Aus den Hinterhöfen in die Innenstädte. Der Islam im öffentlichen Leben Nordrhein Westfalens

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Jürgen Brautmeier, Kurt Düwell, Ulrich Heinemann, Dietmar Petzina (Hg.) Heimat Nordrhein-Westfalen Identitäten und Regionalität im Wandel

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Jürgen Brautmeier, Kurt Düwell, Ulrich Heinemann, Dietmar Petzina (Hg.)

Heimat Nord rhein-Westfalen

Identitäten und Regionalität im Wandel

Brautmeier / Düwell / Heinemann / Petzina (Hg.) Heimat Nordrhein-Westfalen

© Klartext Verlag 2010

1. Auflage April 2010Satz und Gestaltung: Klartext Medienwerkstatt GmbH, EssenDruck und Bindung: Koninklijke Wöhrmann bv, Zutphen (NL)© Klartext Verlag, Essen 2010Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-8375-0155-1

www.klartext-verlag.de

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Inhalt

Grußwort von Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

I. Landesbewusstsein im Wandel Prozesse – Protagonisten – Strategien

Hans BoldtLandesverfassung und Landesbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Kurt DüwellVon der Landschaft ins Landesbewusstsein. Geistige und räumliche Bedingungen von Integration und Heimatfindung in Nord rhein-Westfalen (1945–2010) . . . . . . . . . . . . . . . 27

Raida ChbibAus den Hinterhöfen in die Innenstädte. Der Islam im öffentlichen Leben Nord rhein-Westfalens . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Klaus PabstMit dem Herzen Nord rhein-Westfalen. Walter Först, Wolfram Köhler und Peter Hüttenberger als Protagonisten des Landesbewusstseins . . . . . . . . 73

Guido HitzeVon „Wir in NRW“ bis „Nord rhein-Westfalen kommt wieder“. Landesbewusstsein und Landesidentität in den landespolitischen Integrationsstrategien von Regierungen, Parteien und Parlament . . . . . . . . . . 89

Dietmar PetzinaLandesstrategien zur regionalen Modernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

Ulrich Pätzold„Hier und Heute“ – Einheit für die Vielfalt der Regionen. Der Westdeutsche Rundfunk als Landessender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

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Inhalt

Hein HoebinkNord rhein-Westfalen. Eine deutsche Region in Europa und eine europäische Region in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Ursula Rombeck-JaschinskiLandesbewusstsein durch Repräsentation. Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

II. Regionalität im Wandel Entwicklungen – Elemente – Akteure

Frank GöttmannRheinisch und westfälisch? Landsmannschaftliche Prägung zwischen Rhein und Ruhr, Lippe und Weser seit der Frühen Neuzeit . . . . . . 211

Horst MatzerathLand der Städte. Lokale Identitäten und Städtekonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . 227

Sabine Mecking„Laß mir mein altes Rathaus, Herr Minister!“ Die Neuordnung der kommunalen Landkarte im Spannungsverhältnis von Effizienz und Legitimität . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Wulf NollNach dem Ende der industriellen Massenproduktion. Das Ruhrgebiet im globalen Strukturwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Ulrich HeinemannFlexible Spezialisierung und kultureller Eigensinn. Strukturwandel in Südwestfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

Susanne Hilger„Weltoffen und heimatbewusst“. ‚Hidden Champions‘ in NRW und die Konstruktion von regionaler Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

Frank-Josef Jelich„‚Alltag‘ und ‚Region‘ … Geeignete Zugänge für eine andersartige Geschichtsanalyse“ . . . . . . . . . . . . 315

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Inhalt

Gertrude Cepl-KaufmannNRW als Krimiregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

Hermann NiebuhrHeimat NRW. Landesbewusstsein und Regionalität in neuer Sicht. Das Beispiel Lippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

Rainer DanielzykLandesentwicklung als Regionalentwicklung. Zum Verhältnis von Regionalität und „Zentralität“ in Nord rhein-Westfalen 367

Jürgen Brautmeier, Kurt Düwell, Ulrich Heinemann, Dietmar PetzinaDie „Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nord rhein-Westfalens“ im Internet als „Brücke“ zu einem realen Haus der Geschichte des Landes? . . . . . . . . . . . 381

Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395

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Grußwortvon Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers

Am 6. Juni 2010 ist der 60. Jahrestag der Verabschiedung der nord rhein-westfälischen Landesverfassung. Ich freue mich, dass zwanzig namhafte Experten gemeinsam dar-über nachdenken, in welcher „Verfassung“ sich unser Land rund 60 Jahre nach sei-ner Gründung präsentiert. 2006 haben wir den sechzigsten Geburtstag Nord rhein-Westfalens gefeiert. Zwei Millionen Menschen sind zu einem großen Bürgerfest in die Landeshauptstadt gekommen. Sie haben miteinander gefeiert. Sie haben ihre Heimat präsentiert und gezeigt, worauf wir alle stolz sein können. Seitdem haben wir jedes Jahr wieder einen Nord rhein-Westfalen-Tag ausgerichtet – 2007 in Paderborn, 2008 in Wuppertal, im letzten Jahr in Hamm, und in diesem Jahr wird er in Siegen stattfinden. Wir werden diese Tradition fortsetzen: 2011 in Bonn und dann jedes Jahr in vielen anderen Städten unseres Landes. Alle Veranstaltungen waren ein großer Erfolg, der weit über das Erwartete hinausging. Zu Hunderttausenden sind die Menschen zusam-mengekommen, um ihre Heimat zu feiern. Einen besseren Beweis dafür, wie wichtig den Menschen ihre Heimat ist, kann es gar nicht geben. Und deshalb kann es gar kei-nen besseren Titel für das vorliegende Buch geben als „Heimat Nord rhein-Westfalen“.

Wir in Nord rhein-Westfalen wissen, dass wir zusammengehören. Das ändert nichts an unserem Lokalpatriotismus. Haben Sie schon mal versucht, einen Schalke-Fan von Borussia Dortmund zu überzeugen? Oder einen Kölner von den Vorzügen Düsseldorfs? Wir sind Eifeler oder Bergische, Sauerländer oder Niederrheiner, Müns-teraner oder Siegerländer, Lipper oder Rheinländer mit allen unseren Eigenarten. Wir kennen die jeweiligen Schwächen und machen uns gerne auch darüber lustig. Es ist ein Verdienst dieses Buches, diese starke Verwurzelung der Menschen in ihrer Region zu dokumentieren.

Aber bei allen Besonderheiten und Gegensätzen wissen wir auch um unsere Gemeinsamkeiten. Jeder, der hier lebt, spürt das. Wenn man mich fragt, was die Menschen hier in Nord rhein-Westfalen vereint, dann sage ich: Es ist ihre direkte, schnörkellose Art und ihr wacher Geist und Witz. Es ist ihre Bereitschaft für alles Neue, ihre Beharrlichkeit und ihr Wille, etwas zu leisten. Es ist ihr Sinn für Humor und Lebensart, aber auch für Solidarität, Gerechtigkeit und Fairness  – und nicht zuletzt ihre Zuversicht, Gelassenheit und ihr Gottvertrauen. Darin verbindet uns viel mehr als uns trennt. Und es ist gerade das historisch Gewachsene: Hier, an Rhein und Ruhr, in Westfalen und Lippe, hat sich der Geist des freien Bürgertums, der Geist von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung entfaltet. Hier gibt es eine lange Tradition der Freiheit und der Ablehnung von Obrigkeitsstaat und Zentralismus. Wir waren nie ein Land der Schlösser, der Dynastien, der Junker und Großgrundbesitzer. Wir waren und sind ein Land der Arbeiter und Bürger. Wir haben nichts ererbt, son-dern alles erarbeitet. Das macht für mich Nord rhein-Westfalen aus.

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Inhalt

Wir sind deswegen auch ein Land, das für diejenigen, die zu uns kommen, offen ist. Das haben wir bewiesen, als wir die vier Millionen Menschen integriert haben, die allein zwischen 1870 und 1950 zu uns ins Ruhrgebiet eingewandert sind. Sie kamen aus unterschiedlichen Ländern – doch sie und ihre Kinder sind heute hier zu Hause. Heute leben in unserem Land Menschen aus 170 Nationen friedlich zusammen. Dass das bei allen Problemen so gut gelungen ist, auch das macht für mich Nord rhein-Westfalen aus. Wir sind eben nicht nur stolz auf unsere Heimat. Wir sind auch echte Europäer. Zusammen mit unseren Nachbarn in Luxemburg, den Niederlanden und Belgien bilden wir einen europäischen Kultur- und Wirtschaftsraum, der einzigartig ist. Einzigartig in seinen Dimensionen: 45 Millionen Menschen leben hier im Europa der offenen Grenzen. Aber auch einzigartig in seiner wirtschaftlichen Bedeutung: Wir sind die Brücke zwischen West- und Osteuropa und zwischen Nord- und Süd-europa. Und einzigartig in seiner historischen Bedeutung für die Einheit Europas. Denn ohne uns wäre die Europäische Union nicht entstanden, vor allem nicht ohne das Ruhrgebiet, dessen industrielle Bedeutung den Anstoß zum Projekt der Mon-tanunion gab. Wir sind ein europäisches Kernland. Hier im Herzen Europas weiß man, was es heißt, Europäer zu sein: nicht machtversessen und geschichtsvergessen, sondern weltoffen und grundsatztreu; nicht egozentrisch, sondern solidarisch; nicht materialistisch, sondern wertebewusst.

Für uns gehören Innovation und Solidarität immer zusammen. Karl Arnold, unser erster frei gewählter Ministerpräsident, hat den Satz geprägt, der bis heute unser Lebensgefühl in Nord rhein-Westfalen bestimmt: „Wir sind das soziale Gewissen Deutschlands.“ Wir wissen, dass hier bei uns der Klassenkampf beendet wurde. Hier bei uns steht die Wiege der Mitbestimmung und der sozialen Partnerschaft. Ohne sie ist die Soziale Marktwirtschaft nicht denkbar. Wir in Nord rhein-Westfalen wis-sen, dass die Soziale Marktwirtschaft nur eine Zukunft hat, wenn wirtschaftlicher Erfolg mit sozialer Gerechtigkeit einhergeht. Dass „Wohlstand für alle“ Wirklichkeit werden konnte – das ist den Menschen in Nord rhein-Westfalen zu verdanken, ihren Herzen und ihren Händen. Darauf können wir stolz sein. Und wir sollten das auch ruhig häufiger zeigen. Warum sollten wir nicht häufiger unsere Hymne spielen oder singen – nicht nur die Nationalhymne, sondern genauso das Nord rhein-Westfalen-Lied und die Europa-Hymne? Warum sollten wir nicht häufiger unsere drei Flaggen an öffentlichen Gebäuden aufziehen, um zu symbolisieren, dass wir zusammengehö-ren? Gerade für die jüngere Generation ist dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit wichtig: Wir wollen, dass die Geschichte Nord rhein-Westfalens in den Lehrplänen und der schulischen Praxis einen höheren Stellenwert bekommt. Das Gleiche gilt für die europäische Dimension. Und es ist an der Zeit, dass die klugen Köpfe unserer Republik mehr und ausführlicher als bisher darüber reden und schreiben, was unsere Gesellschaft und unsere Demokratie im Innersten zusammenhält, kurz: was „Hei-mat“ heutzutage ausmacht. Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag dazu.

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Vorwort der Herausgeber

Die „Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nord rhein-Westfalens“ versuchen seit nunmehr dreißig Jahren – in mittlerweile über achtzig Bänden –, sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage zu geben, was die Geschichte dieses Bundeslandes eigentlich ausmacht. Wolfram Köhler hat im Vorwort des Sammelbandes zum fünfzigjährigen Bestehen Nord rhein-Westfalens 1996 kurz und knapp festgestellt, dass das Land „längst eine organisatorische Einheit“ sei und „seine Geschichte“ habe. Der Sammelband zum sechzigjährigen Geburtstag des Lan-des hat versucht, dies eingehender zu untersuchen, ja „die über sechzig Jahre gewach-senen Projektionen“ zu erfassen und „die Entstehungszusammenhänge einiger Bilder und Mythen“ Nord rhein-Westfalens zu beleuchten. Dabei gab es im Kreis der Her-ausgeber durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber, ob das von der britischen Besatzungsmacht zwangsverheiratete Paar, nämlich der nördliche Teil der preußischen Rheinprovinz und das um die Region Osnabrück amputierte Westfalen mit dem ver-spätet hinzugekommenen Land Lippe, von seinen Einwohnern mittlerweile, nach über sechzig Jahren, als „Heimat“ verstanden und empfunden wurde.

Die Frage, ob sich Landesidentität und Staatsbewusstsein nach einer solch – in Lebensalter gemessen – langen Zeit mit einem Heimatgefühl verbunden haben, oder ob die Zeit dafür in historischer Perspektive doch noch zu kurz war, stellt sich nach wie vor. Deshalb haben die Herausgeber einen neuen Anlauf genommen, sich an einer Beantwortung zu versuchen, nämlich mit dem vorliegenden Sammelband „Heimat Nord rhein-Westfalen“ – was als Überschrift zunächst einmal eine Behauptung ist. Äußerer Anstoß war die Verabschiedung der nord rhein-westfälischen Landesverfas-sung im Jahr 1950, vier Jahre nach der Entstehung des Landes. Zwanzig Autorinnen und Autoren haben sich bereit erklärt, anlässlich dieses Ereignisses nach der innerli-chen und äußerlichen „Verfassung“ des Landes zu fragen, also nach seinem Befinden und vielleicht sogar Wohlbefinden angesichts einer selbst im Zusammenhang mit dem Stichwort „Föderalismusreform“ nicht ernsthaft in Frage gestellten Existenz: Die europäischen und globalen Herausforderungen sind zwar nicht zu unterschätzen, aber sie tragen eher dazu bei, Landesidentität und Heimatbewusstsein zu stärken denn zu schwächen.

In räumlicher, zeitlicher, persönlicher oder emotionaler Hinsicht, um nur diese vier Aspekte zu nennen, die alle noch weiter ausdifferenziert werden müssen, ver-bindet jeder Autor in seinem Beitrag zu diesem Sammelband etwas anderes mit dem Begriff „Heimat“. In der Tat ist der vielschichtige Begriff „Heimat“ für jeden Ein-zelnen etwas Besonderes, Eigenes. Für einen Ort, eine Region oder ein Land wird daraus etwas Gemeinsames, Verbindendes. Am ehesten kann denn auch aus Sicht der Herausgeber der räumliche Zugang zum Thema „Heimat“ eine gemeinsame, inte-grierende Per spektive auf die jeweiligen Probleme und Regionen des Landes NRW eröffnen. Räumliche Zugänge waren und sind für den Historiker alles andere als

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Vorwort der Herausgeber

selbstverständlich, wenngleich sich Geschichte nicht nur in der Zeit, sondern immer auch im Raum, in Räumen manifestiert. Zuzustimmen ist dabei der These, dass Raumbildungen, auch wenn sie sich an empirischen Kriterien orientieren, letztlich „Konstruktionen“ sind, „mental maps“. Der Blick auf die jeweiligen „mental maps“ erlaubt es aber, die jeweilige Selbst- und Fremdwahrnehmung regionaler Bevölkerun-gen und sozialer Gruppen genauer zu erfassen. Der Bestimmung von Raumbewusst-sein und Raumvorstellungen kommt darüber hinaus auch ein erhebliches Erklärungs-potenzial für soziales Handeln, die Entstehung und Artikulation von Interessen und Ideologien, die Entwicklung von Regionalismus und Nationalismus etc. zu. All diese Vorstellungen, Wahrnehmungen und Zielorientierungen sind teils historisch entstan-den, teils ein Ergebnis politischen Willens.

Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang die Geschichte der Stadt-, Raum- und Landesplanung in NRW, deren Anfänge auf die vorige Jahrhundert-wende zurückgehen und die nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Verbindung von Stadt- und Landesplanung und seit den 1960er Jahren zu einem eigenen Ministerium für Landesplanung geführt hat. Die politisch gesteuerte nachhaltige Verbesserung der Stadt-Land-Relation in Nord rhein-Westfalen hat zu einer großräumigen Anglei-chung, auch im Sinne von Chancengleichheit und Bildungsnähe, geführt. Die Lan-desgeschichtsschreibung hat begonnen, den damit verbundenen kulturellen Wandel in den einzelnen Regionen des Landes wahrzunehmen und darzustellen. Dieser „cul-tural turn“ ist zugleich auch ein „spatial turn“, eine Wiederentdeckung des Raumes, welche das kulturelle Raumrelief neu zu beschreiben nahelegt, denn es handelt sich um einen Wandel, der für die Identitätsfindung der Regionen konstitutiv geworden ist.

Die Autoren der Beiträge zu „Heimat Nord rhein-Westfalen“ beschäftigen sich sowohl mit dem Aspekt der Identitäten wie mit dem der Regionalität, die beide natürlich eng miteinander verbunden sind. Sie thematisieren das Landesbewusstsein in Verfassung, Politik und Medien, beschreiben die Rolle von Religion, Mentalität und Ethnie, untersuchen Beispiele regionaler Modernität und Strategien regionaler Modernisierung, analysieren das Spannungsfeld zwischen Land und Stadt, Region und Europa und behandeln das Thema „Heimat“ in Geschichte und Kultur. Leider fehlt ein gesonderter Beitrag über die Konfessionen in Nord rhein-Westfalen, der fest eingeplant war, aber nicht realisiert werden konnte. Zur Heimat Nord rhein-Westfalen gehört es nämlich selbstverständlich auch, dass über 75 % der Bevölkerung in unse-rem Lande einer Religionsgemeinschaft angehören; neben den beiden christlichen Großkirchen (mit 42 % Katholiken und 28 % Protestanten) sind das islamische Ver-bände und Moschee-Vereine, kleine christliche Gemeinschaften, Orthodoxe Kirchen und das Judentum, darüber hinaus östliche Religionen und neureligiöse Strömungen. Einer der führenden deutschen Religionsforscher, Volker Krech von der Ruhr-Uni-versität Bochum, beobachtet in religiösen Dingen eine zunehmende Pluralisierung, vor allen Dingen in den Ballungsräumen, etwa im Ruhrgebiet und entlang der Rheinschiene, aber auch eine größere religiöse Vielfalt  – bedingt vor allem durch

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Vorwort der Herausgeber

die Migration. Neben den Zonen der Pluralisierung, in denen nicht zuletzt die neue „Konfession der Indifferenten“ stark ist und zunimmt, gibt es in Nord rhein-Westfalen durchaus konfessionell eher homogen geprägte Regionen wie das katholische Sauer- und Münsterland und das protestantische Ostwestfalen-Lippe. Religiöse Bindung hat in Nord rhein-Westfalen, besonders in den beiden großen Konfessionen, aber nichts Rückständiges an sich. Das zeigen die in diesem Band untersuchten Beispiele Süd- und Ostwestfalens, die – ebenso wie das Münsterland – zu den modernen und wirt-schaftsstärksten Regionen des Landes zählen.

Aus der Vielzahl der Aspekte, die im Folgenden behandelt werden, möchten wir – sehr subjektiv – vier Entwicklungen herausgreifen, die als besonders hervorstechend für unseren Band und für unser Land erscheinen:

Erstens: die tief greifende Bevölkerungsumwälzung in Nord rhein-Westfalen durch Flucht und Vertreibung und in den letzten Jahrzehnten vor allem durch Mig-ration, die das Land wesentlich farbiger und interessanter gemacht hat, aber auch eine Fülle von Problemen mit sich bringt und – aufbauend auf einer längeren Tra-dition  – eine Anerkennungskultur hat wachsen lassen, die bundesweit in Vielem beispielhaft ist, aber vielen Betroffenen, was die rechtliche Anerkennung und gesell-schaftliche Akzeptanz, vor allem die Chancengleichheit anbetrifft, noch längst nicht weit genug geht.

Zweitens: ein zwar gesichertes Staatsbewusstsein, aber eine insgesamt doch schwach ausgeprägte Landesidentität, die auch durch entsprechende politische Strategien  – verkörpert vor allem von daran persönlich besonders interessierten Ministerpräsiden-ten – nur mühsam gestärkt wurde und wird, unter anderem wegen der Dominanz des Bundes und der zunehmenden Verflechtung mit Europa, aber zum Beispiel auch, weil der WDR sich weniger zu einem Landes-, sondern viel mehr zu einem Sender für die Regionen entwickelt hat. Möglicherweise lag bzw. liegt ein grundsätzliches Dilemma aber auch in der Stärkung einzelner Landesteile in Form der regionalen Wirtschaftsförderung wie der regionalen Kulturpolitik des Landes, welche die eher symbolpolitischen Anstrengungen zur Stiftung eines zentralen Landesbewusstseins wenn nicht konterkarieren, so doch auch nicht gerade stärken.

Drittens: ein ausgeprägtes, nicht provinziell rückständiges, sondern auch in länd-lichen Räumen erstaunlich modernes und urbanes Regionalbewusstsein – durchaus entlang der Linie „rheinisch und westfälisch“, die aber – ebenso wenig wie Konfes-sionsgrenzen – nicht als hindernder Gegensatz empfunden wird. „Heimat“ findet in Nord rhein-Westfalen, bestärkt durch Heimatvereine und Geschichtswerkstätten bis hin zu den Heimatkrimis, aber auch durch eine profilierte regionale Unternehmer-schaft, in den oder eher sogar unterhalb der Ebenen der Regionen statt, die wiede-rum keine unverrückbaren räumlichen Einheiten bilden, sondern, was die jeweiligen regionalen Verbünde anbetrifft, durchaus im Fluss sind.

Viertens: ein Ballungsraum (das Ruhrgebiet) an der Wegscheide und vor der Ent-scheidung seiner Städte, in den wirtschaftlich erfolgreichen, zunehmend selbstbe-wussten benachbarten Regionen aufzugehen und mit ihnen neue starke Regionen zu

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Vorwort der Herausgeber

bilden oder als Metropolregion markanter Magnet und Kontrapunkt für das regionale Umfeld und das ganze Land zu werden.

Insgesamt ist den Aufsätzen, auf deren Kürze und Prägnanz die Herausgeber gro-ßen Wert gelegt haben, ein sehr vielschichtiges und differenziertes Bild der „Heimat Nord rhein-Westfalen“ zu entnehmen. Viele Aspekte konnten nur angerissen, viele Fragen mussten offen gelassen werden. Dennoch handelt es sich um eine lohnens-werte Lektüre für alle diejenigen, die Nord rhein-Westfalen als ihre Heimat bezeich-nen, wo immer sie sich in diesem großen und abwechslungsreichen Bundesland zu Hause fühlen. Das Besondere jeder individuellen Heimat addiert sich letztendlich zur gemeinsamen „Heimat Nord rhein-Westfalen“, wobei es wahrscheinlich angebrachter wäre, und dies ist ein Fazit aus allen Beiträgen des Bandes, von „Heimat in Nord-rhein-Westfalen“ zu sprechen.

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