Das Grab von Tia & Tia in Sakkara (2006)
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Ägyptologie Zürich Referent: Michael Habicht
Sommersemester 2006
Proseminar Saqqara / Memphis
Dr. Barbara Lüscher
Das Grab von Tia & Tia in Sakkara (19. Dynastie, Zeit von Ramses II.)
Das Grab von Tia und Tia: Blick vom Eingangshof her auf das Grab.
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Im folgendem Referat soll ein Grab der Ramessidenzeit unter Ramses II. genauer vorgestellt
werden. Es ist das Grab von Tia und Tia. Der Grabinhaber und seine Frau tragen denselben Namen.
Tia, der Mann, war ein hoher Verwaltungsbeamter, seine Frau Tia die Schwester des Pharaos
Ramses II1. Es liegt uns also ein Elitegrab der frühen 19. Dynastie vor.
Die Lage des Grabes
Die Gräber von Haremhab und Tia und Tia liegen rund 150 Meter nördlich des Jeremias-Klosters.
Die Felsen bei Sakkara sind weniger hoch als in Theben-West und waren daher schon bald mit
Felsgräbern voll besetzt. Die Beamten von Sakkara schlugen in der frühen und mittleren 18.
Dynastie in den Felsabhang2. Am Ende der Dynastie waren die Felsen voll besetzt und es bildete
sich eine neue Art von Grab in der Ebene aus. Weil die Gräber in ihrer architektonischen Form an
miniaturisierte Totentempel der Könige erinnern, werden sie auch „Tempelgräber“ genannt. Die Gräber wurden in der Nachamarnazeit nach dem Einfamilienhausprinzip mit einem gewissen
Abstand voneinander errichtet.
Als die Gräber der Ramessidenzeit gebaut werden sollten, standen die zukünftigen Grabbesitzer vor
dem Problem, dass viele gute Plätze schon besetzt waren, daher quetschten sie ihre Grabbauten
zwischen diejenigen der 18. Dynastie3.
Bei Tia & Tia ist das ebenfalls der Fall. Das Grab wurde unmittelbar nördlich des Haremhab-
Grabes hineingequetscht. Die Kultpyramide überbaute sogar ein schon verfallender Vorhof des
Ramose-Grabes, eines hohen Militärs aus der Zeit von Haremhab.
Eine aus mehreren Grundrissen zusammengestellte Karte vermittelt die Situation.
Bild 1: Das Grab von Tia & Tia, nördlich des Haremhab-Grabes. Achtung: leichte Abweichungen der
Masstäbe bei den einzelnen Grabgrundrissen.
1 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994), 129-130. 2 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994), 36. 3 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994), 130.
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Dass sich Tia & Tia so nahe an das Grab von Haremhab setzten dürfte neben dem Platzmangel in
der Nekropole auch ideelle Gründe gehabt haben. Das Grab von Haremhab wurde von diesem ja
bekanntlich gar nicht für sich selbst genutzt, da er vom General zum Pharao aufstieg und sich
folglich ein königliches Grab im Tal der Könige (KV 57) bauen liess. Jedoch seine Frau Mut-
Nedjmet wurde hier bestattet. Nach seinem Tod bestieg sein militärischer Weggefährte als Ramses
I. den Thron und begründete die Ramessidendynastie. Haremhab galt der Dynastie als ideeller
Vorfahre, als „Gründungsheros“ der neuen Dynastie. Daher war es prestigeträchtig sich nahe an Haremhab ein Grab errichten zu lassen. (Auch wenn dieser natürlich nicht dort bestattet wurde)
Die Entdeckung des Grabes
Das Grab wurde vermutlich schon in antiker Zeit beraubt und es wurde auch Steinmaterial zur
neuen Verwendung abgebrochen. Ein interessanter Fall ist die Pyramidenspitze: Sie wurde der
ägyptologischen Forschung schon sehr früh bekannt, und war eine der ersten Antiquitäten, welche
nach England abtransportiert wurden. Davon wird später noch die Rede sein. Dann kehrte offenbar
wieder Ruhe ein und das Grab wurde mit Sand zugeweht.
Die Ausgrabungsmission der Egypt Exploration Society und des Leidener Museum hatte ab 1975
begonnen das bekannte, aber inzwischen wieder im Sand verschwundene Grab des Schatzkanzlers
Maya zu suchen. Dabei stiessen die Ausgräber zunächst auf das ebenfalls zugewehte Grab des
Haremhab. Weil das Grab von Tia und Tia so dicht angebaut war, wurde es als Beifung
mitentdeckt. Das Grab wurde 1982 ausgegraben. Für die Forschung war die Entdeckung insofern
eine wichtige neue Information. Bis anhin war die Forschung davon ausgegangen, dass zur Zeit von
Ramses II. alle Mitglieder der Königsfamilie entweder im Tal der Könige oder der Königinnen
beigesetzt wurden. Tia, die Schwester von Ramses II. stellt somit eine Ausnahme dar.
Die Grabarchitektur
Das Grab orientiert sich in den Grundbestandteilen an der Architektur der „Tempelgräber“ der späten 18. Dynastie, bringt aber auch Neuerungen sowohl architektonischer als auch
ikonographischer Natur4.
Man betrat das Grab über einen gepflasterten Vorhof (1) und wurde durch einen kleinen Porticus
(2) an den Eingangspylon geführt. Der Porticus ist weitgehend zerstört. Der Pylon trägt
Darstellungen von Tia (dem Ehemann), an den Laibungen, d.h. den Seitenwänden des Eingangs
waren überlebensgrosse Darstellungen von Ramses II. angebracht.
Nach den Pylon folgt ein offener Hof (3). Im Hof stehen zwei private Grabkapellen. Die Nördliche
ist beinahe vollkommen zerstört und wurde wegen dem schlechten Zustand des Untergrundes nicht
ausgegraben. Die südliche Kapelle gehörte dem Schreiber Iurudef, einem Mann aus dem Gefolge
von Tia und Tia. Iurudef erscheint auch im Grab auf den Reliefs als Begleiter der Grabinhaber. Ihm
wurde das seltene Privileg zuteil ein Grabplatz mit Kapelle in einem Grab des königlichen
Umfeldes zu erhalten. Im Grabschacht wurden noch Reste seiner Bestattung gefunden5.
Das zweite Pylontor ist stark zerstört, man gelangt durch dieses in einen zweiten Hof (5). Der
Säulenumgang setzt sich aus Säulen und quadratischen Pfeilern zusammen. Die Pfeiler sind mit
Darstellungen von Tia (dem Mann) geschmückt, welcher einen djed-Pfeiler stützt.
Die meisten anderen Wandverkleidungen mit Reliefs sind verschwunden. Sie wurden von
Steinräubern abtransportiert. Einige Blöcke fanden sich noch im Schutt. Sie waren bereits von den
4 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994), 130.
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Dieben abmontiert und zum Abtransport aufgeschichtet worden. Zu diesem kam es zum Glück für
die Forschung nicht mehr. Die Ausgräber waren daher in der Lage, wenigstens einen Teil der
Nordwand rekonstruieren zu können. Die Dekoration erinnerte die Ausgräber noch stärker an einen
Totentempel als dies schon die Architektur dieser „Tempelgräber“ tat. Dargestellt ist Tia (der Mann), welcher die Göttin Isis anbetet, wie sonst die königliche Familie die Staatsgötter verehrt.
Durch die Heirat mit einer Frau aus dem Königshaus standen Tia offenbar solche
Darstellungsprivilegien zu6.
Auch ein Teil der Ostwand des Hofes ist erhalten. Dort werden Tia und Tia abgebildet, wie sie
Osiris, Horus, Isis und Atum Opfer darbringen. Sieben heilige Öle werden dem Osiris geopfert.
Im Hof wurden zudem zwei Statuen gefunden: In der Südostecke eine Tiade (Dreiergruppe) und gegen die Ostwand, nahe der Türe eine Dyade (Zweiergruppe).
Oberbauten des Grabes von Tia und Tia:
1 Vorhof
2 Portikus und dahinter Pylon
3 Offener Hof mit Kultkapellen
4 Kultkapellen
5 Innerer Hof mit Säulenumgang. Die Ostwand ist gut erhalten. Tia und Tia beten Osiris, Horus, Isis und
Atum an. In der Südostecke stand eine Triade und eine Dyade, beide unvollendet
6 Kapelle A ,relativ gut erhalten. Dem Gott Apis geweiht.
7 Kapellenvorraum
8 Kapelle
9 Kultpyramide
Dies wäre an und für sich nichts Aussergewöhnliches, doch hier zeichnen sich beide Gruppen
dadurch aus, dass sie in stark unfertigen Zustand verblieben sind. Der Bildhauer hatte die Statuen
knapp umrissen. Die geplante Absicht ist für die Forschung erkennbar. Die Triade hätte eine
Göttertriade aus Ptah, Sachmet und Nefertem werden sollen. Die Doppelstatue ist so ungenau
5 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994), 171f. 6 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994), 134.
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umrissen, dass nicht sicher ist was es werden sollte. Vorgeschlagen ist, als Analogschluss aus
anderen Gräbern, eine Darstellung der Grabbesitzer. Die unfertigen Statuen zeigen aber, dass hier
vor Ort gearbeitet wurde.
An der Südwand wurden Teile einer Stele gefunden, ein Gegenstück, wohl an der Nordwand wurde
in früherer Zeit von Antikenjägern abtransportiert und befindet sich heute in der ägyptischen
Sammlung von Florenz7.
Über die Dekoration vom Kapellenvorraum und dem eigentlichen Opferraum kann kaum etwas
ausgesagt werden, denn hier wurden die Steine besonders gründlich abgetragen. Auf der Südwand
des Vorraumes kann noch eine Darstellung der königlichen Familie erkannt werden und wir
erfahren, dass Tia und Tia zwei Töchter hatten, eine hiess Mut-meten-nefer, die andere ist
namentlich nicht bekannt.
Die Apisstier-Kapelle (Kapelle A)
Die Kapelle A ist glücklicherweise besser erhalten. Der Sockel im Raum diente als Postament für
eine Apisstierstatue, denn ein Teil des Hinterleibes wurde am Eingang aufgefunden.
Die erhaltenen Wandreliefs zeigen Tia und Tia bei ihrer Abydosfahrt. Die beiden sind als lebende
Personen im Baldachin ihres Schiffes dargestellt. Ihr Diener Iurudef bedient sie. Die dargestellte
Bootsmannschaft gibt der Szene eine gewisse Realistik. Die naturalistische Wirkung, wie sie in
Gräbern der Nachamaranzeit zu spüren ist, fehlt aber. Die Schiffe sind hintereinander aufgereiht,
nicht dreidimensional gestaffelt. Im Grab von Tia und Tia schwimmen die Schiffe auf einem
altertümlichen Nilwasser. Darin tummeln sich diverse Tiere: Fische, ein Krokodil, Vögel,
Wasserpflanzen. Die Darstellungskonvention erinnert an Gräber des Alten Reiches. Die Kunst der
Ramessidenzeit arbeitet ganz bewusst mit einem historisierenden Stilpluralismus. Geoffrey T.
Martin schlug bei dieser Szene vor, dass der Künstler sich von altehrwürdigen Mastabagräbern der
5. und 6. Dynastie inspirieren liess. Denn solche Flussszenen sind im Neuen Reich eher
ungewöhnlich, jedoch ein beliebtes Motiv im Alten Reich8.
An der Nordwand der Kapelle ist die Darstellung gut erhalten, sie zeigt Tia und Tia am reich
gedeckten Opfergabentisch. Sie huldigen einer Prozession von Gottheiten, darunter solchen die mit
Abydos verbunden sind. Diese Partie ist besonders fein gemeisselt. Die Ausgräber fühlten sich bei
dieser Darstellung an die Wandreliefs im Tempel von Ramses II in Abydos erinnert. G. T. Martin
schlug sogar vor, dass eventuell dieselben Künstler die Reliefs ausgeführt haben könnten9.
Die Nordwand, welche in der Antike von der Apisstatue verdeckt wurde, zeichnet sich durch
summarische Arbeit aus.
7 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994), 136. 8 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994), 140 9 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994), 140
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Kapelle A, Südwand: Tia und Tia bei der Abydosfahrt auf einem altertümmlich gestalteten Nil mit
Wassertieren.
Stilistische Beobachtungen
Bei dieser Gelegenheit ist es nun sinnvoll, einige Bemerkungen zum Stil in diesem Grab und in der
Ramessidenzeit im allgemeinen zu machen.
Die Ramessidische Kunst ist in der Ägyptologie nicht bei allen Forschern sehr beliebt und erntet oft
vernichtende Kritik10. So schrieb der Ausgräber G. T. Martin zum Grab von Tia und Tia, Zitat: „Es wurde durchweg Kalkstein benutzt, aber was für eine schludrige handwerkliche Leistung wird da
sichtbar! Kaum eine Wand ist gerade, und es gibt selten einmal einen wirklich echten rechten
Winkel. Der verwendete Stein war entweder von schlechter oder fehlerhafter Qualität. Die
schadhaften Zonen wurden mit Putz verschmiert, der an vielen Stellen abgefallen ist. Die Wände
des Grabes sind ihrerseits nicht aus solidem Stein, sondern in der Form von Kalksteinorthostaten,
also Verkleidungsblöcken, Seite an Seite in parallelen Reihen aufgestellt, und die Zwischenräume
wurden mit Schotter und Splittern aufgefüllt. Alles hat sicher einige Jahre lang tipptopp
ausgesehen...“11. Da G. T. Martin auch die nahegelegenen Gräber von Haremhab und Maya mit
ihren wundervollen Reliefs ausgrub, ist dieses Urteil nachvollziehbar.
Auch bei anderen Elitegräbern derselben Zeit sind solche Qualitästsmängel nachweisbar. So etwa
im Grab des Wesirs Paser (Theben TT 106). Auch dort sind manche Partien herausragend in der
Qualität, andere lausig12.
10 E. Hofmann, Bilder im Wandel. Die Kunst der Ramessidischen Privatgräber (2004). Verweist in der Einleitung auf die wissenschaftliche Vernachlässigung der Ramessidenzeit. 11 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994),130. 12 E. Hofmann, Bilder im Wandel. Die Kunst der Ramessidischen Privatgräber (2004), 31-38.
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Das Phänomen von sehr unterschiedlicher Qualität innerhalb eines einzigen Bauwerks ist ein ganz
typisches Merkmal der Zeit ab Ramses II. sowohl bei Privatgräbern, aber auch bei grossen
Staatsmonumenten.
Die Kunst der Ramessidenzeit ist durch Stilpluralismus und durch Historizität geprägt. Ohne die
Amarna- und Nachamarnazeit ist die Kunst der 19. Dynastie nicht denkbar. Man kann sagen, dass
die Ramessidenzeit die Verarbeitung und Neuinterpretation der verfehmten Zeit ist. Die Künstler
spielen ganz bewusst mit verschiedenen Stilelementen, welche aus verschiedenen früheren Epochen
stammen. Der Wunsch nach einer bestimmten Aussage bestimmte die Wahl des jeweiligen
Stilmittels. Für Eva Hofmann, welche sich mit den Ramessidengräbern kunstgeschichtlich
auseinandersetzte, ist damit der Vorwurf eines künstlerischen Verfalls bereits entkräftet13. Gewisse
Motive werden beinahe direkt aus der Amarnazeit herübergenommen. So sind im Grab von Tia und
Tia an der Westwand Opferträger zu beobachten, welche Gaben tragen. Dieses Thema ist in der
ägyptischen Kunst sehr alltäglich. Die Gabenträger sind aber auf eigentümliche Weise gebückt und
erinnern in ihrer Bücklingshaltung an die Amarnazeit14.
Die Reliefs bei Tia und Tia werden in der versenketen Technik ausgeführt, welche in der
Ramessidenzeit sehr beliebt ist, besonders auf sonnenbeschienen Wänden. Das Spiel von Licht und
Schatten wird hier angestrebt. Die Technik ist zudem sehr rationell und erlaubt eine schnelle
Dekorierung von riesigen Monumenten. Nur so waren die gewaltigen Bauprojekte unter Ramses II.
überhaupt in einem übersehbaren Zeitraum zu verwirklichen.
Die Pyramide und das verschwundene Pyramidion
Zur Überraschung der Ausgräber fand sich hinter dem Grab eine kleine Pyramide. Sie war aussen
mit Kalksteinplatten eingefasst, von denen einige noch erhalten sind. Im Innern wurde sie mit
Schotter aufgefüllt. Die Pyramide liegt auf dem Vorplatz eines zum Zeitpunkt der Errichtung bereits
verfallenen Grabes der 18. Dynastie (Grab des Ramose).
Mit dem Bau der Pyramide teilt das Grab von Tia und Tia eine Gemeinsamkeit mit den Deir el-
Medine-Gräbern der 19. Dynastie in Theben. Dort liegen die Pyramiden aus Nilschlammziegeln
allerdings über den Kultkapellen. Bei Tia und Tia war dies wegen der Steinbauweise und dem sich
daraus ergebenden höheren Gewichtes nicht möglich. Daher wurde die Pyramide hinter das Grab
versetzt. Die Ausgräber rekonstruierten folgende ursprünglichen Masse: Grundriss 5,30 mal 5,41
Meter, geschätzte Höhe ca. 6,35 Meter15.
13 E. Hofmann, Bilder im Wandel. Die Kunst der Ramessidischen Privatgräber (2004), 27. 14 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994), 136 und Abb. 67-69. 15 G. T. Martin, The Tomb of Tia and Tia (1997), 7.
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Grab Tia und Tia: Blick von hinten auf das Grab: Im Vordergrund die Pyramide.
Die Kalksteinplattenverkleidung der Pyramide war mit horizontalen Textbändern an der Nord-,
West- und Südseite versehen. In der Seitenmitte lief zudem ein vertikales Textband nach oben.
Reste davon sind an der Nord- und Westseite noch sichtbar erhalten16.
Das Pyramidion (die Pyramidenspitze) hat eine spezielle Forschungsgeschichte. Die Spitze wurde
schon früh von Antikenjägern abmontiert und gelangte schon im 18. Jahrhundert nach
Grossbritannien. Der Reiseschriftsteller Alexander Gordon veröffentlichte die Spitze in seinem
Bildtafelwerk erstmals 1737-39. Die Spitze war nachweislich seit 1722 in Grossbritannien und
damit eine der erstern ägyptischen Antiquitäten. Gordon bildete alle vier Seiten ab, die Zeichnungen
sind recht getreu und geben die damals noch unlesbaren Hieroglyphen so gut wieder, dass die
Zuweisung der Spitze an Tia und Tia als unbestritten gilt17.
16 G. T. Martin, The Tomb of Tia and Tia (1997), 7. 17 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994), 145.
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In folgenden Publikationen wird noch darauf Bezug genommen, dann verschwindet das
Pyramidion. Zum letzen Mal wird es 1792 im Garten des Baronet Sir James Tylney Long, in
Wansted (Essex) gesichtet. Das Haus wurde schliesslich abgerissen und das Gebiet in einen
Friedhof verwandelt. Es gilt daher als möglich, dass die Spitze Teil eines englischen Grabes ist.
Alle Bemühungen, die Spitze zu finden, sind bis heute erfolglos geblieben.
Der Ausgräber bemerkt hierzu treffend zur Wichtigkeit der Ägyptologiepublikationen, Zitat: „ So etwas mag uns bezeiten daran erinnern, dass das Material und die Denkmäler, die Ägyptologen
heute aufnehmen, möglicherweise einmal die einzige Belegquelle sein werden, auf die sich
zukünftige Generationen stützen können“18.
Die unterirische Grabanlage
Das Grab weist zwei unteriridsche Grabanlagen auf dem Grabareal auf. Die eine Grabkammer
gehörte Iurduef, dem Angestellten von Tia und Tia, der sein Grab unter dem ersten Vorhof anlegte.
Die Grabkammer von Tia und Tia liegt im zweiten Hof. Durch den Schacht gelangt man in einen
etwa quadratischen Raum (Raum A). Von dort führt eine steil abfallende Rampe auf ein tieferes
Niveau. Der erste Raum ist ein Vorraum mit abgetieftem Boden, ähnlich den Brunnenkammern in
Königsräbern (Raum B). Eine Türrahmung leitet einem zur eigentlichen Grabkammer mit Resten
eines stattlichen Granitsarkophages (Raum C). Die Inschriften weisen ihn der Prinzessin Tia zu. Ein
grösseres Stück des Sarkophages gelangte im 19. Jahrhundert in die ägyptische Sammlung der
NyCarlsberg-Glyptothek in Kopenhagen19.
Ein Korridor führt zur Kammer D, wo ebenfalls Bestattungen untergebracht waren.Die Grabräuber
haben in diesem Grab ganze Arbeit geleistet. Es wurden noch wenige Reste von mumifizierten
Skelettresten gefunden. Andere archäologische Überreste deuten darauf, dass insgesamt 7
Individuen hier bestattet waren. Die weiche Kalksteindecke ist im Laufe der Jahre heruntergefallen
und liegt heute rund 40 cm über dem antiken Deckenniveau. Im Laufe des Jahres 1984 verursachte
die Austrocknung während der Ausgrabung einen Kollaps von Decke und Wänden. Die Wände der
unterirdischen Grabanlage sind undekoriert20.
Die Bedeutung des Grabes für die Stilentwicklung
Das Grab von Tia und Tia ist insofern bedeutend, da es die bisher übliche Vorstellung von den
königlichen Bestattungsorten in Frage stellt. Bisher galt, das ab der Zeit von Ramses II. alle
Königinnen und nächsten königlichen Angehörigen im Tal der Königinnen bestattet werden. Diese
Regel ist nun in Frage gestellt.
Stilistisch ist das Grab ein typischer Vertreter der Ramessidenzeit. Allgemein gilt: Gute und
schlechte Qualität der Reliefs sind in demselben Grab zu finden. Es werden bewusst Highlights
gesetzt. Bezeichnend für die Grabgestaltung der 19. Dynastie ist zudem die Trennung von oben und
unten. Im oberern Register werden Götter angebetet, im unteren der Totenkult vollzogen. Es wird
eine Vermittlung der Götter und Menschenwelt realisiert. Das Grab wird zu einem heiligen Ort.
Eine neue Aussage tritt nun in die Gräber ein. Bisher war das Grab der Ort wo die Mumie
verborgen wurde, der Totenkult vollzogen und der Name des Toten den Lebenden als
Gedächtnisstätte gegeben war. Dies alles tritt in den Hintergrund für die sakrale Funktion. Das Grab
dient der Gottesnähe des Verstorbenen, hier verehrt der Grabherr die Götter. Dies ist der
18 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994), 146. 19 G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab (1994), 143. 20 G. T. Martin, The Tomb of Tia and Tia (1997), 13.
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Hauptaspekt des ramessidischen Beamtengrabes. Dies ist auch der Gesichtspunkt von dem aus die
Darstellung konzipiert wird. In der Ramessidenzeit wird neu der „Bildstreifen“ verwendet. Er unterscheidet sich vom Register einerseits dadurch, dass eine einzige Szene nie mehrere
Bildstreifen umfasst und dass der Bildstreifen dafür auf mehrere Wände übergreifen kann und
niemals eine ganze Wand füllt. Meist teilen sich 2 – 3 Streifen den Raum.
Grab Tia und Tia: Die undekorierte unterirdische Grabanlage.
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Literatur B. Porter – R. L. B. Moss, Memphis (Topographical Bibliography) (1997-2003).
G. T. Martin, The Tomb of Tia and Tia (1997).
G. T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab. Neue Ausgrabungen verschollener und
unbekannter Grabanlagen aus der Zeit von Tutanchamun und Ramses II. in Memphis (1994).
G. T. Martin, The hidden tombs of Memphis. New Discoveries from the time of Tutankhamun and
Ramesses the Great (1991).
BBC Dokumentation: Memphis – Hauptstadt von Ägypten (1991).
J. Kamil, Sakkara and Memphis. A guide to the Necropolis and the Ancient Capital (1985).
G. T. Martin, The Tomb of Tia and Tia: preliminary report on the Saqqâra excavations, JEA 70,
1983, 5-12.
G. T. Martin, The Tomb of Tia and Tia: preliminary report on the Saqqâra excavations, JEA 69,
1983, 25-29.
J. Málek, Two monuments of the Tias, JEA 60, 1974, 161-167.
A. Gordon, An Essay towards explaning the hieroglyphical figures on the coffin of the ancient
mummy belonging to Capt. William Lethieullier. An Essay towards explaning the hieroglyphical
figures on the Egyptian mummy in the Museum of Doctor Mead, Physician in Ordinary to His
Majesty. (1737), Platten 1 und 2.