(63) Mit dem Kernbohrer in die Vergangenheit – Geoarchaologische Interpretationen der holozanen...

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1 Manfred O. KorfmannTroia – Archäologie eines Siedlungshügels und seiner Landschaft

Einführung

15 Turan EfeAnatolische Wurzeln – Troia und die frühe Bronzezeit im Westen Kleinasiens

29 Ulf-Dietrich SchoopAssyrer, Hethiter und KaAkäer – Zentralanatolien imzweiten Jahrtausend vor Christus

47 Wolf-Dietrich NiemeierZwischen Mykene und HatuAa – Westkleinasien und die Ägäis in der mittlerenund späten Bronzezeit

57 Joachim Latacz und Frank StarkeWilusa und die Großen Vier – Troia in der politischen Landschaftder Späten Bronzezeit

71 Hermann GenzEin neues Metall macht Furore – Die frühe Eisenzeit in West- und Zentralanatolien

81 Charles Brian RoseAm Schnittpunkt von Ost und West – Das westliche Kleinasienin griechischer und römischer Zeit

Forschungsgeschichte

107 Donald F. EastonMit der Ilias im Gepäck – Die Erforschung Troias bis 1890

117 Diane Thumm-DoÕrayanUnd doch war alles anders … Wilhelm Dörpfeld und Carl William Blegen

Inhaltsverzeichnis

123 Ulrich VeitMehr als eine »Wissenschaft des Spatens« – Troia und die Geburtder modernen Archäologie

Die Siedlungsabfolge Troias

133 Sinan ÜnlüsoyVom Reihenhaus zum Megaron – Troia I bis Troia III

145 Stephan W. E. BlumTroia an der Wende von der frühen zur mittleren Bronzezeit – Troia IV und Troia V

155 Ralf BecksTroia in der späten Bronzezeit – Troia VI und Troia VIIa

167 Peter JablonkaLeben außerhalb der Burg – Die Unterstadt von Troia

181 Ralf Becks, Pavol Hnila und Magda PieniƒÄek-SikoraTroia in der frühen Eisenzeit – Troia VIIb1–VIIb3

189 Charles Brian RoseAuf mythengetränktem Boden – Ilion in griechischer, römischerund byzantinischer Zeit

Analyse an Artefakten

201 Devrim Çal¿s-Sazc¿Die alten Troianer und das Meer – Keramik und Handelsbeziehungen dersog. »Maritimen Troia-Kultur«

209 Göksel Sazc¿ und Mikhail TreisterTroias Gold – Die Schätze des dritten Jahrtausends vor Christus

219 Marcus MüllerEx oriente lux? – Troia und Ägypten im Geflecht der internationalen Beziehungen

227 Petar ZidarovAlltagsleben in Zeiten von Krieg und Frieden – Bronzezeitliche Artefakteaus Knochen, Geweih und Elfenbein

231 Peter Pavúk und Wendy Rigter Goblets, Schüsseln und Kratere – Die Keramik der Perioden Troia VI und VIIa

241 Penelope A. MountjoyImport oder lokale Produktion? – Mykenische Keramik in Troia

253 Ekin KozalMade in Zypern – Kyprische Gefäße der Spätbronzezeit in Troia

259 Manfred KlinkottMit spitzem Stift und Maßband – Angewandte Methoden der Bauforschung in Troia

265 Dietrich MannspergerVom Zahlungsmittel zum Leitartefakt – Münzen und Münzfunde in Ilion

Naturwissenschaftliche Untersuchungen

277 Henrike Kiesewetter»Knochenarbeit« – Anthropologische Forschungen an Skeletten aus Troia

283 Margarethe UerpmannVon Adler bis Zahnbrassen – Der Beitrag der Archäozoologie zur Erforschung Troias

297 Simone RiehlUnser täglich Brot … Pflanzenproduktion und Ernährung in Troia

309 Hans Günter JansenDas unsichtbare Troia sichtbar gemacht – Chancen und Ergebnisse derAnwendung neuer Prospektionsmethoden

317 Àlhan KayanMit dem Kernbohrer in die Vergangenheit – Geoarchäologische Interpretationender holozänen Sedimente in der Troas

329 Christian WolkersdorferWasser, Quell des Lebens – Hydrogeologische Untersuchungen in Troia

337 Manfred O. Korfmann, Norbert Frank und Augusto Mangini Eingang in die Unterwelt – Die Höhle von Troia und ihre Datierung

343 Farkas Pintér und Muharrem Sat¿rScherben unter dem Mikroskop – Archäometrische Keramikanalysen in Troia

349 Ernst PernickaMetalle machen Epoche – Bronze und Eisen als Werkstoffe und Handelsware

Untersuchungen zur Geschichte der Landschaft

355 Utta GabrielEin Blick zurück – Das fünfte Jahrtausend vor Christus in der Troas

361 Gebhard BiegArchäologie und Geschichte einer Landschaft – Die Troas von der griechischenKolonisation bis in die byzantinische Zeit

373 Rüstem Aslan»Die Gegend war nämlich äußerst unsicher…« – Leben in der Troasvom 16. bis 20. Jahrhundert

387 Susanne BocherSteinmetze, Köhler, Kalkbrenner – Ethnoarchäologie in der Troas

399 Bibliographie

418 Abbildungsnachweis

İlhan Kayan
Highlight

Eine detaillierte Beschreibung des geographischen Umfeldes von Troia gab schon Homer. Esist jedoch offensichtlich, daß sich das geographische Umfeld von etwa 3250 Jahren, das inder Ilias beschrieben wurde, im Laufe der Zeit stark verändert hat. Die wichtigstenEntwicklungen sind die Bildung einer langen Bucht am Unterlauf des Karamenderes, demMeeresspiegelanstieg im Holozän entsprechend, und die fortdauernde Veränderung derKüstenlinie und der Küstenumgebung des sich entwickelnden Deltas, die von einer alluvia-len Ablagerung herrührt. Die Verlandung betraf auch die troianischen Kulturen. Deswegenwurden auch die Umgebungscharakteristika in die Forschungen zu Troia einbezogen undVergleiche zwischen Homers Beschreibungen und der jetzigen Geographie angestellt. In die-ser Beziehung schuf also gewissermaßen Homer die Basis für Geländebegehungen in dermodernen Archäologie und den »Aufstieg« der Geoarchäologie.

Die Forschungsreisenden des 19. Jhs. wandelten auf den Spuren Homers und studiertensorgfältig seine Beschreibungen, um die Lage Troias herauszufinden.1 Zentraler Gegenstandihres Interesses war die Veränderung der Küstenlinie. Die Idee, daß Troia während seiner frü-hen Phasen eine Küstensiedlung war, ist allgemein akzeptiert. Trotzdem richtete sich ihrAugenmerk besonders auf die Geometrie der Küstenlinie, die Seehäfen und die Schlacht-felder während des Trojanischen Krieges in der Periode von Troia VI. Die Umgebungschara-kteristika und Landschaftsveränderungen der Troas sollten berücksichtigt und mit archäolo-gischen Interpretationen in Übereinstimmung gebracht werden. Somit hat die Bedeutung,welche Homer der Landschaft hat angedeihen lassen, den Antrieb zu den gegenwärtigen wis-senschaftlichen Forschungen gegeben.

Hochgelegene Gebiete neigen gewöhnlich zu Erosion; dies gilt auch für den Siedlungs-hügel von Troia. Untersuchungen, die nur in solchen Gebieten angestellt wurden, reichennicht aus, um die Gesamtentwicklung der Umgebung zu beschreiben und zu deuten. ZumBeispiel wurden Bodenmerkmale auf der leicht welligen unteren Plateauoberfläche in derUmgebung Troias als Anzeichen für die Umweltveränderungen angenommen, die in denjüngsten Perioden erfolgten. Neue Forschungen zeigten jedoch, daß Bodenerosion die fol-gende anthropogene Zerstörung der natürlichen Vegetation beschleunigt hat. Die oberenHorizonte erodierten tief; wichtige Merkmale, die die natürlichen Bedingungen derBodenformation repräsentieren, verschwanden in großem Umfang. Im Gegensatz dazu sindvertikale und horizontale Unterschiede sowie die Verteilung derjenigen Sedimente, die sich

Mit dem Kernbohrer in die Vergangenheit –Geoarchäologische Interpretationen der holozänen

Sedimente in der Troas

Àlhan Kayan

Im Ida-Gebirge entspringen-der Fluß in der Troas. Er wirdmit dem Fluß Skamander inHomers Ilias gleichgesetzt.

Karamenderes

in die umgebenden tieferen Gebiete ablagerten, das zuverlässigste Zeugnis, des verändertengeographischen Umfelds.

Die Sedimente in der Umgebung von Troia bestehen aus alluvialen Flußablagerungen desKaramenderes und kolluvialen Ablagerungen der umliegenden Hänge. Jedoch nimmt dieVielfalt der Sedimente mit zunehmender Tiefe zu. Menschliche Hinterlassenschaften in altenKolluvien – wie etwa Keramikfragmente, Lehm- und Dachziegelstücke, Feuerrückstände wieHolzkohle und Asche, verbrannte Nahrungsüberbleibsel wie Knochen und Muschelschalen –zeigten an, daß sich einst Menschen an dieser Stelle oder am nahen Hang aufgehalten haben.Was die alluvialen Plätze betrifft, so liefert die Auswahl der sedimentologischen Merkmale –wie Sedimente von Flussüberschwemmungen, Flußdeltabereiche, Küstenlinien- und marineBereiche und Küstensümpfe – Material, um geographische Zonen zu bestimmen. ZumBeispiel ist es offenbar, daß das Gebietum Troia vom Meer bedeckt war. In der Bronzezeit ver-änderte sich die Position Troias durch den Umstand, daß sich das Umland durch dieAlluviation in bestellbares Land verwandelte. Man kehrte sich von der zunehmend verland-enen Küste ab und wandte sich mehr dem Landesinneren zu.

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Abb. 1Lage von Kernbohrungs-punkten. Aufgrund desMaßstabs sind nicht allePunkte und Ziffern in die Karteaufgenommen worden. ÇKMist das türkische Kürzel für dasInstitut für Mineralienunter-suchung und -erforschung(MTA), das sieben Bohrungenunterstützte. 100 Bohrungenwurden auf der Besik-Ebeneund am Yeniköy-Sigeion-Bergkamm im Westen durch-geführt. Die Ziffern 1–100bezeichnen Unimog-Bohrungen, die Bohrungen101–203 wurden mit demKobrabohrer gemacht. Sowurde im Jahre 2003 dieGesamtzahl von 304Bohrungen erreicht.

Àlhan Kayan

Durch die Untersuchung der Sedimentserien, die sich in den Gebieten unterhalb Troias abla-gerten, konnten also nützliche Informationen zu menschlichen Aktivitäten erzielt werden.Nur durch Kernbohrungen ist es möglich, unterschiedliche Sedimentserien unterhalb dergegenwärtigen alluvialen Oberflächen zu erreichen und zu untersuchen, welche Art von geo-graphischem Umfeld sie repräsentieren. Die horizontale und vertikale Verteilung der Sedi-mentserien und die dreidimensionale Geometrie der sich verändernden Umgebungen kannnur beschrieben werden, indem eine ausreichende Anzahl von Bohrloch-Profilen genutztwird.

Seit 1977 wurden 304 Kernbohrungen in den kolluvialen und alluvialen Ablagerungs-gebieten in der Umgebung von Troia unter Anwendung verschiedener Techniken und Gerät-schaften durchgeführt. Ziel war es, alten Grund und Sedimentserien unterhalb der jetzigenOberfläche zu erreichen, um ihre Verteilung und Veränderungen zu ermitteln und paläogra-phische Rekonstruktionen für bestimmte Perioden durchzuführen. Zur selben Zeit wurdengeologische Merkmale vom Ursprungsgebiet des sedimentären Materials sowie geomorpho-logische, klimatologische und biogeographische Charakteristika und Prozesse der Sedimen-tation untersucht und detailliert kartiert.

Geländeuntersuchungen in Troia

Troia liegt an der nordwestlichen Ecke einer breiten Halbinsel (Biga), die sich zwischen derÄgäis und dem Marmarameer im Nordwesten Anatoliens erstreckt. Die geologische Strukturdieser Halbinsel entwickelte sich auf einem alten kristallinen Fundament. VerschiedeneSediment- undVulkangesteinsserien, die sich über dieser Basis in den folgenden geologischenPerioden ablagerten, formten einen Boden für die Entwicklung in jüngeren geologischenPerioden (neogen). Troia liegt an der Westspitze eines niederen Plateaukamms, der von demletzten tektonischen Aufbruch der jüngsten geologischen Formationen gebildet wurde.Deswegen ist der Ursprung des Alluviums in diesem Gebiet ein Sedimentfels, der wiederholtvom älteren Hochland erodierte und in den tieferen Gebieten abgelagert wurde. So ist dasAlluvium hauptsächlich feinsandig; es ist aus diesem Grund sehr schwierig, die morpho-dynamischen Auswirkungen und Sedimentserientypen zu unterscheiden. Die Korngrößealluvialer Ablagerungen zeigt üblicherweise die Kraft und Natur der Sturzbäche undFlußhochwasser an; im Umland von Troia hingegen reicht die Korngrößenverteilung nichtaus, um verschiedene frühere Sedimentserien, wie alte Flußkanäle, im Alluvium zu unter-

Abb. 2Durchführung einer

Rotationskernbohrung (ÇTM 4) im Norden Troias.Diese Bohrung erfolgte im

Jahre 1977 durch das MTA.Der Siedlungshügel von Troia

ist links zu erkennen.

319Mit dem Kernbohrer in die Vergangenheit

Sedimentschichten durch(Fluß-) Ablagerungen.

Alluvium

scheiden. Das führt dazu, daß einige andere Merkmale der Region nur begrenzt aussagefähigsind. Einige Beispiele seien hier genannt: Geophysikalische Prospektionen an archäologi-schen Stätten liefern wertvolle Daten2 und auch die entsprechenden Untersuchungen in Troiawaren sehr erfolgreich.3 Geophysikalische Techniken können jedoch nicht auf den alluvialenEbenen rund um Troia angewandt werden, um die Vielfalt natürlicher Sedimentation zuerforschen, weil das Alluvium überall feinsandig, das Grundwasser hoch und die Tiefe dergeophysikalischen Messungen auf archäologische Prospektionen eingerichtet ist. Dennochenthüllten geophysikalische Untersuchungen entlang des Hangfußes von Troia einige bedeut-same Anomalien in Bezug auf die Unterschiede zwischen alluvialen und kolluvialenSedimenten. So wurde die grobere Sandfüllung eines alten Flußkanals, der einst durchKernbohrungen am nordwestlichen Fuß Troias erschlossen worden war, auch durch geophy-sikalische Messungen bestätigt.4

Pollenanalysen sind ein weiteres wichtiges Werkzeug paläogeographischer Untersuchun-gen. Die Vegetation repräsentiert das geographische Umfeld; Veränderungen in der Pollen-verteilung in Sedimenten zeigen eine Veränderung in der Vegetation an. Sie helfen, klimati-sche oder anthropogene Auswirkungen auf die sich verändernde Vegetation und das geogra-

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Abb. 3Probenprofil eines Eijkelkamp-Handbohrgeräts, das im allge-meinen auf der Besik-Ebenebenutzt wurde. Mit diesemWerkzeug ist ein Absinken auf8–10 m Tiefe möglich. Wie aufdem Foto zu erkennen ist,konnten Sedimentproben nichtin ungestörtem Zustand ent-nommen werden. Es ist jedochmöglich, unterschiedliche Sedi-mentserien und Bodenhorizon-te zu trennen. Die Bohrendensind von einem Schmied herge-stellt; und die Verlängerungs-stäbe bestehen aus Wasser-pfeifen. Die ersten durchge-führten Untersuchungen wur-den mit einfachen Werkzeugenwie diesem ausgeführt.

Abb. 4 Durchführung einerTiefenbohrung mit demUnimog im Norden Troias.

Àlhan Kayan

phische Umfeld zu interpretieren. Naßmilieus wie Sümpfe oder Seen sind geeignete Plätze füreine Pollenakkumulation und -erhaltung. Sandige Erdablagerungen sind wegen ihrer koras-siven Auswirkungen nicht ausreichend für eine Pollenakkumulation und wegen der porösenStruktur auch nicht für die Erhaltung der Pollen. Deswegen wurden nicht überall in den allu-vialen Ablagerungen um Troia geeignete Pollenprofile gefunden. Das geeignetste Gebiet füreine Pollenuntersuchung liegt in der Kesik-Ebene (Alacal¿göl), westlich der Ebene des Kara-menderes und weit weg von dessen Hochwasser. Bevor vor etwa 50 Jahren ein Drainage-System angelegt wurde, lag hier ein Sumpfgebiet. Trotzdem ist die Sedimentschicht dessumpfigen Umfelds über dem früheren marinen Sedimentabschnitt sehr dünn, die darge-stellte Periode kurz und die Datenmenge für eine komplette paläographische Interpretationdes Gebietes nicht ausreichend.

Während sich die Pollenuntersuchung für die Interpretation der festländischenUmgebung eignet, sind Makro- und Mikrofossilien das beste Werkzeug für marine Milieus.Von den Makrofossilien wurden Cardium-Muscheln (Cerastoderma edule) fast überall inVerbindung mit früheren marinen Milieus gefunden. Ihnen begegnet man besonders häufigbei Kernbohrungen. Trotzdem sind sie an verschiedene physikalische Bedingungen derKüstenumgebungen angepaßt und nicht dazu geeignet, ein Umfeld im Detail zu ermitteln.Im Gegensatz dazu repräsentieren Austernschalen speziellere Lebensbedingungen, zumBeispiel wellenreiches Wasser der Küstenzone mit großen Mengen an Sauerstoff. Sie sindreichlich in grobsandigen Sedimenten an der Basis der holozänen marinen Transgressionvorhanden. Mikrofossilien sind ein weiteres wichtiges Untersuchungsthema. Einige vonihnen zeigen gewisse Milieus an; so repräsentieren einige Arten von Ostrakoden definitiv einmarines Umfeld. Mikrofossilien sind bilden die wichtigste Materialbasis, um die paläogeo-graphischen Veränderungen der Küstenumgebungen zu unterscheiden. Solche unterschied-lichen Lebensräume entwickelten sich westlich von Troia entlang der sehr seichtenKüstenzone des progradierenden Karamenderes-Deltas. Deswegen können die Küstenumge-bungen nicht durch bestimmte Grenzen, wie Küstensümpfe, Vorland oder Brandungszonen,voneinander getrennt werden. Hier bestehen die meisten der Meeresorganismen aus Spezies,die sich leicht an die sich verändernden physikalischen Bedingungen wie Salzgehalt,Temperatur und wechselnde niedrige Wellenenergie, anpassen konnten. Aus diesem Grundereicht der größte Teil der marinen Mikrofauna, wie die Makroformen, nicht aus, um die palä-ogeographischen Umfelder in diesem Gebiet zu unterscheiden.

Die Datierung ist ein weiterer wichtiger Teil der paläogeographischen Interpretationen.Chronologische Korrelationen sind ebenfalls wesentlich, um eine Verbindung zwischen der

Abb. 5a.bSedimentbeispiele an

Tiefenbohrern, entnommenvom Unimog. Diese sind

dadurch gestört, daß dasMaterialwährend der Durch-

führung. Kohäsive Sedimentekönnen vom Kernbohrer in

Blockform entnommen wer-den, während lose, sandigeSedimente entladen werdenund so eine gute Probenent-nahme nicht möglich ist. Aufder Abbildung [b] sieht man

ein Teil einer Tonscherbe in 5 m Tiefe.

321Mit dem Kernbohrer in die Vergangenheit

[a] [b]

Dauerhafte Überflutung vonFestland durch Ansteigen desMeeresspiegels oderAbsinken des Festlandes.

Transgression

Archäologie und dem Umfeld aufzubauen.Von diesem Standpunkt aus sind Gefäßfragmenteeine der Datenquellen, die in Bohrlöchern kolluvialer Ablagerungen gefunden werden. Siekönnen aber nur in seltenen Fällen von Archäologen genauer datiert werden, da eine Ton-scherbe, die aus einem kleinen Bohrloch entnommen wurde, oft nicht die charakteristischenMerkmale besitzt, die für eine exakte Datierung ausreichen. In natürlichen Sedimentserienaußerhalb archäologischer Stätten bleiben nicht nur Pflanzen erhalten; besonders Muschelnaus marinen Umfeldern oder Küstenumgebungen können mit der 14C-Methode datiert wer-den. Datierbares Material aus Troia wurde in Labors in den USA und in Deutschland analy-siert. Insbesondere 14C-Analysen, die von Dr. B. Kromer im »Institut für Umweltphysik derUniversität Heidelberg« gemacht wurden, haben großartige Beiträge zu unseren paläogeo-graphischen Interpretationen geleistet.5

Zusammen mit der 14C-Methode wird auch die Optisch Simulierte Luminiszenz- Technik(OSL) für die Datierung im Troia-Gebiet angewandt. Als Ergebnis wurde die Erfahrunggemacht, daß OSL ein geeigneter Weg ist, um Datierungen in kolluvialen Ablagerungen vor-zunehmen, während sich Flußablagerungen aus verschiedenen Gründen, besonders wegendes hohen Grundwassers, damit nicht untersuchen lassen.6

Kernbohrungsuntersuchungen in Troia

Im Laufe der Forschungen in der Umgebung Troias zeigte sich, daß die geeignetste Methodefür paläogeographische Rekonstruktionen die Interpretation der sedimentologisch-strati-graphischen Daten von Kernbohrungen ist. Auf diese Weise konnten paläogeographischeKarten der vertikalen und horizontalen Verteilung der erforschten Landschaften erstellt wer-den. Es wurde auch festgestellt, dass Daten, die durch die Untersuchung vielfältiger Inhalte(Pollen, Makro- oder Mikrofossilien) verschiedener Sedimentserien gewonnen wurden, niedie grundsätzliche Bestimmung der geographischen Umfelder verändern, sondern nur spe-ziellere und detailliertere Interpretationen lieferten. Deshalb wurden seit 1977 304 Kern-bohrungen in Troias Umgebung durchgeführt, bei denen unterschiedliche Arbeitsmethodenund dem jeweiligen technischen Stand entsprechende Ausrüstungen zum Einsatz kamen(Abb. 1).

Die ersten Kernbohrungsuntersuchungen in der Umgebung von Troia begannen 1977,jedoch eher unter geologischen Aspekten. Sieben Rotationskernbohrungen wurden in den

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Abb. 6Durchführung einer Bohrungmit dem Kobrabohrer im Norden Troias. Troia ist links zu erkennen.

Àlhan Kayan

Karamenderes- und Dümrek-Alluvialebenen in der Umgebung Troias mit Unterstützungdes türkischen Instituts für Mineralienuntersuchung und -erforschung durchgeführt(Abb. 1, 2). In den meisten dieser Bohrlöcher, von denen das tiefste 75 m bis zum präholozä-nen gewachsenen Fels reichte, wurde neogenes Sediment erreicht. Diese Arbeiten enthüllten,daß der Karamenderes, dem Meeresspiegelabfall während des letzten Gletscherstadiums fol-gend, einen tiefen Kanal in die damals 30 m unterhalb der heutigen Ebene gelegenenOberfläche schnitt. In den früheren Stadien des nacheiszeitlichen Meeresspiegelanstiegs –nach den 14C-Daten etwa vor 10000 Jahren – drang Meerwasser in diesen Einschnitt ein undbedeckte dann allmählich den gesamten älteren Boden des Tals. Bis vor 7000–6000 Jahrendehnte sich ein Meeresarm im jetzigen Tal des Karamenderes westlich von Troia südwärtsfast bis P¿narbas¿-Mahmudiye aus. Der Meeresspiegelhöchststand war vor etwa 6000 Jahrenerreicht. Seitdem begann sich die gegenwärtige alluviale Ebene nach Norden hin zu erwei-tern und reicht momentan bis etwa 4 km nordwestlich von Troia.7

1982 begann Manfred Korfmann ein archäologisches Forschungs- und Ausgrabungs-projekt auf dem Besik-Sivritepe und dem Besik-Yass¿tepe nördlich der Besik-Ebene an derägäischen Küste. Die geologischen Untersuchungen setzten sich zum Ziel, im Rahmen desarchäologischen Projekts die geomorphologische Evolution der Besik-Ebene zu erforschen,besonders aber, um zu verstehen, ob diese Ebene während der Bronzezeit in einer Bucht lagoder nicht. Es war beabsichtigt, das paläogeographische Material auf die Möglichkeit einesnatürlichen Hafens für die achäische Flotte in der Besik-Bucht während des vermutetenTroianischen Kriegs hin zu untersuchen. 80 Handbohrungen wurden bis zu einem Maxi-mum von 8 m durchgeführt und einige 14C-Proben genommen (Abb. 3). Es konnte gezeigtwerden, daß die jetzige Besik-Ebene vor etwa 6000 Jahren als eine kleine Bucht geformtwurde. Danach trennte eine Küstenbarriere eine kleine Lagune ab.8 Oberhalb der Besik-Ebenegibt es keinen größeren Fluß der eine große Menge an Alluvium erbringen könnte. Ausdiesem Grunde entwickelten sich die Küstenlandformen hier nur durch marine Prozesse.Dies machte es möglich, verhältnismäßig kleine Meeresspiegelveränderungen während desmittleren und späten Holozäns zu beschreiben. So sank der Meeresspiegel in der spätenBronzezeit um etwa 2 m, verursachte eine Ausdehnung der Küstenbarriere und verkleinertedie Lagune. Das bedeutet, daß ein bronzezeitlicher Naturhafen mit einer offenenWasseroberfläche an dieser Stelle nicht möglich gewesen zu sein scheint.9

Ein neues, von Manfred Korfmann geleitetesTroia-Projekt begann im Jahre 1988. Ein Unimog –»Archäomog« genannt – war dem Projekt vonDaimler-Benz als Multifunktionsfahrzeug für dieschweren Ausgrabungsarbeiten gestiftet worden. Esbesaß eine hydraulisch betriebene Schraubbohr-vorrichtung, die kraftvolle, schnelle und produktiveBohrungen von bis zu 20,50 m Tiefe ermöglicht(Abb. 4). Durch die Nutzung dieses Geräts wurdenjedes Jahr Dutzende von Bohrlöchern gebohrt,besonders in der alluvialen Ebene rund um Troia.

Der Unimog wurde unter anderem auch dazubenutzt, bis zu 2,5 m tiefe Gräben in den kolluvialenAblagerungen entlang des Hangfußes zu ziehen, umdetaillierte Untersuchungen der Bodenformationenund der Streuung archäologischen Materials ausdem Erdhügel durchzuführen. Zusätzlich wurde einsog. Eijkelkamp-Handbohrer an Stellen benutzt, andenen dies angebrachter schien. Bis zu einer Tiefevon 8–10 m ist der Eijkelkamp-Handbohrer gut ein-setzbar, um die Oberflächensedimentschichten zuuntersuchen, die während historischer oder sogarprähistorischer Zeit gebildet wurden (Abb. 3).

In den Jahren 1992–1994 konzentrierten sich dieForschungen auf den Höhenrücken von Yenisehir(das antike Sigeion), der die Ebene des Kara-

Abb. 7Ein Beispiel für einen Satz sedi-

mentologischer und stratigra-phischer Kernprofile, der mit

einem Kobra-Bohrgerät erzieltwurde. Die Abbildung gehörtzur Bohrnummer 175, welche

sich nördlich des römischenTheaters am nördlichen

Fußabhang Troias befindet.Hier stößt man am Grund (B)auf neogenen gewachsenen

Fels (Sandstein). Darüber befin-det sich eine unverbundene

Oberflächendecke (B1), danndie grobsandige bis kieselhalti-ge Ablagerung der holozänenmarinen Transgression, welche

reich an Muscheln (C1 und C2)ist, feinkörnige marine

Sedimentserien (M1, M2, M3),deltaische oder Hochwasser-

ebenen-Sedimente, diezumeist sumpfigen oder nas-

sen Milieus (T1, T2, T3) ange-hören und schließlich können

alluviale und kolluvialeSedimentserien leicht unter-

schieden werden.

323Mit dem Kernbohrer in die Vergangenheit

menderes von der Ägäis im Westen abgrenzt, sowie auf seinenöstlichen Fuß, der sanft zur Ebene hin ausläuft (Abb. 1). Hier las-sen die geomorphologischen Merkmale alte Hafenanlagen ver-muten; diese Möglichkeit wurde in der Literatur ausgiebigdiskutiert. Die neuen Daten haben es möglich gemacht, einigeder Fragen zu klären.10

Obwohl die Anzahl der Bohrlöcher, von denen die meistenmit Hilfe des »Archäomogs« nach 1988 gemacht wurden, imJahre 1996 200 erreichte, zwang die große Mannigfaltigkeit dermarinen, Küsten-, Delta-, Hochwasser- und Sumpfgebiete imForschungsgebiet zusätzlich zu den kolluvialen und archäologi-schen Ablagerungen und ihren vertikalen und horizontalenVeränderungen in kurzen Abständen, dazu, die Anzahl derBohrungen zu erhöhen und unterschiedliche Bohrgeräte zubenutzen. Der Unimog machte es aufgrund seiner hydraulischenKraft möglich, in kurzer Zeit Bohrlöcher, durch alle Arten vonSedimentsektionen bis in 20 m Tiefe zu treiben. Trotzdem konn-ten die Proben wegen des vermischenden Effekts der Rotations-schraubbohrung nicht als ungestörte Kerne entnommen wer-den; zusätzlich stiegen wegen des großen Volumens derSchraubstäbe (Abb. 5) die Sedimente unter hohem Druck wäh-rend des Bohrvorgangs hinauf, mit dem Ergebnis, daß dieProben nicht ihrer wahren Tiefe zugeordnet werden konnten.Aus diesem Grund wurde in neueren Studien das Schlagbohr-gerät bevorzugt. Der Vorschlag, ein Schlagbohrgerät einzusetzen,wurde von Manfred Korfmann unterstützt und die Troia-Expedition besorgte einen Bohrsatz für diese Untersuchungen.Beim Einsatz dieses Geräts wurde 1 m eines meißelartigen Kern-bohrstabs von einem maschinenbetriebenen Bohrer (Kobra) inden Boden getrieben und dann mit Verlängerungsstäben von je1 m Länge tiefer hineingebracht (Abb. 6). So war es möglich, fastungestörte Sedimentproben zu bekommen; sie waren allerdingsleicht zusammengedrückt. Der Durchmesser des Kernbohrerskann 60 mm, 50 mm oder 35 mm betragen und erlaubt es bis in30 m Tiefe geeignete Sedimente zu erreichen. Bei normalenBedingungen beträgt die Bohrtiefe 15–20 m. Mit dünnerenStäben (25 mm Durchmesser) auch tiefere Testbohrungen mög-lich. Dies ist dann nützlich, wenn eine Grundtiefe oder dieOberfläche des gewachsenen Fels unterhalb mariner Sedimentegesucht wird. Nach dem Einsatz einer hydraulischen Hebers imJahre 1997 mit dem der Meißelkernbohrer und die Verlän-gerungsstäbe herausgenommen werden konnte, erhöhte sich dieProduktivität der Bohrarbeit (Abb. 7). 2003 betrug so die Zahlder Kobra-Bohrungen 104 und die Gesamtzahl der Troia-Bohrungen 304 (Abb. 1).

Sedimentproben, der Bohrlöcher sind zunächst im Labor desInstituts für Geographie der Ege Universität analysiert worden.Dazu zählen einfache Korngrößen-, PH- und kalzimetrischeAnalysen. Ausschließlich wurden die Proben für weitereAnalysen, wie etwa die 14C-Analyse, vor Ort vorbereitet und anspezialisierte Labors gesandt. 1997 und 1998 wurden OSL-Ana-lysen von einem Forschungsteam der Universität Heidelberg mitguten Resultaten durchgeführt.

Schließlich wurden die Bohrdaten per Computer in einemStandardformat (Abb. 8) ausgewertet und die Querschnitte zumZeichnen vorbereitet (Abb. 9). Basierend auf einer großen Zahlvon Querschnitten, konnten paläographische Karten gezeichnet

324 Àlhan Kayan

werden. So wurde die geographische Rekonstruktion der Küstenlinienpositionen für vieleZeitabschnitte möglich (Abb. 10).

Für die stratigraphischen Korrelationen zwischen den einzelnen Bohrlöchern ist es not-wendig, die präzisen Standortdaten der Bohrpunkte in Relation zum gegenwärtigen Meeres-spiegel zu wissen. Karten im Maßstab 1 : 25000 waren die wichtigste Informationsquelle.Wegen einiger notwendiger Korrekturen wurden spezielle topographische Messungengemacht und mit entsprechenden aus Troia verbunden. Zusätzlich wurden in jüngerer ZeitGPS-Messungen genutzt, besonders für einige Bohrpunkte Troias. Eine in den letzten Jahrenin der Karamenderes-Ebene durchgeführte Flurbereinigung hat zu einer Verschiebung desalten, nach Feldwegen oder -grenzen ausgerichteten Meßsystems geführt, weswegen dieursprüngliche Lage der Bohrlöcher z. T. sehr schwer zu lokalisieren ist. So mußten vertikaleVerschiebungen bei bestimmten Bohrlochkorrelationen von bis zu einigen 10 cm einberech-net werden.

Holozäne Stratigraphie und geoarchäologische Interpretationen

Am Boden der alluvialen Ebenen in der Umgebung Troias dehnt sich die rauhe Oberflächeder neogenen Felsbettformation aus, die durch die neotektonischen Bewegungen derErdkruste aufgebrochen ist. Über dieser wurde durch Bohrungen an einigen Stellen die plei-stozäne marine Sedimentformation erreicht, deren 14C-Daten ein Alter von mehr als 20000bis 30000 Jahren BP (Before Present) angeben. Trotzdem sind die holozänen Sedimenta-tionsserien hier vom archäologischen Standpunkt aus unentbehrlich. Sie bestehen von untennach oben aus drei stratigraphischen Gruppen:

[1.] Frühe holozäne marine Sedimente: Das rapide ansteigende Meer drang während desfrühen Holozäns zunächst in den eingeschnitten Kanal des Karamenderes auf dem Grunddes Tals, das etwa 30 m unterhalb der heutigen Oberfläche westlich von Troia liegt (Abb. 10).14C-Daten großer Meeresmuscheln (besonders Cardium- und Ostrea-Muscheln), die inetwa 50 m Tiefe entnommen worden sind, wurden auf 10000 Jahre BP datiert. Bis 7000 JahreBP war der alte Talgrund vollständig von Meerwasser bedeckt und die Küstenlinie befandsich nahe P¿narbas¿-Mahmudiye im Süden. In Bohrlöchern, die den neogenen gewachsenenFels erreichten, begannen marine Sedimente mit groben zurückgebliebenen Ablagerungen(kieselhaltige und grobsandige Transgressions-Fazies). Große Austernschalen sind gewöhn-lich in diesen Grundablagerungen reichlich vorhanden. Darüberliegender feinkörniger undim allgemeinen sehr homogener Meeresschlamm bildete die Hauptsedimentserie der holo-zänen Transgression. Dies verursachte sich von Ort zu Ort unterscheidende sedimentologi-sche Merkmale, von gut gesondertem, sehr feinem Sand bis zu sehr klebrigem, schwarzenSchlamm. Klebriger schwarzer Schlamm hängt mit organischen Kolloiden zusammen.Trotzdem sind Meermuscheln auf Grund sauerstoffarmer und saurer Bedingungen sehr sel-ten. Während der Bohrvorgänge im Süden gab es einige kleine Methangasexplosionen . Mantraf in dieser Gruppe auf keinerlei archäologisches Material, also etwa keine Keramik, dievom Wasser in dieses alte marine Umfeld getrieben wurde. 14C-Daten von Muscheln wurdenin den Küstenablagerungen auf Meeresspiegelhöhe unterhalb der gegenwärtigen Ober-fläche, entlang des Fußes der neogenen Hänge, immer bis nahe 6000 BP gefunden. DerMeeresspiegelanstieg stagnierte vor etwa 6000 Jahren bei seinem gegenwärtigen Stand.

[2.] Mittlere holozäne Transgressionszone und deltaische Progradation: Die obersteOberfläche der marinen Sedimentserie dehnt sich für einige Meter, im allgemeinen 2 m,unterhalb des aktuellen Meeresspiegels unter fast der gesamten Oberfläche der gegenwärti-gen Ebene aus (Abb. 9). An vielen Stellen gibt es in dieser Schicht keine klare Veränderung inden physischen Merkmalen der Sedimente. Wie bei der weiter unten liegenden marinenGruppe sind sie schwärzlich-dunkelgrau verschlammt, fein- bis sehr feinsandig. Es handeltsich um marine oder meerverbundene Sedimente, die sich von Ort zu Ort unterscheiden(Abb. 7). An einigen Stellen zum Beispiel haben sie eine einheitlich harte Blockstruktur mit

Abb. 8Als Beispiel das sedimentologi-

sche Interpretationsprofil derBohrungsnummer 175

(Abb. 7). Alle Bohrberichtewurden in derselben

Computerdatei ausgewertetund haben eine Datensamm-

lung vorbereitet. Unterschied-liche Sedimentserien, die in

Abb. 7 getrennt sind, werdenhier im genauen Maßstab

gezeigt, auch einige besondereFunde wie zum Beispiel

Tonscherben.

325Mit dem Kernbohrer in die Vergangenheit

Vorletzte erdgeschichtlicheEpoche, ca. 1,8 Mio-11.800Jahre vor heute.

Pleistozän

Innerhalb einer Masse verteilte mikroskopisch kleine Partikel.

Kolloide

Erdgehalt und Karbonatbeimischungen, während sie an anderen Stellen laminiert sind.Meermuscheln sind selten und mit Brackwasser- bis Frischwasser-Spezies gemischt. All dieseMerkmale zeigen an, daß es sich hier um eine Übergangszone zwischen unteren Meer- undoberen Landgruppen handelt. Die Sedimente müssen in der sehr seichten Küstenumgebungeiner Deltahochwasserebene abgelagert worden sein. Dort gibt es weder eine Strand-, nocheine Lagunenbildung. Statt dessen zeigen die Sedimente sumpfige oder jahreszeitlich be-dingte nasse Umfelder an.

Die obere Oberfläche dieser Gruppe ist zumeist auf dem gegenwärtigen Meeresspiegel-niveau. So ist es möglich darzulegen, daß die Übergangszone zu der spätesten Wasserzonegehört, die mit Deltasedimenten gefüllt ist und die dem Ende des Meeresspiegelanstiegsfolgt.

Zu den Merkmalen der Übergangszone gehört eine Anzahl von Sedimentgürteln, die frü-here deltaische Verteilungskanäle – »azmak« ist eine spezifischere Bezeichnung im Türki-schen – darstellen. Diese sind mittelgrob bis grobsandig, im allgemeinen schlammig undenthalten große Mengen an organischen Kolloiden. Während grober Sand Wasserflußandeutet, zeigen ihre schlammige Natur und der organische Inhalt zumindest von Zeit zuZeit (oder saisonal) stagnierende Bedingungen auf. Ihre Tiefe unterhalb des aktuellenMeeresspiegels stimmt mit der Interpretation als »azmak« überein. Bei einer solchen, sehrseichten Küstenzone würde ein kleiner Meeresspiegelabfall die Umwandlung eines weitenGebietes in trockenes Land verursachen. Diese Interpretation wird von Sedimentmerk-malen und 14C-Daten, die auf eine regressive Sequenz in der Periode zwischen 5000 und3500 BP hindeuten, untermauert. So repräsentiert die Übergangsoberfläche einen wichtigenWechsel von einem nassen Umfeld zu Trockenland, das für eine Nutzung durch den Men-schen geeignet ist. Das macht sie geoarchäologisch besonders wichtig. Obwohl kein archäo-logisches Material, wie Tonscherben oder Lehm- und Dachziegelstücke, in dieser stratigra-phischen Gruppe gefunden wurde, kann sich solches Material grundsätzlich in kolluvialenAblagerungen, die sich von den Hängen bis in deltaische Sedimente erstrecken, finden. Nurzwei Tonscherben wurden im Loch der Bohrung 129 10–10,5 m unter der jetzigen Ober-fläche (etwa 3 m unterhalb des Meeresspiegels) entdeckt, was angesichts dieser Tiefe außer-gewöhnlich ist. Da sie erodiert sind, konnten sie nicht datiert werden. Trotzdem sindExperten für Troia-Keramik davon überzeugt, daß sie aus der Bronzezeit stammen; diesstimmt auch mit den geologischen Interpretationen überein.

[3.] Holozäne Hochwasserebenensedimente: Die oberste Sedimentationsgruppe über demderzeitigen Meeresspiegel besteht aus feinsandigen bis schlammigen Hochwasserebenen-ablagerungen (Alluvium) (Abb. 9). Ihre Farbe variiert nach dem Stand des Grundwassers.

326

Abb. 9Beispiel für die ausgewertetenDaten, die durch die Kernboh-rungen am Nord-Süd-Quer-schnitt im Norden Troias, vonder Dümrekebene bis zumTroia-Bergkamm ermittelt wurden. Hier befinden sicheine marine Sedimentserie auf dem Grund und eineKüstenplattform auf dem neogenen gewachsenen Fels;die deltaische Übergangszone,die groberen Füllungen alterFlußkanäle, die letzte alluvialeDecke und das Kolluvium sindzum Hang hin getrennt. 14C-Daten sehen vor, denUmfeldgruppen in chronologi-scher Anordnung zu folgen.

Àlhan Kayan

Unterhalb des Grundwasserspiegels sehen graue bis dunkelgraue Sedimente wie die der unte-ren Gruppen aus. Es ist manchmal schwer, sie voneinander zu unterscheiden. Sie sind jedochverschieden in der Natur ihres harten Blockschlamms und des Karbonatgehalts. Wie bei denSchichten über dem Grundwasserspiegel haben sie im allgemeinen bräunliches bis olivfarbe-nes Aussehen. In den oberen Schichten ist die Korngrößeneinheitlichkeit gestört. Es sindabgetragene Hochwasserspuren, grobere Hochwasserbänder und pedogene Horizonte zusehen. Trotzdem sind große Strömungskanäle – erkennbar an groberen Sedimenten – selten.Dies ist so, weil der gewachsene Fels in dem Gebiet nur feinkörnige Sedimente produziert.Zum Fuß der Hänge entlang der Ränder der alluvialen Ebene hin mischt sich kolluvialesMaterial in die Hochwasserebenensedimente. Diese sind ebenfalls feinsandig und stammenvon den Hängen, die aus neogenem gewachsenen Fels bestehen. Zusätzlich enthalten sie leh-miges Bodenmaterial, das durch die Witterung auf den Hängen produziert wurde. Deswegenkönnen sie leicht unterschieden werden. Sie haben große Bedeutung wegen ihres Gehalts anarchäologischem Material. Zum Beispiel enthält das Kolluvium in der nahen UmgebungTroias Tonscherben, Lehm- und Dachziegelstücke, Feuerrückstände (Kohle, Asche und ver-brannten Boden) und Nahrungsreste (Knochen und Schalen). Die abgerundete Form derTonscherben deutet an, daß sie über einige Entfernung von der Wasserströmung an dieOberfläche transportiert wurden. Ihre Fülle, Formen und Alter sind sehr wichtige Werkzeugefür die geoarchäologischen Interpretationen.

Abb. 10Geomorphologische

Entwicklung der Hochwasser-Deltaebene des Karamenderes(Skamander) im Westen Troias.

327Mit dem Kernbohrer in die Vergangenheit

Schlußfolgerung

Sedimentologische und stratigraphische Daten, die bei Kernbohrungen auf den alluvialenEbenen und am Fuße der Hänge, die Troias Bergrücken umschließen, erzielt wurden, sindeine wichtige Quelle, um die Veränderungen der geographischen Umgebung während desHolozäns zu beleuchten. Die stratigraphische Sequenz der holozänen Sedimente besteht ausdrei Hauptgruppen, die drei verschiedene paläogeographische Perioden darstellen. Das sindzum einen das früh- bis mittelholozäne (im allgemeinen mit der neolithischen Periode kor-respondierende) marine Umfeld, das sich als eine lange Bucht entlang des unteren Karamen-derestales erstreckte, zum anderen die mittelholozäne (Bronzezeit) deltaische Progradation,die wegen des kleinen Meeresspiegelabfalls eine Periode der schnelleren Entwicklung war,und schließlich die spätholozäne langsamere Periode der Verlandung, Aggradation und deralluvial-kolluvialen Sedimentation (Bildung der gegenwärtigen Hochwasserebene). Es istmöglich, diese Auslegungen mittels detaillierterer sedimentologischer und paläontologischerAnalysen weiterzuentwickeln. Trotzdem sind die aus 304 Kernbohrungen und paläogeogra-phischem Material erlangten Daten recht ausreichend für die momentanen geoarchäologi-schen Interpretationen.

328 Àlhan Kayan

Anmerkungen

1 Siehe hierzu den Beitrag von

Donald F. Easton, in diesem Band

S. 107.

2 Siehe hierzu den Beitrag von

Hans Günter Jansen, in diesem

Band S. 309.3 Jansen/Blindow 2003.4 Kayan 1996.5 Göbel et al. 2001.

6 Göbel et al. 2003.7 Kraft et al. 1980; Jansen/

Blindow 2003.8 Kayan 1991.9 Kayan 1991.10 Kayan 1995.