvenz-

verfahrens anknüpfen, sondern auch solche, die an im Vorfeld liegende Umstände

anknüpfen. Der Senat sieht in diesen Klauseln eine gesetzeswidrige Beschränkung der

Rechte des Insolvenzverwalters aus den §§ 103 ff. InsO.

4. Hatten wir das nicht schon?

Im Grunde ist es natürlich für eine Praxisveranstaltung wenig sinnvoll, sich mit der

Bewertung einer BGH Entscheidung zu beschäftigen. Wir müssen ohnehin mit dieser

leben.

Wer sich an die Veranstaltung aus dem Jahr 2011 erinnert, dem wird noch gegenwärtig

sein, dass wir uns auch damals schon mit dem Thema der insolvenzbedingten

Lösungsklauseln auseinander gesetzt haben. Damals allerdings war nur das ganz

spezifische Problem der Unwirksamkeit von Heimfallklauseln als Inhalt eines

Erbbaurechts Gegenstand der Entscheidung des IX. Senats gewesen.

In zwei Urteilen (BGH v. 19.4.2007, DNotZ 2007, 682310 und BGH v. 12.6.2008, ZIP

2008, 1384) hatte sich der IX. Senat mit dem Heimfallanspruch bei Erbbaurechts-

verträgen befasst. Beiden Entscheidungen lag ein Erbbaurechtsvertrag zugrunde, der

für den Fall des Heimfalls keine Entschädigung zugunsten des Erbbauberechtigten

vorsah. Beide Entscheidungen kamen zu dem Ergebnis, dass der Heimfallanspruch

nicht ausgeübt werden konnte.

Wir hatten damals festgehalten, dass eine generelle Unwirksamkeit von Heimfall-

klauseln ebenso wenig angenommen werden kann wie deren Wirksamkeit, dass es

S. 193 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

vielmehr auf die berechtigten Interessen der Beteiligten an einer solchen Regelung

ankomme. Die damaligen Überlegungen darf ich an dieser Stelle noch einmal

wiederholen.

- Hat der Grundstückseigentümer aus der Insolvenz des Erbbauberechtigten keine

Nachteile, stellt sich ganz generell die Frage, weshalb der Entzug des Rechts aus

der Masse gerechtfertigt sein soll. Zahlt der Verwalter den geschuldeten Erbbau-

zins und sind etwa bestehende Rückstände dinglich durch Reallast gesichert,

erscheint die Vereinbarung einer Heimfallklausel bereits insoweit als

problematisch.

- Ist der Heimfallanspruch dagegen Kompensation einer fehlenden dinglichen

Sicherung des Erbbauzinses, sollte dieser zumindest dann ggfls. auch ohne

Entschädigung insolvenzfest sein, wenn der Erbbauzins rückständig ist.

- Tätigt der Erbbauberechtigte keine eigenen Investitionen auf dem Grundbesitz,

ist der Vermögensverlust für die Masse weniger einschneidend, sodass auch der

Heimfall eher gerechtfertigt sein kann.

Da gerade beim normalen, entgeltlich bestellten Erbbaurecht mit dinglicher Sicherung

des Erbbauzinses die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zunächst keine negativen

Auswirkungen auf die Rechte des Grundstückseigentümers hat, scheint es angezeigt,

insoweit wohl besser auf den allgemeineren Fall des Rückstandes von Erbbauzinsen

abzustellen und die Frage der Insolvenz außen vor zu lassen.

In der Gestaltung dürfte danach folgender Regelsatz gelten:

=> Je weniger der Grundstückseigentümer durch die Insolvenz des Erbbauberech-

tigten in seinen Rechten beeinträchtigt ist, desto eher droht die Anfechtung einer

Heimfallklausel. Je weniger Belastung für die Masse aus dem Heimfall resultiert,

desto eher ist die Insolvenzfestigkeit gegeben.

310 Siehe dazu Reul DNotZ 2007, 649; Kirchhof WUB VI A § 129 InsO 4.07; Kesseler ZnotP 2007, 303.

S. 194 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

5. Die Überlegungen des BGH

Der IX. Senat ordnet die insolvenzbedingte Lösungsklausel als den Maximalfall der

Beschränkung des Wahlrechts im Sinne des § 119 InsO ein. Er hat damit Recht: Die

Summe aller Beschränkung des Wahlrechts muss das Recht sein, diesem gänzlich den

Boden zu entziehen.

Mittels dieser Klauseln wird die Möglichkeit, ein im Insolvenzverfahren befindliches

Unternehmen noch weiter zu führen faktisch unterwandert. Es ist im Ergebnis auch

kein wirkliches Argument dafür zu finden, warum in solchen Konstellationen allein

die Insolvenzverfahrenseröffnung, der Vermögensverfall oder eine sonstige ein

Krisenanzeichen darstellende äußere Tatsache zur Beendigung eines Vertragsverhält-

nisses führen soll.

Die in den Besprechungen teilweise geäußerte Kritik311 an der Entscheidung, den

Gläubigern von Ansprüchen aus Dauerschuldverhältnissen werde es aufgebürdet, bis

zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens die eigene Leistung weiterhin erbringen zu

müssen, obschon er „sehenden Auges“ eine Leistung erbringe, für die er im Endeffekt

nur eine einfache Insolvenzforderung erhalte, ist unzutreffend. Nichts zwingt den

Gläubiger dazu, weiter zu liefern, wenn der Schuldner seinen Leistungs-

verpflichtungen nicht nachkommt. Das gesamte Leistungsstörungsrecht des gegen-

seitigen Vertrages steht dem Gläubiger unbenommen zur Verfügung. Es ist nicht

erkennbar, welches Risiko sich daraus für einen Gläubiger ergeben sollte. Die

Möglichkeit, für die Zeit ab Stellung des Insolvenzantrags die Unsicherheitseinrede

aus § 321 BGB mit der Folge geltend zu machen, dass der Schuldner vorleistungs-

pflichtig wird, ist weder bloß eine theoretische noch in irgendeiner Form anfechtungs-

behaftet.312 Rechte aus den §§ 320 ff. BGB sind auch im Insolvenzverfahren geschützt.

311 So Eckhoff, NZI 2013, 178, 181. 312 So aber Eckhoff, NZI 2013, 178, 181f.

S. 195 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Die Ansprüche aus den Leistungshandlungen, die ungesichert vor

Verfahrenseröffnung erbracht wurden, sind tatsächlich bloße Insolvenzforderungen.

Das sind sie aber immer. Auch wenn dem Gläubiger die Lösung vom Vertrag erlaubt

würde, müsste er seine bis dahin entstandenen Ansprüche zur Tabelle anmelden.

6. Fortbestand aller gesetzlichen Leistungsstörungsrechte

Der IX. Senat hat ausdrücklich klargestellt, dass Lösungsklauseln, die gesetzlichen

Leistungsstörungsrechten entsprechen, keine gegen § 119 InsO verstoßenden

Bestimmungen darstellen. Damit ist logisch vorausgesetzt, dass das gesamte

Leistungsstörungsrecht des gegenseitigen Vertrages greift.

Befindet sich der Schuldner also im Verzug, dann kann der Gläubiger sich

selbstverständlich (ggfls. nach Fristsetzung) vom Vertag lösen. Gleiches gilt in den

Fällen der sonstigen, den Rücktritt gestattenden Pflichtverletzungen.

Wegen der Gefährdung seines Anspruchs kann der Gläubiger selbstredend auch die

Unsicherheiteneinrede des § 321 BGB geltend machen, die bei drohender Insolvenz-

verfahrenseröffnung ohne weiteres gegeben ist.313

7. Welche Verträge sind betroffen?

Betroffen von dieser Rechtsprechung sind – so sagt es die Entscheidung - primär alle

Dauerlieferungsverträge.

Der Grundgedanke greift aber auch bei allen anderen gegenseitigen Verträgen. Nur

findet sich bei diesen selten eine Regelung, die die Loslösung vom Vertrag für den

Fall des Vermögensverfalls vorsieht.

313 Dass für Leistungen, die im Verfahren zur Masse erbracht und aus der Masse vergütet werden, § 321 BGB wiederum nur gilt, wenn auch Masseinsuffizienz droht, ist klar.

S. 196 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Ist die Wertung von Römermann, dass „ein großer, vielleicht sogar der überwiegende

Teil wirtschaftsrechtlicher Verträge, die in Deutschland verwendet werden, teilweise

nichtig ist“,314 vielleicht richtig?

- Energielieferungsverträge

Für die Verträge über die Lieferung von Energie, Wasser und sonstige

Versorgungsleistungen ist das Urteil erkennbar ohne weitere Übertragung

anwendbar. So diese einmal Gegenstand der notariellen Beurkundung werden,

sollte von den Lösungsklauseln Abstand genommen werden.

- Mietverträge

Dass der Notar sich mit der Beurkundung von Miet- und sonstigen

Nutzungsverträgen konfrontiert sieht, ist jedenfalls wesentlich häufiger der Fall,

als die Energielieferungsverträge. Bei diesen Verträgen hat der Gesetzgeber

bereits in § 112 InsO das Kündigungsrecht nach Eröffnung des Insolvenz-

verfahrens für den Fall der Vermögensverschlechterung ausgeschlossen. Zu

Lösungsklauseln vor Verfahrenseröffnung hat der BGH in der hier

besprochenen Entscheidung zumindest die Erläuterungen aus dem Gesetz-

gebungsverfahren zitiert, wonach „die Kündigungssperre für spezielle Vertrags-

typen die Unwirksamkeit der allgemeinen Lösungsklauseln für die Zeit vor

Verfahrenseröffnung ergänzen sollte (vgl. BT-Dr 12/2443, S. 264).“

Im Ergebnis heißt das also auch hier: Finger weg von den Lösungsklauseln.

Kündigungsrechte für den Fall ausbleibenden Nutzungsentgelte reichen und

sind insolvenzfest. § 112 Nr. 1 InsO verwehrt nur die Kündigung im Verfahren

wegen vor Eröffnung rückständiger Leistungen. Wird schon vorher gekündigt,

wird dies nicht durch § 119 InsO ausgeschlossen.

S. 197 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

- Kreditverträge

Noch nicht diskutiert wird die Frage, inwieweit sich die Entscheidung auf Kre-

ditverträge auswirkt, die der Schuldner als Darlehensnehmer abgeschlossen hat

und die diesem die Nutzung des Kredites zur Eigenfinanzierung ermöglichen.

Die Überlegung scheint nur auf den ersten Blick weit hergeholt. Dass der

Schuldner erhaltene Kredite nicht zurückzahlen kann, ist ja geradezu der Regel-

fall der Insolvenzeröffnungsgründe. Da es für den Kreditvertrag entscheidend

auf die Vermögensverhältnisse und dessen Schuldendienstfähigkeit ankommt,

dürfte sich eine Kündigung für den Fall der Insolvenzverfahrenseröffnung oder

dem vorausgehend die erhebliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse

geradezu aufdrängen.

Allerdings hat insoweit der Gesetzgeber die Grundlagen für ein Kündigungs-

recht schon in § 490 Abs. 1 BGB dergestalt definiert, dass dieses im Fall der

Vermögensverschlechterung dann besteht, wenn die Rückzahlung des

Darlehens auch unter Verwertung der Sicherheit gefährdet ist. Hat der

Insolvenzschuldner einen für ihn günstigen Darlehensvertrag geschlossen,

dessen Zins- und Tilgungsleistungen er ordnungsgemäß bedient und der durch

die gestellte Sicherheit in seiner Rückzahlung nicht gefährdet ist, dann kann der

Vertrag nicht nach § 490 Abs. 1 BGB gekündigt werden.

Nach der jetzigen Entscheidung des IX. Senats sollten demnach Klauseln in

unseren Verträgen, die zur Kündigung allein aufgrund des Insolvenzfalles

berechtigen, überprüft werden.

Das betrifft dann auch sämtliche Ratenzahlungsverträge, vollentgeltlichen

Veräußerungen gegen Rentenzahlung und ähnliche Vertragsgestaltungen.

- Bauvertrag

Auch im Bauvertrag erscheint es ernstlich zweifelhaft, ob allein die

Vermögensverschlechterung bei ansonsten ordnungsmäßiger Vertragserfüllung

314 Römermann, NJW 2103, 1159, 1162.

S. 198 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

noch ein recht zur Kündigung gewähren kann. Dies dürfte angesichts der

Überlegungen des IX. Senats erledigt sein. Für das Kündigungsrecht nach § 8

Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1. und 2. VOB/B wird dies von den Stimmen im

baurechtlichen Schrifttum angenommen. Eine außerordentliche Auftraggeber-

kündigung wegen Zahlungseinstellung oder Insolvenzantrags des Auftrag-

nehmers verbiete sich daher in Zukunft.315

- Kaufvertrag?

Selten finden sich im Kaufvertrag insolvenzabhängige Lösungsrechte.

Regelmäßig wird es für den Fall der Nichtleistung beim gesetzlichen Leistungs-

störungsrecht belassen.

Ob sich die Entscheidung auch auf den auf einmaligen Leistungsaustausch

gerichteten Kaufvertrag bezieht, lässt sich der Entscheidung direkt nicht

entnehmen. Der BGH beschäftigt sich ausdrücklich nur mit Verträgen über die

fortlaufende Lieferung von Waren oder Energie. Damit sind die auf einmaligen

Leistungsaustausch gerichteten Verträge zunächst wohl außen vor.

Allerdings lassen sich nach meinem Dafürhalten die Überlegungen des IX.

Senats auch hier anwenden. Wodurch sollte es sich rechtfertigen, der Insolvenz-

masse die für sie möglicherweise günstige Vertragsposition nehmen zu dürfen,

obschon sich der Insolvenzschuldner im Übrigen vertragskonform verhält? Eine

Differenzierung erscheint nicht angebracht.

- Am Rande: Gesellschaftsrecht?

Abschließen will ich die Betrachtung einzelner Vertragsverhältnisse mit dem

Ausblick auf Gesellschaftsverträge, diejenigen Vertragsverhältnisse also, bei

denen mit Abstand am häufigsten von Ausschlussklauseln für den Insolvenzfall

Gebrauch gemacht wird.

315 So wörtlich Schmitz, IBR 2013, 278; ebenso Böhner, FD-InsR 2013, 342731.

S. 199 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Für den Bereich der Personengesellschaften ist die gesetzliche Ausgangslage

klar: Der Ausschluss des insolventen Gesellschafters ist sogar gesetzliche

angeordnete Regelfolge.

Im Bereich der Kapitalgesellschaften stellt sich die Frage nur bei den GmbH.

Sind diese personalistisch strukturiert, ist der insolvenzbedingte Ausschluss

eines Gesellschafters wegen des in dessen Insolvenz liegenden persönlichen

Risikos unbedenklich zulässig. Das Urteil hat insoweit keine Bedeutung.

8. Lösungsklauseln mit Bedacht verwenden

In vielen Vertragswerken finden sich Lösungsklauseln für den Insolvenzfall oder

weitergehend den des Vermögensverfalls. Diese Klauseln sind jedenfalls da, wo es

keine entsprechenden gesetzlichen Lösungsrechte vom Vertrag gibt, wahrscheinlich

unwirksam. Die teilweise geäußerte Auffassung, zumindest Klauseln, die nicht auf das

direkte Vorfeld der Insolvenz abstellen, sondern die allgemeine Vermögens-

verschlechterung als Kriterium nennen, seien zulässig, lässt sich nicht mit der

Entscheidung in Einklang bringen. Wenn der Zeitpunkt der berechtigten Lösung so

weit vorverlagert wird, dass keine Insolvenznähe mehr besteht, wird er derart

willkürlich, dass die Klausel bereits aus diesem Grund jedenfalls in AGB unzulässig

sein dürfte.

Jeder Vertragsgestalter sollte sich die Frage stellen, wozu es denn überhaupt der

Klausel bedarf. Leistet der spätere Insolvenzschuldner weiter und stellt er auch die

wegen seines Vermögensverfalls in der Regeln berechtigt geforderte Sicherheit im Fall

der Vorleistung des Vertragspartners (§ 321 BGB) dann spricht doch tatsächlich nichts

dagegen, weiter mit diesem Geschäfte zu machen. Problematisch ist doch nicht das

Insolvenzverfahren an sich, problematisch ist die ausbleibende Leistung.

Das notarielle Denken unter möglichster Vermeidung der ungesicherten Vorleistungen

ist geradezu prädestiniert, außerhalb der Lösungsklauseln vertragliche Vereinbarungen

S. 200 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

zu schaffen, die vor den Risiken, die sich aus der mangelnden Leistungsfähigkeit des

Partners ergeben, zu schützen.

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vertragspartners ist

regelmäßig nicht das Problem der Vertragsbeziehung. Das Problem ist die mangelnde

Erfüllung. Diese wird aber durch das bloße Verfahren nicht verschlechtert.

Da wo es tatsächlich einmal die bis zur Gewissheit über die Ausübung des Wahlrechts

bestehende Ungewissheit ist, die die Vertragsbeteiligten vermeiden wollen, kann man

nur auf die gegenteilige Wertung des Gesetzgebers verweisen. Sind die

Leistungsfristen so lang, muss eben gewartet werden.

9. Zur Wiederholung: Anfechtbarkeit der Rückfallklauseln

Rückfallklauseln sind als solche nicht wegen § 119 InsO unwirksam.

Diese müssen sich diese gleichwohl der Prüfung der möglichen Anfechtbarkeit

unterziehen.

- Der Anfechtung ausgesetzt ist regelmäßig das Rechtsgeschäft als Einheit. Ein

Rosinenpicken ist nicht zulässig. Nur in dem Ausnahmefall, dass sich ein Teil

eines ansonsten ausgewogenen Rechtsgeschäfts geradezu als Fremdkörper

darstellt, der sich auch unter Berücksichtigung der Interessen des Berechtigten

nicht in das Konzept einordnen kann, ist ein "Herausschneiden" dieses Fremd-

körpers mittels Anfechtung zulässig.

- Die Anfechtung ist nur zulässig, wenn die Gläubiger nach erfolgter Anfechtung

besser stehen als vorher. .

Unter Zugrundelegung des ersten Prinzips, dass nämlich ein Rechtsgeschäft grund-

sätzlich nur einheitlich angefochten werden kann, sieht sich der Übergeber eines

S. 201 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Grundstücks hinsichtlich des vormerkungsgesicherten Rückfallanspruchs in einer

komfortablen Position.

- Ficht der Verwalter nicht an, ist der Rückforderungsanspruch nach § 106 InsO

durchsetzbar.

- Ficht der Verwalter an, ist Gegenstand der Anfechtung das ganze Rechts-

geschäft mit der Konsequenz, dass der Verwalter das Grundstück wieder an den

Übergeber übertragen muss. Grund ist dann zwar nicht der vormerkungs-

gesicherte Anspruch, sondern ein solcher aus ungerechtfertigter Bereicherung.

Das dürfte dem Übergeber allerdings gleich sein.

Ein Risiko besteht also nur dann, wenn selektiv nur die Rückforderungsklausel ange-

griffen werden kann, der Vertrag im Übrigen aber seinen Bestand behält.

Die Entscheidung des IX. Senats vom 13.3.2008 hat insoweit für die Gestaltungspraxis

große Rechtssicherheit gebracht. Dem Wortlaut der Entscheidung ist kaum etwas

hinzuzufügen:

"Auf eine Schenkung zum Vorteil des Schuldners sind die Grundsätze

(partielle Anfechtung d.Verf.) dagegen nicht anwendbar. Entscheidend

ist hier, dass der Grundbesitz niemals einem unbeschränkten Zugriff der

Gläubiger ausgesetzt war."

Auch die Gläubiger dürfen einem geschenkten Gaul nicht aufs Maul schauen.

S. 202 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

II. Bereicherungsanspruch bei Vornahme von Bauarbeiten in der begründeten Erwartung künftigen Eigentumserwerbs (SH)

– BGH, Urt. v. 19.7.2013 – V ZR 93/12, DNotI-Report 2013, 150 = IMR 2013, 507 (Poetzsch-Heffter) = MittBayNot 2013, 471 m. Anm. Grziwotz = NJW 2013, 3364 = ZfIR 2013, 857 m. Anm. Krüger = ZNotP 2013, 304.

1. Sachverhalt

In dem der Entscheidung des V. Zivilsenats vom 19.7.2013 zugrunde liegenden Sachverhalt, schlossen die beklagten Grundstückseigentümer mit dem Kläger einen schriftlichen Pachtvertrag, wonach die Pachtzeit am 1.1.1991 beginnen und min-destens 30 Jahre dauern sollte. Weiterhin ist dort Folgendes geregelt:

„3. Verpächter und Pächter sind sich darüber einig, dass unverzüglich ein Erbbaurecht-Vertrag mit einer Gesamtlaufzeit von 99 Jahren geschlossen werden soll. Im Hinblick darauf sind Verpächter und Pächter verpflichtet, den … Pachtvertrag demgemäß zu verlängern, falls es zu dem Abschluss eines Erbbaurecht-Vertrages nicht kommen sollte, aus Gründen, die weder Pächter noch Verpächter zu vertreten haben.

9. Dem Pächter ist die Nutzung als Grünlandfläche und die Errichtung von Gebäuden gestattet.

11. Sofern durch die Nutzung oder die während der Pachtzeit durchgeführten Maßnahmen der jetzige Wert des Pachtgegenstandes gemindert wird, hat der Pächter am Ende der Pachtzeit den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen oder dem Verpächter den eingetretenen Minderwert zu ersetzen.

Der Pächter hat das Recht, die von ihm geschaffenen Einrichtungen am Ende der Pachtzeit wegzunehmen, sofern der Verpächter nicht bereit ist, sie gegen Zahlung eines angemessenen Entgelts zu übernehmen.“

In der Folgezeit wurden auf dem Grundstück ein aus einem Pferdestall mit Wohnhaus bestehendes „Kombinationsgebäude“ sowie weitere Stallgebäude errichtet. 2005 verweigerte der Beklagte zu 2 den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrages. Im Jahre 2008 erklärten beide Beklagten die Kündigung des Pachtvertrages, da der Kläger mit seinen Pachtzahlungen säumig sei.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage den Ersatz des Wertes der auf dem Grundstück errichteten Anlagen in Höhe von 440.000.– €.

S. 203 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

2. Entscheidung

Im Unterschied zu den beiden Vorinstanzen bejaht der V. Zivilsenat dem Grunde nach einen bereicherungsrechtlichen Ausgleichsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB (Zweckverfehlungskondiktion). Dem berechtigten Besitzer, der in der begründeten bzw. berechtigten Erwartung künftigen Eigentumserwerbs auf einem Grundstück Bauarbeiten vornimmt oder vornehmen lässt, steht nach § 812 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB ein Bereicherungsanspruch zustehen, wenn diese Erwartung später enttäuscht wird. Gerichtet ist der Anspruch auf Abschöpfung des Wertzuwachses, den das Grundstück infolge der Baumaßnahme erfahren hat (§ 818 Abs. 2 BGB), nicht hingegen auf den Wert der errichteten Baulichkeiten.316

a) Zweckabrede in Gestalt einer tatsächlichen Willensübereinstimmung

Eine begründete Erwartung in diesem Sinne kann nach Ansicht des BGH auch dann zu bejahen sein, wenn lediglich vage, nur auf einer ungesicherten Rechtsposition beruhende und nicht der Formvorschrift des § 311b Abs. 1 BGB i. V. m. § 11 Abs. 2 ErbbauRG entsprechende Absichtserklärungen abgegeben wurden. Würde man insoweit eine bindende vertragliche Abrede zur Eigentumsübertragung fordern, käme ein Bereicherungsausgleich nach § 812 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB wegen des grundsätzlichen Vorrangs des Vertragsregimes von vornherein nicht in Betracht. Ausreichend ist somit, dass der Bebauung und dem erwarteten späteren Eigentumserwerb eine tatsächliche Willensüberreinstimmung zugrunde liegt, da dann für jeden verständigen Grundstückseigentümer klar ist, dass ihm die durch das Bauwerk herbeigeführte Wertsteigerung des Grundstücks nicht verbleiben solle (Zweckbestimmung).317

Die gesetzliche Pflicht des Pächters zur Entfernung der Aufbauten (§§ 546 Abs. 1, 581 Abs. 2 BGB) stellt in der vorliegenden Sonderkonstellation keine abschließende Regelung dar und steht dem Bereicherungsanspruch somit nicht entgegen.

b) Rechtsgeschäftlicher Ausschluss des Ausgleichsanspruchs?

Allerdings kann der Ausgleichsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB rechtsgeschäftlich ausgeschlossen werden. Ein derartiger vertraglicher Ausschluss des Ausgleichsanspruchs kann grundsätzlich sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen. Vorliegend fehle es jedoch an einem derartigen (auch nur konkludenten) Ausschluss, da die vertraglichen Regelungen, u. a. auch die Rückbau-verpflichtung, von einer Mindestvertragslaufzeit von 30 Jahren (ggf. sogar 99 Jahren) ausgehen und die vorzeitige Beendigung des Pachtvertrages (nur Teilamortisation der Investitionen) gerade nicht erfassen.

316 Vgl. auch BGH MittBayNot 2013, 471, 473 m. w. N. 317 Vgl. BGH NJW 1992, 2690.

S. 204 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Wäre es hingegen erst spät, nach beispielsweise 25 Jahren, zur Kündigung des Pachtvertrages gekommen, wäre ein konkludenter Abfindungsausschluss aufgrund weitgehender Amortisation der Investitionen durchaus nicht fernliegend.318

c) Kein Scheinbestandteil bei Einbau in Erwartung des Eigentumserwerbs

Der BGH weist in der vorliegenden Entscheidung ferner darauf hin, dass es sich bei dem Einbau von Sachen in der Erwartung eines späteren Eigentumserwerbs an den Bauten nicht um Scheinbestandteile, sondern um wesentliche Bestandteile des Grundstücks oder des Erbbaurechts i. S. v. § 94 BGB bzw. § 12 ErbbauRG handele, so dass ein Anspruch nach §§ 951, 812 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB nicht bereits aus diesem Grund ausgeschlossen sei.

d) Verjährung

Der Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB verjährt in der Regelverjährungsfrist (§§ 195, 199 BGB). Die 3-jährige Verjährungsfrist beginnt allerdings nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB erst zu laufen, wenn feststeht, dass der bezweckte Erfolg nicht mehr eintreten kann.319

3. Stellungnahme und Folgen für die Gestaltungspraxis

a) Leistungs- oder Nichtleistungskondiktion?

Im Ergebnis ist dem BGH uneingeschränkt zuzustimmen. Zweifelhaft erscheint allerdings die Annahme einer Leistungskondiktion i. S. v. § 812 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB, welche die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens voraussetzt,320 da die Bebauung des Grundstücks durch den Pächter letztlich mit Blick auf den erwarteten späteren Eigentumserwerb und damit zur Mehrung des eigenen Vermögens erfolgt.321

b) Vertragsgestaltung

Die vorliegende Entscheidung illustriert, dass es eine bereicherungsrechtliche Lösung im Falle von in der Praxis gar nicht seltenen, erheblichen Investitionen des „noch-nicht“-Eigentümers tunlichst zu vermeiden gilt. Aus Sicht des potentiellen

318 Vgl. BGH IMR 2013, 507 (Poetzsch-Heffter). 319 Vgl. BGH MittBayNot 2013, 471, 472 m. w. N. 320 Vgl. hierzu MünchKommBGB/Schwab, 6. Aufl. 2013, § 812 Rn. 41 m. zahlr. N. aus der Rspr. 321 Krüger, ZfIR 2013, 859, 860, auch unter Hinweis auf die Folgen der Annahme einer

Nichtleistungskondiktion i. S. v. § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB (Anwendbarkeit der §§ 815, 820 BGB).

S. 205 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Bereicherungsgläubigers ist die bloße Abschöpfung des Wertzuwachses, die vielfach hinter den tatsächlichen Investitionen zurückbleibt, u. U. nicht zufriedenstellend. Demgegenüber ist der derzeitige Eigentümer typischerweise daran interessiert, Ausgleichsansprüche generell auszuschließen, da auf ihn ansonsten wirtschaftlicher Druck zur Eigentumsverschaffung bzw. Eintragung eines Erbbaurechts ausgeübt wird, obwohl es bislang an einer wirksamen, d. h. formgerechten vertraglichen Übereignungsverpflichtung fehlt.

Im Interesse der Rechtssicherheit sollte daher vor der Vornahme erheblicher Investitionen in ein Grundstück auf eine möglichst klare, einfach handhabbare Regelung hingewirkt werden. In Betracht kommt insoweit entweder die wirksame Begründung einer Eigentumsverschaffungspflicht oder – sofern das nicht gewünscht ist – eine Regelung, dass keinerlei Ausgleichsansprüche bestehen, wenn sich die Erwartung des Investierenden nicht erfüllt (vertraglicher Ausschluss).322 Alternativ könnte man etwaige Ansprüche, insbesondere auch deren Umfang, unter Ausschluss des dispositiven Gesetzesrechts vertraglich festlegen.

4. Exkurs: Leistung (u. a.) in Erwartung eines späteren Eigentumserwerbs infolge Erbeinsetzung

– BGH, Urt. v. 22.3.2013 - V ZR 28/12, MittBayNot 2013, 471 m. Anm. Grziwotz = NJW 2013, 2025 = ZEV 2013, 400.

a) Entscheidung

In einer verwandten Thematik hat der V. Zivilsenat jüngst ebenfalls im Grundsatz einen Bereicherungsanspruch wegen Zweckverfehlung (konkret wegen einer Leistung in Erwartung eines späteren Eigentumserwerbs infolge Erbeinsetzung) in einer Konstellation bejaht, in welcher der vorverstorbene Sohn (im Folgenden: Erblasser) 250.000 € zum Ausbau und zur Modernisierung des Hauses seiner Mutter im Hinblick auf deren Versprechen investiert haben soll, dass er und seine Ehefrau, die Klägerin, lebenslang unentgeltlich in dem Haus wohnen dürfen und dass seine Mutter ihn zu ihrem Erben bestimmen werde.

Der V. Zivilsenat stellt noch einmal ausdrücklich heraus, dass es für das Zustandekommen einer für die Zwecke des § 812 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB erforderlichen tatsächlichen Willensübereinstimmung genügt, „wenn der eine Teil mit seiner Leistung einen bestimmten Erfolg bezweckt, der andere Teil dies erkennt und die Leistung entgegennimmt, ohne zu widersprechen.“ 323

Im Gegensatz zum Berufungsgericht steht der BGH zu Recht auf dem Standpunkt, dass eine Zweckverfehlung nicht deshalb zu verneinen sei, weil das Vorversterben des Erblassers in dessen Risikobereich fällt. Bei einer Kondiktion wegen Zweckverfehlung ist

322 Vgl. Krüger, ZfIR 2013, 859, 860 f. 323 BGH MittBayNot 2013, 471, 473 m. w. N.

S. 206 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

„die Rückforderung wegen Nichteintritts des mit einer Leistung bezweckten Erfolgs [gem. § 815 BGB] nur dann ausgeschlossen, wenn der Eintritt des Erfolgs von Anfang an unmöglich war und der Leistende dies gewusst hat oder wenn der Leistende den Eintritt des Erfolgs wider Treu und Glauben verhindert hat.“ 324

Der Bereicherungsanspruch ist auch dann vererblich, wenn der bezweckte Erfolg wegen des Versterbens des Leistenden vor dem Leistungsempfänger nicht eintreten kann. In diesem Fall entsteht der Anspruch endgültig erst, wenn der Leistungsempfänger anderweitig über das Eigentum verfügt oder stirbt.

b) Konsequenzen für die Gestaltungspraxis

Diese Entscheidung illustriert ebenfalls, dass auch im Familienkreis erhebliche Investitionen in das Immobilieneigentum einer anderen Person im Interesse der Streitvorbeugung stets von flankierenden vertraglichen Regelungen begleitet werden sollten, aus denen sich klar ergibt, wem unter welchen Voraussetzungen welche Ansprüche zustehen. Mangels einer derartigen Vereinbarung finden die gesetzlichen Regelungen Anwendung, die auch in diesem Fall – wie Grziwotz anschaulich dargelegt hat325 – die Interessenlage der Beteiligten meist nicht angemessen widerspiegeln.

In Anbetracht dessen, dass Störfallregelungen im Detail sehr komplex werden können, dürfte es sich empfehlen, erhebliche Investitionen in die Immobilie der Eltern nur zu tätigen, wenn diese zur Überlassung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge (ggf. im Gegenzug gegen die Einräumung eines Nießbrauchs- bzw. Wohnungsrechts, einer Leibrente etc.) bereit sind.326

Zur parallelen Problematik des Immobilienerwerbs durch einen Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft allein327 im Falle der späteren Trennung vgl. jüngst BGH, Urt. v. 8.5.2013 – XII ZR 132/12, FamRZ 2013, 1295 m. Anm. Grziwotz (instruktiver Überblick über die zu beachtenden Grundsätze auf S. 1299)= NJW 2013, 2187 = ZNotP 2013, 232.

324 BGH MittBayNot 2013, 471, 472. 325 Grziwotz, MittBayNot 2013, 473 f. 326 Zutreffend Grziwotz, MittBayNot 2013, 473, 474. 327 Etwa aufgrund von drohenden Pflichtteilsansprüchen einseitiger Kinder, wegen vorhandener

Schulden oder eines drohenden oder laufenden Insolvenzverfahrens (vgl. Grziwotz, FamRZ 2013, 1298).

S. 207 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

III. Schenkungsrückforderung bei aufgegebenen Wohnungsrecht (SH) – OLG Nürnberg, Urt. v. 22.7.2013 – 4 U 157/12, NotBZ 2013, 403 = ZEV 2014,

37. Hierzu G. Müller, NotBZ 2013, 425.

1. Ausgangssituation

Im vergangenen Jahr wurden an dieser Stelle zwei BGH-Entscheidungen vorgestellt, die sich mit den Konsequenzen des Umzugs eines Wohnungsberechtigten ins Pflegeheim beschäftigten:328

a) BGH: Kein Anspruch auf Auskehrung des Mieterlöses bei eigenmächtiger Vermietung

Der V. Zivilsenat hatte mit Urteil vom 13.7.2012 (Az.: V ZR 206/11) festgestellt, dass dem Wohnungsberechtigten, der ins Pflegeheim umgezogen ist, in Ermangelung vertraglicher Vereinbarungen mit dem Eigentümer kein Anspruch auf Auskehrung etwaiger Mieteinnahmen zusteht, die Letzterer durch eine eigenmächtige Vermietung der Wohnung erzielt. Entscheidend war hierfür, dass der Eigentümer die Mietzinsen nicht auf Kosten des Wohnungsberechtigten erlangt, sofern dieser (ebenfalls) keine Berechtigung zur Vermietung der dem Wohnungsrecht unterliegenden Räume hat (vgl. § 1092 Abs. 1 S. 2 BGB).329

b) BGH: Verzicht des Betreuers auf ein zu Gunsten des Betreuten bestelltes Wohnungsrecht

Ferner hatte der XII. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 25.1.2012 (Az.: XII ZB 479/11) entschieden, dass u. U. sogar ein Verzicht des Betreuers namens des Wohnungsberechtigten ohne Gegenleistung genehmigungsfähig ist, wenn die Wohnung aufgrund eines Ausübungshindernisses seitens des Berechtigten weder von ihm noch vom Eigentümer genutzt werden kann.330 Ein Verzicht ohne Gegenleistung kommt freilich nur dann in Betracht, wenn das Wohnungsrecht – etwa aufgrund monatlicher Belastungen für den Berechtigten unabhängig von einer Nutzung – für diesen keinen Vermögenswert darstellt bzw. der Vermögenswert sogar negativ anzusetzen wäre. Unter diesen Voraussetzungen entspricht die Aufgabe des

328 Herrler, in: DAI-Skript, Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung im

Immobilienrecht, 2012/13, C I = S. 143 ff. 329 Zu etwaigen Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen gegen den Eigentümer vgl. Herrler,

in: DAI-Skript, Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung im Immobilienrecht, 2012/13, C I = S. 148.

330 BGH NJW 2012, 1956 = NotBZ 2012, 270 = RNotZ 2012, 461 = ZEV 2012, 371 = ZNotP 2012, 18.

S. 208 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Wohnungsrechts nach Auffassung des BGH den Interessen des Betreuten umso mehr, je unwahrscheinlicher eine Rückkehr in die frühere Wohnung ist.331

2. OLG Nürnberg, Urt. v. 22.7.2013 – 4 U 1571/12

In der Literatur bestand allerdings Einvernehmen, dass der Verzicht seitens des Betreuers ohne jede Gegenleistung in der Praxis nur ausnahmsweise vor dem in § 1804 i. V. m. § 1908i Abs. 2 S. 1 BGB normierten Schenkungsverbot Bestand haben kann. Eine wirtschaftliche Werthaltigkeit des Wohnungsrechts dürfte daher trotz zunächst vermeintlich nutzloser monatlicher Belastungen (Hausgelder, Nebenkosten etc.) immer dann anzunehmen sein, wenn der Eigentümer für den beabsichtigten Verkauf der Immobilie auf die Löschungsbewilligung angewiesen ist.332 Unter diesen Umständen verstößt ein entschädigungsloser Verzicht gegen das Schenkungsverbot und ist darüber hinaus auch nicht genehmigungsfähig.

Dem geschäftsfähigen Wohnungsberechtigten steht es aber frei, trotz Werthaltigkeit des Wohnungsrechts ohne Gegenleistung auf dieses zu verzichten. Im Raum steht dann aber die Rückforderbarkeit wegen Verarmung des früheren Wohnungsberechtigten für einen Zeitraum von zehn Jahren gem. §§ 528 f. BGB.

a) Sachverhalt

Mit der Rückforderung wegen Verarmung des Schenkers bei Aufgabe eines dinglichen Wohnungsrechts ohne jede Gegenleistung hatte sich jüngst das OLG Nürnberg zu befassen. In dem der Entscheidung vom 22.7.2013 zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die Wohnungsberechtigte nach Eintritt ihrer Heimpflegebedürftigkeit ohne Gegenleistung auf ihr Wohnungsrecht verzichtet und eine entsprechende Löschungsbewilligung abgegeben, woraufhin das Wohnungsrecht im Grundbuch gelöscht wurde. Nach Eintritt der Hilfebedürftigkeit der vormals Wohnungsberechtigten machte die öffentliche Hand (hier der überörtliche Träger der Kriegsopferfürsorge) den Anspruch aus § 528 Abs. 1 BGB aus übergegangenem Recht geltend.

b) Entscheidung

Ebenso wie das LG ist auch das OLG Nürnberg der Auffassung, dass die Eigentümer der Wohnung durch die Aufgabe des Wohnungsrechts ohne Gegenleistung i. S. v. § 516 BGB beschenkt wurden und daher gem. § 528 Abs. 1 BGB grundsätzlich zur Herausgabe verpflichtet sind.

331 Vgl. Herrler, in: DAI-Skript, Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung im

Immobilienrecht, 2012/13, S. 149 f. 332 Vgl. Zimmer, NJW 2012, 1919, 1921 m. w. N.

S. 209 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

aa) Objektives Element der Schenkung

Das objektive Element der Schenkung i. S. v. § 516 BGB, d. h. die Entreicherung beim Schenker und die korrespondierende Bereicherung beim Beschenkten, welche die Aufgabe einer geldwerten Vermögensposition voraussetzt, werde nach Ansicht des OLG Nürnberg nicht dadurch gehindert, dass die Ausübung des Wohnungsrechts Dritten nicht überlassen werden darf.

„Denn dem Berechtigten verbleibt nach § 1092 Abs. 1 S. 2 BGB die Möglichkeit, mit Gestattung des Grundstückseigentümers die Ausübung seines Rechts anderen zu überlassen und dadurch z.B. für sich einen Mietanspruch gegen den Besitzer der dem Recht unterliegenden Räume zu begründen.“

Zudem verweist das OLG darauf, dass selbst das lediglich formale Fortbestehen eines Wohnungsrechts geeignet ist, die Verwertbarkeit des Grundstücks zu beeinträchtigen, und mit dem Verzicht damit dem Eigentümer ein Vermögensvorteil zugewendet wird. Schließlich sei es aufgrund der in der Wohnungsrechtsbestellungsurkunde niedergelegten Befugnis der Berechtigten zur Aufnahme ihrer „Familie und die zur Wart und Pflege nötigen Personen“ nicht ausgeschlossen, dass die Berechtigte mit entsprechendem Pflegepersonal wieder einzieht.

Anschließend grenzt das OLG Nürnberg die Bejahung des objektiven Tatbestands einer Schenkung i. S. v. § 516 Abs. 1 BGB von der Entscheidung des BGH vom 25.1.2012 (vgl. oben Ziff. IV. 1 b) ab. Nach Ansicht des OLG Nürnberg beschränkt sich die Verneinung der Schenkung im Falle des Verzichts eines Betreuers auf ein nicht genutztes Wohnungsrecht auf den Schenkungsbegriff i. S. v. § 1804 BGB,

„der dem des § 516 BGB nicht entspricht. […] Eine Verfügung, die sich nach § 516 als Schenkung darstelle, müsse demnach nicht zwingend auch eine Schenkung i.S. des § 1804 BGB sein, wenn sie objektiv zu keinem Vermögensnachteil für den Betreuten führe.“333

bb) Subjektives Element der Schenkung

Den subjektiven Tatbestand der Schenkung, die Schenkungsabsicht, begründet das OLG damit, dass hier nicht lediglich eine nach § 875 BGB mögliche, einseitige Aufgabe des Wohnungsrechts, sondern „die schenkweise Erfüllung einer Vereinbarung“ vorliegt, was sich u. a. daraus ergebe, dass Gegenleistungen für die Aufgabe des Wohnungsrechts nicht zu erbringen sind, die hälftige Tragung der Notar- und Grundbuchkosten vereinbart und auch der Schenkungsteuerstelle eine beglaubigte Abschrift der Löschungsbewilligung übersandt wurde.

333 OLG Nürnberg NotBZ 2013, 403, 405.

S. 210 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

cc) Rechtsfolgen

Der grundsätzlich auf Naturalrestitution gerichtete Rückforderungsanspruch nach § 528 Abs. 1 S. 1 BGB richtet sich im Falle eines real unteilbaren Geschenks nach ständiger Rechtsprechung gem. § 818 Abs. 2 BGB auf Teilwertersatz in Geld, wenn der Bedarf geringer ist als der Wert des geschenkten Gegenstands. Der Schenkungsempfänger ist somit so lange zu wiederkehrenden Leistungen in einer dem angemessenen Unterhaltsbedarf entsprechenden Höhe verpflichtet, bis der Wert des Schenkungsgegenstandes erschöpft ist.334 Allerdings liegt der herauszugebende Wert der Bereicherung nicht im Wert des Wohnungsrechts für den Wohnungsberechtigten, sondern in der Erhöhung des Verkehrswerts des Grundstücks bei Wegfall des Wohnungsrechts, da nur der sich hieraus ergebende Wertzuwachs dem Beschenkten zugute kommt.335

3. Stellungnahme

Das Urteil des OLG Nürnberg überzeugt weder im Ergebnis noch in der Begründung! Es ist allgemein anerkannt und folgt auch bereits aus dem Wortlaut von § 516 Abs. 1 BGB, dass eine Schenkung nur dann vorliegt, wenn der Schenker einen anderen aus seinem Vermögen bereichert, d. h. der Bereicherung auf Seiten des Beschenkten eine grundsätzlich korrespondierende Entreicherung auf Seiten des Schenkers gegenübersteht.336

a) Notwendige Entreicherung des Schenkers

Ein Rückforderungsrecht nach § 528 BGB kommt danach von vornherein nur dann in Betracht, wenn sowohl eine Entreicherung des Wohnungsberechtigten als auch eine Bereicherung des Grundstückseigentümers zu bejahen ist. Was die Bereicherung des Eigentümers anbelangt, bedarf es keiner ausführlichen Erörterung, da der Wert eines unbelasteten Grundstücks ohne Zweifel höher ausfällt als der eines belasteten. Entscheidend ist aber, ob eine korrespondierende Entreicherung auf Seiten der Wohnungsberechtigten vorliegt. Im Grundsatz zutreffend weist das OLG darauf hin, dass eine wirtschaftliche Verwertung in Gestalt einer Vermietung trotz eines nach dem gesetzlichen Regelungsmodell ausgestalteten Wohnungsrechts nicht generell ausgeschlossen ist. Angesichts der Entscheidung des BGH vom 25.1.2012 kann aber unter Verweis auf diese Erwägung nicht generell von der Werthaltigkeit eines Wohnungsrechts trotz dauerhaften Auszugs des Berechtigten ausgegangen werden. Vielmehr hat der BGH deutlich gemacht, dass unter Abwägung aller mit dem Wohnungsrecht verbundenen (wirtschaftlichen) Vor- und Nachteile zu prüfen ist, ob jenem noch ein realer Vermögenswert für den Berechtigten zukommt.

334 BGH NJW 2001, 1063, 1064 m. w. N. 335 Vgl. BGH NJW 2000, 728 ff.; OLG Nürnberg NotBZ 2013, 403 ,405. 336 Vgl. statt vieler MünchKommBGB/Koch, 6. Aufl. 2012, § 516 Rn. 5 ff. m. zahlr. w. N.

S. 211 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Gegenüberzustellen sind demnach die laufenden Belastungen sowie die zu quantifizierende Chance auf künftige wirtschaftliche Verwertung des Wohnungsrechts (durch Vermietung mit Gestattung des Eigentümers, durch Wiederaufnahme der Eigennutzung).

b) Eigenständiger Schenkungsbegriff in § 1804 BGB?

aa) Kein einheitlicher Begriff der Schenkung im Zivilrecht

Die Argumentation des OLG Nürnberg, die vom BGH mit Entscheidung vom 25.1.2012 aufgestellten Grundsätze zur Feststellung einer Schenkung seien vorliegend deshalb nicht maßgeblich, weil im Rahmen von § 516 Abs. 1 BGB wegen des Schutzzwecks ein anderer Schenkungsbegriff zugrunde zu legen sei, ist nicht von vornherein gänzlich fernliegend,337 auch wenn in der Kommentarliteratur zu § 1804 BGB hinsichtlich der Definition der Schenkung einhellig auf §§ 516 ff. BGB rekurriert wird.338 Immer dann, wenn Drittinteressen betroffen sind, gilt es zu erwägen, ob es eines extensiveren Verständnisses des Schenkungsbegriffes bedarf. So werden beispielsweise im Rahmen von § 2325 BGB auch sog. unbenannte Zuwendungen erfasst, auf die § 516 BGB keine Anwendung findet. Gleiches gilt für den insolvenz- bzw. anfechtungsrechtlichen Schenkungsbegriff (§ 134 InsO, § 4 AnfG).

bb) Aber: Aufgabe einer werthaltigen Vermögensposition unverzichtbar

Indes ist Ausgangspunkt stets der Schenkungsbegriff des § 516 BGB. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass es bei § 1804 BGB allein um den Schutz des Betreuten geht, während die Schenkungsrückforderung nach §§ 528 f. BGB auch Dritten (Gläubiger, öffentliche Hand) zugute kommt, ist nicht dafür ersichtlich, dass dem Vormund bzw. Betreuer im Anwendungsbereich des § 1804 BGB die Aufgabe einer werthaltigen Vermögensposition seitens des Mündels bzw. Betreuten gestattet werden sollte, welcher es im Rahmen des § 516 BGB für die Bejahung einer für die Schenkung konstitutiven Entreicherung bedarf. Die Ausführungen des XII. Zivilsenats liefern hierfür ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte:

„Gemäß §§ 1908i II1, 1804 BGB darf der Betreuer nicht in Vertretung des Betreuten Schenkungen machen. Der Zweck dieser Vorschrift liegt in dem Schutz des Vermögens des Betreuten, aus dem nichts zu seinem Nachteil unentgeltlich weggegeben werden soll. Nach diesem Schutzzweck kann auch der Erlass einer Forderung unter den Schenkungsbegriff des § 1804 BGB fallen […], ebenso der Verzicht auf ein im Grundbuch eingetragenes Recht. Voraussetzung ist jedoch, dass die Rechtsposition, die der Betreuer weggibt, einen realen Vermögenswert des Betreuten

337 Anders (wohl) G. Müller, NotBZ 2013, 425, 426. 338 Vgl. exemplarisch Staudinger/Veit, BGB, Neubearb. 2014, § 1804 Rn. 2 ff.;

MünchKommBGB/Wagenitz, 6. Aufl. 2012, § 1804 Rn. 5 ff.

S. 212 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

darstellt. Eine Rechtsposition, die keinen Vermögenswert darstellt, und deren Weggabe dem Betreuten keinen Nachteil zufügt [Anm.: Es darf also nicht zu einer Entreicherung kommen!], untersteht nicht dem Schutz des § 1804 BGB.“

„Der Verzicht auf ein wertlos gewordenes Wohnungsrecht erfüllte nicht den Begriff der Schenkung i. S. des § 1804 BGB. […] Hier steht dem verbliebenen Vorteil, die Wohnnutzung im Bedarfsfalle wiederaufnehmen zu können, eine laufende Kostenbelastung durch Hausgeld und Nebenkosten gegenüber. Je unwahrscheinlicher eine Rückkehr in die frühere Wohnung ist, desto mehr entspricht die Aufgabe des Wohnungsrechts dem Interesse des Betreuten, um sich der monatlichen Kostenlast zu entledigen.“339

Aufgrund der vorstehend beschriebenen, vom Vormund bzw. Betreuer zu wahrenden Anforderungen ist eine Entreicherung des Mündels bzw. des Betreuten ausge-schlossen. Somit scheidet auch die Annahme einer Schenkung i. S. v. § 516 BGB aus.

c) Abwägung aller Vor- und Nachteile auch bei betroffenen Drittinteressen

Dass es für die Zwecke des § 516 Abs. 1 BGB mit Blick auf die berechtigten Gläubigerinteressen im Hinblick auf die Schenkungsrückforderung nach §§ 528 f. BGB ebenfalls bei einer Abwägung aller mit der Aufgabe des Wohnungsrechts verbundenen Vor- und Nachteile bleiben muss, dürfte sich mittelbar auch aus der Entscheidung des X. Zivilsenats des BGH vom 19.7.2011 ergeben, in welcher der Anlauf der 10-Jahres-Frist i. S. v. § 529 Abs. 1 Var. 2 BGB trotz vorbehaltenen lebenslangen Wohnungsrechts des Schenkers bejaht wurde.340 Aus Sicht des BGH war für die Bejahung des Fristanlaufs entscheidend, dass das Nutzungsrecht des Schenkers auch dessen (Unterhalts-)Gläubigern bzw. denjenigen Personen zugute kommt, die für den Unterhalt des Schenkers aufzukommen haben, also genau denjenigen Personen, die auf den Herausgabeanspruch gem. § 528 BGB zugreifen könnten. Denn durch das Nutzungsrecht erzielt der Schenker Einnahmen bzw. erspart Aufwendungen und kann daher aufgrund erhöhter Leistungsfähigkeit entweder seinen Unterhaltspflichten besser nachkommen oder bedarf seinerseits in geringerem Maße der Unterstützung durch Verwandte bzw. die öffentliche Hand. Es erscheint mir jedenfalls erwägenswert – sofern es weiterer Argumente vorliegend überhaupt bedarf –, den Kern dieser Begründung auf den Verzicht auf ein dingliches Wohnungsrecht zu übertragen. Der Wegfall der damit ggf. verbundenen monatlichen Belastungen (Hausgelder, Nebenkosten etc.) kommt dem Schenker und mittelbar auch den ihm unterhalts-berechtigten Personen zugute, da seine Hilfebedürftigkeit gemindert wird bzw. gar nicht erst eintritt.

339 BGH NJW 2012, 1956 Tz. 17, 18 und 20. 340 BGH ZEV 2011, 666 m. Anm. Herrler.

S. 213 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

d) Ergebnis

Im Ergebnis bestehen keine Bedenken m. E. keinerlei Bedenken, die vom BGH für die Beurteilung einer Schenkung im Rahmen von § 1804 BGB postulierte Abwägung auch für die Zwecke der §§ 516 ff. BGB anzuwenden.341

e) Vorliegender Sachverhalt

Ob auf dieser Grundlage in dem der Entscheidung des OLG Nürnberg zugrunde liegenden Sachverhalt eine Schenkung i. S. v. § 516 Abs. 1 BGB zu verneinen ist, hängt damit ganz wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Da sich die Werthaltigkeit des Wohnungsrechts auf Seiten der Berechtigten nicht daraus zu ergeben scheint, dass die Eigentümer einen (zeitnahen) Verkauf der Immobilie planen, kommt es wohl allein darauf an, ob der Wiedereinzug der Berechtigten mit entsprechendem Pflegepersonal (Wahrscheinlichkeit des Wiedereinzugs mal Nutzungswert) die wirtschaftlichen Vorteile aus dem Wegfall der laufenden Belastungen überwiegt. Nach der Lebenserfahrung dürfte dies mit ziemlicher Gewissheit zu verneinen sein, da die Wahrscheinlichkeit eines Wiedereinzugs gegen null tendieren dürfte.

4. Konsequenzen für die Gestaltungspraxis

In Anbetracht der Entscheidung des OLG Nürnberg mag man gleichwohl erwägen, in derartigen Konstellationen auf eine gegenleistungsfreie Aufgabe des Wohnungsrechts zu verzichten und stattdessen eine Abfindungszahlung vorzusehen. Sinnvoll erscheint mir das aber nur, wenn die Löschung des Wohnungsrechts im Zusammenhang mit einem Verkauf der belasteten Immobilie erfolgt, da in diesem Fall eine Schenkung ohne Zweifel vorliegen dürfte. Wenn es jedoch nur um die Vermeidung etwaiger späterer Rückforderungsansprüche nach § 528 BGB geht, erscheint mir eine Ablösung des Wohnungsrechts nicht geboten, da für den Beschenkten kein wirtschaftliches Risiko besteht. Denn er hat maximal die Wertsteigerung des Grundstücks infolge Löschung des Wohnungsrechts herauszugeben, und das auch nur dann, wenn es innerhalb von zehn Jahren zur Verarmung des Schenkers kommt.342

341 Ebenso G. Müller, NotBZ 2013, 425, 426. 342 Anders wohl Michael, notar 2013, 367, 371.

S. 214 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

IV. Zuwendung an Schwiegerkind (K)

BFH, Urt. v. 18.7.2013 - II R 37/11, BFH/NV 2013 1881 = BStBl II 2013 934 = ZEV 2013, 629 (m. Anm. Wachter) = DStR 2013, 2103 = DB 2013, 2251 = BeckRS 2013, 96169

Besprechung von Meßbacher-Hönsch, SteuK 2013, 481; Litzenburger, FD-ErbR 2013, 352401

1. Urteilssachverhalt

Im Rahmen eines Schenkungsvertrages an einem Grundstück übertrugen Eltern ihr

Eigentum an ihr Kind. Vor dem gleichen Notar wird noch am selben Tage in

nachfolgender Urkunde ein hälftiger Miteigentumsanteil am Grundbesitz vom

beschenkten Kind auf seinen Ehegatten übertragen.

Das Finanzamt setzt Schenkungssteuer wegen der Übertragung des

Miteigentumsanteils von den Eltern an das Schwiegerkind fest und wird vom FG

bestätigt.

Der BFH hebt die Festsetzung auf.

2. Zuwendungen an das Schwiegerkind?

Eines vorweg: Die Änderung der Rechtsprechung des XII. Zivilsenats des BGH zur

Behandlung von Zuwendungen an Schwiegerkinder hat dem BFH offenbar nicht den

Blick dafür verstellt, welche Interessen Eltern bei Schenkungen an Kinder und

Weiterschenkungen an Schwiegerkinder tatsächlich haben. Es handelt sich um

absolute Ausnahmen, wenn von Seiten der Eltern tatsächlich direkte Zuwendungen an

die Schwiegerkinder vorgenommen werden. Ziel solcher Schenkungen ist regelmäßig

vielmehr die Bereicherung des eigenen Kindes. Die alte zivilrechtliche Verfahrens-

weise der Berücksichtigung der entsprechenden Zuwendungen im Zugewinnausgleich

zwischen den Ehegatten führte zwar manchmal zu ungerechten Ergebnissen, hatte aber

den klaren Vorteil, die Zuwendungsinteressen in den meisten Fällen richtig

darzustellen – nämlich als Zuwendung an das Kind, das wiederum seinem Ehepartner

etwas weitergibt.

S. 215 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

3. Die Entscheidungsbegründung

Der BFH stellt noch einmal entscheidend heraus, dass es für die Annahme einer

(vermittelten) Schenkung an das Schwiegerkind des Bestehens einer Weitergabe-

verpflichtung des eigenen Kindes an das Schwiegerkind bedarf. Für die Annahme

einer solchen Verpflichtung reicht es jedoch ausdrücklich nicht aus, dass das Geschenk

innerhalb kurzer Zeit weitergegeben wird, sei es auch in sofort anschließender

Urkunde. Einer solchen kurzzeitigen Verweildauer des Gegenstandes beim primär

Beschenkten will der BFH allerdings eine Indizwirkung für eine Weitergabeabrede

entnehmen. Dazu, dass es – gerade wenn noch vor Eintragung des Eigentumswechsels

im Grundbuch weitergeschenkt wird – eine Weitergabeverpflichtung zivilrechtlich

nicht wirksam wäre, weil sie mangels Beurkundung gegen § 311b BGB verstieße, geht

der Senat nicht ein.

Kernaussage des BFH ist:

„Wird ein Vermögensgegenstand einer Person im Wege der Schenkung

übertragen und wendet diese den Vermögensgegenstand freigebig einem Dritten

zu, ist für die Bestimmung des jeweiligen Zuwendenden und des jeweiligen

Bereicherten darauf abzustellen, ob die weitergebende Person eine eigene

Entscheidungsbefugnis bezüglich der Verwendung des geschenkten Gegenstands

hat.“

Dass damit

- bei einer ausdrücklich vereinbarten Verpflichtung zur Weitergabe eine

Schenkung, und

- bei einer völlig unabhängig vom ersten Schenkungsvorgang vereinbarten

inhaltlich und zeitlich neuen Zuwendung keine Schenkung

vorliegt, ist klar.

S. 216 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Im konkreten Fall tat sich der BFH nicht wirklich schwer mit der Begründung seiner

Entscheidung. Vollkommen lebensnah – und insoweit auch näher an der Realität als

der XII. Zivilsenat – hält das Gericht fest, dass

„Eltern regelmäßig kein Interesse daran (haben), ihr Vermögen im Wege der

vorweggenommenen Erbfolge auf ihre Schwiegerkinder zu übertragen; gewollt

ist vielmehr die Übertragung des Vermögens auf die eigenen Kinder.“

Hinzu kam, dass mit dem Kind auch die Anrechnung auf den Pflichtteilsanspruch

vereinbart war.

Das Argument, auch die vereinbarten Rückforderungsrechte sprächen für diese

Zuwendungszielrichtung kann ich allerdings nicht nachvollziehen, da diese auch im

Verhältnis zum Schwiegerkind hätten vereinbart werden können und überdies wohl

auch im Regelfall häufig Gegenstand des gesetzlichen Anspruchs aus § 313 BGB im

Verhältnis zum Schwiegerkind sind.

4. Praktische Handhabung

Für die Zuwendungen im Wege der Kettenschenkung an Schwiegerkinder dürfte die

Sache mit diesem Urteil erledigt sein.

a) Übertragung in zwei Schritten

Jedenfalls dann, wenn dem Beschenkten auch nur eine logische Sekunde bleibt,

während derer er sich anders als für die Weiterschenkung an seinen Ehepartner

entscheiden kann, kommt eine Besteuerung im Grundsatz nicht in Betracht. Das

Abwarten einer Schamfrist343 erscheint in diesen Konstellationen nicht erforderlich.

Insoweit hat der BFH die Lebenserfahrung richtig festgehalten, wenn er ausführt, dass

Eltern regelmäßig kein Interesse an einer Bereicherung des Schwiegerkindes haben,

diese allenfalls als mittelbare Folge der Zuwendung an das Kind billigend in Kauf

S. 217 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

genommen wird. Insoweit erscheint also der Fall der Schenkung in Urkunde 1 und

Weiterschenkung in Urkunde 2 jedenfalls für die Schwiegerkindzuwendungen

abgesichert. Ein gänzlicher Freibrief ist damit natürlich nicht verbunden. Sollte es sich

im Einzelfall herausstellen, dass entgegen der allgemeinen Lebenserfahrung

tatsächlich einmal eine echte Zuwendung an das Schwiegerkind gewollt ist, zu deren

Realisierung das eigene Kind nur als Durchgangserwerber gebraucht wird, dann ist der

Vorgang selbstverständlich anders zu beurteilen. Da solche Intentionen aber der

absolute Ausnahmefall sind, müssten schon Indizien wie bspw.

- die Vereinbarung, dass das Kind zu Weitergabe ausdrücklich verpflichtet wird,

- das Kind sich den Eltern verpflichtet, die Schenkung auch bei seinem Partner

als Zuwendung nach 1374 Abs. 2 BGB zu behandeln,

- oder die Zuwendung im Rahmen eines Scheidungsverfahrens mit der Absicht

erfolgt, dem Schwiegerkind das Geschenk auch über die Trennung hinaus zu

belassen,

für einen direkten Zuwendungswillen sprechen. In diesen Situationen sind sich aber

regelmäßig alle Beteiligten der wahren Zielrichtung bewusst.

b) Zuwendung in einer Urkunde

Kann man die Sache nun so weit treiben, dass man die Kettenübertragungen auf

Schwiegerkinder im Normalfall der Zuwendungsintention an das eigene Kind in einer

Urkunde vornimmt?

- Auf der einen Seite ist in solchen Konstellationen die Verfügungs- und

Entscheidungsmacht des eigenen Kindes hinsichtlich der Weiterschenkung

formell nicht gegeben. Mit der einen Unterschrift wird sowohl die Zuwendung

an sich wie auch die Weiterzuwendung an den Ehegatten besiegelt. Rein formal

spricht diese Gestaltungsvariante gerade gegen eine eigene (Weiter-)

Zuwendungsentscheidung.

343 Insoweit wohl vorsichtiger Wachter, ZEV 2013, 629, 632.

S. 218 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

- Auf der anderen Seite öffnet der BFH mit seinen Ausführungen in Rz. 19 des

Urteils die Tür auch für Privilegierung dieser Schenkungsketten:

„Das (die durch Bindung des Erstbeschenkten an den Letztbeschenkten erfolgte

Zuwendung) gilt nur dann nicht, wenn sich aus dem Vertrag oder den

Umständen eindeutig etwas anderes ergibt.“

Es macht demnach den Anschein, als erlaube der BFH jedenfalls dann, wenn

die Motive der Schenkung an das eigene Kind eindeutig vorliegen und auch

dokumentiert sind, den sofortigen Schritt zur Übertragung auf das

Schwiegerkind.

Sollte eine solche Zuwendung in einem einzigen Vorgang angefasst werden, empfiehlt

es sich dringend, die rechtlichen Regelungen zwischen den Beteiligten im Hinblick auf

den Kettencharakter der Zuwendung, also unter Regelung der Rechtsbeziehungen des

Zwischenschrittes zu fassen.

Eines sollte man allerdings bedenken: Es wird nur der Ausnahmefall sein, in dem es

sich tatsächlich empfiehlt, die Kettenübertragung tatsächlich ein einer Urkunde zu

fassen. Einen (relevanten) Kostenvorteil dürfte es kaum geben, da die Regelung der

Rechtsbeziehungen zum „zwischenbeschenkten“ Kind nicht mit der Weiterzuwendung

an das Schwiegerkind gegenstandsgleich sind. Die gerichtlichen Umschreibungskosten

können schon dadurch eingespart werden, dass Sprungumschreibungen vorgenommen

werden. Schließlich ist es auch regelmäßig eher fehlerträchtiger die einzelnen Schritte

der Kettenschenkung zu kombinieren, da so leicht einzelne Elemente der

Zuwendungsbedingungen aus dem Blick geraten können.

Die Schenkung in getrennten Urkunden sollte deshalb der Regelfall sein, die

Schenkung in einer Urkunde die Ausnahme bleiben.

S. 219 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

c) Kriterien der Schenkungskette

Zur Abgrenzung der Schwiegerkindschenkung von der Kettenschenkung an Eltern-

Kind und Kind-Ehegatte nennt der BFH einige Kriterien, die für die Annahme der

Kettenschenkungen sprechen und die deshalb auch in der Urkunde (so nicht ohnehin

beurkundungsbedürftig) dokumentiert bzw. geregelt werden sollten. Solche Kriterien

sind beispielsweise:

- Pflichtteilsrelevanz des vollen Wertes des geschenkten Gegenstandes beim Kind,

- Rückforderungs- bzw. Wertausgleichsregelungen für den Fall des Todes des

eigenen Kindes,

- Güterrechtliche Wirkungen der Zuwendung beim Schwiegerkind wie bei der

Ehegattenzuwendung,

- Rückforderungsrechte im Verhältnis zwischen Kind und dessen Ehegatte,

- Pflegeverpflichtung durch das Kind,

- Weiterübertragungsverpflichtung an Abkömmlinge des Ausgangsschenkers

(Achtung: BFH, Urteil vom 17-02-1993 - II R 72/90, NJW 1993, 3095)

Im Grunde sollte sich die entsprechende Reglung in den echten

Kettenschenkungsfällen ohnehin in den Verträgen finden, da diese regelmäßig zum

materiell von den beteiligten gewollten Inhalt gehört.

5. Warnung vor gestalterischem Übermut?

Wachter führt in seiner Anmerkung zur Entscheidung aus, Gestaltungsmissbrauchbzw.

ein Gesamtplan komme im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer kaum jemals

in Betracht.344

Die Entscheidung legt es tatsächlich nahe, den Gedanken zu verfolgen, im Bereich des

Schenkungssteuerrechts gebe es weitgehende Gestaltungsfreiheit, bei der Sorgen um

den Vorwurf des Missbrauchs kaum Relevanz haben.

344 Wachter, ZEV 2013, 629, 632.

S. 220 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Ich meine, man sollte die Bedeutung der Entscheidung insoweit nicht überschätzen.

Das Kernargument des BFH, weshalb die Schenkung an das Schwiegerkind dessen

Ehegatten und eben nicht den Schwiegereltern zugerechnet wird, ist kein

rechtsdogmatisches, sondern allein des gesunden Menschenverstandes: Eltern

schenken dem eigenen Kind, nicht dem Schwiegerkind.

Die wirklich problematischen Fälle sind doch diejenigen der Schenkung an den

Ehegatten nebst Weiterschenkung an die Kinder zur Verdoppelung der möglichen

Freibeträge. Bei diesen Gestaltungen kann es regelmäßig nicht um die Frage gehen, ob

ein Gesamtplan besteht – dieser besteht nämlich immer. Die Frage ist nur, ob dieser

ein schenkungssteuerliches Problem darstellt. Was soll Eltern daran hindern, das

Vermögen untereinander so zu verteilen, dass es möglichst steuergünstig in die nächste

Generation übertragen werden kann?

Das entscheidende Argument hat der BFH angeführt:

Ist der (Zwischen-) Beschenkte berechtigt, frei über den Gegenstand zu verfügen

und sich die Weiterschenkung an das Kind auch noch einmal anders überlegen zu

können, dann ist der Zwischenschritt eben die zunächst gewollte Bereicherung. Ist der

Partner dagegen – sei es auch aufgrund interner Vereinbarung – verpflichtet, den

Gegenstand weiter zu übertragen, dann handelt es sich tatsächlich nur um eine

verdeckte Zwischenschenkung.

Da die Beteiligten selten dem Finanzamt ihre Intentionen offen legen werden, gerade

wenn es eben um die Zuwendung an den Schlussbeschenkten geht, wird es auch weiter

dabei bleiben, dass es die äußeren Anzeichen sind, die Finanzverwaltung und Gerichte

als Indiz für die Zuwendung an die ein oder andere Person heranziehen müssen.

Entscheidend wird es dabei auch weiter darauf ankommen, in welchem sachlichen, vor

allem aber in welchem zeitlichen Zusammenhang die Schenkungen zueinander stehen.

Gerade in den Fällen der zwischengeschalteten Zuwendung unter Ehegatten sollte

S. 221 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

schon durch das Verstreichen lassen einiger Monate nach außen dokumentiert werden,

dass der zwischen-beschenkte Partner tatsächlich frei in seiner Entscheidung zur

Weitergabe ist. Dabei handelt es sich dann aber weniger um eine in der Literatur

oftmals falsch als „Scham-Frist“ betitelte Zwischenzeit, sondern – es gibt ja nichts zu

schämen – nur um ein die Diskussion mit dem Finanzamt erleichternde äußeres Indiz

dafür, tatsächlich dem beschenkten Partner die freie Entscheidung über die Weitergabe

übertragen zu haben. Dass sich insoweit der mit „Schlusszuwendungsabsicht“

schenkende Partner zwischen seinem Vertrauen zum „Zwischenbedachten“ und der

Sicherheit gegenüber dem Finanzamt entscheiden muss, ist klar.

S. 222 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

D) Wohnungseigentum und Erbbaurecht

I. Wohngeldrückstände als dingliche Last (K )

BGH, Urt. v. 13.9.2013 - V ZR 209/12, NJW 2013, 3515 (m. Anm. Herrler) = RPfleger 2014, 31 = ZNotP 2013, 345 = ZfIR 2013, 806 = ZIP 2013, 2122 = DNotI-Report 2013, 165. Siehe dazu auch den Aufsatz von Reymann, ZWE 2013, 446.

1. Übersicht

5 Jahre ist es jetzt her, dass wir uns auf dieser Veranstaltung mit der Frage beschäftigt

haben, wie die damals noch neue Rangklassenprivilegierung der Wohngeldforderung

in § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG rechtsdogmatisch einzuordnen und vertragsgestalterisch zu

behandeln ist. Zwischenzeitlich haben sich eine ganze Reihe von Fragen um diese

Neuregelung aufgetan, die immer wieder zur Verunsicherung der Gestaltungspraxis

geführt haben.345 2009 hatten wir uns schon die Frage gestellt, ob durch die

Neuregelung der Wohngeldforderung der Charakter einer dinglichen Last zugeordnet

wird und wie mit dieser in Kaufvertragesgestaltungen umzugehen wäre. Der V. Senat

des BGH hat sich nun auch dieser Frage angenommen und für die Gestaltungspraxis in

einem wesentlichen Punkt Klarheit gebracht.

2. Die Entscheidung

S war Wohnungseigentümer und Wohngeldschuldner. Über sein Vermögen wurde das

Insolvenzverfahren eröffnet, in dem die Gemeinschaft die rückständigen Beträge als

Insolvenzforderung anmeldete. Der Insolvenzverwalter verkaufte die Wohnung

freihändig an den Vater des S, den V. Die Wohnungseigentümergemeinschaft wollte

nun den neuen Eigentümer V auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Wohnungs-

eigentum wegen der Rückstände in Anspruch nehmen.

Der V. Senat versagte die Inanspruchnahme des nunmehr im Eigentum des V

stehenden Wohnungseigentums mit dem Argument, es handele sich bei der Forderung

nicht um ein dingliches Recht der Gemeinschaft.

345 Zugegeben auch teilweise angestoßen auf dieser Veranstaltung (2010 als Aufteilungshindernis).

S. 223 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

3. Die Entscheidungsbegründung

Der Senat hatte Schweres zu leisten. Eingekeilt war er nämlich von einer herrschenden

Auffassung in der Literatur und Rechtsprechung, nach der es sich bei der Wohngeld-

forderung sehr wohl um ein dingliches Recht handelt,346 einer Entscheidung des IX.

Senats, wonach die Wohngeldforderung ein Absonderungsrecht vermittelt,347 und dem

Wortlaut und der systematischen Stellung des Wohngeldprivilegs, nach der für dieses

eben nur ein Befriedigungsvorrecht im Versteigerungsverfahren, nicht jedoch der

Charakter eines dinglichen Rechts besteht.348

Aufgebaut hat der Senat die Entscheidung, als sei diese einem Lehrbuch zur

Methodenlehre entnommen:

Rz. 10 –Wortlaut

Rz. 11 und 12 – Systematische Stellung

Rz. 13 – Gesetzgebungshistorie

Rz. 14 ff. – Teleologische Auslegung.

Im Ergebnis kommt der BGH dazu, nach keiner der anerkannten Auslegungsmethoden

den dinglichen Charakter der Wohngeldforderung begründen zu können. Dabei hält er

es insbesondere auch aufgrund der systematischen Stellung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG

für nicht gerechtfertigt, den Forderungen diesen Rechtscharakter zuzubilligen.

„§ 10 ZVG begründet als zentrale verfahrensrechtliche Norm für das Zwangsversteigerungsverfahren keine dinglichen Rechte. Die Vorschrift regelt ihrem Eingangssatz zufolge, welche Ansprüche „ein Recht auf Befriedigung aus dem Grundstücke“ gewähren, ferner deren Reihenfolge durch die Einteilung in Rangklassen. Ein Befriedigungsrecht gewähren sowohl schuldrechtliche (Nrn. 1, 1 a, 5) als auch dingliche Rechte (Nrn. 4, 6–8).

346 LG Berlin vom 28. 9. 2010 - 55 S 87/10 WEG, ZWE 2011, 97; LG Heilbronn vom 21. 12. 2012 − 1 T 231/12 Hn, ZWE 2013, 230; Becker, in: Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 16 Rn. 186 ff.; Stöber, ZVG, 20. Aufl., § 10 Anm. 4.7; Alff, Rpfleger 2013, 15; Becker, ZMR 2012, 930; Derleder, ZWE 2008, 13; Schneider, ZMR 2009, 165. 347 BGH, Urt. v. 21. 7. 2011 − IX ZR 120/10, NJW 2011, 3098 = ZfIR 2011, 825. 348 So Kesseler, NJW 2009, 121; Kesseler, in: Albrecht/Hertel/Kesseler, Aktuelle Probleme in Immobilienrecht 2008/2009, S. 104; Jennißen/Kemm, NZM 2012, 630; Fabis, ZfIR 2010, 354.

S. 224 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Ebenso wenig ergibt sich die dingliche Haftung aus dem systematischen Vergleich von § 10 Absatz I Nr. 2 mit § 10 Absatz I Nr. 3 ZVG. Im Gegenteil zählen zu den in § 10 Absatz I Nr. 3 ZVG geregelten Ansprüchen auf Entrichtung öffentlicher Lasten aus dem Grundstück nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nur solche Lasten, deren Rechtsgrundlage eine dingliche Haftung des Grundstücks anordnet; das Zwangsversteigerungsgesetz setzt die dingliche Haftung also voraus, begründet sie aber nicht. Das gilt gleichermaßen für die in § 10 Absatz I Nr. 4 ZVG geregelten dinglichen Rechte der Grundpfandgläubiger.“

4. Rechtsdogmatisches Kuddelmuddel

Dass ich die Entscheidung des BGH für richtig halte, verwundert wenig angesichts der

Bestätigung meiner Position aus dem Jahr 2009. Kritik an der Entscheidung bleibt

gleichwohl:

Der V. Senat hat es vermieden, mit dem IX. Senat in Konfrontation zu dessen

dogmatisch völlig gegensätzlicher Rechtsposition zu gehen, indem er zwar der

versteigerungsrechtlichen Privilegierung der Wohngeldforderung nur schuldrecht-

lichen Charakter beigemessen, gleichwohl aber die Übereinstimmung mit der

Auffassung des IX. Senats, die Forderung begründe ein Absonderungsrecht, ausdrück-

lich betont hat. Das hat der Senat mit einem Griff in die rechtsprecherische Illusions-

kiste getan. In der Entscheidung heißt es wörtlich:

„Der IX. Zivilsenat hat sich sowohl in seinem Beschluss vom 12. 2. 2009 als auch in seinem Urteil vom 21. 7. 2011 ausschließlich mit der Auslegung der in § 49 InsO enthaltenen Verweisung auf § 10 ZVG § 10 Absatz I Nr. 2 ZVG befasst und diesen Normen in wertender Betrachtung ein insolvenzrechtliches Absonderungsrecht für die dem Vorrecht unterfallenden Ansprüche entnommen. Mit der Frage, ob außerhalb des Insolvenzverfahrens eine dingliche Haftung besteht, hat er sich dagegen nicht befassen müssen; seine Entscheidungen enthalten zu dieser Rechtsfrage keine Aussage. Sie sind vielmehr so zu verstehen, dass in der Insolvenz ein Absonderungsrecht kraft der in § 49 InsO i. V. mit § 10 Absatz I Nr. 2 ZVG enthaltenen gesetzlichen Anordnung besteht.“

Diese Argumentation ist – man verzeihe mir den Ausdruck – „kreativ“.

S. 225 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Mit seinen Aussagen, die Wohngeldforderung habe

- ein Absonderungsrecht

- sie berechtige zur Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung

- eine Gleichstellung mit öffentlichen Lasten

erkennt der IX. Senat den Wohngeldforderung faktisch den Rang eines dinglichen Rechts zu.

Liest man die Entscheidung des V. Senates könnte man meinen, § 49 InsO zu den

Absonderungsrechten verweise tatsächlich explizit auf § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG, womit

selbstredend die Qualifikation als Absonderungsrecht gesichert wäre.

§ 49 InsO Abgesonderte Befriedigung aus unbeweglichen Gegenständen

Gläubiger, denen ein Recht auf Befriedigung aus Gegenständen zusteht, die der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen (unbewegliche Gegenstände), sind nach Maßgabe des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung zur abgesonderten Befriedigung berechtigt.

§ 49 InsO setzt voraus, dass überhaupt ein Recht auf Befriedigung besteht.

Der IX. Senat dreht dies herum: Weil § 49 InsO auf das ZVG verweist, stehe der Wohnungseigentümergemeinschaft ein Recht auf Befriedigung aus dem Wohnungseigentum zu. Der V. Senat sekundiert nun.

Während aber der IX. Senat sich einfach nicht explizit zur Rechtsqualität der Wohngeldforderung als dingliche Last äußert, schafft es der V. Senat, sich nur und ausschließlich zur Vermeidung des Konfliktes mit dem IX. Senat selbst zu widersprechen.

„Gläubiger, die sich nach den Regeln des ZVG befriedigen dürfen,“

sind eben nicht gleich

„Gläubigern, denen ein Recht zur Befriedigung aus Gegenständen zusteht, die dem ZVG unterliegen.“

S. 226 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Da sich alle Gläubiger eines Schuldners auch in dessen unbeweglichem Vermögen

befriedigen dürfen, haben nach den Worten des IX. und des V. Senats auch alle

Gläubiger ein Absonderungsrecht – eine wirkliche kreative Idee.

5. Geklärte und ungeklärte Fragen

Mit dem Urteil hat der V. Senat eine klare Entscheidung zur Frage der Haftung des

Rechtsnachfolgers in das Wohnungseigentum für die Wohngeldrückstände seines

Rechtsvorgängers vorgenommen. Alles ist damit aber nicht geklärt.

a) Befriedigungsprivileg ist keine dingliche Last

Dadurch, dass der Rechtsnachfolger für die rückständigen Wohngelder nicht haftet, ist

für die Vertragsgestaltung dieses Risiko beseitigt, für den Erwerber sein

Haftungspotential beschränkt.

Wie Herrler349 in seiner Entscheidungsanmerkung zutreffend bemerkt hat, geht damit

für die Wohnungseigentümergemeinschaft weiterhin das wirtschaftliche Risiko des

Verlustes der (Durchsetzbarkeit der) Ansprüche mit dem Eigentumswechsel einher.

Diese ist gut beraten, möglichst frühzeitig die entsprechenden Verbindlichkeiten zu

titulieren und die versteigerungsrechtliche Beschlagnahme zu erreichen.

Dass die Entscheidung, die letztlich zu einer Zufälligkeit der Haftung führt, Anlass

dazu sein sollte, die Regelung der Privilegierung gesetzgeberisch noch einmal

anzufassen und materiell zu verankern – und zwar nicht im Verfahrensrecht des ZVG,

sondern im materiellen Recht des WEG – liegt auf der Hand.350 Dass dann der

Anspruch des Gärtners (Teil der Wohngeldforderung) im Rang nach den öffentlichen

Lasten und nicht davor verankert werden muss, dürfte auf der Hand liegen.

349 Herrler, NJW 2013, 3518. 350 So auch Herrler, NJW 2013, 3518.

S. 227 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Bis dies erreicht ist, sollte im Rahmen der Vereinbarungen zu

Gemeinschaftsordnungen darüber nachgedacht werden, tatsächlich die dingliche

Haftung der Rechtsnachfolger zu vereinbaren. Dies ist nach herrschender Auffassung

zulässig und möglich,351 obschon auch insoweit noch keine echte rechtsdogmatische

Schärfe erreicht ist, da diese Haftung für den Erwerb in der Zwangsversteigerung

wiederum nicht wirksam sein soll.352

b) Berechtigung bei freihändigem Verkauf im Insolvenzverfahren

„Ob und wie das Absonderungsrecht bei einer freihändigen Veräußerung durch den

Insolvenzverwalter abzugelten ist (vgl. zu § 10 Absatz I Nr. 3 ZVG BGH, NJW-RR

2010, 1022 = NZI 2010, 482 Rdnr. 10), ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits,“ heißt

es am Ende des Urteils des V. Senates.

Genau das aber bleibt wirklich offen: Wie soll die Befriedigung des angeblichen

Absonderungsrechts verlaufen, wenn es dem Insolvenzverwalters gelingt, das

Wohnungseigentum zu übereignen oder auch nur eine Erwerbervormerkung an diesem

zu begründen (siehe nachstehend c)), bevor es der Eigentümergemeinschaft gelingt,

das Wohnungseigentum zwangsversteigerungsrechtlich zu beschlagnahmen?

Der Erwerber in einer solchen Situation jedenfalls erwirbt lastenfrei, da es sich bei der

Wohngeldforderung nicht um ein dingliches Recht handelt. Was aber macht der

Insolvenzverwalter:

351 BGH vom 24.02.1994 - V ZB 43/93, NJW 1994, 2950 = DNotZ 1995, 42 = LM § 5 m. Anm. Niedenführ = JZ 1995, 105 m. Anm. Junker; BayObLG vom 7. 3. 2002 - 2Z BR 151/01, NZM 2002, 492 = ZfIR 2002, 389; Hügel, in: Beck'scher Online-Kommentar BGB, § 16 Rn. 27; Commichau, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, § 10 WEG Rn. 19; Klein, in: Bärmann, WEG, 12. Aufl. 2013, § 10 Rn. 78. 352 BGH vom 22.1.1987 - V ZB 3/86, BGHZ 99, 358 = NJW 1987, 1638 = DNotZ 1988, 27; OLG Hamm vom 07.03.1996 - 15 W 440/95, MittRhNotK 1996, 266; KG vom 17.4.2002 - 24 W 279/01, ZWE 2002, 531; Hügel, in: Beck'scher Online-Kommentar BGB, § 16 Rn. 27; Commichau, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, § 10 WEG Rn. 19; Klein, in: Bärmann, WEG, 12. Aufl. 2013, § 10 Rn. 78.

S. 228 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

- Wem stehen die Mittel aus dem Verkauf, insbesondere dann zu, wenn das

Wohnungseigentum nahezu wertausschöpfend belastet ist und er nur einen

Verfahrenskostenzuschuss erhält?

- Darf er dann möglicherweise nicht freihändig verkaufen und muss die

Gläubiger auf das ZVG verweisen, um der Wohngeldforderung die

Befriedigungsmöglichkeit zu erhalten, während aber der Eigentümer selbst

durch freihändigen Verkauf zur Veräußerung ohne Wohngeldforderung in der

Lage wäre?

- Darf der Insolvenzverwalter das Wohnungseigentum gar auch nicht aus der

Masse freigeben, weil so die freihändige Veräußerung ohne

Wohngeldforderung möglich wäre? Was ist mit einem Massekostenzuschuss

gegen Freigabe?

Mit diesem Problem werden Sie konfrontiert sein, wenn ein Insolvenzverwalter bei

Ihnen die Veräußerung anstrebt. Ich persönlich halte die Frage für geklärt, der IX.

Senat offenbar auch (zu öffentlichen Lasten: BGH vom 18. 2. 2010 - IX ZR 101/09,

ZIP 2010, 994). Der V. Senat liegt mit seiner Wertung vollkommen richtig, die

Wohngeldforderung ist kein dingliches Recht. Falsch liegt der V. Senat nur darin, dem

IX. nicht die Stirn gezeigt zu haben.

c) Verhältnis zur Vormerkung

Was nach meinem Verständnis353 des Urteils allerdings noch nicht gänzlich geklärt ist,

ist die Frage nach dem Verhältnis des Befriedigungsprivilegs zur Vormerkung, d.h.

konkret der Fall, dass nach der Eintragung der Eigentumsvormerkung die

Beschlagnahme des Grundstücks wegen einer Wohngeldforderung erfolgt.

353 Anders insoweit Herrler, NJW 2013, 3518; wie hier Reymann, ZWE 2013, 446, 448f. .

S. 229 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Wird eine Eigentumsvormerkung im Grundbuch eingetragen und erfolgt alsdann die

versteigerungsrechtliche Beschlagnahme des Grundstücks wegen der

Wohngeldforderung, ist nicht klar, ob

a) mit dem aufgrund des vorgemerkten Anspruchs erfolgten Eigentumswechsels

das Versteigerungsverfahren beendet werden muss, und

b) im Falle der Versteigerung vor dem Eigentumswechsel die Vormerkung in das

geringste Gebot aufzunehmen wäre.

Es liegt in der Logik der Entscheidung, beide Fragen im Sinne des Schutzes der

Vormerkung zu beantworten. Da der V. Senat sich insoweit aber nicht zu einer

dogmatischen Positionierung, die auch nicht notwendig war, hat hinreißen lassen,

hängt diese Frage weiter in der Schwebe.

Wie an dieser Stelle schon 2009 ausgeführt, stehen wir also weiter vor dem Problem,

wo die Vormerkung eigentlich steht:

- Die im ZVG angeordnete Rangfolge der Befriedigung erfasst auch die Eigen-tumsvormerkung und ordnet diese wie die dinglichen Rechte am Grundstück in Rangklasse 4 ein.354 Die Wohngeldforderung als rangklassenbessere Forderung verdrängt die Vormerkung ebenso wie öffentliche Lasten mit der Konsequenz, dass die Elisionswirkung auch bei vorrangiger Eintragung nicht greift. Die Vor-merkung fällt nicht ins geringste Gebot, ein aufgrund der Vormerkung erfolgter Eigentumswechsel ist kein im Sinne des § 28 ZVG der Versteigerung entgegen-stehendes Recht.

- Die Einordnung der Vormerkung in das Rangklassensystem richtet sich allein danach, was durch diese vorgemerkt wird.355 Da die Eigentumsvormerkung den Eigentumserwerb sichert, ist diese im Rangklassensystem des § 10 Abs. 1 ZVG überhaupt nicht berücksichtigt. Ihre Stellung im Verfahren richtet sich nach der Frage ihrer materiellen Wirksamkeit gegenüber den Rechten, aus denen das Verfahren betrieben wird. Hat die Beschlagnahme zugunsten der Wohngeld-forderung zeitlich nach der Eintragung der Eigentumsvormerkung stattgefunden, fällt diese in das geringste Gebot und kann einen im Sinne des § 28 ZVG wirk-samen Erwerb vermitteln. Die Einteilung in das Rangklassensystem hat danach

354 So wohl Stöber NJW 2000, 3600; Schneider ZMR 2009, 165, 169 f. 355 Kesseler NJW 2009, 121; so jetzt auch Reymann, ZWE 2013, 446, 448.

S. 230 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

rein verfahrensrechtliche Wirkung. Anders als bspw. bei den öffentlichen Lasten fehlt es für die Wohngeldforderung gerade an der Anordnung einer dinglichen Wirkung, sodass der Rechtsnachfolger, und zwar auch der durch Vormerkung geschützte, nicht für diese einzustehen hat.

Mit diesem Risiko sind wir also weiter konfrontiert.

6. Praktische Handhabung

Der bereits 2009 gemachte Vorschlag, die Wohngeldforderung in die Abwicklung des

Kaufvertrages einzubinden, ist danach weiterhin aktuell. Ich persönlich habe sehr gute

Erfahrungen mit diesem Instrument gesammelt und meine, dass dieser Service des

Notars allen Beteiligten zugute kommt.

- Der Verwalter und die Wohnungseigentümergemeinschaft sind in aller Regel

sehr froh, wenn im Rahmen des Kaufvertrages die Bereinigung etwaiger

Wohngeldrückstände erfolgt.

- Selbst dann, wenn der Erwerber die konkrete Wohngeldschuld nicht zu

übernehmen hat, ist anteilig der Verlust doch von ihm zu tragen, da der

Gemeinschaft das Geld letztlich fehlt.

Ich verfahre deshalb weiter wie folgt:

Einholung einer Erklärung des Verwalters über das Nichtbestehen von Wohngeldrückständen als vom Notar zu prüfende Fälligkeitsvoraussetzung.

(In den Erläuterungen) "Der Notar hat den Erwerber auf die Risiken etwa bestehender Wohngeldrückstände für die Durchführung dieses Kaufvertrages ebenso hingewiesen wie darauf, dass die Gemeinschaftsordnung anordnen kann, dass auch der Erwerber eines Wohnungseigentums für rückständige Verbindlich-keiten seines Rechtsvorgängers der Gemeinschaft gegenüber haftet. Der Notar wird beauftragt, eine Erklärung des Verwalters über das Nichtbestehen von Wohngeldrückständen einzuholen."

S. 231 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(Bei den Fälligkeitsvoraussetzungen) "Dem Notar liegt eine Erklärung des Wohnungseigentumsverwalters vor, wonach aktuell Wohngeldrückstände nicht bestehen, bzw. nach Zahlung eines bestimmten, aus dem Kaufpreis zu leistenden Betrages nicht mehr bestehen."

(In der Zahlungsanweisung) "Der Erwerber wird die den nicht übernommenen Belastungen zugrunde liegenden Verbindlichkeiten des Veräußerers sowie etwaige rückständige Wohngeldforderungen in Anrechnung auf den Kaufpreis ablösen. Erwerber und Notar brauchen nicht nachzuprüfen, ob Auflagen, von denen die Lastenfreistellung abhängt, oder Wohngeldforderungen berechtigt bzw. richtig sind."

S. 232 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

II. Abgrenzung zwischen Sonder- und Gemeinschaftseigentum, Kostentragung (SH)

1. Rechtliche Rahmenbedingungen und Relevanz der Abgrenzung

a) Beschränkte Möglichkeit zur Begründung von Sondereigentum

Die Möglichkeit des bzw. der Eigentümer zur Begründung von Sondereigentum an Bestandteilen des Gebäudes wird durch die Vorgaben in § 5 Abs. 1 und 2 WEG beschränkt. Danach können u. a. für den Bestand oder die Sicherheit des Gebäudes erforderliche Teile nicht Gegenstand des Sondereigentums sein (§ 5 Abs. 2 WEG), ebenso Bestandteile des Gebäudes, die nicht verändert, beseitigt oder eingefügt werden können, ohne dass dadurch die äußere Gestalt des Gebäudes verändert wird (§ 5 Abs. 1 WEG). Daher stehen beispielsweise Außentüren sowie Fenster nebst Rahmen zwingend im Gemeinschaftseigentum.356

Eine den Vorgaben von § 5 Abs. 1 und 2 WEG widersprechende Regelung in der Gemeinschaftsordnung ist nichtig.

b) Folgen der (zwingenden) Zuordnung zum Gemeinschaftseigentum

aa) Instandhaltungs-/-setzungs- und Kostentragungspflicht

Nach der gesetzlichen Kompetenzzuweisung hat die zwingende Zuordnung bestimmter Gebäudeteile zum Gemeinschaftseigentum – neben den Konsequenzen für Gebrauchs- und Nutzungsrechte (§§ 13, 16 Abs. 1 WEG) – zur Folge, dass die Eigentümergemeinschaft für die ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung zuständig ist (§ 21 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 2, § 22 WEG) und (grundsätzlich) auch die damit verbundenen Kosten zu tragen hat (vgl. § 16 Abs. 2 WEG). Allerdings können die Wohnungseigentümer eine hiervon abweichende Vereinbarung treffen. Dies setzt allerdings eine klare und eindeutige Regelung voraus. In Ermangelung einer derartigen klaren und eindeutigen Regelung bleibt es bei der gesetzlich vorgesehenen Zuständigkeit.357

Fehlt es an einer derartigen Regelung in der Gemeinschaftsordnung, was insbesondere dann der Fall ist, wenn im Rahmen der Aufteilung irrtümlich davon ausgegangen wurde, dass an bestimmten Bestandteilen des Gebäudes Sondereigentum begründet werden kann und auch werden sollte, hat die zwingende Einordnung als Gemeinschaftseigentum zur Folge, dass die Eigentümergemeinschaft für die

356 Vgl. OLG Karlsruhe NZM 2011, 204; Armbrüster, in: Bärmann, WEG, 12. Aufl. 2013, § 5

Rn. 76. 357 KG ZMR 2009, 135, 136; vgl. auch BayObLG NJW-RR 1997, 79.

S. 233 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Instandhaltung und Instandsetzung zuständig ist und die Kosten zu tragen hat (vgl. insoweit sogleich Ziff. 2 a).358

bb) Beschlusskompetenz für Gestaltungsfragen

Die zwingende Zuordnung bestimmter Gebäudeteile zum Gemeinschaftseigentum führt ferner zur Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer gem. § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG, welche es der Eigentümergemeinschaft gestattet, generelle Vorgaben für die Gestaltung der zum Gemeinschaftseigentum gehörenden Gebäudeteile zu beschließen. Demgegenüber besteht für Maßnahmen am Sondereigentum generell keine Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer, selbst dann nicht, wenn öffentliche Vorschriften die Maßnahmen erfordern.359

c) Fazit

Aufgrund der zentralen Bedeutung der Zuordnung zum Sondereigentum oder zum Gemeinschaftseigentum sollte sich der beurkundende Notar bei der Gestaltung der Teilungserklärung stets darüber im Klaren sein, in wessen Eigentum ein bestimmter wesentlicher Gebäudebestandteil steht.360

2. Aktuelle BGH-Rechtsprechung zu notwendigem Gemeinschaftseigentum

a) Wohnungseingangstüren stets notwendiges Gemeinschaftseigentum – BGH, Urt. v. 25.10.2013 - V ZR 212/12, DNotI-Report 2014, 6 = ZfIR 2014, 15

m. Anm. Elzer.

aa) Problemaufriss

Ob Wohnungseingangstüren im gemeinschaftlichen Eigentum oder im Sondereigentum stehen, wird unterschiedlich beurteilt. Vereinzelt werden sie für sondereigentumsfähig gehalten361 und sollen nur dann zum Gemeinschaftseigentum zählen, wenn sie i. S. v. § 5 Abs. 2 WEG für den Bestand oder die Sicherheit des Gebäudes erforderlich sind.362 Andere ordnen nur die Innenseite der Tür oder nur den Innenanstrich dem Sondereigentum zu. Nach überwiegender Auffassung stehen

358 Im Einzelfall ist aber eine abweichende Kostenverteilung durch Beschluss mit qualifizierter

Mehrheit nach § 16 Abs. 4 WEG möglich. 359 BGH NJW 2013, 3092 Tz. 14 (Rauchwarnmelder), vgl. unten Ziff. IV. 2. 360 Zutr. Hügel/Elzer, DNotZ 20013, 487, 488. 361 MünchKommBGB/Commichau, 6. Aufl. 2012, § 5 WEG Rn. 12 a. E. 362 OLG Düsseldorf ZWE 2002, 279, 280.

S. 234 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Wohnungseingangstüren hingegen stets insgesamt im gemeinschaftlichen Eigentum.363 Höchstrichterlich war die Sondereigentumsfähigkeit von Wohnungseingangstüren bis zur Entscheidung des BGH vom 25.10.2013 noch nicht geklärt.

bb) Sachverhalt

In dem der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt bilden die Parteien eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Zutritt zu den Wohnungen erfolgt über Laubengänge, die ihrerseits von dem Treppenhaus aus über eine Tür zugänglich sind. In der Gemeinschaftsordnung ist geregelt, dass die Türen zum Treppenhaus zum Sondereigentum gehören, jedoch Veränderungen an der Außenseite derselben nur mit Mehrheitsbeschluss der Eigentümerversammlung vorgenommen werden dürfen.

Die Klägerin tauschte ihre Wohnungseingangstür ohne entsprechenden Beschluss gegen eine anders gestaltete Tür aus. Auf Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft wurde sie rechtskräftig zum Ausbau der Tür verurteilt. In einer Eigentümerversammlung beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich, dass die an den Laubengängen gelegenen, neu einzubauenden Wohnungseingangstüren mit einem Glasscheibeneinsatz versehen werden und bestimmte weitere Merkmale aufweisen müssen. Hiergegen richtet sich die Anfechtungsklage der Klägerin.

cc) Entscheidung

Nach Ansicht des V. Zivilsenats des BGH hat das LG die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beschlusskompetenz der Eigentümergemeinschaft im Hinblick auf generelle Vorgaben zur Gestaltung der Wohnungseingangstüren folge vorliegend aus § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG, da es sich hierbei um gemeinschaftliches Eigentum handele. Wohnungseingangstüren stellen nach Ansicht des BGH wesentliche Bestandteile eines Gebäudes i. S. v. § 94 Abs. 2 BGB dar.

In der Folge führt der V. Zivilsenat lehrbuchartig aus, worauf es bei der Zuordnung von wesentlichen Bestandteilen des Gebäudes zum Gemeinschafts- bzw. zum Sondereigentum ankommt. Der Teilungserklärung kommt nur insoweit Bedeutung zu, als sie bestimmt, welche Räume zum Sondereigentum gehören. Aus § 5 Abs. 1 und Abs. 2 WEG ergibt sich sodann, welche zu diesen Räumen gehörenden (wesentlichen) Bestandteile des Gebäudes dem Sondereigentum zugeordnet werden. Insoweit fehlt es an einer Regelungsbefugnis der teilenden Eigentümer. Sondereigentum an wesentlichen Bestandteilen des Gebäudes kann nicht durch die

363 Vgl. u. a. OLG München DNotZ 2008, 126; OLG Stuttgart BauR 2005, 1490;

Bärmann/Armbrüster, WEG, 12. Aufl. 2013, § 5 Rn. 124; Jennißen/Grziwotz, WEG, 3. Aufl. 2013, § 5 Rn. 105.

S. 235 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Teilungserklärung begründet werden.364 Den teilenden Eigentümer steht nach § 5 Abs. 3 WEG lediglich die Befugnis zu, Bestandteile des Gebäudes, die nach § 5 Abs. 1 und Abs. 2 WEG eigentlich zum Sondereigentum gehören würden, in der Teilungserklärung dem Gemeinschaftseigentum zuzuweisen.

„[D]ie Teilungserklärung kann die Grenze zwischen dem gemeinschaftlichen Eigentum und dem Sondereigentum nur zugunsten, nicht aber zuungunsten des gemeinschaftlichen Eigentums verschieben.“365

Dies führt dazu, dass „Zuordnungen“ zum Sondereigentum (sog. „Sondereigentumskataloge“) in der Teilungserklärung immer nur deklaratorischen Charakter aufweisen.366

Die Zuordnung von an der Außenseite des Gebäudes gelegenen Wohnungseingangstüren zum gemeinschaftlichen Eigentum ergebe sich vorliegend aus § 5 Abs. 2 WEG und aus § 5 Abs. 1 WEG, da derartige Türen dem Schutz des Gebäudes gegen Witterungseinflüsse dienten und daher für den Bestand des Gebäudes erforderlich seien (§ 5 Abs. 2 WEG) und eine andere Gestaltung regelmäßig die äußere Gestaltung des Gebäudes i. S. v. § 5 Abs. 1 WEG verändern würde.

Aber auch unabhängig davon, ob die betreffenden Wohnungseingangstüren innerhalb des Gebäudes oder an dessen Außenseite gelegen sind, müssten sie nach Ansicht des V. Zivilsenats gem. § 5 Abs. 1 WEG stets zwingend dem gemeinschaftlichen Eigentum zugeordnet werden. Denn Wohnungseingangstüren stehen räumlich und funktional in einem Zusammenhang sowohl mit dem Sonder- als auch mit dem Gemeinschaftseigentum. Erst durch ihre Einfügung werde die i. S. v. §§ 3 Abs. 2 S. 1, 7 Abs. 4 Nr. 2 WEG erforderliche Abgeschlossenheit der dem Sondereigentum zugewiesenen Räume hergestellt.

Dem BGH zufolge steht die gesamte Tür als einheitliche Sache im gemeinschaftlichen Eigentum.

dd) Stellungnahme

Im Ergebnis ist dem BGH uneingeschränkt darin zuzustimmen, dass innen- und außengelegene Wohnungseingangstüren samt ihrer Bestandteile im Gemeinschaftseigentum stehen. Teilweise wird in der Literatur zwar der Abgeschlossenheitsaspekt als ungeeignet für die Abgrenzung von Sonder- und Gemeinschaftseigentum erachtet, da die hierfür maßgeblichen Kriterien auf einer

364 BGH DNotZ 2013, 522 Tz. 10 f. 365 BGH DNotZ 2013, 522 Tz. 11 m. zahlr. w. N. 366 Zutr. Elzer, ZfIR 2014, 17, 18. Vgl. ausführlicher zur Bedeutung der Teilungserklärung für die

Grenzen des Sondereigentums Hügel/Elzer, DNotZ 2013, 487, 489 f.

S. 236 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

allgemeinen Verwaltungsvorschrift beruhten, die für die sachenrechtliche Zuordnung keine Rolle spielen könnte.367 An der Zuordnung der (innengelegenen) Wohnungseingangstür zum Gemeinschaftseigentum ändert sich dadurch allerdings nichts, da diese nicht verändert, beseitigt oder eingefügt werden kann, ohne dass dadurch das gemeinschaftliche Eigentum oder ein auf Sondereigentum beruhendes Recht eines anderen Wohnungseigentümers über das nach § 14 WEG zulässige Maß hinaus beeinträchtigt wird (Geräusche und Gerüche würden ungehindert ins Treppenhaus dringen).368

(1) Kriterium „einheitliche Sache“

Von größerer praktischer Relevanz ist hingegen die Aussage des BGH, dass die gesamte Tür als einheitliche Sache im gemeinschaftlichen Eigentum steht.369 Es gilt allerdings noch zu klären, inwieweit dieses auf Armbrüster370 zurückgehende Kriterium verallgemeinerungsfähig ist. Im Hinblick auf Türen und Fenster dürften sich insoweit keine Schwierigkeiten ergeben. Diese stehen einschließlich ihrer Bestandteile im gemeinschaftlichen Eigentum. Wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird, trifft dies auf Leitungen aber nicht ohne weiteres zu. Aus diesem Grund ist m. E. bei der Verwendung des Kriteriums „einheitliche Sache“ Zurückhaltung geboten.

(2) Folgen der irrtümlichen Zuordnung zum Sondereigentum

In Fällen irrtümlicher Zuordnung bestimmter Gebäudebestandteile zum Sondereigentum ist für die Praxis entscheidend, ob diese Regelung in der Teilungserklärung – im Einklang mit der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung – in eine Kostenvereinbarung umgedeutet werden kann.371 Mit Blick darauf, dass diese Zuordnung stets nur deklaratorischen Charakter aufweisen kann, ist bei objektiver Auslegung ein Regelungswille der aufteilenden Eigentümer nicht ohne weiteres feststellbar.

Gleiches gilt für den weiteren Ansatz in der obergerichtlichen Rechtsprechung, die fehlgeschlagene Begründung von Sondereigentum mitunter gar in ein Sondernutzungsrecht umzudeuten bzw. dahingehend auszulegen.372

367 Vgl. Elzer, ZfIR 2014, 17, 18 m. w. N. 368 Elzer, ZfIR 2014, 17, 18. 369 BGH ZfIR 2014, 15 Tz. 11 a. E. 370 Bärmann/Armbrüster, WEG, 12. Aufl. 2013, § 5 Rn. 124. 371 Vgl. OLG Karlsruhe ZWE 2011, 38, 39; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 515, 516; OLG

Hamm NJW-RR 1992, 148; zweifelnd Elzer, ZfIR 2014, 17, 18; tendenziell auch Brückner, DAI-Skript, 11. Jahresarbeitstagung des Notariats, 2013, S. 338, 347.

372 Vgl. OLG Hamm OLGZ 1983, 1, 5.

S. 237 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

b) Leitungen als notwendiges Gemeinschaftseigentum – BGH, Urt. v. 26.10.2012 - V ZR 57/12, DNotZ 2013, 522 = MittBayNot 2013, 304

= NJW 2013, 1154 = ZfIR 2013, 377 m. Anm. Ott. Vgl. hierzu Hügel/Elzer, DNotZ 2013, 487; Müller, ZWE 2013, 203.

aa) Problemaufriss

Welche wesentlichen Bestandteile des Gebäudes zum Sondereigentum gehören, beurteilt sich – wie soeben ausgeführt – grundsätzlich allein nach den in § 5 Abs. 1 und Abs. 2 WEG genannten Kriterien. Die Teilungserklärung kann die Grenze zwischen dem gemeinschaftlichen Eigentum und dem Sondereigentum nur zugunsten, nicht aber zuungunsten des gemeinschaftlichen Eigentums verschieben.

„Ob danach Leitungen, die in tragenden und damit im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Wänden (unter Putz) verlegt sind, zwingend dem Gemeinschaftseigentum zuzurechnen sind, weil mit dem Vorgang ihres Einfügens, Veränderns oder Beseitigens zwangsläufig das Aufschlagen der Wand verbunden ist […] oder ob maßgeblich auf das Ergebnis eines solchen Vorgangs abzustellen ist“, ist noch nicht abschließend geklärt. Gleiches gilt für die Frage, unter welchen Voraussetzungen wesentliche Bestandteile des Gebäudes, die sich zwar im Gemeinschaftseigentum befinden, aber nur einer Sondereigentumseinheit dienen, i. S. v. § 5 Abs. 1 WEG zu den Räumen dieser Einheit „gehören“. Teilweise wird insoweit ein räumlicher Zusammenhang zu den Räumen für erforderlich erachtet.373 Nach der Gegenauffassung soll grundsätzlich ein funktionaler, dienender Zusammenhang genügen, so dass beispielsweise Wasserleitungen von dem Punkt an zum Sondereigentum zu rechnen sind, ab dem sie nur noch eine Einheit versorgen.374

bb) Sachverhalt

In dem der Entscheidung des BGH vom 26.10.2012 zugrunde liegenden Sachverhalt geht es um eine Wasserleitung, die lediglich eine Sondereigentumseinheit mit Wasser versorgt. Vor ihrem Eintritt in den Bereich des Sondereigentums verläuft die Leitung in einer zum gemeinschaftlichen Eigentum gehörenden Dachabseite.

In der Teilungserklärung ist bestimmt, dass „Wasserleitungen vom Anschluss an die gemeinsame Steigleitung an“ zum Sondereigentum gehören.

Da die Wasserleitung regelmäßig einfriert, beantragt der Eigentümer des Dachgeschosses einen Austausch auf Kosten der Eigentümergemeinschaft. Gegen die Ablehnung dieses Antrags wehrt er sich gerichtlich. Nachdem er während des laufenden Berufungsverfahrens die Leitung auf eigene Kosten repariert hat, beantragt er festzustellen, dass die Leitung im Gemeinschaftseigentum steht.

373 Vgl. die Nachweise bei BGH DNotZ 2013, 522 Tz. 16. 374 Vgl. die Nachweise bei BGH DNotZ 2013, 522 Tz. 17.

S. 238 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

cc) Entscheidung

Im Einklang mit dem Berufungsgericht hält der V. Zivilsenat des BGH den Feststel-lungsantrag des Klägers für begründet, da Versorgungsleitungen, die wesentliche Bestandteile des Gebäudes sind, zwingend im Gemeinschaftseigentum stehen, soweit sie im räumlichen Bereich des Gemeinschaftseigentums verlaufen. Keine Rolle spielen soll insoweit, dass ein Leitungsstrang ausschließlich der Versorgung einer einzelnen Wohnung dient.

Ohne die oben angesprochene Frage, ob es für die Zuordnung zu einer Sondereigentumseinheit eines räumlichen Zusammenhangs bedarf oder ob ein rein funktional, dienender Zusammenhang genügt, zu entscheiden, weist der BGH darauf hin, dass es durchaus auch denkbar sei, „alle wesentlichen Bestandteile des Gebäudes, die sich außerhalb der im Sondereigentum stehenden Räume befinden, als gemeinschaftliches Eigentum anzusehen“, da Sondereigentum nach der gesetzlichen Konzeption ohnehin die Ausnahme bilde und Ausnahmebestimmungen eng auszulegen seien. Insbesondere wäre bei einer derartigen Sichtweise aber eine klare Grenzziehung zwischen Sondereigentum und Gemeinschaftseigentum gewährleistet.375

Hierauf kommt es nach Ansicht des V. Zivilsenats aber nicht an, da Versorgungsleitungen, die sich im räumlichen Bereich des Gemeinschaftseigentums befinden, als Einheit anzusehen sind, da sie ein der Bewirtschaftung und Versorgung des Gebäudes dienendes Leitungsnetz und damit eine Anlage i. S. v. § 5 Abs. 2 WEG bilden. Hierfür beruft sich der Senat auf die natürliche Anschauung sowie die Interessenlage der Wohnungseigentümer (gemeinschaftliche Verfügungsbefugnis über das Leitungsnetz, Ermöglichung von Veränderungen, z. B. Verwendung derartiger Leitungen für andere Zwecke, Erleichterung von Instandsetzungsarbeiten und Moder-nisierungsmaßnahmen). Schützenswerte Interessen des einzelnen Sondereigentümers stünden typischerweise nicht entgegen. Die Versorgung nur einer Sondereigentums-einheit sei irrelevant. Hierfür rekurriert der BGH auf die Behandlung des Abschnitts eines Treppenhauses, der ausschließlich den Zugang zu einer Wohnung ermöglicht.

Anders als in der Literatur teilweise vertreten,376 gehören zu dem im Gemeinschafts-eigentum stehenden Versorgungsnetz die Leitungen nicht nur bis zu ihrem Eintritt in den räumlichen Bereich des Sondereigentums, sondern – in Anlehnung an Klein377 – „jedenfalls bis zu der ersten für die Handhabung durch den Sondereigentümer vorgese-henen Absperrmöglichkeit.“378 Sofern es an einer derartigen Absperrmöglichkeit fehlt, kann an der Leitung nur einheitliches Eigentum und damit ausschließlich Gemein-schaftseigentum bestehen.

dd) Stellungnahme

375 BGH DNotZ 2013, 522 Tz. 18. 376 Z. B. Hügel, in: Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl. 2012, § 5 WEG Rn. 10. 377 Klein, in: Bärmann, WEG, 12. Aufl. 2013, § 1 Rn. 28. 378 BGH DNotZ 2013, 522 Tz. 21.

S. 239 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Mit der vorliegenden Entscheidung erteilt der V. Zivilsenat jedenfalls der funktio-nellen Betrachtungsweise bei der Abgrenzung zwischen Gemeinschafts- und Sonder-eigentum eine deutliche Absage.379

Wesentliche Bestandteile des Gebäudes, die sich außerhalb des räumlichen Bereichs des Sondereigentums befinden, sind zwingend dem Gemeinschaftseigentum zuzu-rechnen.

Zumindest prima facie erscheint die Argumentation des BGH sehr eingängig, zumal wertungsmäßig in der Tat vieles dafür spricht, nicht lediglich einer einzigen Person die Entscheidungsbefugnis zuzuweisen.

(1) Anlage vs. Gesamtanlage

Ob es indes geboten ist, das Gemeinschaftseigentum in einer derart extensiven Art und Weise zu definieren, steht auf einem anderen Blatt. Hügel und Elzer weisen darauf hin, dass jedenfalls die vom BGH ins Feld geführte „natürliche Anschauung“ kein Argument sein kann, da im WEG bewusst eine von § 93 BGB abweichende Betrachtung normiert ist (§ 3 Abs. 1 WEG).380 Orientiert man sich am Wortlaut des vom BGH ins Feld geführten § 5 Abs. 2 WEG, so müsste die betreffende Anlage zunächst einmal dem gemeinschaftlichen Gebrauch der Wohnungseigentümer dienen, wofür mindestens zwei Wohnungs- oder Teileigentümer auf die Nutzung der Anlage angewiesen sein müssten. Hieran fehlt es vorliegend, sofern man nicht vom Leitungsnetz als Einheit ausgeht. Letzteres wäre nur dann geboten, wenn es sich dabei um eine Gesamtanlage handeln würde, die Leitungen also dergestalt in Gesamtsystem eingegliedert sind, „dass deren Ausbau zu einer Unterbrechung oder Funktionsbeeinträchtigung des betreffenden Gesamtkreislaufs führt“.381 Unter diesen Voraussetzungen – die vorliegend jedoch nicht gegeben sind – ist die Annahme Sondereigentum von vornherein ausgeschlossen.

(2) Bedeutung nur für eine Einheit?

Mit Blick auf die Entscheidung des V. Zivilsenats zur Doppelstockgarage382 ist auch nicht ganz erklärlich, weshalb der Umstand, dass bestimmte Teile eines Leitungsnetzes nur einer Einheit dienen, keine Rolle für die dingliche Zuordnung spielen soll. Denn in der vorgenannten Entscheidung wurde eine Hebevorrichtung gerade deshalb als sondereigentumsfähig angesehen, weil „durch sie ausschließlich eine Doppelstock-garage betrieben wird […] [,] wenn an dieser Garage Sondereigentum […] besteht.“383 Im Übrigen vermag der Vergleich mit dem Treppenhaus nicht zu überzeugen, da es

379 Müller, ZWE 2013, 203, 204; Ott, ZfIR 2013, 380, 381. 380 Hügel/Elzer, DNotZ 2013, 487, 494. 381 Hügel/Elzer, DNotZ 2013, 487, 493 m. w. N. 382 BGH NJW-RR 2012, 85. 383 BGH NJW-RR 2012, 85 Tz. 10 m. w. N.

S. 240 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

sich hierbei nicht um einen wesentlichen Gebäudebestandteil, sondern um einen eigentumsrechtlich notwendig einheitlich zu beurteilenden Raum handele.384

(3) Argument „Ausnahmebestimmung“

Ob sich etwas anderes daraus ergibt, dass es sich bei § 5 Abs. 1 WEG um eine Ausnahmebestimmung im Verhältnis zu den allgemeinen sachenrechtlichen Grundsätzen handelt,385 erscheint mir ebenfalls nicht ohne Zweifel. Zum einen ist in der neueren Zivilrechtsdogmatik durchaus umstritten, ob eine derart pauschale Auslegungsregel überhaupt gerechtfertigt ist.386 Im Übrigen wird den Wohnungs-eigentümern in § 5 Abs. 3 WEG ausdrücklich die Befugnis eingeräumt, bestimmte Bestandteile des Gebäudes gezielt dem Gemeinschaftseigentum zuzuweisen, woraus man ebenso gut folgern könnte, dass es nicht darüber hinausgehend geboten ist, Gebäudebestandteile bereits nach § 5 Abs. 1 und Abs. 2 WEG soweit wie möglich dem Gemeinschaftseigentum zuzuordnen. Schließlich wird auch durch die vom BGH vertretene Abgrenzung von Sonder- und Gemeinschaftseigentum nicht ohne weiteres eine klare Grenzziehung erreicht, da sich ohne besondere Bestimmung nicht durchwegs feststellen lässt, ob die Absperrmöglichkeit für die Handhabung durch den Sondereigentümer oder durch die Eigentümergemeinschaft vorgesehen ist.387

3. Konsequenzen für die Gestaltungspraxis

a) Verzicht auf „Sondereigentumskataloge“

In Anbetracht dessen, dass eine privatautonome Zuweisung bestimmter Gebäudebestandteile zum Sondereigentum sowieso nicht möglich ist, sollte künftig m. E. gänzlich auf sog. „Sondereigentumskataloge“ verzichtet werden.388 Vgl. zu den andernfalls erforderlichen „Vorsorgemaßnahmen“ unter lit. d.

b) (Vorsorgliche) Zuordnung zum Gemeinschaftseigentum nach § 5 Abs. 3 WEG

Aus gestalterischer Sicht erscheint vielmehr gerade die umgekehrte Regelung in der Teilungserklärung erwägenswert, d. h. die (ggf. vorsorgliche) Zuordnung bestimmter Gebäudebestandteile zum Gemeinschaftseigentum. Diese Möglichkeit ist in § 5 Abs. 3 WEG ausdrücklich eröffnet. Gerade im Bereich schwieriger sachenrechtlicher

384 Hügel/Elzer, DNotZ 2013, 487, 494. 385 So bereits BGHZ 50, 56, 61. 386 Vgl. exemplarisch MünchKommBGB/Säcker, Einl. Rn. 120-122 m. w. N. 387 So Ott, ZfIR 2013, 380, 381, demzufolge es insbesondere unklar bleibt, ob es insoweit

lediglich auf die Möglichkeit der Abtrennung des restlichen Leitungsnetzes in den Räumen des Sondereigentums ankommt oder eine Zweckbestimmung betreffend die Absperrmöglichkeit „durch den Sondereigentümer“ erforderlich ist.

388 Zutreffend Müller, ZWE 2013, 203, 205.

S. 241 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Abgrenzungsfragen dürfte es im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit vorzugswürdig sein, den betreffenden Gebäudebestandteil dem Gemeinschaftseigentum zuzuweisen.

Verbindet man eine derartige Regelung mit einer sinnvollen Kostenverteilung (dazu sogleich unter lit. c) sowie einer Regelung betreffend die Verwaltungs-zuständigkeit, dürfte den berechtigten Interessen aller Beteiligten angemessen Rechnung getragen sein.389

c) Abweichende Regelung v. a. der Kostentragung

Wie bereits eingangs erwähnt und im vergangenen Jahr ausführlicher behandelt,390 ist die Frage der Instandsetzungs- und Instandhaltungspflicht bzw. die Pflicht zur Tragung der damit verbundenen Kosten von der Zuordnung zum Gemeinschafts- bzw. Sondereigentum zu trennen. Welche Grundsätze hierbei zu beachten sind, lässt sich insbesondere zwei Entscheidungen des BGH aus dem Jahr 2012 entnehmen, die in dieser Veranstaltung bereits vorgestellt wurden und daher nur kurz rekapituliert werden sollen:

aa) BGH, Urt. v. 2.3.2012 - V ZR 174/11

Weist die Gemeinschaftsordnung die Pflicht zur Instandhaltung und Instandsetzung der Fenster nebst Rahmen in dem räumlichen Bereich des Sondereigentums den einzelnen Wohnungseigentümern zu und nimmt dabei den Außenanstrich aus, ist eine vollständige Erneuerung der Fenster im Zweifel Sache der Gemeinschaft.391

bb) BGH, Urt. v. 16.11.2012 – V ZR 9/12

Eine in der Teilungserklärung getroffene Regelung, wonach Balkone, die zum ausschließlichen Gebrauch durch einen Wohnungseigentümer bestimmt sind, auf dessen Kosten instandzusetzen und instandzuhalten sind, ist nicht einschränkend dahin auszulegen, dass hiervon Kosten ausgenommen sind, die die im Gemeinschaftseigentum stehenden Balkonteile betreffen.392

cc) Fazit

Soll von der gesetzlichen Regelung der Instandhaltungs- und Instandsetzungspflicht samt Kostentragung betreffend das Gemeinschaftseigentum in der Gemeinschaftsordnung abgewichen werden – etwa, weil bestimmte Gebäudebestandteile (vorsorglich) gem. § 5 Abs. 3 WEG dem Gemeinschaftseigentum

389 Vgl. Hügel/Elzer, DNotZ 2013, 487, 496. 390 Vgl. Herrler, DAI-Skript, Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung im

Immobilienrecht 2012/2013, D) V = S. 259-263. 391 BGH NJW 2012, 1722 = ZNotP 2012, 235. 392 BGH MDR 2012, 22 = NJW 2013, 681.

S. 242 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

zugewiesen wurden, obwohl sie lediglich einer Sondereigentumseinheit „dienen“ –, ist besondere Sorgfalt auf eine möglichst klare und eindeutige Regelung zu legen.

Trotz des Grundsatzes der restriktiven Auslegung einer abweichenden Vereinbarung illustriert die Entscheidung vom 16.11.2012, dass eine dem Wortlaut nach klare Zuweisung von Instandhaltungs- und Instandsetzungspflichten ohne Differenzierun-gen betreffend bestimmte Maßnahmen sich als rechtssichere, wenig streitanfällige Regelung erweist, da der V. Zivilsenat nicht bereit zu sein scheint, eine derartige Bestimmung unter Verweis auf vermeintliche teleologische Gesichtspunkte einschrän-kend auszulegen.

So wurde beispielsweise die folgende Kostenregelung vom BGH als hinreichend präzise und eindeutig erachtet:

„Gebäudeteile […], die […] zum ausschließlichen Gebrauch durch einen Wohnungseigentümer bestimmt sind (z. B. Balkone, Terrassen, Veranden, Einstellplätze), sind von ihm auf seine Kosten instandzusetzen und instand-zuhalten.“393

Umgekehrt veranschaulicht die Entscheidung des BGH vom 2.3.2012, dass eine differenzierte Regelung aufgrund des Grundsatzes der restriktiven Auslegung im Zweifel dazu führen wird, dass die Instandhaltungs- und Instandsetzungspflicht samt Kostentragung die Gemeinschaft trifft. Dies gilt jedenfalls dann, wenn im Falle einer differenzierenden Regelung die nicht ausdrücklich aufgeführten Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung nicht im Sinne einer „Catch-All“-Klausel dem jeweiligen Sondereigentümer zugewiesen sind.

d) Alternativ: Hilfsweise Regelung zur Instandhaltung/-setzung und Kostentragung

Sofern man – entgegen der hier vertretenen Auffassung – weiterhin an Sondereigen-tumskatalogen festhalten möchte, etwa weil die prospektiven Erwerber dann bereit sind, einen höheren Preis für ihre Sondereigentumseinheit zu bezahlen, sollte man, sofern die Zuordnung eines bestimmten Gebäudebestandteils zum Sondereigentum noch nicht höchstrichterlich geklärt bzw. im Wesentlichen unumstritten ist, nicht auf eine vorsorgliche Regelung zur Instandhaltung und Instandsetzung sowie zur Kosten-tragung verzichten.

(1) Möglichkeit der Umdeutung ungewiss

Wie bereits erwähnt, ist zwar grundsätzliche eine Umdeutung der Zuweisung zum Sondereigentum in eine Kostentragungsregelung im Einzelfall denkbar.394 Darauf sollte man sich aber besser nicht verlassen, da derartigen Zuweisungen mangels

393 BGH NJW 2013, 681. 394 Vgl. OLG Karlsruhe ZWE 2011, 38, 39; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 515, 516; OLG

Hamm NJW-RR 1992, 148.

S. 243 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Regelungsspielraums der teilenden Eigentümer unmittelbar immer nur deklaratorische Wirkung zukommt.395 Ggf. müsste man insoweit wegen des Grundsatzes der objektiven Auslegung der Teilungserklärung auch zwischen Altfällen und Neufällen unterscheiden (objektive Auslegung der Teilungserklärung).

(2) Beschlusskompetenz nach § 16 Abs. 4 WEG?

Zwar besteht insoweit grundsätzlich auch eine Beschlusskompetenz gem. § 16 Abs. 4 WEG. Danach können die Eigentümer im Einzelfall eine abweichende Kostenverteilungsregelung treffen, wenn der abweichende Maßstab den Gebrauch oder der Möglichkeit des Gebrauchs durch die Wohnungseigentümer Rechnung trägt. Hierauf sollte man sich ebenfalls besser nicht verlassen, da die formalen Hürden nach § 16 Abs. 4 S. 2 WEG hoch sind (3/4 Mehrheit aller stimmberechtigten Wohnungseigentümer und mehr als die Hälfte der Miteigentumsanteile) und derartige Beschlüsse in der Regel (jedenfalls auf zwischenmenschlicher Ebene) konfliktträchtig sind. In materieller Hinsicht dürfte ein derartiger Beschluss indes jedenfalls dann möglich sein, wenn ein bestimmter Gebäudebestandteil ausschließlich einem Sondereigentümer dient.396

(3) Fazit

Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass Sondereigentumskataloge – so man überhaupt an ihnen festhalten möchte – im Interesse der Rechtsklarheit und Konfliktvermeidung stets von vorsorglichen Regelungen betreffend die Instandhaltung und Instandsetzung sowie die Kostentragung flankiert werden sollten.

4. Unmittelbare Geltung der Heizkostenverordnung – BGH, Urt. v. 17.2.2012 – V ZR 251/10, NJW 2012, 1434 = ZfIR 2012, 432

WEG §§ 16 Abs. 2, 28 Abs. 3, 46 Abs. 1 S. 2; HeizkostenVO §§ 3 S. 1, 6 Abs. 1, 7 Abs. 2, 8 Abs. 2, 9, 9b Abs. 2 Unmittelbare Geltung der HeizkostenVO („Ob“); Ausfüllung des vorgegebenen Rahmens durch Vereinbarung oder Beschluss („Wie“)

1. Die Regelungen der HeizkostenVO gelten für die Wohnungs-eigentümergemeinschaft unmittelbar; einer Vereinbarung oder eines Beschlusses über ihre Geltung bedarf es nicht. (amtlicher Leitsatz)

2. Der durch die HeizkostenVO vorgegebene Rahmen muss von der Wohnungseigentümergemeinschaft erst durch Vereinbarung oder Beschluss ausgefüllt werden, bevor eine Abrechnung möglich ist. (Leitsatz des Verfassers)

395 Elzer, ZfIR 2014, 17, 18. Zurückhaltend wohl auch Brückner, DAI-Skript, 11.

Jahresarbeitstagung des Notariats, 19.-21.9.2013, S. 338, 347. 396 Anders ggf. aber bei drohender Aushöhlung des allgemeinen Kostenverteilungsschlüssels

aufgrund Einschlägigkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes (vgl. Bärmann/Becker, WEG, 12. Aufl. 2013, § 16 Rn. 130 m. w. N.).

S. 244 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

III. Änderung der Teilungserklärung (CH)

1. Änderungsvollmacht für den Bauträger

a) Zwischen Skylla und Charybdis

Beim Verkauf von noch zu errichtenden Wohnungs- und Teileigentumseinheiten lässt sich der Bauträger typischerweise eine Änderungsvollmacht für die Teilungserklärung erteilen. Denn nachträglich kann sich Änderungsbedarf ergeben,

– etwa wenn Kellerräume zwischen Sonder- und Gemeinschaftseigentum „getauscht“ werden sollen

– oder wenn Einheiten anders zugeschnitten werden und dabei auch Gemeinschafts-eigentum einbezogen wird,

– oder wenn Sondernutzungsrechte verschoben werden.

Ohne Vollmacht müssten alle bisherigen Käufer, für die bereits Vormerkungen eingetragen sind, in grundbuchmäßiger Form zustimmen. Daher macht eine solche Vollmacht Sinn.

Bei der Gestaltung der Vollmacht muss der Notar zwischen Skylla und Charybdis steuern:

– Einerseits muss die Vollmacht dem grundbuchrechtlichen Bestimmtheits-grundsatz genügen.

– Andererseits muss die Änderung einer Klauselkontrolle nach AGB-Recht stand-halten.

Dem grundbuchrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügt etwa nicht,

– wenn die Vollmacht nur zu solchen Änderungen berechtigt, durch die „dem Käufer keine zusätzlichen Verpflichtungen auferlegt werden, sein Sondereigentum unangetastet bleibt und die Benutzung des Gemeinschaftseigentums nicht eingeschränkt wird“.397.

– Am Bestimmtheitsgrundsatz scheiterte auch eine Formulierung des Inhalts, dass hierdurch „der Mitgebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums nicht wesentlich eingeschränkt“ werden darf398.

– Eine auch nur teilweise gegen den grundbuchrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz verstoßende Vollmacht ist insgesamt unwirksam, weil eine geltungserhaltende Reduktion in diesem Bereich ausgeschlossen ist399.

397 BayObLG, DNotZ 1994, 233. 398 BayObLG, DNotZ 1997, 473. 399 BayObLG, DNotZ 1995, 612 m. Anm. Röll.

S. 245 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Zur Klauselkontrolle nach AGB:

– Fraglich ist, welche Prüfungsmaßstab anzuwenden ist. Eine Änderungsbefugnis des Bauträgers für Änderungen bei der Bauausführung hatte der BGH an § 308 Nr. 4 BGB gemessen – und für ungenügend verworfen, weil sie schon keinen triftigen Grund für die Abweichung erforderte.400

– An diesem Maßstab gemessen würden die meisten Klauseln für eine Änderung der Teilungserklärung ebenfalls scheitern, weil sie keinen triftigen Grund für die Änderung nennen.

Als Lösung wählt man typischerweise eine im Außenverhältnis unbeschränkte Vollmacht mit Beschränkungen lediglich im Innenverhältnis.401.

– Eine solche in Innen- und Außenverhältnis unterteilte Vollmacht kann nicht vom Grundbuchamt wegen eines offensichtlichen Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB zurückgewiesen werden402.

– Sie stellt auch keine unangemessene Benachteiligung des Erwerbers i.S.d. § 307 Abs. 2 BGB dar403.

b) Formulierungsbeispiel

Mit folgender Formulierung versuche ich, die Vollmacht an den Bauträger kontrollfest gegenüber einer Klauselkontrolle nach § 308 Nr. 4 BGB zu gestalten.

Änderungsvollmacht für den Bauträger

1. Vollmacht

Der Erwerber erteilt dem Bauträger Vollmacht – mit der Befugnis, Untervollmacht zu erteilen, unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB und über den Tod hinaus:

a) die Teilungserklärung mit Gemeinschaftsordnung zu ändern und zu ergänzen (einschließlich der Auflassung von Gemeinschafts- in Sondereigentum und umgekehrt), soweit sich dadurch das Sondereigentum und Sondernutzungsrechte des Erwerbers nicht ändern, die Gemeinschaftsräume flächenmäßig nicht um mehr

400 BGH DNotZ 2006, 174 m. Anm. Basty = MittBayNot 2006, 140 m. Anm. Riemenschneider =

NJW 2005, 3420 = ZfIR 2005, 632 m. Anm. Blank = ZMR 2005, 799 m. Anm. Vogel. 401 Z.B. Basty, Bauträgervertrag, Rn. 194 ff.; Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, Teil 2 Kap. 3

Rn. 89 ff.; Kutter, in: Beck’sches Notar-Handbuch, A II Rn. 116, 129; Pause, Bauträgerkauf und Baumodelle, Rn. 112.

402 BayObLG, NZM 2002, 958; ZWE 2003, 381 m. Anm. Schmidt; a.A. LG Düsseldorf, Rpfleger 1999, 217.

403 Basty, Bauträgervertrag, Rn. 201 ff.; Pause, Bauträgerkauf und Baumodelle, Rn. 112; Hertel, in: Amann/Brambring/Hertel, Vertragspraxis nach neuem Schuldrecht, S. 238.

S. 246 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

als 10 % kleiner werden sowie dem Erwerber keine höheren Zahlungsverpflich-tungen auferlegt werden,

b) Dienstbarkeiten wie Geh- und Fahrtrechte sowie für Ver- oder Entsorgungs-leitungen zugunsten der jeweiligen Eigentümer von Nachbargrundstücken oder von öffentlichen oder privaten Versorgungsträgern zu bestellen und diesen Rang vor der Auflassungsvormerkung des Erwerbers sowie vor Belastungen in Abt. III zu verschaffen.

Von dieser Vollmacht kann nur vor dem amtierenden Notar (seinem Vertreter, Notariatsverwalter oder Amtsnachfolger) Gebrauch gemacht werden. Der Notar hat die Einhaltung der im Innenverhältnis bestehenden Beschränkungen zu überwachen und dem Erwerber (durch Übersendung einer Abschrift der Änderung der Teilungserklärung) mitzuteilen, wenn von dieser Vollmacht Gebrauch gemacht wurde. Im Außenverhältnis unterliegt diese Vollmacht keinen weiteren Einschränkungen.

Die Vollmacht erlischt mit Umschreibung des Eigentums an sämtlichen Wohnungs- und Teileigentumseinheiten des vertragsgegenständlichen Grundstücks auf etwaige Erwerber.

2. Innenverhältnis

Im Innenverhältnis darf der Bauträger von der Änderungsvollmacht ohne Zustimmung des Erwerbers nur Gebrauch machen und muss der Käufer Änderungen dulden, soweit dies erforderlich ist

- aufgrund behördlicher Auflagen, rechtlicher oder technischer Erfordernisse,

- zur Erschließung, Ver- und Entsorgung des Bauvorhabens,

- für eine andere Einheit auf Wunsch deren Erwerbers (etwa bei Zusammenlegen oder Aufteilung anderer Sondereigentumseinheiten, auch unter Einbeziehung eines Stücks des Vorflurs),

- oder soweit sonst die Änderung für den Erwerber nicht wirtschaftlich nachteilig ist.

Den Inhalt der Änderung bestimmt der Bauträger nach billigem Ermessen (§ 315 BGB). Alle Änderungen dürfen sich nicht wert- und gebrauchsmindernd auf das Vertragsobjekt auswirken und müssen dem Käufer zumutbar sein.

Mit dem letzten Spiegelstrich in Ziffer 2 als Auffangklausel mogele ich ein bisschen. Denn mir erscheint durchaus nicht eindeutig, ob der Prüfungsmaßstab des § 308 Nr. 4 BGB tatsächlich auch für Änderungen der Teilungserklärung gilt - oder ob hier doch etwas weitere Maßstäbe gelten, soweit die Änderung den Erwerber wirtschaftlich überhaupt nicht betrifft.

Doch ist die Auffangklausel gesondert formuliert, dass sie ggf. bei einer Klausel-kontrolle einzeln gestrichen werden kann - und die übrige Änderungsvollmacht bestehen bleiben kann.

S. 247 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

c) Im Außenverhältnis unbeschränkt heißt unbeschränkt (OLG München, 7.11.2012 – 34 Wx 208/12)

Mit einer solchen Gestaltung befasste sich auch das

OLG München, Beschl. v. 7.11.2012 – 34 Wx 208/12, NJW-RR 2013, 389 = NotBZ 2013, 69 = NZM 2013, 91 = RNotZ 2013, 122 = ZWE 2013, 84 m. Anm. F. Schmidt

Leitsatz: Zur Wirksamkeit einer im Außenverhältnis unbeschränkt erteilten Vollmacht für den Vollzug eines Antrags auf Änderung der Teilungserklärung im Grundbuch.

Sachverhalt:

Die Erwerber hatten dem Bauträger im Bauträgervertrag eine nach außen unbeschränkte Vollmacht zur Änderung der Teilungserklärung erteilt:

„Änderung der Teilungserklärung bzw. Bauausführung

Uneingeschränkte Vertretung des Käufers bei der Begründung und Änderung der Teilungserklärung. Diese Vollmacht ist im Außenverhältnis insbesondere auch gegenüber dem Grundbuchamt ohne jede Beschränkung erteilt.

Im Innenverhältnis darf die Vollmacht jedoch nur ausgeübt werden wie folgt:

a) Durch die Änderung dürfen das Sondereigentum und aufgrund der Teilungserklärung etwa begründete Sondernutzungsrechte des Käufers nicht beeinträchtigt werden, dem Käufer keine zusätzlichen Belastungen aufgebürdet werden sowie Teile des gemeinschaftlichen Eigentums, die für die Nutzung des Sondereigentums nötig sind, nicht eingeschränkt werden.

Außerdem sind die Bestimmungen in der Grundlagenurkunde hinsichtlich der Änderung der Teilungserklärung zu beachten.

Insbesondere dürfen in diesem Rahmen auch folgende Änderungen vorgenommen werden:

aa) Beliebige Änderung an Sondernutzungsrechten dritter Personen (sowohl hinsichtlich der Fläche als auch des Inhalts), Neubegründung von Sondernutzungsrechten am gemeinschaftlichen Eigentum z.B. dadurch, dass Zuwege Mülltonnen- und Fahrradabstellplätze sowie ein Kinderspiel-platz etc. dem/den jeweiligen angrenzenden Eigentümern von Sondernutzungsflächen zugeschlagen werden, Aufteilung oder Zusammenlegung von Sondernutzungsflächen und die Aufhebung von Sondernutzungsrechten.

...

Sämtliche vorgenannten Vollmachten dürfen nur bei dem amtierenden Notar, dessen Sozius, deren Vertretern oder Amtsnachfolgern verwendet werden.

Sämtliche Vollmachten erlöschen am Tage des Vollzugs der Auflassung im Grundbuch.“

Der Bauträger wollte an einem im Gemeinschaftseigentum stehenden Tiefgaragen-stellplatz ein Sondernutzungsrecht zugunsten eines Erwerbers bestellen. Das Grundbuchamt weigerte sich, dies zu vollziehen. Es meinte, dass er damit gegen seine Pflichten aus den Bauträgerverträgen gegenüber den anderen Erwerbern verstieße, damit ein Missbrauch der Vollmacht vorläge

S. 248 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Das OLG München wies das Grundbuchamt zur Eintragung an. Der Bauträger hatte die Vollmacht genau dazu genutzt, wozu sie geplant war, nämlich nachträglich den einzelnen Wohnungen Stellplätze zuzuweisen.

(Juris Rn. 23) „Schon nach ihrem Wortlaut sind die jeweiligen Vollmachten im Außen-verhältnis unbeschränkt. Dies ergibt sich zudem aus der in ihrem Text vorgenommenen Gegenüberstellung zum Innenverhältnis, für das einengende Absprachen getroffen sind.

(Rn. 24) b) Die jeweiligen Vollmachten sind auch nicht offensichtlich (vgl. BayObLG OLG-Report 2003, 149) nach den §§ 305 ff. BGB unwirksam. Ob diese Vorschriften auf Grundbuch-vollmachten überhaupt anzuwenden sind, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Angesichts der Bindungen im Innenverhältnis liegt trotz der Unbeschränktheit im Außenverhältnis bei der konkret vorliegenden Vertragsgestaltung jedenfalls kein offensichtlicher Verstoß gegen § 308 Nr. 4 BGB vor. Insbesondere dürfen im Innenverhältnis das Sondereigentum und die dem Käufer zur Sondernutzung zugewiesenen Gegenstände durch die Änderung nicht berührt werden und ihm keine zusätzlichen Belastungen aufgebürdet werden. Insoweit ist die Klausel einschränkender als die, welche der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 12.9.2002 (BayObLGZ 2002, 296) zugrunde lag. Auch dort, wo das Sondereigentum bei „wirtschaftlicher Betrachtungsweise“ nicht beeinträchtigt werden durfte, hatte aber das Bayerische Oberste Landesgericht eine offensichtliche Unwirksamkeit nicht angenommen.

(Rn. 25) c) Das Amtsgericht geht mit der Rechtsprechung des damals für Grundbuchsachen zuständigen 32. Zivilsenats (Beschluss vom 13.6.2006, 32 Wx 079/06 = DNotZ 2007, 41) davon aus, dass eine im Außenverhältnis unbeschränkte Vollmacht den Bevollmächtigten nicht zur Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Grundbuchamt berechtigt, die ihm durch eine interne Abrede mit dem Vollmachtgeber in derselben Urkunde untersagt sind, wenn evident ist, dass dem Vollmachtgeber durch die Erklärung ein Vermögensschaden entsteht. Evident muss nach dieser Entscheidung auch die Überschreitung der intern vereinbarten Beschränkungen sein.

(Rn. 26) Ob dem auch der nun für Grundbuchsachen zuständige 34. Senat im dort gegebenen Fall gefolgt wäre (ablehnend Demharter § 19 Rn. 76; Holzer NotBZ 2007, 29; Munzig DNotZ 2007, 43), kann auf sich beruhen. Dort durften im Innenverhältnis die Vollmachten nur zu solchen Änderungen verwendet werden, durch die die Rechte der Käufer bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht geschmälert werden. Hier erklärt sich der Käufer hingegen mit Änderungen der Teilungserklärung unter der Voraussetzung einverstanden, dass ihm hierdurch keine zusätzlichen Belastungen entstehen und das Sondereigentum sowie die ihm zugewiesenen Sondernutzungsrechte nicht berührt werden. Das Sondereigentum wird durch die beabsichtigte Änderung nicht berührt. Was unter „zusätzlichen Belastungen“ zu verstehen ist, erschließt sich zwar nicht auf den ersten Blick. Falls damit aber rechtliche wie wirtschaftliche Nachteile jeglicher Art gemeint sein sollten, ist nicht ersichtlich, weshalb, ohne Zusätze wie „insbesondere“ oder „besonders“, noch ausdrücklich festgehalten ist, dass das Sondereigentum nicht berührt werden darf (vgl. Senat vom 17.2.2009, 34 Wx 091/08 = FGPrax 2009, 105).

(Rn. 27) Vor allem ergibt sich jedoch aus den im Vertrag aufgeführten zulässigen Änderungen der Teilungserklärung, dass die Neubegründung von Sondernutzungsrechten am gemeinschaft-lichen Eigentum von den jeweiligen Vollmachten erfasst sein sollte. Dass damit auch Änderungen im Bereich der Tiefgarage inmitten standen, ergibt sich aus Ziff. V. der Teilungserklärung vom 13.4.2010, auf die in den Kaufverträgen jeweils Bezug genommen wurde. Auch wenn bis dahin ein Sondernutzungsrecht an Stellplätzen in der Tiefgarage noch nicht eingeräumt worden war, konnten die Erwerber schon aus der Formulierung der Teilungserklärung nicht davon ausgehen, dass die Tiefgarage vollständig in gemeinschaftlicher Nutzung (§ 13 Abs. 2 WEG) verbleiben würde.“

S. 249 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

d) Zeitliche Begrenzung der Vollmacht (OLG München, 10.4.2013 – 34 Wx 31/13)

Typischerweise enden solche Vollmachten mit der Veräußerung der letzten Einheit durch den Bauträger.

– Dann braucht der Bauträger die Vollmacht nicht mehr (es sei denn, er hätte zuvor eine erforderliche Änderung vergessen).

– V.a. beschränkt die zeitliche Befristung auch die Belastung des Erwerbers. Daher ist sie auch AGB-rechtlich sinnvoll.

– Manche Muster sehen vor, dass die Vollmacht dann auf den WEG-Verwalter übergeht. Die Zulässigkeit einer solchen Klausel ist meines Wissens noch nicht entschieden. Aber für sinnvoll halte ich sie jedenfalls nicht. Denn angesichts deutlicher Gegenargumente wird sich kaum ein WEG- Verwalter trauen, die Vollmacht dann auch tatsächlich zu verwenden.

Bei der zeitlichen Begrenzung sollte man genau achten, wie man formuliert. Dies zeigt

OLG München, Beschl. v. 10.4.2013 – 34 Wx 31/13, DNotI-Report 2013, 125 = MittBayNot 2013, 378 m. Anm. Kreuzer = NJW-RR 2013, 1484 = NotBZ 2013, 324 = ZWE 2013, 319

Leitsätze: 1. Zur zeitlichen Begrenzung der Ermächtigung des Bauträgers, Sonder-nutzungsrechte zuzuweisen.

2. Im Zweifelsfall ist - ähnlich wie bei Grundbuchvollmachten - vom (zeitlich) geringeren Umfang der Zuweisungsbefugnis auszugehen.

Sachverhalt:

– In der Vollmacht für den Bauträger hieß es: „Das Recht, Sondernutzungsrechte durch Zuweisung zu begründen, endet mit dem Verkauf der letzten Wohnungs- oder Teileigentumseinheit in der Wohnanlage. Soweit dann einzelne Sonder-nutzungsrechtsflächen nicht zugeordnet sind, erlischt an den nicht zugeordneten Sondernutzungsrechtsflächen das Sondernutzungsrecht; diese Flächen stehen dann allen Wohnungs- und Teileigentümern zur gemeinschaftlichen Nutzung zu.“

– Nachdem der Bauträger Kaufverträge über alle Wohnungs- und Teileigentums-einheiten abgeschlossen hatte, aber vor der Umschreibung der letzten Einheit wollte der Bauträger noch einen Stellplatz als Sondernutzungsrecht zuweisen.

Entscheidung: Das Grundbuchamt versagte die Eintragung. Das OLG München gab ihm recht. Denn im Grundbuchverfahrensrecht gilt der Grundsatz, dass Vollmachten im Zweifel zwischen mehreren Auslegungsmöglichkeiten eng auszulegen sind, d.h. im Sinne der engeren Auslegung. Danach war „Verkauf der letzten Wohnungs- oder

S. 250 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Teileigentumseinheit“ bereits der Abschluss des letzten schuldrechtlichen Vertrages, nicht erst dessen Vollzug im Grundbuch.

Kommentar: Die Entscheidung des OLG München ist m.E. richtig.

Stellt man nur auf den „Verkauf“ ab, kommt man schon in Argumentations-schwierigkeiten, wenn im letzten Kaufvertrag selbst noch ein Sondernutzungsrecht zugewiesen wird. Dass das noch möglich sein soll, dürfte auf der Hand liegen. Aber auch dann muss man erst einmal gegen den Wortlaut der Vollmacht und den grundbuchverfahrensrechtlichen Grundsatz der engen Auslegung argumentieren.

Für die Vertragsgestaltung sinnvoller ist daher folgende übliche Formulierung:

Die Vollmacht erlischt mit Umschreibung des Eigentums an sämtlichen Wohnungs- und Teileigentumseinheiten im vertragsgegenständlichen Anwesen auf etwaige Käufer.

2. Änderung der Teilungserklärung

a) Zweckbestimmung nach Unterteilung (OLG München, 5.7.2013 - 34 Wx 155/13)

Mit der Befugnis zum Speicherausbau und anschließenden Bildung von Wohnungs-eigentum befasst sich

OLG München, Beschl.. v. 5.7.2013 - 34 Wx 155/13, FGPrax 2013, 203 = MDR 2013, 1025 = NJW-Spezial 2013, 547 = ZWE 2013, 355

Leitsätze: 1. Zur Unterteilung von Wohnungseigentum bei gleichzeitiger Umwand-lung von Teileigentum in Wohnungseigentum.

2. Regelt die Gemeinschaftsordnung, dass der Eigentümer den zu seiner Wohnung gehörenden Speicher zu einer selbständigen Eigentumswohnung unter Bildung von Wohnungs- oder Teileigentum nach Aufteilung der Miteigentumsanteile ausbauen darf, „und zwar im Rahmen der baurechtlichen Bestimmungen nach noch einzu-holender Baugenehmigung“, so ist dies regelmäßig nicht als Einschränkung der vorweggenommenen Zustimmung zur Änderung der Teilungserklärung zu verstehen.

S. 251 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Sachverhalt:

– Zum Sondereigentum einer Wohnung gehörte auch ein noch nicht ausgebauter Speicher. In der Teilungserklärung war dem Eigentümer folgendes „Ausbaurecht“ eingeräumt worden:

„Der Eigentümer der im Aufteilungsplan mit Nr. 15 … bezeichneten Eigentumswohnung darf den Speicher, der zu diesem Sondereigentum gehört und über der Wohnung Nr. 15 … liegt, zu einer selbständigen Eigentumswohnung ausbauen, und zwar im Rahmen der baurechtlichen Bestimmungen nach noch einzuholender Baugenehmigung auf eigene Rechnung und Risiko. Ihm wird hiermit auch das Recht eingeräumt, daran Wohnungs- oder Teileigentum zu bilden, und zwar unter Aufteilung des Miteigentumsanteils seiner Wohnungs- und/oder Teileigentumseinheit, zu der der Speicher gehört, und unter Aufteilung seines Sondereigentums und der damit verbundenen Rechte.“

– Nach erfolgtem Ausbau wollte der Eigentümer der Wohnung Nr. 15 diese unterteilen und den Speicher als eigenes Wohnungseigentum eintragen lassen. Das Grundbuchamt meinte, ohne Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer könnte er die neue Einheit nur als Teileigentum „Speicher“ eintragen lassen. Denn seine Befugnis umfasse nicht das Recht zum Ausbau und zur Wohnnutzung, aber nicht das zur Umwandlung von Teil- in Wohnungseigentum.

Dagegen legte der Eigentümer Beschwerde ein. Das OLG München gab ihm recht. Die Teilungserklärung gab ihm ausdrücklich die Befugnis zur baulichen Umwandlung (und Aufteilung) – und damit konkludent auch zur rechtlichen Umwandlung in Wohnungseigentum.

(Juris Rn. 14) „1. Ein Wohnungseigentümer kann sein Wohnungseigentum unter vollständiger Aufteilung der bisherigen Raumeinheit in mehrere in sich wiederum abgeschlossene Raumeinheiten in eine der Zahl dieser Raumeinheiten entsprechende Zahl von selbständigen Wohnungseigentumsrechten unterteilen, ohne dass er dazu nach dem Gesetz der Zustimmung anderer Wohnungseigentümer oder Dritter bedarf (BGHZ 49, 250; 73, 150/152); gleichzeitig veräußern muss er eines der geschaffenen Teilrechte nicht (…). Notwendig ist entsprechend § 8 WEG die Erklärung des unterteilenden Eigentümers gegenüber dem Grundbuchamt (…).

(Rn. 15) 2. In der Rechtsprechung geklärt ist auch, dass unselbständige - nicht unmittelbar Wohnzwecken dienende - Räume wie Keller-, Speicherräume oder Garagen eines Wohnungseigentums durch die Aufteilung ihre Zweckbestimmung als Wohnungs- bzw. Teileigentum nicht ändern (…). Wird deshalb - wie hier - die Unterteilung so vorgenommen, dass die neu geschaffenen Einheiten aus der ursprünglichen Wohnung (mit Tiefgaragenstellplatz) einerseits und aus dem ursprünglichen Speicher andererseits gebildet werden, so besteht die vormalige in der Gemeinschaftsordnung festgelegte Zweckbestimmung fort (BGHZ 73, 150/152; …; siehe auch OLG Braunschweig MDR 1976, 1023), ohne dass es auf die tatsächliche - möglicherweise vereinbarungswidrige - Nutzung ankommt.

(Rn. 16) 3. Anders als das Grundbuchamt sieht der Senat jedoch durch die Gemeinschafts-ordnung die Mitwirkung der Wohnungseigentümer bei der Umwandlung von Wohnungs- in Teileigentum und umgekehrt als abbedungen an (BayObLGZ 1989, 28/31; 1997, 233/236; BayObLG ZMR 2000, 468). Er hat hierbei die Gemeinschaftsordnung selbständig nach den allgemeinen Regeln für die Auslegung von Grundbucherklärungen auszulegen (siehe BayObLGZ 1989, 28/31).

(Rn. 17) … a) Aus § 10 GO ergibt sich die Befugnis des Wohnungseigentümers, die Räumlichkeit mit der Zweckbestimmung als Speicher zu einer selbständigen Eigentumswohnung auszubauen. Ausdrücklich wird ihm sogar das Recht eingeräumt, daran Wohnungs- oder Teileigentum zu

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bilden. Demnach ist es ihm freigestellt, die Zweckbestimmung der Speicherräume auch dahin abzuändern, dass diese zu Wohnzwecken dienen …“

Vorliegend war dem Eigentümer sogar ausdrücklich die Befugnis zur Unterteilung und Bildung von „Wohnungs- oder Teileigentum“ erteilt worden. Die Befugnis zur baulichen Umwidmung hätte aber wohl schon genügt.

b) Umwandlung eines schuldrechtlichen in ein dingliches Sondernutzungsrecht (OLG München, 11.05.2012 - 34 Wx 137/12 und 18.4.2013 - 34 Wx 363/12)

Zwei Entscheidungen des OLG München behandeln die Umwandlung eines schuld-rechtlichen in ein dingliches Sondernutzungsrecht („Upgrade“). Daran wundert mich nicht das rechtliche Ergebnis, sondern die Tatsache, warum jemand zunächst nur schuldrechtliche Sondernutzungsrechte ohne Grundbucheintragung vereinbart.

aa) OLG München, Beschl. v. 11.05.2012 - 34 Wx 137/12, NJW-RR 2013, 135 = NZM 2013, 384 = ZfIR 2012, 608 = ZWE 2012, 367

Leitsatz: Für die Eintragung eines bisher nicht gebuchten („schuldrechtlichen“) Sondernutzungsrechts (hier: Pkw-Stellplatz) im Grundbuch eines Wohnungs-eigentums ist bei bestehender Wohnungseigentümergemeinschaft die Mitwirkung aller Wohnungseigentümer in Form der Bewilligung erforderlich.

Sachverhalt:

– Eine Teilungserklärung aus dem Jahr 1987 regelt:

„Auf dem Grundstück sind die im Teilungsplan mit den Nummern St 1 bis St 6 bezeichneten Flächen zur Verwendung als Fahrzeugstellplätze vorgesehen.

Nach § 15 WEG wird der Gebrauch dieser Stellplätze wie folgt geregelt: ...

Die Stellplätze stehen dem derzeitigen Grundstückseigentümer, solange er zur Miteigentümergemeinschaft gehört, zur alleinigen und ausschließlichen Benutzung auch dann zu, wenn er nicht mehr Alleineigentümer des Grundstücks ist. Er darf dieses Benutzungsrecht zur Ausübung an Dritte überlassen.

Der derzeitige Grundstückseigentümer ist befugt, sein ausschließliches Benutzungsrecht an den Stellplätzen ganz oder teilweise auf andere Miteigentümer zu übertragen. Diese Übertragung bedarf nicht der Zustimmung etwaiger anderer Miteigentümer.

Auch nach Übertragung eines ausschließlichen Benutzungsrechtes bleibt dieses ohne Zustimmung der anderen Miteigentümer innerhalb der Eigentümergemeinschaft übertragbar.“

– Der Wohnung wurde ein Sondernutzungsrecht zugeordnet. Nach mehreren zwischenzeitlichen Veräußerungen (auch einer im Weg der Zwangsversteigerung) sollte bei einer Veräußerung im Jahr 2012 das Sondernutzungsrecht eingetragen werden. Der Notar verwies dazu auf die ursprüngliche Zuordnung im Kaufvertrag.

S. 253 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Bei einem dinglichen Sondernutzungsrecht (genauer „verdinglichten“ Sonder-nutzungsrecht) hätte sich der Erwerber auf die Grundbucheintragung berufen können. Bei einem schuldrechtlichen Sondernutzungsrecht genügt aber der ursprüngliche Kaufvertrag nicht. Es hätte ja zwischenzeitlich abgetreten sein können.

Daher war grundbuchverfahrensrechtlich für die Eintragung die Zustimmung aller Wohnungseigentümer erforderlich.

(Juris Rn. 21) „a) Das Sondernutzungsrecht als Form der Gebrauchsregelung gemeinschaftlichen Eigentums (§ 15 Abs. 1 WEG) wurde in der Teilungserklärung dem ursprünglichen Alleineigen-tümer vorbehalten. Es war keinem bestimmten Sondereigentum zugeordnet. Der Alleineigentümer konnte es - auch ohne dass dies im Grundbuch verlautbart wurde - durch Abtretung nach § 398 BGB an ein anderes Mitglied der Gemeinschaft übertragen (h. M.; vgl. …). Er hat dies bei der Veräußerung seines Wohnungseigentums an Herrn S. so erklärt.

(Rn. 22) b) Die (Weiter-) Veräußerung führt auch grundsätzlich - ohne dass die Abtretung im Kaufvertrag ausdrücklich verlautbart sein müsste (OLG Hamm FGPrax 1998, 175; OLG Schleswig FGPrax 1996, 56; …) - zum Übergang des schuldrechtlichen Sondernutzungsrechts nach § 746 BGB (a.A. …). Anders ist dies aber, wenn der jeweilige Voreigentümer das Sonder-nutzungsrecht, wie in der Teilungserklärung geregelt, ganz oder teilweise auf andere Miteigen-tümer übertragen hat. Dann steht zwar nicht - wie etwa bei der Aufhebung des Rechts - den Wohnungseigentümern in ihrer Gesamtheit oder der Eigentümergemeinschaft selbst das Recht an der Stellfläche zu, wohl aber einem anderen Wohnungseigentümer als gerade dem hiesigen Verkäufer.

(Rn. 23) c) Mangels bisheriger Eintragung (vgl. § 10 Abs. 3 WEG) spricht auch keine Vermutung (§ 891 BGB) für die Zugehörigkeit des Sondernutzungsrechts an dem Stellplatz gerade zum gegenständlichen Wohnungseigentum. Das Sondernutzungsrecht kann entsprechend der Teilungserklärung zwischen den Wohnungseigentümern ein und derselben Eigentümergemein-schaft ohne Zustimmung der anderen außerhalb des Grundbuchs wirksam übertragen werden (vgl. …). Deshalb ist es für das Grundbuchamt namentlich nicht auszuschließen noch gänzlich unwahrscheinlich, dass dies in der Vergangenheit auch geschehen ist. Weil das Grundbuch eine Zuordnung des Sondernutzungsrechts zu einem Sondereigentum bisher nicht verlautbart, ist für die begehrte Buchung des Stellplatzrechts beim Wohnungseigentum des Beteiligten zu 2 als Erwerbers die Bewilligung (§ 19 GBO) aller Miteigentümer notwendig, was sich auch daraus ergibt, dass mit der Eintragung im Grundbuch eine Schmälerung der bisher verlautbarten Rechtsposition der Miteigentümer einhergeht.“

bb) Dies bestätigte das OLG München, Beschl. v. 18.4.2013 - 34 Wx 363/12, NotBZ 2013, 318 = Rpfleger 2013, 514 = ZfIR 2013, 566 = ZMR 2013, 845 = ZWE 2013, 357

Leitsatz: Zur nachträglichen Eintragung eines bisher nicht gebuchten (schuldrecht-lichen) Sondernutzungsrechts ist grundsätzlich die Mitwirkung aller Wohnungs-eigentümer notwendig, wenn die Teilungserklärung vorsieht, dass der Inhaber des Rechts dieses - formfrei - auf einen anderen Miteigentümer übertragen kann (Ergänzung zu OLG München vom 11. Mai 2012, 34 Wx 137/12).

S. 254 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

IV. Beschlussfassung der Wohnungseigentümer (SH)

1. Teilflächenveräußerung: Keine Beschlusskompetenz der Eigentümer-gemeinschaft

– BGH, Urt. v. 12.4.2013 - V ZR 103/12, DNotI-Report 2013, 109 = NJW 2013, 1962 = NotBZ 2013, 346 = ZfIR 2013, 646 m. Anm. Rüscher = ZNotP 2013, 181. Vgl. hierzu Elzer, NotBZ 2013, 409; Reymann, ZWE 2013, 315; Suppliet, NotBZ 2013, 346.

a) Problemaufriss

Die Wohnungseigentümer können ihr Verhältnis untereinander gem. § 10 Abs. 2 S. 2 WEG durch Vereinbarung regeln. Hiervon zu unterscheiden ist eine vertragliche Regelung betreffend die sachenrechtliche Zuordnung, welche nicht Gegenstand einer Vereinbarung i. S. v. § 10 Abs. 2 S. 2 WEG sein kann. Der Anspruch auf Abschluss bzw. Anpassung einer Vereinbarung gem. § 10 Abs. 2 S. 3 WEG kommt somit nur in Betracht, wenn es um die inhaltliche Ausgestaltung des Gemeinschaftsverhältnisses geht.

Sofern die sachenrechtlichen Grundlagen der Gemeinschaft betroffen sind, findet § 10 Abs. 2 S. 3 WEG hingegen keine Anwendung. Ein Anspruch auf Mitwirkung an einer Änderung ist nur aufgrund der Treuepflicht denkbar (hierzu sogleich). Unter die sachenrechtlichen Grundlagen der Gemeinschaft betreffende Rechtsgeschäfte fallen insbesondere

• die Umwidmung von Wohnungseigentum in Teileigentum bzw. von Teileigentum in Wohnungseigentum

• die Änderung der in der Teilungserklärung ausgewiesenen Miteigentumsanteile

• die Umwandlung von Sondereigentum in Gemeinschaftseigentum bzw. von Gemeinschaftseigentum in Sondereigentum

• die Veräußerung des gemeinschaftlichen Eigentums404

sowie

• die Belastung des gemeinschaftlichen Grundstücks mit beschränkten dinglichen Rechten zugunsten Dritter.405

Demgegenüber betrifft der Erwerb einer Sondereigentumseinheit durch die Wohnungseigentümergemeinschaft bzw. eine entsprechende Veräußerung nicht die

404 Insoweit kommt eine organschaftliche Vertretung der Wohnungseigentümer durch den

Verwalter nicht in Betracht. Auch ein ermächtigender Beschluss i. S. v. § 27 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 WEG ändert daran nichts. Möglich ist freilich eine Vertretung der Wohnungseigentümer – genauer jedes einzelnen Eigentümers - durch den Verwalter als deren rechtsgeschäftlich Bevollmächtigter (Reymann, ZWE 2013, 315).

405 Vgl. Reymann, ZWE 2013, 315, 317; Rüscher, ZfIR 2013, 648, 649, jeweils m. w. N.

S. 255 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

sachenrechtlichen Grundlagen der Gemeinschaft. Vielmehr tritt der Verband insoweit als Rechtsträger i. S. v. § 10 Abs. 6 S. 1 WEG auf, weshalb ganz überwiegend die Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit hinsichtlich des Erwerbs bzw. der Veräußerung einer Sondereigentumseinheit in der eigenen Wohnanlage durch den Verband für ausreichend erachtet wird.406

b) Sachverhalt

In dem der Entscheidung des BGH vom 12.4.2013 zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Grundstücksnachbar einer Wohnungseigentümergemeinschaft eine Mauer zur Abgrenzung der beiden Grundstücke teilweise auf dem Grundstück der Wohnungseigentümer errichtet (betroffen waren 7 qm von insgesamt 5.500 qm Grundstücksfläche). Daraufhin beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich, dem Nachbarn die durch die Mauer abgetrennte gemeinschaftliche Teilfläche für 5.000 € zu verkaufen. Die Verwalterin schloss einige Zeit später als Vertreterin der Eigentümergemeinschaft einen notariellen Grundstückskaufvertrag, welcher von nahezu allen Eigentümern genehmigt wurde. Da ein Eigentümer die Genehmigung verweigerte, beschlossen die Wohnungseigentümer einige Jahre später, den Verkauf nunmehr zu vollziehen und – sofern der Mehrheitsbeschluss für die Vollziehung im Grundbuch nicht ausreiche – die nicht zustimmenden Eigentümer ggf. gerichtlich in Anspruch zu nehmen.

c) Entscheidung

Im Einklang mit dem Berufungsgericht verneint der V. Zivilsenat einen Anspruch der übrigen Miteigentümer gegen den die Genehmigung verweigernden Eigentümer.

Mangels Beschlusskompetenz lässt sich ein derartiger Anspruch weder aus dem ursprünglichen Beschluss betreffend den Verkauf noch aus dem später gefassten Beschluss betreffend die Vollziehung des Vertrages sowie die Inanspruchnahme der nicht zustimmenden Wohnungseigentümer ableiten. Denn eine Veräußerung von Teilen des gemeinschaftlichen Grundstücks betrifft die sachenrechtlichen Grundlagen der Gemeinschaft und stellt schon aus diesem Grund […] keine Verwaltung i. S. v. § 21 Abs. 3 WEG dar.407

Aus demselben Grund scheidet ein Anspruch gem. § 10 Abs. 2 S. 3 WEG aus. Vorliegend soll nicht das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer inhaltlich ausgestaltet, sondern die sachenrechtliche Zuordnung vertraglich geregelt werden.

Der Anspruch kann auch nicht auf § 745 Abs. 2 BGB gestützt werden, da das WEG ein abschließendes Regelungskonzept enthält.

406 Vgl. Rüscher, ZfIR 2013, 648, 649; Bärmann/Klein, WEG, 12. Aufl. 2013, § 10 Rn. 223,

jeweils m. w. N. 407 BGH NJW 2013, 1962 Tz. 8.

S. 256 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Allenfalls käme ein Anspruch auf Mitwirkung aus der Treuepflicht im Verhältnis zu den übrigen Wohnungseigentümern in Betracht. Ein derartiger Anspruch ist indes nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen zu bejahen, wenn

„außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Verweigerung der Zustimmung als grob unbillig und damit als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben erscheinen lassen.“408

Der BGH betont, dass derartige außergewöhnliche Gründe nicht bereits dann vorliegen, wenn eine Handlungsalternative sinnvoller als die andere erscheint. Vor diesem Hintergrund ist vorliegend nicht zu beanstanden, wenn der beklagte Miteigentümer das fortbestehende Eigentum an der Teilfläche der möglichen Einnahme von 5.000 € vorzieht.409

d) Fazit

Der vorliegenden Entscheidung des V. Zivilsenats ist uneingeschränkt zuzustimmen. Wie bereits eingangs erwähnt, gelten die vorbeschriebenen Grundsätze nicht nur für eine Teilflächenveräußerung durch die Wohnungseigentümer, sondern für sämtliche Verfügungen betreffend das gemeinschaftliche Eigentum.

aa) Sehr hohe Anforderungen an Mitwirkungspflicht aufgrund Treu und Glauben

Die Entscheidung illustriert ferner, dass die Anforderungen an eine Mitwirkungspflicht aufgrund der Treuebindung deutlich höher als die in § 10 Abs. 2 S. 3 WEG normierten „schwerwiegenden Gründe“ sind. Angesichts dessen, dass vorliegend lediglich eine geringfügige Teilfläche verkauft werden sollte (7 qm von 5.500 qm, was 0,13 % des Gesamtgrundstücks entspricht), wird man wohl nur dann von außergewöhnlichen Umständen ausgehen können, wenn allein die geforderte Maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung entspräche.410

bb) Straßengrundabtretungen

Ob mit Blick auf die Ausführungen des BGH in der Entscheidung vom 12.4.2013 weiterhin an der mitunter vertretenen Auffassung festzuhalten ist, dass es sich für die Abtretung von Straßengrund um eine Maßnahme der ordnungsmäßigen Verwaltung handele (Arg.: Vermeidung einer Zwangsenteignung), welche gem. § 21 Abs. 3 WEG durch Stimmenmehrheit beschlossen werden kann, erscheint nicht zweifelsfrei. Jedenfalls auf die verhältnismäßige Geringfügigkeit der betroffenen

408 BGH NJW 2013, 1962 Tz. 12 m. w. N. 409 Vgl. näher BGH NJW 2013, 1962 Tz. 13 zu den einzelnen, sich aus dem Eigentum

ergebenden Rechten der Gemeinschaft. 410 Rüscher, ZfIR 2013, 648, 650.

S. 257 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Fläche dürfte sich eine derartige Kompetenz in Anbetracht der vorliegenden Entscheidung nicht stützen lassen. Im Übrigen steht dem Träger der Straßenbaulast nicht stets ein Enteignungsrecht zu.411

Vor diesem Hintergrund dürfte es sich empfehlen, auch bei der Veräußerung von Teilflächen des Gemeinschaftseigentums an den Straßenbaulastträger auf eine Mitwirkung aller Wohnungseigentümer hinzuwirken.412

e) Exkurs: Vormerkung nur an einem Miteigentumsanteil zur Sicherung des Anspruchs auf eine Teilfläche des Gemeinschaftseigentums?

– OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.3.2013 - I-3 Wx 240/12, NJW-RR 2013, 1174. Hierzu Elzer, NotBZ 2013, 409.

Da die Verfügung über eine reale Teilfläche des gemeinschaftlichen Eigentums die Mitwirkung aller Wohnungseigentümer voraussetzt, steht die Rechtsprechung auf dem Standpunkt, dass eine Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Verschaffung eines Miteigentumsanteils an einer Teilfläche nicht lediglich an einem Miteigentumsanteil eingetragen werden kann. Bestätigt wurde diese Position in der obergerichtlichen Rechtsprechung jüngst vom OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 22.3.2013 (I-3 Wx 240/12).413 Das Gericht begründet dies damit, dass nur alle Wohnungseigentümer gemeinsam den entsprechenden Anspruch erfüllen könnten.

Hieraus ist allerdings nicht zu folgern, dass eine derartige Vormerkung nur an allen Einheiten gleichzeitig eingetragen werden kann. Ein berechtigtes Interesse an einer derartigen Vormerkung besteht beispielsweise dann, wenn derzeit nur zwei der vier Miteigentümer zum Verkauf bereit sind und der Erwerbsinteressent sich ihrer Zustimmung versichern möchte, um zu verhindern, dass sie sich es ggf. in dem Moment anders überlegen, in welchem die anderen beiden Miteigentümer bzw. deren Rechtsnachfolger (endlich) zur Veräußerung bereit sind. Richtigerweise ist dieser Anspruch daher als künftiger Anspruch i. S. v. § 883 Abs. 1 S. 2 BGB sicherbar, da sich die jeweiligen Schuldner nicht mehr einseitig ihrer Verpflichtung entziehen können („Rechtsboden“). Aufgrund des Charakters des zu sichernden Anspruchs als künftiger Anspruch ist auch nicht von einer Unmöglichkeit nach § 275 BGB mit der Folge der Unwirksamkeit der Vormerkung wegen ihrer Akzessorietät auszugehen.414

2. Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer zum Einbau von Rauchwarnmeldern

411 Vgl. Reymann, ZWE 2013, 315, 316, auch zu diesbezüglichen Öffnungsklauseln. 412 Suppliet, NotBZ 2013, 346, 347. 413 OLG Düsseldorf NJW-RR 2013, 1174. 414 Vgl. in diesem Sinne Hoffmann, MittBayNot 2002, 155, 156 f.; Elzer, NotBZ 2013, 409, 410;

MünchKommBGB/Kohler, 6. Aufl. 2013, § 883 Rn. 41; a. A. Staudinger/Gursky, BGB, Neubearb. 2013, § 883 Rn. 100 (Arg.: fehlende völlige Identität von Schuldner und Rechtsinhaber); BayObLG DNotZ 1987, 367; BayObLG MittBayNot 2002, 189 f.

S. 258 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– BGH, Urt. v. 8.2.2013 – V ZR 238/11, NJW 2013, 3092 = ZNotP 2013, 236.

WEG §§ 5, 10 Abs. 6 S. 3, 14 Nr. 4, 21 Abs. 3, 46; HbgBauO § 45 Abs. 6; BGB §§ 94 Abs. 2, 97

Beschlusskompetenz betreffend den Einbau von Rauchwarnmeldern

1. Die Wohnungseigentümer können den Einbau von Rauchwarnmeldern in Wohnungen jedenfalls dann beschließen, wenn das Landesrecht eine entsprechende eigentumsbezogene Pflicht vorsieht.

2. Rauchwarnmelder, die auf Grund eines Beschlusses der Wohnungseigentümer angebracht worden sind, stehen nicht im Sondereigentum.

3. Mehrheitserfordernis bei einer eine optische Veränderung bewirkenden baulichen Maßnahme

– BGH, Urt. v. 14.12.2012 - V ZR 224/11 (Zustimmungserfordernis zu baulicher Veränderung), DNotZ 2013, 602 = ZfIR 2013, 201 m. Anm. Hogenschurz Vgl. hierzu auch Hogenschurz, ZfIR 2013, 163, Niedenführ, LMK 2013, 343927.

a) Sachverhalt

In dem der Entscheidung des BGH vom 14.12.2012 (V ZR 224/11) zugrunde liegenden Sachverhalt beschlossen die Wohnungseigentümer, die sanierungsbedürftigen, aus Holz gefertigten Balkonbrüstungen „im Wege der modernisierenden Instandsetzung“ durch solche aus Stahl und Glas zu ersetzen, wodurch Mehrkosten von 210.000 € entstehen (280.000 € im Vergleich zu 70.000 € für die Sanierung der Holzbrüstungen). Hiergegen wenden sich die überstimmten Eigentümer mit einer Beschlussanfechtungsklage.

b) Entscheidung

aa) Bauliche Veränderungen, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen, bedürfen nach § 22 Abs. 1 S. 1 WEG der Zustimmung jedes nachteilig betroffenen Eigentümers.

„Nachteil ist jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung. Sie muss konkret und objektiv sein; entscheidend ist, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in der entsprechenden Lage verständlicherweise beeinträchtigt fühlt.“415

415 BGH DNotZ 2013, 602 Tz. 4.

S. 259 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Geht mit der Maßnahme eine erhebliche optische Veränderung des gesamten Gebäudes einher, ist dies nach Ansicht des BGH regelmäßig als Nachteil im vorstehenden Sinne anzusehen.

bb) Der V. Zivilsenat weist allerdings darauf hin, dass der Sanierungsbeschluss vorliegend möglicherweise auf § 22 Abs. 3 i. V. m. § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG gestützt werden kann. Hierfür müsste es sich um eine modernisierende Instandsetzung handeln, die mit einfacher Mehrheit beschlossen werden kann (vgl. § 21 Abs. 3 WEG). Sofern die Neuerung eine technisch bessere oder wirtschaftlich sinnvollere Lösung darstellt, darf eine Maßnahme ordnungsmäßiger Instandhaltung und Instandsetzung über die bloße Reparatur oder Wiederherstellung des früheren Zustands hinausgehen. Von besonderer Bedeutung ist insoweit eine Kosten-Nutzen-Analyse. Amortisieren sich die Mehraufwendungen innerhalb eines angemessenen Zeitraums (10 Jahre), hält sich die Maßnahme noch im Rahmen der modernisierenden Instandsetzung.

cc) Selbst wenn eine modernisierende Instandsetzung nicht zu bejahen sein sollte, könnte sich eine Beschlusskompetenz ferner aus § 22 Abs. 2 S. 1 WEG ergeben, wonach weitergehende Modernisierungen (vgl. § 555b Nr. 1-5 BGB) durch qualifizierte Mehrheit beschlossen werden können. Die angeordnete entsprechende Heranziehung der mietrechtlichen Regelung lässt Raum für eine großzügigere Handhabung des Modernisierungsbegriffes, wodurch einer Verkehrswertminderung durch Anpassung der Wohnungsanlage an die „Erfordernisse der Zeit“ entgegengewirkt werden kann. Ausreichend ist deshalb,

„dass die Maßnahme aus der Sicht eines verständigen Wohnungseigentümers eine sinnvolle Nutzung darstellt, die voraussichtlich geeignet ist, den Gebrauchswert des Wohnungseigentums nachhaltig zu erhöhen.“ 416

Die Maßnahme darf allerdings keine Änderung der Eigenart der Wohnanlage nach sich ziehen und keinen Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig beeinträchtigen (§ 22 Abs. 2 S. 1 WEG).

dd) Ob die Voraussetzungen der Beschlusskompetenzen nach § 22 Abs. 2 S. 1 bzw. Abs. 3 WEG ist bei streitigem Sachvortrag durch Sachverständigengutachten zu klären.

416 BGH DNotZ 2013, 602 Tz. 12.

S. 260 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

V. Erbbaurecht (K )

Das Erbbaurecht in einer Rechtsstruktur zu verstehen ist nicht ganz einfach. Das Recht, auf einem Grundstück ein Gebäude zu haben, ist eigentlich Dienstbarkeit. Insofern konsequent wird es auch in Abt. II des Grundbuchs eingetragen. Dass es aber selbst wieder ein eigenes Grundbuchblatt erhält, selbst verkehrsfähig und auch belastbar ist, führt dazu, dass neben dem Eigentum am Grundstück ein faktische Zweiteigentum entsteht. Beide segeln nebeneinander her und machen uns so das Leben schwer (Reim vom Verfasser ☺).

Obschon das Erbbaurechtsgesetz am 22. Januar schon 95 Jahre alt geworden ist und die früheren Bestimmungen im BGB schon 114 Jahre alt sind, beschäftigen uns dessen Fragen doch immer wieder. Dazu nachstehend einige praxisrelevante Entscheidungen und Hinweise.

1. OLG München v. 10.12.2012417 - Bestimmtheit des Gebäudes -

Das OLG München hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem im Jahr 1951 ein

Erbbaurecht mit folgendem Inhalt vereinbart und auch unter Bezugnahme auf die

Eintragungsbewilligung im Grundbuch verzeichnet worden war:

„Das ist das veräußerliche und vererbliche Recht auf oder unter der

Oberfläche des Grundstücks ein Bauwerk zu haben. Das Erbbaurecht erstreckt

sich auch auf den für das Bauwerk nicht erforderlichen Teil des Grundstücks,

den Herr M. K. als Hofraum, Lagerplatz und Garten benützen will.“

Mehr war nicht vereinbart worden, mehr stand nicht in der Bewilligung.

Im Jahr 2011 nun beantragte der Grundstückseigentümer, das Erbbaurecht wegen

inhaltlicher Unbestimmtheit von Amts wegen zu löschen. Er begründete dies damit,

dass der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz und das Publizitätsprinzip des

Grundbuchs nicht gewahrt seien.

a) Die Entscheidung

Das OLG wies die Beschwerde des Grundstückseigentümers ebenso zurück wie das

Grundbuchamt schon den Antrag zurückgewiesen hatte.

417 OLG München v. 10.12.2012 - 34 Wx 523/11, RNotZ 2013, 226 = FGPrax 2013, 62 = NotBZ 2013, 118.

S. 261 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Zur Begründung führt das OLG aus, es sei zwar für die Zulässigkeit eines

Erbbaurechts zwingend erforderlich, dass das betreffende Gebäude mit der

notwendigen sachenrechtlichen Bestimmtheit bezeichnet sei.

Eine „zu engherzige Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes“ sei „jedoch nicht

angezeigt.“ So sei es möglicherweise bei einem Gewerbegebäude erforderlich dieses

genauer zu umschreiben, bei einem Wohnhaus reiche aber allemal dessen Bezeich-

nung als solches. Da im vorliegenden Fall aber noch nicht einmal das gegeben war,

führt der Senat weiter aus, dass neben den greifbaren Inhaltsbestimmungen in der

Eintragung, der Eintragungsbewilligung und dem Erbbaurechtsvertrag letztlich auch

auf „offenkundige örtliche Verhältnisse,“ und etwaige „gegenständlich beschränkte

Bebauungsmöglichkeiten“ abzustellen sei. Die örtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der

Bestellung könnten danach ebenfalls den Inhalt ausreichend bestimmen.

Obschon das Bauwerk zum Zeitpunkt der Bestellung des Erbbaurechts noch nicht

errichtet war, aus den Erklärungen der Beteiligten auch direkt nicht ersichtlich war,

welche Qualität das Gebäude haben würde und nur die vage Bezugnahme auf die als

„Hofraum, Lagerplatz und Garten“ zu nutzenden Nebenflächen überhaupt einen

Anhaltspunkt darauf lieferte, dass es sich um ein Wohngebäude handeln könnte, sah

das OLG die Grenze zur Unbestimmtheit noch nicht als erreicht an.

b) Bewertung

„Glück gehabt“, würde ich die Beschreibung des Beschlusses betiteln wollen. Das

hätte auch anders ausgehen können.

Das OLG München hat die Grenzen dessen, was noch als ausreichend bestimmte

Bezeichnung des vom Erbbaurecht getragenen Gebäudes anzusehen ist, wohl bis an

S. 262 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

das äußerste gedehnt. Weit ist der Weg bis hin zum „jedes beliebige Bauwerk“ nicht

mehr.

Das Problem besteht dabei nicht etwa darin, dass für die Definition des Bauwerks auf

externe Faktoren zurückgegriffen wird. Das ist eine auch bei den Dienstbarkeiten

durchaus bliche Form der inhaltlichen Bezeichnung. So kann die Ausübungsstelle

eines Wegerechts einfach durch dessen tatsächliche Lage, der Umfang eines

Leitungsrechts, durch die in der Trasse tatsächlich vorhandenen Leitungen definiert

werden. Hier lag aber keine vorhandene Bebauung vor; der Schluss auf den Inhalt

wurde letztlich nur daraus gezogen, dass sich das Grundstück in einem Gelände mit

Wohnbesiedelung befand. Mehr lagen als Anhaltspunkte für den Inhalt des Rechts

nicht vor.

c) Bestimmung des Bauwerks

Was aber sind die Grenzen der Bestimmtheit?

Zunächst muss die Frage behandelt werden, wozu es überhaupt der Bestimmung eines

Bauwerkes bedarf, um vom wirksamen Erbbaurecht auszugehen. Im Wortlaut des § 1

ErbbauRG findet sich dieses Erfordernis nämlich nicht. Teilweise findet sich dazu die

Erklärung, der Beschreibung bedürfe es schon deshalb, um den nach § 12 ErbbauRG

stattfindenden Eigentumserwerb am Bauwerk zu tragen.418 Das allerdings ist nicht

ausreichende Begründung. Auch wenn das Erbbaurecht umfassend jedes denkbare

Bauwerk tragen könnte, würde sich der Eigentumserwerb genau bestimmt vollziehen.

Da der Eigentumserwerb des § 12 ErbbauRG gerade kein rechtsgeschäftlicher,

sondern ein gesetzlicher ist, bedarf es für diesen keiner vorab gegebenen

Bestimmtheit. Das Erfordernis der Bestimmtheit ergibt sich vielmehr aus allgemeinen

sachenrechtlichen Prinzipien. Für das Erbbaurecht selbst ist ein umfassendes und

unbestimmtes Recht beliebige Bauwerke zu haben, völlig unproblematisch, der

418 von Oefele/Heinemann, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, § 1 ErbbauRG Rn.

12.

S. 263 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Erbbauberechtigte und die daran Berechtigten erhalten allenfalls ein Mehr an Rechten.

Aus der Perspektive des Eigentums ist es das aber nicht. Dieser ist an der Eingrenzung

interessiert.Wenn er aber an dieser Eingrenzung nicht interessiert ist, was stört dann

am umfassenden Erbbaurecht?

Weniger die hier besprochene Entscheidung des OLG München als vielmehr der BGH

ins seiner Entscheidung vom 22. April 1994419 hat dazu den Schlusspunkt gesetzt. Dort

heißt es nämlich:

Dadurch soll zum einen die Feststellung ermöglicht werden, ob das Bauwerk bei Erstreckung des Erbbaurechts auf einen für die Bebauung nicht benötigten Teil des Grundstücks gem. § 1 Absatz II ErbbauVO wirtschaftlich die Hauptsache bleibt. Was dies betrifft, so bestehen hier keine Zweifel. Dem Erbbauberechtigten ist die Befugnis eingeräumt, eine Vielzahl von Bauwerken zu errichten; daraus ist ersichtlich, daß die Bauwerke im Verhältnis zum Grundstück wirtschaftlich die Hauptsache sind (vgl. BGHZ 101, 143 = NJW 1987, 2674). Zum andern soll der für eine Belastung des Erbbaurechts mit Grundpfandrechten maßgebliche Beleihungswert wenigstens einigermaßen erkennbar sein (BGHZ 47, 190 = NJW 1967, 1611). Diesem Gesichtspunkt kommt jedoch..... keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn gleichgültig, mit welcher Genauigkeit dingliche Einigung und Grundbucheintragung die Art des Bauwerks bezeichnen, das der Erbbauberechtigte errichten darf, so ist damit immer nur dessen privatrechtliche Befugnis festgelegt, das Grundstück als Baugrund für das bezeichnete Bauwerk zu nutzen. .......

Die Bezeichnung der Art des Bauwerks in der dinglichen Einigung und in der Grundbucheintragung soll auch gewährleisten, daß zwischen Grundstückseigentümer und Erbbaurechtsnehmer sowie etwaigen Rechtsnachfolgern hinreichende Klarheit über Inhalt und Umfang der Berechtigung zur Nutzung des Grundstücks besteht (Knothe, Das ErbbauR, 1987, S. 126). Das ist aber der Fall, wenn der Erbbauberechtigte befugt ist, jede baurechtlich zulässige Art von Bauwerken zu errichten.

Die Bestellung eines Erbbaurechts mit diesem Inhalt ist daher wirksam (so auch, bezogen allerdings nur auf “Gebäude”, v. Oefele/Winkler, Hdb. d. ErbbauR, 1987, S. 31 Rdnr. 23). Eine entsprechende Regelung sieht auch § 41 des Entwurfs eines Gesetzes zur Sachenrechtsbereinigung im Beitrittsgebiet vor. Danach kann ein Erbbaurechtsvertrag mit dem Inhalt abgeschlossen werden, daß der Erbbauberechtigte jede baurechtlich zulässige Zahl und Art von Gebäuden oder Bauwerken errichten darf.

S. 264 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Wo soll da noch eine über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Konkretisierung des

Bauwerks enthalten sein? Der Verweis auf das Baurecht stellt gerade keine

Beschränkung der Befugnisse des Erbbauberechtigten dar – mehr als öffentlich

rechtlich zulässig kann er ja ohnehin nicht bauen, es sei denn, er errichtet einen

Schwarzbau. Dass ein solcher aber nicht Gegenstand des Erbbaurechtsvertrages ist,

bedarf keiner besonderen Erwähnung im Vertrag.

Faktisch kann damit aus Sicht des Sachenrechts konstatiert werden, dass es einer

Bestimmung an sich nicht mehr bedarf. Dass diese gleichwohl sachenrechtlich immer

noch eingefordert wird, hat seine Ursache in der Rechtsentwicklung, nicht im heutigen

Rechtsstand.

Eine Eingrenzung des Bauwerks ist damit aber nicht gänzlich überflüssig: Da sich die

Höhe des Erbbauzinses wesentlich nach der baurechtlichen Nutzbarkeit des

Grundstücks richtet, wäre ein Rat, einfach jede baurechtlich zulässige Bebauung zu

erlauben, aus Sicht des Grundstückseigentümers regelmäßig nicht interessengerecht.

Erlaubt nämlich das Baurecht zukünftig eine wesentlich höherwertige Bebauung eines

Grundstücks (Bsp: Schrebergarten wird baurechtlich zu allgemeinem Wohngebiet)

wird der Eigentümer seinen auf Grundlage der früheren Nutzung bemessenen

Erbbauzins zu recht für nicht mehr angemessen halten. Insoweit ist also durchaus

gestalterische Vorsicht geboten.

Folgende Grundsätze sollten dabei beachtet werden:

- Kann das Bauwerk wegen tatsächlicher Existenz unter Bezugnahme auf die

existierenden Verhältnisse beschrieben werden, reicht dies wie bei der

Dienstbarkeit aus.

419 BGH, Urteil vom 22.04.1994 - V ZR 183/93, DNotZ 1994, 884 = MittRhNotK 1994, 249 = NJW 1994, 2024 = MitBayNot 1994, 316.

S. 265 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

- Existieren Pläne wie bspw. eine Bauvoranfrage, kann darauf Bezug genommen

werden.

- Soll nur Art und Größe des Objektes vorgegeben werden, sollte es schon im

Interesse der Beteiligten selbst liegen (Zweifel über den Nutzungsumfang sind

ebenso unglücklich wie über die Entschädigungsrisiken bei Laufzeitende), diese

zumindest sprachlich zu definieren, bspw. über die Nutzungsart, die

Flächengrößen oder ähnliche Kriterien.

- Soll ausdrücklich auf die baurechtlich erlaubte Nutzung abgestellt werden, dann

sollte dafür jedenfalls auf die bei Bestellung zulässige Nutzung, nicht jede

künftige abgestellt werden.

- Nur wer sich nachher nicht über eine völlige Diskrepanz zwischen Erbbauzins

und tatsächlichem Nutzungswert ärgert, kann auch das vom BGH

vorgezeichnete freie Erbbaurecht bestellen.

2. OLG Köln, Beschl. v. 6.5.2013420 – Das Nachbarerbbaurecht -

(Sachverhalt vereinfacht)

E plant die Bebauung mehrer nebeneinander liegender, unterschiedlichen Eigen-

tümern gehörender Grundstücke mit einem Gesamtgebäudekomplex. Das Eigentum an

den Grundstücken soll bei den bisherigen Eigentümern verbleiben; es sollen Erbbau-

rechte bestellt werden. E vereinbart mit jedem der Grundstückseigentümer ein eigen-

ständiges Erbbaurecht und beantragt dieses zur Eintragung im Grundbuch. Das

Grundbuchamt lehnt die Eintragung mit dem Argument ab, ein Nachbarerbbaurecht

sei unzulässig.

420 OLG Köln, Beschl. v. 6.5.2013 – 2 Wx 128/13, RNotZ 2013, 482 = DNotI-Report 2013, 126 = FGPrax 2013, 198.

Eigentümer 1 Eigentümer 2 Eigentümer 4 Eigentümer 3

S. 266 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

a) Die Entscheidungsbegründung

Schwer hatte es das OLG Köln bei seiner Entscheidung nicht. Die Fronten zur

Zulässigkeit des Nachbarerbbaurechts sind klar gezogen. Die eine, traditionellere

Meinungsgruppe will ein solches unter Verweis auf § 1 Abs. 3 ErbbauRG

ausgeschlossen sehen.421 Die andere Gruppe lässt das Nachbarerbbaurecht unter

Hinweis auf die gleiche Norm zu.422

Der BGH hat sich ausdrücklich noch nicht zu dem Problem geäußert.423

Das OLG Köln hält das Nachbarerbbaurecht für unzulässig, da ein solches zum einen

gegen die Regelung in § 1 Abs. 3 ErbbauRG verstoße, wonach „die Beschränkung des

Erbbaurechts auf einen Teil eines Gebäudes unzulässig“ sei. Zum zweiten lasse sich

daraus, dass das Sachenrechtsbereinigungsgesetz in § 39 Abs. 3 ausdrücklich die

Möglichkeit eines solches Rechtes regele, die Unzulässigkeit im Übrigen ableiten. Die

Rechtsbeschwerde war wegen der grundsätzliche Bedeutung der Frage eröffnet

worden.

421 BayObLG vom 16.07.1957 - BReg. 2 Z 78/57, DNotZ 1958, 409; Räfle, WM 1982, 1038; Bamberger/Roth/Maaß (Edition 29), § 1 ErbbauRG Rn. 22; Bauer/v. Oefele/Maaß, GBO, 3. Aufl. 2013, AT Rn. VI 263; v. Oefele/Winkler, Handbuch des Erbbaurechts, 5. Aufl. 2012, Rn. 3.71 ff.; Palandt/Bassenge, 73. Aufl. 2014, § 1 ErbbauRG Rn. 11. 422 Zuerst wohl: Weitnauer DNotZ 1958, 413, 414; dem folgend nun OLG Düsseldorf vom 23.03.1973 - 3 W 8/73, DNotZ 1974, 699; OLG Stuttgart vom 17. 1. 1975 - 8 W 281/73, NJW 1975, 786; Esser NJW 1974, 921; Krämer DNotZ 1974, 647; Soergel/Stürner, § 1 ErbbauRG, Rn. 16; Schöner/Stöber, 15. Aufl. 2012, Rn. 1694; Staudinger/Rapp (2009), § 1 ErbbauRG Rn. 34; Erman/Grziwotz, 13. Aufl. 2011, § 1 ErbbauRG, Rn. 19. 423 Zwei Entscheidungen des BGH werden immer wieder zu dieser Frage zitiert, wobei die erste (BGH vom 22.06.1973 - V ZR 160/71, NJW 1973, 1656 = DNotZ 1973, 609) überhaupt nicht auf die Problematik des Nachbarerbbaurechts geht. Dessen Zitierung erfolgt alleine wegen des Leitsatzes, der ausführt, ein Erbbaurechtsvertrag könne nichtig sein, weil von Anfang an das geplante Gebäude auch auf Nachbarparzellen stehe. Die Nichtigkeit wurde dabei aber deshalb untersucht, weil so ein Willensmangel bestanden haben könnte – mit dem Nachbarerbbaurecht, bei dem die das belastete Grundstück betreffenden Gebäudeteile auch nur diejenigen sein sollen, die auf dem Grundstück stehen werden, hat dies nichts zu tun. Die zweite (BGH vom 12.07.1984 - IX ZR 124/83, NJW 1985, 789) lässt die Frage vollständig offen.

S. 267 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

b) Anwendungsbereich und Alternativen

(1) Worum dreht sich der Streit?

Gerade in Innenstädten ist die Bereitschaft von Grundstückseigentümern, ihre Flächen zu veräußern, regelmäßig sehr eingeschränkt. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass diese Grundstücke nicht nur in höchsten Maße wertbeständig, sondern sogar im Wert steigend sind. Gleichzeitig werden für die Bebauung heute mehr denn je immer größere Grundstückeinheiten benötigt, sodass die Inanspruchnahme mehrerer Grundstücke unerlässlich ist.

Die Reaktion auf das eine Problem ist wegen der regelmäßig erforderlichen Verkehrs-

und Beleihungsfähigkeit des entstehenden Baukörpers das Erbbaurecht. Die Reaktion

auf das andere Problem ist in baurechtlicher Hinsicht die Vereinigungsbaulast, in

zivilrechtlicher die Vereinbarung von parallel laufenden Nutzungsrechten.

(2) Gestaltungsmöglichkeiten

Beim so genannten „Nachbarerbbaurecht“ (der Begriff entstammt nicht dem Gesetz)

lasten Erbbaurechte auf mindestens 2 benachbarten Grundstücken, die mit einem

einheitlichen Gebäude bebaut sind. Es hat den Vorteil, dass mit den verschiedenen

Grundstückseigentümern unterschiedliche Erbbaurechtsverträge vereinbart werden

könne, jeder Eigentümer separat für sich die Folgen von Leistungsstörungen regeln

kann und die rechtliche Ausgestaltung individueller erfolgen kann. Der Nachteil

besteht klar darin, dass ein einheitliches Gebäude schon währen der Laufzeit des

Erbbaurechts unter Umständen in „Scheibchen-Eigentum“ zerfällt.

Das Gegenstück ist das sogenannte „Gesamterbbaurecht“, bei dem ein einheitliches

Erbbaurecht auf mehreren Grundstücken als Gesamtrecht lastet, wobei dieses

Erbbaurecht dann durchaus ein einheitliches Gebäude, ebenso aber auch ein

Gebäudeensemble eigenständiger Baukörper rechtlich tragen kann. Der Nachteil

besteht klar in der Notwendigkeit der einheitlichen Regelung aller Rechtsverhältnisse

zu den verschiedenen Eigentümern. Bei Beendigung des Erbbaurechts kommt es

allerdings auch bei diesem Erbbaurecht zum Eigentumspuzzle am Gebäude.

S. 268 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

c) Ein wenig Rechtsdogmatik

Verstehen vermag man den ganzen, sehr vehement geführten Streit wohl nur dann,

wenn man sich ausreichend lange mit den verschiedenen Rechtspositionen

auseinandergesetzt hat. Ansonsten erscheint einem die Materie doch eher fremd.

Das wesentliche Argument der Gegner des Nachbarerbbaurechts ist – neben der

Referenz an den Erfinder des Gesamterbbaurechts – das Eigentums- bzw.

Berechtigungskuddelmuddel an dem einheitlichen Gebäude. Der Zerfall eines

einheitlichen, auf mehreren Grundstücken aufstehenden Baukörpers in

unterschiedliche Eigentumsscheibchen ist sicher keine glückliche Ausgangssituation.

Dieses Risiko erhöht sich beim Nachbarerbbaurecht beträchtlich.424 Das aber ist kein

rechtliches Argument – es ist und bleibt ein praktisches.

Der auch vom OLG Köln angeführte Verstoß gegen § 1 Abs. 3 ErbbauRG425 lässt

sich dagegen nicht erhärten. Wie schon Weitnauer426 eigentlich abschließend und mit

aller Klarheit dargelegt hat, soll die Norm die horizontale Teilung von Gebäuden hin

zum Stockwerkseigentum verhindern. Die Abgrenzung hin zum Nachbargebäude

sollte damit nicht erreicht werden.

Die Unzulässigkeit des Nachbarerbbaurechts widerspräche auch der Rechtsprechung

des BGH zur Zulässigkeit der Bestimmtheit des Gebäudes allein über den Verweis

auf die baurechtlichen Vorschriften (siehe dazu oben unter Teil 1.). Ist alles das,

was baurechtlich zulässigerweise auf dem Grundstück errichtet werden darf auch

möglicher Inhalt des Erbbaurechts, dann kann es schlechterdings auch keine

Beschränkung darauf geben, dass dennoch nur jedes in sich abgeschlossene Gebäude

424 So namentlich von Oefele/Winkler, Rn. 3.80ff. 425 „(3) Die Beschränkung des Erbbaurechts auf einen Teil eines Gebäudes, insbesondere ein Stockwerk ist unzulässig.“ 426 Weitnauer DNotZ 1958, 411, 413.

S. 269 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

rechtlich möglicher Gegenstand des Erbbaurechts ist. Erlaubt es das Baurecht, was

bspw. über Vereinigungsbaulasten möglich ist, ein einheitliches Gebäude auf

mehreren Grundstücken zu errichten, dann ist dies auch möglicher Inhalt des

Erbbaurechts, insbesondere deshalb, weil diese baurechtliche Möglichkeit bei dessen

Bestellung möglicherweise noch gar nicht absehbar war.

Schließlich sollte man sich eines klarmachen: Das Problem, das ein einheitliches

Gebäude in das Eigentums mehrerer Person fällt, ist keines des Erbbaurechts. Wird –

gleich aus welchem Grund – ein Gebäude auf mehreren Grundstücken errichtet,

dann droht immer das Risiko, das diese von Anfang an oder später, in das Eigentum

verschiedener Personen fallen können. Schön ist das sicher nicht. Es ist aber ein

Rechtszustand, der immer wieder vorkommt und auch von der Rechtsprechung längst

überzeugend gelöst ist.427

d) Gestaltungshinweis

Das Problem an der Nutzung des Nachbarerbbaurechts ist damit weniger eines des

„Besser“ oder „Schlechter“. Beide Gestaltung haben ihre Vor- und Nachteile. Das

Problem besteht vor allem darin, dass einige Grundbuchämter dessen Eintragung noch

verweigern und nicht unerhebliche Stimmen in der Literatur es für unwirksam halten.

Wer es also nutzt, insbesondere weil sein Grundbuchamt die Eintragung vornimmt,

läuft Gefahr, dass ihm später zur Entscheidung angerufene Gerichte das Erbbaurecht

als unzulässige und damit inhaltlich unwirksame Gestaltung aus der hand schlagen.

Die ökonomischen Konsequenzen können verheerend sein.

427 Zum Eigengrenzüberbau siehe BGH vom 20. 6. 1975 - V ZR 206/74, BGHZ 64, 333 = DNotZ 1976, 224 = NJW 1975, 1553; BGH vom 23.02.1990 - V ZR 231/88, BGHZ 110, 298 = DNotZ 1991, 595 = NJW 1990, 1791; BGH vom 12. 10. 2001 - V ZR 268/00, DNotZ 2002, 290 = NJW 2002, 54.

S. 270 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Dieses Problem sollte am besten an einem künstlichen Fall zum BGH gebracht

werden. Im hier entschiedenen Fall ist die vom OLG eröffnete Chance der Klärung vor

dem OLG leider nicht genutzt worden.

3. Die Konsequenzen der Beendigung des Erbbaurechts

BGH, Beschl. v. 11.4.2013 - V ZB 109/12, DNotZ 2013, 850 (m. Anm. Maaß) = MittBayNot 2013, 474 = ZNotP 2013, 150 = ZfIR 2013, 550 (m. Anm. Zimmer), siehe dazu auch Schmidt-Räntsch, in: DAI-Skript, 11. JAT des Notariats, 2013, S. 147.

BGH, Urt. v. 17.2.2012 – V ZR 102/11, BGHZ 192, 335 = DNotZ 2012, 760 = ZNotP 2012, 177 = MittBayNot 2013, 40 (m. Anm. Satzl) = ZfIR 2012, 429 (m. Anm. Grziwotz).

Obschon es gleich zwei Entscheidungen sind, die der BGH in den letzten beiden Jahren zu den Konsequenzen der Beendigung des belasteten Erbbaurechts gefällt hat, sollen diese als ein Fall gemeinsam dargestellt werden.

a) Fallgestaltung:

Auf dem Grundstück des E ist ein Erbbaurecht für den X eingetragen. Auf dem

Grundstück befindet sich ein Wohnhaus mit unbekannten Wert. Am Erbbaurecht ist

noch eine Grundschuld für die Bank B eingetragen, ferner ein Wegerecht für den

Nachbarn N, an dessen Grundstück ein inhaltsgleiches Wegerecht zu Gunsten des

jeweiligen Inhabers des Erbbaurechts besteht. Zu Gunsten des jeweiligen Inhabers des

Erbbaurechts besteht weiter noch ein subjektiv-dingliches Vorkaufsrecht an einer

Zuwegungsparzelle. Das Erbbaurecht endet durch Zeitablauf.

E beantragt die Löschung des Erbbaurechts im Grundbuch und Eintragung des

Wegerechts zu Gunsten des Grundstücks selbst. Der Nachbar N beantragt am

Grundstück die Eintragung des bisherigen Wegerechts am Erbbaurecht. Weitere

Grundbuchanträge werden nicht gestellt.

b) Lösungen

Es ist schon erstaunlich, dass die hier aufgeworfenen Fragen der Konsequenzen der Beendigung eines Erbbaurechts auf zu dessen Gunsten bzw. Lasten bestehende Rechte erst 2012 und 2013 Gegenstand von Entscheidungen des BGH geworden sind. Dies

S. 271 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

mag ein Zeichen dafür sein, dass Erbbaurechte tatsächlich in der Regel hundertjährig werden oder aber auch dafür, dass es bei diesen selten zu Streit kommt.

Zu klären ist in dem geschilderten Fall das Schicksal mehrerer Rechtspositionen:

- die aufgrund der Beendigung entstehende Entschädigungsforderung nach § 27 Abs. 1 ErbbauRG,

- die an der Entschädigungsforderung bestehende Berechtigung der bisherigen Grundschuldgläubigerin B,

- das Wegerecht zugunsten des Erbbaurechts,

- das Wegerecht am Erbbaurecht,

- das Vorkaufsrecht zugunsten des Erbbaurechts.

Einige der Fragen hat der BGH nun gelöst:

(1) Die Entschädigungsforderung

Beantragt hatte der Eigentümer die Löschung des Erbbaurechts. Dabei handelt es sich

um eine Grundbuchberichtigung, da das Erbbaurecht tatsächlich nicht mehr besteht,

das Grundbuch insoweit also schlicht falsch ist. Was aber ist mit der

Entschädigungsforderung des bisherigen Erbbauberechtigten? Wird gelöscht ohne dass

diese mit zur Eintragung gelangt, drohte der Verlust der in § 28 ErbbauRG vorgesehen

Haftung des Grundstücks für diese, da ein gutgläubiger Erwerber lastenfrei erwerben

würde. Umgekehrt wäre auch die Aufrechterhaltung der unrichtigen Grundbuchlage

unter Fortbestand der Eintragung des Erbbaurechts wenig sachdienlich.

Der bisherige Meinungsstand in dieser Sache trennte sich in drei Gruppen und zwar

wie folgt:

- Das Erbbaurecht könne ohne Rücksicht auf die Entschädigungsforderung nach Fristablauf gelöscht werden.

- Die Löschung könne ohne Rücksicht auf die Entschädigungsforderung nach Ablauf eines Jahres erfolgen.

- Die Löschung könne dann erfolgen, wenn gleichzeitig auf Antrag des Eigentümers die Entschädigungsforderung in das Grundbuch eingetragen wird.

S. 272 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Der letztgenannten Ansicht hat sich der BGH angeschlossen, indem er der

Entschädigungsforderung reallastähnliche Wirkung beigemessen und so die

Notwendigkeit deren Bezifferung, was für die Grundpfandrechte unerlässlich gewesen

wäre, vermieden hat. Den Antrag auf Eintragung der Entschädigungsforderung in Abt.

II an erster Rangstelle (=Rangstelle des Erbbaurechts) muss der Eigentümer stellen, sie

erfolgt nicht von Amts wegen. Ein ohne diesen Antrag gestellter Löschungsantrag zum

Erbbaurecht wird als unzulässig zurückgewiesen.

(2) Die Rechte am Erbbaurecht

Was die Rechte der bisherigen Grundschuldgläubigerin am Erbbaurecht angeht, ist das

Gesetz eindeutig: § 29 ErbbauRG räumt den Gläubigern von Grundpfandrechten und

Reallasten am Entschädigungsanspruch die gleichen Rechte ein, die ihnen auch in der

Zwangsversteigerung des Erbbaurechts an dessen Erlös zugestanden hätten.

Entsprechend ist an der „Entschädigungsforderung“ in der Veränderungsspalte zu

vermerken, dass die Rechte des Grundschuldgläubigers bestehen. Nach einer weit

vertretenen Auffassung soll diese Eintragung ohne konkreten Geldbetrag erfolgen,428

was ich für unzutreffend halte, da dem recht selbst ein konkreter Geldbetrag zukommt,

nur der Haftungsgegenstand im Wert unbestimmt ist – das ist aber auch beim

Eigentum selbst der Fall.

(3) Das Wegerecht zugunsten des Erbbaurechts

Schon 2012 hatte der BGH die Frage zu entscheiden, was mit einer zu Gunsten des

Erbbaugrundstücks bestehenden (Versorgungs-) Dienstbarkeit im Fall der Beendigung

des Erbbaurechts geschieht.

Nach der wohl überwiegenden Auffassung im Schrifttum sollte die Grunddienstbarkeit

mit dem Erbbaurecht erlöschen, da die nur nach § 96 BGB zu Bestandteilen zählenden

Rechte des Erbbaurechts bei dessen Beendigung nicht auf den Eigentümer

428 v. Oefele/Winkler, Rn. 5.247; Schöner/Stöber, Rn. 1874: Maaß, DNotZ 2013, 850, 857.

S. 273 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

übergingen.429 Die Gegenauffassung ging unter Bezug auf den Wortlaut vom

Übergang auch der Rechte aus.430

Der BGH geht vom Übergang der Grunddienstbarkeiten auf den

Grundstückseigentümer aus, was er zum einen mit dem Wortlaut des § 12 Abs. 3

ErbbauRG, zum anderen aber auch damit begründet, dass der Wert der

Entschädigungsforderung des Erbbauberechtigten sonst erheblich negativ

beeinträchtigt werden könnte.

Kritik an dieser Entscheidung ist nicht ausgeblieben.431 Diese ist nach meinem

Dafürhalten nicht ganz unberechtigt. Woran man nämlich durchaus zweifeln

kann, ist, ob mit der Bestellung einer Dienstbarkeit zu Gunsten eines

Erbbaurechts eine über dessen Laufzeit hinausgehende Berechtigung geschaffen

werden sollte, das dienende Grundstück zu nutzen. Es ist durchaus bekannt,

dass Erbbaurechte endlich sind. Wer zu deren Gunsten Rechte bestellt, weiß

damit auch, dass der Spuk ein Ende haben wird. Man kann also durchaus die

Auffassung vertreten, dass solche Dienstbarkeiten, die eben nur zu Gunsten des

Erbbaurechts und nicht parallel auch zu Gunsten des Grundstücks eingeräumt

sind, die auflösende Befristung geradezu in sich tragen. Das aber hat der BGH

nicht beleuchtet. Das Stehenbleiben bei der teleologischen Auslegung des § 12

Abs. 3 ErbbauRG im Hinblick auf die Entschädigungsforderung hat diesen -

meines Erachtens vorrangigen – Schritt ausgeblendet.432 Das könnte in

künftigen Streitfällen auch trotz der Entscheidung des BGH eine Rolle spielen.

429 Erman/Grziwotz, BGB, 13. Aufl., § 12 ErbbauRG Rn. 5; Ingenstau/Hustedt, Kommentar zum Erbbaurecht, 9. Aufl., § 12 Rn. 33; Staudinger/Rapp, 2009, § 12 ErbbauRG Rn. 25 430 Maaß, NotBZ 2002, 389, 391; ders. in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 12 ErbbauVO Rn. 7; Böttcher, Rpfleger 2004, 21, 23; v. Oefele/Winkler, Rn. 5.256; MünchKomm- BGB/v. Oefele, § 12 ErbbauRG Rn. 10. 431 Grziwotz, ZfIR 2012, 429; Oppermann, ZNotP 2012, 166, 169. 432 Grziwotz, ZflR 2012, 429, 431.

S. 274 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Für die Praxis sollte von den Überlegungen des BGH nur in gegebenen Sachverhalten

Gebrauch gemacht werden.

Der Rat für die Praxis lautet also auch weiter:

Grunddienstbarkeiten, die auch nach dem Ende des Erbbaurechts Fortbestand

haben sollen, müssen sowohl zu Gunsten des Erbbaurechts wie auch des

Grundstücks bestellt werden!433

(4) Das Wegerecht zu Lasten des Erbbaurechts

Das Erbbaurecht erlischt, folglich erlöschen auch alle an diesem bestehenden Rechte.

Die Folge ist derart selbstverständlich, dass das ErbbauRG nicht einmal eine

ausdrückliche Regelung dafür vorgesehen hat. Wo das Gesetz Besonderheiten im

Hinblick auf die Folge der Beendigung vorgesehen hat, ist dies ausdrücklich gefasst

worden, so eben bei den Verwertungsrechten am Erbbaurecht hinsichtlich des

Fortbestandes derselben am Entschädigungsanspruch des Erbbauberechtigten, § 29

ErbbauRG. In allen anderen Fällen erlöschen die Rechte.

Der BGH hat nun in einer eher kryptisch zu nennenden, für seine Entscheidung

unerheblichen Bemerkung ausgeführt:

„Einer Ergänzung wird der gesetzliche Übergang der Grunddienstbarkeiten auf das ehemalige Erbbaugrundstück auch in den Fällen bedürfen, in denen gleiche oder ähnliche Rechte als Belastungen am Erbbaurecht bestanden, die wegen der Aufhebung oder des Erlöschen des Erbbaurechts infolge Zeitablaufs an diesem jedoch nicht fortbestehen können.

Ansonsten ginge bei einer wechselseitigen Bestellung von Grunddienstbarkeiten durch die Eigentümer und Erbbauberechtigte benachbarter Grundstücke (für Wege- und/oder Leitungsrechte) die das ehemalige Erbbaurecht belastende Grunddienstbarkeit mit dem Erlöschen des Erbbaurechts unter, während das auf dem benachbarten Grundstück lastende Recht infolge des gesetzlichen

433 Möglicherweise a.A. Satzl, MittBayNot 2013, 40, 42.

S. 275 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Übergangs auf den Eigentümer des Erbbaugrundstücks nach § 12 Absatz 3 ErbbauRG fortbestünde. .....

Wie eine ergänzende Regelung zu § 12 Absatz 3 ErbbauRG in diesen Fällen auszusehen hätte (gesetzlicher Übergang auch der Belastungen auf das Erbbaugrundstück oder schuldrechtlicher Anspruch des Nachbarn auf Neubestellung gleichartiger Rechte am früheren Erbbaugrundstück), bedarf hier jedoch keiner Entscheidung, da für solche Rechte der Kläger an dem erloschenen Erbbaurecht nichts festgestellt oder vorgetragen worden ist.“

Dass die (ohnehin kritisch zu sehenden) Überlegungen zum Fortbestand die

Dienstbarkeiten für den Fall, dass es sich bei diesen um wechselseitig bestellte Rechte

zwischen dem Erbbauberechtigten und einem Dritten (Nachbarn) handelt, ist dabei

durchaus richtig. Bei diesen ist die oben bereits aufgeworfene Frage, ob

Dienstbarkeiten zu Gunsten eines Erbbaurechts nicht wegen der Befristung des Rechts

in sich auch befristet und damit eben nicht übergangsfähig sind, deshalb doppelt zu

stellen, weil die Komponente der wechselseitigen Bestandsabhängigkeit dazu kommt.

Mit seinen Überlegungen zum möglichen Fortbestand der Dienstbarkeit am

Erbbaurecht auch am Grundstück (oben fett) ist der BGH aber jenseits der gesetzlichen

Möglichkeiten des ErbbauRG.434 Ein solcher Fortbestand des Wegerechts führte zu

einem Drittbelastungsrecht gegenüber dem Eigentümer(Im Rheinland würden wir

sagen: auf eines anderen Deckel trinken). Es ist auch sowohl aus dem

Sinnzusammenhang der §§ 27 ff. ErbbauRG wie auch insbesondere der klaren

Regelung des § 33 Abs. 1 S. 3 ErbbauRG, der Erlöschenanordnung für den Heimfall,

nicht zu vereinbaren.

Für die Praxis

- ist gegen die Überlegungen des BGH kein gestalterisches Kraut zum Schutz des

Eigentümers gewachsen. Die Überlegungen des Senats in diesem Punkt sind

einfach nur falsch, wobei ich sicher bin, dass der BGH in einem konkreten Fall

dies auch selbst so sehen wird.

S. 276 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

- ist da, wo die Absicherung einer Dienstbarkeit am Erbbaurecht auch am

Grundstück gewünscht und gewollt ist, zunächst der Weg zu wählen, diese auch

am Grundstück einzutragen. Wo das nicht möglich ist, kann nur wirtschaftlicher

Druck die Interessen des Dienstbarkeitsberechtigten am Erbbaurecht sichern,

insbesondere durch Vereinbarung

-- des ausdrücklichen Wegfalls der Dienstbarkeiten des

Erbbauberechtigten, die im „Gegenseitigkeitsverhältnis“ zur

Dienstbarkeit am Erbbaurecht stehen (= ausdrückliche Aushebelung des

§ 12 Abs. 3 ErbbauRG durch Bewilligung eines wechselseitig bedingten

Rechts).

-- Flankierung der Dienstbarkeit für den Fall deren Wegfalls durch eine

grundpfandrechtsgesicherte Entschädigungsforderung, die dann an der

Entschädigungsforderung des Erbbauberechtigten fortbesteht (Nachteil:

Belasteter ist der Erbbauberechtigte, während von der

Gegenseitigkeitsdienstbarkeit der Eigentümer profitiert).

(5) Das Vorkaufsrecht zugunsten des Erbbaurechts

Das Vorkaufsrecht am Erbbaurecht steht hier stellvertretend für alle subjektiv-

dinglichen Rechte nach § 96 BGB, die anders als Versorgungs- und Zugangsrechte

nicht direkt der Benutzung des Bauwerkes dienen.

Der BGH hat dazu in seiner Entscheidung vom 17.2.2012 – wieder in der Form des

obiter dicti435 – bemerkt, es erscheine zweifelhaft, ob auch diese Rechte von § 12 Abs.

3 ErbbauRG erfasst werden: „Dem Zweck dieser Rechte könnte es eher entsprechen,

wenn solche Rechte mit dem Erbbaurecht untergingen.“ Grund sei, dass diese Rechte

434 So zu recht auch Oppermann, ZNotP 2012, 166, 168; dem folgend Satzl, MittBayNot 2013, 40, 42. 435 Hinweise dazu, ob es auch des „obiter dictums“ heißen kann, sind willkommen!

S. 277 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

für die Nutzbarkeit des Bauwerks und damit dessen Wert im Hinblick auf die

Entschädigungsforderung keine Rolle spielen.

Rechtfertigen lässt sich eine solche Differenzierung nur dadurch, dass für die

(teleologische) Auslegung des § 12 Abs. 3 ErbbauRG wirtschaftliche Erwägungen

herangezogen werden. Der Wortlaut und die systematische Stellung der Norm lassen

eine solche Differenzierung dagegen nicht zu.436

Der Rechtsstand muss damit weiter als ungeklärt gelten.

Für die Praxis:

Ist die Absicherung dieser Rechte auch zu Gunsten des Grundstückseigentümers

gewollt, muss dies durch entsprechende eigene Rechte geschehen.

4. Absicherung von Grunddienstbarkeiten bei Bestellung eines Erbbaurechts

OLG Hamm, Urteil vom 27. 6. 2013 - 22 U 165/12, RNotZ 2103, 605.

Inhaltlich anschließend an die vorstehenden Ausführungen hatte das OLG Hamm

einen Fall zu entscheiden, der auch schon vom BGH im Jahr 1974437 behandelt wurde.

a) Sachverhalt

In dem (in der Entscheidung über 4½ Zeitschriftenseiten der RNotZ laufenden!)

Sachverhalt ging es stark vereinfacht und abgewandelt um folgendes:

Am Innenstadt-Grundstück des E ist eine für den Nachbarn zwingend erforderliche

Erschließungsdienstbarkeit (Pipeline, Überlandleitung, U-Bahn-Trasse,

Telekommunikationsleitung etc.) an erster Rangstelle im Grundbuch eingetragen. E

436 Maaß, NotBZ 2012, 209, 210; Satzl, MittBayNot 2013, 40, 42; Grziwotz, ZflR 2012, 429, 431. 437 BGH vom 15.02.1974 - V ZR 47/72, DNotZ 1974, 692, 694.

S. 278 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

möchte dem Investor I ein Erbbaurecht an dem Grundstück einräumen, weil dieser

dort ein Wohn- und Geschäftshaus errichten möchte.

Der Dienstbarkeitsberechtigte ist nicht bereit, mit seiner Dienstbarkeit dem

Erbbaurecht den Vorrang einzuräumen, weil er sein Nutzungsrecht auch gegenüber

dem Erbbauberechtigten gesichert sehen möchte und er für den Fall der Beendigung

des Erbbaurechts den Nachrang seiner Dienstbarkeit gegenüber der

Entschädigungsforderung des Erbbauberechtigten fürchtet.

Im entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob dem Grundstückseigentümer ein

Anspruch gegen den Dienstbarkeitsberechtigten auf den Rangrücktritt zwecks

Bestellung des Erbbaurechts zusteht.

Grundlage eines solchen Anspruchs kann letztlich nur § 242 BGB in Form des

Rücksichtnahmegebotes sein. Voraussetzung dafür aber ist, dass der

Dienstbarkeitsberechtigte keine Beschränkung seiner Rechtsposition dergestalt erfährt,

dass ihm eine Mitwirkung durch Rangrücktritt unzumutbar wäre. Letztlich kommt es

also darauf an, ob die Rechtsposition des Dienstbarkeitsberechtigten auch nach

Bestellung des Erbbaurechts weiter adäquat gesichert werden kann.

b) Doppeleintragung

Leicht zu lösen ist die Sorge des Dienstbarkeitsberechtigten, seine Dienstbarkeit nicht

gegen den Erbbauberechtigten durchsetzen zu können. Gängige Praxis ist es dazu, die

Dienstbarkeit bei Bestellung des Erbbaurechts auch am Erbbaurecht selbst zur

Eintragung zu bringen und so den Durchgriff gegen den Erbbauberechtigten im

gleichen Maße wie gegen den Grundstückseigentümer zu sichern.438

438 Beck' sches Notarhandbuch/Eichel, 5. Aufl. 2009, A IV. Rn. 31

S. 279 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

c) Absicherung gegen den Entschädigungsanspruch

Selbst in den Fällen, in denen eine Dienstbarkeit doppelt abgesichert ist, d.h.

erstrangig am Erbbaurecht eingetragen wurde und ebenso bestrangig (also nach dem

Erbbaurecht, § 10 Abs. 1 ErbbauRG) am Grundstück, droht deren vollständiger

Wegfall, wenn bei Beendigung des Erbbaurechts aus der Entschädigungsforderung in

das Grundstück vorgegangen wird. Da die Entschädigungsforderung den Rang des

Erbbaurechts erhält, ist diese wegen der Erstrangigkeit des Erbbaurechts gegenüber

jeder Grundstücksbelastung des Grundstücks selbst wiederum vorrangig.

Es ist ein faktischer Konstruktionsfehler des Erbbaurechts, das jedenfalls solche

Belastungen, die parallel am Erbbaurecht und am Grundstück, und zwar dort jeweils in

bestmöglicher Rangposition verzeichnet sind, nicht gegenüber dem

Entschädigungsanspruch vorrangig sind. Es ist schlicht ein logischer Bruch, dem

Erbbauberechtigten und dessen Gläubigern am Entschädigungsanspruch bessere

Rechte einzuräumen, als sie am Erbbaurecht wegen der Vorrangigkeit der

Dienstbarkeit hatten, zu gewähren. Dieser Konstruktionsfehler ist aber nur

gesetzgeberisch zu beseitigen. Es bleiben damit nur Hilskonstruktionen.

Bloße Vereinbarungen der Beteiligten untereinander, ggfls. auch gesichert durch

Vormerkungen und damit gegenüber Rechtsnachfolgern abgesichert, darüber, dass die

neue Dienstbarkeiten zu bestellen und/oder Rangrücktritte zu erklären sind, reichen

deshalb nicht aus, weil die Vormerkungen am Erbbaurecht erlöschen, diejenigen am

Grundstück im Nachrang zur Entschädigungsforderung stehen. Sie sind jedenfalls

damit gegenüber den Rechten der ehemaligem Grundpfandrechtsgläubiger am

Erbbaurecht an der Entschädigungsforderung unwirksam.

(1) Ausschluss der Entschädigungsforderung

Als selbstredend sicherste Lösungsmöglichkeit zur Absicherung der gegenüber dem

Erbbaurecht nachrangigen Dienstbarkeiten am Grundstück wird dazu unter

S. 280 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Bezugnahme auf entsprechende Überlegungen des BGH439 vorgeschlagen den

Entschädigungsanspruch des Erbbauberechtigten ganz entfallen zu lassen. Wo es

keine Entschädigung gibt, gibt es auch kein Risiko der Nachrangigkeit. Diese Lösung

aber ist in der Regel auch nicht gewollt, weil sie zu Lasten des erbbauberechtigten

überschießt.

(2) Beschränkung der Durchsetzbarkeit der Entschädigungsforderung

Eine demgegenüber weniger einschneidende besser an den Bedürfnissen angepasste

Lösung ist es, den Entschädigungsanspruch inhaltlich derart zu beschränken, dass

dieser unter der Bedingung der Vorrangeinräumung der Dienstbarkeit stehe.440 Die

Bedingungslösung441 greift wohl auch für den Heimfallanspruch.442 Das OLG Hamm

äußert in der hier vorgestellten Entscheidung unter Berufung auf Rapp Bedenken

gegen diese Gestaltung. Es handele sich dabei nur um eine schuldrechtliche

Vereinbarung zwischen den Beteiligten, die keine dingliche Wirkung entfalte.443 Diese

Wertung ist allerdings ebenso inhaltlich unzutreffend wie die Berufung auf Rapp

falsch ist. Die inhaltliche Beschränkung der Entschädigungsforderung durch

Vereinbarung der Bedingung hat sehr wohl dingliche Wirkung. Kann die Rangstelle

der Grunddienstbarkeit nicht verschafft werden, kann der Entschädigungsanspruch

nicht geltend gemacht werden; diese wird dinglich wirkend ausgeschlossen. Aus Sicht

des Dienstbarkeitsberechtigten – und nur diese spielte für das OLG Hamm eine Rolle

– ist die Lösung sicher.

Das Problem an dieser Gestaltung liegt wie Rapp444 richtig ausführt darin, dass der

Erbbauberechtigte in dieser Gestaltung der Mitwirkung der nach § 29 ErbbauRG an

der Entschädigungsforderung ebenfalls berechtigten Grundpfandrechts- und

439 BGH vom 15.02.1974 - V ZR 47/72, DNotZ 1974, 692, 694. 440 v. Oefele/Winkler, Rn. 2.100. 441 Zu einer weiteren alternativen Lösungsidee über eine Vormerkung siehe Staudinger /Rapp § 33 ErbbauRG Rn. 12. 442 MünchKomm- BGB/v. Oefele/Heinamann, § 10 ErbbauRG Rn. 3. 443 OLG Hamm, Urteil vom 27. 6. 2013 - 22 U 165/12, RNotZ 2103, 605, 612. 444 Staudinger/Rapp, § 28 Rn. 2.

S. 281 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Reallastgläubiger. Ob deren Mitwirkung aber zu erreichen ist, ist nicht sicher, sodass

sich insoweit eine Unsicherheit für den Erbbauberechtigten auftut, dem nämlich bei

mangelnder Kooperation der Verlust seiner Entschädigungsforderung droht.

Allerdings dürfte in solchen Gestaltungen eine Mitwirkung der Gläubiger im Sinne des

§ 29 ErbbauRG wohl immer gefordert und durchgesetzt werden können, da deren

Recht am Entschädigungsanspruch bei dessen Undurchsetzbarkeit aufgrund

mangelnder Kooperationsbereitschaft ebenfalls wegfiele, eine Verweigerung der

Mitwirkung also am Obstruktionsverbot scheiterte.

(3) Inhaltliche Beschränkung der Entschädigungsvereinbarung durch Rangbestimmung

Rapp schlägt dazu als Alternative vor, den Entschädigungsanspruch inhaltlich derart

zu beschränken, dass ihm keine Ausübungsvoraussetzung mitgegeben wird, sondern

eine Rangvereinbarung des Inhalts, dass diese hinter die zu schützende Dienstbarkeit

im Rang zurückweicht.445

Diese inhaltliche Ausgestaltung des Entschädigungsanspruchs dürfte zulässig sein, da

§ 27 Abs. 1 S. 2 ErbbauRG ausdrücklich Vereinbarung über deren Höhe,

Zahlungsweise und auch des Ausschlusses zulässt, weshalb auch eine Bestimmung

über deren Rang und wohl auch des gänzlichen Wegfalls der dinglichen Sicherheit

getroffen werden können.

(4) Besonderheit: Minderbemittelte Bevölkerungskreise

Diese Lösungen dürften allerdings alle dann scheitern, wenn die Voraussetzungen des

§ 27 Abs. 2 ErbbauRG (Wohnbedürfnisse minderbemittelter Bevölkerungskreise)

vorliegen. Kann der Anspruch schon der Höhe nach nur eingeschränkt begrenzt

werden, dann ist es im Grundsatz auch ausgeschlossen, diesen seiner dinglichen

Absicherung zu berauben oder diese jedenfalls zu beschränken.

S. 282 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Nach meinem Dafürhalten ist bei diesen erbbaurechten größte Vorsicht an die

Gestaltungen zu legen.

Soll zum Schutz des Dienstbarkeitsberechtigten etwas unternommen werden, kann in

diesem Fall wohl wieder nur die ökonomische Lösung greifen:

Vereinbart werden kann eine Entschädigungsforderung für den Fall des Wegfalls der

Dienstbarkeit und Nichteintragung einer erstrangigen Dienstbarkeit am Grundstück,

die durch erstrangige Eintragung eines Grundpfandrechts am Erbbaurecht abgesichert

wird.

Ein Anspruch auf Mitwirkung gegenüber einem bereits eingetragenen

Dienstbarkeitsberechtigten im Sinne der Entscheidung des OLG Hamm besteht in

diesen Gestaltungen aber nicht.

d) Exkurs: Erlöschen der Dienstbarkeit beim Heimfall

Ähnlich wie § 29 ErbbauRG den „Fortbestand“ von Verwertungsrechten am

Erbbaurecht im Beendigungsfall regelt, sieht § 33 ErbbauRG entsprechende

Regelungen für den Heimfall vor. § 33 Abs. 1 S. 3 ErbbauRG sieht für die

Dienstbarkeiten deren Erlöschen vor.

Übt also der Grundstückseigentümer den Heimfallanspruch aus, droht der

Dienstbarkeit der Wegfall am Erbbaurecht – bis zum Ende der Laufzeit des

Erbbaurechts wäre die Dienstbarkeit also futsch.

Dass sich die Literatur auch zu diesem Problem Lösungsmöglichkeiten hat einfallen

lassen ist klar. Diese laufen parallel zu denen bei Beendigung des Erbbaurechts:

445 Staudinger/Rapp, § 28 Rn. 2.

S. 283 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

- Ausschluss des Heimfallanspruchs,

- Beschränkung dahingehend , dass der Heimfallanspruch nur bei Bestellung

eines neuen inhaltsgleichen Rechts möglich ist,446

- Vormerkungsgesicherter Anspruch auf Neubestellung einer Dienstbarkeit,

wobei dazu eine teleologische Reduktion bei der Auslegung des § 33 Abs. 1 S.

3 ErbbauRG erforderlich ist.447

Nach meinem Dafürhalten ist diese Gestaltungsakrobatik beim Heimfall anders als bei

der Beendigung des Erbbaurechts deshalb nicht erforderlich, weil ich § §§ Abs. 1 S. 3

ErbbauRG nicht für zwingendes Recht halte. Diese Bestimmung ist dispositiv. Die

Vereinbarung eines Heimfallanspruchs ist nicht zwingender Bestandteil des

Erbbaurechts, sie können nur zu dessen Inhalt gemacht werden. Die Vereinbarung des

Heimfallanspruchs entbindet die Beteiligten nur davon, einen entsprechenden

schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erbbauberechtigten außerhalb des

Erbbaurechtsvertrages zu gestalten und durch Vormerkung am Erbbaurecht zu sichern.

Die Öffnung in § 2 ErbbauRG soll es den beteiligten also erleichtern, ihre

Rechtsverhältnisse als Inhalt des Erbbaurechts auszuformulieren, ohne flankierende

schuldrechtliche Vereinbarungen treffen zu müssen, deren Übergang auf einen

Rechtsnachfolger schwierig zu sichern wären. Dass ein solcher Anspruch dann auch

gegenüber dinglich Berechtigten am Erbbaurecht belastungsfest gestaltet ist, versteht

sich von selbst, da der Anspruch der Bestellung der dinglichen Rechte vorausgeht, also

auch lastenfreie Übertragung lautet. Die Ausgestaltung des Heimfallanspruchs als

Inhalt des Erbbaurechts vermeidet damit die Notwendigkeit der Bestellung einer

Vormerkung.

Inhaltlich können die Beteiligten diesen Heimfallanspruch aber sehr wohl

beschränken, sie können ihn ja auch gänzlich ausschließen. Warum sollte deshalb

446 v. Oefele/Winkler, Rn. 2.100. 447 Staudinger/Rapp, § 33 Rn. 12.

S. 284 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

nicht auch vereinbart werden könne, dass im Falle des Heimfalls bestimmte Rechte am

Erbbaurecht fortbestehen?

Die in § 33 Abs. 1 ErbbauRG getroffene Anordnung zum Fortbestand der

Verwertungsrechte stellt nach meinem Verständnis eine Beschränkung der Wirkung

des Heimfallanspruchs dar. Ohne diese Einschränkung würde die Ausübung des

Heimfalls auch die Verwertungsrechte erfassen, da diese den Heimfallanspruch

beeinträchtigen. § 33 Abs. 1 S. 3 formuliert nach diesem Verständnis nur klarstellend,

dass (selbstverständlich) alle anderen Rechte außer den speziell geschützten

Verwertungsrechten beim Heimfall wegfallen. Diese Auslegung korrespondiert auch

mit der in § 5 Abs. 2 ErbbauRG ausdrücklich nur für die Verwertungsrechte

vorgesehenen Möglichkeit der Vereinbarung des Zustimmungsvorbehalts. Weil § 33

Abs. 1 ErbbauRG den Fortbestand dieser Rechte auch beim Heimfall anordnet, kann

zum Schutze des Grundstückseigentümers dessen Zustimmung zu deren Bestellung

erforderlich gemacht werden.

So wie jeder andere auf Übertragung des Erbbaurechts gerichtete Anspruch auch bei

dessen Sicherung durch eine Vormerkung inhaltlich derart beschränkt werden kann,

dass bestimmte Rechte diesem vorgehen dürfen bzw. übernommen werden, muss dies

auch für den Heimfallanspruch gelten. Dieser kann entsprechend inhaltlich beschränkt

werden.

S. 285 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

E) Grundbuchrecht

I. Grundbucheinsicht beim Notar (§ 133a GBO) (CH)

1. Durchführung der Grundbucheinsicht beim Notar

Seit 1. September 2013 können auch Notare Grundbucheinsicht gewähren. § 133a GBO lautet i.d.F. durch das „Gesetz zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare“448:

§ 133a GBO - Erteilung von Grundbuchabdrucken durch Notare; Verordnungsermächtigung

(1) Notare dürfen demjenigen, der ihnen ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 12 darlegt, den Inhalt des Grundbuchs mitteilen. Die Mitteilung kann auch durch die Erteilung eines Grundbuch-abdrucks erfolgen.

(2) Die Mitteilung des Grundbuchinhalts im öffentlichen Interesse oder zu wissenschaftlichen und Forschungszwecken ist nicht zulässig.

(3) Über die Mitteilung des Grundbuchinhalts führt der Notar ein Protokoll. Dem Eigentümer des Grundstücks oder dem Inhaber eines grundstücksgleichen Rechts ist auf Verlangen Auskunft aus diesem Protokoll zu geben.

(4) Einer Protokollierung der Mitteilung bedarf es nicht, wenn

1. die Mitteilung der Vorbereitung oder Ausführung eines sonstigen Amtsgeschäfts nach § 20 oder § 24 Absatz 1 der Bundesnotarordnung dient oder

2. der Grundbuchinhalt dem Auskunftsberechtigten nach Absatz 3 Satz 2 mitgeteilt wird.

(5) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass abweichend von Absatz 1 der Inhalt von Grundbuchblättern, die von Grundbuchämtern des jeweiligen Landes geführt werden, nicht mitgeteilt werden darf. Dies gilt nicht, wenn die Mitteilung der Vorbereitung oder Ausführung eines sonstigen Amtsgeschäfts nach § 20 oder § 24 Absatz 1 der Bundesnotarordnung dient. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.

a) Anwendungsbereich: „Isolierte“ Grundbucheinsicht

Anlass für die Regelung des § 133a GBO war die Frage, ob der Notar auf Antrag eines Beteiligten eine „isolierte“ Grundbucheinsicht auch außerhalb der Vorbereitung und Durchführung eines notariellen Amtsgeschäftes vornehmen darf.449

– Der Sache nach regelt § 133a GBO nur diese isolierte Grundbucheinsicht, auch wenn der Wortlaut weiter ist. Denn wenn der Notar bereits im Rahmen eines Amtsgeschäfts eine Grundbucheinsicht vornimmt (oder sogar nach § 21 BeurkG

448 BGBl. 2013 I, 1800. Vgl. insbes. BT-Drucks. 17/1469 vom 21.4.2010. 449 Vgl. etwa OLG Celle, Beschl. v. 24.8.2010 - Not 9/10, DNotZ 2011, 203 = ZfIR 2010, 837 m.

Anm. Lang, dazu Völzmann, DNotZ 2011, 164 (Anwaltsnotar darf dem Grundstückseigentümer einen Grundbuchauszug für dessen Finanzierungsgespräch mit einer Bank wegen der Verlängerung eines Darlehens erstellen).

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vornehmen muss) und dann die Beteiligten über den Grundbuchinhalt unterrichten muss, so geht dies als spezielle Regelung § 133a GBO vor.

– Die Protokollierungspflicht nach Absatz 3 gilt ausdrücklich nur für die isolierte Grundbucheinsicht.

b) Ausschließliche Zuständigkeit des Grundbuchamts

In zwei Fällen kann das Grundbuch allein beim Notar eingesehen werden:

– Das Land kann durch Rechtsverordnung der Landesregierung Grundbücher des eigenen Landes von der (isolierten) Einsicht beim Notar ausschließen (so dass die Einsicht hierfür nur beim Grundbuchamt möglich ist. Ich weiß aber nicht, ob schon ein Land eine diesbezügliche Rechtsverordnung erlassen hat oder plant.

– Will jemand Grundbucheinsicht im öffentlichen Interesse, zu wissenschaftlichen oder Forschungszwecken, so muss ihn der Notar an das Grundbuchamt weiter verweisen (§ 133a Abs. 2 GBO). Denn auch innerhalb der Gerichte kann hier nach Landesrecht i.d.R. nicht jeder Rechtspfleger selbst entscheiden, sondern z.B. in Bayern nur der jeweilige Gerichtspräsident oder -direktor. Diese Zuständig-keitskonzentration sollte nicht durch eine parallele Zuständigkeit der Notar untergraben werden.450 Denn sonst könnte etwa ein Presseorgan versuchen solange anfragen, bis es einen Notar findet, der seinen Einsichtsantrag für berechtigt hält.

c) Berechtigtes Interesse

Der Notar muss prüfen, ob der Antragsteller ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 12 GBO hat (§ 133a Abs. 1 GBO). Genaueres dazu unter Ziffer 2.

d) Verfahren: Protokollierung

Der Notar muss die Einsichtsgewährung protokollieren (§ 133a Abs. 3 und 4 GBO).

aa) Zweck:

Beim automatisierten Grundbuchabruf protokolliert das Grundbuchamt alle Abrufe:

§ 83 GBV - Abrufprotokollierung

(1) Die Rechtmäßigkeit der Abrufe durch einzelne Abrufberechtigte prüft das Grundbuchamt nur, wenn es dazu nach den konkreten Umständen Anlaß hat. Für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Abrufe, für die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Datenverarbeitung und für die Erhebung der Kosten durch die Justizverwaltung protokolliert das Grundbuchamt alle Abrufe. Das Grundbuch-amt hält das Protokoll für Stichprobenverfahren durch die aufsichtsführenden Stellen bereit. Das Protokoll muß jeweils das Grundbuchamt, die Bezeichnung des Grundbuchblatts, die abrufende Person oder Stelle, deren Geschäfts- oder Aktenzeichen, den Zeitpunkt des Abrufs, die für die Durchführung des Abrufs verwendeten Daten sowie bei eingeschränktem Abrufverfahren auch eine Angabe über die Art der Abrufe ausweisen.

450 BT-Drucks. 17/1469, S. 20.

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Damit kann die Dienstaufsicht feststellen, welche Grundbuchblätter der Notar wann abgerufen hat, und im Rahmen der Amtsprüfung kontrollieren, ob die Abrufe berechtigt erfolgten.

– Da der Notar beim Abruf jeweils vermerken muss, aufgrund welcher Angelegen-heit der Abruf erfolgte, kann die Dienstaufsicht bei Abrufen im Rahmen einer anderen notariellen Amtstätigkeit deren Berechtigung feststellen.

– Um auch die Berechtigung isolierter Grundbucheinsichten überprüfen zu können, muss der Notar diese nach § 133a Abs. 3 GBO protokollieren . Eine gesonderte Erfassung ist gerechtfertigt, da hier eher Fehler unterlaufen können als beim Grundbuchabruf für eine Beurkundung.451

– Ebenso kann der Grundstückseigentümer vom Notar Auskunft über die erfolgte Einsicht beantragen (§ 133a Abs. 3 S. 2 GBO).

bb) Ausnahmen:

Die Protokollierung betrifft nur die isolierte Grundbucheinsicht durch einen anderen als den Eigentümer. Die praktisch häufigsten Fälle der Grundbucheinsicht durch den Notar sind ausdrücklich von der Protokollierung ausgenommen, nämlich:

– die Mitteilung zur Vorbereitung oder Ausführung eines Amtsgeschäfts nach §§ 20, 24 Abs. 1 BNotO

– oder die Auskunftserteilung an den Eigentümer selbst.

Beispiele zu Ausnahmen von der Protokollierungspflicht:

– Der Notar führt im Eingang des Vertragsentwurfs den Grundbuchstand auf (oder versendet eine Kopie des Grundbuchblatts). Eine Protokollierung ist nach § 133a Abs. 4 Nr. 1 GBO nicht erforderlich.

– Der Eigentümer bittet um einen Grundbuchauszug, weil er nicht sicher, ob eine alte Grundschuld schon gelöscht wurde. Eine Protokollierung ist nach § 133a Abs. 4 Nr. 2 GBO nicht erforderlich.

cc) Art der Protokollierung

Das Gesetz schreibt keine bestimmte Art der Protokollierung vor. Ebensowenig gibt es (bisher) Ausführungsbestimmungen in der DONot o.ä. Wie der Notar protokolliert, ist daher in sein Ermessen gestellt.

451 Kritisch gegenüber der Protokollierungspflicht hingegen Heinemann, FGPrax 2013, 139, 141:

„Die Prüfungs- und Protokollierungspflichten sind derart umständlich, dass es sich künftig in zweifelhaften Fällen empfiehlt, die Beteiligten an das Grundbuchamt zu verweisen.“

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Einen Formulierungsvorschlag bringt Böhringer.452

– Nachdem das Gesetz hierzu nichts weiter vorschreibt, erscheint mir ausreichend, einen bloßen Vermerk anzufertigen.453 Dies kann durch ein Formblatt erfolgen – aber etwa auch in Form des Antwortschreibens an den Beteiligten oder durch Vermerk auf dessen Antrag. Ein Formblatt hat den Vorteil, dass man nichts vergisst.

– Eine Liste schreibt das Gesetz nicht vor. Aus Praktikabilitätsgesichtspunkten wäre sie zu erwägen, wenn es sich um mehr als nur einige wenige isolierte Einsichten im Jahr handelt.

– In jedem Fall würde ich den Antrag selbst und dessen Begründung beim Protokoll aufbewahren, um später nachweisen zu können, dass und wie ich das berechtigte Interesse geprüft habe. Bei einem mündlichen Antrag kann sich empfehlen, den Antragsteller eine kurze Begründung unterschreiben zu lassen. Das Gesetz erfordert dies aber nicht.

– Das ganze würde ich bei den Nebenakten des jeweiligen Jahres aufbewahren.454

Eine Aufbewahrungsfrist regelt das Gesetz nicht.

– Das Grundbuchamt vernichtet seine Protokolle jeweils nach zwei Jahren (§ 83 Abs. 3 GBV). Böhringer will dies analog auf die notariellen Protokolle über-tragen.455

– Ansonsten gilt die allgemeine Aufbewahrungsfrist des § 5 Abs. 4 Satz 5 DONot von sieben Jahren.

e) Rechtsbehelf und Kontrolle

aa) Verweigert der Notar die Einsicht, kann der Beteiligte dagegen Beschwerde zum Landgericht nach § 15 Abs. 2 BNotO erheben.456

Da es sich um keine Urkundstätigkeit handelt, ist der Notar aber m.E. nicht verpflichtet , die Einsicht zu gewähren. § 133a Abs. 1 Satz 1 GBO normiert nur eine Befugnisse der Notare, keine Tätigkeitspflicht.457 So kann der Notar m.E. etwa die Einsicht in ein Grundbuch außerhalb seines Landes ablehnen (wenn er dazu - wie im Regelfall - keinen automatisierten Zugang hat). Damit ist die Beschwerde weitgehend

452 Böhringer, DNotZ 2014, 16, 22. 453 Ebenso Böhringer, DNotZ 2014, 16, 22. 454 Ebenso Böhringer, DNotZ 2014, 16, 22. 455 Böhringer, DNotZ 2014, 16, 22. Möglicherweise ebenso BT-Drucks. 17/1469, S. 20. 456 BT-Drucks. 17/1469, S. 20. 457 Heinemann, FGPrax 2013, 139, 141; A.A. Völzmann, DNotZ 2011, 164, 168 (noch zum

Gesetzentwurf).

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zahnlos. Im Zweifel geht der Beteiligte besser zu einem anderen Notar - oder zum Grundbuchamt und legt ggf. gegen dessen Verweigerung Beschwerde ein.

bb) Gegen die Erteilung der Einsicht gibt es keine Beschwerdemöglichkeit. (Allenfalls könnte der Eigentümer direkt eine einstweilige Anordnung gegen den die Einsicht Begehrenden beantragen.)

cc) In beiden Fällen bleibt den Beteiligten unbenommen, ein dienstaufsichtliches Verfahren anzuregen.

f) Gebühr

Für die (isolierte) Grundbucheinsicht fällt nach Nr. 25209 KV GNotKG eine Gebühr von 15,00 EUR an. Zu Ausdruck und Übermittlung sh. Nr. 25210 ff. KV GNotKG (zwischen 5,00 und 15,00 EUR).

2. Berechtigtes Interesse an Grundbucheinsicht (§ 12 GBO)

Beantragt ein Beteiligter Grundbucheinsicht, muss der Notar prüfen, ob der Beteiligte zur Einsicht berechtigt ist, .d.h. ob ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 12 GBO besteht.

a) Notar muss berechtigtes Interesse vor Grundbucheinsicht prüfen (OLG Celle, 3.3.2011 - Not 26/10)

Über die Prüfungspflicht hatte der Notarsenat des OLG Celle in einem Disziplinarverfahren gegen einen Notar zu entscheiden. Die Entscheidung erging noch vor Erlass des §133a GBO. Da der Notar aber nach altem wie nach neuem Recht prüfen muss, ob der Beteiligte ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 12 GBO hat, kann die Entscheidung auch zum neuen Recht herangezogen werden.

OLG Celle, Urt. v. 3.3.2011 - Not 26/10, NdsRpfl 2012, 248 = NotBZ 2011, 367 = NZM 2012, 319 = RNotZ 2011, 367

Leitsatz: Ein Notar darf im Wege des automatisierten Abrufverfahrens das Grundbuch im Auftrag eines Maklers nicht einsehen, ohne sich eines dahinter stehenden rechtlichen Interesses eines Berechtigten zu versichern. Dies auch dann nicht, wenn der Makler ihm zuvor zugesagt hat, solche Anfragen nur bei Vorliegen eines konkreten (Makler-)Auftrags zu stellen, wenn der Grundbuchauszug der Vorbereitung einer in „absehbarer Zeit“ anstehenden Beurkundung dienen soll.

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Sachverhalt: Bei der Amtsprüfung stellte die prüfende Richterin fest, dass der Notar einem Makler in mehreren Fällen Grundbuchauszüge übermittelt hatte. Der Notar konnte der Prüferin gegenüber nicht belegen, dass er das berechtigte Interesse an der Einsicht zuvor geprüft hatte bzw. dass ein berechtigtes Interesse vorlag.

Entscheidung: Das OLG Celle bejahte eine Amtspflichtverletzung, weil der Notar nicht vor Übermittlung des Grundbuchauszugs geprüft hatte, ob tatsächlich ein berechtigtes Interesse vorlag. Der Notar darf sich nicht darauf verlassen, dass der Makler ihm zugesagt hat, nur bei Vorliegen einer Vollmacht des Eigentümers einen Grundbuchauszug anzufordern, sondern er muss selbst prüfen, ob diese Vollmacht vorliegt.

(Rn. 19) „Zu Recht hat die Beklagte fahrlässige Verstöße des Klägers gegen seine Dienstpflichten gem. § 14 Abs. 1 und 3 BNotO in 6 Fällen … angenommen.

(Rn. 22) Insbesondere hat der Kläger in allen sechs in Rede stehenden Fällen, das Grundbuch allein auf Nachfrage der Mitarbeiter des Maklerunternehmens eingesehen, ohne selbst die für eine Einsichtnahme in das Grundbuch erforderlichen Voraussetzungen zu prüfen. Er konnte daher allenfalls annehme, dass die G. GmbH mit der Vermittlung und Abwicklung von Grundstücksgeschäften beauftragt worden war, wobei er nicht einmal sicher sein konnte, ob die beantragten Einsichtnahmen in die Grundbücher mit den Eigentümern abgesprochen waren. Eines konkret in Aussicht genommenen in seinem Notariat zu beurkundenden Urkundsgeschäfts hat er sich dabei - wie er eingeräumt hat - nicht vergewissert. Insoweit hat er amtspflichtwidrig von seiner uneingeschränkten Möglichkeit, die Grundbücher einzusehen, Gebrauch gemacht. Denn er hat bei einer solchen Konstellation nicht zuverlässig ausschließen können, dass ein berechtigtes Interesse nach § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO tatsächlich nicht bestand, wenngleich er darauf vertraut haben mag, die Mitarbeiter des mit ihm zusammen arbeitende Maklerunternehmens würden sich korrekt verhalten und ihn nur dann um Grundbucheinsicht ersuchen, wenn ein konkretes Urkundsgeschäft bevorstand oder ein sonstiges rechtliches Interesse gegeben war.

(Rn. 23) … Auch dem Immobilienmakler wird ein allgemeines Recht auf Grundbucheinsicht zu versagen sein (Demharter, a. a. O., Rn. 12). Er darf nur mit Vollmacht des Eigentümers Einsicht in das Grundbuch nehmen (Schöner/Stöber, a. a. O, Rn. 525). Kein Recht auf Grundbucheinsicht hat ein möglicher Kaufinteressent, der dadurch etwa den Namen des Grundstückseigentümers erfahren will. Er hat ein berechtigtes Interesse an der Einsicht grundsätzlich erst nach Eintritt in Kaufverhandlungen mit dem Eigentümer (BayObLG RPfleger 1984, 351; Demharter, a. a. O.).

(Rn. 24) Zwar mag das Maklerunternehmen … von den jeweiligen Grundstückseigentümern mit dem Verkauf der Grundstücke beauftragt worden seien. Nähere Einzelheiten zu dem Hintergrund der jeweils erbetenen Grundbucheinsicht sind dem Kläger jedoch in keinem der sechs von dem Beklagten aufgeführten Fälle mitgeteilt worden. Insbesondere konnte der Kläger nicht ausschließen, dass von Seiten des Maklerunternehmens bereits mit Kaufinteressenten Kontakt aufgenommen worden war und die Grundbucheinsicht allein in deren Interesse erfolgen sollte, ohne dass bereits Verhandlungen mit dem Verkäufer aufgenommen worden waren. Ebenso war denkbar, dass allein der Makler ein Interesse an die Grundbucheinsicht hatte, um auf diese Weise die Kaufvertragsverhandlungen mit den potentiellen Bewerbern besser führen zu können. Die in Rede stehenden Grundbucheinsichten sind daher nicht mit der Situation vergleichbar, in der sich der Eigentümer eines Grundstücks unmittelbar oder über einen Dritten an einen Notar wendet, um über diesen Einsicht in das Grundbuch nehmen zu können.

(Rn. 25) Der Kläger hat anlässlich der ihm jeweils angetragenen Gesuche der G. GmbH - wie er eingeräumt hat - nicht nachgeforscht, aus welchem Anlass Grundbucheinsicht begehrt wurde,

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sondern hat - unkritisch - das erleichterte Verfahren gem. § 43 Abs. 2 GBV ausgenutzt, um Abschriften zu verlangen zu können, ohne ein berechtigtes Interesse darlegen zu müssen. Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass diese Vorschrift ihre Rechtfertigung allein in der Prämisse findet, dass der Notar das Grundbuch in einer konkreten Angelegenheit einsieht, in deren Rahmen er bereits ein Bedürfnis zur Grundbucheinsicht festgestellt hat. Dies war vorliegend aber - wie ausgeführt - in keinem der genannten Fälle so. Der Tabelle, in der die Grundbucheinsichten vermerkt worden sind, ist - … - vielmehr zu entnehmen, dass das Maklerbüro zwar möglicherweise nachfolgende Beurkundungsansuchen angekündigt hat, die sich aber - bis auf die Fälle … - aber überwiegend nicht verwirklicht haben. Auch soweit es in Sachen … nachfolgend zu Beurkundungen (eines Kaufvertrages … und einer Grundschuld …) gekommen ist, ist nichts dafür ersichtlich, dass sich dies im Zeitpunkt der Einsichtnahme in das Grundbuch - für den Kläger erkennbar - bereits konkret abgezeichnet hat. Vollmachten hat sich der Kläger zumindest damals noch nicht vorlegen lassen. … Unstreitig hat Frau P. auf Nachfrage durch die Notarprüferin zudem erklärt, es sei üblich dem Makler auf Anfrage Grundbuchauszüge zuzuleiten. Einen konkreten Vorgang hat der Kläger zu den Grundbuchabrufen zum Aktenzeichen …/06 zumindest im Zeitpunkt der Notarprüfung auch nicht vorgelegt.“

b) Grundbucheinsicht durch Pflichtteilsberechtigte (OLG München, 7.11.2012 - 34 Wx 360/12; OLG Karlsruhe, 5. 9. 2013 - 11 Wx 57/13)

Gleich zwei Entscheidungen befassen sich mit Anträgen von Pflichtteilsberechtigten auf Grundbucheinsicht. Nach Eintritt des Erbfalls haben die Pflichtteilsberechtigten ein Einsichtsrecht – zuvor nicht.

aa) OLG München, Beschl. v. 7.11.2012 - 34 Wx 360/12, FamRZ 2013, 1070 = NotBZ 2013, 67 = RNotZ 2013, 134 = ZErb 2013, 8 = ZEV 2013, 621.

Sachverhalt: Die Tochter war Miterbin zu einem Viertel (aufgrund gesetzlicher Erb-folge neben der Ehefrau und dem Sohn des Erblassers). Sie beantragte unbeglaubigte Grundbuchauszüge „über eventuelle Grundbesitze“ ihres verstorbenen Vaters - auch über von diesem zu Lebzeiten veräußerten Grundbesitz.

Das Grundbuchamt lehnte die Einsicht ab, da nicht hinreichend dargelegt sei, dass Überlassungsverträge und damit Pflichtteilsergänzungsansprüche bestehen könnten. Außerdem könnten der Antragstellerin als Miterbin keine Pflichtteilsergänzungs-ansprüche zustehen.

Entscheidung: Das OLG München gab der Antragstellerin recht. Da sie zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehöre, könne sie Grundbucheinsicht in alle früheren Grundbücher ihres verstorbenen Vaters verlangen (und zwar ggf. zeitlich unbeschränkt).

(Juris Rn. 8) „Es ist allgemein anerkannt, dass nach Eintritt des Erbfalls ein Pflichtteils-berechtigter - wozu die Beteiligte als Tochter des Erblassers zählt (§ 2303 Abs. 1 BGB) - in aller Regel ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht zur Regelung der erbrechtlichen Ansprüche und insbesondere zur Geltendmachung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen hat (vgl.

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hierzu KG NJW 2004, 1316; Schöner/Stöber Grundbuchrecht 15. Aufl. Rn. 525 m.w.N.; Hügel/Wilsch GBO 2. Aufl. § 12 Rn. 60). Dabei kann das Interesse sich nicht nur auf die Frage erstrecken, in welcher Höhe mögliche Ansprüche gegen Miterben bestehen. Können Pflichtteilsergänzungsansprüche entstanden sein, so ergibt sich das berechtigte Interesse an der Einsicht in Grundbuchblätter auch ehemaligen Grundeigentums des Erblassers allein schon zur Klärung, ob solche Ansprüche tatsächlich entstanden sind. Das Interesse umfasst auch die Einsicht in die Abteilungen II und III (OLG Düsseldorf FGPrax 2011, 58).

(Rn. 9) Rechtsirrig verneint das Amtsgericht, dass ein solcher Pflichtteilsergänzungsanspruch der Beteiligten entstanden sein kann, mit der Begründung, die Beteiligte habe die Erbschaft angenommen und sei daher nicht pflichtteilsberechtigt. Die Beteiligte hat dargelegt, dass sie gesetzliche Erbin - Miterbin zu 1/4 - ist. Auch einem gesetzlichen Erben kann ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB zustehen. Der Zweck der Norm ist nämlich nicht nur auf einen Ausgleich bei Beeinträchtigung der Höhe des Pflichtteils durch den Erblasser beschränkt. Hat der Erblasser vor seinem Tod den Nachlass dadurch gemindert, dass er Schenkungen vorgenommen hat, steht einem Pflichtteilsberechtigten auch dann ein Ergänzungsanspruch zu, wenn er gesetzlicher oder gewillkürter Miterbe ist. Voraussetzung ist allein, dass der Wert des Hinterlassenen geringer ist als der Wert der Hälfte des gesetzlichen Erbteils unter Hinzurechnung der verschenkten Gegenstände (G. Müller in Burandt/Rojahn Erbrecht § 2325 BGB Rn. 6).

(Rn. 10) 3. Bereits durch Vorlage des Erbscheins hat die Beteiligte ihr berechtigtes Interesse hinreichend dargelegt. Damit steht nämlich fest, dass sie Miterbin ist und ihr deshalb mögliche Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche nach § 2325 BGB zustehen können. Nicht verlangt werden kann dagegen die Darlegung, dass der Wert der Hinterlassenschaft tatsächlich hinter dem Pflichtteilswert zurückbleibt. Diese Frage kann ein Erbe nämlich manchmal erst aufgrund von Erkenntnissen aus der Grundbucheinsicht beantworten. Dass Ansprüche nach § 2325 BGB bestehen und auch geltend gemacht werden sollen, bedarf daher keiner schlüssigen Darlegung (OLG Düsseldorf FGPrax 2011, 58).

(Rn. 11) 4. Nach dem Vortrag der Beteiligten wurde ein Pflichtteilsverzicht oder Verzicht auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch von ihr nicht erklärt. Darauf käme es aber auch nicht an, da für die Einsicht allein die abstrakte Möglichkeit eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs genügt. Anderes könnte nur dann gelten, wenn sich das Einsichtsbegehren als rechtsmissbräuchlich erweisen würde, wofür hier aber keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.

(Rn. 12) 5. Auch wenn der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB alle Schenkungen an Ehegatten betrifft, jedoch Schenkungen an Dritte nur dann, wenn seit der Schenkung keine 10 Jahre verstrichen sind, besteht hier kein Anlass, die beantragte Einsicht in zeitlicher Hinsicht einzuschränken. Wie dem Senat aus den vorliegenden Unterlagen bekannt ist, liegen die vorgenommenen Schenkungen von Grundstücken an den Sohn und die Ehefrau jeweils nicht mehr als 10 Jahre zurück.“

bb) OLG Karlsruhe , Beschl. v. 5.9.2013 - 11 Wx 57/13, NJW-Spezial 2013, 647 = ZEV 2013, 621

Sachverhalt: Nach dem Tod seiner Mutter beantragte der (wohl einzige) Sohn (und gesetzliche Erbe) einen Grundbuchauszugs und eine Kopie des Kaufvertrages, mit dem seine Mutter eine Immobilie veräußert hatte.

Das Grundbuchamt lehnt dies ab, da jeglicher Anhaltspunkt für eine unengeltliche Übertragung fehle. Der Kaufvertrag zwischen der Verstorbenen und dem Erwerber sei offensichtlich ein Vertrag unter Fremden gewesen; er sei nämlich unter Vermittlung eines Maklers zustande gekommen.

S. 293 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Entscheidung: Das OLG Karlsruhe bejahte ein Einsichtsrecht des Sohnes als Pflichtteilsberechtigten. Er müsse nicht darlegen, dass im konkreten Fall Pflicht-teilsergänzungsansprüche in Betracht kämen.

Das Einsichtsrecht umfasst alle Abteilungen des Grundbuchs und die bei den Grundakten befindlichen Urkunden als Eintragungsunterlagen.

(Juris Rn. 10) „Nach diesen Grundsätzen steht dem Pflichtteilsberechtigten nach dem Tode des Erblassers grundsätzlich ein Recht auf Grundbucheinsicht zu, das aus seiner Gläubigerstellung gegenüber den Erben folgt (vgl. etwa OLG München FamRZ 2013, 1070, juris-Rn. 8; ähnliche Konstellation bei LG Stuttgart ZEV 2005, 313, juris-Rn. 9; BeckOK/Wilsch, GBO, Edition 18, § 12, Rn. 60 m. w. N.; Demharter, GBO, 28. Auflage, § 12 Rn. 12; Schöner/Stöber, Grundbuch-recht, 15. Auflage, Rn. 525 [S. 249]). Das kann auch gelten, wenn der Erblasser das Grundstück noch zu Lebzeiten veräußert hatte; in diesem Falle hat er nämlich einen Pflichtteilsergänzungs-anspruch, sofern die Veräußerung vollständig oder teilweise aufgrund einer Schenkung erfolgte (§ 2325 BGB; zur Anwendung dieser Vorschrift bei gemischten Schenkungen vgl. etwa BeckOK/J. Mayer, Edition 27, § 2325, Rn. 22).

(Rn. 11) Soweit Maaß (in: Bauer/von Oefele, GBO, 3. Auflage, § 12, Rn. 38) abweichend hiervon die Auffassung vertritt, der Pflichtteilsberechtigte sei auf seine Auskunftsansprüche gegen Erben und Beschenkte beschränkt und könne daher keine Grundbucheinsicht verlangen, vermag dies nicht zu überzeugen. § 12 GBO ist eine Einschränkung des Einsichtsrechts auf Fälle, in denen die benötigte Auskunft nicht anderweitig - etwa durch Einholung der Auskünfte Dritter - erlangt werden kann, nicht zu entnehmen. Zudem kann der Pflichtteilsberechtigte gerade ein berechtigtes Interesse daran haben, die Richtigkeit einer ihm erteilten Auskunft durch eigene Einsichtnahme in das Grundbuch zu überprüfen.

(Rn. 12) 2. Unter Anlegung dieses Maßstabs ist dem Antragsteller ein Grundbuchauszug zu erteilen und eine Abschrift der Eintragungsunterlage auszuhändigen, aufgrund derer seine Mutter das Eigentum an dem Grundstück verloren hat.

(Rn. 17) „3. Das berechtigte Interesse des Antragstellers erstreckt sich auf die Erteilung eines alle Abteilungen umfassenden Grundbuchauszugs. Zur Prüfung der Frage, welchen Wert der Grundbesitz hat und ob der Kaufpreis dahinter zurückgeblieben ist, kommt es auch auf die Kenntnis etwaiger Belastungen des Grundbesitzes an, so dass auch ein die Abteilungen II und III umfassender Auszug verlangt werden kann (vgl. KG NJW-RR 2004, 1316, juris-Rn. 4).“

c) Grundbucheinsicht durch Nachbarn (OLG Karlsruhe, 29.5.2013 - 11 Wx 40/13)

Die Literatur sieht in der bloßen Nachbarschaft noch kein berechtigtes Interesse für eine Grundbucheinsicht, sofern sich nicht konkrete Ansprüche aus Nachbarrecht ergeben oder bei einem Bauvorhaben.458 Dies weitete das OLG Karlsruhe auf mögliche drohende Nachbarschaftskonflikte bei an einen Gewerbebetrieb heran-rückenden Bebauung aus.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.5.2013 - 11 Wx 40/13, MDR 2013, 966

458 Meikel/Böttcher, § 12 GBO Rn. 42.

S. 294 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Leitsatz: Der Betreiber eines lärmintensiven Unternehmens, der aufgrund einer geplanten Wohnbebauung in unmittelbarer Nähe zu seinem Unternehmen recht-liche Auseinandersetzungen mit den künftigen Bewohnern befürchtet, hat einen Anspruch auf Erteilung einer beglaubigten Abschrift der Grundbucheintragung über den derzeitigen Grundstückseigentümer. Denn die Aufnahme von Gesprächen mit dem derzeitigen Eigentümer zur Vermeidung drohender Nachbarschafts-konflikte stellt ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht dar.

d) Kaufinteressent

Will ein Kaufinteressent erst erfahren, wer Grundstückseigentümer ist, um mit diesem Kaufverhandlungen aufzunehmen, so begründet dies kein berechtigtes Interesse an einer Grundbucheinsicht.459 Auch dies bestätigte die vorhin besprochene Entscheidung des OLG Celle.460

e) Gläubiger

Der Gläubiger muss lediglich seine Forderung hinreichend darlegen. Dies genügt als berechtigtes Interesse, auch wenn er noch keinen Vollstreckungstitel hat.461

Für weitere Beispielsfälle kann ich auf die umfassende Auflistung bei Böhringer, DNotZ 2014, 16, 24 ff. verweisen – sowie auf die Kommentierungen zu § 12 GBO.

Fazit: Die isolierte Grundbucheinsicht wird von geringer praktischer Bedeutung bleiben. Begehrt ein anderer als der Grundstückseigentümer Einsicht, muss der Notar das berechtigte Interesse sorgfältig prüfen.

459 BayObLG RPfleger 1984, 351; BWNotZ 1991, 144 = MDR 1991, 1172. 460 OLG Celle, Urt. v. 3.3.2011 - Not 26/10, NdsRpfl 2012, 248 = NotBZ 2011, 367 = NZM 2012,

319 = RNotZ 2011, 367. 461 BayObLG Rpfleger 1975, 361; KG KGJ 20, A 173, 175; OLG Zweibrücken NJW 1989, 531.

S. 295 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

II. Vollmachtsbescheinigung (§ 21 Abs. 3 BNotO) (CH)

a) Gesetzliche Neuregelung (BGBl. 2013 I, 1800)

Durch das „Gesetz zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare“462 wurde die bisherige Möglichkeit einer Register-bescheinigung erweitert auf eine Bescheinigung über rechtsgeschäftliche Vollmachten.

§ 21 BNotO

(3) Die Notare sind ferner dafür zuständig, Bescheinigungen über eine durch Rechtsgeschäft begründete Vertretungsmacht auszustellen. Der Notar darf die Bescheinigung nur ausstellen, wenn er sich zuvor durch Einsichtnahme in eine öffentliche oder öffentlich beglaubigte Vollmachts-urkunde über die Begründung der Vertretungsmacht vergewissert hat. In der Bescheinigung ist anzugeben, in welcher Form und an welchem Tag die Vollmachtsurkunde dem Notar vorgelegen hat.“

In der Regierungsbegründung heißt es hierzu:

„Der neu anzufügende Absatz 3 begründet die Zuständigkeit der Notare für notarielle Vollmachts-bescheinigungen und bestimmt zugleich die Voraussetzungen für die Erteilung einer notariellen Vollmachtsbescheinigung. Satz 1 erweitert die Zuständigkeit der Notare: Über die in Absatz 1 geregelte Zuständigkeit für Bescheinigungen, die auf Eintragungen im Handelsregister oder ähnlichen Registern gründen, hinaus sind Notare künftig auch für notarielle Vollmachtsbescheini-gungen zuständig. Satz 2 sieht vor, dass der Notar eine notarielle Vollmachtsbescheinigung nur erteilen darf, wenn er sich über die Erteilung der Vollmacht durch Vorlage einer Vollmachts-urkunde Gewissheit verschafft hat. Diese Regelung ist Absatz 2 Satz 1 nachgebildet, der für Bescheinigungen nach § 21 Absatz 1 die vorherige Einsichtnahme in das betreffende Register vorschreibt.

Durch die Zulassung einer notariellen Vollmachtsbescheinigung sollen die Anforderungen für den Nachweis von Erklärungen für Registereintragungen allerdings nicht vermindert werden. Vielmehr sollen zum Schutz des Registerverkehrs die bisherigen Formvorschriften beibehalten werden, um unrichtige Eintragungen zu verhindern. Für den Registerverkehr ist deshalb erforderlich, dass die Vollmachten, die Grundlage der notariellen Bescheinigung sind, in der Form vorliegen, die das jeweilige Registerverfahren für die Vorlage von Urkunden vorschreibt. Dem trägt Absatz 3 Satz 3 Rechnung. Durch Satz 4 wird sichergestellt, dass die das Register führende Stelle anhand der notariellen Bescheinigung überprüfen kann, ob die Vollmachtsurkunde dem Notar in der für die Eintragung in das jeweilige Register erforderlichen Form vorgelegen hat.“

(BT-Drucks. 17/1469 vom 21.4.2010, S. 18).

b) Formulierungsbeispiel

Eine Vollmachtsbescheinigung könnte daher wie folgt lauten:

Heute den … erschien vor mir, Notar/in …

Herr Hans Huber, geboren am …, wohnhaft …, Güterstand …,

462 BGBl. 2013 I, 1800. Vgl. insbes. BT-Drucks. 17/1469 vom 21.4.2010.

S. 296 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

hier handelnd

a) für sich

b) für seine Mutter, Frau Magdalena Huber, geboren am …, wohnhaft …, Güterstand …,

aufgrund notariell beurkundeter Vollmacht (Niederschrift der Notarin Maria Müller in N-Stadt vom …, URNr. …), die mir heute in dem Bevollmächtigtem erteilter Ausfertigung vorlag.

Hierzu stelle ich, der Notar fest, dass die Vollmacht zu Rechtsgeschäften beliebiger Art über das heute vertragsgegenständliche Grundstück bevollmächtigt, damit insbesondere auch zum Abschluss des vorliegenden Kaufvertrages mit Auflassung.

Auf Ersuchen der Beteiligten und aufgrund ihrer vor mir bei gleichzeitiger Anwesenheit abgegebenen Erklärungen beurkunde ich folgenden Kaufvertrag …

Trotz Vollmachtsbescheinigung hat der Notar eine beglaubigte Abschrift der Vollmachtsurkunde zu seiner Urschrift zu nehmen (§ 12 Satz 1 BeurkG).

Dem Grundbuchamt (oder Handelsregister) gegenüber genügt aber die notarielle Vollmachtsbescheinigung; hier muss keine Vollmachtsabschrift vorgelegt (oder elektronisch übermittelt) werden.

Ein Zweck der Vollmachtsbescheinigung war, dem Grundbuchamt die wiederholte Übersendung der dicken Packen von Vollmachten und Untervollmachten zu erteilen - insbes. bei Vollmachtsketten, wenn die Zentrale der Bank oder des Unternehmens zunächst Vollmacht an Hauptbevollmächtigte, diese weiter an regionale Unterbevoll-mächtigte erteilt haben - was mit den Namens- und Grundstückslisten leicht zu einem Konvolut von 15-20 Seiten anschwillt.

Die typische Vollmachtsbescheinigung dürfte also eher wie folgt lauten - am Beispiel der Unterschriftsbeglaubigung für einen rechtsgeschäftlichen Vertreter der örtlichen Volks- und Raiffeisenbank:

Hierzu stelle ich, der Notar fest, dass Herr Franz Maier aufgrund notariell beurkundeter Vollmacht (Niederschrift der Notarin Maria Müller in N-Stadt vom …, URNr. …), die mir heute in dem Bevollmächtigtem erteilter Ausfertigung vorlag, zur Vertretung der Volks- und Raiffeisenbank N-Stadt bei der Löschung von Grundpfand-rechten (alternativ: bei dem vorliegenden Rechtsgeschäft) bevollmächtigt ist.

S. 297 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

III. Verwirrung bei Grundstücksvereinigung (CH)

1. Allgemeiner Begriff der Verwirrung

a) Was ist (grundbuchverfahrensrechtliche) Verwirrung?

Grundbuchverfahrensrechtlich darf das Grundbuchamt eine Vereinigung oder Zuschreibung (§ 890 BGB) nur eintragen, „wenn hiervon Verwirrung nicht zu besorgen ist“ (§ 5 Abs. 1 S. 1 GBO - für die Zuschreibung § 6 Abs. 1 S. 1 GBO).

Allgemein ist Verwirrung bei unterschiedlichen Belastungen zu besorgen, „wenn die Eintragungen derart unübersichtlich und schwer verständlich würden, dass der gesamte grundbuchmäßige Rechtszustand des Grundstücks nicht mehr mit der für den Grundbuchverkehr notwendigen Klarheit und Bestimmtheit erkennbar wäre und die Gefahr von Streitigkeiten von Berechtigten untereinander oder mit Dritten und von Verwicklungen namentlich im Fall der Zwangsversteigerung bestünde.“463

Während Rechtsprechung und Literatur früher dem Grundbuchamt ein Ermessen bei der Beurteilung zugestanden, ob Verwirrung vorliegt, betrachtet man dies heute allge-mein als unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Anwendung vollständiger gerichtlicher Überprüfung unterliegt.464

Es gibt drei Meinungen, wann bei unterschiedlichen Belastungen Verwirrung zu besorgen ist:

– Nach der strengsten Meinung ist bei unterschiedlicher Belastung immer Verwirrung zu besorgen.465

– Nach herrschender Meinung lässt die unterschiedliche Belastung nur dann Verwirrung besorgen, wenn auch die Flurstücke verschmolzen werden, da dann der genaue Umfang der Belastung aus dem aktuellen Grundbuch nicht mehr zu erkennen ist.466

463 BayObLG DNotZ 1997, 398 (399 f.); BayObLG DNotZ 1994, 242; KG NJW-RR 1989, 1360;

OLGE 39, 221; 8, 300; OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 608; DNotZ 1971, 479; OLG Hamm BeckRS 1997, 31008426; Rpfleger 1968, 121; OLG Schleswig Rpfleger 1982, 371.

464 BayObLG DNotZ 1994, 242; DNotZ 1978, 102; KG NJW-RR 1989, 1360. 465 Meyer-Stolte Rpfleger 1980, 191; 1981, 107; Morvilius MittBayNot 2006, 229; Stöber

MittBayNot 2001, 281; Schöner/Stöber Rn. 639. 466 BayObLG DNotZ 1994, 242; BayObLGZ 1977. 119; KG NJW-RR 1989, 1360; OLG Düsseldorf

NJW-RR 2000, 608; OLG Frankfurt DNotZ 1993, 612; OLG Hamm Rpfleger 1998, 154; OLG Schleswig Rpfleger 1982, 371; Böttcher BWNotZ 1986, 73 (74 f.); Panz BWNotZ 1995, 156 (158); Röll DNotZ 1968, 523 (534 ff.); Wendt Rpfleger 1983, 192; Demharter § 5 GBO Rn. 14; KEHE/Eickmann § 5 GBO Rn. 13; Meikel/Böttcher § 5 GBO Rn. 35; Bauer/v. Oefele/Waldner §§ 5, 6 GBO Rn. 27-29.

S. 298 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– Nach der weitesten Auffassung führt auch die Flurstücksverschmelzung noch nicht notwendig zur Verwirrung, weil sich aus den früheren Eintragung und dem historischen Kataster die belasteten Flächen entnehmen lassen.467

Die besseren Argumente scheinen mir für die herrschende Auffassung zu sprechen – jedenfalls für Grundpfandrechte und Reallasten.

– Dass nicht jede unterschiedliche Belastung zur Verwirrung führen kann, scheint mir § 1131 BGB zu belegen; dieser liefe sonst leer (oder wäre nur anwendbar, wenn das Grundbuchamt einen Fehler gemacht hätte). Die herrschende Meinung führt zu praktikablen Ergebnissen. Der Eigentümer kann zwar die Beschränkung leerlaufen lassen, indem er später die Verschmelzung beantragt; dies kann der Landesgesetzgeber verhindern, indem er die Verschmelzung davon abhängig macht, dass nur gleichartige Belastungen bestehen. (Ohne eine solche gesetzliche Regelung kann aber eine Verwirrungsgefahr nicht der späteren Verschmelzung entgegengehalten werden.)

– Die dritte, weitestgehende Auffassung ist zwar logisch stringenter (weil der Eigentümer ebenso später die Verschmelzung beantragen kann), führt aber zu kaum lösbaren praktischen Problemen bei der Zwangsversteigerung. Bei Dienstbarkeiten und Nutzungsrechten führt auch eine Verschmelzung nicht zur Verwirrung, wenn deren Ausübungsbereich in der Eintragungsbewilligung hinreichend bestimmt ist, insbes. durch eine Karte; hier ist auch die hM weiter.468

b) Rechtsfolgen

Droht Verwirrung, so darf das Grundbuchamt die Vereinigung (oder Zuschreibung) nicht eintragen (= Eintragungshindernis).

Hat es sie aber trotz Besorgnis der Verwirrung eingetragen (unter Verstoß gegen § 5 Abs. 1 S. 1 GBO), so ist die Eintragung gleichwohl wirksam.469

Allerdings könnte ein Amtshaftungsanspruch gegen das Grundbuchamt bestehen, wenn durch die Verwirrung ein Schaden entstanden ist.470

2. Neuregelung zur Verwirrung bei Grundpfandrechten oder Reallasten

a) §§ 5, 6 GBO i.d.F. durch BGBl. 2013 I, 3719

Für Grundpfandrechte und Reallasten hat sich der Gesetzgeber nun im Sinne der strengen Meinung festlegt. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 GBO in der Fassung durch das

467 so früher BayObLG Rpfleger 1980, 191; LG Hildesheim Rpfleger 1981, 107. 468 BayObLG DNotZ 1997, 398; DNotZ 1995, 305. 469 BGH DNotZ 2006, 288 = NJW 2006, 1000 (Vereinigung trotz Besorgnis der Verwirrung). 470 Meikel/Böttcher § 5 GBO Rn. 93.

S. 299 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

„Gesetz zur Einführung eines Datenbankgrundbuches (DaBaGG)“471 hat eine Vereinigung insbes. dann zu unterbleiben,

– wenn die Grundstücke im Zeitpunkt der Vereinigung mit unterschiedlichen Grundpfandrechten oder Reallasten

– oder mit denselben Grundpfandrechten und Reallasten, aber in unterschiedlicher Reihenfolge belastet sind.

Dasselbe gilt nach § 6 Abs. 2 bei Zuschreibung.

§ 5 GBO

(1) Ein Grundstück soll nur dann mit einem anderen Grundstück vereinigt werden, wenn hiervon Verwirrung nicht zu besorgen ist. Eine Vereinigung soll insbesondere dann unterbleiben, wenn die Grundstücke im Zeitpunkt der Vereinigung wie folgt belastet sind:

1. mit unterschiedlichen Grundpfandrechten oder Reallasten oder

2. mit denselben Grundpfandrechten oder Reallasten in unterschiedlicher Rangfolge.

Werden die Grundbücher von verschiedenen Grundbuchämtern geführt, so ist das zuständige Grundbuchamt nach § 5 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu bestimmen.

(2) Die an der Vereinigung beteiligten Grundstücke sollen im Bezirk desselben Grundbuchamts und derselben für die Führung des amtlichen Verzeichnisses nach § 2 Abs. 2 zuständigen Stelle liegen und unmittelbar aneinandergrenzen. Von diesen Erfordernissen soll nur abgewichen werden, wenn hierfür, insbesondere wegen der Zusammengehörigkeit baulicher Anlagen und Nebenanlagen, ein erhebliches Bedürfnis entsteht. Die Lage der Grundstücke zueinander kann durch Bezugnahme auf das amtliche Verzeichnis nachgewiesen werden. Das erhebliche Bedürfnis ist glaubhaft zu machen; § 29 gilt hierfür nicht.

§ 6 GBO

(1) Ein Grundstück soll nur dann einem anderen Grundstück als Bestandteil zugeschrieben werden, wenn hiervon Verwirrung nicht zu besorgen ist. Werden die Grundbücher von verschiedenen Grundbuchämtern geführt, so ist für die Entscheidung über den Antrag auf Zuschreibung und, wenn dem Antrag stattgegeben wird, für die Führung des Grundbuchs über das ganze Grundstück das Grundbuchamt zuständig, das das Grundbuch über das Hauptgrundstück führt.

(2) § 5 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 ist entsprechend anzuwenden.

Der Gesetzgeber folgt damit insbes. der Argumentation Stöbers472, der auf die Schwierigkeit der Zwangsversteigerung bei unterschiedlicher Belastung mit Grund-pfandrechten hingewiesen hatte.

Nach dem Gesetzeszweck genügt m.E., dass sich das gleiche Belastungsverhältnis zeitgleich mit der Eintragung der Grundstücksverbindung ergibt (etwa durch

471 Gesetz zur Einführung eines Datenbankgrundbuchs (DaBaGG) vom 1. Oktober 2013, BGBl. 2013

I, 3719. Vgl. BT-Drucks. 17/12635 vom 5.3.2013. 472 Stöber MittBayNot 2001, 281.

S. 300 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Nachverpfändung oder – bei Zuschreibung – durch Erstreckung einer Grundschuld, wie letzteres in § 22 Abs. 1 S. 1 Hess.AGBGB geregelt ist).

b) Vergleichbare landesrechtliche Regelungen

§ 5 Abs. 1 Satz 2 GBO übernimmt vergleichbare landesrechtliche Beschränkungen.

– Nach Art. 119 Nr. 3 EGBGB bleiben landesrechtliche Vorschriften unberührt, die die Grundstücksvereinigung oder -zuschreibung nach § 890 BGB untersagen oder beschränken. Der Landesgesetzgeber kann hierzu auch neue Vorschriften erlassen (Art. 1 Abs. 2 EGBGB).473

– Solche Beschränkungen gibt es in Baden-Württemberg (§ 30 BW-AGBGB), Hessen (§ 22 Hess.AGBGB), Rheinland-Pfalz (§ 19 RP-AGBGB) und dem Saarland (§ 23 Saar-AGJusG) - und zwar jeweils als verfahrensrechtliche Beschränkung über §§ 5, 6 GBO hinaus (nicht als materiell-rechtliche Anforderungen über § 890 BGB hinaus). In allen vier Ländern. sind gleiche Belastungsverhältnisse zumindest für Grundpfandrechte erforderlich - in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland auch für sich auf das ganze Grundstück erstreckende Dienstbarkeiten und Reallasten.

c) Andere Belastungen

Für andere Belastungen legt sich der Gesetzgeber damit nicht fest. Hier kann man m.E. mit der bisher h.M. davon ausgehen, dass jedenfalls dann keine Verwirrung zu befürchten ist, wenn keine Verschmelzung beantragt ist. Und auch bei Verschmelzung besteht keine Verwirrungsgefahr, wenn der Ausübungsbereich der Dienstbarkeit durch eine Karte o.ä. hinreichend bestimmt ist.

473 Vgl. BT-Drucks. 12/5553 vom 12.08.1993, S. 58.

S. 301 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

IV. Vollmacht und (Allein-)Erbenstellung; Abgrenzung zwischen Vorsorgevollmacht und Erbschein (SH)

– OLG Hamm, Beschl. v. 10.1.2013 - 15 W 79/12 (transmortale Vollmacht im Grundbuchverfahren), DNotI-Report 2013, 70 = DNotZ 2013, 689 = MittBayNot 2013, 395 = notar 2013, 203 = RNotZ 2013, 382 = ZNotP 2013, 183. Vgl. hierzu Amann, MittBayNot 2013, 367; Bestelmeyer, notar 2013, 147; Dutta, FamRZ 2013, 1514; Herrler, NotBZ 2013, 454; Keim, DNotZ 2013, 692; Lange, ZEV 2013, 343; Lutz, BWNotZ 2013, 171.

1. Ausgangssituation

a) Rechtslage bei Tod des Vollmachtgebers

Erteilt der spätere Erblasser eine über seinen Tod hinausgehende (sog. transmortale) Vollmacht, z. B. in Gestalt einer sog. General- und Vorsorgevollmacht, verfolgt er dabei nicht selten das Ziel, die Nachlassabwicklung zu erleichtern und die Handlungsfähigkeit im Hinblick auf nachlasszugehörige Vermögensgegenstände aufrechtzuerhalten. Existiert die Vollmacht in beurkundeter oder zumindest in öffentlich beglaubigter Form, ist der Bevollmächtigte zudem in der Lage, über vormals im Eigentum des Erblassers stehende Immobilien mit Wirkung für und gegen den oder die Erben, genauer: mit Wirkung für den Nachlass zu verfügen,474 beispielsweise zur Erfüllung eines Immobilienvermächtnisses oder zur Veräußerung einer Nachlass-immobilie zwecks Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft. Eine Voreintragung der Erben ist in diesem Fall nach § 40 Abs. 1 GBO entbehrlich.475 Ohne eine den Anforderungen des § 29 GBO genügende Vollmacht wären die Erben anderenfalls auf einen Erbschein angewiesen, dessen Erteilung – um mit dem OLG Hamm zu sprechen – „Mühewaltung und [...] Gebührenaufwand“ verursacht,476 sofern nicht eine Verfügung von Todes wegen in einer öffentlichen Urkunde vorliegt (vgl. § 35 Abs. 1 GBO). Die schützenswerten Interessen des bzw. der Erben, für und gegen die das Handeln des Bevollmächtigten Wirkungen entfaltet, sind dadurch gewahrt, dass diesem (im Falle von Miterben jedem einzelnen von ihnen) das Recht zum Widerruf der Vollmacht zusteht.477

474 BGH NJW 1962, 1718 f.; RGZ 106, 185, 187; Schramm, in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2012, § 168 Rn. 17; Staudinger/Schilken, BGB, Neubearb. 2009, § 168 Rn. 31; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 3571; Soergel/Leptien, BGB, 13. Aufl. 1999, § 168 Rn. 32.

475 Anders ggf. dann, wenn im Rahmen der Veräußerung von nachlasszugehörigen Immobilien Finanzierungsgrund-pfandrechte durch den Käufer aufgrund einer Finanzierungsvollmacht bestellt werden sollen, vgl. zum Streitstand DNotI-Abrufgutachten 112811 unter www.dnoti.de.

476 OLG Hamm DNotZ 2013, 689. 477 Staudinger/Schilken, BGB, Neubearb. 2009, § 168 Rn. 23, 34 m. w. N.; Schramm, in

MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2012, § 168 Rn. 36 ff.; Staudinger/Reimann, BGB, Neubearb. 2012, Vorbem. §§ 2197–2228 Rn. 73; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 3572. Bei Widerruf lediglich durch einen Miterben ist der Bevollmächtigte weiterhin zur Vertretung der

S. 302 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

b) Exkurs: Nebeneinander von Vollmacht und Testamentsvollstreckung

Ebenso ist der Bevollmächtigte bei angeordneter Testamentsvollstreckung grund-sätzlich in der Lage, ohne Beteiligung des Testamentsvollstreckers Rechte und Pflichten für die Erben zu begründen. Denn seine Vollmacht kann ihm eigenständige, neben den Befugnissen des Testamentsvollstreckers stehende Befugnisse verleihen.478 Da durch eine umfassende Bevollmächtigung des durch die Testamentsvollstreckung beschränkten Alleinerben insbesondere die nach § 2211 Abs. 1 BGB grundsätzlich eingreifenden Verfügungsbeschränkungen des Erben ausgehebelt werden, gilt es nach Ansicht der Rechtsprechung in jedem Einzelfall durch Auslegung der Voll-macht zu ermitteln, ob die rechtsgeschäftlich erteilte umfassende Vertretungsmacht trotz der letztwillig angeordneten Verfügungsbeschränkungen fortbestehen soll.479

Nach Ansicht des OLG München dürfte insbesondere dann von einem Fortbestehen einer (speziellen) Vollmacht auszugehen sein, wenn diese erst ab dem Tod des Vollmachtgebers Geltung beansprucht (Vollmacht zur Löschung einer einen aufschie-bend bedingten Rückerwerbsanspruch des Erblassers absichernden Vormerkung).480 Die zeitliche Reihenfolge der Vollmachtserteilung und der Anordnung von Testamentsvollstreckung stellt richtigerweise lediglich einen Faktor im Rahmen der Auslegung dar. Auch bei nachträglich angeordneter Testamentsvollstreckung ist nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsmacht des Bevollmächtigten fortbesteht.481 Kommt es dem Vollmachtgeber und dem späteren Erblasser entscheidend darauf an, eine Vakanz zwischen dem Tod des Vollmachtgebers und der Annahme des Testaments-vollstreckeramtes i. S. v. § 2202 BGB zu überbrücken, um auf diese Weise die Handlungsfähigkeit im Hinblick auf den gesamten Nachlass oder einzelne Teile aufrechtzuerhalten, spricht dies ebenfalls für ein Nebeneinander von Vollmacht und Testamentsvollstreckung.482 Die Auslegung kann und muss das Grundbuchamt unabhängig von der Schwierigkeit auftauchender Rechtsfragen und auch unter Berücksichtigung außerhalb der Urkunde liegender Umstände (z. B. beigezogene Nachlassakten) selbst vornehmen.483

In der Literatur wird in Reaktion auf die Entscheidungen des OLG München allerdings betont, dass zwischen der Wirksamkeit der Vollmacht im Außenverhältnis und dem Innenverhältnis zwischen dem Testamentsvollstrecker und dem Bevollmächtigten zu

übrigen Miterben befugt, kann jedoch von der Vollmacht nur noch gemeinsam mit dem widerrufenden Miterben Gebrauch machen (vgl. Schramm, in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2012, § 168 Rn. 37; Mensch, ZNotP 2013, 171, 172 m. w. N. zum Streitstand).

478 BGH, WM 1962, 840; OLG München DNotI-Report 2012, 161 = MittBayNot 2013, 230; OLG München DNotZ 2012, 303. Vgl. hierzu Weidlich, MittBayNot 2013, 196; Amann, MittBayNot 2013, 267 sowie Hertel, in: DAI-Skript, Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung im Immobilienrecht 2012/13, C VI 2 lit. d = S. 198 ff.

479 So jüngst OLG München DNotZ 2012, 303, 304 m. zahlr. w. N. 480 OLG München DNotI-Report 2012, 161 = MittBayNot 2013, 230. 481 Zutreffend OLG München DNotZ 2012, 303, 304 m. w. N. 482 Zutreffend OLG München DNotZ 2012, 303, 305. 483 OLG München MittBayNot 2013, 230; DNotZ 2012, 303, 304 m. w. N.

S. 303 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

differenzieren sei. Im Außenverhältnis484 könnten nur diejenigen Umstände für eine restriktive Auslegung einer dem Wortlaut nach umfassenden Generalvollmacht Berücksichtigung finden, die für den anderen Teil erkennbar sind. Einschränkungen der Vollmacht, die sich aus einer Testamentsvollstreckungsanordnung nach dem Willen des Erblassers ergeben, aber in der Vollmachtsurkunde selbst nicht zum Ausdruck kommen, muss sich ein gutgläubiger Geschäftspartner gem. § 172 i. V. m. § 171 BGB nicht entgegenhalten lassen.485

Gleiches gilt bei Nachlasspflegschaft oder Nachlassverwaltung.486

c) Bevollmächtigter als Alleinerbe des Vollmachtgebers – Meinungsstand

Gerade in dem bei wertender Betrachtung an sich unproblematischsten Fall des Handelns aufgrund einer trans- oder postmortalen (ggf. General- und Vorsorge-) Vollmacht – der Bevollmächtigte ist zugleich Alleinerbe des Erblassers – ist ungewiss, ob die Vollmacht ihren Zweck erfüllen kann. Rechtskonstruktiv ist eine Identität von Bevollmächtigtem und Vertretenem jedenfalls im Zeitpunkt der Vollmachts-erteilung ausgeschlossen, woraus vielfach gefolgert wird, dass die transmortale Vollmacht mit Eintritt des Erbfalls erlischt. Bei einer postmortalen Vollmacht stellt sich dieses Problem in gleicher, wenn nicht gar in verschärfter Weise, da für das Grundbuchamt feststeht, dass der Bevollmächtigte nicht mehr für den (personen-verschiedenen) Erblasser, sondern für den oder die Erben handelt und daher eine Personenidentität nicht ausgeschlossen ist bzw. gar nahe liegt, da vermutlich vielfach die nächsten Angehörigen bevollmächtigt werden, die auch als gesetzliche bzw. gewillkürte Erben berufen sind. Ob es dem bevollmächtigten Alleinerben u. U. gleichwohl möglich ist, Rechtsgeschäfte über einzelne Nachlassgegenstände unter Berufung auf die Vollmacht abzuschließen, ggf. zumindest dann, wenn der Bevollmächtigte noch nicht von seiner Erbenstellung weiß, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.487 Eine höchstrichterliche Stellungnahme steht noch aus.

aa) Erlöschen der Vollmacht

Teilweise wird bei Personenidentität von Bevollmächtigtem und Erben unter Verweis darauf, eine Stellvertretung sei bei Zusammenfallen der Stellung als Bevollmächtigter und als Vertretener bereits begrifflich unmöglich, für ein Erlöschen der Vollmacht plädiert. So hat das OLG Stuttgart bereits im Jahr 1948 festgestellt:

484 Und nur dieses ist für das Grundbuchamt maßgeblich (vgl. Weidlich, MittBayNot 2013, 196,

197). 485 Vgl. Amann, MittBayNot 2013, 367 ff.; Weidlich, MittBayNot 2013, 196, 197 ff., jeweils auch

zum Innenverhältnis zwischen Testamentsvollstrecker und Bevollmächtigten. 486 Zur Widerrufsmöglichkeit durch den Nachlasspfleger vgl. DNotI-Gutachten, DNotI-Report

2013, 84. 487 Zur verwandten Problemstellung bei einer trans- bzw. postmortalen Vollmacht für den

alleinigen Vorerben vgl. Keim, DNotZ 2008, 175.

S. 304 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Trotz Unkenntnis vom Tod des Vollmachtgebers kann sein bevollmächtigter Alleinerbe ihn bzw. sich nicht rechtswirksam vertreten.488

In der Literatur ist die Position des OLG Stuttgart vielfach auf Zustimmung gestoßen.489

bb) Fortbestehen der Vollmacht

Demgegenüber steht eine auf einen Beschluss des LG Bremen vom 18.12.1992490 zurückgehende Auffassung auf dem Standpunkt, dass eine trans- bzw. postmortale Vollmacht nicht notwendig erlischt, wenn der Vollmachtgeber vom Bevollmächtigten alleine beerbt wird.491 Teilweise wird auf die anderenfalls bestehende große Rechts-unsicherheit hingewiesen, wenn der Fortbestand der Vollmacht an die Erbenstellung des Bevollmächtigten anknüpft.492 Teilweise wird auf den in der Vollmacht ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck kommenden Willen des Vollmachtgebers hingewiesen, demzufolge die Vollmacht bei Zusammenfallen der Person des Bevollmächtigten und des Alleinerben gerade nicht erlöschen soll.493

cc) Wirksames „Vertreterhandeln“ durch Umdeutung

Eine vermittelnde Auffassung geht schließlich davon aus, dass die dem Alleinerben erteilte Vollmacht grundsätzlich infolge Konfusion erlischt. Allerdings sollen die vom Alleinerben/Bevollmächtigten in Unkenntnis des Todes des Vollmachtgebers abgeschlossenen Rechtsgeschäfte wirksam bleiben, da sie „als Willenserklärungen im eigenen Namen umzudeuten“ seien.494

2. OLG Hamm, Beschl. v. 10.1.2013 – 15 W 79/12

Zur Frage, ob der Alleinerbe jedenfalls für die Zwecke des Grundbuchverfahrens weiterhin von einer ihm zuvor formgerecht erteilten Vorsorgevollmacht Gebrauch

488 OLG Stuttgart NJW 1948, 627 (Ls.). 489 Soergel/Leptien, BGB, 13. Aufl. 1999, § 168 Rn. 30; Röthelin Hausmann/Hohloch, Handbuch

des Erbrechts, 2. Aufl. 2010, Kap. 14 Rn. 142 m. w. N.; jüngst Bestelmeyer, notar 2013, 147, 160 f.; vgl. auch NK-BGB/Gierl, 3. Aufl. 2010, § 2112 Rn. 20; Lang, in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 2011, § 2112 BGB Rn. 14.

490 LG Bremen Rpfleger 1993, 235. 491 Meyer-Stolte, Rpfleger 1993, 235 f.; Michalski, WM 1997, 658, 662; Schramm, in

MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2012, § 168 Rn. 17 Fn. 38; Palandt/Ellenberger, BGB, 73. Aufl. 2014, § 168 Rn. 4; Dutta, FamRZ 2013, 1514, 1515; Lange, ZEV 2013, 343; Mensch, ZNotP 2013, 171, 175 f.; Zimmer, ZEV 2013, 307, 312.

492 Michalski, WM 1997, 658, 662. 493 Meyer-Stolte, Rpfleger 1993, 235, 236. 494 J. Mayer, in Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl. 2012, § 2197 Rn. 43; Staudinger/Reimann, BGB,

Neubearb. 2012, Vorbem. §§ 2197–2228 Rn. 70.

S. 305 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

machen kann, hat jüngst das OLG Hamm495 mit Beschluss vom 10.1.2013 wie folgt Stellung genommen:

1. Eine Vollmacht erlischt, wenn der Bevollmächtigte Alleinerbe des Vollmachtgebers wird.

2. Der Grundbuchvollzug eines Rechtsgeschäfts des Bevollmächtigten, der nach seiner eigenen Erklärung Alleinerbe des Vollmachtgebers geworden ist, setzt den Nachweis seiner Erbenstellung nach Maßgabe des § 35 GBO voraus.

a) Sachverhalt

Die spätere Erblasserin hatte ihrem Ehemann zu notarieller Urkunde kurz vor ihrem Tod eine Generalvollmacht erteilt, die nach Eintritt ihres Todes wirksam bleiben sollte. Einige Monate später verfügte der Bevollmächtigte unter Bezugnahme auf die Vollmacht über ein nachlasszugehöriges Grundstück. Im Eingang der Urkunde wird darauf hingewiesen, dass der Bevollmächtigte seine Ehefrau allein beerbt hat. Aufgrund dessen lehnt das Grundbuchamt eine Eigentumsumschreibung ohne Vorlage eines Erbnachweises ab.

b) Entscheidung

Das OLG Hamm bestätigt die Entscheidung des Grundbuchamts. Dieses habe nach § 20 GBO die Wirksamkeit der erklärten Auflassung und damit die Verfügungsbefugnis des Handelnden zu prüfen. Handele ein Beteiligter aufgrund einer transmortalen Vollmacht, bedürfe es zwar grundsätzlich auch nach Versterben des Vollmachtgebers keines Erbnachweises in der Form des § 35 Abs. 1 GBO, weil der bzw. die Erben durch die postmortale Vollmacht des Erblassers bis zu einem etwaigen Widerruf gebunden sind. Indem der Bevollmächtigte vorliegend jedoch im Eingang der notariellen Urkunde erklärt, als Alleinerbe der Erblasserin berufen zu sein, habe er die Legitimationswirkung der Vollmacht selbst aufgehoben. Denn unter dieser Prämisse sei eine Stellvertretung, deren Wirkungen nur ihn selbst als den vertretenen Alleinerben treffen können, rechtlich ausgeschlossen. Insoweit schließt sich das OLG Hamm der unter Ziff. I 2 a) dargestellten strengen Auffassung an, wonach eine Vollmacht erlischt, wenn der Bevollmächtigte den Vollmachtgeber allein beerbt.

Nach Ansicht des OLG Hamm können die vormals bestehenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen dem Erblasser und dem späteren Alleinerben zwar aufrecht-erhalten werden, sofern berechtigte Interessen eines Beteiligten dies gebieten. Beispielhaft werden § 1976 BGB (Nachlassverwaltung bzw. Nachlassinsolvenz), §§ 1990, 1991 Abs. 2 BGB (Dürftigkeitseinrede), § 2143 BGB (Eintritt der Nacherbfolge), § 2175 BGB (Vermächtnis einer Forderung gegen den Erben) und § 2377 BGB (Erbschaftskauf) genannt. Allerdings sei vorliegend keine der

495 OLG Hamm DNotZ 2013, 689.

S. 306 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

vorgenannten Ausnahmen gegeben. Folglich liefe die Annahme des Fortbestehens der Vollmacht für den Alleinerben auf eine Fiktion hinaus, die im Gesetz keine Grundlage habe.

Auch aus Verkehrsschutzgründen bestehe kein zwingendes Bedürfnis dafür, von einem Fortbestehen der Vollmacht auszugehen. Denn die (dingliche) Erklärung des Verfügenden sei unabhängig davon wirksam, ob seine Vollmacht vorliegend fortbesteht oder infolge seiner Berufung zum Alleinerben erloschen ist, da es sich im letztgenannten Fall um ein ohne weiteres wirksames Eigengeschäft des Erben handele. Dabei lässt es das OLG Hamm ausdrücklich offen, ob die Erklärung des bevollmächtigten Alleinerben ebenfalls im Hinblick auf die schuldrechtlichen Verträge als Eigengeschäft ausgelegt werden kann.

Ungeachtet dessen, dass die Eintragung des Eigentumswechsels auf der vorliegenden Eintragungsgrundlage nicht zu einer Grundbuchunrichtigkeit führen würde, da der Verfügende entweder als wirksam Bevollmächtigter oder als Rechtsinhaber gehandelt hat, sei grundbuchverfahrensrechtlich gleichwohl ein ordnungsgemäßer Nachweis der Verfügungsbefugnis durch öffentliche Urkunde zu führen. Vorliegend existiere nur ein privatschriftliches Testament. Folglich sei die Erbenstellung durch einen Erbschein nachzuweisen.

Abschließend weist der Senat – aus Sicht der Praxis erfreulicherweise – ausdrücklich darauf hin, dass

„über den entschiedenen Einzelfall hinaus [nicht beabsichtigt ist], die Verwendbarkeit postmortaler Vollmachten nach dem Tod des Vollmachtgebers etwa durch das Verlangen einzuschränken, dass der Bevollmächtigte durch einen Erbschein den Nachweis zu führen hätte, dass er nicht als Alleinerbe berufen ist.“496

3. Materiell-rechtliche Situation

Zwar scheint die Entscheidung des OLG Hamm angesichts des abschließenden Hinweises nicht dazu zu führen, dass die trans- bzw. postmortale Vollmacht einen Großteil ihres Anwendungsbereichs einbüßt, doch finden sich in der aktuellen Literatur durchaus Stimmen, die eine strengere Linie befürworten.497 Daher lohnt es sich, die beiden Befunde des OLG Hamm zu hinterfragen:

1. Ist auf materiell-rechtlicher Ebene ein Erlöschen der Vollmacht wirklich denknotwendige und unvermeidliche Konsequenz des Zusammenfallens von Bevollmächtigtem und Geschäftsherrn in einer Person?

2. Selbst wenn man dies bejahen wollte, hätte dies zwangsläufig zur Folge, dass das Grundbuchamt zur Anforderung eines Erbscheins berechtigt ist?

496 OLG Hamm DNotZ 2013, 689, 692. 497 Bestelmeyer, notar 2013, 147, 160 f.

S. 307 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

a) Erlöschen der Vollmacht

Im Ausgangspunkt besteht Einvernehmen, dass eine Stellvertretung i. S. v. § 164 BGB aufgrund rechtsgeschäftlich erteilter Vertretungsmacht eine Personenverschiedenheit von Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem voraussetzt.498 Wurde dieses materiell-rechtliche Erfordernis im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung gewahrt, stellt sich die Frage, ob ein späteres Zusammenfallen der Position des Vertretenen und des Bevollmächtigten, insbesondere aufgrund Erbfolge,499 notwendig zum Erlöschen der zunächst wirksam erteilten Vollmacht führt.

aa) Konfusion bzw. unabdingbare Personenverschiedenheit

Vielfach wird hierfür – wie jüngst vom OLG Hamm – auf das Rechtsinstitut der Konfusion500 rekurriert, wonach eine Vereinigung von Forderung und Schuld in einer Person grundsätzlich das Erlöschen des betreffenden Rechtsverhältnisses zur Folge hat.501 Dem wird entgegen gehalten, eine Konfusion komme lediglich im Hinblick auf das Grundverhältnis (Auftrag, Geschäftsbesorgungsvertrag o. Ä.) in Betracht, welches durch Personenvereinigung erlischt, sofern nicht ausnahmsweise einer der gesetzlich normierten Sonderfälle einschlägig oder der Alleinerbe durch Anordnung von Testamentsvollstreckung beschwert ist.502 Das Erlöschen des Grundverhältnisses führt zwar nach § 168 S. 1 BGB grundsätzlich zum Erlöschen der Vollmacht. Dies gilt jedoch nicht, wenn seitens des Vollmachtgebers ein Fortbestehen der Vollmacht unabhängig von dem ihr zugrunde liegenden Rechtsverhältnis gewünscht ist. Hiervon dürfte in der vorliegenden Konstellation ohne weiteres auszugehen sein, da es aus Sicht des späteren Erblassers keinen Anlass gibt, die dem späteren Alleinerben aufgrund der Vollmacht erteilten rechtlichen Befugnisse zu beschränken, ihm vielmehr an einer möglichst umfassenden Berechtigung des letzteren gerade nach seinem eigenen Tod gelegen ist. Das Erlöschen des Grundverhältnisses infolge Konfusion führt somit nicht zum Erlöschen der Vollmacht.

Im Hinblick auf die rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht, bei der es sich weder um eine Forderung noch umgekehrt um eine Schuld handelt, fehlt es an der Vereinigung von Anspruchsinhaberschaft und Schuldnerstellung in einer Person als Charakteristika der Konfusion.503 Letztlich ist es freilich nur ein Streit um Worte,504 ob

498 Vgl. nur Dutta, FamRZ 2013, 1514. 499 Denkbar ist aber beispielsweise auch ein Zusammenfallen infolge einer Verschmelzung. 500 Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 23.4.2009 – IX ZR 19/08, NJW-RR 2009, 1059 – Rn. 19 f., auch

zum ausnahmsweisen Fortbestehen des Schuldverhältnisses. 501 So u. a. OLG Hamm, Beschl. v. 10.1.2013 – 15 W 79/12; OLG Stuttgart NJW 1948, 627;

Bestelmeyer, notar 2013, 147, 160 m. zahlr. w. N. 502 Vgl. zum letztgenannten Fall jüngst OLG München, Beschl. v. 26.7.2012 – 34 Wx 248/12,

MittBayNot 2013, 230; OLG München, Beschl. v. 15.11.2011 – 34 Wx 388/11, MittBayNot 2012, 227; ausführlich hierzu Weidlich, MittBayNot 2013, 196.

503 Kurze, Zerb 2008, 399, 405; Lange, ZEV 2013, 343; Kurze, ZNotP 2013, 171, 173. 504 Ebenso Dutta, FamRZ 2013, 1514.

S. 308 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

man das Erlöschen der Vollmacht wegen Personenidentität von Bevollmächtigtem und Geschäftsherrn unter das Rechtsinstitut der Konfusion fasst oder schlicht damit begründet, dass ein Vertreterhandeln begrifflich und umso mehr rechtskonstruktiv voraussetzt, dass die rechtlichen Folgen der durch eine Person als Vertreter abgegebenen rechtsgeschäftlichen Erklärungen eine andere Person treffen.505 Im Falle der Personenidentität fehlt eine derartige Aufspaltung zwischen Handelndem und Berechtigtem/Verpflichtetem. Unabhängig davon, ob man hierfür das Rechtsinstitut der Konfusion heranzieht oder darauf rekurriert, dass eine Vertretung der eigenen Person mangels Aufspaltungsmöglichkeit der Rechte und Pflichten rechtskonstruktiv unmöglich ist, führt ein Zusammenfallen der Person des Bevollmächtigten und des Geschäftsherrn damit – insoweit ist der strengen Auffassung zuzustimmen – im Grundsatz zum Erlöschen der vormals wirksam erteilten rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht. Die Vollmacht ist schlicht funktionslos geworden, da der Bevollmächtigte nunmehr aus eigenem Recht zu handeln vermag.

bb) Ausnahmsweise Fortbestehen der Vollmacht

Damit ist allerdings noch nichts darüber ausgesagt, ob nicht im konkreten Einzelfall aufgrund berechtigter Interessen des Bevollmächtigten, eines Dritten oder allgemein des Rechtsverkehrs die erteilte Vollmacht als fortbestehend anzusehen sein kann. Wie das OLG Hamm zutreffend ausgeführt hat, findet selbst der Konfusionsgedanke nicht uneingeschränkt Anwendung. Vielmehr sind im Gesetz selbst zahlreiche Konstellationen normiert, in denen das Rechtsverhältnis trotz Vereinigung von Forderung und Schuld in einer Person weiterhin (bzw. wieder) als bestehend angesehen wird. Hierfür bedarf es freilich eines sachlich gerechtfertigten Grundes.

Anders als das vielleicht die Ausführungen des OLG Hamm suggerieren mögen, stellen die gesetzlich geregelten Fälle keine abschließende Regelung dar. Dies lässt sich beispielsweise daran illustrieren, dass der bevollmächtigte Alleinerbe, der mit der Anordnung von Testamentsvollstreckung beschwert ist, nach nahezu einhelliger Meinung im Außenverhältnis506 grundsätzlich weiterhin uneingeschränkt von der ihm rechtsgeschäftlich erteilten Vertretungsmacht Gebrauch machen kann.507 Im Übrigen wurde jüngst zutreffend auf die Ausführungen von Larenz hingewiesen,508 der das Erlöschen einer Forderung infolge Konfusion nicht als „logische Notwendigkeit“, sondern als Folge davon bezeichnet hat, „dass in den Regelfällen für den Fortbestand kein rechtliches Bedürfnis besteht.“509 Für die Frage des Erlöschens der Vollmacht infolge Erbenstellung des Bevollmächtigten ist somit ebenfalls danach zu fragen, ob

505 Natürlich nur, sofern der Vertreter im Rahmen seiner Vertretungsmacht gehandelt hat. 506 Zur Situation im Innenverhältnis vgl. Amann, MittBayNot 2013, 267, 268 f. m. w. N. 507 Natürlich nur bis zu einem etwaigen Vollmachtswiderruf durch den Testamentsvollstrecker.

Vgl. OLG München, Beschl. v. 26.7.2012 – 34 Wx 248/12 = MittBayNot 2013, 230, 231. 508 Dutta, FamRZ 2013, 1514, 1515. 509 Larenz, Allgemeines Schuldrecht, 14. Aufl. 1987, § 19 Ib = S. 270.

S. 309 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

im konkreten Einzelfall ein Bedürfnis, d. h. ein sachlich gerechtfertigter Grund für das Fortbestehen geltend gemacht werden kann.

(1) Keine Schlechterstellung des Alleinerben

Als sachliche Rechtfertigung für das Fortbestehen der Vollmacht in der Person des Alleinerben wird angeführt, es sei nicht gerechtfertigt, diesen – jedenfalls im Hinblick auf die Legitimationswirkung der Vollmachtsurkunde – schlechter als einen bevollmächtigten Dritter zu stellen,510 obwohl die Bevollmächtigten- und Alleinerbenstellung typischerweise Ausdruck eines besonderen Vertrauens- und Näheverhältnisses ist.

(2) Wille des Erblassers: Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit

Zudem liegt es in aller Regel im Interesse des Vollmachtgebers, dass die Vollmacht auch dann fortbesteht, wenn ihn der Bevollmächtigte alleine beerbt511 bzw. wenn und solange dies jedenfalls nicht auszuschließen bzw. noch nicht förmlich festgestellt ist. Denn die trans- bzw. postmortale Vollmacht dient gerade in der Phase nach dem Erbfall, in welcher die Erbfolge noch nicht abschließend geklärt ist bzw. die zu ihrem Nachweis erforderlichen Dokumente noch nicht vorliegen, dazu, die Handlungs-fähigkeit im Hinblick auf die nachlasszugehörigen Vermögensgegenstände aufrecht-zuerhalten.512 Hierin dürfte generell ein berechtigtes Interesse zu sehen sein.

Selbst bei Vorliegen eines öffentlichen Testaments entsteht eine gewisse Interims-phase bis zur Eröffnungsniederschrift. Ist ein Erbschein erforderlich, dürfte diese Phase im Regelfall deutlich länger andauern. Das Bedürfnis für eine Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit besteht in besonderem Maße, wenn bereits absehbar ist, dass der Nachweis der Alleinerbenstellung Schwierigkeiten bereiten wird (etwa bei einem nach ausländischem Erbstatut im Raum stehenden Noterbrecht).513 Von diesem be-rechtigten Anliegen zu unterscheiden ist das – vom OLG Hamm wohl zu Recht nicht als hinreichender Sachgrund anerkannte – Interesse des Vollmachtgebers, die Kosten und den mit der Erteilung eines Erbscheins verbundenen Aufwand zu vermeiden.

Im Übrigen ist auch denkbar, dass der Alleinerbe die Erbschaft ausschlägt, so dass sich das Erlöschen der Vollmacht nachträglich, aber mit ex tunc-Wirkung als ungerechtfertigt erweist.514

510 Vgl. OLG München MittBayNot 2013, 230, 231; Harter, EWiR 2013, 405, 406. 511 Meyer-Stolte, Rpfleger 1993, 235 (236); jüngst Mensch, ZNotP 2013, 171, 175; Zimmer, ZEV

2013, 307, 312. 512 Vgl. OLG München MittBayNot 2013, 230, 231; OLG München DNotZ 2012, 303, 305;

jüngst Keim, DNotZ 2013, 692, 693. 513 Dutta, FamRZ 2013, 1514, 1515: Vollmacht sorgt für klare Verhältnisse bei der

Nachlassverwaltung in der Interimsphase. 514 Lutz, BWNotZ 2013, 171, 173.

S. 310 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(3) Bedürfnisse des Rechtsverkehrs; Rechtssicherheit

Durch die Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit wird aber nicht allein dem Wunsch des Vollmachtgebers/Erblassers entsprochen. Vielmehr besteht hieran auch ein nicht unerhebliches Verkehrsinteresse. Denn die Verknüpfung des Fortbestands der Vollmacht mit der fehlenden (Allein- bzw. Mit-)Erbenstellung515 würde unweigerlich zu einem nicht unbeträchtlichen Maß an Rechtsunsicherheit führen. Nicht selten ist im Zeitpunkt des (vermeintlichen) Vertreterhandelns die erbrechtliche Situation noch nicht (jedenfalls nicht abschließend) geklärt. Lange hat jüngst zutreffend darauf hingewiesen, dass selbst für den Bevollmächtigten seine Alleinerbenstellung häufig nicht ohne weiteres absehbar ist, da er nicht notwendig Kenntnis von sämtlichen letztwilligen Verfügungen des Erblassers hat und seine Rechtsposition darüber hinaus vom Verhalten dritter Personen abhängig sein kann (Testamentsanfechtung, Ausschlagung der Erbschaft).516 Zwar wird der Rechtsverkehr im Falle eines Vertreterhandelns durch die Rechtsscheinwirkungen nach §§ 170–173 BGB geschützt (insbesondere Legitimationswirkung bei Vorlage der Vollmachts-urkunde, § 172 BGB),517 doch ist dieser Schutz inhaltlich beschränkt. Insbesondere ist nicht abschließend geklärt, inwieweit dem Dritten Kenntnis vom Erbfall bzw. der (vermeintlichen) Alleinerbenstellung des kraft Vollmacht Handelnden schadet (vgl. § 173 BGB a. E.).518

(4) Zwischenergebnis

Aufgrund des anerkennenswerten Interesses an der Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit sowohl seitens des Vollmachtgebers als auch seitens des Rechtsverkehrs ist daher m. E. auch bei später eintretender Personenidentität von Bevollmächtigtem und Geschäftsherrn von einem Fortbestehen der Vollmacht auszugehen, zumal eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen Dritter bei diesem Verständnis ausgeschlossen ist.

b) Kontrollüberlegungen

Für ein restriktives Verständnis im Hinblick auf das Fortbestehen der Vollmacht besteht auch deshalb kein Anlass, weil die vertraglichen Rechte und Pflichten in aller

515 Vgl. Bestelmeyer, notar 2013, 147. 161. 516 Umgekehrt müsste eine Ausschlagung durch den bevollmächtigten Alleinerben nach § 1953

Abs. 1 BGB dazu führen, dass seine Vollmacht als von Anfang an nicht erloschen gilt. Vgl. Lange, ZEV 2013, 343.

517 Die Anwendbarkeit von §§ 170 ff. BGB bei einem „kraft Gesetzes erfolgenden, ausschließlich erbfallbedingten und daher nicht aus vollmachtspezifischen Gründen herbeigeführten Erlöschen der Vollmacht“ jüngst bezweifelnd Bestelmeyer, notar 2013, 147, 160, allerdings ohne nähere, die damit verbundene erhebliche Beeinträchtigung der schutzwürdigen Interessen des Rechtsverkehrs rechtfertigende Begründung; a. A. Amann, MittBayNot 2013, 367, 370.

518 Gegen die Annahme fahrlässiger Unkenntnis bei bloßer Mitteilung der Alleinerbenstellung jüngst Amann, MittBayNot 2013, 367, 370.

S. 311 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Regel selbst dann wirksam begründet bzw. die Verfügungen wirksam vorgenommen wurden, wenn man von einem Erlöschen der Vollmacht ausgehen würde und die Vollmacht nicht aufgrund der Rechtsscheinwirkungen der §§ 170 ff. BGB als fortbestehend zu behandeln wäre, was ohnehin kaum je der Fall sein dürfte.

aa) Eigenhandeln infolge Auslegung bzw. Umdeutung

Vielfach wird vertreten, das Handeln des (vermeintlich) Bevollmächtigten lasse sich ohne weiteres als Handeln im eigenen Namen verstehen. Aufgrund der Rechtsinhaber-schaft des bevollmächtigten Alleinerben wären in diesem Fall gleichsam die dinglichen Rechtsgeschäfte wirksam.519

Ob ein Vertreterhandeln für die Erben tatsächlich immer als Eigenhandeln verstanden werden kann, ist jedoch nicht zweifelsfrei. Denn es erscheint jedenfalls prima facie nicht gänzlich fernliegend, dass der (vermeintlich) Bevollmächtigte im Falle des Handelns für den Erblasser bzw. für die Erben andere Interessen verfolgt als im Falle eines Eigenhandelns. Das Vertreterhandeln wird stets aufgrund der aus dem Begleit-schuldverhältnis resultierenden Rechte und vor allem Pflichten geprägt sein, während es dem Alleinerben, der für sich selbst handelt, freisteht, auch irrationale Interessen und Wünsche zu verfolgen. Vor diesem Hintergrund könnte man erwägen, die Umdeutung als Eigenhandeln abzulehnen und die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts für den Vertretenen stattdessen nach dem Regelungsmodell des § 177 BGB von seiner Genehmigung abhängig zu machen.520

Wie die Erklärungen des Handelnden zu verstehen sind, beurteilt sich allerdings nicht nach seinen subjektiven Wünschen und Vorstellungen, sondern aus der Sicht des (objektivierten) Erklärungsempfängers. Für diesen kommt ein Auseinanderfallen der Eigeninteressen und der als Vertreter verfolgten Interessen in Ermangelung hinreichend deutlicher, für den Vertragspartner erkennbarer Anhaltspunkte überraschend. Bei verständiger Würdigung darf der Erklärungsempfänger vielmehr davon ausgehen, dass der Bevollmächtigte die vorgenommenen Rechtsgeschäfte im Zweifel auch auf eigene Rechnung abgeschlossen hätte.521 Ein etwa vorhandener, intern gebliebener Vorbehalt des Handelnden findet daher im Rahmen der Auslegung regelmäßig keine Berücksichtigung, so dass das vermeintliche Vertreterhandeln ohne weiteres als Eigenhandeln ausgelegt bzw. in ein solches umgedeutet werden kann. Hiervon scheint auch das OLG Hamm auszugehen.

519 Vgl. Staudinger/Reimann, BGB, Neubearb. 2012, Vorbem. zu §§ 2197–2228 Rn. 70 m. w. N.;

Hueck, SJZ 1948, 458. 520 Eine differenzierte Betrachtung ließe sich ggf. auch damit rechtfertigen, dass das Vertreterhandeln

stets nur zur Entstehung einer Nachlassverbindlichkeit führt, während eine vergleichbare Haftungsbeschränkung bei einem Eigenhandeln ausscheidet (vgl. Kurze, Zerb 2008, 399, 405).

521 Zutreffend Amann, MittBayNot 2013, 369, 370.

S. 312 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

bb) Haftung als falsus procurator (§ 179 BGB)

Selbst wenn man – entgegen der hier vertretenen Auffassung – eine Auslegung bzw. Umdeutung als Eigenhandeln ablehnen sollte, würde dem bevollmächtigten Allein-erben hieraus vielfach wohl kein echter Handlungsspielraum erwachsen. Denn unter dieser Prämisse müsste zum Schutz des Vertragspartners der Regelungsmechanismus der §§ 177–179 BGB Anwendung finden, da der vermeintlich Bevollmächtigte als Vertreter ohne Vertretungsmacht für den Erben (also sich selbst) gehandelt hat. Zwar könnte dieser die dann erforderliche Genehmigung522 als Geschäftsherr verweigern, würde dadurch aber seine eigene Haftung als falsus procurator nach § 179 BGB auslösen. Unterstellt man, dass er im Regelfall keine Kenntnis vom Erbfall, jedenfalls keine Kenntnis von seiner Alleinerbenstellung und der sich daran knüpfenden Rechts-folge haben wird,523 scheidet eine Erfüllungshaftung nach § 179 Abs. 1 Var. 1 BGB aus (§ 179 Abs. 2 BGB). Sofern der Handelnde die Genehmigung verweigert, haftet er aber nach § 179 Abs. 2 BGB auf das negative Interesse.524

Nicht selten dürfte der Alleinerbe vor diesem Hintergrund auf die Verweigerung der Genehmigung verzichten. Unbeschadet dessen dürfte der Rechtsübergang in dinglicher Hinsicht ohnehin geglückt sein, auch wenn man ein Eigenhandeln des bevoll-mächtigten Alleinerben ablehnt, da der (vermeintlich) nicht berechtigt Verfügende als Alleinerbe Rechtsinhaber des betreffenden Vermögensgegenstandes (geworden) ist (Konvaleszenz, § 185 Abs. 2 S. 1 Var. 2 BGB), so dass den Alleinerbe bei Genehmigungsverweigerung neben dem negativen Interesse des Vertragspartners zusätzlich die Kosten der Rückübertragung treffen. Unter diesen Umständen wird er sich genau überlegen, ob er tatsächlich von seinem etwa bestehenden Recht zur Verweigerung der Genehmigung Gebrauch macht.

c) Exkurs: Ermächtigung i. S. v. § 185 Abs. 1 BGB als fortbestehender „Vollmachtrestbestand“

Sofern der bevollmächtigte Alleinerbe durch Anordnung von Testamentsvollstreckung oder aus anderen Gründen in der Verfügung über den Nachlass beschränkt bzw. eine solche Beschränkung jedenfalls im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nicht auszuschließen ist, lässt sich die „weitere Wirkungskraft der ‚Vollmacht‘“im Hinblick auf den Abschluss des dinglichen Rechtsgeschäfts dadurch aufrechterhalten, dass man die Vollmacht als trans- bzw. postmortale Ermächtigung i. S. v. § 185 Abs. 1

522 Eine Genehmigungsfiktion dürfte ausscheiden, da man bei überwiegender Schutzwürdigkeit des

Vertragspartners bereits auf vorgelagerter Ebene eine Auslegung/Umdeutung als Eigenhandeln hätte annehmen müssen.

523 Nur positive Kenntnis des Mangels der Vertretungsmacht schadet, vgl. BGH, WM 1977, 478, 479; Schramm in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2012, § 179 Rn. 38 m. w. N.

524 Abgesehen von dem höchst unwahrscheinlichen Fall, dass zwar der andere Teil, nicht aber der Bevollmächtigte selbst von der Alleinerbenstellung und den sich daran ggf. knüpfenden Konsequenzen für den Bestand der Vollmacht Kenntnis hat oder diese kennen musste (§ 179 Abs. 3 BGB).

S. 313 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

BGB versteht, ungeachtet etwaiger Beschränkungen des oder der Erben (insbesondere durch Testamentsvollstreckung) im eigenen Namen über nachlasszugehörige Vermögensgegenstände zu verfügen. Auf diese Weise wird der Zielsetzung des Vollmachtgebers Rechnung getragen, die Handlungsfähigkeit auch in dem dem Erbfall unmittelbar nachfolgenden Zeitraum zu gewährleisten. Amann ist darin zuzustimmen, dass sich eine derartige Ermächtigung im Regelfall konkludent aus der Erteilung einer trans- bzw. postmortalen Vollmacht ergeben wird.525

Da eine Ermächtigung i. S. v. § 185 Abs. 1 BGB aber stets nur zur Wirksamkeit von Verfügungen des Nichtberechtigten führt, nicht hingegen zum wirksamen Abschluss der korrespondierenden Verpflichtungsgeschäfte, fehlt es – sofern man den Fortbestand der Vollmacht allein auf den Ermächtigungsaspekt beschränkt – grundsätzlich an dem die Kondiktion hindernden Kausalverhältnis, sofern dieses nicht bereits aus einem anderen Grund, etwa aufgrund der letztwilligen Verfügung des Vollmachtgebers/Erblassers, existiert. Um für diesen Fall vorzusorgen, wird empfohlen, dass der Bevollmächtigte/Ermächtigte bei Abschluss des schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts zugleich im eigenen Namen handelt.526

4. Grundbuchverfahren

Die nachfolgend beschriebenen grundbuchverfahrensrechtlichen Schwierigkeiten stellen sich nur, wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung von einem zwingenden Erlöschen der Vollmacht mit Vereinigung von Bevollmächtigten- und Geschäftsherrenstellung in einer Person ausgeht. Soll ein Nachlassgrundstück durch den vom Erblasser trans- bzw. postmortal Bevollmächtigten veräußert werden, bedarf es grundbuchverfahrensrechtlich eines Nachweises der Auflassung (§ 20 GBO) samt der hierfür erforderlichen Vertretungsmacht in der Form des § 29 GBO. Eine Voreintragung des oder der Erben, welche einen Nachweis der Erbfolge i. S. v. § 35 GBO voraussetzen würde, ist – wie bereits erwähnt – gem. § 40 Abs. 1 Var. 1 GBO entbehrlich, wenn ein im Grundbuch auf den Namen des Erblassers eingetragenes Recht aufgehoben oder übertragen werden soll.527 Auch der Schutz des Erwerbers gebietet bei einer Grundstücksveräußerung aufgrund trans- bzw. postmortaler Vollmacht keine Voreintragung des oder der Erben.528 Ebenso wenig sind der oder die Erben notwendig zu benennen.529

525 Amann, MittBayNot 2013, 367, 369 f. 526 So Amann, MittBayNot 2013, 367, 369 f. 527 OLG Frankfurt, Beschl. v. 29.6.2011 – 20 W 168/11, DNotZ 2012, 140 (141) m. w. N.;

Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 3571 m. w. N. Vgl. DNotI-Abrufgutachten Nr. 112811 zu den Grenzen von § 40 Abs. 1 GBO.

528 Vgl. zu diesem Problemkreis DNotI-Abrufgutachten Nr. 112811 unter Ziff. 2. 529 OLG Frankfurt, Beschl. v. 29.6.2011 – 20 W 168/11, DNotZ 2012, 140, 141 m. w. N.

S. 314 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

a) Recht des Grundbuchamts zur Anzweiflung der Fortexistenz einer Vollmacht

Für die Zwecke des Grundbuchverfahrens kann der in der Form des § 29 GBO Bevollmächtigte somit die Auflassung mit Wirkung für und gegen den wahren Rechtsinhaber, d. h. den Vollmachtgeber bzw. nach dessen Tod den oder die Erben, erklären. Legt der Bevollmächtigte dem Notar bei Erklärung der Auflassung seine Vollmacht in Urschrift oder Ausfertigung vor, findet der allgemeine Erfahrungssatz Anwendung, wonach eine rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht im Zweifel fortbesteht. Hiervon hat ebenfalls das Grundbuchamt auszugehen, es sei denn, es bestehen aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte Zweifel am Fortbestand der Vollmacht (vgl. § 172 BGB).530 Allein die abstrakte Möglichkeit des Widerrufs der Vollmacht bzw. – sofern man der hier vertretenen Auffassung nicht folgt – die (theoretisch) mögliche Alleinerbenstellung des Bevollmächtigten berechtigen das Grundbuchamt nicht, weitere Nachweise betreffend den Fortbestand der Vollmacht zu fordern. Liegen demgegenüber tatsächliche Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Fortexistenz der Vollmacht begründen, hat das Grundbuchamt in freier Beweiswürdigung zu prüfen, ob die Vollmacht erloschen ist, und kann Nachweise betreffend das Fortbestehen der Vollmacht verlangen.531

Jüngst wurde unter Hinweis auf eine etwa erfolgende nachlassgerichtliche Mitteilung nach § 83 GBO von Bestelmeyer gefordert, das Grundbuchamt müsse sich von Amts wegen Klarheit über die eingetretene Erbfolge verschaffen. Hierzu dürfe es allerdings keinen Erbnachweis i. S. v. § 35 GBO verlangen, sondern müsse sich mit der Beiziehung der Nachlassakten begnügen, um auf diese Weise in freier Beweis-würdigung zu ermitteln, ob ein Erlöschen der Vollmacht wegen Konfusion im Raum steht.532 Wenn das Nachlassgericht dem Grundbuchamt mitteilt, dass nach dem Stand der Ermittlungen der als Bevollmächtigter Handelnde Erbe des eingetragenen Berech-tigten geworden ist (vgl. § 83 S. 1 GBO), dürften – sofern man der hier vertretenen Auffassung vom Fortbestehen der Vollmacht nicht folgt – grundsätzlich die vorbeschriebenen Voraussetzungen vorliegen, unter denen das Grundbuchamt die Möglichkeit eines Erlöschens der Vollmacht prüfen bzw. vom Handelnden ggf. weitere Nachweise für das Fortbestehen der Vollmacht verlangen darf.533 Umgekehrt dürfte allein die Kenntnis vom Tod des Vollmachtgebers534 die Anforderung weiterer Nachweise der Vertretungsmacht nicht rechtfertigen, sofern noch unklar ist, wer Erbe

530 BayObLG, DNotZ 1960, 50; KG, DNotZ 1972, 18, 21; Meikel/Hertel, GBO, 10. Aufl. 2009, § 29

Rn. 53; Schaub in Bauer/v. Oefele, GBO, 3. Aufl. 2013, AT Rn. VII 171, 178, jew. m. zahlr. w. N.; wohl zu restriktiv Amann, ZNotP 2013, 171, 176 („evidente Zweifel“, „massive Verdachtsmomente“).

531 Demharter, GBO, 28. Aufl. 2012, § 19 Rn. 80 m. w. N. 532 Bestelmeyer, notar 2013, 147, 161. 533 In diesem Sinne auch Mensch, ZNotP 2013, 171, 176. 534 Etwa unter Berufung auf den Erfahrungssatz, dass eine trans- bzw. postmortale Vollmacht nicht

selten der am nächsten stehenden Person erteilt wird, die vielfach auch der (Allein- oder Mit-)Erbe ist.

S. 315 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

geworden ist, und daher nur Mutmaßungen im Hinblick auf ein etwaiges Erlöschen der Vollmacht angestellt werden können. Ein hinreichender Anlass zur Anforderung weiterer Nachweise dürfte allerdings nicht erst dann bestehen, wenn die Erbfolge und damit die Erbenstellung dem Grundbuchamt nach Maßgabe von § 35 Abs. 1 S. 1 GBO nachgewiesen ist. Vielmehr ist wohl – wie im Fall des OLG Hamm – bereits die Angabe des Handelnden, er sei Alleinerbe, in diesem Zusammenhang schädlich.535

b) Sondersituation des „sowieso Berechtigten“

Selbst wenn aus Sicht des Grundbuchamts ein Erlöschen der Vollmacht aufgrund Alleinerbenstellung des Bevollmächtigten im konkreten Fall, sei es aufgrund Mitteilung des Nachlassgerichts, sei es aufgrund der Angaben der handelnden Personen, im Raum steht, bedeutet dies jedoch nicht notwendig, dass es einen Nachweis des Fortbestehens der Vollmacht bzw. einen Nachweis der Erbfolge i. S. v. § 35 Abs. 1 S. 1 GBO verlangen darf.536 Denn in der vorliegenden Konstellation steht die Verfügungsbefugnis des Handelnden nicht in Zweifel. Diese ergibt sich entweder aus der in der Form des § 29 GBO vorliegenden Vollmacht oder aus der Stellung als Alleinerbe.

Auch aus Sicht des Grundbuchamts ist offenkundig, dass der Inhalt eines etwaigen Erbscheins keinerlei Einfluss auf die Entscheidung über den Eintragungsantrag haben kann: Entweder die Vollmacht besteht nach Feststellung der Erbfolge fort, so dass die Eigentumsumschreibung auf die trans- bzw. postmortale Vollmacht gestützt werden kann, oder die Erbenstellung des Handelnden wird festgestellt, mit der Folge, dass dem Eintragungsantrag mit Blick auf das richtigerweise zugleich vorliegende Eigenhandeln stattzugeben ist.537 In Anbetracht dessen, dass die Erbfolge somit für die Entscheidung des Grundbuchamts irrelevant ist, fehlt die sachliche Rechtfertigung dafür, einen Nachweis der Erbfolge i. S. v. § 35 Abs. 1 S. 1 GBO zu fordern.538 Anders formuliert: Durch Vorlage der Ausfertigung der Vollmachtsurkunde hat der Handelnde grundsätzlich seine Verfügungsbefugnis nachgewiesen. Dieser Nachweis würde nicht dadurch erschüttert, dass seine Alleinerbenstellung festgestellt wird, da er dann eben als Rechtsinhaber verfügungsbefugt ist.539

535 Anders Mensch, ZNotP 2013, 171, 174 (Arg.: Verkehrsschutz); so wohl auch Reetz in

BeckOK/GBO, Stand 1.6.2013, Vertretungsmacht, Rn. 47. 536 A. A. Bestelmeyer, notar 2013, 147, 160 f.; Böttcher, NJW 2013, 2805, 2807. 537 Im Falle der Miterbenstellung des Bevollmächtigten würde dieser teilweise wirksam aufgrund

Vollmacht, teilweise wirksam im eigenen Namen handeln. Tendenziell ablehnend gegenüber einer Auslegung als bzw. Umdeutung in ein Eigenhandeln im Grundbuchverfahren Bestelmeyer, notar 2013, 147, 161 Fn. 139.

538 Zutreffend Amann, MittBayNot 2013, 367, 371 m. w. N. sowie unter Hinweis darauf, dass im Zivilprozess eine Beweiserhebung über nicht entscheidungserhebliche Tatsachen zu unterbleiben hat.

539 In diesem Sinne Keim, DNotZ 2013, 692, 694 f.

S. 316 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

c) Zwischenergebnis

Selbst wenn man also von einem Erlöschen der Vollmacht aufgrund Alleinerbenstellung des Bevollmächtigten ausgeht und im konkreten Fall aus Sicht des Grundbuchamts tatsächliche Anhaltspunkte für eine derartige Konstellation vorliegen, ist ein Verlangen nach einem Nachweis der Erbfolge i. S. v. § 35 Abs. 1 S. 1 GBO im Ergebnis mangels Relevanz nicht gerechtfertigt, da an der Verfügungsbefugnis der handelnden Person keinerlei Zweifel bestehen („sowieso Berechtigter“).

5. Empfehlungen für die Praxis

a) Keine näheren Ausführungen zur Erbfolge

Sofern nicht ohnehin eine Verfügung von Todes wegen in einer öffentlichen Urkunde i. S. v. § 35 Abs. 1 S. 2 GBO vorliegt, dürfte es sich bis zu einer höchstrichterlichen Klärung der Streitfrage, ob eine dem späteren Alleinerben erteilte trans- bzw. postmortale Vollmacht notwendig mit dem Erbfall erlischt, empfehlen, bei Verfügungen unter Berufung auf die in der Form des § 29 GBO vorliegende Vollmacht im Falle des Versterbens des Vollmachtgebers auf nähere Ausführungen zur Erbfolge zu verzichten, da das Grundbuchamt diese ggf. (unberechtigterweise) zum Anlass nehmen könnte, Nachweise im Hinblick auf das Fortbestehen der Vollmacht bzw. unmittelbar einen Nachweis der Erbfolge zu fordern.540 Gänzlich verschweigen sollte man den eingetretenen Erbfall allerdings m. E. nicht. Um „Nachforschungen“ seitens des Grundbuchamts vorzubeugen, sollte man sich jedoch darauf beschränken mitzuteilen, dass nachlassgerichtliche Feststellungen über die Erbfolge noch ausstehen.541

b) Handeln auch im eigenen Namen

Aus materiell-rechtlichen, letztlich aber auch aus grundbuchverfahrensrechtlichen Erwägungen („sowieso Berechtigter“) mag sich zudem ein Handeln des Bevollmächtigten im Namen der Erben des eingetragenen Berechtigten und zugleich vorsorglich im eigenen Namen empfehlen. Damit ist klargestellt, dass die Wirkungen des vorgenommenen Rechtsgeschäfts in jedem Fall eintreten sollen und die Anforderung eines Erbscheins mangels „Entscheidungserheblichkeit“ nicht gerechtfertigt ist.542

540 Ebenso Lange, ZEV 2013, 343; Litzenburger, FD-ErbR 2013, 345171; Mensch, ZNotP 2013,

171, 176 f.; Amann, MittBayNot 2013, 367, 371. 541 Mensch, ZNotP 2013, 171, 177. 542 Amann, MittBayNot 2013, 367, 371, auch unter Hinweis darauf, dass in der trans- bzw.

postmortalen Vollmacht ausdrücklich geregelt werden sollte, dass der Bevollmächtigte „ermächtigt ist, Verfügungen im eigenen Namen ohne Zustimmung eines [etwaigen] Testamentsvollstreckers zu treffen.“

S. 317 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

c) Risikohinweis in der Vorsorgevollmacht

In Anbetracht der Entscheidung des OLG Hamm wird in der Gestaltungsliteratur mitunter empfohlen, einen Risikohinweis in den Text der General- und Vorsorgevoll-macht mit aufzunehmen, etwa wie folgt:

„Der Beurkundende hat darauf hingewiesen, dass die Vollmacht für den Fall, dass der Bevollmächtigte den Vollmachtgeber allein beerbt, durch Konfusion erlöschen kann.“543

Durch diesen Hinweis hätte der Vollmachtgeber und spätere Erblasser Kenntnis von der Problematik und könnte beispielsweise, um Schwierigkeiten vorausschauend zu vermeiden, gezielt eine andere Person als den anvisierten Alleinerben bevollmächtigen, um die Handlungsfähigkeit des Nachlasses nach seinem Versterben in jedem Fall aufrechtzuerhalten. Sofern eine weitere Person existiert, zu der der Vollmachtgeber ein vergleichbares Vertrauensverhältnis wie zu dem anvisierten Alleinerben hat, bestehen hiergegen keine Bedenken. Ist dies – wie vermutlich nicht selten – nicht der Fall, erscheint es m. E. sinnvoll, ggf. auftretende Schwierigkeiten beim Handeln des bevollmächtigten Alleinerben in Kauf zu nehmen. Mit Blick darauf bin ich auch eher skeptisch, ob es tatsächlich eines derartigen Belehrungshinweises bedarf.

6. Fazit

a) Wird der trans- bzw. postmortal Bevollmächtigte Alleinerbe des Vollmachtgebers, führt dies – entgegen der Auffassung des OLG Hamm und des OLG Stuttgart – nicht zu einem Erlöschen der rechtsgeschäftlich erteilten Vertretungsmacht, da ein anerkennenswertes Interesse des Vollmachtgebers sowie des Rechtsverkehrs an der Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit im Hinblick auf den Nachlass besteht und keine zwingenden Sachgesetzlichkeiten ein Erlöschen erfordern.

b) Selbst wenn man von einem Erlöschen der Vollmacht aufgrund Alleinerbenstellung des Bevollmächtigten ausgeht und das Grundbuchamt tatsächliche Anhaltspunkte für eine derartige Konstellation hat, darf es keinen Nachweis der Erbfolge i. S. v. § 35 Abs. 1 S. 1 GBO fordern, da an der Verfügungsbefugnis der handelnden Person keinerlei Zweifel bestehen („sowieso Berechtigter“).

543 So Lutz, BWNotZ 2013, 171, 174.

S. 318 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

V. Nachweis der Ehegattenzustimmung (§ 1365 BGB) (SH) – BGH, Beschl. v. 21.2.2013 - V ZB 15/12 (Wann ist Nachweis der

Ehegattenzustimmung gegenüber Grundbuchamt erforderlich?), DNotI-Report 2013, 86 = DNotZ 2013, 686 = NotBZ 2013, 344 (Klepsch) = ZNotP 2013, 104. Vgl. hierzu Brudermüller, NJW 2013, 3218.

1. Problemstellung

a) Sog. Einzeltheorie

Ehegatten, die im Güterstand der Zugewinngemeinschaft leben, unterliegen u. a. der Verfügungsbeschränkung gem. § 1365 BGB und können sich daher nur mit Zustimmung des anderen Ehegatten verpflichten, über ihr Vermögen im Ganzen zu verfügen. Eine ohne diese Zustimmung eingegangene Verpflichtung kann der betreffende Ehegatte nur erfüllen, wenn der andere Ehegatte einwilligt. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung sind nicht nur Rechtsgeschäfte über das Gesamtvermögen als solches von § 1365 BGB erfasst. Vielmehr können auch Rechtsgeschäfte über einen einzelnen Gegenstand § 1365 BGB unterfallen, wenn dieser Gegenstand das ganze oder nahezu das ganze Vermögen ausmacht (sog. Einzel-theorie). Bei größeren Vermögen ist diese Voraussetzung regelmäßig zu bejahen, wenn dem verfügenden Ehegatten weniger als 10 % seines ursprünglichen Gesamt-vermögens verbleibt, bei kleineren Vermögen ist die Schwelle mit 85 % anzusetzen.544

Neben diesem objektiven Merkmal muss im Interesse des Verkehrsschutzes ferner ein ungeschriebenes subjektives Tatbestandsmerkmal erfüllt sein. Weitere Voraus-setzung des Eingreifens der Verfügungsbeschränkung nach § 1365 BGB ist danach, dass der Vertragspartner weiß, dass es sich bei dem Vertragsgegenstand um das ganze oder nahezu das ganze Vermögen des Ehegatten handelt, oder er zumindest die Verhältnisse kennt, aus denen sich dies ergibt.545

b) Reichweite des grundbuchamtlichen Prüfungsrechts

Das Grundbuchamt hat gem. § 19 GBO die verfahrensrechtliche Bewilligungsbefugnis zu prüfen. Letztere leitet sich von der sachenrechtlichen Verfügungsbefugnis ab, so dass grundsätzlich auch materiell-rechtliche Verfügungsbeschränkungen von Amts wegen vom Grundbuchamt zu prüfen sind. Da es sich beim Zustimmungserfordernis nach § 1365 BGB aber um eine Ausnahme von der freien Verfügungsbefugnis der Ehegatten nach § 1364 BGB handelt, hat das Grundbuchamt grundsätzlich davon auszugehen, dass der Ausnahmefall des § 1365 Abs. 1 BGB nicht vorliegt. Etwas anderes gilt nur dann,

544 BGH DNotZ 2013, 686 Tz. 8; NJW 2011, 3783, 3784. 545 BGH DNotZ 2013, 686 Tz. 8 m. w. N.

S. 319 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

„wenn es von dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 1365 Abs. 1 BGB Kenntnis hat oder wenn aus den Eintragungsunterlagen oder aufgrund bekannter bzw. nach der Lebenserfahrung naheliegender Umstände begründeter Anlass zu einer solchen Annahme besteht. Nur wenn konkrete Anhaltspunkte sowohl für das Vorliegen des objektiven als auch für das Vorliegen des subjektiven Tatbestands des § 1365 Abs. 1 BGB gegeben sind, darf das Grundbuchamt die Zustimmung des anderen Ehegatten oder den Nachweis weiteren Vermögens verlangen.“546 (Hervorhebung durch Verfasser)

2. Beschluss des BGH v. 21.2.2013 (V ZB 15/12)

a) Sachverhalt

In dem der Entscheidung des V. Zivilsenats vom 21.2.2013 zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die Ehefrau ihren Sohn unwiderruflich bevollmächtigt, ihren Grundbesitz auf sich selbst zu übertragen und aufzulassen. Als der Sohn dem Ehemann, seinem Vater, mitteilte, dass er nunmehr beabsichtige, die Übertragung eines bestimmten Grundstücks der Ehefrau auf sich vorzunehmen, wies der Ehemann das Grundbuchamt darauf hin, dass das Grundstück nahezu das gesamte Vermögen seiner Ehefrau darstelle und er seine nach § 1365 BGB erforderliche Zustimmung nicht erteilt habe. Trotz dieses Hinweises wurde der Sohn aufgrund der im eigenen Namen und im Namen seiner Mutter erklärten Auflassung als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Den Antrag des Ehemannes auf Eintragung eines Amtswider-spruchs gem. § 53 Abs. 1 S. 1 GBO haben sowohl das Grundbuchamt als auch das OLG abgelehnt.

b) Entscheidung

Auch die Rechtsbeschwerde bleibt erfolglos, da das Grundbuchamt die Eintragung nicht unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften vorgenommen hat. Der V. Zivilsenat bestätigt die bereits in BGHZ 35, 135, 139 aufgestellten Grundsätze zum Prüfungsrecht und zur Prüfungspflicht des Grundbuchamts im Hinblick auf die Einschlägigkeit der Verfügungsbeschränkung gem. § 1365 BGB. Nur wenn konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen des objektiven und des subjektiven Tatbestands des § 1365 Abs. 1 BGB gegeben sind, darf das Grundbuchamt die Zustimmung des anderen Ehegatten oder den Nachweis weiteren Vermögens verlangen. Im vorliegenden Fall sieht der BGH keinen begründeten Anlass, die Verfügungsbefugnis der Ehefrau in Zweifel zu ziehen.

aa) Zunächst konstatiert der BGH, dass in der Erteilung einer (auch unwiderruflichen) Vollmacht zur Übertragung des Grundbesitzes keine Verpflichtung

546 BGH DNotZ 2013, 686 Tz. 10 m. zahlr. w. N.; vgl. bereits BGH NJW 1961, 1301, 1302.

S. 320 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

zur Übereignung i. S. v. § 1365 Abs. 1 BGB zu sehen ist, selbst dann nicht, wenn in der Vollmacht entsprechende Absichtserklärungen enthalten sind. Erst das vom Vertreter ausgeführte Geschäft bedarf ggf. der Zustimmung des Ehegatten.

bb) Auch aus dem Schreiben des Ehemannes an das Grundbuchamt (einschließlich der von diesem gemachten Wertangaben) resultierten nach Ansicht des Senats keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme, dass es sich bei dem übertragenen Grundstück nahezu um das gesamte Vermögen der Ehefrau handelte. Vielmehr erschöpften sich die Angaben des Ehemannes zum Vorliegen des objektiven Tatbestands in pauschalen, nicht erkennbar auf nachvollziehbare Bewertungsgrundlagen gestützten Behauptungen. Hinreichend konkrete Anhaltspunkte würden nur dann vorliegen,

„wenn der dem Grundbuchamt unterbreitete Sachverhalt so plausibel ist, dass sich ohne die Anstellung von Ermittlungen berechtigte Bedenken an der Verfügungsbefugnis des Ehegatten aufdrängen; dies erfordert den Vortrag konkreter, durch entsprechende Nachweise hinreichend belegter Tatsachen zu den Voraussetzungen des § 1365 Abs. 1 BGB. Bloße Wertangaben zum Grundbesitz des verfügenden Ehegatten reichen hierzu nicht aus.“547 (Hervorhebung durch Verfasser)

Abschließend weist der Senat darauf hin, dass bei der Übertragung eines Einzelgegenstandes ein Prüfungsrecht des Grundbuchamts nur dann bestehe, wenn konkrete Anhaltspunkte auch dafür vorliegen, dass der Erwerber positive Kenntnis vom Vorliegen eines Gesamtvermögensgeschäfts hatte oder zumindest die relevanten Verhältnisse kannte. Bei engen Verwandten liegt nach Auffassung des BGH eine entsprechende Kenntnis nahe, wenn sie in Kontakt miteinander stehen.548

c) Fazit

Angesichts der hohen Anforderungen, die der BGH an ein Eingreifen des Grundbuchamtes im Zusammenhang mit der Verfügungsbeschränkung nach § 1365 Abs. 1 BGB stellt, ist die mit der Prüfung durch das Grundbuchamt verbundene Richtigkeitsgewähr im Hinblick auf die Verfügungsbeschränkung des § 1365 Abs. 1 BGB gering. Da es sich bei § 1365 Abs. 1 BGB um ein absolutes Veräußerungsverbot handelt, ist die ohne erforderliche Einwilligung des Ehegatten erfolgte Verfügung im Falle der Verweigerung der Genehmigung absolut unwirksam (vgl. § 1366 Abs. 4 BGB) und das Grundbuch damit unrichtig. Findet allerdings eine Weiterveräußerung durch den Bucheigentümer des Grundstücks statt, kommt ein gutgläubiger Erwerb gem. § 892 Abs. 1 BGB durch den Dritterwerber in Betracht,

547 BGH DNotZ 2013, 686 Tz. 16. 548 BGH DNotZ 2013, 686 Tz. 17 m. w. N.

S. 321 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

mit der Folge eines endgültigen Rechtsverlustes des vom Verfügungsverbot betroffenen Ehegatten.

Der Notar hat daher im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung sorgfältig zu prüfen, ob ein Zustimmungserfordernis gem. § 1365 Abs. 1 BGB besteht. Anders als das Grundbuchamt darf er sich nicht einfach auf seine aus dem Ausnahmecharakter des § 1365 BGB abgeleitete, beschränkte Prüfungskompetenz verlassen (Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung gem. § 17 Abs. 1 BeurkG). Gleiches gilt für eine Versicherung des übertragenden Ehegatten, nicht über sein Vermögen im Ganzen zu verfügen.549 In aller Regel genügt allerdings eine allgemeine Belehrung über die Voraussetzungen sowie die Rechtsfolgen des Verfügungsverbots nach § 1365 BGB. Etwas anderes gilt nur, wenn konkrete Anhaltspunkte für ein Eingreifen des Verbots vorliegen. Zweifel an der Richtigkeit einer derartigen Versicherung sollen sich beispielsweise dann aufdrängen, wenn ein Ehegatte über den gesamten auf ihn im Grundbuch eingetragenen Grundbesitz verfügt.550 Unter diesen Umständen hat der Notar neben der Belehrung der Beteiligten (inkl. entsprechendem Vermerk, vgl. § 17 Abs. 2 S. 2 BeurkG) die Stellung von Vollzugsanträgen bis zur Genehmigung durch den Ehegatten zu unterlassen.551

Um Zweifelsfragen von vornherein gar nicht erst aufkommen zu lassen, sollte man den Ehegatten – sofern dies ohne größere Schwierigkeiten möglich ist – stets vorsorglich mitwirken lassen, es sei denn, ein Gesamtvermögensgeschäft i. S. v. § 1365 BGB kann zuverlässig ausgeschlossen werden.

3. Berücksichtigung eines vorbehaltenen dinglichen Wohnungsrechts im Rahmen von § 1365 BGB

– BGH, Urt. v. 16.1.2013 - XII ZR 141/10, DNotZ 2013, 546 = NJW 2013, 1156 = NotBZ 2013, 176. Vgl. hierzu Litzenburger, FD-ErbR 2013, 344100.

Ebenfalls im Zusammenhang mit dem Verfügungsverbot nach § 1365 Abs. 1 BGB hat der XII. Zivilsenat des BGH im vergangenen Jahr entschieden, dass ein dem Veräußerer im Zuge der Eigentumsübertragung552 eingeräumtes dingliches

549 Klepsch, NotBZ 2013, 344, 345; eine derartige Versicherung sogar für schädlich haltend

Brambring, in: Beck’sches Notarhandbuch, 5. Aufl. 2009, A I Rn. 284. 550 Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 3358; Klepsch, NotBZ 2013, 344, 346.

Ob sich hieraus auch einem fremden Dritten der Charakter als Gesamtvermögensgeschäft i. S. v. § 1365 BGB aufdrängen muss, erscheint mir aber alles andere als gewiss. Bei Überlassung innerhalb der Familie ist dies freilich anders zu beurteilen, da die Vermögensverhältnisse vielfach bekannt sein werden.

551 OLG Frankfurt/M DNotZ 1986, 244; Brambring, in: Beck’sches Notarhandbuch, 5. Aufl. 2009, A I Rn. 284.

552 Vorliegend wurden die Verfügungen in einem einheitlichen Vertrag getroffen und sollten miteinander stehen und fallen.

S. 322 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Nutzungsrecht (Nießbrauch, Wohnungsrecht) als diesem verbliebener Vermögenswert zu berücksichtigen ist und eine Verfügung über das Vermögen im Ganzen i. S. v. § 1365 Abs. 1 S. 1 BGB auszuschließen vermag.553 Denn das Wohnungsrecht stelle aufgrund der mit ihm verbundenen Nutzungsvorteile bewertungsfähiges Vermögen auf Seiten des Berechtigten dar.554 Durch seine Rechtsnatur als dingliches Recht unterscheidet es sich von einer bloß schuld-rechtlichen Nutzungsberechtigung. Die Ausführungen des BGH deuten darauf hin, dass die Berücksichtigung eines lediglich schuldrechtlichen Nutzungsrechts nicht in Betracht kommt. Der fehlende vollstreckungsrechtliche Zugriff des anderen Ehegatten soll indes keine Rolle spielen, ebenso wenig der Umstand, dass der andere Ehegatten nur eingeschränkt Nutzen aus dem Wohnungsrecht ziehen kann, welches nach dem Tod des Berechtigten gerade keinen Schutz bietet.555

Im Unterschied zu einer echten Gegenleistung (z. B. ein Entgelt), welche nicht zur Verneinung einer Verfügung über das Vermögen im Ganzen herangezogen werden kann, da in § 1365 BGB nicht auf eine wirtschaftliche Einbuße abgestellt wird,556 lässt sich ein im Raum stehendes Zustimmungserfordernis nach § 1365 Abs. 1 S. 1 BGB durch den Vorbehalt von dinglichen Nutzungsrechten vermeiden, was gerade im Zeitraum zwischen der Trennung von Ehegatten und der rechtskräftigen Scheidung erhebliche Erleichterungen für die Gestaltungspraxis mit sich bringt.557

553 Zu den bestehenden Ungewissheiten bei der Bewertung des Wohnungsrechts, insbesondere

bei individuellen, die Lebenserwartung reduzierenden Faktoren seitens des Veräußerers (schwerer Krankheit etc.), vgl. Litzenburger, FD-ErbR 2013, 344100.

554 BGH DNotZ 2013, 546 Tz. 18: „Es verkörpert vielmehr einen dem Verfügenden in anderer rechtlicher Form verbleibenden Teil des mit dem Hausgrundstück verbundenen Vermögenswerts.“

555 Aus diesem Grund kritisch Litzenburger, FD-ErbR 2013, 344100 („widerspricht […] dem […] Schutzgedanken des § 1365 BGB).

556 BGH NJW 1961, 1301. 557 Vgl. auch Michael, notar 2013, 367, 368.

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VI. Nachweise zur Erbfolge im Grundbuchverfahren (CH)

Nach § 35 Abs 1 S 1 GBO kann der Nachweis der Erbfolge – abweichend von § 29 – nur durch einen Erbschein geführt werden (ebenso der Nachweis des Bestehens der fortgesetzten Gütergemeinschaft oder der Befugnis des Testamentsvollstreckers, § 35 Abs 2).

Beruht die Erbfolge auf einer Verfügung in einer öffentlichen Urkunde (also einem notariellen Testament oder Erbvertrag), so genügt, wenn anstelle des Erbscheins die Verfügung von Todes wegen und die Eröffnungsniederschrift des Nachlassgerichts vorgelegt wird (§ 35 Abs 1 S 2).

1. Erbschein für Erben selbst erforderlich

Die Erbfolge ist dem Grundbuchamt durch Erbschein oder öffentliches Testament nachzuweisen. Das heißt im Umkehrschluss: Andere öffentliche Urkunden genügen nicht zum Nachweis des Erbrechts.

a) Nacherbe braucht Nacherbschein

Daher muss z.B. der Nacherbe immer einen Erbschein für den Nacherbfall vorlegen, da nur dieser bezeugt, dass er mittlerweile tatsächlich Nacherbe geworden ist. Der dem Vorerben erteilte (und den Nacherben sowie den Nacherbfall bezeichnende) Erbschein genügt auch dann nicht, wenn der Eintritt des Nacherbfalls durch anderweitige öffentliche Urkunde nachgewiesen wird.

OLG München, Beschl. v. 11.4.2011 – 34 Wx 160/11, FamRZ 2011, 1762 = FGPrax 2011, 173 = Rpfleger 2011, 495 = ZEV 2011, 587; DNotZ 2013, 153 = NotBZ 2012, 467).

Leitsatz 2. Weder der dem Vorerben ausgestellte und den Nacherben sowie den Nacherbfall bezeichnende Erbschein noch der im Grundbuch eingetragene Nacherbenvermerk sind ausreichend, um die Nacherbfolge zu belegen. Es bedarf hierzu eines Erbscheins für den Nacherben auch dann, wenn dieser vorverstorben ist, der bezeichnete Nacherbfall dadurch eingetreten ist und ausgewiesener Erbe des Nacherben der Vorerbe ist

b) Öffentliche Urkunden zur Auslegung des Erbscheins

Allerdings können andere öffentliche Urkunden ggf zur Auslegung eines Erb-scheins herangezogen werden, zB wenn bei Erbeserben der Nachnamen eines Erben/ Erblassers in den beiden vorgelegten Erbscheinen unterschiedlich geschrieben ist (ebenso ggf. zur Auslegung eines öffentlichen Testaments).

S. 324 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

KG, Beschl. v. 15.12.2011 – 1 W 638 - 639/11, FamRZ 2012, 905 = NJW-RR 2012, 786 = ZErb 2012, 43).

Leitsatz 1. Zum Nachweis der Erbfolge auf Erbeserben bei unterschiedlicher Schreibweise des Nachnamens eines Erben/Erblassers in den vorgelegten Erbscheinen.

Sachverhalt: Der Erbeserbe wies sich durch eine Kette von Erbscheinen aus. Der Name eines früheren Erben war darin unterschiedlich geschrieben (mit einem zusätzlichen Buchstaben). Das Kammergericht überzeugte sich aus vorgelegten Personenstandsurkunden und bei den Grundakten befindlichen Erwerbsurkunden, dass beide Erbscheine dieselbe Person bezeichneten.

2. Grundbuchamt muss öffentliches Testament selbst auslegen (OLG München, 25.1.2012 – 34 Wx 316/11)

Wird ein öffentliches Testament zum Nachweis des Erbrechts vorgelegt, genügt dies. Das Grundbuchamt muss das Testament selbst auslegen, auch wenn es komplizierter ist. Es kann nicht an das Nachlassgericht delegieren und einen Erbschein trotz öffentlichen Testaments verlangen.

OLG München, Beschl. v. 25.1.2012 – 34 Wx 316/11, FamRZ 2012, 1092 = NJW-Spezial 2012, 200 = ZEV 2013, 42

Leitsätze: 1. Zur Pflicht des Grundbuchamts, ein öffentliches Testament selbständig und umfassend auszulegen.

2. Die Pflicht zur umfassenden Auslegung bezieht sich auch auf eine etwa einzu-tragende Nach- und Ersatznacherbfolge sowie Befreiungen des Vorerben.

3. Ergänzende eidesstattliche Versicherung

Vielfach reicht das öffentliche Testament allein nicht zum Nachweis des Erbrechts. Auch kann der ergänzend erforderliche Nachweis ggf. nicht durch öffentliche Urkunden geführt werden. Vor dem Nachlassgericht würde dann der Nachweis durch eine eidestattliche Versicherung erbracht (§ 2356 Abs 2 BGB), etwa dass es keine weiteren gesetzlichen Erben gibt.

Entsprechend lässt die – allerdings umstrittene - h.M. eidesstattliche Versicherungen auch im Grundbuchverfahren im Rahmen des § 35 Abs 1 S 2 GBO in Ergänzung eines öffentlichen Testaments oder Erbvertrages zum Nachweis „negativer Tatsachen“ zu, sofern auch das Nachlassgericht dafür eine eidesstattliche Versicherung ohne weitere Nachforschungen genügen lassen würde.558 Denn sonst wäre der Zweck der

558 Böhringer, Eidesstattliche Versicherungen im Grundbuchverkehr, NotBZ 2012, 241; L. Böttcher,

Zur Frage des Nachweises der Erbfolge gegenüber dem Grundbuchamt nach § 35 GBO, wenn der Eintritt der Erbfolge vom Vorliegen so genannter negativer Tatsachen abhängig ist, RNotZ 2010,

S. 325 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Verfahrenserleichterung, auf den Erbschein bei einem notariellen Testament zu verzichten, konterkariert, wenn doch wieder in das Erbscheinsverfahren gewechselt werden müsste, nur weil eine eidesstattliche Versicherung erforderlich ist. Dann kann das Grundbuchamt die eidesstattliche Versicherung ebenso gut selbst abnehmen.

Auch hierzu gab es in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung mehrere Beispiele:

a) Keine weiteren Kinder vorhanden (OLG München, 12.01.2012 - 34 Wx 501/11)

Hängt etwa die Erbeinsetzung oder die Höhe des Erbteils in einem notariellen Testament oder Erbvertrag davon ab, dass keine weiteren Kinder etc geboren wurden – etwa bei der Einsetzung der „gemeinschaftlichen Abkömmlinge“ als Nacherben oder Schlusserben, so lässt die ständige Rechtsprechung eine eidesstattliche Versicherung des gemeinschaftlichen Kindes genügen, dass es das einzige gemeinschaftliche Kind von Erblasser und Vorerbin sei – sofern keine Anhaltspunkte dafür sprechen, dass das Nachlassgericht weitere Ermittlungen anstellen und zu einer abweichenden Beurteilung der Erbfolge gelangen könnte559 (während die Frage in der Literatur umstritten ist560 .

Diese ständige Rechtsprechung bestätigte nun etwa

OLG München, Beschl. v. 12.01.2012 - 34 Wx 501/11, DNotZ 2012, 461 = NotBZ 2012, 179 = ZErb 2012, 82.

Leitsatz: Sind im notariellen Ehe- und Erbvertrag „die gemeinschaftlichen Kinder“ als Erben eingesetzt, kommt anstelle eines Erbscheins gegenüber dem Grundbuch-amt in der Regel auch eine Nachweisführung durch Personenstandsurkunden und Versicherung an Eides statt dazu in Betracht, dass nur ein gemeinschaftliches Kind vorhanden ist.

264; Lange, Dürfen Grundbuchamt und/oder Handelsregister trotz Vorliegens einer notariellen Verfügung von Todes wegen einen Erbschein verlangen?, ZEV 2009, 371.

559 BayObLGZ 2000, 167 = DNotI-Report 2000, 144 = DNotZ 2001, 385 = FamRZ 2001, 43 = FGPrax 2000, 179 = NJW-RR 2000, 1545 = Rpfleger 2000, 451 = ZNotP 2000, 391; OLG Düsseldorf FamRZ 2010, 928 = FGPrax 2010, 114 = RNotZ 2010, 260 = Rpfleger 2010, 321 = ZEV 2010, 98; OLG Frankfurt OLGZ 1981, 30 = Rpfleger 1980, 434 m Anm Meyer-Stolte; OLG Frankfurt OLGZ 1985, 411 = MittRhNotK 1986, 23 = Rpfleger 1986, 51 m Anm Meyer-Stolte; OLG Hamm DNotI-Report 1997, 63 = FGPrax 1997, 48 = MittBayNot 1997, 105 = MittRhNotK 1997, 192 = NJW-RR 1997, 646 = Rpfleger 1997, 210 = ZEV 1997, 206; OLG München DNotZ 2013, 440 = FamRZ 2013, 1072 = NotBZ 2013, 152 = RNotZ 2013, 172 = ZEV 2013, 447; OLG Schleswig FG Prax 1999, 206 = MittBayNot 2000, 114 = MittRh NotK 2000, 117 = NJW-RR 1999, 1530 = Rpfleger 1999, 533 = SchlHA 2000, 91; OLG Zweibrücken OLGZ 1985, 408 = DNotZ 1986, 240; ähnlich der Fall OLG Hamm NotBZ 2011, 368 = Rpfleger 2011, 494.

560 Vgl zum Streitstand Meikel/Roth, § 35 GBO Rn 117 ff; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl., Rn 790; Böhringer, ZEV 2001, 387; Gutachten DNotI-Report 2008, 114, 115 f; ferner Gutachten DNotI-Report 2006, 109 (zum Handelsregister).

S. 326 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

b) Pflichtteil nicht geltend gemacht (OLG Braunschweig, 30.12.2012 - 2 W 138/12, OLG Hamm, 8.2.2011 - I-15 W 27/11, und OLG München, 11.12.2012 - 34 Wx 433/12, )

Auch bei einer (automatischen) Pflichtteilsklausel in einem Erbvertrag, nach der sein (Schluss-)Erbrecht verliert, wer nach dem Tod des Erstversterbenden seinen Pflichtteil geltend macht, lässt die obergerichtliche Rechtsprechung jedenfalls eine eidesstattliche Versicherung genügen.561

– Eine noch weitergehende Meinung, die ich teile, verlangt gar keinen Nachweis für den negativen Umstand der Nichtgeltendmachung, sofern dies nur eine entfernte abstrakte Möglichkeit ist; lediglich bei konkreten Zweifeln wäre eine eides-stattliche Versicherung erforderlich.562

– Gerade konträr verlangt die Gegenauffassung grds einen Erbschein und lässt die eidesstattliche Versicherung nicht genügen.563

Die h.M. (= ständige Rechtsprechung) bestätigten in jüngster Zeit:

– OLG Braunschweig, Beschl. v. 30.12.2012 - 2 W 138/12, DNotZ 2013, 125

Leitsatz der DNotI-Redaktion: Die negative Tatsache der Nichtgeltendmachung des Pflichtteils kann beim Berliner Testament mit Pflichtteilsstrafklausel im Grundbuchverfahren durch eidesstattliche Versicherung erbracht werden, wenn auch das Nachlassgericht ohne weitere Ermittlungen die eidesstattliche Versicherung der Erbscheinserteilung zu Grunde legen würde (Anschluss KG NJW-RR 2012, 847; OLG Hamm NJW-RR 2011, 1097; OLG Köln NJW-RR 2010, 665 f.; OLG Frankfurt NJW-RR 1994, 203).

561 KG FamRZ 2012, 1517 = NotBZ 2012, 221 = NJW-RR 2012, 847 („wenn auch das

Nachlassgericht ohne weitere Ermittlungen die eidesstattliche Versicherung der Erbscheins-erteilung zugrunde legen würde, weil bei ihrer Berücksichtigung keine Zweifel verbleiben, die über die abstrakte Möglichkeit eines anderen Sachverhalts hinausgehen“); OLG Frankfurt NJW-RR 1994, 203; Rpfleger 2013, 445 = ZfIR 2013, 484; OLG Hamm FGPrax 2011, 169 = NJW-RR 2011, 1097 = NotBZ 2011, 370 = RNotZ 2011, 350; OLG München DNotZ 2013, 440 = FamRZ 2013, 1072 = NotBZ 2013, 152 = RNotZ 2013, 172 = ZEV 2013, 447; LG Bochum Rpfleger 1992, 194 m zust Anm Meyer-Stolte; KEHE-Herrmann § 35 GBO Rn 70; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, Rn 790; Gutachten DNotI-Report 2002, 129; ebenso zu einer Scheidungsklausel Gutachten DNotI-Report 2006, 181; ebenso wohl (wenn auch ohne ausdrückliche Entscheidung der Rechtsfrage): OLG Köln FamRZ 2010, 927 = FGPrax 2010, 82 = NJW-RR 2010, 665 = RNotZ 2010, 263 m Anm L Böttcher = Rpfleger 2010, 263 = ZEV 2010, 97.

562 LG Köln MittRhNotK 1988, 177; LG Stuttgart BWNotZ 1988, 163; Meikel/Hertel, § 29 GBO Rn. 449.

563 OLG Frankfurt OLGZ 1994, 262 = DNotZ 1995, 312 = MittBayNot 1994, 156 = NJW-RR 1994, 203 = OLGR Frankfurt 1994, 14 = Rpfleger 1994, 206 m w Nachw; OLG Frankfurt FamRZ 2012, 1591; Böhringer BWNotZ 1988, 155; Demharter § 35 Rn 39; Schaub in Bauer/von Oefele § 35 GBO Rn 134; Meikel-Roth § 35 GBO Rn 117 ff.

S. 327 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– OLG Hamm, Beschl. v. 8.2.2011 - I-15 W 27/11, FGPrax 2011, 169 = NJW-RR 2011, 1097 = NotBZ 2011, 370 = RNotZ 2011, 350 = ZErb 2011, 162.

Haben Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament die Schlusserb-einsetzung ihrer Kinder mit einer Pflichtteilsstrafklausel verbunden, muss den Kindern bei der Grundbuchberichtigung nach dem letztverstorbenen Elternteil die Möglichkeit eingeräumt werden, durch inhaltlich übereinstimmende, von jedem von ihnen abzugebende eidesstattliche Versicherung den Nachweis zu führen, dass keines der Kinder nach dem Tod des erstverstorbenen Elternteils den Pflichtteil verlangt hat.

Beide Fallgruppen kombiniert

OLG München, Beschl. v. 11.12.2012 - 34 Wx 433/12, DNotZ 2013, 440 = FamRZ 2013, 1072 = NotBZ 2013, 153 = RNotZ 2013, 172 = ZEV 2013, 447

Leitsatz: Haben sich die Ehegatten in einem notariellen Erbvertrag zu Alleinerben und die gemeinsamen Abkömmlinge zu Schlusserben eingesetzt und bestimmt, dass ein Abkömmling bei Geltendmachung des Pflichtteils nach dem Erstverster-benden auch nach dem Letztversterbenden nur den Pflichtteil erhalten soll (Pflicht-teilsstrafklausel), so ist einem Einzelkind bei der Grundbuchberichtigung nach dem letztverstorbenen Elternteil regelmäßig die Möglichkeit einzuräumen, durch Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung den Nachweis des Nichteintritts der auflösenden Bedingung und des Nichtvorhandenseins weiterer Abkömmlinge zu führen

c) Kein Rücktritt vom Erbvertrag (OLG Düsseldorf, 25.4.2013 – I-3 Wx 219/12, gegen OLG München, 3.11.2011 – 34 Wx 272/11)

Enthält ein Erbvertrag einen Rücktrittsvorbehalt ,

– so verlangen Teile der Rechtsprechung gar keinen Nachweis, dass kein Rücktritt erklärt wurde (da es sich um eine negative Tatsache handelt)564 - was ich für richtig halte.

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.4.2013 – I-3 Wx 219/12, MittBayNot 2013, 490 = NotBZ 2013, 264 m Anm von Rintelen = RNotZ 2013, 354 = Rpfleger 2013, 608 = ZfIR 2013, 469 m Anm Demharter

Leitsatz: Bei dem zur Grundbuchberichtigung erforderlichen Nachweis der Erbfolge durch öffentliche Urkunde hat das Grundbuchamt im Regelfall deren Wirksamkeit und damit die Negativtatsache der Nichtaufhebung zu unter-

564 OLG Düsseldorf MittBayNot 2013, 490 = NotBZ 2013, 264 m Anm von Rintelen = RNotZ 2013,

354 = Rpfleger 2013, 608 = ZfIR 2013, 469 m Anm Demharter.

S. 328 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

stellen; eine eidesstattliche Versicherung des Inhalts, dass ein Rücktritt (hier: vom Erbvertrag) nicht erfolgt sei, kann das Grundbuchamt nicht verlangen.

– Soweit die Rechtsprechung doch einen Nachweis im Grundbuchverfahren verlangt, begnügt sie sich mit einer eidesstattlichen Versicherung (und verlangt keinen Erbschein).565

OLG München, Beschl. v. 3.11.2011 – 34 Wx 272/11, MittBayNot 2012, 293 m Anm Braun = NotBZ 2012, 56 = RNotZ 2012, 128 = ZErb 2012, 22; dazu Tönnies RNotZ 2012, 326; Demharter ZfIR 2013, 471

(Juris Rn. 7) „2. Indessen enthält der Erbvertrag ein (unbeschränktes) Recht zum Rücktritt. Hinsichtlich des Umstands, dass dieses Recht nicht ausgeübt wurde - einer sogenannten Negativ-tatsache -, besteht also eine Nachweislücke. Nach herrschender Rechtsprechung kann in Fällen, in denen das Nachlassgericht ohne weitere Ermittlungen eine eidesstattliche Versicherung gemäß § 2356 Abs. 2 BGB der Erbscheinserteilung zugrunde legen würde (BayObLG NJW-RR 2003, 736; Böhringer Rpfleger 2003, 157/167), auch das Grundbuchamt eine vor dem Notar abgegebene eidesstattliche Versicherung verlangen und verwerten. Das gilt namentlich für den Nachweis des Nichtvorliegens bestimmter Tatsachen, wie hier des Umstands, dass ein Rücktritt nicht erklärt worden ist (zu allem auch Meikel/Roth GBO 10. Aufl. § 35 Rn. 117). Insoweit stellt die - in ständiger Praxis zugelassene - eidesstattliche Versicherung eine Nachweiserleichterung dar, weil ansonsten nach der Grundregel des § 35 Abs. 1 Satz 1 GBO zum Nachweis der Erbfolge ein Erbschein unerlässlich wäre. Dem folgt auch der Senat. Demnach verlangt das Grundbuchamt zu Recht die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung.“

565 OLG München MittBayNot 2012, 293 m Anm Braun = NotBZ 2012, 56 = RNotZ 2012, 128 =

ZErb 2012, 22; dazu Tönnies RNotZ 2012, 326; Demharter ZfIR 2013, 471.

S. 329 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

VII. Nachweis der Entgeltlichkeit im Grundbuchverfahren bei Verfügungen eines Vorerben oder Testamentsvollstreckers (CH)

Mehrere Entscheidungen befassen sich mit der Frage, ob ein Nacherbenvermerk beim Verkauf durch einen befreiten Vorerben ohne Zustimmung der Nacherben aus dem Grundbuch gelöscht werden kann.

Materiell-rechtlich ist der Verkauf ohne Zustimmung der Nacherben wirksam, wenn

– der Vorerbe von den Beschränkungen des § 2113 Abs. 1 BGB befreit ist,

– und die Veräußerung entgeltlich erfolgt - oder genauer gesagt, nicht unentgeltlich erfolgt (§ 2113 Abs. 2 BGB).

Beides ist dem Grundbuchamt in der Form des § 29 GBO als Eintragungs-voraussetzung nachzuweisen.

– Die Befreiung von § 2113 Abs. 1 BGB kann der Vorerbe durch den Erbschein oder das notarielle Testament nachweisen (§ 35 GBO).

– Die Entgeltlichkeit (oder genauer die negative Tatsache, dass keine die Verfügung nicht unentgeltlich ist) kann er unmöglich durch öffentliche Urkunde nachweisen.

Auch bei Verfügungen durch einen Testamentsvollstrecker oder Betreuer ist dem Grundbuchamt die Entgeltlichkeit (bzw. das Nichtvorliegen einer Unentgeltlichkeit) nachzuweisen.

Hier - wie für andere negativen Tatsachen - sind daher Beweiserleichterungen anerkannt.566 Danach darf (und muss) das Grundbuchamt unter Berücksichtigung der natürlichen Gegebenheiten die gesamten Umstände des Falles prüfen, ob die Entgeltlichkeit offensichtlich ist. Denn die Entgeltlichkeit kann unmöglich durch öffentliche Urkunde nachgewiesen werden.

– Insbes. können allgemeine Erfahrungssätze als Nachweis genügen.

– Als Nachweis der Umstände, an die die allgemeinen Erfahrungssätze anknüpfen, genügen ggf. einfache Erklärungen des Testamentsvollstreckers bzw. Vorerben, in denen sie für die Entgeltlichkeit maßgebenden Beweggründe angeben, vorausgesetzt die Erklärung erscheint verständlich und der Wirklichkeit gerecht werdend und es sind keine begründeten Zweifel erkennbar.567 Nach h..M. genügt auch eine privatschriftliche Erklärung (was mir fragwürdig erscheint, da insoweit

566 Vgl. Meikel/Hertel, GBO, 10. Aufl. 2009, § 29 Rn. 435 ff. 567 KG JFG 7, 284; 18, 161; OLG München JFG 19, 244; JFG 21, 242; KG Rpfleger 1968, 189;

BayObLGz 1969, 283; BayObLG FamRZ 1989, 668 = MittBayNot 1989, 163 = NJW-RR 1989, 587 = Rpfleger 1989, 200; Böttcher, NotBZ 2011, 269; Demharter, § 52 GBO Rn 23; Meikel/ Böhringer, § 52 GBO Rn 60; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn 3441; Walloschek, ZEV 2011, 167.

S. 330 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

keine Beweisnot vorliegt). Ungenügend ist hingegen, wenn die Entgeltlichkeit nur behauptet wird, ohne entsprechende Tatsachen vorzutragen.568

1. Erfahrungssätze

a) Kaufvertrag mit einem unbeteiligten Dritten

Betrachten wir ein paar dieser Erfahrungssätze:

Schließt der Vorerbe, Testamentsvollstrecker oder Betreuer einen Kaufvertrag mit einem unbeteiligten Dritten und ist die Gegenleistung an den Vorerben, in den Nachlass oder an das Vermögen des Betreuten zu erbringen, so kann das Grundbuchamt nach einem allgemeinen Erfahrungssatz davon ausgehen, dass dies ein entgeltlicher Vertrag und keine verschleierte Schenkung ist.569

Dies bestätigte wieder eine Entscheidung des

OLG München, Beschl. v. 6.12.2011 - 34 Wx 403/11, DNotZ 2012, 459 = FamRZ 2012, 1170 = MittBayNot 2012, 292 = NotBZ 2012, 118 = RNotZ 2012, 175 = Rpfleger 2012, 250 = ZErb 2012, 45 = ZEV 2012, 328; dazu Amann, MittBayNot 2012, 267.

Leitsatz: Zu den Anforderungen an die im Grundbuchverfahren erforderliche Darlegung, dass die vom Testamentsvollstrecker vorgenommene Verfügung über Grundbesitz eine entgeltliche ist.

Diese Entscheidung habe ich bereits vor zwei Jahren in dieser Veranstaltung besprochen.570 Daher sei sie nur kurz in Erinnerung gerufen.

– Das OLG München meinte, dass die Entgeltlichkeit ohnehin für die Eintragung einer Vormerkung noch nicht nachzuweisen sei (sondern erst für den Vollzug der Auflassung).

– Jedenfalls spreche hier ein allgemeiner Erfahrungssatz für die Entgeltlichkeit. Das genüge.

(Rn. 11) „3. Unabhängig hiervon kann das Grundbuchamt einen Nachweis der Entgeltlichkeit oder die Zustimmung der Erben aus folgenden Gründen nicht verlangen: Ein derartiger Nachweis als Eintragungsvoraussetzung wird regelmäßig nicht in der Form des § 29 Abs. 1 GBO geführt werden können. Die Rechtsprechung hat den allgemeinen Satz aufgestellt, dass eine entgeltliche Verfügung anzunehmen ist, wenn die dafür maßgebenden Beweggründe im Einzelnen angegeben werden, verständlich und der Wirklichkeit gerecht werdend erscheinen und begründete Zweifel an

568 BayObLGZ 1986, 208, 211 = FamRZ 1987, 104 = MittBayNot 1986, 266 = NJW-RR 1986, 1070

= Rpfleger 1986, 470. 569 KG OLGZ 1993, 270 = DNotZ 1993, 607 = NJW-RR 1993, 268 = Rpfleger 1993, 236; OLG

Frankfurt MittBayNot 1980, 77 = Rpfleger 1980, 107. 570 Hertel, in: Albrecht/Hertel/Kesseler, Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung im

Immobilienrecht 2011/2012, S. 64.

S. 331 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

der Pflichtmäßigkeit der Handlung nicht ersichtlich sind (vgl. ...). Dabei genügt auch eine privatschriftliche Erklärung des Testamentsvollstreckers, die diesen Anforderungen entspricht.

(Rn. 12) Vor allem kann sich der Nachweis auch auf allgemeine Erfahrungssätze stützen. Ein allgemeiner Erfahrungssatz besagt zum Beispiel, dass ein Kaufvertrag mit einem unbeteiligten Dritten ein entgeltlicher Vertrag und keine verschleierte Schenkung ist, wenn die Gegenleistung an den Vorerben bzw. Testamentsvollstrecker erbracht wird (vgl. ...).“

Ähnlich fasst das OLG Frankfurt die Rechtsprechung zusammen:

OLG Frankfurt a. M., 15.8.2011 – 20 W 356/11, FamRZ 2012, 743 = ZEV 2012, 672

(Juris Rn. 11) „Der Nachweis der Entgeltlichkeit durch einen befreiten Vorerben in der Form des § 29 GBO stößt grundsätzlich auf praktische Schwierigkeiten. Deshalb ist das Grundbuchamt unter Berücksichtigung der natürlichen Gegebenheiten und der Gesamtumstände des Falles berechtigt zu prüfen, ob die Entgeltlichkeit offenkundig ist oder sich aus der Natur der Sache ergibt. An den Nachweis der Entgeltlichkeit dürfen dabei allerdings nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden (vgl. im Einzelnen …). Dabei wird das Grundbuchamt im Allgemeinen davon ausgehen können, dass bei einem Rechtsgeschäft mit einem Dritten Entgeltlichkeit vorliegt. Grundsätzlich wird dann, wenn die Verfügung Bestandteil eines Rechtsgeschäfts mit einem unbeteiligten Dritten ist, der also nicht etwa dem Vorerben wirtschaftlich oder persönlich nahe steht, anzunehmen sein, dass die Verfügung auch voll entgeltlich ist. Der Vorerbe hat aber substantiiert darzulegen, aufgrund welchen maßgeblichen Beweggründen eine entgeltliche Verfügung vorliegt; diese Darlegung muss verständlich sein und der Wirklichkeit gerecht werdend erscheinen. Dann genügen bloße Vermutungen über eine anders lautende Annahme insoweit nicht und den Erklärungen des Vorerben ist kein Misstrauen entgegen zu bringen. Vielmehr müssen aufgrund bestimmter Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Verfügungsbefugnis des Vorerben bestehen. Dann muss das Grundbuchamt selbst Ermittlungen anstellen, wobei der Nachweis in aller Regel aber nicht in der Form des § 29 GBO zu erbringen ist. Das Grundbuchamt kann in diesem Zusammenhang verlangen, dass der Vorerbe die erforderlichen Unterlagen beibringt. Das Grundbuchamt ist aber darüber hinaus weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Ermittlungen und Beweiserhebungen anzustellen (vgl. Senat, Beschluss vom 17.03.2011, 20 W 66/11, zu § 2205 Satz 3 BGB; vgl. auch …).“

Der Erfahrungssatz greift natürlich nicht mehr, wenn der Gegenwert aus dem Verkauf nicht an den Nachlass geht, sondern an einen Dritten.

Trägt der Testamentsvollstrecker dann vor, dass die Zahlung an den Dritten gehe, weil dieser einen entsprechenden Vermächtnisanspruch habe, muss er dies nachweisen.

OLG München, Beschl. v. 5.7.2013 - 34 Wx 191/13, DNotZ 2013, 873 = FamRZ 2014, 158 = RNotZ 2013, 500

Leitsätze: 1. Nachweis der Entgeltlichkeit einer Verfügung des Testaments-vollstreckers.

2. Fließt - abgekürzt - die Gegenleistung aus einer Grundstücksveräußerung unmittelbar dem vermeintlichen Vermächtnisnehmer zu, ist der Gegenwert, weil nicht in den Nachlass gelangend, nicht zu berücksichtigen.(Rn.21)In diesem Fall hat der Testamentsvollstrecker begründete Zweifel an der wirksamen Einsetzung der als Vermächtnisnehmer bezeichneten Person zur Überzeugung des Grundbuch-

S. 332 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

amts auszuräumen. Andernfalls ist die Zustimmung des Erben und sonstiger Vermächtnisnehmer zur getroffenen Verfügung unerlässlich.

b) Genehmigung durch das Betreuungs- oder Familiengericht

Auch wenn das Betreuungs- oder Familiengericht den Verkauf auf Seiten des Verkäufers genehmigt hat, spricht ein allgemeiner Erfahrungssatz für die Entgeltlich-keit der Veräußerung. So entschied das

KG, Beschl. v. 13.3.2012 - 1 W 542/11, FGPrax 2012, 145 = MDR 2012, 654 = NotBZ 2012, 219 = ZEV 2013, 32

Leitsatz: Soweit der Betreuer zu Schenkungen aus dem Vermögen des Betroffenen nicht befugt ist, wird nicht allein das Verpflichtungs-, sondern auch das dingliche Vollzugsgeschäft erfasst. Im Grundbuchverfahren sind für den Nachweis, dass die Verfügung nicht dem Schenkungsverbot unterfällt, in der Regel ähnliche Grundsätze maßgeblich, wie sie bei der Beurteilung der Entgeltlichkeit von Verfügungen des Testamentsvollstreckers oder befreiten Vorerben maßgebend sind. Der Nachweis ist erbracht, wenn sich die Parteien auf einen Kaufpreis von 80% des durch ein Gutachten ermittelten Verkehrswerts geeinigt haben und das Betreuungsgericht die Verfügung über das Grundstück genehmigt hat. Zwar ist das Grundbuchamt an die Beurteilung des Betreuungsgerichts nicht gebunden, jedoch stehen diesem gegenüber dem Grundbuchamt weitergehende Mittel zur Ermittlung der für eine Schenkung erforderlichen Vorstellungen der Parteien zur Verfügung, so dass die Genehmigung ein starkes Indiz für die Entgeltlichkeit ist.

Im entschiedenen Fall kam als Besonderheit dazu, dass das Grundbuchamt wusste, dass ein Gutachter den Verkehrswert der Immobilie vor dem Verkauf höher als den späteren Kaufpreis eingeschätzt hatte.

– Damit wäre an sich der Erfahrungssatz wieder erschüttert.

– Wurde aber dem Betreuungs- oder Familiengericht im Genehmigungsverfahren das Gutachten vorgelegt - und hat es trotzdem genehmigt -, so greift der Erfahrungssatz wieder. Denn ist das Gericht mit den ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnis-möglichkeiten (die über die Erkenntnismöglichkeiten des Grundbuchamtes hinausgehen) festgestellt, dass der vom Gutachter ermittelte Wert am Markt doch nicht erzielbar ist. Sonst hätte es nicht genehmigen dürfen.

c) Vermächtniserfüllung

Erfolgt die Verfügung ohne Gegenleistung, wird aber damit ein Vermächtnis des Erblassers erfüllt, so ist die Verfügung ebenfalls nicht unentgeltlich. Dem Grundbuchamt ist dann das Vermächtnis nachzuweisen.

S. 333 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Als Nachweis genügt nach h.M. auch ein eigenhändiges Testament (samt Eröffnungsniederschrift des Nachlassgerichts).571 Denn andernfalls könnte der Erbe (oder Testamentsvollstrecker572) das Vermächtnis gar nicht nachweisen, so dass auch hier ein Fall von Beweisnot vorliegt.

In Konsequenz entschieden beide nordrheinischen Oberlandesgerichte einhellig, dass der Testamentsvollstrecker seine Befreiung von § 181 BGB zur Erfüllung eines Vermächtnisses an sich selbst auch durch ein eigenhändiges Testament des Erblassers nachweisen kann.

OLG Köln, Beschl. v. 21.11.2012 - I-2 Wx 214/12, FGPrax 2013, 105 = RNotZ 2013, 103

(Juris Rn. 12) „b) Aber auch inhaltlich ist die angefochtene Zwischenverfügung unzutreffend. Entgegen der Annahme des Grundbuchamtes muss der Beteiligte seine Befreiung von der Einschränkung des § 181 BGB nicht in der Form des § 29 GBO nachweisen.

(Rn. 13) Nach § 2205 S. 3 BGB ist ein Testamentsvollstrecker zu unentgeltlichen Verfügungen über Nachlassgegenstände nur in Ausnahmefällen berechtigt, nämlich wenn sie einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprechen. Es ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass der Nachweis, dass sich der Testamentsvollstrecker bei der Verfü-gung über ein Grundstück in diesen Grenzen seiner Verfügungsmacht gehalten hat, insbesondere der Entgeltlichkeit des Geschäfts, vom Grundbuchamt im Weg der freien Beweiswürdigung festgestellt werden kann (KG, Beschl. vom 18. 3. 1968 - 1 W 474/68 - Rpfleger 1968, 189; BayObLG, Beschl. v. 31. 10. 1969 - 2 Z 53/69 - Rpfleger 1970, 22, 23; ...).

(Rn. 14) Auch wenn der Testamentsvollstrecker über ein Grundstück oder Grundstücksrecht zu seinen eigenen Gunsten oder zugleich als Vertreter eines Dritten verfügt und deshalb der Verfügungsbeschränkung nach § 181 BGB unterliegt, muss das Grundbuchamt die Wirksamkeits-voraussetzungen prüfen und sich nachweisen lassen. Auch dieser Nachweis braucht nicht in der Form nach § 29 Abs. 1 GBO geführt zu werden; es gelten die gleichen Grundsätze wie für den Nachweis der Entgeltlichkeit einer Grundstücksverfügung. Liegt ein öffentliches Testament oder ein Erbvertrag vor, so kann der Testamentsvollstrecker durch Vorlage einer beglaubigten Abschrift oder Verweis auf die beim selben Amtsgericht geführten Nachlassakten nachweisen, dass er in Ausführung einer Erblasseranordnung handelt. Bei einem privatschriftlichen Testament - wie hier - genügt die Vorlage einer beglaubigten Abschrift mit Eröffnungsvermerk (...).

(Rn. 15) Hierfür besteht vor allem deswegen ein praktisches Bedürfnis, weil der Nachweis mit Hilfe eines Testamentsvollstreckerzeugnisses gemäß § 2368 BGB nicht möglich ist. Die Befreiung des Testamentsvollstreckers von der Einschränkung des § 181 BGB wird regelmäßig nicht in dieses Zeugnis aufgenommen. Dafür besteht bereits deshalb kein Anlass, weil das Zeugnis dem Ausweis der Verfügungsbefugnis des Testamentsvollstreckers im Rechtsverkehr mit Dritten dient. Für Rechtsgeschäfte des Testamentsvollstreckers mit sich selbst kann das Zeugnis

571 OLG Celle NdsRpfl 2005, 38 = OLGR Celle 2004, 488 = RNotZ 2005, 365 = ZfIR 2005, 35;

OLG Karlsruhe BWNotZ 2005, 146 = FamRZ 2005, 2098 = FGPrax 2005, 219 = NJW-RR 2005, 1097 = OLGR Karlsruhe 2005, 798 = Rpfleger 2005, 598; Gutachten DNotl-Report 2008, 131, 133; Demharter, § 29 GBO Rn 64; Knothe, in: Bauer/von Oefele, § 29 GBO Rn 161; Meikel/Hertel, § 29 GBO Rn. 440; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, Rn 3449; offen gelassen hingegen von BayObLGZ 2001, 118 = DNotZ 2001, 808 = FamRZ 2002, 135 = MittBayNot 2001, 403 = NJW-RR 2001, 1665 = NotBZ 2001, 303 = Rpfleger 2001, 408 vgl aber den Sachverhalt von BayObLG DNotZ/1983, 176 = MittBayNot 1982, 188 = Rpfleger 1982, 344.

572 OLG München NJW-Spezial 2010, 264 = NotBZ 2010, 351 = RNotZ 2010, 397; FamRZ 2011, 328 = ZEV 2011, 197.

S. 334 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

demgegenüber keinerlei Wirkung entfalten, zumal die Frage, ob das jeweilige Geschäft sich in den Grenzen ordnungsgemäßer Verwaltung hält, ohnehin der Prüfung im Einzelfall vorbehalten bleiben muss (OLG Hamm, Beschl. vom 23.3.2004 - 15 W 75/04 - NJW-RR 2004, 1448, 1450; ...).“

Das OLG Düsseldorf schloss sich ausdrücklich dem OLG Köln an.

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.08.2013 -I-3 Wx 41/13, DNotI-Report 2013, 159.

Leitsätze 1. Der Testamentsvollstrecker kann zur Erfüllung einer wirksamen Nachlassverbindlichkeit ein Grundstück an sich selbst auflassen, wenn ein entsprechendes Vermächtnis, eine Teilungsanordnung oder eine Auflage zu seinen Gunsten besteht.

2. Zur Frage, welche Nachweise das Grundbuchamt zum Beleg der Wirksamkeits-voraussetzungen einer vom Testamentsvollstrecker nach Maßgabe des § 181 BGB zu seinen Gunsten vorgenommenen Grundstücksverfügung für die Eigentums-umschreibung (im Wege der Zwischenverfügung) verlangen kann.

(Rn. 22) „Nach § 2205 Satz 3 BGB ist ein Testamentsvollstrecker zu unentgeltlichen Verfügungen über Nachlassgegenstände nur in Ausnahmefällen berechtigt, nämlich wenn sie einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprechen. Der Nachweis, dass sich der Testamentsvollstrecker bei der Verfügung über ein Grundstück in diesen Grenzen seiner Verfügungsmacht gehalten hat, insbesondere der Entgeltlichkeit des Geschäfts, kann vom Grundbuchamt im Wege der freien Beweiswürdigung festgestellt werden (OLG Köln, FGPrax 2013, 105 mit Nachweisen).

(Rn. 23) Auch wenn der Testamentsvollstrecker über ein Grundstück zu seinen eigenen Gunsten verfügt und deshalb grundsätzlich der Verfügungsbeschränkung nach § 181 BGB unterliegt, muss das Grundbuchamt die Wirksamkeitsvoraussetzungen prüfen und sich nachweisen lassen. Dieser Nachweis braucht ebenfalls nicht in der Form nach § 29 Abs. 1 GBO geführt zu werden; es gelten die gleichen Grundsätze wie für den Nachweis der Entgeltlichkeit einer Grundstücksverfügung (OLG Köln, FGPrax, a.a.O.).

(Rn. 24) Liegt - wie hier - ein privatschriftliches Testament vor, so genügt die Vorlage einer beglaubigten Abschrift mit Eröffnungsvermerk (...). Ein praktisches Bedürfnis hierfür besteht vor allem deswegen, weil der Nachweis mit Hilfe eines Testamentsvollstreckerzeugnisses gemäß § 2368 BGB nicht möglich ist. Die Befreiung des Testamentsvollstreckers von der Einschränkung des § 181 BGB wird nämlich regelmäßig nicht in dieses Zeugnis aufgenommen (OLG Hamm, NJW-RR 2004, 1448; ...). Dafür besteht schon deshalb kein Anlass, weil das Zeugnis dem Ausweis der Verfügungsbefugnis des Testamentsvollstreckers im Rechtsverkehr mit Dritten dient. Für Rechtsgeschäfte des Testamentsvollstreckers mit sich selbst kann das Zeugnis demgegenüber keinerlei Wirkung entfalten, zumal die Frage, ob das jeweilige Geschäft sich in den Grenzen ordnungsgemäßer Verwaltung hält, ohnehin der Prüfung im Einzelfall vorbehalten bleiben muss (OLG Köln, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.; ...).“

d) Anstandsschenkung

Überträgt hingegen der Vorerbe (oder Testamentsvollstrecker) ein Grundstück ohne Gegenleistung (oder unter Verkehrswert), ohne dass ein Vermächtnis des Erblassers vorläge, und trägt er vor, dies sei eine Anstandsschenkung, so spricht hierfür keinerlei Erfahrungssatz.

S. 335 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Die bloße Erklärung des Vorerben in der Urkunde über die Entgeltlichkeit oder das Vorliegen einer Anstandsschenkung genügt nicht. Da ein Nachweis zu öffentlicher Urkunde nicht möglich ist, geht die Schenkung nur mit Zustimmung der Nacherben (in grundbuchverfahrensrechtlicher Form).

OLG München, Beschl. v. 15.2.2012 - 34 Wx 151/11, DNotZ 2012, 551 = FamRZ 2013, 155 = ZErb 2012, 113 = ZEV 2012, 672.

(Juris Rn. 16) „a) Mit dem im Grundbuchverfahren in Gegenstand und Form limitierten Beweismitteln (§ 29 GBO) haben die Beteiligten den Nachweis nicht erbracht, dass die damalige Schenkung der Vorerbin an Babette Sp. eine solche war, durch die einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wurde (§ 2113 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. BGB). Die Schenkungs-urkunde mit den darin enthaltenen Erklärungen der Veräußerin belegen deren Motivation für das Rechtsgeschäft, sind als solche jedoch nicht geeignet, den entsprechenden Nachweis zu führen. Das Grundbuchamt stellt zutreffend darauf ab, dass schon seinerzeit Streit zwischen dem Nacherben Harald F. und seiner Stiefmutter bzw. der Beschenkten bestand, inwieweit es sich bei der Überlassung des 1870 m² großen als Bauplatz ausgewiesenen Grundstücks um eine Anstands-schenkung handelte.“

2. Konkrete Zweifel an der Entgeltlichkeit

a) Grundsatz

Dieser Erfahrungssatz (oder Beweiserleichterung durch privatschriftliches Testament) kann aber erschüttert werden. Sprechen konkrete Zweifeln gegen die Entgeltlichkeit oder konkrete Anhaltspunkte für die Unentgeltlichkeit, so kann und muss das Grund-buchamt weitere Nachweise fordern. Aus welchen Quellen die Zweifel kommen, ist irrelevant; insbesondere müssen sie nicht aus öffentlichen Urkunden stammen.

– So wäre der Erfahrungssatz erschüttert, wenn ein neueres Wertgutachten zu einem höheren Wert als dem vereinbarten Kaufpreis kommt573 oder wenn der Erblasser das Grundstück kurz vor seinem Tode zu einem erheblich höheren Kaufpreis erworben hatte als beim jetzigen Weiterverkauf durch den Testamentsvollstrecker oder befreiten Vorerben. Der Kaufpreis 20 Jahre zuvor muss den Erfahrungssatz aber nicht erschütten.574

– Erschüttert ist der Erfahrungssatz, auch wenn ein enger Verwandter erwirbt (zB ein Enkel) oder sonst ein dem handelnden Vorerben oder Testamentsvollstrecker besonders Nahestehender (z.B. dessen Lebensgefährtin) - jedenfalls wenn weitere Anhaltspunkte für ein Äquivalenzdefizit hinauskommen (im Fall des Enkels ein ungewöhnlich niedriger Kaufpreis;575 im Fall der Lebensgefährtin wurden

573 OLG Frankfurt a. M., 15.8.2011 – 20 W 356/11, FamRZ 2012, 743 = ZEV 2012, 672. Dieser

Zweifel kann aber ausgeräumt werden - etwa wenn dem Betreuungsgericht das Wertgutachten im Genehmigungsverfahren vorlag, vgl. die oben besprochene Entscheidung des KG FGPrax 2012, 145 = MDR 2012, 654 = NotBZ 2012, 219 = ZEV 2013, 32.

574 OLG München DNotZ 2012, 459 = FamRZ 2012, 1170 = MittBayNot 2012, 292. 575 OLG Braunschweig Rpfleger 1991, 204.

S. 336 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

angebliche Investitionen der Erwerberin in das Vertragsobjekt, deren Höhe und Nutzen strittig war, kaufpreismindernd berücksichtigt576).

Dann, aber auch nur dann, kann und muss das Grundbuchamt weitere Nachweise fordern, um diese Zweifel einzuräumen. Insbes. kann es dann das Wertgutachten eines vereidigten Grundstückssachverständigen verlangen.577 Das Grundbuchamt ist aber weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Ermittlungen und Beweiserhebungen anzustellen.578

b) Persönliche Näheverhältnis

Auch hierzu ein paar neue Entscheidungen.

KG, Beschl. v. 6.3.2012 - 1 W 778/11, FamRZ 2012, 1979 = ZEV 2013, 94

betont, dass ein persönliches Näheverhältnis zwar zunächst den Erfahrungssatz der Entgeltlichkeit erschüttern kann, diese Zweifel aber ausgeräumt werden können. Im konkreten Fall verkauften Kinder, die von der Mutter als Vorerben eingesetzt sind, an den Vater (= den Ehemann der Erblasserin), der – genauso wie die Mutter (und Erblasserin) – sie als Vorerben und die Enkel als Nacherben eingesetzt hatte. Trotz des Näheverhältnisses zwischen Verkäufer und Käufer gab es keinen sonstigen Anhaltspunkt für ein Äquivalenzdefizit oder auch nur für einen Interessensgegensatz zwischen Käufer und Nacherben.

(Juris Rn. 14) „Bei einem persönlichen Näheverhältnis des Vorerben zu dem Erwerber besteht für das Grundbuchamt aber regelmäßig Anlass zu einer besonders sorgfältigen Prüfung der Entgeltlichkeit der Verfügung (OLG Düsseldorf, FGPrax 2008, 94; OLG Braunschweig, Beschluss vom 4. Dezember 1990 - 2 W 132/90 - Juris). Andererseits schließt ein Näheverhältnis aber die Annahme der Entgeltlichkeit insbesondere dann nicht aus, wenn keine Anhaltspunkte für eine mögliche Absicht der Vorerben bestehen, die Nacherben zu benachteiligen (OLG München, FGPrax 2005, 193, 194; BayObLG, Beschluss vom 27. Juli 1982 - 2 Z 12/82 - Juris ). So ist es hier. Der Nachlass wurde durch die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück nicht ausschließlich vermindert. Eine Kompensation trat jedenfalls in Höhe des vereinbarten Kaufpreises von 1.400.000,00 EUR ein. Zwar schließt dies eine Unentgeltlichkeit der Verfügung nicht aus, weil eine teilweise unentgeltliche Verfügung einer voll unentgeltlichen gleichzustellen ist (Senat, Beschluss vom 6. Mai 1968 - 1 W 807/68 - OLGZ 1968, 337, 339). Hier kommt jedoch hinzu, dass der Verlust des Grundstücks letztlich nur vorübergehend eingetreten ist. Denn der Vater der Beteiligten zu 1 bis 3 hatte zu seinen Vor- und Nacherben dieselben Personen bestimmt, die bereits Vor- und Nacherben seiner vorverstorbenen Ehefrau geworden waren. Zwar schließt auch dies eine mögliche Absicht der Beteiligten zu 1 bis 3, die Nacherben zu schädigen, nicht von vornherein aus. Sie erscheint jedoch, da zu Nacherben ihre ehelichen Abkömmlinge bestimmt worden waren, eher fernliegend (vgl. hierzu auch OLG München a.a.O.). Zudem spricht das

576 OLG Düsseldorf FamRZ 2008, 1215 = FGPrax 2008, 94 = NJW-RR 2009, 26 = RNotZ 2008, 544

= Rpfleger 2008, 239. 577 OLG Hamm Rpfleger 1969, 359 m zust Anm Haegele; Haegele, DNotZ 1969, 675; KEHE-

Herrmann, § 29 GBO Rn 137. 578 OLG Frankfurt ZEV 2012, 325; OLG Frankfurt FamRZ 2012, 743 = ZEV 2012, 672; Meikel-

Böhringer § 51 Rdn 146.

S. 337 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

weitere Verhalten der Vertragsparteien, insbesondere des Vaters der Beteiligten zu 1 bis 3 dagegen. Hätte den Nacherben nach der Mutter der Beteiligten zu 1 bis 3 das Grundstück dauerhaft entzogen werden sollen, wären weitere Handlungen des Vaters zu erwarten gewesen und zwar wegen seiner altersbedingt überschaubaren Lebenserwartung in nahem zeitlichen Zusammenhang mit dem Erwerb. So hätte die Weiterveräußerung des Grundstücks verbunden mit Änderungen seiner letztwilligen Verfügungen nahe gelegen. Zu letzterem war er ungeachtet der Regelung in § 2271 Abs. Abs. 2 S. 1 HS 2 BGB schon wegen seines ausdrücklichen Vorbehalts in dem gemeinschaftlichen Testament berechtigt. Beides ist hingegen nicht erfolgt, so dass das Grundstück letztlich den mit dem nach dem ersten Erbfall personengleichen Nacherben erhalten geblieben ist.“

c) Zweifel an Testierfähigkeit

Erfüllt der Testamentsvollstrecker oder Vorerbe ein Vermächtnis, sprechen aber ernsthafte Anhaltspunkte gegen die Testierfähigkeit des Erblassers bei Errichtung der zugrundeliegenden Verfügung von Todes wegen, so muss der Verfügende diese Zweifel ausräumen. Andernfalls muss das Grundbuchamt die Mitwirkung der Erben verlangen.

OLG München, Beschl. v. 30.6.2010 - 34 Wx 31/10, ZEV 2011, 195

Leitsatz: Überträgt der Testamentsvollstrecker in Erfüllung eines Vermächtnisses des Erblassers ein Grundstück, hat das Grundbuchamt dessen Verfügungsbefugnis zu prüfen. Sind ernsthafte, auch aus Umständen außerhalb der Eintragungs-unterlagen herleitbare, hinreichende Tatsachen vorhanden, die gegen eine Testier-fähigkeit des Erblassers sprechen, bestehen ernsthafte Zweifel an der Verfügungs-befugnis des Testamentsvollstreckers. Denn rechtsgrundlose Verfügungen sind als unentgeltliche Verfügungen anzusehen.

Auch hier, wie in allen anderen Fällen, in denen Erfahrungssätze erschüttert werden, kommt es nicht darauf an, aus welchen Quellen das Grundbuchamt die konkreten Zweifel schöpft. Sie können sich auch auf Umständen außerhalb der Eintragungs-unterlagen gründen - und auch auf Umstände, die nicht durch öffentliche Urkunden belegt sind.

S. 338 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

F) Beschränkte dingliche Grundstücksrechte

I. Die abstrakte Hypothek (K )

OLG Köln, Beschl. v. 19.4.2013 - 2 Wx 54/13, DNotZ 2013, 768 = RNotZ 2013, 361 = BWNotZ 2013, 150 = RPfleger 2013, 500.

Siehe dazu auch Heinze, AcP 211 (2011), 105.

1. Risikobegrenzung und Umgehung

Das Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken, kurz

auch Risikobegrenzungsgesetz genant, hat eine ganze Reihe von Regelungen zu den

banküblich vereinbarten Sicherheiten in Form der Grundschulden gebracht.

Mit diesem Gesetz sind, was wir in der Vergangenheit schon konstatiert hatten, eine

ganze Reihe nicht vorhandener Risiken erfolgreich begrenzt worden.

Schon bei Inkrafttreten der Regelungen hatte Hertel auf dieser Veranstaltung im Jahr

2009579 kurz die Frage angerissen (und natürlich auch zutreffend vorhergesehen!), die

jetzt Gegenstand der vorgenannten Entscheidung des OLG Köln geworden ist.

Fallgestaltung:

Der Grundstückseigentümer E nimmt einen Kredit bei seiner Hausbank B auf, der

grundpfandrechtlich gesichert werden soll. Nun ist der Bank die gesetzliche Regelung

in § 1193 Abs. 1 S. 3 BGB, wonach die Kündigungsfrist für die Grundschuld zwingend

8§ 1193 Abs. 2 S. 2 BGB) 6 Monate beträgt, ein Dorn im Auge, weil sie für den Fall,

dass sie tatsächlich einmal aus der Grundschuld vorgehen muss, nicht noch einmal 6

Monate nach Kündigung abwarten will. Die Bank lässt den E also notariell beurkun-

den ein abstraktes Schuldversprechen, wegen dessen sich E der sofortigen Zwangs-

vollstreckung unterwirft. E bewilligt ferner die Eintragung einer die Forderung aus

579 Hertel, in: Albrecht/Hertel/Kesseler, Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung 2008/2009, S. 117.

S. 339 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

dem Schuldversprechen sichernden Hypothek, wegen der er sich ebenfalls der

sofortigen (Duldungs-) Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz unterwirft. Als der

Notar den Eintragungsantrag stellt, weist das Grundbuchamt diesen unter Hinweis auf

einen Verstoß gegen § 1193 Abs. 1 S. 3 BGB zurück.

2. Zur Einordnung

Die nordrheinwestfälischen Kollegen wird es nicht wundern, dass der Fall sich am

OLG Köln abgespielt hat. Die NRW.Bank, die Nachfolgerin der bis 2009 bestehenden

Wohnungsbauförderungsanstalt Nordrhein-Westfalen (WfA), lässt sich seit jeher ihre

Förderdarlehen nicht durch Grundschulden, sondern durch ein abstraktes

Schuldversprechen, zu dessen Absicherung eine Hypothek bestellt wird,580 sichern.

Die Besonderheit dieser Gestaltung gegenüber den üblichen Grundschuldbestellungen

besteht dabei darin, dass das abstrakte Schuldversprechen nicht der Begleiter der

Grundschuld, sondern zentrales Element des Sicherungskonzeptes ist. Dieses

Schuldversprechen ist es, das die dingliche Sicherung durch die Bestellung des

Grundpfandrechts in Form der Hypothek erhält.

Es ist damit nicht das Grundpfandrecht in Form der Grundschuld, das abstrakt und

damit dinglich unabhängig von der Darlehensforderung als Sicherungsmittel gestellt

wird. Sicherungsmittel ist vielmehr das Schuldversprechen, das aufgrund seiner

hypothekarischen Sicherung dingliche Sicherungswirkung erhält.

Ob es sich im Fall des OLG Köln um eine solche Hypothekeneintragung gehandelt hat

oder ein anderer Gläubiger dieses Sicherungsmittel für sich entdeckt hat, ist leider

nicht bekannt.

580 Zu Formulierungsmustern siehe Schöner/Stöber, Grundbuchrecht 15. Auflage 2012, Rn. 1995a; Dieckmann, in: Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht, 11. Auflage 2013, Formular IV. A Nr. 22; Keith, in: Beck'sche Online-Formulare Vertrag, 26. Edition 2013, Formular 8.4.3.

S. 340 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

3. Die Entscheidung

Entscheidungserheblich war für das OLG Köln nur, ob, wie das Grundbuchamt es

angenommen hat, § 1193 Abs. 1 S. 3 BGB auch für diese Hypothek gilt, oder diese

Norm allein Anwendung auf Grundschulden findet.

Das OLG Köln hält die gewählte Gestaltung für rechtlich zulässig.

Das Gericht erkennt, dass eine direkte Anwendung des § 1193 Abs. 1 S. 3 BGB auf

das hypothekengesicherte Schuldversprechen nicht möglich ist. Der Wortlaut der

Norm erfasst die Hypotheken ebenso wenig, wie dessen systematische Stellung mit

der Verortung im Recht der Grundschulden eine Anwendung auf die Hypothek

erlaubt. Dadurch, dass der Gesetzgeber die Grundschuld unter Verwendung des

Generalverweises auf das Hypothekenrecht geregelt hat und in den §§ 1191 ff. BGB

eben nur solche Bestimmungen enthalten sind, die nur für die Grundschuld gelten, ist

eine direkte Anwendung des § 1193 Abs. 1 S. 3 BGB strukturell ausgeschlossen.

Das OLG verneint darüber hinaus aber auch die Möglichkeit einer entsprechenden

Anwendung der Norm. Das Gericht verneint schon das Vorliegen der planwidrigen

Regelungslücke. Hätte der Gesetzgeber das Kündigungserfordernis als für die

Sicherheitenbestellung grundlegend angesehen, dann hätte dies bei der Hypothek

geregelt werden müssen. Dass es die hier in Rede stehende Gestaltung schon lange in

der Praxis gibt, musste dem Gesetzgeber bekannt sein.

Schließlich sieht das Gericht auch kein Problem darin, dass es bei dem

Bestellungsformular um AGB handelt, da wegen der Personenidentität von

Darlehensschuldner, Schuldner des abstrakten Schuldversprechens und Grundstücks-

eigentümer Personenidentität bestehe.

4. Bewertung

Schlank zusammengefasst erlaubt das OLG Köln mit dieser Entscheidung die

vollständige Aushebelung der für die (Sicherungs-) Grundschulden zwingenden

Bestimmung des § 1193 Abs. 1 S. 3 BGB. Wen diese Norm stört, kann auf das

hypothekarisch gesicherte Schuldversprechen ausweichen. Diese ist für praktisch alle

Umgehungsfälle das Mittel der Wahl.581

581 Im Ergebnis ebenso, wenn auch weniger plakativ: Heinze, AcP 211 (2011), 105, 151; Staudinger/Wolfsteiner, § 1113 Rn. 30.

S. 341 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Das Ergebnis hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Rechtskonstruktiv handelt es

sich bei der Grundschuld faktisch um eine abstrakte Forderung mit hypothekarischer

Sicherung. Der Unterschied besteht doch nur darin, dass bei der Grundschuld der

„Schuldner“ nur das Grundstück selbst ist, während das Schuldversprechen eine

Person als persönlichen Schuldner der Forderung hat.

Allerdings muss man auch anerkennen, dass sich der Gesetzgeber bewusst für die

Regelung nur der Grundschuld entschieden hat.

- Bekannt war bei Schaffung der Norm, dass es sich bei dem hypothekarisch

gesicherten Schuldversprechen um eine in der Praxis vielfach verwendete

Sicherungsvariante handelt. Dies gilt umso mehr, als diese in NRW von der

staatlichen Fördereinrichtung NRW.BANK durchgängig Verwendung fand und

findet.

- Dem Gesetzgeber war ebenso das Regelungssystem des BGB hinsichtlich des

Verhältnisses von Grundschuld zu Hypothek bekannt.

- Der Gesetzgeber wusste auch, dass die Grundschuldbestellungsformulare

nahezu aller Kreditinstitute (ausgenommen wohl nur noch einige wenige

Bausparkassen) das abstrakte Schuldversprechen des Darlehensnehmers

enthalten. Aus diesem war und ist bei Personengleichheit zwischen

Darlehensnehmer und Schuldner des Schuldversprechens immer schon die

sofortige Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz auch ohne jede Kündigung

möglich, denn selbstverständlich können auch persönliche Forderungen in den

Grundbesitz des Schuldners durchgesetzt werden.

Die Gestaltung zieht nur die Konsequenz daraus, dass sich der Gesetzgeber mit den

Bestimmungen des Risikobegrenzungsgesetzes im Bereich der Grundschulden für den

Schutz allein des vom persönlichen Schuldner personenverschiedenen Eigentümer des

Grundstücks entschieden hat. Diese grundstücksbezogene Betrachtung ist schon in der

Verortung des Regelungskonzeptes im Sachenrecht angelegt.

S. 342 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

II. Wirksamkeitsvermerk und Rangvermerke bei der Vormerkung (K)

OLG Celle, Beschl. v. 24.5.2013 - 4 W 75/13, RNotZ 2013, 547 = RPfleger 2013, 603.

1. Der Entscheidungssachverhalt

Ein wesentliches Problem der hier besprochenen Entscheidung ist, dass sie nach den

veröffentlichten Fassungen leider keinen Entscheidungssachverhalt aufweist. Es muss

deshalb spekuliert werden.

Ausweislich der allein verfügbaren Entscheidungsbegründung hatte das

Grundbuchamt einen Antrag eines Notars, bei einer zur Sicherung eines kaufvertrag-

lichen Übereignungsanspruchs einzutragenden Vormerkung einen Rangvorbehalt im

Sinne des § 881 BGB für noch zu bestellende Finanzierungsgrundpfandrechte

einzutragen, dadurch erledigt, dass es einen Vermerk über die Wirksamkeit solcher

Grundpfandrechte gegenüber der Vormerkung (richtig: gegenüber dem vorgemerkten

Anspruch) eingetragen hat.

Das OLG Celle hat die gegen dieses Vorgehen des Grundbuchamtes eingelegte

Beschwerde genutzt, um das Verhältnis zwischen dem sogenannten Wirksamkeits-

vermerk und dem Rangvorbehalt/Rangrücktritt bei solchen Rechten zu beleuchten, die

unter der Beteiligung des Berechtigten der Vormerkung eingetragen werden.

2. Wie kann es überhaupt dazu kommen?

Die erste Frage, die sich bei dem anscheinend gegebenen Sachverhalt ergibt, ist die

danach, wie es überhaupt zu diesem Konflikt kommen konnte.

Eine Umdeutung eines Rangvorbehaltes in einen Wirksamkeitsvermerk, wie das OLG

Celle in der Entscheidung diskutiert und ausweislich der Begründung auch anführt

(„Sind hiernach Rangvorbehalt (sog. Ranglösung) und Wirksamkeitsvermerk (sog.

Wirksamkeitslösung) grundsätzlich beide gleichwertig und nebeneinander

S. 343 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

eintragbar,“)582 ist nach meinem Dafürhalten überhaupt nicht möglich, weil es nicht

zu einer Parallelität der beiden Institute kommen kann.

Der bei einer Vormerkung zu Gunsten eines anderen eingetragenen Rechts

verzeichnete Wirksamkeitsvermerk 583 kennzeichnet grundbuchlich eine außerhalb

des Grundbuchs bestehende Rechtssituation. Es wird durch diesen kenntlich gemacht,

dass das betreffende später als die Vormerkung verfügte Rechte nicht der Wirkung des

§ 883 Abs. 2 BGB , der relativen Unwirksamkeit gegenüber dem berechtigten des

vorgemerkten Anspruchs, ausgesetzt ist, und zwar deshalb, weil der Berechtigte des

vorgemerkten Anspruchs dieses spätere Recht als nicht anspruchsbeeinträchtigend

oder -vereitelnd für sich akzeptiert hat (Aufgabe der Wirkung des § 883 II BGB).

Der Rangvorbehalt kennzeichnet grundbuchlich bei einem eingetragenen Recht die

dem Eigentümer vorbehaltene Berechtigung, die im Vorbehalt gekennzeichneten

Rechte noch mit dinglichem Rang vor dem eingetragenen Recht zur Eintragung in das

Grundbuch zu bringen.

Der Wirksamkeitsvermerk ist damit letztlich eine deklaratorische Kennzeichnung der

mangelnden Anspruchswidrigkeit des nachfolgend eingetragenen Rechts. Der

Rangvorbehalt ist vorbehaltenes Eigentum.

Zu einem Alternativverhältnis der beiden Institute kann es deshalb eigentlich nicht

kommen. Der Wirksamkeitsvermerk setzt voraus, dass es zur Eintragung eines

scheinbar den Wirkungen des § 883 Abs. 2 BGB unterliegenden zeitlich gegenüber der

Vormerkung später verfügten Rechts gekommen ist. Der Rangvorbehalt kommt zur

Anwendung, wenn ein solches Recht überhaupt noch nicht zur Entstehung gelangt ist.

582 OLG Celle, Beschl. v. 24.5.2013 - 4 W 75/13, RNotZ 2013, 547, 548. 583 Zur Zulässigkeit eines solchen Vermerks: BGH vom 25.03.1999 - V ZB 34/98, BGHZ 141, 169, 171 ff. = NJW 1999, 2275, 2276 = DNotZ 1999, 1000; Lehmann NJW 1993, 1558 f.;

S. 344 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Sinn machten die Ausführungen des OLG Celle also entweder nur dann, wenn

- es um das Verhältnis des Wirksamkeitsvermerks gegenüber einem erklärten

Rangrücktritt ginge,

oder

- der Rechtspfleger eine im vorgemerkten Anspruch enthaltene Beschränkung

dessen Rechtsinhalts, nämlich, dass dieser nur auf Übertragung belasteten

Eigentums lautet, unnötigerweise nach außen kenntlich machen will.

Die Entscheidung soll deshalb genutzt werden, um das Verhältnis der

Vorrangeinräumung zum Wirksamkeitsvermerk noch einmal zu beleuchten.

3. Kosten

Eines vorweg:

Das für den Wirksamkeitsvermerk früher nach Teilen der Rechtsprechung584

sprechende Argument, im Gegensatz zur Vorrangeinräumung keine Kosten

auszulösen,585 greift heute nicht mehr, da beide Eintragungen, Wirksamkeitsvermerk

und Vorrangeinräumung nach dem GNotKG keine Grundbuchgebühren mehr

auslösen.586

4. Rechtsdogmatik im materiellen und formellen Recht

Das Thema Wirksamkeitsvermerk contra Vorrangeinräumung ist - wie eigentlich alle

Fragen der Vormerkung – gekennzeichnet durch die Probleme des Verständnisses der

Staudinger/Gursky (2008) § 883, Rn. 250; Köhler, Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, § 883 Rn. 58; Vierling/Mehler/Gotthold, MittBayNot 2005, 375 ff.; Skidzun, Rpfleger 2002, 9 ff. 584 OLG Stuttgart, Beschluss vom 30. 5. 2011 - 8 W 192/11. DNotZ 2011, 923; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2000 - 10 W 51/00, MittRhNotK 2000, 359. 585 Anderer Ansicht: BayObLG vom 26. 2. 1998 - 3Z BR 277/97 MittRhNotK 1998, 141 (m. Anm. Holger Schmidt); BayObLG vom 29.03.2001 - 3Z BR 94/01, MittBayNot 2001, 414; OLG Hamm vom 19. 7. 2001 - 15 W 89/00, NJOZ 2002, 782. 586 Leipziger-GNotKG/Schulz, 2013, Nr. 14150 KV Rn. 4.

S. 345 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Einordnung dieses Rechtsinstitutes. Wo sich die Vormerkung genau zwischen Schuld-

und Sachenrecht befindet, scheint immer noch schwierig zu verstehen zu sein. Um dies

zu untermauern nur zwei Zitate:

OLG Celle:

„Für sie spricht, dass durch die Auflassungsvormerkung mit dem Anspruch auf

Verschaffung des Eigentums zweifelsfrei ein Recht am Grundstück gesichert wird.“587

Die Schriftleitung der RNotZ:

„Da die Auflassungsvormerkung zu Gunsten des Käufers in der Regel zeitlich vor der

aufgrund einer im Kaufvertrag enthaltenen Beleihungsvollmacht bestellten

Finanzierungsgrundschuld eingetragen wird, stellt diese grundsätzlich eine

vormerkungswidrige Verfügung i. S. d. § 883 Absatz 2 BGB dar.“588

Beide Aussagen sind unzutreffend, beide kennzeichnen die Probleme im Umgang mit

dem Wirksamkeitsvermerk.

Weder ist der Anspruch auf Übertragung des Eigentums ein Recht am Grundstück,

noch kann die Finanzierungsgrundschuld vormerkungswidrig sein.

Was bewirkt die Vormerkung?

Die Vormerkung sichert die Erfüllungsfähigkeit des Schuldners des vorgemerkten

Anspruchs. Mit diesem Satz im Bewusstsein lassen sich nach meinem Verständnis alle

Probleme der Vormerkung lösen.

Jede vormerkungswidrige Verfügung wird deshalb von den Wirkungen der

Vormerkung erfasst, weil sie die Erfüllungsfähigkeit des Schuldners hinsichtlich des

587 OLG Celle, Beschl. v. 24.5.2013 - 4 W 75/13, RNotZ 2013, 547, 548.

S. 346 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

vorgemerkten Anspruchs beeinträchtigen. Ist der Schuldner zur Verschaffung

lastenfreien Eigentums verpflichtet und war er dazu zum Zeitpunkt der Begründung

der Vormerkung in der Lage, dann ermöglicht es die Vormerkung dem Gläubiger, den

Anspruch auch dann durchzusetzen, wenn der Schuldner aufgrund einer Verfügung

oder eines zwangsvollstreckungsrechtlichen Beschlags des Gegenstandes, diesen aus

eigener Kompetenz nicht mehr anspruchsgerecht leisten kann.

Die Wirkung der Vormerkung bestimmt sich also ausschließlich danach, wie sich die

Erfüllungsfähigkeit des Schuldners im Verhältnis zum gesicherten Anspruch verhält.

Was nach dem Inhalt des Anspruchs nicht vom Schuldner gefordert werden kann, und

zwar gleichgültig,

- ob dies von Anfang an nicht Gegenstand des Anspruchs war oder

- durch späteren Anspruchsverzicht nicht mehr beansprucht werden kann,

ist nicht vom Wirkungsbereich der Vormerkung erfasst.

Hat der Gläubiger von Anfang an keinen Anspruch auf Übertragung unbelasteten

Eigentums oder erklärt er später eine Belastung als für seinem Anspruch nicht zuwider

laufend, kann aufgrund der Vormerkung die Beseitigung dieser Belastung selbstredend

nicht gefordert werden. Dazu bedarf es keiner Eintragung im Grundbuch, weder in

Form einer Rangänderung noch durch Eintragung eines Wirksamkeitsvermerks.

= > Was der Anspruch nicht erfasst, kann die Vormerkung nicht schützen.

Es ist deshalb an sich überflüssig, den Unterschied zwischen Vorrangeinräumung und

Wirksamkeitsvermerk zu diskutieren. Zur Beschränkung der Rechtsmacht des

Vormerkungsberechtigten bedarf es keiner Eintragung im Grundbuch.

588 RNotZ 2013, 547.

S. 347 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

5. Risiken ohne Eintragung bei der Vormerkung?

Zwei immer noch streitige Fragen sind, es, die zur Eintragung der Vorrangeinräumung

bzw. des Wirksamkeitsvermerks führen:

(1) Kann es ohne Eintragung der Wirkungsbeschränkung zum gutgläubigen Erwerb

des Anspruchs ohne die später erklärte Anspruchsbeschränkung kommen?

(2) Fällt eine Vormerkung auch dann in das geringste Gebot, wenn ein

Wirksamkeitsvermerk ein formal nachrangiges Grundpfandrecht, aus dem die

Zwangsversteigerung betrieben wird, als nicht anspruchswidrig kennzeichnet?

Frage (1) wird heute wohl nicht mehr ernsthaft bejaht.589 Auch eine eingetragene

Vormerkung ermöglicht nicht den gutgläubigen Erwerb eines nicht bzw. nicht in dem

Umfang bestehenden Anspruchs. Der Anspruch kann nur so erworben werden, wie

dieser ist. Lautet er – ggfls. auch durch nach Eintragung der Vormerkung erklärte

Veränderung des Gläubigers – nicht (mehr) auf Leistung des im Hinblick auf das

„nachrangige“ Recht lastenfreien Eigentums, kann dies auch ein Zessionar nicht

beanspruchen.590

Frage (2) ist es, die auch heute noch einige Kreditinstitute dazu bewegt, die

Eintragung einer Rangänderung herbeizuführen und auf den Wirksamkeitsvermerk zu

verzichten. Hintergrund ist die Sorge, die Vormerkung könne, wenn aus dem

„wirksamen“, im Grundbuch aber „nachrangigen“ Recht die Zwangsvollstreckung

betrieben wird, in das geringste Gebot aufzunehmen sein und so faktisch einer

Versteigerung entgegen stehen, weil kaum jemand zum Bieten bereit wäre.591

589 So früher OLG Saarbrücken vom 16.1.1995 - 5 W 331/94-186, BWNotZ 1995, 170 (m. zur Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs zustimmender Anm. Bühler (171)) = MittRhNotK 1995, 25; Keller, BWNotZ 1998, 25, 28. 590 Siehe nur Staudinger/Gursky (2008), § 883 Rn. 251f. 591 Zu dieser Folge: Stöber, MittBayNot 1997, 143.

S. 348 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Während die absolut herrschende Auffassung im Schrifttum aus der Eintragung des

Wirksamkeitsvermerks im Grundbuch auch den Schluss zieht, das

Versteigerungsgericht sei zur Berücksichtigung dieser verlautbarten Wirksamkeit und

damit auch der Nichtaufnahme der Vormerkung in das Geringste Gebot verpflichtet,592

finden sich noch einige wenige Stimmen, die für das Versteigerungsverfahren die

streng formale Reihenfolge für entscheidend halten.593 Nach dieser Mindermeinung

bestünde tatsächlich das Risiko, dass im Zwangsversteigerungsverfahren die

Vormerkung vom Rechtspfleger als formal in der Reihenfolge vorrangig in das

Geringste Gebot aufgenommen wird. Dass dies vom Rechtspfleger verlangt, sich

gegenüber dem Grundbuchinhalt partiell (nämlich bezüglich des

Wirksamkeitsvermerks) blind zu stellen, liegt auf der Hand. Dazu, dass dies nicht

richtig sein kann, Stöber:594

„Verfahrenserfordernis für die Nichtberücksichtigung eines Rechts ist, daß seine

Nichtigkeit, sein Erlöschen oder seine Löschungsreife objektiv feststeht, somit

entweder dem Vollstreckungsgericht sicher bekannt oder grundbuchersichtlich

ist.... Durch Wirksamkeitsvermerk kann im Grundbuch die Wirksamkeit eines

nachrangigen Grundpfandrechts auch dem Berechtigten der zuvor eingetragenen

Auflassungsvormerkung gegenüber dargestellt werden. Seine Eintragung

erfordert Bewilligung des betroffenen Berechtigten der Auflassungsvormerkung §

19 GBO) in öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Form § 29 GBO) oder

Unrichtigkeitsnachweis (§ 22 GBO). Berücksichtigungsfähig fest steht die

Rechtsänderung für das Vollstreckungsgericht daher auch, wenn sie durch

Eintragung eines Wirksamkeitsvermerks ausgewiesen ist.

Was aber wäre, hätte die Mindermeinung doch Recht? Die Antwort lautet: Nichts!

592 Lehmann, NJW 1993, 1558, 1559; Ulbrich, MittRhNotK 1995, 289, 308; Frank, MittBayNot 1996, 271, 273; Stöber, MittBayNot 1997, 143, 144 ff.; Gursky, DNotZ 1998, 273, 275; Staudinger/Gursky (2008), § 883 Rn. 307; Schulz, RNotZ 2001, 542, 553 f.; siehe auch DNotI-Gutachten Nr. 109528 593 Zuletzt noch Freckmann, BKR 2005, 167, 169; Muth, WuB 1999, 554, 555; KEHE/Eickmann, Grundbuchrecht, 5. Aufl. 1999, Einl. Rn. T 5, anders in der 6. Auflage von Keller. 594 Stöber, MittBayNot 1997, 143, 144/145.

S. 349 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Unterstellt, die Vormerkung wäre in das geringste Gebot bei der Versteigerung

aufzunehmen und würde dementsprechend auch nach Erteilung des Zuschlags

fortbestehen, dann hätte auch dies nur die Wirkung des Fortbestandes der

grundbuchlichen Position. Wozu die Aufnahme in das geringste Gebot nicht führen

kann, ist das Widererstarken des Übereignungsanspruchs dahingehend, dass es sich bei

der „wirksamen“ Grundschuld doch um eine vormerkungswidrige Verfügung handelt.

Es bleibt also dabei, dass der gesicherte Anspruch sich auch nach Zuschlagserteilung

darauf bezieht, das Eigentum belastet mit der Grundschuld, d.h. auch dem Recht, die

Zwangsversteigerung in den Grundbesitz aus der Grundschuld dulden zu müssen,

richtet. Der durch den Zuschlag nach § 90 Abs. 1 ZVG bewirkte Eigentumswechsel ist

damit eine „Verfügung im Wege der Zwangsvollstreckung“, gegen die sich der

vorgemerkte Anspruch nicht durchsetzen kann. Da diese Verfügung also gerade nicht

anspruchswidrig ist, kann dem neuen Eigentümer gegenüber auch kein Anspruch aus §

888 Abs. 1 BGB auf Mitwirkung an der Übereignung geltend gemacht werden. Die

von Stöber geäußerte Befürchtung, ein Erwerber des Grundstücks sehe sich dem

Risiko ausgesetzt, „daß der Vormerkungsberechtigte die Zustimmung des Erstehers

zur Eintragung des Vormerkungsberechtigten als Eigentümer verlangen kann,“595

besteht deshalb ohnehin nicht. Der Ersteher kann diese dann nach § 886 BGB

beseitigen lassen.

Die Vormerkung hätte so allenfalls den Effekt, einen potentiellen Ersteher zu

verunsichern – mehr aber nicht. Schon dies zeigt aber, dass die Idee von der Aufnahme

der durch den Wirksamkeitsvermerk gekennzeichneten Vormerkung in das geringste

Gebot bei der Versteigerung aus dem wirksamen Grundpfandrecht unsinnig ist.

Im Grunde führt diese Überlegung aber dazu, dass auch die Eintragung des

Wirksamkeitsvermerks zunächst nicht erforderlich wäre. Da im Falle eines

Zwangsversteigerungsverfahren immer noch nachgewiesen werden kann, dass die

Vormerkung gegenüber dem Anspruch keine Wirkung hat, ggfls. die Eintragung des

595 Stöber, MittBayNot 1997, 143.

S. 350 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Wirksamkeitsvermerks also auch noch nachgeholt werden kann, ist dessen Eintragung

an sich zunächst nicht erforderlich.

Allerdings gibt es auch aus Sicht des Zwangsversteigerungsverfahrens zwei Gründe,

die nicht nur zur Bewilligung sondern zur Eintragung des Wirksamkeitsvermerks in

jedem Fall raten:

- Er kostet nichts.

- Fällt der Anspruchsgläubiger in die Insolvenz oder wird sein Anspruch

Gegenstand einer Pfändungsmaßnahme ist für die Zwecke des

Zwangsversteigerungsverfahrens der Nachweis der Wirksamkeit gegenüber der

Vormerkung nicht mehr mit den Mitteln des Verfahrens zu führen.

6. Materielle Gründe für den Wirksamkeitsvermerk?

Der Wirksamkeitsvermerk scheint also vornehmlich deshalb zur Eintragung in das

Grundbuch zu gelangen, um verfahrensrechtlich sicher zu stellen, dass auch in einem

Zwangsversteigerungsverfahren die mangelnde Vormerkungswidrigkeit einer nach

Eintragung der Vormerkung vorgenommenen Verfügung beachtet wird. Das aber ist

nicht der einzige Grund ihrer Eintragung.

Ein gutgläubiger Erwerb eines Anspruchs, sei dieser auch vormerkungsgesichert, ist

nicht möglich. Entsprechend hängt auch die Wirksamkeit der Vereinbarung zur

Beschränkung der Übereignungsanspruch davon ab, dass der im Grundbuch

eingetragene Berechtigte der Vormerkung tatsächlich auch noch Berechtigter des

Anspruchs ist. Ist der Anspruch dagegen, was dem eingetragenen

Vormerkungsberechtigten und dem Eigentümer bekannt sein mag, gleichwohl aber

dem Käufer verschlossen geblieben ist, an einen Dritten abgetreten, nutzt die

Vereinbarung über die Beschränkung des Inhalts des Anspruchs ebenso wie eine

Beschränkung der Vormerkungswirkung (was meines Erachtens das gleiche ist)

S. 351 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

natürlich nichts. Um insoweit Sicherheit vor zeitlich vorangehenden Abtretungen des

Anspruchs zu erlangen, bedarf es einer weiteren Absicherung des Erwerbers.

Letztlich geht es bei der Frage darum, ob der Erwerber sich - ggfls. durch

Eintragungen im Grundbuch - die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbes seiner durch

die vorrangige Vormerkung nicht belasteten Rechtsposition sichern kann.

Die "Verfügungskompetenz" an der Vormerkung steht dem materiell am Anspruch

Berechtigten zu, mag auch ein anderer im Grundbuch eingetragen sein. Bewilligt also

der Buchberechtigte Veränderungen im Hinblick auf die Vormerkung, handelt

insoweit ein Nichtberechtigter. Im Grundsatz ist eine solche Veränderung damit zwar

formell im Grundbuch eingetragen, materiell aber nicht wirksam.

Stöber596 ist der Auffassung, dass es einen gutgläubigen Erwerb eines

Wirksamkeitsvermerks deshalb nicht geben kann, da ein gutgläubiger Erwerb einer

Forderung nicht möglich ist. Anders als bei der Frage des bloß gutgläubigen Erwerbs

der Vormerkung (Vormerkungsbestellung oder "Abtretung" durch den nur

Buchberechtigten) bei bestehendem Anspruch, gehe es hier um die Verfügung über die

Vormerkung durch den Nichtinhaber des Anspruchs. Nach Stöbers Auffassung müsste

auch die nachträgliche Bestimmung einer Bedingung durch den nicht (mehr)

berechtigten Buchinhaber der Vormerkung unwirksam sein.

Gursky597 und Lehmann598 halten die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs des

Wirksamkeitsvermerks und in Konsequenz damit auch die nachträgliche Bestimmung

einer auflösenden Bedingung für möglich.599 Gursky gründet dies auf die Überlegung,

dass in Analogie zu § 407 Abs. 1 Alt. 2 BGB der Verzicht als partieller Erlass von den

596 Stöber MittBayNot 1997, 143, 147f. 597 Gursky DNotZ 1998, 173, 280; Staudinger/Gursky § 883 Rn. 236. 598 Lehmann MittRhNotK 1997, 258. 599 So im Ergebnis auch das DNotI Gutachten Nr. 11208, S. 9.

S. 352 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Vormerkungswirkungen freistellen müsste. Lehmann hält § 892 Abs. 1 S. 1 BGB für

direkt anwendbar. Nur die letzte Überlegung kann dem gutgläubigen Erwerb wirklich

durchschlagend helfen. § 407 hilft im Verhältnis zum Eigentümer als Schuldner des

vormerkungsgesicherten Anspruchs. Ist dieser aber nicht im Sinne des § 407 bzw. §

893 BGB gutgläubig, weiß er also von der Abtretung und verschweigt sie dem Käufer,

dann bleibt dieser ungeschützt.

Von der Frage, ob von einem Buchberechtigten der Vormerkung etwas den Anspruch

betreffendes erworben werden kann, sollte man sich aber nicht in die Irre leiten lassen:

Der Grundschuldgläubiger erwirbt die Grundschuld nicht vom

Vormerkungsberechtigten. Partner ist insoweit allein der Eigentümer. Für die Frage

des gutgläubigen Erwerbs der von der Vormerkung unbeeinträchtigten Grundschuld

kommt es allein darauf an, was der Grundschuldgläubiger im Sinne des § 892 BGB im

Grundbuch vorfindet. Dort kann er zwar eine Vormerkung sehen; bei dieser findet sich

aber der Eintrag, dass gerade die eigene Rechtsposition nicht beeinträchtigt ist. Der

Wirksamkeitsvermerk macht nicht die Verfügung des Käufers, sondern die des

Eigentümers wirksam. Der Käufer vertraut allein auf den Inhalt des Grundbuchs. Wie

dieser dort hinein gekommen ist, kann ihm in den Grenzen der eigenen Kenntnis von

der Unrichtigkeit gleichgültig sein.

7. Rechtsdogmatik und Wortlautdogmatik

Was ist nun mit dem Streit darum, ob der Rangtausch angesichts der inhaltlich wohl

richtigen Eintragung eines Vermerks über die Wirksamkeit zulässig ist?

a) Rangfähigkeit der Vormerkung

Der zu der Rangfähigkeit der Vormerkung geführte Streit, dürfte hinlänglich bekannt

sein und nicht im Detail der Erörterung bedürfen.600 Es ist letztlich – ausgenommen die

600 Für die Rangfähigkeit: RGZ 124, 200, 202; BGH vom 28. 10. 1966 - V ZR 11/64, BGHZ 96, 157, 168; dagegen: Schneider, DNotZ 1982, 523, 525 ff.; ausführlich Staudinger/Gursky (2008), § 883 Rn. 279ff.

S. 353 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

historische Entwicklung – kein Grund ersichtlich, wozu es überhaupt einer Diskussion

um den Rang der Vormerkung bedarf. Selbst die Folge des § 883 Abs. 3 BGB

(Rangeinweisung des durch den Anspruch erworbenen Rechts entsprechend der

Eintragung der Vormerkung) setzt weder dem Wortlaut der Norm nach einen Rang der

Vormerkung voraus, noch bedarf sie dieses Ranges strukturell.601 Es kommt nämlich

immer nur darauf an – siehe ganz oben – inwieweit die Vormerkung ihre Wirkung

zum Erhalt der Erfüllungsfähigkeit im Hinblick auf andere am Grundstück (oder dem

Recht am Grundstück) bestehende Rechte ausüben kann. Es ist deshalb entgegen einer

weiter vertretenen Auffassung gerade keine Frage, woraus sich der vorgemerkte

Anspruch richtet, ob die Vormerkung Rangfähigkeit besitzt. Die

Eigentumsvormerkung, die mangels Rangfähigkeit des Eigentums schon im Ansatz

der Rangfähigkeit entbehrt ist nur genauso nicht rangfähig wie die Vormerkung zur

Sicherung des Anspruchs auf eine Dienstbarkeit. Es kommt nur darauf an, ob

Verfügungen über das Grundstück für den vorgemerkten Anspruch relevant oder

irrelevant sind.

Es geht deshalb immer und ausschließlich um eine „Wirksamkeitsreihenfolge“.

Wenn also eine Rangänderung im Hinblick auf die Vormerkung beantragt wird, dann

kann es sich dabei nicht um eine Rangänderung im Sinne des § 880 BGB handeln. Da

der gesicherte Anspruch allein schon dadurch seine Durchsetzungswirkung gegenüber

dem „wirksamen“ recht erlangt, dass auf rein schuldrechtlicher Ebene der

Anspruchsinhalt begrenzt wird, mangelt es der beantragten Rangänderung an der

Materiellen Wirkung, die § 880 Abs. 1 BGB voraussetzt. Die bei der Vormerkung

beantragte Rangänderung ist Grundbuchberichtigung nicht materielle

Rangänderung.602

601 So schon Schneider, DNotZ 1982, 523, 533ff; Staudinger/Gursky (2008), § 883 Rn. 279. 602 So auch schon Gursky DNotZ 1998, 273, 275.

S. 354 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

b) Unzulässigkeit der Rangänderung wegen der Möglichkeit eines Wirksamkeitsvermerks?

Wer nun die Eintragung einer Rangänderung bei der Vormerkung mit dem Argument

ablehnt, mangels Rangfähigkeit könne es bei dieser auch keine Rangänderung geben,

treibt nach meinem Dafürhalten die Rechtsdogmatik hin zu einer Wortlautdogmatik.

Da es grundbuchverfahrensrechtlich keine Vorgabe dazu gibt, wie die Eintragung der

von der Eintragungsreihefolge abweichenden Wirksamkeitsbeziehung im Grundbuch

zu erfolgen hat, scheint mir die Eintragung eines Rangänderungsvermerks gleich

geeignet wie ein Wirksamkeitsvermerk für die Kennzeichnung der

Wirksamkeitsreihenfolge zu sein. Materiell ist beides exakt das Gleiche.

Hat das Grundbuchamt im Fall des OLG Celle also Recht gehabt, die Eintragung des

Rangwechsels zu verweigern und stattdessen einen Wirksamkeitsvermerk

einzutragen? Obschon ich materiell der Auffassung bin, dass die Eintragung der Rang-

änderung im Grundbuch eine Eintragung der veränderten Wirksamkeitswirkung ist,

halte ich den Anspruch auf abweichende Fassung, wie ihn das OLG Celle durch das

Mittel der „Fassungsbeschwerde“ zugesprochen hat, für gegeben. Dies liegt einfach

daran, dass es mangels gesetzlicher Regelung jedenfalls so lange, wie nicht eine

höchstrichterliche Klärung der Frage zur Wirkung des Wirksamkeitsvermerks im

Zwangsversteigerungsverfahren existiert, allein schon wegen der mangelnden

Kooperationswilligkeit erheblicher Teile der Kreditwirtschaft ein Anspruch auf die

Fassung der grundbuchlichen Eintragung in einer Weise besteht, wie sie diese von der

Praxis umfassend akzeptiert wird. Die Publizitätswirkung des Grundbuches erfordert

es, dass Eintragungen so gefasst werden, wie diese von der Rechtspraxis auch ver-

standen werden. Umfassend ist die derzeit nur bei der Rangänderung der Fall – auch

wenn durch diese nur eine Änderung der Wirksamkeitsreihenfolge vermerkt wird.

c) Rangänderung trotz bestehendem Wirksamkeitsvermerk?

Ein Problem bleibt noch: Was ist, wenn bereits ein Wirksamkeitsvermerk im

Grundbuch verzeichnet ist, die Beteiligten (in der Regel wegen einer entsprechenden

S. 355 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Forderung der Bank) aber zusätzlich noch die Eintragung der Rangänderung

wünschen?

Der Schöner/Stöber führt dazu aus:

„Rangänderung der Vormerkung (als zurücktretendes Recht) mit einem nachträglich

eingetragenen Recht ist zulässig; nicht möglich und nicht eintragbar sollte sie aber

sein, wenn die Wirksamkeit des Rechts gegenüber der Vormerkung bereits durch

Wirksamkeit grundbuchersichtlich dargestellt ist.“603

Im Grundbuchverfahren gegen den Schöner/Stöber anzukommen, ist bekanntermaßen

schwierig. Helfen kann dabei aber zum einen die hier besprochene Entscheidung des

OLG Celle. Ist es nämlich möglich, trotz materieller Richtigkeit der Eintragung eines

Wirksamkeitsvermerks bei beantragter Rangänderung gleichwohl durch

Fassungsbeschwerde eine Änderung der Eintragung zu erreichen, dann lässt sich

daraus der Schluss ziehen, dass mit der Eintragung der Rangänderung auch etwas

anderes als mit dem Wirksamkeitsvermerk erreichen lässt. Wir alle wissen, dass dies

aufgrund der Praxis der Banken auch tatsächlich der Fall ist. Hinzu kommen die

Überlegungen von Gursky,604 wonach die Eintragung eines nachträglich verzeichneten

Rangwechsels zumindest deshalb zulässig sein soll, weil dieser zwar nicht den

(falschen) Eindruck einer materiellen Änderung der Rechtslage vermitteln dürfe,

nichts aber dagegen spreche, klarstellend die Rangänderung zu verzeichnen, weil sie

eben nur Kenntnis über den aktuellen Stand der Wirksamkeitsreihenfolge vermittelt.

8. Zusammenfassend kann deshalb festgehalten werden:

(1) Rechtsdogmatisch richtiges Mittel der Kennzeichnung der mangelnden

Vormerkungswidrigkeit eines zeitlich nach Eintragung der Vormerkung durch

Verfügung oder Zwangsvollstreckung entstandenen rechts am Grundstück ist

der Vermerk über die Wirksamkeit.

603 Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 1523.

S. 356 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(2) Dieser grundbuchliche Hinweis ist neben dem Wirksamkeitsvermerk auch

durch eine formelle (nicht materielle nach § 880 BGB!) Rangänderung im

Grundbuch kenntlich zu machen.

(3) Unterschiede im Sicherungsumfang zwischen dem formellen Rangrücktritt der

Vormerkung und dem Wirksamkeitsvermerk bestehen nicht.

(4) Angesichts der Ungewissheit, ob nachträglich neben einem bereits

eingetragenen Wirksamkeitsvermerk ergänzend und mit gleichem Inhalt der

Rangwechsel eingetragen werden kann, sollte im Vorfeld mit dem Kreditgeber

abgestimmt werden, welches Mittel der Kenntlichmachung der

Wirksamkeitsreihenfolge er bevorzugt.

9. Exkurs: Vorrangvorbehalt bei der Vormerkung?

In der Praxis findet sich derzeit noch häufig die Verwendung des sogenannten

Rangvorbehalts bei der Vormerkung für später einzutragende

Finanzierungsgrundpfandrechte.

Die nach den Bestimmungen des GNotKG nunmehr bestehende Gebührenfreiheit des

späteren Rangwechsels bzw. der Eintragung des Wirksamkeitsvermerks sollte die

Praxis der Eintragung des Rangvorbehalts bei der Vormerkung obsolet machen. Es

besteht kein hinreichender Grund mehr von diesem Rechtsinstrument bei der

Eigentumsvormerkung Gebrauch zu machen.

Von dieser sollte auch kein weiterer Gebrauch gemacht werden.

604 Gursky DNotZ 1998, 273, 275.

S. 357 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

III. Für den Fall der Auflösung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft auflösend bedingtes Wohnungsrecht (SH)

– OLG München, Beschl. v. 18.12.2012 - 34 Wx 452/12, DNotZ 2013, 444 = NotBZ 2013, 117.

1. Problemstellung

Räumt ein Partner seinem Lebensgefährten ein unentgeltliches Wohnungsrecht an seiner bislang von beiden Lebensgefährten gemeinsam genutzten Immobilie ein, möchte er typischerweise sicherstellen, dass das Wohnungsrecht für den Fall des Scheiterns der nichtehelichen Lebensgemeinschaft wieder gelöscht werden kann. Hierfür kommt zum einen schuldrechtliche Verpflichtung des Berechtigten in Betracht, bei Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft das Wohnungsrecht gem. § 875 BGB aufzuheben und die Löschung gem. § 19 GBO zu bewilligen. Denkbar wäre auch eine entsprechende Löschungsvollmacht durch den Berechtigten.

Die Abwicklung gestaltet sich einfacher, wenn das Wohnungsrecht von vornherein nur auflösend bedingt für den Fall der Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft bestellt wird.605 Allerdings stellt sich insoweit die Nachweisführung als problematisch dar, da es sich bei der Auflösung der Partnerschaft um eine sonstige Voraussetzung der Eintragung i. S. v. § 29 Abs. 1 S. 2 GBO handelt, welche des Nachweises durch öffentliche Urkunde bedarf.

2. Sachverhalt

In dem dem Beschluss des OLG München vom 18.12.2012 zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die Beteiligte ihrem Lebensgefährten auf dessen Lebensdauer ein Wohnungsrecht bestellt. Dieses soll, aufschiebend bedingt, mit dem Tod der Beteiligten wirksam werden und, auflösend bedingt, bei vorheriger Auflösung der Partnerschaft mit dem Berechtigten erlöschen. Zum Nachweis des Erlöschens soll es genügen, wenn die Beteiligte zur notariellen Erklärung feststellt, dass die Partnerschaft beendet ist und sie die Löschung des Wohnungsrechts im Grundbuch bewilligt. Die Bewilligung zur Eintragung des Wohnungsrechts ist mit der Maßgabe erteilt, dass zur Löschung der Nachweis des Todes des Berechtigten bzw. die Feststellung der Beendigung der Partnerschaft genügen soll.

Das Grundbuchamt sah sowohl in der privatautonom geregelten Nachweisform betreffend den Eintritt der auflösenden Bedingung, d. h. die Auflösung der Partner-

605 Vgl. zum ähnlich gelagerten Problemkomplex „Löschung von Rechten des Veräußerers“

Hertel, in: DAI-Skript, Aktuelle Probleme der notariellen Vertragsgestaltung im Immobilienrecht 2012/13, C VI 2 = S. 196 ff.

S. 358 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

schaft, als auch in der Löschungserleichterungsklausel zu beanstandende Eintragungs-hindernisse.

3. Entscheidung

Das OLG München bestätigt auf die Beschwerde des beurkundenden Notars die Zwischenverfügung des Grundbuchamts. Nach dem eindeutigen Inhalt der Bestellungsurkunde sei die vorherige Auflösung der Partnerschaft Bedingung für die Beendigung des dinglichen Wohnungsrechts. Die Feststellung der Beteiligten zur Beendigung der Partnerschaft stelle ihrerseits nicht die Bedingung für das Erlöschen des materiellen Rechts dar, sondern soll nur der Nachweisführung gegenüber dem Grundbuchamt dienen. Wie Nachweise im Grundbuchverfahren zu erbringen sind, steht jedoch nicht zur Disposition der Parteien. Der Eintritt der auflösenden Bedingung als sonstige Voraussetzung der Eintragung i. S. v. § 29 Abs. 1 S. 2 GBO bedarf des Nachweises durch öffentliche Urkunde. Das Formprinzip des § 29 GBO als tragende Säule des Grundbuchrechts im Interesse größtmöglicher Richtigkeitsgewähr unterliegt nicht der Parteidisposition.

Demgegenüber steht es den Parteien frei, die auflösende Bedingung autonom fest-zulegen. Daher wäre es ohne weiteres möglich, als auflösende Bedingung des Woh-nungsrechts nicht die Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, sondern die notarielle Erklärung der Grundstückseigentümerin mit einem bestimmten Inhalt als auflösende Bedingung des Wohnungsrechts zu definieren. Ein derart auflösend bedingtes Wohnungsrecht ist ohne weiteres eintragungsfähig. Im Falle des Scheiterns der nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann die Eigentümerin zudem ohne weiteres die Löschung des Rechts im Grundbuch veranlassen. Unter diesen Umständen bestehen auch keine Bedenken gegen eine Löschungserleichterungsklausel i. S. v. § 24 i. V. m. § 23 Abs. 2 GBO, wie sie im vorliegenden Sachverhalt auch vorgesehen war.

• Es besteht weitreichende Privatautonomie bei der Festlegung der auflösenden Bedingung.

• → Der maßgebliche Umstand muss aber zumindest objektiv bestimmbar, d. h. mit genügender Bestimmtheit feststellbar sein.606

• Für die Eintragungsfähigkeit eines auflösend bedingten Rechts ist unerheblich, ob der Nachweis des maßgeblichen Ereignisses in grundbuchmäßiger Form möglich ist. Dieses Problem stellt sich erst im Rahmen der begehrten Löschung.607

• Die gesetzlichen Anforderungen an die Nachweisführung im Grundbuch-verfahren in § 29 GBO unterliegen nicht der Parteidisposition.

606 OLG Frankfurt DNotZ 1993, 610, 611; Demharter, GBO, 28. Aufl. 2012, Anhang zu § 13

Rn. 6. 607 OLG Frankfurt DNotZ 1993, 610, 611.

S. 359 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

G) Öffentliches Recht, Steuerrecht und Zwangsvollstreckung

I. BauGB-Novelle 2013 (BGBl. 2013, 1548) (CH)

Das „Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts“ vom 11. Juni 2013 (BGBl. 2013, 1548) trat am 20.9.2013 in Kraft - Teile auch bereits am 21.6.2013 (darunter insbes. auch die notarrelevanten Änderungen der §§ 11 und 124 BauGB).

Literatur:

BR-Drucks. 474/12; BT-Drucks. 17/11468 und 17/13272;

Battis/Mitschang/Reidt, Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden, NVwZ 2013, 961;

Ewer, Rechtliche Zulässigkeit von reinen Erschließungskosten-Vereinbarungen in städtebaulichen Verträgen?, NVwZ 2013, 1318

Grziwotz, BauGB-Novelle 2013 und notarielle Vertragsgestaltung, NotBZ 2013, 369;

Hagebölling, Das Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts, NuR 2013, 99;

Krautzberger, Auswirkungen der BauGB-Novelle 2013 auf den Grundstücksverkehr, ZfIR 2013, 533

Krautzberger, Änderungen des Baugesetzbuchs und der Baunutzungsverordnung: Das "Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts" ist verkündet worden, UPR 2013, 281

Krautzberger/Stüer, BauGB-Novelle 2013 - Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts, DVBl 2013, 805;

Portz, Überblick über die Änderungen des neuen Städtebaurechts, KommunalPraxis spezial 2013, 119;

Ruf, Die Novelle 2013 zum Baugesetzbuch und zur Baunutzungsverordnung, BWGZ 2013, 758;

Uechtritz, Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts - „BauGB-Novelle 2013“, BauR 2013, 1354;

zum Gesetzentwurf vgl. auch:

Bunzel, Planspiel zur Novellierung des Bauplanungsrechts 2012/2013, ZfBR 2013, 211;

Schröer/Kullick, Die Neuerungen der BauGB-Novelle 2013 im Überblick, NZBau 2013, 425.

1. Erschließungsvertrag

a) Erschließungsvertrag jetzt als Unterfall des städtebaulichen Vertrages

§ 11 BauGB wurde wie folgt neu gefasst (Änderungen sind unterstrichen):

§ 11 BauGB - Städtebaulicher Vertrag

(1) Die Gemeinde kann städtebauliche Verträge schließen. Gegenstände eines städtebaulichen Vertrages können insbesondere sein:

S. 360 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

1. die Vorbereitung oder Durchführung städtebaulicher Maßnahmen durch den Vertragspartner auf eigene Kosten; dazu gehören auch die Neuordnung der Grundstücksverhältnisse, die Bodensanierung und sonstige vorbereitende Maßnahmen, die Erschließung durch nach Bundes- oder nach Landesrecht beitragsfähige sowie nicht beitragsfähige Erschließungs-anlagen sowie die Ausarbeitung der städtebaulichen Planungen sowie erforderlichenfalls des Umweltberichts; die Verantwortung der Gemeinde für das gesetzlich vorgesehene Planaufstellungsverfahren bleibt unberührt;

2. die Förderung und Sicherung der mit der Bauleitplanung verfolgten Ziele, insbesondere die Grundstücksnutzung, auch hinsichtlich einer Befristung oder einer Bedingung, die Durchführung des Ausgleichs im Sinne des § 1a Absatz 3, die Berücksichtigung baukultureller Belange, die Deckung des Wohnbedarfs von Bevölkerungsgruppen mit besonderen Wohnraumversorgungsproblemen sowie des Wohnbedarfs der ortsansässigen Bevölkerung;

3. die Übernahme von Kosten oder sonstigen Aufwendungen, die der Gemeinde für städtebauliche Maßnahmen entstehen oder entstanden sind und die Voraussetzung oder Folge des geplanten Vorhabens sind; dazu gehört auch die Bereitstellung von Grundstücken;

4. entsprechend den mit den städtebaulichen Planungen und Maßnahmen verfolgten Zielen und Zwecken die Errichtung und Nutzung von Anlagen und Einrichtungen zur dezentralen und zentralen Erzeugung, Verteilung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung;

5. entsprechend den mit den städtebaulichen Planungen und Maßnahmen verfolgten Zielen und Zwecken die Anforderungen an die energetische Qualität von Gebäuden.

Die Gemeinde kann städtebauliche Verträge auch mit einer juristischen Person abschließen, an der sie beteiligt ist.

(2) Die vereinbarten Leistungen müssen den gesamten Umständen nach angemessen sein. Die Vereinbarung einer vom Vertragspartner zu erbringenden Leistung ist unzulässig, wenn er auch ohne sie einen Anspruch auf die Gegenleistung hätte. Trägt oder übernimmt der Vertragspartner Kosten oder sonstige Aufwendungen, ist unbeschadet des Satzes 1 eine Eigenbeteiligung der Gemeinde nicht erforderlich.

(3) Ein städtebaulicher Vertrag bedarf der Schriftform, soweit nicht durch Rechtsvorschriften eine andere Form vorgeschrieben ist.

(4) Die Zulässigkeit anderer städtebaulicher Verträge bleibt unberührt.

Mit der unscheinbaren Änderung in Absatz 1 Ziffer 1 ist der Erschließungsvertrag aus § 124 BauGB in § 11 BauGB gerutscht. Bisher lautete § 124 BauGB:

§ 124 BauGB a.F. - Erschließungsvertrag

(1) Die Gemeinde kann die Erschließung durch Vertrag auf einen Dritten übertragen.

(2) Gegenstand des Erschließungsvertrages können nach Bundes- oder nach Landesrecht beitrags-fähige sowie nicht beitragsfähige Erschließungsanlagen in einem bestimmten Erschließungsgebiet in der Gemeinde sein. Der Dritte kann sich gegenüber der Gemeinde verpflichten, die Erschließungskosten ganz oder teilweise zu tragen; dies gilt unabhängig davon, ob die Erschließungsanlagen nach Bundes- oder Landesrecht beitragsfähig sind. § 129 Abs. 1 Satz 3 ist nicht anzuwenden.

(3) Die vertraglich vereinbarten Leistungen müssen den gesamten Umständen nach angemessen sein und in sachlichem Zusammenhang mit der Erschließung stehen. Hat die Gemeinde einen Bebauungsplan im Sinne des § 30 Abs. 1 erlassen und lehnt sie das zumutbare Angebot eines Dritten ab, die im Bebauungsplan vorgesehene Erschließung vorzunehmen, ist sie verpflichtet, die Erschließung selbst durchzuführen.

S. 361 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(4) Der Erschließungsvertrag bedarf der Schriftform, soweit nicht durch Rechtsvorschriften eine andere Form vorgeschrieben ist.

Jetzt regelt § 124 die gemeindliche Erschließungspflicht:

§ 124 BauGB 2013 - Erschließungspflicht nach abgelehntem Vertragsangebot

Hat die Gemeinde einen Bebauungsplan im Sinne des § 30 Absatz 1 erlassen und lehnt sie das zumutbare Angebot zum Abschluss eines städtebaulichen Vertrags über die Erschließung ab, ist sie verpflichtet, die Erschließung selbst durchzuführen.

Wenn es nur darum gegangen wäre, den Erschließungsvertrag als Unterfall des städte-baulichen Vertrages zu verorten, hätte sicher nicht der Gesetzgeber eingegriffen. Denn das wusste die öffentlich-rechtliche Lehre schon zuvor.

Es ging vielmehr um zwei praxisrelevante Rechtsfolgen, bei denen Unterschiede zwischen dem Erschließungsvertrag und (anderen) städtebaulichen Verträgen diskutiert wurden:

– Zum einen hatte das BVerwG entschieden, dass eine gemeindliche Eigengesell-schaft nicht Partner eines Erschließungsvertrages sein kann - weil § 124 von einem „Dritten“ spricht und insoweit nicht auf die allgemeinen Vorschriften über städtebauliche Verträge zurückgegriffen werden könne.

– Zum anderen war nicht ganz klar, inwieweit die Gemeinde auch sonstige Kosten der Baulandausweisung im Rahmen eines Folgekostenvertrages auf den Eigen-tümer (oder sonstige Dritte) abwälzen könnte - oder ob möglicherweise § 124 BauGB als Spezialregelung die Abwälzung für bestimmte Kosten sperrt.

Verkürzend formuliert, ging es um das schnöde Geld.

– Legt die Gemeinde die Erschließungskosten hoheitlich durch Beitragsbescheid um, so muss sie nach § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB zumindest 10 % Eigenanteil tragen.

– Im Erschließungsvertrag kann sich der Erschließungsträger hingegen dazu verpflichten, 100 % der Erschließungskosten zu übernehmen. Bis Juni 2013 stand dies in § 124 Abs. 2 Satz 3 BauGB, nunmehr in § 11 Abs. 2 Satz 3 BauGB.

– Gängige Praxis war, dass Gemeinden mit Eigengesellschaften Erschließungs-verträge abschlossen - und so 100% der Kosten abwälzten, gleichzeitig aber doch noch die Kontrolle über die Durchführung der Erschließung hatten. (Die Eigen-gesellschaft selbst holte sich ihre Kosten beim Weiterverkauf der Grundstücke wieder.) Das war für die Gemeinde angenehm, weil sie keine eigenen Kosten tragen musste (abgesehen von der Belastung der Eigengesellschaft durch die Zwischenfinanzierung).

S. 362 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

b) „Regimeentscheidung“ nach Rechtsprechung des BVerwG

Die h.M. in der Literatur hatte dies für zulässig gehalten. Anders das BVerwG in seinem Urteil vom 1.12.2010.608

– Das BVerwG entschied, dass eine von der Gemeinde (ganz oder mehrheitlich) beherrschte sog. Eigengesellschaft kein Dritter i.S.v. § 124 Abs. 1 BauGB und daher kein möglicher Erschließungsträger ist.

– Die Gemeinde könne nicht einerseits 100% der Erschließungskosten abwälzen, andererseits doch über die eigene Tochtergesellschaft die Erschließung selbst in der Hand zu behalten. Die Gemeinde müsse eine „Regimeentscheidung“ treffen, ob sie die Erschließung selbst durchführt (in eigener Kontrolle, dann aber auch mit mindestens 10% Eigenanteil) oder ob sie sie einem Erschließungsträger in die Hand gibt (dem auch 100% der Kosten auferlegt werden können, der aber dafür auch einen eigenen Entscheidungsspielraum bei der Durchführung haben muss).

c) Korrektur durch den Gesetzgeber

Die Gemeinden schrien auf und konnten den Gesetzgeber zu einer Korrektur überzeugen. Die steckt in dem schon zitierten § 11 Abs. 1 Satz 2 BauGB n.F.:

„Die Gemeinde kann städtebauliche Verträge auch mit einer juristischen Person abschließen, an der sie beteiligt ist.“

In der Regierungsbegründung heißt es dazu:

„f) Neuregelung des Erschließungsvertrags

Der Erschließungsvertrag nach § 124 BauGB betrifft eine städtebauliche Maßnahme und kann daher auch als städte- baulicher Vertrag nach § 11 BauGB angesehen werden. Durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 1. Dezember 2010 (Az.: 9 C 8.09) sind in der kommunalen Praxis Fragen zum Verhältnis des § 124 BauGB zu § 11 BauGB aufgetreten. Um den Handlungs-spielraum der Kommunen zu erweitern, sollen Verträge über die Erschließung – seien es Erschließungsverträge im Sinne des bisherigen § 124 BauGB, seien es Folgekostenverträge oder sonstige Vertragsgestaltungen – künftig generell als Verträge im Sinne des § 11 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 BauGB bzw. § 11 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 BauGB zu behandeln sein.“

(BT-Drucks. 17/11468 vom 14.11.2012, S. 10)

Weiter heißt es:

„Durch die vorgeschlagene Ergänzung des § 11 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 soll ausdrücklich geregelt werden, dass zu den städtebaulichen Maßnahmen, über deren Vorbereitung und Durch-führung städtebauliche Verträge geschlossen werden können, auch die Erschließung durch nach Bundes- oder Landesrecht beitragsfähige oder nicht beitragsfähige Erschließungsanlagen gehören. Möglich ist auch der Abschluss entsprechender Verträge mit ganz oder teilweise von der

608 BVerwG. Urt. v. 1.12.2010 – 9 C 8/09, BauR 2011, 945 = DVBl. 2011, 630 = KommJur 2011,

269 = MittBayNot 2011, 523 m. Anm. Dirnberger = NVwZ 2011, 690 = ZfBR 2011, 364 = ZfIR 2011, 326; dazu Anders, BauR 2011, 1455; Birk, VBlBW 2011, 329; Driehaus, ZMR 2011, 429; Schmidt-Eichstaedt, DVBl. 2011, 691; Thiel, DVP 2011, 302. Zuletzt Schröer/Kullick, NZBau 2013, 97.

S. 363 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Gemeinde beherrschten Unternehmen, sog. Eigengesellschaften. Für den Abschluss entsprechen-der Verträge über die Übertragung der Erschließung gelten die allgemeinen Regeln. Im Gegenzug entfällt die bisherige Regelung in § 124 (s. Nummer 17). Mit der vorgeschlagenen Änderung in § 11 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 wird zugleich klargestellt, dass auch Folgekostenverträge (§ 11 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3) über die Erschließung geschlossen werden können, da der Begriff der städtebaulichen Maßnahmen in beiden Regelungen im gleichen Sinne zu verstehen ist.

Durch den vorgeschlagenen Satz 3 soll ausdrücklich geregelt werden, dass eine Eigenbeteiligung der Gemeinde nicht erforderlich ist, wenn der Vertragspartner Kosten oder sonstige Aufwen-dungen trägt oder übernimmt (vgl. den bisherigen § 124 Absatz 2 Satz 3). Dabei ist das Angemessenheitsgebot des Satzes 1 zu beachten. Danach müssen die vereinbarten Leistungen „den gesamten Umständen nach“ angemessen sein. Dies bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die vereinbarten Leistungen im Verhältnis zum Vertragszweck und im Verhältnis untereinander ausgewogen sein müssen, wobei eine wirtschaftliche Betrachtungsweise des Gesamtvorgangs geboten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. August 2011 – 9 C 6.10).“

(BT-Drucks. 17/11468 vom 14.11.2012, S. 13)

In Kombination beider Änderungen heißt dies: Auch wenn die Eigengesellschaft der Gemeinde die Erschließung übernimmt, muss die Gemeinde keinen 10% Eigenanteil übernehmen.

„Nicht ausdrücklich verhält sich die Neuregelung hingegen zu der Frage, ob Erschließungs-verträge künftig auch bei Vereinbarung weitgehender Selbstvornahmerechte der Gemeinde möglich sein sollen. Dies erscheint angesichts der Streichung des Erfordernisses des Vertrags-schlusses mit einem „Dritten“ naheliegend; der Gang der Diskussion bleibt jedoch abzuwarten.“

(Hinweis, DNotI-Report 2013, 101, 102)

Allerdings muss die Kostenübernahme angemessen sein.

– So kann eine „Luxuserschließung“, die in keinem Verhältnis zum Wert der erschlossenen Grundstücke steht, unangemessen sein.609

– Soweit für Wasser und Kanal („leitungsgebundene Einrichtungen“) zusätzlich Erschließungsbeiträge nach Landesrecht anfallen, darf es nicht zu einer Doppel-belastung kommen.610 Daher wird in Erschließungsverträgen i.d.R. eine Verrech-nung vereinbart.

– Beim Folgekostenvertrag ist hier zu prüfen, ob die Folgekosten tatsächlich dem betreffenden Baugebiet/Bauvorhaben zuzurechnen sind.

609 Grziwotz, NotBZ 2013, 369, 372. 610 Grziwotz, NotBZ 2013, 369, 373.

S. 364 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

2. Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts zugunsten Dritter (§ 27a BauGB)

Die Gemeinde konnte ihr Vorkaufsrecht nach §§ 24 BauGB bereits bisher auch zugunsten Dritter ausüben. Dies wird nun erweitert (in Kraft seit 20.9.2013). Bisher lautete § 27a BauGB (Hervorhebungen von mir):

§ 27a BauGB a.F. - Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten Dritter

(1) Die Gemeinde kann

1. das ihr zustehende Vorkaufsrecht zugunsten eines Dritten ausüben, wenn das im Wege der Ausübung des Vorkaufsrechts zu erwerbende Grundstück für Zwecke der sozialen Wohnraumförderung oder die Wohnbebauung für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf genutzt werden soll und der Dritte in der Lage ist, das Grundstück binnen angemessener Frist dementsprechend zu bebauen, und sich hierzu verpflichtet, oder

2. das ihr nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zustehende Vorkaufsrecht zugunsten eines öffentlichen Bedarfs- oder Erschließungsträgers sowie das ihr nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 zustehende Vorkaufsrecht zugunsten eines Sanierungs- oder Entwicklungsträgers ausüben, wenn der Träger einverstanden ist.

In den Fällen der Nummer 1 hat die Gemeinde bei der Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten eines Dritten die Frist, in der das Grundstück für den vorgesehenen Zweck zu verwenden ist, zu bezeichnen.

(2) Mit der Ausübung des Vorkaufsrechts kommt der Kaufvertrag zwischen dem Begünstigten und dem Verkäufer zustande. Die Gemeinde haftet für die Verpflichtung aus dem Kaufvertrag neben dem Begünstigten als Gesamtschuldnerin.

(3) Für den von dem Begünstigten zu zahlenden Betrag und das Verfahren gilt § 28 Abs. 2 bis 4 entsprechend. Kommt der Begünstigte seiner Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 nicht nach, soll die Gemeinde in entsprechender Anwendung des § 102 die Übertragung des Grundstücks zu ihren Gunsten oder zugunsten eines Bauwilligen verlangen, der dazu in der Lage ist und sich verpflichtet, die Baumaßnahmen innerhalb angemessener Frist durchzuführen. Für die Entschädigung und das Verfahren gelten die Vorschriften des Fünften Teils über die Rückenteig-nung entsprechend. Die Haftung der Gemeinde nach § 28 Abs. 3 Satz 7 bleibt unberührt.

Neu gefasst wurden nun Abs. 1 Ziffer 1 und Absatz 3 Satz 2:

§ 27a BauGB 2013 - Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten Dritter

(1) Die Gemeinde kann

1. ihr Vorkaufsrecht zugunsten eines Dritten ausüben, wenn der Dritte zu der mit der Ausübung des Vorkaufsrechts bezweckten Verwendung des Grundstücks innerhalb angemessener Frist in der Lage ist und sich hierzu verpflichtet, oder

2. das ihr nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zustehende Vorkaufsrecht zugunsten eines öffentlichen Bedarfs- oder Erschließungsträgers sowie das ihr nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 zustehende Vorkaufsrecht zugunsten eines Sanierungs- oder Entwicklungsträgers ausüben, wenn der Träger einverstanden ist.

In den Fällen der Nummer 1 hat die Gemeinde bei der Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten eines Dritten die Frist, in der das Grundstück für den vorgesehenen Zweck zu verwenden ist, zu bezeichnen.

(2) Mit der Ausübung des Vorkaufsrechts kommt der Kaufvertrag zwischen dem Begünstigten und dem Verkäufer zustande. Die Gemeinde haftet für die Verpflichtung aus dem Kaufvertrag neben dem Begünstigten als Gesamtschuldnerin.

S. 365 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

(3) Für den von dem Begünstigten zu zahlenden Betrag und das Verfahren gilt § 28 Abs. 2 bis 4 entsprechend. Kommt der Begünstigte seiner Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 nicht nach, soll die Gemeinde in entsprechender Anwendung des § 102 die Übertragung des Grund-stücks zu ihren Gunsten oder zugunsten eines Übernahmewilligen verlangen, der zur Verwirk-lichung des Verwendungszwecks innerhalb angemessener Frist in der Lage ist und sich hierzu verpflichtet. Für die Entschädigung und das Verfahren gelten die Vorschriften des Fünften Teils über die Rückenteignung entsprechend. Die Haftung der Gemeinde nach § 28 Abs. 3 Satz 7 bleibt unberührt

Damit entfällt die bisherige Beschränkung auf den sozialen Wohnungsbau.

In der Regierungsbegründung heißt es dazu:

„e) Vereinfachung des gesetzlichen Vorkaufsrechts

Die Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts der Gemeinde zugunsten Dritter (§ 27a BauGB) soll angemessen erweitert werden. Der Direkterwerb Dritter verringert gegenüber dem sonst häufigen Durchgangserwerb der Gemeinde den verwaltungsmäßigen, zeitlichen und finanziellen Aufwand und entlastet damit insbesondere Gemeinden und Investoren.“

(BT-Drucks. 17/11468 vom 14.11.2012, S. 10)

Wichtig ist : Abgekürzt wird lediglich das Verfahren. Die Gemeinde muss nicht erst das Vorkaufsrecht für sich selbst ausüben und das Grundstück erwerben, um es in einem zweiten Schritt dann an den Dritten weiter zu veräußern, sondern sie kann ihr Vorkaufsrecht gleich zugunsten des Dritten ausüben.

Ob ein Vorkaufsrecht besteht, regelt weiter § 24 BauGB. Die Fälle, in denen der Gemeinde ein Vorkaufsrecht zusteht, wurden nicht erweitert. D.h. ein Vorkaufsrecht kann nur ausgeübt werden (§ 24 Abs. 1 BauGB),

– wenn die betroffene Fläche im Bebauungsplan für öffentliche Zwecke oder natur-schutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen festgelegt ist,

– oder in einem Umlegungs-, Sanierungs- oder städtebaulichen Entwicklungs-gebiet, bei Stadtumbau oder Erhaltungssatzung,

– bei unbebauten Flächen im Außenbereich, die im Flächennutzungsplan für Wohnzwecke vorgesehen sind, oder im Innenbereich, die als Wohngebiet ausgewiesen oder nach der näheren Umgebung nur für Wohnzwecke nutzbar sind,

– zum Hochwasserschutz,

immer vorausgesetzt, das Wohl der Allgemeinheit rechtfertigt die Vorkaufsrechts-ausübung (§ 24 Abs. 3 BauGB).

Damit wird das Vorkaufsrecht künftig nicht häufiger, sondern allenfalls anders ausgeübt werden - nämlich direkt zugunsten des Dritten.

S. 366 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

3. Verdichtung im Innenbereich vor Flächenverbrauch

a) Innenverdichtung vor Baulandausweisung

Seinen Namen erhielt das „Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts“ insbes. durch eine Erweiterung der Ziele für den sparsamen Umgang mit Grund und Boden.

§ 1a BauGB - Ergänzende Vorschriften zum Umweltschutz

(1) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die nachfolgenden Vorschriften zum Umweltschutz anzuwenden.

(2) Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden; dabei sind zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Wiedernutzbarmachung von Flächen, Nachverdichtung und andere Maßnahmen zur Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen. Landwirtschaftlich, als Wald oder für Wohnzwecke genutzte Flächen sollen nur im notwendigen Umfang umgenutzt werden. Die Grundsätze nach den Sätzen 1 und 2 sind in der Abwägung nach § 1 Absatz 7 zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit der Umwandlung landwirtschaftlich oder als Wald genutzter Flächen soll begründet werden; dabei sollen Ermittlungen zu den Möglichkeiten der Innenentwicklung zugrunde gelegt werden, zu denen insbesondere Brachflächen, Gebäudeleerstand, Baulücken und andere Nachverdichtungsmöglichkeiten zählen können.

b) Rückbaugebot (§ 179 BauGB)

Als eines der Instrumentarien dazu wurde das Rückbaugebot (§ 179 BauGB) gestärkt.

– Die Beseitigung baurechtswidriger Anlagen kann die Bauaufsicht nach Maßgabe des landesrechtlichen Bauordnungsrechts anordnen. § 179 BauGB regelt hingegen einen Rückbau aus städtebaulichen Gründen – also die Beseitigung eines städte-baulichen Schandflecks, etwa eines leerstehenden und verfallenden Gebäudes.

– Das Rückbaugebot ist weiterhin eine Duldungsverfügung, kein Handlungsgebot. D.h. der Eigentümer muss den Rückbau nicht selbst durchführen, sondern den Rückbau durch die Gemeinde dulden.611 Die Bundesregierung hatte zunächst vorgeschlagen, statt dessen eine Beseitigungspflicht einzuführen;612 es blieb aber bei der bloßen Duldungspflicht.

– Neu eingefügt wurde eine Kostenbeteiligung des Eigentümers bei der Beseitigung des städtebaulichen Schandflecks (Abs. 1 Nr. 2 – „Schrottimmobilie“), aber nur bis zur Höhe seiner Vermögensvorteile (etwa der Wertsteigerung des Grundstücks durch den Abriß). Der Betrag ruht als öffentliche Last auf dem Grundstück.

§ 179 BauGB - Rückbau- und Entsiegelungsgebot

(1) Die Gemeinde kann den Eigentümer verpflichten zu dulden, dass eine bauliche Anlage im Geltungsbereich eines Bebauungsplans ganz oder teilweise beseitigt wird, wenn sie

1. den Festsetzungen eines des Bebauungsplans nicht entspricht und ihnen nicht angepasst werden kann oder

611 Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 179 BauGB Rn. 5. 612 BT-Drucks. 17/11468 vom 14.11.2012, S. 24.

S. 367 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

2. Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 Satz 1 aufweist, die auch durch eine Modernisierung oder Instandsetzung nicht behoben werden können.

Satz 1 Nr. 1 gilt entsprechend für die sonstige Wiedernutzbarmachung von dauerhaft nicht mehr genutzten Flächen, bei denen der durch Bebauung oder Versiegelung beeinträchtigte Boden in seiner Leistungsfähigkeit erhalten oder wiederhergestellt werden soll; die sonstige Wiedernutzbar-machung steht der Beseitigung nach Satz 1 gleich. Diejenigen, für die ein Recht an dem Grund-stück oder an einem das Grundstück belastenden Recht im Grundbuch eingetragen oder durch Eintragung gesichert ist, das nicht zur Nutzung berechtigt, sollen von dem Bescheid benachrichtigt werden, wenn sie von der Beseitigung betroffen werden. Unberührt bleibt das Recht des Eigentümers, die Beseitigung selbst vorzunehmen.

(2) Der Bescheid darf bei Wohnraum nur vollzogen werden, wenn im Zeitpunkt der Beseitigung angemessener Ersatzwohnraum für die Bewohner unter zumutbaren Bedingungen zur Verfügung steht. Strebt der Inhaber von Raum, der überwiegend gewerblichen oder beruflichen Zwecken dient (Geschäftsraum), eine anderweitige Unterbringung an, soll der Bescheid nur vollzogen werden, wenn im Zeitpunkt der Beseitigung anderer geeigneter Geschäftsraum unter zumutbaren Bedingungen zur Verfügung steht.

(3) Entstehen dem Eigentümer, Mieter, Pächter oder sonstigen Nutzungsberechtigten durch die Beseitigung Vermögensnachteile, hat die Gemeinde angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Der Eigentümer kann an Stelle der Entschädigung nach Satz 1 von der Gemeinde die Übernahme des Grundstücks verlangen, wenn es ihm mit Rücksicht auf das Rückbau- oder Entsiegelungsgebot wirtschaftlich nicht mehr zuzumuten ist, das Grundstück zu behalten. § 43 Abs. 1, 2, 4 und 5 sowie § 44 Abs. 3 und 4 sind entsprechend anzuwenden.

(4) Im Falle des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 sind die Beseitigungskosten vom Eigentümer bis zur Höhe der ihm durch die Beseitigung entstehenden Vermögensvorteile zu tragen. Der Kosten-erstattungsbetrag kann durch Bescheid geltend gemacht werden, sobald die bauliche Anlage ganz oder teilweise beseitigt ist. Der Betrag ruht als öffentliche Last auf dem Grundstück.

4. Bauen im Außenbereich (§ 35 BauGB)

a) Massentierhaltung nicht mehr privilegiert

§ 35 BauGB (Bauen im Außenbereich) wurde v.a. in zwei Punkten geändert. Zum einen ist die Massentierhaltung nun nicht mehr privilegiert wie landwirtschaftliche Nutzung. Mit dem Wegfall der Privilegierung können Gemeinden etwa Massentierhaltungsanlagen auf Sondergebiete beschränken oder Geruchskontingentierung oder Mindestabstände zu schutzempfindlichen Nutzungen vorschreiben.613

§ 35 BauGB - Bauen im Außenbereich

(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es

1. einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt,

2. einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient,

3. der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient,

613 Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 35 BauGB Rn. 42.

S. 368 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

4. wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung , die dem Anwendungs-bereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standort-bezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind,

5. der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wind- oder Wasserenergie dient,

6. der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebes nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebes nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen:

a) …

7. der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, oder

8. der Nutzung solarer Strahlungsenergie in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden dient, wenn die Anlage dem Gebäude baulich unter-geordnet ist.

(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.

b) Neubau bei Nutzungsänderung ehemaliger landwirtschaftlicher Gebäude

§ 35 Abs. 4 regelt begünstigte Vorhaben, denen bestimmte öffentliche Belange (nämlich Widerspruch zum Flächennutzungsplan oder Landschaftsplan, Entstehung einer Splittersiedlung u.ä.) nicht entgegengehalten werden können. Insbes. war bereits bisher eine Umnutzung ehemals land- oder forstwirtschaftlich genutzter Gebäude zulässig (Stichwort: Strukturwandel in der Landwirtschaft erleichtern). Bisher setzte dies aber voraus, dass die Gebäudesubstanz erhalten wurde.

Nunmehr ist ggf. auch ein Neubau (in im wesentlichen gleichen Umfang) zulässig:

§ 35 Abs. 4: Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:

1. die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 unter folgenden Voraussetzungen:

a) das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz,

b) die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im wesentlichen gewahrt,

c) die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück,

d) das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden,

e) das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs,

S. 369 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

f) im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nr. 1 zulässigen Wohnungen höchstens drei Wohnungen je Hofstelle und

g) es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 erforderlich,

2. die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen:

a) das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden,

b) das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf,

c) das vorhandene Gebäude wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und

d) Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,

3. die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle,

4. die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient,

5. die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen:

a) das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden,

b) die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und

c) bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,

6. die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.

In begründeten Einzelfällen gilt die Rechtsfolge des Satzes 1 auch für die Neuerrichtung eines Gebäudes im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1, dem eine andere Nutzung zugewiesen werden soll, wenn das ursprüngliche Gebäude vom äußeren Erscheinungsbild auch zur Wahrung der Kulturlandschaft erhaltenswert ist, keine stärkere Belastung des Außenbereichs zu erwarten ist als in Fällen des Satzes 1 und die Neuerrichtung auch mit nachbarlichen Interessen vereinbar ist; Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis g gilt entsprechend. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 und 3 sowie des Satzes 2 sind geringfügige Erweiterungen des neuen Gebäudes gegenüber dem beseitigten oder zerstörten Gebäude sowie geringfügige Abweichungen vom bisherigen Standort des Gebäudes zulässig.“

c) Zurückstellung von Bauanträgen

Hat die Gemeinde beschlossen, einen Bebauungsplan aufzustellen, kann sie, um zu verhindern, dass bis zum Inkrafttreten des Bebauungsplans davon abweichende Tatsachen geschaffen werden, erforderlichenfalls entweder eine Veränderungssperre

S. 370 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

erlassen (§ 14 BauGB) oder die Baugenehmigungsbehörde ersuchen, das Genehmi-gungsverfahren für Bauanträge für bis zu einem Jahr auszusetzen (§ 15 BauGB).

Im Außenbereich gilt dies entsprechend bei einem Beschluss über die Aufstellung oder Änderung eines Flächennutzungsplanes (§ 15 Abs. 3 BauGB). Hier kann die Gemeinde nun unter besonderen Umständen sogar insgesamt zwei Jahre Aussetzung des Genehmigungsverfahrens verlangen.

§ 15 BauGB - Zurückstellung von Baugesuchen

(1) Wird eine Veränderungssperre nach § 14 nicht beschlossen, obwohl die Voraussetzungen gegeben sind, oder ist eine beschlossene Veränderungssperre noch nicht in Kraft getreten, hat die Baugenehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben im Einzelfall für einen Zeitraum bis zu zwölf Monaten auszusetzen, wenn zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Wird kein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt, wird auf Antrag der Gemeinde an Stelle der Aussetzung der Entscheidung über die Zulässigkeit eine vorläufige Untersagung innerhalb einer durch Landesrecht festgesetzten Frist ausgesprochen. Die vorläufige Untersagung steht der Zurückstellung nach Satz 1 gleich.

(2) Soweit für Vorhaben im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet oder im städtebaulichen Entwicklungsbereich eine Genehmigungspflicht nach § 144 Abs. 1 besteht, sind die Vorschriften über die Zurückstellung von Baugesuchen nicht anzuwenden; mit der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebiets oder des städtebaulichen Entwicklungsbereichs wird ein Bescheid über die Zurückstellung des Baugesuchs nach Absatz 1 unwirksam.

(3) Auf Antrag der Gemeinde hat die Baugenehmigungsbehörde die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 für einen Zeitraum bis zu längstens einem Jahr nach Zustellung der Zurückstellung des Baugesuchs auszusetzen, wenn die Gemeinde beschlossen hat, einen Flächennutzungsplan aufzustellen, zu ändern oder zu ergänzen, mit dem die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 erreicht werden sollen, und zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Auf diesen Zeitraum ist die Zeit zwischen dem Eingang des Baugesuchs bei der zuständigen Behörde bis zur Zustellung der Zurückstellung des Baugesuchs nicht anzurechnen, soweit der Zeitraum für die Bearbeitung des Baugesuchs erforderlich ist. Der Antrag der Gemeinde nach Satz 1 ist nur innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Gemeinde in einem Verwaltungsverfahren von dem Bauvorhaben förmlich Kenntnis erhalten hat, zulässig. Wenn besondere Umstände es erfordern, kann die Baugenehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung nach Satz 1 um höchstens ein weiteres Jahr aussetzen.

5. Genehmigungserfordernis bei Erhaltungssatzung (§ 172 BauGB)

Durch Erhaltungssatzung kann die Gemeinde eine Genehmigungspflicht für den Rückbau, die Änderung oder Nutzungsänderung baulicher Anlagen schaffen – insbesondere auch als Milieuschutzsatzung (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB). Im Geltungsbereich einer Milieuschutzsatzung kann durch Rechtsverordnung der Landes-regierung auch die Umwandlung in Wohnungseigentum genehmigungsbedürftig gemacht werden:

§ 172 Erhaltung baulicher Anlagen und der Eigenart von Gebieten (Erhaltungssatzung)

(1) Die Gemeinde kann in einem Bebauungsplan oder durch eine sonstige Satzung Gebiete bezeichnen, in denen

1. zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets auf Grund seiner städtebaulichen Gestalt (Absatz 3),

S. 371 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

2. zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (Absatz 4) oder

3. bei städtebaulichen Umstrukturierungen (Absatz 5)

der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen der Genehmigung bedürfen. In den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 bedarf auch die Errichtung baulicher Anlagen der Genehmigung. Auf die Satzung ist § 16 Abs. 2 entsprechend anzuwenden. Die Landesregierun-gen werden ermächtigt, für die Grundstücke in Gebieten einer Satzung nach Satz 1 Nr. 2 durch Rechtsverordnung mit einer Geltungsdauer von höchstens fünf Jahren zu bestimmen, dass die Begründung von Wohnungseigentum oder Teileigentum (§ 1 des Wohnungseigentumsgesetzes) an Gebäuden, die ganz oder teilweise Wohnzwecken zu dienen bestimmt sind, nicht ohne Genehmigung erfolgen darf. Ein solches Verbot gilt als Verbot im Sinne des § 135 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. In den Fällen des Satzes 4 ist § 22 Abs. 2 Satz 3 und 4, Abs. 6 und 8 entsprechend anzuwenden.

Absatz 4 regelt, wann bei einer Milieuschutzsatzung ein Genehmigungsanspruch besteht. Dies wurde nun um die energetische Sanierung erweitert – aber nur bis zu den Mindestanforderungen der EnEV:

§ 172 Abs. 4: In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 4 darf die Genehmigung nur versagt werden, wenn die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städte-baulichen Gründen erhalten werden soll. Sie ist zu erteilen, wenn auch unter Berücksichtigung des Allgemeinwohls die Erhaltung der baulichen Anlage oder ein Absehen von der Begründung von Wohnungseigentum oder Teileigentum wirtschaftlich nicht mehr zumutbar ist. Die Genehmigung ist ferner zu erteilen, wenn

1. die Änderung einer baulichen Anlage der Herstellung des zeitgemäßen Ausstattungszustands einer durchschnittlichen Wohnung unter Berücksichtigung der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen dient,

1a. die Änderung einer baulichen Anlage der Anpassung an die baulichen oder anlagentechnischen Mindestanforderungen der Energieeinsparverordnung dient,

2. das Grundstück zu einem Nachlass gehört und Wohnungseigentum oder Teileigentum zugunsten von Miterben oder Vermächtnisnehmern begründet werden soll,

3. das Wohnungseigentum oder Teileigentum zur eigenen Nutzung an Familienangehörige des Eigentümers veräußert werden soll,

4. ohne die Genehmigung Ansprüche Dritter auf Übertragung von Wohnungseigentum oder Teileigentum nicht erfüllt werden können, zu deren Sicherung vor dem Wirksamwerden des Genehmigungsvorbehalts eine Vormerkung im Grundbuch eingetragen ist,

5. das Gebäude im Zeitpunkt der Antragstellung zur Begründung von Wohnungseigentum oder Teileigentum nicht zu Wohnzwecken genutzt wird oder

6. sich der Eigentümer verpflichtet, innerhalb von sieben Jahren ab der Begründung von Wohnungseigentum Wohnungen nur an die Mieter zu veräußern; eine Frist nach § 577a Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verkürzt sich um sieben Jahre. Die Frist nach § 577a Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entfällt.

In den Fällen des Satzes 3 Nr. 6 kann in der Genehmigung bestimmt werden, dass auch die Veräußerung von Wohnungseigentum an dem Gebäude während der Dauer der Verpflichtung der Genehmigung der Gemeinde bedarf. Diese Genehmigungspflicht kann auf Ersuchen der Gemeinde in das Wohnungsgrundbuch eingetragen werden; sie erlischt nach Ablauf der Verpflichtung.“

S. 372 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

6. Änderungen der BauNVO

Abschließend seien noch zwei Änderungen der Baunutzungsverordnung erwähnt:

– Anlagen zur Kinderbetreuung (Kindergarten, -krippe, -hort) sind künftig auch in reinen Wohngebieten allgemein zulässig (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO)

– Anlagen zur Nutzung der solaren Strahlungsenergie und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in, an oder auf Dach- und Außenwandflächen gelten künftig stets als Nebenanlagen (§ 14 Abs. 3 BauNVO). D.h. sie sind in allen Arten von Baugebieten zulässig, auch soweit sie nicht dem jeweiligen Gebäude dienen.

§ 14 BauNVO - Nebenanlagen; Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen

(1) Außer den in den §§ 2 bis 13 genannten Anlagen sind auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Soweit nicht bereits in den Baugebieten nach dieser Verordnung Einrichtungen und Anlagen für die Tier-haltung, einschließlich der Kleintiererhaltungszucht, zulässig sind, gehören zu den unter-geordneten Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne des Satzes 1 auch solche für die Kleintier-haltung. Im Bebauungsplan kann die Zulässigkeit der Nebenanlagen und Einrichtungen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.

(2) Die der Versorgung der Baugebiete mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser sowie zur Ableitung von Abwasser dienenden Nebenanlagen können in den Baugebieten als Ausnahme zugelassen werden, auch soweit für sie im Bebauungsplan keine besonderen Flächen festgesetzt sind. Dies gilt auch für fernmeldetechnische Nebenanlagen sowie für Anlagen für erneuerbare Energien, soweit nicht Absatz 1 Satz 1 Anwendung findet.

(3) Soweit baulich untergeordnete Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie in, an oder auf Dach- und Außenwandflächen oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen innerhalb von Gebäuden nicht bereits nach den §§ 2 bis 13 zulässig sind, gelten sie auch dann als Anlagen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1, wenn die erzeugte Energie vollständig oder überwiegend in das öffentliche Netz eingespeist wird.

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II. Einheimischenmodell im Licht der EuGH-Entscheidung (CH)

1. Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland

Nur zur Erinnerung: Bekanntlich hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungs-verfahren gegen Deutschland eingeleitet, da sie in der Bevorzugung Einheimischer einen Verstoß gegen das EU-Recht sieht614. Sie rügt die Verletzung der Art. 18 AEUV (allg. Diskriminierungsverbot), Art. 21 AEUV (allg. Freizügigkeit), Art. 45 AEUV (Freizügigkeit der Arbeitnehmer) und Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit).

2. EuGH-Entscheidung im Vorlageverfahren Libert u.a. (8.5.2013 – Rs C-197/11 und C-203/11)

Vor diesem Hintergrund nimmt man besonders aufmerksam wahr, dass der EuGH mittlerweile zu einer „Einheimischenbindung“ in Belgien entschieden hat.

EuGH, Beschl. v. 8.5.2013 – Rs C-197/11 und C-203/11 (Libert/van Eycken/ Bleeckx), DNotI-Report 2013, 98 = DNotZ 2013, 843 m. Anm. Grziwotz = DVBl 2013, 1044 m. Anm. Stüer/Garbrock = EuZW 2013, 514 m. Anm. Milstein = KommJur 2013, 201 m. Anm. Portz = NotBZ 2013, 295 m. Anm. Grziwotz.

Natürlich lesen wir die Entscheidung v.a. unter dem Gesichtspunkt, welche Folgen sie für die deutschen Einheimischenmodelle hat.

Sachverhalt:

– Nach einem Dekret der Flämischen Region konnten in bestimmten Gemeinden (mit besonders hohen Immobilienpreisen und besonders viel Zuzug) Grundstücke nur mit Genehmigung verkauft oder vermietet werden.

– Die Genehmigung wurde nur erteilt, wenn der Erwerber oder Mieter einen besonderen Bezug zur Gemeinde nachweisen konnte, also „Einheimischer“ war. Damit sollte der Preisanstieg begrenzt werden, so dass sich auch sozial Schwächere eine Wohnung leisten konnten. Soziale Kriterien waren aber keine festgelegt. D.h. alle Einheimischen waren begünstigt. „Auswärtige“ waren ganz ausgeschlossen.

– Der EuGH hatte im Vorabentscheidungsverfahren zu entscheiden, ob eine solche Regelung insbes. gegen die Grundfreiheiten (Freizügigkeit etc.) verstieße.

Es verwundert wenig, dass der EuGH den gänzlichen Ausschluss Auswärtiger und die Beschränkung des örtlichen Immobilien- und Mietmarktes nur auf Einheimische als europarechtswidrig ansah.

614 EU-Kommission, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2006/4271. Herausgegriffen hat die Kommission Fälle

aus den Gemeinden Selfkant (Nordrhein-Westfalen), Bernried, Seeshaupt am Starnberger See, Vohburg an der Donau und Weilheim (alle Bayern). Vgl. Portz, KommJur 2010,366.

S. 374 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Die flämische Regierung machte geltend (Hervorhebungen von mir):

(Rn. 50) … „die Voraussetzung des Bestehens einer „ausreichenden Bindung“ des potenziellen Käufers oder Mieters zu der betreffenden Gemeinde sei insbesondere durch das Ziel gerechtfertigt, den Immobilienbedarf der am wenigsten begüterten einheimischen Bevölkerung zu befriedigen, insbesondere denjenigen sozial schwacher Personen und junger Haushalte sowie alleinstehender Personen, die nicht in der Lage seien, ausreichendes Kapital für den Kauf oder die Miete einer Liegenschaft in den Zielgemeinden aufzubauen. Dieser Teil der örtlichen Bevölkerung sei nämlich wegen der Ankunft von aus anderen Gemeinden zuziehenden Personengruppen mit größerem finanziellen Wohlstand, die den hohen Preis der Grundstücke und Bauten in den Zielgemeinden stemmen könnten, vom Immobilienmarkt ausgeschlossen.“

Dies klingt ganz ähnlich wie die Begründung der deutschen Einheimischenmodelle. Von daher beruhigt, wenn der EuGH feststellt:

(Rn. 52) „Solche Erfordernisse im Zusammenhang mit der Sozialwohnungspolitik eines Mitgliedstaats können zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen und damit Beschränkungen wie die mit dem flämischen Dekret eingeführten rechtfertigen (vgl. Urteile Woningstichting Sint Servatius, Randnrn. 29 und 30, sowie vom 24. März 2011, Kommission/Spanien, C-400/08, Slg. 2011, I-1915, Randnr. 74).“

Die flämische Regelung scheiterte daran, dass sie keinerlei Sozialkomponente enthielt. Sie war daher wohl nicht einmal geeignet (um in den Termini des deutschen Verwaltungsrechts zu sprechen) – oder, weil die europäische Prüfung nur zweistufig prüft, ob eine Maßnahme „erforderlich und angemessen“ ist, jedenfalls nicht erforderlich in den Termini des europäischen Rechts:

(Rn. 55) „Wie aber der Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, steht keine dieser Bedingungen in unmittelbarem Zusammenhang mit den sozioökonomischen Aspekten, die dem von der flämischen Regierung geltend gemachten Ziel entsprechen, ausschließlich die am wenigsten begüterte einheimische Bevölkerung auf dem Immobilienmarkt zu schützen. Solche Bedingungen können nämlich nicht nur von dieser am wenigsten begüterten Bevölkerung erfüllt werden, sondern auch von anderen Personen, die über ausreichende Mittel verfügen und folglich keinen besonderen Bedarf an sozialem Schutz auf dem Immobilienmarkt haben. Daher gehen die betreffenden Maßnahmen über das hinaus, was zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist.“

Es hätte mildere Mittel gegeben, fährt der EuGH fort – und deutet damit an, dass er solche milderen Mittel für zulässig hält, insbes. Kaufprämien oder Beihilfen für sozial schwächere Bevölkerungsgruppen:

(Rn. 56) Außerdem wären andere, weniger einschränkende Maßnahmen als die mit dem flämischen Dekret erlassenen geeignet, dem damit verfolgten Ziel zu entsprechen, ohne zwangs-läufig zu einem faktischen Verbot des Erwerbs oder der Miete für jeden potenziellen Käufer oder Mieter, der die genannten Bedingungen nicht erfüllt, zu führen. Vorstellbar wären z.B. Kaufprämien oder sonstige speziell zugunsten der am wenigsten begüterten Personen konzipierte Arten von Beihilfen, um insbesondere denjenigen, die ein schwaches Einkommen nachweisen können, den Kauf oder die Miete von Liegenschaften in den Zielgemeinden zu ermöglichen.

S. 375 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Auch verlangt der EuGH, dass die Bevorzugung Einheimischer auf klare gesetzliche Grundlagen gestützt ist – objektiv und transparent - und nicht ins Ermessen (und damit Belieben) der Verwaltung gestellt ist:

(Rn. 57) „Schließlich ist konkret zur dritten oben, in Randnr. 54 genannten Bedingung, nach der aufgrund eines wichtigen und dauerhaften Umstands eine gesellschaftliche, familiäre, soziale oder wirtschaftliche Bindung des potenziellen Käufers oder Mieters zu der betreffenden Gemeinde geknüpft worden sein muss, darauf hinzuweisen, dass ein System der vorherigen behördlichen Genehmigung keine Ermessensausübung der nationalen Behörden rechtfertigen kann, die geeignet ist, den Bestimmungen des Unionsrechts, insbesondere denjenigen, die eine Grundfreiheit betreffen, ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen. Soll ein derartiges System trotz des Eingriffs in eine solche Grundfreiheit gerechtfertigt sein, muss es daher auf objektiven, nicht diskriminie-renden im Voraus bekannten Kriterien beruhen, damit der Ermessensausübung durch die nationalen Behörden hinreichende Grenzen gesetzt werden (vgl. u. a. Urteil Woningstichting Sint Servatius, Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).“

3. Deutsche Einheimischenmodelle

Prüfen wir nun die deutschen Einheimischenmodelle an diesen Kriterien:

– Ratio der Einheimischenmodelle ist die „Sozialwohnungspolitik“, die der EuGH ausdrücklich als (möglichen) „zwingenden Grund des Allgemeininteresses“ anerkannte.

– Deutsche Einheimischenmodelle enthalten, soweit mir bekannt, nahezu immer auch soziale Kriterien. (typischerweise in Form von Ausschlusskriterien einerseits – etwa bei Wohnungseigentum in der betreffenden Gemeinde – andererseits von Punktekatalogen zur Reihung der Bewerber, etwa nach Einkommen, Kinderzahl etc.).

– Heute dürften die Auswahlkriterien nahezu ausnahmslos zuvor vom Gemeinderat beschlossen und veröffentlicht werden. Damit sind sie objektiv und transparent i.S.d. EuGH-Rechtsprechung. (Außerdem erfordert dies auch das deutsche Recht.)

Problematisch könnte das Erfordernis sein, dass die Auswahlkriterien „nicht diskriminierend “ sein dürfen. Neben den sozialen Kriterien ist aber immer auch die Bindung an den betreffenden Ort Voraussetzung (etwa in Form einer Mindest-aufenthaltsdauer, ggf. auch noch mit weiteren Kriterien). Es sind „Einheimischen“modelle, keine EU-Sozialförderung.

– Grziwotz befürchtet, dass bereits eine Anknüpfung an die Dauer der Meldung in der Gemeinde mit Erstwohnsitz oder eine bestimmte Verweildauer in der Gemeinde zu einer mittelbaren Diskriminierung führen könnten.615

615 Grziwotz, NotBZ 2013, 295, 296; während er in DNotZ 2013, 843, 844, davon ausgeht, dass eine

derartige mittelbare Diskriminierung aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden kann.

S. 376 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

– Diese Befürchtung halte ich für unbegründet. Der EuGH führt ja gerade aus, dass die Bevorzugung Einheimischer aus sozialen Gesichtspunkten gerechtfertigt sein kann. Die Gemeinde kann Sozialleistungen auf die eigene Wohnbevölkerung beschränken, solange sie nicht mit der Gießkanne an alle verteilt, sondern nur an die bedürftigen Einheimischen.

Im Streitfall müsste das Gericht daher abwägen, ob das konkrete Einheimischenmodell angemessen ist. Dies wird der Notar nicht abschließend beurteilen können. Dabei kann man auch die Argumentation des BVerwG in seinem Urteil zum Weilheimer Modell616 heranziehen.

– Ein Argument kann sein, dass deutsche Einheimischenmodelle nur Grundstücks-verkäufe durch die Gemeinde betreffen, also nur ein Teilsegment des Marktes, während die flämische Regelung sämtliche Kauf- oder Mietverträge der Genehmigungspflicht und damit der Einheimischenbindung unterwarf. I.d.R. gibt es daneben einen privaten Grundstücksmarkt, so dass auswärtige Erwerbsinter-essenten nicht gänzlich ausgeschlossen sind.

– Für jeden Einzelfall wäre dann zu prüfen, ob die jeweilige gemeindliche Regelung nur den bedürftigen Gemeindebewohnern hilft – und ob sie dafür erforderlich und angemessen ist.

Möglicherweise wird das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland nunmehr einvernehmlich beendet.

Aber selbst wenn das Vertragsverletzungsverfahren fortgesetzt wird und es zu einer Verurteilung Deutschlands käme, hätte dies m.E. keinerlei Auswirkungen auf die bisher von den Gemeinden abgeschlossenen Verträge. Denn auch die Feststellung einer Rechtsverletzung durch die Bundesrepublik würde nicht zur Unwirksamkeit der bereits erfolgten Verkäufe im Einheimischenmodell führen.

616 BVerwG, Urt. v. 11.02.1993 – 4 C 18/91, BVerwGE 92, 56 = DNotZ 1994, 63 = DVBl. 1993, 654 =

MittBayNot 1993, 164 =NJW 1993, 2695.

S. 377 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

III. Grunderwerbsteuer (K)

Zum Steuerrecht braucht sich der Notar glücklicherweise regelmäßig nicht zu äußern –

insoweit dürfen wir regelmäßig getrost auf den Rat des Steuerberaters verweisen.

Ausnahme ist das Grunderwerbs- und Schenkungssteuerrecht, das auch Belehrungs-

pflichten des Notars kennt.

1. Erwerbsnebenkosten als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbssteuer

BFH, Urt. v. 17.04.2013 - II R 1/12, BFHE 240, 409 = MittBayNot 2013, 423 = ZfIR

2013, 699 = ZNotP 2013, 436.

a) Fallgestaltung

Im Rahmen eines Grundstückskaufvertrages verpflichtet sich der gewerbliche

Verkäufer zur Erstattung der zunächst vertragsgemäß vom Käufer zu leistenden Notar-

und Gerichtskosten sowie der Grunderwerbssteuer, sobald der Käufer den Kaufpreis

entrichtet hat. Faktisch enthält der Kaufpreis also alle Erwerbsnebenkosten.

Das Finanzamt setzt die Grunderwerbssteuer auf Grundlage des Kaufpreises fest. Der

Käufer begehrt die Herabsetzung der Bemessungsgrundlage der Grunderwerbssteuer

auf den Betrag, der dem Kaufpreis abzüglich der Notar- und Gerichtskosten sowie der

Grunderwerbssteuer entspricht.

b) Die Entscheidung

Der II. Senat des BFH entscheidet den Fall sehr günstig für den Käufer. Bemessungs-

grundlage der Grunderwerbssteuer sei beim Kauf die Gegenleistung, § 9 Abs. 1 Nr. 1

GrEStG. Diese Gegenleistung sei danach zu bemessen, was der Käufer für das

Grundstück leiste. Leiste der Käufer wie hier seine Zahlung aber nur zum Teil auf das

Grundstück, zum anderen Teile aber auf die vom Verkäufer übernommenen Notar-

und Gerichtskosten, so erwerbe er damit nicht in vollem Umfang ein Grundstück,

sondern partiell eben auch eine Freistellungsforderung. Diese unterfalle nicht der

S. 378 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Grunderwerbssteuer. Entsprechend sei die Bemessungsgrundlage der Steuer um die so

vom Verkäufer erstatten Kosten herabzusetzen.

Nicht privilegiert hingegen ist die dem Käufer erstattete Grunderwerbssteuer. Zwar

gelten für diese die Überlegungen des II. Senats entsprechend. Allerdings hat der

Gesetzgeber dazu eine ausdrückliche Regelung in § 9 Abs. 3 GrEStG getroffen,

wonach diese eben nicht bei der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen ist – und

zwar weder erhöhend noch verringernd. Diese gesetzliche Anordnung ist bindend .

c) Anwendung auf andere Kosten?

Die Überlegungen des BFH lassen sich auch auf andere Arten übernommener Kosten

übertragen. Erstattet der Veräußerer die Kosten des Maklers des Käufers, dürfte

gleiches gelten, ebenso im Fall der Übernahme von Finanzierungskosten. Der BFH hat

dazu maßgeblich darauf abgestellt, dass die Notar- und Gerichtskosten üblicherweise

und eben auch nach der gesetzlichen Regelung vom Käufer zu tragen sind, bei

Übernahme durch den Verkäufer der Käufer in deren Umfang also nicht auf das

Grundstück leistet.

Umgekehrt stellt der II. Senat aber auch klar, dass er offenbar weiter davon ausgeht,

dass die Übernahme von an sich dem Verkäufer obliegenden Verpflichtungen durch

den Käufer weiterhin der Belastung mit der Grunderwerbssteuer unterliegt.617 Die

Maklerkosten des Verkäufers bleiben auch dann, wenn diese vom Käufer übernommen

werden, der Bemessungsgrundlage der Grunderwerbssteuer zuzurechnen. Gleiches

dürfte gelten, wenn der Verkäufer die Löschungskosten des Verkäufers übernimmt.

617 Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, 9. Aufl., § 9 Rn. 7; Loose, in: in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl., § 9 Rn. 278; Pahlke/Franz, Grunderwerbsteuergesetz, 4. Aufl., § 9 Rn. 87

S. 379 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

d) Vorsicht bei solchen Gestaltungen

Der Fall der dem BFH vorlag, macht den Eindruck, nicht ganz von der sauberen Sorte

zu sein. Warum wählt man eine solch verworrene Gestaltung zur Tragung der Kosten

und der Grunderwerbssteuer? Wenn der Verkäufer diese tragen sollte, dann hätte er

dies doch gleich erledigen können – sie wäre im Falle des Scheiterns des Kauf-

vertrages zurückerstattet worden. Die Beteiligten haben so auch noch in Kauf

genommen, dass sich die Kosten faktisch um die Grunderwerbssteuer auf die Grund-

erwerbssteuer erhöht haben – auch das geschieht doch nicht ohne Grund. Es liegt bei

diesen Gestaltungen regelmäßig nahe, dass der Kaufpreis künstlich aufgebläht wird,

um für Finanzierungszwecke einen höheren Preis erscheinen zu lassen. Prüft die Bank

die vertraglichen Abreden nicht ganz genau, ist es sehr wahrscheinlich, dass diese

Gestaltungen übersehen werden und der künstlich aufgeblähte Preis als der echte

Kaufpreis angesehen wird.

2. Nichtfestsetzung der Grunderwerbssteuer wegen Rückgängigmachung des

Kaufvertrages und Neubegründung in einer Urkunde

BFH, Urteil vom 5. 9. 2013 - II R 16/12, BStBl II 2014, 42 = DStRE 2013, 1507 = DB

2013, 2605 = GmbHR 2014, 50 = BFH/NV 2013, 2016.

a) Fallgestaltung

Grundstückseigentümer und Erstkäufer vereinbaren vor Durchführung des zwischen

ihnen geschlossenen Kaufvertrages, dass dieser aufgehoben und ein anderer den

Kaufgegenstand erwerben soll. Die Vereinbarung über die Aufhebung des Erstkauf-

vertrages und der Abschluss des Zweitvertrages erfolgen in einer Urkunde.

Das Finanzamt setzt wegen des Erstkaufes Grunderwerbssteuer fest. Der Erstkäufer

begehrt die Aufhebung des Bescheides, da nach § 16 Abs. 1 GrEStG die Steuer

deshalb nicht hätte festgesetzt werden dürfen, weil es sich um eine Rückgängig-

machung des Vertrages gehandelt habe.

S. 380 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

b) Die Entscheidung

Die Nichtfestsetzung der Grunderwerbssteuer im Fall des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG

setzt voraus, dass der den Besteuerungsvorgang auslösende Erwerbsvorgang innerhalb

eines Zeitraums von 2 Jahren wieder rückgängig gemacht wird. „Rückgängig

gemacht” ist nach der ständigen Rechtsprechung ein Erwerbsvorgang dann, wenn

- die zivilrechtliche Aufhebung des Rechtsgeschäfts stattgefunden hat,

und

- der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung einschließlich der damit

verbundenen Verfügungsmacht wiedererlangt hat (BFH v. 19. 3. 2003 –II R

12/01, BStBl II 2003, 770; BFH v. 25. 4. 2007 - II R 18/05, BStBl II 2007,

726).

Die formale Rückgängigmachung des Erwerbsgeschäftes bereitet dabei regelmäßig

den geringsten Aufwand. Dieses wird einfach aufgehoben. Die problematische

Komponente des Tatbestandes ist auch die wirtschaftliche Wiedererlangung der

Eigentümerstellung. In allen Fällen des Durchhandelns, in denen der Ersterwerber

zwar formal seine Rechte aus dem Erwerbsvertrag aufgibt, er aber durch die

Bestimmung des Zweiterwerbers faktisch von der über das Grundstück gewonnen

Verfügungsmacht weiter Gebrauch macht, sind die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1

Nr. 1 GrEStG nicht gegeben.

Das FG hatte den Fall einfach dadurch entschieden, dass es schon in der Verbindung

der Aufhebung des Erstkaufvertrages mit dem Abschluss des Zweitvertrages keine

ausreichende Grundlage für eine Rückgängigmachung des Kaufvertrages sah.

S. 381 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Im Grundsatz ist diese Verbindung auch nach dem BFH ein starkes Indiz dafür, dass

eine Wiedererlangung der Verfügungsmacht nicht gegeben ist. Denn durch die

Verbindung der beiden Vorgänge in einer Urkunde hat der Verkäufer gerade nicht die

freie Hand, sich den neuen Vertragspartner auszusuchen.

Das allein schließt nach dem BFH aber die Anwendung des § 16 GrEStG noch nicht

vollends aus. Ist aus den vom Erstkäufer nachzuweisenden Umständen des Falles es

nämlich so, dass es nicht er ist, der mittels des verbundenen Geschäfts über eigenwirt-

schaftliche Interessen verfügt, sondern vielmehr der Verkäufer, der darauf dringt,

beide Verträge zu verbinden, dann kann die Norm doch zur Anwendung gelangen.

Ob ein solcher Fall konkret vorlag, hatte der BFH letztlich nicht zu entscheiden, da es

der weiteren Sachverhaltsermittlung bedurfte und entsprechend zurückverwiesen

wurde.

c) Praktische Bedeutung

Die Rückgängigmachung von Erwerbsvorgängen stellt im Hinblick auf die

grunderwerbssteuerliche Behandlung des Vorgangs immer ein gewisses Problem dar.

Tritt einer der Partner wegen Leistungsstörungen vom vertrag zurück, ist die Sache

regelmäßig einfach. Probleme bereiten die Konstellationen immer dann, wenn der

Vertrag zwar aufgehoben werden soll, dies aber nur verknüpft mit einem Folgevertrag

geschieht. Die Rechtsprechung liegt natürlich richtig in ihrer Auffassung, dass in nicht

seltenen Fällen die Aufhebung des Erstvertrages nur geschieht, um die Grunderwerbs-

steuer sparen zu wollen, der Erstkäufer aber tatsächlich von seiner wirtschaftlichen

Verfügungsstellung Gebrauch machen möchte, indem er bestimmt, an wen die

Zweitveräußerung erfolgt. Diese Fälle sind keine der Rückgängigmachung im Sinne

des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Werden die Aufhebung des einen Vertrages und die

S. 382 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

Neubegründung des anderen in einer Urkunde vereinbart, liegt ein erhebliches Indiz

dafür vor, dass keine freie Verfügungsmacht besteht.

Wie schon im Bereich der Kettenschenkungen für das Schenkungssteuerrecht hat der

BFH aber auch hier eine von der rein formalen Rechtsbetrachtung hin zu einer inhalt-

lichen Bewertung weggehende Wertung vorgenommen. Allein die Tatsache, dass zwei

Rechtsvorgänge in einer Urkunde verbunden sind, ist zwar ein erhebliches Indiz für

die Ausübung fortbestehender Kompetenzen am Vertragsgegenstand (bei der

Schenkung des Erstschenkers, beim Grundstückskaufvertrag des Erstkäufers), dieses

Indiz kann aber aus den sonstigen Umständen der Transaktion heraus widerlegt

werden.

Ist es, wie nicht selten, der Verkäufer, der auf einer Beurkundung der Entlassung nur

gleichzeitig mit oder sogar erst nach der Neubindung des Zweiterwerbers besteht, weil

er nur so bereit ist, den Erstkäufer aus seinen vertraglichen Verpflichtungen zu

entbinden und ist es dem Erstkäufer grundsätzlich selbst gleichgültig, ob es zu einer

solchen Bindung kommt, solange er nur aus den Verpflichtungen entlassen wird,

kommt die Anwendung des § 16 auch in solchen Gestaltungen in Betracht.

Es ist Sache der Beteiligten, den der Rückgängigmachung zugrunde liegenden

Sachverhalt so klar darzulegen und idealerweise auch in der Urkunde zu dokumen-

tieren, dass sich die Voraussetzungen der Nichtfestsetzung daraus ersehen lassen.

S. 383 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

IV. Versteigerung eines GbR-Grundstücks (K)

BGH, Beschl. v. 16.5.2013 - V ZB 198/12, DNotZ 2013, 930 = ZNotP 2013, 314 = NotBZ 2013, 429 (m. Anm. Krauß) = ZMR 2013, 904 (m. Anm. Schneider) = ZfIR 2013, 734 (m. Anm. Becker) = EWiR 2014, 39 (Kesseler); dazu auch Reiff in: LMK 2013, 352161

1. Der Entscheidungssachverhalt

Eine GbR war Eigentümerin eines Grundstücks und als solche auch im Grundbuch eingetragen. Unter Nachweis des Zugangs der Kündigungserklärung durch öffentliche Urkunde beantragte ein kündigender Gesellschafter die Teilungsversteigerung des Grundstücks. Auf die Anordnung der Zwangsversteigerung durch das Vollstreckungsgericht reagierten die Mitgesellschafter mit einem Antrag auf einstweilige Einstellung des Verfahrens. Dieser Antrag wurde sowohl vom Vollstreckungs- wie auch vom Beschwerdegericht zurückgewiesen.

Das Beschwerdegericht hatte ausgeführt, für die Auseinandersetzung von Grundbesitz einer GbR gälten nach § 731 S. 2 BGB die Reglungen über die Auseinandersetzung der (Bruchteils-) Gemeinschaft. Danach sei über § 753 Absatz 1 BGB die Teilungsversteigerung Modus der Auseinandersetzung. Für die Einleitung des Verfahrens sei es nur erforderlich, den Zugang der Kündigung der Gesellschaft in öffentlicher Form nachzuweisen; der Nachweis der materiellen Wirksamkeit der Kündigung sei gerade nicht erforderlich.

2. Die Entscheidung

Die Frage, inwieweit die Rechtsfähigkeit der GbR die Teilungsversteigerung überhaupt noch ermöglicht (zweifelnd Hintzen, in: Dassler/Schiffhauer, ZVG, 14. Auflage, 2012, § 180 Rn. 27; Becker, ZfIR 2013, 314, 318), handelte der V. Senat sehr kurz ab. Solche Überlegungen entbehrten allein deshalb der rechtlichen Grundlage, weil die gesetzliche Anordnung in § 731 S. 2 BGB nun einmal eindeutig sei.

Intensiv beschäftigte sich der Senat dagegen mit der Frage der Antragsberechtigung und dem notwendigen Kündigungsnachweis bei der GbR. Der V. Senat schließt sich der überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung, wonach diese Antragsbefugnis bei jedem einzelnen Gesellschafter liegt, unter Verweis auf seine entsprechenden Überlegungen im Urteil vom 29. November 2007 – V ZB 26/07- an. Er bleibt dabei allerdings nicht bei dem bloßen Verweis auf den Wortlaut des § 731 S. 2 BGB stehen, sondern beschäftigt sich auch nahezu lehrbuchartig mit der Auslegung der Norm. Das Urteil ist insoweit ein Lehrstück juristischer Methodenlehre dar. Nach Wortlaut (Randziffer 12) Gesetzeshistorie (Randziffern 13ff.) wendet sich der Senat auch der Zielrichtung der Norm unter besonderer Betrachtung der geänderten Rechtausfassung zur Rechtsfähigkeit der GbR (Randziffern 16ff.) zu. Entscheidend sei

S. 384 Herrler/Hertel/Kesseler – DAI-Immobilienrecht 2013/2014

danach, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der gewandelten Rechtsaufassung zur Rechtsfähigkeit bei der Einfügung der Sonderbestimmungen der GbR gerade darauf verzichtet habe, auch das Abwicklungsverfahren demjenigen der Personenhandels-gesellschaften anzugleichen.

Zu klären hatte der Senat damit noch, ob eine Verpflichtung des Gesellschafters besteht, die Wirksamkeit seiner Kündigung nachzuweisen. In Fortführung des Lehrstücks wird auf Unterschiede und Parallelen des Rechts der Gesellschaft zu dem der Gemeinschaft hingewiesen. § 723 Abs. 1 BGB sehe auch bei der GbR ein jeder-zeitiges Kündigungsrecht vor. Zwar gebe es die Möglichkeit, Vereinbarungen zu Kündigungsbeschränkungen zu treffen. Diese bestünden aber ebenso bei der Gemeinschaft. Solche Beschränkungen nachzuweisen sei eben der Beweislast der übrigen Mitglieder der Gesellschaft bzw. der Gemeinschaft zugewiesen. Ihnen stehe dazu die Möglichkeit der Widerspruchsklage nach § 771 ZPO (im Urteil ist fälschlich von BGB die Rede) zur Verfügung. Der Senat sieht bei der Abwägung des Auseinandersetzungsinteressen des einzelnen Gesellschafters auf der einen und dem der Mitgesellschafter auf Beachtung der möglicherweise bestehenden Kündigungs-beschränkungen auf der anderen Seite keinen Anlass, von der gesetzgeberischen Grundentscheidung abzuweichen. So wie die Widerspruchsklage nach § 771 ZPO analog die Mitgesellschafter lastet, würde umgekehrt die Notwendigkeit der Teilungsklage den kündigenden Gesellschafter im umgekehrten Fall belasten. Dass der Gesetzgeber dem grundsätzlich freien Kündigungsrecht nach § 723 Abs. 1 BGB für die Umsetzung des Teilungsversteigerungsverfahrens nur den Nachweis der Zugang der Kündigung an die Seite gestellt habe, sei entsprechend logisch konsequent.

3. Bewertung

Beim ersten Lesen der Entscheidung stellt sich die beinahe zwangsläufig die Frage, warum der V. Senat seitenlang ein Urteil begründet, das sich schon aus dem Gesetzeswortlaut ergibt. Der Senat hat die Entscheidung genutzt, nicht nur das Problem der Befugnis zur Einleitung der Teilungsversteigerung bei der BGB-Gesellschaft zu lösen.

Der BGH hat einen Wegzeiger gesetzt, wie er sich bei der Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen zur GbR im Hinblick auf deren nunmehr anerkannte Rechtsfähigkeit zu positionieren gedenkt. Der V. Senat hat der Praxis klar zu verstehen gegeben, dass er sich in Zweifelsfragen an den Wortlaut des Gesetzes zu halten und eine neue Auslegung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen aufgrund der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft nicht vorzunehmen gedenkt. Dass dies mit dem Hinweis darauf geschieht, der Gesetzgeber habe gerade von einer Neuregelung der entsprechenden Bestimmungen zur GbR abgesehen, gibt die Richtung klar vor.