Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht Textstufen transnationaler...

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Archiv für die civilistische Praxis, Bd. 210 (2010), S. 196-250 © Mohr Siebeck – ISSN 0003-8997 Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht Textstufen transnationaler Modellregelungen* von Prof. Dr. Nils Jansen, Münster und Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Hamburg Inhaltsübersicht I. Einführung ...................................................... 197 1. Die Principles of European Contract Law ......................... 197 2. Draft Common Frame of Reference und Principles of International Commercial Contracts .......................................... 199 II. System und Definitionen ........................................... 202 1. Der Begriff des Rechtsgeschäfts .................................. 202 2. Der Begriff des Vertrags ......................................... 207 III. Voraussetzungen des Vertragsschlusses ............................... 209 IV. Angebot und Annahme ............................................ 214 1. Gemeinsamer Kernbestand ...................................... 214 2. Abweichungen in den PECL gegenüber den PICC ................. 216 3. DCFR und PECL .............................................. 223 4. PECL und PCC ................................................ 225 V. Irrtum .......................................................... 229 1. PECL ........................................................ 231 2. Die PCC ...................................................... 236 3. Der DCFR .................................................... 240 VI. Ergebnisse ....................................................... 248 * Der Aufsatz beruht auf einem gemeinsamen Seminar, das wir im Sommer 2009 mit Studenten der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, der Universität Re- gensburg sowie der Bucerius Law School in Praxmar (Österreich) veranstaltet haben. Allen Teilnehmern gilt unser herzlicher Dank für ihre konstruktiven Beiträge. Die vorliegend diskutierten Modellregelungen sind wie folgt abgekürzt: ACQP I: The Research Group on the Existing EC Private Law (Acquis Group), Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles). Contract I: Pre-con- tractual Obligations, Conclusion of Contract, Unfair Terms, 2007. ACQP II: The Research Group on the Existing EC Private Law (Acquis Group), Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles). Contract II: General Provisions, Delivery of Goods, Package Travel and Payment Services, 2009 DCFR: Christian von Bar, Eric Clive (Hg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law: Draft Common Frame of Reference (DCFR), Full Edition, 6 Bände, 2009. PCC: Association Henri Capitant des Amis de la Culture Juridique Française, So- ciété de Législation Comparée, Projet de Cadre Commun de Référence – Principes

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Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP196

Archiv für die civilistische Praxis, Bd. 210 (2010), S. 196-250© Mohr Siebeck – ISSN 0003-8997

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht

Textstufen transnationaler Modellregelungen*

von Prof. Dr. Nils Jansen, Münster und Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Hamburg

Inhaltsübersicht

I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Die Principles of European Contract Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Draft Common Frame of Reference und Principles of International Commercial Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

II. System und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Der Begriff des Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Der Begriff des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

III. Voraussetzungen des Vertragsschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

IV. Angebot und Annahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Gemeinsamer Kernbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Abweichungen in den PECL gegenüber den PICC . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3. DCFR und PECL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 4. PECL und PCC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

V. Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. PECL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Die PCC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 3. Der DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

VI. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

* Der Aufsatz beruht auf einem gemeinsamen Seminar, das wir im Sommer 2009 mit Studenten der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, der Universität Re-gensburg sowie der Bucerius Law School in Praxmar (Österreich) veranstaltet haben. Allen Teilnehmern gilt unser herzlicher Dank für ihre konstruktiven Beiträge. Die vorliegend diskutierten Modellregelungen sind wie folgt abgekürzt:

ACQP I: The Research Group on the Existing EC Private Law (Acquis Group), Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles). Contract I: Pre-con-tractual Obligations, Conclusion of Contract, Unfair Terms, 2007.

ACQP II: The Research Group on the Existing EC Private Law (Acquis Group), Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles). Contract II: General Provisions, Delivery of Goods, Package Travel and Payment Services, 2009

DCFR: Christian von Bar, Eric Clive (Hg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law: Draft Common Frame of Reference (DCFR), Full Edition, 6 Bände, 2009.

PCC: Association Henri Capitant des Amis de la Culture Juridique Française, So-ciété de Législation Comparée, Projet de Cadre Commun de Référence – Principes

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I. Einführung

1. Die Principles of European Contract Law

Mit seiner 1946 erschienenen History of Roman Legal Science begründete Fritz Schulz einen Forschungszweig, der als Textstufenforschung bekannt ge-worden ist1: Die römischen Quellentexte der Antike sind nicht nur durch Justi-nians Kompilatoren, sondern bereits in nachklassischer, aber vorjustinianischer Zeit überarbeitet und verändert worden. Sie haben also eine wechselvolle Ge-schichte, die es jeweils zurückzuspulen gilt, um die Entwicklung bestimmter Ideen nachvollziehen zu können2. In Zukunft wird der Begriff der Textstufen-forschung im Bereich des modernen europäischen Privatrechts möglicherweise eine Renaissance erfahren. Denn auch hier gilt es die Veränderungen zu analy-sieren, denen bestimmte Texte unterworfen sind, die in der Herausbildung des europäischen Privatrechts eine Schlüsselrolle erlangt haben3.

Zu diesen Texten gehören in erster Linie die PECL4. Sie bilden einen ersten Versuch, den acquis commun – also: das in den nationalen Rechtsordnungen Europas tradierte Privatrecht – für einen zentralen Bereich (das allgemeine Vertragsrecht) regelförmig zu verdichten und zu konkretisieren5. Man kann in ihnen ein transnationales Regelwerk sehen, auf das Schiedsgerichte zurück-greifen können, die einen Streitfall gemäß den „allgemeinen Rechtsgrundsät-

contractuels communs, 2008; engl. (nur die Regeln, ohne Erläuterungen) in: dies./Béné-dicte Fauvarque-Cosson, Denis Mazeaud (Hg.), European Contract Law. Materials for a Common Frame of Reference: Terminology, Guiding Principles, Model Rules, 2008, 573 ff.

PECL: Principles of European Contract Law: Ole Lando, Hugh Beale (Hg.), Prin-ciples of European Contract Law, Parts I and II, 2000; Ole Lando, Eric Clive, André Prüm, Reinhard Zimmermann (Hg.), Principles of European Contract Law, Part III, 2003.

PICC: UNIDROIT (Hg.), UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts 2004, 2004.

1 Dazu Wolfgang Ernst, Fritz Schulz (1879–1957), in: Jack Beatson, Reinhard Zimmermann (Hg.), Jurists Uprooted: German-speaking Émigré Lawyers in Twen-tieth-century Britain, 2004, 176 ff. Auf Fritz Schulz aufbauend dann insbesondere Franz Wieacker, Textstufen klassischer Juristen, 1960.

2 Vgl. den Überblick bei Hans-Dieter Spengler, Textstufenforschung, in: Hubert Cancik, Helmuth Schneider, Manfred Landfester (Hg.), Der Neue Pauly: Enzyklopä-die der Antike, Band 15/3, 2003, Sp. 394 ff.

3 Dazu bereits Reinhard Zimmermann, Textstufen in der modernen Entwicklung des europäischen Privatrechts, EuZW 2009, 319 ff.

4 Für die Abkürzungen siehe Fn. •••.5 Dazu Reinhard Zimmermann, Principles of European Contract Law, in: Jürgen

Basedow, Klaus J. Hopt, Reinhard Zimmermann (Hg.), Handwörterbuch des Euro-päischen Privatrechts (HWBEuP), 2009, 1177 ff. m.w.N.

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zen“ oder „international anerkannten Grundsätzen“ zu entscheiden haben. Man kann sie auch als allgemeine begriffliche und systematische Grundlage für Maßnahmen der Harmonisierung des Vertragsrechts im Rahmen der EU betrachten. Insbesondere aber bieten die PECL einen neutralen Referenzpunkt für eine organische Assimilation des Privatrechts, die den für die Entwicklung des Rechts in Europa traditionell verantwortlichen Akteuren – Gesetzgeber, Richter, Professoren – als Inspirationsquelle dienen kann (und in der Tat zu-nehmend auch dient)6. Wenn die PECL die europäische Privatrechtsentwick-lung beeinflussen können, dann nur imperio rationis7: weil sie als ein Regel-werk wahrgenommen werden, das Lösungen bietet, die sowohl vernünftig als auch frei von nationalem Vorurteil sind. Insofern ist von Bedeutung, dass die PECL von einer Kommission erarbeitet worden sind, der Juristen aus allen Mitgliedstaaten der EU (zur Zeit ihrer Erarbeitung) angehört haben, dass kei-ner nationalen Rechtsordnung Modellcharakter zukam und dass der Versuch gemacht wurde, einen gemeinsamen Kernbestand der Vertragsrechte aller Mit-gliedstaaten der EU herauszufiltern und auf dieser Grundlage ein funktions-tüchtiges System zu schaffen8.

6 In diesem Sinne näher Reinhard Zimmermann, The Principles of European Con-tract Law: Contemporary Manifestation of the Old, and Possible Foundation for a New, European Scholarship of Private Law, in: Florian Faust, Gregor Thüsing (Hg.), Beyond Borders: Perspectives on International and Comparative Law – Symposium in Honour of Hein Kötz, 2006, 141 ff.

7 Zur Rechtsgeltungsdiskussion zur Zeit des Gemeinen Rechts (Geltung des römi-schen Rechts ratione imperii oder imperio rationis?) vgl. in diesem Zusammenhang Nils Jansen, Das gelehrte Recht und der Staat, in: Reinhard Zimmermann (Hg.), Globalisie-rung und Entstaatlichung des Rechts, Teilband II: Nichtstaatliches Privatrecht – Gel-tung und Genese, 2008, 159, 164 ff.; ders., Traditionsbegründung im europäischen Pri-vatrecht, JZ 2006, 536 ff.; ders., Ralf Michaels, Private Law and the State – Comparative Perceptions and Historical Observations, RabelsZ 71 (2007), 345 ff.

8 Die PECL verstehen sich insoweit als eine Art „Restatement“ des gemeineuro-päischen Vertragsrechts. Ihren Verfassern war freilich klar, dass sie mit einer „kreative-ren“ Aufgabe konfrontiert waren als die Autoren der amerikanischen Restatements: Lando/Beale (Fn. •••), xxvi. Zu den amerikanischen und europäischen Restatements vgl. Ralf Michaels, Restatements, in: HWBEuP (Fn. 5), 1295 ff.; Nils Jansen, The Mak-ing of Legal Authority: Non-legislative Codifications in Historical and Comparative Perspective, 2010, 50 ff.; ders., Reinhard Zimmermann, Was ist und wozu der DCFR?, NJW 2009, 3402 ff.

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2. Draft Common Frame of Reference und Principles of International Commercial Contracts

Die Bedeutung, die die PECL im internationalen Diskurs erlangt haben, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie zum Ausgangspunkt eines überaus am-bitionierten Projekts geworden sind, das auf eine Kodifikation zentraler Be-reiche des Vermögensrechts in Europa zielt: des DCFR9. Die Bücher II und III des DCFR, die mit „Contracts and other juridical acts“ sowie „Obliga-tions and corresponding rights“ überschrieben sind, beruhen auf den PECL. Doch sind diese dabei überarbeitet worden10. Von diesen Überarbeitungen waren frühere Versionen einem begrenzten Kreis von „stakeholders“ zu-gänglich und haben auf diesem Wege Eingang in die wissenschaftliche Dis-kussion gefunden. Zwei spätere Textstufen sind dann publiziert worden, eine in der Interim Outline Edition des DCFR vom Februar 200811 und eine in der Outline Edition vom Februar 200912. Auch die Texte der Outline Edition sind nicht vollkommen identisch mit denen der Full Edition, die im Oktober 2009 erschienen ist13.

Gleichzeitig hat nun aber auch eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Asso-ciation Henri Capitant des Amis de la Culture Juridique Française und der So-ciété de Législation Comparée eine revidierte Fassung der PECL vorgelegt: zu-nächst (mit Begründung) in französischer, dann auch (beschränkt auf die revi-

9 Dazu Reinhard Zimmermann, Common Frame of Reference, in: HWBEuP (Fn. 5), 276 ff. m.w.N.

10 Dazu allgemein bereits Horst Eidenmüller, Florian Faust, Hans Christoph Grigoleit, Nils Jansen, Gerhard Wagner, Reinhard Zimmermann, Der Gemeinsame Referenzrahmen für das Europäische Privatrecht: Wertungsfragen und Kodifikations-probleme, JZ 2008, 529 ff.; Thomas Pfeiffer, Von den Principles of European Contract Law zum Draft Common Frame of Reference, ZEuP 16 (2008), 679 ff.; Brigitta Jud, Die Principles of European Contract Law als Basis des Draft Common Frame of Re-ference, in: Martin Schmidt-Kessel (Hg.), Der gemeinsame Referenzrahmen: Entste-hung, Inhalte, Anwendung, 2008, 71 ff.; Simon Whittaker, A Framework of Principle for European Contract Law, Law Quarterly Review 125 (2009), 616 ff.

11 Christian von Bar, Eric Clive, Hans Schulte-Nölke (Hg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law: Draft Common Frame of Reference (DCFR), Interim Outline Edition, 2008.

12 Christian von Bar, Eric Clive, Hans Schulte-Nölke (Hg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law: Draft Common Frame of Reference (DCFR), Outline Edition, 2009.

13 Zur Revision der Interim Outline Edition durch die Outline Edition vgl. Christian von Bar, Hugh Beale, Eric Clive, Hans Schulte-Nölke, Introduction, in: von Bar/Clive/Schulte-Nölke (Fn. 12), Rn. 26 ff. (diese Passage ist in der von denselben Autoren unter-zeichneten Introduction zur Full Edition nicht mehr enthalten); zu (editorischen) Änder-ungen in der Full Edition gegenüber der Outline Edition vgl. Christian von Bar, Hugh Beale, Eric Clive, Hans Schulte-Nölke, Introduction, in: von Bar/Clive (Fn. •••), Rn. 3.

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dierten Regeltexte) in englischer Sprache14. Sie stützt sich in ihrer „analyse comparée“ neben internationalen Dokumenten auf den Avant-projet de ré-forme du droit des obligations et de la prescription15 und den sog. Gandolfi-Entwurf (Code Européen des contrats [Avant-projet])16 und damit auf einen nationalen (französischen) sowie einen von einem nationalen (dem italieni-schen) Recht inspirierten Text. Obwohl die beiden französischen Gruppen dem von der Europäischen Kommission finanzierten CoPECL-Netzwerk an-gehörten, dessen Aufgabe in der Erarbeitung des Entwurfs eines „politischen“ Common Frame of Reference (CFR) bestand17, haben die beiden Arbeitsgrup-pen, die bei der Erarbeitung des DCFR tatsächlich die entscheidende Rolle spielten (die Study Group on a European Civil Code18 und die Research Group on the Existing EC Private Law [Acquis Group]19), diesen französischen Ent-wurf nicht berücksichtigt. Das mag an dem zeitlichen Druck gelegen haben, unter dem das gesamte Projekt stand. Jedenfalls gibt es damit momentan die PECL in ihrer ursprünglichen Version, in zwei Überarbeitungsstufen durch die Verfasser des DCFR und in einer französischen Überarbeitung. Im vorlie-genden Aufsatz sollen diese Texte miteinander verglichen werden.

Herangezogen wird im Rahmen dieses Vergleichs zudem ein weiteres Pro-jekt transnationaler Rechtsharmonisierung: die UNIDROIT Principles of In-ternational Commercial Contracts (PICC)20. PECL und PICC sind in vielen Punkten miteinander vergleichbar21. Zudem sind sie etwa gleichzeitig ent-

14 Oben, Fn. •••.15 Dazu John Cartwright, Stefan Vogenauer, Simon Whittaker (Hg.), Reforming the

French Law of Obligations, 2009. Dieser Entwurf ist inzwischen freilich überholt; vgl. Stefan Vogenauer, The Avant-projet de réforme: An overview, in dem soeben erwähnten Sammelband, 17 ff.

16 Dazu Reinhard Zimmermann, Der ‚Codice Gandolfi‘ als Modell eines einheit-lichen Vertragsrechts in Europa?, in: Festschrift für Erik Jayme, 2004, 1401 ff.

17 Zum Joint Network on European Private Law (CoPECL) vgl. http://www.copecl.org/; zum Common Frame of Reference-Projekt vgl. etwa Thomas Pfeiffer, Methodik der Privatrechtsangleichung in der EU, AcP 208 (2008), 227 ff.; Wolfgang Ernst, Der ‚Common Frame of Reference‘ aus juristischer Sicht, AcP 208 (2008), 248 ff.; Reinhard Zimmermann, European Contract Law: General Report, in: 4. Europäischer Juristen-tag, 2008, 195 ff.

18 Dazu Martin Schmidt-Kessel, Study Group on a European Civil Code, in: HWBEuP (Fn. 5), 1453 ff.

19 Dazu Hans Christoph Grigoleit, Lovro Tomasic, Acquis Principles, in: HWBEuP (Fn. 5), 12 ff.

20 Dazu Michael Joachim Bonell, An International Restatement of Contract Law, 3. Aufl., 2005; Jan Kleinheisterkamp, UNIDROIT Principles of International Com-mercial Contracts, in: HWBEuP (Fn. 5), 1547 ff.; Jansen, Legal Authority (Fn. 8), 66 ff.

21 Vgl. Reinhard Zimmermann, Die UNIDROIT-Grundregeln der internationa-len Handelsverträge 2004 in vergleichender Perspektive, ZEuP 13 (2005), 264 ff.

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standen. Die für ihre Erarbeitung verantwortlichen Kommissionen haben von der Arbeit der jeweils anderen Kenntnis genommen und in manchen Punkten Einfluss aufeinander ausgeübt. Auch inhaltlich stimmen beide Regelwerke in überraschend weitgehendem Maße überein22. Das macht eine Analyse der be-stehenden Detailunterschiede umso interessanter. Zu berücksichtigen sind schließlich auch die Acquis Principles23 der soeben erwähnten Acquis Group. Sie sollen die PECL für einen Bereich ergänzen, der in ihnen weitgehend un-berücksichtigt geblieben ist: den acquis communautaire, vor allem den ver-braucherschützenden. Die Acquis Principles bilden damit neben den PECL eine weitere wichtige Textmasse des europäischen Privatrechts; die Regeln ei-ner ersten Auflage (ACQP I) sind teils unverändert, überwiegend aber in überarbeiteter Form, in die Bücher II und III des DCFR eingeflossen24 und – parallel dazu – ihrerseits einer Revision unterzogen worden, die ihren Aus-druck in einer zweiten Auflage (ACQP II) findet.

Angesichts der Vielzahl der inzwischen vorliegenden Texte und des Um-fangs der PECL kann dieser Aufsatz nur einen ersten Anstoß bieten, die „neue Unübersichtlichkeit“25 im europäischen Vertragsrecht zu bereinigen. Dabei beschränken wir uns auf die Regelungen über Vertragsschluss26 und Irrtum27.

22 Überraschend angesichts des in doppelter Hinsicht unterschiedlichen Gegen-stands beider Regelwerke: allgemeines Vertragsrecht/Recht der Handelsverträge; eu-ropäische/internationale Rechtsharmonisierung.

23 Oben, Fn. •••. Zum Inhalt der Acquis Principles und dem ihnen zugrunde liegen-den methodischen Programm (bezogen auf ACQP I) vgl. Nils Jansen, Reinhard Zim-mermann, Grundregeln des bestehenden Gemeinschaftsprivatrechts?, JZ 2007, 1113 ff.; Fryderyk Zoll, Die Grundregeln der Acquis Gruppe im Spannungsfeld zwischen ac-quis commun und acquis communautaire, GPR 2008, 106 ff.; außerdem HWBEuP/Grigoleit/Tomasic (Fn. 19).

24 Von Relevanz ist dies im vorliegenden Zusammenhang primär für den Vertrags-schluss, da die Acquis Principles keine Irrtumsregelungen (wohl aber Informations-pflichten) enthalten. Allgemein zu den Vertragsschlussregeln im acquis und in den Ac-quis Principles Reiner Schulze, Grundsätze des Vertragsschlusses im Acquis commun-autaire, GPR 2005, 56 ff.; Thomas Pfeifer, Der Vertragsschluss im Gemeinschaftsrecht, in: Reiner Schulze, Martin Ebers, Hans Christoph Grigoleit (Hg.), Informationspflich-ten und Vertragsschluss im acquis communautaire, 2003, 103 ff.; Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1119 (mit Hinweis darauf, dass die Grundlage der Acquis Principles im acquis in diesem Bereich sehr dünn ist und dass sie vielmehr weithin das Ergebnis wertender Rechtsvergleichung sind). Zur Rechtsprechung des EuGH Daniel Thomas Laumann, Der privatrechtliche Vertragsschluss in der Rechtsprechung des Europäischen Ge-richtshofs, 2005, 86 ff.

25 Dazu EuZW 2009, 322.26 Zusammenfassender Überblick jüngst bei Martin Illmer, Vertragsschluss, in:

HWBEuP (Fn. 5), 1696 ff.27 Zusammenfassender Überblick jüngst bei Wolfgang Ernst, Irrtum, in: HWBEuP

(Fn. 5), 909 ff.; zu den anderen „Willensmängeln“ Sebastian Martens, Drohung, in:

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Sie haben nicht nur seit Jahrzehnten einen prominenten Gegenstand des rechts-vergleichenden Interesses gebildet, sondern stehen auch im Zentrum dessen, was eine Rechtsordnung unter Privatautonomie versteht. Zudem bieten sich gerade diese Regelungsbereiche für eine erste Sondierung im Bereich der Text-stufenanalyse an. Denn anders als etwa im Bereich von Abtretung, Stellvertre-tung oder Vertrag zugunsten Dritter haben die Verfasser des DCFR die PECL hier nicht fundamental revidiert. Es ist deshalb nicht erforderlich, die betref-fenden Regelungsprobleme insgesamt in ihren rechtshistorischen und rechts-vergleichenden Dimensionen neu aufzurollen. Vielmehr bilden die Texte der PECL in ihrer Originalversion den Ausgangspunkt, und es wird gefragt, ob und inwieweit die Überarbeitungen Veränderungen und damit möglicher-weise Verbesserungen gebracht haben; zugleich wird dabei gefragt, wie PECL und PICC sich zueinander verhalten.

II. System und Definitionen

1. Der Begriff des Rechtsgeschäfts

Kapitel 2 der PECL (Überschrift: Formation = Abschluss)28 ist in drei Ab-schnitte gegliedert: Allgemeine Bestimmungen, Angebot und Annahme sowie Haftung bei Vertragsverhandlungen. Der DCFR hat den dritten Abschnitt her ausgenommen und die beiden dort enthaltenen Vorschriften in ein neu ein-gefügtes Kapitel mit dem Titel „Marketing and pre-contractual duties“ über-führt29. Dafür befasst sich der dritte Abschnitt nunmehr mit „anderen Rechts-geschäften“ (Other juridical acts). Das führt auf einen dogmatisch signifikanten Unterschied zwischen PECL und DCFR: Der DCFR konzeptualisiert den Vertrag als (zweiseitiges oder mehrseitiges) Rechtsgeschäft30. Die Einführung

HWBEuP (Fn. 5), 329 ff.; ders., Täuschung, in: HWBEuP (Fn. 5), 1565 ff.; ders., Undue Influence, in: HWBEuP (Fn. 5), 1534 ff.

28 Soweit Texte und Überschriften der PECL im Folgenden in deutscher Sprache wiedergegeben werden, stützen wir uns auf die Übersetzung von Christian von Bar, Reinhard Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Teile I und II, 2002; Christian von Bar, Reinhard Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Ver-tragsrechts, Teil III, 2005. Vom DCFR und von der französischen PECL-Revision gibt es jedenfalls bislang keine deutsche Fassung; die Übertragung der Fachbegriffe folgt, soweit wie möglich, der deutschen Übersetzung der PECL.

29 Art. II.-3:101 ff. DCFR.30 Das ergibt sich nicht unmittelbar aus der Definition des Vertrages in Art. II.-

1:101 (1) Satz 1 DCFR, wohl aber aus dem darauf folgenden Satz 2 („It is a bilateral or multilateral juridical act“); vgl. auch Comment A zu Art. II.-1:101 DCFR. An sich hätte es nahe gelegen, wenn man schon für beide Begriffe Legaldefinitionen bietet, die Defi-

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dieser systematischen Oberkategorie überrascht schon deshalb, weil sie in der modernen rechtsvergleichenden Literatur verbreitet auf Skepsis oder Ableh-nung gestoßen ist. So sprechen Zweigert und Kötz von einer Figur „von allzu weit vorangetriebener Abstraktion“31, und auch Ranieri kommt aufgrund sei-ner historisch-vergleichenden Analyse zu dem Schluss, viel spreche dafür, dass es sich bei der Lehre vom Rechtsgeschäft „nur noch um einen historischen Rest aus einer rechtswissenschaftlichen Tradition handelt, deren Funktion im heu-tigen Europäischen Zivilrecht wohl als erschöpft anzusehen ist.“32 Zudem lässt sie sich, trotz ihrer erheblichen Verbreitung in der Doktrin kontinentaleu-ropäischer Rechtsordnungen33, nicht als Teil des acquis commun bezeichnen, der im DCFR nur abgebildet und in diesem Sinne als „Restatement“ erfasst würde34. Das zeigt sich nicht zuletzt bereits daran, dass es durchaus schwer fällt, eine geeignete englische Übersetzung zu finden35. Entsprechend kritisch ist denn auch die Reaktion auf diese begriffliche Innovation im DCFR ausge-fallen. Man sieht darin einen Ausdruck der strengen, aber unverständlichen Logik des deutschen Rechts36, bzw. ein Merkmal, das Rechtshistoriker der-einst zu dem Urteil veranlassen könnte, der DCFR sei in seiner Struktur ein ins Englische übertragenes BGB37. Man braucht nicht lange darüber zu speku-lieren, was eine derartige Wahrnehmung für die gesamteuropäische Akzep-tanz des Regelwerks bedeutet. Als Kuriosum am Rande sei erwähnt, dass

nition des Vertrages von vornherein auf diejenige des Rechtsgeschäfts zu beziehen, etwa im Sinne von: „Ein Vertrag ist ein Rechtsgeschäft, das …“.

31 Konrad Zweigert, Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., 1996, 145.

32 Filippo Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl., 2009, 150.33 Zur Rezeption der Rechtsgeschäftslehre in den europäischen Rechtsordnungen

Ranieri (Fn. 32), 135 ff.; Zweigert/Kötz (Fn. 31), 146 f.34 Hans Schulte-Nölke, Die Acquis Principles (ACQP) und der Gemeinsame Refe-

renzrahmen: Zu den Voraussetzungen einer ertragreichen Diskussion des DCFR, in: Reiner Schulze, Christian von Bar, Hans Schulte-Nölke (Hg.), Der akademische Ent-wurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen: Kontroversen und Perspektiven, 2008, 67 f.; ders., Restatement – nicht Kodifikation: Arbeiten am „Gemeinsamen Referenz-rahmen“ für ein Europäisches Vertragsrecht, in: Oliver Remien (Hg.), Schuld rechts-moderni sierung und Europäisches Vertragsrecht, 2008, 26 ff. Dagegen Jansen/Zimmer-mann, NJW 2009, 3401 ff.

35 So übersetzt etwa Tony Weir den Begriff des Rechtsgeschäfts mit „legal act“: Konrad Zweigert, Hein Kötz, Introduction to Comparative Law, 3. Aufl., 1998, 146.

36 Ole Lando, The Structure and the Legal Values of the Common Frame of Refer-ence (CFR), ERCL 3 (2007), 250 („stringent and incomprehensible logic … borrowed from German Law“); vgl. auch Reiner Schulze, The Academic Draft of the CFR and the EC Contract Law, in: ders. (Hg.), Common Frame of Reference and Existing Contract Law, 2008, 13 f.

37 Wolfgang Ernst, Zur Struktur des CFR, in: Schmidt-Kessel (Fn. 10), 70.

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gleichzeitig mit der Full Edition des DCFR in Deutschland, dem Land aus dem die Rechtsgeschäftslehre stammt, das erste Lehrbuch erschienen ist, das, ganz im Stile etwa des englischen Rechts, den Vertrag in den Mittelpunkt stellt und von der Verwendung der Kategorie des Rechtsgeschäfts absieht38.

Zwar wird zu Recht darauf hingewiesen, dass der Streit um den Wert der Rechtsgeschäftslehre keine Frage von Inhalten ist: In der juristischen Praxis hängt davon nicht viel ab39. Zutreffend ist ferner, dass der Begriff des Rechts-geschäfts auf der Ebene juristischer Dogmatik nützlich ist oder doch sein kann40. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass er auch zu einer zentralen Sys-temkategorie kodifikatorischer Planung werden sollte: dies zumal dann, wenn derartige Planung sich nach dem Wunsch ihres Auftraggebers auf das Ver-tragsrecht beschränken sollte41. Jedenfalls aber ist es außerordentlich proble-matisch, derartige dogmatische Grundkategorien im Wege einer Legaldefini-tion zu fixieren, wie dies der DCFR versucht. Dort heißt es in Art. II.-1:101 (2), ein Rechtsgeschäft sei jede – ausdrückliche oder sich stillschweigend aus dem Verhalten ergebende – „Erklärung oder Einigung, die dazu bestimmt ist, als solche rechtliche Wirkung zu haben“42. Hauptfall eines Rechtsgeschäfts ist der Vertrag; weitere Beispiele, die im Kommentar genannt werden, sind Ange-bot und Annahme, Bevollmächtigung, Rücktritts-, Anfechtungs- und Wi-derrufserklärung, einseitiges Versprechen und Abtretung43. Aber auch etwa die Aufrechnungserklärung44 und die Errichtung eines Trust45 sind nach der Definition des DCFR Rechtsgeschäfte. Art. II.-1:101 (2) DCFR korrigiert die Vorgängervorschrift in der Interim Outline Edition46. Immer noch aber ist

38 Hein Kötz, Vertragsrecht, 2009. In demselben Sinne zuvor grundlegend für das europäische Recht ders., Europäisches Vertragsrecht, Band I, 1996.

39 Jan Peter Schmidt, Der „juridical act“ im DCFR: Ein (nützlicher) Grundbegriff des europäischen Privatrechts?, ZEuP 18 (2010), 310 ff.

40 Überblick bei Jan Peter Schmidt, Rechtsgeschäft, in: HWBEuP (Fn. 5), 1241 ff.41 Vgl. etwa Annex I, Kapitel III der Mitteilung der Europäischen Kommission an

den Rat und das Europäische Parlament vom 11.10.2004: Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands – weiteres Vorgehen, KOM (2004) 651 endg.

42 „ … any statement or agreement … which is intended to have legal effect as such“.43 Comment B zu Art. II.-1:101 DCFR.44 Art. III.-6:105 DCFR.45 Art. X.-2:101 DCFR.46 Dort hatte es geheißen: „… any statement or agreement or declaration of intention

… which has or is intended to have legal effect as such“. Mit der Korrektur in der Full Edition wird offenbar der Kritik von Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 548, Rechnung getragen: Wenn es genüge, dass die Erklärung tatsächlich Rechtsfolgen nach sich zieht, wären beispielsweise auch rechtwidrige Wer-beaussagen und Beleidigungen Rechtsgeschäfte, haben sie doch wettbewerbsrechtliche oder strafrechtliche Folgen. Dazu nunmehr von Bar/Clive/Schulte-Nölke (Fn. 13),

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unklar, was es heißen soll, die Erklärung oder Einigung müsse dazu bestimmt sein, „als solche“ rechtliche Wirkung zu haben. Hierzu findet sich auch im Kommentar keine Erläuterung. Ist damit gemeint, dass die Rechtswirkung eintritt, ohne dass es weiterer Voraussetzungen bedarf47? Ein Angebot soll zu einem Vertrag führen; dessen Zustandekommen setzt aber die Annahme des Angebots und damit eine Erklärung seitens des Angebotsempfängers voraus. Ein Angebot führt also nicht „als solches“, oder unmittelbar, zu dem inten-dierten Rechtserfolg. Immerhin hat nach § 145 BGB ein Angebot eine recht-liche Wirkung insoweit, als der Anbietende an sein Angebot gebunden ist. Ob das seiner typischen Intention entspricht, lässt sich bezweifeln. Leonardus Lessius beispielsweise hielt eine Annahme für die conditio sine qua non, unter der der Anbietende für sich eine Bindung akzeptiert48. In der Tat ist denn auch gerade nach dem System des DCFR (und der PECL) ein Angebot noch nicht „als solches“ bindend. Vielmehr hat es der Anbietende zunächst noch in der Hand, das Angebot zu widerrufen, ohne irgendeine rechtliche Sanktion be-fürchten zu müssen49.

Doch dies ist nicht die einzige Frage, die durch die Definition des Rechts-geschäfts in Art. II.-1:101 (2) DCFR aufgeworfen wird. Ist eine Mitteilung (notice) ein Rechtsgeschäft? Nach Art. I.-1:109 DCFR (Vorbild: Art. 1:303 PECL) offenbar nicht, denn sonst könnte es dort in Absatz 1, Satz 2 (Vor-bild: Art. 1:303 (6) PECL, freilich ohne Verwendung des Begriffs „Rechtsge-schäft“) nicht heißen: „‚Mitteilung‘ umfasst die Übermittlung von Informa-tion oder eines Rechtsgeschäfts“50. Andererseits befasst sich aber Absatz 3 mit dem Zeitpunkt, wann die Mitteilung wirksam wird: in der Regel dann, wenn sie dem Empfänger zugeht. Eine Mitteilung hat also rechtliche Wir-kung, vermutlich sogar „als solche“. Das ist ganz deutlich in dem zu Art. I.-1:109 DCFR gegebenen Beispiel51: Wenn die Mitteilung der Verlängerung

Rn. 28. Mit der Streichung des Begriffs „declaration of intention“ reagieren die Verfas-ser des DCFR vermutlich auf die in demselben Aufsatz geäußerte Kritik an Definitio-nen, die nach dem Vorbild englischer Gesetzesformulierungen im Zweifel mehrere ähn-liche Begriffe nacheinander aufzählen, um auf der sicheren Seite zu stehen.

47 Nicht gemeint sein kann, wie Pfeiffer, ZEuP 16 (2008), 690, meint, ein Unter-schied danach, ob bereits die Erklärung „als solche“ Rechtswirkungen hat oder ob es der Anerkennung dieser Rechtswirkungen durch die Rechtsordnung bedarf: siehe J.P. Schmidt, ZEuP 18 (2010), 306, Fn. 14.

48 Vgl. James Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, 1991, S. 80.

49 Art. II.-4:202 (1) DCFR ( = Art. 2:202 (1) PECL). Freilich tritt eine Bindung nicht erst mit Annahme des Angebots ein, sondern bereits mit Absendung der Annahme-erklärung an den Anbietenden; dazu sogleich, Text zu Fn. 114 f.

50 „‚Notice‘ includes the communication of information or of a juridical act“.51 Comment C zu Art. I.-1:109 DCFR (= Comment C zu Art. 1:303 PECL).

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der Schiffscharter rechtzeitig eingeht, hat dies die Wirkung, dass die Schiffs-charter sich verlängert52.

Es ist deshalb vermutlich kein Zufall, dass die nationalen Kodifikationen ganz überwiegend eine Legaldefinition der Rechtsgeschäfte nicht enthalten53, auch wenn sie die Rechtsgeschäftslehre an sich rezipiert haben. In Deutsch-land gilt es geradezu als eine besondere Stärke des BGB, und als eine wesent-liche Voraussetzung für seine Dauerhaftigkeit, dass es die Diskussion um der-artige dogmatische Grundkategorien der Wissenschaft überlässt54. Diese ko-difikatorische Klugheitsregel sollte umso mehr gelten, wenn – anders als im Vorlauf zum BGB – eine gemeineuropäische Diskussion um Brauchbarkeit und Ausgestaltung der Rechtsgeschäftslehre überhaupt noch nicht stattge-funden hat. Hinzu kommt schließlich aber auch, dass der mit einer kodifizier-ten Rechtsgeschäftslehre verbundene Hauptvorteil, nämlich auch ohne weit-räumige Verweisungen (wie sie sich etwa in Art. 7 Schweizerisches ZGB, Art. 1324 Codice civile oder Art. 1:107 PECL55 finden) ein lückenloses und

52 Unglücklich ist, dass der Begriff „notice“ zwar in Buch I des DCFR definiert, hernach aber teilweise in unterschiedlicher Bedeutung verwendet wird; ein Beispiel ist Art. III.-6:105 DCFR (so auch bereits in den PECL; vgl. Art. 1:303 im Gegensatz zu Art. 13:104). Die deutsche Übersetzung bringt diesen Unterschied dadurch zum Aus-druck, dass sie einerseits von „Mitteilung“, andererseits von „Erklärung der Aufrech-nung“ (nicht: „Mitteilung der Aufrechnung“) spricht.

53 Vgl. den Überblick in den rechtsvergleichenden Anmerkungen zu Art. II.-1:101 DCFR. Der französische Reformgesetzgeber scheint sich neuerdings um die Defini-tion des Begriffs des Rechtsgeschäfts bemühen zu wollen. Im sog. Avant-projet de ré-forme du droit des obligations et de la prescription (oben, bei Fn. 15) hieß es: „Rechtsge-schäfte sind Willensakte mit dem Ziel, Rechtswirkungen zu äußern“ (Übersetzung durch Hans J. Sonnenberger, ZEuP 15 (2007), 633); im neuesten Reformentwurf lautet die einschlägige Definition: „Les actes juridiques sont des manifestations de volontés destinées à produire des effets de droit“. Vgl. auch Art. 3:33 BW (hier handelt es sich aber nicht eigentlich um eine Definition). Großen Anklang hat der Begriff des Rechts-geschäfts auch in Lateinamerika gefunden; zum neuen brasilianischen Zivilgesetzbuch in diesem Zusammenhang Jan Peter Schmidt, Zivilrechtskodifikation in Brasilien, 2009, 361 ff. („eine Handlung, die unmittelbar den Eintritt eines rechtlichen Erfolges bezweckt“). Für die Väter des deutschen BGB war Rechtsgeschäft, im Anschluss an Windscheid, eine „Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, der nach der Rechtsordnung deshalb eintritt, weil er gewollt ist“: Motive, in: B. Mugdan (Hg.), Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetz-buch für das deutsche Reich, Band I, 1899, 421.

54 Reinhard Zimmermann, Das Bürgerliche Gesetzbuch und die Entwicklung des Bürgerlichen Rechts, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmer-mann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB (HKK), Band I, 2003, Rn. 20 f. m.w.N.

55 „Diese Grundregeln sind mit angemessenen Anpassungen auf Vereinbarungen anzuwenden, durch die ein Vertrag abgeändert oder beendet werden soll, auf einseitige

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gleichwohl regelungstechnisch ökonomisches Normensystem zu errichten, im DCFR nicht erreicht wird56. Denn in Buch II steht aus Gründen der Anschau-lichkeit doch wieder – wie in den PECL (und wie im Schweizerischen Zivil-gesetzbuch und im Codice civile) – ganz der Vertrag im Vordergrund. So befas-sen sich etwa die Kapitel über Unwirksamkeitsgründe und über die Vertrags-auslegung, oder befasst sich die Regelung über Gebräuche und Gepflogenheiten, zunächst nur mit Verträgen, um dann eine Verweisungsvorschrift anzufügen, wonach die Regelungen über Verträge mit „angemessenen“ (Art. II.-8:202 DCFR) oder „notwendigen“ (Art. II.-1:104 (3), Art. II.-7:101 (3) DCFR) An-passungen auf andere Rechtsgeschäfte Anwendung finden. Mitunter (Form, Teilunwirksamkeit)57 wird aber auch ausdrücklich angeordnet, dass für Ver-träge und andere Rechtsgeschäfte genau dieselben Regeln gelten.

2. Der Begriff des Vertrags

Die Definition des Rechtsgeschäfts wird ergänzt durch eine solche des Ver-trages: „Ein Vertrag ist eine Einigung, die dazu bestimmt ist, ein bindendes Rechtsverhältnis zu begründen oder eine andere rechtliche Wirkung zu ha-ben“ (Art. II.-1:101 (1) DCFR)58. Damit soll nur gesagt werden, dass nach dem Sprachgebrauch des DCFR nicht das aus dem Vertrag entspringende Rechts-verhältnis und auch nicht die Urkunde, in der die Vertragsbedingungen viel-fach festgehalten sind, als Vertrag bezeichnet werden, sondern eben die Ei-nigung selbst, sofern sie dazu bestimmt ist, die angegebenen Folgen zu ha-ben59. Dies ist ein im Grunde recht trivialer Punkt, mit dem auf die teilweise etwas ungenaue Verwendung des Begriffs Vertrag im allgemeinen oder ge-schäftlichen Sprachgebrauch und in den PECL60 reagiert wird. Nicht erläutert werden demgegenüber eine Reihe von Fragen, die durch die Definition aufge-

Versprechen sowie auf andere Erklärungen oder Verhaltensweisen, die einen Erklä-rungswillen erkennen lassen“.

56 Dazu auch J.P. Schmidt, ZEuP 18 (2010), 317 ff.57 Art. II.-1:106 DCFR; Art. II.-1:108 DCFR.58 „A contract is an agreement which is intended to give rise to a binding legal rela-

tionship or to have some other legal effect“. (Hinzugefügt wird, im Stile eines Lehr-buchs, ein Vertrag sei ein zwei- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft.) Auch diese Defini-tion ist gegenüber der Interim Outline Edition geändert worden. Dort hatte es geheißen: „ … which gives rise to, or is intended to give rise to …“. Dazu Horst Eidenmüller, Pri-vatautonomie, Verteilungsgerechtigkeit und das Recht des Vertragsschlusses im DCFR, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Fn. 34), 76.

59 Comment A zu Art. II.-1:101 DCFR.60 Auch in den PECL bezieht sich der Begriff Vertrag in der Regel auf die Einigung:

vgl. Comment A zu Art. 2:101 PECL (freilich wird dort auch das einseitige Versprechen als Vertrag bezeichnet!).

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worfen werden wie: Was ist ein bindendes im Gegensatz zu einem nicht bin-denden Rechtsverhältnis? Oder: Was ist eine Einigung? Soll mit der Hinzufü-gung des Begriffs „bindend“ klargestellt werden, dass bloße Gefälligkeitsab-reden keine Verträge sind? Aber begründen Gefälligkeitsabreden denn ein Rechtsverhältnis, wenngleich kein bindendes? Und was die Einigung betrifft, so erscheint es kaum hilfreich, eine dogmatische Grundkategorie mit einer anderen zu definieren, die ihrerseits nicht definiert wird61. Mit der Klausel „oder eine andere rechtliche Wirkung zu haben“ sind Verfügungsgeschäfte gemeint, also Vereinbarungen, durch die unmittelbar auf ein bestehendes Recht eingewirkt wird62. Hat es aber eine Bedeutung, dass Rechtsgeschäfte „als solche“ rechtliche Wirkung haben müssen, (verpflichtende und verfü-gende) Verträge aber nicht? Im Grunde wird in Art. II.-1:101 (1) DCFR nur gesagt, dass als Vertrag nur eine Einigung bezeichnet werden kann, die auf eine rechtliche Wirkung zielt63. Und es wird der Begriff des Rechtsverhältnis-ses eingeführt, aber nicht näher erläutert. Nicht, auch nicht im Kommentar, aufgegriffen werden hingegen die dogmatisch durchaus anspruchsvollen Fra-gen, die in den nationalen Rechtsordnungen intensiv erörtert werden und de-nen die französische Arbeitsgruppe immerhin eine mehr als 40-seitige, neben dem acquis commun auch auf den acquis communautaire bezogene Analyse widmet64. Es fehlt zudem jeder Versuch einer argumentativen Auseinander-setzung mit den in den nationalen Rechtsordnungen anerkannten Definitio-nen des Vertrages, die sich sowohl untereinander als auch von Art. II-1:101 (1) DCFR unterscheiden65. Natürlich gilt auch hier, dass in der Praxis von derar-

61 Dazu bereits Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 547 f.; Eidenmüller (Fn. 58), 76.

62 Comment A zu Art. II.-1:101 DCFR.63 Damit definieren Art. II.-1:101 (1) und (2) die Begriffe Vertrag und Rechtsge-

schäft genau gleich, außer, dass (i) ein Rechtsgeschäft nicht nur eine Einigung, sondern auch eine einseitige Erklärung sein kann, (ii) ein Rechtsgeschäft „als solches“ rechtliche Wirkung hat, (iii) die Einigung beim Rechtsgeschäft, nicht aber beim Vertrag, aus-drücklich sein oder sich stillschweigend aus dem Verhalten ergeben kann und (iv) ein Rechtsgeschäft einseitig, zweiseitig oder mehrseitig sein kann, ein Vertrag hingegen nur zweiseitig oder mehrseitig. Die Unterschiede (ii) und (iii) sind unklar bzw. offen-bar bedeutungslos.

64 Association Henri Capitant des Amis de la Culture Juridique Française, Société de Législation Comparé (Hg.), Projet de cadre commun de référence – Terminologie contractuelle commune, 2008 (englische Version in dem oben (Fn. •••) zitierten Band, 3 ff.).

65 Vgl. den Überblick in den rechtsvergleichenden Notes zu Art. II.-1:101 DCFR. So heißt es etwa in Art. 1101 Code civil (unter Rückgriff auf Pothier), ein Vertrag sei eine Einigung, durch die sich eine oder mehrere Personen einer oder mehreren anderen Personen gegenüber verpflichten, etwas zu geben, zu tun oder nicht zu tun. Demgegen-über beschreiben Guenter H. Treitel/Edwin Peel, The Law of Contract, 12. Aufl. 2007,

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tigen Definitionen nicht viel abhängt66. Wiederum wäre es daher klüger gewe-sen, auf eine Legaldefinition überhaupt zu verzichten67.

III. Voraussetzungen des Vertragsschlusses

Von größerer Bedeutung für eine Regelung des Rechts des Vertragsschlusses sind demgegenüber dessen Voraussetzungen. Hierzu heißt es in Art. 2:101 (1) PECL68:

(1) A contract is concluded if: (a) the parties intend to be legally bound, and (b) they reach a sufficient agreement without any further requirement.(2) A contract need not be concluded or evidenced in writing nor is it subject to any

other requirement as to form. The contract may be proved by any means, including witnesses.

Die Worte „without any further requirement“ (also: weitere Voraussetzun-gen gibt es nicht) bilden einen Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung auf das common law und die Länder der romanischen Tradition: Es bedarf zur Wirk-samkeit des Vertrages weder einer consideration noch einer cause. Der Vertrag findet seine Grundlage also im (objektiv zu bestimmenden) Rechtsbindungs-willen der Parteien und ist damit Ausdruck ihrer Privatautonomie; die PECL (und, ihnen folgend, der DCFR) verzichten auf Seriositätsindizien69, die nach einer vernünftigen Motivation der Parteien fragen.

In der Parallelvorschrift des Art. II.-4:101 DCFR fehlt demgegenüber Ab-satz (2). Die Begründung enthält keinen Hinweis darauf, warum; der in der Begründung der PECL enthaltene Abschnitt zur Frage der Formfreiheit ist

1, den Vertrag als eine Einigung, durch die Verbindlichkeiten entstehen, die durch das Recht erzwungen werden oder anerkannt sind. In Deutschland schreibt beispielsweise Reinhard Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2. Aufl. 2006, 247, Vertrag sei die einverständliche Regelung eines Rechtsverhältnisses durch mindestens zwei Parteien. Meinen alle diese Formulierungen dasselbe? Wie und warum unter-scheiden sie sich von Art. II.-1:101 DCFR?

66 Kötz, Vertragsrecht (Fn. 38), 3.67 So auch Eidenmüller (Fn. 58), 76.68 Inhaltlich identisch Art. 4:101 ACQP I/II.69 Dazu z.B. Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 108 ff.; ders., Seriositäts-

indizien, in: HWBEuP (Fn. 5), 1398; Ranieri (Fn. 32), 100; Christian Armbrüster, Zu-standekommen und Wirksamkeit von Verträgen aus gemeineuropäischer Sicht, JURA 2007, 321 f.; vgl. auch Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1119 (zu Art. 4:101 ACQP I/II).

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP210

einfach gestrichen70. Doch ist die entsprechende Regelung nur verschoben worden; sie findet sich nunmehr in dem neu eingefügten Allgemeinen Teil von Buch II des DCFR. Art. II.-1:106 (1) DCFR entspricht Art. 2:101 (2) PECL (mit zwei kleineren Abweichungen, deren Sinn sich weder von selbst ergibt, noch im Kommentar erläutert wird)71. Im Kommentar ist der Hinweis darauf gestrichen, dass die Parteien etwas anderes vereinbaren können. Dies folgt je-doch aus der allgemeinen Norm des Art. II.-1:102 (2) DCFR72. Art. II.-1:107 DCFR in der Interim Outline Edition enthielt einen zweiten Absatz, wonach besondere Vorschriften die Schriftform oder ein anderes Formerfordernis sta-tuieren können. Das ist nunmehr als selbstverständlich gestrichen worden73.

Hinzugefügt worden ist allerdings eine recht komplexe Schadensersatz-vorschrift, die ihre Verfasser als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs betrachten74, der den DCFR ebenso beherrscht wie die PECL: Wusste eine Partei, dass ein Vertrag wegen Verstoßes gegen eine Formvorschrift unwirksam ist, haftet sie unter bestimm-ten Umständen der anderen Partei für Schäden, die diese durch ihr Handeln im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages erlitten hat. Für diese Rege-lung werden in den rechtsvergleichenden Anmerkungen keine Vorbilder in den nationalen Rechtsordnungen oder in anderen internationalen Instrumen-ten zitiert. Quelle der Inspiration könnte insoweit die deutsche Rechtspre-chung und Lehre zur culpa in contrahendo (§ 311 II BGB) gewesen sein. Doch sind die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs im DCFR vergleichs-weise offen formuliert, während im deutschen Recht darauf hingewiesen wird, dass bei formbedürftigen Verträgen ein Schadensersatzanspruch nur bei

70 Vgl. immerhin Comment E zu Art. II.-4:101 DCFR: Ein Vertragsschluss bedürfe keiner Form, sofern nicht eine solche ausnahmsweise ausdrücklich vorgesehen sei.

71 Art. II.-1:106 (1) DCFR: „A contract … need not be concluded, made or evidenced in writing …“; Art. 2:101 (2) OECL: „A contract need not be concluded or evidenced in writing …“. (Übrigens enthält Art. II.-1:102 (1) DCFR, die über Privatautonomie, nur die Wendung „make a contract“, während die Vertragsschlussvorschriften selbst, etwa Art. II.-4:101 DCFR, die Wendung „A contract is concluded …“ gebrauchen. Vorbild für diese Regelung ist offenbar Art. 11 CISG; dort heißt es „ … need not be concluded in or evidenced by writing“; demgegenüber formuliert Art. 1.2 PICC „ … to be made in or evidenced by a particular form“. Vermutlich haben die Autoren des DCFR auch hier einfach auf der sicheren Seite sein und alle in Betracht kommenden Begriff aufzählen wollen, ohne dass dem eine besondere Bedeutung zukäme.) – Gestrichen, vielleicht als selbstverständlich, vielleicht als systematisch unpassend in einer Kodifikation des Zi-vilrechts, ist die im zweiten Satz der Norm enthaltene Beweisregel.

72 Der Sache nach auch schon enthalten in Art. 1:102 (2) PECL.73 Vgl. Comment B zu Art. II.-1:106 DCFR; siehe auch den soeben, Fn. 70, zitierten

Hinweis im Comment zu Art. II.-4:101 DCFR.74 Comment C zu Art. II.-1:106 DCFR.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 211

schweren Verstößen gegen die Pflicht zum redlichen Verhalten besteht75. Art. II.-1:106 (2) DCFR fügt sich insoweit ein in die das Dokument allgemein prägende Tendenz zur Statuierung weitreichender Informations- und Auf-klärungspflichten76.

Stärker greift die französische Arbeitsgruppe in den Text der PECL ein. Geändert werden zum einen die beiden grundlegenden Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Vertrages: Maßgeblich soll (a) nicht der Wille der Parteien sein, rechtlich gebunden zu sein, sondern ob die Parteien ihren Willen, rechtlich gebunden zu sein, kundgetan haben; und maßgeblich soll ferner (b) nicht das Erfordernis einer ausreichenden Einigung sein, sondern ob die Parteien eine Einigung über die wesentlichen Elemente des Vertrages erzielt haben77. Der Änderungsvorschlag zu (a) bringt sachlich nichts Neues, führt dafür aber zu einer unschönen Wiederholung. Denn nach Art. 2:102 PECL78, den in modifizierter Form auch Art. 2:202 PCC aufnimmt, ist der Wille einer Partei, durch Vertrag rechtlich gebunden zu sein, aus ihren Er-klärungen und ihrem Verhalten zu ermitteln, wie diese vernünftigerweise von der anderen Partei verstanden wurden. Über die eine oder andere For-mulierung mag man streiten, doch das Prinzip ist sicherlich richtig und je-denfalls der Sache nach auch weithin anerkannt79. Zweimal ausgedrückt zu werden braucht es demgegenüber nicht. Das Merkmal der „ausreichenden Einigung“ findet die französische Arbeitsgruppe zu unscharf80, obwohl es in Art. 2:103 (1) PECL81 präzisiert wird. Stattdessen greift sie auf die bis ins

75 Christian Grüneberg, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl., 2009, § 311, Rn. 38; Volker Emmerich, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetz-buch, 5. Aufl., Band 2, 2007, § 311, Rn. 108.

76 Vgl. etwa Art. II.-3:101 ff. DCFR; dazu Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 544 f.

77 Art. 2:201 (1) PCC; dazu Principes contractuels communs (Fn. •••), 217 ff.78 Im Wesentlichen identisch damit Art. II.-4:102 DCFR.79 Für Deutschland vgl. HKK/Stefan Vogenauer (Fn. 54), §§ 133, 157, Rn. 34 ff.; all-

gemein Stefan Vogenauer, Auslegung von Verträgen, in: HWBEuP (Fn. 5), 134 ff.; Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 162 ff.; oder auch die rechtsvergleichenden Notes zu Art. II.-4:102 DCFR; vgl. ferner Art. 8 CISG; Art. 4 (2) PICC.

80 Principes contractuels communs (Fn. •••), 218, 220.81 Der Sache nach übereinstimmend, aber in der Formulierung zum Teil anders

Art. II.-4:103 (1) DCFR. Nach Art. 2:103 (1) (a) PECL liegt eine „ausreichende Eini-gung“ vor, wenn die Bedingungen des Vertrages durch die Parteien „ausreichend fest-gelegt wurden, so dass die Durchführung des Vertrages erzwungen werden kann“ (Art. II.-4:103 (1) (a) DCFR: „… so dass der Vertrag rechtliche Wirkung entfalten kann“). Der Versuch der Präzisierung eines Begriffes durch eine Definition, in der der-selbe Begriff noch einmal verwendet wird, ist sicherlich kein Muster an Formulie-rungskunst. Im DCFR wird dies Vorgehen sogar noch auf die Spitze getrieben, indem (im Gegensatz zu den PECL) auch in der Tatbestandsalternative (b) der Begriff der

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP212

mittelalterliche Recht zurückreichende82 Unterscheidung zwischen essen-tialia und accidentalia negotii zurück. Wiederum wird zweimal gesagt, dass die Parteien sich über die essentialia negotii geeinigt haben müssen, nämlich neben Art. 2:201 (1) (b) PCC noch in der Vorschrift des Art. 2:203 PCC83, wo erklärt wird, was essentialia negotii sind und dass die Parteien auch Be-stimmungen, die normalerweise als accidentalia negotii betrachtet werden, zu essentialia negotii erheben können84. Ob es klug ist, diese dogmatischen Kategorien zu Tatbestandsvoraussetzungen zu machen und ob damit eine Präzisierung gegenüber Art. 2:103 PECL erreicht wird, erscheint uns frag-lich85. Jedenfalls bildet die Formulierung der französischen Arbeitsgruppe keinen evidenten Fortschritt86.

„ausreichenden“ Festlegung verwandt wird. Der zentrale Unterschied in der Formulie-rung der Tatbestandsalternative (b) (die Bedingungen des Vertrages „können nach die-sen Grundregeln festgelegt werden“ (PECL) bzw. „… können in anderer Weise ausrei-chend festgelegt werden, so dass der Vertrag rechtliche Wirkung entfalten kann“ (DCFR)) scheint, anders als die französische Arbeitsgruppe meint (Principes contrac-tuels communs (Fn. •••), 225), keine praktische Bedeutung zu haben; jedenfalls sind die einschlägigen Passagen im Kommentar, von einer Umstellung und Aufgliederung abgesehen, sachlich identisch: Comment B zu Art. 2:103 PECL bzw. Comments B und C zu Art. II.-4:103 DCFR).

82 Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations: Roman Foundations of the Civilian Tradition, paperback Ausgabe 1996, 234 mit Nachweisen.

83 Beide Vorschriften sind im Übrigen auch in einer Weise formuliert, die sie als wi-dersprüchlich erscheinen lässt; denn daß Art. 2:203 (1) PCC bestimmt, ein Vertrag sei geschlossen, wenn die Parteien eine Einigung über dessen wesentliche Elemente erzielt haben, passt nicht zu Art. 2:201 (1) PCC, wo es heißt, ein Vertrag sei geschlossen, wenn die Parteien eine Einigung über dessen wesentliche Elemente erzielt haben und ihren Willen, rechtlich gebunden zu sein, kundgetan haben.

84 Dazu Principes contractuels communs (Fn. •••), 224 ff.85 Insgesamt wird die Definition durch die Einziehung einer zusätzlichen begriff-

lichen Ebene unnötig komplex, da es auch nach der Vorstellung der französischen Ar-beitsgruppe letztlich darauf ankommt, ob die Durchführung des Vertrages erzwungen werden kann. Zudem erheben sich so eine Reihe von Zweifelsfragen. Etwa: Was ist un-ter dem Tatbestandsmerkmal eines „but spécialement poursuivi par chacune des par-ties“ in Art. 2:203 (2) PCC zu verstehen? Oder: Was bedeutet die rätselhafte Wendung „ … sur un point accessoire ou déclaré comme tel“ in Art. 2:203 (3) PCC?

86 Vgl. in diesem Zusammenhang auch den wenig glücklichen Versuch, die essentialia negotii in Art. 14 I (2) CISG festzulegen; dazu, und zu dem teilweisen Widerspruch zu Art. 55 CISG, Peter Schlechtriem, in: ders., Ingeborg Schwenzer (Hg.), Kommentar zum UN-Kaufrecht, 4. Aufl., 2004, Art. 14, Rn. 2 ff.; Eva Luig, Der internationale Vertrags-schluss, 2003, 52 ff.; sowie allgemein Alexander Wittwer, Vertragsschluss, Vertragsaus-legung und Vertragsanfechtung nach europäischem Recht, 2004, 129 ff.; Ranieri (Fn. 32), 36 ff. Vgl. ferner die merkwürdige Vorschrift des Art. 5 (3) des Code Européen des Con-trats (Avant-projet) (oben bei Fn. 16). Das schweizerische Recht spricht von einer Eini-

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Zum anderen fehlt in Art. 2:201 (1) PCC der Hinweis darauf, dass es für ei-nen Vertragsschluss weiterer Voraussetzungen nicht bedarf87. Was daraus zu schließen ist, ist unklar. Soll damit doch ein Platz für die französische cause bewahrt bleiben88? Die Begründung sagt dazu nichts. Sie enthält nur eine ei-nigermaßen rätselhafte Wendung über die Notwendigkeit, die im englischen Recht bekannte consideration-Lehre zu berücksichtigen89.

Was schließlich die Frage der Formfreiheit betrifft, so entsprechen Art. 2:201 (2) und (3) PCC der Sache nach Art. 2:101 (2) PECL. Ausdrücklich hervorge-hoben wird lediglich, dass das vorliegende Regelwerk oder das auf den Vertrag anwendbare Recht Ausnahmen vom Grundsatz der Formfreiheit vorsehen können. Dass die Parteien für ihren Vertrag ein Formerfordernis vereinbaren können, wird demgegenüber nicht erwähnt, obwohl eine derartige Präzisie-rung in der Begründung zur Revision eingefordert wird90.

Angesichts derartiger Unsicherheiten darüber, was wo und in welcher Weise geregelt oder nicht geregelt werden sollte, könnte es sich empfehlen, auf einen derartigen Allgemeinen Teil des Rechts des Vertragsschlusses (den nicht einmal das deutsche Recht kennt!) überhaupt zu verzichten. Dies tun (im An-schluss an das CISG) in der Tat die (UNIDROIT) PICC. Und tatsächlich werden in den Art. 2:101–103 PECL und II.-4:101–103 DCFR ja nur in lehr-buchhafter Form (i) die allgemeinen Voraussetzungen für den Abschluss eines Vertrages aufgezählt, (ii) der Begriff der „ausreichenden Einigung“ definiert sowie (iii) eine allgemeine Auslegungsregel festgelegt. Die Auslegungsregel würde jedenfalls ein deutscher Leser eher in Kapitel 5 PECL (= Buch II, Kapi-tel 8 DCFR) erwarten91, und im Hinblick auf die anderen Punkte ist fraglich,

gung über „alle wesentlichen Punkte“ (Art. 2 (1) OR), die Kodifikationen in Deutschland und Österreich verzichten ganz auf die Verwendung derartiger Begriffe.

87 Die französische Arbeitsgruppe scheint davon auszugehen, der entsprechende Halbsatz sei auch im DCFR gestrichen worden („ … a été purement et simplement sup-primé“: Principes contractuels communs (Fn. •••), 219 f.). Das ist jedoch unzutreffend; er ist lediglich im Text verschoben worden.

88 Über deren Beibehaltung gab es bekanntlich in der französischen Reformdis-kussion erhebliche Meinungsunterschiede; vgl. einerseits Jacques Ghestin, Cause de l’engagement et validité du contrat, 2006; andererseits Bénédicte Fauvarque Cosson, Towards a New French Law of Obligations and Prescription? About the „Avant-pro-jet de réforme du droit des obligations et de la prescription“, ZEuP 15 (2007), 442 f. Vgl. nunmehr ferner die Beiträge von Judith Rochfeld und Ruth Sefton-Green in: Cart-wright/Vogenauer/Whittaker (Fn. 15), 73 ff., 101 ff.; historisch und vergleichend siehe zuletzt Ranieri (Fn. 32), 1134 ff.

89 In Bezug auf Art. 2:101 PECL seien die Anmerkungen zu relativieren „en raison de la nécessaire prise en compte de la ‚consideration‘ connue en droit anglais“: Principes contractuels communs (Fn. •••), 220.

90 Principes contractuels communs (Fn. •••), 220.91 Vgl. auch Comment B zu Art. 2:102 PECL: Ob eine Partei gebunden ist, auch

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inwieweit hier überhaupt ein Regelungsbedarf besteht: dies jedenfalls, wenn man, wie es überwiegend geschieht, davon ausgeht, dass Verträge in der Regel durch Angebot und Annahme geschlossen werden und wenn das Regelwerk, um das es geht, insoweit eine abschließende und in sich konsistente Regelung enthält. Dies gilt nun aber nicht nur für die PICC, sondern auch für PECL und DCFR92.

IV. Angebot und Annahme

1. Gemeinsamer Kernbestand

Obwohl die nationalen Rechtsordnungen in Europa, was die Einzelheiten des Vertragsschlusses durch Angebot und Annahme betrifft, zum Teil erheb-lich divergieren93, hat sich im rechtsvergleichenden Diskurs ein Modell he-rausgeschält, das sich in allen soeben erwähnten Modellregelungen findet und

wenn sie im Innersten nicht den Willen hatte, rechtlich gebunden zu sein, sei eine Frage der Auslegung; und dazu wird verwiesen auf Kapitel 5 (Auslegung). Ein Problem be-steht hier freilich insoweit, als die in Kapitel 5 enthaltenen Regeln sich auf die Ausle-gung des Vertrages beziehen, nicht auf die Auslegung der zu dem Vertragsschluss füh-renden Willenserklärungen; so jedenfalls im Grundsatz auch Kapitel 4 der PICC, wo aber gleichwohl die hier interessierende Auslegungsregel als Art. 4.2 integriert ist und weitere Regeln (Art. 4.3 und 4.4) sich ausdrücklich auf Verträge und Erklärungen be-ziehen; vgl. ferner Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 162 ff. Zum Problem auch HWBEuP/Vogenauer (Fn. 79), 135 sowie allgemein ders., Interpretation of Contracts: Concluding Observations, in: Andrew Burrows, Edwin Peel (Hg.), Contract Terms, 2009, 123 ff.

92 Es ist deshalb vermutlich kein Zufall, wenn Martin Illmer in seiner Analyse des Vertragsschlusses (Vertragsschluss, in: HWBEuP (Fn. 26), 1696 ff.) kein Wort über diese allgemeinen Bestimmungen verliert und sogleich auf Angebot und Annahme zu sprechen kommt. So im Grunde auch Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 23 ff.; Helmut Köhler, Das Verfahren des Vertragsschlusses, in: Jürgen Basedow (Hg.), Euro-päische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, 2000, 33 ff.; Hugh Beale, Arthur Hartkamp, Hein Kötz, Denis Tallon, Cases, Materials and Text on Contract Law, 2002, 177 ff.; Geo Quinot, Offer, Acceptance and the Moment of Contract For-mation, in: Hector MacQueen, Reinhard Zimmermann (Hg.), European Contract Law, 2006, 74 ff.; Ranieri (Fn. 32), 171 ff. Vgl. demgegenüber aber Franco Ferrari, Offer and Acceptance inter absentes, in: Jan M. Smits (Hg.), Elgar Encyclopedia of Compara-tive Law, 2006, 497 ff. – Thematisch nicht einschlägig ist – trotz des Titels – Gerrit de Geest, Mitja Kovac, The Formation of Contracts in the Draft Common Frame of Re-ference, ERPL 17 (2009), 113 ff.

93 Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 23 ff.; Ferrari (Fn. 92), 505 ff.; E. Allan Farnsworth, Comparative Contract Law, in: Mathias Reimann, Reinhard Zimmer-mann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, paperback ed. 2008, 915 ff.; Ranieri (Fn. 32), 171 ff.; HWBEuP/Illmer (Fn. 26), 1697 ff.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 215

das im Kern auf das CISG zurückgeht94. Ein Angebot muss so beschaffen sein, dass durch seine Annahme ein Vertrag zustande kommen kann95. Es muss daher hinreichend bestimmt und vom Bindungswillen des Offerenten getragen sein96. Ein Angebot wird wirksam, sobald es dem Empfänger zu-geht97. Bis zu diesem Zeitpunkt kann es der Offerent jederzeit zurückneh-men98. Auch das bereits zugegangene und damit also wirksam gewordene An-gebot kann jedoch widerrufen werden, sofern der Widerruf dem Empfänger zugeht, bevor dieser seine Annahmeerklärung abgeschickt hat. Das gilt je-doch nicht, wenn (i) das Angebot zum Ausdruck bringt, dass es unwiderruf-lich ist, (ii) das Angebot eine feste Frist zur Annahme bestimmt oder (iii) der Empfänger vernünftigerweise auf die Unwiderruflichkeit des Angebots ver-trauen konnte und im Vertrauen auf das Angebot gehandelt hat99. Ein Ange-bot erlischt natürlich auch durch (Zugang einer) Ablehnung100. Auch für die Regelungsprobleme der Annahme (Annahme durch Erklärung oder durch

94 Einen eingehenden Vergleich der Mischrechtsordnungen in Schottland und Süd-afrika mit dem Angebot/Annahme-Modell in den PECL bietet Quinot (Fn. 92), 77 ff.

95 Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 26; Wittwer (Fn. 86), 129. 96 Art. 14 CISG; Art. 2.1.2 PICC; Art. 2:201 (1) PECL; Art. II.-4:201 (1) DCFR;

Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 26 ff.; E. Luig (Fn. 86), 43 ff.; Wittwer (Fn. 86), 129 ff., 144 ff.; HWBEuP/Illmer (Fn. 26), 1697 f.

97 Art. 15 (1) CISG; Art. 2.1.3 PICC; Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 30; E. Luig (Fn. 86), 90 ff.; Wittwer (Fn. 86), 149 f.; HWBEuP/Illmer (Fn. 26), 1698. Für die PECL und den DCFR ergibt sich dasselbe aus einer allgemeinen Vorschrift: Art. 1:303 (2) und (6) PECL; Art. I.-1:109 (3) DCFR mit der Erläuterung in Comment C. Dazu jüngst Dieter Leipold, Der Zugang von Willenserklärungen im 21. Jahrhundert, in: Perspektiven des Privatrechts am Anfang des 21. Jahrhunderts. Festschrift für Dieter Medicus, 2009, 257 ff. Zum Zugangsbegriff nach DCFR und PECL im Vergleich zum deutschen Recht Eidenmüller (Fn. 58), 79 f.

98 Art. 15 (2) CISG; Art. 2.1.3 PICC; Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 30; E. Luig (Fn. 86), 113 ff.; HWBEuP/Illmer (Fn. 26), 1698. Für PECL und DCFR siehe wiederum die allgemeinen Vorschriften Art. 1:303 (5) und (6) PECL sowie Art. I.-1:109 (5) DCFR.

99 Art. 16 CISG; Art. 2.1.4 PICC; Art. 2:202 PECL; Art. II.-4:202 DCFR; Kötz, Eu-ropäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 31 ff.; HWBEuP/Illmer (Fn. 26), 1698. Zu einem durch Art. 16 (2) CISG entstandenen Auslegungszweifel Schlechtriem/Schwenzer/Schlecht-riem (Fn. 86), Art. 16, Rn. 10; Note 2 zu Art. 2:202 PECL; E. Luig (Fn. 86), 121 ff.; Zim-mermann, Principles (Fn. 6), 135; Wittwer (Fn. 86), 158. Kritik an der Formulierung im CISG und in den PICC auch bei Jan Kleinheisterkamp, in: Stefan Vogenauer, Jan Klein-heisterkamp (Hg.), Commentary on the UNIDROIT Principles of International Com-mercial Contracts (PICC), 2009, Art. 2.1.4, Rn. 31 und passim. Kritisch zu Art. 2:202 PECL (und damit auch zu Art. II.-4:202 DCFR) Köhler (Fn. 92), 40 f.; Armbrüster, JURA 2007, 322.

100 Art. 17 CISG; Art. 2.1.5 PICC; Art. 2:203 PECL; Art. II.-4:203 DCFR; Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 30; E. Luig (Fn. 86), 132 ff.; HWBEuP/Illmer (Fn. 26), 1698.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP216

schlüssiges Verhalten, Wirksamwerden der Annahme und damit des Vertrags-schlusses, Annahmefrist und Rechtsfolgen verspäteter Annahme, modifizie-rende Annahme) besteht eine sehr weitreichende Übereinstimmung101.

2. Abweichungen in den PECL gegenüber den PICC

Eine Textstufenanalyse hätte hier eigentlich vom CISG auszugehen, dessen Vorschriften die PICC nicht nur gelegentlich kopieren102. Abweichungen und Ergänzungen werden zwar nicht in den offiziellen Kommentaren zu den Vor-schriften der PICC, wohl aber jedenfalls in den meisten Fällen in dem akade-mischen Kommentar von Vogenauer/Kleinheisterkamp erläutert103. Für den Vergleich der drei internationalen Modellregelungen müssen hier die PICC den Ausgangspunkt bilden. Sie sind vor den entsprechenden Vorschriften der PECL entstanden104 und lagen deren Verfassern offenbar vor105. Gegenüber der sehr schlanken Regelung bei UNIDROIT enthalten die PECL einige Er-gänzungen. So wird ausdrücklich erwähnt, dass ein Angebot auch gegenüber der Allgemeinheit abgegeben werden kann106. Dies ist eine Selbstverständ-lichkeit, die auch in den nationalen Rechtsordnungen allgemein anerkannt ist107 und zwar auch dann, wenn sie nicht (wie in Italien)108 in den Rang einer gesetzlichen Vorschrift erhoben wird. Auch für die PICC ist nicht zweifel-haft, dass ein hinreichend bestimmter Vorschlag, der den Willen des Anbie-tenden zum Ausdruck bringt, im Falle der Annahme durch irgendein Mit-glied der Allgemeinheit gebunden zu sein, ein Angebot darstellt109. Art. 2:202

101 Art. 2:204–2:208 PECL; Art. II.-4:204–4:208 DCFR; vgl. auch Art. 2.1.6–2.1.11 PICC sowie Art. 18–23 CISG; Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 36 ff.; E. Luig (Fn. 86), 139 ff.; Wittwer (Fn. 86), 160 ff.; HWBEuP/Illmer (Fn. 26), 1699 ff.

102 Das gilt etwa für Art. 15 CISG = Art. 2.1.3 PICC; Art. 16 CISG = Art. 2.1.4 PICC; Art. 18 (1) CISG = Art. 2.1.6 (1) PICC; Art. 19 (1) CISG = Art. 2.1.11 PICC; Art. 22 CISG = Art. 2.1.10 PICC (abgesehen davon, dass zur Bezeichnung von Parteien das geschlechtsneutrale „it“ anstelle von „he“ verwandt wird).

103 PICC-Commentary/Kleinheisterkamp (Fn. 99), Art. 2.1.1 ff. Vgl. ferner Anton K. Schnyder, Ralf M. Straub, The Conclusion of a Contract in Accordance with UNI-DROIT Principles, European Journal of Law Reform 1 (1999), 243 ff.; E. Luig (Fn. 86), passim.

104 Die Vertragsschlussregeln waren bereits in der ersten Auflage der UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts 1994 enthalten, während die „Lando“-Kommission ihre Regeln erst im Jahre 2000, im Rahmen von Teil II der PECL, publi-zierte.

105 Die PICC werden in den rechtsvergleichenden Notes immer wieder zitiert.106 Art. 2:201 (2) PECL (= Art. II.-4:201 (2) DCFR).107 Lando/Beale (Fn. •••), 161.108 Art. 1336 (1) Codice civile; vgl. auch Ferrari (Fn. 92), 506 f.109 PICC-Commentary/Kleinheisterkamp (Fn. 99), Art. 2.1.2, Rn. 18.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 217

(2) PECL (= Art. II.-4:202 (2) DCFR) nimmt dies Thema wieder auf, wenn es dort heißt, ein gegenüber der Allgemeinheit abgegebenes Angebot könne auf dieselbe Weise widerrufen werden, wie es abgegeben wurde. Auch diese Regel ist in Art. 2.1.3 PICC hineinzulesen. Am wichtigsten in diesem Zusammen-hang ist freilich Art. 2:201 (3) PECL110. Diese Vorschrift begründet für Vor-schläge zur Lieferung von Gütern oder zur Leistung von Diensten zu festge-setzten Preisen, die ein professioneller Anbieter in einer öffentlichen Anzeige, in einem Katalog oder durch Auslage von Gütern erbringt, eine Vermutung, dass es sich um ein Angebot zum Verkauf oder zur Lieferung zu diesem Preis handele, bis der Vorrat an Gütern oder die Kapazität des Anbieters zur Leis-tung der Dienste erschöpft ist. Die Verfasser der PECL greifen damit eine Frage auf, mit der sich auch, freilich im Sinne einer gegenläufigen Vermutung – bei einem nicht an eine oder mehrere Personen gerichteten Vorschlag handle es sich im Zweifel nur um eine invitatio ad offerendum –, Art. 14 (2) CISG be-fasst111. In den PICC, d.h. auf der dazwischen liegenden Textstufe, ist be-wusst auf eine Regelung verzichtet worden112. In der Tat liegen die hier ein-schlägigen Fallkonstellationen zu unterschiedlich, um sie mit einer einheitli-chen Regel in den Griff zu bekommen. Vielmehr ist die Frage nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu beurteilen, die eher zur Vorsicht ge-genüber der Annahme eines Angebots mahnen113. Sinnvoll kann eine solche Vorschrift allenfalls dann sein, wenn sie in ihrem Anwendungsbereich auf Verbrauchergeschäfte beschränkt wird.

Nach allen vier Regelwerken kann ein Angebot, das durch ausdrückliche Erklärung abgegeben worden ist, nur widerrufen werden, sofern der Wider-ruf dem Empfänger zugeht, bevor er seine Annahmeerklärung abgeschickt hat114. Es kommt also insoweit nicht auf den Zugang der Annahmeerklärung an (auch wenn dieser natürlich für das Wirksamwerden der Annahme erfor-derlich ist)115. Durch diese Regelung wird eine vernünftige Balance zwischen

110 In leicht modifizierter Form aufgenommen in Art. II.-4:201 (3) DCFR.111 Die nationalen Rechtsordnungen divergieren in diesem Punkt. Art. 14 (2) CISG

spiegelt die Rechtslage etwa in Deutschland und England; Art. 2:201 (3) PECL dieje-nige in Frankreich; vgl. Note 3 zu Art. 2:201 PECL; Note III zu Art. II.-4:201 DCFR.

112 PICC-Commentary/Kleinheisterkamp (Fn. 99), Art. 2.1.2, Rn. 18.113 Mit Recht kritisch gegenüber der Vermutung des Art. 2:201 (3) PECL Köhler

(Fn. 92), 36 ff.; Armbrüster, JURA 2007, 322; Wittwer (Fn. 86), 148 f.; PICC-Commen-tary/Kleinheisterkamp (Fn. 99), Art. 2.1.2, Rn. 18; HWBEuP/Illmer (Fn. 26), 1697 f.; Eidenmüller (Fn. 58), 77 f. (zu Art. II.-4:201 (3) DCFR); vgl. ferner Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 27 ff.; E. Luig (Fn. 86), 82 ff.; Ranieri (Fn. 32), 201 ff.

114 Art. 2:202 (1) PECL (= Art. 4:202 (1) DCFR). In demselben Sinne Art. 16 (1) CISG; Art. 2.1.4 (1) PICC.

115 Art. 18 (2) CISG; Art. 2.1.6 (2) PICC; Art. 2:205 (1) PECL; Art. II.-4:205 DCFR.

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den Interessen des Anbietenden und dem Schutz des Angebotsempfängers ge-troffen116; sie ist erforderlich, weil nach den internationalen Regelwerken, an-ders als im deutschen Recht, ein Angebot in der Regel nicht bindend ist. Etwas stiefmütterlich behandeln CISG und PICC demgegenüber die (auch von ih-nen ausdrücklich erwähnte)117 Form der Annahme eines Angebots „durch Verhalten“. Hier stellen die PECL (und, ihnen folgend, der DCFR) klar, dass der Vertrag zwar erst zustande kommt, sobald die Mitteilung des Verhaltens dem Anbietenden zugeht, dass aber das Angebot schon dann nicht mehr zu-rückgenommen werden kann, wenn der Annehmende das Verhalten betätigt hat118. Das entspricht der Regelung des Angebots durch Erklärung, und das ist sicherlich sinnvoll. Freilich ist Art. 2:202 (1) (= Art. II.-4:202 (1) DCFR) in-sofern unglücklich formuliert, als es dort heißt, ein Angebot könne im Falle einer Annahme durch Verhalten widerrufen werden, „bevor der Vertrag [nach Art. 2:205 (2)] geschlossen worden ist“. Der Zeitpunkt, bis zu dem spätestens widerrufen sein muss, wird dadurch jedenfalls nicht genau angegeben.

Eine Präzisierung gegenüber Art. 2.1.6 (3) PICC enthält auch Art. 2:205 (3) PECL119 im Hinblick auf die Frage, wann ein Vertrag geschlossen ist, wenn aufgrund von zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten und Ge-bräuchen der Empfänger ein Angebot, ohne den Anbietenden davon zu unter-richten, auch dadurch annehmen kann, dass er eine Handlung vornimmt: Es kommt hier nicht auf die Vornahme der Handlung, sondern auf den Beginn derselben an120. Andere Vorschriften sind in den PECL übersichtlicher gestal-tet als in den PICC; ein gutes Beispiel bietet Art. 2:206 PECL im Vergleich mit Art. 2.1.7 PICC zum Thema Annahmefrist121.

116 Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 34 f., 37 ff.; Reinhard Zimmermann, Vertrag und Versprechen, in: Festschrift für Andreas Heldrich, 2005, 479 f.; Quinot (Fn. 92), 92 ff.; HWBEuP/Illmer (Fn. 26), 1699; Ranieri (Fn. 32), 308 f.; Eidenmüller (Fn. 58), 78 f.

117 Art. 18 (1) CISG; Art. 2.1.6 PICC; dazu Schlechtriem/Schwenzer/Schlechtriem (Fn. 86), Art. 18, Rn. 7; PICC-Commentary/Kleinheisterkamp (Fn. 99), Art. 2.1.6, Rn. 5.

118 Art. 2:205 (2) und 2:202 (1) PECL (= Art. II.-4:205 (2) und II.-4:202 (1) DCFR [freilich unter Fortlassung der Verweisung in der zuletzt genannten Norm]).

119 Vgl. auch Art. II.-4:205 (3) DCFR mit einem Formulierungsunterschied im Englischen („doing an act“ anstelle von „performing an act“), der an der deutschen Übersetzung („eine Handlung vornehmen“) vermutlich nichts ändert.

120 Nach Art. 18 (3) CISG und Art. 2.1.6 PICC kommt es auf den Zeitpunkt der Handlung an; dazu Schlechtriem/Schwenzer/Schlechtriem (Fn. 86), Art. 18, Rn. 21 f.; PICC-Commentary/Kleinheisterkamp (Fn. 99), Art. 2.1.6, Rn. 13 f. Nach Auffassung von Köhler (Fn. 92), 43 könnte der im deutschen Recht mögliche Zweifel, ob der Ver-trag mit Beginn oder erst mit Abschluss der Handlung zustande kommt, durch Rück-griff auf Art. 2:205 (3) PECL geklärt werden.

121 Art. 2.1.7 PICC entspricht im Wesentlichen Art. 18 (2) Satz 2 und 3 CISG. PICC

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 219

Gelegentlich fehlt in Kapitel 2 PECL (und damit dann auch im DCFR) eine in Kapitel 2, Abschnitt 1 PICC enthaltene Regel. Das gilt für Art. 2.1.8 PICC122 (wann beginnt eine vom Anbietenden gesetzte Frist zu laufen und welche Re-levanz hat in diesem Zusammenhang ein im Angebot angegebener Zeitpunkt?) ebenso wie für Art. 2.1.10 PICC (bis zu welchem Zeitpunkt kann eine An-nahme zurückgenommen werden?). In dem ersten dieser Fälle ist die einschlä-gige Regel für alle Arten von (schriftlichen) Erklärungen verallgemeinert und in eine in Kapitel 1 der PECL (General Provisions) enthaltene Vorschrift über die Berechnung von rechtsgeschäftlich gesetzten Fristen verlagert, dabei aber auch inhaltlich geändert und auf das Zugangsprinzip umgestellt worden123. In dem anderen Fall ist auf eine Regelung vermutlich verzichtet worden, weil sich eine Antwort bereits aus Art. 2:205 (1) PECL (= Art. II.-4:205 (1) DCFR) er-gibt: Denn wenn der Vertrag zustande kommt, sobald die Annahmeerklärung dem Anbietenden zugeht, so folgt daraus, dass die Annahmeerklärung erst in diesem Moment wirksam wird und bis zu diesem Zeitpunkt widerrufen wer-den kann124. Zudem heißt es, wiederum in Kapitel 1 der PECL, dass Mittei-lungen unwirksam sind, wenn ihr Widerruf dem Empfänger zu einer früheren Zeit als die Mitteilung oder gleichzeitig mit dieser zugeht; unter den Begriff der „Mitteilung“ fallen ausdrücklich auch Annahmeerklärungen125. In beiden

und CISG regeln zudem, wann ein mündliches Angebot angenommen werden muss (sofort, sofern sich nicht aus den Umständen etwas Anderes ergibt). Demgegenüber fü-gen die PECL eine Regel für den Fall einer Annahme durch Handlung gemäß Art. 2:206 (3) PECL hinzu (für die PICC vgl. dazu in demselben Sinne den offiziellen Kommen-tar, S. 46 f.). Die im Text von Art. 2.1.7 PICC (und Art. 18 (2) CISG) gegebene Präzisie-rung für das Kriterium der Angemessenheit in Fällen, in denen der Anbietende keine Frist gesetzt hat (es sind die Umstände des Geschäfts zu berücksichtigen, einschließ-lich der Schnelligkeit der vom Anbietenden gewählten Übermittlungsart) findet sich demgegenüber bei den PECL in Comment C zu Art. 2:206. Der DCFR (Art. II.-4:206) folgt mit einzelnen, sachlich unerheblichen Formulierungsunterschieden Art. 2:206 PECL. Vgl. zu Art. 2.1.7 PICC und Art. 2:206 PECL im Vergleich zum deutschen Recht auch Köhler (Fn. 92), 43 f.

122 „A simplified version of Art 20 CISG“: PICC-Commentary/Kleinheisterkamp (Fn. 99), Art. 2.1.8, Rn. 1.

123 Art. 1:304 (1) PECL (der Sache nach übernommen in Art. I.-1:110 (8) DCFR). Überblick über die allgemeinen Fristenregelungen in den PICC (Art. 1.12), PECL (Art. 1:304), im DCFR (Art. I.-1:110) und in der Fristen-Verordnung 1182/71 vom 3.6.1971 (die in Art. I.-1.110 DCFR fast wortgleich übernommen wurde) Hartmut Wicke, in: HWBEuP (Fn. 5), 622 ff.; historischer Hintergrund bei HKK/Hans-Georg Hermann (Fn. 54), §§ 186–193. Fristen. Termine.

124 Vgl. auch Comment B zu Art. 2:205 PECL. Zu Art. 2.1.10 PICC vgl. in diesem Sinne auch PICC-Commentary/Kleinheisterkamp (Fn. 99), Art. 2.1.10, Rn. 1 („ … al-ready follows from Art. 2.1.6 (2)“).

125 Art. 1:303 (5) PECL; der Sache nach übereinstimmend Art. I.-1:109 (5) DCFR.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP220

Punkten zeigt sich, dass die Verfasser der PECL (und auch des DCFR) sich um einer stärkere Systematisierung des rechtlichen Materials bemüht ha-ben126.

Insbesondere wird diese systematische Tendenz auch in der Aufspaltung der Regelungen zum Abschluss des Vertrages in einen Allgemeinen Teil und einen weiteren Abschnitt über Angebot und Annahme deutlich; die PICC enthalten demgegenüber nur einen einzigen Abschnitt, der ohne weitere Untergliederung 22 Vorschriften umfasst. Keine Parallele in den PICC haben, wie bereits er-wähnt, die ersten drei „allgemeinen Bestimmungen“ der PECL127. Dasselbe gilt für die interessante und innovative Vorschrift, wonach Versprechen, die ohne Annahme rechtlich verbindlich sein sollen, verbindlich sind128. Drei weitere Vorschriften haben ein Gegenstück in den PICC, enthalten aber erhebliche Än-derungen. Art. 2:104 PECL129 konkretisiert die Einbeziehungsvoraussetzun-gen für nicht individuell ausgehandelte Bedingungen130 (verzichtet dafür aber

126 Vgl. zur Frage der Fristberechnung auch HWBEuP/Wicke (Fn. 123), 624 (die PECL verfolgen einen „weitergehenden systematischen Ansatz“).

127 Doch findet sich eine Auslegungsvorschrift nach Art des Art. 2:102 PECL in Art. 4.2 PICC (vgl. oben Fn. 91); die in Art. 2:103 (3) PECL getroffene Regelung ist in Art. 2.1.13 PICC enthalten; zum Rechtsbindungswillen vgl. Art. 2.1.2 PICC.

128 Art. 2:107 PECL; dazu Zimmermann, Principles (Fn. 6), 138 f.; ders., Vertrag (Fn. 116), 480 f.; vgl. allgemein ferner Martin Illmer, Versprechen, in: HWBEuP (Fn. 5), 1668 ff. Im DCFR ist diese Vorschrift in den Allgemeinen Teil gerückt worden und fin-det sich nunmehr als Teil einer (lehrbuchhaften) Vorschrift über die Bindungswirkung; vgl. Art. II.-1:103 (1) DCFR: „Ein wirksamer Vertrag bindet die Parteien“. Art. II.-1:103 (2) DCFR entspricht Art. 2:107 PECL, außer dass statt „promise“ der Begriff „unila-teral undertaking“ verwendet wird (damit sei aber dasselbe gemeint: Comment B zu Art. II.-1:103 DCFR); zudem ist nun nicht mehr von einem Versprechen die Rede, son-dern von einem „wirksamen“ Versprechen (wie zuvor von einem „wirksamen“ Ver-trag). Da die Wirkung eines Vertrages aber im Wesentlichen darin besteht, die an ihm beteiligten Parteien zu binden, erscheint dies als eine kaum erforderliche Klarstellung: Ein unwirksamer Vertrag hat keine Wirkung und bindet die Parteien also nicht. In den PICC fehlt, wie gesagt, eine entsprechende Vorschrift; es gilt also allgemein das Ver-tragsprinzip. Für den Verzicht ist das nunmehr (in der 2. Auflage der PICC) ausdrück-lich fest geschrieben: Art. 5.1.9 PICC; dazu kritisch Zimmermann, ZEuP 13 (2005), 285 f. – Art. 4:107 ACQP I / 4:109 ACQP II übernehmen Art. II.-1:103 (2) DCFR, fügen aber als aus dem acquis abgeleitete Vorschrift hinzu, dass verbraucherschützendes Ver-tragsrecht entsprechend anwendbar sein soll. Die Acquis Group will damit sicherstel-len, dass verbraucherschützende Regeln des Vertragsrechts nicht umgangen werden.

129 Im DCFR in veränderter Form im Kapitel 9 („Inhalt und Wirkungen von Ver-trägen“) enthalten: Art. II.-9:103 (1) DCFR.

130 Demgegenüber erklärt Art. 2.1.19 (1) PICC für die Frage der Einbeziehung von AGB die allgemeinen Vorschriften über den Vertragsschluss für anwendbar. Zu beiden Vorschriften Phillip Hellwege, Allgemeine Geschäftsbedingungen, einseitig gestellte Vertragsbedingungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre, 2010, § 13 I. C. 2. und 3. Das CISG enthält keine besonderen Vorschriften über die Einbeziehung von nicht

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 221

auf die in den PICC enthaltene Regel über überraschende Bedingungen)131, Art. 2:106132 PECL entschärft gegenüber Art. 2.1.18 PICC133 die Wirkung von „keine mündlichen Änderungen“-Klauseln, und Art. 2:105 PECL134 differen-ziert, anders als Art. 2.1.17 PICC, bei Vollständigkeitsklauseln (merger clau-ses) danach, ob sie individuell vereinbart worden sind oder nicht; zudem wird die Vertrauensschutzregel, die beide Regelwerke gegenüber der Berufung auf „keine mündlichen Änderungen“-Klauseln enthalten135, in den PECL auch auf Vollständigkeitsklauseln erstreckt136.

Weitere Regeln, die in den Vertragsschlusskapiteln sowohl der PICC als auch der PECL enthalten sind, stimmen inhaltlich miteinander überein; sie be-treffen Fallgestaltungen, in denen der Vertragsschluss abhängig sein soll von einer Einigung über bestimmte Punkte137, die Problematik miteinander kolli-dierender Allgemeiner Geschäftsbedingungen138 und die Bedeutung kauf-

individuell ausgehandelten Bedingungen oder von Allgemeinen Geschäftsbedingun-gen. Ob und inwieweit sich das Sonderrecht der Einbeziehungsvoraussetzungen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, das sich im Laufe des 20. Jahrhunderts herausge-bildet hat, auf die Grundlagen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zurückführen lässt, ist Hauptgegenstand der eben erwähnten Schrift von Phillip Hellwege. Vergleich von Art. 2:104 PECL mit dem deutschen Recht bei Köhler (Fn. 92), 61; vgl. ferner E. Luig (Fn. 86), 217 ff.; Wittwer (Fn. 86), 177 ff.

131 Art. 2.1.20 PICC. Dazu, und zur praktischen Bedeutung dieses Unterschieds, PICC-Commentary/Kleinheisterkamp (Fn. 99), Art. 2.1.20, Rn. 1.

132 In modifizierter Form auch in Art. II.-4:105 DCFR.133 Nahezu wörtlich übernommen aus Art. 29 (2) CISG.134 Trotz einiger Formulierungsänderungen sachlich identisch mit Art. II.-4:104

DCFR. Kritisch dazu Claus-Wilhelm Canaris, Hans Christoph Grigoleit, Interpreta-tion of Contracts, in: Arthur Hartkamp, Martijn Hesselink, Ewoud Hondius et al. (Hg.), Towards a European Civil Code, 3. Aufl. 2004, 445, 459.

135 Art. 2.1.18 Satz 2 PICC; Art. 2:106 (2) PECL (sachlich identisch mit Art. II.-4:105 (2) DCFR).

136 Art. 2:105 (4) PECL (praktisch identisch mit Art. II.-4:104 (4) DCFR). – Zu „keine mündlichen Änderungen“- und Vollständigkeitsklauseln allgemein HWBEuP/Vogenauer (Fn. 79), 136 f.; Canaris/Grigoleit (Fn. 134), 458 ff.; zum deutschen Recht HKK/Vogenauer (Fn. 54), §§ 133, 157, Rn. 81 ff.

137 Art. 2.1.13 PICC; Art. 2:103 (2) PECL (abgesehen von der Auslassung des Wor-tes „however“ identisch mit Art. II.-4:103 (2) DCFR). Vergleich zum deutschen Recht bei Köhler (Fn. 92), 54 ff.; Armbrüster, JURA 2007, 324 f.

138 Art. 2.1.22 PICC; Art. 2:209 PECL (dem entspricht Art. II.-4:209 DCFR, außer dass statt „general conditions“ von „standard terms“ die Rede ist. Im Deutschen würde man wohl in beiden Fällen die Übersetzung „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ ver-wenden). „General Conditions“ sind in Art. 2:209 (3) PECL definiert („ … Bedingun-gen, die im voraus für eine unbestimmte Anzahl von Verträgen bestimmter Art formu-liert sind und die nicht von den Parteien individuell ausgehandelt worden sind“). Da-von weicht die Definition von „standard terms“ in Art. II.-1:109 DCFR nur insoweit ab, als die Bedingungen im Voraus für eine Mehrzahl von Verträgen zwischen unter-

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP222

männischer Bestätigungsschreiben139. Die in Art. 2.1.15 und 2.1.16 PICC ent-haltenen Vorschriften über Vertragsverhandlungen entgegen Treu und Glau-ben und Bruch der Vertraulichkeit bilden in den PECL, inhaltlich nicht verändert, einen eigenständigen Abschnitt140, und die Regel, die den Vorrang von individuellen Bedingungen gegenüber widersprechenden allgemeinen Ge-schäftsbedingungen statuiert141, ist in das Kapitel über die Vertragsauslegung verschoben142. Kein Gegenstück in den PECL hat Art. 2.1.14 PICC (Vertrag mit absichtlich ungeregelten Bedingungen), soweit die Parteien eine Bedin-gung ihres Vertrages der Einigung in weiteren Verhandlungen überlassen143.

schiedlichen Parteien, und nicht für eine unbestimmte Anzahl von Verträgen bestimm-ter Art, formuliert worden sein müssen. Die einschlägige Definition der PICC findet sich in Art. 2.1.19 (2) („ … im Voraus für allgemeine und wiederholte Benutzung durch eine Partei vorbereitet …“). Zum Problem des „battle of forms“ in den hier behandelten Regelwerken Bonell (Fn. 20), 110 ff.; PICC-Commentary/Kleinheisterkamp (Fn. 99), Art. 2.1.22; Köhler (Fn. 92), 63 ff.; E. Luig (Fn. 86), 235 ff.; Armbrüster, JURA 2007, 323; vgl. auch Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 47 f.; Wittwer (Fn. 86), 185 ff.; Ranieri (Fn. 32), 362 ff.; HWBEuP/Illmer (Fn. 26), 1701.

139 Art. 2.1.12 PICC; Art. 2:210 PECL (substantiell übereinstimmend damit Art. II.-4:210 DCFR). Vgl. ferner Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 44 f.; Köhler (Fn. 92), 48 ff.; E. Luig (Fn. 86), 146 ff.; Armbrüster, JURA 2007, 324; Ranieri (Fn. 32), 240 ff.; HWBEuP/Illmer (Fn. 26), 1700; kritisch Wittwer (Fn. 86), 165 ff., 172 ff. Zum CISG, das keine ausdrückliche Regelung enthält, vgl. in diesem Zusammenhang Schlechtriem/Schwenzer/Schlechtriem (Fn. 86), Vor Art. 14–24, Rn. 4; E. Luig (Fn. 86), 146 ff., 173 f. Natürlich ist überall anerkannt, dass normalerweise in Schweigen oder rei-ner Untätigkeit keine Annahme des Angebots liegt; vgl. Art. 2.1.6 (1) PICC; Art. 2:204 (2) (= Art. II.-4:204 (2) DCFR).

140 Kapitel 2, Abschnitt 3, Art. 2:301 f. Im DCFR sind beide Vorschriften erweitert und abermals in einen anderen systematischen Kontext eingeordnet worden: Buch 2, Kapitel 3, Abschnitt 3, Art. II.-3:301 f. Dazu, aus Sicht des deutschen Rechts, Johannes Hager, Die culpa in contrahendo in den UNIDROIT-Prinzipien und den Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts aus der Sicht des deutschen Bürgerlichen Rechts, in: Basedow (Fn. 92), 67 ff.; allgemein Jan von Hein, Culpa in contrahendo, in: HWBEuP (Fn. 5), 290 ff.; vgl. auch Ranieri (Fn. 32), 208 ff.

141 Art. 2.1.21 PICC.142 Art. 5:104 PECL (= Art. II.-8:104 DCFR).143 Dazu PICC-Commentary/Kleinheisterkamp (Fn. 99), Art. 2.1.14, Rn. 2: „ … the

broad solution of Art. 2.1.14 … is not generally accepted, at least not in such bold form. In most other legal systems, agreements that leave essential terms for later negotiations are, as a rule, considered not sufficiently definite and thus not binding yet, …“. Die an-dere in Art. 2.1.14 PICC ins Auge gefasste Alternative ist, dass die Parteien eine Bedin-gung der Bestimmung durch eine dritte Person überlassen. Dazu, für die PECL, Art. 6:106 (sachlich übereinstimmend Art. II.-9:106 DCFR). Zu Art. 2.1.14 PICC aus Sicht des deutschen Rechts Köhler (Fn. 92), 56 f. Allgemein zum Problem der nachträg-lichen Leistungsbestimmung Jens Kleinschmidt, Leistungsbestimmung, nachträgliche, in: HWBEuP (Fn. 5), 1007 ff.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 223

3. DCFR und PECL

Die nächste Textstufe bildet der DCFR. Dessen Regeln über Angebot und Annahme sind im Kern mit denen der PECL identisch. Mitunter finden sich Formulierungsunterschiede, ohne dass vermutlich eine sachliche Änderung intendiert ist. Das gilt wohl auch für die durchgängige Änderung der Formel „without delay“ in das flexiblere „without undue delay“144. Manches ist in an-dere Teile des DCFR verschoben worden145. Neu eingefügt worden ist eine einseitig zwingende (!) Regel, wonach, in Abweichung von Art. II.-4:202 (3) DCFR, auch ein eigentlich unwiderrufliches Angebot widerrufen werden kann, sofern der Anbietende im Hinblick auf den durch die Annahme zustan-dekommenden Vertrag eines der in den Büchern II bis IV gewährten verbrau-cherschützenden Widerrufsrechte hätte (Art. II.-4:202 (4) DCFR). Dadurch soll verhindert werden, dass jemand sein Angebot zu widerrufen versucht, da-bei nicht merkt, dass dieser Widerruf des Angebots nicht wirksam ist und des-halb auch nicht realisiert, dass er den durch Annahme des (nach wie vor wirk-samen) Angebots zustandegekommenen Vertrag, wenn er sich von ihm im Hinblick auf eine der verbraucherschützenden Widerrufssituationen lösen möchte, seinerseits noch widerrufen muss146. Ob es einer solchen Regel, für die es bislang kein Vorbild zu geben scheint147, wirklich bedarf, ist zweifel-haft. Einerseits wird sich ein solcher fehlgeschlagener Widerruf des Angebots normalerweise als Widerruf des Vertrags verstehen bzw. in einen solchen um-deuten lassen. Andererseits muss der Annehmende den Anbieter ja über des-sen (verbraucherschützendes) Widerrufsrecht belehren. Wenn der Anbietende da raufhin meint, den Vertrag nicht widerrufen zu müssen, weil er sein Ange-bot schon wirksam widerrufen habe, ist das ein bloßer Rechtsirrtum148.

Geändert worden ist nicht nur gelegentlich der offizielle Kommentar, der den Vorschriften über den Vertragsschluss in den PECL beigefügt worden ist, und zwar auch dann, wenn die jeweiligen Vorschriften, auf die er sich bezieht, identisch sind149. Es ist nicht immer deutlich, welche Schlüsse daraus zu zie-hen sind. So fehlen etwa im Kommentar zu Art. II.-4:102 DCFR (How inten-

144 In diesem Sinne die deutsche Übersetzung, wo für „undue delay“ der Begriff „unverzüglich“ gewählt worden ist, mit dem auch „without undue delay“ im DCFR zu übersetzen wäre.

145 Vgl. z.B. oben Fn. 128, 129, 138.146 Comment H zu Art. II.-4:202 DCFR.147 Jedenfalls wird in den rechtsvergleichenden Anmerkungen keines genannt.148 Der Unterschied zwischen der Lösung des Anbietenden von seinem Angebot

(englisch: revocation) und dem Lösungsrecht bei Verbraucherverträgen (englisch: with-drawal) lässt sich im Deutschen kaum adäquat wiedergeben, da hier für beide Situatio-nen der Begriff „Widerruf“ verwandt wird.

149 Umgekehrt sind mitunter auch Kommentare hinzugefügt worden; vgl. etwa

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP224

tion is determined) die im Kommentar zu Art. 2:102 PECL enthaltenen Aus-führungen zu den haftungsrechtlichen Folgen im Hinblick auf Beispiel 1; und Beispiel 2 (über Absichts- und Patronatserklärungen, die so formuliert sein können, dass sie einen Willen kundtun, rechtlich gebunden zu sein) ist ge-strichen worden150. Begründungen für derartige Änderungen, insbesondere aber auch für Änderungen im Normtext des DCFR gegenüber den PECL, werden in der Regel nicht gegeben. Immerhin findet sich aber in den Kom-mentaren zum DCFR nunmehr hin und wieder der Versuch einer Begrün-dung, warum die Verfasser des DCFR (und bereits der PECL) unter mehreren zur Verfügung stehenden Lösungsmöglichkeiten eine bestimmte favorisiert haben151. Freilich werden zumeist nur das Regelungsproblem und die in den nationalen Rechtsordnungen vorfindlichen Lösungswege benannt, während sich die eigentliche Begründung auf Wendungen wie „it seems better“ oder „the rule adopted [here] seems preferable“ beschränkt152. Auf die einschlägige rechtsvergleichende Literatur, die sich mit derartigen Fragen auseinanderge-setzt hat, wird weder hier noch in den rechtsvergleichenden Anmerkungen verwiesen – ob sie überhaupt konsultiert worden ist, ist nicht erkennbar. Je-denfalls nicht berücksichtigt worden ist wissenschaftliche Kritik, die an be-stimmten Vorschriften der PECL geübt worden ist. Ein Beispiel bieten die Ausführungen von Horst Lücke zu Art. 2:211 PECL = Art. II.-4:211 DCFR153 zum Problem des Vertragsschlusses ohne Angebot und Annahme154 oder

Comments B und C zu Art. II.-4:103 DCFR gegenüber Comment B zu Art. 2:103 PECL (zur Frage, wann eine „ausreichende Einigung“ gegeben ist).

150 Vgl. die jeweiligen Comments A zu Art. II.-4:101 DCFR bzw. Art. 2:102 PECL.151 Auf eine derartige Argumentation verzichten durchgängig die PICC und weit-

hin auch die PECL. Den Grund dafür haben die Verfasser der amerikanischen Restate-ments so formuliert: „It seemed that the Restatement would be more likely to achieve an authority of its own … if exact rules were clearly stated without argument“. Dazu Jansen, Legal Authority (Fn. 8), 106 f., 131 f.; ders./Zimmermann, NJW 2009, 3406.

152 Comment B zu Art. II.-4:102 und D zu Art. II.-4:201 DCFR; vgl. auch Com-ment B zu Art. II.-1:103 DCFR: „The fear that the enforcement of unilateral under-takings will lead to socially undesirable results is not well founded“.

153 Vgl. ferner Art. 4:102 (2) ACQP I/II.154 Horst Lücke, Simultaneity and Successiveness in Contracting, ERPL 15 (2007),

27 ff. Lücke weist hier darauf hin, dass Verträge häufig auf eine Weise geschlossen wer-den, die sich nicht als Annahme eines Angebots verstehen lässt. Für derartige Fälle fehle es an einem überzeugenden Regelungsmodell; jedenfalls sei die in den PECL (und im DCFR sowie den Acquis Principles) enthaltene Regel, wonach „die Regeln dieses Ab-schnitts [das heißt, des Abschnitts über Angebot und Annahme] auch dann anwendbar sind, wenn der Vorgang des Vertragsschlusses nicht in Angebot und Annahme aufge-gliedert werden kann“ nicht überzeugend, ja widersinnig. Im Grunde wird damit ja nur gesagt, die Regeln über Angebot und Annahme gelten auch dann, wenn Angebot und Annahme nicht abgegeben worden sind. Kritisch dazu auch Quinot (Fn. 92), 76. Mit ei-

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 225

auch die von Helmut Köhler angemeldeten Bedenken gegenüber Art. 2:201 (3) PECL (Waren und Dienstleistungen, die zu festgesetzten Preisen angeboten werden)155. Rechtsvergleichende Anmerkungen zu den nationalen Rechtsord-nungen sind um Angaben zu den neuen EU-Mitgliedsstaaten erweitert, im Übrigen aber vielfach nicht aktualisiert worden156.

4. PECL und PCC

Was schließlich die PECL-Revision durch die französische Arbeitsgruppe betrifft157, so kompliziert sich eine Textstufenanalyse zusätzlich noch da-durch, dass die Arbeitsgruppe durchweg auf die Interim Outline Edition des DCFR158 Bezug nimmt. Bezogen auf die nunmehr vorliegenden Outline und

ner einschlägigen Regelung hätten die PECL freilich Neuland betreten, da auch die na-tionalen Rechtsordnungen den Vertragsschluss nach dem Angebot/Annahme-Modell regeln; und das hätte ihrem Ziel der Herausarbeitung eines gemeinsamen Kerns des eu-ropäischen Privatrechts widersprochen. Vermutlich wären für derartige Fälle die Anfor-derungen an den Konsens der Parteien zu konkretisieren, und insofern könnte der Allge-meine Teil des Vertragsschlussrechts in Art. 2:101 ff. PECL (= Art. II.-4:101 ff. DCFR; vgl. oben III.) in der Tat von Bedeutung sein. Diese Verbindung haben die Verfasser von PECL und DCFR ausweislich des Kommentars und der rechtsvergleichenden Anmer-kungen aber gerade nicht im Auge. – Auch in der einschlägigen wissenschaftlichen Lite-ratur wird verbreitet darauf hingewiesen, dass die Aufgliederung eines Vertragsschlusses in „Angebot“ und „Annahme“ in manchen Fällen „unmöglich oder lebensfremd“ wäre; gleichwohl beschränkt sich die Darstellung im Folgenden auf das Angebot/Annahme-Modell; vgl. Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 23 ff.; ders., Vertragsrecht (Fn. 38), Rn. 80 ff.; Beale/Hartkamp/Kötz/Tallon (Fn. 92), 177. So im Grunde auch Art. 2.1.1 PICC, wo es lapidar heißt, ein Vertrag könne entweder durch die Annahme ei-nes Angebots abgeschlossen werden oder „durch ein Verhalten der Parteien, das aus-reicht, eine Einigung darzutun“. Nähere Regelungen werden im Folgenden freilich nur für die erste Alternative gegeben. Vgl. dazu Schnyder/Straub, European Journal of Law Reform 1 (1999), 248 ff., die auf die allgemeine Analogievorschrift des Art. 1.6 (2) PICC hinweisen. Zum Problem des Zustandekommens des Vertrags ohne vertragskonstituie-rende Erklärungen aber Kai Bischoff, Der Vertragsschluss beim verhandelten Vertrag, 2001; E. Luig (Fn. 86), 33 ff.

155 Vgl. oben Text vor Fn. 113; der Sache nach übernommen in Art. II.-4:201 (3) DCFR. Dagegen Köhler (Fn. 92), 36 ff.

156 So werden die PICC überwiegend in der Version von 1994 statt in der von 2004 zitiert, Terré/Simler/Lequette, Les obligations, wird nach der 6. Auflage (inzwischen: 9. Aufl., 2005), Treitel, The Law of Contract, nach der 9. Auflage (inzwischen 12. Aufl., 2007, durch Edwin Peel), Baumbach/Hopt nach der 29. Auflage (inzwischen 34. Aufl., 2009) zitiert. Zur Bedeutung von Integrationsklauseln im deutschen Recht dürften Larenz/Wolf (1997) und ein Aufsatz im Betriebs-Berater von 1971 kaum ein aktuelles Bild bieten.

157 Vgl. oben, Text bei Fn. 14 sowie nach Fn. 76.158 Oben Fn. 11.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP226

Full Editions sind die vergleichenden Feststellungen gelegentlich ungenau159. Angesichts der Tatsache, dass die französische Arbeitsgruppe nicht nur auf PICC und CISG, sondern auch auf das französische Reformprojekt160 (sowie auf den sog. Gandolfi-Entwurf161) rekurriert, ist es kaum erstaunlich, dass die PCC insgesamt stärker von den PECL abrücken als der DCFR und dass sie in dem einen oder anderen Punkt sogar den in der rechtsvergleichenden Litera-tur erarbeiteten und in den anderen Modellregelungen reflektierten Konsens in Frage stellen. Das gilt etwa für das Problem des Widerrufs eines Angebots. Ein solcher Widerruf ist nach Art. 2:303 (1) PCC möglich, so lange das Ange-bot dem Empfänger nicht zur Kenntnis gelangt ist. Wenn das Angebot dem Empfänger zugegangen ist und keine Frist zur Annahme bestimmt, kann es nur nach einem angemessenen Zeitraum („après un délai raisonnable“) wider-rufen werden. Der Widerruf eines Angebots ist jedoch unwirksam (Art. 2:303 (2) PCC), (a) wenn das Angebot zum Ausdruck bringt, dass es unwiderruflich ist, (b) wenn es eine feste Frist zur Annahme bestimmt, oder (c) wenn ein Wi-derruf, der vor Ablauf eines angemessenen Zeitraums erfolgt, die legitimen Erwartungen des Empfängers enttäuscht, der im Vertrauen auf das Angebot gehandelt hat. Im Vergleich zu Art. 2:202 PECL wird damit insgesamt die ver-pflichtende Wirkung eines Angebots verstärkt162. Das entspricht der Tradi-tion des französischen Rechts163. Gute Gründe, warum diese Regelung auch international vorzugswürdig sein sollte, sind jedoch nicht ersichtlich. Im Ge-genteil: Art. 2:303 PCC leidet an einer Reihe offenkundiger Schwächen. Kann ein Angebot, das keine feste Frist zur Annahme bestimmt, nun vor Ablauf ei-ner angemessenen Frist widerrufen werden (so unter bestimmten Umständen offenbar nach Art. 2:303 (2) (c) PCC) oder nicht (so Art. 2:303 (1) PCC)? Hinzu kommt, dass der Begriff der „angemessenen Frist“ ein erhebliches Ele-ment von Unsicherheit in die Regelung hineinträgt. Ausgesprochen unglück-lich ist auch das Abstellen teils auf den Zeitpunkt des Zugangs, teils auf denje-nigen der Kenntniserlangung in Art. 2:303 (1) PCC. Was, wenn ein Angebot, das eine feste Frist zur Annahme bestimmt, dem Empfänger zugegangen, aber noch nicht zu seiner Kenntnis gelangt ist? Kann es widerrufen werden (so of-

159 So etwa der Hinweis (Principes contractuels communs (Fn. •••), 242, die Vor-schrift des Art. 2:202 PECL (Widerruf eines Angebots) sei unverändert in den DCFR übernommen worden. Gleiches gilt für den entsprechenden Hinweis (Principes con-tractuels communs (Fn. •••), 239 zu Art. 2:201 (Angebot) (der aber schon für die Inte-rim Outline Edition nicht ganz korrekt war).

160 Das freilich seinerseits Anregungen der PECL und PICC aufgenommen hat; dazu Fauvarque-Cosson, ZEuP 15 (2007), 428 ff.

161 Vgl. oben bei Fn. 16.162 Vgl. auch Art. 2:304 PCC gegenüber Art. 2:203 PECL.163 Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 33.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 227

fenbar Art. 2:303 (2) (c) PCC) oder nicht (das scheint sich aus Art. 2:303 (2) (b) PCC zu ergeben)?

In anderen Fällen übernehmen die PCC die Vorschriften der PECL ohne Änderungen164. In wieder anderen Fällen werden die Vorschriften der PECL nur redaktionell überarbeitet, ohne dass eine inhaltliche Modifikation beab-sichtigt wäre. Dabei geht es der französischen Arbeitsgruppe wiederholt da-rum, den Inhalt der Vorschrift „zu präzisieren“, „klarer zu fassen“ und „ver-ständlicher zu machen“ oder in eine logische Ordnung zu bringen. Die Vor-teile dieser redaktionellen Änderungen sind vielfach nicht recht erkennbar. Umgekehrt führen sie hin und wieder zu einer deutlichen Verschlechterung des Textes. So heißt es zum Thema Integrationsklausel in Art. 2:205 (1) PCC: „Die Parteien können in ihren Vertrag eine Integrationsklausel aufnehmen, die besagt, dass frühere Erklärungen oder Zusicherungen, die nicht in dem Schriftstück enthalten sind, keinen Teil des Vertrages bilden“165. Damit wird einerseits etwas Selbstverständliches gesagt, nämlich dass die Parteien eine Integrationsklausel in ihren Vertrag aufnehmen können. Das folgt bereits aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Im Übrigen wird lediglich eine (un-glücklich formulierte)166 Definition des Begriffs der Integrationsklausel gege-ben. Über die Wirkung einer Integrationsklausel sagt der Normtext demge-genüber nichts, jedenfalls nicht ausdrücklich. Genau hierzu erwartet der Le-ser aber eine Aussage. Es kann angesichts dessen kaum zweifelhaft sein, dass Art. 2:105 (1) PECL167 (oder auch Art. 2.1.17 PICC) den besseren Text bietet.

In jedenfalls einem Fall führt die redaktionelle Überarbeitung übrigens auch zu einer inhaltlichen Modifikation, ohne dass dies der französischen Ar-beitsgruppe bewusst gewesen wäre. Eine verspätete Annahme ist, wie sich aus Art. 2:308 (1) PCC ergibt, als Ablehnung, verbunden mit einem neuen Ange-bot, zu verstehen. In dieser Aussage sieht die französische Arbeitsgruppe eine

164 Art. 2:306 PCC (= Art. 2:205 PECL); Art. 2:307 PCC (= Art. 2:206 PECL); Art. 2:310 PCC (= Art. 2:210 PECL); Art. 2:312 PCC (= Art. 2:211 PECL).

165 „Les parties ont la faculté d’insérer dans le contrat une clause d’intégralité au terme de laquelle les déclarations ou engagements antérieurs que ne renferme pas l’écrit n’entrent pas dans le contenu du contrat“.

166 Dass es sich um einen schriftlichen Vertrag handeln muss, wird nicht von An-fang an klargestellt, sondern ergibt sich erst im weiteren Verlauf der Vorschrift.

167 „Wenn ein schriftlicher Vertrag eine … Klausel enthält, die besagt, dass das Schriftstück alle Bedingungen des Vertrages enthält (Integrationsklausel), bilden frü-here Erklärungen, Zusicherungen oder Vereinbarungen, die nicht in dem Schriftstück enthalten sind, keinen Teil des Vertrages“. Die Aussage über die Wirkung der Integra-tionsklausel ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil sich die zitierten Vorschriften (Art. 2:105 (1) PECL und Art. 2:205 (1) PCC; anders freilich Art. 2.1.17 PICC) nur auf individuell vereinbarte Integrationsklauseln beziehen. Für nicht individuell verein-barte Integrationsklauseln gilt eine andere Regelung.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP228

Präzisierung von Art. 2:207 PECL, durch die diese Norm besser verständlich werden soll168. Der Witz von Art. 2:207 PECL liegt nun aber gerade darin, dass die verspätete Annahme unter bestimmten Umständen als Annahme und nicht lediglich als neues Angebot, das seinerseits wiederum angenommen werden müsste, wirksam ist169. Dieser dogmatische Unterschied kann durch-aus praktisch relevant werden.

Schließlich zeichnet sich der französische Text auch durch Hinzufügungen aus, die durchaus entbehrlich erscheinen. Das gilt etwa für Art. 2:301 PCC, wonach ein Vertrag grundsätzlich durch Angebot und Annahme geschlossen wird, oder auch für die Erläuterung in Art. 2:305 (2), dass Schweigen oder Un-tätigkeit dann eine Annahme darstellen können, wenn die Parteien dies in ih-rem Vertrag so bestimmt haben oder wenn gesetzliche Vorschriften oder auf den Vertrag anwendbare Gebräuche dies vorsehen170. Die „präzisierende“171 Hinzufügung eines zweiten Satzes in Art. 2:208 (1) PECL (Geänderte An-nahme) führt nicht wirklich weiter, da hier im Grunde lediglich der Begriff der „erheblichen“ Änderung (= to alter „materially“ = altérer „substantiellement“) durch die Wendung: Modifikation eines „wesentlichen“ Bestandteils des Ver-trages (= to modify a „fundamental“ element of the contract = modifier un élé-ment „essentiel“ du contrat) erläutert wird172. Immer wieder wird außerdem deutlich, unter welch großem Zeitdruck der französische Text offenbar ent-standen ist. So wird etwa fälschlich unterstellt, die Vorschrift über Verspre-chen, die ohne Annahme verbindlich sind (Art. 2:107 PECL), sei im DCFR einfach gestrichen worden173; für die Diskussion eben dieser Vorschrift wird ein falscher Text zugrunde gelegt174; in dem revidierten Art. 2:204 PECL (also: Art. 2:305 PCC) fehlt in dem französischen Band offenbar ein wesentlicher Teil175, und die englische Fassung von Art. 2:308 (2) PCC entspricht zwar dem

168 Principes contractuels communs (Fn. •••), 255.169 Deutlich etwa Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 48 f.170 Nicht selbstverständlich, aber auch nicht unproblematisch, ist demgegenüber

die weitere Aussage, dass Schweigen oder Untätigkeit eine Annahme darstellen kön-nen, wenn das Angebot allein im Interesse des Empfängers abgegeben worden ist.

171 Principes contractuels communs (Fn. •••), 257.172 Zudem werden zwei einzelne Beispiele einer erheblichen Änderung des Ange-

bots angeführt.173 „Dans le DCFR, il semble que cet article 2:107 ait été purement et simplement

supprimé“: Principes contractuels communs (Fn. •••), 236. Vgl. demgegenüber oben Fn. 128.

174 „La promesse qui veut être juridiquement obligatoire sans acceptation lie son auteur“. Demgegenüber heißt es in der offiziellen französischen Version der PECL „La promesse qui tend à être juridiquement obligatoire sans acceptation lies on auteur“.

175 Principes communs contractuels (Fn. •••), 247; ergänzt in der Zusammenfas-sung auf S. 794 und in der englischen Übersetzung (Fn. •••), 578.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 229

in der Zusammenfassung, nicht aber dem im Hauptteil abgedruckten franzö-sischen Text176.

V. Irrtum

„Die Materie von dem Irrthum gehört unter diejenige, womit es in iure communi noch sehr verwirrt aussihet“. An diesem Befund Kreittmayrs177, ei-nem Gemeinplatz der frühneuzeitlichen Diskussion178, hat sich bis heute nichts geändert. Das Recht der Willensmängel gilt nach wie vor als ver-trackt179. Die Römer hatten der europäischen Rechtswissenschaft hier ein schwieriges Erbe hinterlassen. Nach römischem Recht bildete der Konsens nämlich nur ausnahmsweise den alleinigen Grund der vertraglichen Bin-dung; bei der stipulatio etwa beruhte die Bindung auf der förmlich gespro-chenen Erklärung. Folglich brauchten die Römer auch nicht klar zwischen Willen und Willenserklärung zu unterscheiden, und sie haben deshalb „Dis-sens“ und „Irrtum“ im modernen Sinn nicht differenziert180. Eine allgemeine, vom einzelnen Geschäftstyp – etwa dem Kauf, der stipulatio oder dem Testa-ment – unabhängige Irrtumslehre haben sie angesichts dessen nicht entwi-ckelt; zudem haben sie die relevanten Irrtumstatbestände in aus späterer Sicht nur schwer verständlichen, eng gefassten Kategorien beschrieben181.

Im Verlauf der späteren gemeinrechtlichen Diskussionen wurde der Grund der vertraglichen Bindung demgegenüber zunehmend abstrakt in dem Willen der Parteien gesehen. Infolgedessen wurde der Irrtum mehr und mehr als ein vom spezifischen Geschäft konzeptionell unabhängiger Anfechtungstatbe-stand verstanden. Damit wurde der römische Quellenbestand vor dem Hin-tergrund ganz anderer dogmatischer Vorstellungen gelesen, als sie von den

176 Principes communs contractuels (Fn. •••), 794 gegenüber 255.177 Wigulaeus Xaverius Aloysius Frh. v. Kreittmayr, Anmerkungen über den Codi-

cem Maximilianeum Bavaricum Civilem, 4. Theil, München 1765, cap. I, § XXV, n. 3. 178 Hugo Grotius, De iure belli ac pacis libri tres, cum notis Jo.Fr. Gronovii et

Joannis Barbeyracii, Leipzig 1758, lib. II, cap. XI, § 6, n. 1: „De pacto errantis per-plexa satis tractatio est“.

179 Ernst A. Kramer, Bausteine für einen „Common Frame of Reference“ des eu-ropäischen Irrtumsrechts, ZEuP 15 (2007), 247; James Gordley, Foundations of Private Law: Property, Tort, Contract, Unjust Enrichment, 2006, 308.

180 Vgl. nur Ulpian D. 18,1,9; Pomponius D. 44,7,57.181 Näher zum Ganzen Zimmermann, Obligations (Fn. 82), 587 ff.; Wolfgang Ernst,

Irrtum: Ein Streifzug durch die Dogmengeschichte, in: Reinhard Zimmermann (Hg.), Störungen der Willensbildung bei Vertragsschluss, 2007, 1, 3 ff.; siehe auch Jan Dirk Harke, Si error aliquis intervenit – Irrtum im klassischen römischen Vertragsrecht, 2005, m.w.N.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP230

Römern vorausgesetzt worden waren182. Zugleich mussten auch Motivirrtü-mer als grundsätzlich relevant gelten, wenn man den Grund der Bindungs-wirkung des Vertrags in dem entsprechenden Vertragswillen sah. Die gemein-rechtliche Lehre musste daher ganz neuartige Gedanken formulieren, um die römischen Quellen zu rationalisieren und Anfechtungsrechte innerhalb prak-tikabler Grenzen zu halten; ein Beispiel bildet die Relevanz des Verschuldens der Parteien (§ 876 ABGB [1811]183). Häufig lassen derartige Ansätze sich auf eine naturrechtliche Grundlagendebatte zurückführen, in der die wesentli-chen Wertungsfragen des Irrtumsrechts erstmals auf der Grundlage einer mo-dernen Vertragsrechtstheorie diskutiert worden sind184. Aus diesem Diskus-sionszusammenhang stammen auch flexible Ausgleichsmechanismen, wie der Gedanke, Anfechtungsrechte durch Schadensersatzverpflichtungen abzufe-dern (§ 122 BGB)185.

Das common law schließlich blieb lange Zeit an den rechtsgeschäftlichen Interessen von Kaufleuten orientiert. Hier galt nicht das Versprechen und auch nicht eigentlich der Konsens, sondern das Geschäft (bargain, considera-tion) als Grund der vertraglichen Bindung. Die Juristen des common law ha-ben deshalb nie ein genuines Irrtumsrecht im kontinentaleuropäischen Sinne formuliert, sondern Irrtümer grundsätzlich nur dann berücksichtigt, wenn

182 Siehe insbesondere Martin Schermaier, Europäische Geistesgeschichte am Beispiel des Irrtumsrechts, ZEuP 6 (1998), 60 ff.; HKK/Martin Schermaier (Fn. 54), §§ 116–124, Rn. 51 ff.; Ernst, Irrtum (Fn. 181), 11 ff.; Gordley, Origins (Fn. 48), 85 ff., 185 ff.; ders., Foundations (Fn. 179), 307 ff.; Zimmermann, Obligations (Fn. 82), 609 ff.

183 „Wenn der versprechende Theil selbst und allein an seinem wie immer gearteten Irrthume Schuld ist, so besteht der Vertrag, es wäre denn, daß dem annehmenden Theile der obwaltende Irrthum offenbar aus den Umständen auffallen musste“; zur ge-meinrechtlichen Diskussion Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. I. 1500–1800, 1985, 417 ff. m.w.N.

184 Insbesondere hatte hier Christian Thomasius den weiten, am Schutz der freien Willensbildung orientierten Ansatz von Grotius (oben Fn. 178) kritisiert und das be-rechtigte Vertrauen in den geschlossenen Vertrag als wesentlichen Wertungsaspekt hervorgehoben: Institutionum jurisprudentiae divinae libri tres, 7. Aufl., Halle/Mag-deburg 1720, lib. II, cap. VII, § 39: „Errorem in dubio semper nocere debere erranti“. Grundsätzlich bestehe nämlich kein Grund für ein Abwälzung des Irrtumsrisikos, so-weit der Irrtum nicht dem Vertragspartner zuzurechnen sei (aaO., § 40). Etwas anderes gelte nur, soweit die der Irrende sein Versprechen unter eine Bedingung insoweit ge-stellt habe (§ 41) bzw. bei unentgeltlichen Versprechen (§ 42). Zur Diskussion etwa Schermaier, ZEuP 6 (1998), 71 ff.; insbesondere zu Grotius auch Zimmermann, „Heard melodies are sweet, but those unheard are sweeter …“: Condicio tacita, implied condi-tion und die Fortbildung des europäischen Vertragsrechts, AcP 193 (1993), 121, 146 ff.

185 Grotius (Fn. 178), lib. II, cap. XI, § 6, n. 3; vergleichende Hinweise bei Ernst A. Kramer, Thomas Probst, Defects in the Contracting Process, International Encyclope-dia of Comparative Law, Bd. VII, Kap. 11, 2001, Rn. 37 ff.; Wittwer (Fn. 86), 266 ff.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 231

sie der anderen Seite zurechenbar waren (misrepresentation; undue influence). Im Übrigen haben sie mit den Mitteln der Vertragsauslegung (implied terms) zu meist interessengerechten Ergebnissen gefunden186.

Es verwundert deshalb nicht, dass sich heute bei einem vergleichenden Blick ein ausgesprochen disparates Bild bietet: Holzschnitzartig lässt sich sagen, dass den im Ansatz willenstheoretisch konzipierten Modellen der meisten konti-nentaleuropäischen Rechtsordnungen, wonach der Vertrag seine Grundlage letztlich im wirklichen Willen des Versprechenden finden soll, deutlich ver-tragsfreundlichere Konzeptionen des common law, des öster reichischen Rechts und auch der nordischen Rechtsordnungen gegenüberstehen, die am Gedanken des Vertrauens- und Verkehrsschutzes orientiert sind und grundsätzlich darauf abstellen, ob der Irrtum dem Anfechtungsgegner zurechenbar ist187. Freilich ist das Bild im Einzelnen wesentlich komplexer188; und auch innerhalb der einzel-nen Rechtsordnungen ist der Fragenkreis häufig umstritten; die deutsche Dis-kussion im 20. Jahrhundert189 bietet dafür ein anschauliches Beispiel. Jedenfalls aber – darüber besteht heute weitgehend Einigkeit190 – lässt sich für die Irr-tumsanfechtung derzeit kein common core finden, der als Grundlage einer ge-meineuropäischen Regel herangezogen werden könnte.

1. PECL

Vor diesem Hintergrund mussten die PECL offenkundig zu einer eigen-ständigen Regelung finden. Die Lando-Kommission hat hier einen stark vom common law und österreichischen Recht, aber auch vom neuen niederlän-

186 Siehe heute etwa Stephen A. Smith, Contract Theory, 2004, 365: „[T]hese rules (on mistake, N.J./R.Z.) do not constitute a distinct law or excuse of ‚mistake‘, properly speaking … Instead, when a contract is set aside for mistake it is because the contract contains an implied term stipulating that this should happen“. Siehe zum Ganzen Zimmermann, AcP 193 (1993), 149 ff.

187 Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 261 ff.; E.A. Kramer, ZEuP 15 (2007), 253; Wittwer (Fn. 86), 242 ff.; vgl. auch Manfred Wolf, Willensmängel und sonstige Be-einträchtigungen der Entscheidungsfreiheit in einem europäischen Vertragsrecht, in: Basedow (Fn. 92), 85, 88 ff.

188 Siehe nur E. A. Kramer/Probst (Fn. 185), Rn. 4 ff.; E. A. Kramer , ZEuP 15 (2007), 247 ff., 251 ff.; Ranieri (Fn. 32), 953 ff.; Wittwer (Fn. 86), 244–268, jeweils m.w.N.

189 Siehe nur HKK/Schermaier (Fn. 182), §§ 116–124, 58 ff., 62 ff., 69 ff. m.w.N.190 E. A. Kramer, ZEuP 15 (2007), 248; Muriel Fabre-Magnan, Ruth Sefton-

Green, Defects on Consent in Contract Law, in: Hartkamp/Hesselink/Hondius et al. (Fn. 134), 399, 400 ff., 411; zustimmend Ranieri (Fn. 32), 955; vgl. auch Kötz, Euro-päisches Vertragsrecht (Fn. 38), 262 f.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP232

dischen Recht inspirierten191 Ansatz gewählt, der von dem auf Christian Tho-masius zurückgehenden Gedanken geleitet ist, dass Irrtümer grundsätzlich in die Sphäre des Irrenden fallen192. Beachtlich kann ein Irrtum deshalb nur dann sein, wenn der Vertragspartner dafür ausnahmsweise verantwortlich gemacht werden kann oder demselben Irrtum unterliegt (Art. 4:103 (1) (a)). Das ist eine Wertung, die in der gegenwärtigen akademischen Diskussion ganz überwie-gend auf Zustimmung stößt193. Zudem ist das Anfechtungsrecht auf erkenn-bar wesentliche Irrtümer begrenzt (Art. 4:103 (1) (b)) und im Übrigen ausge-schlossen, wenn der Irrtum unentschuldbar war oder sonst in den Verantwor-tungskreis des Erklärenden fällt (Art. 4:103 (2)). Im Einklang mit dem allgemeinen favor contractus hat die Vertragsanpassung Vorrang gegenüber der Vertragsauflösung (Art. 4:105 PECL). Aus einer dogmatischen Perspek-tive fällt schließlich auf, dass eine Regelung über den Tatsachen- und Rechts-irrtum gedanklich im Zentrum des Irrtumsrechts steht (Art. 4:103 PECL); diese Regel soll bei Erklärungs- und Inhaltsirrtümern analog anwendbar sein (Art. 4:104 PECL)194.

Art. 4:103 PECL (Fundamental Mistake as to Facts or Law) lautet:

(1) A party may avoid a contract for mistake of fact or law existing when the contract was concluded if:

(a) (i) the mistake was caused by information given by the other party; or (ii) the other party knew or ought to have known of the mistake and it was

contrary to good faith and fair dealing to leave the mistaken party in error; or

(iii) the other party made the same mistake and

191 E.A. Kramer, ZEuP 15 (2007), 255 ff.; Ranieri (Fn. 32), 1037; Wittwer (Fn. 86), 253 ff., 259 ff.; siehe auch Holger Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, 951 ff., 962 ff.; PICC Commentary/Peter Huber (Fn. 99), Art. 3.5, Rn. 3 f. zur ver-gleichbaren Regelung der PICC.

192 Eben Fn. 184.193 E.A. Kramer, ZEuP 15 (2007), 257 f.; Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38),

292 ff.; Fleischer (Fn. 191), 341, jeweils m.w.N. Kritisch aber Gordley, Foundations (Fn. 179), 313: Eine solche Risikozuweisung erfordere normalerweise ein Verschulden; ein Grund für eine strikte Haftung sei nicht ersichtlich. Indes geht es hier nicht um eine Verantwortlichkeit für fremde Schäden, sondern um rechtsgeschäftliches Vertrauen und damit um die Zurechenbarkeit eines Rechtsscheintatbestands. Die Zurechnung ei-nes Rechtsscheintatbestands erfordert jedoch ganz allgemein kein Verschulden; typi-scherweise genügt bloßes Veranlassen. Es ist deshalb auch teleologisch gerechtfertigt, dass man grundsätzlich für sein rechtsgeschäftliches Erklärungsverhalten einstehen und sich an seinem Wort festhalten lassen muss; diese Erwägung trägt beispielsweise auch die Haftung nach § 122 I BGB.

194 Art. 4:104 PECL (Inaccuracy in Communication): „An inaccuracy in the ex-pression or transmission of a statement is to be treated as a mistake of the person who made or sent the statement and Article 4:103 applies“.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 233

(b) the other party knew or ought to have known that the mistaken party, had it known the truth, would not have entered the contract or would have done so only on fundamentally different terms.

(2) However a party may not avoid the contract if: (a) in the circumstances its mistake was inexcusable, or (b) the risk of the mistake was assumed, or in the circumstances should be borne,

by it.

Diese insgesamt restriktive195 Anfechtungsregelung wird allerdings durch eine verhältnismäßig großzügige Vorschrift zum Schadensersatz wegen culpa in contrahendo ausgeglichen: Art. 4:106 PECL (Incorrect Information):

A party who has concluded a contract relying on incorrect information given it by the other party may recover damages in accordance with Article 4:117 (2) and (3)196 even if the information does not give rise to a fundamental mistake under Article 4:103, un-less the party who gave the information had reason to believe that the information was correct.

Diese Regeln der PECL haben Kritik197, aber auch nachdrückliche Zustim-mung198 erfahren, wobei Kenner der Materie sogar von „Licht am Horizont“ gesprochen haben199. Dabei betrifft die Kritik zumeist technische Regelungs-details200. So haben die PICC das Wesentlichkeitserfordernis (Abs. (1) (b))

195 Das entspricht der allgemeinen Einschätzung. Anders urteilt freilich Ulrich Huber, Irrtum und anfängliche Unmöglichkeit im Entwurf eines Gemeinsamen Re-ferenzrahmens für das Europäische Privatrecht, in: Festschrift Medicus (Fn. 97), 199, 206, der indes das Zusammenspiel der Erfordernisse eines wesentlichen Irrtums und eines speziellen Anfechtungstatbestands unterschätzt.

196 Art. 4:117 PECL (Damages): „… If a party has the right to avoid a contract un-der this Chapter, but does not exercise its right or has lost its right …, it may recover … damages limited to the loss caused to it by the mistake … The same measure of damages shall apply when the party was misled by incorrect information in the sense of Article 4:106“. Absatz (3) verweist auf das allgemeine Schadensrecht.

197 Jan Dirk Harke, Irrtum und culpa in contrahendo in den Grundregeln des Eu-ropäischen Vertragsrechts: Eine Kritik, ZEuP 14 (2006), 326 ff.; Hans Christoph Gri-goleit, Irrtum, Täuschung und Informationspflichten in den European Principles und in den Unidroit-Principles, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Fn. 24), 201, 207 ff.; vgl. auch E.A. Kramer, ZEuP 15 (2007), 247, 258.

198 Insbesondere E.A. Kramer, ZEuP 15 (2007), 247 f., 255 ff.; Wittwer (Fn. 86), 253 ff., 259 ff., 283 f.; siehe aber auch Grigoleit (Fn. 197), 211 ff.; Fleischer (Fn. 191), 950 ff., 963 ff.

199 E.A. Kramer, ZEuP 15 (2007), 248, 255.200 Andere Kritik, etwa die Forderung, die Unterscheidung vorsätzlicher Täuschun-

gen und fahrlässiger Irreführung (Irrtum) einzuebnen (Grigoleit [Fn. 197], 208 ff., 215), lässt sich im Rahmen eines dem Gedanken eines restatement verpflichteten Regelwerks wohl nicht umsetzen. Zwar erscheint die Täuschung nach der Regelung der PECL in der Tat als ein Spezialfall der Irrtumsveranlassung (siehe auch Ernst, Irrtum [Fn. 181], 30 f.), doch widerspricht diese Forderung der Rechtslage in praktisch sämtlichen

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP234

wohl glücklicher formuliert201 als die PECL202; die Ausschlusstatbestände des Abs. (2) gelten zu Recht als diffus203; und viele Kommentatoren halten es für verfehlt, dass die PECL (ebenso wie die PICC) den schwierigen Fragenkreis der fehlerhaften Willensbildung zum Modell für eine analoge Regelung des Erklärungsirrtums gemacht haben204. Einen veranlassten Erklärungsirrtum kann es ja nur ausnahmsweise geben, und bei einem gemeinsamen Erklä-rungsirrtum gilt nach den Regeln der Auslegung (Art. 5:101 (1) und (2) PECL) normalerweise das von den Parteien gemeinsam Gewollte oder der Vertrag kommt gar nicht zustande205. Demgegenüber werden der restriktive, am Ver-trauensschutz des Erklärungsempfängers orientierte Grundansatz sowie der Vorrang eines Geldausgleichs und einer Vertragsanpassung weithin als sach-gerecht beurteilt206; insoweit stehen die PECL auch mit den Art. 3.4 ff. PICC im Einklang und damit in der Sache für einen internationalen Trend. Als pro-blematisch wird hier nur die – auch gegenüber den PICC – vielleicht überenge Formulierung des Abs. (1) (a) (i) empfunden, die den Eindruck erweckt, als würden Verletzungen von Aufklärungspflichten nur unter den restriktiven Voraus setzungen des Abs. (1) (a) (ii) ein Anfechtungsrecht begründen. Die PICC haben hier eine ihrerseits freilich missverständlich weite Formulierung („caused the mistake“) gewählt (Art. 3.5 (1) (a)), wobei allerdings im Official

Rechtsordnungen und ist bei einer Irreführung, die nicht auf Fehlinformation beruht, auch nicht unproblematisch; dazu unten bei Fn. 218 ff.

201 Art. 3.5 (1) PICC: „… if … the mistake was of such importance that a reasonable person in the same situation as the party in error would only have concluded the con-tract on materially different terms or would not have concluded it at all if the true state of affairs had been known …“.

202 Grigoleit (Fn. 197), 217: das Verschuldenserfordernis habe in der Norm keinen rechten Platz.

203 U. Huber (Fn. 195), 205; siehe auch S. 208, 220 ff.; E.A. Kramer, ZEuP 15 (2007), 258 f. In der Tat ist es schwer vorstellbar, wie eine Partei, die einen Irrtum herbeige-führt hat oder einen Irrtum treuwidrig ausnutzt, dem Anfechtenden entgegenhalten kann, der Irrtum sei unentschuldbar. Umgekehrt ist beim gemeinsamen Irrtum die Frage der Risikozuweisung entscheidend, doch wird sie durch eine solche Vorschrift nicht beantwortet.

204 Ernst, Irrtum (Fn. 181), 31 f.; HWBEuP/Ernst (Fn. 27), 909, 912; Grigoleit (Fn. 197), 218, 220; Harke, ZEuP 14 (2006), 328; vgl. auch U. Huber (Fn. 195), 208 f., 222. Relativierend demgegenüber E.A. Kramer, ZEuP 15 (2007), 256, Fn. 65.

205 Auch wenn der Irrtum der einen Partei für die andere nur erkennbar war, kommt übrigens (entgegen U. Huber [Fn. 195], 208, Fn. 36) eine Anfechtung nicht in Betracht, weil die Regeln über die Auslegung Vorrang haben: Art. II.-8:101 (2) DCFR.

206 M. Wolf (Fn. 187), 93; Fleischer (Fn. 191), 950 ff., 963; E.A. Kramer, ZEuP 15 (2007), 256 ff.; Wittwer (Fn. 86), 259 ff., 284.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 235

Comment klargestellt ist, dass damit nur irreführendes Erklärungsverhalten gemeint ist207.

Insgesamt können die PECL also als ein treffender Ausdruck eines heute als sachgerecht geltenden Ausgleichs zwischen vertraglichem Vertrauens-schutz und dem Willensprinzip gelten, wonach Parteien eigentlich nicht an etwas gebunden werden sollen, was sie nicht gewollt haben. Die PECL ma-chen die wesentlichen Wertungsaspekte der Irrtumsanfechtung international operationabel, ohne die Diskussion unnötig zu dogmatisieren. So verzichten sie nicht nur auf doktrinäre Definitionen, sondern auch auf eine Entschei-dung, unter welchen Umständen das Irrtumsrisiko beim Anfechtenden lie-gen soll (Art. 4:103 (2) (b)); und sie lassen auch das Verhältnis von vorvertrag-lichen Informationspflichten und Irrtumsanfechtung unbestimmt, obgleich der veranlasste Irrtum im Vordergrund der Regelung steht. Die PECL über-lassen solche – bislang nicht hinlänglich geklärten208 – Fragen der interna-tionalen Wissenschaft209. Gerade deshalb bieten sie einen geeigneten Bezugs- und Ausgangspunkt für die weitere gemeineuropäische Diskussion. Als eine gesetzliche Regelung wird man sie freilich nur dann für gelungen halten kön-nen, wenn man der Judikative ein hohes Grundvertrauen entgegenbringt210. Verbesserungsfähig sind die PECL insoweit allemal211. Ein Gesetzgeber muss sich ja an anderen Maßstäben messen lassen und der Regelungsklarheit größe-res Gewicht beimessen als eine Wissenschaftlergruppe, der es um einen im Großen und Ganzen akzeptablen und rechtsordnungsunabhängig verständ-lichen Referenztext geht.

207 Art. 3.5 PICC, Official Comment 2: „[T]he error of the mistaken party is caus ed by the other party … whenever the error can be traced to specific representations made by the latter party … or to conduct which in the circumstances amounts to a represen-tation“; ebenso einschränkend auch PICC-Commentary/P. Huber (Fn. 191), Art. 3.5, Rn. 13. Demgegenüber beurteilt E.A. Kramer hier die PICC als vorzugswürdig, weil sich nur so Fälle vorenthaltener Information erfassen ließen. Doch sollte man diese Frage bei den Informationspflichten (Abs. (1) (ii)) verorten, nicht das Erfordernis der Fehlinformation preisgeben. Klarer ders., Zivilgesetzbücher (Fn. 210), 450.

208 Grigoleit (Fn. 197), 213 f.; E.A. Kramer, Zivilgesetzbücher (Fn. 210), 451 f.209 Vgl. etwa PICC-Commentary/P. Huber (Fn. 191), Art. 3.5, Rn. 20 f. m.w.N.210 Unterschiedliche Voraussetzungen insoweit dürften den gegenläufigen Ge-

samtwürdigungen von Grigoleit (Fn. 197), 211 ff., und E.A. Kramer, ZEuP 15 (2007), 255 ff.; ders., Ein Blick auf neue europäische und aussereuropäische Zivilgesetzbücher oder Entwürfe zu solchen – am Beispiel des Rechts der Irrtumsanfechtung, in: Tradi-tion mit Weitsicht: Festschrift für Eugen Bucher, 2009, 435, 449 ff., zugrunde liegen. Wenn Kramer insoweit auf positive Erfahrungen etwa in den Niederlanden und in Österreich verweist, so darf man das wohl nicht ohne Weiteres auf Europa übertragen. Denn hier fehlt es bislang an einer vergleichbar homogen ausgebildeten Judikative.

211 Das sieht auch E.A. Kramer so: ZEuP 15 (2007), 257 ff.; vgl. auch dens., Zivilge-setzbücher (Fn. 210), 450 ff.; vgl. auch die Kritik von U. Huber (Fn. 195), 204 ff.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP236

2. Die PCC

Die französische Reformgruppe hat an der Grundkonzeption der PECL festgehalten, die Vorschrift aber im Einzelnen reformuliert und vor allem er-gänzt. Art. 4:203 PCC gibt Art. 4:104 PECL unverändert wieder; die Kern-vorschrift des Art. 4:202 PCC, die Art. 4:103 PECL modifiziert, lautet:

(1) A mistake of fact or law existing when the contract was concluded may be invoked by a party only if:

(a) the other party caused the mistake, (b) the other party knew or ought to have known of the mistake and it was con-

trary to the principles of good faith and fair dealing to leave the mistaken party in error; or

(c) the other party made the same mistake.(2) However a party may not invoke the mistake if (a) its own mistake was inexcusable in the circumstances, (b) the risk of the mistake was assumed, or should have been borne by such party, having regard to the circumstances and the position of the parties, (c) or that, subject to the requirements of good faith and fair dealing, the mistake only affects the value of the property.(3) A party may only avoid a contract on the basis of mistake if the other party knew or ought to have known that the mistaken party, if it had known the truth, would not have contracted or only done so under fundamentally different conditions.(4) When the mistake does not concern a fundamental element of the contract, the mistaken party must prove that the other party knew or ought to have known of the mistake in question.

Ergänzt wird diese Norm um eine Regelung zu den vorvertraglichen In-formationspflichten, die als solche kein Pendant in den PECL findet, Art. 2:102 PCC (Duty of Information):

(1) In principle, each of the parties to a contract must inform itself of the conditions of the conclusion of the contract.(2) During pre-contractual negotiations, each of the parties is obliged to answer with loyalty any questions put to it, and to reveal any information that may influence the conclusion of the contract.(3) A party which has a particular technical competence regarding the subject matter of the contract bears a more onerous duty of information as regards the other party.(4) A party who fails to comply with its duty of information, as defined in the prece- ding paragraphs, or who supplies inaccurate information shall be held liable un- less such party had legitimate reasons to believe such information was accurate.

Abs. (4) dieser Norm soll dabei zugleich die Haftungsregel des Art. 4:106 PECL absorbieren212.

Insgesamt wirft die zuletzt genannte Norm allerdings mehr Probleme auf als sie löst, und zwar nicht nur deshalb, weil sie systematisch und wohl auch

212 Principes contractuels communs (Fn. •••), 355.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 237

konzeptionell unverbunden neben der Irrtumsregelung steht213. Zwar ordnet Abs. (1) die Informationsverantwortlichkeit grundsätzlich richtig zu214, und es verdient auch Zustimmung, dass die Haftung für vorvertragliche Fehl-information in einer allgemeinen Vorschrift zusammengefasst ist. Freilich droht mangels eines entsprechenden Hinweises im Irrtumsrecht der clou der PECL verloren zu gehen, nämlich die restriktive Regelung der Irrtumsan-fechtung durch eine großzügige Schadensersatzvorschrift zu ergänzen.

Problematischer erscheint jedoch die Regelung der Informationspflichten als solcher. So führt bisweilen schon die nur scheinbar evidente Regelung des Abs. (2) in die Irre. Persönliche und aufwändig erworbene Informationen können rechtlich schutzwürdig sein; und dies Schutzbedürfnis ist insbeson-dere auch in den PECL anerkannt215. Will man Vertragschließende gegenüber unzulässig ausforschenden Fragen nicht schutzlos stellen, so muss man unter (engen) Umständen ein Recht zur Lüge einräumen; die deutsche Judikatur zur Frage nach der Schwangerschaft hat das anschaulich gemacht216. Entspre-chend gehen auch die Formulierung des zweiten Halbsatzes von Abs. (2) und die gesamte Regelung der Abs. (3) und (4) zu weit; international anerkannten Wertungen entsprechen diese Normen nicht. Denn gerade dann, wenn eine Information mit erheblichen Kosten erworben ist, wie das bei Abs. (3) häufig der Fall sein dürfte, kann der Investor Schutz verdienen, weil andernfalls so-zial erwünschte Investitionen unterbleiben würden. Die amerikanischen Bo-denschatzfälle illustrieren das anschaulich: Hier hatten Investoren mit er-heblichem Aufwand Erdöl- und Erzvorkommen entdeckt und dann Grund-stücke erworben, ohne die Eigentümer von ihrem Sonderwissen in Kenntnis zu setzen. Würde man ihnen das verwehren, so fiele das Motiv für solche Investi tionsanstrengungen weg217. Insgesamt macht diese Vorschrift damit deutlich, wie schwierig eine vernünftige Regelung vorvertraglicher Informa-tionspflichten ist.

213 Weder in Art. 2:102 noch in Art. 4:202 PCC findet sich eine ausdrückliche Aus-sage zum Verhältnis zum Irrtumsrecht (Art. 2:102 (4) spricht ja nur von einer Schadens-ersatzpflicht), obgleich Art. 4:202 (1) (b) doch die Verletzung einer vorvertraglichen In-formationspflicht voraussetzt.

214 Eine solche Regelung fordert Grigoleit (Fn. 197), 214.215 Comment E zu Art. 4:103 PECL; ähnlich Comment E zu Art. II.-7:201 DCFR.216 Zum Ganzen Gerhard Wagner, Lügen im Vertragsrecht, in: Zimmermann (Hg.),

Störungen der Willensbildung (Fn. 181), 59 ff., 93 ff. m.w.N. zur Diskussion. In vielen Ländern, auch in Frankreich, wird diese Frage offenbar noch nicht erörtert.

217 Comment E zu Art. 4:103 PECL; zum Ganzen jüngst etwa Holger Fleischer, Zum Verkäuferirrtum über werterhöhende Eigenschaften im Spiegel der Rechtsver-gleichung, in: Zimmermann (Hg.), Störungen der Willensbildung (Fn. 181), 35 ff., 51 ff.; siehe auch Wagner (Fn. 216), 76 ff.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP238

Bei der Revision des Art. 4:103 PECL (Art. 4:202 PCC) stehen inhaltliche Änderungen neben bloß redaktionellen Umformulierungen, die hier nicht vollständig diskutiert zu werden brauchen. So modifiziert Art. 4:202 (1) (a) PCC („caused the mistake“) die entsprechende Formulierung der PECL („mistake … caused by information given“). Begründet wird dies als eine „Klarstellung“218 – wohl, weil die Comments zu Art. 4:103 PECL dazu keine Aussage treffen219, doch bedeutet das in der Sache durchaus eine Ausweitung. Diese ist plausibel, soweit es um misrepresentation durch Verschweigen oder sonstiges Erklärungsverhalten geht220; sie ist jedoch bedenklich, soweit der Irrtum auf nichtkommunikativem Verhalten des Vertragspartners beruht. Zwar sind die PECL hier nicht ganz eindeutig221, doch stellen die Comments zu Art. 4:107 klar, dass nur die arglistige Täuschung auch durch bloßes Ver-halten möglich sein soll (Art. 4:107): Wer vor dem Verkauf seines Hauses die Wand streicht, um Feuchtigkeitsmängel zu verbergen, begeht eine arglistige Täuschung222. Hatte der Eigentümer demgegenüber sein Haus renoviert, ohne sich dabei bewusst zu sein, dass er damit Mängel verdeckte, die dem Käufer möglicherweise aufgefallen wären, so handelt es sich nicht um einen „mistake … caused by information given“ im Sinne des Art. 4:103 PECL. Diese Aus-dehnung des Anfechtungstatbestands kann in der Sache indes nicht recht ein-leuchten. Denn während Teilnehmer am Geschäftsverkehr nach den allgemei-nen Rechtsscheingrundsätzen die Verantwortlichkeit für ihre Erklärungen übernehmen müssen223, geht eine verschuldensunabhängige Verantwortlich-keit auch für nichtkommunikatives Verhalten zu weit; der eben erwähnte Bei-spielsfall zu Art. 4:107 PECL macht das augenscheinlich. Als bloße „Klarstel-lung“ lässt sich diese Ausweitung jedenfalls nicht begründen. Das zeigen nicht zuletzt die PICC, die zwar ebenfalls die von den PCC gewählte weite For-mulierung enthalten, in den Official Comments aber umgekehrt deutlich ma-chen, dass damit nur kommunikatives Verhalten gemeint ist224. In den PCC fehlt ein solcher Hinweis; schaut man auf die insoweit wortgleiche Formu-

218 Principes contractuels communs (Fn. •••), 346: „précisions“.219 Vgl. insbs. Comment D zu Art. 4:103 PECL.220 Siehe oben vor Fn. 207.221 Missverständlich ist insbesondere Comment F zu Art. 4:104 PECL; das dort er-

wähnte Beispiel, dass ein Fehler in der Mitteilung darauf beruht, dass der Erklä-rungsempfänger ein nur schwer verständliches Buchungsformular zur Verfügung ge-stellt hat, lässt sich dahin (miss-)verstehen, dass die Regelung auch nichtkommunika-tives Verhalten erfassen soll. Freilich geht es auch hier letztlich um kommunikatives oder doch wenigstens kommunikationsbezogenes Verhalten.

222 Comment C zu Art. 4:107 PECL.223 Oben Fn. 193.224 Oben Fn. 207.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 239

lierung im DCFR (Art. II.-7:201 (1) (b) (i)), so muss man sogar fürchten, dass tatsächlich gerade auch nichtkommunikatives Verhalten mit erfasst werden sollte225.

Nicht unproblematisch ist sodann auch der Ausschluss des Irrtums über den Wert, der nur mit einem Hinweis auf die französische Schuldrechtsreform begründet wird226. Damit wird die Unterscheidung unterschiedlicher Irr-tumsarten (Substanz-/Eigenschaftsirrtümer) wieder aufgenommen, die in der romanistischen Tradition doch über Jahrhunderte hinweg Schwierigkeiten bereitet hat227. Die PECL hatten das bewusst überwunden und lediglich in den Comments darauf hingewiesen, dass ein Irrtum über den Wert normaler-weise nicht wesentlich im Sinne des Abs. (1) (b) sei228. Nun führt dieser Hin-weis zwar in der Tat in die Irre; das zeigt gerade das Beispiel der PECL. Dort geht es um den Kauf einer wertvollen Antiquität zu einem Preis, der ihrem Wert vor einigen Jahren entspricht, während er jedoch inzwischen erheblich gesunken ist. Lässt der Käufer sich auf einen solchen Kauf ein, weil er nur von dem früheren Preis, nicht aber vom zwischenzeitlichen Preisverfall Kenntnis hat, so ist der Wortlaut des Art. 4:103 (1) (b) PECL doch offenkundig erfüllt. Wenn man in einem solchen Fall das Anfechtungsrecht versagt, so findet das seinen Grund in anderen Erwägungen229, die in den PECL freilich an anderer Stelle einen klaren Ausdruck gefunden haben: Zum einen ist kein Tatbestand des Art 4:103 (1) (a) PECL erfüllt und zum anderen hat in einer marktwirt-schaft lichen Ordnung normalerweise jede Partei das Risiko eines Irrtums über den Wert des Vertragsgegenstands selbst zu tragen230 (Abs. (2) (b)). Frei-lich muss das nicht immer der Fall sein; auch die PCC haben den Ausschluss des Irrtums über den Wert deshalb unter einen Treu-und-Glauben-Vorbehalt gestellt. Eine solche wertungsoffene Vorschrift bringt neben der Regelung der PECL keinen Gewinn und bricht unnötig mit deren insgesamt doch schlüssi-gem Grundansatz. Man sollte auf eine solche „Klarstellung“ verzichten; revi-sionsbedürftig sind insoweit nur die Comments zu Art. 4:103 PECL.

225 Siehe Comment D zu Art. II.-7:201 DCFR a.E. Der dort erwähnte Fall einer mangelhaft ausgestatteten Website ist freilich schwer zu verstehen, weil in diesem Fall ja auch gegen Normen des acquis communautaire verstoßen wird und der Tatbestand des Abs. (1) (b) (iii) erfüllt ist.

226 Principes contractuels communs (Fn. •••), 342, 346.227 Zimmermann, Obligations (Fn. 82), 609 ff.228 Comment G zu Art. 4:103 PECL.229 Siehe auch PICC-Commentary/P. Huber (Fn. 191), Art. 3.5, Rn. 8, zur paralle-

len Problematik im Official Comment zu den PICC.230 Kötz, Europäisches Vertragsrecht (Fn. 38), 280; Fleischer (Fn. 191), 954 ff.;

IECL/E.A. Kramer, Ch. 11, Rn. 85 m.w.N.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP240

Mit der dritten Modifikation, dem neu eingefügten Abs. (4), nehmen die PCC offenbar die Entscheidung der PECL gegen ein Anfechtungsrecht bei einem unwesentlichen Irrtum teilweise zurück231. Auch bei einem Irrtum über nicht wesentliche Aspekte des Vertrags soll die Anfechtung zulässig sein, wenn der Anfechtungsberechtigte beweist, dass sein Vertragspartner von dem Irrtum wusste oder wissen musste. Indes würde eine solche Modifikation, die ihre Grundlage offenbar in einer alten französischen Rechtsprechung fin-det232, einen unglücklichen Rückschritt bedeuten. Denn das Wesentlichkeits-erfordernis hat in der Sache verbreitet Zustimmung erfahren, weil die Rück-abwicklung von Verträgen stets mit erheblichem Aufwand verbunden ist und deshalb unterbleiben sollte, wenn der Nachteil des Irrenden durch einen fi-nanziellen Ausgleich kompensiert werden kann233.

3. Der DCFR

Die jüngste Textstufe zu Art. 4:103 PECL findet sich jetzt in Art. II.-7:201 DCFR234. Die Norm lautet:

(1) A party may avoid a contract for mistake of fact or law existing when the contract was concluded if: (a) the party, but for the mistake, would not have concluded the contract or would

have done so only on fundamentally different terms and the other party knew or could reasonably be expected to have known this; and

(b) the other party (i) caused the mistake; (ii) caused the contract to be concluded in mistake by leaving the mistaken

party in error, contrary to good faith and fair dealing, when the other party knew or could reasonably be expected to have known of the mis-take;

(iii) caused the contract to be concluded in mistake by failing to comply with a pre-contractual information duty or a duty to make available a means of correcting input errors; or

(iv) made the same mistake.

231 Siehe aber Principes contractuels communs (Fn. •••), 346, 403. Danach handelt es sich nur um eine Beweislastregel für den als Kausalitätserfordernis verstandenen Abs. (3) der Vorschrift bzw. Art. 4:103 (1) (b) PECL. Liest man Art. 4:103 PECL freilich im Lichte des sehr restriktiven Comment C, so wird deutlich, dass die Modifikation auf eine signifikante Abschwächung des Wesentlichkeitskriteriums hinausläuft.

232 Vgl. Beale/Hartkamp/Kötz/Tallon (Fn. 92), 371 m.w.N.233 Wittwer (Fn. 86), 259 ff., 284; Grigoleit (Fn. 197), 215 ff. mit dem zutreffenden

Hinweis, dass hier durchaus eine präzisere Regelformulierung möglich wäre.234 Eine frühere, noch stärker an die PECL angelehnte, Version (von 2005) findet

sich bei Ernst, Irrtum (Fn. 181), 28, mit einer kritischen Diskussion (28 ff.).

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 241

(2) However a party may not avoid the contract for mistake if: (a) the mistake was inexcusable in the circumstances; or (b) the risk of the mistake was assumed, or in the circumstances should be borne, by that party.

Den Verfassern des DCFR war das disparate vergleichende Bild zum Irr-tumsrecht wohlbekannt. Folgerichtig präsentieren sie ihre Regelung nicht als repräsentatives restatement, sondern als Ausdruck einer „fair balance“ zwi-schen der Freiwilligkeit des Vertrags („voluntary nature of contract“) und dem berechtigten Vertrauen des Versprechensempfängers235. Dabei machen sie sich, was ebenfalls Zustimmung verdient, die Grundwertungen der PECL ohne weiteres zu Eigen. Allerdings ist die Norm neu gegliedert und großen-teils auch neu formuliert. Entsprechend findet sich eine Reihe von Änderun-gen, die in den Comments allerdings im Einzelnen nicht begründet werden236. Offenbar sind die Comments hier – anders als die Regeln – keiner inhaltlichen Revision unterzogen, sondern nur gekürzt und ausnahmsweise ergänzt wor-den; jedenfalls sind auch die offenkundig irreführenden237 Erläuterungen zur angeblichen Unwesentlichkeit des Irrtums über den Wert mit in den DCFR übernommen worden238. Dies Nebeneinander von neu formulierter Regel und alter Begründung muss jedoch unweigerlich zu Interpretationsschwierigkei-ten führen. Immerhin lässt sich daraus aber schließen, dass die Regeländerun-gen einen primär technischen bzw. dogmatischen Charakter haben sollen. Freilich haben manche Modifikationen auch inhaltliche Konsequenzen.

Infolge der Neugliederung des Art. 4:103 PECL durch Art. II.-7:201 (1) DCFR steht das Erfordernis eines wesentlichen Irrtums (Abs. (1) (a)) jetzt vor den speziellen Anfechtungstatbeständen (Abs. (1) (b)). Inhaltlich ändert diese offenbar am Ziel systematisch-dogmatischer Folgerichtigkeit ausgerichtete Umstellung jedoch nichts; und sie macht die Norm auch nicht klarer. Immer-hin spricht für die neue Struktur, dass die Frage nach einem Anfechtungstat-bestand sich bei einem unwesentlichen Irrtum nicht stellt. Auch Art. 3.5 PICC ist in dieser Weise strukturiert, und die Comments der PECL folgen von jeher derselben Gliederung. Wichtiger ist freilich die Neuformulierung des We-sentlichkeitskriteriums. Während Art. 4:103 (1) (b) PECL hier auf die Kennt-nis und fahrlässige Unkenntnis des Vertragspartners von der Relevanz des

235 Comment A zu Art. II.-7:201 DCFR.236 Die policy considerations der Comments A-H zu Art. II.-7:201 DCFR sind über

weite Strecken mit denen der PECL (Art. 4:103, Comments A-G) textidentisch. Gänzlich neu sind nur die knappen Bemerkungen F zum neuen Tatbestand des Abs. (1) (b) (iii); im Übrigen sind an wenigen Stellen knappe zusätzliche Hinweise eingefügt; vgl. oben Fn. 225.

237 Oben bei Fn. 228 ff.238 Comment H zu Art. II.-7:201 DCFR.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP242

Irrtums („ought to have known“) abgestellt hatte, formuliert der DCFR ver-schuldensunabhängig und stellt darauf ab, ob der Anfechtende von einer Kenntnis seines Vertragspartners ausgehen durfte („could reasonably be ex-pected to have known“)239; dies ist eine Änderung gegenüber den PECL, die sich im DCFR auch sonst häufig findet. Auf welchen Gründen sie beruht, ist mangels einer entsprechenden Begründung freilich nicht ganz klar. Mögli-cherweise wollte man den Eindruck von „Pflichten gegen sich selbst“ vermei-den, die es im Recht in der Tat nicht geben sollte, doch werden auch Obliegen-heiten normalerweise in einer normativen Terminologie formuliert. In der Sa-che wird sich durch die Neuformulierung jedenfalls nichts ändern, denn mit welcher Kenntnis ein Vertragspartner rechnen darf, hängt davon ab, was man von Rechts wegen wissen muss. Einfacher wäre es allerdings gewesen, auf das Kriterium der Erheblichkeit aus der Perspektive eines neutralen Dritten abzu-stellen, wie dies bereits die PICC tun240. Denn wenn es ohnehin auf eine weit-gehend gleiche241 Wertung des Richters bzw. eine entsprechende Fallgruppen-bildung ankommt, sollte ein Normtext darauf unmittelbar Bezug nehmen. Zudem führt die Erklärungsempfängerperspektive insbesondere bei Erklä-rungsirrtümern bisweilen zu schwierigen, letztlich unnötigen Problemen (dazu sogleich im Text242). Insgesamt erscheint die Formulierung des DCFR hier unnötig (allerdings auch weitgehend unschädlich) doktrinär.

Bei den einzelnen Anfechtungstatbeständen ist zunächst zu begrüßen, dass der DCFR jetzt ausdrücklich auch die Verletzung vorvertrag licher Informa-tionspflichten mit in die Anfechtungstatbestände aufgenommen hat, Abs. (1) (b) (iii) Alt. 1. Die PECL können insoweit ja in der Tat als zu eng erscheinen243. Freilich hat der DCFR damit offenbar244 zugleich – zumindest in Teilen – das unangemessen weite Informationspflichtenmodell der Art. 2:201 ff. ACQP I245

239 Dass es auf die Erwartung des Anfechtenden und nicht eines unbeteiligten Drit-ten ankommt, stellt Comment C zu Art. II.-7:201 DCFR klar.

240 Oben Fn. 201.241 Das entspricht einer allgemeinen Einschätzung: vgl. M. Wolf (Fn. 187), 105;

Fleischer (Fn. 191), 963; Harke, ZEuP 14 (2006), 327; PICC-Commentary/P. Huber (Fn. 191), Art. 3.5, Rn. 6.

242 Bei Fn. 250 ff.243 Oben vor Fn. 207.244 Es verwundert, dass Art. II.-7:205 (3) DCFR bei der Täuschungsanfechtung

(fraud) nicht auf die allgemeinen Informationspflichten Bezug nimmt, sondern unabhängig davon eine – nicht abschließend gemeinte – Reihe von Kriterien benennt, die bei der Frage, ob eine duty of disclosure bestand, berücksichtigt werden sollen. Ei-gentlich müssten dieselben Kriterien und gleiche Pflichten auch beim allgemeinen Tat-bestand des Art. II.-7:201 DCFR einschlägig sein; vgl. U. Huber (Fn. 195), 204.

245 In der erweiterten 2. Auflage Contract II sind die Art. 2:202 und 2:203 zwar im

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 243

übernommen (Art. II.-3:101 ff. DCFR)246, das bereits an anderer Stelle kritisiert worden ist247. So soll ein Autohändler auch professionelle Käufer über die doch normalerweise allgemein bekannte Tatsache aufklären müssen, dass im nächs-ten Jahr mit einem neuen Modell zu rechnen ist (Art. II.-3:101 DCFR)248. Tut er das nicht, so kann der Käufer nach Art. 7:201 (1) (b) (iii) DCFR anfechten. Das findet weder einen Anhalt in den nationalen Rechtsordnungen noch im acquis communautaire249; und es entfernt sich weit vom restriktiven Grundansatz der PECL. Die Irrtumsregelung als solche bleibt von solcher Kritik freilich unbe-rührt. Bei einem Veranlassungsmodell der Irrtumsanfechtung ist es nur folge-richtig, dass Verstöße gegen eine vorvertragliche Informationspflicht ein An-fechtungsrecht auslösen, wenn sie zu einem fundamentalen, nicht unentschuld-baren Irrtum i.S. von Abs. (1) (a), (2) (a) führen. Allerdings muss man dann auch umgekehrt bei der Einführung von Informationspflichten bedenken, welche Konsequenzen eine neue Pflicht im Recht der Irrtumsanfechtung nach sich zieht.

Weniger glücklich erscheint in Art. II.-7:201 DCFR allerdings die 2. Alter-native des Abs. (1) (b) (iii). Offenkundig soll dieser Anfechtungstatbestand Art. 11 (2) der E-Commerce-RL umsetzen250, doch wirft die Regelung des DCFR eine Reihe von Problemen auf, und zwar nicht nur deshalb, weil man ganz grundsätzlich zweifeln muss, ob eine derartig spezielle Vorschrift in ei-ner im Übrigen derart abstrakten Regelung sinnvoll aufgehoben ist. Zunächst gehört die Regelung nämlich systematisch in den Kontext des speziell geregel-

einzelnen überarbeitet und reformuliert worden; an den wesentlichen Grundaussagen hat sich jedoch nichts geändert.

246 Vgl. auch Jud (Fn. 10), 71, 81 ff.; Florian Faust, Informationspflichten, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Fn. 34), 114, 115 f. Der DCFR weicht zwar im Einzel-nen vom Wortlaut der ACQP I ab und formuliert insbesondere die Informationspflich-ten von Unternehmern gegenüber Verbrauchern (Art. II.-3:102 DCFR) unangemessen eng (eine „duty not to give misleading information“ sollte jedenfalls allgemein, nicht nur zwischen Unternehmern und Verbrauchern gelten). Die Grund pflicht des Art. II.-3:101 DCFR entspricht jedoch dem viel zu weiten Art. 2:201 ACQP I/II und lehnt sich auch in den Comments an diese Norm an.

247 Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1125 f.; siehe auch Faust (Fn. 246), 123 ff., 127 ff.248 Comment B Illustration 4 zu Art. II.-3:101 DCFR.249 Vgl. Notes 1 zu Art. II.-3:101 DCFR; Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1125 f.250 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni

2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, ins-besondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“). Die Vorschrift lautet: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß – außer im Fall abweichender Vereinbarungen zwischen Parteien, die nicht Verbraucher sind – der Dienstleistungsanbieter dem Nutzer angemessene, wirk-same und zugängliche technische Mittel zur Verfügung stellt, mit denen er Eingabe-fehler vor Abgabe der Bestellung erkennen und korrigieren kann“.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP244

ten Erklärungsirrtums (Art. II.-7:202 DCFR), denn nach der Richtlinie geht es um „Eingabefehler“, nicht um ein Überdenken der Bestellung während des Bestellvorgangs. Bei einer Revision des Art. 4:104 PECL / II.-7:202 DCFR müsste es deshalb darum gehen, den Fall des Art. 11 (2) der E-Commerce-RL mit vergleichbaren Problemen, wie einem unnötig komplizierten Formular, zusammenzuführen, die den Verfassern der PECL ja von Anfang an vor Au-gen standen251. Zudem ist aber fraglich, ob der gemeinschaftsrechtliche An-fechtungstatbestand der E-Commerce-RL sich überhaupt in eine auf wesent-liche Irrtümer beschränkte Regelung einfügen lässt, wie sie den Art. II.-7:201 (1) (a) DCFR / 4:103 (1) (b) PECL zugrunde liegt. Schwierigkeiten bereitet hier bereits die an der Erklärungsempfängerperspektive ausgerichtete Formulie-rung des Wesentlichkeitserfordernisses. Eingabefehler sind dem Anfech-tungsgegner typischerweise nicht erkennbar: Er muss allenfalls mit der Mög-lichkeit einer Falscheingabe rechnen und kann vielfach nicht wissen, ob der Vertragspartner den Vertrag nur zu „fundamentally different terms“ abge-schlossen hätte. Weniger Probleme hätte man hier mit der Formulierung des Art. 3.5 (1) PICC252, wonach es darauf ankommt, ob ein Dritter den fraglichen Aspekt für grundlegend gehalten hätte. Vor allem muss man aber ganz grund-sätzlich zweifeln, ob das Wesentlichkeitserfordernis des Abs. (1) (a) überhaupt mit der Richtlinie vereinbar wäre, die eine solche Einschränkung gerade nicht kennt. Allerdings ist umgekehrt gar nicht klar, ob ein solches Anfechtungs-recht nach der Richtlinie überhaupt erforderlich ist. Aus gemeinschaftsrecht-licher Perspektive müssten doch das – ohnehin bestehende – Widerrufsrecht und ein Schadensersatzanspruch genügen, der den Käufer auch von den Kos-ten der Rücksendung freistellt. Insgesamt erweist sich die Regelung damit in der Formulierung des Wesentlichkeitserfordernisses als misslungen und in der Sache entweder als zu eng oder als überflüssig. Jedenfalls ist es hier nicht gelungen, die Vorgaben des acquis communautaire schlüssig in den gedank-lichen Rahmen der PECL und des DCFR einzufügen bzw. umgekehrt den acquis auf ein teleologisch plausibles Maß zurückzuführen253.

Offenkundig misslungen ist sodann aber vor allem die Reformulierung von Art. 4:103 (1) (a) (i) PECL durch Art. II.-7:201 (1) (b) (i) DCFR. Die neue For-mulierung entspricht Art. 4:202 (1) (a) PCC; insoweit kann nach oben verwie-sen werden254. Beim DCFR entfällt allerdings der einzige überzeugende Grund für diese Formulierung, nämlich das Ziel, Irreführungen durch pflichtwid-

251 Comment F zu Art. 4:104 PECL.252 Siehe Fn. 201.253 Dazu allgemein Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1113 ff.254 Bei Fn. 218 ff.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 245

riges Verschweigen zu erfassen255. Denn diese Fälle werden im DCFR bereits durch Abs. (1) (b) (ii) und (iii) geregelt. Offenbar zielt der DCFR mit der Vor-schrift des Abs. (1) (b) (i) also gerade auch auf nichtkommunikatives Verhal-ten256, doch ist das nicht näher begründet und vermag vor allem inhaltlich nicht zu überzeugen257.

Hinzu kommt, dass die Regelung über den verursachten Irrtum (Abs. (1) (b) (i)) als Teil einer umfassenden Dogmatisierung der Irrtumstatbestände in Abs. (1) (b) erscheint. Standen in den PECL noch drei unterschiedliche Tatbe-stände unverbunden nebeneinander, so unterscheidet der DCFR jetzt spezi-fisch zwischen der Verursachung des Irrtums (Abs. (1) (b) (i)) und der Verur-sachung des irrtumsbehafteten Vertrags (Abs. (1) (b) (ii) und (iii)). Ernst A. Kramer, der sich im Übrigen darum bemüht hat, die Grundkonzeption des DCFR gegen Kritik zu verteidigen, beurteilt das als „konzeptionell nicht sehr durchsichtig“258. In der Tat sind solche Dogmatisierungen in einem Ge-setzestext – und damit auch in einem Entwurf zu einem solchen – unnötig und schaffen nur zusätzliche Probleme. So fragt man sich, was das Kausali-tätserfordernis in Abs. (1) (b) (ii) bedeuten soll (insoweit schweigen die Com-ments): die Regelung setzt ja voraus, dass der Irrende sich bereits in einem Irrtum befand und dass der Anfechtungsgegner das wusste oder hätte wissen müssen. Zum Irrtum muss es also bereits vor der Aufklärungspflichtverlet-zung des Anfechtungsgegners und damit unabhängig von dieser gekommen sein. Der normative Gehalt dieser Ergänzung besteht also lediglich darin, dass dem Anfechtungsgegner der Einwand offen steht, dass sein Vertrags-partner den Vertrag auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung abgeschlossen hätte. Solche Fälle werden rar bleiben, doch wenn sie sich tatsächlich einmal ereignen, etwa weil der Irrende von dritter Seite genötigt wurde, den Vertrag abzuschließen, oder weil der Irrende sich sonst zum Vertragsschluss ver-pflichtet sah, ist es unklug, ein Anfechtungsrecht von vornherein abzuschnei-den. Um so mehr gilt das, wenn der Irrende den Vertrag auch bei ordnungsge-mäßer Information abgeschlossen hätte, weil er sich auf ein Widerrufsrecht verlassen hätte, das er nun mangels korrekter Information nicht rechtzeitig ausgeübt hat. Hier steht fest, dass die fehlende Aufklärung für den eigentli-chen Vertragsschluss nicht kausal war, doch liegt auf der Hand, dass man ein Anfechtungsrecht gewähren muss. Nun sind das offenkundig konstruierte Fälle. Andere als konstruierte Fälle kann man sich aber für eine Anwendung eines solchen Erfordernisses von vornherein nicht vorstellen; und dass man

255 Vgl. oben Fn. 224.256 Oben Fn. 225.257 Oben bei Fn. 222 ff.258 E.A. Kramer, Zivilgesetzbücher (Fn. 210), 450.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP246

diese Fälle nicht mithilfe des Wesentlichkeitserfordernisses (Abs. (1) (a)) sollte lösen können, erscheint kaum denkbar. Das Kausalitätserfordernis erweist sich damit als unnötig doktrinär, schwer verständlich und im Zweifel irrefüh-rend.

Insgesamt ist damit zu konstatieren, dass gerade dort, wo Beobachter ein gewisses Revisionsbedürfnis der PECL sehen, nämlich bei den Erklärungs-irrtümern des Art. 4:104259 und bei den Anfechtungsausschlusstatbeständen des Art. 4:103 (2)260, der Normtext praktisch unverändert gelassen wurde. Bei Abs. (1) dieser Vorschrift wäre es im Übrigen wesentlich einfacher und über-zeugender gewesen, den ersten Anfechtungstatbestand ((a) (i)) durch folgende Formulierung zu ersetzen261:

(i) the mistake was caused by misrepresentation, by the other party’s failure to comply with a pre-contractual information duty; or

Die darüber hinausgehenden erheblichen Eingriffe der Verfasser des DCFR in den Text der PECL waren demgegenüber Schritte in eine falsche Richtung.

Reformuliert ist im DCFR schließlich auch die Vorschrift über den Scha-densersatz (Art. 4:106 PECL). Art. II.-7:204 (Liability for loss caused by re-liance on incorrect information) lautet:

(1) A party who has concluded a contract in reasonable reliance on incorrect infor-mation given by the other party in the course of negotiations has a right to dama-ges for loss suffered as a result if the provider of the information:

(a) believed the information to be incorrect or had no reasonable grounds for be- lieving it to be correct; and (b) knew or could reasonably be expected to have known that the recipient would rely on the information in deciding whether or not to conclude the contract on the agreed terms.(2) This Article applies even if there is no right to avoid the contract.

Dabei bedeutet die Einfügung des Erfordernisses „vernünftigen“ (reason-able) Vertrauens eine sinnvolle Präzisierung gegenüber dem Normtext der PECL; in den PECL ist dies in der Sache selbstverständliche Erfordernis bis-lang nur in den Comments genannt262. Umformuliert ist zudem das erste sub-jektive Tatbestandsmerkmal (Abs. (1) (a)). Diese Umformulierung bedeutet

259 Siehe oben bei Fn. 204.260 Oben bei Fn. 203.261 Vgl. E.A. Kramer, Zivilgesetzbücher (Fn. 210), 450 mit dem Vorschlag: „… caused

the mistake by not fraudulent misrepresentation or non-disclosure of pre-contractual information“. „Not fraudulent“ ist hier allerdings verzichtbar: Man sollte die Irrtums- und die Täuschungsanfechtung nicht als wechselseitig exklusive Tatbestände, sondern die Täuschung als Spezialfall begreifen. Zudem muss die Nichtinformation pflichtwidrig sein.

262 Comment C zu Art. 4:104 PECL.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 247

nur dann eine sachliche Änderung, wenn mit der Formulierung zugleich über die Beweislast entschieden wird. Anders als es in Deutschland selbstverständ-lich ist, wird man das aber weder bei den PECL noch im DCFR voraussetzen können.

Problematischer ist demgegenüber das neue Kriterium des Abs. (1) (b), das in den Comments nicht näher erläutert wird, obgleich die Comments hier ins-gesamt stark überarbeitet worden sind: Zwar wurde ein längerer Absatz ein-gefügt, der den neu formulierten Abs. (1) (a) näher erläutert, doch fehlt ein ver-gleichbarer Hinweise darauf, auf welche Art von Fällen Abs. (1) (b) zielt263. Wieder scheint es sich mehr um doktrinäre als um praktische Überlegungen zu handeln. Jedenfalls ist nicht ganz klar, unter welchen Umständen man da-von ausgehen darf, dass Informationen, die im Rahmen von Vertragsverhand-lungen gegeben werden, für die andere Seite irrelevant sind. Offenbar soll da-mit das Verschuldenserfordernis („knew or could reasonably be expected to know“) auch auf das begründete Vertrauen der anderen Seite bezogen werden. Demnach würde der Erklärende von der Haftung frei, wenn er schuldlos, wenn auch zu Unrecht, davon ausging, dass die andere Seite seine Angaben überprüfen würde264. Indes ist zweifelhaft, ob ein solches subjektives Tatbe-standsmerkmal in diesem Zusammenhang sinnvoll ist. Denn es ist keine Tat-sachen-, sondern eine Rechtsfrage, ob man auf Angaben der Gegenseite ver-trauen darf, ob Vertrauen also begründet ist. Insoweit kann es normalerweise kein entschuldigtes Nichtwissen geben. Mit anderen Worten: Wer begründet vertrauen darf, darf immer auch davon ausgehen, dass das seinem Vertrags-partner bekannt ist. Das neue Tatbestandsmerkmal läuft also leer. Vielleicht haben die PECL das Erfordernis begründeten Vertrauens aus diesen Gründen in die Comments relegiert. Jedenfalls ist das zusätzliche Erfordernis allenfalls doktrinär begründet, inhaltlich unplausibel und ohne nähere Erläuterung missverständlich.

VI. Ergebnisse

Mit alldem demonstriert der Beitrag beispielhaft die neue Unübersichtlich-keit des europäischen Privatrechts; und er macht deutlich, wie mit dessen Tex-ten künftig umgegangen werden kann. Grundsätzlich bedarf es dazu zu-nächst einer Gegenüberstellung sämtlicher relevanter Texte und einer detail-lierten exegetischen Auswertung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten, wie das im vorliegenden Beitrag insbesondere beim Vertragsschluss schon aufgrund der Menge des Normmaterials nur in groben Zügen skizziert wer-den konnte. Gerade die Änderungen, die die PCC und der DCFR gegenüber

263 Comment B zu Art. II.-7:204 DCFR.264 Vgl. Comment C zu Art. 4:106 PECL; Comment C zu Art. II.-7:204 DCFR.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP248

den PECL, aber auch die PECL gegenüber den PICC und dem CISG vorge-nommen haben, machen deutlich, dass es den Verfassern – bei den jüngeren Texten mehr als bei den älteren – stets auch um die Details der Normformulie-rung ging. Zumindest hermeneutisch müssen die PECL – bzw. bisweilen die PICC – den Ausgangspunkt bilden: Die neueren Formulierungen sind ja durchgehend auf die älteren bezogen; sie lassen sich nur in ihrer Übereinstim-mung bzw. Abweichung von den älteren Texten richtig verstehen. Das gilt ge-rade auch dann, wenn die Abweichungen nicht begründet werden, wie das häufig der Fall ist. Zumindest auf dem Gebiet des Vertragsschlusses und des Irrtums bedeuten solche Abweichungen vielfach durchaus mehr als eine rein technische Präzisierung.

Ein zweites Desiderat beim künftigen Umgang mit den europäischen Re-gelwerken, auch das macht die vorliegende Studie deutlich, besteht in einer stärkeren Berücksichtigung der mittlerweile umfangreichen Bibliothek zum europäischen Privatrecht. Ein gravierender Mangel insbesondere des DCFR besteht darin, dass diese Literatur offenbar kaum zur Kenntnis genommen wurde. Das zeigen nicht nur die Nachweise: Die Comments enthalten – ebenso wie die PECL, bei deren Abfassung freilich nur wenig genuin europäische Li-teratur existierte – keine Literaturhinweise, und die Notes beschränken sich weithin auf (häufig veraltete) nationale Literatur. Auch inhaltlich weichen die jüngeren Regelwerke bisweilen gerade dort von den PECL und den PICC ab, wo diese in der Literatur auf Zustimmung gestoßen sind bzw. lassen proble-matische Regeln, die allgemein kritisiert worden sind, unverändert. Es würde auf einen törichten Dezisionismus hinauslaufen, bliebe die „akademische“ Normsetzung weiterhin auf diese Weise vom akademischen Diskurs ent-koppelt.

Bei einer inhaltlichen Analyse hat sich für den Vertragsschluss und auch für das Irrtumsrecht ein signifikanter europäischer Konsens gezeigt, der nicht nur in den PECL, den PICC, im DCFR und – mit Abschwächungen – in den PCC, sondern vor allem auch in der europäischen und internationalen Litera-tur zum Ausdruck kommt. Der Vertrag findet seine Grundlage allein in der Privatautonomie der Parteien. Doch zielt die Schutzfunktion des Vertrags-rechts stets auch auf das Vertrauen in die Erklärungen des Vertragspartners; das wird im Recht des Vertragsschlusses (Art. 2:102 PECL)265 ebenso deutlich wie im Irrtumsrecht266. Freilich darf man aus diesem Konsens – insbesondere im Irrtumsrecht – nicht auf einen common core schließen; vielmehr bildet der

265 Oben III.; auch die Regeln über den Widerruf vertragsbezogener Erklärungen zeigen dies; vgl. oben IV.

266 Oben V.

Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht210 (2010) 249

Konsens eine teleologisch plausible Antwort auf einen disparaten vergleichen-den und historischen Befund.

Gleichwohl bietet aber keines der analysierten Regelwerke einen in jeder Hinsicht geeigneten Normtext für das europäische Privatrecht. Bei den PECL war das wohl schon gar nicht das Ziel der Autoren, denen es mehr um einen Referenztext für die europäische Rechtswissenschaft (und um Grundwertun-gen für Schiedsverfahren) ging als um unmittelbar anwendbare Regeln. Hin-sichtlich der PCC fällt auf, dass der Normtext sich nicht nur gelegentlich von dem internationalen Konsens entfernt und damit dem Vertragsrecht ein spezi-fisch französisches Gepräge zu geben versucht, ohne sich dafür auf gute sach-liche Gründe stützen zu können. Viele Defizite der PCC beruhen aber auch einfach auf dem immensen Zeitdruck, unter dem die französische Gruppe ihr Revisionsprojekt durchgeführt hat. Im Vergleich mit den PCC gebührt den PECL weiterhin der Vorzug.

Bei einem Vergleich des DCFR mit den PECL, aber auch mit den PCC, sticht zunächst das Bemühen um stärkere Systematisierung des Normtextes ins Auge, das – freilich in signifikant schwächerem Maße – schon die PECL ge-genüber den PICC ausgezeichnet hatte. Das zeigt sich in der äußeren Gliede-rung des Regelwerks, in der höheren Abstraktionshöhe, insbesondere bei der misslichen Auswechselung des „Vertrags“ durch das „Rechtsgeschäft“ als Grundkategorie des Vertragsrechts, aber auch in der Binnenstrukturierung einzelner Vorschriften des DCFR, etwa im Irrtumsrecht. Vor allem aber kommt es in dem Bemühen um begriffliche Präzision zum Ausdruck, die sich in der Definitionsfülle des Textes deutlich manifestiert. So gewiss Präzision als Tugend eines Regelwerks gelten darf, so problematisch sind dabei dabei die Definitionen. Zum einen sind sie meist unnötig: Ein Normtext muss nicht klarstellen, dass man nur die Einigung, nicht aber das Dokument „Vertrag“ nennen soll (die Praxis wird das kaum beeindrucken), und er darf offenlassen, was ein Vertrag „ist“ oder wie man ein „Rechtsgeschäft“ definiert. Entschei-dend ist allein, unter welchen Voraussetzungen ein bindender Vertrag zustande kommt, wie vertragsbezogene Erklärungen auszulegen sind, und wann sie zu-gehen. Das gilt gerade auch in Europa: Wenn klar ist, unter welchen Umstän-den eine vertragliche Einigung bindet, schadet es doch nicht, wenn Engländer mit „contract“ weiterhin auch das physische Dokument bezeichnen. Zum an-deren, und das ist hier wichtiger, schaffen gerade diese Definitionen – das ist im Einzelnen deutlich geworden – bisweilen mehr Probleme als sie lösen: Sie er-leichtern die Rechtsanwendung nicht, sondern irritieren ihre Adressaten.

Problematisch sind vor allem aber auch die sachlichen Abweichungen des DCFR und der PCC von den PECL. Zum einen hat sich auch hier wieder267

267 Allgmein dazu Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1113 ff.

Nils Jansen/Reinhard Zimmermann AcP250

gezeigt, dass eine Integration des Gemeinschaftsprivatrechts nicht einfach da-durch erfolgen kann, dass man einzelne Vorschriften des acquis communau-taire irgendwo in die Regeln der PECL einfügt. Zum anderen ist deutlich ge-worden, dass die PECL eine Reihe von Schwächen aufweisen, wenn man sie als anwendbaren Normtext lesen will: nicht nur (und nicht stets) an Punkten, an denen der DCFR und die PCC derartige Modifikationen vornehmen, son-dern auch dort, wo der DCFR und die PCC die PECL unverändert übernom-men haben. Bisweilen erscheint auch eine Neuformulierung des DCFR ge-genüber den PECL gelungen. Aber das ist keineswegs immer und nicht einmal überwiegend der Fall. In den meisten hier analysierten Fällen war ein Vorzug der Regel des DCFR gegenüber den PECL nicht erkennbar. Das mag mitunter seinen Grund darin finden, dass die Kommentare die Gründe für eine Abwei-chung nur ausnahmsweise nennen; in den Comments finden sich ja allenfalls pauschale rechtspolitische policy considerations268. Wenn der Leser sich bei identischem Kommentar mit – auch inhaltlich – divergierenden Normtextfor-mulierungen konfrontiert sieht, so muss das jedoch Irritationen auslösen; je-denfalls ist dann nicht verständlich, warum ein anderer begrifflicher oder dogmatischer Ansatz gewählt wurde.

Insgesamt vermag damit auch der DCFR keinen signifikanten Fortschritt gegenüber den PECL zu bieten. Auch wenn manche Formulierungen im DCFR den Vorzug gegenüber ihrer Vorgängerversion in den PECL verdie-nen, und auch wenn die PECL sich im Einzelnen durchaus als revisionsbe-dürftig erwiesen haben, sollte der Ursprungstext der Lando-Kommission nicht nur hermeneutisch, sondern auch inhaltlich weiterhin den Ausgangs- und Bezugspunkt der europäischen Vertragsrechtsdiskussion bilden.

268 Zum Ganzen oben Fn. 151, 236 ff., jeweils mit Text.