Die neue systematische Gliederung der Gattung Ophrys: Subgenus Ophrys

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62 Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 31(1): 2014 Die neue systematische Gliederung der Gattung Ophrys: Untergattung Ophrys Manfred Hennecke & Stefan Munzinger Keywords Orchidaceae; Ophrys subgen. nov.. Zusammenfassung/ Summary HENNECKE, M. & S. MUNZINGER (2014): Die neue systematische Gliederung der Gattung Ophrys: Untergattung – Ber. Arbeitskr. Heim. Orchid. 31 (1): 62 - 73. Die Gattung Ophrys kann an Hand des Vorhandenseins oder der Abwesen- heit eines Fortsatzes am Gynostegium (= Konnektivfortsatz) leicht in zwei Untergattungen getrennt werden: Fuciflorae und Ophrys. Die weitere Unter- teilung der Untergattung Ophrys führt zu fünf Sektionen, die eindeutig im Feld bestimmt werden können. The genus Ophrys can be subdivided in two subgenus: Fuciflorae und Ophrys (gynostegium with or without tip). The further division of subgenus Ophrys leads to five sections, which can be identified very clear in the field. Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 31 (1): 62 - 73; 2014 1. Einleitung Es lässt sich natürlich trefflich streiten, ob man die Ebenen einer Untergattung, Sektion oder Unter- sektion braucht. Wir finden es aus didaktischen Gründen richtig, um die Entscheidungskriterien zu ver- deutlichen. Auch im Hinblick auf einen einfach zu benutzenden Be- stimmungsschlüssel macht es Sinn. Denn der Antrieb für diese Arbeit ist die Erkenntnis der CBD (Conven- tion on Biological Diversity): Um Arttaxa, Populationen und Lebens- räume zu schützen, müssen die Ak- teure die Tier- und Pflanzentaxa si- cher bestimmen können. Daher hebt dieser Beitrag und die folgenden auf diagnostische Merkmale ab, die eine sichere Bestimmung im Feld erlau- ben. Die Abgrenzung der zugrunde gelegten Arttaxa erfolgt ausschließ- lich nach dem Biospezies-Konzept.

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Die neue systematische Gliederung der Gattung Ophrys: Untergattung Ophrys

Manfred Hennecke & Stefan Munzinger

Keywords

Orchidaceae; Ophrys subgen. nov..

Zusammenfassung/ SummaryHennecke, M. & s. Munzinger (2014): Die neue systematische Gliederung der Gattung Ophrys: Untergattung – Ber. Arbeitskr. Heim. Orchid. 31 (1): 62 - 73.Die Gattung Ophrys kann an Hand des Vorhandenseins oder der Abwesen-heit eines Fortsatzes am Gynostegium (= Konnektivfortsatz) leicht in zwei Untergattungen getrennt werden: Fuciflorae und Ophrys. Die weitere Unter-teilung der Untergattung Ophrys führt zu fünf Sektionen, die eindeutig im Feld bestimmt werden können.The genus Ophrys can be subdivided in two subgenus: Fuciflorae und Ophrys (gynostegium with or without tip). The further division of subgenus Ophrys leads to five sections, which can be identified very clear in the field.

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1. Einleitung

Es lässt sich natürlich trefflich streiten, ob man die Ebenen einer Untergattung, Sektion oder Unter-sektion braucht. Wir finden es aus didaktischen Gründen richtig, um die Entscheidungskriterien zu ver-deutlichen. Auch im Hinblick auf einen einfach zu benutzenden Be-stimmungsschlüssel macht es Sinn. Denn der Antrieb für diese Arbeit ist die Erkenntnis der CBD (Conven-

tion on Biological Diversity): Um Arttaxa, Populationen und Lebens-räume zu schützen, müssen die Ak-teure die Tier- und Pflanzentaxa si-cher bestimmen können. Daher hebt dieser Beitrag und die folgenden auf diagnostische Merkmale ab, die eine sichere Bestimmung im Feld erlau-ben. Die Abgrenzung der zugrunde gelegten Arttaxa erfolgt ausschließ-lich nach dem Biospezies-Konzept.

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2. Methodik / Begriffe zur Erfas-sung eines Arttaxons

Unterhalb der Sektionen werden die Arttaxa definiert. Die Abgrenzun-gen der Arttaxa in diesem und allen unseren weiteren Beiträgen basieren auf dem biologischen Artkonzept. Die nachfolgenden Ausführungen gelten allgemein für alle folgenden Artikel zu Ophrys-Sektionen in die-sem Heft.

2.1. Begriff „Art“

Um begriffliche Missverständnis-se zu vermeiden, wird grundsätzlich zwischen Artkonzept (= grundle-gende Definition), Artkategorie (= Kategorie als Rangstufe im hierar-chischen linnéschen System) und Arttaxon (= konkretes botanisches bzw. zoologisches Objekt, das der Definition des Artkonzeptes folgend beschrieben und dementsprechend gegenüber anderen abgegrenzt wer-den kann) unterschieden.

2.2. Artkonzept

Nach dem biologischen Artkon-zept gehören zu einem Arttaxon alle Individuen / Populationen, die sich potenziell erfolgreich vermeh-ren könnten. Auf Grund dessen sind Arttaxa immer daran zu erkennen,

dass sie ein vollständiges Konti-nuum von Merkmalsausprägun-gen umfassen, das eine wirksamen Genfluss herrührt. Es endet jeweils dort, wo der Genfluss durch feh-lende Fortpflanzung abbricht. Ein-zeln auftretende Hybride zeigen das Aufeinandertreffen zweier Arttaxa an und bestätigt die vorgenommene Trennung zweier Arttaxa. Hybrid-schwärme hingegen weisen darauf hin, dass die Grenzen der vermeint-lichen Elterntaxa falsch gezogen wurden, da es zu einer Verschmel-zung von Populationen kommt und es mithin keine zwei getrennte Bio-spezies sein können (Munzinger & Hennecke 2014).

Morphologische Merkmale sind vom Menschen definiert und müssen daher keine biologischen Funktio-nen haben. Sie dienen in den nach-folgenden Artabgrenzungen deshalb immer nur der Beschreibung der zu-vor nach dem Biospezies-Konzept identifizierbaren Arttaxa, nicht aber der Abgrenzung eines Arttaxons.

Unterhalb der Artkategorie gibt es Unterarten. Dies sind Gruppen von Individuen (= Populationen), die sich erkennbar von Individuen anderen Populationen des Artta-xons unterscheiden und entweder geografisch oder zeitliche (= phä-

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nologisch) voneinander isoliert sind (Munzinger & Hennecke 2014). Wo Unterarten auf andere Unterarten treffen, können sich Mischpopu-lationen bilden. Auf Grund dieser Ausschlusskriterien müssen bislang fälschlicherweise als Unterarten ge-führte Taxa als Varietäten eingestuft werden, die die nächsttiefere Kate-gorie darstellt. Varietäten können in allen zu einem Arttaxon gehörenden Populationen auftreten, ggf. auch bestandsbildend oder gleichzeitig mit anderen Varietäten.

Wir erhalten jeweils alle bislang veröffentlichten Taxa zumindest auf dem Niveau Varietät, damit alle bis-herigen Beobachtungsdaten nahtlos weitergenutzt werden können. Zu-dem sollten Varietäten nach HuBBs (1943) benannt werden, damit Be-obachter im Feld aufmerksamer werden. Auch hat der beobachtende Mensch eine gewisse Vorliebe für Schublädchen, wo er seine Beob-achtungen sauber ordnen kann.

2.3. Begriffe Merkmal / Merk-malsausprägung

Wir unterscheiden im Folgen-den grundsätzlich zwischen einem Merkmal und seiner jeweiligen Aus-prägung. Eine „rote Blüte“ wird also wie folgt beschrieben: das Merkmal

„Blütenblatt“ hat die Merkmalsaus-prägung „rot“. Mathematisch for-muliert handelt es sich bei einem Merkmal um eine Variable, bei der Merkmalseigenschaft entsprechend um einen Wert dieser Variablen (vgl. WieseMann et al. 2005, 60f).

Durch die Unterscheidung zwi-schen diesen beiden Begriffen las-sen sich Beschreibungen eindeu-tiger formulieren, vergleichbarer gestalten und letztendlich besser in Bestimmungsschlüssel überführen.

2.4. Weitere Daten zu den Arttaxa

In der heutigen Zeit stellt sich die Frage, welche Daten im Internet einfacher darstellbar sind, bzw. dort besser aufgehoben sind, weil sie aktueller und eventuell von vielen (crowdsourcing) erweitert und ge-pflegt werden können (Hennecke & Munzinger 2013).

Beispielsweise erzeugen sämtli-che Synonym-Namen einer Art nur eine Papierfülle, ohne den Feldbo-taniker wirklich weiter zu bringen, siehe BauMann & künkele (1986), kreutz (2004), Petersen & faur-HolDt (2007). Royal Botanical Gar-dens, Kew, London, geht hier schon einen Schritt weiter und publiziert on-line die Kew Databases: World

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Da manche Print-Medien nur noch antiquarisch erhältlich sind, bringen daher elektronische Medien, die on-line einsehbar sind, deutliche Fort-schritte. In naturgucker.de geben alle Teilnehmer ihre Daten ein, so dass aktuelle Beobachtungskarten mit Angaben über Höhenverbrei-tung entstehen. Desweiteren können in naturgucker.de zwei Arten vergli-chen werden. Wenn die Teilnehmer zusätzlich den Blüh-Status einge-ben, kann die Blüh-Phänologie für jede Art einfach per Knopfdruck ermittelt werden. Mit der Möglich-keit solcher Datenbank-gestützten Systemen, Verbreitungskarten nur über einen begrenzten Zeitraum von 5 oder 10 Tagen zu generieren, kann jeder die Entwicklung des Blühver-lauf von Süden nach Norden über das gesamte Mittelmeer verfolgen. Heute sind die Datenmengen für wirklich konkrete Blüh-Phänologie-Abläufe bei Ophrys regional noch nicht in jedem Fall belastbar, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch dafür ausreichend große Datenmen-gen zur Verfügung stehen. Da es viel mehr Vogelbeobachter gibt, ist z. B. das artvernetzte Zugverhalten von Kuckuck und Teichrohrsänger durch eine solche zeitliche Folge von Verbreitungskarten bereits heu-te eindrucksvoll dokumentierbar.

Checklist of Selected Plant Families. In den folgenden Beiträgen werden die beschriebenen Arttaxa mit Syn-onyma bei Kew abgeglichen. Bei neuem Arttaxon-Rang werden die Synonyma angegeben, damit alles nachvollziehbar ist. Bei älteren ver-zichten wir auf diese Informationen, da sie allgemein zugänglich im In-ternet zur Verfügung steht.

In der ersten groß angelegten Ophrys-Dokumentation haben Bau-Mann & künkele (1986) Terra ty-pica, Typus und Icones von vielen Ophrys-Arten dokumentiert. Auf Grundlage dieser Arbeit wird ver-sucht, den locus classicus einer Art zu benennen. Wenn man den weiß, kann man vielleicht auf der einen oder anderen Reise vorbei schauen, um das „Original“ zu sehen.

Verbreitungskarten sind auch eine wichtige Entscheidungshilfe. Die ersten, uns bekannten, sind bei lanDWeHr (1977) und BauMann & künkele (1982) abgebildet, die neuesten für Ophrys bei Petersen & faurHolDt (2007), wenn auch nur für Europa. Alle Karten vor 1979 sind von Willing gelistet. In den folgenden Beiträgen werden nur noch solche Verbreitungskarten zitiert, die neueren Datums oder de-taillierter sind als oben angegebene Literatur.

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3. Bestimmungsrelevante Daten von Ophrys

Beide Autoren wurden vor Jahren der Frage überdrüssig „Wie können Sie diese Ophrys so einfach bestim-men?“ „Es ist die Erfahrung!“ war die Antwort, aber das half unseren Reiseteilnehmern natürlich nicht wirklich weiter. Also begann einer der Autoren (MH), einen Ophrys-Schlüssel zu entwickeln. Zuerst funktionierte nichts! Erst mit der Zeit wurde klar, was wirklich für die Bestimmung von Ophrys relevant ist, da zahlreiche der beschriebenen Arttaxa dem biologischen Artkon-zept nicht genügten und mithin nur phänotypische Varietäten sind.

3.1. Erste und letzte Blüte einer Ophrys

Die erste und letzte Blüte einer Ophrys dürfen NIE zur Bestim-mung herangezogen werden! Die erste Blüte kann noch Frostschäden, die letzte Blüte kann Trockenschä-den abgekommen haben. Oft se-hen dadurch die ersten und letzten Blüten deutlich anders aus. Aus diesem Grund sollten diese Blüten auch nicht fotografiert werden, denn wenn sie in einem Bilder-Pool ge-zeigt werden, verfälschen sie ggf. das Artportrait.

Fazit: Ophrys können in der Auf- und Abblüh-Phase nur mit minde-stens 2-3 Blüten bestimmt werden. Eine erste oder letzte Einzel-Blüte reicht nicht! Wenn es halt gar nicht anders geht, muss man davon na-türlich abweichen, sollte sich aber dann der vorhandenen Unsicherheit bewusst sein!

3.2. Mal-Zeichnung einer Ophrys-Lippe

Wir konnten die Versuche von MalMgreen (2006) zunächst nicht einordnen. Er stellte durch Selbst-bestäubung Klone (= genetisch identische Nachkommen) her, die nach Aufzucht dieselbe Varianz des Lippen-Mals wie Individuen in der Natur zeigten.

Diese experimentelle Feststellung bekam erst dann einen Sinn, als Forscher der Ophrys-Insekten-Be-ziehung heraus fanden, dass Bienen lernfähig sind, sich das individuelle Malmuster merken, und eine ein-mal besuchte Ophrys-Blüte nicht nochmals anfliegen. Deshalb vari-iert die Malzeichnung auch an einer Pflanze, damit die Bienen den „Be-trüger“ nicht wieder erkennen. Nur so können Ragwurze Bienenmänn-chen möglichst oft täuschen und zur Pseudokopulationen animieren!

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Fazit: Mal-Zeichnungen einer Lip-pe sollten nicht zur Ophrys-Bestim-mung heran gezogen werden, da sie von Pflanze zu Pflanze, teilweise auch an einer einzigen Pflanze von Blüte zu Blüte stark variieren.

3.3. Mal- und Lippenfarbe

Insekten sehen ihre Umwelt in einem anderen Spektrum als der Mensch. Paulus (2005: 132) disku-tiert auch das andere Sehverhalten von Insekten wegen ihrer Facetten-augen und gibt erste Hinweise auf UV-Reflektionen von Ophrys-Blü-ten. Ophrys speculum-Blüten sollen bei weitem attraktiver sein als die Dasyscolia ciliata-Weibchen. Er bemängelt auch, dass es zu diesem Thema noch zu wenige Untersu-chungen gibt.

Anmerkung: Für einen der Autoren (MH) ist eine UV-Erkennung der Ophrys-Blüte durch das Insekten-Männchen dann gegeben, wenn die-ses den Zickzack- und Such-Flug (Phenomena B bei Cingel 1995: 114; Fig. 48b) einstellt, kurz in der Luft stehen bleibt, und dann aus einer Entfernung von 1-2 m blitz-schnell auf die Blüte schießt und landet (Phenomena C1 bei cingel 1995: 114; Fig. 48b).

Fazit: Aus Unkenntnis der UV-Reflektionen von Ophrys-Mal- und Lippenfarbe und der Erkennung der Malmuster durch Bienen sollten auch diese Merkmale nicht für eine Bestimmung heran gezogen wer-den.

3.4. Pflanzen- und Lippengröße

Beide Größenangaben sind ein völ-lig untaugliches Mittel, um Ophrys zu beschreiben. Erst vor kurzem hat Lowe wieder biometrische Daten zu Pseudophrys publiziert. Wenn man daraus die Merkmalsdifferenz (MD) nach WucHerPfennig (2006: 630) berechnet, kommen kleine Werte heraus, oftmals deutlich unter 1, so dass der Überlappungsgrad der Nor-malverteilungen zweier vermeintli-cher Arten deutlich über 40% liegt. Damit ist im Feld keine Unterschei-dung möglich!

Untersuchungen über die Größen-verhältnisse bei gleichen Pflanze in verschiedenen Jahren gibt es unserer Kenntnis nach noch nicht. Zumin-dest von anderen Pflanzengattungen weiß man, dass deren Größen ab-hängig von den jeweiligen Wach-tumsbedingungen sind.

Fazit: Da Lippengrößen stark va-riieren und zudem zwischen unter-

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schiedlichen Arten deutlich überlap-pen, sollte das Merkmal Größe nicht für eine Bestimmung verwendet werden.

3.5. Bestäuber-Insekten, Mykor-rhiza-Pilze, Wind-Drift etc.

Der von Paulus postulierte Isola-tionsmechanismus „Bestäuberspezi-fität“ besteht aus zwei Teilen: Zum einen dem Duftbouquet der Blü-tenlippe (vgl. scHiestl et al. 2000: 571), das unzweifelhaft eine inter-ne Angelegenheit (= intrinsisch) der Ragwurz ist und zum anderem dem darauf „abfahrenden“ Insek-tenmännchen, das aus der Sicht der Ragwurz genauso unzweifelhaft eine „äußere“ Angelegenheit (= ex-trinsisch) ist. Damit genügt die von Paulus formulierte Bestäuberspe-zifität den Anforderungen des Bio-logischen Artkonzeptes für einen Isolationsmechanismus genau so wenig wie ein Gebirgszug oder eine große Entfernung – beide sind geo-grafischen und damit extrinsischen Ursprungs. Auch konstante Wind-richtungen, diskutiert von Devey et al. (2009), oder die noch völlig un-bekannten Mykorrhiza-Partner sind extrinsische Faktoren (Munzinger & Hennecke 2014).

Fazit: Zur Abgrenzung eines Artta-xons nach dem Biospezieskonzept können keine Bestäuber, Windrich-tungen oder Mykorrhiza-Partner heran gezogen werden.

3.6. Phänologie, Ökologie etc.

Phänologische Differenzierung ist natürlich möglich, aber um Aussa-gen zu treffen, müssen die Arten im selben Biotop zur selben Jahreszeit verglichen werden. Das ist nur mit Datenbank-Systemen wie z. B. na-turgucker.de möglich, wo man ge-zielt Arten auf ihre Areal-Geografie und ihre Blüh-Synchronie auswerten kann. Erst wenn sich hier ein Unter-schied im Blüh-Höhepunkt von 4-6 Wochen ergibt, ist eine gegenseitige Befruchtung höchst unwahrschein-lich (Hennecke & Munzinger 2013) und erst dann tritt auf Grund einer jahreszeitlichen Isolation nach dem Biospezieskonzept eine Aufhebung der potenziellen Fortpflanzungsge-meinschaft ein, die die Abtrennung unterschiedlicher Arttaxa erlaubt.

Fazit: Phänologische Unterschiede sind eindeutig für ein identisches Areal nachzuweisen, denn die Un-terschiede von Jahr zu Jahr sind im-mens (Hennecke, in prep.).

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4: Pseudoaugen: Ja/Nein im Sinne von vorhanden oder nicht.5: Form der Petalen: spitz-dreieckig, stumpf-trapezförmig oder fadenför-mig.6: Mittleres Sepalblatt: deutlich nach vorne geschlagen oder anders.7: Lippe: ungeteilt oder dreilappig.

4. Untergattung Ophrys

Die Gattung Ophrys ist monophy-letisch und eindeutig zweigeteilt (Hennecke 2013). Die Untergat-tung Ophrys ist eindeutig durch das Fehlen des Konnektiv-Fortsatzes gekennzeichnet; das Konnektiv ist daher gerundet. Die Untergattung Fuciflorae hat im Gegensatz dazu einen Konnektiv-Fortsatz; das Kon-nektiv ist spitzig ausgezogen.

4.1. Molekulargenetische Daten

inDa et al. (2012) publizierten ein weiteres molekular-biologisches Kladogramm. Auch dieses Klado-gramm ist den übrigen sehr ähnlich (Übersicht siehe Hennecke 2013), nur Ophrys insectifera ist wieder an einer anderen Stelle, „vagabundiert“ sozusagen je nach Untersuchung.

Alle anderen Kladen sind eindeutig mit deutlichen Astlängen (5-8) und

3.7. Was bleibt?

Was Bestand hat, sind drei Dinge:1. DNA-Analysen. Zugegeben, die derzeitigen publizierten Klado-gramme sind sehr flach und even-tuell noch mit Bestimmungsfehlern behaftet.2. Das Biospezies-Konzept (Mun-zinger & Hennecke 2014): Es muss im Feld untersucht werden, wo Kontinuen von Merkmalsausprä-gungen enden. Größere Hybrid-Populationen zeigen entsprechend an, dass Artabgrenzungen nicht dem Biospezies-Konzept entsprechen.3. Zwei Unterarten können nicht auf derselben Wiese zur selben Zeit blühen. Dann sind es entweder zwei Arten oder nur Varietäten. In diesem Sinne wird in den folgenden Beiträ-gen von uns die Trennung vollzo-gen.

Auf der Rangstufe der Untergattung und Sektionen von Ophrys sind es ganz andere Bestimmungsmerkma-le, die zur Klärung beitragen (Hen-necke 2013):1: Konnektiv-Fortsatz: Ja/Nein im Sinne von vorhanden oder nicht.2: Anhängsel: Ja/Nein im Sinne von vorhanden oder nicht.3: Stellung des Anhängsels: nach hinten (zum Stängel) oder nach vor-ne/oben.

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bootstrap-Prozenten von 85-100% je nach Autorenteam. Die nächsten Verwandtschaftsbeziehungen sind allerdings in jedem Kladogramm unterschiedlich.

4.2. Diagnose

Da die Unterteilung in eine Unter-gattung Ophrys neu ist, wird eine Diagnose gegeben:

BeschreibungDas Gynostegium der Pflanzen in der Untergattung Ophrys hat keinen Fortsatz. Das Gynostegium ist ab-gerundet.

DescriptionThe gynostegium of plants in the subgenus Ophrys has no tip. The gynostegium is rounded.

4.3. Unterteilung innerhalb der Untergattung

Nach dem morphologischen Den-drogramm (Hennecke 2013) sind die fünf Sektionen dieser Untergat-tung eindeutig zu bestimmen:

Ophrys• sectio OphrysOphrys• sectio SpeculiOphrys• sectio PseudophrysOphrys• sectio BombylifloraeOphrys• sectio Tenthrediniferae

Sektion Bombyliflorae und Sek-tion Tenthrediniferae haben beide ein Anhängsel. Jeder Feldbiologe weiß, dass beide im Perigon sehr ähnlich sind, was Delforge (1995) veranlasste, sie in einer Sektion zu-sammenzufassen. Allerdings haben die Tenthrediniferae-Arttaxa eine ganzrandige Lippe, während die Bombyliflorae-Arttaxa eine drei-lappige besitzen. In den molekular-biologischen Kladogrammen sind sie eindeutig getrennt, daher ist eine phylogenetische Gruppenbildung der Sektionen Bombyliflorae und Tenthrediniferae abzulehnen.

Die anderen drei Sektionen haben kein Anhängsel. Die Sektion Ophrys ist ähnlich der Sektion Speculi, beide sind in ihrer Lippe am deut-lichsten insektenähnlich, weshalb Quentin (in Bournérias 1998) beide in einer Sektion führt. Aber bereits Buttler (1983) hielt eine getrenn-te Einstufung von „speculum“ und „insectifera“ in zwei verschiedene Sektionen für plausibler, was mit den heutigen molekular-genetischen Kladogrammen bestätigt wurde.

Bei der Sektion Pseudophrys feh-len die Pseudoaugen, was mit der andersartigen Pseudokopulation zu-sammen hängt. Die Insekten-Männ-chen landen oder drehen sich so,

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Bestimmungsschlüssel zu den Sektionen

1 Ohne Pseudoaugen neben der Narbenhöhle Pseudophrys1* Mit Pseudoaugen neben der Narbenhöhle 2 kein Anhängsel 3 Sepalen fadenförmig, nach vorne gerichtet Ophrys 3* Sepalen klein, spitz-dreieckig, zurückgekrümmt, Mal blau glänzend, zottig braun behaart Speculi 2* großes Anhängsel, nach oben gerichtet, darüber ein Haarbüschel, rosa oder weiße Petalen Tenthrediniferae 2** deutliches Anhängsel, unter die Lippe gebogen, nur von hinten zu sehen, grüne Petalen Bombyliflorae

Sektion Euophrys ist heute nicht mehr haltbar (Hennecke 2013).

4.4. Bestimmungsrelevante Merk-male

Es wurde eine Reihe von Primär-merkmalen gefunden, die es dem Feldbiologen ermöglichen, die Sektionen eindeutig zu bestimmen. Wichtige Merkmale sind fett her-vorgehoben. Diese Merkmale haben nur diagnostischen Charakter und müssen deshalb nicht zwingend eine biologische Funktion haben.

dass das Abdomen zum Säulchen gerichtet ist. Die Pollinien werden daher dem Abdomen angeheftet. Die Pseudokopulation von Insekten-Männchen auf Ophrys wurde zuerst von Pouyanne (1917) erforscht, ein französischer Richter an einem tunesischen Gericht, und ein gutes Beispiel ist, wie wichtig Bürgerfor-schung (= citizen science) ist (finke 2013). Nach langem Expertenstreit hat dies goDfery (1928) anerkannt und die Sektion Pseudophrys be-schrieben. Seine weitere Einteilung der übrigen Ophrys-Arten in die

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Verwechslungsmöglichkeiten

Die Sektionen sind eindeutig zu bestimmen und können nicht ver-wechselt werden, auch nicht mit Sektionen aus der Untergattung Fu-ciflorae.

Für Anfänger ist wichtig zu erwäh-nen, dass Tenthrediniferae auf den ersten Blick sehr ähnlich zu Fuciflo-rae ist. Aber das Haarbüschel über dem Anhängsel erlaubt die eindeuti-ge Unterscheidung.

5. Diskussion

Deutlich ist in allen Kladogram-men die Zweiteilung der Gattung zu erkennen, wobei das nicht die Un-terteilung in Euophrys und Pseudo-phrys ist, sondern in Ophrys (im Sin-ne von Musciferae) und Fuciflorae. Da Ophrys insectifera in fünf mole-kular-biologischen Kladogrammen jeweils an einer anderen Stelle zu finden ist, wird das Primärmerkmal „ohne Konnektiv-Fortsatz“ heran-gezogen und diese Sektion in diese Untergattung eingruppiert.

Damit kann mit großer Sicherheit festgestellt werden, dass die Gattung Ophrys in zwei Untergattungen mit jeweils 5 Sektionen unterteilt wer-den kann.

Für die fünf Sektionen in der Unter-gattung Ophrys wird ein eindeutiger Bestimmungsschlüssel vorgelegt. Die einzelnen Arten in der jewei-ligen Sektion werden in folgenden Beiträgen diskutiert.

Literatur

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Hennecke, M. & s. Munzinger (2013): Hybridi-sierungen innerhalb der Gattung Ophrys im Hinblick auf Blütezeiten der Eltern – das AUS der postulierten eine Orchidee/ein Bestäuber-Beziehung – Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 30(2): 109-147.

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WucHerPfennig, W. (2006): Wie nützlich sind Merkmale des Habitus für die Bestimmung von Epipactis-Arten? – 2. Epipactis distans und Epipactis helleborine subsp./var. orbicu-laris. – J. Eur. Orch. 38(3): 625-666.

Internet

www.naturgucker.de

http://apps.kew.org/wcsp

Adresse der Autoren

Dr. Manfred Hennecke

Hohenstaufenstr. 873630 RemshaldenE-Mail: [email protected]

Stefan Munzinger

Am Kirchtal 937154 NortheimE-Mail: [email protected]

HuBBs, C. L. (1943): Criteria For Subspecies, Species And Genera, As Determined By Re-searches On Fishes. – Annals New York Aca-demy Of Sciences: 109-121.

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