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Eberhardt Karls Universität Tübingen
Philosophische Fakultät
Seminar für Alte Geschichte
Proseminar: Augustus
WS 2012/2013
Dozent: Dr. Hartmut Blum
„Die Reichspolitik im Westen: Kolonisation und Romanisierung“
*
Versuch einer Zusammenführung und analytischen Betrachtung der Eroberungs- und
Romanisierungsprozesse und ihrer Folgen in den Römischen Westlichen Provinzen am
Beispiel Spaniens, ausgehend von einem neuen Römischen Selbstverständnis und unter der
Berücksichtigung der unter Augustus gegebenen Konditionen, sowie unter Einbeziehung
verschiedener Definitionen dessen, was man unter ‚Romanisierung‘ versteht.
Fabian Daldrup
Raichbergstraße 13
72072 Tübingen
caducaeus@web.de
Hauptfach: Geschichte, Nebenfach: Spanisch
3. Fachsemester (Geschichte)
1. Fachsemester (Spanisch)
Inhaltsverzeichnis
- Deckblatt -
- Inhaltsverzeichnis -
I. Einleitung:
1) Seite: 1 : Die ‚ewige‘ Streitfrage: War Augustus‘ Außenpolitik offensiv
oder defensiv?
2) Seite: 2 : Augustus‘ Militärpolitik: Problembildung und Notwendigkeiten
3) Seite: 2 – 3 : Warum Spanien? Betrachtung der Kriegsgründe und der
Vorteile, die die Iberische Halbinsel bot
II. Hauptteil:
1) S. 3 – S. 5 : Hinführung: Romanisierung als Innovation – Definitionen und
Hinterfragung
2) S. 5 – S. 6 : Anno XXV Augustus in Hispaniam venit – Die Eroberung des
Nordwestens
3) S. 6 – S. 7 : Autoperzeption: Die Römische Selbstwahrnehmung und ihre
Folgen
4) S. 7 – S. 13 : Historik II: Politik der Romanisierung/Zivilisierung
S. 7 – S. 9 : Das Phänomen der Urbanisierung
S. 10 – S. 11 : Das Römische Bürgerrecht und seine Bedeutung
S. 11 – S. 12 : Die Romanisierung der Elite (Ein Prozess mit zwei
Gewinnern)
S. 12 – S. 13: Die direkten Folgen der Romanisierung
III. Schluss:
1) S. 13 : Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussbetrachtungen
2) S. 14 : Literaturverzeichnis
3) S. 15 – S. 22 : Anhang
4) S. 23 : Quellenangaben des Anhangs
1
Einleitung:
Steht die ‚ewige‘ Streitfrage vor einer Lösung zugunsten einer Seite?
(Cass. Dio LIII, 10): „Behaltet streng, was ihr bereits habt, strebt nicht nach dem, was nicht
euer ist (…) verletzt oder ängstigt nicht eure Feinde!“1. An dieser Stelle hat der römische
Geschichtsschreiber Cassius Dio in dessen persönlichem ‚Schicksalsjahr‘ 27 v.Chr. den ersten
Princeps zitiert. An dem, was hinter diesem Zitat steht und was eine Grundsatzfrage für all
jene ist, die sich mit Augustus beschäftigen, scheiden sich nach wie vor die Geister von
Historikern und Altertumsforschern. Die Streitfrage lässt sich im Kern auf folgenden
wesentlichen Punkt beschränken: War die Ausrichtung der Außenpolitik des Römischen
Reiches unter Augustus defensiv, offensiv-imperialistisch oder gar die einer „offensiven
Defensive“ (H. E. Stier)2? Noch vor wenigen Jahrzehnten herrschte die Meinung vor, dass
tatsächlich die erste Option der Auswertung historischer Belege zufolge die richtige sei. Ein
Paradebeispiel für eine vehemente Vertretung dieser Annahme ist der Historiker Meyer, der
vor allem deshalb lohnend ist anzuführen, da seine Schriften die Grundlage für Antworten
und weiter reichende Analysen vieler seiner Kollegen war. Laut Meyer hat Augustus „mit
Entschlossenheit die Außenpolitik auf eine grundsätzliche Defensive umgestellt“3 und
attestiert ihr keine Merkmale imperialistischer Politik. Ein wichtiger Punkt, der unter anderen
Meyer zu dieser Ansicht verleitet haben mag, soll an späterer Stelle näher beleuchtet werden.
Mit Bezug darauf, dass die römischen Truppen zunächst Germanien angriffen, dann aber eine
dauerhafte Verteidigungslinie an der Elbe zogen kam H. E. Stier dazu, „Die Ausdehnung der
Römischen Herrschaft bis zur Donau-Elbe-Linie (…) als Akt einer offensiven Defensive“ zu
betrachten. Einen entschiedenen Gegner seiner Position findet Meyer in dem amerikanischen
Historiker P. A. Brunt. Laut diesem war Augustus’ Umgang mit den Klientelkönigreichen im
Osten des Imperiums mitnichten defensiv und ihre Errichtung weniger liberal als viel mehr
eine Wallbildung gegen das Reich der Parther zu betrachten.4 Die Augusteische Ostpolitik
interpretiert er dahingehend, dass der Princeps im Westen mit der drängenderen Befriedung
der neuen Provinzen zu beschäftigt gewesen sei, um im Osten ähnlich zu handeln. So ist er
einer von mittlerweile vielen (unter ihnen auch Kienast), die in Augustus einen Imperialisten
sehen.5 Augustus selbst legt in seinen „Res Gestae“ sowohl
Wert auf die Friedenswahrung, wie auf die Gebietsgewinnung, dennoch lässt sich auch bei
der Analyse des Themas dieser Arbeit sein imperialistischer Charakter nicht verhehlen. 1 P. A. Brunt, Augustan Imperialism, in: Astbury, Peter; Roman Imperial Themes; Oxford; 1990; S. 96 – 110. 2 Dietmar Kienast, Augustus: Princeps und Monarch, Darmstadt 1992, S. 247. 3 Ebd. 4 Brunt, Augustan Imperialism, S. 104/105. 5 Ebd.
2
Augustus‘ Militärpolitik: Problembildung und Notwendigkeiten
Weshalb Meyer aber dennoch durchaus fundierte Gründe für seine Annahme hat, weshalb
Augustus wie Brunt es formulierte „zu beschäftigt war“, um überall gleichermaßen als
Eroberer in Erscheinung zu treten, weshalb Augustus stets äußerst vorsichtig kalkulieren und
strategisch äußerst geschickt agieren und somit defensiv wirken musste, das klärt sich bei
einem der wichtigsten Kerne der Reformen, die er nach seiner Machtübernahme durchsetzte.
Wieder ist es P. A. Brunt, der den Nukleus der Sache prägnant formuliert. Laut ihm war das
Römische Heer schlicht nicht groß genug, um den territorialen Dimensionen des Imperiums
gerecht zu werden.6 Diese These stützen auch die Forschungsergebnisse von Kurt Raaflaub,
der sich intensiv mit diesem Thema beschäftigte: Laut ihm lagen die wichtigsten Aspekte der
radikalen Heeresreform des Princeps in der Instutionalisierung des Militärapparates, in der
Einschwörung der Soldaten auf die Person des Princeps und im Besonderen auf der
Verkleinerung und Diffusion der Legionen.7 Raaflaub spricht in der Tat von einer Reduktion
des Heeres um fünfzig Prozent, sowie davon, dass die Legionen umsichtig auf die Provinzen,
in denen ihre Präsenz nötig war, verteilt wurden.8 Die Gründe dafür sind in den Texten klar
erläutert und hier nicht weiter wichtig. Aus der Betrachtung dieser Analysen lässt sich
Folgendes sagen: Augustus sah sich zur Reduktion des Heeres gezwungen, diese wiederum
zwang ihn zu einer Politik, die dem Betrachter defensiv erscheinen mag, aber nicht zuletzt die
Ausdehnung des Reiches unter seiner Herrschaft, sowie auch die dieser Arbeit zugrunde
liegenden historischen Ereignisse lassen keinen Zweifel daran, wie eroberungsorientiert der
erste Princeps war.
Warum Spanien? Betrachtung der Kriegsgründe und der Vorteile der Iberischen Halbinsel
Wenn nun aber Augustus‘ imperialistischen Interessen solche Fesseln auferlegt waren,
weshalb konnte er dann überhaupt den Krieg führen, um den es hier primär gehen soll,
nämlich den Feldzug nach Nordwestspanien zwischen 25 und 19 v. Chr.? Brunt formuliert es
so, dass „wenn Ausdehnung gewünscht war, immer ein Grund zur Hand lag“9. Sowohl
präziser als auch zeitnäher schreibt Cicero (Cic. de off. I, 38, cf. de imp. Gn. Pomp; Phil. VII,
12)10 „Ehre und Macht sind immer Grund für Krieg“11. Cicero liegt deshalb so richtig, da es
6Brunt, Augustan Imperialism, S. 99. 7 Karl Raaflaub, Die Militärreformen des Augustus und die politische Problematik der frühen Prinzipats; in: Gerhard Binder; Wege Der Forschung (Saeculum Augustum – Herrschaft und Gesellschaft Band 1) ; Band CCLXVI; Darmstadt; 1987. 8 Ebd. 9 Brunt, Augustan Imperialism, S. 100. 10 Übersetzt aus dem Englischen 11 Brunt, Augustan Imperialism, S. 104.
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für Augustus vielleicht nie so wichtig war, sich als Princeps zu behaupten, wie kurz nach der
Übernahme der Macht. Augustus war zwar nun inoffiziell der Herrscher des Römischen
Reiches, dennoch stand er noch aus Bürgerkriegszeiten in der Schuld vieler. Er musste neue
Verwaltungseinheiten schaffen, um seine Unterstützer mit der nötigen Ehre versehen zu
können, doch wesentlich wichtiger war, dass Augustus mit der Nachfolge Cäsars
„weltherrschaftliche Machtansprüche“12 übernommen hatte und damit auch dem Römischen
Volk gegenüber in moralischer Verantwortung stand und Erwartungen zu erfüllen hatte.13 So
musste also erfolgreich Krieg geführt werden und weshalb der Princeps beschloss, den noch
unbefriedeten Nordwesten Spaniens zu erobern, ist vielfach interpretiert worden: Zum einen
mutmaßt Brunt, dass die Notwendigkeit der Befriedung sowohl Galliens als auch Spaniens
darin lag, dass ihre Ressourcen für kommende Kriege bedeutsam seien.14Diese These stützt
der italienische Historiker Antonio Brancati damit, dass nach wie vor „der alte Traum der
Herrschaft über das Perserreich“15 für den Spanienfeldzug den Ausschlag gab. Übrigens
liefert dies eine weitere Erklärung dafür, weshalb Augustus im Westen Krieg führte, im Osten
dagegen kaum. Da Gallien bereits durch Cäsar vollständig erobert worden war, gab es dort für
Augustus die notwendigen und sprichwörtlichen Lorbeeren nicht zu holen und auch
praktischere Gründe gab es, nach Spanien zu ziehen: Im noch ‚barbarischen‘ Nordwesten der
Halbinsel gab es antirömische Propaganda und offene Rebellion gegen den lateinischen
Süden, zudem war das zu erobernde Gebiet nicht sehr ausgedehnt und zu guter Letzt auch von
Rom aus relativ schnell und bequem zu erreichen, was für Augustus, selbst vor Ort in
Spanien, sicher bedeutsam war.16 Bei Betrachtung einer Karte des Imperiums zeigt sich
außerdem, dass mit der Eroberung Asturiens und Keltiberiens eine der ‚Lücken‘ im Stoff des
Reiches nach fast 200 Jahren geschlossen werden konnte.17 (siehe dazu: Anhang Nr. 6)
Hauptteil:
Hinführung: Romanisierung als Innovation – Definitionen und Hinterfragung
Der Begriff ‚Romanisierung‘ ist im Zusammenhang mit der Gesamtthematik der Geschichte
der Römischen Antike, aber auch in anderen Wissenschaftszweigen wie der Romanistik (wo
er allerdings eine sekundäre Rolle spielt), ein unverzichtbarer und einer der meist
verwendeten. Allerdings erfolgt hierbei schon beinahe eine Art Überbeanspruchung, ohne
12 Kienast, Augustus, S. 276. 13 Kienast, Augustus, S. 275. 14 Brunt, Augustan Imperialism, S. 104. 15 (übersetzt aus dem Italienischen) Antonio Brancati, Augusto e la guerra di Spagna, Urbino 1963, S. 43. 16 Ebd. 17 Brancati, guerra di spagna, S. 38.
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dass im jeweiligen Kontext immer klar ist, was mit dem Ausdruck genau dargestellt werden
soll. Denn in der Tat ist sein Anwendungsgebiet so weit wie die Interpretationen die hinter
ihm stecken, und es ist gleich vorauszuschicken, dass dies kein Versuch einer ‚einzig
richtigen Definition‘ ist. Es ist vielmehr der grundsätzliche Versuch, diejenigen Teilaspekte,
die sich hinter einem Wort verbergen und die für das hier bearbeitete Themengebiet die
meiste Bedeutung und den höchsten Erklärungswert haben, herauszuarbeiten und
darzustellen.
Zunächst ist festzuhalten, dass sich hinter dem Begriff ‚Romanisierung‘ allein vom
grammatischen Stamm her etwas verbirgt, das die Prozesshaftigkeit seiner Bedeutung als
zentralen Charakterpunkt aufweist. Alles, was mit diesem Ausdruck beschrieben werden
kann, fällt in den Bereich bewegter, wandelnder Geschehnisse. Prozess bedeutet weiterhin
zwangsläufig Veränderung, und welcher Art diese Veränderung ist, stellt Claudia
Dürrwächter in ihrer Dissertation auch mit Hinblick auf die so genannte ‚Romanisierung der
Westlichen Provinzen‘ dar: Laut ihrer Darlegung ist Romanisierung immer mit dem Begriff
der Innovation verknüpft, also der Erneuerung möglicherweise überholter bereits vorhandener
Konditionen. Ein zentraler Punkt dabei ist, dass der „innovation“ immer eine „invention“
vorangeht.18 Im direkten Vergleich der in diesem Fall ausführenden Kraft, des Römischen
Reiches, mit dem Empfänger, in diesem Fall den westlichen Provinzen, bedeutet
Romanisierung in erster Linie die auf dem Prinzip der Verbesserung beruhende Veränderung
des Rückständigen. Bei Dürrwächter wird dies als eine Art ‚Modell geographischer
Verbreitung, vom Zentrum ins Hinterland, von Rom in die Welt verstanden.19In dieser
Darstellung werden insbesondere die Freiheit des Empfängers20 und dessen natürliche
Bereitschaft zur Gegenwehr erwähnt.21
Genau diese Punkte bilden auch das Interessenzentrum in den wichtigsten
Romanisierungsmodellen, die Leonard A. Curchin ausgearbeitet hat: Theoretisch sei ihm
zufolge das logische erste Modell das der ‚Dominierung‘, bei dem die Eroberungskultur die
vorhandene zerstört. Diese Möglichkeit sei allerdings historisch falsch, da die Auslöschung
einer Kultur eher ‚unrömisch‘ sei. Das Modell der Integration beschreibt, wie bei dem
Aufeinandertreffen zweier Kulturen beide aufeinander einwirken, wobei eine sichere
18Claudia Dürrwächter, Time, Space and Innovation: an Archaeological Case Study on the Romanization of the North-Western Provinces (50 BC to AD 50); BAR International Series 2011, Dissertation Oxford 2009, S. 6. 19 Dürrwächter, Space and Innovation, S. 8. 20 Dürrwächter, Space and Innovation, S. 9. 21 Dürrwächter, Space and Innovation, S. 13.
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Dominanz der Erobererkultur erhalten bleibt.22 Die beiden wichtigsten Modelle sind jedoch
das der Selbstromanisierung und das der Romanisierung der Elite, die beide in weiten Teilen
mit den Ergebnissen historischer Betrachtungen über die Römische Herrschaft in den
spanischen Provinzen übereinstimmen. Ersteres beruht in erster Linie auf dem Prinzip der
„adoption and imitation“ (Wightman 1983, S. 239), also darauf, dass die Bevölkerung des
eroberten Landes selbstständig Lebensweise, Kulturpraktiken und Sprache der Eroberer
aufnimmt und anwendet. Signifikant ist dabei das Eingeständnis der Überlegenheit der
Fremdkultur. Das Elite - Modell lässt sich als eine Art Präzisierung des vorherigen verstehen.
Dabei nährt sich die einheimische Oberschicht, bzw. die der Machthaber, an die römische
Kultur an und assimiliert sich. Dies geschieht im konkreten Fall aus Gründen, die später
genau dargelegt werden. Entscheidend dabei ist, dass die einheimischen Unterschichten der
Assimilierung ihrer Herren Folge leisten.23 Auch der Historiker F. Vittinghoff hält das Modell
der Selbstromanisierung der Eliten für ausschlaggebend. Er geht sogar noch weiter und deutet
den römischen Stil als Absicht, besagte Eliten in regierende Verantwortung unter römischem
Prinzip zu nehmen, denn „Rom verwaltete sein Reich nicht direkt, sondern lenkte es“.24Auch
Vittinghoffs Ergebnisse stellen das Modell der Dominierung in Abrede, denn da laut ihm
Rom nicht mit Stahl und Feuer seine Kultur aufzwang, wie später gezeigt wird, sondern eher
impulsgebend wirkte, kann man kaum behaupten, das Reich habe eine Art nationalistischen
Imperialismus betrieben. Vittinghoff hält allerdings fest, dass auch ohne diesen Zwang die
„freiwillige Annahme römischen Lebensstils immer äußerst erwünscht“ war.25
Romanisierung bleibt ein weit gefasster Begriff, doch im Bezug auf die sichtbare
Durchdringung der spanischen Provinzen durch die Römische Kultur ohne nennenswerte
Gegenwehr (nachdem das Territorium erobert war), bleiben die Modelle der
Selbstromanisierung und der Romanisierung der Eliten die bedeutsamsten und
richtungsweisenden für diese Arbeit.
Anno XXV Augustus in Hispaniam venit – Die Eroberung des Nordwestens
Das Jahr 27 v. Chr. markiert einen Meilenstein in der Römischen Geschichte, in der
Biographie des Princeps Augustus und auch in den Annalen der Welt. In diesem Jahr wurde
22 Leonard A. Curchin., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 12/13. 23 Ebd. 24 Friedrich, Vittinghoff,, Römische Kolonisation und Bürgerrechtspolitik unter Caesar und Augustus; Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Heft 9 – 15, Jahrgang 195 (S. 1217 – 1367), S. 1225. 25 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S. 1226.
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die Lösung der existenten Frage präsentiert, wie eine Alleinherrschaft Augustus‘ auch in der
‚republica restituta‘ möglich war. In den vorangegangenen Jahrzehnten hatte Augustus
mehrfach das Amt des Konsuls belegt, was aus mehreren Gründen problematisch und auf
Dauer nicht tragbar war. Die Lösung lag darin, dass nur vier Tage, nachdem Augustus die
Wiederherstellung der Republik erklärt und die ihm zugegebene Macht offiziell in die Hände
des Senats gelegt hatte, ihm das ‚imperium proconsulare‘ angetragen wurde, mit dem er die
Macht über alle römischen Truppen in den nicht befriedeten oder an den Grenzen gelegenen
Provinzen gewann, und damit praktisch unbegrenzten Handlungsspielraum. Diese hohe Ehre
legitimierte nicht nur die herausragende Stellung des Princeps, sie barg ebenso Möglichkeit
wie Verpflichtung, daraus noch weit größere Ehre zu machen, damit deutlich war, dass er das
Imperium Proconsulare nicht ohne Grund inne hatte. Es lag in Augustus‘ Interesse, die
Provinzen des Reiches zu befrieden, doch so kurz nach seiner inoffiziellen Machtetablierung
konnte er logischerweise keinen langwierigen, schwierigen Feldzug unternehmen und schon
gar keinen, der die Möglichkeit einer Niederlage einschloss. Aus diesen und aus den bereits in
der Einleitung genannten Gründen zog der Princeps im Jahr 25 v. Chr. von der ostiberischen
Hafenstadt Tarraco aus nach Kantabrien und Asturien. Dieser Krieg versagte ihm, wie bereits
dargelegt, eine ähnliche Politik im Osten des Reiches.26 Pflichtbewusst und repräsentativ
führte er das Heer selbst, kehrte aber ebenso pflichtbewusst noch im selben Jahr nach Rom
zurück. Der heftige Widerstand der kantabrischen und asturischen Stämme gegen die
römischen Legionen verhinderte allerdings einen allzu raschen Sieg des Imperiums, obgleich
die Befriedung bereits verkündet worden war. Schließlich war es Agrippa, der im Jahr 19 v.
Chr. die Siegesnachricht aus Iberien bringen konnte.
Die militärische Eroberung Nordwestspaniens hatte natürlich die spürbarsten Auswirkungen
auf die dort angesiedelten Stammesverbände und man muss den Prozess der Romanisierung
der in diesen ‚jüngsten‘ aller römischen Territorien seinen Lauf nahm separiert von dem
betrachten, was in den bereits seit langem unter römischer Herrschaft stehenden Gebieten der
Iberischen Halbinsel vor sich ging.27
Baetica, Lusitania, Tarraconensis – Die Politik der Romanisierung der spanischen Provinzen
Autoperzeption: Die Römische Selbstwahrnehmung und ihre Folgen
Für jede auch nur ansatzweise imperialistisch zu nennende Bewegung muss davon
ausgegangen werden, dass der Aktant sich selbst und seine Kultur als der gegenüber
26 Michaela Stein-Kramer, Die Klientelkönigreiche Kleinasiens in der Außenpolitik der Späten Republik und des Augustus, Berlin 1986, S. 115. 27 Alle historischen Angaben dieses Abschnittes aus: Kienast: Augusteische Außenpolitik, Darmstadt 1992.
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stehenden überlegen betrachten muss. Dies setzt eine ganz besondere Art von
Selbstwahrnehmung und einen bestimmten Blick auf die imperialistischen Ideen des
jeweiligen Aktanten voraus.
Es ist davon auszugehen, dass die Römer sich der kulturellen und sozialen Veränderungen,
die ihre Kriege brachten durchaus bewusst waren. Sicherlich erkannten sie sogar die
Individualität dieser ‚Romanisierung‘. Für Rom bedeutete allerdings die Etablierung des
römischen Lebens- und Gesellschaftsstils in anderen Kulturen keineswegs nur dies, sondern
ging über unsere heutigen Definitionen weit hinaus. Für den Römer gab es keine
erstrebenswertere Existenz, als Römer zu sein und römisch zu leben. Die Verbreitung der
Römischen Kultur war vor dem Hintergrund dieser Selbstwahrnehmung nicht nur ‚kulturelle
Diffusion‘, sondern aus ihrer Sicht erst wahrhaftige Zivilisation. Brunt geht sogar so weit, aus
der Perspektive Roms heraus die Romanisierung als Humanisierung darzustellen. Man kann
dahinter eine starke nationale Arroganz erkennen und sogar etwas, das als Begriff erst
Jahrhunderte später auftrat: das Sendungsbewusstsein. Wenn Rom sich dazu verpflichtet sah,
Barbaren zu Menschen zu machen, dann bedeutete das, dass man sich in den Bereichen von
Modernität, Organisation, Moral, Würde, Werten und jeder Art von Kultur und Wissenschaft
nicht nur als überlegen, sondern als einzig legitim betrachtete. Hinter dieser
Selbstwahrnehmung ergibt sich quasi die Zwangsläufigkeit eines römischen Imperialismus,
denn wer außer den am besten entwickelten sollte die Welt führen? Heute wissen wir, dass
keineswegs in den nichtrömischen Gebieten das Barbarentum und in Rom die Weisheit
herrschte, denn schließlich gab es diese auch in anderer Form in Stammeskulturen. Doch zeigt
die Geschichte, wie bewusst die Römer sich ihrer selbst zugeteilten Führungsrolle waren und
wie ernst sie sie nahmen.28
Das Phänomen der Urbanisierung
In die römische Kaiserzeit fiel der Großteil der infrastrukturellen Veränderungen in den
westlichen Provinzen, dazu gehörten der Straßenbau und die Festlegung der Statthaltersitze in
den ‚Conventi‘ (Anhang Nr. 3). Der Conventus war eine römische territoriale
Verwaltungseinheit, die meist den Namen ihres Hauptortes trug. In diesem Hauptort lag die
Administration, er war Ort der Rechtsprechung und der Einwohnerversammlungen, sowie das
jeweilige Zentrum des praktizierten ‚Kaiserkults‘ für den jeder Conventus eine eigene
Priesterschaft besaß. Während im Nordwesten des heutigen Spaniens das Conventsystem
zwangsläufig zu Augustus‘ Zeiten nicht etabliert war, war es bereits zu republikanischen
28 Greg Woolf, The Civilizing Ethos; Becoming Roman; Cambridge 1998; S. 62.
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Zeiten in der seit 218 v. Chr. eroberten Provinz Baetica geläufig.29 Géza Alföldy präzisiert die
Definition eines Conventus dahingehend, dass der Hauptort nicht die gesamte Verwaltung
trug, sondern die Zentrale Administration aller dazu berichtigten Gemeinden des jeweiligen
Gebiets war.30 Im Bezug auf die reine Theorie der Urbanisierung muss man von drei Typen
sprechen, in denen sich selbige aufteilen lässt: Zunächst ist da die Neugründung von
Gemeinden, was unter Augustus‘ Herrschaft kaum geschah, tatsächlich sind ohne Garantie
bei Alföldy lediglich siebzehn bekannt, unter ihnen Valeria, Alaba und Segobriga. Im
Nordwesten Spaniens war das Prinzip wohl verstärkt angewandt, da allerdings eine Gemeinde
Zeit brauchte, um den Status eines erwähnenswerten Ortes zu erlangen und diese in den
Jahren des Prinzipats nicht gegeben war, gibt es dafür auch kaum Belege. Die Neugründung
einer Gemeinde in den spanischen Provinzen geschah meist im Zuge des zweiten Typus,
nämlich der Kolonialisierung. Géza Alföldy versteht darunter primär die Ansiedlung
römischer Kriegsveteranen zur Unterstützung der Romanisierungsprozesse auf der einen und
zur Erfüllung ihrer Pensionsansprüche auf der anderen Seite.31Vittinghoff beschreibt die
Städtegründungen der Römer als Mittel zur „allgemeinen Landbefriedung“.32 Da die
wichtigsten Maßnahmen der Urbanisierung allerdings diejenigen Gebiete betreffen, die
bereits vor Augustus‘ Eroberung des Nordwestens unter römischer Herrschaft standen, ist
nicht die Neugründung oder Kolonialisierung primär zu betrachten sondern die
Entwicklungsmöglichkeiten, die bereits existierende Gemeinden unter Augustus hatten. Der
zentralste und dominierende Begriff lautet hier Munizipalisierung. Der spanische Historiker
Manuel de Frias beschreibt diesen Prozess als wirkungsstark in den Bereichen von Sozietät,
Wirtschaft, Institutionen, Ideologie, Religion und Recht. Außerdem nennt er sie den
deutlichsten Faktor in der Ausbreitung urbanen Lebens und Augustus den entschiedensten
Vorantreiber der Romanisierung durch Munizipalisierung.33Auch hieran erkennt man, dass
die Romanisierung der Iberia keine absolut imperialistische war, da sich Rom auf bereits
vorhandene infrastrukturelle Konditionen stützte.34 Unter Munizipalisierung versteht man die
durch bestimmte Voraussetzungen möglich gewordene Privilegierung einer Gemeinde und
damit eine Anhebung ihres Status. Diese Privilegierung meint wörtlich die Verleihung
29 Rudolf Haensch, Capita Provinciarum (Statthaltersitze und Provinzialverwaltung in der Römischen Kaiserzeit); in: Hansgerd Hellenkemper; Kölner Forschungen; Band 7; Köln 1997, S. 176 - 182. 30 Géza Alföldy, Römisches Städtewesen auf der neukastilischen Hochebene: ein Testfall für die Romanisierung; vorgetragen am 25. Oktober 1986 / Géza Alföldy, HAW Philosophisch-Historische Klasse, Band 3, Heidelberg 1987, S. 89. 31 Alföldy, Römisches Städtewesen, Seite 23. 32 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S. 1217 – 1367.
33 Manuel Salinas de Frias, Conquista y Romanización de Celtiberia, Salamanca 1986, S. 151. 34 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 101.
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„lateinischen Rechts“.35 Die erste Erhebung dieser Art in den spanischen Provinzen geschah
im Jahr 49 v. Chr. durch Cäsar und betraf die Stadt Gades (Cádiz).36Alföldy bestätigt dies
durch seine Erkenntnis, dass es vor Cäsar noch keine Praxis dieser Art gab.37 Andere mit
Sicherheit munizipalisierte Gemeinden waren Oretum, Toletum und Complutum.38 Was
veränderte nun der Status des ‚municipium‘ in einer Gemeinde? Er gewährte und verpflichtete
zu der Einrichtung von politischen Institutionen wie einem Stadtrat, einer Volksversammlung
und frei gewählten Magistraten. Zudem erlaubte er die Errichtung repräsentativer
Präsenzbauten, die den erwünschten römischen Stil und Komfort brachten und das Ansehen
einer Stadt steigerten. Dazu gehörte ein Forum, das Kapitol, die Kurie, ein Theater und
weitere andere. So sollte und konnte architektonische ein „Abbild Roms“ geschaffen werden
(Anhang Nr. 1, 2, 3, 9, 10, 11).39 Mit den benannten Institutionen kamen auch die
Möglichkeiten höheren Bildungstandes in die einzelnen Städte, wie heutige epigraphische
Zeugnisse beweisen. Außerdem lieferte dies die Grundlage für den weiteren politischen und
sozialen Aufstieg der Einwohner einer Gemeinde.40 Obgleich dies Hauptthema eines anderen
Abschnittes ist, muss bereits hier darauf hingewiesen werden, dass mit der Munizipalisierung
eines Ortes nicht die Verleihung des Römischen Bürgerrechtes an all seine Bewohner
einherging.41
Wie konnte nun eine Gemeinde in die Position kommen, durch eine Munizipalisierung
gewürdigt zu werden? Dies hing von mehreren Faktoren ab: Zunächst spielten Alter (sprich:
Tradition) der Stadt eine Rolle. Besonders wichtig war auch eine gute Finanzlage, denn ohne
eine bestimmte Anzahl wirtschaftlich starker Einwohner oder bestenfalls bereits römischer
Bürger, konnte auf die Anhebung des Status‘ nicht gehofft werden. Übrigens trafen beide
Faktoren auf das erste Municipium Gades in vollem Umfang zu.42 Vittinghoffs Interpretation
geht in eine andere Richtung. Seiner Meinung nach geschahen die meisten Erhebungen zu
Municipien aufgrund von Ehre, die die jeweilige Stadt sich im Kriegsdienst des Römischen
Reiches erworben hat.43Unter Augustus kam es in der Tat zu einer regelrechten Welle der
Munizipalisierung, der immer rascher wachsende hohe Status der Westprovinzen und ihre
immer stärkere Bindung zum Reich wird darin deutlich. (Anhang Nr. 5)
35 Alföldy, Römisches Städtewesen, Seite 86. 36 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S. 1255. 37 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 104. 38 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 92. 39 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 104. 40 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 116. 41 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 107. 42 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 86. 43 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S. 1255.
10
Römisches Bürgerrecht
Wie bereits dargestellt, war zum Ende der Republik und zum Beginn der Kaiserzeit ein neues
Selbstverständnis im Römischen Reich und unter den Römischen Bürgern eingetreten, das
auch die Wahrnehmung und Würdigung ihres Status als Bürger einschloss. Für jedermann
sollte es schließlich die höchste Ehre sein, den Status eines Römischen Bürgers zu erlangen.
Auch wenn es dafür nie klar formulierte Kriterien gab44, waren doch Erwartungen zu erfüllen.
Das römische Bürgerrecht war in den westlichen Provinzen tatsächlich und berechtigterweise
sehr begehrt. Mit der neuen Selbstwahrnehmung Roms war es natürlich undenkbar, alle neuen
Einwohner des Reiches gleich zu vollwertigen Bürgern zu machen. So blieb das Bürgerrecht
fast ausschließlich der lokalen Oberschicht vorbehalten, an denen Rom strategisches Interesse
hegte und die damit quasi in römische Loyalität ‚gelockt‘ wurden. Die Unterschicht hatte in
dieser Epoche überhaupt nicht das Selbstverständnis oder den notwendigen Stand der
Bewusstseinsentwicklung, um auch nur daran zu denken, das Bürgerrecht für sich
einzufordern. Außerdem blieb die finanzielle Lage der möglichen Kandidaten nach wie vor
ein entscheidender Faktor. Folgende Vorteil gingen mit der Erlangung des römischen
Bürgerrechts einher: Der Mensch erlangte das Recht zur Besitzakkumulation, zum
Landerwerb und zur Geschäftstätigkeit, was ihm über kurz oder lang noch weiteren
gesellschaftlichen Aufstieg, wirtschaftliche Vorteile und zu guter Letzt einen hohen
Lebensstandard ermöglichen konnte. Dazu genoss er fortan den Schutz vor der Rechtsgewalt
und die Prozessfähigkeit inklusive Verteidigungsrecht. Als Bürger durfte er an
Abstimmungen teilnehmen und sich an der Administration beteiligen, erlangte also gewisse
politische Souveränität. Zum Schluss, und vielleicht als Wichtigstes, konnte man nur als
Bürger in den Römischen Adel aufsteigen und die Römische Ämterlaufbahn einschlagen, was
in Jahrhunderten bis zum Stand des Senators nur in Ausnahmefällen gelang.45 Dagegen gab es
allerdings schon als es in den Status eines Municipiums kam über fünfhundert Männer des
Ritterstandes allein in Gades.46 Das Bürgerrecht stellte im Prozess der Romanisierung
praktisch den Gipfel alles Möglichen dar und war im Zuge der Selbstromanisierung wohl der
Stern, nach dem man greifen sollte. Genau so wurde es von Rom aus offenbar auch
gehandhabt, nämlich als Lohn für beste Integration und als Anerkennung für den Wert, den
der neue Bürger für das Reich hatte oder den er noch erbringen konnte. Vittinghoff stellt
prägnant zwei Wege dar, um des Bürgerrechts würdig zu werden: Der erste ist die bereits
44 P.A. Brunt, The Romanization of the Local Ruling Classes in the Roman Empire, in: Astbury, Peter; Roman Imperial Themes; Oxford 1990; S. 270. 45 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S. 1230 – 1233. 46 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 86.
11
erläuterte Entwicklung zu einer wertvollen Existenz für das Reich, die zweite bleibt fast
klassischerweise die Verleihung des Bürgerrechts als Anerkennung für militärische Erfolge.
So meint Vittinghoff zu erkennen, dass Gemeinden, die sich an kriegerischen
Auseinandersetzungen beteiligt waren, mehr Bürger hatten.47In gewisser Weise stehen
Munizipalisierung und die Verleihung des Bürgerrechts in Beziehung zu einander. Eine Stadt
war immer dann eher Kandidat, Municipium zu werden, wenn viele Bürger dort lebten. Die
Bürger wiederum hatten Interesse daran, die Vorteile und den Komfort eines Municipiums zu
erlangen, sei es aus vergnügungstechnischen Gründen oder aus politischem Interesse. So ist
das Bürgerrecht als ein wichtiges Lockmittel in der Hand Roms zu verstehen, dessen Nutzen
bei einer friedlichen Romanisierung der Westprovinzen gar nicht hoch genug geschätzt
werden kann.
Die Romanisierung der Elite (ein Prozess mit zwei Gewinnern)
Wie bereits erläutert war die Strategie, mit der die römischen Eroberer ihre Kultur in den
westlichen Provinzen nicht nur etablieren, sondern diese Provinzen praktisch zu Teilen des
Reiches machen wollten, nicht die eines Imperialismus unter Waffen und des Zwangs, sich
von einer Kultur loszusagen und eine andere anzunehmen. Es war eine Strategie der Lockung,
der Vorteilsaufzeigung und des Angebotes, auf das die lokalen Eliten eingehen sollten und es
auch taten.
Rom selbst brauchte nicht den Konflikt, sondern den Konsens mit den lokalen herrschenden
Eliten, da der Aufwand, den es zur Verwaltung selbst hätte betreiben müssen nicht tragbar
war. So profitierten von der Romanisierung der Eliten beide Seiten, die Römer, indem sie
quasi ihre eigene Herrschersozietät ausbildeten, und die Oberschicht, weil sie so dem
römischen Lebensstil näher kam. Außerdem waren allein Kenntnisse der Geographie und
Sprache, die die lokalen Oberschichten besaßen, wichtig, und wenn die Elite mit der
Verwaltung des Landes beschäftigt war, kam es auch weniger zu Aufbegehrungsgedanken. 48
Wie es im einzelnen zur Romanisierung der Eliten kam und was sie beinhaltete, wurde bereits
in den Abschnitten zur Urbanisierung und zum römischen Bürgerrecht dargelegt und soll hier
nicht wiederholt werden. Es soll nur noch einmal betont werden, wie immens wichtig grade
die Etablierung eines römischen Bildungssystems für beide Seiten war. Durch den Zugang zur
Bildung gewannen die heranwachsenden zukünftigen Führer ihrer Länder Kenntnisse in
Rhetorik und Philosophie, wichtiger aber war, dass es römische Kenntnisse waren, die sie bis
47 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S.1231. 48 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S. 1227/28.
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auf alle Ewigkeit von klein auf zur Loyalität gegenüber Rom erziehen sollten.49 Für die
Oberschicht blieb die Bildung natürlich deshalb bedeutsam, da sie den Anschluss an den
Komfort und den römischen Lebensstandart versprach. Der Konsens zwischen lokaler Elite
und römischer Macht bleibt die wichtigste Säule der Römischen Herrschaft, die Oberschicht
der wichtigste Aktant im Prozess der Selbstromanisierung und die ideologisch anerkannte
Führung der provinziellen Unterschichten. Wie sehr Rom seine lokalen Vertreter noch
kontrollieren konnte und wie sehr dies notwendig gewesen wäre, soll später beleuchtet
werden.
Die direkten Folgen der Romanisierung
Der spanische Historiker Manuel de Frias fasst auf wenigen Seiten zusammen, welche
Veränderung die Römische Herrschaft in den spanischen Provinzen brachte. Dabei
konzentriert er sich im Wesentlichen auf materielle und primäre demographische Fakten. Der
römische Bau- und Lebensstil brachte eine neue Art von Komfort, Lebensqualität und Kunst
in das Land. Mit der Etablierung des römischen Wirtschaftssystems, den römischen Modellen
der Landwirtschaft und mit dem Anschluss an die römischen Handelswege geriet Spanien in
einen Aufschwung, der allein Rom geschuldet war. Dies sieht man deutlich an der Dekadenz,
die das Land ergreift, als die römische Macht schwindet. Die Bildungs- und Kulturlandschaft
wird von Römischen Denkweisen und dem allgegenwärtigen Kaiserkult dominiert.50Der
Reichtum an Bodenschätzen der Iberischen Halbinsel gewinnt unter Rom erst Geltung und
Nutzen, Zinnober, Quecksilber und Silber mehren den Reichtum der Provinzen, während der
Vorzug der lokalen Eliten auch indigenen Familien die Türen zur Reichsaristokratie öffnet
und so die Bindung zwischen Rom und der Iberia verstärkt.51Die Präsenz des Römischen
Heeres führte zu einer noch schnelleren Assimilierung der Bevölkerung, zu vielen
Niederlassungen römischer Militärangehöriger in Spanien und zu ehelichen Verbindungen.
Auch hierdurch verstärkte sich das Band zwischen Reich und Provinzen.52Soweit sieht die
Romanisierung der Iberischen Halbinsel wie ein einziges Erfolgsprojekt aus, aber man darf
nicht vergessen, dass all die positiven Aspekte sich auf die Beziehung der Oberschicht zu
Rom beziehen und dass man damit nicht alle Menschen, die es im Imperium gab mit
einbezogen hat:
49 Woolf, Becoming Roman, S. 74. 50 De Frias, Conquista y Romanización, S. 151 – 170. 51 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 83. 52 Vittinghoff, Römische Kolonisation S. 1233.
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So gibt Géza Alföldy zu bedenken, dass Rom, indem es die Verantwortung der
Landesverwaltung auf die lokale Oberschicht übertrug, deren Ausführung nicht kontrollieren
konnte und somit wohl zu einer stärkeren Unterdrückung und Abhängigkeit der Oberschicht
beitrug.53 Brunt kritisiert in ähnlicher Weise, dass die römische Politik allein den hohen
Lebensstandard und den Reichtum der schon vorhandenen Oberklasse garantiert hat und
Repressionen und Machtmissbrauch aufgrund mangelnder eigener Präsenz nicht verhindern
konnte.54 So entsteht doch ein gemischtes Bild der Römischen Expansion und der
Romanisierung, die zwar eine Hochkultur weiter verbreitet hat, aber offenbar weit davon
entfernt war, an das Wohl jedes Menschen zu denken.
Schluss:
Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussbetrachtungen
„…sie sind nicht weit davon entfernt, alle Römer zu sein. …“ (Strab. 3,2,15) Dieses Zitat des
Geographen und Geschichtsschreibers bezog sich zwar nur auf Südspanien, doch ist es ein
guter Ausgang für meine Schlussbetrachtungen. Unter Augustus ist das, was sich offenbar
unter republikanischer und cäsarischer Herrschaft im Süden Spaniens vollzog, auch auf weite
Teile im Rest Iberiens ausgedehnt worden. Mit dem Bewusstsein, die Barbaren zu Menschen
zu machen und die Welt zu zivilisieren, unter dem Konsens der römischen Eroberer mit der
lokalen Obrigkeit, durch die Rahmenschaffung, die die einheimische Bevölkerung ins
Römertum ziehen sollte, durch die Munizipalisierung und die Verleihung des Bürgerrechts
wurden die spanischen Provinzen auf vielfältige Weise von der Römischen Kultur in all ihren
Facetten durchdrungen und zu einem der wertvollsten Gebiete des Reiches. Wie viel
Verdienst daran Augustus selbst zuzusprechen ist, lässt sich nur abschätzen. Doch immerhin
siedelte er viele Veteranen in Spanien an, befriedete den Norden und erhob so viele
Gemeinden zu Municipien wie kein anderer Kaiser. So trieb er den Romanisierungsprozess
wohl entscheidend voran und die Epoche seiner Herrschaft bleibt die Grundlage einer
einmaligen Erfolgsgeschichte. Getrübt wird dieses Bild davon, dass in diesem Fall etwas
mehr römische Präsenz zum Wohl der lokalen Unterschicht wohl wünschenswert gewesen
wäre, doch dafür gab es offenbar kein Bewusstsein. Was bleibt, ist eine Außenpolitik, die ihre
offensichtlichen Ziele, nämlich eine symbiotische und nachhaltige Bindung des Zentrums zu
den Provinzen des Westens in vielerlei Hinsicht erfüllt hat.
53 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 121 54 Brunt, The Romanization of the Local Ruling Classes, S. 271 – 273.
14
Literaturverzeichnis:
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Testfall für die Romanisierung; vorgetragen am 25. Oktober 1986 / Géza
Alföldy, HAW Philosophisch-Historische Klasse, Band 3, Heidelberg 1987.
2. Brancati, Antonio, Augusto e la guerra di Spagna, Urbino 1963.
3. Brunt, P. A., Augustan Imperialism, in: Astbury, Peter; Roman Imperial
Themes; Oxford; 1990; S. 96 – 110.
4. Brunt, P. A., The Romanization of the Local Ruling Classes in the Roman
Empire, in: Astbury, Peter; Roman Imperial Themes; Oxford 1990.
5. Curchin, Leonard, The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity
and Change in a Provincial Hinterland), London 2004.
6. Dürrwächter, Claudia, Time, Space and Innovation: an Archaeological Case
Study on the Romanization of the North-Western Provinces (50 BC to AD 50);
BAR International Series 2011, Dissertation Oxford 2009.
7. Haensch, Rudolf, Capita Provinciarum (Statthaltersitze und
Provinzialverwaltung in der Römischen Kaiserzeit); in: Hansgerd
Hellenkemper; Kölner Forschungen; Band 7; Köln 1997, S. 176 - 182.
8. Kienast, Dietmar, Augustus: Princeps und Monarch, Darmstadt, 1992.
9. Raaflaub, Karl, Die Militärreformen des Augustus und die politische
Problematik der frühen Prinzipats; in: Gerhard Binder; Wege Der Forschung
(Saeculum Augustum – Herrschaft und Gesellschaft Band 1) ; Band CCLXVI;
Darmstadt; 1987.
10. Salinas de Frias, Manuel, Conquista y Romanización de Celtiberia, Salamanca
1986.
11. Stein-Kramer, Michaela, Die Klientelkönigreiche Kleinasiens in der
Außenpolitik der Späten Republik und des Augustus, Berlin 1986.
12. Vittinghoff, Friedrich, Römische Kolonisation und Bürgerrechtspolitik unter
Caesar und Augustus; Abhandlungen der Geistes- und
Sozialwissenschaftlichen Klasse, Heft 9 – 15, Jahrgang 195, S. 1217 – 1367.
13. Woolf, Greg, The Civilizing Ethos; Becoming Roman; Cambridge 1998.
22
10. Amphitheater in Segobriga (RiCS – p. 228)
11. Reste des Circus‘ von Toletum (Toledo) (RiCS – p. 229)
23
Quellenangaben:
1. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 122.
2. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 132.
3. Alföldy, Géza; Römisches Städtewesen auf der neukastilischen Hochebene: ein Testfall für die Romanisierung; vorgetragen am 25. Oktober 1986 / Géza Alföldy; HAW Philosophisch-Historische Klasse; Band 3; Heidelberg 1987 S. 33.
4. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 88.
5. Vittinghoff, Friedrich; Römische Kolonisation und Bürgerrechtspolitik unter Caesar und Augustus; Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Heft 9 – 15, Jahrgang 1951, S. 1370.
6. Brancati, Antonio, Augusto e la guerra di Spagna, Urbino 1963, S. 67. 7. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and
Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 112. 8. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and
Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 155. 9. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and
Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 223. 10. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and
Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 228. 11. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and
Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 229.