Professor in Jena (1931-1936), in: Barbar, Kreter, Arier. Leben und Werk des Althistorikers Fritz...

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Professor in Jena (1931-1936) Berufung nach Jena Anfang 1930 stellte sich die Situation für junge Wissenschaftler, die nach einer Professur strebten, nicht einfach dar. Ein anderer junger Althistoriker und Mitbewerber um eine althistorische Professur im deutschen Sprachraum, der schon früher erwähnte Friedrich Bilabel, beschrieb in einem Brief an seinen Konkurrenten Fritz Schachermeyr seine persönliche und zugleich auch die allgemeine damalige Lage, wie sie Schachermeyr seinerseits kaum anders empfinden konnte, folgendermaßen: „Daß ich in Berufungssachen einige Enttäuschungen erlebte, wissen Sie ja. Am überraschendsten war mir Graz, da das Gutachten von Prof. Oertel, das ich gelesen habe, außerordentlich günstig war u[nd] eine Reihe von Fakultätsmitgliedern mich zugern [sic] deswegen an erste Stelle setzen wollten [sic]. Wenn ich hier die Gründe meines Nichtberufenwerdens erführe, so wäre ich sehr dankbar. [Es] wird wohl, wie immer, irgend jemand gegen mich intrigiert haben. Aber ich ahne nicht, wer. Vielleicht erfahren Sie etwas von Lehmann-Haupt? Der wird ja nun wohl auch bald pensionsreif werden[,] und dann hoffe ich sehr, daß Sie sein Nachfolger werden. Tübingen ist auch nicht besetzt. Daß man W. Weber 997 zurückberufen hat, haben Sie wohl gelesen. Da er unglaubliche Gehaltsforderungen gestellt hat, so hat ihn die Regierung fallen laßen [sic] d. h. er (!) hat abgelehnt? Er war unico loco vorgeschlagen. Von weiteren Vorschlägen habe ich noch nichts gehört, aber daß man nur einen, der schon Ordinarius ist, haben will, ist mir von einem Fakultätsmitglied 997 Wilhelm G. Weber (1882-1948); K. Christ 1982, passim, bes. 210-225; K. Christ 1999, 271; K. Christ 2006, 69-74; K. Christ 2008, passim; A. Demandt 1979, 92; A. Demandt 1992, bes. 199f.; DBE 10, 199, 363; W. U. Eckart – V. Sellin – E. Wolgast 2006, passim; H. Löffler 2001, 240f.; V. Losemann 1977, passim, bes. 48, 75-89, 207 Anm. 14; V. Losemann 2007a, 313-316, 320, 326f. 334; R. Oberheid 2007, bes. 405f.; S. Rebenich 2005, 46; I. Stahlmann 1988, bes. 155-184; J. Vogt 1949, 176-179; W. Weber 1984, 644f.

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Professor in Jena (1931-1936)

Berufung nach Jena

Anfang 1930 stellte sich die Situation für junge Wissenschaftler, die nach einer

Professur strebten, nicht einfach dar. Ein anderer junger Althistoriker und Mitbewerber

um eine althistorische Professur im deutschen Sprachraum, der schon früher erwähnte

Friedrich Bilabel, beschrieb in einem Brief an seinen Konkurrenten Fritz

Schachermeyr seine persönliche und zugleich auch die allgemeine damalige Lage, wie

sie Schachermeyr seinerseits kaum anders empfinden konnte, folgendermaßen: „Daß

ich in Berufungssachen einige Enttäuschungen erlebte, wissen Sie ja. Am

überraschendsten war mir Graz, da das Gutachten von Prof. Oertel, das ich gelesen

habe, außerordentlich günstig war u[nd] eine Reihe von Fakultätsmitgliedern mich

zugern [sic] deswegen an erste Stelle setzen wollten [sic]. Wenn ich hier die Gründe

meines Nichtberufenwerdens erführe, so wäre ich sehr dankbar. [Es] wird wohl, wie

immer, irgend jemand gegen mich intrigiert haben. Aber ich ahne nicht, wer.

Vielleicht erfahren Sie etwas von Lehmann-Haupt? Der wird ja nun wohl auch bald

pensionsreif werden[,] und dann hoffe ich sehr, daß Sie sein Nachfolger werden.

Tübingen ist auch nicht besetzt. Daß man W. Weber997 zurückberufen hat, haben Sie

wohl gelesen. Da er unglaubliche Gehaltsforderungen gestellt hat, so hat ihn die

Regierung fallen laßen [sic] d. h. er (!) hat abgelehnt? Er war unico loco

vorgeschlagen. Von weiteren Vorschlägen habe ich noch nichts gehört, aber daß man

nur einen, der schon Ordinarius ist, haben will, ist mir von einem Fakultätsmitglied

997 Wilhelm G. Weber (1882-1948); K. Christ 1982, passim, bes. 210-225; K. Christ 1999,

271; K. Christ 2006, 69-74; K. Christ 2008, passim; A. Demandt 1979, 92; A. Demandt 1992,

bes. 199f.; DBE 10, 199, 363; W. U. Eckart – V. Sellin – E. Wolgast 2006, passim; H. Löffler

2001, 240f.; V. Losemann 1977, passim, bes. 48, 75-89, 207 Anm. 14; V. Losemann 2007a,

313-316, 320, 326f. 334; R. Oberheid 2007, bes. 405f.; S. Rebenich 2005, 46; I. Stahlmann

1988, bes. 155-184; J. Vogt 1949, 176-179; W. Weber 1984, 644f.

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versichert worden. T.998 kann uns Jüngeren also höchstens indirekt nützen. Judeich999,

der längst überfällig ist, hat man gebeten, noch weiterzulesen. Von Wien habe ich

keine zuverlässigen Nachrichten. So sind in Deutschland also die Aussichten nicht

gerade vielversprechend. Besonders interessant ist der Endkampf um Berlin, da

Wilcken1000 im Laufe dieses Jahres ausscheidet u[nd] gerne sehr, wie er mir sagt[,]

‚um endlich arbeiten zu können’.“1001

Für Schachermeyr sollte die Situation des Wartens auf eine Professur allerdings

schon bald ein Ende haben – Anfang 1931 erging an ihn ein Ruf nach Jena auf den

Lehrstuhl des soeben genannten Walther Judeich, und dies, obwohl er im Jenenser

Ternavorschlag nur an dritter Stelle genannt worden war1002. An erste Stelle waren die

998 Gemeint ist zweifellos das eben erwähnte Tübingen, wo dann seit 1932 tatsächlich

vielmehr Woldemar Graf Uxkull-Gyllenband (1898-1939; auch Üxküll geschrieben, so

zuletzt bei K. Christ 2008, passim; vgl. zu diesem George-Jünger weiters S. Breuer 1995,

234; K. Christ 1982, 255; P. Hoffmann 1992, 111; T. Karlauf 2007, passim; V. Losemann

2007a, 318f.; R. E. Norton 2002, bes. 658, 731; W. Schuller 2005, 209-224, bes. 212-215; J.

Vogt 1939, 461-463; W. Weber 1984, 613) lehrte, der zuvor noch nicht Ordinarius gewesen

und selbst einer von „uns Jüngeren“ war; und da es deshalb keinen Wechsel eines schon

andernorts etablierten Lehrstuhlinhabers nach Tübingen gab, konnten Bilabel und

seinesgleichen auch nicht, wie von diesem erhofft, von einer so herbeigeführten Vakanz an

einer anderen Universität profitieren. 999 Walt(h)er Judeich (1859-1942), damals Ordinarius in Jena; Dt. Ztgenlex., 687f.; E. Kluwe

1990, 5-12; R. Urban 2000, 54-56; W. Weber 1984, 275f.; L. Wickert – C. Börker 1979, bes.

180. 1000 Ulrich Wilcken (1862-1944); K. Christ 1982, bes. 70f.; K. Christ 1999, bes. 176-184; K.

Christ 2006 47f.; W. R. Dawson – E. P. Uphill – M. L. Bierbrier 1995, 441; A. Demandt

1979, bes. 87f.; A. Demandt 1992, bes. 190f.; H. Kloft 2006, 294-329; B. Näf 1986, bes. 90-

92; W. Weber 1984, 662; L. Wenger 1945, 199-228; O. Wenig 1968, 337; M. A. Wes 1997,

passim und 213 Anm. 2 mit weiterer Lit. 1001 A I, F. Bilabel an Schachermeyr, Brief vom 22.3.1930. 1002 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 12.

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beiden Professoren Josef Keil (1878-1963)1003 aus Greifswald und Johannes

Hasebroek (1893-1957)1004 aus Köln, an zweite Stelle der außerordentliche Professor

in Zürich Ernst Meyer (1898-1975)1005 gereiht worden, wobei man von der

Nachbesetzung einer Ordinariatsstelle ausgegangen war1006.

In der Folge wurde Judeichs Lehrstuhl dann aber zu einer außerordentlichen

Professur zurückgestuft1007, was implizierte, daß von allen Gereihten allein oder am

1003 UA Wien, PA Josef Keil; AdR, PA Josef Keil, Präsidentschaftskanzlei Zl. 4176/25, Zl.

12.554/36, Zl. 8502/47, Zl. 41.208/59, Zl. 40987/59; Archiv der ÖAW PA Josef Keil; G.

Baader 1977, 404f.; E. Braun 1964, 521-524; E. Bruckmüller 2004, II, 188; F. Fellner – D. A.

Corradini 2006, 216; F. Jaksch 1929, 127; M. Pesditschek 1996, 108-119; M. Pesditschek

2002, 12-14; M. Pesditschek 2009b, im Druck; F. Schachermeyr 1964g, 5; F. Schachermeyr

1965k, 50f.; R. Teichl 1951, 142f.; W. Weber 1984, 294; G. Wlach 1998, 111f. 1004 K. Christ 1999, bes. 230-232; F. Golczewski 1988, bes. 453; V. Losemann 1977, bes.

201f. Anm. 104; E. Pack 1990, 142-151; W. Weber 1984, 206f. 1005 M. Chambers 1996, 751; K. Christ 1982, 334-337; B. Näf 2002, 1149; F. Volbehr – R.

Weyl 1956, 220. 1006 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 19. Daß die Kandidaten von der Fakultät für ein

Ordinariat gelistet wurden, geht auch aus dem Glückwunschschreiben Judeichs an

Schachermeyr hervor (A I, W. Judeich an Schachermeyr, Brief vom 21.2.1931). 1007 „Nach dem neuen Statut [von 1924] gehörten alle ordentlichen und alle diejenigen

beamteten außerordentlichen Professoren, die alleinige Vertreter eines selbständigen Faches

waren, zur Engeren Fakultät. Diese wurde durch geheime Wahl der Weiteren Fakultät aus

dem Kreis derjenigen Mitglieder ergänzt, die nicht der Engeren Fakultät angehörten. Ihre Zahl

sollte jedoch nicht mehr als ein Viertel der Inhaber ordentlicher Lehrstellen betragen, und

diese Mitglieder des Lehrkörpers durften an Verhandlungen und Beschlußfassungen über ihre

eigene Person nicht teilnehmen […]. Die Weitere Fakultät bestand aus allen ordentlichen

Professoren, den außerordentlichen Professoren und den Privatdozenten. […] ‚Der Große

Senat setzt sich aus sämtlichen Mitgliedern der engeren [sic] Fakultäten zusammen’, denen

[…] jetzt auch Nichtordinarien angehörten, teils in ihrer Eigenschaft als alleinige Vertreter

eines selbständigen Faches, teils als gewählte Vertreter der sonst außerhalb der Fakultät

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ehesten Schachermeyr den Ruf annehmen würde, denn jeder Ruf an eine Universität

war für die von ihm ohne Zweifel angestrebte wissenschaftliche Karriere besser als

weiterer Gymnasialunterricht. So machte denn also Schachermeyr das Rennen, wofür

folgende Begründung gegeben wurde: „Allgemeine Aufmerksamkeit hat

Schachermeyr mit seinem im Jahr 1929 veröffentlichten großen Buch ‘Etruskische

Frühgeschichte’1008 erregt. Zwar der Nachweis, der das Ziel des Buches bildet, wird

bestritten, der Nachweis nämlich, daß die Herkunft der Etrusker im nordwestlichen

Kleinasien zu suchen sei. Aber die umfassende Kenntnis, die Vorlegung des Materials,

die großen Gesichtspunkte und die mit historischem Takt getroffenen Fragestellungen,

endlich die Vorzüge der Darstellung, die besonders in der Beschreibung der

archäologischen Denkmäler hervortreten, haben volle Anerkennung, teilweise

geradezu Bewunderung gefunden. Schachermeyr hat sich mit diesem Buch, das einen

viel umfassenderen Inhalt hat[,] als der Titel verrät[,] und auf Grund genauer Kenntnis

und großzügiger Betrachtung der Frühgeschichte der ganzen östlichen Mittelmeerwelt

geschrieben ist, als Historiker von Rang ausgewiesen.“1009 Bereits im Sommer 1930

hatte der Archäologe Camillo Praschniker (1884-1949)1010, der nur das

Sommersemester 1930 in Jena lehrte und danach nach Wien wechselte, Schachermeyr

mitgeteilt, daß sein Name „unter einer großen Zahl sozusagen zur engeren Wahl

stehenden Lehrkräfte. Hinsichtlich der Mitgliedschaft zum Kleinen Senat wurde präzisiert,

daß von den sieben Wahlsenatoren fünf aus dem Kreis der ordentlichen Professoren, und zwar

je einer aus jeder Fakultät stammen mußten“ (R. Ludloff 1958, 561); vgl. dazu M. Schmeiser

1994, 62, der allerdings nur über die preußischen Verhältnisse berichtet. 1008 F. Schachermeyr 1929a. 1009 AdR PA Friedrich Schachermeyr, fol. 19f. Zur Beurteilung von Schachermeyrs

Habilitationsschrift vgl. S. 124-126, 137. 1010 F. Fellner – D. A. Corradini 2006, 326f.; F. Jaksch 1929, 221; J. Keil 1950, 292-306; H.

Kenner 1988b, 224f.; H. Vetters 1983, 241f.; G. Wlach 1998, 106f.; G. Wlach 2007; G.

Wlach 2009, im Druck.

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gestellt wurde“1011. Am 19. Dezember 1930 holte das Thüringische

Volksbildungsministerium, im besonderen Oberregierungsrat Friedrich Stier (1886-

1966)1012, der zusätzlich an der Jenenser Universität las, im Österreichischen

Bundesministerium für Unterricht Auskünfte über Schachermeyr ein, wobei man sich

auch über dessen Persönlichkeit sowie politische Aktivitäten informierte1013. Das

Ministerium in Wien gab diese Fragen nach Tirol weiter, und dort hieß es,

Schachermeyr sei, „soweit dem Landesschulrate bekannt, politisch nie

hervorgetreten“1014. Bezüglich seiner Besoldung wird angegeben, daß Schachermeyr

samt diversen Zulagen und Überstundenvergütung auf ein monatliches

Nettoeinkommen von ATS 517,60 komme1015. Auch der Dekan der Philosophischen

Fakultät der Universität Innsbruck, Ernst Philippi (1888-1969)1016, der 1945 entlassen

wurde, weiß von keiner politischen Betätigung Schachermeyrs, er sei ihm „persönlich

als sehr sympathischer jüngerer Kollege bekannt, der meines Wissens auch bei den

anderen Kollegen beliebt ist“1017. Schachermeyr selbst bezeichnete sich später als bis

zu diesem Zeitpunkt „vollkommen unpolitisch“. Weiters führte er erklärend und völlig

glaubhaft aus: „An eine studentische Korporation habe ich mich während meiner

Universitätsjahre nicht angeschlossen. In den nachfolgenden zehn Jahren, welche ich

1011 A II, C. Praschniker an Schachermeyr, Karte vom 25.7.1930. 1012 B. v. Brocke 2002, 210; M. Grüttner 2004, 169; J. Hendel u. a. 2007, passim; W. Löhlein

1931, 35; E. Naake 1998, 280-282, 290f.; R. Stutz 1995, 360, 363, 365; S. Wallentin 2007,

268-270. Zu seiner Funktion im Nietzsche-Archiv vgl. D. M. Hoffmann 1991, 81, 107. 1013 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 12. 1014 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 16. 1015 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 16. Die Wirtschaftskrise hatte Österreich zu diesem

Zeitpunkt in vollem Umfang erfaßt. Zum Vergleich sei hier die Höhe der monatlichen

Arbeitslosenunterstützung angeführt, die samt der 1922 installierten Notstandshilfen im Jahr

1931 ATS 74,- ausmachte. „Der durchschnittliche Monatslohn eines Metallarbeiters betrug im

selben Jahr 245,- Schilling“ (V. Pawlowsky 2000, 25). 1016 P. Goller – G. Oberkofler 2003, 19; G. Machek 1971, bes. 195-197. 1017 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 18.

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1921 bis 1931 am Innsbrucker Mädchenrealgymnasium wirkte, war ich dem

Katholischen Mittelschullehrerverband nahegestanden, ohne mich aber zu politischer

Betätigung zu entschließen, denn meine damals schon sehr intensive wissenschaftliche

Forschungsarbeit und eine Mittelschullehrverpflichtung von oft bis zu 28

Wochenstunden füllte mich vollkommen aus.“1018

Mit 17. Februar 1931 war schließlich das alles entscheidende an Schachermeyr

gerichtete Schreiben datiert, mit dem der Ruf an ihn erging: „Die philosophische

Fakultät der Thüringischen Landesuniversität Jena hat für den freigewordenen

Lehrstuhl der alten [sic] Geschichte neben anderen Gelehrten Sie vorgeschlagen. Die

Stelle wird durch die Entpflichtung des Geheimen Hofrats Professor Dr. Judeich am 1.

April 1931 frei. Es handelt sich jetzt um eine planmäßige außerordentliche Lehrstelle.

Wir haben den Wunsch, daß sie zu diesem Zeitpunkt auch besetzt werden kann. Im

Auftrage meines Herrn Ministers habe ich Ihnen heute den Ruf auf diese Lehrstelle zu

übermitteln“1019. Die Nachricht von dem an Schachermeyr ergangenen Ruf verbreitete

sich offenbar wie ein Lauffeuer, das Glückwunschschreiben des jüngeren Dozenten

Fritz Moritz Heichelheim (1901-1968)1020, der dann nach England emigrieren mußte,

1018 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 98. Die Vermutung liegt nahe, daß freilich auch schon

der „unpolitische“ Schachermeyr, ganz ähnlich wie der prominenteste „Unpolitische“, der

Thomas Mann der Betrachtungen eines Unpolitischen, Berlin 1918 (H. Bürgin u. a., Das

Werk Thomas Manns. Eine Bibliographie, Frankfurt am Main 1959, ND 1984, 1, 12), jede

Menge von rechtsgerichteten Einstellungen hatte; vgl. die Andeutung bei S. Deger-Jalkotzy

1988a, 126 und auch schon gewisse Formulierungen in F. Schachermeyr 1929a, s. o. S. 127-

130. (Zum jungen Thomas Mann als Autor der „Konservativen Revolution“ vgl. etwa A.

Mohler 1999, passim, bes. 325; auch B. Beßlich 2002, passim, bes. 12f. mit Lit.; M.

Görtemaker 2005, 25-42, 242-244; J. Nordalm 2006, 253-276.) Zu den „politischen Folgen

des Unpolitischen Deutschen“ vgl. F. Stern 1977, 168-186. 1019 A II, Thüringisches Volksbildungsministerium, IV C I 336/31, Oberregierungsrat F. Stier

an Schachermeyr, Brief vom 17.2.1931. 1020 M. Chambers 1994, 272-274; K. Christ 1982, 193-195; K. Christ 1999, bes. 234; W. R.

Dawson – E. P. Uphill – M. L. Bierbrier 1995, 197; K. Ehling 2004, 446-449; KGL 1931,

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ist am 26. Februar geschrieben1021, das von Josef Schatz (1871-1950)1022 am 28.

Februar1023, die Gratulationsschreiben von Friedrich Bilabel und der Witwe Adolf

Bauers sowie von Rudolf Egger und Camillo Praschniker sind alle bereits mit 25.

Februar 19311024, die von Wilhelm Ensslin und Emil Forrer gar schon mit 24. Februar

1931 datiert1025. Schachermeyrs Schwester Maria beglückwünschte ihn noch einen Tag

früher mit „Heil Fritz!“1026, und ebenfalls mit dem 23. Februar sind Alfons Nehrings

und Friedrich Oertels Gratulationsschreiben sowie eines von der Dieterich’schen

Verlagsbuchhandlung datiert1027. Am 22. Februar1028 gratulierte der Münchener

Landschaftsmaler Richard Kaiser (1968-1941)1029, und Albert Debrunner, Hans Lamer

(1873-1939)1030 und Friedrich Münzer entboten ihre Glückwünsche gar schon am 21.

1076; KGL 1950, 741; KGL 1976, 3655; H. A. Strauss – W. Röder 1983, 474; C. Wegeler

1996, 385. 1021 A II, F. Heichelheim an Schachermeyr, Brief vom 26.2.1931. 1022 H. Giebisch – G. Gugitz 1964, 352. 1023 A II, J. Schatz an Schachermeyr, Brief vom 28.2.1931. 1024 „Soeben sehe ich in der Zeitung Ihre Berufung nach Jena und freue mich aufrichtig“ (A II,

F. Bilabel an Schachermeyr, Karte vom 25.2.1931); „Eben erfahre ich, von der, für Sie so

ehrenvollen Berufung“ (A II, M. Bauer an Schachermeyr, Karte vom 25.2.1931); „Zum

Ordinarius wünscht Ihnen […] herzlich Glück“ (A II, R. Egger an Schachermeyr, Karte vom

25.2.1931); A II, C. Praschniker an Schachermeyr, Brief vom 25.2.1931. 1025 A II, W. Ensslin an Schachermeyr, Karte vom 24.2.1931; A II, E. Forrer an

Schachermeyr, Brief vom 24.2.1931. 1026 A II, M. Fichtenau an Schachermeyrs, Brief vom 23.2.1931. 1027 A II, A. Nehring an Schachermeyr, Brief vom 23.2.1931; A II, F. Oertel an

Schachermeyr, Brief vom 23.2.1931; A II, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung an

Schachermeyr, Brief vom 23.1.1931. 1028 A II, R. Kaiser an Schachermeyr, Brief vom 22.2.1931. 1029 DBE 5, 1997, 408; H. A. L. Degener 1935, 776; Reichshandbuch, 874; H. Vollmer 1956,

6; H. Vollmer 1999a, 450. 1030 ABES; KGL 1925, 563.

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Februar1031. Anfang März1032 folgten dann noch die Wünsche Franz Leifers (1883-

1957)1033 und Friedrich Pfisters und aus dem familiären Bereich die von seinem

Bruder Hans und dessen Frau Gertrude. Ende Februar war Schachermeyr gerade nach

Weimar gereist, um persönliche Gespräche über die Modalitäten seiner Berufung zu

führen1034. Erst am 26. März 1931 teilte man Schachermeyr mit, daß er gesundheitliche

Atteste für seine Anstellung beizubringen habe1035. Wenn man die Zeit für die

Briefwege miteinrechnet, hatte Schachermeyr höchstens einen Monat Spielraum, um

Verhandlungen mit der Regierung zu führen und gleichzeitig zu überlegen, ob er die

Bedingungen akzeptieren solle. Ganz erstaunlich ist, daß Judeich von der Berufung

Schachermeyrs bloß aus „unserem Lokalblatt“ erfahren haben will. Weiters führte

Judeich in seinem Brief an Schachermeyr aus: „Ich zweifle nicht, daß die Nachricht

richtig ist, wenn die Regierung auch bisher der Fakultät kein Wort darüber mitgeteilt

hat, und möchte d[es]halb als einer der Nächstbeteiligten Ihnen gleich einen herzlichen

Glückwunsch senden.“1036

Fritz Schachermeyr übersiedelte also in das „ersehnte{n} Deutschland“1037, und

trat am 1. April 1931 seine Stelle als außerordentlicher Professor in Jena an1038 –

1031 D II, A. Debrunner an Schachermeyr, Karte vom 21.2.1931; A II, H. Lamer an

Schachermeyr, Brief vom 21.2.1931; A II, F. Münzer an Schachermeyr, Karte vom

21.2.1931. 1032 A II, F. Leifer an Schachermeyr, Brief vom 2.3.1931; A II, F. Pfister an Schachermeyr,

Karte vom 9.3.1931; A II, H. Schachermeyr an F. Schachermeyr, Brief vom 7.3.1931; A II,

G. Schachermeyr an F. Schachermeyr, Brief vom 7.3.1931. 1033 KGL 1926, 1105; KGL 1961, 2380; R. Teichl 1951, 175. 1034 A II, M. Fichtenau an Schachermeyrs, Brief vom 23.2.1931. 1035 A II, Thüringisches Volksbildungsministerium, IV C I: 841/31, Brief vom 26.3.1931. 1036 A I, W. Judeich an Schachermeyr, Brief vom 21.2.1931. 1037 F. Schachermeyr 1984, 81. In seinem politischen Bekenntnis bezeichnet Schachermeyr

Deutschland als „eine Art von Paradies“ (Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt.

1, 1. Ein politisches Bekenntnis, fol. 1), und bereits im Vorwort seiner Etruskischen

Frühgeschichte (F. Schachermeyr 1929a) gibt er an, sich als Deutscher zu fühlen, wenn er

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physisch war er erst seit 12. April in Jena anwesend1039 –, wo der berühmte Johann

Gustav Droysen (1808-1884)1040 das „Historische Seminar“ begründet und schon

Friedrich von Schiller als Professor für Geschichte gelehrt hatte1041.

Mit seinen Lehrveranstaltungen begann er noch im Sommersemester1042. In

Thüringen weilte Schachermeyr zunächst ohne seine Gemahlin Gisela, die anfangs1043

schreibt: „August Göllerich […] hat mich in jene Sphäre höchster Kunst eingeführt, welche,

wie kaum etwas anderes, für uns Deutsche die Erfüllung alles Strebens und Sehnens bedeutet“

(F. Schachermeyr 1929a, X); s. o. S. 129 Anm. 595. 1038 UA Heidelberg, PA 5599, Standesliste; UA Graz, PA Fritz Schachermeyr, Dienstzeiten.

Schachermeyrs Berufung wurde auch in den Personalien der Klio (C. F. Lehmann-Haupt

1931, 529), des Gnomon (7, 1931, 176) bzw. des AfO (7, 1931-1932, 73) sowie in der

Chronik der Universität für das Jahr 1930/31 (W. Löhlein 1931, 33) angezeigt. In dieser

Periode hatte auch „Erich Brandenburg (Weimar), der bekannte Forscher auf dem Gebiete der

Felsarchitektur, […] einen Lehrauftrag für altorientalische Kulturgeschichte an der

Universität Jena erhalten“ (C. F. Lehmann-Haupt 1931, 529); s. zu diesem u. S. 201-203, 216,

222, 227, 230, 424. 1039 Vgl. A II, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung an Schachermeyr, Brief vom 24.3.1931. 1040 H. W. Blanke 2008; M. Chambers 1996, 374f.; K. Christ 1989, 50-67; K. Christ 1999, 19-

21; C. Hackel 2008; O. Hintze 1904, 82-114; C. Maltzahn 2002, 76f.; W. Nippel 2008; S.

Paetrow 2008; S. Rebenich 2008a, 131-152; J. Rüsen 1971, 7-23; T. Schieder 1959, 135-137;

P. Schumann 1995, 626f.; F. Volbehr – R. Weyl 1956, 139; W. Weber 1984, 113f.

Hauptsächlich zu Droysens Sohn Gustav: M. Meumann 2002, 123-135. 1041 Vgl. seine Antrittsvorlesung aus dem Jahr 1789 Was heißt und zu welchem Ende studiert

man Universalgeschichte?, hrsg. im Auftrag der Friedrich-Schiller-Universität Jena von

Volker Wahl, Reprint des Erstdrucks der Jenaer akademischen Antrittsrede aus dem Jahre

1789, Jena 1996; R. vom Bruch 2002, 292f. 1042 A II, W. Judeich an Schachermeyr, Karte vom 6.3.1931. Im Vorlesungsverzeichnis finden

sich keine Eintragungen für das Sommersemester 1931 (vgl. S. 740). 1043 Anfang Juni war noch immer keine Wohnung gefunden, und Gisela Schachermeyr war

gerade wieder einmal dabei nach Innsbruck zu reisen (vgl. A I, E. Brandenburg an

Schachermeyr, Brief vom 4.6.1931).

Professor in Jena (1931-1936) 188

nur manchmal zu Besuch kam, weil noch keine entsprechende Wohnung vorhanden

war. Die Wohnungssuche gestaltete sich langwierig, Schachermeyr inserierte

mehrmals. Eine Wohnung mit vier Zimmern, wie gewünscht, war offensichtlich nicht

so einfach aufzutreiben1044. Erst zu Beginn des Wintersemesters scheint sich eine

solche gefunden zu haben1045, als Adresse scheint die Weinbergstraße 15 im

Vorlesungsverzeichnis auf1046. Hier wohnte Schachermeyr bis Ende März 1933, ab

April dieses Jahres führte man ihn in der Wildstraße 141047 und schon ein Semester

später im Haus Nummer 18 einer zentrumsnahen Straße unweit der Saale und der

Universität, die seit 1. Mai 1933 in Fritz-Sauckel-Straße umbenannt war und heute

Westbahnhofstraße heißt1048. Leider erwies sich Jena für das hochmusikalische Paar

als „eine ganz auf Wissenschaft und optische Industrie1049 eingestellte Kleinstadt, in

der jede intensivere Musikpflege mangelte. Wohl bot dafür Weimar reichlich Ersatz,

1044 A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, 2 undatierte Briefe, wohl 1931. 1045 Vgl. A II, W. Ensslin an Schachermeyr, Brief vom 16.12.1931. 1046 Thüringische Landesuniversität Jena. Vorlesungsverzeichnis Winterhalbjahr 1931/32, 19.

Oktober bis 12. März, 65; Thüringische Landesuniversität Jena. Vorlesungsverzeichnis

Sommerhalbjahr 1932, 15. April bis 31. Juni, 69; Thüringische Landesuniversität Jena.

Vorlesungsverzeichnis Winterhalbjahr 1932/33, 17. Oktober bis 28. Februar, 69. 1047 375 Jahre Universität Jena 1558-1933. Vorlesungen Sommer 1933. Thüringische

Landesuniversität Jena. Vorlesungsverzeichnis Sommerhalbjahr 1933, 24. April bis 31. Juli,

69. 1048 375 Jahre Universität Jena 1558-1933. Vorlesungen Winter 1933/34. Thüringische

Landesuniversität Jena. Vorlesungsverzeichnis Winterhalbjahr 1933/34, 16. Oktober bis 28.

Februar, 69; http://www.jena.de/chronik/chroni12.html (20.10.2005). 1049 Zur Geschichte der Firma Zeiss s. E. Hellmuth – W. Mühlfriedel 1996; W. Mühlfriedel –

E. Hellmuth 1995, 247-268; über die Verbindungen der Familie Zeiss mit dem Jenaer

Glaswerk s. J. Steiner – U. Hoff 1995, 209-211, 215, 218-223; A. Hermann 1998 behandelt

die Geschichte der Firma Zeiss nach 1945.

Professor in Jena (1931-1936) 189

doch war die Entfernung zu groß1050, um für mein Verlangen nach Hausmusik in

Betracht zu kommen“1051. Dafür wurde Schachermeyr schon mit September 19311052

zum persönlichen Ordinarius für Alte Geschichte befördert, was freilich nicht die

Auszahlung eines Ordinarius-Gehalts nach sich zog. Schachermeyr selbst meinte

später, daß seine Berufung vor allem seinem auf einem Kongreß in Salzburg am 25.

September 1929 gehaltenen Vortrag über „Die historische Rückerinnerung bei den

Griechen“1053 zu verdanken gewesen sei. In Salzburg hatte er jedoch auch die

1050 Offenbar waren damals die 20 km, die Weimar von Jena entfernt ist, nicht so leicht zu

überwinden. 1051 Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1, Lebenslauf. Sehr sorgfältiger

Entwurf etwa um 1957, fol. 10. 1052 UA Heidelberg, PA 5599, Standesliste gibt den 15. September 1931 an; AdR, PA Fritz

Schachermeyr, fol. 45f. hingegen August 1931; dies könnte darauf hindeuten, daß

Schachermeyr zwar im August, jedoch erst mit Wirkung vom 15. September ernannt worden

ist. Im Gnomon findet sich die Erwähnung einer Ernennung „zum beamteten außerord.

Professor für alte Geschichte“ (7, 1931, 288), nachdem zuvor gemeldet worden war, daß

Schachermeyr „als außerord. Professor nach Jena berufen [wurde]“ (7, 1931, 176), das AfO

berichtet: „Fritz Schachermeyr […] wurde zum Ordinarius ernannt“ (7, 1931-1932, 216); vgl.

auch Klio 25, 1932, 286; Fritz Heichelheim gratuliert Schachermeyr im Oktober 1931 zur

Ernennung zum Ordinarius (A II, F. Heichelheim an Schachermeyr, Karte vom 15.10.1931).

[M.] Heinemann drückte seine Freude über Schachermeyrs Beförderung bereits im September

aus (A II, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung an Schachermeyr, Brief vom 16.9.1931). 1053 Eine Zusammenfassung unter dem Titel Die Grenzen der historischen Rückerinnerung

bei den Griechen erschien in: R. Meister (Hg.), Verhandlungen der 57. Versammlung

deutscher Philologen und Schulmänner zu Salzburg vom 25. bis 28. September 1929, Leipzig

1930, 53 = F. Schachermeyr 1930a, 53. Viel später erschien sein Buch Die griechische

Rückerinnerung im Lichte neuer Forschungen, Wien 1983 = F. Schachermeyr 1983a. W.

Weber 1987, 287 vermutet hingegen, daß Schachermeyr „sehr wahrscheinlich über

Verbindungen seines Innsbrucker Lehrers Lehmann-Haupt, des Herausgebers des

einflußreichen Fachorgans ‚Klio’, ins Reich [kam], wenngleich ebenfalls zu vermerken ist,

Professor in Jena (1931-1936) 190

Gelegenheit wahrgenommen, an der Mitgliederversammlung der „Deutschen

Morgenländischen Gesellschaft“ vom 27. September 1929 teilzunehmen1054, wo sich

ihm sicherlich die Möglichkeit bot, bei bereits etablierten Professoren im Hinblick auf

eine spätere Professur für sich selbst zu werben. Weiters schreibt Schachermeyr um

1957: „Völlig überraschend erhielt ich anfangs 1931 eine Berufung nach Jena auf den

angesehenen Lehrstuhl Judeichs. Für die Schule Wilhelm Webers, welche damals die

deutschen Lehrstühle zu besetzen pflegte und natürlich auch mit Jena ganz anderes

vorgehabt hatte, bedeutete das ein schwerer [sic] Schlag. Der Kreis um Weber hat es

mir d [sic] durch Jahrzehnte nachgetragen, daß ich damals die Berufung erhielt und

annahm.“1055 Diese Behauptungen Schachermeyrs müssen freilich zumindest stark

übertrieben sein, vielleicht sind sie sogar völlig frei erfunden – da Wilhelm Weber eine

notorische Stütze des NS-Regimes gewesen war, konnte einem eine behauptete

Gegnerschaft zur oder Verfolgung durch die Weber-Schule nach 1945 ja durchaus zur

Ehre angerechnet werden, ja mochte eine solche bei weniger informierten

Zeitgenossen sogar eine eigene Oppositionshaltung gegenüber dem

Nationalsozialismus nahelegen. Wie aus einem Brief vom Beginn des Jahres 1936

hervorgeht, hatte Schachermeyr offenbar kurz vor seinem Abgang aus Jena niemand

anderen als seinen angeblichen Feind Wilhelm Weber eingeladen, ihm Vorschläge für

daß er in Jena Nachfolger eines Gelehrten wurde, der lange Jahre ein österreichisches

Ordinariat verwaltet hatte.“ W. Weber 1984, 276 listet jedoch nur das von Schachermeyrs

Vorgänger Judeich 1899-1901 vertretene Extraordinariat in Czernowitz (vgl. auch W. Weber

1987, 544). 1054 Bericht über die Mitgliederversammlung der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft

im Hörsaal der Theologischen Fakultät in Salzburg am 27. September 1929, 5 Uhr

nachmittags, ZDMG 83 = N. F. 8, 1929, *29*f. 1055 Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1, Lebenslauf. Sehr sorgfältiger

Entwurf etwa um 1957, fol. 10. Zur zweifellos einflußreichen Schule Wilhelm Webers s. K.

Christ 1982, 210-244, K. Christ 2006, 69-87; H. Löffler 2001, 240f.; S. Rebenich 2005, 46-

48.

Professor in Jena (1931-1936) 191

seine Nachfolge zu unterbreiten1056 – dies zweifellos am ehesten Ausdruck einer

freundschaftlichen Verbundenheit –, und auch schon eine Karte Webers vom April

1935 läßt auf gutes Einvernehmen schließen1057. Außerdem publizierte Schachermeyr

danach im von Joseph Vogt herausgegebenen Sammelband Rom und Karthago seinen

Aufsatz Karthago in rassengeschichtlicher Bedeutung1058 – Vogt war Schüler Wilhelm

Webers in Tübingen gewesen1059.

Später legte Schachermeyr Wert auf folgende Feststellung: „Die mich berufende

Regierung war noch eine bürgerliche und keine nazistische gewesen1060. Bald aber

zogen auch in Thüringen die Nazis siegreich in Weimar ein[,] und das wurde für mich

schwierig, da ich von Österreich her zu sehr mit dem aus jüdischer Familie

stammenden Lehmann-Haupt verbunden war“1061, behauptete Schachermeyr nach

1945. Tatsächlich war in Thüringen jedoch schon Anfang 1930 der Nationalsozialist

Wilhelm Frick (1877-1946)1062, der am 1. Oktober 1946 in Nürnberg zum Tode

1056 Vgl. A II, W. Weber an Schachermeyr, Brief vom 22.1.1936. Weber verfaßte bekanntlich

für NS-Wissenschaftsfunktionäre immer wieder Gutachten (M. Willing 2000, 247; vgl. V.

Losemann 1977, 75-89) und konnte daher die Chancen der einzelnen Kandidaten sicherlich

gut einschätzen. 1057 S. u. S. 218. 1058 F. Schachermeyr 1943b, 9-43; vgl. dazu S. 353-356. 1059 Für eine mögliche später gegebene Intimität mit Vogt s. a. S. 226 mit Anm. 1223. 1060 In seinem „Memorandum über die Staatsbürgerschaft und politische Betätigung“ von

1951 spricht Schachermeyr „von der (damals noch demokratischen) thüringischen Regierung

in Weimar“, die ihn mit 1. April 1931 ernannt habe (AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 93);

andererseits gab er an, daß seine „Ernennung noch durch die liberale Regierung Kästner“

erfolgt sei (AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 98); vgl. auch F. Schachermeyr 1984, 172:

„[…] ich wurde ja schon 1931, und noch von einer liberalen Regierung, nach Jena berufen“. 1061 Archiv der ÖAW, PA Fritz Schachermeyr, Viermals Ordinarius, zu Jena, Heidelberg,

Graz und Wien. 1062 H.-C. Harten – U. Neirich – M. Schwerendt 2006, passim, bes. 377; J. Hendel u. a. 2007,

passim; U. Hoßfeld 2005, 219f.; E. Klee 2003, 166; K. A. Lankheit 2002, 133f.; G. Neliba

Professor in Jena (1931-1936) 192

verurteilt wurde, Volksbildungsminister geworden. Nach den Wahlen zum Landtag

von Thüringen vom 8. Dezember 1929, an der nur 75 % der Wahlberechtigten

teilgenommen hatten, waren die Nationalsozialisten mit 11,3 % und sechs

Abgeordneten drittstärkste Partei. Koalitionsverhandlungen der „Bürgerlichen“ mit der

NSDAP begannen am 17. Dezember, am 20. Dezember hatte man die Ministerien

aufgeteilt, und mit Adolf Hitlers Nominierung von Wilhelm Frick für das Innen- und

Erziehungsministerium im Jänner 1930 war auch die personelle Auswahl getroffen.

Die NSDAP war damit zweitstärkster Partner in einer bürgerlich-bäuerlichen

Koalitionsregierung, die von 23. Jänner 1930 bis 1. April 1931 im Amt blieb1063. Der

Bürgerliche Willy Kästner (1888-1974)1064 übernahm erst am 22. April 1931, nachdem

Schachermeyr bereits seine Stelle an der Universität angetreten hatte, in einer

bürgerlichen Minderheitsregierung das Volksbildungsministerium von Wilhelm

Frick1065. Schachermeyrs Neffe Heinrich Fichtenau formulierte in einem Zusatz am

Ende eines Briefes seiner Mutter ganz unverblümt: „Dreimal Heil zur Berufung! Jena,

das bedeutet schon allerhand. Der berühmte Rassen-Günther1066 hat es dort nur bis

1993, 80-90; G. Neliba 1995, 75-96; H. Roewer – S. Schäfer – M. Uhl 2003, 151; G. Schulz

1961, 432f.; E. Stockhorst 2000, 144. Zu Fricks Thüringer Zeit bes. G. Neliba 1992, 57-71. 1063 Vgl. J. John 1983, 286; M. Pesditschek 2007, 45 Anm. 31; D. R. Tracey 1995, 69-72; s.

auch T. Borodajkewycz 1966, 17f. 1064 B. v. Brocke 2002, 205; C. Horkenbach 1931, 517;

http://www.geocities.com/CapitolHill/Rotunda/2209/Thuringen.html. 1065 J. John 1983, 286; W. Lesanovsky 1995, 406. 1066 Hans Friedrich Karl Günther (1891-1968); M. G. Ash 2008, 828f.; S. Breuer 2001, 68-70;

J. Chapoutot 2008a, 60-71, 148-150, 248-251, 261-263; K. Christ 1999, bes. 245f.; DBE 4,

1996, 240; C. Decurtins 1952, 109; E. Faye 2005, passim; H. Graml 2002, 169; H.-C. Harten

– U. Neirich – M. Schwerendt 2006, passim, bes. 138-144, 389; V. Hasenauer 2006, 485-508;

J. Hendel u. a. 2007, passim; U. Hoßfeld 1999, 47-103; U. Hoßfeld 2000, bes. 69-73; U.

Hoßfeld 2005, 220-229; C. M. Hutton 2005, bes. 35-55; E. Klee 2003, 208f.; C. Knobloch

2005, passim; V. Losemann 2007a, 307f.; H.-J. Lutzhöft 1971, bes. 28-47; A. Mohler 1999,

passim, bes. 367f.; R. Oberheid 2007, bes. 372-374; W. Oberkrome 2007, 224f.; H. Pringle

Professor in Jena (1931-1936) 193

[z]um a[ußer]o[rdentlichen] P[rofessor] gebracht (bis jetzt), Du wirst es zum

o[rdentlichen] P[rofessor] bringen! […] Viel Glück zu den Unterhandlungen mit der

Regierung (am Ende gar mit Minister Frick persönlich). Wenn Du dir [sic] ein

Hakenkreuz ansteckst, wird es gut sein.“1067 Das bedeutet, daß Fritz Schachermeyr

ganz genau gewußt haben muß, was ihn politisch gesehen in Jena erwarten würde.

„Der Reichstagsabgeordnete Frick zog als erster nationalsozialistischer Minister

in das thüringische Innen- und Volksbildungsministerium ein und nahm dort sowohl

an Möglichkeiten wie an Maßnahmen Künftiges en miniature vorweg.“1068 Der

Landbund-Politiker Erwin Baum (1868-1950)1069 hatte die Koalition und den Weg für

Frick in die Landesregierung möglich gemacht. Daß Schachermeyrs Berufung in

dessen Amtszeit fiel, beweist auch sein Brief vom 10. November 1933 an den

nunmehrigen Reichsinnenminister Frick, dem er damals zugleich auch einen

Sonderdruck seines Aufsatzes Die nordische Führerpersönlichkeit im Altertum1070

zukommen ließ. Hier heißt es: „seit Sie mich vor nicht ganz drei Jahren nach Jena

berufen haben.“1071 Es war auch Wilhelm Frick, der den nicht habilitierten Philologen

2006, bes. 34-36; K. Pusman 2008, passim; E. Weisenburger 1999, 161-199; E. Wirbelauer –

B. Marthaler 2006, 929. 1067 A II, M. Fichtenau an Schachermeyrs, Brief vom 23.2.1931. 1068 H. Heiber 1988, 223; vgl. dazu auch H. Koch 1966, 350 und historische Daten in J. John

1995a, 225-234. 1069 K Horkenbach 1931, 500; http://www.info-regenten.de/regent/regent-e/ger_thu.htm;

http://www.geocities.com/CapitolHill/Rotunda/2209/Thuringen.html. 1070 F. Schachermeyr 1933j, 36-43. 1071 V. Losemann 1980, 56. Daß Schachermeyr Exemplare seiner Werke auch später, und

zwar selbst noch nach seiner Emeritierung, gerne an die zuständigen Minister verteilte, geht

z. B. aus dem Widmungsexemplar seiner Griechischen Rückerinnerung im Lichte neuer

Forschungen (F. Schachermeyr 1983a, Besitz M. Pesditschek) an „Frau Bundesminister Herta

[sic] Firnberg“ (1909-1994) hervor. Seine Autobiographie (F. Schachermeyr 1984) schickte er

an deren unmittelbaren Nachfolger, den jetzigen Bundespräsidenten Heinz Fischer (geb.

1938) (A II, H. Fischer an Schachermeyr, Brief vom 20.12.1984). Aber auch der Nachfolger

Professor in Jena (1931-1936) 194

und Publizisten Hans F. K. Günther nach Jena holte. Die Berufung auf einen

ordentlichen Lehrstuhl mit einem Lehrauftrag für Sozialanthropologie – ursprünglich

sollte dieser auf „menschliche Züchtungskunde“ lauten – erfolgte mit 14. Mai für 1.

Oktober 1930 gegen den Widerstand der allermeisten Professoren. Von diesen hatten

nämlich nur zwei der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät die Berufung

Günthers befürwortet1072. (Übrigens war damals auch Schachermeyrs Vorgänger

Heinrich Walt(h)er Judeich in der Kommissionssitzung gewesen.) An dessen

Antrittsvorlesung am 15. November 1930 über „Die Ursachen des Rassenverfalls des

deutschen Volkes seit der Völkerwanderungszeit“ nahmen auch Hitler, Göring und

Frick teil1073. Günthers Programm war es, Rassenlehre und Antisemitismus auf

biorassistischer bzw. rassenbiologischer Grundlage als scheinbar wissenschaftliche

Disziplinen zu betreiben1074, und Fritz Schachermeyr hat ihn in der Folge auch an

mehreren Stellen1075 zitiert, wobei seine Bewertung immer durchaus positiv

ausgefallen ist. Eugen Fischer (1874-1967)1076, den Fritz Schachermeyr später als

Fischers als Bundesminister für Wissenschaft und Forschung Hans Tuppy (geb. 1924) wurde

– freilich noch in seiner Eigenschaft als Präsident der Österreichischen Akademie der

Wissenschaften – mit einem Widmungsexemplar Schachermeyrs, und zwar von Mykene und

das Hethiterreich (F. Schachermeyr 1986a), versorgt (A II, H. Tuppy an Schachermeyr, Brief

vom 17.10.1986). 1072 G. Neliba 1995, 90; U. Hoßfeld 2005, 223-225. 1073 J. John 1983, 285; E. Klee 2001, 231; E. Klee 2003, 208; H.-J. Lutzhöft 1971, 40; R.

Stutz 1995, 132; vgl. auch U. Hoßfeld 1999, 67f., 72-76, der als Titel „Über Ursachen des

Rassenwandels der Bevölkerung Deutschlands seit der Völkerwanderungszeit“ angibt (68). 1074 C. M. Hutton 2005, 35-63; V. Losemann 1980, 45. 1075 Vgl. F. Schachermeyr 1933i, 596f.; F. Schachermeyr 1937g, 631-635; F. Schachermeyr

1940a, 23 und 214 („[…] in den Werken von Clauß und Günther in so ausgezeichneter Weise

dargestellt“); F. Schachermeyr 1944a, 605 Anm. 47; vgl. dazu auch H. Gottwald 2003, 931. 1076 Anatom, Anthropologe; I. Fischer 1932, 410; D. Freudig 1996, 144; Führerlexikon, 123;

B. Gessler 2000; M. Grüttner 2004, 48; H.-C. Harten – U. Neirich – M. Schwerendt 2006,

passim, bes. 373; C. M. Hutton 2005, 68-79, 143-149; E. Klee 2003, 151f.; N. C. Lösch 1997;

Professor in Jena (1931-1936) 195

Inspirationsquelle für seine eigenen einschlägigen „Forschungen“ bezeichnete1077,

hatte sich demgegenüber gegen die Berufung seines einstigen Schülers Günther

ausgesprochen1078.

Offenbar nahm Schachermeyr ziemlich bald nach seinem Dienstantritt in Jena

eine politische Tätigkeit für die Nationalsozialisten auf. In seinem Heidelberger

Personalbogen füllte Schachermeyr eigenhändig aus: „Seit Frühjahr 1931 nat. soz.

Werbearbeit unter den Studenten (von der Kreisleitung Jena bestätigt)“1079. Nach 1945

stellte er selbst sein damaliges politisches Engagement wie folgt dar: „Erst in den

Jahren 1932ff., die in Deutschland ja von so ungeheuer starken politischen

Leidenschaften bewegt waren, ergriff auch mich die leider so suggestive Kraft dieser

trügerischen Zeiten.“1080 Daß sich Schachermeyr schon bald nach seiner Ankunft in

Jena für die NSDAP einzusetzen begann, mochte mehrere Ursachen haben: einerseits

hat er vielleicht als ein guter Historiker den zukünftigen Aufstieg dieser Partei korrekt

vorhergesehen, andererseits hat er sich auch nach 1945 immer wieder ablehnend über

Rationalismus und Aufklärung1081 geäußert und ist wohl zeit seines Lebens ein

A. Mohler 1999, 314; Reichshandbuch, 441f.; E. Rimmele 2002a, 122f.; W. Schlicker 1985,

259-265; E. Stockhorst 2000, 135; P.-A. Taguieff 1995, 60-62; W. Weisbach 1956, 339-342;

M. A. Wes 1997, 229, 237, 242; vgl. auch S. 361-364. 1077 Vgl. S. 361-364. 1078 Vgl. U. Hoßfeld 1999, 59: „Fragen Sie endlich nach seiner Eignung etwa als

akademischer Vertreter der Anthropologie, so muß ich das in dieser allgemeinen Form

ablehnen“ (Brief vom 17.2.1930). 1079 UA Heidelberg, PA 5599; s. auch A. Chaniotis – U. Thaler 2006, 403; S. P. Remy 2002,

74; vgl. dazu E. Badian 1988, 4, der den Beginn von Schachermeyrs politischer Tätigkeit erst

mit 1933 ansetzt; auch V. Losemann 1977, 47f., B. Näf 1986, 136. Von seiner Werbetätigkeit

unter den Studenten für die NSDAP berichtet Schachermeyr in seinen autobiographischen

Schriften nichts. 1080 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 98. 1081 Vgl. etwa F. Schachermeyr 1981a, 382.

Professor in Jena (1931-1936) 196

überzeugter Antisemit gewesen1082. Hinzu kam nun aber auch noch, daß er sich bald

auch in Jena wieder als „Fremdkörper“ fühlen mußte: „Die Professoren bildeten einen

eigenen streng sich absondernden Kries [sic], der große Stücke auf die Erhaltung

preußisch-konservativer Umgangsformen hielt. Es waren charakterlich großartige und

auch wissenschaftlich nicht unbedeutende Leute. In ihrer Atmosphäre steifer

Unnahbarkeit fühlte ich mich aber äußerst ungemütlich, und blieb ein Fremdkörper,

zumal ich dauernd teils wissentlich, teils unwissentlich gegen ihren

Gesellschaftskomment verstieß. Nur mit Langlotz1083 und Blumenthal1084 wie nachher

1082 Vgl. die Andeutung bei S. Deger-Jalkotzy 1988a, 126 und für die Zeit nach 1945 bes. S.

404-412. 1083 Ernst Langlotz (1895-1978) wurde ebenfalls im Frühjahr 1931 nach Jena berufen und war

bei Ludwig Curtius in Heidelberg Assistent gewesen; A. H. Borbein 1979, 706-711; A. H.

Borbein 1988, 268f.: „Wichtig wurde […] die Verbindung zum George-Kreis“ (268); A. H.

Borbein 2005, 239f., 243, 252-254 (v. a. seine Beziehungen zum George-Kreis betreffend);

N. Thomson de Grummond 1996, 658f.; H. Dittmers-Herdejürgen 1982, 607f.; H.-P. Höpfner

1999, 430f.; C. F. Lehmann-Haupt 1931, 529; E. S. Sünderhauf 2004, passim, bes. 285-288;

O. Wenig 1968, 171; Skepsis bei B. Näf 1994, 92 Anm. 32: „Gewisse Zweifel [an einer

besonders engen Freundschaft] entstehen allerdings, wenn man im Protokollbuch der Fakultät

sieht, dass Langlotz den Namen Schachermeyrs konstant falsch schreibt.“ Doch finden sich in

den Briefen von Langlotz an Schachermeyr passim Formulierungen wie „Mein lieber Freund“

(A II, E. Langlotz an Schachermeyr, Brief vom 24.1.1934), „Lieber Fritz“, „meine Frau und

ich wären glücklich[,] Dich, vielleicht auch mit Deiner lieben Frau[,] bei uns zu sehen“ (A I,

E. Langlotz an Schachermeyr, Brief vom 8.1.1958), „Lieber verehrter Freund“, „Dein alter

Ernst“ (A I, E. Langlotz an Schachermeyr, Brief vom 9.6.1958) oder „Lieber und verehrter

Freund“, „die mich an unsere Gespräche in Jena vor 35 Jahren erinnert“, „Es wäre so schön

Dich wieder zu sehen“ (A I, E. Langlotz an Schachermeyr, Brief vom 26.2.1967), und in

inhaltlicher Hinsicht geht aus ihnen hervor, daß zwischen den beiden große Eintracht

bestanden haben muß und daß sie sich beruflich gegenseitig unterstützten (vgl. dazu S. 698). 1084 Baron Albrecht von Blumenthal (1889-1945), Altphilologe, Mitglied des Stefan-George-

Kreises und der NSDAP; IJ 28, 1949, 305; KGL 1931, 136; KGL 1940-41,1, 145; B. Näf

Professor in Jena (1931-1936) 197

mit Herbig1085 freundete ich mich wahrhaft an.“1086 Manfred Mayrhofer schildert die

Aufnahme Schachermeyrs durch die Universität Jena an Hand einer ihm von seinem

väterlichen Freund erzählten Anekdote folgendermaßen: „Jena war damals noch eine

volle Ausprägung der preußisch-protestantischen Universität der Mommsen-Zeit, und

zwischen ihr und dem urwüchsigen katholischen Linzer gab es Reibungen, deren

ungewollte Komik Fritz Schachermeyr selbst am deutlichsten empfand. So erzählte er

mir einmal, daß er dort noch bei jedem Professor – also auch bei jedem Mediziner,

jedem Theologen – einen Antrittsbesuch im Cut machen mußte. Bei einem berühmten

alten Geheimrat bemerkte er eine gewisse Reserve, und auf seine eines Anton

Bruckner würdige direkte Frage ‚Ham’s was, Herr Geheimrat?’ erhielt er auch prompt

die Antwort: ‚Ja, es dreht sich um Ihre Kleidung. Der Kött’ – so sagte man damals –

‚ist ja in Ordnung; aaaaber der Zylinder!’. Auf meine Frage, welchen Makel sein

Zylinder denn gehabt habe, antwortete mir Fritz: ‚I hab’ ja gar kan g’habt; i hab’ an

weichen Hut getragen.’“1087. Dies liest sich zwar wie eine Szene aus einem Schwank,

doch müssen die Demütigungen und Zurückweisungen durch die Jenenser

Professorenkollegen auf Schachermeyr tatsächlich außerordentlich traumatisierend

gewirkt haben – ihre Schilderung nimmt in der Autobiographie nicht weniger als fünf

1994, 92; W. Schuller 2005, 210f., 216-219. Zur NS-Mitgliedschaft vgl. S. Breuer 1995, 234;

P. Hoffmann 1992, 111; R. E. Norton 2002, 731. Just Blumenthal hatte, wie nun T. Karlauf

2007, 564f. zu entnehmen ist, Alexander, Berthold und Claus von Stauffenberg im George-

Kreis eingeführt; zu Blumenthal vgl. weiters auch T. Karlauf 2007, 481, 557, 586, 612, 615,

618, 632. 1085 Reinhard Herbig (1898-1961) promovierte bei Ludwig Curtius in Heidelberg und wurde

1933 nach Jena berufen; S. Altekamp 2008, 187 Anm. 63, 194 Anm. 101; W. Fuchs 1988,

274f.; E. Wirbelauer 2006, bes. 134 Anm. 61. Daß sich Schachermeyr mit dem Archäologen

Herbig gut verstand, geht auch aus einem Brief seines Freundes Ernst Langlotz hervor (A II,

E. Langlotz an Schachermeyr, Brief vom 24.1.1934). 1086 Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1, Lebenslauf. Sehr sorgfältiger

Entwurf etwa um 1957, fol. 10f. 1087 M. Mayrhofer 1995/96, 57.

Professor in Jena (1931-1936) 198

ganze Seiten ein1088. Hier liest man unter anderem: „Denn daß ich als richtiger

Habenichts in diesem Kreis debütierte, merkte ich bald, da ich ja allein von meinem

Gehalt lebte, mir also keine Villa mit Park kaufen, ja nicht einmal mieten konnte. Ich

gehörte also nicht zu den echten Vertretern dieses hohen Standes, von denen so

mancher auf den ihm zustehenden Gehalt überhaupt verzichtete und nur für sein

Vermögen die – Steuerfreiheit forderte. Und damit ist auch schon das Wesentlichste

gesagt, die Professoren hatten sich bis zu dieser Zeit nämlich stets aus steinreichen

Familien ergänzt. Wollte ein Habenichts in diese Kreise eindringen, so mußte er eben

eine Professorentochter heiraten.“1089 Am Ende dieser Schilderung der

„Gruppenarroganz“ der „für meinen Geschmack etwas zu plutokratischen Kreise“

heißt es bedauernd und enttäuscht: „Daran hat nicht einmal das nazistische Regime in

Thüringen und dann auch im Reich etwas zu ändern vermocht. Der entscheidende

Wandel erfolgte erst ab 1945. Das kommunistische Jena hat dann alle Reste der alten

Professorenherrlichkeit hinweggefegt“1090. Diese Formulierung läßt vermuten, daß sich

Schachermeyr 1931 gerade auch von den linken Zügen1091 des Nationalsozialismus

1088 F. Schachermeyr 1984, 140-145. 1089 F. Schachermeyr 1984, 141. 1090 F. Schachermeyr 1984, 144; vgl. auch B. Näf 1994, 92. 1091 Vgl. zu den linken, antibürgerlichen Zügen des Nationalsozialismus jetzt etwa G. Aly

2005 und insbesondere H. Beck 2008, passim, letztere Monographie eine Ausnahme von der

Regel, daß sich universitär verankerte Historiker eher gar nicht gerne mit den links-egalitären

Aspekten der nationalsozialistischen (bzw. auch mussolinifaschistischen) Ideologie und

Machtausübung auseinandersetzen und dieses (Minen-)Feld lieber libertär-konservativen

Amateurhistorikern überlassen, die bei ihrer Darstellung der Gemeinsamkeiten zwischen

Nazis/Faschisten und linken Bewegungen dann üblicherweise zur Übertreibung neigen und

andererseits die Gegensätze über Gebühr zu bagatellisieren trachten; zwei – an und für sich

durchaus interessante – Beispiele für dieses Genre aus jüngster Zeit sind J. Goldberg 2007

und J. Schüßlburner 2008 (der Autor galt bislang als weit rechts verortet, während es sich bei

Lichtschlag um einen eindeutig libertären Verlag handelt). Patrick Bahners faßt rezente

Äußerungen des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass zu seiner Mitgliedschaft bei der

Professor in Jena (1931-1936) 199

angesprochen fühlte und dieser das wohlerworbene und durchaus nachvollziehbare

Ressentiment eines „Habenichts“ aus einer 1918 endgültig verarmten „wohlhabenden

Familie“1092 gegenüber dem professoralen Establishment im besonderen und dem reich

gebliebenen Großbürgertum im allgemeinen zu bedienen wußte. Dies hat

Schachermeyr sogar selbst in einer schon von Beat Näf1093 veröffentlichten Passage im

Lebenslauf-Entwurf „etwa um 1957“1094 ziemlich offen angedeutet: „Meine

Sympathien gegenüber Hitler waren damals nicht gering, da ich in ihm den

Österreicher und vor allem den gebürtigen Linzer [sic] sah, von ihm auch die

Beseitigung des mir so verhaßten preußischen Standesdünkels erhoffte.“ Es ist

allerdings unwahrscheinlich, daß Schachermeyr der Aufbau einer eher

meritokratischen Gesellschaft ohne Standesschranken jemals wirklich ein

Herzensanliegen gewesen ist – die logische Konsequenz seiner späteren

Rassereinheitsphantasien1095 wäre ja vielmehr gewesen, den gesellschaftlichen Rang

Waffen-SS so zusammen: „Das Antibürgerliche am Nationalsozialismus sei entscheidend für

die Mobilisierung seiner Generation gewesen“ (FAZ Nr. 186, 12.8.2006, 1; vgl. Günter Grass

selbst ebd. 35: „Ja, es war antibürgerlich!“). Vgl. auch noch G. Radnitzky 2006, 159-163

(„gegen Ende seines Berufslebens als Politiker stellte Hitler resigniert fest, seine ,größte

Unterlassungssünde‘ sei es gewesen, daß er es versäumt habe, ,auch einen Schlag gegen

rechts zu führen‘“); G. Watson 1998, 71-83 (über Hitler als Sozialisten). 1092 F. Schachermeyr 1984, 142. 1093 B. Näf 1994, 92 Anm. 31. 1094 Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1, fol. 11. 1095 Bes. in F. Schachermeyr 1940a und 1944a. Vgl. in diesem Zusammenhang das zutiefst

erschütternde, die eigene Vernichtung in Kauf nehmende Bekenntnis zum

Nationalsozialismus und zu dessen offenbar schon damals absehbaren mörderischen

Konsequenzen in einem Brief des durch und durch deutschnational empfindenden jüdischen

Historikers Arnold Berney an seinen Freund und Kollegen Hermann Heimpel im November

1923: „Ich bejahe diese Bewegung, weil sie jung ist, rein, im Kerne von tiefen echten Ideen

angefacht und unberührt von der einerseits verderbt-rationalistischen, andererseits kraftlos-

sentimentalistischen Idealität des marxistischen Socialismus. Ich fürchte für sie, weil sie, noch

Professor in Jena (1931-1936) 200

eines Deutschen allein von seiner Haarfarbe und seinen Schädelmaßen abhängig zu

machen, und in seiner Lebensgesetzlichkeit in der Geschichte. Versuch einer

Einführung in das geschichtsbiologische Denken1096 wird eine „soziale und

wirtschaftliche Auflockerung des deutschen Volkes“1097 offensichtlich abgelehnt1098.

Auch war Schachermeyr später offenkundig zu lebensklug, um für die Verwirklichung

seiner alles andere als harmlosen, vielmehr zutiefst menschenverachtenden

Rassetheorien auch den eigenen Tod (sc. auf dem „Feld der Ehre“) in Kauf nehmen zu

wollen. Man tut Schachermeyr demnach wohl kein Unrecht, wenn man ihn seinem

aufrichtigen Haß auf die Moderne und alles „Semitische“ zum Trotz eher unter die

opportunistischen als unter die idealistischen Parteigänger des Nationalsozialismus

einreiht.

schwach, unreif und mangels geistig-organisatorischer Durchdringung lebensunfähig, bereits

Conzessionen macht an Christentum und Capitalismus. […] Ganz erfüllt von dem Ja lief ich

durch die Nacht. Ich sah eine neue, reinere höhere deutsche Zukunft. Da fiel es mir plötzlich

ein, daß ich Jude sei. Sie werden Dich exilieren, sie werden Dich aus Deinem Beruf stoßen,

wußte ich da. Und hatte nichts dabei als ein Lächeln. Sie können mich töten und ich muß es

bejahen, wenn ich weiß, sie tuen es mit Reinheit und Unschuld. Wenn sie durch dieses

Vernichten Kraft gewinnen, will ich vernichtet sein, weil ich der ihre bin. So bin ich heiter

geblieben und bin es noch“ (zit. nach M. Matthiesen 1998, 23f.). 1096 F. Schachermeyr 1940a; vgl. B. Näf 1994, 95f.; S. Rebenich 2005, 45f.; siehe auch S.

297-319. 1097 F. Schachermeyr 1940a, 226. 1098 In seinen späten Schriften (F. Schachermeyr 1981a und F. Schachermeyr 1984) ist dann

passim eigener Standesdünkel mit Händen zu greifen – schon wer nur „Schallplattenmusik“

hört, ist für Schachermeyr dann total „proletarisiert“ (1981a, 354). Meines Wissens hat sich

Schachermeyr freilich überhaupt niemals anerkennend über die „Arbeiter der Faust“ geäußert

– er ist also wohl zeit seines Lebens (oder jedenfalls spätestens seit seinem Eintreffen in Jena)

einfach ein Kleinbürger mit einem antigroßbürgerlichen Affekt gewesen, der eigentlich lieber

einer NSDKP (mit einem „K“ eher für „Künstler“, der er nach seinem Selbstverständnis

immer gewesen ist) angehört hätte.

Professor in Jena (1931-1936) 201

Von den allermeisten Professorenkollegen offenbar entweder abgelehnt oder

abgestoßen, suchte Schachermeyr verständlicherweise Freunde in anderen Kreisen zu

gewinnen. So begann er bald nach seinem Eintreffen in Jena einen regen Briefwechsel

mit einem gewissen Erich Brandenburg (1877-1936)1099, der seit 1931 als

Lehrbeauftragter für Altorientalische Kulturgeschichte an der Universität Jena wirkte.

Die mir zugänglichen vier Briefe Brandenburgs stammen alle aus dem Jahr 1931, aus

ihnen ist keinerlei Anzeichen für eine Auseinandersetzung oder einen offen

ausgetragenen Konflikt entnehmbar, wohl aber könnte das offenkundige Abreißen des

Briefverkehrs selbst als solches gewertet werden. Schachermeyr scheint nach seiner

Berufung mit dem thematisch auf ähnlichem Gebiet arbeitenden Brandenburg schon

im Mai 1931 Fühlung aufgenommen zu haben1100. Jedenfalls dürften die beiden

Herren einen Nachmittag in der Wohnung Schachermeyrs miteinander verbracht

haben. Eine Gegeneinladung wurde ausgesprochen, einer Freundschaft schien nichts

im Wege zu stehen1101. Brandenburg schrieb: „Aller Wahrscheinlichkeit nach werde

ich sowohl Frau Förster-Nietzsche1102 und auch Hr. ORR. Stier noch vor dem Ersten

sehen und werde, wie wir es verabredet haben, ‚sondieren’, um Ihnen dann zu

berichten. Was ich in dieser Hinsicht tun kann, tue ich nach Ihrem wirklich so

freundlichen Entgegenkommen mir gegenüber aufrichtig gerne! Da ist es nur

selbstverständlich, daß man sich in diesen Dingen gegenseitig hilft; meinerseits

wenigstens soweit ich es kann! Denn ich bin zu jedem stets so, wie er mich behandelt!

1099 AfO 11, 1936-1937, 282; KGL 1950, 2373; C. F. Lehmann-Haupt 1931, 529; W.

Schumann 1958, 640, 644. 1100 A I, E. Brandenburg an Schachermeyr vom 14.5.1931. 1101 A I, E. Brandenburg an Schachermeyr vom 24.5.1931. 1102 Elisabeth Förster-Nietzsche (1846-1935); Dr. Phil. h. c. der Universität Jena, Schwester

des Philosophen, verheiratet mit Bernhard Förster (1843-1889), der antisemitische Schriften

verfaßte (DBE 3, 1996, 362; C. Hoffmann 1988, 128; T. Mittmann 2006, 65-71; A. Mohler

1999, bes. 337); vgl. DBE 3, 1996, 365; C. Diethe 2001; Reichshandbuch, 463; L. Salber

2007, 13-98.

Professor in Jena (1931-1936) 202

Da das aber von Ihnen in der wirklich freundlichsten Art geschah, so wäre ich ganz

einfach ein V....kerl [sic; gemeint ist wohl: Viechskerl], wenn ich mich nicht zu

‚revenchieren’ [sic] versuchte!“1103 Im nächsten Brief Brandenburgs klärt sich auf, in

welcher Sache dieser „sondierte“. „Was nun Ihre Sachen hier anbelangt, so war ich

gestern bei Stier’s [sic]. Frau St[ier] wird sich sehr freuen[,] Sie näher kennen zu

lernen [sic], also machen Sie senza zeremonie [sic], dh. OHNE Gehrock etc. Besuch

dort, auch allein; wenn dann später Ihre Gattin defin[itiv] nach J[ena] übersiedelt ist,

gehen Sie mit ihr hin, dh. wenn Sie vorher schon da waren, werden St[ier]’s [sic] Sie

dann wohl gleich zu einem Vortrag oder degl. [sic] auffordern. Fr. St[ier] sagte gestern

ganz von selbst: ‚Ich würde Prof. S[chachermeyr] am liebsten jetzt gleich zum 7.

auffordern, damit er dann bei uns auch noch gleich verschiedene andere Leute kennen

lernt [sic]; aber ich habe bestimmt auf einen gew[issen] %-Satz von Absagen

gerechnet, aber keine bekommen, weiß wirklich nicht, wie ich die Leute alle lassen

[sic] soll, kann also unmöglich noch jemand dazu bitten!’“1104 Gleichzeitig machte er

sich erbötig, Schachermeyr bei Elisabeth Förster-Nietzsche einzuführen, war

Brandenburg doch auch ein „alter Freund des Archivs1105“1106. Es ging also darum,

Bekanntschaften, Freundschaften, Seilschaften, kurzum: nützliche soziale Kontakte

anzubahnen. So nebenbei erfahren wir hier auch, daß Schachermeyr unter

„Heuschnupfen“ litt1107, der ihn offenbar am Ausgehen hinderte. Hier empfahl

1103 A I, E. Brandenburg an Schachermeyr vom 24.5.1931. 1104 A I, E. Brandenburg an Schachermeyr vom 30.5.1931. 1105 Gemeint ist das Nietzsche-Archiv in Weimar, das schon zu Lebzeiten des Philosophen in

dessen Haus, der Villa Silberblick, eingerichtet wurde und zu dessen Besuchern auch sein

Förderer Wilhelm Frick gehörte; vgl. C. Diethe 2001, 135-137; D. M. Hoffmann 1991; L.

Salber 2007, 90-98. 1106 A I, E. Brandenburg an Schachermeyr vom 30.5.1931. 1107 Vgl. auch A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, undatierter Brief, wohl 1931, und

A II, J. Friedrich an Schachermeyr, Karte vom 18.5.1931: „Von Heufieber habe ich in diesem

Jahre glücklicherweise noch so gut wie nichts gemerkt. Wegen der kritischen Zeit kann ich

Professor in Jena (1931-1936) 203

Brandenburg Schachermeyr eine Therapie, mit der er bereits zwei Bekannte „radikal

geheilt habe“, die eher als Roßkur bezeichnet werden kann – „als sie dies […] sehr

unangenehme Übel nahem [sic] fühlten, nahmen sie fleißig Schnupftabak, der ja die

Nase völlig desinfizierte, wie ich es früher mal durch genaue mikroskop[ische]

Versuche festgestellt habe.“1108 Bei den Stiers verkehrte auch Wilhelm Frick. Hier

hätte Schachermeyr durch persönlichen Kontakt mit den höchsten einschlägigen

Kreisen für den Nationalsozialismus gewonnen worden sein können. Ob dies

tatsächlich der Fall gewesen ist, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Nach den

Angaben Schachermeyrs dürfte sich sein Verhältnis zu Brandenburg in der Folge

ziemlich abgekühlt haben, jedenfalls sobald dieser „nach meinem Lehrstuhl in

Jena“1109 verlangte.

Viel erfreulicher gestaltete sich da sein Verhältnis zu den Studenten. Zwar hatte

Schachermeyr in Jena zunächst nur fünf Leute in seiner Lehrveranstaltung, wobei er

sich zufrieden darüber äußerte, daß er „kein einziges Weib im Kolleg“1110 hatte. Doch

war er als Lehrer offenbar schon bald so beliebt, daß zu Beginn des Sommersemesters

1932 „das Vorhandensein eines größeren Hörsaales[,] als er verfügbar ist, erforderlich

gewesen“1111 wäre. Die Lehrtätigkeit „befriedigte“ ihn seinerseits „durchaus“1112, und

überhaupt hören wir von ihm über seine Jenenser Studenten nur Gutes1113. „Sie waren

leider gar keine Angaben machen, die ist verschieden je nach Individuum, dem Orte und vor

allem [a]uch nach dem Wetter des betreffenden Jahres.“ 1108 A I, E. Brandenburg an Schachermeyr vom 30.5.1931. 1109 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 93. Vgl. u. S. 216, 222, 227, 230, 424. 1110 A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, undatierter Brief, wohl Beginn des

Sommersemesters 1931. 1111 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 46. 1112 Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1, Lebenslauf. Sehr sorgfältiger

Entwurf etwa um 1957, fol. 11. 1113 Vgl. A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, undatierter Brief, wohl Beginn des

Sommersemesters 1931.

Professor in Jena (1931-1936) 204

kenntnisreich und wahrhaft interessiert, ich kam über das Seminar mit Ihnen [sic] in

enge Fühlung und empfand das als besonderes Glück. Auch begann ich, ohne daß sie

es merkten, von ihnen zu lernen. Bald hatte ich nämlich erkannt, daß sie gewähnt [sic]

waren, viel mehr und klarer begrifflich (und weniger emotional beeinflußt) zu denken,

als ich das in Österreich je erlebt hatte. Hierin waren sie mir klar überlegen[,] und ich

verdanke es ihrem Umgang, wenn ich mich nun in eine strenge Schule nahm, und

diese mir so neue Art des Denkens von Grundauf [sic] anzueignen begann.“1114 In

seiner Autobiographie dankt Schachermeyr seinen Jenenser Studenten sogar auf zwei

ganzen Druckseiten dafür, ihm zu einem „zuchtvollere[n] Denken“ bzw. zu einer

„anderen, mehr philosophisch fundierten Denkart“ verholfen zu haben1115. Von seinen

Studenten erwähnt Schachermeyr freilich nur einen namentlich, mit dem er

offensichtlich über eine Lehrer-Schüler-Beziehung hinaus eine intensive, auch

familiäre Freundschaft pflegte. „Für den Universitätsprofessor gibt es, da er ja schon

ganz ‚oben’ sich einstellen muß, nun eine ganz andere Freundschaft, nämlich die eben

von ‚Oben’, und zwar mit ausgewählten Studenten. Verstehen bedeutet da viel mehr,

denn da kommt es nicht nur auf das Wort für Wort Gesagte [an], sondern vor allem auf

das, was zwischen den Worten, gleichsam zwischen den Zeilen steht. Die fand ich

gerade in Jena, aber die allermeisten sind dann im I. [sic] Weltkrieg gefallen. Nur mein

Eberhardt1116 ist mir damals geblieben und er wie seine Familie hat mir immerzu die

1114 Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1, Lebenslauf. Sehr sorgfältiger

Entwurf etwa um 1957, fol. 11. 1115 F. Schachermeyr 1984, 150-152; vgl. auch B. Näf 1994, 92. 1116 Hans Eberhardt († 1975) trat 1949 in „Freyschmidt’s Buchhandlung“ ein und war seit

1959 Alleininhaber dieser Firma (vgl.

http://www.freyschmidts.de/php/index.php?page_id=160). Er ist wohl jener Hans Eberhardt,

der für die Zeit von WS 1934/35 bis WS 1936/37 als NS-Studentenführer (Anführer des

NSD-Studentenbundes) in Jena nachgewiesen ist. M. Bruhn 2001, 77 = M. Bruhn 2003, 253

beurteilt seine Tätigkeit wie folgt: „Beide [sc. Eberhardt und sein Nachfolger Karl Keppel]

festigten ihre Position, indem sie Leute mit den studentischen Ämtern betrauten, deren

Professor in Jena (1931-1936) 205

Treue gehalten, auch als er der Besitzer der großten [sic] Buchhandlung in Kassel

geworden. Und wenn er von uns gegangen, – wenn seine Familie zu mir kommt, dann

ist auch er immer mit uns.“1117 Im Vorwort seiner rassistischen Monographie von 1940

Lebensgesetzlichkeit in der Geschichte. Versuch einer Einführung in das

geschichtsbiologische Denken1118, einem erstrangigen Probestück seines neuen

„sauberen“ und „schlüssigeren Denkens“1119, das „meinen studentischen Kameraden

an der Universität Jena 1931-1936 gewidmet“ ist, formulierte Schachermeyr dann, daß

er „das Glück hatte, an einer Universität zu wirken, welche für rassenkundliche und

biologische Betrachtungsweise aufgeschlossen ist, wie kaum eine andere. Es ist

entstanden nicht in der Einsamkeit der Studierstube, sondern in lebendigem

Gedankenaustausch mit einer kampfesfrohen neuen Generation. Der Kameradschaft,

welche mich damals mit meinen Schülern wie mit der Jenaer Studentenführung1120

Loyalität sie sicher sein konnten, die aber nicht in der Lage waren, die anstehenden Aufgaben

zu erledigen“ (zu Eberhardt als Führer der Jenenser Studenten vgl. auch M. Rademacher

2000, 278; Thüringische Landesuniversität Jena. Personal- und Vorlesungsverzeichnis

Wintersemester 1935/36, 1. November bis 22. Februar und Sommersemester 1936, 1. April

bis 30. Juni, 7; J. John – O. Lemuth 2003, 1129; M. Bruhn 2003, 247, 249, 252f.). Zuletzt (in

der Zeit WS 1935/36 bis WS 1936/37) war er zum Gaustudentenführer aufgestiegen. Ein

„Staatsrat Eberhardt“ scheint auch als Mitglied des Vorstandes des Nietzsche-Archivs auf (D.

M. Hoffmann 1991, 81). Zu Schachermeyrs Hörern in Jena zählte im übrigen auch, offenbar

weit weniger geschätzt, der spätere Ordinarius für Klassische Archäologie an der Universität

Innsbruck (ab 1972) Bernhard Neutsch (1913-2002); vgl. H. Vetters 1980, 7 und auch F.

Krause – F. Marwinski 1999, 160 (Neutsch 1936 „Hilfsassistent“ an der Univ. Jena) sowie o.

S. 56f. Anm. 216 und u. S. 521, zu Neutsch im allgemeinen auch noch F. Krinzinger 2003,

13f. 1117 Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1, Die besten Freunde für mich und

meine Wissenschaft, fol. 7. 1118 F. Schachermeyr 1940a. 1119 F. Schachermeyr 1984, 152. 1120 Damit ist wohl sein Schüler Hans Eberhardt gemeint.

Professor in Jena (1931-1936) 206

verband, die uns seither geblieben ist und immer verbinden wird, sei darum auch diese

Arbeit gewidmet“1121, d. h., daß sich Schachermeyr im großen ganzen in Jena unter

einer Studentenschaft, die bereits vor 1933 mehrheitlich die NS-Liste gewählt

hatte1122, doch wohlgefühlt haben muß.

In den Sommerferien des Jahres 1931 hielt sich Schachermeyr in seiner alten

Heimat in Innsbruck auf, wo er in der zweiten Septemberhälfte mit den beiden

Orientalisten Viktor Christian und Ernst Weidner zusammentraf1123. Das Kapitel

Innsbruck war für ihn nämlich keineswegs schon abgeschlossen.

Berufungsverhandlungen mit dem Bundesministerium für Unterricht in

Österreich – Nachfolge Carl Lehmann-Haupt in Innsbruck, Bruch mit

Lehmann-Haupt

Obwohl Schachermeyr „die Arbeitsmöglichkeiten in Jena viel günstiger“1124 als

die in Innsbruck fand, plante er von Anfang an, bald wieder nach Tirol

zurückzukehren, und sondierte in dieser Hinsicht sogleich bei den Innsbrucker

Professoren Ernst Kalinka, August Haffner und Harold Steinacker auf brieflichem

Wege1125. Dabei dachte er natürlich daran, die Nachfolge seines akademischen Lehrers

und Freundes Carl Friedrich Lehmann-Haupt anzutreten, erreichte dieser doch 1931

schon das siebzigste Lebensjahr. Das Antwortschreiben Kalinkas ist erhalten. Dieser

versicherte ihm, „dass ich das Meinige tun werde, um Sie nach Innsbruck

zurückzuführen, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet“1126. Jedoch scheint er

1121 F. Schachermeyr 1940a, [7]f. 1122 Vgl. M. Bruhn 2001, 16f.; G. Steiger 1960, 102. 1123 A II, V. Christian an Schachermeyr, Karte vom 15.9.1931. 1124 A II, W. Ensslin an Schachermeyr, Brief vom 16.12.1931. 1125 A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, undatiert, wohl 1931. 1126 A II, E. Kalinka an Schachermeyr, Brief vom 7.5.1931.

Professor in Jena (1931-1936) 207

Zweifel gehabt zu haben, daß Schachermeyr seinen Rückkehrwunsch mittelfristig

weiterhin hegen würde, „denn Jena ist […] ein ganz entzückendes Städtchen[,] und

Ihre nächsten Fachkollegen scheinen Ihnen, wie schon Ihre Berufung zeigt, durchaus

wohlgesinnt zu sein; auch mit dem Institut sind Sie vollauf zufrieden. Da Sie kein

Griesgram und geselligen Vergnügungen nicht abhold sind, werden Sie gewiss

rascher, als Sie glauben, dort festen Fuß fassen[,] und Sie werden vielleicht schon im

Sommer über Ihre jetzige Stimmung hinausgewachsen sein“1127, fügte er aufmunternd

hinzu. Schachermeyr selbst sah seine nunmehrige Stellung, die ein besseres

Einkommen als jene als Gymnasiallehrer mit sich brachte, in einem Brief an seine

Frau „in erster Linie als die [sic] Etappe zur Konsolidierung unseres Hausstandes“1128.

Er schrieb hier im besonderen von „Kleiderschulden“, die er bzw. seine Frau gemacht

hatten und die jetzt beglichen werden konnten, und fuhr fort: „Wenn wir dann nach

Innsbruck zurückgehen, sind wir auf alle Fälle schon viel besser eingearbeitet und

können dann dort ganz anders anfangen. Ohne diesen Umweg wären wir aus der alten

Wohnung und damit aus der alten Wurschtelei [sic] doch nie herausgekommen. – Und

noch ein grosses Glück. Stelle Dir vor, ich wäre erst später und unter Umständen,

welche ein Zurückgehen nicht mehr ermöglichten, hierher gekommen!“1129 Sein Du-

Freund Forrer hatte schon in seinem Gratulationsschreiben vom Februar der Hoffnung

Ausdruck gegeben, daß Jena nur eine Etappe sein werde und daß Schachermeyr recht

bald als Ordinarius nach Innsbruck zurückkehren könne1130. Daß Schachermeyrs

Rückkehrabsichten durchaus auf der Hand lagen, bezeugt auch ein Schreiben seines

Innsbrucker Kollegen Hans Kofler (1896-1947)1131 vom Juni desselben Jahres, in dem

1127 A II, E. Kalinka an Schachermeyr, Brief vom 7.5.1931. 1128 A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, undatiert, wohl 1931. 1129 A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, undatiert, wohl 1931. 1130 A II, E. Forrer an Schachermeyr, Brief vom 24.2.1931. 1131 H. W. Duda 1948/52, 152-155; J. Fück 1955, 259; KGL 1935, 701; KGL 1950, 2428.

Professor in Jena (1931-1936) 208

es heißt: „Du bist ja jetzt ‚fein heraus’ und wirst bald wieder in Innsbruck auftauchen,

um das Erbe Lehmann-Haupts anzutreten“1132.

Im September 1931 stellte der Prähistoriker, Nationalsozialist und spätere

Unterrichtsminister Oswald Menghin (1888-1973)1133 aus Kairo, wo er damals neben

seiner Professur in Wien eine weitere an der ägyptischen Universität innehatte, eine

sehr vertrauliche Anfrage an Schachermeyr. Er wollte wissen, ob Schachermeyr, den

er wenig später als „altbefreundete Seele“1134 bezeichnete und mit dem er dann auch

noch nach 1945 Kontakt hatte1135, „auf die Nachfolgeschaft [sic] Lehmann-Haupts in

Innsbr[uck] reflektiere, ob Lehmann-Haupt [ihn] vorschlagen wird“1136, und gab nach

einer offenbar positiven Antwort seiner Hoffnung Ausdruck, „daß die Sache Ihnen

zufällt“1137, was Schachermeyrs Zuversicht sicher zusätzlichen Auftrieb gab.

Gleichzeitig geht aus der Korrespondenz mit Menghin hervor, daß Schachermeyr

bereits damals eine Professur in Wien als eigentliches Ziel vorschwebte. Ausführlich

referiert Menghin seine Sicht der Dinge: „Was Wien anlangt, so glaube ich, daß Sie

von Innsbruck aus leichter hinkommen werden als von Jena, wenn es auch keineswegs

ausschlaggebend ist, wo Sie sitzen. Die Hauptsache sind bekanntlich immer die

1132 A II, H. Kofler an Schachermeyr, Brief vom 1.6.1931. 1133 E. Bruckmüller 2004, II, 402; F. Fellner – D. A. Corradini 2006, 279f.; R. S. Geehr 1986,

9-24; M. Grüttner 2004, 117; U. Halle 2008, 153; U. Ibler 1987, 111-123; H. Jankuhn 1974,

540-546; S. Karwiese 1976-1977, 55; G. Kossak 1999, 45f., 116; K. Kromer 1994, 75f.; H.

Matis 1997, 16 Anm. 13; K. Pusman 2008, passim; H. Swozilek 2002, 462, 465f.; O. H.

Urban 1996, bes. 3-10; O. H. Urban 2002, bes. 23-25, 43 (zu Menghin als Dichter); O. H.

Urban 2003, 73-78, 80. 1134 A II, O. Menghin an Schachermeyr, Brief vom 4.12.1931. 1135 A II, O. Menghin an Schachermeyr, Brief vom 17.6.1967 nennt ein Treffen in Wien im

Sommer 1966, Menghin unterschreibt mit „Ihr alter O. Menghin“, ähnlich auch auf der Karte

A III, O. Menghin an Schachermeyr vom 8.3.1970 „Ihr alter Menghin“ wie auch im Brief A

II, O. Menghin an Schachermeyr vom 12.6.1970. 1136 A II, O. Menghin an Schachermeyr, Brief vom 16.9.1931. 1137 A II, O. Menghin an Schachermeyr, Brief vom 4.12.1931.

Professor in Jena (1931-1936) 209

persönlichen Beziehungen. Sie müssen diese sorgsam pflegen, bes[onders] zu Egger,

der in der Frage der Nachfolgerschaft für Wilhelm – diese Lehrkanzel kommt für Sie

wohl in Betracht – sicher das erste Wort zu reden hat. Wilhelm ist kränklich, man kann

nicht wissen, wann er nicht mehr mittut. […] Keils Aussichten vermag ich auch nicht

zu beurteilen. Er ist mit Egger von alther befreundet u[nd] wenn er kommen will,

sicher eine schwer überwindliche Konkurrenz. Er scheint aber in Professorenkreisen

nicht sehr beliebt, vielleicht weil er ein etwas gerader Michel ist.“1138

Auch der früher in Innsbruck tätige Geograph Johann Sölch, damals gerade

Professor in Heidelberg, beneidete Schachermeyr bereits in einem Schreiben vom 27.

Oktober 1931 „um die Hoffnung und die Möglichkeit, vielleicht in Bälde wieder

einmal in die Heimat zurückverlangt zu werden“1139. Er hatte nämlich offenbar soeben

erfahren, daß am 21. Oktober vom Bundesministerium für Unterricht um „Weisung in

der Frage der Neubesetzung der Lehrkanzel für Alte Geschichte, die mit der

Zuruhesetzung des ordentlichen Professors Geh.Rat Lehmann-Haupt freiwerden

wird“1140, erbeten worden war.

Und tatsächlich wollte die Universität Innsbruck in der Folge offensichtlich

unbedingt Schachermeyr als Nachfolger seines Lehrers Carl Friedrich Lehmann-Haupt

gewinnen, als dieser nach Absolvierung eines Ehrenjahres mit Ende des Studienjahres

1931/32 emeritiert werden sollte1141. Für die Stelle, die aus Einsparungsgründen nur

mit einem außerordentlichen Professor1142 für „Alte Geschichte einschließlich der

altorientalischen Geschichte“ besetzt werden sollte, wurden in der Sitzung des

Professorenkollegiums der Innsbrucker Universität am 3. Mai 1932 folgende

Wissenschaftler in Vorschlag gebracht: primo loco Dr. Fritz Schachermeyr, secundo et

1138 A II, O. Menghin an Schachermeyr, Brief vom 4.12.1931. 1139 A II, J. Sölch an Schachermeyr, Brief vom 27.10.1931. 1140 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 23. 1141 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 22. 1142 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 24.

Professor in Jena (1931-1936) 210

aequo loco Dr. Friedrich Bilabel, Privatdozent an der Universität Heidelberg, und Dr.

Ernst Meyer, noch immer außerordentlicher Professor in Zürich1143.

Unter anderen wurden auch Johannes Sundwall (1877-1966)1144, Professor für

Alte Geschichte in Åbo in Finnland, und Fritz Moritz Heichelheim, bis 1933

Privatdozent für Alte Geschichte in Gießen, sowie Friedrich Wilhelm König,

Privatdozent für Geschichte des Alten Orients in Wien, Franz Leifer, Privatdozent an

der Juridischen Fakultät in Wien, Althistoriker und Etruskologe, Franz Miltner (1901-

1959)1145, Privatdozent für Griechische Geschichte in Wien, und Franz Schehl,

Privatdozent für Alte Geschichte in Graz, gewürdigt, aber nicht als geeignet für diese

Professur befunden, deren Schwerpunkt auf dem Gebiet der Geschichte des Alten

Orients liegen sollte. Von seiten der Universität Innsbruck wurde betont, daß man

Schachermeyr primo et unico loco vorgeschlagen hätte, wenn nicht vom Ministerium

ausdrücklich ein Ternavorschlag verlangt worden wäre1146, wurde doch explizit

jemand gesucht, der im besonderen mit der Geschichte des Alten Orients und den

entsprechenden Quellensprachen vertraut war1147. Man schlug seitens der Universität

auch gleich vor, für Schachermeyr „mit seiner Berufung zugleich die Verleihung des

1143 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 28; vgl. C. F. Lehmann-Haupt 1933, 160; F.

Schachermeyr 1984, 172 und A II, A. Nehring an Schachermeyr, Brief vom 21.7.1932. Daß

Schachermeyr einen Ruf an die Universität Innsbruck erhalten hatte, berichtete auch die

Jenaische Zeitung vom 9.8.1932, 4 (Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1). 1144 E. Grumach 1967, 1-5; R. Westman 1970, 219f. 1145 E. Bruckmüller 2004, II, 416; K. Christ 2006, 68f.; DBE 7, 1998, 146; F. Fellner – D. A.

Corradini 2006, 284; H.-C. Harten – U. Neirich – M. Schwerendt 2006, 77; J. Keil 1959,

654f.; J. Keil 1960, 361-372; E. Klee 2003, 412; W. Kleindel 1987, 349; K. R. Krierer 1999;

erweiterte Fassung K. R. Krierer 2001, 217-224; V. Losemann 2007a, 317, 321; M.

Pesditschek 2009a, im Druck; R. Teichl 1951, 201f.; C. Ulf 1985, 47-59; W. Weber 1984,

389; I. Weiler 2002, 114f.; G. Wlach 1998, 126-128; Y. Wolf 2003, 234f. 1146 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 28, 46. 1147 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 39.

Professor in Jena (1931-1936) 211

Titels eines ordentlichen Universitätsprofessors zu verbinden“1148, damit er zumindest

die gleiche Stellung wie in Jena erhalte.

Sofort nach diesem Beschluß des Innsbrucker Professorenkollegiums wandte

sich Bilabel erneut brieflich an Schachermeyr, um „für den Fall, daß Sie ablehnen,

diesmal nichts [zu] versäumen“1149. Weiter beschrieb er seine Lage, unter der er litt

und wie sie damals auch andere junge Wissenschaftler ohne Professorenstelle traf: „Da

sich in nächster Zeit kaum etwas erledigt u[nd] ich nun zum 3. mal [sic] an z[we]iter

Stelle stehe, so werden Sie es mir nachfühlen, daß ich, falls Chancen gegeben sind, sie

diesmal benützen will. Ich stehe, offengesagt, zudem mit Wilhelm Weber schlecht,

weil ich ihm einmal in einer Rezension einige Sünden vorgeworfen habe. So i[st] bei

der geringen Zahl von sich in den nächsten Jahren erledigenden Stellen für mich die

Frage Innsbruck sehr wichtig. Eine andere Bitte, die ich ebenfalls schon jetzt

aussprechen möchte, ist die, ob Sie im Falle Ihres Wegganges in Jena mich dort

empfehlen könnten oder wollten?“1150 Ende Juni sah es noch so aus, als ob eine

schnelle Berufung Schachermeyrs erfolgen könnte, denn Ensslin schrieb. „Erfreulich

war bei der Sache auch, daß sich im Falle der althistorischen Lehrkanzel in Innsbruck

das Ministerium rascher zu Beschlüssen bewegen ließ“1151.

Auch die Thüringische Unterrichtsverwaltung sperrte sich nicht, Schachermeyr

mit 1. April 1933 abzuberufen1152, und so begab sich Schachermeyr nach einer

1148 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 46. 1149 A I, F. Bilabel an Schachermeyr, Brief vom 10.5.1932. 1150 A I, F. Bilabel an Schachermeyr, Brief vom 10.5.1932. 1151 A II, W. Ensslin an Schachermeyr, Brief vom 25.6.1932. 1152 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 51; dagegen berichtet die Jenaische Zeitung vom

9.8.1932, 4 (Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1): „Das

Volksbildungsministerium ist indessen eifrigst bemüht, die beiden Dozenten [sc.

Schachermeyr und Langlotz, der einen Ruf nach Frankfurt erhalten hatte] Jena zu erhalten.

Obwohl beide Professoren erst verhältnismäßig kurze Zeit in Jena lehren, hofft man bei den

Professor in Jena (1931-1936) 212

längeren Periode sommerlichen „Stillschweigens“1153 schließlich Anfang Herbst nach

Wien, um dort am 22. September 1932 selbst mündlich über die Berufungsmodalitäten

zu verhandeln1154 – dabei wohnte er möglicherweise bei Franz Leifer, der ihn

ausdrücklich eingeladen hatte und ihm in seiner Wohnung nicht nur ein Zimmer,

sondern auch einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen wollte1155, und er besuchte bei

dieser Gelegenheit auch wieder Amalie Bauer1156. Bei den Gesprächen im Ministerium

bot Schachermeyr dann an, auf einen Teil seiner Bezüge verzichten zu wollen1157,

woferne die Professur nur als Ordinariat deklariert würde. Da bedeutete man ihm zwar,

daß dergleichen „nach dem bestehenden Geh[alts-]Schema gar nicht verwirklicht

werden könnte“1158, sicherte ihm jedoch die Verleihung des Titels eines ordentlichen

Universitätsprofessors zu1159. Obwohl nun diese Verhandlungen dem Anschein nach

nicht gescheitert waren, verharrte das Ministerium fortan nicht nur in Untätigkeit,

zuständigen Stellen, daß sie der Landesuniversität Jena treu bleiben und die ehrenvollen

Berufungen ablehnen werden.“ 1153 „Über das Stillschweigen der Regierung kann ich mich freilich bei der jetzigen

finanziellen Situation wirklich nicht wundern“ (A II, F. Miltner an Schachermeyr, Karte vom

17.9.1932). 1154 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 62; vgl. auch A II, A. Wilhelm an Schachermeyr, Brief

vom 9.10.1932. Schachermeyr war offenbar auch schon einige Zeit davor in Wien gewesen,

wie aus Wilhelm Kubitscheks Schreiben hervorgeht: „Darf ich Ihnen direkt bei dieser

Gelegenheit ausdrücken, wie sehr es mir leid getan hat, Sie zur Zeit Ihrer Anwesenheit in

Wien vor einigen Wochen nicht getroffen zu haben?“ (A II, W. Kubitschek an Schachermeyr,

Karte vom 2.9.1932). 1155 A II, F. Leifer an Schachermeyr, Brief vom 20.7.1932. 1156 A II, A. Wilhelm an Schachermeyr, Brief vom 9.10.1932; für weitere damalige Wiener

Begegnungen Schachermeyrs s. S. 246f. 1157 Vgl. AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 51f.; AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 54; AdR,

PA Fritz Schachermeyr, fol. 66. 1158 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 54. 1159 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 55.

Professor in Jena (1931-1936) 213

sondern sogar Sprachlosigkeit. Schließlich erkundigte sich Schachermeyr sowohl am

27. Oktober 1932 als auch am 27. November 1932 brieflich im Ministerium nach dem

Stand seiner Berufung, „damit ich Fakultät und Regierung diesbezüglich unterrichten

kann“1160, aber offenbar ohne jede Reaktion.

Bereits am 22. Oktober 1932 hatte der Innsbrucker Ordinarius für Geschichte

und spätere „Anschlußrektor“1161 Harold Steinacker Schachermeyr „streng

vertraulich“1162 über die Situation an den österreichischen Universitäten informiert:

„Den Sachaufwand haben sie [sc. die Herren im Finanzministerium] bereits für 1933

so gründlich beschnitten, dass das Unterrichtsministerium die Dotation für 33

überhaupt einstellen musste; unse[re] Institute werden nur die Auditoriengelder zur

Verfügung haben. Natürlich wird das U[nterrichts-]Ministerium, und noch mehr die

Fakultäten, sich energisch wehren[,] und es wird das meiste von den Plänen des

F[inanz-]Ministeriums als undurchführbar zurückgestellt werden. Wohl aber werden

wir selbst zur Abwehr schlimmerer Dinge weitgehende Opfer freiwillig anbieten

müssen. Ich darf auf die verschiedenen Vorschläge nach Wunsch des Dekans nicht

eingehen.“1163

In den folgenden Wochen wurde dann immer deutlicher, daß das

Unterrichtsministerium die Verhandlungen mit Schachermeyr offenbar endgültig

abgebrochen hatte, wohl weil das Bundesministerium für Finanzen seine

grundsätzliche Zustimmung zur Wiederbesetzung dieser Lehrkanzel als

Extraordinariat für das Jahr 1933 aufgrund der Notlage der Bundesfinanzen1164 nicht

1160 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 64; vgl. auch AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 67. 1161 P. Goller – G. Oberkofler 2003, 8. 1162 A II, H. Steinacker an Schachermeyr, Brief vom 22.10.1932. 1163 A II, H. Steinacker an Schachermeyr, Brief vom 22.10.1932. 1164 D. Stiefel 2000, 17-23; A. Teichova 2000, 4-7; vgl. auch D. Stiefel 1988, 95: „Von 1929

bis 1933 sank das Brutto-Nationalprodukt um 25%, der Produktionsindex um 37%, der Index

des allgemeinen Geschäftsgangs um 41%, die öffentlichen Einnahmen aber nur um 13%.

Zwar waren die Steuereinnahmen prinzipiell dem Konjunkturverlauf gefolgt, gleichmäßig,

Professor in Jena (1931-1936) 214

mehr aufrechterhalten konnte und ausdrücklich kein Geld für eine Berufung aus dem

Ausland vorhanden war1165, daher an eine Wiederbesetzung am 1. April dieses Jahres

– so wie zunächst vorgesehen – nicht zu denken war. Schachermeyrs finanziell doch

ins Gewicht fallende Forderung, ein Ordinariat für ihn einzurichten, war dabei

sicherlich nicht hilfreich gewesen1166. Ein namentlich nicht bekannter Beamter im

Ministerium für Cultus und Unterricht notierte damals: „Ich will darüber, dass das

B[undes-]Min[isterium] f[ür] Fin[anzen] dieser Berufung und überhaupt einer

Auslandsberufung im konkreten Falle nicht zustimmen zu können erklärte, weiter kein

Wort verlieren, zumal hieraus bereits die entsprechenden Folgerungen gezogen, d. h.

die Verhandlungen mit Schachermeyr endgiltig abgebrochen wurden“1167. Aus den

Akten ist nicht ersichtlich, daß auch die Ausbürgerung Schachermeyrs im August

19311168 oder auch seine NS-Betätigung beim Abbruch der Verhandlungen eine Rolle

gespielt haben könnten. Anfang 1933 hatte sich Schachermeyr augenscheinlich noch

einmal bei seinem Wiener Kollegen Rudolf Egger über die Indolenz des Ministeriums

beklagt, denn dieser antwortete Schachermeyr am 12. Jänner folgendes: „Was Sie über

das Verhalten des Ministeriums schreiben, wundert mich gar nicht. […] Der

wie bei den Gewinn- und Produktionssteuern, oder ein Jahr nachhinkend wie bei der

Lohnsteuer und den indirekten Steuern, sodaß die Staatseinnahmen an sich ein getreues

Abbild der Wirtschaftsentwicklung hätten sein müssen, doch dem hatte die Fiskalpolitik

entgegen gewirkt.“ 1165 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 56. 1166 Vgl. AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 57. Vgl. dazu auch G. Oberkofler 1969, 167 und

W. Weber 1987, 301f.: „Lehmann-Haupts Innsbrucker Schüler Fritz Schachermeyr, der 1930

[sic] planmäßiger Extraordinarius in Jena geworden war, konnte die Nachfolge seines Lehrers

in Innsbruck 1933 nur deshalb nicht übernehmen, weil er bereits Ordinarius geworden war,

die Stelle aber mit einem Extraordinarius wiederbesetzt werden sollte“. 1167 AdR, PA Friedrich Schachermeyr, fol. 71. 1168 S. u. S. 242-246.

Professor in Jena (1931-1936) 215

Minister1169 reist in Finanzangelegenheiten in der Welt herum. Wer soll da etwas

entscheiden?“1170

Am 13. Jänner 1933 ergriff schließlich Schachermeyr, dem an dieser Stelle

grundsätzlich sicherlich sehr gelegen war, selbst mit einem Schreiben an das

Unterrichtsministerium die Initiative, um in der Situation endlich Klarheit zu schaffen,

und teilte darin mit, daß er sich gezwungen sehe, den Ruf nach Innsbruck

abzulehnen1171 – eine Entwicklung, die der Wiener Indogermanist Paul Kretschmer in

einem Brief von Anfang Februar 1933 übrigens „vorausgesehen“ haben wollte. „Die

Wirtschaftskrise & die katastrophal verringerten Staatseinnahmen veranlassen zu

Sparmaßnahmen, die besonders die Universitäten hart treffen“1172, begründete er diese

seine Vorahnung.

In einem neuen Vorschlag der Philosophischen Fakultät Innsbruck wurde dann

Franz Miltner zwar nur secundo loco nach Bilabel gereiht, gleichwohl wurde er und

nicht Bilabel noch vor Ende des Jahres 1933 als Extraordinarius berufen1173. Bilabel

blieb indes Gymnasiallehrer und las weiterhin als Privatdozent an der Universität

Heidelberg1174.

1933 zerbrach freilich nicht nur Schachermeyrs Traum, Nachfolger Lehmann-

Haupts in Innsbruck zu werden. Bald darauf ging auch die seit 1915 währende

1169 Emanuel Weidenhoffer (1874-1939) war von 16. Oktober 1931 bis 10. Mai 1933

Finanzminister der Regierung unter Karl Buresch (1878-1936) bzw. Engelbert Dollfuß (1892-

1934) und davor seit 1923 Abgeordneter im Nationalrat für die Christlichsoziale Volkspartei

gewesen (E. Bruckmüller 2004, I, 197f., 271, 560; DBE 10, 199, 382). 1170 A II, R. Egger an Schachermeyr, Brief vom 12.1.1933. 1171 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 75; vgl. C. F. Lehmann-Haupt 1933, 394. 1172 A II, P. Kretschmer an Schachermeyr, Brief vom 1.2.1933. 1173 G. Oberkofler 1969, 167; vgl. auch C. Ulf 1985, 50; I. Weiler 2002, 114f. und Miltners

Dank für Schachermeyrs Glückwunschschreiben, „aus dem ehrliche Mitfreude zu spüren war“

(A II, F. Miltner an Schachermeyr, Brief vom 8.12.1933). 1174 C. Jansen 1992, 316 Anm. 15, 333 Anm. 205.

Professor in Jena (1931-1936) 216

Freundschaft mit Lehmann-Haupt selbst zu Bruch. Grund des Zerwürfnisses war laut

Schachermeyrs Autobiographie der „Gebrauch der deutschen Sprache. Lehmann-

Haupt war sehr mit der Gesinnungswelt der norddeutschen Stahlhelmer1175 verbunden,

stand dem Hamburgischen nahe und war in Sprachfragen von seiner gleichsam

preußischen Maßgeblichkeit überzeugt. Ich hingegen zweifelte eine solche

Maßgeblichkeit der ‚Preußen’ durchaus an und vertrat den Standpunkt, daß alle

deutschen Stämme berechtigt wären, das Ihrige bei der Weiterentwicklung der

deutschen Sprache beizutragen. Darüber hatte es schon in Innsbruck allerhand

mündlichen Streit gegeben, der sich aber – ebenfalls mündlich – immer wieder

bereinigen ließ.

Nun hatte mir Lehmann-Haupt, als ich nach Jena ging, angeboten, ich sollte in

die Redaktion der von ihm gegründeten und herausgegebenen Klio als Mitherausgeber

eintreten1176. Ich stimmte dem, allerdings nicht ohne Bedenken, zu, da ja die Gefahr

bestand, daß die NS-Regierung in Weimar mir daraus ‚einen Strick drehen’ könnte.

Gab es doch im Kreis von Frau Förster-Nietzsche einen Kleinasienforscher1177, der

sich für meinen Lehrstuhl zu interessieren schien.

Die andere Gefahr bedachte ich aber nicht, daß nun nämlich unser Sprachenstreit

erneut aufbrechen könnte, ja müßte. Nur geschah das nicht mehr mündlich in der

Erregung des Augenblicks, Lehmann-Haupts Beleidigungen über die oder jene

österreichische Ausdrucksweise, daß sie nicht nur unstatthaft, sondern einfach

scheußlich wäre, erfolgten nun schriftlich. Da mußte ich meinem einstigen Lehrer den

Vorwurf machen, daß er sich in einer so beleidigenden Weise nicht nur über mein

1175 1918 gegründeter Veteranenbund mit allen Wesensmerkmalen „radikaler Verfechter

antirepublikanischer Ideen“, der das Kaiserreich glorifizierte (W. Vogel 1989, 23). 1176 Vgl. dazu auch A II, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung an Schachermeyr, Briefe vom

3.3.1931 und 24.3.1931; A II, V. Ehrenberg an Schachermeyr, Brief vom 19.5.1931; A II, W.

Ensslin an Schachermeyr, Brief vom 16.12.1931; D I, E. Hesselmeyer an Schachermeyr, Brief

vom 17.11.1931. 1177 Damit ist der schon erwähnte Erich Brandenburg gemeint; vgl. S. 201-203.

Professor in Jena (1931-1936) 217

persönliches, sondern auch über unser österreichisches Deutsch äußerte, daß ich

annahm, er wolle mich aus der Klio als Mitherausgeber wieder herausdrängen. Ich gab

ihm daher meinen Austritt bekannt, und er nahm ihn auch an. Ein weiterer Verkehr

kam zwischen uns nicht mehr in Frage.“1178 Dabei hatte Schachermeyr Lehmann-

Haupt doch noch 1929, als er seine Etruskische Frühgeschichte1179 zum Druck brachte,

für „mannigfache, nur allzu nötige stilistische Verbesserungen“1180 gedankt.

Tatsächlich zeichnete Schachermeyr als Mitherausgeber der Klio von Band 25 =

N. F. 7 bis 26 = N. F. 8, also für die beiden Bände, die 1932 und 1933 erschienen.

Weiters ist bezeugt, daß Schachermeyr bereits bei Band 24, Heft 3 als Mitherausgeber

eingestiegen ist1181. Abgezeichnet hat sich das Ausscheiden Schachermeyrs aus der

Redaktion spätestens seit Ende 1933. Damals teilte Ernst Hohl (1886-1957)1182

Schachermeyr mit, daß er seinen Historia-Augusta-Aufsatz1183 zurückziehen und den

Bezug seines Abonnements kündigen würde, falls die Redaktion der Klio nunmehr

wieder allein in Lehmann-Haupts Händen liegen sollte1184. Miltner, der seine Arbeit

Die Dorische Wanderung1185 bei der Klio noch über Schachermeyr eingereicht hatte,

hatte sich nun auf einmal mit Lehmann-Haupt ins Einvernehmen zu setzen und zeigte

sich darob gegenüber Schachermeyr verwundert: „Wieso kann der reichsdeutsche

1178 F. Schachermeyr 1984, 146. 1179 F. Schachermeyr 1929a. 1180 F. Schachermeyr 1929a, X. 1181 A II, C. F. Lehmann-Haupt an Dr. v. Branca, Brief vom 21.4.1931. 1182 K. Christ 1982, bes. 144-148; KGL 1950, 786; KGL 1961, 2375. 1183 Hohls Aufsatz erschien dann unter dem Titel Zur Historia-Augusta-Forschung doch noch

in einem schon wieder von Lehmann-Haupt allein verantworteten Band der Zeitschrift Klio

(27, 1934, 149-164). In der Anm. 1 hält der Autor fest: „Mit der vorliegenden Abhandlung

entspricht der Verfasser einem ihm im vorigen Jahre von der Redaktion (F. Sch.)

ausgesprochenen Wunsche.“ 1184 A I, E. Hohl an Schachermeyr, Brief vom 10.12.1933. 1185 Klio 27, 1934, 54-68.

Professor in Jena (1931-1936) 218

Verlag Sie ziehen lassen und expediert nicht vielmehr den anderen? Das schiene mir

doch zumal bei den eigenartigen politischen Verhältnissen unseres Dezenniums das

einfachste.“1186 Als Nachfolger auf dem Innsbrucker Lehrstuhl und angeblicher

Freund1187 Lehmann-Haupts sollte Miltner nur ein paar Jahre später, 1936, ab dem

Band 30, 1937 selbst die Herausgeberschaft der Klio von Lehmann-Haupt

übernehmen, womit dann freilich auch den „eigenartigen politischen Verhältnissen“

vollauf Rechnung getragen war. Wilhelm Weber, dessen Schriften „ganz abgesehen

von ihrem Inhalt […] schon durch ihre mit braunen Brocken […] durchsetzte

geröllhafte Sprache für den heutigen Leser kaum mehr genießbar“1188 sind, schrieb

Schachermeyr umgehend an, sobald er festgestellt hatte, daß dessen Name nicht mehr

auf dem Titelblatt abgedruckt war: „Bitte geben Sie mir sofort Nachricht darüber, ob

Sie ausgeschieden, herausgedrängt oder sonst wie lahmgelegt worden sind: Es wird an

der Zeit sein, daß man dann die Klio sprengt. Heil Hitler! Ihr Wilhelm Weber“1189.

In Band 27 = N. F. 9 aus dem Jahr 1934 steht nunmehr wiederum Lehmann-

Haupt allein auf dem Titelblatt der Zeitschrift Klio. Davor waren noch Schachermeyrs

Aufsätze Dekorationsstil, Kulturkreis und Rasse1190 und Zur Chronologie der

kleisthenischen Reformen1191 in der Klio erschienen. Das NS-Opfer Friedrich Münzer,

1186 A II, F. Miltner an Schachermeyr, Brief vom 8.12.1933. 1187 C. F. Lehmann-Haupt bezeichnete Miltner 1936 ausdrücklich als seinen Freund (C. F.

Lehmann-Haupt 1936, V). Nach seinem Tod im Jahr 1938 erschien dann in der von „Freund“

Miltner geleiteten Klio „kein einziges Wort des Gedenkens“ (G. Lorenz 1985a, 44). 1188 A. Demandt 1979, 92. 1189 A II, W. Weber an Schachermeyr, Karte vom 30.4.1935. 1190 F. Schachermeyr 1932b, 245-247; vgl. V. Losemann 1980, 60: „Schachermeyr [war]

schon damals auf das positive Charakterbild der indogermanischen Rasse eingeschworen“, 98

Anm. 132; dies gilt auch schon für F. Schachermeyr 1929a, s. o. S. 127-130. 1191 F. Schachermeyr 1932c, 334-347 = F. Schachermeyr 1974, 59-73; vgl. die Anzeige von F.

Geyer 1933, 210.

Professor in Jena (1931-1936) 219

das „1935 noch ‚in allen Ehren’ in Münster verabschiedet“1192, dann wegen seiner

jüdischen Herkunft mit einem Publikationsverbot belegt werden und schließlich im

Konzentrationslager Theresienstadt ums Leben kommen sollte, drückte Schachermeyr

sein Bedauern über dessen Ausscheiden als Herausgeber aus1193. Sollte er etwa in

Schachermeyr einen Leidensgenossen vermutet haben? Jedenfalls rechtfertigte er sein

Schreiben so: „Es ist wirklich nichts als die Liebe eines selbst auf dem absteigenden

Ast stehenden Vertreters der alten Geschic[hte] zu seiner Wissenschaft, was mich

bestimmt“1194. Der im März 1933 aus Budapest brieflich vorgetragenen Bitte seines

jüdischen Mitforschers Viktor Ehrenberg, dessen Buch Der griechische und der

hellenistische Staat1195 in der Klio zu rezensieren, kam Schachermeyr, dem Ehrenberg

zutraute, „dass Sie merken, um was es sich handelt“1196, dann nicht mehr nach.

Daß Schachermeyr den Hergang seines Bruchs mit Lehmann-Haupt korrekt

dargestellt hat, scheint zweifelhaft. Daß Lehmann-Haupt geradeso wie etwa auch der

Historiker und „Professor für Religions- und Geistesgeschichte“ Hans-Joachim

Schoeps (1909-1980)1197 von ebenfalls jüdischer Deszendenz eine übergroße

Sympathie für alles Preußische empfand, ist durchaus glaubhaft. Sehr konstruiert

mutet hingegen Schachermeyrs Verdacht an, Lehmann-Haupt habe seinen Schüler und

langjährigen Freund gleich nach dessen Einsetzung als Mitherausgeber seiner bislang

von ihm allein verantworteten „Hauspostille“ schon wieder bewußt zum Rücktritt

1192 V. Losemann 1977, 39. 1193 A II, F. Münzer an Schachermeyr, Karte vom 18.6.1934. 1194 A II, F. Münzer an Schachermeyr, Karte vom 18.6.1934. 1195 (Einleitung in die Altertumswissenschaft 3,3), Leipzig – Berlin 1932. Eine Neuauflage

erschien unter dem Titel Der Staat der Griechen, 2 Bde., Leipzig 1957-1958; ND Darmstadt

1960; erweiterte Auflage Zürich 21965. 1196 A II, V. Ehrenberg an Schachermeyr, Brief vom 18.1.1933. 1197 Schoeps ist wohl der prominenteste Fall eines preußischen Monarchisten jüdischer

Herkunft; vgl. R. Faber 2008; F.-L. Kroll 1996a, 287-306; F.-L. Kroll 2000, 315-340; W.

Schulze 1989, bes. 328; K. Weißmann 1996, 490f.

Professor in Jena (1931-1936) 220

provozieren wollen. Immerhin ist denkbar, daß Lehmann-Haupt nach den vielen

Jahren der Alleinherrschaft über die Klio die Herausgebermacht nicht in fairer Weise

mit einem Jüngeren teilen wollte oder konnte. Tatsache ist jedenfalls, daß die

Freundschaft explizit von Schachermeyr aufgekündigt worden ist, und zwar gerade zu

einem Zeitpunkt, als diese Schachermeyr (im Hinblick auf Innsbruck) schon nicht

mehr nützen, wohl aber (im Hinblick auf das nunmehr nationalsozialistisch regierte

Jena) schon schaden konnte. Die Vermutung liegt auf der Hand, daß die bis 1931 so

ungleiche Freundschaft zwischen einem wohlhabenden Universitäts-Professor im

Besitz einer vorzüglichen Privatbibliothek und einem „Habenichts“ von

Mittelschullehrer von letzterem schon die längste Zeit bloß aus opportunistischen

Gründen aufrechterhalten worden war. Lehmann-Haupt war gewiß ein streitbarer und

nicht uneitler Mann. Der seinerseits stets sehr selbstbewußte Schachermeyr, der sich

Lehmann-Haupt wohl nie intellektuell unterlegen gefühlt haben wird, hatte zumindest

im Unterbewußtsein gewiß wenig Freude daran, seinem Lehrer und Freund gegenüber

andauernd Dankbarkeit (für die Förderung im allgemeinen und die Benützung der

Privatbibliothek im besonderen) empfinden und diesem auch noch allerlei

Knechtsdienste leisten zu müssen. Man kann darüber spekulieren, daß diese so

problematische „Freundschaft“ Schachermeyr in seiner antisemitischen Grundhaltung

vielleicht sogar entscheidend bestärkt hat. Daß die Beziehung zwischen Lehmann-

Haupt und Schachermeyr auch schon früher ihre Tücken gehabt haben muß und

durchaus nicht als ideal anzusehen war, geht auch aus brieflichen Andeutungen von

dritter Seite hervor1198, und ebenso aus der Bemerkung Harold Steinackers in einem

Brief an Schachermeyr von Anfang Dezember 1933, das Zerwürfnis habe eine „weit

zurückreichende Vorgeschichte“1199, die dann freilich nicht näher kommentiert wird.

Gleichzeitig gibt Steinacker übrigens an, eine persönliche Erfahrung mit Lehmann-

Haupt gemacht zu haben, die ihm „zu denken gab. Als dem Ausschuss vom

Ministerium nach Ablauf des Ehrenjahres statt des Ordinariatsvorschlages, an dessen

1198 S. o. S. 141. 1199 A II, H. Steinacker an Schachermeyr, Brief vom 3.12.1933.

Professor in Jena (1931-1936) 221

Spitze Sie standen, ein E[xtra]-O[rdinariats]-Vorschlag abverlangt wurde, mußte ich

nolens-volens das Referat übernehmen. Fast hätte ich aus dem alten Vorschlag, der

einige nicht aufgenommene Privatdozenten genannt hatte, auf dringende Empfehlung

L[ehmann]-H[aupt]s auch Leifer aufgenommen[,] und nur die Erkundigungen, die ich

aus Vorsicht über dessen Persönlichkeit einholte, haben mich darüber informiert, dass

er jüdisches Blut hat und wegen verschiedener Disziplinarfälle von der jurid[ischen]

Fak[ultät] Wien für den angeregten E[xtra]-O[rdinariats]-Titel nicht vorgeschlagen

wurde“1200.

Weiterhin Professor in Jena

Fritz Schachermeyr blieb eine Rückkehr nach Österreich also fürs erste verwehrt,

und er hatte vorerst in Jena auszuharren. Das freute z. B. gewiß den Historiker

Alexander Cartellieri (1867-1955)1201, der sich sehr für einen Weiterverbleib

Schachermeyrs an der Universität Jena eingesetzt hatte1202, oder auch den Vorgänger

Judeich, der Schachermeyr Anfang Oktober 1932 mitgeteilt hatte, „daß Sie uns hier

stets herzlich willkommen sind und wir Sie nur ungern hergeben würden“1203.

1200 A II, H. Steinacker an Schachermeyr, Brief vom 3.12.1933. 1201 H. Gottwald 2003, 913f.; Hb. dt. Wiss., 871; M. Steinbach 2001; H. Tümmler 1995, 117-

125; W. Weber 1984, 85f. 1202 UA Jena, Bestand M, Nr. 632, Cartellieri an den Dekan der Philosophischen Fakultät,

25.7.1932, zit. nach H. Gottwald 2003, 932. 1203 A II, W. Judeich an Schachermeyr, Brief vom 3.10.1932. Vgl. den Brief vom 25.1.1933

von Erich Gustav Ludwig Ziebarth (1968-1944; u. a. Autor eines Bändchens Zypern:

Griechen unter britischer Gewalt (Das Britische Reich in der Weltpolitik 10), Berlin 1940;

KGL 1925, 1176; KGL 1950, 2416; V. Losemann 1977, bes. 210 Anm. 33; W. Weber 1984,

683; L. Wickert – C. Börker 1979, bes. 202) an Schachermeyr, in dem es heißt: „Wie ich jetzt

hoffen darf, bl[eib]en Sie in Jena […]“ (A II, E. Ziebarth an Schachermeyr).

Professor in Jena (1931-1936) 222

Allerdings waren in Thüringen die Nationalsozialisten schon im Sommer 1932 auf

demokratischem Wege an die Macht gelangt1204, und dieser Umstand bewirkte, daß

Schachermeyrs Stellung „in Jena schwierig“ wurde – das behauptete Schachermeyr

dann jedenfalls in seinem „Memorandum über die Staatsbürgerschaft und politische

Betätigung“ aus dem Jahr 1951 und auch sonst zu wiederholten Malen nach 1945: Da

sein früherer Freund Erich Brandenburg „das Ohr der n[ational]s[ozialistischen]

Machthaber (und vor allem auch der in Thüringen zu jener Zeit schier allmächtigen

Frau Förster[-]Nietzsche) hatte, legte er es darauf an, mich ‚abzuschießen’, indem er

verbreitete, ich hätte gegen den Nationalsozialismus und überhaupt gegen Deutschland

feindselige Bemerkungen gemacht.“1205 Daß die briefliche Warnung Fritz

Heichelheims vom 14. Jänner 1932 vor „Prof. Lewy1206, der Sie aus irgendwelchen mir

1204 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 93. Die Landtagswahl fand im Juli 1932 statt. Seit

August 1932 leitete Fritz Wächtler in der ausschließlich nationalsozialistischen Regierung

unter dem Thüringischen Gauleiter Fritz Sauckel das Volksbildungsministerium (vgl. J. John

1983, 286; W. Lesanovsky 1995, 406). Im Mai 1933 sollte auch auf dem Marktplatz von Jena

eine Bücherverbrennung veranstaltet werden (J. John 1983, 288; vgl. auch H. Heiber 1992,

89, 593 Anm. 317). Zu den Bücherverbrennungen allgemein zuletzt: W. Benz 2003, 398-406;

J. H. Schoeps – W. Treß 2008; W. Treß 2003; V. Weidermann 2008. 1205 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 93; s. auch o. S. 201-203, 216. In einer

„Eidesstättige[n] Erklärung“ Wilhelm Brandensteins heißt es, Schachermeyr sei vorgeworfen

worden, „er hätte gesagt: wenn Hitler ans Ruder käme, dann könne man als anständiger

Mensch nicht in Deutschland bleiben. Schachermeyr hätte deswegen verfolgt werden sollen.

Ich habe das diesbezügliche Schreiben damals selbst gesehen und in der Hand gehabt“ (AdR,

PA Fritz Schachermeyr, fol. 132; vgl. auch S. 424, 429-431). 1206 Gemeint ist wohl der Gießener Assyriologe Julius Lewy (1895-1963), der die

Schriftenreihe der Hilprecht-Sammlung herausgab und 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft

entlassen wurde; E. Ellinger 2006, bes. 505; S. Gerstengarbe 1994, 31; L. Hanisch 2003, bes.

196; K. Hecker 1982, 626-633; K. Hecker 1985, 419; J. John 1983, 287; KGL 1926, 1125;

KGL 1931, 1729; KGL 1950, 2109; KGL 1966, 2819; U. Maas 2004, 275f.; R. Oberheid

Professor in Jena (1931-1936) 223

unbekannten Gründen nicht allzusehr mag“, sowie dessen allgemeine Warnung davor,

„dass irgendwie Leute in und ausserhalb Jenas Ihnen nicht wohlgesinnt sind und

eventuell Ihnen zu schaden versuchen“1207, Schachermeyrs Angabe im Memorandum

bestätigt, scheint zweifelhaft – ein jüdischer Gelehrter wäre wohl kaum in die Lage

gekommen, sich an einer NS-Intrige zu beteiligen.

Es ergab sich dann etwa im Juni 1933, daß Schachermeyr den Österreicher Dr.

Gürke1208 kennenlernte, der „einen hohen SA Rang [sic] bekleidete“1209 – deshalb hatte

er aus Österreich flüchten müssen – und später Schwiegersohn des Juristen Professor

Otto Koellreutter (1883-1972)1210, eines erklärten Nationalsozialisten, wurde. Gürke

setzte sich dann für Fritz Schachermeyr angeblich in der Weise ein, daß dieser „ganz

ohne mein Wissen für den Posten eines Gauleiters von Thüringen des damals in

Bildung begriffenen ‚Kampfrings der Deutschösterreicher im Reich’1211 in Aussicht

2007, bes. 381f.; J. Renger 2008, 475f.; H. A. Strauss – W. Röder 1983, 723; E. Weidner

1966c, 262f.; S. Wininger 1936, 251. 1207 A II, F. Heichelheim an Schachermeyr, Brief vom 14.1.1932. 1208 Norbert Gürke (1904-1941), seit 1937 ao. Prof. an der Universität München, seit 1939 o.

Prof. an der Universität Wien; H. Böhm 1995, passim, bes. 608; KGL 1940/41, 1, 594; KGL

1950, 2398; W. Kosch 1963, 1, 436; G. Kress 1959, 102. 1209 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 99. 1210 H. Böhm 1995, passim, bes. 610; Führerlexikon, 244; J. John 1983, 280f., 286; KGL

1926, 982f.; KGL 1976, 3660; E. Klee 2003, 325; A. Mohler 1999, passim, bes. 429f.; E.

Stockhorst 2000, 242; M. Stolleis 1980, 324f. 1211 Zunächst auch „Hilfsbund der Deutschösterreicher“, vgl. dazu auch die in AdR,

Bundeskanzleramt GZ 6217-PrS/51 aufgelisteten „Aufgaben des Hilfsbundes“: „1.)

Organisatorische Zusammenfassung aller im Deutschen Reiche lebenden arischen

Deutschösterreicher, ohne Unterschied des Geschlechtes. 2.) Förderung des gesamtdeutschen

Denkens, des Heimatbewusstseins, Aufklärung der deutschen Öffentlichkeit über die

völkische, kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung Österreichs. 3.) Vertretung der

kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Belange der Mitglieder. 4.) Betreuung der im

Deutschen Reiche lebenden österr[eichischen] politischen Flüchtlinge.“

Professor in Jena (1931-1936) 224

genommen [worden sei] (Nov. 1933). Die an mich brieflich ergehende Order lautete

ganz einfach: ‚Sie haben sich … [sic] in Leipzig zur Gründungsversammlung des

Kampfringes einzufinden’.“1212 Dort begegnete Schachermeyr dem späteren Höheren

SS- und Polizeiführer in den Niederlanden und Gründer des Kampfringes, Ing. Johann

Baptist (Hanns) Albin Rauter (1895-1949)1213, der diesem Treffen vorstand. „In

Leipzig wurde mir dann gleich mitgeteilt, daß ich für Thüringen die Geschäfte zu

führen hätte und mich mit dieser Bestellung abzufinden habe. Ich wehrte mich

hiergegen mit allen in meiner damals so schwierigen Lage überhaupt verwendbaren

Argumenten und erreichte in der Tat, daß ich nie richtig ernannt wurde1214, daß die

Gaugeschäftsstelle gar nicht in Jena, sondern in Weimar errichtet ward und daß die

dortigen Geschäfte von einem eigenen Funktionär, einem Gaugeschäftsleiter, geführt

wurden. Die Frage eines Gauleiters blieb de facto offen, doch konnte ich nicht

verhindern, daß man zwischen Dezember 1933 und April 1934 nach Bedarf zu

Propaganda-Zwecken meinen Namen gelegentlich mit der Gauleitung in Verbindung

brachte. Ich konnte das um so weniger hindern oder auch nur kontrollieren, da [sic] ich

mich von Februar bis anfangs Mai 1934 zu Studienzwecken in Griechenland

1212 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 94. 1213 Rauter wurde am 25. März 1949 aufgrund des in Den Haag am 4. Mai 1948 gefällten

Todesurteils hingerichtet (DBE 8, 1998, 116; E. Klee 2003, 482; E. Stockhorst 2000, 337f.; C.

Tepperberg 1983, 444f.). 1214 Vgl. dazu vielmehr S. Rebenich 2005, 62 mit Anm. 104, der nachweist, daß

Schachermeyr „{i}m Herbst 1933 […] die provisorische Leitung des im Gau Thüringen

konstituierten Kampfringes der Deutschösterreicher im Reich [übernahm]“ und „sofort

[begann], eine größere Zahl von Ortsgruppen aufzustellen“, und dann weiter schreibt: „Zu

Beginn des folgenden Jahres wurde er von der Reichsführung in München zum definitiven

Gauführer ernannt; das Amt beabsichtigte er – wie er dem Thüringischen Ministerium für

Volksbildung [am 12. Februar 1934 brieflich] mitteilte – ‚bis zur Gleichschaltung Österreichs

auszuüben.’“

Professor in Jena (1931-1936) 225

befand.“1215 Die Jenenser Quellen bezeugen demgegenüber, daß Schachermeyr sogar

Mitbegründer des nationalsozialistischen Kampfringes der Deutschösterreicher im

Reich gewesen ist1216, die Geschäfte führte damals – so Schachermeyr in dem am 21.

Juni 1951 verfaßten „Memorandum über politische Betütigung zu

n[ational]s[ozialistischen] Zeit“ – ein gewisser Peter Jaritz in Weimar1217, und wenn er

sich in seinen Heidelberger Akten und auf seiner Mitgliedskarte für den

Nationalsozialistischen Lehrerbund selbst als „Gauführer v. Thüringen des N. S.

Kampfringes der Deutschösterreicher im Reich“ für die Jahre 1933-1934 deklariert1218

hat, so war dies tatsächlich, wie Stefan Rebenich erst kürzlich gezeigt hat1219,

keineswegs ein Akt der Hochstapelei. Bereits am 30. September 1933 schrieb

Schachermeyr an seine Frau, die gerade in Saalfelden in Salzburg auf Besuch bei ihrer

Tochter aus erster Ehe weilte: „Nun ist die neue Regelung herausgekommen, dass alle

unter 40 Jahren zu den aktiven Stürmen müssen. Das wird mir eine gewünschte

Gelegenheit geben, mich irgendwie wieder aus der SA loszueisen1220. Hoffentlich in

einer Weise, die mir den gleichzeitigen Eintritt in die Partei ermöglichen wird. Spreche

1215 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 94. H. A. L. Degener 1935, 1361 und W. Kosch 1938,

4182 führen Schachermeyr für die Periode 1933-34 als „Gauführer des nationalsozialistischen

Kampfrings der Deutsch-Österreicher“, und dies in Übereinstimmung mit eigenen Angaben

Schachermeyrs aus der späteren NS-Zeit, siehe sofort im Haupttext. Zu Schachermeyrs

Griechenlandaufenthalt vgl. u. S. 236f. 1216 Vgl. dazu H. Gottwald 2003, 930, 941 Anm. 120; V. Losemann 1980, 96f. Anm. 104. 1217 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 99. 1218 S. u. S. 260 mit Anm. 1423. 1219 Vgl. o. Anm. 1214. 1220 Offenbar drängten ihn SA-Mitglieder wie Dr. Gürke damals zu einem Beitritt in diese

auch schon vor dem sog. „Röhm-Putsch“ (30.6.-2.7.1934) in NS-Kreisen selbst wenig

angesehene Organisation – die Formulierung „aus der SA“ legt eigentlich sogar schon eine

bestehende Mitgliedschaft nahe.

Professor in Jena (1931-1936) 226

nächste Woche darüber mit dem Oberbürgermeister1221. Auch Esau1222 wird mit ihm

darüber sprechen. Mit Vogt1223 werde ich mich ebenfalls darüber unterhalten.“1224

Schachermeyr bemühte sich also bereits im Frühherbst 1933 ganz aktiv um einen

Parteieintritt.

Nach seiner Rückkehr aus Griechenland wurde dann offenbar in Weimar ein

anderer Gauleiter des Kampfringes bestellt, nachdem Schachermeyr bereits auf dem

Weg nach Griechenland persönlich in der Zentralstelle in München vorgesprochen

hatte1225. Schachermeyr blieb jedoch weiterhin Mitglied des Kampfringes, der sich

übrigens auch in der Wohltätigkeit engagierte1226. Schachermeyr hielt dann im

Rahmen dieser Organisation zwei Vorträge, einen in Jena und einen weiteren in

Schmalkalden, die Anweisungen dazu gab offenbar Jaritz, der laut Schachermeyr „ein

schrecklich brutaler Mensch“1227 war und sogar bereits während der NS-Zeit vor

Gericht stand1228. Inhaltlich ging es bei diesen Vorträgen um das Verhältnis von

1221 Armin Schmidt (geb. 1888), 1933 bis 1945 Oberbürgermeister von Jena (H. A. L.

Degener 1935, 1402; Führerlexikon, 421f.; J. Hendel u. a. 2007, passim; E. Stockhorst 2000,

385). 1222 Abraham Esau (1884-1955), seit 1932 Rektor; Esau „wurde 1945 in den Niederlanden als

Kriegsverbrecher verhaftet und interniert, 1949 aber wegen angeblich ‚nicht erwiesener

Schuld‘ wieder freigelassen“ (J. John 1983, 290); DBE 3, 1996, 171; D. Freudig 1996, 132;

M. Grüttner 2004, 45; W. Hartkopf 1992, 91; J. Hendel u. a. 2007, passim; D. Hoffmann – R.

Strutz 2003, 136-179; E. Klee 2003, 139; Poggendorf 6, 1936, 675; Poggendorff 7a, 1956,

527; Reichshandbuch, 402; F. Schröter 1959, 640f.; E. Stockhorst 2000, 125; R. Stutz 2000,

123f., 129, 131-139, 146. 1223 Der Althistoriker Joseph Vogt oder wohl eher der Jenenser Astronom Heinrich Vogt, der

nach Schachermeyr SA-Mitglied war; vgl. u. S. 229 mit Anm. 1242. 1224 A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, Brief vom 30.9.1933. 1225 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 100. 1226 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 94, 99. 1227 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 99. 1228 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 100.

Professor in Jena (1931-1936) 227

Österreich und Deutschland. „Ich betonte darin, daß das, was der Nationalsozialismus

als ‚Volksgemeinschaft’ bezeichne, in Österreich immer schon Selbstverständlichkeit

gewesen wäre und daß es die Aufgabe der Österreicher im Reiche sei, für diese

Volksgemeinschaft im Gegensatz zum preußischen Kastengeist zu werben“1229, heißt

es jedenfalls in seinem „Memorandum über politische Betätigung zu ns. Zeit“ von

1951. Schachermeyr gibt 1951 weiter an, daß sich die Situation „gegen Ende 1934

entspannte“1230, da Brandenburg „damals plötzlich verstorben [ist] und seine

Anschuldigungen […] auf Veranlassung meines früheren Jenenser Schülers Dr[.]

Schultz [sic] niedergeschlagen [wurden]. Letzterer ist damals zum persönlichen

Adjutanten des Weimarer Unterrichtsministers Wächtler1231 ernannt worden und setzte

sich mit vollen [sic] Erfolg für meine völlige Entlastung ein.“1232 Seine angeblich

weiter nicht vorhandene politische Involvierung beschreibt Schachermeyr wie folgt:

„Dank meiner Beziehung zu dem oben erwähnten Dr[.] Schulz [sic] konnte ich in Jena

weiterhin bis 1936 wirken, ohne parteiliche Bindungen eingehen zu müssen.“1233

Tatsächlich ist Erich Brandenburg erst am 19. Juli 1936 gestorben1234, ungefähr ein

Jahr nach dem Tod seiner augenscheinlichen Protektorin Frau Förster-Nietzsche im

Herbst 1935. Inwiefern auch die anderen Angaben Schachermeyrs unzuverlässig sind,

1229 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 95. 1230 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 95. 1231 Fritz Wächtler (1891-1945), zunächst Volksschullehrer und Berater Wilhelm Fricks,

1932-35 stellvertretender Gauleiter, 1932-33 Volksbildungsminister und Nachfolger Fricks,

1933-35 Innen- und Volksbildungsminister, 1936 Gauleiter der bayerischen Ostmark

(Bayreuth) und Führer des NS-Lehrerbundes, Staatsminister für Volksbildung, SS-

Gruppenführer; H. A. L. Degener 1935, 1665; Führerlexikon, 510; M. Grüttner 2004, 179; H.-

C. Harten – U. Neirich – M. Schwerendt 2006, passim, bes. 485; J. Hendel u. a. 2007, passim;

K. Höffkes 1986, 358-361; C. Horkenbach 1932, 558; J. John 1995, 221; E. Kienast 1938,

438; E. Stockhorst 2000, 434; H. Weiß 2002b, 470f. 1232 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 95. 1233 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 100. 1234 AfO 11, 1936-1937, 282; KGL 1950, 2373.

Professor in Jena (1931-1936) 228

läßt sich heute kaum mehr mit Sicherheit eruieren. Objektive Fakten sind, daß

Schachermeyr im März 1933 den Wahlaufruf Die deutsche Geisteswelt für Liste 11235.

Erklärung von 300 deutschen Universitäts- und Hochschullehrern1236 unterzeichnet

hat und am 1. November 1934 dem Nationalsozialistischen Lehrerbund beigetreten

ist1237, und daß er nie vorgab, zu beiden Akten der Parteinahme genötigt worden zu

sein. Im Oktober 1934 nahm Schachermeyr in Weimar an der Eröffnung des Instituts

für Schulmusik an der Staatlichen Hochschule für Musik in Anwesenheit des

Volksbildungsministers Fritz Wächtler mit einer Ansprache teil, in der er immerhin

ausführte, daß ein Volk, das sich nur der körperlichen Ertüchtigung widmete, verloren

wäre1238. Im selben Monat hielt Schachermeyr bei der zu Propagandazwecken

abgehaltenen Universitätswoche in Meiningen einen Vortrag über „Die nordisch-

indogermanischen Völker“1239.

Sehr auffällig ist, daß sich Schachermeyr zwar in der Zeit zwischen 1932 und

1934 in einer „Zwangslage“ befunden und eine „Bedrohung vonseiten [sic] der

Naziregierung“1240 erfahren haben will, daß er aber andererseits in seiner

Autobiographie die Universität Jena unter dem Regime Fritz Wächtlers geradezu als

Idylle porträtiert: „In Jena hatte sich unter Wächtler und seinen gemäßigten Ratgebern

in den ersten Jahren der NS-Herrschaft kaum etwas geändert. Es gab da keine

1235 Gemeint ist die NSDAP. 1236 Völkischer Beobachter, 46. Jg., 63. Ausgabe, 4.3.1933, 2. Beiblatt; vgl. auch V.

Losemann 1980, 45; K. Schönwälder 1992, 24. N. Hammerstein 1999, 142 behauptet, daß

„sich 1933 nur 1,2 % der Hochschullehrer öffentlich zu Hitler“ bekannten. 1237 Bundesarchiv Berlin, Mitgliedskarte Nr. 309510 Schachermeyer [sic] Fritz. Vgl. auch H.

A. L. Degener 1935, 1361 und B. Näf 1994, 94. 1238 Weimarische Zeitung vom 17. Oktober 1934 (Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz

Schachermeyr, Kt. 1). 1239 W. Schumann 1958, 647. 1240 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 95.

Professor in Jena (1931-1936) 229

Parteimitglieder1241[,] und bei der SA war lediglich der Astronom1242 (aber in einem

entsprechend hohen Rang). Zwei Kollegen1243 schieden wohl aus, weil sie gerichtlich

belangt wurden, das lag aber ganz außerhalb der Ingerenz des Unterrichtsministeriums.

Der naturwissenschaftlichen Fakultät hatte man allerdings den Rassen-Günther

oktroyiert, aber das war wohl ein Diktat von höherer Stelle. Die meisten Professoren

waren und blieben in Jena der Hitlerbewegung feindlich gesonnen[,] und manche

gehörten den preußisch-patriotischen Stahlhelmverbänden an.

Als ich nach Heidelberg berufen wurde, kündigte sich gleichzeitig auch für die

Jenaer Universität ein Wandel an, da Wächtler als Gauleiter nach Bayreuth ging und

nun Gauleiter Sauckel [sic] an der thüringischen Universität endlich nach Belieben

1241 „Nominelle NSDAP-Mitglieder waren im Oktober 1935 36 von insgesamt 186

Hochschullehrern“ (J. John 1983, 290), das waren immerhin fast 20 %. E. Maschke 1969, 119

meint: „Der Lehrkörper der Universität blieb bis 1933 fast ganz unberührt vom

Nationalsozialismus.“ 1242 Heinrich Vogt (1890-1968), Professor für Astronomie, Astrophysiker; DBE 10, 1999,

234; D. Drüll 1986, 277f.; W. Hartkopf 1992, 376; Poggendorff 6, 2770; Poggendorff 7a,

781f.; E Stockhorst 2000, 431. 1243 Möglicherweise bezieht sich Schachermeyr hier auf den Juristen Karl Korsch (1886-1961;

M. Buckmiller 1988, 254-267; DBE 6, 1997, 48; C. Horkenbach 1930, 699; U. Maas 2004,

189-192; H. Weber 1980, 599f.), dem kommunistische Betätigung vorgeworfen wurde und

dem in der Folge die Bezüge durch polizeiliche Anordnung gesperrt wurden (vgl. S.

Gerstengarbe 1994, 31, 38 Anm. 28). S. Gerstengarbe 1994, 31 listet noch drei weitere

Professoren, eine Professorin und einen Dozenten, die nach § 3 (1) bzw. § 4 des Gesetzes zur

Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen wurden, also bereits von der ersten

Entlassungswelle betroffen waren. J. John – O. Lemuth 2003, 1108 listen 10 Namen; ebenso

spricht E. Maschke 1969, 121 von 10 entfernten Mitgliedern des Lehrkörpers. J. John 1983,

287f. listet sogar 11 Namen, zusätzlich zu den sonst erwähnten 10 führt er den Juden Julius

Lewy an, der zwar enge Beziehungen zur Jenenser Universität unterhielt, jedoch 1933 seinen

Posten vielmehr an der Universität Gießen verlor.

Professor in Jena (1931-1936) 230

schalten konnte. Natürlich war ich froh, das nicht mehr miterleben zu müssen.“1244

Tatsache ist, daß auch in Jena das „Gesetz zur Wiederherstellung des

Berufsbeamtentums“1245 vom 7. April 1933 umgesetzt wurde, es waren weit mehr als

zwei Professoren, die vertrieben wurden, und alle Fakultäten waren von diesem Terror

betroffen1246. Da liegt der Schluß nahe, daß es in den Jahren 1932-1934 für

Schachermeyr trotz der angeblichen Intrige des Dr. Erich Brandenburg weder objektiv

noch subjektiv irgendeine „Bedrohung“ gegeben hat, und daß Schachermeyr seine

angebliche „Zwangslage“ von damals erst nach 1945 konstruiert hat, um die ihm

nunmehr zum Vorwurf gemachten – in Wirklichkeit völlig freiwillig erfolgten – NS-

Aktivitäten aus dieser Periode zu rechtfertigen und zu verharmlosen.

Was Schachermeyrs Forschungstätigkeit namentlich in seinen ersten Jenenser

Jahren anlangt, so begann er schon damals mit den Vorarbeiten für ein Alexander-

Buch1247. Auch schon in seiner Jenaer Antrittsvorlesung „Alexander der Große“1248,

die am 5. Dezember 1931 um 12 Uhr im Hörsaal I der Universität stattfand1249, hat er

nach eigenen Angaben versucht, Alexanders „Persönlichkeit aus ihrer

Eigengesetzlichkeit und aus seinem auf universale Eintracht gerichteten Willen“1250

begreiflich zu machen. Weiters bereitete er sein zweites Buch, Hethiter und Achäer1251

1244 F. Schachermeyr 1984, 156f., vgl. auch 147. 1245 RGBl., Jg. 1933, I, 7.4.1933, bes. 175, § 3 (1), (2) und § 4; vgl. S. Gerstengarbe 1994,

18f.; M. H. Kater 1981, 51-52; M. H. Kater 1985, 468-470; H. Mommsen 1966, 151-165; H.

Seier 1984, 146; U. Wolf 1996, 467. 1246 Vgl. dazu schon S. 229 mit Anm. 1243 und weiters U. Hoßfeld 1999, 49; H. Koch 1966,

347f.; T. Pester 1996, 120-122. 1247 Vgl. dann Alexander der Große. Ingenium und Macht, Graz – Salzburg – Wien 1949 = F.

Schachermeyr 1949a. 1248 Unpubliziert. 1249 Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 2; vgl. B. Näf 1994, 97. 1250 F. Schachermeyr 1973a, 631. 1251 Leipzig 1935 = F. Schachermeyr 1935a; ND Osnabrück 1972. Rezensionen dazu

erschienen von K. Bittel 1936, 279-283; E. Cavaignac 1935-36, 179f.; V. Groh 1936a, 211-

Professor in Jena (1931-1936) 231

vor, das schließlich 1935 erschien und sich angeblich als „das bestverkaufte Buch in

der ganzen Serie“1252 der Mitteilungen der Altorientalischen Gesellschaft erwies. Mit

diesem Werk setzte er seine mykenischen Forschungen fort und knüpfte gleichzeitig

auch an seine Etruskische Frühgeschichte1253 an, befaßte sich darin speziell mit dem

A__ijava-Problem1254, mit dem er sich bereits in seiner Innsbrucker Zeit

auseinandergesetzt hatte1255, und gab eine Zusammenfassung des damaligen

Forschungsstandes, wobei er letztlich doch deutlich einer „Gleichsetzung der

214; V. Groh 1936b, 298-303; vgl. dazu auch S. Heinhold-Krahmer 1998, 4-6; R. Oberheid

2007, 124 („ein ehrenwerter Vermittlungsversuch von Fritz Schachermeyr“), 131 und

insbesondere S. Heinhold-Krahmer 2007, 315-326; gemäß letzterer Arbeit verfügte

Schachermeyr im Hinblick auf die Interpretation hethitischer Texte z. T. sogar über einen

besseren philologischen Instinkt als der damals führende Hethitologe Ferdinand Sommer (s.

u. S. 233 Anm. 1264). 1252 Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1, Lebenslauf. Sehr sorgfältiger

Entwurf etwa um 1957, fol. 12. 1253 F. Schachermeyr 1929a. 1254 Zur A__ijava-Frage vgl. an rezenter Lit. etwa T. Bryce 2008, 40-42; M. Demir 2007, 541-

558; M. Dietrich – O. Loretz 1998, 339-344; J. Freu 2004, 275-323; J. Freu 2008, 77-106; J.

Freu – M. Mazoyer 2008, darin 102-118 zu A. und bes. 103 (hier unter Verweis auf

Schachermeyr), 111 für Gleichsetzung mit Mykene; I. Hajnal 2003, 35-42; S. Heinhold-

Krahmer 1998, 1-12; S. Heinhold-Krahmer 1999, 567-584; S. Heinhold-Krahmer 2007, 315-

326; S. Heinhold-Krahmer 2007a, 191-207; S. Heinhold-Krahmer 2008, 363-376; A. M.

Jasink – M. Marino 2007, 407-426; P. A. Mountjoy 1998, 33-67; W.-D. Niemeier 1998, 17-

65; W.-D. Niemeier 1999, 141-155; W.-D. Niemeier 2005, bes. 18; R. Oberheid 2007, 101-

152; V. Parker 1999, 61-83; M. Pesditschek 2004, 902; F. Starke 1997, bes. 451; O.

Szemerényi 1988, 257-294; P. Taracha 2006, 143-149; R. Tekoğlu 2000, 980-984 mit Bibl.

984 Anm. 35; U. Thaler 2007, bes. 292f.; C. Watkins 2008, 135-141, darin 135f. eher für A. =

Theben. 1255 A II, F. Sommer an Schachermeyr, Brief vom 2.2.1931.

Professor in Jena (1931-1936) 232

a__iavischen Macht mit dem Königtume von Mykenai“ zuneigte1256, was des weiteren

wiederum auf eine gewisse Parteinahme zugunsten von Emil O. Forrer in dessen (nicht

nur rein) wissenschaftlichem Streit mit Ferdinand Sommer1257 hinauslief. Just dieser

berühmte Indogermanist und Hethitologe Ferdinand Sommer (1875-1962)1258, der

Anfang der dreißiger Jahre gerade selbst an seinen grundlegenden Werken Die

A__ijavā-Urkunden1259 und die A__ijavāfrage und Sprachwissenschaft1260 arbeitete,

zeigte sich damals über Schachermeyrs Pläne, sich diesem seiner Meinung nach

ausschließlich Sprachwissenschaftlern zugänglichen Problem zu widmen, überhaupt

nicht erfreut: „Nun habe ich kürzlich aus Ihrem Bericht in den ‚Forschungen und

Fortschritten’1261 ersehen, daß Sie optima fide in allen wesentlichen Details vom Urteil

der anderen abhängig sind, wie das ja bei einem Nicht-Hethitologen notwendig der

Fall ist. Verzeihen Sie mir daher das freimütige Wort, daß ich es nicht für richtig halte,

wenn ein Historiker sich auf diese Dinge einläßt, ohne die Richtigkeit des Gesagten

wirklich nachprüfen zu können. Das von mir soeben Gesagte kann Sie um so weniger

persönlich treffen, als Sie ja eine ganze Anzahl von Historikern in Übereinstimmung

1256 F. Schachermeyr 1935a, 169. Diese Präferenz hat Schachermeyr später in F.

Schachermeyr 1958a, 365-380, bes. 380 („Am wahrscheinlichsten dünkt mir nach wie vor die

Gleichsetzung mit Mykenai, doch ist daneben auch die Möglichkeit von Rhodos beträchtlich

angestiegen und tritt als dritte Eventualität Kypros in Erscheinung“) und schließlich –

zuversichtlicher denn je – auch noch in seiner allerletzten publizierten Monographie F.

Schachermeyr 1986a (s. zu dieser ausführlich S. 671-676) bekräftigt. 1257 Dazu s. sofort Anm. 1264. 1258 H. Böhm 1995, bes. 617; D. Cherubim 1996, 873; DBE 9, 1998, 368; B. Forssman 1977;

Hb. dt. Wiss., 1348; R. Oberheid 2007, bes. 396-401; O. Wenig 1968, 296. 1259 (Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Abteilung, N.

F. 6), München 1932. 1260 (Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Abteilung, N.

F. 9), München 1934. 1261 Gemeint ist F. Schachermeyr 1931d, 20f.

Professor in Jena (1931-1936) 233

mit sich wissen, während sich von den Hethitologen, die man in sprachlich-

philologischen Dingen für einigermaßen kompetent erklären kann, keiner an Forrer

angeschlossen hat. Es ist beim Hethitischen nun einmal ein bissl [sic; es fehlt wohl:

anders] als bei Xenophons Anabasis“1262, sprach der extrem „autoritäre und eitle“1263

Sommer seinem Historikerkollegen schlicht die Qualifikation für die Beschäftigung

mit dieser Materie ab1264, was diesen aber nicht daran hinderte, seine Arbeit

fortzusetzen, um dann auch Sommers „bahnbrechende Materialpublikation“1265 in sein

Buch einzuarbeiten. Eine „nachfolgende zweite“1266 Abhandlung war geplant, die sich

mit der mykenischen Kultur auseinandersetzen sollte, wozu es aber dann in absehbarer

Zeit nicht kam1267.

Weiterhin schrieb Schachermeyr an Artikeln für die RE. Zu erwähnen sind hier

besonders Theagenes (2)1268, Theomestor1269, Theron (1)1270 und Thrasybulos (1-2)1271,

1262 A II, F. Sommer an Schachermeyr, Brief vom 2.2.1931. Die Anabasis des Xenophon wird

im Griechischunterricht als Anfängerlektüre verwendet. Vgl. dazu auch R. Oberheid 2007,

124-132. 1263 B. Schlerath 2000, 176f. 1264 Dieses Verhalten Sommers steht in Zusammenhang mit seinem notorischen, höchst

unprofessionellen (wenngleich nicht unprofessoralen) blindwütigen Haß auf Emil O. Forrer

im allgemeinen und dessen A__ijava-Thesen im besonderen, von dem offenkundig auch

Mitforscher in Mitleidenschaft gezogen wurden, wenn sie, wie Schachermeyr dies schon um

1930 tat, auch nur eine gewisse Sympathie für die Position Forrers erkennen ließen. Dank R.

Oberheid 2007, 71-76 kennen wir nun die höchst persönlichen Gründe für diesen Haß

Sommers, und dank S. Heinhold-Krahmer 2007, 315-326 wissen wir nun auch, daß

Schachermeyrs philologische Interpretation der einschlägigen Texte jener Sommers

schlußendlich überlegen war – für Sommers Herablassung und Häme bestand also objektiv

nicht der geringste Anlaß. 1265 F. Schachermeyr 1935a, [V]. 1266 F. Schachermeyr 1935a, [V]. 1267 Vgl. G. Dobesch 1974, 448-453. 1268 5 A, 2, 1934, 1341-1345.

Professor in Jena (1931-1936) 234

die zusammengenommen eine Art Vorstudie für eine Geschichte der griechischen

Tyrannis darstellen. Noch während seiner Jenenser Zeit verfaßte Schachermeyr auch

einen Beitrag für eine Festschrift zu Ehren des Indogermanisten Herman(n) Hirt

(1865-1936)1272 mit dem Titel Wanderungen und Ausbreitung der Indogermanen im

Mittelmeergebiet1273, und Hirt bedankte sich schon im Jänner 1936 für die „Belehrung,

die ich aus ihm schöpfen konnte“1274.

Zusätzlich hat Fritz Schachermeyr offenbar im Jahr 1933 „Herrn Kollegen

Zucker1275 in der Stellung als Vertrauensmann der Fakultät für die Hilprecht-

Sammlung1276 abgelöst“1277. Der Herausgeber der Texte und Materialien der Frau

Professor Hilprecht Collection of Babylonian Antiquities im Eigentum der Friedrich-

1269 5 A, 2, 1924, 2034. 1270 5 A, 2, 1934, 2447-2451. 1271 6 A, 1, 1936, 567f. 1272 DBE 5, 1997, 69; G. R. Garg 1, 1987, 179; R. Hiersche 1982, 423-433; KGL 1925, 407;

KGL 1950, 2375; C. Knobloch 2005, passim; G. Neumann 1972, 235f.; B. Schlerath 2000,

51, 148; R. Schmitt 1996, 419f. 1273 F. Schachermeyr 1936a, 229-253; vgl. die Rezension von R. Pittioni – A. Pfalz 1937,

172f. (zu Schachermeyrs Beitrag 172: „Es wäre vielleicht wünschenswert gewesen, wenn

Schachermeyr noch mehr Uraltertumskunde herangezogen hätte, besonders bei Besprechung

der ersten indogermanischen Einwirkungen“) und die Anzeige von H. Zeiß 1937, 563-566.

Vgl. auch C. Knobloch 2005, 181-183; R. Schmitt 2004, 325 („die allzu ‚nordisch’ orientierte

Hirt-Festschrift“). 1274 A II, H. Hirt an Schachermeyr, Brief vom 17.1.1936. 1275 Gemeint ist der Gräzist, Papyrologe und NS-Gegner Friedrich Zucker (1881-1973), der

nach dem Krieg Rektor werden sollte; G. Baumgartner – D. Hebig 1997, 1051f.; DBE 10,

1999, 694; W. Hartkopf 1992, 405; Hb. dt. Wiss., 1453; J. John 1983, passim; E. G. Schmidt

1981, 297-304; H. G. Walther 2001; H. G. Walther 2007, 1911-1928; E. Wörfel 1983,

passim. 1276 J. John 1983, 278, 287; F. Krause – F. Marwinski 1999, 160-162 (mit weiterer Lit.). 1277 A II, J. Lewy an Schachermeyr, Brief vom 1.3.1933.

Professor in Jena (1931-1936) 235

Schiller-Universität Jena1278 Julius Lewy1279 bot sich ihm bei diesem Anlaß als

Auskunftsperson für eventuelle Fragen bezüglich dieser Sammlung vorderasiatischer

Altertümer an, die vor allem Keilschrifttexte und babylonische Altertümer umfaßt und

vom Assyriologen Hermann Vollrath Hilprecht (1859-1925)1280 gestiftet worden war.

Vorstand der Hilprecht-Sammlung war Schachermeyr dann ab dem Sommersemester

1934, und als er Jena verließ, wurde sein Nachfolger in dieser Funktion der

Assyriologe Oluf Krückmann (1904-1984)1281, wobei sich dieser die Stelle bis zum

Wintersemester 1938/39 noch mit dem Nachfolger Schachermeyrs auf dem Jenenser

Lehrstuhl für Alte Geschichte Hans Schaefer (1906-1961)1282 teilte1283.

1278 1, 1932-5,1935; N. F. 1/2, 1937. 1279 Vgl. S. 222f. Anm. 1206 und J. John 1983, 287. 1280 DBE 5, 1997, 47; J. John 1983, 278. 1281 E. Ellinger 2006, bes. 502; K. Hecker 1985, 185f.; J. Renger 1979, 181; E. Wirbelauer –

B. Marthaler 2006, 956. 1282 A. Chaniotis – U. Thaler 2006, bes. 405; K. Christ 1999, 224f.; H. Gottwald 2003, 932f.;

Hb. dt. Wiss., 1284; H. U. Instinsky 1961, 844-848; V. Losemann 1977, bes. 209 Anm. 30; B.

Näf 1986, bes. 204-210; S. Rebenich 2005, 50-55; C. Ulf 2001, 427-434; W. Weber 1984,

500f.; E. Wirbelauer – B. Marthaler 2006, 992f.; E. Wolgast 1985, 27; E. Wolgast 1986, 156.

Zur Frage, ob das NSDAP- und SA-Mitglied Hans Schaefer innerlich ein überzeugter

Nationalsozialist gewesen ist, vgl. auch die auf der Leserbriefseite der FAZ geführte

Diskussion zwischen den Professoren Peter Herde (FAZ vom 6.9.2006, 11) und Hans

Buchheim (FAZ vom 4.10.2006, 22). Schaefer scheint nach 1945 eine Heidelberger Professur

Golo Manns verhindert zu haben, vgl. T. Lahme – K. Lüssi 2006, 389. 1283 K. Hecker 1985, 185 bezeichnet Krückmann als „Kurator der Hilprecht-Sammlung

vorderasiatischer Altertümer“; J. John – O. Lemuth 2003, 1115.

Professor in Jena (1931-1936) 236

Reisetätigkeit

Im Frühjahr 1934 hielt sich Fritz Schachermeyr in Griechenland auf1284. Die

Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft hatte diese seine „Studienreise nach

Griechenland und Rhodos“1285 finanziert. Damals forschte Schachermeyr offenbar

auch am Deutschen Archäologischen Institut in Athen, wo er mit Walther Wrede und

Georg Karo, der erst „1936 einem Gewaltakt der Hitlerregierung weichen mußte“1286,

zusammentraf1287. Wohl auf dieser Griechenlandreise im Jahr 1934, möglicherweise

jedoch erst 1935 lernte Schachermeyr auch Spyridon Marinatos (1901-1974)1288

kennen, der damals die Position des Ephoros von Kreta innehatte und seit 1929

zugleich Direktor des Museums in Herakl(e)ion / (H)Irakl(e)ion war1289. Ob

Schachermeyr Marinatos auf Kreta oder auf Kephallenia, wo dieser mykenische

1284 A II, G. Karo an Schachermeyr, Brief vom 20.5.1934; F. Schachermeyr 1984, 222; vgl.

dazu auch o. S. 224f. und AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 94, 100, 109. 1285 F. Schachermeyr 1935a, VI. 1286 F. Matz 1964, 638; über Karos „Beziehungen zur höchsten politischen Prominenz“, dank

denen er als Jude mit der persönlichen Zustimmung Hitlers bis 1936 im Amt bleiben konnte,

vgl. K. Junker 1997, 37f.; s. a. W. Weisbach 1956, 371. 1287 A II, G. Karo an Schachermeyr, Brief vom 20.5.1934; vgl. auch F. Schachermeyr 1935a,

VI. 1288 S. Alexiou 1975, 174f.; W. Alzinger 1976-1977, 58f.; EEE 6, 1987, 41f.; È. Gran-

Aymerich 2001, 441f.; R. Hägg 1996b, 726; S. Jakovidis 1975, 635-638; G. S. Korres 1978,

456-462; L. M. Medwid 2000, 197-199; R. Oberheid 2007, bes. 383; F. Schachermeyr 1974g,

493-513; H. Schmuck 2003, 698; M. Schoch 1995, bes. 120-128; A II, S. Marinatos an

Schachermeyr, Brief vom 23.3.1960. 1289 F. Schachermeyr 1974g, 495. Andererseits gibt Schachermeyr an, Marinatos erst während

seiner Exkursion „mit den beiden Geographen“ nach Ostkreta kennengelernt zu haben

(Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1, Die besten Freunde für mich und

meine Wissenschaft, fol. 9b), d. h. erst 1938; vgl. S. 288.

Professor in Jena (1931-1936) 237

Nekropolen ausgrub1290, getroffen hat, läßt sich nicht feststellen, jedoch ist ein

Zusammentreffen auf Kephallenia wahrscheinlicher, jedenfalls berichtet

Schachermeyr in seiner Autobiographie, daß er 1934 oder 1935 die dortige

mykenische Keramik studierte1291. Seine Heimreise trat er über Linz an, um dort seine

Mutter zu besuchen1292. Das Deutsche Archäologische Institut übertrug ihm dann noch

weitere „Forschungsaufgaben auf dem Gebiet des mykenischen Altertums in diesem

Jahre“1293, die er aber offensichtlich erst im nächsten Jahr, also 1935, in Angriff nahm.

Auch in diesem Jahr reiste Schachermeyr bereits im Frühjahr1294 nach Griechenland,

diesmal um seine mykenischen Forschungen fortzuführen. Finanziell unterstützt wurde

diese Forschungsreise jetzt vom Deutschen Archäologischen Institut, von Georg Karo

im besonderen1295. Schachermeyr hatte sich ursprünglich bei einer anderen Stelle,

möglicherweise bei der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, um die

Finanzierung seiner Forschungsreise bemüht, sein Ansuchen war aber damals offenbar

von einem Frankfurter Gutachter1296 negativ beurteilt worden. Schachermeyrs Freund

Langlotz bot sich daraufhin an, mit dem Archäologen und damaligen Präsidenten des

Deutschen Archäologischen Instituts Theodor Wiegand (1864-1936)1297 zu sprechen,

1290 M. Steinhart – E. Wirbelauer 2002, 180, 297 Anm. 421, 307 Anm. 515. 1291 F. Schachermeyr 1984, 222. 1292 A II, G. Karo an Schachermeyr, Brief vom 20.5.1934. 1293 F. Schachermeyr 1935a, VI. 1294 Das Vorwort zu F. Schachermeyr 1935a schrieb Schachermeyr bereits in Athen; es ist mit

5. April 1935 datiert. 1295 Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1, Lebenslauf. Sehr sorgfältiger

Entwurf etwa um 1957, fol. 12; vgl. auch F. Schachermeyr 1935a, VI; F. Schachermeyr 1984,

222 und A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, undatierter Brief. 1296 Einschlägiger Althistoriker in Frankfurt war damals Matthias Gelzer (vgl. V. Losemann

1977, 183; vgl. auch S. 275f. mit Anm. 1484 und S. 695f.). 1297 K. Bittel 1988, 154f.; W. M. Calder III 1996, 1193f.; DBE 10, 1999, 481; EEE 2, 1984,

270; E. Ellinger 2006, bes. 539f.; Führerlexikon, 525; K. Junker 2001, 506f. bes. Anm. 8;

KGL 1925, 1134; KGL 1950, 2378; H. Kullnick 1960, 225; R. Oberheid 2007, bes. 407f.;

Professor in Jena (1931-1936) 238

und gab der Hoffnung Ausdruck, daß dieser „bei seinem Ansehen und s[eine]r Macht

Dir das Stipendium zum Herbst verschaffen kann“1298. Schachermeyr war diese

Intervention offenbar recht, und tatsächlich reiste er dann, wie geplant bereits im

Frühjahr, mit der Unterstützung des Deutschen Archäologischen Instituts nach

Griechenland. So konnte er in diesen beiden Jahren insbesondere die Keramik der

mykenischen Zeit aus Achaia sowie von den Inseln Kephallenia, Rhodos und Zypern

studieren. Auf letzterer Insel hielt er sich im Jahr 1935 auf1299, wo er einerseits

besonders im Cyprus-Museum1300 von Nikosia, das gerade in diesem Jahr „nun

endgültig einen vollständigen und offiziellen Charakter“1301 erhielt, die Funde,

andererseits aber auch die archäologischen Stätten selbst besichtigen konnte.

Unterstützung erfuhr Schachermeyr hier von Porphyrios Dikaios (1904-1971)1302. Bei

dieser Gelegenheit konnte Schachermeyr auch einen Abstecher in den Nahen Osten,

vor allem nach Syrien machen1303, das damals unter französischem Mandat stand1304.

Dort traf er mit Henri Seyrig (1895-1973)1305 zusammen1306 und besichtigte sowohl

Reichshandbuch, 2028f.; W. Weisbach 1956, 216 (bezeichnete den Antisemitismus als

„ekelhafte Schweinerei“), 348, 352, 389; L. Wickert – C. Börker 1979, bes. 200. 1298 A II, E. Langlotz an Schachermeyr, Brief vom 24.1.1934. 1299 Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1, Lebenslauf. Sehr sorgfältiger

Entwurf etwa um 1957, fol. 12; vgl. auch F. Schachermeyr 1935a, VI und A II, P. Dikaios an

Schachermeyr, Brief vom 15.8.1958. 1300 V. Karageorghis 1989. 1301 V. Karageorghis 1989, 7. 1302 EEE 3, 1985, 281; È. Gran-Aymerich 2001, 225f.; V. Karageorghis 1972, 177-179; V.

Karageorghis 1979, [XIII, III]; L. M. Medwid 2000, 83-85; H. Schmuck 2003, 274. 1303 Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 1, Lebenslauf. Sehr sorgfältiger

Entwurf etwa um 1957, fol. 12. 1304 N. A. Ziadeh 1957, 47-50. 1305 È. Gran-Aymerich 2001, 636-638. 1306 F. Schachermeyr 1935a, VI.

Professor in Jena (1931-1936) 239

Ugarit und Beirut samt seinem Museum als auch Damaskus1307. Auf dieser Reise

lernte Schachermeyr auch Claude Frédéric Armand Schaeffer(-Forrer) (1898-1982)1308

kennen, wobei nicht klar ist, ob bereits auf Zypern, wo dieser eben seine Forschungen

in Enkomi begonnen hatte, oder erst in Syrien. Über diese Reisen nach Zypern und

Syrien geben einige Briefe Schachermeyrs aus Griechenland an seine Frau aus dem

Frühjahr 1935 näheren Aufschluß, von denen zwei exakt datiert sind, einer mit 6. März

19351309, der andere mit 2. April 19351310. Letzteren schrieb er „auf einem

rumänischen Dampfer auf der Fahrt von Beyruth nach Piräus“. Chronologisch hierher

gehört aber auch noch ein anderer, der nur die Aufschrift „12.III. Athen“ trägt. Aus

diesen Briefen geht hervor, daß sich Schachermeyr eigentlich nach Kephallenia

einschiffen wollte, daß aber aufgrund der am 1. März ausgebrochenen sogenannten

„Venizelistischen Revolution“1311 der Schiffsverkehr dorthin gerade eingestellt war. So

fuhr er am 12. März mit der Bahn zurück nach Athen und bestieg bereits am 13. März

gemeinsam mit dem amerikanischen Archäologen Bert Hodge Hill (1874-1958)1312,

der seit 1932 auf Zypern forschte, ein Schiff Richtung Zypern, wo er zehn Tage zu

bleiben gedachte. Den anschließenden achttägigen Aufenthalt in Syrien behielt er dann

in keiner besonders guten Erinnerung: „So ein Gaunerland. Alle Syrer sind Gauner,

1307 F. Schachermeyr 1984, 222; A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, Brief vom

12.3.[1935]. 1308 C. Burney 2004, 240; È. Gran-Aymerich 2001, 621-623; R. Oberheid 2007, bes. 392f.

(mit falschem Geburtsjahr und falschem Sterbedatum); vgl. A II, Parte Monsieur Claude

Frédéric Armand Schaeffer, seine Frau war Odile, geb. Forrer („de vous faire part du décès

survenu le 25 Août 1982, dans sa quatre-vingt-cinquième année“). 1309 A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, Brief vom 6.3.1935. 1310 A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, Brief vom 2.4.1935. 1311 G. Hering 1992, 1071-1081; A. Petrowas 1980, 103-127; A. Vakalopulos 1985, 217-219;

N. Wenturis 1984, 80. 1312 C. W. Blegen 1959, 193f.; N. Thomson de Grummond 1996, 590f.; L. M. Medwid 2000,

154f.

Professor in Jena (1931-1936) 240

Lügner, Beutelschneider und Halunken. Alle wollen Bakschis [sic]. Erfreulich waren

nur die Franzosen, welche sich entzückend benahmen[,] und erfreulich war Damaskus.

Alles andere Dreck, Scheiße und Schwindel. Die Brutstätte des einstigen Judentums ist

sich also treu geblieben“1313. Erfreut zeigte sich Schachermeyr darüber, daß er in

Beirut in einer deutschen Pension wohnen konnte. Belastend wirkte auf ihn hingegen,

daß sein Syrienaufenthalt „in die Zeit der schlimmsten Kriegspsychose fiel. Die

ganzen Zeitungen schrieben von nichts wie von Krieg1314[,] und manche Tage schien

es, als ob derselbe unmittelbar darauf auch schon ausbrechen wollte.“1315 Offenbar

noch davor waren Ausflüge nach Ägina zu Gabriel Welter (1890-1954)1316, der

Schachermeyr irgendwann auch ein Stück „polychrome[r] Lederware“1317 für seine

Sammlung schenkte1318, sowie nach Nemea bzw. eine Reise nach Kreta geplant

gewesen, auch Istanbul wäre auf dem Programm gestanden, womit es aber „wohl

1313 A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, Brief vom 2.4.1935. 1314 Möglicherweise sind damit Italiens Vorbereitungen auf den Überfall auf Abessinien

(heute Äthiopien) gemeint. Mussolini marschierte dann am 2. Oktober 1935 ein und führte bis

Mai 1936 einen Eroberungskrieg in Ostafrika (vgl. z. B. R. A. C. Parker 1967, bes. 269-272).

Wahrscheinlicher jedoch ist, daß sich diese Äußerung Schachermeyrs auf Deutschland

bezieht, das am 16. März 1935 die Allgemeine Wehrpflicht einführte, nachdem Hermann

Göring (1893-1946) bereits am 10. März 1935 die Existenz einer deutschen Luftwaffe

bekanntgegeben hatte, was jeweils einen Bruch des Vertrags von Versailles bedeutete.

Frankreich, Italien und England reagierten darauf mit einer Erklärung, die bereits im April

1935 auf der Konferenz im norditalienischen Stresa ausgearbeitet wurde, wonach die drei

Staaten gegen jede einseitige Nichtanerkennung von Verträgen vorgehen wollten (vgl. z. B.

R. A. C. Parker 1967, 264-267). 1315 A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, Brief vom 2.4.1935. 1316 L. Wickert – C. Börker 1979, bes. 200; R. Wünsche 1988, 246f. 1317 Vgl. dazu F. Schachermeyr 1976d, 218-220; auch F. Schachermeyr 1951b, 749-752. 1318 A II, F. Schachermeyr an S. Hiller, Brief vom 7.5.1975. Daß es sich bei „ein

einschlägiges Fragment in einer Privatsammlung“ (F. Schachermeyr 1976d, 218f.) aus Ägina

um dieses Stück handelt, läßt sich nicht verifizieren, ist jedoch durchaus wahrscheinlich.

Professor in Jena (1931-1936) 241

nichts mehr“1319 wurde. Anfang April 1935 aus Syrien in Athen angekommen,

beabsichtigte Schachermeyr per Schiff, das am 14. April ablegte, nach Venedig und

von dort per Bahn über Villach, Salzburg, Linz, Prag, Dresden und Leipzig nach Jena

heimzukehren1320.

Diese beiden Forschungsreisen kamen zwar zum Teil noch seinem Buch Hethiter

und Achäer1321 zugute, allerdings resultierte vorerst aus keiner eine eigene Publikation.

Erst viel später, zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, erschien dann in ganz

selbständigem Rahmen ein Buch zur griechischen Frühgeschichte, Die ältesten

Kulturen Griechenlands1322, das sich jedoch ausschließlich mit den vormykenischen

Perioden auseinandersetzt, während die „Darstellung der gesamten griechischen

Frühzeit einschließlich der minoischen wie mykenischen Kultur“1323 als ein zweiter

Teil geplant war, der so nie erschienen ist. Kurz vor seinem Tod sah Schachermeyr die

damalige Verlagerung seines Interessenschwerpunktes hin zu Griechenland und weg

vom Alten Vorderen Orient wie folgt: „Meine 1931 erfolgte Berufung nach Jena schob

mir ja gleichsam einen Riegel vor, hatte ich in meinem neuen Wirkungskreis doch vor

allem die griechische und römische Geschichte zu betreuen. Da blieb für das

Hethitische dann nicht mehr allzuviel Zeit übrig.“1324 So schrieb er damals zum Alten

1319 A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, undatierter Brief; immerhin gibt

Schachermeyr den Hinweis, daß auf Kreta erst kürzlich ein Erdbeben „ziemlich gewütet“

habe. Eine Datierung mit Hilfe von Erdbeben erweist sich im Fall von Kreta freilich nicht

selten als schwierig, weil dort in manchen Jahren gleich mehrere starke Beben registriert

werden. Allerdings gab es auf Kreta im Jahr 1935 nur ein einziges nennenswertes Beben,

nämlich am 25. Februar. Epizentrum war damals Neapolis-Anoghia (vgl. A. G. Galanopoulos

1960, 58f.). 1320 A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, Brief vom 2.4.1935. 1321 Leipzig 1935 = F. Schachermeyr 1935a. 1322 Stuttgart 1955 = F. Schachermeyr 1955a. 1323 F. Schachermeyr 1955a, 7. 1324 F. Schachermeyr 1986a, 7.

Professor in Jena (1931-1936) 242

Vorderen Orient nur mehr einige unfertige Studien über Spezialfragen für die

Schublade.

Die Ausbürgerung – Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft

Im Juli 1934 forderte das Bundeskanzleramt die Bundespolizeidirektion Linz auf,

„die Ausbürgerung des Prof. Dr. Fritz Schachermeyer [sic], der Führer des Gaues

Thüringen des ‘Kampfringes der Deutschösterreicher im Reiche’ ist“1325,

vorzunehmen, weil er sich in den Augen der österreichischen Behörde auf diese Weise

österreichfeindlich betätigte. Gleichzeitig wird Schachermeyrs Familie polizeilich

durchleuchtet. Wir erfahren: „Sein Bruder Ing. Johann Schachermeyer [sic] ist in Linz

eine bekannte Persönlichkeit und genießt einen guten Ruf. Er ist Präsident der

Ingenieurkammer für Oberösterreich und Salzburg und als Zivilingenieur als

Konsulent für das Bauwesen tätig. Der Genannte ist vaterländisch gesinnt, steht der

christlichsozialen Partei nahe und ist Funktionär in der Heimatschutzformation des

Generalmajor Englisch-Popparich1326 in Linz (Stellvertreter des Letzteren [sic]).“1327

1325 AdR, Bundeskanzleramt GZ 192.837. - St.B. / G.D. 34. Vgl. UA Heidelberg, PA 5599,

wo Schachermeyr selbst angibt, „1933-34 Gauführer v. Thüringen des N. S. Kampfringes der

Deutschösterreicher im Reich“ gewesen zu sein, hier führt er dann auch an, „1934 in

Österreich wegen n. s. Betätigung ausgebürgert“ worden zu sein; vgl. dazu A. Chaniotis – U.

Thaler 2006, 403. S. auch Schachermeyrs Mitgliedskarte des Nationalsozialistischen

Lehrerbundes (Mitgliedskarte NSLB Nr. 309510 Schachermeyer [sic] Fritz), in der unter dem

Punkt „Betätigung in der NSDAP – SA. – HJ. – BdM. – Luftschutz usw. als und seit?“

„Gauführer f. Thür. d. Kampfringes d. Dtsch.-Österreicher“ zu lesen ist. H. A. L. Degener

1935, 1361 und W. Kosch 1938, 4182 führen ihn für 1933-34 als „Gauführer des

nationalsozialistischen Kampfrings der Deutsch-Österreicher“. Unspezifiziert stellt S. P.

Remy 2002, 74 fest: „He had been active […] as a Gauführer in Thuringia in 1933 and 1934.“

Vgl. schon o. S. 225. 1326 Oskar Englisch-Popparich; vgl. W. Wiltschegg 1985, 142, 303.

Professor in Jena (1931-1936) 243

Von der Bundespolizei Linz ergeht in der Folge am 13. August 1934 folgender

Bescheid an Schachermeyr: „Im Sinne des § 10, Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 30.

Juli 1925, B.G.Bl. 285 in der Fassung der Verordnung der Bundesregierung vom

16.8.1933, B.G.Bl. 369 wird festgestellt, daß nachstehende Person durch

staatsfeindliche politische Betätigung gegen den Bundesstaat Österreich die

Landesbürgerschaft im Bundesland Oberösterreich verloren hat: Dr. Fritz

Schachermeyer [sic], Professor, 10.1.1895 Linz geb. und zust., Jena, Thüringen,

Sauckelstraße 18 wohnhaft. Begründung: Nach den amtlichen Erhebungen hat sich der

Genannte als Führer des Gaues Thüringen des ‘Kampfringes der Österreicher im

Reich’, einer gegen die Souveränität des österreichischen Staates gerichteten

Organisation, im österreichfeindlichen Sinne betätigt.“1328 Dieser

Ausbürgerungsbescheid wurde mit 30. August 1934 rechtskräftig1329. Schon zuvor

hatte die zunächst einmal bloß augenscheinlich drohende Gefahr einer Ausbürgerung

aus politischen Gründen offenbar auch unter Schachermeyrs Kollegenschaft die Runde

gemacht und Befürchtungen ausgelöst, es könnte Probleme bei seiner

Griechenlandreise von 1934 geben1330, die zwar durch Österreich führte, tatsächlich

jedoch „ohne Zwischenfälle vonstatten gegangen ist“1331.

Im Jänner 1935 berichtete dann aber die Bundespolizeidirektion Linz an das

Bundeskanzleramt, daß Schachermeyr die österreichische Staatsbürgerschaft infolge

des Erwerbs der reichsdeutschen Staatsbürgerschaft schon auf Beschluß der Tiroler

Landesregierung vom 12. August 1931 verloren hatte und so der Bescheid vom 13.

August 1934 aufgehoben werden mußte1332.

1327 AdR, Bundeskanzleramt, GZ 192.837 - St.B. / G.D. 34. 1328 AdR, Bundeskanzleramt, GZ 232.635 - St.B. / G.D. 34. 1329 AdR, Bundeskanzleramt, GZ 192.837 - St.B. / G.D. 34. 1330 Vgl. C. Reinholdt 2001, 12, der generell Griechenlandreisen Schachermeyrs für die Mitte

der dreißiger Jahre annimmt, und hier S. 236-241. 1331 A II, J. Werner an Schachermeyr, Brief vom 15.6.1934. 1332 AdR, Bundeskanzleramt, GZ 192.837 - St.B. / G.D. 34.

Professor in Jena (1931-1936) 244

Und auch in seinem „Memorandum über die Staatsbürgerschaft und politische

Betätigung“1333 von 1951 gab Schachermeyr dann an, seine österreichische

Staatsbürgerschaft schon 1931 durch sein Versäumnis verloren zu haben, vor

Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft eine Doppelstaatsbürgerschaft für sich zu

beantragen1334, was durch einen entsprechenden Brief der Tiroler Landesregierung

vom 12. August 1931 belegt werden kann, in dem es heißt, daß das Bundeskanzleramt

nicht in der Lage sei, „der Beibehaltung der Tiroler Landesbürgerschaft zuzustimmen,

weil Sie die deutsche Staatsangehörigkeit durch den Antritt des Lehramtes an der

Universität Jena erworben haben und damit die Tiroler Landesbürgerschaft bereits

verloren wurde. Es könnte nur eine Wiedereinbürgerung nach vorher einzuholender

Bewilligung der Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit bei den zuständigen

reichsdeutschen Behörden in Aussicht genommen werden“1335. Auf ergebnislose, weil

nicht termingerechte, Bemühungen Schachermeyrs um eine Doppelstaatsbürgerschaft

lassen auch zwei an ihn gerichtete Briefe des Anglisten Rudolf Hittmair (1889-

1940)1336 aus dem Jahr 1931 schließen, der nach den eigenen Angaben in diesen

Briefen sehr wohl eine Doppelstaatsbürgerschaft besaß, um diese im Gegensatz zu

Schachermeyr aber bereits vor seinem Dienstantritt in Deutschland angesucht hatte1337.

Andererseits geht aus dem von Schachermeyr eigenhändig ausgefüllten Formular

in seinem Heidelberger Personalakt hervor, daß er damals in der Rubrik „Politische

Betätigung:“ die Angabe „1934 in Österreich wegen n[ational]s[ozialistischer]

Betätigung ausgebürgert“1338 eingetragen hat, was sich wohl am besten so erklärt, daß

1333 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 93. 1334 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 93. 1335 AdR, Bundeskanzleramt, GZ 192.837 - St.B. / G.D. 34. 1336 ÖBL 2, 1959, 338f.; W. Kosch 1933, 1614; Neffe des gleichnamigen Bischofs von Linz

(1859-1915; ÖBL 2, 1959, 338). 1337 A II, R. Hittmair an Schachermeyr, Briefe vom 21.5.1931 und 29.8.1931; vgl. dazu AdR,

Bundeskanzleramt, GZ 192.837 - St.B. / G.D. 34. 1338 UA Heidelberg PA 5599; s. schon o. S. 242 mit Anm. 1325.

Professor in Jena (1931-1936) 245

sich Schachermeyr durch eine objektiv wie subjektiv unwahre, wenngleich doch

stimmige Auskunft vor den Nationalsozialisten in Szene setzen wollte – ein

entsprechender Bescheid war ja tatsächlich erlassen worden. Weiters erfahren wir aus

einem späteren Personalakt, daß sich Schachermeyr im Jahr seines Wechsels nach

Heidelberg 1936 sehr wohl nach Österreich – nach eigenen Angaben nach Linz und

nicht nach Innsbruck – begab1339, um sich seiner Ausbürgerung, die er als

ungerechtfertigt ansah1340, anzunehmen. Dort in Linz traf er den damaligen

Polizeidirektor Dr. Viktor Bentz (1893-1938)1341, einen „Bekannten meiner

Familie“1342, der sich bereit erklärte, die Löschung von Schachermeyrs Ausbürgerung

zu veranlassen, von der er den Bescheid zuvor im Jahr 1934 eigenhändig

unterschrieben hatte. Schachermeyr dazu: „Wenn ich mich nicht irre, so habe ich

nachher auch noch ein diesbezügliches Schreiben über den Vollzug der Löschung

zugesandt erhalten. Meine ursprüngliche Absicht, mich auch mit der Tiroler

1339 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 95. 1340 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 93. 1341 H. Slapnicka 1975, 285, 366; Thomas Karny, Zeit der Wirren. Der Februar 1934 – und

seine Folgen, Wiener Zeitung. Feuilleton Archiv,

http://www.wienerzeitung.at/Desktopdefault.aspx?TabID=3946&Alias=wzo&lexikon=Geschi

chte&letter=G&cob=4211 („In den nächsten Tagen [des März 1938] erhielt

[Polizeioberkommissär Dr. Josef] Hofer Nachricht von der Ermordung mehrerer Kollegen,

auch des Polizeidirektors Viktor Bentz“); vgl. auch Thomas Karny, Der Wandel nach dem

Februar ’34. Abschiede und Wiederbegnungen in einer Zeit der Wirren,

http://www.karny.at/beitraege/zeit_beitrag_02.html; Land Oberösterreich 1938,

http://www.land-oberoesterreich.gv.at/cps/rde/xchg/SID-3DCFCFC3-

90F4CCFB/ooe/hs.xsl/13784_DEU_HTML.htm; D. Ellmauer – M. John – R. Thumser 2004,

259. Schachermeyr nennt ihn den „Polizeipräsidenten Dr. Benz“ (AdR, PA Fritz

Schachermeyr, fol. 95). 1342 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 95.

Professor in Jena (1931-1936) 246

Landesregierung wieder in Verbindung zu setzen, habe ich, als nunmehr unnötig,

wiederum fallen lassen.“1343

Offenbar hat Schachermeyr die Löschung seiner Ausbürgerung durch diesen

Freundschaftsdienst des Dr. Bentz auch wirklich erreicht, denn vor seiner Berufung

nach Wien im Jahr 1952 konnte er eine Bescheinigung vom Magistrat Innsbruck

beibringen, daß er am 13. März 1938 das Heimatrecht in Innsbruck besaß1344. In den

staatspolizeilichen Akten ist dagegen keine Löschung seiner Ausbürgerung vermerkt.

In den Listen des Innenministeriums scheint auch keine Wiedereinbürgerung oder eine

Doppelstaatsbürgerschaft auf.

Vorschlag für die Professur für Griechische Geschichte in Wien – Nachfolge

Adolf Wilhelm

Wie schon erwähnt, reiste Schachermeyr im September 1932 nach Wien, um die

Modalitäten seiner Berufung auf den Lehrstuhl von Lehmann-Haupt auszuhandeln.

Diese Gelegenheit nutzte er aber offenbar auch dazu, sich an der Wiener Universität

im Hinblick auf die Nachfolge Adolf Wilhelm in Erinnerung zu rufen, so wie ihm

Menghin geraten hatte1345. Hier hatte er mehrere längere Unterredungen mit Wilhelm

selbst, bei dem Schachermeyr augenscheinlich einen guten Eindruck hinterließ.

Gesprochen wurde auch über Schachermeyrs anstehende Berufung nach Innsbruck1346.

Gleichzeitig sagte Schachermeyr Wilhelm zu, sich für den Archäologen Arnold

Schober (1886-1959)1347 in Jena einzusetzen1348, was freilich ohne Konsequenzen

1343 AdR, PA Fritz Schachermeyr, fol. 95. 1344 Vgl. S. 425f. 1345 Vgl. A II, O. Menghin an Schachermeyr, Brief vom 4.12.1931. 1346 Vgl. S. 212. 1347 E. Diez 1988, 232f.; F. Fellner – D. A. Corradini 2006, 370; E. Wirbelauer 2006, bes.

215-217, 219.

Professor in Jena (1931-1936) 247

blieb. Wilhelm schrieb hinterher nur kryptisch von Schachermeyrs „gegenwärtigen

und künftigen Aussichten“ und weiters: „Ich bin nur neugierig, welche Aufnahme Ihre

Wünsche in unserem Ministerium finden werden, und stelle mich Ihnen, wenn Sie dies

angezeigt glauben, gerne für eine Verwendung zur Verfügung.“1349 Damals dürfte

Schachermeyr außerdem auch noch mit dem zweiten Wiener Ordinarius, Rudolf

Egger, eine Unterredung gehabt haben, und dieser dürfte ihm bereits damals die

Aufnahme seines Namens in den Vorschlag für die Nachfolge Wilhelm in Aussicht

gestellt haben1350. Außerdem war damals allem Anschein nach ein Treffen mit Franz

Miltner in Aussicht genommen1351.

Am 6. Dezember 1934 fand schließlich die entscheidende Kommissionssitzung

statt, in der über die Wiederbesetzung des nach dem Ausscheiden von Adolf Wilhelm

im Herbst 1933 vakanten Lehrstuhls beraten wurde, der das Nominalfach Griechische

Altertumskunde und Griechische Epigraphik sowie die Lehrverpflichtung Griechische

Geschichte umfaßte. Zunächst wurde der bereits im Herbst 1933 emeritierte Professor

Adolf Wilhelm um seine Meinung gebeten. Dieser gab seinen Dreiervorschlag mit

Schachermeyr, Schehl und Miltner ab1352. „Prof. Keil kann von Prof. Wilhelm aus

persönlichen Gründen nicht vorgeschlagen werden.“1353 Die Kommission legte großen

1348 A II, A. Wilhelm an Schachermeyr, Brief vom 9.10.1932; A II, A. Schober an

Schachermeyr, Brief vom 10.11.1932. 1349 A II, A. Wilhelm an Schachermeyr, Brief vom 9.10.1932. 1350 S. u. S. 248. 1351 A II, F. Miltner an Schachermeyr, Karte vom 9.9.1932. 1352 UA Wien, PA Josef Keil, fol. 42. 1353 UA Wien, PA Josef Keil, fol. 58. Mit „persönlichen Gründen“ kann gemeint sein (a)

Befangenheit gegenüber einem (Lieblings-)Schüler und/oder engen Freund; (b)

Feindschaft/Eifersucht auf einen Rivalen (Keil war ja als griechischer Epigraphiker selbst eine

Koryphäe). Da Keil nun weder ein Schüler noch ein enger Freund Wilhelms gewesen ist

(gemäß Keils Nachruf auf Wilhelm besaß dieser überhaupt „niemals einen wirklichen intimen

Freund“, J. Keil 1951, 316), kommt nur (b) in Betracht, vgl. auch L. Curtius 1950, 289f.; L.

Curtius 1958, 193f.: „[…] mit seiner hohen Fistelstimme beklagte sich der kleine Mann […]

Professor in Jena (1931-1936) 248

Wert darauf, „eine Persönlichkeit zu gewinnen, welche über Lehrerfahrung verfügt

und, um nach Möglichkeit die 50 Jahre alte bewährte Tradition aufrecht zu erhalten,

ausserdem die schwierige Materie der griechischen Epigraphik beherrscht“1354. In der

darauffolgenden Diskussion wurde darüber beraten, ob Schachermeyr in Anbetracht

seiner eindeutigen politischen Ausrichtung1355 überhaupt in den Vorschlag

aufgenommen werden solle. Weiters wurde bemängelt, daß dieser „der griechischen

Epigraphik ferne steht“, jedoch wurde ihm zugestanden, daß er als Lehrer „von allen

[sic] Anfang an Erfolg gehabt“ habe1356. Wie von Menghin vorhergesagt, erwies sich

Egger als ein treuer Freund von Josef Keil und sprach sich eindeutig für diesen aus:

„Keil ist das Optimum. Die Persönlichkeit Schachermeyrs müßte noch ausführlicher

charakterisiert werden.“1357 In einem am darauffolgenden Tag abgeschickten Brief an

Schachermeyr formulierte Egger demgegenüber: „Indessen schicke ich Ihnen viele

Grüße und freue mich, dass der Vorschlag so geworden ist, wie ich es Ihnen anlässlich

Ihres letzten Besuches gesagt habe“1358. Nach der Abstimmung mit sieben Stimmen

für Schachermeyrs Aufnahme, drei dagegen und einer Enthaltung kamen die

Kommissionsmitglieder, der als Vorsitzender und Dekan fungierende germanistische

Sprach- und Literaturwissenschaftler Dietrich (Ritter von Meyrswalden) Kralik (1884-

unaufhörlich über ihm widerfahrene Unbill und Kränkung, was aber kein Mensch ernst

nahm.“ Dazu stimmt, daß Adolf Wilhelm die Wahl Josef Keils in die Akademie bei keinem

der beiden Wahlgänge unterstützt hat (s. M. Pesditschek 2009b, im Druck) und Josef Keil in

seinem Nachruf auf Wilhelm diesen – bei aller Noblesse in der Form – de facto als

ehrgeizzerfressenen, bindungsunfähigen, zutiefst unglücklichen und friedlosen, also in seinen

Augen ganz unverträglichen Menschen porträtiert hat. 1354 UA Wien, PA Josef Keil, fol. 42. 1355 UA Wien, PA Josef Keil, fol. 58: „Kretschmer bedauert, daß Schachermaier [sic] aus

bestimmten Gründen nicht in Betracht komme“; vgl. M. Pesditschek 1996, 136f. 1356 UA Wien, PA Josef Keil, fol. 44. 1357 UA Wien, PA Josef Keil, fol. 64. 1358 A II, R. Egger an Schachermeyr, Brief vom 7.12.1934.

Professor in Jena (1931-1936) 249

1959)1359, der Historiker Alfons Dopsch (1868-1953)1360, der Mineraloge Alfred

Himmelbauer (1884-1943)1361, der Historiker Hans Hirsch (1878-1940)1362, der

Indogermanist Paul Kretschmer, der Pädagoge und Philologe Richard Meister (1881-

1964)1363, die Altphilologen Johannes Mewaldt (1880-1964)1364 und Karl Mras (1877-

1962)1365, der Archäologe Camillo Praschniker, der Altphilologe Ludwig (Martin)

1359 E. Bruckmüller 2004, II, 236; F. Czeike 3, 1994, 589; DBE 6, 1997, 67f.; H. Giebisch –

G. Gugitz 1964, 211; W. Kosch 1933, 2317f.; I. Ranzmaier 2005, bes. 77-92; M. Schierling

1980, 666f.; R. Teichl 1951, 159; P. Wiesinger – D. Steinbach 2001, 83-86. 1360 E. Bruckmüller 2004, I, 280; O. Brunner 1959, 77; T. Buchner 2008, 155-190; F. Czeike

2, 1993, 80; DBE 2, 1995, 597; J. Demade 2007, bes. 180 mit Lit.; F. Fellner – D. A.

Corradini 2006, 97; F. Jaksch 1929, 52; R. A. Müller 2002, 76; R. Teichl 1951, 47; H.

Vollrath 1980, 39-54; W. Weber 1984, 109f.; H. Zatschek 1957, 160-170. 1361 E. Bruckmüller 2004, II, 64; F. Czeike 3, 1994, 198f.; DBE 5, 1997, 49; F. K. L.

Machatschki 1972, 171. 1362 E. Bruckmüller 2004, II, 66f.; F. Czeike 3, 1994, 196; DBE 5, 1997, 61; F. Fellner – D. A.

Corradini 2006, 187; W. Hartkopf 1992, 153; KGL 1926, 761f.; KGL 1950, 2394; W. Kosch

1933, 1608; ÖBL 2, 329f.; F. Planer 1929, 253; A. H. Zajic 2008a, 307-417; A. Zajic 2008b,

244-246; H. Zatschek 1972, 214f. 1363 E. Bruckmüller 2004, II, 395; F. Czeike 4, 1995, 237; DBE 7, 1998, 47; J. Derbolav 1981,

2-23; A. Eder 1990, 728f.; F. Fellner – D. A. Corradini 2006, 277f.; F. Jaksch 1929, 174; F.

Kainz 1964, 267-311; KGL 1925, 654f.; KGL 1966, 2820; F. Planer 1929, 412f.; F. Römer –

H. Schwabl 2003, 99; R. Teichl 1951, 197. 1364 I. Auerbach 1979, 568; DBE 7, 1998, 96; W. Hartkopf 1992, 240; H. Hunger 1964, 261-

266; H. Hunger 1964, 524-526; KGL 1925, 663f.; KGL 1970, 3424; F. Römer – H. Schwabl

2003, 98; R. Teichl 1951, 200. 1365 DBE 7, 1998, 237; R. Hanslik 1963, 107-110; W. Hartkopf 1992, 250f.; KGL 1925, 687;

KGL 1966, 2820; R. Meister 1962, 356-367; F. Römer – H. Schwabl 2003, 98f.; R. Teichl

1951, 206; W. Unte 1997, 247f.; C. Wegeler 1996, bes. 380. Mras hatte 1938 seine Professur

verloren und konnte nach dem Krieg wieder an die Universität Wien zurückkehren.

Professor in Jena (1931-1936) 250

Radermacher (1867-1952)1366, der Historiker Heinrich v. Srbik (1878-1951)1367 und

Rudolf Egger, zum Entschluß, Josef Keil und Fritz Schachermeyr, damals „Ordinarius

für alte [sic] Geschichte und Dekan der philos[ophischen, sic] Fakultät in Jena“1368,

gemeinsam primo et aequo loco vorzuschlagen. Gleichzeitig wurde jedoch betont, daß

Keil eindeutig der Vorzug zu geben sei. An zweiter Stelle wurde Franz Schehl, im Juli

desselben Jahres für die Position eines wirklichen Extraordinarius an der Universität

Graz vorgeschlagener Dozent ebenda, und an dritter Franz Miltner, Extraordinarius in

Innsbruck, genannt. Diesem Vorschlag folgte dann das Professorenkollegium der

Philosophischen Fakultät1369.

Die Philosophische Fakultät legte größten Wert darauf, Keil zu gewinnen, doch

schien dessen Berufung zunächst unmöglich, weil das Ordinariat Wilhelm nur ad

personam verliehen worden und die zu besetzende Stelle nunmehr aus finanziellen

Gründen in ein Extraordinariat zurückzuverwandeln war – und diese außerordentliche

Professur meinte man Keil nicht anbieten zu können. Noch im Mai 1935 teilte Oswald

Menghin Schachermeyr mit, „daß die Bemühungen, Keil zu erhalten[,] fortgehen. Da

aber das Ministerium nur ein Extraordinariat hergeben will und Keil nur auf ein

Ord[inariat] gehen kann, so ist die Frage noch offen und die Berufung Keil [sic] kann

1366 DBE 8, 1998, 116; KGL 1925, 801; KGL 1954, 2723; R. Teichl 1951, 242; O. Wenig

1968, 235; K.-G. Wesseling 1994, 1226-1228. 1367 E. Bruckmüller 2004, III, 245; M. Derndarsky 1994, 153-176; B. Faulenbach 2002, 314-

316; F. Fellner – D. A. Corradini 2006, 385f.; G. Franz 1981, bes. 108f.; G. Franz 1995,

2718f.; E. Kienast 1938, 413f.; KGL 1925, 999; KGL 1954, 2730; H. Matis 1997, 14-18 mit

weiterer Lit.; F. Planer 1929, 592; G. von Selle 1953, Nr. 309; E. Stockhorst 2000, 370; R.

Teichl 1951, 290. 1368 UA Wien, PA Josef Keil, fol. 44. Der Bericht ist einem mit 28. Dezember 1934 datierten

Brief an das Bundesministerium für Unterricht beigelegt (UA Wien, PA Josef Keil, fol. 60).

Zu Schachermeyrs Wirken als Dekan in Jena s. u. S. 251-258. 1369 UA Wien, PA Josef Keil, fol. 60; auch A II, R. Egger an Schachermeyr, Brief vom

17.12.1934, wo es heißt: „Mag werden, was will, Sie mögen es als Zeichen unseres guten

Willens auffassen.“

Professor in Jena (1931-1936) 251

leicht scheitern. Der betreffende Herr scheint überhaupt der Ansicht zu sein, daß Ihre

Berufung die richtige Lösung wäre, und sich nur mit Rücksicht auf die alten Zusagen

an Keil zurückzuhalten. Wenn diese Sache aber vorüber ist, wird er sich ganz für Sie

verwenden. Auf mich können Sie natürlich auch rechnen.“1370 Die Möglichkeit, für

Wilhelms Fächer in Wien ein Ordinariat zu widmen, ergab sich aber dann doch, als der

Grazer ordentliche Professor Wilhelm Ensslin ins Ausland nach Erlangen gegangen

war, jetzt konnte und sollte Schehl als bloßer Extraordinarius die entstandene Lücke in

Graz ausfüllen, und Keils Ernennung zum ordentlichen Professor der Griechischen

Geschichte, Epigraphik und Altertumskunde in Wien konnte schließlich doch noch am

30. September 1936 erfolgen1371.

Schachermeyr wäre zwar durchaus nicht abgeneigt gewesen, Jena zu verlassen

und als Nachfolger Wilhelms nach Wien zu gehen – so schrieb er auf der Rückreise

aus Syrien1372 am 2. April 1935 tröstend an seine Frau: „Größte Erbitterung über die

Dir erfahrene Ablehnung1373. Nun wenn ich den Ruf nach W[ien] erhalte, ich nehme

an!!!“1374 – doch blieb ihm eine Rückkehr nach Österreich ein weiteres Mal verwehrt,

schließlich war Keil ja doch Schüler des Wiener Archäologisch-Epigraphischen

Seminars gewesen, und Schachermeyr hatte sich damals schon eindeutig als

Nationalsozialist profiliert1375.

1370 A II, O. Menghin an Schachermeyr, Brief vom 5.5.1935. 1371 UA Wien, PA Josef Keil, fol. 51, 57; M. Pesditschek 1996, 113. 1372 Siehe S. 238-240. 1373 Vermutlich Anspielung auf eine Kränkung seiner Frau durch das „hochnäsige“ Jenenser

professorale Establishment. 1374 A II, F. Schachermeyr an G. Schachermeyr, Brief vom 2.4.1935. 1375 Schachermeyr hatte zu dieser Zeit schon einige Schriften in nationalsozialistischem Sinn

veröffentlicht. Vgl. u. S. 260-263.

Professor in Jena (1931-1936) 252

Dekan im Nationalsozialismus

Wie schon aus dem soeben erwähnten Bericht der Wiener Berufungskommission

vom Dezember 1934 hervorgeht1376, fungierte Schachermeyr also bereits im

Wintersemester 1934/35 als Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Jena.

Er ist dann insgesamt zwei Perioden lang, vom 1. Oktober 1934 bis 31. März 19361377,

in dieser Funktion tätig gewesen, und zwar zu einem Gutteil der Zeit unter dem

nationalsozialistischen Rektor Wolf Meyer-Erlach (1891-1982)1378.

1376 Vgl. UA PA Josef Keil, fol. 42; s. auch o. S. 250. 1377 UA Heidelberg, PA 5599; Thüringische Landesuniversität Jena. Vorlesungsverzeichnis

Winterhalbjahr 1934/35, 22. Oktober bis 28. Februar, 4; Thüringische Landesuniversität Jena.

Vorlesungsverzeichnis Sommerhalbjahr 1935, 1. April bis 29. Juni, 7; Thüringische

Landesuniversität Jena. Personal- und Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1935/36, 1.

November bis 22. Februar und Sommersemester 1936, 1. April bis 30. Juni, 6; vgl. dazu auch

Karl-Franzens-Universität Graz, Universitätsführer, Vorlesungsverzeichnis und Wegweiser

der Deutschen Studentenschaft für das Sommersemester 1941, 11; für das Winter-Semester

1941/42, 11 oder Karl-Franzens-Universität Graz, Vorlesungsverzeichnis und

Universitätsführer für das Sommersemester 1942, 77; für das Winter-Semester 1943/44, 81.

Am 24. Juli 1935 bekam Schachermeyr offenbar seine zweite Ernennung zum Dekan der

Philosophischen Fakultät überreicht (vgl. W. Schumann 1958, 621); vgl. auch A. Chaniotis –

U. Thaler 2006, 403; B. Näf 1994, 93. Übrigens saß Schachermeyr schon vor seiner

Ernennung zum Dekan im Pädagogischen Ausschuß der Universität und als Wahlsenator im

Akademischen Senat (375 Jahre Universität Jena 1558-1933. Vorlesungen Winter 1933/34.

Thüringische Landesuniversität Jena. Vorlesungsverzeichnis Winterhalbjahr 1933/34, 16.

Oktober bis 28. Februar, 2f.; Thüringische Landesuniversität Jena. Vorlesungsverzeichnis

Sommerhalbjahr 1934, 30. April bis 31. Juli, 4; UA Heidelberg, PA 5599; vgl. auch A.

Chaniotis – U. Thaler 2006, 403). 1378 M. Grüttner 2004, 120; J. Hendel u. a. 2007, passim; S. Heschel 2007, passim; H.

Junginger 2008c, 80; E. Klee 2003, 409; E. Stockhorst 2000, 294.

Professor in Jena (1931-1936) 253

Meyer-Erlach wurde 1935, ohne jemals eine wissenschaftliche Arbeit vorgelegt

und ohne einen akademischen Grad erworben zu haben, an die Universität Jena

berufen, und seine Ernennung zum Rektor erfolgte, obwohl er selbst nur acht Stimmen

und zugleich der Physiker Abraham Esau 108 Stimmen von Mitgliedern des

Lehrkörpers erhalten hatte. Dieser war bereits seit 1932 Rektor gewesen und hatte

seinerseits „maßgeblichen Anteil an dieser Integration der Jenaer Universität in das

faschistische Herrschaftssystem“1379 gehabt. Schon 1933 hatte ein preußischer

Ministerialerlaß den Hochschulen das Recht entzogen, ihre Rektoren selbst zu wählen,

das „Führer“-Prinzip1380 wurde in Jena am 6. November 1933 eingeführt. Die Senate

waren ab diesem Zeitpunkt nur mehr Beratungsgremien. Dem Rektor waren die Leiter

der Dozentenschaft und der Studentenschaft unterstellt. „Die Person Meyer-Erlachs

sicherte der Universität in der nun beginnenden entscheidenden Periode der restlosen

Faschisierung der Universität einen Rektor, der alles einzusetzen gewillt war, um die

Universität in kürzester Frist so zu gestalten, wie es die Führer der Nazipartei in

Thüringen, mit Sauckel1381 an der Spitze, verlangten.“1382 Die Wahl der Rektoren,

Dekane und Senatoren fiel in der Regel auf Professoren, die seit langem der Partei

angehörten oder sich doch wenigstens schon früh mit deren Zielen identifiziert

1379 J. John 1983, 289. 1380 J. John 1983, 289; vgl. M. H. Kater 1985, 470. 1381 Gemeint ist Gauleiter und Reichsstatthalter Fritz Ernst Christoph Sauckel (1894-1946),

der als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde und bereits im August 1932 noch als

Ministerpräsident an die Spitze Thüringens trat (vgl. dazu auch G. Mai – D. Heiden 1995, 9).

Bereits 1934 erschien Sauckels Kampf und Sieg in Thüringen. Im Geiste des Führers und in

treuer Kameradschaft gewidmet den thüringischen Vorkämpfern des nationalsozialistischen

3. Reiches. Zum Gauparteitag 1934, Weimar 1934. Vgl. P. W. Becker 1999, 236-245; DBE 8,

1998, 525; J. Hendel u. a. 2007, passim; K. Höffkes 1986, 281-283; E. Klee 2003, 520; M.

Rademacher 2000, 278; E. Rimmele 2002b, 395; E. Stockhorst 2000, 357. 1382 W. Schumann 1958, 621.

Professor in Jena (1931-1936) 254

hatten1383. Der Dekan wurde Führer der Fakultät, er bestimmte die Kommissionen und

Berichterstatter der Fakultät und war dabei nur verpflichtet, „Vertreter der

Dozentenschaft mitheranzuziehen. Der Rektor besaß eine Schlüsselstellung bei der

Ernennung der Dekane.“1384 Es versteht sich von selbst, daß von diesen Dekanen im

Nationalsozialismus höchste Parteilichkeit erwartet wurde. Schon die Betrauung mit

dem Amt des Dekans allein läßt also vermuten, daß sich Schachermeyr nicht nur mit

den Machthabern arrangiert hat. Gemäß der von Ernst Nolte1385 erstellten Typologie

des Verhaltens der Hochschullehrer unter dem Nationalsozialismus haben sich

etablierte Professoren im Normalfall (d. h. mit Ausnahme „der wenigen Überzeugten“)

mit dem System aber eben lediglich arrangiert und es nur jüngere aufstrebende

Wissenschaftler für nötig befunden, sich aktiv zu engagieren. Zumindest nominell

auch schon Ordinarius, hat sich Schachermeyr also aus welchen Gründen auch immer

nicht wie die überwiegende Mehrheit der schon in sicherer Position befindlichen

Professorenkollegen verhalten und an der Universität Jena vor allem in den Jahren

1934-1936 als Dekan, akademischer Lehrer und Forscher gleichermaßen höchste

Parteilichkeit an den Tag gelegt: Als Dekan mit dem Gehaben eines „aktive{n}

Nazi“1386 behauptete er in seinem Gutachten vom Jänner 1936 über Friedrich (Richard)

Schneider (1887-1962)1387, „daß ihm ‚noch so manche Anschauung und Auffassung

des alten Deutschnationalen’ anhafteten. Der alte Deutschnationale“, so mutmaßt

Matthias Steinbach, „– das war in den Augen eines Mannes wie Schachermeyr nicht

nur der um Monarchie und Bismarckreich, um Hindenburg zudem Trauernde, sondern

auch der Anhänger der Naumannschen Idee vom sozialen Kaisertum, der im Jenaer

1383 H. Seier 1964, 108. 1384 H. Seier 1964, 145; vgl. dazu auch M. H. Kater 1981, 50. 1385 E. Nolte 1977, bes. 144-150; vgl. dazu M. Grüttner 2002, 339-353; M. H. Kater 1981, 55;

V. Losemann 1980, 77f.; V. Losemann 1995, 69; B. Näf 1994, 93; S. P. Remy 2007, 42; M.

Steinbach 2001, 222f.; auch E. Maschke 1969, 104f. 1386 W. Behringer 1999, 237. 1387 Hb. dt. Wiss., 1311; Reichshandbuch, 1677f.; M. Steinbach 2003, 943-966.

Professor in Jena (1931-1936) 255

West- und Landgrafenviertel wohnende Bildungsbürger, der den Arm zum Hitlerguß

nur unwillig heben und das Horst-Wessel-Lied nicht singen mochte.“1388 Der

wichtigste Zug am „alten Deutschnationalen“ war freilich wohl der, daß er

Schachermeyr in Gestalt von Lehmann-Haupt sowie der allermeisten

Professorenkollegen in Jena zutiefst gedemütigt hatte. Im übrigen kannte

Schachermeyr nicht nur gegenüber der „Reaktion“, sondern auch gegenüber der

„Rotfront“ keinen Pardon. Schon am 13. Dezember 1934 faßte Schachermeyr als

Dekan der Philosophischen Fakultät den Beschluß, dem bereits 1933 entlassenen1389

Entwicklungsbiologen Julius (Christoph) Schaxel (1887-1943)1390, der zunächst in die

Schweiz ausgewandert und dann 1934 in die Sowjetunion gegangen war, wo ihm an

der Akademie der Wissenschaften ein Posten angeboten worden war, seine am 1. Juli

1909 erworbene Doktor-Würde abzuerkennen, da sich dieser als Marxist „gegen die

biologisch gegründete [sic] nationalsozialistische Weltanschauung“ wandte1391.

1388 M. Steinbach 2003, 948; M. Steinbach 2004, 73. 1389 W. Gerstengarbe 1994, 31. 1390 DBE 8, 1998, 578; D. Fricke 1988, 45-54; J. Hendel u. a. 2007, 37f., 41, 151-157, 193-

195; U. Hoßfeld – O. Breidbach 2007, bes. 1186, 1190; H. Penzlin 1984, 812-814; H. Penzlin

1988, 19-44; R. Stolz 1988, 9-18; H. A. Strauss – W. Röder 1983, 1026. 1391 U. Hoßfeld 2003, 553; vgl. auch J. John 1983, 285, 287f.; H. Penzlin 1988, 39. Nach dem

Krieg wurde Schaxel postum rehabilitiert und der Beschluß am 20.8.1945 aufgehoben (U.

Hoßfeld 2003, 574 Anm. 287; vgl. auch U. Hoßfeld 2007, 1077-1079). Als Linksaktivist hatte

er Vorträge vor sozialistischen Studenten gehalten. „Dort führte er aus: ‚Jedes Wort der

rassistischen Forderung ist faktischer, historischer, soziologischer, biologischer Unsinn. Den

nordischen Menschen gibt es nicht, weder in der Vergangenheit noch als Rezept, wie er

künftig zu machen wäre. Aus keinem geschichtlichen Zusammenhang erhellt, daß eine

‚rassisch’ umschriebene Gruppe für die Größe irgendwelcher Völker irgendwie

verantwortlich wäre. Ebensowenig kann von der Führung einer solchen eingebildeten oder

fälschlich herausgeschälten Gruppe die Rede sein. Schließlich ist die Rasse überhaupt kein

Begriff, mit dem für den Menschen theoretisch und praktisch etwas anzufangen ist’.“

Vielmehr setzte sich Schaxel für die Bildung „der proletarischen Massen“ ein, damit „ihre

Professor in Jena (1931-1936) 256

Angesichts der Tatsache, daß die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, die

für Schaxel fachzuständig gewesen wäre, inzwischen aus der gemeinsamen

Philosophischen herausgelöst worden war1392, wäre es für Schachermeyr sicher ein

leichtes gewesen, sich für nicht zuständig zu erklären, doch mußte ein marxistischer

Antirassist auf ihn damals wohl in jeder Hinsicht wie ein rotes Tuch gewirkt haben1393.

Ebenfalls im Dezember 1934 hatte der Kirchenrat aus dem Preußischen Ministerium

für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Eugen Mattiat (1901-1976)1394

Schachermeyr gebeten, ein Gutachten über den Berliner Dozenten Lothar Wickert

(1900-1989)1395 zu verfassen1396, wobei dieses nun wiederum augenscheinlich derart

positiv ausfiel, daß Wickert im Jahr darauf auf den Althistorischen Lehrstuhl im

preußischen Königsberg berufen werden konnte.

unerschöpflichen Möglichkeiten zur Entfaltung kommen können“ (zit. nach H. Penzlin 1988,

38f.). 1392 Vgl. U. Hoßfeld 2003, 574 Anm. 285. 1393 Daß Schachermeyr die internationalistische Linke grundsätzlich und auch noch viel später

verabscheute, scheint seine Äußerung zu zeigen, daß er nach den griechischen

Parlamentswahlen von 1981 nicht mehr nach Griechenland reisen wolle, weil damals die von

der PASOK (= Panhellenische Sozialistische Bewegung / Panellinio Sosialistiko Kinima)

angeführte Linke die Stimmenmehrheit erringen konnte (vgl. Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz

Schachermeyr, Kt. 1, Lebenslauf. Zweiter Nachtrag 1982, fol. 3f.); doch vgl. vielmehr u. S.

623f., 626f. 1394 M. Grüttner 2004, 115; H. Junginger 2008c, 61f.; E. Klee 2003, 395; KGL 1940/41, 2,

140. 1395 K. Christ 2006, 25, 112f.; A. Demandt 1979, 91; A. Demandt 1992, bes. 199; Hb. dt.

Wiss., 1428; H. Kloft 1990, 475-478; V. Losemann 1977, bes. 209 Anm. 30; R. Steimel 1958,

436; W. Weber 1984, 658; E. Wirbelauer 2006, bes. 167 Anm. 161. 1396 A II, E. Mattiat an Schachermeyr, Brief vom 20.12.1934.

Professor in Jena (1931-1936) 257

Als Dekan rekrutierte Schachermeyr Teilnehmer für NS-Dozenten-Lager, so

versuchte er den Archäologen Emil Kunze (1901-1994)1397 zu gewinnen, dessen

Habilitation jedoch zu diesem Zeitpunkt noch im Laufen war und der ihn deshalb auf

den Sommer vertröstete1398. Als Dekan unterzeichnete Schachermeyr die

Habilitationsurkunde1399 des Historikers Ulrich Crämer (1907-1992)1400 und

befürwortete die Erteilung eines Lehrauftrages an diesen ab Sommersemester 1935

gegen den Wunsch der Fakultät1401. Crämer mußte dann 1945 die Universität München

verlassen und fristete seit November 1950 auf Basis von Werkverträgen als

Fachredakteur für Mittlere und Neuere Geschichte bei F. A. Brockhaus in Wiesbaden

sein Leben. Als dieser später in Pension gehen wollte, bat er Schachermeyr um

Bestätigung seiner Dienstzeiten an der Jenenser Universität, damit ihm diese Zeiten für

seine Rente angerechnet werden könnten1402. Ob Schachermeyr dieser Bitte nachkam,

läßt sich nicht entscheiden, es ist weder ein Dankschreiben noch eine

Empfangsbestätigung erhalten. Daß sich Schachermeyr an Crämer erinnern konnte, ist

wohl anzunehmen, denn als „nationalsozialistische[r] Dekan der Philosophischen

Fakultät“ hatte er am 26. Februar 1936 auch noch ein Gutachten des Inhalts gefertigt,

„daß Crämer ‚alter Kämpfer und mit Erfolg für den Neuaufbau eines

nationalsozialistischen Geschichtsbildes tätig’ ist“1403. Auch in einem Bericht zur

Nachbesetzung der Jenenser Professur für Neuere Geschichte war Crämer neben Willy

1397 I. Auerbach 1979, 555; DBE 6, 1997, 173; EEE 5, 1986, 69; Hb. dt. Wiss., 1108; KGL

1940/41, I, 1035; KGL 1996, 1663. 1398 A II, E. Kunze an Schachermeyr, Brief vom 2.12.1935. 1399 Die Urkunde trägt das Datum vom 17. November 1934 (A I, U. Crämer an Schachermeyr,

Brief vom 15.8.1971); vgl. K. Jedlitschka 2006b, 69f. 1400 H. Gottwald 2003, bes. 915f.; K. Jedlitschka 2006a, 299-344; K. Jedlitschka 2006b; W.

Schulze 1989, bes. 316; W. Weber 1984, 95. 1401 K. Jedlitschka 2006b, 70. 1402 A I, U. Crämer an Schachermeyr, Brief vom 15.8.1971. 1403 H. Gottwald 2003, 916, 937 Anm. 17.

Professor in Jena (1931-1936) 258

(Ludwig) Andreas (1884-1967)1404 und Erich Botzenhardt (1901-1956)1405 von

Schachermeyr vorgeschlagen worden1406.

Als Dekan stellte Schachermeyr schließlich in einer Rede anläßlich einer

Preisverleihung im Juni 1935 seine nationalsozialistische Gesinnung außer Zweifel:

„‚An die Stelle der alten Wertungen des Allgemein [sic] Menschlichen und seiner

Untergliederung, des Staates, habe der Nationalsozialismus die neuen Wertmaßstäbe

Rasse und (als deren Untergliederung) Volk gesetzt.’ Als neue Aufgabe der

Philosophischen Fakultät bezeichnete es Schachermeyr, ‚von der Gemeinde des

Nordischen aus die einzelnen Kulturentwicklungen und Kulturbereiche neu zu

beleuchten.’“1407

Dementsprechend sah auch sein Vorlesungsprogramm aus: „Fritz Schachermeyr

erläuterte in zahlreichen Vorlesungen seine Vorstellungen von nordischem Führertum

und der Rassentheorie“1408 bereits in Jena, wo er seit dem Sommersemester 1934 den

folgenden fünfteiligen Vorlesungszyklus1409 abhielt: „Geschichte der nordisch-

indogermanischen Völker im Altertum I: Der alte [sic] Orient mit besonderer

Rücksichtnahme auf Hethiter und Perser“1410, „Geschichte der nordisch-

indogermanischen Völker im Altertum II: Die Zeit der kretisch-mykenischen Kultur

1404 I. Auerbach 1979, 461f.; DBE 1, 1995, 132; D. Drüll 1986, 3f.; G. Franz 1995, 106f.; W.

Hartkopf 1992, 8; Hb. dt. Wiss., 801; J. Lerchenmueller 2001, 42; Reichshandbuch, 26; W.

Schulze 1989, bes. 313; W. Weber 1984, 8f.; E. Wirbelauer – B. Marthaler 2006, 888f. 1405 R. P. Ericksen 1998, bes. 440-449; E. Klee 2003, 67. 1406 H. Gottwald 2003, 916. 1407 Jenaische Zeitung 19.6.1935 zit. nach H. Gottwald 2003, 931; vgl. auch W. Schumann

1958, 641, der zusätzlich „UAJ, Best. BB, Nr. 46 [o. P]“ zitiert (616 Anm. 145). 1408 M. Willing 2000, 248. 1409 Vgl. auch V. Losemann 2001, 738; B. Näf 1994, 94; S. Rebenich 2005, 56. 1410 Thüringische Landesuniversität Jena. Vorlesungsverzeichnis Sommerhalbjahr 1934, 30.

April bis 31. Juli, 49f.

Professor in Jena (1931-1936) 259

und das archaische Griechentum“1411, „Geschichte der nordisch-indogermanischen

Völker im Altertum III: Griechische Geschichte während der Tyrannis und der

Perserkriege“1412, „Geschichte der nordisch-indogermanischen Völker im Altertum IV:

Griechische Geschichte von Perikles bis Alexander“1413, „Geschichte der nordisch-

indogermanischen Völker im Altertum V: Griechische Geschichte seit Alexander“1414.

Schon vorher hatte er ein dem Zeitgeist entsprechendes „Seminar für alte [sic]

Geschichte: Die Schlacht im Teutoburgerwalde“1415 veranstaltet. Im Sommersemester

1936 kündigte er dann noch das „Seminar für Alte Geschichte: Römer und

Karthager“1416 an. Dieses Thema fand später im Aufsatz Karthago in

rassengeschichtlicher Betrachtung1417 seinen Niederschlag. Schachermeyr setzte

dieses Programm dann auch in Heidelberg1418 und Graz1419 fort. Sein Seminar zur

1411 Thüringische Landesuniversität Jena. Vorlesungsverzeichnis Winterhalbjahr 1934/35, 22.

Oktober bis 28. Februar, 49. 1412 Thüringische Landesuniversität Jena. Vorlesungsverzeichnis Sommerhalbjahr 1935, 1.

April bis 29. Juni, 46. 1413 Thüringische Landesuniversität Jena. Personal- und Vorlesungsverzeichnis

Wintersemester 1935/36, 1. November bis 22. Februar und Sommersemester 1936, 1. April

bis 30. Juni, 46. 1414 Thüringische Landesuniversität Jena. Personal- und Vorlesungsverzeichnis

Wintersemester 1935/36, 1. November bis 22. Februar und Sommersemester 1936, 1. April

bis 30. Juni, 74. 1415 375 Jahre Universität Jena 1558-1933. Vorlesungen Winter 1933/34. Thüringische

Landesuniversität Jena. Vorlesungsverzeichnis Winterhalbjahr 1933/34, 16. Oktober bis 28.

Februar, 34. 1416 Thüringische Landesuniversität Jena. Personal- und Vorlesungsverzeichnis

Wintersemester 1935/36, 1. November bis 22. Februar und Sommersemester 1936, 1. April

bis 30. Juni, 74. 1417 F. Schachermeyr 1943b, 9-43. 1418 Vgl. S. 281f. 1419 Vgl. S. 325f.

Professor in Jena (1931-1936) 260

„Dorischen Wanderung“1420, das „mit einem großartigen Seminarkostümfest

abschloß“1421, besuchte damals auch Gotthold Rhode (1916-1990)1422, der spätere

Mainzer Professor für Osteuropäische Geschichte und Mittlere und Neuere

Geschichte.

Was nun Schachermeyrs damalige Forschungstätigkeit anlangt, so bezeichnete er

„in der wohl anfangs 1935 ausgefüllten Personalakte […] als sein besonderes

Forschungsgebiet die ‘Gesch[ichte] d[es] Altertums mit besonderer Berücksichtigung

der Beziehungen zur Vorgeschichte, zu Rassenkunde u[nd] Kulturpolitik’ […]“. Das

paßte gut zu seiner Angabe „unter der Sparte ‘Politische Betätigung’ […]:

‘Mitbegründer des nat[ional]soz[ialistischen] Kampfringes der Deutschösterreicher im

Reich (zeitweise Gauführer im Gaue Thüringen). Kulturpolitisch im Sinne der

nat[ional]soz[ialistischen] Bewegung durch Vorträge und Veröffentlichungen

tätig.’“1423

1420 Thüringische Landesuniversität Jena. Personal- und Vorlesungsverzeichnis

Wintersemester 1935/36, 1. November bis 22. Februar und Sommersemester 1936, 1. April

bis 30. Juni, 46. 1421 Archiv der ÖAW, Nachlaß Fritz Schachermeyr, Kt. 3, G. Rhode an Schachermeyr, Brief

vom 8.1.1985. 1422 I. Auerbach 1979, 591; K. Fuchs 1999, 1358-1369; W. Weber 1984, 474f. 1423 B. Näf 1994, 94; vgl. auch UA Heidelberg, PA 5599; UA Jena, Bestand D, Nr. 2474

(unpag.) zit. nach H. Gottwald 2003, 930; V. Losemann 1980, 63. H. A. L. Degener 1935,

1361 nennt als Schachermeyrs Spezialgebiet „Gesch[ichte] d[es] Altert[ums], bes[onders]

dess[en] Frühz[eit]; Kult[ur]- u[nd] Rassentheor[ie]“; auch KGL 1940/41, 2, 549 führt als

Schachermeyrs Forschungsschwerpunkt während seiner nunmehrigen Professur in Graz

„Geschichte der Mittelmeerländer (einschließlich Vorderasien) im Altertum unter

Berücksichtigung von Geschichtsbiologie und geschichtlicher Rassenkunde“ an. In KGL

1931, 2502 und KGL 1935, 1171 fehlt der Zusatz „unter Berücksichtigung von

Geschichtsbiologie und geschichtlicher Rassenkunde“ noch. Vgl. dazu auch V. Losemann

1977, 206 Anm. 4. S. Rebenich 2005, 62 hält fest, daß Schachermeyr „auf dem Fragebogen,

den auszufüllen das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933

Professor in Jena (1931-1936) 261

„Als einer der ersten Althistoriker war er mit besonderem Elan darum bemüht,

Verbindungen zwischen der Alten Geschichte und der nationalsozialistischen

Rasenlehre herzustellen“1424: Schon 1933 erfolgte die Publikation der ersten von

Schachermeyr in eindeutig nationalsozialistischem Geist verfaßten Schriften: Die

nordische Führerpersönlichkeit1425 erschien bereits wenige Wochen nach der

nationalsozialistischen Machtübernahme am 30. Jänner 1933 im Völkischen

Beobachter vom 13. April 1933. Hier schreibt er von den Deutschen „als den

gegenwärtig wohl reinsten Vertretern nordischer Gesinnung und Art unter den

abendländischen Nationen“, die einer „arische[n] Führerpersönlichkeit“ bedürfen. Zu

lesen ist weiters, daß es „der Persönlichkeit Adolf Hitler zu danken ist und der

deutschen Jugend“, daß „dieser Anschlag auf das deutsche Leben“ – gemeint ist die

„autarke Individualisierung und [die] damit verbundene Lösung der Bindung an das

eigene Volkstum“ – „vereitelt wurde“1426. Als eine Art erweiterte und speziell im

Hinblick auf die Alte Geschichte ausgearbeitete Fassung erschien gleich darauf der

Aufsatz Die nordische Führerpersönlichkeit im Altertum. Ein Baustein zur

Weltanschauung des Nationalsozialismus1427, in dem er seine direkte Bezugnahme auf

den Führer Adolf Hitler wiederholt1428. Die Aufgaben der Alten Geschichte im Rahmen

verlangte, […] freiwillig [ergänzte]: ‚Der Name Schachermeyr hat mit ‚schachern’ nichts zu

tun, vielmehr ist ‚Schacher’ das oberösterreichische Dialektwort für ‚kleiner Wald’,

‚Gehölz’’“. Ein feindseliger Laie (J. Haury 1932, 22f.) hatte seinen Namen mit Aplomb aus

dem Hebräischen hergeleitet. 1424 A. Chaniotis – U. Thaler 2006, 403; vgl. J. Wiesehöfer 2008, 213. 1425 F. Schachermeyr 1933k, 2. Beiblatt; s. auch F. Schachermeyr 1933j, 36-43; vgl. dazu F.

Bucherer 1934, 2; K. Christ 1999, 252; V. Losemann 1980, 54f.; B. Näf 1994, 94f. 1426 F. Schachermeyr 1933k, 2. Beiblatt. 1427 F. Schachermeyr 1933j, 36-43. Dazu ausführlich J. Chapoutot 2008a, 323f., 368f., 430,

433; V. Losemann 1980, 55-59; vgl. auch V. Losemann 2001, 730. 1428 F. Schachermeyr 1933j, 41 Anm. 2.

Professor in Jena (1931-1936) 262

der nordischen Weltgeschichte1429 wird noch im selben Jahr in der parteiamtlichen

Zeitschrift des NS-Lehrerbundes, in Vergangenheit und Gegenwart1430, publiziert,

wobei Schachermeyr einen Sonderdruck dieses Aufsatzes dem Hamburger

Althistoriker Erich Gustav Ludwig Ziebarth zukommen ließ, der dann dazu meinte:

„Zuerst bin ich mit Ihnen darin einig, dass [d]ie alte [sic] Geschichte alles tun muss,

um zu zeigen, dass sie die Zeichen der Zeit versteht und dass ihr wichtigstes

Wirkungsfeld, das Gymnasium, von Männern betreut wird, die mit ihrer Zeit zu gehen

entschlossen sind. In den Einzelausführungen bin ich allerdings vielfach durchaus

anderer Ansicht als Sie. So in der Beurteilung eines welthistorischen Führers[,] wie

Alexander d. Gr. doch sicher [einer] gewesen ist[,] und in der Beurteilung des

Hellenismus und überhaupt des späteren Griechentums. Dagegen haben Sie völlig

Recht [sic], dass wir Althistoriker oft die germanische Frühzeit zu flüchtig abgetan

haben.“1431

Auf diese Weise in seinem Tun grundsätzlich ermuntert, schrieb Schachermeyr

dann für die Zeitschrift Der Thüringer Erzieher1432 den schon 1934 erschienenen

Aufsatz Die neue Sinngebung der Weltgeschichte1433. Es geht dabei um die Frage,

1429 F. Schachermeyr 1933i, 589-600; vgl. dazu A. Chaniotis – U. Thaler 2006, 417; J.

Chapoutot 2008, 157, 161; J. Chapoutot 2008a, 146-148, 257, 264, 358, 418f.; K. Christ

1982, 204; K. Christ 1999, 252; H. Kloft 2001, 384 (spricht hier von Schachermeyrs

„Anbiederung bei den neuen Machthabern“); V. Losemann 1980, 56f., 59, 78f.; V. Losemann

2001, 730; B. Näf 1994, 94f.; S. Rebenich 2005, 45f.; M. Sommer 2000, 23. 1430 Vgl. dazu H. Löffler 2001, 236f. 1431 A II, E. Ziebarth an Schachermeyr, Brief vom 13.12.1933. 1432 Diese „Päd[agogische] Halbmonatsschrift des N.S.L.B. Gau Thüringen, Herausgeber:

Regierungsrat [später Staatsrat, Paul] Papenbroock [geb. 1884], Weimar“ erschien bereits seit

Jänner 1933 (Sperlings Zeitschriften- u. Zeitungs-Adreßbuch. Handbuch der deutschen

Presse. 59. Ausg., Leipzig 1935, 11); zu Oberregierungsrat Paul Papenbroock, Gauwalter des

NSLB für Thüringen, s. P. Josting 1997, 149. 1433 F. Schachermeyr 1934h, 97-99; vgl. H.-C. Harten – U. Neirich – M. Schwerendt 2006, 77,

459.

Professor in Jena (1931-1936) 263

welche „sinnerfüllte Auswahl historischer Stoffe“ (dies ist hier offenbar im

wesentlichen unter „Weltgeschichte“ zu verstehen) den „Gegenstand

geschichtsphilosophischer Erwägungen und kompendiöser Geschichtswerke“, aber

auch des „Schulunterrichtes“ bilden soll1434, wobei es nach Schachermeyr „unmöglich

[ist], Weltgeschichte als die Summe der uns bekannten historischen Tatbestände aller

Geschichtskreise aufzufassen; mangeln doch einer so weit ausgreifenden Fassung des

Begriffes die notwendigen Gemeinsamkeiten an Form und Inhalt“; in Sonderheit lehnt

er eine Beschäftigung mit der chinesischen Geschichte ab, vielmehr sei „Europa und

Vorderasien“ der Weltgeschichte „alleiniger Schauplatz, der sich erst seit der Zeit der

Entdeckungen erweitert, soferne die europäischen Völker und Mächte ihre

geschichtliche Wirksamkeit auf fernere Räume ausdehnen“1435. „Die

unglückbringende Berührung mit artfremden Elementen hat uns endlich zur Besinnung

gebracht auf das Wesen unserer eigenen Art, wie es sich allein durch die Erkenntnis

seiner blutmäßigen Bedingtheit erschließt“, und „{n}ur die nordische Rasse kann für

uns den übergeordneten Höchstwert bedeuten, und aus ihr wollen wir den Sinn

gewinnen für die neue Weltgeschichte“; damit „wird klar, was die neue Art der

Weltgeschichte eigentlich will: Sie hat zum Inhalt die Selbstverwirklichung der

nordischen Substanz in der geschichtlichen Erscheinung“1436. Dabei könne man „auch

den neuen Typus ruhig als ,Weltgeschichte‘ bezeichnen“, denn „Sumerier und

Semiten, hamitische Elemente und sich eindrängende Mongolenschwärme bleiben

weiterhin miteingeschlossen. Es ist ja das Schicksal des Nordischen, sich immer

wieder mit dem Fremdrassischen auseinandersetzen zu müssen. […] Wir wollen und

müssen unsere weltgeschichtlichen Gegenspieler so genau wie nur möglich kennen,

denn unsere künftige Selbsterhaltung hängt vielleicht davon ab“1437. Geschichte, so

1434 F. Schachermeyr 1934h, 99. 1435 F. Schachermeyr 1934h, 97. 1436 F. Schachermeyr 1934h, 98; vgl. H.-C. Harten – U. Neirich – M. Schwerendt 2006, 77

(wo übrigens nicht wortgetreu zitiert wird). 1437 F. Schachermeyr 1934h, 98.

Professor in Jena (1931-1936) 264

heißt es zusammenfassend gegen Ende des Aufsatzes, „lehrt uns die Bedeutung des

Blutes für alles menschliche Geschehen und die Pflicht, Blut gegen Blut zu erhalten;

sie lehrt uns die Liebe zum Artverwandten und den Kampf gegen das gefahrbringende

Fremde; sie verkörpert zugleich eine Antithese von unerhörter geschichtlicher

Wucht“1438.

Schachermeyr scheute auch nicht die Mühe, Minister Wilhelm Frick, der schon

am 5. April 1930 den Erlaß Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum1439

gezeichnet hatte und nach dem Weltkrieg als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde,

seine aktuellen Projekte anzukündigen. „Trat Schachermeyr gegenüber dem Minister

mit dem Anspruch auf, eine Grundlegung seines Faches auf der Basis der

nationalsozialistischen Weltanschauung einzuleiten, so nahm er gegenüber den

Kollegen diesen Reformanspruch weitgehend zurück: in einem Schreiben an den

Marburger Althistoriker Fritz Taeger1440 v. 1.12.1933 wies er darauf hin, dass die

beiden angesprochenen Abhandlungen1441 ‘auf Wunsch des Verlages geschrieben

wurden und sich nicht so sehr an die Mitforscher wie auch an die Regierungsstellen

wenden. Es wird Ihnen ja bekannt sein, dass augenblicklich massgebende Strömungen

geneigt sind, die Lehraufgabe der Alten Geschichte im dritten Reich gering zu

schätzen und u. U. daraus auch schwerwiegende Konsequenzen zu ziehen. Hier gilt es,

aufzuklären und entgegenzukommen. Letzteres fällt mir als altem Kämpfer für die

1438 F. Schachermeyr 1934h, 99. 1439 Amtsblatt des Thüringischen Ministeriums für Volksbildung, Weimar 9, 1930, Nr.

6/1930, 22. April 1930, 40f.; Mitteilungen des Kampfbundes für deutsche Kultur, München 2,

1930, Nr. 4/5, April/Mai 1930, 36-38 (mit Kommentar); s. auch M. Lücke 2004, 246f. 1440 (1894-1960); I. Auerbach 1979, 618f.; K. Christ 1977, 544-552; K. Christ 1982, bes. 225-

231; K. Christ 1999, bes. 254-268; K. Christ 2006, bes. 77-82; A. Demandt 1984, 388f.; Hb.

dt. Wiss., 1377; C. Hoffmann 1988, 274; V. Losemann 1977, bes. 209 Anm. 27; B. Näf 1986,

bes. 210-221; W. Weber 1984, 597; E. Wirbelauer – B. Marthaler 2006, 1011f.; U. Wolf

1996, bes. 204-230; Y. Wolf 2003, 219. 1441 Gemeint sind wieder F. Schachermeyr 1933i, 589-600 und F. Schachermeyr 1933j, 36-43.

Professor in Jena (1931-1936) 265

Bewegung ja nicht schwer und deshalb habe ich diese Aufgabe schließlich

übernommen’.“1442 Aus der Formulierung „mir als altem Kämpfer“ geht hervor, daß

Schachermeyr sich damals schon seit langem mit der nationalsozialistischen

Bewegung identifizierte oder dies zumindest hier vorgab, obwohl er zu diesem

Zeitpunkt noch kein Mitglied der NSDAP war. „Parteiintern galt nur das erste Drittel

als Gemeinschaft der privilegierten ‚alten Kämpfer’, während die opportunistische

Mehrheit auf manches Ressentiment traf.“1443 Jedoch dürfte Schachermeyr trotzdem

eine privilegierte Stellung genossen haben1444. Aus einem Antwortschreiben des

Prähistorikers Gero von Merhart geht hervor, daß sich Schachermeyr diesem

gegenüber offenbar in ähnlicher Weise geäußert hatte, da ihm dieser folgendes

mitteilte: „Den letzten Erguss Ihres Briefes habe ich mit großem Interesse gelesen und

mir soll es nur recht sein, wenn die N.S.D.A.P. möglichst viele solche Leute gewinnt,

die vitale Fragen der Wissenschaft mit Verstand beurteilen und auch zu Gehör bringen

können.“1445

Als Schachermeyr anscheinend auch dem späteren Innsbrucker „Anschlußrektor“

Harold Steinacker seine beiden programmatischen Schriften aus dem Jahr 1933

zugesandt hatte, bezeichnete sich dieser in dem schon erwähnten Brief vom 3.

Dezember 1933 (in dem er sich auch als Antisemit zu erkennen gab1446) als „streng

1442 Zit. nach V. Losemann 1977, 47f. bzw. V. Losemann 1980, 56f. Der Brief befindet sich

im Nachlaß von Fritz Taeger im Besitz von Familie Taeger in Marburg/Lahn (V. Losemann

1977, 206 Anm. 10); vgl. auch V. Losemann 1995, 69 und B. Näf 1994, 93. 1443 H.-U. Wehler 2003, 606. 1444 Vgl. dazu auch seinen schnellen Parteibeitritt nach Aufheben der Aufnahmesperre, S.

278-280. 1445 A II, G. v. Merhart an Schachermeyr, Brief vom 20.2.1933. Der überzeugte Katholik

Merhart ging dann übrigens einige Jahre später seiner Marburger Professur verlustig, vgl. u. a.

G. Kossack 1999, 56-76. 1446 S. o. S. 220f.

Professor in Jena (1931-1936) 266

national“, „ohne aber P[artei]G[enosse] [sc. in der NSDAP] zu sein“1447, und

präzisierte seine politischen Ansichten dann sehr offen: „Sie werden ja wohl auch

sonst Nachrichten aus Innsbruck erhalten und im Bilde sein, wie dieses System […]

auf die rechtlich denkende und deutschgesinnte Mehrheit der Bevölkerung wirkt. Sie

läßt sich nicht in dem Glauben erschüttern, dass der Anschluss früher oder später

kommen wird, weil jede andere Lösung Österreich in die wirtschaftliche Verelendung

und in die französische oder italienische Fremdherrschaft führen würde. An dem

Nationalsozialismus in Deutschland sehen wir gewisse Härten des Überganges. Aber

wann gab es eine so unblutige und geordnete Revolution? – Wir sind auch nicht ohne

Kritik gegen gewisse Mängel in der Theorie und in der Praxis des Nat[ional-

]Soz[ialismus]. Aber unser Zutrauen, dass alle diese Mängel überwunden werden,

beruht auf dem Gefühl für die weltanschauliche Grösse des führenden Mannes[.] Wir

freuen uns gerade des Österreichischen in ihm: dass er Politik mit dem Herzen macht

und nicht eine kalte Macht- und Verstandesnatur ist, wie der Romane Mussolini, – und

dass er vom volksdeutschen Gedanken ausgeht, der uns in Ö[sterreich] durch das

Auseinanderfallen von Staat und Volk erlebnismässig längst klar geworden ist,

während die grosse Masse der Reichsdeutschen ihn erst noch begreifen muss.“1448

Damals mag Schachermeyr übrigens auch noch andere Österreicher zu

missionieren versucht haben. Erhalten ist etwa ein Brief seines Du-Freundes Wilhelm

Brandenstein, der evidentermaßen aus der „Systemzeit“ stammt und in dem eine

nationalsozialistische Regierung für Österreich doch als etwas Erstrebenswerteres als

die gegenwärtige austrofaschistische Diktatur angesehen wird, offenbar hatte ihm

Schachermeyr zuvor von den Zuständen in Thüringen ein positives Bild gezeichnet.

Hier heißt es speziell: „Hier ist es trostlos. Die Nationalbibliothek kauft überhaupt

nichts mehr; ja sie bindet nicht einmal mehr die Zeitschriften! Die Regierung verbietet

den Beamten jede Kritik an ihr (bei schwerer Disziplinierung) und hat erklärt, dasz

kein Beamter sich in der NSDAP betätigen darf; es sei dies ‚Treubruch der Regierung

1447 A II, H. Steinacker an Schachermeyr, Brief vom 3.12.1933. 1448 A II, H. Steinacker an Schachermeyr, Brief vom 3.12.1933.

Professor in Jena (1931-1936) 267

gegenüber’[,] und droht mit der Entlassung usw. usw. Die werden es auch noch

billiger geben.“1449 Zu Brandensteins politischer Einstellung schreibt Manfred

Mayrhofer etwas kryptisch: „Der junge adelige Offizier, in der ersten Zeit nach der

Heimkehr noch den Traditionen seines Standes verhaftet, schloß sich bald den bisher

von der Herrschaft Ausgeschlossenen an und glaubte mit ihnen einer gerechteren,

freieren Welt entgegenzugehen“1450, was wohl darauf hinweist, daß Brandenstein ein

„Roter“ war. Möglicherweise wollte ihn Schachermeyr also für die sozialistischen

Aspekte des Nationalsozialismus begeistern, auf die er ja offenbar selbst angesprochen

hatte1451. Nach 1945 war Brandenstein eine Autorität bei der Entnazifizierung und

verhalf seinem Freund Schachermeyr zweifellos wider besseres Wissen, aber der Form

nach vielleicht ganz korrekt, zu einem „Persilschein“1452.

Im übrigen ging Schachermeyr sofort daran, „den programmatischen Ansatz des

Jahres 1933 konsequent“1453 umzusetzen. So ist schon in der ersten Fußnote von Die

nordische Führerpersönlichkeit im Altertum ein „im Entstehen begriffene[s]“1454 Werk

„Grundlegung der nationalsozialistischen Weltanschauung aus dem Geiste der

Historie“ angekündigt, das sich unter diesem oder einem ähnlichen Titel

bibliographisch allerdings nicht nachweisen läßt1455. Zusätzlich bereitete

1449 A II, W. Brandenstein an Schachermeyr, Brief, undatiert. 1450 M. Mayrhofer 1969, 342. 1451 S. o. S. 198f. 1452 S. S. 429-431. 1453 V. Losemann 1980, 80. 1454 F. Schachermeyr 1933j, 36 Anm. 1. 1455 V. Losemann 1980, 80 nimmt an, daß mit diesem nach Schachermeyrs Angaben bereits in

Arbeit befindlichen Werk dessen 1940 erschienene Lebensgesetzlichkeit in der Geschichte (F.

Schachermeyr 1940a; vgl. dazu sofort im Text und dann S. 297-319) gemeint sei; vgl. dazu

auch F. Bucherer 1934, 2: „Vom Führergedanken handelt Fritz Schachermeyr, der aus

seinem im Entstehen begriffenen Buche ‚Grundlegung der nationalsozialistischen

Weltanschauung aus dem Geist der Historie’ ein Kapitel ‚Die nordische

Führerpersönlichkeit im Altertum’ beigesteuert hat.“ Schachermeyrs

Professor in Jena (1931-1936) 268

Schachermeyr damals eine Schrift über „D[ie] gesch[ichtliche] Send[un]g d[er]

nord[ischen] Rasse“1456 vor, die dann offenbar (gleichfalls) nicht (mehr) gedruckt

wurde.

Demgegenüber ist die von Schachermeyr noch in Jena konzipierte Monographie

Lebensgesetzlichkeit in der Geschichte sehr wohl – im Jahr 1940 – veröffentlicht

worden. Dieses Werk und die einschlägigen Vorstellungen Schachermeyrs im

allgemeinen werden in den Abschnitten über die Heidelberger und Grazer Zeit noch

ausführlich vorgestellt werden, doch sei hier schon erwähnt, daß Schachermeyr wohl

der konsequenteste Rassist unter den Althistorikern gewesen ist1457. Das meinte etwa

auch sein Gesinnungsgenosse (und Konkurrent) Helmut Berve, der Schachermeyr

bescheinigte, daß er „fast als einziger unter den Althistorikern sich der antiken

Rassengeschichte mit Eifer angenommen hat“1458. Ursula Wolf charakterisiert

Schachermeyr als „dezidiertesten Vertreter rassentheoretischer Ansätze“1459 und

begründet ihre Ansicht so: Seine während des Dritten Reichs publizierten Arbeiten

habe er „rassentheoretisch angelegt, und er hat als einziger auch versucht, seine

Interpretation quellenmäßig – z. B. durch Schädelmessungen – mit wissenschaftlichen

Argumenten zu untermauern. Sein Ziel war es, die Einmaligkeit aller Geschehnisse zu

verbinden mit dem Gedanken gesetzlicher Vorgänge aufgrund organisch-biologischer

Lebensgesetzlichkeit enthält immerhin ein tatsächlich einschlägiges Kapitel über „Die

schöpferische Persönlichkeit“ (F. Schachermeyr 1940a, 63-74). 1456 H. A. L. Degener 1935, 1361. 1457 Vgl. dazu E. Meyer 1950, 245; M. Willing 2000, 248. 1458 Brief von Helmut Berve an Walter-Herwig Schuchhardt vom 14.3.1943, zitiert nach E.

Wirbelauer 2000, 116. 1459 U. Wolf 1996, 188; vgl. bereits E. Meyer 1950, 245, der Schachermeyr als „einst

besonders extreme[n] und überzeugte[n] Vertreter der nationalsozialistischen

Weltanschauung“ bezeichnete.

Professor in Jena (1931-1936) 269

Faktoren.“1460 Tatsächlich empfand Fritz Schachermeyr die „Differentialdiagnose

zwischen westisch-mediterranen und nordischen Schädeln“ als „äußerst wichtige

Frage“1461, wie er später (1940) in seinem Forschungsbericht in der Zeitschrift Klio

schrieb.

Ernst Badian (geb. 1925)1462 faßt Schachermeyrs damalige Absichten

folgendermaßen zusammen: „What he had really made his aim was to become the

founder of a philosophy of the Nazi historiography, to provide a basis for a new kind

of history in the anthropological-biological Rassenkunde, thus providing a theoretical

justification for the pillar of Nazi Weltanschauung“1463.

Opportunismus und Karrierismus waren im übrigen wohl nicht die einzigen

Beweggründe und Antriebe für Schachermeyr, das Amt des Dekans zu übernehmen.

Dieses ermöglichte ihm ja nun gewiß auch, dem von ihm gehaßten professoralen

Establishment1464 manchen Tort anzutun. Außerdem dürfte Schachermeyr wohl sein

ganzes Leben lang größten Wert auf offizielle Auszeichnungen und äußere Ehrungen

gelegt haben. So lesen wir in jenem Kapitel seiner Autobiographie, in dem es um seine

Wiener Professur geht, unter anderem: „Um das Folgende recht zu verstehen, muß

man berücksichtigen, daß ich erst im Alter von siebenundfünfzig Jahren nach Wien

berufen wurde und vorher durch mehr als zwanzig Jahre an drei anderen Universitäten

Ordinarius gewesen war (Jena, Heidelberg und Graz). Die meisten meiner

1460 U. Wolf 1996, 236 Anm. 143; vgl. dazu C. R. Hatscher 2003, 84; F. Schachermeyr 1944a,

5. 1461 F. Schachermeyr 1940b, 134. 1462 Almanach der ÖAW 125, 1975, 61, 168: Der gebürtige Wiener wurde am 13. Mai 1975

von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum korrespondierenden Mitglied im

Ausland gewählt; F. Fellner – D. A. Corradini 2006, 46. 1463 E. Badian 1988, 4f. Über das NS-Wissenschaftsprogramm, das durchaus nicht einheitlich

war, vgl. H. Seier 1984, 149-153, der „mindestens vier Richtungen (bei feinerer

Unterscheidung wesentlich mehr)“ ausmacht. 1464 S. o. S. 196-198.

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nunmehrigen Wiener Kollegen waren viel jünger als ich und meinen engsten Wiener

Kollegen, Professor Artur Betz1465, hatte ich, als ich in Graz Ordinarius war, noch in

seinen Anfangsstufen kennengelernt, jetzt aber mußte ich ihm als dem Rangälteren den

Vortritt lassen.

So erstaunte ich, als ich im Vorlesungsverzeichnis die Vorlesungen, welche Betz

zur Römischen Geschichte hielt, vor den meinen, dem griechischen Altertum

geltenden, gereiht fand. Doch machte man mich darauf aufmerksam, daß für die

Wiener Universität nur die Wiener Anciennität, also die in Wien geleisteten

Dienstjahre, für die hier geltende Rangordnung zählten. Frühere Professuren wie auch

das Lebensalter würden da nicht berücksichtigt. Das gelte auch für die Wahl zum

Dekan oder zum Rektor.

Von alledem hatte man mir bei meinen Berufungsverhandlungen kein Wort

gesagt. Auf ein weiteres Dekanat war ich aber nach dem von Jena gar nicht

neugierig[,] und Rektor zu werden, entsprach meiner Einstellung überhaupt nicht.

Da ich mir ausrechnen konnte, daß ich auf diese Weise weder zum Dekanat,

geschweige denn zum Rektorat gelangen könnte, ja daß selbst Kollege Betz da vor mir

daran käme, zog ich daraus ganz gelassen die Konsequenzen. Ich besuchte zwar die

Fakultätssitzungen, kümmerte mich aber grundsätzlich um nichts, was nicht mein Fach

[…] oder wenigstens die Altertumswissenschaften anging. Für alles andere, was da zur

Verhandlung stand, und überhaupt für alle Angelegenheiten der Universität hatte ich

weder Auge noch Ohr. Die Sitzungen verbrachte ich grundsätzlich mit Lesen von

Korrekturen.“1466 Aus diesen Äußerungen geht trotz Schachermeyrs gegensätzlichen

1465 Artur Betz (1905-1985); AdR, PA Artur Betz, Präsidentschaftskanzlei Zl. 2400/46, Zl.

7494/48, Zl. 2062/65, Zl. 3877/68; Dekanat der Geistes- und Kulturwissenschaftlichen

Fakultät, PA Artur Betz; Archiv der ÖAW, PA Artur Betz; E. Bruckmüller 2004, I, 135; F.

Fellner – D. A. Corradini 2006, 56; H. A. Hienz 1995, 139-143; M. Pesditschek 1996, 120-

129; M. Pesditschek 2002, 14f.; R. Teichl 1951, 16; W. Weber 1984, 43; I. Weiler 2002, 96;

E. Wirbelauer 2000, 119. 1466 F. Schachermeyr 1984, 185f.

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Beteuerungen klar hervor, daß ihm das allgemeine Wohl und Wehe von Fakultät und

Universität eben gerade deshalb völlig gleichgültig war, weil er es an diesen

Einrichtungen nicht mehr zu den Ehrenstellungen von Dekan und Rektor bringen

konnte.

Daß Schachermeyr Dekan in Jena gewesen ist, erfahren wir in seiner

Autobiographie im übrigen nur hier und keineswegs im Abschnitt über die Jenenser

Zeit. Das ist zweifellos eine Konsequenz seiner Bestrebungen, sich in diesem Werk

geradezu als NS-Gegner darzustellen (hätte etwa jemand anders als ein Opponent des

Nationalsozialismus wie folgt über Rudolf Egger schreiben können: „Da aber brach

mit dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft über Rudolf Egger die Katastrophe

herein. Er wäre Nazi gewesen (so behauptet man, ich kann es aber nicht

glauben)“1467?). Ganz zu Recht urteilt also Badian: „Schachermeyr’s autobiography

[…] is almost silent, and in what it does say highly misleading, about this phase of his

life.“1468

Anfang 1936 erhielt Fritz Schachermeyr einen Ruf nach Heidelberg. Seine

Nachfolge in Jena hatte er selbst einzuleiten. „Recht bezeichnend ist der Kommentar,

den der Dekan, also SCHACHERMEYR selbst, zu diesen Vorschlägen gab; danach sollte

die Nennung ERNST MEYERs ‘der wissenschaftlichen Eignung dieses Forschers

Rechnung tragen’, man wollte aber auf seine Berufung weniger Gewicht legen, falls er

1467 F. Schachermeyr 1984, 181. 1468 E. Badian 1988, 3; vgl. dazu auch A. Chaniotis – U. Thaler 2006, 403 Anm. 54; M.

Pesditschek 2007, 67; M. Pesditschek 2010, im Druck; M. Sabrow 2002, 133f. Den Aspekt

der gezielten Täuschung verkennt A. Lippold 1986, 27f., wenn er in seiner Rezension zu

Schachermeyrs Autobiographie feststellt: „Mehr Informationen und Auseinandersetzung mit

Gegenwartsfragen bzw. ideologischen Strömungen hätten wohl viele Leser gewiß erwartet für

die Zeit, in der Sch[achermeyr] als Professor für Alte Geschichte in Jena 1931-1936 (dazu S.

139ff.) und Heidelberg 1936-1940 (dazu S. 153ff.), aber auch in Graz 1941-1945 (dazu S.

163ff.) tätig war. Vielleicht wollte Sch[achermeyr] damit der Versuchung ausweichen,

irgendwo zu frisieren oder zu beschönigen.“ S. auch die Lit. S. 667 Anm. 3470.

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‘auf seinem Züricher Außenposten nicht von deutscher Seite ersetzt werden’ könnte;

auch im Falle von STAUFFENBERGs1469 wollte man nicht irgendwelchen anderen

Vorhaben von außen- oder innenpolitischer Bedeutung vorgreifen.“1470 Nachdem

„Prof. Ernst Meyer und auch der Privatdozent Dr. Alexander Graf Schenk von

Stauffenberg aus unterschiedlichen Motiven heraus nicht bereit waren, nach Jena zu

kommen“1471, wurde schließlich Hans Schaefer Schachermeyrs Nachfolger in Jena,

dem seinerseits im Jahr 1942 gleich wieder Hermann Bengtson (1909-1989)1472 folgen

sollte1473.

1469 Alexander Schenk Graf von Stauffenberg (1905-1964); K. Christ 1999, 339-342; K.

Christ 2006, 91f.; K. Christ 2008; A. Demandt 1979, bes. 92; A. Demandt 1984, 478f.; A.

Demandt 1992, bes. 201; W. Günther 2002, 104-127; P. Hoffmann 1992, passim; T. Karlauf

2007, passim; KGL 1935, 1186; KGL 1966, 2925; S. Lauffer 1964, 845-847; V. Losemann

1977, bes. 210 Anm. 30; V. Losemann 2007a, 318f.; S. Rebenich 2005, 50; W. Schuller 2005,

219-222; W. Schulze 1989, bes. 327; W. Weber 1984, 507f.; M. Willing 2000, 246. 1470 M. Simon 1990, 60f. 1471 H. Gottwald 2003, 932. 1472 K. Christ 2006, 106-108; K. Christ 2008, 69-71; H. Gottwald 2003, 934f.; V. Losemann

1977, bes. 210 Anm. 35; S. Rebenich 2005, 49f., 63f.; S. Rebenich 2005a, 126-131; J. Seibert

2002, 160-173; M. Simon 1990, 61-64; W. Weber 1984, 38f. 1473 D. Lotze 2007, 1749; K. Strobel 1994, 177.