Adolf Erman und Paul de Lagarde

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Transcript of Adolf Erman und Paul de Lagarde

· . Agyptologie

als Wissenschaft j\dolfI~rman (1854-1937) in seiner Zeit

I Icrausgcgcbcn von

ßcrnd U. Schipper

\ .... v ,-..J'T' AA "1(.:.0

Seminar für Ägyptologie und Koptologie " der Universität '" Wcendcr Ulndstr. 2

0-37073 Göttingen

\,\Taltcr de Gruyter . Berlin . New York

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hoff, Stefan, 1977 - 11. Series. 1'224.\148 20{J(, 414'.6-dc22

- Research - ~lt:th()d"l()g\'.

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I. Sud-

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VIII Vorwort

Anna Neumaier behilflich. Letztere hat freundlicherweise auch das Register erstellt und zusammen mit Frau Petra Wagner, M.A. die Korrekturen gelesen.

Mein besonderer Dank gilt den Enkeln Adolf Ermans, Herrn Henning Baensch und Frau Barbara Geitner. Sie standen rur viele Gesprtlche zur Verfü­gung und machten zudem bislang unpubliziertcs Material aus dem privaten Nachlass Adolf Ermans zugänglich.

Für die Gewährung von DruckkostenzuschUssen danke ich der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, dem Rektorat, dem Fachbereich 9 ,Kulturwis­senschaften' und dem Institut rur ReligionswissenschaftJReligionspädagogik der Universität Bremen.

Bremen, im Mai 2006 Bemd U. Schipper

Inhalt

Vorwort .................................................................................. VII

I AdolfErman (1854-1937)

BERND U. SCHIPPER

Adolf Erman (1854-1937) - Leben und Werk ................................. I

EUSABETII BENEKE-BACKI lAUS

Die Familie Erman Eine Gelchrtenfamilie des 19. Jahrhunderts .................................. 27

BARBARA GEITNER & HENNING BAENSCH

Erinnerungen an Adolf Erman .................................................. 52

II Ägyptologie als Wissenschaft - Adolf Ermans Forschungen zum Alten Ägypten-

ALFRED GRIMM

Wege - Werke - Wirkungen: Anfänge und Kritik ägyptologischer Forschung im 19. Jahrhundert ....... 65

JAN ASSMANN

AdolfErman und die Forschung zur ägyptischen Religion ................. 90

KLAUS KOCH

Adolf Erman und die ägyptische Religionsgeschichte ..................... 113

JIELMUT SATZfNGER

Adolf Ermans Forschungen zu Grammatik lind Sprache des Alten Ägypten ................................................................... 141

x Inhalt

ANTONIO LOPRIENO Adolf Erman und die ägyptische Literatur .......................... · .. ··· .. 150

STEPHAN JOHANNES SEIDLI'v1A YER

Das Ägyptische Wörterbuch an der Berliner Akademie: Entstehung und Konzept.. ...................................................... 169

HEINZ 1. THISSEN

AdolfErman und die Gründung des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo ........................................... 193

BIRGIT SPINELL!

"Der Erwecker der ägyptischen Sammlung." AdolfErman und das Berliner Museum ...................................... 202

WOLFGANG SCHENKEL

Bruch und Aufbruch AdolfErman und die Geschichte der Ägyptologie .......................... 224

III Wissenschaft, Politik und Gesellschaft - Adolf Erman in seiner Zeit -

THOMAS ELSMANN

Der Erman-Nachlass in der Bremer Staats- und Universitätsbibliothek ........................................................... 24 8

LOUISE GESTERMANN

AdolfErman und die internationale Ägyptologie ........................... 258

HEIKE BEHLMER

AdolfErman und Paul de Lagarde ............................................ 276

HANSKLOFT

Adolf Erman und die Alte Geschichte. Der Briefwechsel mit Eduard Meyer und Ulrich Wilcken ................. 294

Inhalt XI

WILLIAM M. CALDER 111 Adolf Erman and Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff Reconsidered ..................................................................... 330

STEFAN REBLNICII

Adolf Erman und die Berliner Akademie der Wissenschaften ........... .340

ALEXANDER-KENNETII NAGEL

Adolf Erman im Lichte der Historischen Soziologie ....................... 371

CIlRISTOI'Il AUFFARTII

Ein Gesamtbild der antiken Kultur. Adolf Erman und das Berliner Modell einer Kulturwissenschaft der Antike um die Jahrhundertwende 1900 ................................. 396

RÜDIGER VOM BRUCH

Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Adolf Erman in seiner Zeit ................................................... .434

Personen- und Namensregister .................................................... .449

Autorenverzeichnis ................................................................... .455

AdoIf Ennan und PauI de Lagarde*

Heike Behlmer

Am 7. Juli 1880 schreibt der 25jährige Adolf Erman, der sich gerade zur Habi­litation an der Berliner Universität angemeldet hatte, an einen Gelehrten einer anderen deutschen Universität: .. Gern käm ich den Winter zu Ihnen und hörte Aegyptisch! Es wird das erste mal sein, das es mit Vernunft gelesen wird' die ,hieroglyphische' Grammatik die die Aegyptologen zu lesen pflegen is; ein Monstrum, das man gehört haben muss, um es rur möglich zu halten."1 Dieser Wunsch Ermans sollte nicht in Erfllllung gehen: Erman blieb in ßerlin und der Gelehrte musste das geplante "Aegyptiacum" absagen, weil er gebeten worden war, ei~ anderes Kolleg abzuhalten. Wer war dieser ältere Kollege, dessen KenntnIsse der ägyptischen Grammatik Erman so lobte und mit dem ihn eine herzliche Abneigung gegen "die Aegyptologen" verband, die der hieroglyphi­schen Grammatik in bei der Augen Gewalt antaten?

Dieser Wissenschaftler, mit dem Erman über einen Zeitraum von einem Jahrzehnt über 40 Briefe austauschte, den er in seinem Wohnhaus besuchte, in dessen "strenge Zucht" er einen seiner begabtesten Schüler gab und mit dessen Frau er auch nach dem Tode des Gelehrten weiter korrespondierte, ist der

• Ic.h d~nkc dcm Lcitcr dcr Abteilung "Handschriften und Scltcnc Drucke"' der Nieder­sachslsc.hen Sta~ts-. und Universitätsbibliothck Götlingcn, Dr. Hclrnut Rohlfing fUr die Eriaubllls zur Elllslchtnahme in die Korrespondcnz und Manuskripte des Na~hlassc5 Paul ~e Laga:dc.s. Für dic hilfreiche Bctreuung während dcr Durchsil:ht und zahlreiche Auskunfte blll Ich den Mitarbeitern der IIandschriflcnabteilung insbesondere aber Frau Bärbel ~und, verpflichtet. Der Staats- und Universitätsbibli~thl.!k Bremen, Refe­~at Handschriften-Rara, vertretcn durch den Referentcn Dr. Thomas Elsmann danke Ich fll d Mö I' hk' d' . , . r IC g IC CI!, le Brlcfe Lagardes und seiner Frau Anna an Adolf Emlarl elllzusehen. Für zahlreiche Hinweise und Kommcntarc bin ich auch Dr. Matthias Mül­I~r,. Bascl,. zu D~nk v.erpflicht.ct. Die folgendcn Ausführungen überschneiden sich in ellligen Teilen m~t melllcm Beitrag "Ein neo-koptischer Bricf Adol fEnnans an Paul de Laga~de - Zeugllls für eine wissenschallsgcschichtliche Wende in der Erforschung des Koptischen" (BEHLMER 2003a). Brief Adolf Er:mans vom 7. Juli 1880 in dcr Abteilung Handsl:hrillen und Seltene Drucke" d' Nd' h' h " Ü . er le .ersäc SISC en Staats- und Univcrsitätsbibliothek Göttingen. Für eine

?erslcht über dlc nachgclassene Korrespondenz zwisl:hen Ennan und Lagarde s.u. mit Anm. 12.

Adolf Erman und raul de Lagarde 277

Göttinger Orientalist und umstrittene Kulturkritiker Paul de Lagarde.2 Der formative Einfluß Lagardes auf den jungen Erman, der in den uns erhaltenen Briefen hervortritt, ist kaum bekannt und soll hier nachgezeichnet werden. Beider Korrespondenz ist jedoch nicht nur auf einer persönliche Ebene interes­sant: sie spiegelt weitreichende Ver11nderungen in der Entwicklung der Ägyp­tologie in der Zeit um 1880 und im Zugang zur 11gyptologischen Sprachwis­senschaft im besonderen wider.

Ich werde im folgenden die Person und den Wissenschaftler Paul de La­garde vorstellen und danach die Hauptstränge der Korrespondenz zwischen Erman und Lagarde skizzieren. Anschließend werde ich die Themen der Kor­respondenz auf ihren jeweils individuellen oder zeittypischen Charakter hin befragen. Ich hoffe, zeigen zu können, dass Paul de Lagarde eine wichtige Figur in der wissenschaftlichen Entwicklung des jungen Adolf Erman war. In einer Zeit, in dcr dcr Grundstein rur fast alle einschneidenden Veränderungen in der ägyptologischen Wissenschaft gelegt werden sollten, die mit dem Na­men Adolf Erman verbunden sind, sollte Erman bei dem eine Generation älte­ren Lagarde Unterstützung rur sein Bestreben finden, die Ägyptologie von einer reinen Denkmälerkunde zu einer an der semitischen Philologie orientier­ten textgestUtzten Wissenschaft zu machen.

Paul de Lagardc

Paul de Lagarde (1827-1891) ist der Nachwelt vor allem durch zwei Teile seines umfangreichen (Euvres im Gedächtnis geblieben: seine kulturkritischen Schriften und seine Arbeit am griechischen Text des Alten Testaments. Lagar­de ist zum einen der kulturkritische Essayist, der sich in zahlreichen auf die Jahre 1875-1885 konzentrierten Schriften gegen einen Staat wendet, der in seinen Augen von Materialismus und Liberalismus dominiert wird. Lagarde setzt diesem Staat sein das Ideal einer erneuerten Nation entgegen, die sich auf eine umfassende ßildungsreform, eine weitgehende Re-Agrarisierung und

2 Zusammenfasscnde modeme Würdigungen der RoBe Lagardes in der Geschichte von Theologie und Orientalistik linden sich bei IIEILIGENTHAL 1990 und STEIMER 1997. Die bckannteste Studie zum politischen Dcnken Paul de Lagardes ist STERN 1961. Zu Lagardes politischer Theologie s. HANlIART 1987: 285-300. Weitere Literatur zu La­gardes Thcologie und religionspolitischem Programm sowie ein Werkverzeichnis fin­d.:n sich in 11EtLIGENTHAL 1990. - Zum Nachlass Adolf Ernlans in der Staats- und U­niversitätsbibliothek Bremen s. GESTERMANN & SGIIPPER 2004.

278 Ileikc ßehlmer

einen respiritualisierten Protestantismus gründen sollte.) Diese ideale Nation Lagardes war expansionistiseh und antisemitisch - Juden mUssten entweder vollständig in der neuen Nation aufgehen oder emigrieren - und so verwundert es nicht, dass Lagardes Gedanken im Nationalsozialismus popular waren, auch wenn ihm vorgeworfen wurde, dass sein Antisemitismus ein geistiger, kein rassegestUtzter war.

Obwohl Lagardcs einzige Professur die rur Orientalische Philologie an der Universität Göttingen war, die er von 1869 bis zu seinem Tode innehatte, sah er sich zeitlebens als Theologe. Ein groß angelegtes theologisches Projekt ist dann auch der zweite Teil seines Werkes, der ihm einen Platz in der Wissen­schaftsgeschichte eintrug: eine kritische Ausgabe der Septuaginta, ein Projekt, das er nicht vollenden konnte. 4 Obwohl Lagarde sich selbst als Theologe und nach dem Scheitern einiger früher Projekte die Septuaginta als sein Lebens­werk sah, hatte er bereits in seinen Studentenzeiten eine genuine Liebe zur ägyptischen Sprache und besonders zu ihrer letzten Phase, dem Koptischen, entwickelt. Diese Liebe sollte ihn zeitlebens begleiten und ihn in Versuchung ruhren, seine Septuagintaarbeit zugunsten zu edierender koptischer Texte zu vernachlässigen. Zu edierende koptische Texte sind es dann auch, die - nach einem wenig belangreichen Vorläufer - der Auslöser fur den Austausch zwi­schen Erman und Lagarde sein wUrden.

Lagardes Begeisterung fur das Koptische begann während seines Studiums bei Moritz Gotthilf Schwartze, einem der Pioniere der Koptologie in Deutsch­land.s Diese Begeisterung Lagardes schlug sich Anfang der 50er Jahre in eini-

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STERN 1961 wirft Lagarde und anderen deutschen Intellektuellen des ausgehenden 19. Jh. vor, ihren ganz persönlichen existenziellen Pessimismus als politisches Problem be­trachtet und durch ihre Schriften in dieser Richtung in der Bevölkerung vorhandene Tendenzen gebündelt und verstärkt zu haben. Die Unmöglichkeit, ihre utopischen Lö­sungsvorschläge in die Tat umzusetzen, habe ihren eigenen Kulturpessimismus und den ihrer Anhänger nur verstärkt und den Boden flir die nationalsozialistische Ideolo­gie bereitet. VIAENE 1996 möchte Sterns Ergebnisse modifizieren. Lagarde fehlten, so Viaene, entscheidende Elemente des nationalsozialistischen Denkens wie Rassismus. Neopaganismus und der Führergedanke. Eine neue politische und intellektuelle Bio­graphie Paul de Lagardes bereitet Ulrich Sieg, Marburg, vor. Lagarde bleibt jedoch zumindest durch seinen letzten Schüler Alfn:d Rahlfs Initiator des Septuaginta-Unternehmens, das bis heute an der Göttinger Akademie der Wissen­schaften angesiedelt ist. Von Rahlfs haben wir auch eine ausfuhrliche Biographie Paul de Lagardes, verfasst ursprünglich flir eine Festsitzung der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften anlässlich des 100. Geburtstages (RAIIl.FS 1928). Schwartze verfolgte das Ziel einer Ausgabe des koptischen Neuen Testaments, ver­starb jedoch nur 46jährig 1848 und hinterließ lediglich eine Evangelienausgabe (SCHWARTlE 1846-47). Zu Moritz Gotthilf Schwartze s. ENDES FELDER 1988, 7-9; IRMSCHER 1988; POLOTSKY 1987, 10--13. Eine Zusammenstellung da koptologischen Werke Schwartzes lindet sich bei KRAUSE 1978,2.

Adolf Erman und Paul de Lagarde 279

en während seiner Privatdozentenzeit in Halle entstandenen Werken nieder.6

~ine negative Rezension des gleichaltrigen Ägyptologen Heinrich Brugsch zu einer dieser frühen koptologischen Arbeiten Lagardes' sollte dessen Beziehung zu den tlgyptisch-koptischen Studien jedoch nachhaltig trüben8 und den Grundstein fUr eine dauerhafte Abneigung Lagardes gegen seine eigene Gene­ration von Ägyptologen legen. Auch Lagardes Plan, das Werk seines Lehrers Schwartze fortzufUhren und eine Ausgabe des Neuen Testamentes auf der Basis der orientalischen Versionen zu besorgen, scheiterte. Diese RUckschläge und seine berufliche Situation, die ihn zwang, nach der Habilitation von 1854-1866 als Gymnasiallehrer in Berlin zu arbeiten, führten zu einer längeren Un­terbrechung seiner Arbeit an koptischen Texten.

Die Korrespondenz mit Adolf Erman

Bereits während seiner Arbeit im Schuldienst hatte Lagarde eine Ausgabe der Septuaginta geplant. 1866 wurde er dann durch ein dreijähriges Forschungssti­pendium fur die wissenschaftliche Arbeit freigestellt und 1869 als Nachfolger Heinrich Ewalds nach Göttingen berufen.

In Göttingen fand er zumindest nominell seinen alten "Feind" Heinrich Brugsch vor, fur den 1867 ein ägyptologischer Lehrstuhl. ei.nge~~c~tet worden war. Oe facto jedoch war Brugsch jedes Jahr nur kurze Zelt l~ Gottmgen, da er bereits weniger als zwei Jahre nach seiner Ernennung nach Agypten beurlaubt worden war: um dort auf Einladung der ägyptischen Regierung einheimische Ägyptologen auszubilden.9

. ' Als Adolf Erman und Paul de Lagarde 1880 ihren wlssenscha~~lchen AU~-

tausch aufnehmen, gibt es in Göttingen keinen Professor rur. Agyptologte mehr, denn Bmgsch war nach einigen Jahren ganz in den .ägypt.lschen .. St~ats­dienst eingetreten. Lagarde selbst setzt alles daran, dass kem weiterer Ag)'pto-

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LAGARDE 1852a; 1852b; 1852c. L' B hs Rezensi­Zu lIeinrich Brugsch s. jetzt I3EIIL~1ER 2003b mit älterer lIeratur. llrughscrjl 1853 . - . . ifi d D h" fo ·enländlschen Gese sc a / von . on erschien In der Zel/selm / er eu/sC tn J> rg . d I' h Z '11 .. . . k e Entoegnuncr m er g elc en e-Lagarde veröffentlichte zunachst nur eme ganz urz 0 "'

schri ft. - 1853" er ("ast .. . d B ' h R'zenslon von m em ., Dies Wird daran deuthch~ dass Lagar e .~gs~ ~ hr\t f 40 Seiten Punkl rur Punkt dreißig Jahre spätcr erschienenen Rechtfertlgunossc I au. hte nl'cht ohne . h Ib r. I- h' Lungen nachzuweisen suc -zu Widerlegen und Brugsc se st.a sc e ~s. . A k zitierte kurze Erfolg: LAGARDE 1880,25--<>5; dort S. 63 die m der vongen nmer ung Erwiderung auf I3rugschs Kritik von 1853. REID 2002,11&-118.

280 IIcikc ßchlmcr

loge nach Göttingen berufen wird. lo Möglicherweise hätte er, wl1re Adolf Er­man eine Generation älter gewesen, diesen Widerstand aufgegeben. Denn, um es vorwegzunehmen, wird Adolf Erman die Ägyptischkenntnisse des Theolo­gen Lagarde, der infolge der negativen Rezension Heinrich Brugschs die Rest­auflage seiner koptologischen Jugendwerke als Altpapier verkaufte,11 weitaus höher schätzen als die Brugschs. Es wird andererseits Erman und dessen SchU­ler Georg Steindorff, der bei Lagarde studierte und 1884 mit einer Dissertation zur ägyptisch-koptischen Grammatik promoviert wurde, gelingen, die Abnei­gung Lagardes gegen die Ägyptologen seiner Zeit zumindest zu mildem.

Das erste StOck der Korrespondenz zwischen Erman und Lagarde ist ein kurzer Brief des cand. phi!. Adolf Erman vom 17. November 1876, in dem der damals 22-jährige eines der syrologischen Werke Lagardes bestellt. Der ei­gentliche Austausch beginnt jedoch, wie erwähnt, erst 1880 und dauert ein Jahrzehnt an.

Im Nachlass Paul de Lagardes in der Abteilung "Handschriften und Sclte­ne Drucke" der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttin­gen gibt es 37 Briefe und 13 Postkarten Adol fErmans an Paul de Lagarde, in Bremen 34 Briefe und Postkarten Lagardes an Erman. 12 Eine kleinere Anzahl von Briefen oder Karten, die Lagardc Erman nach Ausweis der jeweiligen Gegenstücke in den Jahren 1886 bis 1890 geschrieben haben muss, sind mög­licherweise in den Leipziger Teil des Nachlasses Adolf Ermans gelangt und damit heute verloren. J3 Dazu kommen in Göttingen drei Briefe Adolf Ermans an Lagardes Frau Anna aus den Jahren 1891 (ein Kondolenzschreiben zum Tod Lagardes), 1894 und 1897 sowie in Bremen 10 Briefe von Anna de La-

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In einem Brief vom 6. Mai 1885 an den preußischen Kultusminister von Goßler erin­n~rt Lagarde ~aran, dass " ... die Goettinger Professur der Aegyptologie ausdriicklich eJngezo~en S~I, und daß ich selbst es gewesen, der in da FakultUt ... den Antrag sie durch ell1e. dritte Professur der klassischen Philologie zu ersetzen gestellt, rur welche Professur Ich nachmals Dilthey (den Altphilologen und Archäologen Kar! Dilthey [J839-/907). Anm. d. Ver/) vorgeschlagen". An ein Posamentiergeschäft: LAGARDE 1880,64. Zu den Briefen Paul und Anna de Lagardes an Erman s. einstweilen das Nachlassver­zeichnis von Hans Kloft: KLOFT 1982, 75. Die Korrespondenz Ermans mit Paul und Anna de Lagarde findet sich in Göttingen unter folgenden Signaturen: Adolf Erman an Paul de Lagarde: Cod. Ms. Lagarde 150:321; Adolf Erman an Anna de Lagardt:: Cod. Ms. Lagarde 168: 106. Der Nachlass ist vor kurzem um restauriert worden, indem die alten, z.T. stark beschädigten Einbände entfemt, die Konvolute aufgelöst und die Brie­fe nach Korrespondenten sortiert zusammengeflihrt wurden. Die alte, alphabetisch nach Korrespond~nte? gefuhrte Kartei wird durch eine computergestUtzte Datenauf­nahme ersetzt, die die Benutzung des Lagarde-Nachlasses sehr vereinfachen wird. Verantwortlich fur diese Arbeit ist Bärbel Mund. GESTERMANN und SCIIIPPPER 2004, 40.

Adolf Erman und Paul de Lagardc 281

garde an Adolf und Käthe Erman aus dem Zeitraum von Mai 1899 bis Mai

1902. 14

Themen des Austausches zwischen Erman und Lagarde

Es gibt eine beachtliche Vielfalt von unterschiedlichen Themen, die Lagarde und Erman mit großer Selbstverständlichkeit ansprechen, jedoch lassen sich mehrere Ilauptstränge in der Korrespondenz erkennen. Ich gehe bei der Darle­gung grob chronologisch vor, Überschneidungen können dabei aber nicht vermieden werden.

(I) Am Anfang des wissenschaftlichen Austausches steht 1880 die Kor­respondenz uber die Abschriften koptischer Texte, die Lagardes Berliner Kop­tisch lehrer Schwartze angefertigt hatte. Lagarde hatte sich in Berlin nach dem Verbleib von Schwartzes Abschriften erkundigt. Diese wiederum waren von Erman gekauft worden, der sie in einem Brief vom 28. März 1880 Lagarde zur Verfugung stellen möchte. 15

Die postwendende Antwort Lagardes vom 29. März 1880 deckt - als ein Beispiel von mehreren - auf, wie groß die Versuchung ist, die die Beschäfti­gung mit koptischen Texten fur ihn darstellt, eine Versuchung, der er nur müh­sam widerstehen kann:

.,Es ist außerordentlich gütig von Ihnen, geehrter Herr, mir Kenntniss von Schwartles Abschriften zu geben, und mir Ihr Eigenthum zur Benutzung anzubie­

ten. Ich danke herzlich dafür. Allein ich werde kaum Gebrauch von Ihrer Freund­

lichkeit machen können. Ich bin zu überbürdet mit LXX und was mit der LXX zusammenhängt, dass ich zwar nicht vermeiden will auch noch immer Koptologie

b· . ..16

zu treihen, aber es doch nicht suchen darf, so verlockend Ihr Aner leten 1St.

Lagarde schlägt Erman stattdessen vor, die alttestamentlichen Bibeltexte im sahidischen Dialekt des Koptischen aus den Abschriften zu exzerpieren: "ich würde dieselben in unserer Akademie vortragen, und drucken lassen können",

14 Der Frage, ob es weitere Korrespondenz zwischen Anna de L.agarde und den Ermans gegeben hat, bin ich nicht weiter nachgegangen. Der persönhche Ton und Inhalt der Korrespondenz legt dies aber nahe. Es muss auch angemerkt \~erden, dass de~ Lagar­de-Nachlass nicht unzensiert in die Göttinger Universitätsbibhothek gelangt 1St. ~1an kann deutlich sehen, dass Teile \on Briefen oder ganze Briefe entfernt worden smd, verantwortlich flir die Auswahl war Anna de Lagarde. . .

15 Alle im Folgenden zitierten Briefe Adolf Ermans an Paul de Lagard.e befinden Sich m der Abteilung "Handschriften und Seltene Drucke" der NiedersächSIschen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. . .,

16 Brief Lagardes vom 29. März 1880 in der Staats- und Universllätsblbhothek Bremen, Referat IIandschriften-Rara.

282 I Icike Behlmcr

Nur sechs Wochen später schickt Erman die "sacidischcn Fragmente des A.T., die sich in Schwartzes Abschriften vorfinden. Alles in allem sind es, glaub ich, keine 20 Quartseiten im Druck, nicht der dritte Theil von dem was noch in der Propaganda steckt!"'7

(2) Ern1an, und dies ist ein weiteres Thema der Korrespondenz, spricht hier die koptischen Bibelhandschriften aus der Sammlung des Kardinals Stefa­no Borgia an, die in den Besitz der Congregalio de Propaganda Fide Uberge­gangen waren l8 und deren Edition (nach Abschriften des ägyptischen Bischofs Agapius Bsciai) Lagarde gemeinsam mit dem italienischen Fachkollegen Igna­zio Guidi plante. Dies wurde aber durch den Vatikan unterbunden, der die Ausgabe dem späteren Kardinal Agostino Ciasca (1835-1902) Ubertrug. '9

Gegenstand mehrerer Briefe der Jahre 1881 und 1882 sind die aus Lagardes Sicht unerfreulichen Transaktionen mit Bsciai, der tllr die Überlassung seiner Abschriften auch eine finanzielle Kompensation erwartet hatte.

(3) Auch andere italienische Handschriftenbestände waren von großem In­teresse tllr Lagardes Septuaginta-Arbeit, und Anfang der 80er Jahre reiste Lagarde, von britischen Mäzenen unterstützt, zweimal nach Rom, Florenz und Turin, hauptsächlich zur Kollationierung griechischer Handschriften des Alten Testamentes. Er beschränkte sich jedoch nicht auf diese Arbeit. In Turin kolla­tionierte Lagarde den sahidischen Text des Ecclesiasticus und der Weisheit Salomos, und diese Arbeit bildet den Gegenstand mehrerer Briefe der Jahre 1880-1883 - dem Zeitraum zwischen der Ankündigung Lagardes, dass er eine Ausgabe vorbereite und dem Dank Ermans fur die Zusendung eines Exemplars der Publikation.20 Erman hatte großes Interesse an den Turiner Texten und

17 ERMAN 1880. 18 Zu Stefano Borgia und seiner Sammlung s. LANGELLA und MAMMUCARI 1995. 19 Erschienen als ClASCA 1885 und 1889. LAGARDE 1884-1891,200-202 fuhrt I.agarde

aus, warum er die angekündigte Ausgabe der "fragmenta bibliorum aegyptiacorum borgiana" nicht liefern könne: Ciasca sei, einem Brief Guidis zufolge, bereil gewesen zu~ckz.utreten, dies habe aber die Congregalio de Propaganda Fide, die die Manu­skripte Im Besitz halte, nicht zugelassen. Der Rrief Guidis vom 30. Januar 1884 zitiert Ciasca folgendermaßen: ,,11 P. Ciasca ehe mi ha scrilto oggi in proposito, mi aggiunge ch.e ha avuto molto dispiacere di questo incidente e ehe, se fosse dipeso unicamcntc da IUI, I'avrebbe volentieri evitato .....

20 Eine Abschrift beider Texte war LaganJe bereits 1852 von Amedeo Peyron (1785-1870), der 1824 die koptischen Handschriften in Turin in Empfang genommcn hatte und selbst Autor einer koptischen Grammatik war, nach Halle geschickt worden. Die Ausgabe (LAGARDE 1883) enthält außer den Turiner Bibeltexten Textc zum Tod des neutestamentlichen Joseph und der Jungfrau Maria aus einem vatikanischen Kodcx sowie kirchenre~~t1iche Quellen. Zur Bewertung der von Lagarde in den "Aegyptiaca" verwe~deten Ed,tlo?stechmk s. BERGER 1968, 27f. Er nennt Lagardes Editionsvcrfah­ren, ellle Handschrift vorzulegen und Variantcn und Emcndationsvorschläge in den Apparat zu stellen, "seinen Zeitgenossen weit voraus" und lobt vor allem die Eigen-

Adolf [rman und Paul de Lagarde 283

schreibt am 7. Juli 1880: "Es ist Zeit dass diese Turiner Schätze, von deren grammatischer Correctheit Stern Wunderdinge erzählt, endlich einmal zugäng­lich werden .. " (fast wörtlich wiederholt in einem Brief vom 28. Juli 1881) und: "Ihre prächtigen Aegyptiaca fand ich gestern zu meiner Freude hier vor. Bis jetzt habe ich nur die Weisheit durchfliegen können, die Alterthümlichkeit

. h S)\' A t I .. 21 ist köstlich - aue !Ur emen egyp 0 ogen. Ich habe an anderer Stelle ausfUhrlicher dargelegt, wie sich der Briefwech-

sel [rmans und Lagardes in einen Umbruch innerhalb der ägyptisch­koptischen Sprachwissenschaft einordnet, der zur bis heute andauernden Hö­herbewertung des Sahidischen, das seine Blüte als Literaturdialekt des Kopti­schen vom 4.-11. Jh. hatte, gegenüber dem Bohairischen tllhrte, dass das Sa­hidische im Frühmittelalter als dominante Sprachform ablöste.

22 An dieser

Verlagerung des Interesses hatten Adolf Erman und Paul de Lagarde maßgeb­lichen Anteil - durch ihre eigenen Arbeiten, aber auch durch ihren gemeinsa­men SchüJcr Georg Steindorff und dessen koptische Grammatik von 1894, die sich im Gegensatz zu Ludwig Sterns Referenzgrammatik des Koptischen von

1880 auf die sahidische Sprachform beschränkte.2J

(4) Adolf Ermans Beitrag zur ägyptologischen Sprachwissenschaft ist oft gewürdigt worden. 24 Nach der Entzifferung der Hieroglyphen war die Besch~f­tigung mit ägyptischer Sprache zum Stillstand gekommen und wurde erst wIe­der durch Ermans rigorose, an der semitischen Philologie geschulte Methode vorangebracht. Erman sah die Philologie als Grundlage jeglicher his~orischer Arbeit und behielt dabei immer die Bedeutung des Koptischen fur die Erfor­schung der ägyptischen Grammatik im Auge. Diese um 1880 n.och avantgar­distischen Überzeugungen teilte er mit Paul de Lagarde. BereIts 1876 hatt.e Laoarde in einer proorammatischen Rezension die Ägyptologen zur Beschäftl-:;,:;, . h h

gung mit der ägyptischen Sprache angehalten, die vom Koptlsc en ausge en

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24

sc haften die heute noch den Wert "on Lagardes Ausgabe ausmachen:. ,.zwar .bra~hte ihn das Verfahren möglichst nicht eigenmächtig in den Text clIlzugrelfen, be~ sel~en wissenschaftliche~ Zeitgenossen in den Verdacht mangclnde~ fac~hchcr Qua,1I IkaktlOn.

. .. be I I' -h d' VorlUO daß IIlzWischen als korre t er-aber es bot Ihnen gegenu 'r ge egent IC en .. t:" f d' . . .. hAt d 'm im Text selbst stehen. Au lese mittelte Lesarten mcht Im Imtlsc en ppara. son e , . . ~ hl Weise konnte Lagardc selbst \\0 ihm tatsächlich die fachllchcn V.orbedmgungehn It: -

. '. . d \I." 'schaft biS dato vorent a tcne ten. auch in noch heute respektablen EditIOnen er "ISsen. Texte zugänglich machen." Postkartc Errnans vom I \. Scptt:l11bcr 1883. BEIILMER 2003a. '. , d' 19 Jh "'Co tic' par execl­Arid Shisha-Ilalevy beklagt, dass seit den 90er Jahr~~ eS . h I' PI 'leet" Er

. . ß h ... h b n suffenng gravc sc 0 ar y neg . lenee has bcen Sahldlc and 0 amc as ee . d G t'k . . ' ' .. _ . b f das Erschcmen t:r ramma I datiert den lkgmn dlcser Vemaehlassigung e en au Steindorffs (SIIISIIA-lIALEVY 1991,54,>. ., . d S. zuletzt den Beitrag von Ilclmut Satzmger m dlcsem Ban .

284 Ileike Behlmer

müsse: "das koptische muß und wird tur die hieroglyphik mehr leren, als die bedeutung manchen wortes und eine ungel1ire analogie der grammatik."l! Es verwundert da nicht, ist aber kaum bekannt, dass Erman in dem eine Generati­on älteren Lagarde einen Verbündeten hatte, der ihn bestärkte und ermutigte. Wie ein roter Faden zieht sich durch beider Korrespondenz diese Überzeugung und die Polemik gegen diejenigen Ägyptologen. die der Meinung waren, das Koptische sei höchstens fur die Entzifferung der Ilieroglyphenschrift wichtig gewesen, nunmehr aber seien die Hieroglyphen gut genug bekannt, um auch ohne diese Kenntnis Texte übersetzen zu können. Adolf Erman leitet die Po­lemik im Mai 1880 ein, als er Lagarde die alttestamentlichen Fragmente aus den Abschriften Moritz Gotthilf Schwartzes zum Dmck einreicht: 26

,,[ch hof Te mir sind beim Abschreiben keine zu argen Irrthümer passirt; gewiss werde ich manche grammatische Fehler ohne ein "sic" gelassen haben - meine Kenntnis des Koptischen ist leider bis jetzt nur eine empirische. Rechnen Sie mir derartige Unwissenheiten nicht zu hoch an: TMNn. TCOOYN n.p OYNTAC HMl>. Y

NOYKW EBO)... Wenigstens hab ich das Bestreben Koptisch zu lernen und Sie wis­sen, das ist einem Aegyptologen leider nicht selbstverständlich."

Am 27. Juni 1880 nennt Erman mit Lagardes Zeitgenossen Heinrich Brugsch einen der Gegner beim Namen:

"Meine Grammatik (gemeint ist Ermans Neuägyptische Grammatik) werde ich Ihnen morgen zugehen lassen. Bei den Kennern des Koptischen auf p. [X dachte ich in erster Linie an Sie; ich hoffe das Aegyptische erscheint bei mir weniger un­geheuerlich und fremdartig als in Brugschs grammatischen Arbeiten!"

An anderer Stelle wird der Straßburger Professor Johannes Dümichen ge­nanne7

- die Beispiele ließen sich vermehren. Die Bedeutung des Koptischen unterstreicht Erman auch anlässlich des Erscheinens von Ludwig Sterns mo­numentaler koptischer Grammatik von 1880:28

"Jetzt werden die Gerechten daran erkannt werden ob sie Koptisch treiben; die grosse Mehrzahl der Aegyptologen wird sich freilich nicht dazu entschliessen, es ist den Herren nicht ,interessant' genug."

Wie hoch Erman Lagarde als einen der "Gerechten" und sein Urteil zur ägypti­schen Grammatik und Philologie schätzte, zeigt sich nicht nur daran, dass er zu seiner neuägyptischen Grammatik von 1880 und seinen ersten Studien zum Altägyptischen Lagardes Urteil sucht, es zeigt sich in dem eingangs zitierten

25 26 27 28

LAGARDE 1877-1880,36. Brief Ermans vom 13. Mai 1880. Briefe Ermans vom 27. Juni [880. Brief Ermans vom 22. Dezember 1881.

Adolf Erman und Paul de Lagarde 285

unerfl.illten Wunsch Ermans, im Winter 1880/81 bei Lagarde Ägyptisch zu hören und nicht zuletzt daran, dass Erman 1882 seinen Schüler Georg Stein­dorff mit dem folgenden Empfehlungsschreiben zu Lagarde schickt: 29

"Ein Zuhörer von mir [[err Steindorff aus Dessau will in diesem Semester nach (Jöttingt:n gehen um bei Ihnen Ilcbräisch zu treiben. Er will alte Geschichte studi­ren, hält sich abt:r sehr vernlinftiger Weise die ersten Jahre nur an philologische Studien. Es ist ein gescheuter Mensch, dem alles leil.:ht wird und aus dem bei gu­ter Sdllllung ct\\-as werden kann. Aber er ist etwas. Windhund', er liest ~aidisehe Texte fast vom Blatt ab, aber die Grammatik sass nie fest. Es würde mich für ihn

freuen \\-enn er in Ihre strenge Zucht käme."

Stcindorff hörte bei Lagarde zun~chst Hebr~isch, spezialisierte sich dann aber auf das Koptische und wurde, was bei der Erinnerung an seine wissenschaftli­che Karriere bisweilen in den Hintergrund tritt, 1884 mit einer Dissertation Prolegomena zu einer koptischen Nominalclasse in Göningen promoviert, bevor er sich bei Erman in Berlin habilitierte. Und während nach Ermans Wor­ten Steindorffs sahidische Grammatik noch 1882 nicht festsaß, sollte einige Jahre sp~ter dessen Koptische Grammatik (1894) der Koptologie die bereits

erw~hnte neue Richtung geben. (5) Neben den hier skizzierten wissenschaftlichen Grundüberzeugungen

verbindet Erman und Lagarde eine persönliche Beziehung, die auch die Ehe­frauen einschI ießt. Erman lässt Lagarde an persönlichen Ereignissen teilhaben. Dies betrifft zum einen seine berufliche Situation. Erman hatte sich 1880 in ßerlin habilitiert, ältere Rechte auf eine ÄgyptologensteIle hatten jedoch vor allem Ermans Berliner Kollege Ludwig Stern und Heinrich Brugsch. Als die ägyptische Regiemng letzteren info1ge des Staatsbankrotts Ägyptens im. Jahre 1876 nicht weiter beschäftigen konnte, kehrte er über Graz nach Berhn zu­rück. JO Eine Zeitlang fUrchteten Erman und Lagarde, Brugsch würde aufgmnd seiner einflussreichen Gönner eine Professur in Berlin erhalten, besonders als der äavptolooische Lehrstuhl mit dem Tode Richard Lepsius' 1884 vakant

oJ 0 " b wurde. In mehreren Briefen wird das Gespenst "Brugsch ante portas e-schworen und Bmgschs hochgestellte Verbindungen abtallig kommentiert, so

in einem Stoßseufzer Ermans von 1882:JI

29 30

31

Brid Ennans vom 16. April 1882. . . AI···· \31-Seine Schule war schon vorher am Widerstreben der ägyptIschen. tcrtumclYClY

. '1' . tt cheit·rt dIe Absolventen an tung und vor alh:m deren LeIters Auguste "am: e ges c, verantwortlidter Position zu beschätligen: RElD 2002, 117f. Brief [mtans vom 31. Dezember 1882.

286 Beike Behlmer

"l3rugsch soll nach der Zeitung mit Friedrich Karl J2 nach Aegyptcn gegangen

sein; er ist als Reisemarschall gewiss 7.U gebrauchen. Die practische Folge wird nun wohl sein, dass er der hiesigen Fakultät doch aufoctroyirt wird trotl alles bis­herigen Sträubens. Ich wappne mich in Geduld und bereite mich vor als ewiger Privatdocent zu enden; das ist auch noch nicht das Schlimmste."

Diese ßeflirchtung Ermans sollte sich nicht bewahrheiten. Trotz seiner Gönner und seiner wissenschaftlichen Produktivität sollte es Brugsch nicht noch ein­mal gelingen, eine universitäre Anstellung zu erhalten. Erman wird 1884 Nachfolger Richard Lepsius' als Direktor des Ägyptischen Museums und zunächst Extraordinarius, dann ordentlicher Professor rur Ägyptologie. Lagar­de und seine Frau schicken im Januar 1885 eine lateinische Gratulation zu Ermans Ernennung.))

Auch Persönliches wird ausgetauscht: [rman besucht 1882 Lagarde in Göttingen, 1883 schickt er eine Verlobungsanzeige und Verlobungsbilder. Lagarde verfasst im Februar 1888 griechische Verse auf die Geburt von Er­mans Tochter Doris. Käthe Erman liest die Gedichte Lagardes. Diese familiäre Verbundenheit dauert nach dem Tod Lagardes an: 1894 korrespondieren Adolf und Käthe Erman mit Anna de Lagarde über deren Biographie ihres Mannes, 1900 schickt Erman seinen Schüler Kurt Sethe, frisch nach Göttingen berufen als Professor rur Ägyptologie, mit einem Empfehlungsschreiben zu Anna de Lagarde, zwei Jahre später dann geht es um die Aufstellung einer Büste Lagar­des.

(6) Nach Ermans Ernennung zum Museumsdirektor und Professor nimmt die Frequenz seiner Schreiben leicht ab, es treten auch Fragen aus der Muse­umstätigkeit Ermans hinzu, z.B. über zu tätigende Ankäufe. Bewegung kommt in die Korrespondenz dann wieder gegen Jahresende 1888. Erman bedankt sich fur die Ernennung zum korrespondierenden Mitglied der Göttinger Gesell­schaft der Wissenschaften, die er dem Einfluss Lagardes zuschreibt. Im glei­chen Brief erkundigt er sich nach den in Göttingen vorhandenen Hierogly­phentypen.

32

33

Pr.inz. Friedrich Kar! von Preußen (1828-1885). Schon 1881 hatte Brugsch den ÖSler­reich Ischen Kronprinzen Rudolf durch Oberägypten begleitet. Letztere ist wiederum ist der Anlass für einen Austausch zwischen Paul de Lagarde und dc;m bei dieser Ernennung übergangenen Ludwig Stern, der sich im Februar 1885 bitterlIch beschw:rt, dass ihm nach Iljähriger Dienstzeit ein jüngerer Kollege vorge­zogen worden seI. Lagarde unterrichtet ihn über eine Vakanz an der Göttinger Biblio­thek und drängt ihn, sich zu entscheiden: "Brugsch ist in Sicht, und wird angestellt sein wollen. Mögen Sie den Kampf mit ihm aufnehmen?" schreibt er am I. Juli 1885. Stern \~ird jedoch bald darauf eine Bibliothekarsstelle an der Königlichen l3ibliothek in Aus­Sicht gestellt, und er bleibt in Berlin.

Adolf Erman und Paul de Lagarde 287

Dcr Grund für diese Nachfragc liegt in einer Abhandlung, die Erman fur "Göttingen" (d.h. die Abhandlunge~ der Göttinger. G~sell~chaft. der Wissen­schaftcn) anbietet. [rman hatte bereits 1882, und dies Ist em weiteres Thcma, übcr das beide eine Zeitlang intensiv korrespondieren, eine Arbeit über "Ara­bien und die Länder am rothen Meer bei den Aegyptern" rur "Göttin~en"34 angeboten. Diese Arbeit hatte Erman je.doch einige M~nate später mit der Begründung wieder zurückgezogen, dass Ihm. das The.ma über den Ko~fwach­se und die Wissenschaft mehr davon profitieren würde, wenn er wieder zu seinen grammatischen Arbeiten zurückkehrte.

ll

Die Ende 1888 angebotene Abhandlung ist dagegen nicht historischer oder kulturhistorischer, sondern vornehmlich sprachwissenschaftlich~r Nat~~. Ich werde den auf die erste Anfrage folgenden Brief etwas ausfUhr.lIcher ~Itle.ren, da er sowohl Ermans Bewertung von Sprache und Genre emes wlchtlg~n Werks dcr ägyptischen Literatur zusammenfasst, die eine weit rei~hend~ w,lr­kung auf die ägyptologische Forschung haben sol1te, ~Is a~ch eme w~cht~ge

h :ssenschaftliche Erkenntnis Ermans vor der elgenthchen publikatIOn sprac .... I l6 ankündigt, die in der Ägyptische Zeitschrift von 1889 erfolgen sol1te.

34

35 36

leh habe ntimlich in dem letzten Jahre mich damit beschtiftigt, für den Pap. ~'estcar dessen Ausgabe ich seit 3 Jahren vorbereite, den Sprachgebrauch fcstzu­stellen und es ist, da dcr Text recht umfangrcich ist, dic Skiue einer Grammat.lk daraus geworden. Da es der einzige Rcpracsentant einer langen Sprachepoche Ist

: kl' h und ohne Kunststücke über-und einer der \\enigen Texte den man wir IC ganz . >

set7en kann, so ist diese Skiue seiner Grammatik fester Boden m ~em.Sumpf dd aegyptischen Sprachgeschichtc. Dazu kommt noch eines, der Text Ist mC.ht"gehlehrt

. h d ist eine Sammlung emlac ster und nicht religiös und nicht poetlsc , son em es . . b d S he ihrer Zcit [ ] reprtiSentlcren, Mährchcn, die ganz gewiss die le en e prac . ... nidlt wie 90% aller aegyptischen Texte eine kUnsthche gelehrte Sprache [ ... ]

. . d' A -b 't klar geworden ist (sie), dass der (sie) Das Interessanteste \\as mir bel leser ru CI > •

C · . hat die von ab.s ~WBC lauM. Acgyptischc noch Reste einer alten onJugatlOn Sing. 3. m bbs Plur. 3. Msw

f. 2. bbstini'

. . . ').'. P I ik egcn Heinrich Brugsch dar~ auch BrIef Lnnans vom 16. AprIl 188~. Eme o.em g,. E " d'n Sie m den . . . • R'- ltate uber Punt so rman, "wa t: hier nicht fehlen: ,.Dle ,POSitiven .csu. f' tz '0 Bruasch finden, es ist sehr Schriften des Berliner Ko.ngres~es m el11:~ !'~ ~~ ~c~s Au&atz "Die allägyptische wildes Zeug." Ernlan beZieht Sich auf Ik1l1nc gin Or;.;ntalisten-Congresses, Völkertafcl", in: rerhandlungen desfu,~~.;,~e;':~(~en~, eAfricanische Section, Berlin gehalfen zu Baltn Im September /88/, cl , 1882,25-79.. . ..,'. IER 2003a veröffentlicht. . . Der neo-koptische BrIef Ermans Ist bel B~~L" • Ausschnitt stellt keine Edition dar, so Brief Ernluns vom I. Januar 1889. D~r zitierte sind etwa Korrekturen Ernlans nicht WIedergegeben.

288

2. m. bbsli

I.s. bbskwi

lIeike Behlmer

I. bbswill

Dic Aussprache von j, r, w)7 ist natürlich nicht zu ergründen; Thatsache aber ist

dass die 3f. und 2m ! haben und die 3pl. ~, was doch auffallcnd an das semitische

Perfectum erinnert. Wie gesagt ist es aher im Aegyptischen schon eine obsolete Form mit sehr heschränktem Gebrauch."

Die hier angebotene Abhandlung Ermans ist natürlich Die Sprache des Papy­rus /Veslcar, eine Grammatik, die als erste die Sprachstufe des heute als klas­sisch geltenden "Mittelägyptischen" beschreibt, die neu entdeckte Konjugation das so genannte Pseudopartizip, das Ernlan in einem Aufsatz der Zeitschrift fur

Ag;plische Sprache von 1889 der ägyptologischen Öffentlichkeit vorstellen sollte.)8 Ermans Abhandlung beschäftigt die Korrespondenz mit verschiedenen Technika bis zum Mai 1890.)9 Dies ist das letzte größere Thema, über das Ennan und Lagarde sich austauschen, ein Brief Ermans vom 29. November 1890 befasst sich vornehmlich mit der Habilitation Steindorffs.

Zusammenfassung

Wenn wir uns fragen, was den wissenschaftlichen Austausch zwischen Adolf Ennan und dem eine Generation älteren Paul de Lagarde auszeichnet, was das persönliche und was das zeittypische ist, so lassen sich einige Punkte heraus­ste11en:

Zeinypisch ist die selbstverständliche Einheit der ägyptologisch-koptolo­gischen Studien, eine Einheit, die noch Jahrzehnte andauern sollte, bis sich die Koptologie nach dem zweiten Weltkrieg als eigenes Fach etablierte. Adolf Ennan konnte dieses Gebiet noch vollständig abdecken. Die Einheit von Ori­entalistik und Theologie dagegen, die sich in Lagardes Person besonders au­genfa11ig manifestiert, neigt sich dagegen schon ihrem Ende zu. Die Ausdiffe-

37 Der Buchstabe ist jeweils mit d~r Hieroglyphe überschrieben: .i mit Schiltblatt, 'j mit Doppelstrich, w mit WachtelkUken.

38 ERMAN 1889. 39 Das Thema endet am 3. Mai 1890 mit einer Freudenäußerung Ermans. Dieser hat in

London die Bestätigung rur seine Hypothesen bekommen, da Grif1ith gezeigt habe, "dass diese Sprache wirklich die Vulgärsprache des mittleren Reiches ist. Er hat aus den Petrie'schen Ausgrabungen eine ganze Reihe datirter Briefe, Urkunden usw., die der .12. und. 13. Dynastie angehören und in diesem Idiom abgefasst sind. Was wir bis dahm rur ~Ie Sprache des mittleren Reiches gehalten haben, ist eben auch schon ge­lehrte Schriftsprache. Damit kommt in die ganze Sprachgeschichte Vernunft. Den Grif­fith sollte man in Gold fassen:'

AdolfErman und Paul de Lagarde 289

renzierung der orientalistischen Fächer wie der Ägyptologie aus dieser Einheit Hisst sich auch gerade an Personen wie Adolf Ennan festmachen.

Trivial ist es in dieser Perspektive, die heute ungeheuer breit erscheinende gemeinsame Enzyklopädie und den selbstverständlichen Gebrauch mehrerer orientalischer Sprachen bis hin zum Verfassen von Texten auch in diesen Sprachen zu kommentieren - die aktive Produktion von Prosa und Poesie auf Latein und Griechisch wird als selbstverständlich vorausgesetzt.

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns in der Pionierzeit der Ägyptolo­gie befinden, und in vielen der Schreiben werden ganz beiläufig sehr grund­sätzliche Fragen des Faches angeschnitten, weit reichende Aussagen getroffen und überkommene Anschauungen ersetzt. Dies geht von der ägyptologischen Transkription40 bis zur Frage des Akzents im Ägyptischen41

Beide Wissenschaftler, und damit kommen wir zu den spezifischen Aspek­ten des Briefwechsels, verbindet trotz des Altersunterschiedes und der räumli­chen Distanz eine persönliche Freundschaft, die die beiden Ehefrauen in die Bekanntschaft einbezieht und auch einen Austausch über politische Gegeben­heiten umfasst. Lagarde schickt Erman seine kulturkritischen Schriften, die Ennan ,.frische Luft" nennt "in der widerwärtigen Stickluft modemen Le­bens".4z Zu politischer Aktivität lässt sich der bewusst unpolitische Ennan jedoch selbst von Lagarde nicht bewegen. Als Lagarde ihm das Programm der konservativen Partei schickt, bleibt Ennan skeptisch und antwortet am 31.

Dezember 1884:

40

41

" ... ich furchte, dass eine Partei die auf dieses Programm hin gebildct würde, selbst bald zu sehr \\cnig programmatischen ~Iitteln greifen würde. Ich halte nun

einmal dic Politik rur etwas, das von Natur unsauber ist ... "

Ernlan zufulge i~t jede Transkription orientalischer Texte eine .verfalschung, aber zur Disliplinierung da .. wilden" Ägyptologen notwendig: .. NatürlIch ~arf unsere Transc­ription nie den Anspruch machen, mehr als annähernd dIe Lau~e wl~d,:rgebcn zu wol­len ... Wir müssen unsere Transcription so äusserlich als möglich emflchten und ga.nz darauf verzichten den Laut da Worte darstellen zu wollen; aber eine solch,: convent.lO­nelle Umschreibung ist für die Aegyptologen nun einmal ein BedUrfniss. wIe unendlich fehlerhaft sie auch ausfallen muss"; Brief Ermans vom 23. Februar 1883 .. Wenn [rman am 22. Dezember IgSI Lagarde dazu bewegen möchte, ~Ie Forme~ d~s status constructus mit Bindestrich abzutrennen, da die Verbindungen em Wort mit eI-nem Akzent seien. Das beweise auch die Stellung von .b.€. . Am 7. Juli 1880. Postwendend antwortet Lagarde mit dem ihm eigenc~ leIchten Para­noia die ihn auch auf wissenschatllichem Gebiet Verfalscher und Plagiatoren furchten lässt' und seine Schriften mit dunklt:n Andeutungen, Seitenhiehen un~ Ausfallen füllt: Mich freut es dass meine deutschen Schriften Ihnen nicht fremdartIg vorgekommen

~ind. Diesclbe~ haben Gott Lob zum Theil recht begeistert Zustimmung gefunden: amtlich müssen sie ignuriert werden."

290 Ileike nehlmer

Am interessantesten scheint mir aber, und das ist auch das wissenschaftsge_ schichtlich Neue, das sich aus der Beschäftigung mit dem Nachlass Paul de Lagardes ergibt, der indirekte Einfluss Lagardes auf die ägyptologische Sprachwissenschaft - als Lehrer Steindorffs und als Verbündeter Ermans, der sich von dem älteren Kollegen in seiner Ablehnung und Überwindung älterer Ansichten bestärkt sicht. Dieser Einfluss verdient es, ein wenig stiirker heraus­gestellt zu werden:

Lagarde hat Anteil an der Verlagerung des Interesses vom Bohairischen auf das fur älter und unverPdlschter gehaltene Sahidische, die auf Erman und seine Schule zurückgefuhrt wird.4J Diese Verlagerung dauert bis heute an, was sich z.B. daran zeigt, dass in den letzten Jahren drei neue Grammatiken des Sahidischen erschienen sind, das Bohairische aber weiterhin mit Hilfe der in ihrer ersten Auflage 100 Jahre alten Grammatik von Alexis Mallon unterrichtet wird.44

Lagarde bestärkt Erman in seinen Versuchen, Ordnung in das Chaos in Grammatik und Lexikon zu bringen, das Mitte des 19. Jh. herrschte. Alle grundlegenden Beiträge Ermans zur ägyptologischen Sprachwissenschaft, die Periodisierung der ägyptischen Sprachgeschichte, die Vervollständigung des morphosyntaktischen Formeninventars, etwa durch die Entdeckung des Pseu­dopartizips, und die Verwissenschaftlichung der ägyptischen Lexikographie fallen in die 80er Jahre des 19. Jh., die Zeit der Freundschaft mit Lagarde, bzw. sind, wie die Arbeit am Lexikon, zumindest in dieser Zeit angelegt. Erman setzt Lagarde vorab über seine Ergebnisse in Kenntnis und erwartet seinen Beifall, und es ist kein Zufall, dass Die Sprache des Papyrus Westcar unter der Schirmherrschaft Lagardes in den Göttinger Akademieabhandlungen erscheint. Beider Überzeugung, dass die Erforschung der ägyptischen Kultur von der ägyptischen Philologie und diese wiederum von einer profunden Kenntnis des Koptischen auszugehen habe, sollte lang andauernden Einfluss auf die Ägypto­logie haben. Die von Erman begründete "Berliner Schule" der ägyptologischen Sprachwissenschaft sollte bis in die jüngere Vergangenheit prägend sein. Inso­fern ist es auch nur passend, dass die einzige rezente Würdigung von Lagardes Beitrag zu den ägyptisch-koptischen Studien von einem Spross dieser Schule, Hans Jakob Polotsky, stammen sollte.45

Zum Abschluss möchte ich noch kurz zur Polemik gegen "die Aegyptolo­gen" und insbesondere Heinrich Brugsch zurückkehren, die Gegenstand so

43 SIIlSHA-HALEVY 1991; BEIILMER 2003a, 7f. 44 MALLON 1904. Eine modeme Beschreibung des Bohairischen wird von Arid Shisha­

Ilalevy vorbereitet. 45 POLOTSKY 1987, 13f.

Adolf Erman und Paul de Lagarde 291

zahlreicher Briefe der Korrespondenz zwischen Erman und Lagarde war. Der junge Adolf [rman wollte Ägyptologie zu einer ernsthaften Wissenschaft machen, die ernsthafte Orientalisten, und rur einen solchen hielt er Lagarde, ernstnehmen konnten. 46 In dieser Perspektive erscheint die Polemik gegen Brugsch und andere der älteren Generation von Ägyptologen verständlich. Der alte Erman jedoch findet versöhnlichere Worte für Heinrich Brugsch: "Ich glaube", schreibt er in seinen Erinnerungen als Abschluss einer differenzierten Würdigung dcr Person und des Werkes Heinrich Brugschs, "daß ich heut im Alter, wo ich über die Schwächen der Menschen leichter hinwegkomme, mich mit dem alten Pascha mehr befreunden würde, als mir das in der Jugend mög-

lich war".47

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46 . ... Jah d 19 Jh· Denn noch empfinde ich deut-[mi an schreibt über die fruhen 70er re es . .." . . .. . I I I ... I· , h bsahen die sie fur nicht vle me lC a S

lieh wie ernste Gelehrte auf die Agypto O!;IC era, h1 . , .•..• \l". 'h ff ausspra'h der su"te wO ,Wie

für eine bedenkliche Snielerci hielten. n er SI\: 0 cn .' C ',.. '" 1" ". . .t k· hö hstens elnl0e KÖnIgsnamen <:sen.

Lagarde es tat, die Agyptologen önnten c e

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292 I /cike ßehlmer

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