Provincia Hispaniae: Die Romanisierung des Westens unter Augustus

26
Eberhardt Karls Universität Tübingen Philosophische Fakultät Seminar für Alte Geschichte Proseminar: Augustus WS 2012/2013 Dozent: Dr. Hartmut Blum „Die Reichspolitik im Westen: Kolonisation und Romanisierung“ * Versuch einer Zusammenführung und analytischen Betrachtung der Eroberungs- und Romanisierungsprozesse und ihrer Folgen in den Römischen Westlichen Provinzen am Beispiel Spaniens, ausgehend von einem neuen Römischen Selbstverständnis und unter der Berücksichtigung der unter Augustus gegebenen Konditionen, sowie unter Einbeziehung verschiedener Definitionen dessen, was man unter ‚Romanisierung‘ versteht. Fabian Daldrup Raichbergstraße 13 72072 Tübingen [email protected] Hauptfach: Geschichte, Nebenfach: Spanisch 3. Fachsemester (Geschichte) 1. Fachsemester (Spanisch)

Transcript of Provincia Hispaniae: Die Romanisierung des Westens unter Augustus

Eberhardt Karls Universität Tübingen

Philosophische Fakultät

Seminar für Alte Geschichte

Proseminar: Augustus

WS 2012/2013

Dozent: Dr. Hartmut Blum

„Die Reichspolitik im Westen: Kolonisation und Romanisierung“

*

Versuch einer Zusammenführung und analytischen Betrachtung der Eroberungs- und

Romanisierungsprozesse und ihrer Folgen in den Römischen Westlichen Provinzen am

Beispiel Spaniens, ausgehend von einem neuen Römischen Selbstverständnis und unter der

Berücksichtigung der unter Augustus gegebenen Konditionen, sowie unter Einbeziehung

verschiedener Definitionen dessen, was man unter ‚Romanisierung‘ versteht.

Fabian Daldrup

Raichbergstraße 13

72072 Tübingen

[email protected]

Hauptfach: Geschichte, Nebenfach: Spanisch

3. Fachsemester (Geschichte)

1. Fachsemester (Spanisch)

Inhaltsverzeichnis

- Deckblatt -

- Inhaltsverzeichnis -

I. Einleitung:

1) Seite: 1 : Die ‚ewige‘ Streitfrage: War Augustus‘ Außenpolitik offensiv

oder defensiv?

2) Seite: 2 : Augustus‘ Militärpolitik: Problembildung und Notwendigkeiten

3) Seite: 2 – 3 : Warum Spanien? Betrachtung der Kriegsgründe und der

Vorteile, die die Iberische Halbinsel bot

II. Hauptteil:

1) S. 3 – S. 5 : Hinführung: Romanisierung als Innovation – Definitionen und

Hinterfragung

2) S. 5 – S. 6 : Anno XXV Augustus in Hispaniam venit – Die Eroberung des

Nordwestens

3) S. 6 – S. 7 : Autoperzeption: Die Römische Selbstwahrnehmung und ihre

Folgen

4) S. 7 – S. 13 : Historik II: Politik der Romanisierung/Zivilisierung

S. 7 – S. 9 : Das Phänomen der Urbanisierung

S. 10 – S. 11 : Das Römische Bürgerrecht und seine Bedeutung

S. 11 – S. 12 : Die Romanisierung der Elite (Ein Prozess mit zwei

Gewinnern)

S. 12 – S. 13: Die direkten Folgen der Romanisierung

III. Schluss:

1) S. 13 : Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussbetrachtungen

2) S. 14 : Literaturverzeichnis

3) S. 15 – S. 22 : Anhang

4) S. 23 : Quellenangaben des Anhangs

1

Einleitung:

Steht die ‚ewige‘ Streitfrage vor einer Lösung zugunsten einer Seite?

(Cass. Dio LIII, 10): „Behaltet streng, was ihr bereits habt, strebt nicht nach dem, was nicht

euer ist (…) verletzt oder ängstigt nicht eure Feinde!“1. An dieser Stelle hat der römische

Geschichtsschreiber Cassius Dio in dessen persönlichem ‚Schicksalsjahr‘ 27 v.Chr. den ersten

Princeps zitiert. An dem, was hinter diesem Zitat steht und was eine Grundsatzfrage für all

jene ist, die sich mit Augustus beschäftigen, scheiden sich nach wie vor die Geister von

Historikern und Altertumsforschern. Die Streitfrage lässt sich im Kern auf folgenden

wesentlichen Punkt beschränken: War die Ausrichtung der Außenpolitik des Römischen

Reiches unter Augustus defensiv, offensiv-imperialistisch oder gar die einer „offensiven

Defensive“ (H. E. Stier)2? Noch vor wenigen Jahrzehnten herrschte die Meinung vor, dass

tatsächlich die erste Option der Auswertung historischer Belege zufolge die richtige sei. Ein

Paradebeispiel für eine vehemente Vertretung dieser Annahme ist der Historiker Meyer, der

vor allem deshalb lohnend ist anzuführen, da seine Schriften die Grundlage für Antworten

und weiter reichende Analysen vieler seiner Kollegen war. Laut Meyer hat Augustus „mit

Entschlossenheit die Außenpolitik auf eine grundsätzliche Defensive umgestellt“3 und

attestiert ihr keine Merkmale imperialistischer Politik. Ein wichtiger Punkt, der unter anderen

Meyer zu dieser Ansicht verleitet haben mag, soll an späterer Stelle näher beleuchtet werden.

Mit Bezug darauf, dass die römischen Truppen zunächst Germanien angriffen, dann aber eine

dauerhafte Verteidigungslinie an der Elbe zogen kam H. E. Stier dazu, „Die Ausdehnung der

Römischen Herrschaft bis zur Donau-Elbe-Linie (…) als Akt einer offensiven Defensive“ zu

betrachten. Einen entschiedenen Gegner seiner Position findet Meyer in dem amerikanischen

Historiker P. A. Brunt. Laut diesem war Augustus’ Umgang mit den Klientelkönigreichen im

Osten des Imperiums mitnichten defensiv und ihre Errichtung weniger liberal als viel mehr

eine Wallbildung gegen das Reich der Parther zu betrachten.4 Die Augusteische Ostpolitik

interpretiert er dahingehend, dass der Princeps im Westen mit der drängenderen Befriedung

der neuen Provinzen zu beschäftigt gewesen sei, um im Osten ähnlich zu handeln. So ist er

einer von mittlerweile vielen (unter ihnen auch Kienast), die in Augustus einen Imperialisten

sehen.5 Augustus selbst legt in seinen „Res Gestae“ sowohl

Wert auf die Friedenswahrung, wie auf die Gebietsgewinnung, dennoch lässt sich auch bei

der Analyse des Themas dieser Arbeit sein imperialistischer Charakter nicht verhehlen. 1 P. A. Brunt, Augustan Imperialism, in: Astbury, Peter; Roman Imperial Themes; Oxford; 1990; S. 96 – 110. 2 Dietmar Kienast, Augustus: Princeps und Monarch, Darmstadt 1992, S. 247. 3 Ebd. 4 Brunt, Augustan Imperialism, S. 104/105. 5 Ebd.

2

Augustus‘ Militärpolitik: Problembildung und Notwendigkeiten

Weshalb Meyer aber dennoch durchaus fundierte Gründe für seine Annahme hat, weshalb

Augustus wie Brunt es formulierte „zu beschäftigt war“, um überall gleichermaßen als

Eroberer in Erscheinung zu treten, weshalb Augustus stets äußerst vorsichtig kalkulieren und

strategisch äußerst geschickt agieren und somit defensiv wirken musste, das klärt sich bei

einem der wichtigsten Kerne der Reformen, die er nach seiner Machtübernahme durchsetzte.

Wieder ist es P. A. Brunt, der den Nukleus der Sache prägnant formuliert. Laut ihm war das

Römische Heer schlicht nicht groß genug, um den territorialen Dimensionen des Imperiums

gerecht zu werden.6 Diese These stützen auch die Forschungsergebnisse von Kurt Raaflaub,

der sich intensiv mit diesem Thema beschäftigte: Laut ihm lagen die wichtigsten Aspekte der

radikalen Heeresreform des Princeps in der Instutionalisierung des Militärapparates, in der

Einschwörung der Soldaten auf die Person des Princeps und im Besonderen auf der

Verkleinerung und Diffusion der Legionen.7 Raaflaub spricht in der Tat von einer Reduktion

des Heeres um fünfzig Prozent, sowie davon, dass die Legionen umsichtig auf die Provinzen,

in denen ihre Präsenz nötig war, verteilt wurden.8 Die Gründe dafür sind in den Texten klar

erläutert und hier nicht weiter wichtig. Aus der Betrachtung dieser Analysen lässt sich

Folgendes sagen: Augustus sah sich zur Reduktion des Heeres gezwungen, diese wiederum

zwang ihn zu einer Politik, die dem Betrachter defensiv erscheinen mag, aber nicht zuletzt die

Ausdehnung des Reiches unter seiner Herrschaft, sowie auch die dieser Arbeit zugrunde

liegenden historischen Ereignisse lassen keinen Zweifel daran, wie eroberungsorientiert der

erste Princeps war.

Warum Spanien? Betrachtung der Kriegsgründe und der Vorteile der Iberischen Halbinsel

Wenn nun aber Augustus‘ imperialistischen Interessen solche Fesseln auferlegt waren,

weshalb konnte er dann überhaupt den Krieg führen, um den es hier primär gehen soll,

nämlich den Feldzug nach Nordwestspanien zwischen 25 und 19 v. Chr.? Brunt formuliert es

so, dass „wenn Ausdehnung gewünscht war, immer ein Grund zur Hand lag“9. Sowohl

präziser als auch zeitnäher schreibt Cicero (Cic. de off. I, 38, cf. de imp. Gn. Pomp; Phil. VII,

12)10 „Ehre und Macht sind immer Grund für Krieg“11. Cicero liegt deshalb so richtig, da es

6Brunt, Augustan Imperialism, S. 99. 7 Karl Raaflaub, Die Militärreformen des Augustus und die politische Problematik der frühen Prinzipats; in: Gerhard Binder; Wege Der Forschung (Saeculum Augustum – Herrschaft und Gesellschaft Band 1) ; Band CCLXVI; Darmstadt; 1987. 8 Ebd. 9 Brunt, Augustan Imperialism, S. 100. 10 Übersetzt aus dem Englischen 11 Brunt, Augustan Imperialism, S. 104.

3

für Augustus vielleicht nie so wichtig war, sich als Princeps zu behaupten, wie kurz nach der

Übernahme der Macht. Augustus war zwar nun inoffiziell der Herrscher des Römischen

Reiches, dennoch stand er noch aus Bürgerkriegszeiten in der Schuld vieler. Er musste neue

Verwaltungseinheiten schaffen, um seine Unterstützer mit der nötigen Ehre versehen zu

können, doch wesentlich wichtiger war, dass Augustus mit der Nachfolge Cäsars

„weltherrschaftliche Machtansprüche“12 übernommen hatte und damit auch dem Römischen

Volk gegenüber in moralischer Verantwortung stand und Erwartungen zu erfüllen hatte.13 So

musste also erfolgreich Krieg geführt werden und weshalb der Princeps beschloss, den noch

unbefriedeten Nordwesten Spaniens zu erobern, ist vielfach interpretiert worden: Zum einen

mutmaßt Brunt, dass die Notwendigkeit der Befriedung sowohl Galliens als auch Spaniens

darin lag, dass ihre Ressourcen für kommende Kriege bedeutsam seien.14Diese These stützt

der italienische Historiker Antonio Brancati damit, dass nach wie vor „der alte Traum der

Herrschaft über das Perserreich“15 für den Spanienfeldzug den Ausschlag gab. Übrigens

liefert dies eine weitere Erklärung dafür, weshalb Augustus im Westen Krieg führte, im Osten

dagegen kaum. Da Gallien bereits durch Cäsar vollständig erobert worden war, gab es dort für

Augustus die notwendigen und sprichwörtlichen Lorbeeren nicht zu holen und auch

praktischere Gründe gab es, nach Spanien zu ziehen: Im noch ‚barbarischen‘ Nordwesten der

Halbinsel gab es antirömische Propaganda und offene Rebellion gegen den lateinischen

Süden, zudem war das zu erobernde Gebiet nicht sehr ausgedehnt und zu guter Letzt auch von

Rom aus relativ schnell und bequem zu erreichen, was für Augustus, selbst vor Ort in

Spanien, sicher bedeutsam war.16 Bei Betrachtung einer Karte des Imperiums zeigt sich

außerdem, dass mit der Eroberung Asturiens und Keltiberiens eine der ‚Lücken‘ im Stoff des

Reiches nach fast 200 Jahren geschlossen werden konnte.17 (siehe dazu: Anhang Nr. 6)

Hauptteil:

Hinführung: Romanisierung als Innovation – Definitionen und Hinterfragung

Der Begriff ‚Romanisierung‘ ist im Zusammenhang mit der Gesamtthematik der Geschichte

der Römischen Antike, aber auch in anderen Wissenschaftszweigen wie der Romanistik (wo

er allerdings eine sekundäre Rolle spielt), ein unverzichtbarer und einer der meist

verwendeten. Allerdings erfolgt hierbei schon beinahe eine Art Überbeanspruchung, ohne

12 Kienast, Augustus, S. 276. 13 Kienast, Augustus, S. 275. 14 Brunt, Augustan Imperialism, S. 104. 15 (übersetzt aus dem Italienischen) Antonio Brancati, Augusto e la guerra di Spagna, Urbino 1963, S. 43. 16 Ebd. 17 Brancati, guerra di spagna, S. 38.

4

dass im jeweiligen Kontext immer klar ist, was mit dem Ausdruck genau dargestellt werden

soll. Denn in der Tat ist sein Anwendungsgebiet so weit wie die Interpretationen die hinter

ihm stecken, und es ist gleich vorauszuschicken, dass dies kein Versuch einer ‚einzig

richtigen Definition‘ ist. Es ist vielmehr der grundsätzliche Versuch, diejenigen Teilaspekte,

die sich hinter einem Wort verbergen und die für das hier bearbeitete Themengebiet die

meiste Bedeutung und den höchsten Erklärungswert haben, herauszuarbeiten und

darzustellen.

Zunächst ist festzuhalten, dass sich hinter dem Begriff ‚Romanisierung‘ allein vom

grammatischen Stamm her etwas verbirgt, das die Prozesshaftigkeit seiner Bedeutung als

zentralen Charakterpunkt aufweist. Alles, was mit diesem Ausdruck beschrieben werden

kann, fällt in den Bereich bewegter, wandelnder Geschehnisse. Prozess bedeutet weiterhin

zwangsläufig Veränderung, und welcher Art diese Veränderung ist, stellt Claudia

Dürrwächter in ihrer Dissertation auch mit Hinblick auf die so genannte ‚Romanisierung der

Westlichen Provinzen‘ dar: Laut ihrer Darlegung ist Romanisierung immer mit dem Begriff

der Innovation verknüpft, also der Erneuerung möglicherweise überholter bereits vorhandener

Konditionen. Ein zentraler Punkt dabei ist, dass der „innovation“ immer eine „invention“

vorangeht.18 Im direkten Vergleich der in diesem Fall ausführenden Kraft, des Römischen

Reiches, mit dem Empfänger, in diesem Fall den westlichen Provinzen, bedeutet

Romanisierung in erster Linie die auf dem Prinzip der Verbesserung beruhende Veränderung

des Rückständigen. Bei Dürrwächter wird dies als eine Art ‚Modell geographischer

Verbreitung, vom Zentrum ins Hinterland, von Rom in die Welt verstanden.19In dieser

Darstellung werden insbesondere die Freiheit des Empfängers20 und dessen natürliche

Bereitschaft zur Gegenwehr erwähnt.21

Genau diese Punkte bilden auch das Interessenzentrum in den wichtigsten

Romanisierungsmodellen, die Leonard A. Curchin ausgearbeitet hat: Theoretisch sei ihm

zufolge das logische erste Modell das der ‚Dominierung‘, bei dem die Eroberungskultur die

vorhandene zerstört. Diese Möglichkeit sei allerdings historisch falsch, da die Auslöschung

einer Kultur eher ‚unrömisch‘ sei. Das Modell der Integration beschreibt, wie bei dem

Aufeinandertreffen zweier Kulturen beide aufeinander einwirken, wobei eine sichere

18Claudia Dürrwächter, Time, Space and Innovation: an Archaeological Case Study on the Romanization of the North-Western Provinces (50 BC to AD 50); BAR International Series 2011, Dissertation Oxford 2009, S. 6. 19 Dürrwächter, Space and Innovation, S. 8. 20 Dürrwächter, Space and Innovation, S. 9. 21 Dürrwächter, Space and Innovation, S. 13.

5

Dominanz der Erobererkultur erhalten bleibt.22 Die beiden wichtigsten Modelle sind jedoch

das der Selbstromanisierung und das der Romanisierung der Elite, die beide in weiten Teilen

mit den Ergebnissen historischer Betrachtungen über die Römische Herrschaft in den

spanischen Provinzen übereinstimmen. Ersteres beruht in erster Linie auf dem Prinzip der

„adoption and imitation“ (Wightman 1983, S. 239), also darauf, dass die Bevölkerung des

eroberten Landes selbstständig Lebensweise, Kulturpraktiken und Sprache der Eroberer

aufnimmt und anwendet. Signifikant ist dabei das Eingeständnis der Überlegenheit der

Fremdkultur. Das Elite - Modell lässt sich als eine Art Präzisierung des vorherigen verstehen.

Dabei nährt sich die einheimische Oberschicht, bzw. die der Machthaber, an die römische

Kultur an und assimiliert sich. Dies geschieht im konkreten Fall aus Gründen, die später

genau dargelegt werden. Entscheidend dabei ist, dass die einheimischen Unterschichten der

Assimilierung ihrer Herren Folge leisten.23 Auch der Historiker F. Vittinghoff hält das Modell

der Selbstromanisierung der Eliten für ausschlaggebend. Er geht sogar noch weiter und deutet

den römischen Stil als Absicht, besagte Eliten in regierende Verantwortung unter römischem

Prinzip zu nehmen, denn „Rom verwaltete sein Reich nicht direkt, sondern lenkte es“.24Auch

Vittinghoffs Ergebnisse stellen das Modell der Dominierung in Abrede, denn da laut ihm

Rom nicht mit Stahl und Feuer seine Kultur aufzwang, wie später gezeigt wird, sondern eher

impulsgebend wirkte, kann man kaum behaupten, das Reich habe eine Art nationalistischen

Imperialismus betrieben. Vittinghoff hält allerdings fest, dass auch ohne diesen Zwang die

„freiwillige Annahme römischen Lebensstils immer äußerst erwünscht“ war.25

Romanisierung bleibt ein weit gefasster Begriff, doch im Bezug auf die sichtbare

Durchdringung der spanischen Provinzen durch die Römische Kultur ohne nennenswerte

Gegenwehr (nachdem das Territorium erobert war), bleiben die Modelle der

Selbstromanisierung und der Romanisierung der Eliten die bedeutsamsten und

richtungsweisenden für diese Arbeit.

Anno XXV Augustus in Hispaniam venit – Die Eroberung des Nordwestens

Das Jahr 27 v. Chr. markiert einen Meilenstein in der Römischen Geschichte, in der

Biographie des Princeps Augustus und auch in den Annalen der Welt. In diesem Jahr wurde

22 Leonard A. Curchin., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 12/13. 23 Ebd. 24 Friedrich, Vittinghoff,, Römische Kolonisation und Bürgerrechtspolitik unter Caesar und Augustus; Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Heft 9 – 15, Jahrgang 195 (S. 1217 – 1367), S. 1225. 25 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S. 1226.

6

die Lösung der existenten Frage präsentiert, wie eine Alleinherrschaft Augustus‘ auch in der

‚republica restituta‘ möglich war. In den vorangegangenen Jahrzehnten hatte Augustus

mehrfach das Amt des Konsuls belegt, was aus mehreren Gründen problematisch und auf

Dauer nicht tragbar war. Die Lösung lag darin, dass nur vier Tage, nachdem Augustus die

Wiederherstellung der Republik erklärt und die ihm zugegebene Macht offiziell in die Hände

des Senats gelegt hatte, ihm das ‚imperium proconsulare‘ angetragen wurde, mit dem er die

Macht über alle römischen Truppen in den nicht befriedeten oder an den Grenzen gelegenen

Provinzen gewann, und damit praktisch unbegrenzten Handlungsspielraum. Diese hohe Ehre

legitimierte nicht nur die herausragende Stellung des Princeps, sie barg ebenso Möglichkeit

wie Verpflichtung, daraus noch weit größere Ehre zu machen, damit deutlich war, dass er das

Imperium Proconsulare nicht ohne Grund inne hatte. Es lag in Augustus‘ Interesse, die

Provinzen des Reiches zu befrieden, doch so kurz nach seiner inoffiziellen Machtetablierung

konnte er logischerweise keinen langwierigen, schwierigen Feldzug unternehmen und schon

gar keinen, der die Möglichkeit einer Niederlage einschloss. Aus diesen und aus den bereits in

der Einleitung genannten Gründen zog der Princeps im Jahr 25 v. Chr. von der ostiberischen

Hafenstadt Tarraco aus nach Kantabrien und Asturien. Dieser Krieg versagte ihm, wie bereits

dargelegt, eine ähnliche Politik im Osten des Reiches.26 Pflichtbewusst und repräsentativ

führte er das Heer selbst, kehrte aber ebenso pflichtbewusst noch im selben Jahr nach Rom

zurück. Der heftige Widerstand der kantabrischen und asturischen Stämme gegen die

römischen Legionen verhinderte allerdings einen allzu raschen Sieg des Imperiums, obgleich

die Befriedung bereits verkündet worden war. Schließlich war es Agrippa, der im Jahr 19 v.

Chr. die Siegesnachricht aus Iberien bringen konnte.

Die militärische Eroberung Nordwestspaniens hatte natürlich die spürbarsten Auswirkungen

auf die dort angesiedelten Stammesverbände und man muss den Prozess der Romanisierung

der in diesen ‚jüngsten‘ aller römischen Territorien seinen Lauf nahm separiert von dem

betrachten, was in den bereits seit langem unter römischer Herrschaft stehenden Gebieten der

Iberischen Halbinsel vor sich ging.27

Baetica, Lusitania, Tarraconensis – Die Politik der Romanisierung der spanischen Provinzen

Autoperzeption: Die Römische Selbstwahrnehmung und ihre Folgen

Für jede auch nur ansatzweise imperialistisch zu nennende Bewegung muss davon

ausgegangen werden, dass der Aktant sich selbst und seine Kultur als der gegenüber

26 Michaela Stein-Kramer, Die Klientelkönigreiche Kleinasiens in der Außenpolitik der Späten Republik und des Augustus, Berlin 1986, S. 115. 27 Alle historischen Angaben dieses Abschnittes aus: Kienast: Augusteische Außenpolitik, Darmstadt 1992.

7

stehenden überlegen betrachten muss. Dies setzt eine ganz besondere Art von

Selbstwahrnehmung und einen bestimmten Blick auf die imperialistischen Ideen des

jeweiligen Aktanten voraus.

Es ist davon auszugehen, dass die Römer sich der kulturellen und sozialen Veränderungen,

die ihre Kriege brachten durchaus bewusst waren. Sicherlich erkannten sie sogar die

Individualität dieser ‚Romanisierung‘. Für Rom bedeutete allerdings die Etablierung des

römischen Lebens- und Gesellschaftsstils in anderen Kulturen keineswegs nur dies, sondern

ging über unsere heutigen Definitionen weit hinaus. Für den Römer gab es keine

erstrebenswertere Existenz, als Römer zu sein und römisch zu leben. Die Verbreitung der

Römischen Kultur war vor dem Hintergrund dieser Selbstwahrnehmung nicht nur ‚kulturelle

Diffusion‘, sondern aus ihrer Sicht erst wahrhaftige Zivilisation. Brunt geht sogar so weit, aus

der Perspektive Roms heraus die Romanisierung als Humanisierung darzustellen. Man kann

dahinter eine starke nationale Arroganz erkennen und sogar etwas, das als Begriff erst

Jahrhunderte später auftrat: das Sendungsbewusstsein. Wenn Rom sich dazu verpflichtet sah,

Barbaren zu Menschen zu machen, dann bedeutete das, dass man sich in den Bereichen von

Modernität, Organisation, Moral, Würde, Werten und jeder Art von Kultur und Wissenschaft

nicht nur als überlegen, sondern als einzig legitim betrachtete. Hinter dieser

Selbstwahrnehmung ergibt sich quasi die Zwangsläufigkeit eines römischen Imperialismus,

denn wer außer den am besten entwickelten sollte die Welt führen? Heute wissen wir, dass

keineswegs in den nichtrömischen Gebieten das Barbarentum und in Rom die Weisheit

herrschte, denn schließlich gab es diese auch in anderer Form in Stammeskulturen. Doch zeigt

die Geschichte, wie bewusst die Römer sich ihrer selbst zugeteilten Führungsrolle waren und

wie ernst sie sie nahmen.28

Das Phänomen der Urbanisierung

In die römische Kaiserzeit fiel der Großteil der infrastrukturellen Veränderungen in den

westlichen Provinzen, dazu gehörten der Straßenbau und die Festlegung der Statthaltersitze in

den ‚Conventi‘ (Anhang Nr. 3). Der Conventus war eine römische territoriale

Verwaltungseinheit, die meist den Namen ihres Hauptortes trug. In diesem Hauptort lag die

Administration, er war Ort der Rechtsprechung und der Einwohnerversammlungen, sowie das

jeweilige Zentrum des praktizierten ‚Kaiserkults‘ für den jeder Conventus eine eigene

Priesterschaft besaß. Während im Nordwesten des heutigen Spaniens das Conventsystem

zwangsläufig zu Augustus‘ Zeiten nicht etabliert war, war es bereits zu republikanischen

28 Greg Woolf, The Civilizing Ethos; Becoming Roman; Cambridge 1998; S. 62.

8

Zeiten in der seit 218 v. Chr. eroberten Provinz Baetica geläufig.29 Géza Alföldy präzisiert die

Definition eines Conventus dahingehend, dass der Hauptort nicht die gesamte Verwaltung

trug, sondern die Zentrale Administration aller dazu berichtigten Gemeinden des jeweiligen

Gebiets war.30 Im Bezug auf die reine Theorie der Urbanisierung muss man von drei Typen

sprechen, in denen sich selbige aufteilen lässt: Zunächst ist da die Neugründung von

Gemeinden, was unter Augustus‘ Herrschaft kaum geschah, tatsächlich sind ohne Garantie

bei Alföldy lediglich siebzehn bekannt, unter ihnen Valeria, Alaba und Segobriga. Im

Nordwesten Spaniens war das Prinzip wohl verstärkt angewandt, da allerdings eine Gemeinde

Zeit brauchte, um den Status eines erwähnenswerten Ortes zu erlangen und diese in den

Jahren des Prinzipats nicht gegeben war, gibt es dafür auch kaum Belege. Die Neugründung

einer Gemeinde in den spanischen Provinzen geschah meist im Zuge des zweiten Typus,

nämlich der Kolonialisierung. Géza Alföldy versteht darunter primär die Ansiedlung

römischer Kriegsveteranen zur Unterstützung der Romanisierungsprozesse auf der einen und

zur Erfüllung ihrer Pensionsansprüche auf der anderen Seite.31Vittinghoff beschreibt die

Städtegründungen der Römer als Mittel zur „allgemeinen Landbefriedung“.32 Da die

wichtigsten Maßnahmen der Urbanisierung allerdings diejenigen Gebiete betreffen, die

bereits vor Augustus‘ Eroberung des Nordwestens unter römischer Herrschaft standen, ist

nicht die Neugründung oder Kolonialisierung primär zu betrachten sondern die

Entwicklungsmöglichkeiten, die bereits existierende Gemeinden unter Augustus hatten. Der

zentralste und dominierende Begriff lautet hier Munizipalisierung. Der spanische Historiker

Manuel de Frias beschreibt diesen Prozess als wirkungsstark in den Bereichen von Sozietät,

Wirtschaft, Institutionen, Ideologie, Religion und Recht. Außerdem nennt er sie den

deutlichsten Faktor in der Ausbreitung urbanen Lebens und Augustus den entschiedensten

Vorantreiber der Romanisierung durch Munizipalisierung.33Auch hieran erkennt man, dass

die Romanisierung der Iberia keine absolut imperialistische war, da sich Rom auf bereits

vorhandene infrastrukturelle Konditionen stützte.34 Unter Munizipalisierung versteht man die

durch bestimmte Voraussetzungen möglich gewordene Privilegierung einer Gemeinde und

damit eine Anhebung ihres Status. Diese Privilegierung meint wörtlich die Verleihung

29 Rudolf Haensch, Capita Provinciarum (Statthaltersitze und Provinzialverwaltung in der Römischen Kaiserzeit); in: Hansgerd Hellenkemper; Kölner Forschungen; Band 7; Köln 1997, S. 176 - 182. 30 Géza Alföldy, Römisches Städtewesen auf der neukastilischen Hochebene: ein Testfall für die Romanisierung; vorgetragen am 25. Oktober 1986 / Géza Alföldy, HAW Philosophisch-Historische Klasse, Band 3, Heidelberg 1987, S. 89. 31 Alföldy, Römisches Städtewesen, Seite 23. 32 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S. 1217 – 1367.

33 Manuel Salinas de Frias, Conquista y Romanización de Celtiberia, Salamanca 1986, S. 151. 34 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 101.

9

„lateinischen Rechts“.35 Die erste Erhebung dieser Art in den spanischen Provinzen geschah

im Jahr 49 v. Chr. durch Cäsar und betraf die Stadt Gades (Cádiz).36Alföldy bestätigt dies

durch seine Erkenntnis, dass es vor Cäsar noch keine Praxis dieser Art gab.37 Andere mit

Sicherheit munizipalisierte Gemeinden waren Oretum, Toletum und Complutum.38 Was

veränderte nun der Status des ‚municipium‘ in einer Gemeinde? Er gewährte und verpflichtete

zu der Einrichtung von politischen Institutionen wie einem Stadtrat, einer Volksversammlung

und frei gewählten Magistraten. Zudem erlaubte er die Errichtung repräsentativer

Präsenzbauten, die den erwünschten römischen Stil und Komfort brachten und das Ansehen

einer Stadt steigerten. Dazu gehörte ein Forum, das Kapitol, die Kurie, ein Theater und

weitere andere. So sollte und konnte architektonische ein „Abbild Roms“ geschaffen werden

(Anhang Nr. 1, 2, 3, 9, 10, 11).39 Mit den benannten Institutionen kamen auch die

Möglichkeiten höheren Bildungstandes in die einzelnen Städte, wie heutige epigraphische

Zeugnisse beweisen. Außerdem lieferte dies die Grundlage für den weiteren politischen und

sozialen Aufstieg der Einwohner einer Gemeinde.40 Obgleich dies Hauptthema eines anderen

Abschnittes ist, muss bereits hier darauf hingewiesen werden, dass mit der Munizipalisierung

eines Ortes nicht die Verleihung des Römischen Bürgerrechtes an all seine Bewohner

einherging.41

Wie konnte nun eine Gemeinde in die Position kommen, durch eine Munizipalisierung

gewürdigt zu werden? Dies hing von mehreren Faktoren ab: Zunächst spielten Alter (sprich:

Tradition) der Stadt eine Rolle. Besonders wichtig war auch eine gute Finanzlage, denn ohne

eine bestimmte Anzahl wirtschaftlich starker Einwohner oder bestenfalls bereits römischer

Bürger, konnte auf die Anhebung des Status‘ nicht gehofft werden. Übrigens trafen beide

Faktoren auf das erste Municipium Gades in vollem Umfang zu.42 Vittinghoffs Interpretation

geht in eine andere Richtung. Seiner Meinung nach geschahen die meisten Erhebungen zu

Municipien aufgrund von Ehre, die die jeweilige Stadt sich im Kriegsdienst des Römischen

Reiches erworben hat.43Unter Augustus kam es in der Tat zu einer regelrechten Welle der

Munizipalisierung, der immer rascher wachsende hohe Status der Westprovinzen und ihre

immer stärkere Bindung zum Reich wird darin deutlich. (Anhang Nr. 5)

35 Alföldy, Römisches Städtewesen, Seite 86. 36 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S. 1255. 37 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 104. 38 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 92. 39 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 104. 40 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 116. 41 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 107. 42 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 86. 43 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S. 1255.

10

Römisches Bürgerrecht

Wie bereits dargestellt, war zum Ende der Republik und zum Beginn der Kaiserzeit ein neues

Selbstverständnis im Römischen Reich und unter den Römischen Bürgern eingetreten, das

auch die Wahrnehmung und Würdigung ihres Status als Bürger einschloss. Für jedermann

sollte es schließlich die höchste Ehre sein, den Status eines Römischen Bürgers zu erlangen.

Auch wenn es dafür nie klar formulierte Kriterien gab44, waren doch Erwartungen zu erfüllen.

Das römische Bürgerrecht war in den westlichen Provinzen tatsächlich und berechtigterweise

sehr begehrt. Mit der neuen Selbstwahrnehmung Roms war es natürlich undenkbar, alle neuen

Einwohner des Reiches gleich zu vollwertigen Bürgern zu machen. So blieb das Bürgerrecht

fast ausschließlich der lokalen Oberschicht vorbehalten, an denen Rom strategisches Interesse

hegte und die damit quasi in römische Loyalität ‚gelockt‘ wurden. Die Unterschicht hatte in

dieser Epoche überhaupt nicht das Selbstverständnis oder den notwendigen Stand der

Bewusstseinsentwicklung, um auch nur daran zu denken, das Bürgerrecht für sich

einzufordern. Außerdem blieb die finanzielle Lage der möglichen Kandidaten nach wie vor

ein entscheidender Faktor. Folgende Vorteil gingen mit der Erlangung des römischen

Bürgerrechts einher: Der Mensch erlangte das Recht zur Besitzakkumulation, zum

Landerwerb und zur Geschäftstätigkeit, was ihm über kurz oder lang noch weiteren

gesellschaftlichen Aufstieg, wirtschaftliche Vorteile und zu guter Letzt einen hohen

Lebensstandard ermöglichen konnte. Dazu genoss er fortan den Schutz vor der Rechtsgewalt

und die Prozessfähigkeit inklusive Verteidigungsrecht. Als Bürger durfte er an

Abstimmungen teilnehmen und sich an der Administration beteiligen, erlangte also gewisse

politische Souveränität. Zum Schluss, und vielleicht als Wichtigstes, konnte man nur als

Bürger in den Römischen Adel aufsteigen und die Römische Ämterlaufbahn einschlagen, was

in Jahrhunderten bis zum Stand des Senators nur in Ausnahmefällen gelang.45 Dagegen gab es

allerdings schon als es in den Status eines Municipiums kam über fünfhundert Männer des

Ritterstandes allein in Gades.46 Das Bürgerrecht stellte im Prozess der Romanisierung

praktisch den Gipfel alles Möglichen dar und war im Zuge der Selbstromanisierung wohl der

Stern, nach dem man greifen sollte. Genau so wurde es von Rom aus offenbar auch

gehandhabt, nämlich als Lohn für beste Integration und als Anerkennung für den Wert, den

der neue Bürger für das Reich hatte oder den er noch erbringen konnte. Vittinghoff stellt

prägnant zwei Wege dar, um des Bürgerrechts würdig zu werden: Der erste ist die bereits

44 P.A. Brunt, The Romanization of the Local Ruling Classes in the Roman Empire, in: Astbury, Peter; Roman Imperial Themes; Oxford 1990; S. 270. 45 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S. 1230 – 1233. 46 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 86.

11

erläuterte Entwicklung zu einer wertvollen Existenz für das Reich, die zweite bleibt fast

klassischerweise die Verleihung des Bürgerrechts als Anerkennung für militärische Erfolge.

So meint Vittinghoff zu erkennen, dass Gemeinden, die sich an kriegerischen

Auseinandersetzungen beteiligt waren, mehr Bürger hatten.47In gewisser Weise stehen

Munizipalisierung und die Verleihung des Bürgerrechts in Beziehung zu einander. Eine Stadt

war immer dann eher Kandidat, Municipium zu werden, wenn viele Bürger dort lebten. Die

Bürger wiederum hatten Interesse daran, die Vorteile und den Komfort eines Municipiums zu

erlangen, sei es aus vergnügungstechnischen Gründen oder aus politischem Interesse. So ist

das Bürgerrecht als ein wichtiges Lockmittel in der Hand Roms zu verstehen, dessen Nutzen

bei einer friedlichen Romanisierung der Westprovinzen gar nicht hoch genug geschätzt

werden kann.

Die Romanisierung der Elite (ein Prozess mit zwei Gewinnern)

Wie bereits erläutert war die Strategie, mit der die römischen Eroberer ihre Kultur in den

westlichen Provinzen nicht nur etablieren, sondern diese Provinzen praktisch zu Teilen des

Reiches machen wollten, nicht die eines Imperialismus unter Waffen und des Zwangs, sich

von einer Kultur loszusagen und eine andere anzunehmen. Es war eine Strategie der Lockung,

der Vorteilsaufzeigung und des Angebotes, auf das die lokalen Eliten eingehen sollten und es

auch taten.

Rom selbst brauchte nicht den Konflikt, sondern den Konsens mit den lokalen herrschenden

Eliten, da der Aufwand, den es zur Verwaltung selbst hätte betreiben müssen nicht tragbar

war. So profitierten von der Romanisierung der Eliten beide Seiten, die Römer, indem sie

quasi ihre eigene Herrschersozietät ausbildeten, und die Oberschicht, weil sie so dem

römischen Lebensstil näher kam. Außerdem waren allein Kenntnisse der Geographie und

Sprache, die die lokalen Oberschichten besaßen, wichtig, und wenn die Elite mit der

Verwaltung des Landes beschäftigt war, kam es auch weniger zu Aufbegehrungsgedanken. 48

Wie es im einzelnen zur Romanisierung der Eliten kam und was sie beinhaltete, wurde bereits

in den Abschnitten zur Urbanisierung und zum römischen Bürgerrecht dargelegt und soll hier

nicht wiederholt werden. Es soll nur noch einmal betont werden, wie immens wichtig grade

die Etablierung eines römischen Bildungssystems für beide Seiten war. Durch den Zugang zur

Bildung gewannen die heranwachsenden zukünftigen Führer ihrer Länder Kenntnisse in

Rhetorik und Philosophie, wichtiger aber war, dass es römische Kenntnisse waren, die sie bis

47 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S.1231. 48 Vittinghoff, Römische Kolonisation, S. 1227/28.

12

auf alle Ewigkeit von klein auf zur Loyalität gegenüber Rom erziehen sollten.49 Für die

Oberschicht blieb die Bildung natürlich deshalb bedeutsam, da sie den Anschluss an den

Komfort und den römischen Lebensstandart versprach. Der Konsens zwischen lokaler Elite

und römischer Macht bleibt die wichtigste Säule der Römischen Herrschaft, die Oberschicht

der wichtigste Aktant im Prozess der Selbstromanisierung und die ideologisch anerkannte

Führung der provinziellen Unterschichten. Wie sehr Rom seine lokalen Vertreter noch

kontrollieren konnte und wie sehr dies notwendig gewesen wäre, soll später beleuchtet

werden.

Die direkten Folgen der Romanisierung

Der spanische Historiker Manuel de Frias fasst auf wenigen Seiten zusammen, welche

Veränderung die Römische Herrschaft in den spanischen Provinzen brachte. Dabei

konzentriert er sich im Wesentlichen auf materielle und primäre demographische Fakten. Der

römische Bau- und Lebensstil brachte eine neue Art von Komfort, Lebensqualität und Kunst

in das Land. Mit der Etablierung des römischen Wirtschaftssystems, den römischen Modellen

der Landwirtschaft und mit dem Anschluss an die römischen Handelswege geriet Spanien in

einen Aufschwung, der allein Rom geschuldet war. Dies sieht man deutlich an der Dekadenz,

die das Land ergreift, als die römische Macht schwindet. Die Bildungs- und Kulturlandschaft

wird von Römischen Denkweisen und dem allgegenwärtigen Kaiserkult dominiert.50Der

Reichtum an Bodenschätzen der Iberischen Halbinsel gewinnt unter Rom erst Geltung und

Nutzen, Zinnober, Quecksilber und Silber mehren den Reichtum der Provinzen, während der

Vorzug der lokalen Eliten auch indigenen Familien die Türen zur Reichsaristokratie öffnet

und so die Bindung zwischen Rom und der Iberia verstärkt.51Die Präsenz des Römischen

Heeres führte zu einer noch schnelleren Assimilierung der Bevölkerung, zu vielen

Niederlassungen römischer Militärangehöriger in Spanien und zu ehelichen Verbindungen.

Auch hierdurch verstärkte sich das Band zwischen Reich und Provinzen.52Soweit sieht die

Romanisierung der Iberischen Halbinsel wie ein einziges Erfolgsprojekt aus, aber man darf

nicht vergessen, dass all die positiven Aspekte sich auf die Beziehung der Oberschicht zu

Rom beziehen und dass man damit nicht alle Menschen, die es im Imperium gab mit

einbezogen hat:

49 Woolf, Becoming Roman, S. 74. 50 De Frias, Conquista y Romanización, S. 151 – 170. 51 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 83. 52 Vittinghoff, Römische Kolonisation S. 1233.

13

So gibt Géza Alföldy zu bedenken, dass Rom, indem es die Verantwortung der

Landesverwaltung auf die lokale Oberschicht übertrug, deren Ausführung nicht kontrollieren

konnte und somit wohl zu einer stärkeren Unterdrückung und Abhängigkeit der Oberschicht

beitrug.53 Brunt kritisiert in ähnlicher Weise, dass die römische Politik allein den hohen

Lebensstandard und den Reichtum der schon vorhandenen Oberklasse garantiert hat und

Repressionen und Machtmissbrauch aufgrund mangelnder eigener Präsenz nicht verhindern

konnte.54 So entsteht doch ein gemischtes Bild der Römischen Expansion und der

Romanisierung, die zwar eine Hochkultur weiter verbreitet hat, aber offenbar weit davon

entfernt war, an das Wohl jedes Menschen zu denken.

Schluss:

Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussbetrachtungen

„…sie sind nicht weit davon entfernt, alle Römer zu sein. …“ (Strab. 3,2,15) Dieses Zitat des

Geographen und Geschichtsschreibers bezog sich zwar nur auf Südspanien, doch ist es ein

guter Ausgang für meine Schlussbetrachtungen. Unter Augustus ist das, was sich offenbar

unter republikanischer und cäsarischer Herrschaft im Süden Spaniens vollzog, auch auf weite

Teile im Rest Iberiens ausgedehnt worden. Mit dem Bewusstsein, die Barbaren zu Menschen

zu machen und die Welt zu zivilisieren, unter dem Konsens der römischen Eroberer mit der

lokalen Obrigkeit, durch die Rahmenschaffung, die die einheimische Bevölkerung ins

Römertum ziehen sollte, durch die Munizipalisierung und die Verleihung des Bürgerrechts

wurden die spanischen Provinzen auf vielfältige Weise von der Römischen Kultur in all ihren

Facetten durchdrungen und zu einem der wertvollsten Gebiete des Reiches. Wie viel

Verdienst daran Augustus selbst zuzusprechen ist, lässt sich nur abschätzen. Doch immerhin

siedelte er viele Veteranen in Spanien an, befriedete den Norden und erhob so viele

Gemeinden zu Municipien wie kein anderer Kaiser. So trieb er den Romanisierungsprozess

wohl entscheidend voran und die Epoche seiner Herrschaft bleibt die Grundlage einer

einmaligen Erfolgsgeschichte. Getrübt wird dieses Bild davon, dass in diesem Fall etwas

mehr römische Präsenz zum Wohl der lokalen Unterschicht wohl wünschenswert gewesen

wäre, doch dafür gab es offenbar kein Bewusstsein. Was bleibt, ist eine Außenpolitik, die ihre

offensichtlichen Ziele, nämlich eine symbiotische und nachhaltige Bindung des Zentrums zu

den Provinzen des Westens in vielerlei Hinsicht erfüllt hat.

53 Alföldy, Römisches Städtewesen, S. 121 54 Brunt, The Romanization of the Local Ruling Classes, S. 271 – 273.

14

Literaturverzeichnis:

1. Alföldy, Géza, Römisches Städtewesen auf der neukastilischen Hochebene: ein

Testfall für die Romanisierung; vorgetragen am 25. Oktober 1986 / Géza

Alföldy, HAW Philosophisch-Historische Klasse, Band 3, Heidelberg 1987.

2. Brancati, Antonio, Augusto e la guerra di Spagna, Urbino 1963.

3. Brunt, P. A., Augustan Imperialism, in: Astbury, Peter; Roman Imperial

Themes; Oxford; 1990; S. 96 – 110.

4. Brunt, P. A., The Romanization of the Local Ruling Classes in the Roman

Empire, in: Astbury, Peter; Roman Imperial Themes; Oxford 1990.

5. Curchin, Leonard, The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity

and Change in a Provincial Hinterland), London 2004.

6. Dürrwächter, Claudia, Time, Space and Innovation: an Archaeological Case

Study on the Romanization of the North-Western Provinces (50 BC to AD 50);

BAR International Series 2011, Dissertation Oxford 2009.

7. Haensch, Rudolf, Capita Provinciarum (Statthaltersitze und

Provinzialverwaltung in der Römischen Kaiserzeit); in: Hansgerd

Hellenkemper; Kölner Forschungen; Band 7; Köln 1997, S. 176 - 182.

8. Kienast, Dietmar, Augustus: Princeps und Monarch, Darmstadt, 1992.

9. Raaflaub, Karl, Die Militärreformen des Augustus und die politische

Problematik der frühen Prinzipats; in: Gerhard Binder; Wege Der Forschung

(Saeculum Augustum – Herrschaft und Gesellschaft Band 1) ; Band CCLXVI;

Darmstadt; 1987.

10. Salinas de Frias, Manuel, Conquista y Romanización de Celtiberia, Salamanca

1986.

11. Stein-Kramer, Michaela, Die Klientelkönigreiche Kleinasiens in der

Außenpolitik der Späten Republik und des Augustus, Berlin 1986.

12. Vittinghoff, Friedrich, Römische Kolonisation und Bürgerrechtspolitik unter

Caesar und Augustus; Abhandlungen der Geistes- und

Sozialwissenschaftlichen Klasse, Heft 9 – 15, Jahrgang 195, S. 1217 – 1367.

13. Woolf, Greg, The Civilizing Ethos; Becoming Roman; Cambridge 1998.

15

Anhang:

1. Romanisches Haus in Numantia (RiCS – p. 122)

2. Plan von Clunia (RiCS – p. 132)

16

3. Provinciae Hispaniae (Alföldy – Seite 33)

17

4. Forum in Termes (RiCS – p. 88)

18

5. Kolonien und Municipien im Westen des Imperium Romanum (Vittinghoff – S. 153)

19

6. Der Nordwesten der Iberischen Halbinsel (Augusto e la guerra di Spagna – p. 67)

20

7. Das Römische Straßensystem im Zentrum der Iberischen Halbinsel (RiCS – p. 112)

21

8. Augusteische Münzen aus Segovia

9. Das Innere des Bades von Segobriga (RiCS – p. 223)

22

10. Amphitheater in Segobriga (RiCS – p. 228)

11. Reste des Circus‘ von Toletum (Toledo) (RiCS – p. 229)

23

Quellenangaben:

1. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 122.

2. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 132.

3. Alföldy, Géza; Römisches Städtewesen auf der neukastilischen Hochebene: ein Testfall für die Romanisierung; vorgetragen am 25. Oktober 1986 / Géza Alföldy; HAW Philosophisch-Historische Klasse; Band 3; Heidelberg 1987 S. 33.

4. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 88.

5. Vittinghoff, Friedrich; Römische Kolonisation und Bürgerrechtspolitik unter Caesar und Augustus; Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Heft 9 – 15, Jahrgang 1951, S. 1370.

6. Brancati, Antonio, Augusto e la guerra di Spagna, Urbino 1963, S. 67. 7. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and

Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 112. 8. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and

Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 155. 9. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and

Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 223. 10. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and

Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 228. 11. Curchin, Leonard A., The Romanization of Central Spain (Complexity, Diversity and

Change in a Provincial Hinterland), London 2004, S. 229.