Et studie av samspille mellom sataniske kult, populærkultur og ...
Vappu - Valborg. Eine empirische Studie zum Ersten Mai in Finnland.
Transcript of Vappu - Valborg. Eine empirische Studie zum Ersten Mai in Finnland.
Vappu – Valborg.
Eine empirische Studie zum Ersten Mai in Finnland.
Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades
Magister Artium im Studiengang Europäische Ethnologie/Volkskunde.
Fakultät Geistes- und Kulturwissenschaften an der
Otto-Friedrich-Universität Bamberg.
Vorgelegt von: Dorothea Breier
Eichendorffplatz 4, 96050 Bamberg
Email: [email protected]
Geb. am: 14.07.1987 in: Lichtenfels .
Betreuer: Prof. Dr. Heidrun Alzheimer (Erstkorrektor)
PD Dr. Dr. habil. Gerhard Handschuh (Zweitkorrektor)
2
Inhalt
1 Einleitung….………………..………………………………...…...….... 4
1.1 Themenwahl und Fragestellung…………..………………...…………... 5
1.2 Forschungsstand und -entwicklung………………...………..………..… 6
1.3 Methodisches Vorgehen………..………………………..……..……….10
1.4 Aufbau der Arbeit…………………………………………..….……….11
2 Geschichte des Ersten Mai in Deutschland - ein Überblick……………13
2.1 Bräuche zum Ersten Mai vor 1886……………………………………..13
2.2 Die politische Maifeier in Deutschland………………………………...24
2.3 Zwischenbilanz…………………………………………………………35
3 Valborg und Vappu – Der Erste Mai in Finnland…...……………….....36
3.1 Geschichte des Ersten Mai in Finnland……………………...…….……36
3.1.1 Der Erste Mai auf dem Land……………………………………………37
3.1.1.1 Bauernregeln und landwirtschaftliche Bräuche…...………...………….38
3.1.1.2 Von der Schreinacht, dem Begrüßen des Frühlings und anderen
Feierlichkeiten ……………………………………................…………39
3.1.2 Der Erste Mai in der Stadt………………………………………………46
3.1.2.1 Der studentische Erste Mai.……….………..………..…………….…...48
3.1.2.2 Der politische Erste Mai…………………...……………...…….……...53
3.1.2.3 Zur Rolle der Kinder am Ersten Mai…………………...…….…….......55
3.1.3 Zwischenbilanz……………………………………….……….……..…58
3.2 Erlebnis Vappu – Die Sicht von Innen und Außen. Interviews und teil-
nehmende Beobachtung………………………………..……….………59
3.2.1 Assoziationen - Sachen, Ideen, Wörter………………...……….............60
3.2.2 Kindheitserinnerungen 1962 bis 1991…….……………..…..….……...61
3.2.3 Beschreibungen eines Vappus….………………………...….…...……..63
3.2.3.1 Die Gestaltung der Vappu Week……………….………..….…………..63
3.2.3.2 Der Ablauf des Vorabends………………....…………………..……….71
3.2.3.3 Das Geschehen am Ersten Mai…………………………….…..……….78
3.2.3.4 Die Studentenmütze als zentrales Element…………………...………...80
3
3.2.4 Historische, regionale und ethnische Ausprägungen Vappus…..……….82
3.2.5 Untergegangene Brauchelemente?..…….……..……….……...………..88
3.2.6 Zwischenbilanz…………………………………….……….…….…….90
4 Bilanz eines Festes………………………………….………….……….92
5 Anhang……………………………………..………..……….…………94
5.1 Glossar………………………………………………………………….94
5.2 Quellennachweise………………………………………………………96
5.3 Literaturverzeichnis……………………..……..……….………………97
5.4 Eidesstattliche Erklärung………………...……………………....……100
5.5 Interviews/CD-ROM
4
1 Einleitung
„Friede, Freude und dann kam die Randale“1
„1. Mai in Berlin: Wieder Gewalt bei Demo“2
„Die Bilanz des Mai-Wochenendes: 73 Festnahmen, 78 Protestler in Gewahrsam, 15 verletzte Polizisten und 46 abgefackelte Autos. Die Polizei konnte sieben ver-
meintliche Brandstifter (15-32 Jahre alt) vorläufig festnehmen.“3
Bilder wie diese sind es, die vielen durch den Kopf schießen, denken sie an den Ersten
Mai in Berlin und anderen Großstädten. Bilder wie diese sind es, die regelmäßig zum
Ersten Mai in den Medien erscheinen und das sowohl bevor die Maiaktivitäten über-
haupt beginnen, sozusagen als Vorausschau auf das, was womöglich passieren wird, als
auch nach dem Ersten Mai, um zu zeigen, wie schlimm er in diesem Jahr ausgefallen ist.
Die gewalttätigen Ausschreitungen, gerade in Berlin-Kreuzberg, nehmen einen großen
Raum in den Zeitungen und im Bewusstsein der deutschen Bevölkerung ein und nicht
etwa die Demonstrationszüge der Gewerkschaften, die doch auf eine bedeutend längere
Geschichte zurückweisen können als der „Revolutionäre Erste Mai“.
Was hierbei oft vergessen wird, ist die Tatsache, dass der Erste Mai nicht nur aus politi-
schen Kundgebungen und Reden besteht. Gerade Bewohner vom Land kennen mitunter
noch andere Aspekte dieses Tages, wie beispielsweise das vor allem in Bayern weit
verbreitete Aufstellen eines Maibaumes. Doch kaum einer weiß um die jahrhundertealte
Geschichte der verschiedenen Brauchelemente, die das Festgeschehen dieses Tages
ausmachten und teilweise noch immer ausmachen.
Wie auch der Politische Erste Mai nicht nur ein deutsches Phänomen ist, verfügen
andere Länder ebenso über vielgestaltige Maibräuche, die bisweilen ähnliche histori-
sche Wurzeln und Ausprägungen besitzen wie die deutschen Traditionen zu diesem
Frühlingsfest. In der vorliegenden Arbeit sollen die verschiedenen historischen wie
aktuellen Ausgestaltungen des Ersten Mai in Finnland, der dort Vappu oder auf
Finnlandschwedisch Valborg genannt wird, vorgestellt und durch einen kleinen Exkurs
zum deutschen Maifest ergänzt werden.
1 http://www.bild.de/regional/berlin/tag-der-arbeit/friede-freude-und-ein-bisschen-randale-17675272.bild.html (aufgerufen am 21.01.2011). 2 http://www.bild.de/regional/berlin/berlin-regional/berliner-demo-beendet-17680984.bild.html (aufgeru-fen am 21.01.2011). 3 http://www.bild.de/regional/hamburg/randale/mai-randale-hamburg-bilanz-17686606.bild.html (aufge-rufen am 21.01.2011).
5
1.1 Themenwahl und Fragestellung
Noch vor meinem Auslandssemester in Turku im Südwesten Finnlands 2010/2011 hatte
ich darüber nachgedacht, diesen Aufenthalt mit Recherchen für meine zukünftige Ma-
gisterarbeit zu kombinieren. Zunächst stand der finnische Kalevala-Tag, an welchem
dem finnischen Nationalepos gedacht wird, zur Auswahl. Doch es stellte sich bald
heraus, dass an diesem Tag lediglich die nationale Flagge gehisst wird, sodass weitere
Überlegungen nötig wurden. Mit Hilfe von Frau Prof. Dr. Outi Tuomi-Nikula, die eini-
ge Zeit am Institut für Volkskunde in Rostock tätig war, kam zum ersten Mal Vappu,
das finnische Fest zum Ersten Mai, ins Gespräch. Dieser stellt einen wichtigen Aspekt
im Jahreslauf der finnischen Bevölkerung dar.
In Finnland besprach ich diese Möglichkeit mit einem Dozenten der Ethnologie an der
Åbo Akademi, Herrn Niklas Huldén, der mich in meinem Vorhaben bestärkte. Ihm gilt
mein besonderer Dank, da er mit mir die verschiedenen Möglichkeiten und ihre Mach-
barkeit durchging und mir zudem zu nützlichen Kontakten, so zum Beispiel Frau Anne
Bergman vom Svenska litteratursällskapet i Finland r.f., also der „Schwedischen Litera-
turgesellschaft in Finnland e. V.“, sowie zu zwei Interview-Partnern4, verhalf.
Anfangs war geplant, in der vorliegenden Arbeit den Ersten Mai, wie er in Finnland
gefeiert wird, mit dem Maifest in Deutschland zu vergleichen. Doch da letzteres bereits
sehr gut erforscht ist und sich meine eigene Forschung auf Vappu konzentrierte, liegt
der Schwerpunkt meiner Arbeit nun auf Finnland. Der deutsche Erste Mai und seine
Geschichte werden nur durch Sekundärliteratur abgehandelt und dienen der Darstellung
von durchaus vorhandenen Parallelen in historischen Entwicklungen und Ausgestaltun-
gen der Maifeste in Finnland und Deutschland.
Es ging mir bei meinen Nachforschungen vor allem darum, mehr über die Entwicklung
des Maifestes in Finnland herauszufinden. Sowohl seine Geschichte, also wie es in der
Vergangenheit in den verschiedenen Regionen, sozialen Schichten und Altersgruppen
gefeiert wurde, als auch moderne Brauch- und Festformen waren hierbei von Interesse.
Leider ließ die mir zur Verfügung stehende Quellenlage nicht zu, die Anfänge von
Vappu zeitlich einzugrenzen. Möglicherweise hätten sich in den finnischen Archiven
wichtige Informationen finden lassen, aber da ich zu dem Zeitpunkt meiner For-
schungsarbeit über keinerlei Finnisch-Kenntnisse verfügte, blieben mir diese Möglich-
keiten verschlossen. Womöglich aus demselben Grund erwies sich auch die Literaturre-
cherche als ernüchternd und nicht so informativ, wie ich erhofft hatte. Deshalb fiel die
4 Aufgrund der besseren Lesbarkeit verwende ich in der vorliegenden Arbeit durchgehend die männliche Schreibweise. Selbstverständlich sind hiermit stets beiderlei Geschlechter gemeint.
6
Bearbeitung des finnischen Ersten Mai anders aus, als die des deutschen Maifestes. Die
unterschiedlichen Herangehensweisen werden in Kapitel 1.3 genauer erläutert. Zuvor
werden der Forschungsstand und dessen Entwicklung dargelegt.
1.2 Forschungsstand und -entwicklung
Einen Überblick über den Stand des Ersten Mai innerhalb der deutschen Volkskunde zu
geben, fällt bedeutend leichter als es bei der Erforschung Vappus der Fall ist. Gerade
zum hundertjährigen Jubiläum des politischen Ersten Mai erschienen zahlreiche Bände,
die sich mit der Geschichte und Entwicklung des Arbeitermai auseinandersetzen. An-
sonsten ist vor allem über einzelne Volksbräuche, wie beispielsweise das Maibaumauf-
stellen, viel publiziert worden.
Während der Bearbeitung des Themas traten schon bald einige Hauptwerke hervor, auf
die ich mich in meiner Arbeit immer wieder stütze und berufe. Zum einen wäre da ein
Aufsatz von Gottfried Korff, der bereits 1979 einen guten Überblick über die Arbeiter-
kultur als Teil der Volkskunde gibt. Korff erläutert hier die Geschichte dieses For-
schungsbereichs, der lange Zeit von der Wissenschaft unbeachtet blieb oder gar, wie
durch Wilhelm Heinrich Riehl, als „sieche(s), hektische(s), absterbende(s) Volksle-
ben“ bezeichnet und daher als „Verfallsform der Volkskultur“ angesehen wurde 5. Nur
zwei Volkskundler befassten sich mit der Arbeiterkultur der Weimarer Republik: Will-
Erich Peuckert und Max Rumpf, wobei beide sich meist darauf beschränkten, die
schlechten Lebensbedingungen der Arbeiterschaft zu schildern, ohne die verursachen-
den Bedingungen zu berücksichtigen. Nach 1945 bildeten sich, so Korff, mehrere Ar-
beitervolkskunden heraus. Eine davon wurde von Wilhelm Brepohl 1951 geprägt, dem
es um „Denkbilder“ ging, nach denen die Arbeiter der Großstädte lebten. Des Weiteren
betonten der eben genannte W.-E. Peuckert und Wolfgang Steinitz die „emanzipatori-
sche und offensive Funktion der Arbeiterkultur“6. Steinitz vertrat zudem die Auffassung,
dass letztere nicht nur eine „Abschattierung der Bauern- und Bürgerkultur“7, sondern
etwas Eigenständiges, Neues bildete. Laut Korff hätte es bis 1979 über den proletari-
schen Ersten Mai, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Monographie gegeben. Er
nennt hier Gabriel Deville, der 1896 die Anfangsjahre des Arbeitermais beschrieb und
hierbei den Kampfcharakter desselben betonte. Richard Weiß, ein Volkskundler, der
Mitte der 1940er Jahre über den Ersten Mai publizierte, stellte dagegen die Entwicklung
5 Korff, Gottfried: Volkskultur und Arbeiterkultur. Überlegungen am Beispiel der sozialistischen Maifest-tradition. In: Berding, Helmut (Hg.): Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwis-senschaft. 5. Jahrgang, Göttingen 1979, S. 84. 6 Ebd., S. 86. 7 Ebd., S. 86.
7
der Festbräuche als „Wechselwirkung zwischen volkstümlichem Frühlingsbrauch und
Maifeier“8 in den Vordergrund.
Wenn Korff schreibt, dass es bis zu dem Zeitpunkt seines Aufsatzes von 1979 keine
umfassende Mai-Monographie gegeben hätte, so muss auf die weitere Entwicklung
hingewiesen werden. Wie bereits erwähnt, wurde gerade 1989, also zum Jahrestag der
ersten internationalen Maidemonstration, eine große Zahl Werke herausgebracht, wel-
che die historische Entwicklung des Arbeitermais aufzeigen. Hier ist vor allem ein
Tagungsbericht des Vereins zum Studium sozialer Bewegungen zu nennen, der die
verschiedensten Aspekte der historischen politischen Maifeier, von den Anfängen, über
den Blutmai von 1929, bis hin zu den Kundgebungen der Nachkriegszeit abhandelt.
Auch zum Ersten Mai in Österreich finden sich informative Beiträge, wie Heinz Stefan
Pichlers Ausführungen zur Maifeier in Kärnten. Zur Illustration des proletarischen
Ersten Mai eignet sich Udo Achtens Werk über die Mai-Festzeitungen der Sozialdemo-
kratie aus dem Jahre 1980, in dem die verschiedenen Tendenzen der Zeitung anhand
von Auszügen rekonstruiert werden. Ein aktuelles Bild vermittelt ein Buch, das 2003
von Dieter Rucht, einem Professor der Soziologie an der Freien Universität Berlin,
herausgegeben, aber von seinen Studenten verfasst wurde. Diese untersuchten zuvor mit
Hilfe teilnehmender Beobachtungen die unterschiedlichen Mai-Demonstrationen in
Berlin und schildern hier ihre Ergebnisse, ergänzt durch Auswertung der verschiedenen
Medienberichte.
Von Gottfried Korff stammt noch ein weiterer, überaus aufschlussreicher Aufsatz, in
dem er anhand dreier verschiedener Maibräuche aus unterschiedlichen sozialen Berei-
chen die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten des Ersten Mai verdeutlicht. Dazu gehö-
ren das Mailehen, das Aufstellen des Maibaumes und der so genannte Moving Day in
Wuppertal. Korff verweist auf die unterschiedlichen historischen Forschungsansätze zu
diesen Themen. Er nennt als erste Beschreibung des rheinischen Mailehens die Schilde-
rungen durch Gottfried Kinkel aus den 1840er, sowie die Untersuchungen Karl Robert
Villehad Wikmans in den 1920er/30er Jahren. Die Maibaumtradition handelt Korff in
Hinblick auf den Bochumer Maiumzug ab, dessen Begehen sich im Laufe seiner Ge-
schichte stark gewandelt hat. Hierfür greift er auf Archivalien und Abhandlungen des 18.
Jahrhunderts zurück und verweist auch auf Hans Mosers Überlegungen zu diesem
Brauch. Laut Korff wurde der zuvor erwähnte Wuppertaler Moving Day von der Volks-
kunde kaum beachtet, womöglich da die proletarische Trägergruppe für sie nicht „sitte-
8 Korff 1979, S. 88.
8
und brauchwürdig“9 genug erschien. Auch im Atlas der deutschen Volkskunde findet er
keine Erwähnung. Stattdessen widmeten sich ihm die liberal-bürgerliche Presse und
gesellschaftskritische Magazine des Vormärzes, um dadurch auf soziale Probleme
hinzuweisen und zu Maßnahmen dagegen aufzufordern.
Bei der volkskundlichen Forschung zum Maibaum ist vor allem Hans Mosers Abhand-
lung von 1985 zu nennen, in der er dessen verschiedene Formen im Laufe der Jahrhun-
derte schildert. Zu diesem Zweck greift er auf Archivalien zurück, die sowohl aus Bild-
darstellungen, historischen Beschreibungen als auch Verboten bestehen. Zudem nennt
er einige Forschungsansätze des 19. Jahrhunderts, so die Arbeiten von Jacob Grimm
und Wilhelm Mannhard. Letzterer trug mit Fragebogenaktionen 1875 zu der Beschrei-
bung differenzierter Brauchformen zum Ersten Mai bei. Darüber hinaus benennt Moser
auch diverse Interpretationsmöglichkeiten des Maibaumes auf, die von dem Bestandteil
eines Fruchtbarkeitskults bis hin zu einer Irminsûl, also dem „Weltenbaum“ der germa-
nischen Mythologie, reichen. Demgegenüber steht die Forschung einiger skandinavi-
scher Forscher aus den 1920er Jahren, die, so Moser, mit „wohltuend nüchterner Sach-
lichkeit“10 an Maibräuche wie den Maibaum herantraten und die Brauchträger bei ihrer
Forschung in den Vordergrund rückten. Einen weiteren Aspekt des Maibaumes behan-
delte Alois Mittwieser, ein bayerischer Archivbeamter, 1939 durch die Bearbeitung von
Archivbeständen des 17. und 18. Jahrhunderts bezüglich des Maibaumsetzens durch
Soldaten. Auf Beschreibungen dieser Art stützt sich Moser und ergänzt die dort zu
findenden Informationen durch Quellen wie Verbote des Maibaumaufstellens, sowie
bildliche Darstellungen von Maibäumen.
Abgesehen von dieser wissenschaftlich-fundierten Literatur finden sich zahlreiche
Werke, die, wie schon zuvor die Volkskunde des Nationalsozialismus, den Ersten Mai
anhand diverser Kontinuitätstheorien mit „uralten“ Ritualen, teils germanischen, teils
antiken, in Verbindung zu setzen versuchen. Gerade bezüglich der Geschichte des
Ersten Mai beziehungsweise der Walpurgisnacht und den an diesen Tagen begangenen
Volksbräuchen finden sich einige Verweise in „altgermanische“ Zeit, selbst noch in
aktueller Literatur! Als positive Gegenbeispiele wären Reinhold Brunners Büchlein
über den Sommergewinn-Umzug in Eisenach, sowie Ottmar Schuberth und seine
Ausführungen zum Maibaumbrauch zu nennen. Es gilt, sorgsam nach klar und
glaubhaft belegten Informationen zu suchen.
9 Korff, Gottfried: „Heraus zum Ersten Mai.“ Maibrauch zwischen Volkskultur, bürgerlicher Folklore und Arbeiterkultur. In: Dülmen, Richard van/Schindler Norbert (Hg.): Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags (16.-20. Jahrhundert). Frankfurt/Main 1984, S. 267. 10 Moser, Hans: Maibaum und Maienbrauch. Beiträge und Erörterungen zur Brauchforschung. In: Moser, Hans (Hg.): Volksbräuche im geschichtlichen Wandel. Ergebnisse aus 50 Jahren volkskundlicher Quel-lenforschung. München 1985, S. 206.
9
Aufgrund nicht-vorhandener Finnisch-Kenntnisse war es mir nicht möglich, finnische
Literatur zu verwenden. Auch kann ich keine weiteren Aussagen darüber treffen, in-
wieweit Vappu in der Finnischen Volkskunde bereits erforscht wurde. Doch sucht man
im digitalisierten Katalog der Bibliothek der Åbo Akademi11 unter dem Titel „Vappu“,
so werden 23 Treffer aufgelistet. Ganze acht davon haben entweder eine Autorin mit
dem Namen Vappu oder handeln von jemandem diesen Namens. Aus historisch-
ethnologischer Sicht interessante Werke finden sich nur vier. Einen Ausstellungskatalog
namens „Havis Amanda Mon amour 100 Years“ fand bei meiner Bearbeitung des Kapi-
tels zum studentischen Ersten Mai in Helsinki Verwendung. Ein weiteres Werk von
Tarja Hokkanen scheint einem Bekannten zufolge, den ich um Übersetzung der finni-
schen Titel gebeten habe, Schüler-, vielleicht auch Studententraditionen zu behandeln
und könnte deshalb auch für Nachforschungen zu Vappu relevant sein12. Des Weiteren
gibt es ein Buch zu den Feierlichkeiten zwischen Vappu und Kekri, einem alten finni-
schen Feiertag zum Ende der Weidesaison13, sowie eine wirklich interessant klingende
Publikation über die Maifeierlichkeiten in Tampere von den 1860er Jahren bis 194514.
Neben dem oben erwähnten englischsprachigen Ausstellungskatalog stand mir eine
kleine Auswahl an schwedischer, englischer und sogar deutscher Literatur zum finni-
schen Maifest zur Verfügung, wobei es sich meist lediglich um einzelne Aufsätze oder
Lexikonartikel handelte. Einen guten Überblick über die Geschichte Vappus gibt Kustaa
Vilkunas „Brauchtum im Jahreslauf“, sowie ergänzend hierzu Ilmar Talves „Finnish
Folk Culture“ und Leea Virtanens „Finnish Folklore“. In diesen wird die Entwicklung
von einem volkstümlichen Frühlingsfest bis hin zum Studenten- und Arbeitertag aufge-
zeigt. Der „Finnish Folklore Atlas“ bietet zahlreiche Karten zum Verbreitungsgebiet
einzelner Bräuche und Traditionen, so beispielsweise auch zum Abbrennen von Mai-
feuern. Kurze Texte vervollständigen die in den Karten illustrierten Informationen.
Weitere Bräuche, wie beispielsweise das so genannte „Walpern“ behandelt Anne Berg-
man in „Fest och Fritid“ aus historischer Sicht. Lund Fossenius beschreibt den Brauch
der Maistange, bezieht sich dabei allerdings auf Schweden, wobei viele der Aussagen
auch auf Finnland übertragbar sind.
Da ich keine finnische Literatur auswerten konnte und auch sonst kaum Werke zum
finnischen Ersten Mai finden konnte, musste ich bei der Bearbeitung Vappus anders
vorgehen. Dies wird im folgenden Kapitel beschrieben.
11 https://alma.linneanet.fi/webvoy.htm (aufgerufen am 29.01.2012). 12 Hokkanen, Tarja: Travel & Party Finland. 3. osa. Ökökasteesta mittumaariin. Helsinki 2008. 13 Nirkko, Juha (Hg.): Juhannus ajalaan: juhlia vapusta kekriin. Helsinki 2004. 14 Kirkko-Jaakkola, Kaisa: Simaa, kuorolaulua ja punalippuja : tamperelaisten vapunvietto 1860-luvulta vuoteen 1939. Tampere 1987. (”Sima, Chorgesänge und rote Flaggen. Die Feierlichkeiten an Vappu in Tampere von den 1860ern bis 1945“)
10
1.3 Methodisches Vorgehen
Nachdem das Thema feststand, kehrte ich Ende März nach Finnland zurück, um dort
teilweise in Helsinki, teilweise in meiner alten Studienstadt Turku Nachforschungen zu
betreiben.
Da ich, wie bereits erwähnt, zu diesem Zeitpunkt lediglich über Schwedisch- und keine
Finnisch-Kenntnisse verfügte, war die Quellen- und Literaturauswahl von Anfang an
begrenzt. Einiges der oben genannten Literatur konnte ich bereits während meines
Auslandssemesters an der Åbo Akademi einsehen. Ende März 2011 besuchte ich zu-
nächst das schwedische Literaturarchiv in Helsinki, das über eine Abteilung zur Volks-
kultur Finnlands verfügt. Hier wurden mir von Frau Bergman vielfältige Unterlagen
zum Ersten Mai bereitgestellt. Teilweise handelte es sich hierbei um Karteikarten mit
bereits abgetippten Archivalien, die vor allem regionale Bräuche der Landbevölkerung
verschiedener Gegenden 15 darlegen. Dazu stand eine große Menge Zeitungsartikel,
beginnend in den 1980er Jahren, zur Verfügung, sowie Fragbögen, die 1987 von Stu-
denten der Åbo Akademi entwickelt und verschickt wurden. In diesen erzählen Ge-
währsleute über das Maifest, wie sie es in ihrer Kindheit und Studienzeit begangen
haben. Neben aktuellen, bildlichen Dokumentationen des Festgeschehens wurde mir
Einblick in digitalisierte, ältere Fotografien gewährt, von denen ich mir auch vier Stück
zukommen ließ.
Weitere archivalische Forschung betrieb ich außerdem an dem ethnologischen Institut
der Åbo Akademi, genauer gesagt war Herr Huldén so freundlich, mir die dort verfüg-
baren Unterlagen zu Vappu in seinem Büro bereitzustellen. Hierbei handelte es sich um
Fragebögen, die zwischen 1983 und 1985 erhoben wurden und sich sowohl auf studen-
tische Traditionen, als auch auf Sommerbräuche im Allgemeinen bezogen. Ich erhielt
sowohl hier, als auch im Bildarchiv der Åbo Akademi, dem Kulturvetenskapliga arkivet
Cultura, weitere Fotografien, die die Geschichte Vappus illustrieren. Zudem erlaubte
mir die schwedische Tageszeitung von Helsinki, das Hufvudstadblådet, fünf Bilder aus
ihrem Archiv zu verwenden.
Um herauszufinden, was den Menschen heute Vappu bedeutet, womit sie es verknüpfen
und was sie an diesem Tag machen, führte ich in Turku sechs Interviews durch und in
Helsinki noch einmal drei. Kontakt zu den Interviewpartnern fand ich mit Hilfe Herrn
Huldéns, meiner ehemaligen Tutorin Jenni*16 und eines Freundes in Helsinki. Letzteren
interviewte ich via Skype im Januar 2012, um noch einige verbleibende Fragen zu
klären. Während die Gespräche, die in Turku geführt wurden, aufgrund der Hinter-
15 Hierbei handelt es sich vor allem um Österbotten (Pohjanmaa), Åland (Ahvenanmaa), Åboland (Tu-runmaa), Nyland (Uusimaa); vereinzelt um Helsingfors (Helsinki) und Kristinestad (Kristiinankaupunki). 16 Name wurde auf Wunsch geändert.
11
grundsituation der Befragten etwas stärker finnland-schwedisch17 geprägt sind, zeigen
die Interviews in Helsinki hauptsächlich die (finnische) Studentenkultur der Teekkaris,
der technischen Studenten der Aalto-Universität.
Ich wählte für die Durchführung das Prinzip des Leitfadeninterviews, bei dem das
Interview eher einem lockeren Gespräch ähnelt und keine genau festgelegte Abfolge
besitzt. Dies ermöglichte es mir, auf einzelne Punkte genauer einzugehen oder bei ge-
gebenen Stichwörtern auch andere Aspekte, die ursprünglich nicht vorgesehen waren,
zu behandeln. Dies hat zur Folge, dass jedes Interview ein wenig anders ist, obwohl die
Grundfragen natürlich dieselben sind.
Um mir selbst ein Bild von den Geschehnissen zu machen, führte ich ab der Woche vor
dem Ersten Mai bis zu Vappu eine teilnehmende Beobachtung in Helsinki durch. Meine
Eindrücke basieren hauptsächlich auf der Art und Weise, wie die dortigen technologi-
schen Studenten dies begehen, da ich hier persönliche Kontakte hatte und von den
dortigen Studenten zu ihren Veranstaltungen mitgenommen wurde. Dies hatte den
Vorteil, dass ich beispielsweise sogar an einer geheimen Aktivität teilnehmen durfte,
dem Fuksi-killing, bei dem ansonsten nur die Studenten des ersten Jahres und die
Organisatoren zugelassen sind.
Eben weil ich den Ersten Mai bereits in Finnland verbrachte, konnte ich in Deutschland
selbstredend keine teilnehmende Beobachtung durchführen. Da ich beschloss, den
Fokus der Arbeit auf Vappu zu legen, beschränkt sich die Bearbeitung des deutschen
Ersten Mai nun lediglich auf einen anhand von Sekundärliteratur erstellten Überblick
der historischen Entwicklung des Festes und seiner Ausgestaltung.
1.4 Aufbau der Arbeit
Der Hauptteil der vorliegenden Arbeit ist in einen Bereich, in dem es um den deutschen
Ersten Mai geht und einen, der vom finnischen Maifest handelt, untergliedert. Wie
bereits im vorigen Abschnitt erwähnt wurde, fällt die Beschreibung der Maifeierlichkei-
ten in Deutschland um einiges knapper aus, während Vappu deutlich ausführlicher
ausgearbeitet wurde. Dies geschah aufgrund der Tatsache, dass ich mich in meiner
eigenen Forschung klar auf die Situation in Finnland konzentriert habe und die Ergeb-
nisse dieser Forschung bevorzugt in diese Arbeit einfließen lassen wollte.
17 Diese Bezeichnung wird im Folgenden verwendet und bezieht sich auf den Umstand, dass es in Finn-land aufgrund seiner Geschichte eine Minderheit von etwa 6% gibt, die als Erstsprache Schwedisch spricht und sich in ihrer Kultur stärker an Schweden als an Finnland orientiert.
12
Der folgende Teil beginnt also mit einem Überblick über die Feiern zum Ersten Mai in
Deutschland. Hier wird zwar auf die fiktiven Ursprünge im „Germanentum“ hingewie-
sen, ansonsten aber hierzu Abstand genommen. Stattdessen werden ausgewählte Mai-
bräuche, nämlich den des Maigrafenfests, des Maibaums und des Mailehens, sowie ihre
historische Entwicklung dargestellt. Als einschneidendes Ereignis werden die Gescheh-
nisse in Paris 1889 beschrieben, die fortan die Ausrichtung des Ersten Mai weltweit
nachhaltig beeinflussten, so auch in Finnland.
Der Part, der von Vappu handelt, beginnt mit einem kurzen Blick auf die Geschichte des
Maifestes in Finnland. Hierzu war leider nicht so viel herauszufinden, als dass es mög-
lich wäre, ein wirklich umfassendes Bild der korrekten historischen Zusammenhänge
aufzuzeigen; doch das, was an scheinbar gesicherter Information zur Verfügung stand,
soll wiedergegeben werden. Es folgt die Beschreibung der Bräuche und Vorstellungen
der finnischen Landbevölkerung an speziell diesem Datum. Daraufhin wendet sich der
Blick auf das Geschehen in ausgewählten Städten, wobei in verschiedenen Unterkapi-
teln auf die allgemeinen städtischen Aktivitäten, das Studentenfest, den politischen
Ersten Mai und zuletzt auf spezielle Vappu-Aktivitäten für Kinder eingegangen wird.
Während ich für die Bearbeitung dieses Abschnittes vor allem auf Archivalien, Zei-
tungsartikel und Literatur zurückgriff, stützt sich der nächste Teil, wie bereits beschrie-
ben wurde, sowohl auf Interviews, die teilweise von mir, teilweise in den 1980er Jahren
von anderen abgehalten wurden, als auch auf eine von mir im Jahre 2011 durchgeführte
teilnehmende Beobachtung. Hier soll dargestellt werden, wie Vappu heutzutage began-
gen wird, welche Brauchelemente von besonderer Bedeutung sind und wie das Fest von
den Befragten persönlich wahrgenommen wird.
Nach jedem der beiden Unterkapitel folgt eine knappe Zusammenfassung der dargeleg-
ten Sachverhalte.
13
2 Geschichte des Ersten Mai in Deutschland - ein Überblick
Der Erste Mai, wie er in Deutschland begangen wird und wurde, weist auf eine lange
und vielgestaltige Geschichte zurück. Grob gliedern lässt sich diese in die Zeit vor und
nach 1886, wobei hier auch eine inhaltliche Unterteilung vorgenommen wird. Ende des
19. Jahrhunderts erstarkt die Arbeiterbewegung und der politische Erste Mai nimmt
zunehmend Raum im Festgeschehen ein.
2.1 Bräuche zum Ersten Mai vor 1886
„Mei“ oder „meie“ stellen laut Vincenz Jacob von Zuccalmaglio, der unter dem Pseu-
donym Montanus über „Die deutschen Volksfeste, Volksbräuche und deutsche(n)
Volksglaube(n)“ schrieb, die ältesten Bezeichnungen für den Frühling dar. Mai bedeute-
te allerdings „Laub“ oder „Grün“, sodass die „Maietit“, also die Maiezeit, nicht nur den
Monat Mai, sondern die ganze Jahreszeit bedeuten konnte. Demnach war der „Maie-
tag“ recht variabel, abhängig von der Lage einer Region und damit zusammenhängend
dem Eintreffen des Frühlings.18 Auch Hans Moser bestätigt diese Verknüpfung, wenn er
schreibt, dass ein Frühlingsfest mehr witterungs- als terminabhängig war. Er betont
zudem, dass die Frühlingsankunft wohl eher für Burg- und Stadtbewohner einen Grund
zur freudigen Feierlichkeit bot, da diese im Winter ihren gewöhnlichen Tätigkeiten
nicht recht nachgehen konnten. Die Handwerker in der Stadt benötigten mehr Licht, um
in ihren Werkstätten zu arbeiten und auch der Handel kam in dieser Zeit, da die Flüsse
zugefroren waren, zum Erliegen. Für die bäuerliche Landbevölkerung hingegen bot der
Winter, so Moser, eine „willkommene Atempause“19 von der Landwirtschaft. Zudem
bestanden die meisten Ansiedlungen auf dem Land aus Weilern oder Streusiedlungen,
denen es an einem organisiertem Mittelpunkt und Gemeinschaftsgefühl mangelte. Die-
ser Eigenschaften bedürfe es aber, um ein gemeinsames Festbrauchtum entstehen zu
lassen. Moser sieht hierin den Umstand begründet, dass „frühes öffentliches Festbrauch-
tum ausgiebig nur für jene Sozialbereiche überliefert ist, in denen starke ständische
Organisationen und ein kräftiges Standesbewußtsein [sic!] gegeben“20 waren.21
In engem Zusammenhang mit dem Ersten Mai steht die Walpurgisnacht, die Nacht
vom 30. April auf den Ersten Mai. Ihre Bezeichnung geht auf die Heilige Walpurga
zurück, die Tochter des angelsächsischen König Richard; eine Benediktinerin, die ihren
18 Vgl. Montanus (Vincenz Jakob von Zuccalmaglio): Die deutschen Volksfeste, Volksbräuche und deutscher Volksglaube, 1854. Hildesheim/Zürich/New York 2006, S. 20. 19 Moser 1985, S. 215. 20 Ebd., S. 216. 21 Vgl. ebd., S. 215 f.
14
beiden Brüdern Willibald und Wunibald nach Deutschland folgte, um dort das Christen-
tum weiter zu verbreiten. Sie stiftete das Kloster Hildesheim, wo sie 780 v. Chr. starb.22
Im Jahre 870 wurden ihre Reliquien nach Eichstätt in die Kirche St. Walburg überführt.
Da ihre Heiligsprechung am Ersten Mai desselben Jahres vollzogen wurde, ist dieses
Datum seitdem ihr Ehrentag.23 Spätestens seit Goethes Faust jedoch verbinden viele mit
der Walpurgisnacht Versammlungen von Hexen, die um Feuer tanzen und auf Besen
reiten. In der rückwärtsgewandten Literatur des 19. Jahrhunderts, sowie später in der
nationalsozialistischen Volkskunde, wird nach „uralten“ Wurzeln solcher Aktivitäten
oder deren Vorstellung gesucht. Montanus erklärt beispielsweise, dass zur Zeit der
Karolinger „deutsch-heidnische Zusammenkünfte“24 in der Mainacht unter Todesstrafe
gesetzt wurden, was die Anhänger des alten Glaubens, meist Frauen, dazu zwang, heim-
lich im Hain, oder auch „Hag“, den verbotenen Bräuchen nachzugehen. Daraus entstand
die Bezeichnung „Hägesen“ oder auch „Hägschen“, was später zu „Hexen“ wurde.25 Ob
dies tatsächlich so war, bleibt fragwürdig, doch beeinflussten Ansichten wie diese lange
Zeit die Literatur der Heimatforschung. Selbst 1991 finden sich noch Aussagen zu einer
„altgermanische(n) und frühfränkische(n) Vorstellung“, in der Walpurga „das schöne
weiße Weib“ Freya verkörpert und Hexen „germanische Hain-Priesterinnen“ waren, die
es sich nicht nehmen lassen wollten, ihrem Kult nachzugehen26. Die Vorstellung eines
Hexensabbats behandelt auch Richard von Dülmen, wobei er sich auf die Unterlagen
von Hexenprozessen stützt. Demnach wurden diese Versammlungen vor allem an hohen
kirchlichen Feiertagen, ebenso auch an Johannis und Walpurgis abgehalten27. Da diese
Aussagen unter Folter gemacht wurden, ist ihr Wahrheitsgehalt natürlich anzuzweifeln,
allerdings dürften sie den Vorstellungen dieser Zeit entsprechen.
Um sich vor Hexen zu schützen, boten sich vielerlei Möglichkeiten. Es wurden Kreuze
an den Stalltüren befestigt und Kräuterbüschel am Haus aufgehängt. Auch Lärm sollte
helfen, Hexen und andere böse Mächte zu vertreiben. Dies konnte beispielsweise durch
das Läuten der Kirchglocken oder auch Peitschenknallen geschehen.28 Noch in den
Erhebungen Adolf Spamers 1909/10 werden das Peitschenknallen, sowie das Anbringen
22 Vilkuna, Kustaa: Finnisches Brauchtum im Jahreslauf. Helsinki 1969, S. 133 f. 23 Vgl. Welker, Manfred: Glaube – Brauchtum – Heimat. Kirchenpatrozinien und Heiligenfeste zwischen Aurach, Aisch, Reicher Ebrach und Regnitz. In: Schriften zur Heimatpflege im Landkreis Erlangen-Höchstadt, Band 6. Höchstadt/Aisch 2010, S. 76. 24 Montanus 1854, S. 27. 25 Vgl. ebd., S. 27 ff. 26 Vgl. Becher, Angela/Schmidt, Gustav: Von Walpurgis bis Johannis. Oberfränkisches Brauchtum aus älterer und neuerer Zeit. In: Heimatbeilage zum Amtlichen Schulanzeiger des Regierungsbezirks Ober-franken – Finanziert von der Oberfrankenstiftung. Bayreuth 1991, S. 4, 6. 27 Vgl. Dülmen, Richard von: Imaginationen des Teuflischen. Nächtliche Zusammenkünfte, Hexentänze, Teufelssabbate. In: Dülmen, Richard von (Hg.): Hexenwelten. Magie und Imagination vom 16.-20. Jahrhundert. Frankfurt/Main 1987, S. 109. 28 Vgl. Fischer, Anke: Feste und Bräuche in Deutschland. München 2004, S. 40.
15
von überkreuzten Stachelbeer- und Dornenstauden an Stallfenstern genannt29. Weitere
Abwehrmaßnahmen waren das Entfachen großer Feuer, das Verbrennen von Besen -
wohl, um Hexen ihrer Fluginstrumente zu berauben - und das Ausräuchern der Häuser
und Ställe mit „hexenbannenden Kräutern“30, wie Johanniskraut, Wacholder und Alrau-
ne31. Das Zusammentreffen des Ehrentages der Heiligen Walpurga mit der Winterver-
abschiedung und dem Vertreiben der Hexen war laut Karlheinz Ossendorf jedoch ein
„rein zeitlich(es)“ und hatte „miteinander nichts zu tun“, allerdings hätte die Bevölke-
rung nicht immer so „trennungsscharf gefeiert“32. So flehten sie die Heilige Walpurga
mitunter um eine gute Ernte an, „die es vor dämonischen Kräften zu schützen galt“33.
Neben diesen Bräuchen, die mit einem Glauben an Hexen und andere Unholde zusam-
menhängen, finden sich noch weitere Festlichkeiten zum Ersten Mai, von denen die des
Maikönigs und des Kampfes zwischen Winter und Sommer, des Maibaums und des
Mailehens nun vorgestellt werden.
Als im Jahre 755 n. Chr. eine Verlegung der fränkischen Reichsversammlung vom
ersten März auf den Ersten Mai stattfand, wurden bald schon zu diesem Anlass feierli-
che Aufzüge und Maienritte organisiert. Vom 13. Jahrhundert an existieren Belege über
diesen Brauch, der demzufolge sowohl in Deutschland, als auch Großbritannien began-
gen wurde. In den Städten der deutschen Hanse, sowie in skandinavischen Küstenstäd-
ten ist seit etwa 1400 der jährlich von der Kaufherrengilde erwählte Maigraf bekannt,
der den Anführer des Mairitts darstellte.34 Dieses Ehrenamt war mit einer großen finan-
ziellen Belastung verbunden, was auch Hans Moser betont, wenn er schreibt, dass der
Maigraf als „amtliche(r) Brauchpfleger“35 den Sommer, manchmal sogar das ganze Jahr
über die Festlichkeiten ausrichten musste. Das Maifest stand oft in Verbindung mit
Schützenfesten, Vogel- oder spezifischer dem Papageienschießen, zudem im 16. Jahr-
hundert auch mit der Waffenmusterung der wehrfähigen Bürger.36 Einen weiteren As-
pekt, der im Zusammenhang mit den Mairitten zu nennen ist, bildet der symbolhafte
Kampf zwischen Winter und Sommer. Diesen beschreibt Montanus recht ausführlich.
Ihm zufolge zogen die Bewohner eines Ortes zu Frühlingsanfang auf die Wiesen, wobei
einige, mit Stroh bekleidet, den Winter darstellten und von ihrem Winterkönig, der
29 Vgl. Moser 1985, S. 248. 30 Becher/Schmidt 1991, S. 11. 31 Vgl. ebd., S. 9, 11. 32 Ossendorf, Karlheinz: Komm lieber Mai… Beim Brauchtum im Wonnemonat hat sich Vieles gewan-delt (= Schriftenreihe der Kreissparkassenstiftung Heft 11). Siegburg 2006, S. 52. 33 Ebd., S. 52. 34 Vgl. Schuberth, Ottmar: Maibäume. Tradition und Brauchtum. Peißenberg 1995, S. 10. 35 Moser 1985, S. 219. 36 Vgl. ebd., S. 219 f.
16
darüber hinaus eine Strohkrone, sowie ein hölzernes Schwert bei sich trug, angeführt
wurden. Der Sommerkönig dagegen besaß eine Blumenkrone und war mit Moosen und
Efeu bedeckt. Der eigentliche Kampf bestand aus dem Werfen von Häcksel und Asche,
beziehungsweise Blumen und Blättern. Selbstverständlich war es stets der Sommer, der
siegte, woraufhin der Winter floh und seine Strohkleider verbrannt wurden. Darauf
erfolgte ein im Dorf veranstaltetes Frühlingsfest mit Tanz. In anderen Orten war der
Winter durch eine Strohpuppe symbolisiert, die sinnbildlich in einen Bach geworfen
wurde.37 Montanus fügt noch hinzu, dass ein ebensolcher Kampf auch in Schweden und
Norwegen am Morgen des Ersten Mai ausgetragen wurde38.
In diesem Zusammenhang ist der so genannte Sommergewinn in Eisenach zu nennen,
dessen Tradition wohl schon bedeutend älter ist, aber 1897 unter Rückbesinnung auf
angeblich ursprüngliche Formen wiederbelebt wurde und beinahe durchgehend bis zum
heutigen Tag ähnlich begangen wird. Hierbei handelt es sich um einen Umzug, zu
dessen Bestandteilen unter anderem ein Sommer- und ein Winterwagen gehört. Auf
dem einen Wagen sitzt „Frau Sunna“, also Frau Sonne, die von einer Schar Kinder in
bunten Verkleidungen, darunter beispielsweise Frühlingsblumen, Vögel und Käfer,
beleitet wird. Auf dem anderen thront der Winterkönig, dessen Gefolge sich aus Gno-
men und winterlich gekleideten Kindern zusammensetzt. Grundsätzlicher Bestandteil
des Geschehens ist auch hier die Vertreibung des Winters.39
Schuberth zufolge gab es auch im Ries ein „altes Volksspiel“40, das heute oft noch von
Kindern betrieben wird. Bei diesem wird eine vermummte Gestalt, die den Winter
darstellen soll, mit Birkenruten über den Dorfplatz gejagt, was also einem symbolhaften
Winteraustreiben gleichkommen soll.41 Ähnliche Bräuche dürften weit verbreitet gewe-
sen sein. Aus Hessen sind zudem mehrere Ortschaften bekannt, wo der Frühling in
Form eines mit grünem Laub verkleideten Jungen durch den Ort zieht, so beispielsweise
der so genannte „Schnoock“ in Heidenrod oder der Maimann in Hermershausen42.
Ein Phänomen, das zwar vor allem in Bayern heimisch ist, aber mitunter deutschland-
weit in Erscheinung tritt, ist der Maibaum. Er steht in enger Verbindung mit dem Mai-
gang, bei dem Birkenzweige und kleine Bäumchen aus dem Wald geholt wurden43.
Diese fanden vielerlei Verwendung, mitunter als Ortsmaibaum, Wirtshausmaibaum,
37 Vgl. Montanus 1854, S. 24 f. 38 Vgl. ebd., S. 31. 39 Vgl. Brunner, Reinhold: Hundert Jahre Sommergewinnsumzug 1897-1997. Eisenach 1997, S. 7 ff. 40 Schuberth 1995, S. 84. 41 Vgl. ebd., S. 84. 42 Vgl. Waas-Frey, Marianne: Alte Bräuche, frohe Feste zwischen Flensburg und Oberstdorf, Aachen und Bayreuth. Kemnat 1984, S. 163 f. 43 Vgl. Fischer 2004, S. 42.
17
Liebesmaibaum und Ehrenmaibaum. Die ersten drei sind in Andreas Schmellers bayeri-
schen Wörterbuch, dessen Bände zwischen 1816 und 1837 entstanden, als „abgeschälte,
mehr oder weniger hohe Fichte oder Tanne“ beschrieben, die verziert und „durch ge-
meinschaftliches Zutun gewöhnlich am ersten Sonntag im Mai“ aufgestellt wurden 44.
Das genaue Alter dieses Festbrauches ist, so Moser, aber unbekannt. Jakob Grimm
suchte nach historischen Belegen hierfür, ansonsten blieb dieser Teil der Maifeier von
seinen Zeitgenossen dagegen meist unbeachtet. Grimm gab allerdings eher eine Aufstel-
lung des damaligen Gegenwartsbestandes wieder und rekonstruierte keine historische
Entwicklung des Brauches. Selbiges betrifft die Sammelarbeit von Friedrich Lettner und
Eduard Fentsch, die in der Bavaria von 1860 veröffentlicht wurde. Aus heutiger Sicht
stellen diese Publikationen wichtige historische Quellen dar, die durch stadtgeschichtli-
che Veröffentlichungen, behördlichen Verordnungen und Verbote ergänzt werden.45
Das angeblich erste urkundliche Zeugnis eines Maibaumes in Deutschland stellt die
„Libri Miraculorum“ von Caesarius von Heisterbach aus der ersten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts dar. In ihr wird ein mit Kränzen behangener, vom Aachener Stadtvogt errichte-
ter Baum erwähnt, den der Stadtpfarrer gegen den Widerstand der Bevölkerung fällen
ließ. „Dem Priester zum Hohn“46 ließ der Stadtvogt einen noch höheren Baum aufstel-
len. Diesen Baum bezeichnete schon Wilhelm Mannhardt in seinem Werk „Wald- und
Feldkulte“ aus dem Jahre 1875 als Maibaum, was seither meist genau so Verbreitung
fand. Zwar datiert Caesarius den Vorfall indirekt durch Nennung eines Stadtbrandes auf
1224, doch geschah dieser im August, sodass Hans Moser den Einwand erhebt, dass es
sich bei dem Baum vielleicht gar nicht um einen Maibaum, sondern vielmehr um eine
Manifestation des Kampfes zwischen Kaiser und Papst gehandelt haben könnte.47
Maibäume finden sich in zahlreichen Bildern und Holzschnitten wieder, anhand derer
Hans Moser eine gestalterische Entwicklung feststellt. Allen gemeinsam ist ein hoher,
entästeter Stamm, dessen Spitze markiert ist. Dies kann durch einen naturbelassenen
Wipfel oder eine künstliche Bekrönung erfolgen48. Gemäß dem gefundenen Bildmateri-
al meint Moser, dass Mitte des 16. Jahrhunderts die Form des Maibaums, in dessen
Gipfel zu erkletternde Naturalien hängen, ältere Formen verdrängte49.
44 Moser 1985, S. 204. 45 Vgl. ebd., S. 204 f. 46 Ebd., S. 211. 47 Vgl. ebd., S. 212. 48 Vgl. ebd., S. 199. 49 Vgl. ebd., S. 229.
18
Der Brauch des Erkletterns des Maibaumes
soll schon 1230 in den Chroniken des
Wiener Hofes bezeugt sein. Demnach
hingen an der Spitze des Baumes Natura-
lien wie Würste, Brezeln und sogar Wein-
flaschen, nach denen junge Burschen klet-
tern durften. Im 18. Jahrhundert nahm diese
Maiaktivität allerdings überhand, sodass
mehrere Verbote diesbezüglich erlassen
wurden, die offenbar aber recht wirkungs-
los blieben.50
In dem hier abgebildeten Ausschnitt eines
Holzschnittes von Hans Sebald Beham aus
der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist
am linken äußeren Bildrand ein Maibaum
zu sehen, der soeben erklommen wird. Auf
seiner Spitze ist eine Plattform installiert,
auf der ein scheinbar echter Hahn sitzt. Unklar ist, was es mit der kämpfenden Menge
darunter auf sich hat. Dass es sich hierbei
gar um den zuvor beschriebenen Kampf
zwischen Winter und Sommer handelt, ist
allerdings eher unwahrscheinlich, da in
keinem der Berichte echte Waffengewalt
erwähnt wurde.
Im 18. Jahrhundert erfolgte ein weiterer
Formenwandel. Während die Maibäume
auf Abbildungen um 1700 noch glatt sind
und nur vereinzelt eine schlichte Zier
aufweisen, finden sich hundert Jahre später
in großen Teilen Bayerns Bäume, die mit
horizontalen Sprossen versehen sind, an
die hölzerne Figuren angebracht wurden.
50 Vgl. Wolf, Helga Maria: Das neue Brauchbuch. Alte und junge Rituale für Lebensfreude und Lebens-hilfe. Wien 2000, S. 180 f.
Hans Sebald Beham, um 1535 (Ausschnitt) In: Schuberth 1995, S. 13.
J. Puschkin, 1875. In: Fischer 2004, S. 42.
19
Diese stellten meist Dorfgebäude, Ackergeräte und Handwerkzeug dar51. In Heinrichs-
hofen im Landkreis Landsberg am Lech war beispielsweise jedes Handwerk des Ortes
durch eine Figur vertreten, bei Bedarf auch mehrfach52. Ein typisches Element ist das
„oberbayerische Tanzpaar“, das von zahlreichen Maibäumen auch heute nicht mehr
wegzudenken ist. Das erste literarische Zeugnis eines Figurenmaibaums liefert im Jahre
1815 der Landesdirektionsrat Felix Joseph Lipowsky, der behauptet, dass der Maibaum
„so alt wie das Dorfgefüge selbst“53 sei und sogar römische Ursprüngen hätte. Die
früheste Illustration allerdings reicht gerade bis in das Jahr 1743 zurück und findet sich
auf einem Votivbild der Kirchentracht Kleinhelfendorf.54 Der auf der vorigen Seite
abgebildete Stich von J. Puschkin ist zwar etwas jüngeren Datums, zeigt aber das müh-
same Aufstellen eines solchen Figurenmaibaumes. Ebenso sind einzelne Holzfiguren zu
erkennen, die im unteren Baumbereich Dorfgebäude und im oberen Ackergeräte und
Tiere zeigen.
Der Figurenmaibaum stellt eine Sonderform des Ortsmaibaumes dar, der vor allem im
oberbayerischen Alpenvorland vorherrschend ist. Wie der Name vermuten lässt, wird
diese Form des Maibaumes von und für den gesamten Ort aufgestellt. Da er aufwändi-
ger gestaltet ist als der zudem auch niedrigere Wirtshausmaibaum, der gegen eine Be-
wirtung vor dem Wirtshaus aufgestellt wurde55, wird der Ortsmaibaum schon einige
Tage vor dem Ersten Mai aus dem Wald geholt und bearbeitet. Er bleibt zudem in der
Regel mehrere Jahre stehen, bis die Figuren erneuert werden müssen. Als Symbol des
Gemeinwesens und „bajuwarischer Lebensfreude“56 wird er heute gerne vom Touris-
mus genutzt, um ein idyllisches Bild eines bayerischen Ortsgefüges entstehen zu las-
sen.57
Neben diesen Arten von Maibäumen als Teil einer Dorfkultur, bestand gerade im Drei-
ßigjährigen Krieg die Tradition der Ehrenmaien, die Soldaten ihren Offizieren, dem
anwesenden Fürsten oder auch dem Vorsitzenden des jeweiligen quartiergebenden
Ortes setzten. Diese sind in den Rechnungsakten der Städte und Dörfer belegt, denn sie
stellten eine Möglichkeit dar, auch ohne Erpressung an eine „bescheidene Festtagsein-
nahme“ oder an „Maibier“ zu gelangen58. Bis ins 17. Jahrhundert sind diese soldati-
schen Ehrenmaibäume stetig nachzuweisen, danach scheinen sie weniger häufig aufge-
treten zu sein. Es gab durchaus auch zivile Ehrenmaibäume, wie es erstmals 1662 von
51 Vgl. Moser 1985, S. 201. 52 Vgl. Schuberth 1995, S. 71. 53 Vgl. Moser 1985, S. 201 54 Vgl. ebd., S. 201 f. 55 Vgl. ebd., S. 262. 56 Ebd., S. 201. 57 Vgl. ebd., S. 199 ff. 58 Ebd., S. 235.
20
Grafenau bezeugt ist. Hier stellten einige Bürger gegen ein Entgelt vor dem Rathaus
einen Maibaum auf. Da dieser Brauch aber allzu schnell überhand nahm, wurde 1690
das Schlagen von Maibäumen in den kurfürstlichen Wäldern verboten.59
Bereits im 16. Jahrhundert kam es zu einer Reihe solcher Versuche, das Maibaumauf-
stellen zu untersagen. Gründe hierfür waren zum einen moralische Bedenken gegenüber
dem Liebesmaien, der im folgenden Abschnitt noch erläutert werden soll, sowie die
Sorge um den Waldbestand60. Dass diese Verbote kaum fruchteten, beweisen zahlreiche
und auch einheitliche Zeugnisse des Brauches, der nun offenbar regelmäßig am Ersten
Mai begangen wurde61. Im 18. Jahrhundert wurde eine erneute Reihe von Verboten
bezüglich des Aufstellens von Maibäumen erlassen, was mit dem neuen Status zusam-
menhing, der dem Wald zu Zeiten der Aufklärung beigemessen wurde. In dieser Epoche
fand ein regelrechter Baumkult statt, Straßen wurden zu Alleen umgeformt und auch die
Obstbaumzucht umfangreich gefördert62.
Dagegen gewann die Maistange ab 1808 zumindest in Bayern wieder größere Bedeu-
tung, als nämlich neue Steuerdistrikte entstanden, die für die einzelnen Gemeinden ein
größeres Maß an Selbstverwaltung unter einem eigenen Dorfbürgermeister bedeutete. In
diesem Zusammenhang ist zu verstehen, dass Maibäume nun zu Symbolen „nationalen
und lokalen Selbstbewußtseins [sic!] und Heimatstolzes“63 wurden.
Im Laufe der Zeit konnten sich solche Bräuche jedoch auch drastisch verändern, was
Gottfried Korff anhand des Maiabendfestes in Bochum erläutert. Anfang des 18. Jahr-
hunderts war es dort üblich, dass bürgerliche Junggesellen am Ersten Mai in den Wald
gingen, einen Baum fällten und diesen einem „Vornehmen“ zum Geschenk machten,
um so ein „besseres Gegengeschenk an Gelde zur Verzehrung“ zu bekommen 64. Der
hierfür veranstaltete Umzug wurde 1716 zum ersten Mal in den Urkunden der Stadt
erwähnt. Da das Schlagen von Bäumen 1768 untersagt wurde, bestanden die Junggesel-
len auf einen finanziellen Ausgleich, der ihnen gerichtlich anerkannt wurde. Um diesen
Geldbetrag abzuholen, hielten die Bochumer Junggesellen ebenfalls einen Umzug ab,
den sie sich auch dann nicht nehmen ließen, als Mitte der 1870er Jahre das Geld bei der
Sparkasse angelegt, statt direkt ausbezahlt wurde. Im späten 19. Jahrhundert entwickelte
sich der Umzug mehr zu einem folkloristischen Volksfest, das nun, wohl aufgrund der
59 Vgl. Moser 1985, S. 235 ff. 60 Vgl. ebd., S. 227. 61 Vgl. ebd., S. 234. 62 Vgl. ebd., S. 243 ff. 63 Rosenfeld, Hellmut: Maitanz, Maien, Maienbüschel, Maibaum. Neidhart von Reuental und die Linde in Dichtung und Brauch. In: Schönere Heimat 77, [o.A.] 1988, S. 274. 64 Korff 1984, S. 261.
21
alles verändernden Industrialisierung, der „identitätssichernde(n) Selbstdarstellung des
örtlichen Bürgertums“65 diente.66
Nach dem ersten Weltkrieg gab es im Zuge der Heimatschutzbewegung und dem ver-
stärkten Vereinswesen auf dem Land mehr und mehr Orte, in denen Maibäume aufge-
stellt wurden. Während der Zeit des Nationalsozialismus erfuhr der Maibaum eine
enorme Aufwertung und Verbreitung, wobei für die Maibäume Deutschlands zumeist
der oberbayerische Figurenmaibaum Vorbild stand67. Auch nach 1945 wurde die Tradi-
tion des Maibaum-Aufstellens weitergeführt. In vielen Gegenden Bayerns und Hessens
belebten gerade sudetendeutsche Flüchtlinge diesen Brauch wieder68. Auch heute noch
wird er in den verschiedenen Regionen Deutschlands gepflegt, wobei es regional unter-
schiedlich ist, wie lange der Maibaum stehen bleibt. Das Fällen und die Bearbeitung des
Stammes, sowie das Aufstellen an sich werden als sportlich-handwerkliche Tätigkeit
angesehen, die in der kollektiven Tätigkeit auch ein Gemeinschaftsgefühl vermittelt69.
Neben dem Ortsmaibaum ist es auch heute noch üblich, einen Liebesmaien vor dem
Haus eines geliebten Mädchens aufzurichten. Diese Tätigkeit ist für Deutschland erst-
mals 1334 durch Heinrich Seuses „Horologium sapientiae“ bezeugt. Darin beschreibt
Seuse die Gepflogenheiten der schwäbischen Jugend und in diesem Zusammenhang den
Brauch, grünende Bäume vor das Haus der Liebsten zu stellen70. Aus demselben Jahr-
hundert finden sich zudem Belege von Schandmaien, die für Mädchen, „die im üblen
Rufe stehen, oder gar ihr Kränzlein eingebüßt haben“71, aufgestellt wurden. Sie konnten
aus dürrem Reisig, Holunder- oder auch Haselsträuchern bestehen und ihr Erhalt wurde,
so Ossendorf, schlimmer angesehen, als gar keine Maie zu bekommen. Daneben konn-
ten mit Hilfe bestimmter Zweige Aussagen über den Charakter des betroffenen Mäd-
chens gemacht werden, beispielsweise drückte man den Hang zur Klatschsucht mit
einem Kirschzweig aus72.
Konkret datierte und auch lokalisierte Belege für diesen Brauch gibt es seit 1540, die
durchwegs aus Verboten und Beanstandungen bestehen. Darüber hinaus beschreiben sie
beispielsweise für Franken und Schwaben eindeutig die Form eines bis auf den Wipfel
entästeten Baum, der geschmückt und dann in die Erde gesetzt wurde.73
65 Korff 1984, S. 263. 66 Vgl. ebd., S. 261 ff. 67 Vgl. Moser 1985, S. 249. 68 Vgl. Weber-Kellermann, Ingeborg: Volksfeste in Deutschland. Hamburg 1981, S. 57. 69 Vgl. Knoche, Andrea: Traditionelle Bräuche und Feste im Jahreslauf. Erfurt 1996, S. 22. 70 Vgl. Moser 1985, S. 218. 71 Ossendorf 2006, S. 75. 72 Vgl. ebd., S. 75 f. 73 Vgl. Moser 1985, S. 228.
22
In Verbindung mit dem Liebesmaien steht das Mailehen, welches laut Schuberth erst-
mals 1538 in Köln bezeugt ist und danach vor allem im Gebiet des Saarlandes und der
Eifel verbreitet war74 . Hierbei handelt sich um eine traditionelle Versteigerung der
ledigen Mädchen eines Ortes, die Gottfried Korff in dem Aufsatz „Heraus zum Ersten
Mai.“ detailliert beschreibt. Ihm zufolge taucht dieser Brauch vor allem in kleinbäuerli-
chen Gebieten auf, deren Entwicklung im 19. Jahrhundert durch einen raschen Bevölke-
rungsanstieg und ein praktiziertes Erbteilsystem geprägt war, was zur Folge hatte, dass
Nutzfläche zu kleinen, kaum einträglichen Parzellen verkam. Dementsprechend war es
wünschenswert, innerhalb der Dorfgemeinschaft zu heiraten, um so die verfügbare
Bodenfläche möglichst beisammen halten zu können. Dieser Vorgang sollte mitunter
durch die prinzipiell spaßhaft gemeinte Versteigerung der ledigen Mädchen unter den
Junggesellen des Ortes positiv beeinflusst werden.75
Das Wort Mailehen kommt von „leihen“ oder „lehnen“ und benennt das zentrale Ele-
ment des Brauches, der schon in den 1840er Jahren von Gottfried Kinkel beschrieben
wurde76. Ossendorf zufolge wurde in Bonn-Römersdorf in der Mitte des 19. Jahrhun-
derts zunächst der Posten des Maikönigs ersteigert, der sich dann aus der Liste der
ledigen Mädchen eine zur Maikönigin wählen durfte. War diese allerdings nicht mit der
Wahl einverstanden, konnte er sich ein weiteres Mädchen aus der Liste aussuchen.
Danach wurden die anderen Mädchen unter den restlichen Junggesellen versteigert. War
eine Unwillens, für das nächste Jahr die Tanzpartnerin des Ersteigernden zu sein, so
wurde sie, so ist es zumindest von Mondorf bekannt, erneut zur Versteigerung angebo-
ten. Anderswo war es dagegen Sitte, dass das Mädchen, sollte es den entsprechenden
Junggesellen verschmähen, auf den Maitanz zu verzichten hatte und sich auch sonst
kein anderer „öffentlich mit ihr zeigen (sollte), wenn ihm seine Hand lieb war“77. Die
unersteigerten Mädchen wurden als gesammelte Gruppe von „Rötzchen“ (rheinische
Mundart für „Überbleibsel“) an den „Rötzchenvaader“ versteigert, der nun die Aufgabe
hatte, für deren Wohl während des Maifestes zu sorgen. Da es durchaus als degradie-
rend angesehen wurde, dieser Gruppe anzugehören, wurden manche nach der Auktion
an andere Junggesellen, die währenddessen nicht anwesend sein konnten, abgegeben.78
Die Zeit, in der sich die Mädchen mit ihren Junggesellen in der Öffentlichkeit zeigen
mussten, war von regional unterschiedlicher Länge, in keinem Fall aber über ein Jahr
und zumeist nur bis zur Dicke-Bohne-Blüte, Heuernte, Weinlese oder manchmal sogar
74 Vgl. Schuberth 1995, S. 71. 75 Vgl. Korff 1984, S. 254 ff. 76 Vgl Ebd., S. 252. 77 Ossendorf 2006, S. 12. 78 Vgl. ebd., S. 16 ff., S. 31 ff.
23
nur für den Monat Mai79. Es handelte sich also um einen „Kontakt auf Zeit mit streng
ritualisierten Zwängen innerhalb der Dorföffentlichkeit, (was) sexuell motivierte Indivi-
dualhandlungen weitgehend“80 ausschloss.
Der Brauch des Mailehens wurde nicht überall und nicht zu jeder Zeit gleich durchge-
führt. Teilweise war sogar der Zeitpunkt ein anderer, so beispielsweise an Ostern oder
Fasnacht anstelle des Ersten Mai. Im 18. und 19. Jahrhundert gesellte sich die Tradition,
dem ersteigerten Mädchen einen Liebesmaien zu setzen, hinzu. Oft wurde dem kollektiv
nachgegangen, sodass die „ganze Junggesellenschaft (…) jede einzelne Heiratsfähige
des Dorfes in gemeinschaftlicher Aktion“81 mit einem geschmückten Baum oder auch
nur einem Zweig versorgte. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden viele Verbote gegen
diesen Maibrauch erlassen, um „nächtliche(m) Unfug“82 Einhalt zu gebieten.83 Dabei
bestand, wie bereits eingangs erwähnt, das Hauptaugenmerk dieses Brauches aus einer
„langfristige Sicherung von sozial legitimierten Geschlechtsbeziehungen“84, auch wenn
aus einem solchen Mailehen nicht zwangsläufig eine eheliche Verbindung entstehen
musste. Ossendorfs Ausführungen nach scheint der Tradition des Mailehens auch heute
noch vereinzelt nachgegangen zu werden.
Die Nacht vom 30. April auf den Ersten Mai war und ist gemeinhin bekannt als so
genannte Freinacht, in der gerade der unverheirateten Jugend besondere Rechte einge-
räumt wurden. Während dieser Nacht wird allerhand Unfug getrieben. So werden Ver-
bindungslinien aus Sägemehl oder Kalk zwischen den Häusern eines heimlichen Lie-
bespaares gestreut, Kamine abgedeckt oder offen stehende Gerätschaften versteckt oder
an absurde Plätze, wie beispielsweise auf das Dach des jeweiligen Besitzers, gestellt.85
Ein Brauch, der heute noch aktuell und weit verbreitet ist, ist der des Maibaumstehlens.
Was ursprünglich ebenso das Schlagen eines Baumes in einem fremden Waldgebiet
bedeuten konnte, besteht heutzutage einzig aus dem Stehlen eines bearbeiteten und
teilweise bereits aufgestellten Maibaumes86. Um dies zu verhindern, bedurfte es einer
achtsamen Bewachung durch die Dorfjugend. Karlheinz Ossendorf berichtet von einem
Ort namens Eitdorf, wo es hierfür klare Regeln gibt, die beispielsweise besagen, dass
der Baum nur gestohlen werden dürfe, wenn der Wachtrupp weggelockt wurde oder
eingeschlafen sei. Bei einer möglichen Entdeckung müsse die Aktion sofort abgebro-
79 Vgl. Korff 1984, S. 252. 80 Ebd., S. 252. 81 Ebd., S. 258. 82 Ebd., S. 255. 83 Vgl. ebd., S. 255. 84 Ebd., S. 257. 85 Vgl. Becher/Schmidt 1991, S. 10. 86 Vgl. Moser 1985, S. 233.
24
chen werden und es dürfe zu keinen Kampfhandlungen kommen87. Sollte es gelingen,
den Maibaum zu stehlen, war und ist es heute noch üblich, eine Auslöse, beispielsweise
in Form eines Fasses Bieres, zu verlangen und nach erfolgter Auslöse den Baum zu-
rückzubringen88. Hans Moser nimmt an, dass der Brauch des Maibaumstehlens in den
1920er Jahren aufgekommen sein muss, da in Fragebögen von 1909/10 keinerlei Be-
merkung darüber zu finden ist89. Diese Art von Mainachts-Aktivität erfreut sich heute
noch großer Beliebtheit. Auch die bayerische Radiostation Antenne Bayern stiehlt seit
einigen Jahren jeden Ersten Mai irgendwo in Bayern einen Maibaum, so zum Beispiel
2010 in Zeil am Main. Einem Zeitungsartikel nach wurde bei geglückter Auslöse neben
dem Maibaum auch eine „Tanz in den Mai“-Veranstaltung mit den Moderatoren von
Antenne Bayern versprochen90.
2.2 Die politische Maifeier in Deutschland
Ende des 19. Jahrhunderts kam ein weiterer, wichtiger Aspekt des Maifeiertages hinzu:
der politische Erste Mai. Zu dessen Ursprüngen zählt Horst Braun drei Thesen von
unterschiedlichen Fachleuten auf. Eric Foner, ein amerikanischer Historiker, meint, dass
diese Art des Ersten Mai aus den USA herstammt, während Déville und Giovanoli der
Ansicht sind, dass zwar das Datum aus den USA, die Idee an sich aber aus Frankreich
kommt. Schlussendlich vertritt Rossel die Auffassung, dass das „Bedürfnis nach einer
internationalen Manifestation im Herzen aller Revolutionäre verwurzelt“91 gewesenen
sein muss, bevor diese dann beschlossen wurde.92 So ganz scheint allerdings keine
dieser Theorien zu stimmen.
Die Presse, Historiker und die Arbeiterbewegung selbst haben oft versucht, den Ersten
Mai älter zu machen, als er ist. So schrieb die „Neue Zeit“, das theoretische Zentralor-
gan der deutschen Sozialdemokratie, dass „aus uralten, aber niemals völlig erloschenen
Empfindungen und Erinnerungen heraus die Wahl des proletarischen Festtags auf den
ersten Mai“93 gefallen sei. In anderen Berichten der Parteipresse wurde sogar bis in die
Antike zurückgegriffen, um, abgeleitet aus alten Frühlingsbräuchen, die Aktivitäten der
Arbeiterbewegung in eine „welt- und menschheitsgeschichtliche Sicht einzuordnen“94.
87 Vgl. Ossendorf 2006, S. 68. 88 Vgl. Wass-Frey 1984, S. 217 f. 89 Vgl. Moser 1985, S. 265. 90 Vgl. http://www.mainpost.de/regional/hassberge/Radiosender-klaut-den-Zeiler-Maibaum;art1726,5554228 (aufgerufen am 15.01.2012). 91 Verein zum Studium sozialer Bewegungen (Hg.): Hundert Jahre Erster Mai. Beiträge und Projekte zur Geschichte der Maifeiern in Deutschland. Ein Tagungsbericht. Berlin 1989, S. 11. 92 Vgl. Hundert Jahre Erster Mai 1989, S. 11. 93 Korff 1984, S. 246. 94 Ebd., S. 246.
25
Auch Ethnologen halfen, „kühne Kontinuitätsbasteleien“95 zur Geschichte des Ersten
Mai zu fabrizieren. Richard Weiß, der die Gedanken von damals in den 1940er Jahren
wieder aufgriff, ließ verlauten, dass „Gefühlsmomente, Gestaltungsformen und Brauch-
elemente der bäuerlichen Maifeier“96 sich im Arbeitermai wiederfinden, wobei er sich
weniger auf eine Kontinuität, sondern vielmehr auf eine „Wechselwirkung zwischen
volkstümlichem Frühlingsbrauch und Maifeier“97 stützte. Demgegenüber stehen Hans
Mosers durchaus nachvollziehbare Ausführungen mit der Kernaussage, dass die
Maibräuche, auf die sich diese Kontinuitätstheorien bezogen, nicht unbedingt dörflich-
agrarischen Hintergrund besaßen, sondern mitunter aus einem städtisch-zünftischen, ja
sogar höfisch-feudalen Umkreis hervorgingen. Nach Moser sind diese bäuerlichen
Maibräuche erst seit dem 15. Jahrhundert belegt, somit noch recht jung, und scheinen
zudem aus dem Bereich ständischer Organisationen importiert worden zu sein. Erst
durch die Romantik des 19. Jahrhunderts seien sie dem Bauerntum angedichtet wor-
den.98
Als gesichert kann gelten, dass der Erste Mai in Teilen Europas und den USA das Da-
tum für den traditionellen Gesindewechsel war, also der Tag, an dem neue Arbeitsver-
träge geschlossen wurden, womit meist ein Wohnungswechsel zusammenhing. Dies war
in den USA besser bekannt als Moving Day.99 Während des Moving Day, der beispiels-
weise in Wuppertal bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg praktiziert wurde, kam das
Elend, in dem Arbeiterfamilien meist leben mussten, zum Vorschein, was die liberal-
bürgerliche Presse regelmäßig dazu verwendete, zu massivem Wohnungsbau und ande-
ren sozialen Maßnahmen aufzurufen.100
Als die amerikanische Arbeiterbewegung für einen Acht-Stunden-Tag demonstrieren
wollte, wählte sie deshalb dafür den Ersten Mai als geeignetes Datum, da hier traditio-
nell Vertragsänderungen vorgenommen wurden101. Anfang Mai 1886 fanden sich etwa
40.000 Menschen in Chicago für einen Generalstreik ein, bei dem es am dritten Mai zu
Auseinandersetzungen mit der Polizei kam, welche den Tod von sechs Demonstranten
verursachten. Bei einer Protestkundgebung am darauffolgenden Tag wurde am Hay-
market Square eine Bombe gezündet, woraufhin Straßenschlachten ausbrachen. Das
Resultat waren elf Tote und hunderte Verletzte. Zudem wurden die Veranstalter der
Demonstration zum Tode verurteilt, vier dieser Urteile wurden per Strick vollzogen. Die
American Federation of Labor plante für den Ersten Mai 1890 einen neuen Versuch und 95 Korff 1984, S. 246. 96 Ebd., S. 248. 97 Ders.1979, S. 88. 98 Vgl. ders. 1984, S. 249. 99 Vgl. ders. 1979, S. 88. 100 Vgl. ders. 1984, S.274. 101 Vgl. ders. 1979, S. 88.
26
wandte sich deshalb an die europäische Arbeiterbewegung. Diese beschloss beim Grün-
dungskongress der Zweiten Internationalen am 14. Juli 1889 in Paris, dass im folgenden
Jahr weltweit für die Rechte der Arbeiter demonstriert werden sollte.102
Es ging hierbei nicht nur um die Durchsetzung eines Acht-Stunden-Tags, sondern auch
darum, dass die Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren, sowie die Nachtarbeit, bis
auf die Industriezweige, in denen der Betrieb auch nachts fortgeführt werden musste,
abgeschafft werden sollten. Darüber hinaus beinhalteten die Forderungen, Frauenarbeit
in den Bereichen, die „besonders schädlich (für den) Organismus der Frau“103 waren, zu
untersagen und auch gleiche Löhne für Männer und Frauen einzuführen.104
Der dritte Absatz der Kundgebung vom 14. Juli 1889 wurde auf Anraten Liebknechts
und Bebels hinzugefügt und besagt, dass jedes Land selbst über die Art und Weise, wie
es den proletarischen Ersten Mai begehen will, entscheiden soll. Dies hatte den Hinter-
grund, dass zu dem Zeitpunkt des Kongresses in Deutschland noch immer das Sozialis-
tengesetz existierte, welches die meisten Aktivitäten der Sozialdemokratie bis auf ein
Minimum verbot, und es so nicht möglich war, weltweit einheitliche Formen für den
Arbeitermai festzulegen. Letzterer wurde also einmalig für den Ersten Mai 1890 geplant
und sollte international gleichzeitig stattfinden, wobei das Abhalten eines Generalstreiks
von vornherein ausgeschlossen wurde. In Deutschland wurden am Ersten Mai 1890
Petitionsformulare mit den Pariser Forderungen gedruckt und sowohl an die Presse, als
auch den Reichstag weitergeleitet, sowie Unterschriften für die Petition gesammelt.105
Entgegen den in Paris getroffenen Beschlüssen sprach der Sozialdemokrat, eine illegale
Zeitung der deutschen Sozialdemokratie, bereits am 26.04.1890 vom Ersten Mai als
einem „Festtag der Arbeiter“, der „von Jahr zu Jahr bessere Früchte tragen“ würde106.
Tatsächlich wurde von da an jährlich der Erste Mai auch als Tag der Arbeiterbewegung
durch diese begangen.
Obwohl das Sozialistengesetz zum 01.10.1890 auslief, blieben den Unternehmern zahl-
reiche Druckmittel, um ihre Arbeitskräfte von der Teilnahme an den Maifeiern abzuhal-
ten. Neben der Konsequenz des Aussperrens oder schlichtweg der Entlassung führten
sie mitunter „schwarze Listen“, durch die Betriebsleiter sich gegenseitig mitteilen konn-
ten, wer sich nicht gefügig verhielt. Auch stellte der Eintrag „Entlassen am zweiten
102 Vgl. Pichler, Heinz Stefan (Hg.): 1. Mai – 120 Jahre 1. Mai in Kärnten. Ausstellung zum Kampftag der Arbeiterschaft. Ausstellungskatalog. Klagenfurt 2010, S. 4. 103 Becher/Schmidt 1991, S. 19. 104 Vgl. ebd., S. 19. 105 Vgl. Hundert Jahre Erster Mai 1989, S. 12 ff. 106 Ebd., S. 15.
27
Mai“ im Arbeitsbuch des Angestellten eine Warnung an nächste potentielle Arbeitgeber
dar, was es für den Arbeiter schwierig machte, überhaupt wieder Arbeit zu finden.107
Die bürgerliche Presse schürte noch vor der ersten proletarischen Maiveranstaltung die
Ängste vor gewalttätigen Eskalationen. Heinz Stefan Pichler schreibt, dass der Erste
Mai 1890 in Wien „von einer Atmosphäre geprägt (war), die an bürgerkriegsähnliche
Zustände erinnerte“108. Aufgrund von „Horror-Szenarien“109, die von den Zeitungen
verbreitet wurden, tätigte die restliche Bevölkerung Hamster-Einkäufe und leerte sogar
ihre Bankkonten. Entgegen der schlimmsten Befürchtungen verlief der Erste Mai aber
überaus friedlich und diszipliniert von Seiten der Arbeiterbewegung. 110 Drastische
Aktionen wie eine allgemeine Arbeitsniederlegung waren auch von den meisten Arbei-
tern unerwünscht, vor allem deshalb, weil sie befürchteten, ihre Anstellung aufgrund
der ungünstigen ökonomischen Lage dieser Zeit umso leichter verlieren zu können. So
wurde beim internationalen Brüsseler Kongress im Jahr 1891 beschlossen, dass eine
Arbeitsruhe nur dort abgehalten werden solle, wo sie „ohne Schädigung der Arbeiterin-
teressen“111 möglich war. Vor allem die Gewerkschaften wollten ihre Ziele bevorzugt
über das Parlament erreichen und sahen dieses Vorhaben durch einen Streik gefähr-
det.112
Wilhelm Liebknecht wies 1893 bei einem SPD-Parteitag darauf hin, dass in Paris in
keiner Weise von der Niederlegung der Arbeit die Rede gewesen sei. Dieses Missver-
ständnis rühre von der Tatsache her, dass das deutsche Wort „feiern“ oder „Feier“ eine
doppelte Bedeutung habe, weswegen in Deutschland rasch Rufe nach einem „Feier-
tag“ im Sinne eines freien Tages laut wurden. Besagte Forderung fassten viele Unter-
nehmer und auch der Staat als Provokation, ja sogar als offene Kampfansage auf, die
mitunter als Revolutions- und Umsturzversuch gedeutet wurde und die Gründung von
Arbeitgeberverbänden und die Mobilisierung des Militärs am Ersten Mai zur Folge
hatte.113 Hier darf nicht vergessen werden, dass es nicht einmal solch drastischer Mittel
wie dem Streik bedurfte, um als Arbeitnehmer in Schwierigkeiten zu geraten. „Selbst
die in der bürgerlichen Presse belächelten Waldspaziergänge, Kaffeekränzchen und
Liederfeste“ hatten, so Korff, „klassenkämpferische Kontur“114, für die ein Arbeiter
seine Stelle verlieren konnte. Hierbei ging es um die Erschaffung einer „Alternativkul-
107 Vgl. Achten, Udo (Hg.): Zum Lichte empor. Mai-Festzeitungen der Sozialdemokratie 1891-1914. Berlin/Bonn 1980, S. 20. 108 Pichler 2010, S. 5. 109 Ebd., S. 5. 110 Vgl. ebd., S. 5 f. 111 Hundert Jahre Erster Mai 1989, S. 22. 112 Vgl. ebd., S. 17 ff. 113 Vgl. Achten 1980, S. 11. 114 Korff 1979, S. 89.
28
tur“115, um so kulturellen Bedürfnissen nachzugehen und „wenigstens an einem Tag im
Jahre (…) Herr über (die eigene) Arbeitskraft (zu) sein“116, wie ein Berliner Delegierter
1903 auf dem Dresdener Parteitag verlauten ließ. Zu dem Kampf um den Acht-Stunden-
Tag gehörte also zugleich der Kampf um einen „Möglichkeitsraum für Kultur, Bildung,
Selbstverwirklichung“117, der einen Gegenpol zum grauen Fabrikalltag schaffen sollte.
Dies erklärt auch die, wie Korff sie nennt, naturnahen Rituale, wie die bereits erwähnten
Waldspaziergänge, Ausflugsfahrten und die Treffen in Gartenwirtschaften, die am
Ersten Mai oft unternommen wurden.118 Der Arbeiterbewegung war es hierbei wichtig,
dass ihre Veranstaltungen unter dem Banner der „kulturellen Desintegration“119 standen.
Ziel war, eigene Kulturformen zu entwickeln, anstatt andere zu imitieren, wofür sich der
Erste Mai als jährlich neu erfundener, selbst geschaffener „Gegenfeiertag(s) zum bür-
gerlichen und kirchlichen Festtagsprogramm der Kaiserzeit“120 anbot.
Im Zuge der Revolution von 1918/19 und der Ausrufung der Weimarer Republik war es
möglich, dass Vertreter der Arbeiterbewegung Regierungsfunktionen übernehmen und
den Ersten Mai zum gesetzlichen Feiertag erklären konnten. Allerdings setzte sich
dieser nicht durch und wurde teilweise nur auf Länderebene gesetzlich anerkannt, zu-
dem meist um 1924 wieder abgeschafft. Gründe hierfür waren, dass er nicht für die
gesamte Bevölkerung einen Feiertag darstellte und neben wirtschaftlichen Verlusten,
die sich Deutschland in diesen Jahren kaum leisten konnte, auch eine ungerechte wirt-
schaftliche Konkurrenz zwischen den einzelnen Bundesländern mit sich brachte, da der
Tag ja nicht überall arbeitsfrei war.121 Erschwerend kam hinzu, dass durch den Ersten
Weltkrieg die deutsche Arbeiterbewegung auseinandergerissen war, da sich die SPD für
die Nation und somit gegen weitere Maikundgebungen und Lohnforderungen gestellt
hatte, während die Anhänger des Spartakusbundes, der späteren KPD, gegen den Krieg
eintraten und seit 1916 auch wieder zu Streiks und Maidemonstrationen aufrief. Resul-
tat dieser Spaltung war, dass in den darauffolgenden Jahren die Kommunisten den
Kampfescharakter des Ersten Mai, die Sozialdemokraten dagegen den Festtag beton-
ten.122
Den traurigen Höhepunkt der inneren Auseinandersetzungen bildete der so genannte
Blutmai von 1929. Die wirtschaftliche Situation in Deutschland dieser Zeit war mehr als
115 Korff 1979, S. 90. 116 Ebd., S. 97: ”wenigstens an einem Tag im Jahre der Arbeiter Herr über seine Arbeitskraft sein soll”. 117 Ders. 1984, S. 89. 118 Vgl. ebd., S. 89 f. 119 Ders. 1979, S. 97. 120 Ebd., S. 97. 121 Vgl. Hundert Jahre Erster Mai 1989, S. 24 ff. 122 Vgl. DGB-Region Bamberg Forchheim: Die Entstehung des Weltfeiertags der Arbeit. Warum ist der Erste Mai ein Feiertag? Bamberg [o.A.], S. 5.
29
schwierig, im Winter 1928/29 waren über drei Millionen Menschen ohne Arbeit. So
kam es im Zuge der Maidemonstration am 03. Mai 1929 in Berlin zu Unruhen und
blutigen Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten, die trotz Verbot demonstrieren
wollten, und Sozialdemokraten, die den Staatsapparat bildeten. Bei diesen Kämpfen, die
vor allem in Arbeitervierteln wie Wedding und Neukölln ausgetragen wurden, fanden
insgesamt 32 Menschen den Tod, die meisten Opfer waren Unbeteiligte. Über den
genauen Ablauf der Ereignisse existieren widersprüchliche, verzerrte Berichte in den
Polizeiakten und Zeitungen. Als Folge des Blutmais wurde der Rotfrontkämpferbund,
ein kommunistischer Wehrverband, aufgelöst, während die SA und andere Rechtsver-
bände bestehen blieben. Dass sich die Kluft zwischen Kommunisten und Sozialdemo-
kraten durch diese Vorfälle noch vergrößert hatte, konnte nur den Nationalsozialisten in
die Hände spielen, die bereits einige Tage später die ersten großen Wahlsiege davon
trugen.123
Als Adolf Hitler Ende Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, waren seine
ersten Handlungen unter anderem ein Demonstrationsverbot zu erlassen, sowie die
Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit aufzuheben. Im April 1933 rief der Allge-
meine Deutsche Gewerkschaftsbund dazu auf, an der nationalsozialistischen Maifeier
teilzunehmen.124 Der „Tag der nationalen Arbeit“ stellte „sowohl einen Bruch, als auch
eine Fortführung“125 der Maifeier dar, da zwar einerseits der Arbeiter durch die natio-
nalsozialistische Maifeier in das NS-System integriert werden sollte, aber andererseits
versucht wurde, die Tradition, die diesem Tag anhaftete, zu zerstören. Ersichtlich wird
diese Entwicklung auch an der Wiederverwendung einiger Symbole der Arbeiterbewe-
gung, wie beispielsweise des Hammers und der Sichel, welche für die Industrie-, bezie-
hungsweise Landarbeiter stehen. Diese beiden Symbole wurden auf der offiziellen
Maiplakette von 1934 mit dem Kopf Goethes, der die Geistesarbeiter vertreten sollte,
sowie dem Reichsadler samt Hakenkreuz ergänzt, was einer klaren Umdeutung der
klassischen Symbolik gleichkommt126. Am 28. Februar 1934 erhielt der „Tag der natio-
nalen Arbeit“ eine neue Bezeichnung und mit ihr eine neue Bedeutung. Fortan lautete er
„Nationaler Feiertag des deutschen Volkes“, was jegliche Verbindung zur Arbeiterbe-
wegung negierte und darüber hinaus den nationalen, nicht internationalen Aspekt des
Feiertages betonte127.
123 Vgl. Hundert Jahre Erster Mai 1989, S. 43. 124 Vgl. Schweizer, Karl: 100 Jahre Erster Mai in Lindau. Lindau 1990, S. 45. 125 Hundert Jahre Erster Mai 1989, S. 96. 126 Rucht, Dieter (Hg.): Berlin, 1. Mai 2002. Politische Demonstrationsrituale. Opladen 2003, S. 105. 127 Vgl. Hundert Jahre Erster Mai 1989, S. 27.
30
Damit hängt auch das Zurückgreifen auf den Maibaum als „Heilszeichen des Vol-
kes“ und „kultischer Mittelpunkt des gesamten Volksbundes“128 zusammen, was sich
darin zeigt, dass Hitler 1934 den bis dahin größten Maibaum der Welt in Berlin ein-
weihte und in den folgenden Jahren eine regelrechte Maibaum-Inflation in ganz
Deutschland auftrat 129 . Die Nationalsozialisten formten den Ersten Mai zu einem
deutsch-nationalen Großereignis um, dessen Herzstück, der Sternenmarsch durch Berlin
zum Tempelhofer Feld, wo Hitler abends eine Rede hielt, bereits 1933 zum ersten Mal
durch den Rundfunk deutschlandweit ausgestrahlt wurde. Hakenkreuzfahnen und uni-
formierte Marschkolonnen beherrschten die Straßen, wobei der Erste Mai auch als Tag
für die ganze Familie deklariert wurde. Wie bereits erwähnt, wurde vielerorts ein Mai-
baum aufgestellt, Trachten der verschiedenen Regionen Deutschlands getragen und
abends ein großes Feuerwerk abgehalten. 1934 kam ein großer, folkloristischer Umzug
zum Repertoire der nationalsozialistischen Maifeier hinzu, der mit Maiengrün und weiß
gekleideten Mädchen mit Blumenkränzen im Haar einen Bezug zur erwachenden Natur
herstellte.130 Der proletarisch-sozialistische Hintergrund war mit der Machtübernahme
der Nationalsozialisten aus dem Festgeschehen folglich verschwunden.
Während des Zweiten Weltkrieges fanden die Maifeiern zunächst in Sälen statt, bevor
sie schließlich 1943 vorerst ganz eingestellt wurden131. Bereits am Ersten Mai 1945
gaben kommunistische Gruppierungen in Berlin eine Zeitung namens „Der rote Os-
ten“ heraus und hielten vereinzelt kleinere Maifeiern ab, bei denen sie zur Einheit der
deutschen Arbeiterklasse und der Zusammenarbeit aller antifaschistischen Kräfte aufrie-
fen. Die meisten Bewohner Berlins aber versanken in ihrer Not und hatten in den letzten
Tagen des Krieges anderes im Sinn, als an einer Maifeier teilzunehmen.132
Die Maidemonstrationen der BRD und der DDR waren, wie Korff passend ausdrückt,
geprägt von einem „Eiertanz zwischen Symbolabstinenz und Symbolhypertrophie“, von
„offizielle(r) Staatsliturgie dort, versickernde(m) proletarische(n) Traditionalismus
hier“133. Während in der DDR ein „aufwändig arrangierter Staatsfeiertag“134 inszeniert
wurde, der allerdings schon bald erstarrt und routiniert wirkte, kam es in Westberlin zu
antikommunistischen Kundgebungen, die bis Mitte der 1960er Jahre mit bis zu einer
halben Millionen Teilnehmer vor dem Reichstag gut besucht waren. Allerdings zeichne-
ten sich schon bald rückläufige Teilnehmerzahlen ab, was die IG Metall 1959 dazu
bewegte, zu hinterfragen, ob die Maifeiern denn noch zeitgemäß seien, zumal die Kern- 128 Hundert Jahre Erster Mai 1989, S. 98. 129 Vgl. Moser 1985, S. 249. 130 Vgl. Hundert Jahre Erster Mai 1989, S. 61ff. 131 Vgl. ebd., S. 58. 132 Vgl. ebd., S. 80 ff. 133 Ebd., S. 99. 134 Ebd., S. 99.
31
forderung nach dem Acht-Stunden-Tag doch bereits erreicht sei. Durch die aufkom-
mende Studentenbewegung der 1960er Jahre wurde der Maitag jedoch zeitweilig wie-
derbelebt.135
Die Ausbildung des proletarischen Ersten Mai hing, wie gezeigt wurde, in gewisser
Weise mit den überlieferten Frühjahrsbräuchen zusammen, hatte sich aber zu einer
völlig selbständigen Art der Feierlichkeit entwickelt. Eine Gemeinsamkeit blieb, näm-
lich dass die Maifeiern nie in „kirchlich-religiöse Bezüge eingebunden“136 waren, abge-
sehen von dem Versuch Papst Pius’ XII. im Jahre 1955, diesen Tag zum Gedenktag
„Josephs, des Arbeiters“ zu erklären. Obwohl dies weitgehend ohne größere Effekte
blieb, hatte es doch zur Folge, dass eine allgemeine Aufwertung des Heiligen Joseph
stattfand, sodass er beispielsweise zum Patron der neu gegründeten katholischen Arbei-
ter- und Gesellenvereine, sowie zum Landespatron von vier österreichischen Bundes-
ländern ernannt wurde137. Eine Beeinflussung des allgemeinen Begehens des Maitages
hatte dies aber nicht zur Folge. Durch das „Fehlen zentraldirigistischer Mechanis-
men“138, die kirchliche Feiertage oft formen, konnte der Erste Mai im Laufe seiner
Geschichte immer wieder umgedeutet und neu ausgestaltet werden. Neben dörflichen
Traditionen und dem Arbeitermai entwickelte auch das Bürgertum im 19. Jahrhundert
eigene Maitagsbräuche, wie zum Beispiel den Pratergang, also einem Maispaziergang,
in Wien.139
Heute sind die Maifeiern in Deutschland, aber auch in Österreich von vergleichsweise
geringen Teilnehmerzahlen geprägt. Von der Schweiz schreibt Paul Hugger, dass auf-
grund des „soziale(n) Friede(ns) und allgemeine(n) Wohlstand(s), den die Schweiz seit
Jahrzehnten kennt“140, ein regelrechtes Desinteresse an der politischen Maifeier herr-
sche, was anhand der dürftigen Teilnehmerzahlen und des Raumes, den diese Aktivitä-
ten in der Presse einnehmen, abzulesen sei. Ähnliches dürfte den Teilnehmerschwund
bei den Maifeiern in Deutschland verursachen, wobei sowohl von dort, als auch von der
Schweiz und Österreich beschrieben wird, dass es vor allem ausländische Gruppierun-
gen sind, die die Kundgebungen und Umzüge am Ersten Mai beleben und ihnen neuen
135 Vgl. Hundert Jahre Erster Mai 1989, S. 99 f. 136 Korff 1984, S. 250. 137 Vgl. Schindler Margot: Der andere 1. Mai. Der sozialdemokratische Tag der Arbeit und die Formie-rung anderer Maifesttraditionen. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, Wien 2010, S. 274. 138 Korff 1984, S. 250. 139 Vgl. ebd., S. 250. 140Kaschuba, Wolfgang/Korff, Gottfried/Bernd, Jürgen (Hg.): Arbeiterkultur seit 1945 – Ende oder Veränderung? 5. Tagung der Kommission „Arbeiterkultur“ in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde vom 30. April bis zum 4. Mai 1989 in Tübingen. Tübingen 1991, S. 301.
32
Sinn geben. Für diese stellen die Maifeiern oft das „einzige medien- und publikums-
wirksame Mittel“141 dar, um ihre Forderungen und Anliegen zu artikulieren. So weisen
sie beispielsweise hier auf die Missachtung der Menschenrechte in ihrer Heimat hin und
appellieren an Solidarität142
Während die gewöhnliche Maifeier meist nur wenig Medienecho hervorruft, erntet der
„Revolutionäre Erste Mai“ in Berlin Kreuzberg regelmäßig umso mehr Aufmerksamkeit.
Die Ursprünge dieser speziellen Aktivität zum Ersten Mai liegen im Jahr 1987, als es
zwischen der Polizei und zahlreichen Anwohnern zu „unerwartete(n) Ausschreitungen
in Kreuzberg“143 kam. Als 1987 die Hausbesetzerbewegung in Westberlin zerfiel, über-
lebte die Autonome als eigene, politische Richtung, die allerdings aus vielen kleineren
Gruppierungen ohne Gruppendynamik bestand. Da damals in Kreuzberg unter den
Jugendlichen eine hohe Arbeitslosenquote herrschte, „explodierte dieses Gemisch aus
Frustration, Wut und Armut im Kiez-Aufstand von 1987“144. Hintergrund war eine
Razzia in einem Volkszählungsboykott-Büro am Vortag und eine durch die Polizei
verhinderte, spontane Demonstration gegen diese Razzia. Während der darauf erfolgten
Ausschreitungen kam es zu Straßenschlachten mit der Polizei und großflächigen Sach-
beschädigungen, an denen Anwohner aller Altersgruppen beteiligt waren.145 Im darauf-
folgenden Jahr wurden unter dem Motto „Heraus zum Revolutionären Ersten
Mai“ geschätzte 8000 Menschen für eine Demonstration mobilisiert. Bis auf kleinere
Auseinandersetzungen am Heinrichsplatz verliefen die Kundgebung und auch das Kiez-
Fest am Lausitzer Platz 1988 friedlich. Laut dem Pseudonym Geronimo, dem Verfasser
von „Glut & Asche. Reflexionen zur Politik der autonomen Bewegung“146, unternah-
men die Polizei und Spezialkräfte eine regelrechte „Strafexpedition“147 gegen die Teil-
nehmer, die oft lediglich Besucher des Kiez-Festes waren, und übten durch Gewaltan-
wendung Rache für die Ereignisse des Vorjahres. Dies hatte Krawalle mit einer Beteili-
gung von etwa 300 bis 400 Menschen zur Folge, von denen es sich bei einem Großteil
um Jugendliche und Auswärtige handelte. Von da an nahm der Revolutionäre Erste Mai
jährlich einen ähnlichen Verlauf, der aus einer Demonstration, einem anschließenden
Fest und danach erfolgenden Ausschreitungen besteht.148
141 Kaschuba 1991, S. 301. 142 Vgl. ebd., S. 294 ff. 143 Rucht 2003, S. 25. 144 Ebd., S. 57. 145 Vgl. ebd., S. 57 f. 146 Geronimo: Glut & Asche. Reflexionen zur Politik der autonomen Bewegung. Unrast, Münster 1997. Dieses Buch wurde nicht für die vorliegende Arbeit verwendet. 147 Rucht 2003, S. 59. 148 Vgl. ebd., S. 59 f.
33
In Folge innerer Konflikte zwischen dem undogmatischen, autonomen Spektrum und
marxistisch-leninistischen Linksradikalen wurde 1996 erstmals zwei Demonstrationen
zum Revolutionären Ersten Mai organisiert. Im Jahr 2001 erfolgte ein Gründungsaufruf
eines Personenbündnisses für einen politischen Ersten Mai ohne Polizeianwesenheit,
das stattdessen zahlreiche politische und kulturelle Veranstaltungen im Bezirk Kreuz-
berg abhalten, sowie zu Diskussionen innerhalb der linken Bewegung anregen wollte.
Die meisten linken Gruppierungen sahen das Personenbündnis jedoch als „bürgerliches
und reformistisches Staatsinterventions- (oder) Befriedigungsprojekt“149 an und so war
die Antifaschistische Aktion Berlin, kurz AAB, die einzige, die regelmäßig an den
stattfindenden Treffen teilnahm. Die AAB wurde deshalb von den anderen linken
Gruppierungen als Verräterin angesehen, weswegen letztere unter den Namen „Auto-
nomes und Linksradikales 1. Mai Bündnis“ zu einer dritten Revolutionären Ersten
Maidemonstration aufriefen, die seitdem um 16 Uhr stattfindet. Gemäß den teilnehmen-
den Beobachtungen von 2002 gab es um dreizehn Uhr zudem eine Kundgebung des
Ersten-Mai-Bündnisses, was die Revolutionären Kommunisten, die marxistisch-
leninistischen Linksradikalen, sowie die maoistischen Kleingruppen mit einschloss.
Daneben wurde um 18 Uhr die traditionelle Demonstration zum Revolutionären Ersten
Mai von der AAB und der FelS (Für eine linke Strömung) abgehalten. Jede dieser
Kundgebungen bestand im Jahr 2002 aus etwa 1000 Teilnehmern und verlief soweit
friedlich. Erst nach Ende der letzten Demonstration kam es zu Auseinandersetzungen
mit der Polizei und Sachbeschädigungen.150
Die gewerkschaftliche Maidemonstration in Berlin hatte ihren Höhepunkt an Teilneh-
merzahlen in den 1960er Jahren, heute sind es in der Regel gut 10.000 Personen, die
jährlich zu einer durchorganisierten Kundgebung zusammen kommen. Hier findet sich
ein „Nebeneinander von gewerkschaftlichen und linksradikalen Demonstranten“ 151 ,
wobei die verschiedenen linken Gruppen einander nicht in die Quere geraten. Offenbar
wird hier „Toleranz bis hin zu einem postmodernen >anything goes<“152 geübt. Wäh-
rend zu Beginn des 20. Jahrhunderts der gesellige Part in der Regel räumlich und zeit-
lich von den politischen Kundgebungen getrennt war, finden sich heute Essensstände,
Biertische und andere kommerzielle Buden in direkter Nähe der Rednertribüne. Dies hat
zur Folge, dass viele Teilnehmer dazu neigen, dem eigentlichen Hauptakt, also den
politischen Reden, weniger Aufmerksamkeit zu schenken als dem fröhlichen Miteinan-
149 Rucht 2003, S. 62. 150 Vgl. ebd., S. 62 ff. 151 Ebd., S. 46. 152 Ebd., S. 47.
34
der. Hier scheint also eine Entwicklung zu ungunsten der Politik, hin zu einem „mit
politischen Elementen durchsetzten Jahrmarkt“153 stattzufinden.
Seit 1996 existiert eine weitere Kundgebung, die, wie auch der Revolutionäre Erste Mai,
regelmäßig die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zieht, nämlich die der NPD. Da-
mals erfolgte unter Leitung des neu gewählten NPD-Vorsitzenden Udo Voigt eine
„Neuorientierung an drei Fronten“, die sich in die Schlacht um die Köpfe (Stichwort:
Programmatik), die Schlacht um die Wähler (Stichwort: Wahlteilnahme) und die
Schlacht um die Straße (Stichwort: Massenmobilisierung) aufteilte. Als Folge daraus
ging die NPD vermehrt auf die Straße, so auch 1996 in Berlin-Marzahn, vertreten durch
die NPD-Jugendorganisation Junge Nationale. Der Ursprung dieser Mai-Demonstration
liegt, wie zu erwarten ist, nicht im Jahr 1889, sondern 1933, als Hitler den Tag zum
„Feiertag der nationalen Arbeit“ erklärte. 2002 demonstrierte die NPD im Berliner
Stadtteil Hohenschönhausen mit etwa 500 bis 550, später circa 750 Teilnehmern, die
während der gesamten Dauer der Kundgebung zu ihrem eigenen Schutz vor Gegende-
monstranten von 1.900 Polizisten eingekesselt waren.
In einem Telefonat mit dem Stab des Präsidenten der Polizei Berlin wurde mir mitge-
teilt, dass die Aktivitäten am Ersten Mai in Berlin heute noch vielgestaltig sind. Neben
der Kundgebung der Gewerkschaften am Vormittag existiert weiterhin der Revolutionä-
re Erste Mai um 18 Uhr, der zeitweise nicht nur in Kreuzberg, sondern auch im Bezirk
Prenzlauer Berg stattgefunden hat. Teilweise gäbe es daneben auch noch Kundgebun-
gen von Links oder Rechts, die aber nicht jedes Jahr stattfänden. Seit 2003 wird ein
Maifest in Kreuzberg organisiert, das multikulturell ausgerichtet ist und die Probleme
des Kiez thematisiert, also ebenfalls politisch geprägt ist.
Nach Aussagen des Polizeisprechers haben die Teilnehmerzahlen der gewerkschaftli-
chen Kundgebung auch in den letzten Jahren weiterhin abgenommen, wohingegen die
Größe des Maifestes und des Revolutionären Ersten Mai stabil geblieben ist. Was
glücklicherweise weniger wurde, sind die Sach- und Personenschäden am Revolutionä-
ren Ersten Mai. Während der eigentlichen Versammlung fänden demnach kaum Aus-
schreitungen statt und auch danach sei die Zahl der durch Randale verursachten Schä-
den seit 2000 deutlich zurückgegangen154.
Gerade in Anbetracht der steten Teilnehmerzahlen beim Maifest in Kreuzberg lässt sich
vermuten, dass es nicht zwangsläufig an einer Bereitschaft, politisch aktiv zu werden,
153 Rucht 2003, S. 50. 154 Abteilung „PPR Stab 11“, Telefonat durchgeführt am 19.01.2012.
35
mangelt, sondern es zumindest die Bewohner von Kreuzberg vorziehen, lokal etwas zu
bewegen, als bei den großen, althergebrachten Demonstrationen mitzulaufen.
2.3 Zwischenbilanz
Der genaue Zeitpunkt, wann das Maifest in Deutschland zum ersten Mal gefeiert wurde,
lässt sich nicht genau feststellen, auch wenn verschiedentlich auf altgermanische, ja
mitunter sogar antike Frühlingsbräuche verwiesen wurde. Was sich dagegen durch
Urkunden, Rechnungsbücher und bildliche Darstellungen tatsächlich zeitlich bestimmen
lässt, sind die diversen Maibräuche wie der des Maigrafenfestes und des Mailehens,
wobei die Ursprünge des Maibaumaufstellens nur zu erahnen sind.
Diese Bräuche dienten unterschiedlichen Zwecken. Der gewählte Maigraf steht wohl in
Verbindung mit mittelalterlichen Heerschauen und Mairitten, denen sich gewöhnlich
große Festlichkeiten anschlossen. Diese zu finanzieren hatte der Maigraf zur Aufgabe.
Die in dem Zusammenhang abgehaltenen Kämpfe zwischen Winter und Sommer, be-
ziehungsweise auch symbolhaften Frühlingseinzügen, finden mitunter heute noch statt.
Das Maibaumaufstellen konnte unterschiedliche Ursachen haben, wobei vor allem der
Ortsmaibaum und der Liebesmaibaum zu nennen sind. Letztere fanden auch beim rhei-
nischen Mailehen Verwendung, im Zuge dessen die ledigen Mädchen eines Ortes als
Tanzpartner auf Zeit unter den Junggesellen versteigert wurden.
Den Tag des Gesindewechsels, der stets am Ersten Mai vollzogen wurde und bei dem
aufgrund neuer Arbeitsverträge meist auch in andere Wohnungen gezogen werden
mussten, nahm die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts zum Anlass, an diesem
Datum für ihre Rechte zu demonstrieren. Obwohl es ursprünglich nur einmalig geplant
war, entwickelte sich dies zu einer beinahe ununterbrochenen jährlichen Tradition, die
allerdings in den letzten Jahrzehnten immer weniger genutzt wurde.
Daraus erfolgt eine thematische Aufteilung der Aktivitäten am Ersten Mai in „Volks-
bräuche“ und politischen Kundgebungen; eine Aufteilung, die Ende des 19. Jahrhun-
derts ihren Anfang nahm und bis zum heutigen Tage anhält.
36
3 Valborg und Vappu – Der Erste Mai in Finnland
Dieses Kapitel ist das Kernstück der vorliegenden Arbeit. Hier wird der Erste Mai, wie
er in Finnland begangen wird, beschrieben. Nach einem historischen Überblick, bei dem
ländliche und städtische Bräuche vorgestellt werden, folgt die Auswertung der von mir
durchgeführten Interviews. Mit Hilfe derer soll die Bedeutung Vappus herausgestellt
werden; es wird gezeigt, wie die Befragten den Tag in ihrer Kindheit feierten und wie
sie es heute tun, welche Elemente dabei besonders wichtig sind und welche keinerlei
Bedeutung besitzen. Zusammen mit der von mir durchgeführten teilnehmenden Beo-
bachtung im Jahre 2011 wird der genaue Ablauf eines Vappus dargestellt, bevor als
Abschluss vereinzelte Brauchelemente herausgegriffen und genauer erläutert werden.
3.1 Geschichte des Ersten Mai in Finnland
Wann genau die Feiern zum Ersten Mai erstmals stattfanden, lässt sich für Finnland
ebenso wenig sagen wie für Deutschland, obwohl einem Artikel in der Zeitung Öster-
bottningen zufolge das erste Walpurgisfest für Finnland 1344 bezeugt sein soll155. Mit
Sicherheit aber hat es wohl schon lange Feste zum Frühlingsanfang gegeben, jedoch
dürften diese nicht zeitlich festgelegt gewesen sein. Vielmehr scheint es plausibel, dass
sich deren Begehen, wie auch in Deutschland, von Region zu Region unterschied, je
nachdem, wo der Frühling zuerst sichtbar wurde. In den Gegenden, wo die Frühjahrsar-
beit aufgrund klimatischer Bedingungen bereits früh abgeschlossen war, legte die Be-
völkerung den „wichtigsten Fest- und Merktag des Sommerhalbjahres auf den Ersten
Mai“156, wohingegen dort, wo der Frühling länger auf sich warten ließ und die Arbeit
des Felderbestellens demnach später zu Ende ging, hierfür der „nächstliegende(n) kirch-
liche(n) Feiertag, de(r) Tag Johannis des Täufers“157 gewählt wurde. Wie das Begehen
dieses Tages aussehen konnte, wird in Kapitel 3.1.1.2 erläutert.
Die Bezeichnungen Valborg (Schwedisch) oder Vappu (Finnisch) gehen auf die Heilige
Walpurgis zurück, deren Geschichte bereits in Kapitel 2.1 erläutert wurde. Finnland, das
wohl im 11. Jahrhundert mit dem Christentum in Berührung kam, wurde durch Kreuz-
züge ins schwedische Reich eingegliedert und um 1239, sowie 1295 zu einem Uppsala
unterstehenden Suffraganbistum. Aus der Zeit vor der Reformation Finnlands im Jahre
1593 existieren einige Urkunden, in denen der Tag der Heiligen Walpurgis zur Urkun-
dendatierung herangezogen wurde.158
155 Vgl. Österbottningen, 28.04.1992. 156 Fossenius, Mai: Majgren Majträd Majstång. En etnologisk – kulturhistorisk studie. Lund 1951, S. 332. 157 Ebd., S. 332. 158 Holzbauer 1972, S. 68 f.
37
Darüber hinaus fanden im Mittelalter an diesem Tag die Neuwahlen der Gildenvorste-
her, sowie des Verwaltungsrates einer Stadt statt159. Laut Mai Fossenius sollen hier auch
Musterungen und Übungen der „waffenfähigen Mannschaften“160 abgehalten worden
sein, in deren Zusammenhang er auch das Maigrafenfest sieht.161 Zum Anlass dieses
innerhalb Europas weit verbreiteten Festes wurde der Kampf zwischen Winter und
Sommer symbolisch ausgetragen, was, wie in Kapitel 2.1 bereits aufgezeigt, auch Teil
der deutschen Maifesttradition war. Ein erwählter Maigraf trat gegen den „zottigen
Winter“162 in einer Art Turnier an und trug selbstverständlich den Sieg davon. Ein
Beleg hierfür ist eine Urkunde, die besagt, dass in Turku im Jahre 1557 Herzog Juhana
zum Maigraf erwählt wurde; der conflictus veris et hiemis wird wahrscheinlich in der
Nähe der Burg von Turku stattgefunden haben.163 Der Posten des Maigrafen muss auch
in Finnland mit einer großen finanziellen Belastung verbunden gewesen sein, da sich
nach den in niederdeutschen und südskandinavischen Städten stattfindenden Mairitten
zumindest in der Zeit von 1400 bis 1600 in der Regel ein großes Fest anschloss, wel-
ches der Maigraf zu finanzieren hatte. Dietz-Rüdiger Moser unterstreicht diesbezüglich,
dass es sich hierbei um einen weltlich-bürgerlichen Rechtstermin und kein religiöses
Fest handelte.164
Von den arbeitsfreien Festen und Feiertagen Finnlands sind nur der Erste Mai und der
finnische Unabhängigkeitstag nicht-kirchlichen Ursprungs, obwohl sich hinter ersterem
auch der Festtag der Heiligen Walpurga verbirgt165. Hiervon blieb aber nur der Name
als Referenz zum kirchlichen Hintergrund, zumal es laut Fossenius wohl schon vor
christlicher Zeit „ältere Festbräuche“166 zum Frühlingsanfang gegeben hat, an deren
Tradition der Walpurgistag angeknüpft wurde.
Wie sich die Feierlichkeiten zum Ersten Mai auf dem Land bzw. in der Stadt entwickel-
ten und wie genau sie begangen wurden, soll im Folgenden dargestellt werden.
3.1.1 Der Erste Mai auf dem Land
Den kirchlichen Hintergrund Vappus kann man allenfalls daran erkennen, dass es für
diesen Tag Arbeitsverbote gab, wie zum Beispiel: „An Walpurgis darf nicht gefischt
werden, sonst büsst [sic!] man sein Fischglück ein.“, „In eine am Walpurgistag ge-
159 Vgl. Åbo Underrätelser, 01.05.1993. 160 Fossenius 1951, S. 319. 161 Vgl. ebd., S. 317 ff. 162 Vilkuna 1969, S. 136. 163 Vgl. ebd., S. 136. 164 Vgl. Moser, Dietz-Rüdiger: Bräuche und Feste durch das ganze Jahr. Gepflogenheiten der Gegenwart in kulturgeschichtlichen Zusammenhängen. Freiburg/Basel/Wien 2002, S. 172. 165 Vgl. Alho, Olli (Hg.): Kulturlexikon Finnland. 2. Aufl. Helsinki 1999, S. 160. 166 Fossenius, 1951, S. 359.
38
knüpfte Reuse geht kein Fisch.“ oder „Am Walpurgistag darf nicht gesät werden, die
Saat gedeiht nicht.“167 Gleichzeitig gab es aber auch Bauernregeln, die Gegenteiliges
besagen. Einige davon möchte ich nachfolgend vorstellen.
3.1.1.1 Bauernregeln und landwirtschaftliche Bräuche
Im Südwesten Finnlands war Walpurgis „für die Viehwirtschaft die Gefährtin des Ge-
org“168, der unter anderem für das Vieh und das gute Wetter zuständig war. Je nach
regionalem Klima kam sie beispielsweise auf der karelischen Landenge, wo es früher
wärmer wurde, „mit einem Birkenquast unterm Arm“ oder eben in der Gegend um
Turku „mit dem Kuckuck unterm Arm, der Schwalbe in der Hand“.169 Die Rückkehr der
Vögel aus ihren Winterquartieren wurde auch in „in den Einöden des äussersten [sic!]
Norden (…) sehnsüchtig erwartet“170 , da hier die Wintervorräte knapp wurden und
Vogeleier eine begehrte Nahrungsergänzung darstellten. Mancherorts reparierten die
Bewohner an Walpurgis die Nistkästen für die Vögel, um so an ihre Eier zu gelangen.
Es finden sich detaillierte Angaben für bestimmte Vogelarten wie die Schellente, die
demnach ihr Nest nicht aufgibt, auch wenn ihre Eier entwendet wurden und so sogar
mehr als doppelt so viele Eier legt als es ungestört der Fall wäre.171
Auch bezüglich der bäuerlichen Nutztiere existieren in den Archivalien des Svenska
litteratursällskapet i Finland r.f. Nachweise für bestimmte Brauchakte, die an Walpur-
gis bzw. dem Ersten Mai begangen wurden. Sie beziehen sich verallgemeinernd gesagt
auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, was man an den Geburtsdaten der Gewährs-
leute ablesen kann172.
So sollte an Walpurgis das Vieh auf die Weide getrieben werden, auch wenn noch
Schnee lag173. Hieran ist der offizielle Charakter des Feiertages erkennbar, da man
unabhängig vom Wetter das bloße Datum als Anlass zu solchen Bräuchen nahm, auch
wenn es nur bedingt Sinn machte174. Als Grund hierfür wurde aus der Gegend um Turku
und von Åland mehrfach genannt, dass die Kühe sonst lahm würden175. Auch mischten
ihnen zumindest in Nyland176 die Bauern Salz in das Trinkwasser oder verabreichten
ihnen gar Trockensalz, um dafür zu sorgen, dass sie während des Sommers früh nach
167 Vgl. Vilkuna 1969, S. 134. 168 Ebd., S. 134. 169 Ebd., S. 135. 170 Ebd., S. 135. 171 Vgl. ebd., S. 136. 172 Die älteste Befragte ist 1849 geboren (Edla Tverin); die meisten Befragten in den 1850-70ern. 173 Vgl. bspw. SLS 581, 694; SLS 425, 664-666; SLS 239, 327. 174 Vgl. Fossenius 1951, S. 329. 175 Vgl. SLS 581, 1043. 176 Finnisch: Uusimaa, eine Region im Süden Finnlands.
39
Hause zurückkehren177. Bei ihrer abendlichen Heimkehr sollten die Hütejungen mit
Wasser bespritzt werden, sodass sie weiterhin Glück mit den Tieren haben178.
Um die Milch süßer zu machen, gab man den Tieren, ebenfalls in Nyland, Birkensaft zu
trinken179. Eine andere Möglichkeit, den Milchertrag zu beeinflussen, erfolgte einigen
Befragten zufolge indirekt über das Wetter. So finden sich mehrere Aussagen darüber,
dass Niederschlag an Walpurgis, sei es Regen oder Schnee, ein gutes Jahr für die Milch
bedeutete180. Auch warmes Wetter und Südwind sollten diesen Effekt haben181.
Zahlreiche Belege im Helsinkier Archiv handeln zudem vom Wetter im Allgemeinen,
scheinen sich allerdings teilweise zu widersprechen. So wird beispielsweise Schnee an
Walpurgis einmal positiv182, einmal negativ183 gewertet. Auch Bauernregeln wie „Wenn
es am Walpurgisabend warm ist, wird der Sommer kalt und andersherum.“184 werden
mehrfach genannt. Wiederholt führen Gewährsleute an, dass das Wetter beziehungswei-
se der Wind, der an Walpurgis weht, bis Mittsommer so bleiben wird185.
3.1.1.2 Von der Schreinacht, dem Begrüßen des Frühlings und anderen
Feierlichkeiten
Da für viele der Erste Mai dem offiziellen Sommeranfang gleichkam186 und, wie oben
bereits aufgezeigt, das Vieh nach einem langen Winter erstmals wieder auf die Weiden
getrieben wurde, bedurfte es nun gewisser Schutzmaßnahmen, um beispielsweise Wölfe
abzuwehren.
Dies konnte durch das Bestreichen von Bäumen mit „am Strand gefundenem Robben-
fett“187 geschehen, das durch seinen üblen Geruch Raubtiere fernhalten sollte, oder aber
durch Lärm. Kustaa Vilkuna zufolge nannte man die Walpurgisnacht auch
„Schreinacht“, in der Feuer angezündet und gerufen wurde: „Wölfe, weg von hier, nach
Ostbottnien hin!“188. Der Brauch, Maifeuer abzubrennen, kam, laut eines Artikels in der
schwedischsprachigen Tageszeitung Österbottningen, von Deutschland über Ostschwe-
den aus nach Finnland189. Anne Bergman bekräftigt diese Theorie, indem sie darauf
177 Vgl. SLS 208, 59 ; SLS 239, 327. 178 Vgl. SLS 425, 664-666. 179 Vgl. ebd. 180 Vgl. SLS 239, 331. 181 Vgl. Vilkuna 1969, S. 135. 182 Vgl. SLS 766, 36. 183 Vgl. SLS 239, 379. 184 FMK 153a, 405. 1953, „Om det är varmt i Valborgsmässan blir sommaren kall och tvärtom.“. 185 Vgl. FMK 155c, s. 57, I Nykvist 1954; SLS 669, 11; SLS 664, 333. 186 Vgl. FMK 34, 186. 187 Vilkuna 1969, S. 134. 188 Vgl. ebd., S. 134. 189 Vgl. Österbottningen, 28.04.1992.
40
verweist, dass in den mittelalterlichen Städten des Nordens eine große Zahl deutscher
Einwanderer wohnte, deren Kultur die dortige beeinflusste190.
Bei einem Blick in den „Atlas der Finnischen Volkskunde“191 fällt zudem sofort auf,
dass sich das Vorkommen dieser Feuer nur auf den westlichen und südlichen Teil Finn-
lands, also eben jene Regionen, wo der Hauptanteil der schwedischsprachigen Finnen
leben, beschränkt. Hierin scheint sich der geschichtliche Zusammenhang, wie er in der
Österbottningen dargelegt ist, zu bestätigen.
Dem „Atlas der finnischen Volkskunde“ nach war der Erste Mai nur selten, nämlich in
nur 5% der insgesamt 350 bearbeiteten Nachweise, Anlass für das Abbrennen von
Feuern, wohingegen vor allem an Pfingsten und Christi Himmelfahrt (jeweils 45 bis
50%) so genannte bonfire angezündet wurden.192 Anne Bergman schreibt dazu, dass
solche Feuer vor allem zu Fastnacht, Ostern, Walpurgis und Mittsommer verbreitet
190 Vgl. Bergman, Anne/Ekrem, Carola: Fest och fritid. Fyra studier i finlandsvenska festtraditioner och ungdomsseder (= Skrifter utgivna av svenska litteratursällskaet i Finland Nr. 577, Meddelanden från folkkultursarkivet Nr. 13). Helsinki 1992, S. 173. 191 Vgl. Sarmela, Matti: Finnish Folklore Atlas. 4. Aufl. Helsinki 2009, S. 239. 192 Vgl. ebd., S. 241.
Sarmela, Matti: Finnish Folklore Atlas. 4. Aufl. Helsinki 2009, S. 239.
41
waren, wobei die beiden letzteren gerade im Süden Finnlands die bevorzugten Termine
hierfür darstellten193.
Demgegenüber stehen zahlreiche Erzählungen im Svenska litteratursällskapet i Finland
r.f., die von eben solchen Maifeuern in vorwiegend schwedischsprachigen Regionen
Finnlands handeln. Größtenteils194 wurden die Feuer demnach auf Bergen und Anhöhen
entfacht, vereinzelt auch am Strand auf einem Floß oder offenbar sogar im Sumpf,
wobei es sich hierbei teilweise um brennende Teerfässer handeln konnte 195 . Anne
Bergman dagegen meint, dass es sehr viel verbreiteter gewesen sei, an Vappu ein Teer-
fass auf dem Wasser anzuzünden als ein gewöhnliches Feuer auf einem Berg anzufa-
chen196. Diese Schlussfolgerung scheint auch deshalb wahrscheinlicher, da es sicherlich
weit weniger aufwändig gewesen sein muss, ein Teerfass am Strand anzuzünden, als
das Brennmaterial, das für ein großes Feuer nötig ist, auf eine Anhöhe zu tragen.
Neben der Funktion, Wölfe zu vertreiben197, wollten die Bewohner des Ortes so auch
den Sommer willkommenheißen198, was zugleich einen Anlass zum Tanz, Musizieren
und Singen bot199. Kinder saßen oft den ganzen Abend um das Feuer herum oder ver-
suchten, über dieses zu springen200. Aus der Region Nyland gibt es zudem einen Hin-
weis auf eine Art Wettstreit, wessen Feuer das höchste sei, jedoch bleibt unklar, ob der
Wettstreit zwischen zwei Ortschaften stattfand oder zwischen verschiedenen Dorfbe-
wohnern201, wobei ersteres wohl plausibler erscheint.
Während Ende des 19. Jahrhunderts in Nyland und Åboland Feuer sowohl an Walpurgis,
als auch an Mittsommer entfacht wurden, verschob sich das zu Walpurgis nach und
nach zugunsten des Mittsommerfeuers. Letzteres stellte eher eine Mittsommertradition
der finnischsprachigen Finnen dar, die aber allmählich von den schwedischsprachigen
Finnen übernommen wurde. Diese Verschiebung ist vielleicht der Grund dafür, dass es
deutlich mehr Berichte über Mittsommerfeuer gibt, obwohl es eine jüngere Tradition ist
als das Feuer an Walpurgis, welches dem 19. Jahrhundert entstammt.202
Volkskundler des 19. Jahrhunderts sahen in den Feuern zu Jahresfesten einen „hedniska
bruk, eller i urgamla fruktbarhetsriter“203, also einen heidnischen Brauch oder Frucht-
barkeitsritus, allerdings habe, laut Anne Bergman, die neuere Forschung bewiesen, dass
193 Vgl. Bergman, Ekrem 1992, S. 148. 194 Insgesamt dreizehn Nennungen, z.B. SLS 1550, 380; SLS 192, 92; SLS 562, 946; FMK 139 b, 1947. 195 Feuer am Strand (SLS 644, 1253; SLS 579, 366), Teerfass auf dem Wasser (SLS 562, 946), Teerfass im Sumpf (SLS 584, 2), Feuer auf einem Floss (SLS 674, 326). 196 Vgl. Bergman/Ekrem 1992, S. 148. 197 Vgl. SLS 192, 92; SLS 581, 932; ebenso Bergman/Ekrem 1992, S. 148. 198 Vgl. SLS 588, 11. 199 Vgl. SLS 639, 633; SLS 1550, 29; SLS 618, 225; FMK 139 b, 1947. 200 Vgl. SLS 639, 633; SLS 1550, 29; FMK 139 b, 1947; SLS 506 S. 47. 201 Vgl. SLS 634, 4: „Det var stor rivalitet i äldre tid mellan de två om wems eld som var högre (…)“. 202 Vgl. Bergman/Ekres 1992, S. 148 f. 203 Ebd., S. 171.
42
die Feiertagsfeuer in christlicher Zeit aus dem restlichen Europa nach Skandinavien
kamen.204
Eine weitere Methode, um Wölfe vom Dorf fernzuhalten und zugleich den Frühling zu
grüßen, war das sogenannte „walpern“205, für das es gerade aus Österbotten auffällig
viele Belege gibt206. Es wird in Archivalien des 15. Jahrhunderts erstmals genannt207.
Bei diesem Brauch hängten sich die Kinder eines Dorfes alle Arten von Glocken und
Schellen, also auch Kuh- und Pferdeglocken, um den Hals und teilweise auf den Rü-
cken208 und sprangen damit umher.
Die hier zu sehende Fotografie, deren Datierung die Jahre zwischen 1906 und 1909
angibt, ist wohl einer der wenigen bildlichen Belege für diese Tradition, die laut verein-
zelter Aussagen von Gewährsleuten „früher“ auch von älteren Personen ausgeführt
worden war, nun aber nur noch von Kinder begangen wurde209. In der Literatur heißt es,
dass Erwachsene im Süden Finnlands mitgewalpert seien, während es in Österbotten
vorwiegend Kinder waren, die dem nachgingen. Jedoch sei dieser Glockengang, dem
Magisch-Rituelles anhaften sollte, im ganzen schwedischsprachigen Raum Finnlands
verbreitet gewesen.210
204 Vgl. Bergman/Ekrem 1992, S. 171. 205 Vilkuna 1969, s. 134. 206 Vgl. SLS 644, 559; SLS 533 s. 558; SLS 593, 5; SLS 1174, 35. 207 Vgl. Bergman/Ekres 1992, S. 225. 208 Vgl. SLS 533 s. 555-556. 209 Vgl. SLS 533 s. 558; SLS 533 s. 557; SLS 546, 108. 210 Vgl. Bergman/Ekrem 1992, S. 227.
Svenska litteratursällskapet i Finland r.f.: sls259_28.
43
Obwohl es auch vorkam, dass Glocken und Lärm dafür verwendet wurden, Wölfe,
Füchse und Bären zusammenzutreiben, um sie dann zu töten, steht das Walpern in
keinem nachweisbaren historischen Zusammenhang damit. 211 Gerade in Österbotten
besaß dieses vor allem großen Unterhaltungswert. So kam es in manchen Orten vor,
dass Jungen versuchten, die umgehängten Glocken der Mädchen zu stehlen, sodass
daraus ein spielerisches Fangen wurde. Andernorts kam ferner Maskerade zum Einsatz.
Mit Pappmasken, Weidenruten und selbstverständlich einer mittig umgebundenen
Glocke jagten die Kinder dann einander. Auch wurde vermehrt morgens gewalpert, um
die Einwohner eines Dorfes zu wecken und dann bevorzugt unter jenen Fenstern geläu-
tet, hinter denen sich als „Schlafmützen“212 bekannte Bewohner oder eben der Dorf-
schullehrer befanden.213
Ein weiterer, etwas eigennützigerer Grund für diese durchaus ermüdende Tätigkeit war
wohl auch, dass die Dorfkinder teilweise von Tür zu Tür gingen, dabei die Glocken
ertönen ließen und so von den Bewohnern etwas Süßes als Belohnung bekamen214. Die
beschriebenen Aktivitäten stammen alle aus Österbotten. Für Nyland und Åland gibt es
zum einen weniger Belege und zum anderen stets sowohl die Aussage, dass die dortigen
Kinder mit Glocken umher gerannt sind, als auch überwiegend das Gegenteil, nämlich,
dass dies nicht vorkam215.
Ob der Brauch, in das „Vallhorn“ zu blasen, über den es nur aus Nyland und dem Tur-
kuer Raum einige Erzählungen gibt216, auch mit der Vertreibung von Wölfen zusam-
menhängt, geht aus den archivalischen Belegen, die mir zur Verfügung standen, nicht
eindeutig hervor. Von Åland jedoch schreibt Frau Bergman, dass die Bewohner im 19.
Jahrhundert in ein Horn bliesen, um wilde Tiere fortzujagen217. Eine einzige Aussage
aus Nyland findet sich, in der es heißt, dass an Walpurgis Steine von Berghängen her-
abgerollt wurden, um Trolle zu erschrecken218.
Allgemein scheinen viele Kinder und Jugendlichen am Ersten Mai oder am Vorabend
desselben auf einen Berg oder auch in den Wald gegangen zu sein, um dort ein Feuer zu
entfachen, um das sie dann saßen und mitgebrachtes Essen verspeisten219. Hier werden
211 Vgl. Bergman/Ekrem 1992, S. 228. 212 Ebd., S. 228: „sömntuta“ 213 Vgl. ebd., S. 227 f. 214 Vgl. SLS 1174, 38; SLS 1174, 35. 215 Vgl. Nyland: SLS 560, 1495; SLS 201 s. 100; SLS 561, 60; SLS 561, 142 Åland : SLS 639; SLS 1550, 380; SLS 560, 206; SLS 560, 576; SLS 560, 639; SLS 560, 1143. 216 Vgl. Nyland: SLS 201 s. 98; SLS 198, 122. Åboland: SLS 584, 261. 217 Vgl. Bergman/Ekrem 1992, S. 148. 218 Vgl. SLS 239, 330. 219 Vgl. FMK 139 b, 1947; SLS 644, 1259; SLS 434 a, 44.
44
meist Limonade, Mjöd220, Kaffee und verschiedenes Gebäck wie Pulla221 oder Struva222
genannt223. Ob dieses in Zusammenhang mit so genannten Gebildbroten steht, konnte
durch die zur Verfügung stehenden Archivalien nicht geklärt werden. Nach Gisela
Goldberg ist die Hauptdefinition solcher Gebildbrote, dass sie in ihrer Form etwas
abbilden, beispielsweise Menschen oder Tiere.224 Inge Carius führt zudem auf, dass die
Gebildbrote ihre Ursprünge in vormaligen Opfer- oder auch Grabbeigaben hatten, was
auch bereits Herodot von Ägypten zu berichten wusste. Dort sei es den armen Bevölke-
rungsteilen gestattet gewesen, an Stelle von Schweinen solche aus Teig zu opfern225. In
Anbetracht dieses Hintergrundes wirkt es eher unwahrscheinlich, dass es sich bei den in
Finnland zu Vappu verzehrten Gebäckstücken um Gebildbrote handelt, da sie nichts
Figürliches abbilden.
Es kam auch vor, dass draußen im Freien226 oder gar „auf dem Boden“ gegessen wurde,
was Stärke für den Sommer bringen sollte227. In diesem Zusammenhang ist auch der
Brauch, sich „Mark in die Beine zu trinken“ anzuführen, der anhand der Archivalien in
Helsinki mehrfach nachweisbar ist. Was genau man hierfür zu sich zu nehmen hatte,
wird unterschiedlich benannt. Am häufigsten aufgezählt wird Bier228, dicht gefolgt von
Eiern229, die laut dreier Gewährsleute zu Stärke für den Sommer verhelfen würden.
Denselben Effekt sollen auch Wein, Punsch, Brandwein und Birkensaft haben230. Um
auch seinen Pferden zu „Mark in den Beinen“ zu verhelfen, sollte man, einem Ge-
währsmann aus Nyland zufolge, anschließend einen Ausritt unternehmen231.
Als Maßnahme gegen Krankheiten diente laut Kustaa Vilkuna beispielsweise ein Bad
„in fliessendem [sic!] Wasser draussen [sic!]“. Auch würde man sich „im Sommer nicht
die Füsse [sic!]“232 verletzen, „wenn man beim Aufstehen als erstes auf ein Stück Eisen
trat“233, zum Beispiel auf eine Axtwange. Ein weiteres, auf den Ersten Mai bezogenes
Hausmittelchen findet sich auch im Svenska litteratursällskapet i Finland r.f., wo es
220 Mjöd (schwedisch) oder auch Sima (finnisch) ist ein schwach alkoholhaltiges Getränk, hergestellt aus Wasser, Zitronen, braunem und weißem Zucker und Hefe. 221 Hefegebäck, meist mit Kardamom. 222 Finnisch: Tippaleipä, frittiertes Gebäck, aus mehreren langen Teigsträngen zusammen gesetzt. 223 Vgl. bspw. SLS 239 326; SLS 618 226. 224 Vgl. Goldberg, Gisela: Heiligenbrote. Ein weit verbreiteter Brauch auch in der Gegenwart. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1994. München 1994, S. 53. 225 Vgl. Carius, Inge: Gebildbrote – Brauchtum im Jahres- und Lebenslauf. Königstein/Taunus 1982, S. 4. 226 Vgl. SLS 593, 39. 227 Vgl. SLS 584, 152: „Första maj skulle man äta sju mål mitt på golvet, så var man stark om sommaren.“ 228 Vgl. SLS 1114, 55 ; SLS 192 s. 94 ; SLS 239 s. 332 ; SLS 239, 517. 229 Vgl. SLS 618, 247 ; SLS 239 s. 332 ; SLS 239, 517. 230 Vgl. SLS 114, 55; SLS 283, 320; FMK 69 a, 41 Uppt. 1932; SLS 239, 517. 231 Vgl. SLS 114, 55. 232 Vilkuna 1969, S. 135. 233 Ebd., S. 135.
45
heißt, dass Regen am Ersten Mai das Haupthaar besser wachsen lasse, weswegen man
in solch einem Fall barhäuptig aus dem Haus solle234.
Für die Gewährsleute scheint in ihrer Kindheit der Spaß, das Spielen und das Herumto-
ben im Vordergrund des Festtages gestanden zu haben. Sie nennen zudem noch einige
dörfliche Aktivitäten, die nun ob ihrer Besonderheit wiedergegeben werden.
Aus Nyland existieren zwei Meldungen, die besagen, dass in vielen Dörfern eine
Schaukel in einen Baum gehängt wurde, bei der man sich traf, schaukelte und sang235.
Fossenius behauptet zudem, dass in
den östlichen Provinzen Schwedens,
also auch in Finnland, Maistangen
eine „ganz gewöhnliche Erschei-
nung“236 gewesen seien, allerdings
finden sich in den Archivalien in
Helsinki lediglich für Nyland Aus-
sagen diesbezüglich. Eine beinhal-
tet, dass diese Maistangen „zumin-
dest in allen Gärten, wo man Kin-
der hatte“ 237 standen. Verziert
wurden diese mit Girlanden aus
Nadelzweigen238, sowie Papierblu-
men239 und hellem Blechdekor240 .
Außerdem werden ein Wimpel an
der Spitze, sowie sechs bis sieben
Querlatten beschrieben, die den Stamm schmückten241. Unter diesen Maibäumen ver-
sammelten sich die Bewohner eines Ortes zum Kaffee und Brandweintrinken, aber auch
um zu spielen und um den Stamm herumzutanzen242. Eine Fotografie aus dem Bilderar-
chiv der Åbo Akademi zeigt das Aufstellen eines Maibaumes in Turku im Jahre 1906.
Auch wenn der Baum nur im Hintergrund zu sehen ist, ist seine Zier aus dunklen (Na-
delzweig-?) Girlanden und herunterhängendem Dekor recht gut erkennbar.
234 Vgl. SLS 618, 234. 235 Vgl. SLS 644, 1358-59 / SLS 644, 1418. 236 Fossenius 1951, S. 352. 237 SLS 502, 122-123. 238 Vgl. SLS 502, 122-123; SLS 502, 38. 239 Vgl. SLS 502, 122-123; SLS 434 a 44-45. 240 Vgl. SLS 502, 122-123. 241 Vgl. SLS 434 a, 44-45. 242 Vgl. SLS 644, 1268; SLS 434 a, 44-45; SLS 502, 38.
Kulturvetenskapliga arkivet Cultura vid Åbo Akademi: 2003/12:139. (Ausschnitt)
46
Einen aktuelleren Hinweis auf diesen Brauch gibt ein Artikel in der Zeitung Östra
Nyland vom 04.05.1995, der davon handelt, dass nach alter Åländischer Tradition in der
örtlichen, schwedischsprachigen Schule nun schon zum zwölften Mal ein Maibaum
aufgestellt wird. Die Idee hierzu brachte die Musiklehrerin Susanne Øksnevad vor
zwölf Jahren von einem Besuch auf Åland mit. Ilmar Talve bestätigt die vorwiegend
örtliche Beschränktheit auf Åland und erklärt zudem, dass Maistangen im übrigen
Finnland, beziehungsweise in dessen südwestlichen Gebieten, meist nicht vor
Mittsommer aufgestellt wurden243.
Aus Österbotten stammen außerdem Berichte über eine Art Umzug am Ersten Mai, bei
dem zwei Pferden weiße und rote Lacken umgehängt bekamen und von zwei Burschen
geritten wurden244. Gefolgt wurden sie von weiß gekleideten Mädchen245, die auch
weiße Tücher auf dem Kopf haben konnten246. In einem Zeugnis, das den Brauch übri-
gens auch zeitlich auf die Jahre zwischen 1910 bis 1914 festlegt, wird erzählt, dass die
übrige Dorfjugend auf einer Ladefläche stand, die von den Pferden gezogen wurde247.
Auch verkleideten sich hier die Mädchen und Jungen jeweils als das andere Geschlecht,
was auch durch ein anderes Archivale belegt ist248.
3.1.2 Der Erste Mai in der Stadt
Der Erste Mai in Finnland wird oft als Karneval charakterisiert249, Anne Bergman vom
Svenska litteratursällskapet i Finland r.f. geht sogar so weit, Vappu als den größten
Karneval des Nordens250 zu bezeichnen. An diesem Tag zog es die meisten Städter ins
Grüne oder zumindest in einen Park, wo die Kinder, die schulfrei hatten, herumtoben
und Ball spielen konnten251. Es war und ist heute noch üblich, dass dort Hornorchester
oder Chöre, auch Studentenchöre, auftreten. Anne Bergman zufolge kam die Tradition
des Maisingens im 19. Jahrhundert von Schweden aus nach Finnland252; ein Artikel im
Åbo Underrätelser weiß die Herkunft sogar noch genauer einzugrenzen und schreibt,
dass nach Lunder Vorbild die Studenten in den Sommer sangen253. Dass die Kinder mit
ihren Familien in den Park gingen, gerade um diesen musikalischen Darbietungen zu-
243 Talve, Ilmar: Finnish Folk Culture. Helsinki 1997, S. 212. 244 Vgl. SLS 1174, 40 ; SLS 533 s. 560 ; SLS 533 s. 559-560 ; SLS 533 s. 555. 245 Vgl. SLS 533 s. 560 ; SLS 533 s. 559-560. 246 Vgl. SLS 533 s. 559-560. 247 Vgl. SLS 1174, 40. 248 Vgl. SLS 533 s. 556. 249 Vgl. Rothe, Matthias: Ritualisierte Tabuverletzung, Lachkultur und das Karnevaleske. Beiträge des Finnisch-Ungarischen kultursemiotischen Symposiums. 9. bis 11. November 2000. Berlin-Frankfurt (Oder). In: Joerden, Jan C. (Hg.): Studien zur Ethik in Ostmitteleuropa, Band 6. Frankfurt/Main 2002, S. 18. 250 Vgl. Hufvudstadblådet, 25.04.2009. 251 Vgl. aus Kristinestad/ Kristiinankaupunki: SLS 665 b, 71; SLS 931, 49-50. 252 Vgl. Lättläst-Bladet Nr. 9, 28.04.2009. 253 Vgl. Åbo Underrätelser, 01.05.1993.
47
zuhören, wird mehrere Male in den Belegen des Archivs in Helsinki aufgeführt254 und
auch in den Fragebögen, die Studenten der Åbo Akademi 1987 gesammelt haben, fin-
den sich drei Nennungen des Sängerchores als Kindheitserinnerung255.
Das Mailunch wird von Anne Bergman als typisch finnlandschwedische Tradition
angeführt. Dies konnte in den Sommerrestaurants, die heute noch nach dem Winter an
diesem Tag neu eröffnen, stattfinden, bei
Freunden oder als Picknick im Park. Das
hier beigefügte Bild aus dem Helsinkier
Archiv zeigt wohl ein solches Mailunch,
wie es um die Jahrhundertwende in
Helsinki stattgefunden hat.
Üblicherweise wird hierbei Punsch
getrunken, eine Art Likör. Daneben
spielen Schnapslieder (schwedisch:
Snapsvisor) eine zentrale Rolle als
Gemeinschaft schaffendes Element,
sowie als „finlandsvensk identitetssym-
bol“256. In einem von mir durchgeführten
Interview erwähnt Ann-Helen diese und
beschreibt sie dahingehend, dass sie zum Trinken und Anstoßen gesungen werden257.
Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts übermäßiger Alkoholkonsum untersagt war und es
zu Nüchternheitsaufrufen kam, im Zuge derer im Übrigen Mjöd (Sima) als Alternative
angepriesen wurde258, galten diese Snapsvisor auch als eine Art Protest gegen die aufer-
legten Verbote. Sie sind auch heute noch eine lebende Tradition, was daran ersichtlich
wird, das oft zu den verschiedensten Anlässen neue Texte zu altbekannten Melodien
gedichtet und gesungen werden.259
Ein Höhepunkt für die Kinder muss es gewesen sein, als an Vappu häufig ein Zirkus
oder zumindest ein Jahrmarkt in die Stadt kam260. Auch Jenni, eine Studentin aus Turku,
erwähnte in ihrem Interview, dass sie als Kind jedes Jahr zum saariasen Tivoli gegan-
254 Vgl. aus Kristinestad/ Kristiinankaupunki: SLS 931, 30; SLS 931, 60; SLS 931, 49-50; Aus Helsing-fors/Helsinki: SLS 1174, 63 (allerdings nicht auf den Park, sondern die Esplanaden bezogen). 255 Vgl. SLS 1528 S. 04, S. 11, S. 25. 256 Lättläst-Bladet Nr. 9, 28.04.2009. 257 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 6. 258 Vgl. Hufvudstadblådet, 25.04.2009. 259 Vgl. Lättläst-Bladet Nr. 9, 28.04.2009. 260 Vgl. ebd.
Svenska litteratursällskapet i Finland r.f.: sls1405_b149.
48
gen wäre, einem Vergnügungspark, der an Vappu stets im Park Kupittaanpuisto aufge-
baut sei261.
3.1.2.1 Der studentische Erste Mai
Das städtische Fest zum Ersten Mai hat sich aus zwei verschiedenen Hintergründen
heraus geformt: Zum einen aus den Gepflogenheiten der Oberklasse des 19. Jahrhun-
derts und dem sich daraus entwickelndem Stundentenfest und zum anderen dem 1889
entstandenen Arbeiterfest, auf dessen Geschichte im vorherigen Kapitel eingegangen
wurde. In der Literatur und Zeitungsartikeln finden sich verschiedene Theorien, welche
Tradition älter ist.
Im Werk von Virtanen/DuBois262 beispielsweise wird behauptet, das Maifest der Arbei-
terbewegung und das allgemeine Volksfest, welches „plentiful feasting and drinking“263
beinhaltete, seien zeitgleich um die Jahrhundertwende aufgekommen. Sehr viel häufiger
jedoch finden sich Nachweise dafür, dass Studenten schon im frühen 19. Jahrhundert
das Maifest feierlich begangen haben264. Ilmar Talve führt hierzu auf, dass bereits die
Studenten der „alten Akademie“ von Turku im ersten und zweiten Jahrzehnt des 19.
Jahrhunderts den Ersten Mai feierten. Auch als die Universität nach dem verheerenden
Stadtbrand von 1828 nach Helsinki verlegt wurde, sei dieser Tradition in einigen Jahren
der 1830er weiter nachgegangen worden. Talve zufolge muss das Fest anscheinend
zeitweise verboten gewesen sein, zumindest schreibt er, dass, als es 1848 wieder legal
wurde, die Feiern auf den 13.5., „Flora’s Day“265, verlegt wurden, auch wenn Studenten
weiterhin ihre weißen Studentenmützen am Ersten Mai aufsetzten.266 In keinem anderen
der für diese Arbeit verwendeten Werke oder Archivalien wurde solch ein Verbot noch
einmal erwähnt. In Anlehnung an die Traditionen in Uppsala verschoben die Universitä-
ten in Turku, also die Åbo Akademi und die (finnische) Universität Turkus, im Jahre
1919, bzw. 1923, das Frühlingsfest wieder auf den letzten Tag im April267.
Dieser Tag und natürlich der Erste Mai bedeuteten für Studenten das Ende der Vorle-
sungen, der Beginn des Sommers und damit die Zeit, in der es erlaubt war, den universi-
tären Sommerhut zu tragen, die weiße Studentenmütze.
Ein Artikel im Huvfudstadbladet vom 30.05.1999 fasst die Geschichte dieser Mütze gut
zusammen. Demnach beginnt deren Entwicklung zu Anfang des 19. Jahrhunderts, als
261 Vgl. Interview mit Jenni, S. 4. 262 Vgl. Virtanen, Leea/DuBois, Thomas: Finnish Folklore (=Studia Fennica. Folkloristica 9). Helsinki [o.A.], S. 110. 263 Ebd., S. 110. 264 Vgl. auch Alho 1999, S. 84, sowie Österbottningen, 29.04.1992. 265 Talve 1997, S. 210. 266 Vgl. ebd., S. 210 ff. 267 Vgl. ebd., S. 210.
49
Schlägereien zwischen finnischen Studenten und russischen Soldaten an der Tagesord-
nung waren. Um einander besser unterscheiden zu können, sollen finnische Studenten
von der russischen Okkupationsmacht eine Uniform für sich verlangt haben. Diese
wurde auch eingeführt, war aber viel zu teuer, um sich durchzusetzen. Zar Nikolai I. bot
1832 eine einfachere Version an, die aus einem blauen Rock mit verzierten Messing-
knöpfen, langen Hosen und einer blauen Kappe, der Furaschka, bestand. Diese Fu-
raschka war demzufolge die erste nordische Studentenmütze. Da sie der damaligen
finnischen Gymnasiumsuniform ähnelte, wurde ein altes akademisches Symbol, näm-
lich ein Lorbeerkranz, vorne mittig an der Mütze angebracht. Im Jahre 1865 bestellten
vier Studenten aus Helsinki, Julius Orberg, Mortimer Trapp, Paul Edelheim und Ale-
xander Stjerncreutz, aus einem Hutgeschäft in Stockholm Studentenmützen aus weißem
Samt, die fortan, womöglich als nationalistisch-geprägter Akt, Verbreitung fanden. Es
heißt, dass bei einem Studententreffen 1875 in Uppsala jeder einzelne der 85 beiwoh-
nenden Helsinkier Studenten eine weiße Studentenmütze trug.
Als Ende des 19. Jahrhunderts auch Frauen an den Universitäten zugelassen waren,
entwarf eine gewisse Olga Andsten ein spezielles Modell, der weiblichen Frisurenmode
der damaligen Zeit angemessen. Dieses bestand aus einer etwa zehn Zentimeter hohen,
schwarzen Samtkante, an der die goldene Lyra befestigt wurde. Daran schloss sich eine
als „fluffig“ bezeichnete weiße Samtmütze an, deren voluminöser Stoff weit über die
schwarze Kante herabhing. Trotz spöttischer Bemerkungen wie „fröken, mjölken kokar
över!“268, also „Fräulein, die Milch kocht über!“, wurde diese Version bis 1897 getragen,
dann allerdings von der gewöhnlichen Studentenmütze, die auch die männlichen Stu-
denten trugen, abgelöst.
Dem Artikel im Hufvudstadbladet zufolge, waren die Studentenkappen der schwedisch-
sprachigen und finnischsprachigen Studenten zunächst gleich, doch bald wurden die
Universitäten sprachlich getrennt, was auch eine Veränderung der Mützen mit sich
brachte. Demnach ist die schwedische Variante etwas bauschiger als die finnische und
auch das goldene Emblem, das zudem aus einem anderen Symbol besteht, ist größer
und kantiger. Schwedischsprachige Studenten begannen, diese Art der Kappe ab 1924
zu tragen.269
Als in einem anderen Beitrag im Hufvudstadbladet vom 27.05.2001 behauptet wird,
dass die ersten Studentenmützen Ende des 19. Jahrhunderts von den Technologischen
Studenten, den Teekkaris, getragen wurden und die Finnlandschweden dieser Tradition
erst ab 1921 nachkamen, wurde bereits zwei Tage später der Kommentar eines Lesers
268 Hufvudstadbladet, 30.05.1999, S.19. 269 Vgl. ebd.
50
gedruckt, der wohl richtig darauf hinweist, dass es Fotografien bereits aus den 80er und
90er Jahren des 19. Jahrhunderts gäbe, auf denen Studenten mitsamt ihren Studenten-
mützen abgebildet seien. Die Mützen der Teekkaris, die mit einer Kordel und Quaste
ausgestattet sind und sich so klar von den anderen Mützen unterscheiden, seien laut dem
Leserbrief in den 1890er Jahren aufgekommen.270
Nicht nur die Studentenmütze der Teekkaris sieht anders aus als die gewöhnliche Abi-
turmütze, die jeden Abiturient auszeichnet und zeigt, dass er nun an einer Hochschule
zugelassen ist. Im Huvfudstadbladet vom 30.05.1999 werden die verschiedenen Varian-
ten beschrieben. So gibt es die bereits erwähnten Mützen mit „Toff“271, also mit der
besagten Kordel samt Quaste, der Technologischen Studenten, außerdem solche mit
Toff, aber aus violettem statt weißem Stoff für die „Merkonomer“, also Studenten des
Bereiches Handel und Wirtschaft. Außerdem tragen die Studenten der Technischen
Hochschule Kappen mit rotem Rand und Toff, während die der Zahnmediziner über
blaue Toffs verfügen. Hier findet also eine klare Distinktion zwischen den Studenten der
verschiedenen Fakultäten statt, die sicher ein klares Gemeinschaftsgefühl unter den
Studenten eines Faches schafft.
Auch der Preis einer solchen Studentenmütze kann variieren, je nach Qualität und Karat
des Emblems vorne am Band. Einem Artikel aus dem Jahre 2001 zufolge schwankt der
Preis zwischen 160 und 620 Finnmark272, also circa 27 und 105 Euro. Da ist es nicht
allzu verwunderlich, dass zwei der drei Abiturienten, die von Journalisten der Zeitung
1999 in einem traditionsreichen Hutgeschäft in Helsinki befragt wurden, entweder die
billigste Kappe kaufen oder die alte der großen Schwester weiter verwenden wollen.
Nur die dritte Interviewte meinte, dass sie, auch wenn sie diese Mütze wohl nur noch
selten aufsetzen würde, dennoch eine eigene haben wolle.273
Ein Höhepunkt der studentischen Maifeiern in Finnland findet am Vorabend zum Ersten
Mai statt, nämlich, wenn ausgewählte Statuen in verschiedenen Städten eine eigens zu
diesem Zweck angefertigte Studentenkappe bekommen.
In Helsinki war es bis 1978 üblich, die Statue Havis Amanda am Marktplatz um Mitter-
nacht zu „bekrönen“, woraufhin dann alle, die ihr Abitur gemacht haben, ebenfalls ihre
eigene Studentenmütze aufsetzten. Doch in jenem Jahr wurde, nach Unruhen im Vor-
jahr auf Drängen der Polizei hin, das Geschehen auf 18 Uhr verlegt. Lediglich die Teek-
karis, die technologischen Studenten, setzen auch heute noch ihre Studentenmützen um
270 Vgl. Hufvudstadbladet, 29.05.2001. 271 Ebd., 30.05.1999. 272 Vgl. ebd., 27.05.2001. 273 Vgl. ebd., 30.05.1999.
51
Mitternacht auf274. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde zudem nicht nur die Havis
Amanda, oder auch Manta, mit einer Studentenmütze versehen, sondern auch die Statue
der drei Schmiede in der Aleksanterinkatu, sowie die des Zar Alexander I. am Senats-
platz275.
Über den genauen Zeitpunkt, wann diese Tradition erstmals begangen wurde, herrscht
Unklarheit. Nach „mündlicher Überlieferung“276 soll 1909, also ein Jahr nach Aufstel-
lung der Havis Amanda, ein gewisser K.W. Hoppu M.A. nach einem Restaurantbesuch
die Statue mit seiner Studentenmütze versehen haben. Andere Aussagen meinen, dass
der Brauch 1927 von Paave Auer oder aber von Wille Waris im Jahr 1932 eingeleitet
wurde. Dem gegenüber steht ein Artikel in der Universitätszeitung von 1925, in dem
sich ein Pseudonym namens Äksä darüber beschwert, dass es nun verboten sei, die
Statue zu krönen. Dies zeigt, dass zumindest in den 1920er Jahren dieser Aktivität
bereits nachgegangen worden sein musste. Auch ein Brief des Bildhauers Ville Vallgren,
dem Schöpfer der Havis Amanda, beweist diesen Umstand. Er schreibt hier, dass Stu-
denten in diesem Jahr, also 1921, die Statue gewaschen und ihr eine Studentenkappe
aufgesetzt hätten. In einem zeitgleich erschienenen Buch ist ein Gedicht abgedruckt, in
dem Vallgren meint, Havis Amanda sei nun immatrikuliert.277
Die erste offizielle und damit auch von der Polizei gutgeheißene „Bekrönung“ Mantas
fand 1951 statt und wurde von der Student Union, der Studierendenvertretung der Uni-
versität Helsinkis durchgeführt. In den Jahren danach wurde ihr regelmäßig von den
verschiedenen Universitätsorganen eine Mütze aufgesetzt. Zunächst benutzte man
hierfür eine Leiter, wobei 1959 vorerst einmalig ein Kran Verwendung fand. Das
Kunstmuseum von Helsinki verbot jedoch das Erklimmen über eine Leiter im Jahre
1990, da aufgrund des Alters der Statue möglichen Beschädigungen zuvorgekommen
werden sollte. Stattdessen wurde nun ein Kran und kurz darauf eine spezielle Konstruk-
tion gebraucht, die von den technologischen Studenten entworfen worden war und
zunächst eine, später bis zu sechzehn Personen mittels eines Kranes über die Luft zur
Statue brachte.278 Die folgenden zwei Bilder aus dem Archiv des Hufvudstadbladets
zeigen die Kappenzeremonie mittels eines Kranes (links) und mittels der genannten
Konstruktion (rechts).
274 Vgl. Helsinki Art Museum (Hg.): Havis Amanda. Mon Amour 100 Years. Helsinki 2008, S. 63. 275 Vgl. ebd., S. 56. 276 Ebd., S. 58. 277 Vgl. ebd., S. 58 ff. 278 Vgl. ebd., S. 63 ff.
52
Beeindruckend ist auch die Menschenmenge, die sich um den Brunnen versammelt hat.
Das Hufvudstadbladet vom 01.05.2009 spricht von 50.000 Menschen auf dem Markt-
platz. Dieses immens große Publikum erfordert bestimmte Sicherheitsvorkehrungen, um
die sich die jeweilige Student Union, die in dem entsprechenden Jahr die Ehre hat,
Manta eine Studentenmütze aufzusetzen, kümmern muss. Daneben ist es Auflage,
Genehmigungen einzuholen, Versicherungen abzuschließen und Ankündigungen bezüg-
lich des zu verursachenden Lärmes in der Öffentlichkeit zu machen. Seit den 1980er
Jahren wechseln sich die Studierendenvertretungen der vier verschiedenen Universitä-
ten von Helsinki bei der Ausführung dieses Ereignisses ab, nämlich die der Universität
von Helsinki, der Helsinki School of Economics and Business Administration, der Hel-
sinki University of Technology, sowie die der Swedish School of Economics and Busi-
ness Administration. Seit 2003 ist auch die Universität für Kunst Teil des Bundes.279
Neben den nachzukommenden Auflagen, die oben genannt wurden, gilt es beispielswei-
se auch, Sponsoren für die Finanzierung dieses Großereignisses zu finden, außerdem die
gesamte Ausgestaltung, vom Buchen geeigneter Bands, über die Dekoration, hin zu der
Durchführung des Umzugs zum Marktplatz und damit zur Statue, zu organisieren.
Auch in anderen Städten werden Statuen mit Studentenmützen versehen, so z.B. in
Turku, wo nahe des Flusses Aura Lilja bekrönt wird. Hierbei handelt es sich ebenfalls
279 Vgl. Helsinki Art Museum 2008, S. 65.
Hufvudstadbladet. Hufvudstadbladet.
53
um eine Frauenstatue, die laut Anne Bergman die offizielle Blume der Stadt symboli-
siert.280 In Vasa geschieht selbiges der Topelius-Statue und seit 1997, also erst seit
kurzem, wird in Jakobstad die Runeberg-Statue bekrönt281.
Am Morgen des Ersten Mai finden dann in Parks Katerfrühstücke statt. Laut Olli Alho
hissen zudem Studenten „nach einer durchfeierten Nacht“282 die finnische Flagge, in
Parks tritt der Akademische Gesangsverein auf, die breite Bevölkerung vergnügt sich
auf den Straßen, während die Arbeiterparteien sich zu Umzügen sammelt283. Von letzte-
ren soll das nächste Kapitel handeln.
3.1.2.2 Der politische Erste Mai
Die politische Maifeier, die der Kongress der zweiten Internationalen 1889 in Paris
weltweit für den Ersten Mai 1890 ansetzte, wurde kurz darauf auch in Finnland durch-
geführt. In der Literatur werden allerdings verschiedene Jahreszahlen für die erste
Begehung derselben aufgezeigt. So nennt Olli Alho das Jahr 1902 als Zeitpunkt für die
Erste Maifeier in Finnland284, wohingegen bei Ilmar Talve von 1906 die Rede ist. Er
benennt diese allerdings etwas genauer. So schreibt er, dass 1890 Arbeiter in Schweden
und die der Druckereien von Helsinki den Ersten Mai feierten, die Gewerkschaften aber
erst 1906 begannen, regelmäßige Maifeiern durchzuführen.285
Einem Artikel im Åbo Underrätelser nach wurde das politische Maifest zunächst am
ersten Sonntag im Juni begangen. Als es auf den Ersten Mai verlegt werden sollte,
weckte dies Opposition, da an dem Datum traditionell das im vorigen Kapitel beschrie-
bene Studentenfest stattfand. Dem Artikel zufolge wurde 1906 der Erste Mai zum Tag
der politischen Demonstration gemacht, wobei in diesem Jahr noch an beiden Tagen,
also dem Ersten Mai und dem ersten Sonntag im Juni, demonstriert wurde, was sich
dann allmählich zugunsten des Ersten Mai verschoben hat.286 In den ersten Jahren gin-
gen die Sozialisten und Kommunisten in Helsinki noch gemeinsam auf die Straße287,
doch seit 1948 getrennte Wege: die Sozialdemokraten versammelten sich im Paasipark;
der neu gegründete Vänsterförbund, also Linksverbund, auf dem Senatsplatz.288
Seit 1946 ist der Erste Mai in Finnland ein freier Tag, doch zum offiziellen „Tag der
Arbeit“ wurde er erst 1978 erklärt289.
280 Vgl. Hufvudstadbladet, 02.05.2009. 281 Vgl. Jakobstads Tidning, 01.05.2009. 282 Alho 1999, S. 84. 283 Vgl. ebd., S. 84. 284 Vgl. ebd., S. 84. 285 Vgl. Talve 1997, S. 212. 286 Vgl. Åbo Underrätelser, 01.05.1993. 287 Vgl. Lättläst-Bladet Nr. 9, 28.04.2009. 288 Vgl. Hufvudstadbladet, 01.05.1990. 289 Vgl. ebd., 25.04.2009.
54
Im Åbo Underrätelser vom 01.05.2002 findet sich ein Interview mit dem Volksdemo-
kraten Nils Nordberg, der darin die politischen Demonstrationen nach dem Krieg be-
schreibt. Er meint, dass damals alle sehr enthusiastisch dabei gewesen seien. Zahlreiche
Spruchbänder und Parolen hätten sich vor allem gegen Krieg gewendet, wobei die
Linke auch die Verbesserung der Lebensumstände des Proletariats gefordert hätte. Die
Abbildung aus dem Archiv der Helsinkier Zeitung Hufvudstadbladet zeigt eine De-
monstration aus den 1950er Jahren. Auf dem
Plakat steht sinngemäß: „Keine Waffen, aber
Arbeit und Wohnraum für junge Menschen“,
was die Schilderungen über die Maikundge-
bungen nach dem Krieg unterstreicht.
Nils Nordberg führt weiter aus, dass es heute
sehr viel weniger Engagement gäbe; die Ar-
beiterklasse sei niedergedrückt und viele
potentielle Demonstrationsteilnehmer würden
aus Angst um ihren Arbeitsplatz fernblei-
ben. 290 Diese rückläufige Entwicklung lässt
sich an den Zahlen der Kundgebungen ablesen.
Während beispielsweise 1945 zur politischen
Maiveranstaltung im Stadion von Helsinki
50.000 Menschen kamen291, waren es 1994 auf dem Marktplatz vom Helsinkier Bezirk
Hakaniemi nur noch zwischen 4000 und 5000 Teilnehmer292.
Beim Durchlesen der gesammelten Zeitungsartikel, die sich im Svenska litteratur-
sällskapet i Finland r.f. zum politischen Ersten Mai finden, fallen einige scheinbar
zentrale Elemente des Festes auf. Neben politischen Reden wird auch musikalische
Unterhaltung genannt, die von argentinischem Tango bis hin zu sozialistischer Kampf-
musik reicht293 . Interessant ist, dass Teilnehmer der politischen Maiveranstaltungen
häufig mit Erbsensuppe verköstigt werden294 , die Teil der traditionellen finnischen
Küche ist.
290 Vgl. Åbo Underrätelser, 01.05.2002. 291 Vgl. Hufvudstadbladet, 01.05.1990. 292 Vgl. Västra Nyland, 03.05.1994. 293 Vgl. Åland, 02.05.2002. 294 Vgl. ebd., 02.05.2002; ebd., 02.05.2001; Västra Nyland, 03.05.1994.
Hufvudstadbladet.
55
3.1.2.3 Zur Rolle der Kinder am Ersten Mai
Wie sowohl in den von mir geführten Interviews, den im Archiv in Helsinki zu finden-
den Interviews von 1987295, als auch in einem Artikel des Hufvudstadbladet296 dargelegt
wird, sind allgemeine Bestandteile des Ersten Mai, wie Kinder ihn meist feiern, zum
einen das traditionelle Gebäck zu Vappu, also die unter Kapitel 3.1.1.2 bereits erläuter-
ten Struvor (Finnisch: Tippaleipä) und Munkki, und zum anderen die diversen Dekora-
tions- und Karnevalselementen.
Hier sind vor allem Masken, Luftschlangen und
Ballons zu nennen, die seit den 1920er Jahren nicht
mehr von diesem Feiertag wegzudenken sind 297 .
Auch die so genannten Majviska, eine Art Pompom,
also ein Stab, an dessen Spitze bunte Papierstreifen
befestigt sind, waren Anne Bergman zufolge bereits
früh Teil des Maifestes und blieben bis heute
unverändert298.
Die hier gezeigten farbigen Aufnahmen wurden
während meiner teilnehmenden Beobachtung am
30.04.2011 in Helsinki gemacht. Obwohl auf diese
295 Vgl. SLS 1528. 296 Vgl. Hufvudstadbladet, 29.04.1995. 297 Vgl. Talve 1997, S. 212. 298 Vgl. Hufvudstadbladet, 25.04.2009.
Svenska litteratursällskapet i Finland r.f.: sls2133_5.
56
erst in Kapitel 3.2 eingegangen wird, soll hier doch erwähnt werden, dass mir während
dessen Ballons sehr viel präsenter als die genannten Majviska schienen. Das auf der
vorherigen Seite links zu sehende Bild stammt wohl aus den 1950er oder 1960er Jahren
und soll lediglich zur historisch-chronologischen Darstellung der Ballons am Ersten
Mai dienen.
An den Grundschulen ist es üblich, für die Kinder einen Karneval zu organisieren. Im
schwedischen Archiv in Helsinki berichten mehrere Zeitungsartikel von diesen Veran-
staltungen, zu denen die Schulkinder und oft auch die Lehrer verkleidet kommen. Es
wird gespielt, gesungen, gemalt und natürlich Mjöd und Munkar zu sich genommen299.
In der Jakobstad Tidning vom 01. Mai 2001 findet sich ein Artikel, in dem es heißt,
dass die Schüler der finnischen und die der schwedischen Grundschule zum ersten Mal
zusammen den Ersten Mai feiern. Auch hier wurde gemeinsam gesungen, sogar in den
beiden verschiedenen Sprachen. Der Feiertag bietet also demnach Anlass zu einem
vereinenden Moment, der Potential hat, die Kinder einander näher zu bringen.
Eine besonders wertvolle Aktivität, die scheinbar vor
allem von finnlandschwedischen Schulen organisiert
wird, ist der Verkauf von Ansteck-Maiblumen zu
karitativen Zwecken. Dies geht auf die Initiative der
Schwedin Beda Hallberg zurück, die 1907 in Göte-
borg erstmals aus Zelluloid, später aus Plastik 300
angefertigte Blumen zu Gunsten von tuberkulose-
kranken Kindern verkaufte301. Ein Jahr später von
Greta Klärich in Finnland eingeführt, wurden die
Blumen vom Verein Mjölkdroppen, „Milchtropfen“,
verkauft, der nach französischem Vorbild Milchmi-
schungen für Kinder, die nicht gestillt werden konn-
ten, finanzierte. 1976 wurde der Verein aufgelöst und
das Anrecht auf den Verkauf der Maiblumen ging an die Organisation Folkhälsan,
Volkshilfe, über.302 Diese investierte unter anderem in kostenlosen Schwimmunterricht
für Kinder und Erwachsene, was in einem Land wie Finnland, wo es hunderttausende
Seen und eine lange Küstenlinie gibt, Leben retten konnte. Die erste Schwimmschule
der Folkhälsan wurde 1929 eröffnet303.
299 Vgl. bspw. Östra Nyland, 30.04.2009; Borgåbladet, 01.05.2002. 300 Vgl. Bringéus, Nils-Arvid: Årets festseder. Södertälje 1981, S.167. 301 Vgl. Åbo Underrätelser, 01.05.1993. 302 Vgl. Österbottningen, 18.04.2002. 303 Vgl. ebd., 18.04.2002.
Hufvudstadbladet.
57
Der Verkauf der Maiblumen ist so organisiert, dass die Blumen an Schulen, bezie-
hungsweise einem Gewährsmann zufolge auch an Kindergärten304 verteilt werden, die
diese wiederum an die Kinder weitergeben, wobei die allererste Maiblume dem Präsi-
denten, bzw. der Präsidentin gebührt305. Der Verkaufspreis liegt heute bei 2€ pro Blume,
wobei die Kinder bei jeder verkauften Blume ein Fünftel des Verkaufspreises für sich
behalten dürfen, also heutzutage 40 Cent. Oft wird die Provision aber auch vom Lehrer
gesammelt und für Klassenausflüge einbehalten.306
Eine besondere Ehrung wird den Kindern zuteil, die die meisten Maiblumen verkauft
haben. Das Hufvudstadbladet berichtete am 22. März 2001 darüber, dass einige finni-
sche Schüler zusammen mit sechs schwedischen Schülern im Schloss zu Stockholm von
Königin Silvia ein „Diplom“ überreicht bekamen. Von den finnischen Kindern verkauf-
te die elfjährige Christa Krogell ganze 1200 Blumen, gefolgt von Markus Matikainen
mit 1005 und Daniel Kangasmaa mit 850 Stück.307 Selbst während des Winterkrieges
wurden die Maiblumen verkauft, wobei diese seltenen Exemplare nun begehrte Samm-
lerstücke darstellen308.
Zuletzt soll eine Tradition am Ersten Mai vorgestellt werden, bei der ein kleines Mäd-
chen „drei Minuten Berühmtheit“309 erlangen
kann. Wie bereits in Kapitel 3.1.2.1 beschrie-
ben, trifft sich ein großer Teil der Stadtbevöl-
kerung am Ersten Mai in Parks, wo gepick-
nickt, entspannt und auch dem Orchester oder
dem akademischen Männerchor zugehört wird.
Teil des alljährlichen Auftritts des Männer-
chors, wie z. B. des Brahe Djäknars in Turku,
ist ein Lied, das zu Ehren eines kleinen Mäd-
chens, dem ljuva flicka, also dem „süßen
Mädchen“, gesungen wird. Zu diesem Anlass
wird bereits im Vorfeld ein Mädchen ausge-
wählt, – oft ist es die Tochter eines Chormit-
gliedes – das während des gesamten Liedes
vom Dirigenten oder von seinem Vater hoch-
gehoben wird und die ungeteilte Aufmerksam-
304 Vgl. SLS 1528, Bertel Marander (geb. 1926 in Kuivaniemi), S. 25. 305 Vgl. Österbottningen, 18.04.2002. 306 Vgl. Hufvudstadbladet, 10.04.1998. 307 Vgl. ebd., 22.03.2001. 308 Vgl. Österbottningen 18.04.2002. 309 Hufvudstadbladet, 01.05.2001: „tre minuter av berömmelse“.
Åbo Akademi Etnologie: IFbnr1987_26. Aufnahme von 1946.
(Andersson/Kvarnström)
58
keit des Chores und des Publikums erhält. In einem von mir geführten Interview meinte
die Befragte, Heidi H., dass das Lied zu Ehren der Frauen gesungen werden würde und
das kleine Mädchen die gesamte Frauenwelt repräsentieren solle.
Diesem Brauch scheint auch heute noch nachgegangen zu werden, schenkt man den von
mir geführten Interviews, auf die später noch genauer eingegangen wird, Glauben. Auch
in den Zeitungen des Archivs in Helsinki finden sich vereinzelte Zeitungsartikel, in
denen beispielsweise im Jahre 1994 versucht wird, zum 30. Jubiläum der Tradition auf
Åland alle vorherigen 29 Ljuva Flickor wiederzufinden und sie am Ersten Mai zu ver-
sammeln310.
3.1.3 Zwischenbilanz
Wie im vorigen Teil dargelegt, ist die Geschichte des Ersten Mai in Finnland zweige-
teilt, wahrscheinlich noch drastischer als es in Deutschland der Fall ist. Auf der einen
Seite steht ein jahrhundertealtes Frühlingsfest, zu dem landwirtschaftliche Bräuche und
Vorstellungen ebenso gehörten wie das immer noch hochaktuelle Studentenfest; auf der
anderen ein politisches Geschehen, das erst ab 1889/90 möglich war und um die Jahr-
hundertwende auch in Finnland Wurzeln schlug.
Auf dem Land sind beispielsweise das Abbrennen von Maifeuern, das Walpern der
Dorfkinder, um Wölfe zu vertreiben und den Frühling einzuleiten oder auch der Akt,
sich Mark in die Beine zu trinken, zu nennen. Demgegenüber steht der Karnevalscha-
rakter des städtischen Maifestes, bei dem Masken, Luftschlangen und Ballons genauso
feste Bestandteile sind, wie der Besuch im Park und des dort stattfindenden Konzert des
Orchesters und des akademischen Männerchores. Zentrales Element und zugleich Hö-
hepunkt des städtischen Ersten Mai ist die „Krönung“ einer Statue, die von Studenten
eine weiße Studentenmütze aufgesetzt bekommt. Auch für Kinder finden sich spezielle
Aktivitäten, wie beispielsweise der Verkauf von Maiblumen durch Grundschüler oder
bunte Karnevalsveranstaltungen in der Schule. Eine finnische Besonderheit stellt das
Ljuva Flicka, das Mädchen, zu dessen Ehren ein Lied gesungen wird, dar.
Neben diesen vergnüglichen Aktivitäten werden, wie bereits erwähnt, auch politische
Demonstrationen organisiert, deren Hauptbestandteile Kundgebungen, Märsche und
Musik sind. Auch der Verkauf bzw. das Verteilen von Erbsensuppe scheint zum politi-
schen Ersten Mai dazuzugehören. Während diese Veranstaltungen nach dem Krieg
überaus gut besucht waren, sind die Zahlen heutzutage auffallend rückläufig. Und so ist
es nicht verwunderlich, dass, wie im Folgenden noch aufgezeigt werden soll, das Stu-
310 Vgl. Nya Åland, 28.04.1994.
59
dentenfest deutlich mehr Raum und Aufmerksamkeit einnimmt als jede andere Aktivität
am Vorabend und am Ersten Mai.
3.2 Erlebnis Vappu – Die Sicht von Innen und Außen. Interviews und
teilnehmende Beobachtung
Um herauszufinden, was Vappu für die Menschen bedeutet, bedurfte es einer anderen
Herangehensweise als die Auswertung von Literatur und alter Archivalien. Zu diesem
Zweck führte ich im April 2011 in Turku und in der Woche nach dem Ersten Mai in
Helsinki Interviews durch, bei denen ich mich nach den persönlichen Eindrücken der
Befragten vom Ersten Mai erkundigte. Sowohl Assoziationen, als auch Kindheitserinne-
rungen und Erlebnisse an Vappu waren hierbei interessant. Ich versuchte, das zuvor
Gelesene darüber, was an den beiden Tagen vor sich geht, zu verifizieren oder zu falsi-
fizieren, um so ein aktuelles Bild der Geschehnisse an Vappu zu erhalten. Neben diesen
Interviews bildeten im Svenska litteratursällskapet i Finland r.f. archivierte Fragebo-
genaktionen und Interviews aus den 1980er Jahren eine weitere Grundlage für die Bear-
beitung des folgenden Kapitels. Ergänzt wird diese „Sicht von Außen“ durch eine inne-
re, nämlich meine persönliche Sicht auf Vappu, die ich mit Hilfe einer im April und Mai
2011 durchgeführten teilnehmenden Beobachtung gewinnen konnte.
Die Wahl meiner zehn Interviewpartner geschah eher zufällig. Ich fand einen Großteil
davon mit Hilfe meiner ehemaligen Tutorin der Åbo Akademi und durch Niklas Huldén,
sowie eines weiteren Bekannten, der Student an der Aalto-Universität in Helsinki war.
Sechs der Befragten studieren an der Åbo Akademi in Turku, beziehungsweise haben
dort studiert und arbeiten nun in Turku311, während nur drei an der Aalto-Universität in
Helsinki studieren312 und eine weitere an dieser Austauschstudentin war, nun aber zu
Vappu wieder zurück nach Finnland kam313. Sieben der zehn Personen, also 70 Prozent,
waren weiblich. Nur zwei Befragte, also 20 Prozent, waren keine Studenten mehr und
46, beziehungsweise 50 Jahre alt314.
Fünf Befragte kommen ursprünglich vom Land, zwei aus dem Westen Finnlands315,
eine davon aus dem Schärengebiet vor Turku316. Zwei weitere stammen aus östlichen
311 Aino (geb. 1986); Ann-Helen (geb. 1966); Heidi G. (geb. 1962); Heidi H. (geb. 1984); Jenni (geb. 1988); Veronica (geb. 1991). 312 Kristian (geb. 1990); Tero (geb. 1986). 313 Jana (geb. 1987). 314 Ann-Helen; Heidi G. 315 Ann-Helen; Kristian. 316 Ann-Helen.
60
Gebieten317, eine davon aus Pyhtää, nahe der Grenze Russlands318. Die fünfte Befragte
kam aus Sibbo, einem Dorf im Schärengebiet bei Helsinki319. Die anderen wuchsen in
Städten wie Espoo bei Helsinki, Pori, was im nordwestlichen Finnland liegt, Turku und
Berlin auf 320 , wobei die Austauschstudentin wie bereits erwähnt an der Aalto-
Universität in Helsinki studierte.
Die meisten der Befragten, die 1987 von Studenten der Åbo Akademi interviewt wur-
den, stammten von der Westküste, genauer der Nordwestküste Finnlands, was eine der
Gegenden ist, wo besonders viele Finnlandschweden beheimatet sind. Drei, und damit
der Großteil der Interviewten, kamen aus Vasa321 und jeweils zwei aus Pargas322, das im
Schärengebiet vor Turku liegt, und Turku selbst323. Die restlichen stammten aus Gamla
Karleby324, was auf Finnisch Kokkola heißt und an der Nordwestküste liegt, sowie aus
Kuivaniemi 325 , Oravais 326 und Tampere327 . Aus dieser Verteilung heraus lässt sich
schließen, dass die beschriebenen Brauchelemente weitestgehend denen des finnland-
schwedischen Habitus entsprechen. Die geschlechtliche Verteilung ist bei diesen Inter-
views ähnlich wie bei den von mir geführten: sieben Befragte sind weiblich, vier männ-
lich. Dagegen sind die Altersgruppierungen ausgewogener, wobei auffällt, dass zwar
jeweils fünf Personen zwischen 25 und 27, beziehungsweise zwischen 54 und 66 Jahren
alt sind, die 30 bis 40-jährigen aber nur durch eine Befragte vertreten sind.
3.2.1 Assoziationen - Sachen, Ideen, Wörter
Auf die Einstiegsfrage, was sie mit Vappu assoziieren, also was ihnen als erstes einfällt,
wenn sie den Begriff „Vappu“ hören, antworteten die Befragten Verschiedenes, wobei
Mehrfachnennungen möglich waren. Herausragend oft wurden Ballons angeführt, näm-
lich vier Mal328. Dicht gefolgt war diese Antwort von dem speziellen Gebäck, das es zu
Vappu gibt329, der Feierlichkeit im Allgemeinen330, sowie der Studentenparty und dem
damit verbundenen Trinken331 mit jeweils drei Nennungen. Zwei Nennungen teilen sich
317 Aino; Veronica. 318 Veronica. 319 Heidi G. 320 Tero; Matti; Heidi H.; Jenni; Jana. 321 Vgl. SLS 1528: Carita Ecklund (geb. 1929); Olav Ecklund (geb. 1960); Peter Söderman (1960). 322 Vgl. ebd.: Karl Sjöström (geb. 1933); Eva Ramstedt-Sjöström (geb. 1956). 323 Vgl. ebd.: Marika Ramström (geb. 1962); Maria Wegelius (geb. 1960). 324 Vgl. ebd.: Sigrid Corin (geb. 1921). 325 Vgl. ebd.: Bertel Marander (geb. 1926). 326 Vgl. ebd.: Inger Jakobsson-Wärn (geb. 1960). 327 Vgl. ebd.: Iris Tuominen (geb. 1923). 328 Vgl. Interview mit Aino; Veronica; Heidi G.; Heidi H., jeweils S. 1. 329 Vgl. Interview mit Aino, S. 1; Jenni, S. 1; Veronica, S. 2. 330 Vgl. Interview mit Ann-Helen; Heidi G.; Jenni, jeweils S. 1. 331 Vgl. Interview mit Aino; Heidi G.; Heidi H; jeweils S. 1.
61
Mjöd/Sima332, (Karnevals-) Dekoration333, die Studentenmütze334 und das Spaß-haben
im weiteren Sinne335.
Darüber hinaus wurden der Frühling336, die Familie337, Studentenoveralls338, Karne-
val339, Luftschlangen als genauer definiertes Dekorationselement340, Politik341, Cham-
pagner342 und Leute im Park343 jeweils einfach genannt.
Als das Huvfudstadbladet Ende April 1995 Jugendliche unter anderem dazu befragte,
was Vappu für sie bedeute, gab es nur wenige Übereinstimmungen in den Antworten.
Lediglich Luftschlangen und Mjöd erhielten zwei Nennungen, während alles andere nur
einfach angegeben wurde. Darunter waren der Frühling, Sonnenschein, das Gebäck
Struvor, Champagner, Glasscherben, Ballons, das Treffen von Bekannten, die Statue
Havis Amanda und die technologischen Studenten zu finden.344
3.2.2 Kindheitserinnerungen: 1962 bis 1991
In der Kindheit der Interviewpartner war Vappu eher ein Familienfest, bei dem das
Haus farbenfroh dekoriert wurde345 und welches eng verbunden war mit einem Festes-
sen am Vorabend und den Spezialitäten zu Vappu wie Sima/Mjöd und Munkki, bezie-
hungsweise Tippaleipä/Struvor. Während vor allem die Mütter der Befragten Sima noch
oftmals zu Hause ansetzten346, wurde Tippaleipä in keiner der Familien selbst gemacht
und nur zwei Interviewte berichteten davon, die Doughnut-artigen Munkki selbst herge-
stellt zu haben347. Tippaleipä scheint im Allgemeinen nicht so beliebt zu sein wie es
beispielsweise Munkki und vor allem Sima sind. Zwar bezeichnen es drei Befragte als
traditionelles Gebäck348, aber ebenso viele mögen es nicht oder haben es nie wirklich zu
sich genommen349. Nur eine einzige gibt an, Tippaleipä zu kaufen oder bei Freunden
mitzuessen 350 . Den Interviews von 1987 zufolge waren dieses Gebäck, sowie Si-
ma/Mjöd und Limonade die wichtigsten Bestandteile der Maifeier, was daran erkennbar
332 Vgl. Interview mit Aino; Jenni, jeweils S. 1. 333 Vgl. Interview mit Aino; Heidi H, jeweils S. 1. 334 Vgl. Interview mit Aino; Jenni, jeweils S. 1. 335 Vgl. Interview mit Kristian; Tero, jeweils S. 1. 336 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 1. 337 Vgl. ebd., S. 1. 338 Vgl. Interview mit Aino, S. 1. 339 Vgl. Interview mit Kristian, S. 1. 340 Vgl. Interview mit Veronica, S. 2. 341 Vgl. Interview mit Heidi G, S. 1. 342 Vgl. Interview mit Jenni, S. 1. 343 Vgl. Interview mit Tero, S. 1. 344 Vgl. Hufvudstadbladet, 29.04.1995. 345 Vgl. Interview mit Aino, S. 3; Heidi H., S. 3; Kristian, S. 1. 346 Vgl. Interview mit Aino, S. 2; Ann-Helen, S. 2; Heidi G., S. 2; Kristian, S. 2; Tero, S. 1. 347 Vgl. Interview mit Aino, S. 2; Heidi H., S. 3. 348 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 2; Heidi H., S. 3; Kristian, S. 1. 349 Vgl. Interview mit Aino, S. 2; Heidi G., S. 2; Veronica, S. 2. 350 Vgl. Interview mit Jenni, S. 1.
62
wird, dass sechs von zehn Gewährsleuten sie erwähnen351. Neben diesen traditionellen
Speisen wurden auch jeweils einmal Pulla352, ein Hefeteiggebäck, sowie Krabben353
und eine Frühlingssuppe354 als Teil des Festessens zu Vappu genannt.
Für viele der von mir befragten Personen war es zudem wichtig, auf den Marktplatz zu
gehen und dort an dem festlichen Treiben teilzunehmen355. Dort waren es vor allem die
Stände mit dem bunten Allerlei, die Ballons, Luftschlangen und Vappuhuiska, jene
Pompoms, die bereits in Kapitel 3.1.2.3 erwähnt wurden, die es ihnen als Kinder ange-
tan haben356. Die Interviews von 1987 bestätigen dies; hier finden sich drei Aussagen
darüber, dass Luftschlangen, Ballons und Vappuhuiska zum Fest dazu gehörten357.
Etwas, das in den Befragungen aus dem Archiv in Helsinki oft aufgezählt wurde, aber
in den von mir geführten Interviews keine Erwähnung findet, sind das Anhören des
Sängerchores im Park358, sowie traditionelle Restaurantbesuche359, wobei sich eine der
Aussagen auf den Besuch im Svenska Klubben bezieht, wo ebenfalls ein Mahl einge-
nommen wurde360. Dagegen werden die politischen Paraden sowohl in den älteren361,
als auch in einem meiner Interviews genannt362, allerdings wies eine weitere Befragte
darauf hin, dass diese vor allem in den Städten und weniger auf dem Land organisiert
werden würden363. Vom politischen Ersten Mai in Finnland wird ferner in Kapitel 3.2.4
berichtet.
Den Interviews nach zu urteilen machen die weißen Studentenmützen, die nach wie vor
um 18 Uhr aufgesetzt werden, bereits Eindruck auf Kinder, die es dann, einer Inteview-
partnerin zufolge, kaum erwarten können, selbst eine solche Mütze zu haben364. Des
Weiteren wird ein Picknick am Ersten Mai genannt365 und auch eine Befragte aus dem
Jahr 1987 berichtet, dass sie als Kind am Ersten Mai, ob bei Schnee oder Regen, einen
Frühlingsausflug ins Grüne machte, bei dem Sima und Gebäck nicht fehlen durften366.
Jenni, eine meiner Gewährsleute, erzählte außerdem von einem Vergnügungspark,
saariasen Tivoli, der jedes Jahr zu Vappu nach Turku kommt. Sie meinte, sie wäre
351 Vgl. SLS 1528: Carita Ecklund S. 4; Olav Eklund, S. 7; Iris Tuominen, S. 21; Bertel Marander, S. 25; Eva Ramstedt- Sjöström, S. 34; Inger Jakobsson-Wärn, S. 38. 352 Vgl. ebd.: Iris Tuominen, S. 21. 353 Vgl. ebd.: Sigrid Corin, S. 16. 354 Vgl. ebd.: Carita Ecklund, S. 4. 355 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 2; Heidi H., S. 3; Jenni, S. 4; Kristian, S. 2. 356 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 2; Jenni, S. 4. 357 Vgl. SLS 1528: Carita Ecklund, S. 4; Bertel Marander, S. 25; Maria Wegelius, S. 44. 358 Vgl. ebd.: Carita Ecklund, S. 4; Peter Söderman, S. 11; Bertel Marander, S. 25. 359 Vgl. ebd.: Carita Ecklund, S. 4; Olav Eklund, S. 7. 360 Vgl. ebd.: Maria Wegelius, S. 44. 361 Vgl. ebd.: Bertel Marander, S. 25. 362 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 1 f. 363 Vgl. Interview mit Aino, S. 4. 364 Vgl. Interview mit Heidi H., S. 3. 365 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 2. 366 Vgl. SLS 1528: Eva Ramstedt-Sjöström, S. 34.
63
alljährlich mit ihrem Bruder zu diesem gegangen und würde das auch heute noch ma-
chen – allerdings nur aus der Tradition heraus und ohne die Attraktionen zu besuchen
oder etwas zu kaufen. Es werden noch weitere Kindheitserinnerungen bezüglich Vappu
aufgezählt, die aber nicht zu verallgemeinern sind. So erwähnt Ann-Helen, dass sie in
den 1970ern für gewöhnlich an diesem Tag neue Kleider bekommen hätte und auch in
einem Interview aus dem Jahre 1987 wird selbiges angeführt367.
Jenni berichtete ferner, dass ihre Familie wohl eher einzigartig sei, da sie Vappu nie
groß gefeiert hätten. Ihre Mutter sei von Stadt zu Stadt gereist und habe dort politische
Reden gehalten, wobei ihr Vater die Mutter meist begleitet habe. So hätte sie in der
Regel nichts unternommen und nun, da sie studiert, ginge sie mit Freunden feiern. Auch
wenn sie in der Familie gefeiert hätten, hätte dies meist nur aus einem Festessen am
Vorabend des Ersten Mai bestanden, entweder zu Hause oder bei Freunden. Die Studen-
tenmützen hätten ihre Eltern nie um 18 Uhr zusammen mit den anderen aufgesetzt.368
Leider konnten sich manche Befragte auch nicht an besondere Erlebnisse an Vappu
erinnern, so Tero und Heidi G. Letztere meinte, sie könne sich nicht entsinnen, dass auf
dem Land, wo sie aufwuchs, viel los gewesen sei und dass das Feiern an Vappu erst
aktiver wurde, als sie zum Studieren nach Turku kam369.
3.2.3 Beschreibungen eines Vappus
Wie schon bei der Erläuterung der Herangehensweise der Interviews dargelegt, wurden
nur Studenten, beziehungsweise auch zwei ehemalige Studenten, der Åbo Akademi in
Turku und der Aalto-Universität in Helsinki befragt. Meine teilnehmende Beobachtung
erfolgte in Helsinki und unter Begleitung der technologischen Studenten der Aalto-
Universität. Dementsprechend ist das zur Verfügung stehende Informationsmaterial
vorgeprägt. Ebenso verhält es sich, wie bereits erläutert, mit den Interviews von 1987,
die von Studenten der Åbo Akademi durchgeführt wurden.
3.2.3.1 Die Gestaltung der Vappu week
Gerade zur Vappu week, also der Woche, die dem Ersten Mai vorausgeht, beziehen sich
die Ergebnisse der Befragungen beinahe ausschließlich auf die Veranstaltungen in
Helsinki; genauer gesagt auf die, die von der Gilde „Prodeko“, einer Gruppierung der
Industrial Engineering and Management-Studenten, organisiert werden. Von Turku hat
mir lediglich Jenni berichtet, dass in der Zeit vor Vappu ein Wettbewerb zwischen den
verschiedenen Verbänden der Ingenieursstudenten stattfände. Es ginge hierbei darum,
367 Vgl. SLS 1528: Bertel Marander, S. 25. 368 Vgl. Interview mit Jenni, S. 2. 369 Vgl. Interview mit Heidi G., S. 2.
64
wer sich den besten öffentlichen Streich leiste. Zu dieser Zeit fanden in Finnland gerade
Wahlen statt und das Beispiel, das Jenni brachte und welches zugleich ihr Favorit war,
bestand aus einem gefälschten Wahlplakat einer eigens dafür ausgedachten Partei, die
allerlei verrückte Wahlversprechen machte. Allzu lange blieb es wohl nicht hängen,
Jenni selbst hatte nur auf der Internetplattform Facebook Bilder von der Aktion gesehen.
Das gleiche Prinzip des Wettbewerbs fand sich auch in Helsinki, allerdings wurde es in
den von mir geführten Interviews nicht weiter erwähnt.
In Helsinki ist zumindest bei den Teekkari-Studenten das Programm recht straff organi-
siert. Die Studierendenvertretungen und Gilden organisieren diverse Events.
Den Auftakt machte am 18. April das so genanntes „Vappu-Training“ auf dem Campus
in Otaniemi, welches von der Internationalen Abteilung von Prodeko für Austauschstu-
denten organisiert wurde. Circa zehn Austauschstudenten fanden sich gegen 20 Uhr in
einem mit Ballons geschmückten Gemeinschaftraum ein, in dem etwa ebenso viele
Finnen Essen und Getränke bereitgestellt hatten. Mittels einer Power Point-Präsentation
wurden die anstehenden Veranstaltungen während der Vappu week und Vappu selbst
aufgezählt. Anschließend saßen alle noch eine Weile gemütlich beisammen, zumal
einige der am Raum anschließenden Sauna einen Besuch abstatteten.
Tags darauf folgte um 17 Uhr eine ähnliche Info-Veranstaltung in angemieteten Räu-
men eines Nachtclubs in der Innenstadt von Helsinki, bei dem nun alle Austauschstu-
denten der örtlichen Universitäten teilnehmen konnten. Zu Sekt und Häppchen, sowie
einer weiteren Power Point-Präsentation versammelten sich etwa 25 Austauschstuden-
ten, bevor sie zu einem größeren Event, dem „Mp3-Experiment“ weiter zogen. Treff-
punkt hierfür war der so genannte Glaspalast, einem Gebäude nahe dem zentralen Bus-
bahnhof Kamppi. Zuvor hatte es über Facebook die Anweisung gegeben, sich eine
Audiodatei aus dem Internet herunterzuladen und diese, ohne sie anzuhören, auf einem
Mp3-Player abzuspeichern, der zu dem besagten Event mitzubringen war. Um Punkt 18
Uhr sollte jeder der geschätzten 200 versammelten Studenten die Datei abspielen und
den Anweisungen folgen. Letztere schickten die Menge quer durch die Innenstadt, wo
sie beispielsweise Passanten zu einem Handschlag auffordern, im zentralen Postgebäu-
de das Summen und Pfeifen anfangen oder etwa in der Bewegung „gefrieren“ sollten,
was sogar eine Straßenbahn zum Anhalten zwang und den Verursacher wohl in Nervo-
sität ausbrechen ließ. Bei der letzten Etappe trafen die Studenten auf einen als „Aalto
Spirit“ verkleideten Studenten, dem sie Alkohol anbieten und ihn dann alle auf einmal
umarmen sollten. Den Abschluss bildete ein Grillfest, zu dem die Teilnehmer in einen
anderen Park ziehen mussten, was damit zusammenhing, dass die Stadt den Studenten
65
nicht erlaubte, am eigentlichen Ziel des Mp3-Experiments zu bleiben. Um diese Masse
an Studenten dort hin zu bringen, wurde eine „Demonstration“ veranstaltet, bei der
weiße Papierbögen und Stifte verteilt wurden, sodass jeder etwas Beliebiges darauf
schreiben konnte, gegen das er oder sie gerne demonstrieren würde. Neben dem dort
stattfindenden Picknicks mit Würstchenverkauf, fand sich eine mobile Sauna, sowie
Tanz-Animation durch einen professionellen Tanzlehrer. Wer wollte, konnte danach
zurück in den Club, in dem anfangs die Informationsveranstaltung abgehalten wurde,
um dort zu selbst mitgebrachten Getränken zu tanzen und zu feiern.
Tero, einer der beiden Studenten aus Helsinki beginnt die Beschreibung der Vappu week
mit dem „Vappu Sitsits“. Bei einem Sitsit handelt es sich um ein traditionelles akade-
misches Festessen, bei dem eine ausgewogene Anzahl Männer und Frauen in abwech-
selnder Reihenfolge um einen Tisch sitzen. Es wird ein Drei-Gänge-Menü serviert und
nach Anleitung eines Lukkaris, eines Toastmasters, gesungen, gegessen, getrunken und
gemeinsam angestoßen. Was auch sonst schon eine beliebte Veranstaltung unter den
Studenten ist, wird in der Vappu week noch amüsanter, denn, so Tero, jeder sei in dieser
Woche noch entspannter als sonst, da man sich zu dieser Zeit des Jahres um nichts mehr
kümmern müsse. Das Semester sei zu Ende, Vappu und damit der Frühling nahe und es
stehe eine Woche voller Spaß bevor370.
Ich selbst hatte im Zuge meiner teilnehmenden Beobachtung am 25. April 2011 eben-
falls das Vappu-Sitsit, welches das Motto einer Fernsehsendung namens „Jersey Sho-
re“ trug, besucht. Es fand am 25. April 2011 auf dem Campus in Otaniemi in einem
Gebäude namens Smökki-Sauna statt. In dessen Innerem, das mit rotem Backstein aus-
gekleidet war, befand sich eine abgetrennte Sauna, sowie ein größerer Raum, in dem
Tische, Bänke und Sofas aufgestellt waren. In einer Ecke schloss sich zudem ein weite-
res, durch eine Theke getrenntes Zimmer an, von dem aus Bier und andere Getränke in
Dosen verkauft wurden. Ich hatte zu dem Zeitpunkt bisher an nur zwei weiteren Sitsits
teilgenommen, die beide von Studenten der Åbo Akademi organisiert worden waren
und deshalb größtenteils ähnlich, aber zugleich auch anders begangen wurden. Der
größte Unterschied war, dass es bei den Sitsits der Teekkaris keine Bestrafungen gibt,
während die finnlandschwedischen Studenten darauf Wert legen, dass die Teilnehmer
nur zwischen den Gängen aufstehen und auch um Erlaubnis bitten, wenn sie während
des Essens beispielsweise auf Toilette müssen. Die Bestrafungen bei Nichtbeachtung
der Regeln konnten zum Beispiel daraus bestehen, dass man sich vor versammelter
Runde auf einen Stuhl stellen und ein Lied vortragen musste. Bei diesem Vappu-Sitsit
370 Vgl. Interview mit Tero, S. 2.
66
aber ging es darum, gemeinsam zu feiern, zu essen, zu trinken und zu singen. Laut
Aussage einiger Besucher verlief dieses Sitsit „wilder“ als sonst. Schon früh gelang es
dem Lukkari nicht mehr, die circa dreißig Teilnehmer zu kontrollieren, es wurde mit
Essen um sich geworfen und auch zu laut, um noch den Lukkari zu Wort kommen zu
lassen, sodass bereits nach zwei Stunden das Sitsit offiziell mit einem Gong für beendet
erklärt wurde und in eine allgemeine Party mit Musik, Tanz und Saunabesuch überging.
Elemente, die speziell an das herannahende Vappu denken ließen, fielen mir keine auf.
Eine weitere große und wichtige Veranstaltung ist die Veröffentlichung des humoristi-
schen Vappu-Magazins, das den Namen „ÄPY“ trägt. Die Besonderheit hierbei ist,
dass es von Studenten kreiert und in Zusammenarbeit mit Firmen professionell entwi-
ckelt wird. Anschließend kann jeder Studenten, der möchte, eine beliebige Anzahl
Magazine auf möglichst kreative Art und Weise auf den Straßen Helsinkis verkaufen.
Nach Teros Angaben wurde die Zeitschrift 1948 zum ersten Mal herausgegeben, damals
noch zur Finanzierung des Campus von Otaniemi, wo die Teekkaris untergebracht sind.
Ab den 1960ern wurde es dann alle zwei Jahre publiziert, wobei im jeweils anderen Jahr
die Zeitschrift „Joulku“ herausgebracht wurde. 371 Im Interview mit Kristian merkte
dieser hierzu an, dass die Mitarbeiter beider Zeitschriften in diese Position gewählt
würden und man sich nicht einfach dafür bewerben könne; es handle sich also hier um
einen exklusiven Kreis372. Tero dagegen meinte, dass der Kern der Mitarbeiter festge-
legt sei, wer aber Ideen oder Vorschläge für die Verwirklichung des Magazins hätte,
könne diese an die Mitarbeiter weitergeben373.
Dieses Vappu-Magazin wurde am 26. April, also am Tag nach dem Vappu-Sitsit, im
Hauptgebäude des Campus offiziell herausgegeben und so der Verkauf durch die Stu-
denten eingeleitet. Der hörsaalartige Raum war überfüllt mit Studenten, die teilweise
sogar auf den Treppen Platz nahmen. Die gesamte Veranstaltung war eindrucksvoll
aufgezogen; den Anfang machte ein professionelles Tanzpaar, das von einer Band
begleitet wurde. Später gesellte das studentische Blasorchester in seinen traditionellen
Feuerwehrkostümen hinzu. Dieses spielt auf allen offiziellen Universitätsveranstaltun-
gen, allerdings nur manchmal nach Noten, mal auch in voller Absicht komplett falsch.
Die Moderation der Veranstaltung übernahm zu Beginn noch der Herausgeber der alten
Zeitung von vor zwei Jahren, der jedoch schon bald symbolisch auf der Bühne umge-
bracht wurde. Darauf folgte eine längere Filmsequenz, in der auf eine humoristische Art
und Weise gezeigt wurde, wie der neue Herausgeber gefunden wurde, der dann unter
371 Vgl. Interview mit Tero, S. 9. 372 Vgl. Interview mit Kristian, S. 3. 373 Vgl. Interview mit Tero, S. 10.
67
Beifall die Bühne betrat. Anschließend wurde das Verkaufsprinzip erklärt. Bei nur zehn
verkauften Ausgaben würde demnach der Verkäufer ein gratis T-Shirt erhalten. Je mehr
er verkauft, desto mehr würde er auch verdienen; ab einer gewissen Anzahl handle es
sich durchaus um bares Geld. Die neue Ausgabe des ÄPY bestand aus einer Spielebox,
die von dem Süßigkeitenhersteller Fazer gesponsert wurde. Der Clou hierbei war, dass
die roten Punkte auf dem Brettspiel, das Helsinki und Umgebung darstellte, auch wirk-
lich in der Stadt zu finden waren. Zu Beginn der Veranstaltung erhielt jeder Besucher
eine 3-D-Brille, auf der seitlich eine Nummer aufgedruckt war. Zum Ende hin wurde
eine der Nummern gezogen und auf der Leinwand präsentiert. Der, dessen Brille diese
Nummer trug, erhielt von Fazer ein Jahr kostenlos Salmiakki, eine finnische Lakritz-
Süßigkeit.
Für die Studenten, die gerade ihr erstes Jahr an der Universität beendet haben, die so
genannten Fuksis, wird von ihren Tutoren und Fuksi-Captains ein „Fuksi-
killing“ organisiert, bei dem bildlich der Fuksi in ihnen getötet wird und sie nun zu
richtigen Teekkaris werden können. Laut Tero sei dies eine geschlossene Veranstaltung,
an der wirklich nur die Fuksis und die Veranstalter teilnehmen und über die auch sonst
kein öffentliches Wort verloren werden dürfe.374 Da ich durch gewisse Umstände aller-
dings daran teilnehmen konnte und da die vorliegende Arbeit nicht veröffentlicht wird,
soll dieser geheime Akt nun dennoch beschrieben werden.
Am 27. April 2011 fanden sich um 23 Uhr die Fuksis der verschiedenen Fachbereichen,
sowie eine Gruppe von sieben Austauschstudenten, für die erstmals die Regeln ein
wenig gelockert wurden, sodass sie auch am Fuksi-killing teilnehmen durften, in einem
Raum auf dem Campus in Otaniemi ein. Die Größe der einzelnen Fuksi-Gruppen betrug
zwischen vier und sieben Studenten. Nach und nach verließ eine Gruppe nach der ande-
ren, geführt von ihrem Fuksi-Captain, den Raum. Als unsere Gruppe an der Reihe war,
ging es zunächst in einen Hörsaal, wo wir in einer hochwissenschaftlichen Vorlesung
darin unterwiesen wurden, eine Krawatte richtig zu binden. Worin der Sinn dahinter
bestand, blieb mir unklar. Anschließend wurden uns die Augen verbunden und wir
wurden so von Aufgabe zu Aufgabe geführt, nie genau wissend, wo wir uns befanden.
Diese Aufgaben konnten beispielsweise daraus bestehen, die gemessene Herzfrequenz
eines von uns zuvor erwählten Mitglieds unserer Gruppe möglichst hoch zu treiben.
Zuallererst sollten wir einen Freiwilligen aus unserer Gruppe aus dem Zimmer schicken.
Danach wurde uns das Spielprinzip erklärt. Die zuvor bestimmte Person kam dann mit
verbundenen Augen zurück, ohne zu wissen, was ihr bevorstand, jedoch wusste sie ein
374 Vgl. Interview mit Tero, S. 3.
68
Codewort, mit dem sie das Geschehen jederzeit abbrechen konnte. Um das erwähnte
Ziel zu erreichen, kamen unter anderem eine Bohrmaschine ohne Bohreinsatz, ein
Kugelschreiber, dessen Spitze kleine Elektroschocks verteilte oder auch ein Fön zum
Einsatz. Weitere Aufgaben waren das Kriechen durch ein pechschwarzes Labyrinth, das
Beantworten eines Quiz mit fachlich auf das Ingenieur-Studium bezogenen Fragen oder
auch das erfolgreiche Kämpfen durch eine Art Hindernisparcour, der sehr an Abenteuer-
filme wie Indiana Jones und ähnliche erinnerte. Die Aufgaben hatten alle einen hohen
Spaß-Faktor, bei dem, entgegen der bedrohlich wirkenden Bezeichnung des Fuksi-
killings, niemand ernsthaft gefährdet oder erniedrigt wurde. Die Stationen waren mit
sehr viel Aufwand ausgestaltet worden, es kamen einfallsreiche Dekorationen, Verklei-
dungen und auch Rollenspiele zum Einsatz.
Nachdem alle Aufgaben erfolgreich von den Fuksis und Austauschstudenten gemeistert
worden waren, wurde eine Art „Eid“ geleistet, bei dem die Studenten versicherten, den
Gilden, dem Verhaltenskodex der Teekkaris und auch älteren Studenten Respekt und
Ehre zu erweisen, sowie jüngeren Studenten stets hilfreich zur Seite zu stehen. Dieser
Eid wurde mit einem äußerst merkwürdig schmeckenden alkoholischen Getränk besie-
gelt, welches offenbar jedes Jahr aus anderen fragwürdigen Zutaten zusammengemischt
wird, wobei keiner der Teilnehmer weiß, was er da zu sich nimmt.
Eine weitere Veranstaltung der Vappu-week ist eine Art Karneval, der von der Studen-
tenvertretung auf dem Senatsplatz veranstaltet wird, bei dem sogar eine Band auftritt. In
diesem Jahr war es ein Staffellauf der verschiedenen studentischen Gruppierungen,
daran schloss sich laut Tero ein Vichy-Wetttrinken gegen PoRa, den Polytechnical
Sobriety Club, an. Zumindest im letzten Jahr wurde hiernach ein Tauziehen gegen die
Mitglieder der Student Union organisiert, wobei sich Tero nicht sicher war, ob es dieses
Jahr auch stattfand, weil er selbst nicht hingegangen sei.375
Zu nennen ist auch die Sitsit-Competition, bei der jeder, der mitmachen wollte, am 28.
April auf dem Alvari-Platz auf dem Campus in Otaniemi ein privates Sitsit veranstalten
konnte, wobei die besten Ideen, Kostüme, Mottos und Durchführungen von einer Jury
bewertet wurden. Als ich an diesem Tag über den Platz schlenderte, fanden sich sowohl
einfache Picknickdecken als auch aufwändig gestaltete und völlig unterschiedliche
Sitsit-Konzepte.
375 Vgl. Interview mit Tero, S. 3 f.
69
Neben einem schwarz-düsteren Gothic-
Tisch (linkes Bild) und einem Zombie-Sitsit
samt „Leiche“, waren auch Tische, an denen
die Teilnehmer als alte Damen, Computer-
spieler oder mit Tiermasken verkleidet
saßen, aufgebaut. Besonders eindrucksvoll
war eine überdimensional große Raupe (rechtes Bild), bestehend aus von Architektur-
studenten im Inneren getragenen Metallreifen, über die ein halbtransparenter Stoffkör-
per gespannt war. So bewegte sich die mobile Raupe von Stelle zu Stelle, ließ sich hin
und wieder nieder, sodass die Träger zu ihrem Sitsit-Festmahl kamen, was immer noch
im Inneren der Raupe eingenommen wurde.
Außerdem fand ein Speksi der Fuksis statt, was einem Improvisationstheater ähnelt376.
Hier können die Zuschauer während der Stücke hineinrufen, wie sie das Geschehen
verändert haben wollen. Bei diesem speziellen Speksi am 29. April 2011 traten die
Fuksis, also die Studenten des ersten Jahres, der verschiedenen Fachbereiche gegenein-
ander an. Der Saal auf dem Campus in Otaniemi, in dem die Stücke aufgeführt wurden,
war gut gefüllt, wobei die Besucher, bis auf die aus den Fuksi-Captains bestehende Jury,
auf dem Boden Platz nahmen. Da die Theaterstücke natürlich auf Finnisch aufgeführt
wurden, war es für mich schwierig zu folgen. Dennoch fielen einige davon durch eine
originelle Handlung auf, die, auch ohne jedes Wort zu verstehen, amüsierte.
Darauf folgten zwischen den Fuksis der verschiedenen Fächer nachts Wettkämpfe mit
„strange looking games“377, die darüber entschieden, wer am Morgen des 30. April
seine weiße Studentenmütze als erstes überreicht bekommen und wer eben diese an die
Gewinner verteilen und seine eigene als letztes erhalten würde. An dieser Stelle muss
erklärt werden, dass die Studienanfänger der Teekkaris zwar mit dem Abitur die ge-
wöhnliche Abiturmütze erhalten, sich das Recht, die besondere Teekkari-Mütze mit den
376 Vgl. Interview mit Tero, S. 4 f. 377 Ebd., S. 5.
70
schwarzen Toff zu tragen, aber erst im Laufe des ersten Jahres an der Universität zu
verdienen haben. Hierfür müssen sie an diversen Aktivitäten teilnehmen, beispielsweise
einer Sitsit-Veranstaltung beiwohnen, selbst eine Feier organisieren, ein Unternehmen
besuchen und dergleichen, um so Punkte zu sammeln. Es ginge, laut meinem Interview-
partner Matti, darum, die Studienanfänger in die Gemeinschaft zu integrieren, dass sie
Kontakt zu den anderen Studenten knüpfen, sowie darüber hinaus die Kultur der Teek-
karis kennenlernen.378 Tero nennt aber auch die Möglichkeit, dem nicht nachzugehen.
In diesem Fall bekomme man zwar trotzdem seine Studentenmütze, aber erst nachdem
Vappu vorbei sei379. Die eben genannten Spiele sollen laut Teros Aussage „group dy-
namics [und] team building“380 stärken. Tero erläuterte nicht weiter, was genau in dieser
Nacht geschieht und Matti erklärte lediglich, dass nur acht Fuksis vom Fuksi-Captain
auserwählt werden, um die Gilde bei den Spielen zu repräsentieren. Er hatte seinerzeit
nicht zu diesen Acht gehört, weswegen er auch nicht zu sagen vermochte, was genau
dabei abläuft, zumal es für die Teilnehmer verboten sei, darüber zu reden381.
An dieser Stelle soll auf Aufnahmerituale an anderen Universitäten weltweit hingewie-
sen werden. Diese sind mitunter als so genanntes Hazing bekannt, welches von Mi-
chelle A. Finkel wie folgt definiert wird: Es handelt sich hierbei um „acts against an
individual or forcing an individual to commit an act in order for the individual to be
initiated into or affiliated with an organization”382. Hier wird also auf ein Initiationsri-
tual hingewiesen, durch das Individuen in eine Organisation aufgenommen werden. Die
Geschichte des Hazings reicht weit zurück, so war es laut Finkel beispielsweise um
1600 Bedingung für einen Universitätsabschluss, was allerdings aufgrund zahlreicher
dadurch verursachter Todesfälle um 1700 abgeschafft wurde. Dass dies nicht erfolg-
reich war, zeigen weitere Vorkommnisse dieser Art bis in die heutige Zeit. Zu Beginn
des 20. Jahrhunderts war Hazing sogar offiziell von Studenten und Schulleitungen als
eine Möglichkeit akzeptiert, Studienanfängern Respekt vor der Schulorganisation zu
lehren383. Und auch obwohl einige Universitäten und Schulen ab den 1930er Jahren
versuchten, gegen diese Tradition vorzugehen, kam es weiterhin zu Todesfällen und
schweren Verletzungen. Finkel zählt einige Methoden des Hazings auf. Neben Schlägen,
Brandverletzungen, Ertränken und dem Springen von Brücken, Dächern und Klippen,
378 Vgl. Interview mit Matti, S. 2. 379 Vgl. Interview mit Tero, S. 5. 380 Ebd., S. 5. 381 Vgl. Interview mit Matti, S. 3. 382 Finkel, Michelle A.: Traumatic Injuries Caused by Hazing. In: Nuwer, Hank (Hg.): The Hazing Reader. Bloomington 2004, S. 171. 383 Vgl. Finkel 2004, S. 172.
71
zählen auch der Konsum nicht-essbarer oder Ekel erregender Dinge, sowie psychischer
und sogar sexueller Missbrauch zu den angewandten Praktiken.384
Obwohl Matti nicht selbst an den Spielen der Nacht vom 29. April teilgenommen hat,
versichert er während des Interviews, dass sie in keiner Weise erniedrigend oder gefähr-
lich für die Teilnehmer seien, da dies der Kultur und dem Geist der Teekkaris ganz und
gar widerspräche385.
3.2.3.2 Der Ablauf des Vorabends
Das studentische Fest in Turku beginnt laut Aussage einer Interviewpartnerin mit
einem Picknick, das vom Kåren, der Studierendenvertretung der Åbo Akademi, am
Sibeliusmuseum organisiert wird. Auch ein Mittagessen und später das Dinner wird
vom Kåren im Haus der Studierendenvertretung ausgerichtet.386 Eine weitere befragte
Studentin meint, die Student Associations würde mittags kostenlosen Punsch oder ande-
re Getränke anbieten, wonach es dann gesammelt zum Vårdberg (finn.: Vartiovuori)
gehe387. Ob hierbei auch das zuvor erwähnte Picknick gemeint ist, bleibt zu vermuten.
Während des Mittagessens im Kåren wird das erste Exemplar der Vappu-Zeitung „Er-
rores“ an das Gremium der Studierendenvertretung überreicht. Dieses Magazin ist, wie
auch das ÄPY an der Aalto-Universität, ein rein humoristisch zu verstehendes Werk,
worauf in diesem Fall auch der Name hinweist, der vom englischen Wort „error“, also
„Fehler“ herrührt.388
Wie bereits erwähnt, folgt darauf-
hin der Marsch zum Vårdberg, auf
dem sich die meisten Finnland-
schweden Turkus versammeln. Bei
dieser Parade werden die Flaggen
des Kåren, sowie der verschiedenen
Studentenclubs getragen 389 . Das
Bild hier links wurde circa 1965
aufgenommen und zeigt diesen Teil
des Festgeschehens.
384 Vgl. Finkel 2004, S. 173 ff. 385 Vgl. Interview mit Matti, S. 3. 386 Vgl. Interview mit Jenni, S. 3. 387 Vgl. Interview mit Aino, S. 2. 388 Vgl. Interview mit Heidi G., S. 3. 389 Vgl. ebd., S. 3.
Kulturvetenskapliga arkivet Cultura vid Åbo Akademi: ”Tavastgatan” (Peter Slotte).
72
Auf dem Vårdberg findet das Chorkonzert des akademischen Männerchors Brahe
Djäknar statt, der stets dieselben Lieder zum Besten gibt, wobei es in den meisten um
den Frühling geht390. Eines handelt zudem von dem ljuva flicka, dem kleinen Mädchen,
von dem bereits in Kapitel 3.1.2.3 die Rede war391. Außerdem hält der Präsident der
Student Union eine Rede392, in der er den Frühling begrüßt und die Anwesenden um
punkt 18 Uhr dazu auffordert, ihre weißen Mützen aufzusetzen, woraufhin, und darauf
verweisen mehrere Interviewte, plötzlich alles
weiß wird und die Champagnerflaschen geöffnet
werden393. Die finnischen Studenten tun dasselbe
auf dem Hügel des Kunstmuseums, das sich nahe
dem Marktplatz befindet, auf dem ebenfalls eine
Menschenmenge versammelt ist394. In den Inter-
views von 1987 ist es, neben dem Studentenchor
auf dem Vårdberg, das Aufsetzen der Studen-
tenmütze, das am meisten genannt wird395.
Den von mir geführten Interviews zufolge gehen
viele danach zur Statue Lilja, die um 19 Uhr von
den Zahnmedizin-Studenten mit einer überdi-
mensionierten Zahnbürste gewaschen und an-
schließend mit einer weißen Studentenmütze
versehen wird 396 . Es geht aus den Interviews
nicht eindeutig hervor, wer dieser Aufgabe nachkommt. Gemäß Jennis und auch Heidi
H.s Aussage ist es der Kåren, der sie bemützt; Ann-Helen wiederum meint, es könne
sein, dass sich schwedische und finnische Studenten darin abwechseln oder auch, dass
sie es gemeinsam machen397 . Anschließend ist es offenbar Tradition, dass zumeist
betrunkene Studenten in einem Wettstreit der Statue die Kappe wieder herunterreißen
und sie zerstören398. Heidi G. zufolge sei das Bekrönen der Lilja allerdings nur ein
zweitrangiges Geschehen, das hauptsächlich für und von Studenten durchgeführt werde.
390 Vgl. Interview mit Heidi H., S. 6; Jenni, S. 3. 391 Vgl. Interview mit Heidi G., S. 5. 392 Vgl. Interview mit Heidi G., S. 3; Heidi H., S. 5; Jenni, S. 3. 393 Vgl. Interview mit Heidi G., S. 3; Heidi H., S. 2. 394 Vgl. Interview mit Heidi H., S. 4; Jenni, S. 2. 395 Vgl. SLS 1528: Olav Eklund, S. 7; Peter Söderman, S. 11; Iris Tuominen, S. 21; Bertel Marander, S. 25; Eva Ramstedt- Sjöström, S. 34; Inger Jakobsson-Wärn, S. 38. 396 Vgl. Interview mit Heidi H., S. 5. 397 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 4. 398 Vgl. Interview mit Heidi H., S. 5.
Kulturvetenskapliga arkivet Cultura vid Åbo Akademi: ”Vaardberget” (Peter Slotte)
73
Die meisten Menschen würden sich auf dem Vårdberg oder am Kunstmuseum bzw.
dem Marktplatz treffen399.
Der Kåren soll laut Jenni auch mit TYS, den Betreibern des Studentendorfes, in dem
sich viele Wohnheime befinden, darüber diskutiert haben, ob die sich in der Nähe be-
findliche Statue der Schweineente, Posankka, auch mit einer Studentenmütze versehen
werden soll, wie dies wohl schon
mehrere Male geschehen war. Jenni
war sich aber nicht sicher, ob die
Mütze rechtzeitig fertig werden
würde.400 Ein Blick auf die offizielle
Homepage von TYS zeigt, dass dies
bewerkstelligt wurde und Posankka
auch 2011 eine Studentenmütze
bekommen hatte. Hier wird ersicht-
lich, dass das Bemützens von Statuen
kein festgefahrener Akt ist, sondern
eine lebendige Tradition, zu der
immer wieder neue Elemente oder auch nur Variationen hinzukommen können.
Etwas, das nur in einem einzigen Interview genannt wurde, ist ein Ruderwettkampf
zwischen der finnischen Universität, der Åbo Akademi und der School of Economics,
welches am 30. April auf dem Fluss Aura stattfindet. Da es in keiner Weise in den
anderen Interviews Erwähnung findet, ist anzunehmen, dass dieser Brauch nicht allzu
präsent ist, auch wenn er bereits zu Studienzeiten der Gewährsperson durchgeführt
wurde.401
Das Fest auf dem Vårdberg wird von Aino als „celebration for the whole Swedish spea-
king Finland“402 bezeichnet, was sogar im Fernsehen ausgestrahlt werde403. Berühmt-
heiten sprechen dort öffentlich, es werden elegante Kleider getragen, sowie Sekt und
Champagner getrunken404. Als Jenni jünger war, blieb sie die ganze Nacht dort, heute
dagegen nur so lange, wie es sein müsse, da die Bekleidung in der Regel wenig wetter-
gerecht sei. Danach findet im Kåren eine Dinnerparty, ähnlich einem Sitsit, statt405,
wobei einige der Befragten es vorziehen, bei Freunden zu feiern oder einem Restau-
399 Vgl. Interview mit Heidi G., 4. 400 Vgl. Interview mit Jenni, S. 5. 401 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 3 f. 402 Interview mit Aino, S. 2. 403 Siehe auch: Interview mit Veronica, S. 5. 404 Vgl. Interview mit Aino, S. 2; Heidi H., S. 1. 405 Vgl. Interview mit Aino, S. 2; Heidi H., S. 1; Jenni, S. 3.
Bild: TYS Homepage; Posankka http://www.tys.fi/en/current_topics/news/posankka_got_a_student_cap_on_ikituuris_open_doors_day.html
(aufgerufen am 10.12.2011).
74
rant406 oder auch Nachtklub einen Besuch abzustatten407. Letztere allerdings seien in
dieser Nacht meist überfüllt und verlangten zudem die höchstmöglichen Preise, sodass
viele Studenten es bevorzugen würden, woanders zu feiern408. Auch vier der Interview-
ten von 1987 berichten, dass sie Vappu meist mit oder bei Freunden verbringen409,
während nur einer noch hinzufügt, dass er alternativ auch in den Kåren ginge410. Maria
Wegelius meint im gemeinsamen Interview mit Marika Ramström diesbezüglich, dass
es mitunter schwierig sei, an Karten für die Dinnerparty im Kåren zu kommen. Sie wird
von Marika darin bestärkt, die erzählt, dass sie den Abend vor einem Jahr im Kåren
verbracht hätten, was aber nicht sonderlich unterhaltsam gewesen sei, woraufhin Maria
hinzufügt, deshalb bevorzugt zu Hause zu feiern.411
Einige der eben beschriebenen Bräuche am 30. April scheinen ihre Parallelen in
Helsinki zu haben. Doch da die vier Interviewpartner, die mir zur Verfügung standen,
alle an der Aalto-Universität studieren bzw. studierten und da auch meine teilnehmende
Beobachtung durch das Begleiten technologischer Studenten der Aalto-Universität
erfolgte, kann hier lediglich ein ähnlich einseitiges Bild vermittelt werden, wie es auch
für Turku der Fall ist, nur diesmal mit Blick auf die finnischsprachige Studentenkultur.
Im vorherigen Abschnitt 3.2.3.1 wurde bereits darauf verwiesen, dass Fuksis, also die
Studenten des ersten Jahres, in der letzten Nacht der Vappu-Woche in spielerischen
Wettkämpfen gegeneinander antreten müssen. Als letzte Prüfung müssen die Fuksis zu
ihrem Fuksi-Captain gelangen, der auf der anderen Seite des auf dem Campus befindli-
chen Sees auf sie wartet. Matti zufolge wagen es die Mutigsten oder die Dümmsten,
durch den See zu schwimmen, während der Rest einfach außen herum läuft. Der Fuksi-
Captain überreicht ihnen, sofern sie im Laufe des vergangenen Jahres alle erforderli-
chen Fukis-points erlangt haben, ein Zertifikat, das bezeugt, dass dem Erhalt der Stu-
dentenmütze nichts mehr im Wege stehe. Nach einem Frühstück versammeln sich die
Fuksis der verschiedenen Gilden beim „Amphitheater“ des Campus und die Verlierer
der vorausgegangenen Spiele müssen die Kappen an alle anderen verteilen, angefangen
bei dem Gewinner der Vornacht. Diese überreichen zum Schluss die Studentenmützen
an die Verlierer.412 Anschließend ist es zumindest bei den Teekkaris üblich, den Fuksi-
406 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 2. 407 Vgl. Interview mit Aino, S. 2. 408 Vgl. ebd., S. 3. 409 Vgl. SLS 1528: Olav Eklund, S. 7; Sigrid Corin, S. 16; Eva Ramstedt-Sjöström, S.34; Marika Ram-ström, S. 44. 410 Vgl. ebd.: Olav Eklund, S. 7. 411 Vgl. ebd.: Marika Ramström/Maria Wegelius, S. 44. 412 Vgl. Interview mit Matti, S. 2 f.
75
Captain, der sie während des ersten Jahres zusammen mit den Tutoren unterstützend
begleitet hat, in den genannten See zu werfen413, wohl als symbolischer Akt, dass sie
nun alleine zurechtkommen.
Um 13 Uhr findet eine offizielle Erklärung von Vappu, immer noch auf dem Campus in
Otaniemi, statt. Hierbei ruft der Polizeipräsident
bzw. zumindest ein Repräsentant der Polizeibe-
hörde von Espoo, wo sich der Campus befindet,
den „Frieden von Vappu“414 aus. Dies bedeutet,
dass sich die Polizei von da an bis morgens um
sechs Uhr sehr tolerant gegenüber Betrunkenen
und von ihnen verschuldetem Unfug zeigen wird.
Darüber hinaus werden die Gewinner der Sitsit-
Competition der vergangenen Woche bekannt
gegeben. Der Senat des technischen Dorfes erklärt
etwas, wobei sich Tero nicht daran erinnert, um
was es genau geht. Anschließend gilt es, sich zu
amüsieren; man trinkt Sekt und es gibt die Möglichkeit, ein Bad unter freiem Himmel in
den Whirlpools zu nehmen.
Zwischen 14 und 16 Uhr machen sich die meisten Studenten von Otaniemi auf in die
Innenstadt Helsinkis, wofür 2011 Busse und sogar Boote bereit standen415. Dort ange-
kommen, startete um 16 Uhr eine Parade der Studenten der verschiedenen Universitäten
zur Havis Amanda, die gewaschen und von der Studierendenvertretung einer der Uni-
versitäten von Helsinki mit einer dafür angefertigten Studentenmütze versehen wird.416
Ich selbst fuhr mit dem Bus von
Otaniemi nach Helsinki. Anfangs-
punkt der Parade lag nahe einer
Markthalle am Hafen, wo auf die-
jenigen, die mit dem Boot nach
Helsinki gelangten, gewartet wurde.
Als sämtliche Busse und Boote
angekommen waren, begann um 16
Uhr die Parade.
413 Vgl. Interview mit Tero, S. 6. 414 Ebd., S. 6. 415 Vgl. Interview mit Jana, S. 3. 416 Vgl. Interview mit Tero, S. 6.
76
Unter lauter Musik, Pfeifen und dem Knallen von Lamettakanonen zogen die Studenten
zur Havis Amanda. Die Parade war von bunten Ballons, Luftschlangen und der kunter-
bunten Menge der Studenten, meist in ihren farbenfrohen Studentenoveralls gekleidet,
geprägt. An einer Straßenkreuzung stieß der Zug der School of Economics dazu, sodass
die Straßen von einer unüberschaubaren großen Masse an jungen Leuten beherrscht
wurden. Ich hatte das Glück, einen Platz direkt vor dem Absperrband, also in erster
Reihe vor der Statue, zu ergattern. So war meine freie Sicht die meiste Zeit nur von
Sicherheitskräften, Fotografen und Fernsehteams, darunter auch des deutschen Senders
Pro-7, verstellt. Das akademische Blasorchester, das auch schon bei der Beschreibung
der Veröffentlichung des ÄPY- Magazins erwähnt wurde, trat auf, zudem spielte auf
einer nahegelegenen Bühne eine Band.
Zunächst wurden fünfzehn in Overalls gekleidete Studenten mit Hilfe einer speziellen
Kran-Konstruktion über die Luft zur Havis Amanda gebracht, um sie mit Besen und
Wischmops zu säubern. Unterstützend nass gespritzt wurden sie dabei von der „Feuer-
wehr“, also dem Blasorchester, dessen
Mitglieder wie erwähnt Feuerwehrkos-
tüme tragen und auch stets in einem
alten Feuerwehrauto zu ihren Auftritten
anreisen. Als die Säuberungsaktion
beendet war, bekam Manta eine bunte
Schärpe umgelegt, bevor die Studenten
vorerst zurück auf den Boden gebracht
wurden. Eine zweite Gruppe von Stu-
denten, teils in Overalls, teils in Tier-
kostümen gekleidet, wurde zur Statue
emporgehoben, diesmal, um ihr ihre
Studentenmütze aufzusetzen. Sobald
das geschehen war, brach allgemeiner
Jubel aus, die Menschen in der Menge
und in der Luft setzten ihre eigenen Studentenmützen auf und einige Studenten spran-
gen in das vor Waschmittel schäumende Brunnenbecken unterhalb der Havis Amanda.
Einzig die Teekkaris, die technologischen Studenten, sowie „some others“417, dürfen
ihre Kappen erst um Mitternacht aufsetzen. Nach den Hintergründen hierfür gefragt,
weiß Tero allerdings keine Erklärung, sieht aber auch keinen Grund, diesem Brauch zu
ändern. Auch Peter Söderman, einer der Interviewten von 1987, welcher nach eigener
417 Interview mit Tero, S. 7.
77
Aussage ein Teekkari in Helsinki war, weist auf diesen Unterschied zum allgemeinen
Festbegehen hin. Er betont, dass es "ursprünglich"418 üblich gewesen sei, die Kappen
erst um Mitternacht aufzusetzen. Ein Umstand, der bereits in Kapitel 3.1.2.1 aufgezeigt
wurde. Nicht nur Peter Söderman hat den Interviews zufolge seine Studentenmütze erst
um Mitternacht aufgesetzt, auch Bertel Marander und Iris Tuominen wissen selbiges zu
bestätigen419, wobei unklar ist, was die beiden studiert haben.
Nach dem Akt des allgemeinen Aufsetzens der Studentenmützen beginnt laut Teros
Aussage das „Chaos“, alles fängt an, sich zu zerstreuen, essen zu gehen oder einfach
umherzuschlendern.420 Jana, die ehemalige Austauschstudentin aus Berlin, ergänzt die
Informationen zur weiteren Abendgestaltung mit dem Hinweis auf klassische Tanzver-
anstaltungen, die von einer Organisation namens „We love Helsinki“ angeboten werden.
Hierzu sei es angebracht, in eleganter Kleidung zu erscheinen und es würden traditio-
nelle finnische Tänze wie beispielsweise Humppaa getanzt. Ansonsten würden viele oft
nicht wissen, was sie machen sollen421.
Ich selbst ging nach den Geschehnissen an der Havis Amanda im näheren Umfeld um-
her, machte Fotos von den Essens- und Krimskrams-Ständen, Ballonverkäufern, Fami-
lien und Menschen mit ihren weißen Studentenmützen. Hierbei fiel mir auf, dass noch
weitere Statuen mit weißen Kappen versehen worden waren, so beispielsweise zwei
Frauen- und eine Männerstatue in der Nähe des schwedischen Theaters. In den Straßen
sah ich zudem einige Studenten, die versuchten, die ÄPY-Zeitungen zu verkaufen, bevor
sie, nach Aussage eines Bekannten, nach Vappu an Wert verlieren würden. Am Senats-
platz saßen und standen viele Studenten auf den Stufen des Doms, unterhielten sich und
tranken Sekt und Champagner.
Mein Interviewpartner Kristian berichtete, dass die Studenten nach dem Bemützen der
Manta für die nächsten sechs Stunden irgendwie ihre Zeit vertreiben würden, bevor
dann eine große Party stattfinde, was er allerdings nicht weiter ausführte422. Gemeint
war damit eine Feier namens „Dipolin Wappu“, welche in der so genannten Dipoli-
Halle auf dem Campus in Otaniemi für die technologischen Studenten abgehalten wurde.
Es schien zunächst eine normale Tanzveranstaltung mit einem DJ, Karaoke und Geträn-
keverkauf zu sein, doch um kurz vor Mitternacht stoppte die Musik und alle anwesen-
den Studenten stimmten in die Hymne der Teekkaris ein. Das Feuerwehr-Orchester
betrat den Saal und unterstützte sie instrumental. Danach brach allgemeiner Jubel aus
418 Vgl. SLS 1528: Peter Söderman, S. 11. "(…) så har teknologerna den där gamla traditionen som egentligen är ursprunglig, att man sätter på den (mössan) klockan 12 på natten, vid mittnatt." 419 Vgl. ebd.: Iris Tuominen, S. 21; Bertel Marander, S. 25. 420 Vgl. Interview mit Tero, S. 7. 421 Vgl. Interview mit Jana, S. 3. 422 Vgl. Interview mit Kristian, S. 3.
78
und es durften nun auch die Technologen ihre Studentenmütze aufsetzen. Nach und
nach leerte sich der Saal und um halb zwei Uhr morgens wurde das Dipolin Wappu als
beendet erklärt und der Saal geschlossen. Die meisten anderen gingen wohl auf private
Feiern, ich in mein wohlverdientes Bett.
3.2.3.3 Das Geschehen am Ersten Mai
Zentrales Element des Ersten Mai in Turku scheint den Interviews nach das Picknick
auf dem Vårdberg zu sein, zumindest wird es von jedem einzelnen Befragten der Åbo
Akademi genannt. Es beginnt um zwölf Uhr mittags und dauert so lange, wie die Besu-
cher, die sich sowohl aus Finnlandschweden, als auch Finnen zusammensetzen423, dies
wünschen424 . Das Picknick wird gemeinhin auch sillfrukost425 , also Katerfrühstück,
genannt. Die Allgemeinheit kuriert die Nachwirkungen des Vorabends aus, entspannt
sich auf Picknickdecken und verspeist das mitgebrachte, oft selbst gemachte Essen426.
Darüber hinaus findet ein regelrechter Wettkampf um das eindrucksvollste Picknickar-
rangement statt427. Auch die Studierendenvertretung organisiert für gewöhnlich etwas.
Zum einen findet auch im Kåren ein Brunch statt428; zum anderen werden beim Pick-
nick im Park Reden gehalten, es spielen Bands und der bereits erwähnte akademische
Chor tritt auf429.
Das Bild wird vor allem natürlich von den weißen Studentenmützen geprägt, die selbst
von ehemaligen Studenten, älteren Damen und Herren getragen werden, wobei deren
Studentenmützen meist weniger weiß als vielmehr gelb verfärbt sind430 . Außerdem
tragen die meisten Studenten ihre bunten Overalls, die einen wichtigen Bestandteil der
finnischen Studentenkultur darstellen. Aino geht sogar so weit, zu behaupten, dass die
studentischen Feierlichkeiten zu Vappu sich erst mit dem Tragen der Overalls entwi-
ckelt hätten431. Natürlich ist das so nicht ganz richtig, es zeigt aber, welche Bedeutung
den Overalls mitunter beigemessen wird.
Von den Interviewten wird der Eindruck vermittelt, als ob wirklich jeder für dieses
Picknick in den Park käme; es wird gesagt, man würde hier auf all jene Freunde treffen,
für die man sonst das restliche Jahr über keine Zeit hätte. Das gemeinsame Beisammen-
sein ist von großer Wichtigkeit, auch generell auf Vappu bezogen. Heidi H. betont
423 Vgl. Interview mit Aino, S. 3. 424 Vgl. Interview mit Jenni, S. 3. 425 Vgl. Interview mit Heidi G., S. 3; . SLS 1528: Bertel Marander, S. 25. 426 Vgl. Interview mit Aino, S. 3; Jenni, S. 3. 427 Vgl. Interview mit Aino, S. 3. 428 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 4. 429 Vgl. Interview mit Aino, S. 3. 430 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 5; Veronica, S. 5. 431 Vgl. Interview mit Aino, S. 5.
79
diesbezüglich, dass das einer der Gründe sei, warum sie den Feiertag so gerne möge,
nämlich, weil er Menschen zusammenbringe, sie zusammen singen und feiern wür-
den432.
Ebenso verhält es sich in Helsinki, nur dass die Finnlandschweden und die finnisch-
sprachige Bevölkerung mitunter in verschiedene Parks gehen, um ihr Picknick abzuhal-
ten. Erstere versammeln sich im Kaisaniemipark433, Letztere im Park Kaivopuisto.
Ich selbst begleitete finnische Bekannte zum Park Kaivopuisto, der voll war mit Essens-
ständen, Pavillons und vor allem Picknickdecken. Es waren Besucher jeder Altersgrup-
pierung vertreten; von Studenten über Alumni bis hin zu Familien mit kleinen Kindern.
Der Großteil davon hatte eine weiße Abitur- oder Studentenmütze auf dem Haupt.
Während die Studenten fast durchwegs in ihren bunten Studentenoveralls gekleidet
waren, trugen die Erwachsenen teils elegante, teils legere Kleidung.
Die meisten Picknicks an sich waren vorwiegend einfach gehalten und auf einer Decke
ausgebreitet, doch vor allem ältere Besucher schienen durchaus Wert auf Bequemlich-
keit zu legen und saßen vor Wind und Wetter geschützt an gedeckten Tischen in den
mitgebrachten Pavillons. Ein paar davon waren sehr aufwändig ausgestattet und verfüg-
ten über weiße Tischdecken, Silberbesteck, Geschirr und Kerzenleuchter, während der
durchschnittliche Student sein Essen
auf dem Boden sitzend von Papptel-
lern zu sich nahm.
Allerdings hatten auch einige Studen-
tenorganisationen Pavillons organi-
siert, die den zugehörigen Studenten
einen trockenen Platz gewährleisteten,
ja sogar eine mobile Sauna aus Ota-
432 Vgl. Interview mit Heidi H., S. 6. 433 Vgl. Interview mit Jana, S. 3; Tero, S. 8.
80
niemi war im Park aufgestellt, um für eine gelegentliche Aufwärmung zu sorgen. Ver-
einzelt waren in der Menschenmenge noch Studenten zu sehen, die versuchten, ihre
letzten Vappu-Magazine zu verkaufen.
Um circa 14:30 Uhr verließ ich den Park und ging zurück in Richtung Innenstadt, um
nach politischen Veranstaltungen Ausschau zu halten. Als ich um 16 Uhr zurückkehrte,
war der Park immer noch gut gefüllt. Nach weiteren eineinhalb Stunden beschloss ich,
zurück ins Warme zu gehen, denn es waren vereinzelte Schneeflocken zu sehen, die auf
uns herabfielen. Laut Tero reservierte Prodeko, also die Gilde der Teekkaris, auf dem
Campus in Otaniemi einen Platz mit Sauna und Verköstigung, zu dem die Studenten
gehen konnten, wenn sie verfroren aus dem Park zurückkehrten. Er fügt aber hinzu,
dass viele dann auch lediglich schlafen gingen.434
3.2.3.4 Die Studentenmütze als zentrales Element
Während in Kapitel 3.1.2.1 bereits die Geschichte der Studentenmütze in Finnland
aufgezeigt wurde, wird hier ihre persönliche Bedeutung anhand einzelner Episoden der
Befragten verdeutlicht. Auch die Rolle während Vappu und im studentischen Leben
allgemein soll etwas detaillierter erläutert werden.
Mit Vappu begann und beginnt die Zeit, in der die Studentenmütze ohne weitere Er-
laubnis getragen werden durfte. In früherer Zeit fand sie als Sommerhut den ganzen
Sommer über Verwendung, wohl auch, um einen gewissen elitären Status auszudrü-
cken435.
Am 30. September wird dann Lilla Vappen, also das kleine Vappu, gefeiert. Um Mitter-
nacht nehmen die versammelten Studenten ihre Mütze vom Kopf und stülpen das Innere
nach außen, sodass die Nationsfarben im Inneren sichtbar werden436. Von da an müssen
diejenigen, die die Mütze zu einem bestimmten Anlass tragen wollen, die Erlaubnis des
Kåren einholen437. Diese Anlässe können zum Beispiel größere universitäre Veranstal-
tungen sein, bei denen die finnische Flagge getragen wird. Bei einer wöchentlichen
Sitzung im Kåren wird dann über diese Anträge entschieden, wobei sie laut Heidi H.
normalerweise bewilligt werden würden.
Obwohl das ständige Tragen der Studentenmütze den Sommer über auch heute noch
möglich wäre, wird es von kaum einem Studenten praktiziert438. Normalerweise würden
sie nur an der Abschlussfeier des Gymnasiums und stets an Vappu getragen, so Jenni.
434 Vgl. Interview mit Tero, S. 8. 435 Vgl. Interview mit Heidi G., S. 3; Heidi H., S. 2. 436 Vgl. Interview mit Heidi G., S. 7; Jenni, S. 3. 437 Vgl. Interview mit Heidi H., S. 2; Jenni, S. 3 f. 438 Vgl. Interview mit Heidi H: „Yes and you still can, but nobody does. Nobody, because it is completely strange.”, S. 2.
81
Tero weiß zudem, dass Studenten im schwedischen Göteborg eine weitere Kappe für
das Winterhalbjahr besäßen und auch in Finnland fände sich zumindest in Oulu eine
Ausnahme von der oben geschilderten Regelung. Die dortigen Studenten dürften dem-
nach ihre Kappe das ganze Jahr über aufsetzen.
Da die Mützen in den meisten Fällen so selten getragen werden, wird ihr Verlust als
umso tragischer empfunden. Gleich drei der Befragten in Turku haben dies erlebt. Aino
beispielsweise wurde ihre Kappe von Austauschstudenten im Scherz entwendet, worauf
sie kaum reagierte, wohl in der Annahme, diese bald wiederzubekommen. Die Aus-
tauschstudenten versteckten indes die Mütze und gaben sie nie zurück, auch nicht, als
Aino versuchte, ihnen die Bedeutung der Studentenmütze zu erklären. Sie versprachen,
ihr das Geld für eine neue Kappe zu geben, was allerdings bei den Worten blieb.
Heidi G. dagegen verlor ihre Studentenmütze ohne das Zutun anderer. Sie erinnert sich
nicht mehr genau, ob es an Vappu oder an Lilla Vappen Ende September passierte. Sie
war gerade dabei, das Gebäude der Studierendenvertretung, also das Kåren, zu verlas-
sen und trug dabei ihre Kappe in der Hand, da sie sie nicht mehr auf dem Kopf haben
wollte. Es herrschte reges Gedränge und plötzlich bemerkte sie, dass auch jemand ande-
res die Mütze festhielt. Sie wies denjenigen darauf hin, dass das ihre Kappe sei, worauf-
hin der andere selbiges erwiderte. Nachdem sie die Studentenmütze genauer inspiziert
hatten, war klar, dass es in der Tat die des anderen war und Heidi ihre eigene Mütze
wohl verloren haben musste. Glücklicherweise wurde sie später im Kåren abgegeben,
sodass Heidi sie wieder bekam439.
Für Jenni verlief es dagegen weniger glücklich. Beim Jahresfest der Åbo Akademi, das
aufgrund der Zweiteilung der Universität in dem betreffenden Jahr in Vaasa stattfand,
hatte Jenni ihre Studentenmütze nur so lange auf, wie sie die Flaggen trug. Für die
restliche Zeit legten sie und ihre Kommilitonen ihre Kappen woanders ab. Als sie später
dorthin zurückgingen, waren die Kappen verschwunden und wurden auch nie wieder
gefunden. Umso ärgerlicher war es, als dass Jenni erst kurze Zeit vorher im Zuge ihrer
Anstellung beim Kåren eine neue Lyra, also eine neue goldene Marke, die sich vorne in
der Mitte des dunklen Samtrandes befindet, bekommen hatte440.
Obwohl Jenni darauf hinweist, dass viele Studenten ihre Mütze verlieren, so auch ihre
Mutter und ihr Bruder, stellt dieser Verlust für die Betroffenen offenbar etwas sehr
Schlimmes dar, da die Kappe einen hohen emotionalen Wert besitzt. Man bekommt sie
zur Abiturvergabe und diese persönliche Bedeutung könne, so Jenni und auch Aino,
439 Vgl. Interview mit Heidi G., S. 7. 440 Vgl. Interview mit Jenni, S. 4.
82
nicht einfach ersetzt werden. Dies sei vergleichbar mit einem Ehering, der nicht einfach
austauschbar sei441.
3.2.4 Historische, regionale und ethnische Ausprägungen Vappus
Unter dieser doch recht weit formulierten Überschrift sollen weitere Aspekte der Feier-
lichkeiten zum Ersten Mai dargestellt werden, also all das, was manchmal gar nichts
und manchmal nur bedingt mit dem studentischen Ersten Mai zu tun hat. Zunächst
werden die unterschiedlichen Arten des feierlichen Begehens von Vappu bei Finnland-
schweden und Finnen beschrieben, bevor auf den politischen Aspekt des finnischen
Ersten Mai eingegangen wird. Anschließend soll die religiöse Tradition an diesem Tag
vorgestellt werden, bevor es um die regionalen Unterschiede, sowie, damit zusammen-
hängend, die Feierlichkeiten zu „Großvaters Zeiten“ geht.
Im vorherigen Kapitel wurde die unterschiedliche Art und Weise, wie Finnlandschwe-
den und Finnen Vappu begehen, nur nebenbei erwähnt. Der augenscheinlich auffälligs-
te Unterschied sowohl in Turku, als auch in Helsinki, ist, dass sich diese beiden Grup-
pierungen an verschiedenen Orten versammeln, um den Frühling willkommen zu heißen.
Für den Vorabend, also den 30. April, scheint es allerdings so, dass zumindest in Hel-
sinki alle gemeinsam die Bekrönung der Havis Amanda bestaunen, wohingegen sich
viele der Finnlandschweden in Turku am Vårdberg treffen, während die Finnen meist
am Marktplatz bzw. dem sich daran anschließenden Hügel, auf dem sich das Kunstmu-
seums befindet, zugegen sind442. Ansonsten sei der weitere Ablauf in etwa der gleiche,
meint Heidi H.443 Für das Picknick am Ersten Mai gehen allerdings alle, ob Finnen oder
Finnlandschweden, zum Vårdberg444. In Helsinki indessen finden in zwei verschiedenen
Parks Picknicks statt. Die Finnlandschweden entspannen sich im Park Kaisaniemi,
wohingegen die Finnen selbigem im Park Kaivopuisto nachgehen. Tero vermutet dies-
bezüglich, dass viele zuerst in den einen, dann in den anderen Park gehen würden; die
beiden Veranstaltungen also nicht so strikt voneinander getrennt seien, wie vielleicht
anzunehmen445.
Während einige der Befragten sich keines auffälligen Unterschiedes zwischen den
beiden verschiedenen Arten zu Feiern bewusst sind446, weiß Heidi H. mehr zu berichten.
Ihr zufolge sei die schwedische Art, Vappu zu begehen, mehr auf Eleganz ausgelegt; so
441 Vgl. Interview mit Aino, S. 4. 442 Vgl. Interview mit Aino, S. 2; Ann-Helen, S. 4; Heidi G., S. 4; Heidi H., S. 4; Jenni, S. 2. 443 Vgl. Interview mit Heidi H., S. 5. 444 Vgl. Interview mit Aino, S. 3. 445 Vgl. Interview mit Tero, S. 8. 446 Vgl. Interview mit Kristian, S. 3; Veronica, S. 6 f.
83
würden viele die Gelegenheit nutzen, feine Kleider zu tragen447. Die finnischen Studen-
ten dagegen würden meist ihre bunten Studentenoveralls tragen, was eindeutig eine
andere Art des Feierns symbolisiert, nämlich „(…) definitely not (for) acting fancy or
anything, they are more for the party, drink, be crazy, these kind of things.“448
Ann-Helen nennt als weiteren Unterschied die Schnapslieder, die gesungen werden,
wenn hochprozentiger Alkohol eingenommen wird und oft auch zu dessen Konsum
aufrufen. Sie meint, dies sei eine ursprünglich finnlandschwedische Tradition, die aller-
dings mittlerweile von finnischen Studenten übernommen und weitergeführt wurde.
Für die Aalto-Universität in Helsinki fügt Tero hinzu, dass es dort eine eigene schwedi-
sche Gilde gäbe, die vielleicht ein anderes Programm an Vappu hätte, wobei er zugibt,
nichts Genaues darüber zu wissen449.
In den von mir geführten Interviews etwas über die politischen Aktivitäten am Ersten
Mai herauszufinden, erwies sich als schwieriger als gedacht, spiegelt aber die allgemei-
ne Wahrnehmung zu diesem Teil des Festgeschehens wieder.
Von sich aus erwähnen nur zwei, nämlich die etwas älteren Interviewpartner den politi-
schen Aspekt des Ersten Mai450, doch auch auf ein direktes Nachfragen hin wurde deut-
lich, dass die Interviewpartner üblicherweise davon, wenn überhaupt, nur wenig mitbe-
kommen. Sechs der Befragten hatten zumindest gehört, dass Reden und Paraden statt-
finden, auch wenn sie selbst nie daran teilgenommen hatten451. Tero meinte, da wäre
wohl etwas am 30.04., „some kind of march (…) some declarations“452, aber er sei sich
nicht sicher, wie politisch diese seien.
Veronica beispielsweise nimmt an, der Feiertag hätte als Tag der Arbeiter begonnen und
sich nach und nach zu einem Studentenfest entwickelt. Auch Aino ist dieser Meinung.
Sie sagt, das Studentenfest sei erst in den letzten zwanzig oder dreißig Jahren aufge-
kommen, was, wie in Kapitel 3.1 versucht wurde darzulegen, nicht stimmt.
Einige Befragte ließen verlauten, politische Reden und Märsche würden vorwiegend in
größeren Städten abgehalten werden453, wobei auch dieser Tradition nur wenige Jahr-
zehnte zuvor stärker, heute aber deutlich weniger nachgegangen werden würde454. Aino
ergänzt diese Information, indem sie erklärt, dass es auf den ökonomischen Hintergrund
einer Region auf dem Lande ankomme, ob eine politische Maifeier stattfände oder nicht.
447 Vgl. Interview mit Aino, S. 2; Heidi H., S. 4 448 Interview mit Heidi H., S. 4. 449 Vgl. Interview mit Tero, S. 8. 450 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 1; Heidi G., S. 1. 451 Vgl. Interview mit Heidi G., S. 1; Heidi H., S. 4; Jenni, S. 5; Kristian, S. 5; Tero, S. 8; Veronica, S. 5. 452 Interview mit Tero, S. 8. 453 Vgl. Interview mit Aino, S. 4; Heidi G., S. 1. 454 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 2; Heidi G., S. 1; Jenni, S. 5.
84
So sei das Dorf im Osten Finnlands, aus dem sie stamme, eher agrarisch geprägt und
dementsprechend wären die Bewohner nicht darauf aus gewesen, dem eher links ausge-
richteten Fest der Arbeiterklasse nachzugehen.455
Dagegen stehen Aussagen von Jenni und Heidi H., die von ihren Müttern wissen, dass
auch auf dem Land politische Veranstaltungen organisiert werden würden. Jenni berich-
tete, dass ihre Mutter politisch aktiv sei und am Ersten Mai von Ort zu Ort reise, um
Reden zu halten456. In dem Ort, wo die Mutter von Heidi H. ursprünglich herstamme,
nämlich in der Nähe von Pori im Westen Finnlands, würde für die politische Feier am
Ersten Mai eine Brücke gesperrt, auf der dann unter anderem auch eine Band spiele und
traditionelle Tänze getanzt würden457. In der Stadt, so Aino, würden die größeren Ge-
werkschaften ihre Zelte oft am Marktplatz aufstellen und versuchen, ihre Mitteilungen
und Informationen an die Passanten weiterzugeben. Heutzutage seien die meisten aller-
dings weniger daran, als am Feiern und Spaß haben interessiert, ebenso auch meine
Interviewpartner.
Bei meiner eigenen teilnehmenden Beobachtung fielen mir keinerlei politische Aktivitä-
ten auf, weder am 30. April, noch am Ersten Mai. Während des Picknicks im Park sah
ich neben Picknickdecken, privaten Pavillons und Essensständen lediglich einen Pavil-
lon der Zeitung Helsingin Sanomat. Entgegen der Aussage eines Bekannten, der meinte,
dass im Jahr zuvor auch Stände von politischen Parteien aufgestellt gewesen seien,
waren 2011 keinerlei auffindbar. Etwa gegen 14:30 Uhr ging ich vom Park zurück in
die Innenstadt, genauer gesagt zum Senatsplatz und Umgebung, sowie dem Bahnhof,
um dort nach politischen Aktivitäten Ausschau zu halten. Bevor ich aufbrach, fragte ich
beim Stand der oben genannten Zeitung, sowie bei drei patroullierenden Polizisten im
Park nach möglichen Kundgebungen oder Paraden. Mir wurde jedoch in beiden Fällen
gesagt, dass derartige Veranstaltungen wenn dann schon vorüber wären, wobei sich
keiner sicher festlegen wollte. Dass selbst die Polizisten nicht genau über Paraden und
dergleichen Bescheid wussten, erschien mir auffällig, da hierfür in der Regel Straßen
abzusperren und weitere Sicherheitsvorkehrungen zu treffen sind. Hierin mag sich die
relative Bedeutungslosigkeit, die den politischen Veranstaltungen an Vappu beigemes-
sen wird, wiederspiegeln. Dies hängt wohl, wie Paul Hugger vermutet, mit einer allge-
mein zu beobachtenden Politik-Müdigkeit zusammen, was Hugger in einem jahrzehnte-
langen gesellschaftlichen Wohlstand begründet sieht458. Er bezieht diese Aussagen zwar
auf die Schweiz, doch sicherlich lassen sich hier Parallelen zu Finnland ziehen.
455 Vgl. Interview mit Aino, S. 3. 456 Vgl. Interview mit Jenni, S. 4 f. 457 Vgl. Interview mit Heidi H., S. 4. 458 Vgl. Kaschuba 1991, S. 301.
85
Obwohl der Name „Vappu“ auf die Heilige Walpurga zurückzuführen ist und versucht
wurde, diesen Teil der Geschichte des Festes in Kapitels 3.1 so weit es geht zu schildern,
ist der teilweise religiöse Hintergrund des Festtages weitestgehend unbekannt. Von
sich aus kommt keiner der Befragten darauf zu sprechen und leider habe ich nur bei den
beiden ersten Interviews nach einem kirchlichen Hintergrund gefragt. Diese beiden
sahen aber Vappu in keinem religiösen Zusammenhang. Während Ann-Helen noch
einräumte, nie über diese Möglichkeit nachgedacht zu haben, es aber für unwahrschein-
lich halte459, meinte Aino, dass Vappu wohl das am wenigsten religiöse Fest Finnlands
sei. Später allerdings bemerkt sie, dass die Bezeichnung „Vappu“ wohl mit einer katho-
lischen Heiligen zusammen hängen müsse, aber diese Bedeutung heute komplett ver-
schwunden sei.460
Fakt jedoch ist, dass es auch heute eine religiöse Tradition am Ersten Mai gibt, nämlich
in der Form des Jesus-Marsches. Dem Vasabladet nach fand diese Aktion 1987 in Lon-
don zum ersten Mal461 und seit 1994 dann auch in Helsinki statt462. Während der Jesus-
Marsch in der übrigen Welt am 25. Juni organisiert wird, wurde in Finnland der Erste
Mai als besser geeignet befunden463. Ich selbst habe am Ersten Mai 2011 in Helsinki
zwar keinen Jesus-Marsch zu sehen bekommen, doch als ich auf der Suche nach Zeug-
nissen politischer Aktivitäten war, fiel mir stattdessen eine offenbar religiöse Veranstal-
tung auf dem Senatsplatz auf.
Auf einer aufgestellten Bühne
sang ein von Instrumenten
begleiteter Chor; einem aufge-
hängtem Banner nach zu urtei-
len, war dies von „Radio
Die“ organisiert worden, einem
christlichen Radiosender.
Geschätzte 150 Personen be-
fanden sich vor der Bühne und
lauschten dem Konzert. Die meisten davon schienen zwischen 35 und 60 Jahre alt zu
sein. Ein kleiner Teil trug weiße Studentenmützen, die anderen waren alltäglich geklei-
det. Auf den Stufen vor dem sich am Senatsplatz befindlichen Dom saßen zwar noch
weitere, vor allem junge Menschen, doch schienen diese mit den Geschehnissen am
Platz wenig zu tun zu haben. Darauf angesprochen, dass am Ersten Mai am Senatsplatz
459 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 6 f. 460 Vgl. Interview mit Aino, S. 4 f. 461 Vgl. Vasabladet, 28.04.1995. 462 Vgl. Hufvudstadbladet, 01.05.2001. 463 Vgl. Vasabladet, 28.04.1995: „tyckte vi att 1 maj passade bättre“.
86
in Helsinki offenbar religiöse Chorauftritte stattgefunden hatten, meinte Kristian jedoch,
dass das nichts Religiöses an sich gewesen sei, sondern damit zusammenhänge, dass die
besten Chöre aus historischen Gründen zur Kirche gehörten und auch ein akademischer
Chor dorthin geschickt worden sei464.
Wie bereits anhand von Turku und Helsinki gezeigt, wird Vappu in den verschiedenen
Städten zwar ähnlich, aber doch nicht ganz genau so begangen. Tero weiß hier zu
berichten, dass die Vappu week der Studenten in Lappeenranta genau genommen zwei
Wochen lange andauere, aber dafür weniger intensiv als in Helsinki sei. In Tampere
würden zudem die Teekkaris, also die technologischen Studenten, am Morgen des
Ersten Mai mit Hilfe eines Kranes, an dem ein Fass befestigt ist, in den dortigen Fluss
Tammerkoski geworfen465. Heidi H. erläutert, dass selbiges in jeder Universitätsstadt
geschehe, die über einen Fluss oder See verfüge. Obwohl sie keine Erklärung dafür hat,
kann vermutet werden, dass es sich hier um eine ähnliche Tradition handelt, wie in
Helsinki, wo die Fuksis nach ihrem ersten Studienjahr an Vappu zu „richtigen“ Techno-
logie-Studenten werden und hierfür teilweise auch durch einen See auf dem Campus
schwimmen.
Heidi G. weiß zudem Interessantes aus Stockholm zu berichten, wo sie zwei Jahre lang
an einem Fernkurs der Södertörn-Universität teilgenommen hatte. Der Kurs fand einmal
im Monat an einem Wochenende statt und der letzte Termin sollte am Wochenende von
Vappu sein. Als die Termine bekannt gegeben wurden, fiel ihr dieser Umstand sofort
auf, aber da all die anderen Teilnehmer aus Schweden waren und niemand sonst etwas
sagte, entschloss sie sich, nicht nachzufragen, da sie sich nicht sicher war, wie wichtig
der Feiertag in Schweden sei. Als der Termin näher rückte, wiesen andere Teilnehmer
den Veranstalter darauf hin, dass an dem Wochenende der letzten Sitzung Valborg sei,
doch dieser war nicht willens, den Termin noch einmal zu ändern, weil es schwierig sei,
Termine zu finden, an denen es jedem passe. An Vappu fielen Heidi in den Straßen
Stockholms keine auffälligen Festaktivitäten auf, lediglich die Restaurants waren voller
als sonst.466 Auch Heidi H. betont, dass Vappu etwas Besonderes für Finnland sei, dass
sie von nirgendwo sonst von solch einer Feier gehört habe, auch wenn andere Länder
den Tag ebenfalls in gewisser Hinsicht würdigen würden467.
464 Vgl. Interview mit Kristian, S. 5. 465 Vgl. Interview mit Veronica, S. 3. 466 Vgl. Interview mit Heidi G., 7 f. 467 Vgl. Interview mit Heidi H., S. 2.
87
Über das Vappu, wie es auf dem Land begangen wird, können viele der Befragten nur
vage Vermutungen äußern. Scheinbar herrscht das Bild vor, dass der Erste Mai auf dem
Land eher ein Familien- als ein Studentenfest ist, zu dem sich alle schick kleiden und
ein Festessen abhalten, um so die Ankunft des Frühlings zu feiern468. Darüber hinaus
habe jedes Dorf eine eigene Tradition und je nachdem, ob es sich um ein agrarisch oder
industriell geprägtes Dorf handelt, wird der Erste Mai politisch begangen oder nicht469.
Kristian meint hierzu, dass es weniger auf den Unterschied zwischen Stadt und Land
ankäme, als vielmehr darauf, ob es sich um Menschen mit Abitur handle. Aus diesem
Grund wäre die Kultur auf dem Land eine andere als in den Städten470.
Auf die Frage, ob ihnen ihre Eltern oder Großeltern etwas darüber gesagt hätten, wie
sie Vappu in ihrer Jugend gefeiert haben, wusste keiner der Befragten Genaues zu be-
richten. In zwei Fällen wären die Großeltern Bauern gewesen, was für ihre Enkel bedeu-
tet, dass sie den Ersten Mai vermutlich nicht groß begangen hätten, wenn hierfür auch
unterschiedliche Gründe genannt werden. Heidi H. sieht die Ursache darin, dass ihre
Großeltern nach dem Krieg arm waren und hart arbeiten mussten, so also weder Zeit
noch Ambition für ausschweifende Maifeste hatten471. Aino dagegen betont die Kluft
zwischen Rechts und Links, die in den 1960ern und 70ern in Finnland herrschte. Da
ihre Großeltern, sowie Eltern eher rechts-konservativ eingestellt waren, bot das linksge-
richtete Maifest für sie keinen Anreiz, begangen zu werden472. Ann-Helen indessen
vermutet, dass ihre Großmutter, die im Schärengebiet aufwuchs, Vappu eher mit Freun-
den und Familie bei einem Festessen gefeiert hatte473.
Einen anderen Aspekt beleuchtet Kristian, dessen Eltern derselben universitären Nation,
beziehungsweise Gilde, angehörten, wie er. Er geht davon aus, dass sie ähnlichen Tradi-
tionen nachgingen, wobei es durchaus Unterschiede gegeben hätte. Ihm zufolge galt die
Studentenkultur allgemein und vor allem die der Teekkaris in den 1970er Jahren als
politisch rechts, was gemeinhin als nicht „cool“474 angesehen wurde. Dies hatte zur
Folge, dass viele Studentenbräuche, wie beispielsweise das Konzept des Sitsits, unter-
drückt, gemieden und in manchen Fällen auch ganz abgeschafft wurden. Erst heute
würden sich, laut Kristian, die Studenten diesen alten Studententraditionen wieder
annähern.475
468 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 6; Heidi G., S. 2; Veronica, S. 6. 469 Vgl. Interview mit Aino, S. 3. 470 Vgl. Interview mit Kristian, S. 4. 471 Vgl. Interview mit Heidi H., S. 3 f. 472 Vgl. Interview mit Aino, S. 3. 473 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 7. 474 Interview mit Kristian, S. 4. 475 Vgl. ebd., S. 4.
88
3.2.5 Untergegangene Brauchelemente?
Nicht alle Bräuche, die in der Literatur oder auch in den Archivalien genannt wurden,
sind heute noch aktuell. Dies zeigen die von mir geführten Interviews recht deutlich,
denn selbst auf direktes Nachfragen zu einem bestimmten Brauchelement hin wussten
viele Befragte nichts über dieses zu berichten. Das bedeutet natürlich nicht zwangsläu-
fig, dass ausgeschlossen werden kann, dass diesen Aktivitäten nicht doch noch in einem
anderen Teil Finnlands nachgegangen wird.
So meinten einige der befragten Studenten, dass es keine Feuer zum Ersten Mai gäbe,
während aber sie dagegen zu Mittsommer üblich wären476. Zwei Mal wurde eingeräumt,
dass diese Feuer wenigstens in Österbotten und Åland beziehungsweise auf dem Land
abgebrannt werden würden477, weil es, und das wird mehrfach genannt, zu gefährlich sei,
solch ein Feuer in der Stadt abzuhalten478. Unklar bleibt, ob sie demzufolge meinen,
dass Maifeuer einen festen Bestandteil der Maifeier auf dem Land darstellen.
Aino betonte zudem, dass es einen Unterschied zwischen West- und Ostfinnland gäbe,
dass im Osten des Landes nur an Mittsommer Feuer angezündet würden, während die
Bewohner der westlichen Gebiete „alles Mögliche“ zum Anlass hierfür nehmen wür-
den479. Heidi G. fügt hinzu, dass sie zudem von Estland wisse, dass es dort solche Mai-
feuer gäbe480. Auch Tero meint, dass er „nicht überrascht“ wäre, wenn es die Tradition
des Maifeuers auch in Finnland gäbe, denn zumindest von Schweden wisse er, dass sie
existieren481. In einem Interview von 1987 wird jedenfalls noch erwähnt, dass vor Vap-
pu eine Woche lang Reisig und Papier gesammelt wurde, um dann ein „ordentliches
Feuer“ am Vorabend des Ersten Mai zu entfachen zu können482. Jedoch war die Befrag-
te 1921 geboren, was demnach keinen Hinweis darauf geben kann, dass der Brauch des
Maifeuers 1987 noch aktuell gewesen sei.
Diesen Interviews gegenüber stehen zahlreiche Zeitungsartikel, die im Svenska littera-
tursällskapet i Finland r.f. aufbewahrt werden und beweisen, dass in manchen Regionen
Finnlands tatsächlich Maifeuer aufgestellt werden. So finden sich in der Ålandstidnin-
gen im Jahr 2009 unter anderem eine Liste von Ortschaften, in denen Maifeuer stattfin-
den und auch ein Interview mit einem Feuerwehrmann, der Hinweise auf das richtige
Abbrennen eines Feuers gibt483.
476 Vgl. Interview mit Aino, S. 4; Jenni, S. 5; Veronica, S. 5. 477 Vgl. Interview mit Ann-Helen, S. 3; Heidi G., S. 5 f. 478 Vgl. Interview mit Jenni, S. 5; Veronica, S. 5. 479 Vgl. Interview mit Aino, S. 4. 480 Vgl. Interview mit Heidi G., S. 6. 481 Vgl. Interview mit Tero, S. 9. 482 Vgl. SLS 1528, Sigrid Corin, S. 16. 483 Vgl. Ålandstidningen, 30.04.2009.
89
Die in Kapitel 3.1.2.3 vorgestellten Maiblumen, die von Grundschulkindern zu Gunsten
der wohltätigen Organisation Folkhälsan verkauft werden, scheint, wie der dort ange-
führte Zeitungsartikel über die mit einem „Diplom“ von der schwedischen Königin
ausgezeichneten Kinder belegt, nicht ganz verschwunden zu sein.
Neben den beiden älteren Interviewpartnern, Heidi G., die als Schulkind selbst solche
Blumen verkauft hatte und Ann-Helen, deren Eltern stets selbige erstanden hätten,
wussten auch Jenni und Heidi H. von dieser Tradition. Jenni meinte, sie hätte im Kin-
dergarten Maiblumen verkauft und fügt hinzu, dass auch manchmal ihre Mutter diese
Aufgabe an ihrer statt übernommen hätte. Vor kurzem hätte sie auch eine dieser Blumen
einer Kollegin abgekauft484. Heidi H. dagegen gab an, von dieser Tradition gehört zu
haben, selbst aber dem nie nachgegangen zu sein485. Von Jenni wurde sie als finnland-
schwedische Tradition beschrieben, weswegen es nicht verwunderlich zu sein scheint,
dass keiner der Befragten, die keinen finnlandschwedischen Hintergrund besitzen, von
dieser Aktivität wussten486. Tero fragte sogar noch einmal nach, wobei sein „Sell flo-
wers?“ etwas ungläubig klang, was den Eindruck, er hätte noch nie zuvor davon gehört,
weiter verstärkte487. Auch ich habe in den Wochen, die ich vor Vappu in Turku und
Helsinki verbrachte, auf den Straßen dieser Städte keinerlei Nachweis für den Verkauf
von Maiblumen gefunden.
Zwei weitere Brauchelemente, die vereinzelt in den älteren Interviews und auch Archi-
valien genannt wurden, sind das Aufstellen einer Maistange488, sowie ein Gang in das
schwedische Theater von Turku anlässlich des Ersten Mai489. Nach der Maistange hatte
ich nur bei einem der Interviews gefragt, wobei Ann-Helen meinte, dass diese nur zu
Mittsommer aufgestellt werden würden. Auch auf den Theaterbesuch sprach ich ledig-
lich Heidi G. und Ann-Helen an und obwohl diese etwa zur gleichen Zeit studiert haben
müssen wie die Befragten von 1987, die auf eben diese „Tradition“ hinwiesen, wussten
sie nichts darüber zu berichten. Womöglich handelt es sich hierbei um einen persönli-
chen Brauch der Interviewpartner von 1987, dem nicht allgemein nachgegangen zu sein
scheint.
484 Vgl. Interview mit Jenni, S. 2. 485 Vgl. Interview mit Heidi H., S. 3. 486 Vgl. Interview mit Tero, S. 2; Veronica, S. 6. 487 Vgl. Interview mit Tero, S. 2. 488 Vgl. Von Nyland: SLS 644, 1102; SLS 502, 122-123 (geb. 1925); SLS 502, 38 (geb. 1925); SLS 434 a, 44-45 (geb. 1849); SLS 644, 1268 (geb. 1891). 489 Vgl. Interviews von 1987: 1987/1:110; 1987/1:58.
90
3.2.6 Zwischenbilanz
Beim Gespräch mit den Interviewpartnern, konnte der Eindruck gewonnen werden, bei
Vappu handle es sich um den Höhepunkt des studentischen Kalenders, den sie vor allem
mit Dingen wie Ballons und anderen Dekorationselementen, verschiedenen Spezialitä-
ten an Vappu, sowie den essentiellen Bestandteilen des studentischen Ersten Mai assozi-
ierten. Auch die Erinnerung an die Festlichkeiten zum Ersten Mai ihrer Kindheit war
den meisten Befragten präsent und so waren sie in der Lage, von Familienfesten, Ver-
gnügungsparks und Marktständen zu berichten, sowie die zuvor genannten Assoziatio-
nen noch weiter auszuführen. Gerade die Darstellung des studentischen Teils der Feier
zu Vappu nimmt bei den Interviews einen beträchtlichen Teil ein.
Während die Studenten der Åbo Akademi die Vappu vorausgehende Woche nicht wei-
ter erwähnen490 , weswegen anzunehmen ist, dass zumindest in der Studentenkultur
dieser Universität währenddessen keine weiteren Aktionen vorgesehen sind, weiß vor
allem Tero, ein Teekkari der Aalto-Universität von Helsinki viel von der Vappu week zu
erzählen. Demnach finden während dieser Woche zahlreiche Events statt, die größten-
teils auf Bestandteile der finnischen Studentenkultur aufbauen, wie zum Beispiel das
spezielle Vappu-Sitsit und die Sitsit-Competition auf dem Campus, an der jeder, der
möchte, teilnehmen kann. Darüber hinaus wird das Vappu-Magazin ÄPY veröffentlicht,
welches in den darauf folgenden Tagen von vielen freiwilligen Studenten in den Straßen
Helsinkis verkauft wird. Auch in Turku findet sich eine solche Zeitung, die allerdings
erst am 30. April im Kåren herausgegeben wird. Des Weiteren werden an der Aalto-
Universität eigens für die Fuksis, die technologischen Studenten des ersten Jahres,
Veranstaltungen organisiert. Vappu stellt für diese einen wichtigen Moment in ihrer
Studentenlaufbahn dar, bekommen sie doch hier ihre spezifische Teekkari-
Studentenmütze überreicht, für dessen Erwerb sie während ihres ersten Jahres an der
Universität durch aktive Teilnahme am Studentenleben Punkte sammeln mussten.
Durch Aktionen in der Vappu week wie beispielsweise dem geheimen Fuksi-killing
werden sie auch hochsymbolhaft zu „echten Teekkaris“ gemacht. Während an anderen
Universitäten weltweit vom Prinzip her ähnliche Initiationsriten unter dem Begriff
Hazing traurige Bekanntheit erlangen, wird bei den erwähnten Aufnahmeritualen in
Finnland kein Student ernsthaft gedemütigt oder körperlich und seelisch verletzt.
Der 30. April ist genau genommen der wichtigere Part der Feierlichkeiten zum Ersten
Mai. Am späten Nachmittag bis frühen Abend versammeln sich vor allem Studenten
und Alumni in vielen Städten Finnlands an den Statuen ihrer Stadt. Oft wird ein offiziel-
490 Die Ausnahme bildet Jenni, die von dem Wettkampf der technologischen Studenten der Turku Univer-sity um den besten Streich berichtet.
91
ler Marsch dorthin auf die Beine gestellt, bei dem unter anderem universitäre Flaggen
mitgeführt werden. In Helsinki werden um Punkt 18 Uhr, nachdem die Statue mit einer
eigens dafür angefertigten Studentenmütze gekrönt wurde, die eigene Abitur- oder eben
Studentenmütze aufgesetzt, wobei darauf hinzuweisen ist, dass beispielsweise die tech-
nologischen Studenten von Helsinki ihre Kappen erst um Mitternacht aufsetzen. In
Turku allerdings findet bei den Geschehnissen des 30. April eine räumliche Trennung
zwischen den Finnlandschweden und den Finnen, zwischen Vårdberg und Marktplatz,
beziehungsweise dem Berg des Kunstmuseums, statt. Am Vårdberg befindet sich keine
Statue, die bekrönt werden könnte. Stattdessen tritt der akademische Sängerchor auf,
der auch ein kleines Mädchen, Ljuva flicka, mit einem Lied ehrt und den Frühling be-
singt. Letzterer wird in einer Rede des Präsidenten der Student Union willkommen
geheißen, woraufhin die weißen Studentenmützen aufgesetzt werden. Die Statue Lilja,
die ebenfalls mit einer Studentenmütze versehen wird, spielt den Interviews zufolge nur
eine untergeordnete Rolle, während die Krönung der Havis Amanda der Höhepunkt der
Maifeierlichkeiten in Helsinki zu sein scheint. In beiden Städten wird nach diesem Akt
gemeinhin gefeiert, getrunken und gegessen.
Am nächsten Morgen finden Picknicks in verschiedenen Parks statt, wobei zumindest in
Helsinki das der Finnlandschweden in einem anderen Park angesiedelt ist, als das der
übrigen Finnen, wohingegen in Turku sich alle gemeinsam in ein- und demselben Park
vom Vorabend erholten. Von politischen Paraden und auch sonstigen Aktionen am
Ersten Mai war wenig zu bemerken. Die befragten Studenten wussten auch nur, dass
etwas stattfand, hatten aber nie daran teilgenommen oder dabei zugesehen. Auch bei der
von mir durchgeführten teilnehmenden Beobachtung fielen keinerlei politische Aktivi-
täten auf. Es verdichtet sich also die Annahme, der Erste Mai in Finnland sei mehr ein
Fest der Studenten als der Politik. Als „zentrales Element“ kann die Studentenmütze
gesehen werden, die an diesen beiden Tagen allgegenwärtig ist und, wie anhand persön-
licher Berichte über den Verlust derselben verdeutlicht wurde, einen hohen emotionalen
Wert für den Träger besitzt.
Auch wird Vappu an sich von vielen Finnen große Bedeutung beigemessen. Eine inter-
viewte Studentin beschreibt es als etwas, das alle zusammenbringt, also als etwas, das
Gemeinschaft schafft. Zudem hätte sie nie von solch einem Konzept in anderen Ländern
gehört, auch wenn der Erste Mai weltweit auf eine gewisse Art und Weise begangen
werde. Sie würde sogar ausländische Freunde haben, die extra für Vappu nach Finnland
zurückkämen. Ferner würde durch den klaren, immer gleichen Ablauf Vappu als umso
festlicher empfunden, vergleichbar mit Weihnachten, das man jedes Jahr ähnlich erlebe
und dann immer so begehen wolle.
92
4 Bilanz eines Festes
Der finnische Erste Mai, Vappu oder auf finnlandschwedisch auch Valborg genannt, ist
in seinen Ursprüngen ähnlich wie das Maifest in Deutschland nicht genau datierbar. Die
Zeitlichkeit des Festes zum Frühlingsbeginn hing in beiden Ländern von der klimati-
schen Lage der einzelnen Regionen ab und wurde keineswegs immer überall am selben
Datum gefeiert. Doch auch darüber hinaus finden sich in der historischen Entwicklung
des Feiertages, darin, wie er einst begangen wurde, einige Gemeinsamkeiten.
Im Zusammenhang mit dem Ersten Mai muss auch der Vorabend genannt werden, der
als Walpurgisnacht, spätestens seit Goethes Faust, bei vielen Bilder von Hexenver-
sammlungen heraufbeschwört. In den Vorstellungen der Landbevölkerung, sowohl in
Finnland, als auch Deutschland, war die Walpurgisnacht eine Zeit, in der es galt, Hexen
und andere böse Mächte von Haus und Hof zu vertreiben. Hiervon zeugen unter ande-
rem Archivalien, in denen vorwiegend bäuerliche Vorkehrmaßnahmen gegen Hexen
festgehalten wurden. Hierzu gehörte neben Lärm, der beispielsweise durch
Peitschenknallen und Glockenläuten erzeugt wurde, auch das Abbrennen von Maifeuern,
welches auch heute teilweise noch betrieben wird. Mittelalterliche Heerschauen,
verbunden mit einem Maigrafenfest zählen ebenso zu den Brauchelementen, die sowohl
in Finnland, als auch Deutschland am Ersten Mai praktiziert wurden. In diesem Zusam-
menhang ist zudem der symbolhaft ausgetragene Kampf zwischen Winter und Sommer
und das Austreiben des Winters, beziehungsweise der Einzug des Frühlings - alles
durch verkleidete Menschen dargestellt - zu nennen. Zu den gemeinsamen Maitags-
Aktivitäten zählt darüber hinaus der politische Erste Mai, der 1886 beziehungsweise
1889 seinen Anfang nahm und an dem seitdem weltweit Arbeitnehmer für ihre Rechte
demonstrieren.
Von diesen Gemeinsamkeiten abgesehen, sind die Maifeiern in den beiden Ländern
allerdings gänzlich anders ausgerichtet. Der in Deutschland so beliebte Maibaum, sowie
das Maifeuer ist in Finnland nur in den vorwiegend schwedischsprachigen Gebieten zu
finden. Städtische Traditionen wie der Verkauf von Maiblumen zu wohltätigen Zwe-
cken dagegen sind in Deutschland nicht (mehr) verbreitet, während in Finnland zumin-
dest die schwedischsprachige Bevölkerung diese Tradition weiterhin pflegt.
Am augenfälligsten ist wohl der Umstand, dass in Finnland der Aspekt des Frühlings-
festes in einem viel stärkeren Maße betont ist, als es in Deutschland der Fall ist. Zwar
existieren auch hier neben den politischen Aktivitäten gerade auf dem Land noch einige
Bräuche wie der des Maibaum-Aufstellens, -Bewachens und –Stehlens, der sich gerade
in Bayern noch immer großer Beliebtheit erfreut, doch ist der deutsche Erste Mai den-
noch eher politisch konnotiert - trotz seit längerem rückläufiger Teilnehmerzahlen.
93
In Finnland dagegen nimmt vor allem das Studentenfest einen großen, wenn nicht sogar
den größten Raum des Maifestes ein. Hier ist besonders der Vorabend von Bedeutung,
an dem in den verschiedenen finnischen Städten Statuen mit eigens dafür angefertigten
Studentenmützen versehen werden. Teilweise davor, meist danach dürfen alle, die
jemals ihr Abitur gemacht haben, ihre eigene Abitur- beziehungsweise Studentenmütze
aufsetzen. Dies stellt einen bedeutungsvollen, feierlichen Akt dar, nach dem großer
Jubel ausbricht und die meisten feiern gehen. Auch viele, die keine Studenten sind,
nehmen an den Feierlichkeiten teil. An einigen finnischen Universitäten begehen die
Studenten bereits eine, in Einzelfällen sogar schon zwei Wochen zuvor den Auftakt der
Vappu-Vorbereitungen. Hierfür werden in den darauffolgenden Tagen zahlreiche Ver-
anstaltungen und Events organisiert, die teilweise zur allgemeinen Erheiterung der
Studenten und zur Einstimmung auf Vappu beitragen sollen, teilweise aber auch von
großer Bedeutung sind, wenn es zum Beispiel darum geht, aus den Teekkari-Fuksis, den
Technologiestudenten im ersten Studienjahr, „echte“ Teekkaris zu machen. Für diese
stellt der Erste Mai ein einschneidendes Erlebnis dar, da sie am Morgen des 30. April
endlich ihre Studentenmütze erhalten, die sie dann einige Stunden später zum ersten
Mal aufsetzen dürfen.
Das Hauptelement des eigentlichen Ersten Mai sind die Picknicks im Park, eine Traditi-
on, der in allen Universitätsstädten Finnlands nachgegangen wird. Hier steht die Ent-
spannung nach einer meist langen Nacht im Vordergrund, während andere Aktivitäten,
wie die politischen Kundgebungen und Paraden, in den Hintergrund rücken. Diese
Bedeutungslosigkeit, die dem politischen Ersten Mai in Finnland beigemessen wird,
zeigt sich auch in den von mir geführten Interviews.
Der Erste Mai in Finnland und Deutschland hat, wie dargelegt wurde, sowohl entwick-
lungsgeschichtliche, als auch aktuelle Gemeinsamkeiten, die sich in der Vorstellungs-
welt der Bevölkerung, sowie in ihren Bräuchen und Traditionen äußern. Doch schwerer
wiegen die verschiedenartigen Ausgestaltungen des Festes, die Gewichtung der unter-
schiedlichen Festelemente.
Über Vappu gäbe es sicherlich noch sehr viel mehr zu schreiben, als es im Rahmen
dieser Magisterarbeit möglich war. Gerade mit Hilfe einer größeren Anzahl Interviews
ließe sich mehr über aktuelle Brauchformen herausfinden, zumal wenn die Interview-
partner aus den verschiedenen Regionen Finnlands und zudem aus breiter gestreuten
Altersgruppen ausgewählt werden würden. Mit den nötigen Sprachkenntnissen könnten
in den finnischen Archiven Urkunden und andere Archivalien bezüglich der Geschichte
Vappus und wie es zu den verschiedenen Zeitpunkten seines Bestehens begangen wurde,
untersucht werden.
94
5 Anhang
5.1 Glossar
Aalto-Universität Entstand aus der Helsinki School of Economics, der Helsinki University of Technology und der School of Applied Arts.
Åbo Akademi Die schwedischsprachige Universität von Turku. Åland Insel zwischen Finnland und Schweden; offiziell zu Finnland
gehörig, stehen aber der schwedischen Kultur näher. Bonfire Jahresfeuer. Brahe Djäknar Akademischer Männerchor der Åbo Akademi. Folkhälsan Volkshilfeorganisation, organisiert Verkauf von Maiblumen. Fuksi Studenten, die ihr erstes Jahr an der Universität noch nicht
abgeschlossen haben, sog. Freshmen. Fuksi-Captain Tutor einer Gruppe von Fuksis während deren ersten Jahres. Furaschka Teil der von Zar Nikolai I. eingeführten Studentenuniform:
„erste nordische Studentenmütze“. Havis Amanda Frauenstatue in Helsinki, 1905 von Ville Vallgren. Kåren Studierendenvertretung der Åbo Akademi, auch Bezeichnung
für das Gebäude derselben. Lilja Frauenstatue in Turku, symbolisiert die offizielle Blume der
Stadt. Ljuva flicka Kleines Mädchen, für das vom Chor ein Lied gesungen wird. Lukkari Toast-Master, der ein traditionelles Sitsit anleitet. Majviska Schwedisch: Stab mit bunten Papierstreifen, ähnlich einem
Pompom. Manta s. Havis Amanda. Mjöd Schwedisch: schwach alkoholhaltiges Getränk, hergestellt
aus Wasser, Zitronen, braunem und weißem Zucker und Hefe.
Munkar Schwedisch: frittiertes Gebäck, ähnlich einem Doughnut oder Krapfen.
Munkki Finnisch: frittiertes Gebäck, ähnlich einem Doughnut oder Krapfen.
Nyland Finnisch: Uusimaa, eine Region im Süden Finnlands. Ostbottnien Österbotten, Gebiet an der Westküste Finnlands, verstärkt
schwedischsprachiger Raum. Otaniemi Campus der Aalto-Universität, liegt in Espoo. Overalls Studentenoveralls. Jeder Fachbereich einer Universität be-
sitzt eigene Farbe; Studenten tragen sie zum feiern und ver-sehen sie mit Aufnähern, die auf offiziellen Feiern gekauft werden.
Prodeko Gilde, Studentenorganisation der Teekkaris der Aalto-Universität.
Pulla Hefeteiggebäck, meist mit Kardamom. Sitsit Traditionelle akademische Art des Feierns, Festessen. Sima Finnisch: schwach alkoholhaltiges Getränk, hergestellt aus
Wasser, Zitronen, braunem und weißem Zucker und Hefe. Snapsvisa, Snapsvisor Schnapslieder, zum Einnehmen von Schnaps gesungen,
ermuntern oft zum Trinken. Speksi Improvisationstheater.
95
Struva, Struvor Schwedisch: frittiertes Gebäck, aus mehreren langen Teig-strängen zusammengefügt ist.
Student Union Studierendenvertretung. Teekkari Technologiestudent der Aalto-Universität in Helsinki. Tippaleipä Finnisch: frittiertes Gebäck, aus mehreren langen Teigsträn-
gen zusammengefügt ist. Vappu, Valborg „Walpurgis“, gemeint ist der Vorabend des Ersten Mai und
der Erste Mai an sich. Erstere Bezeichnung ist finnisch, zweitere schwedisch.
Vappuhuiska Finnisch: Stab mit bunten Papierstreifen, ähnlich einem Pompom.
Vappu week Die Woche vor Vappu.
96
5.2 Quellennachweis
SLS 114, 55
SLS 192, 92
SLS 192 s. 94
SLS 198, 122
SLS 201 s. 98
SLS 201 s. 100
SLS 208, 59
SLS 239, 327
SLS 239, 330
SLS 239, 331
SLS 239 s. 332
SLS 239, 379
SLS 239, 517
SLS 283, 320
SLS 425, 664-666
SLS 434 a, 44-45
SLS 502, 38
SLS 502, 122-123
SLS 506 S. 47
SLS 533 s. 555-556
SLS 533 s. 557
SLS 533 s. 558
SLS 533 s. 559-560
SLS 546, 108
SLS 560, 206
SLS 560, 576
SLS 560, 639
SLS 560, 1143
SLS 560, 1495
SLS 561, 60
SLS 561, 142
SLS 562, 946
SLS 579, 366
SLS 581, 694
SLS 581, 932
SLS 581, 1043
SLS 584, 2
SLS 584, 152
SLS 584, 261
SLS 588, 11
SLS 593, 5
SLS 593, 39
SLS 618, 225
SLS 618, 234
SLS 618, 247
SLS 634, 4
SLS 639
SLS 639, 633
SLS 644, 559
SLS 664, 333
SLS 644, 1102
SLS 644, 1253
SLS 644, 1259
SLS 644, 1268
SLS 644, 1358-59
SLS 644, 1418
SLS 665 b, 71
SLS 669, 11
SLS 674, 326
SLS 766, 36
SLS 931, 30
SLS 931, 49-50
SLS 931, 60
SLS 1174, 40
SLS 1114, 55
SLS 1528
SLS 1550, 29
SLS 1550, 380
SLS 1174, 35
SLS 1174, 38
SLS 1174, 40
SLS 1174, 63
SLS 1528 S. 04
FMK 34, 186
FMK 69 a, 41 Uppt. 1932
FMK 139 b, 1947
FMK 153a, 405. 1953
FMK 155c, s. 57, I Nykvist
1954
1987/1:58
1987/1:110
97
5.3 Literaturverzeichnis
Achten 1980. Achten, Udo (Hg.): Zum Lichte empor. Mai-Festzeitungen der Sozialdemokratie 1891-1914. Ber-lin/Bonn 1980.
Alho 1999. Alho, Olli (Hg.): Kulturlexikon Finnland. 2. Aufl. Helsinki 1999.
Becher/Schmidt 1991. Becher, Angela/Schmidt, Gustav: Von Walpurgis bis Johannis. Oberfränkisches Brauchtum aus älterer und neuerer Zeit. In: Heimatbeilage zum Amtlichen Schul-anzeiger des Regierungsbezirks Oberfranken – Finan-ziert von der Oberfrankenstiftung. Bayreuth 1991.
Bergman/Ekrem 1992. Bergman, Anne/Ekrem, Carola: Fest och fritid. Fyra studier i finlandsvenska festtraditioner och ungdoms-seder (= Skrifter utgivna av svenska litteratursällskaet i Finland Nr. 577, Meddelanden från folkkultursarkivet Nr. 13). Helsinki 1992.
- Bringéus, Nils-Arvid: Årets festseder. Södertälje 1981.
- Brunner, Reinhold: Hundert Jahre Sommergewinns-umzug 1897-1997. Eisenach 1997.
Dülmen 1987. Dülmen, Richard von: Imaginationen des Teuflischen. Nächtliche Zusammenkünfte, Hexentänze, Teufelssab-bate. In: Dülmen, Richard von (Hg.): Hexenwelten. Magie und Imagination vom 16.-20. Jahrhundert. Frankfurt/Main 1987.
Finkel 2004. Finkel, Michelle A.: Traumatic Injuries Caused by Hazing. In: Nuwer, Hank (Hg.): The Hazing Reader. Bloomington 2004, S. 171-184.
Fischer 2004. Fischer, Anke: Feste und Bräuche in Deutschland. München 2004.
Fossenius 1951. Fossenius, Mai: Majgren Majträd Majstång. En etnologisk – kulturhistorisk studie. Lund 1951.
- Goldberg, Gisela: Heiligenbrote. Ein weit verbreiteter Brauch auch in der Gegenwart. In: Bayerisches Jahr-buch für Volkskunde 1994. München 1994, S. 51-93.
Helsinki Art Museum 2008. Helsinki Art Museum (Hg.): Havis Amanda. Mon Amour 100 Years. Helsinki 2008.
Holzbauer 1972. Holzbauer, Hermann: Mittelalterliche Heiligenvereh-rung. Heilige Walpurgis. Kevelaer 1972.
Kaschuba 1991. Kaschuba, Wolfgang/Korff, Gottfried/Bernd, Jürgen (Hg.): Arbeiterkultur seit 1945 – Ende oder Verände-rung? 5. Tagung der Kommission „Arbeiterkultur“ in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde vom 30. April bis zum 4. Mai 1989 in Tübingen. Tübingen 1991.
- Knoche, Andrea: Traditionelle Bräuche und Feste im Jahreslauf. Erfurt 1996.
Korff 1979. Korff, Gottfried: Volkskultur und Arbeiterkultur. Überlegungen am Beispiel der sozialistischen Maifest-tradition. In: Berding, Helmut (Hg.): Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissen-schaft. 5. Jahrgang, Göttingen 1979.
98
Korff 1984. Korff, Gottfried: „Heraus zum Ersten Mai.“ Maibrauch zwischen Volkskultur, bürgerlicher Folklore und Ar-beiterkultur. In: Dülmen, Richard van/Schindler Nor-bert (Hg.): Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags (16.-20. Jahrhundert). Frank-furt/Main 1984.
Montanus 1854. Montanus (Vincenz Jakob von Zuccalmaglio): Die deutschen Volksfeste, Volksbräuche und deutscher Volksglaube, 1854. Hildesheim/Zürich/New York 2006.
Moser 1985. Moser, Hans: Maibaum und Maienbrauch. Beiträge und Erörterungen zur Brauchforschung. In: Moser, Hans (Hg.): Volksbräuche im geschichtlichen Wandel. Ergebnisse aus 50 Jahren volkskundlicher Quellenfor-schung. München 1985.
- Moser, Dietz-Rüdiger: Bräuche und Feste durch das ganze Jahr. Gepflogenheiten der Gegenwart in kultur-geschichtlichen Zusammenhängen. Frei-burg/Basel/Wien 2002.
Ossendorf 2006. Ossendorf, Karlheinz: Komm lieber Mai… Beim Brauchtum im Wonnemonat hat sich Vieles gewandelt (= Schriftenreihe der Kreissparkassenstiftung Heft 11). Siegburg 2006.
Pichler 2010. Pichler, Heinz Stefan (Hg.): 1. Mai – 120 Jahre 1. Mai in Kärnten. Ausstellung zum Kampftag der Arbeiter-schaft. Ausstellungskatalog. Klagenfurt 2010.
- Rosenfeld, Hellmut: Maitanz, Maien, Maienbüschel, Maibaum. Neidhart von Reuental und die Linde in Dichtung und Brauch. In: Schönere Heimat 77. [o.A.] 1988, S. 371-374.
- Rothe, Matthias: Ritualisierte Tabuverletzung, Lach-kultur und das Karnevaleske. Beiträge des Finnisch-Ungarischen kultursemiotischen Symposiums. 9. bis 11. November 2000. Berlin-Frankfurt (Oder). In: Joerden, Jan C. (Hg.): Studien zur Ethik in Ostmittel-europa, Band 6. Frankfurt/Main 2002.
Rucht 2003. Rucht, Dieter (Hg.): Berlin, 1. Mai 2002. Politische Demonstrationsrituale. Opladen 2003.
Sarmela 2009. Sarmela, Matti: Finnish Folklore Atlas. 4. Aufl. Hel-sinki 2009.
- Schindler Margot: Der andere 1. Mai. Der sozialdemo-kratische Tag der Arbeit und die Formierung anderer Maifesttraditionen. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, Wien 2010, S. 273-293.
Schuberth 1995. Schuberth, Ottmar: Maibäume. Tradition und Brauch-tum. Peißenberg 1995.
- Schweizer, Karl: 100 Jahre Erster Mai in Lindau. Lindau 1990.
Talve 1997. Talve, Ilmar: Finnish Folk Culture. Helsinki 1997.
Hundert Jahre Erster Mai 1989.
Verein zum Studium sozialer Bewegungen (Hg.): Hundert Jahre Erster Mai. Beiträge und Projekte zur Geschichte der Maifeiern in Deutschland. Ein Ta-gungsbericht. Berlin 1989.
99
Vilkuna 1969. Vilkuna, Kustaa: Finnisches Brauchtum im Jahreslauf. Helsinki 1969.
Virtanen/DuBois [o.A.]. Virtanen, Leea/DuBois, Thomas: Finnish Folklore (= Studia Fennica. Folkloristica 9). Helsinki [o. A.]
Waas-Frey 1984. Waas-Frey, Marianne: Alte Bräuche, frohe Feste zwi-schen Flensburg und Oberstdorf, Aachen und Bay-reuth. Kemnat 1984.
- Weber-Kellermann, Ingeborg: Volksfeste in Deutsch-land. Hamburg 1981.
Welker 2010. Welker, Manfred: Glaube – Brauchtum – Heimat. Kirchenpatrozinien und Heiligenfeste zwischen Au-rach, Aisch, Reicher Ebrach und Regnitz. In: Schriften zur Heimatpflege im Landkreis Erlangen-Höchstadt, Band 6. Höchstadt/Aisch 2010.
- Wolf, Helga Maria: Das neue Brauchbuch. Alte und junge Rituale für Lebensfreude und Lebenshilfe. Wien 2000.
Internetlinks:
https://alma.linneanet.fi/webvoy.htm (aufgerufen am 29.01.2012). http://www.bild.de/regional/berlin/tag-der-arbeit/friede-freude-und-ein-bisschen-randale-17675272.bild.html (aufgerufen am 21.01.2011). http://www.bild.de/regional/berlin/berlin-regional/berliner-demo-beendet-17680984.bild.html (aufgerufen am 21.01.2011). http://www.bild.de/regional/hamburg/randale/mai-randale-hamburg-bilanz-17686606.bild.html (aufgerufen am 21.01.2011). http://www.mainpost.de/regional/hassberge/Radiosender-klaut-den-Zeiler-Maibaum;art1726,5554228 (aufgerufen am 15.01.2012).
100
5.5 Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre hiermit gemäß § 17 Abs. 2 MagPO, dass ich die vorstehende Magister-
arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und
Hilfsmittel benutzt habe. Entlehnungen sind unter Angabe der Quelle kenntlich
gemacht.
Bamberg, 01. Februar 2012