Bilderwelten im Schulbuch. Die visuelle Dimension eines multimodalen Massenmediums

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63 Bilderwelten im Schulbuch Lucia Halder Bilderwelten im Schulbuch Die visuelle Dimension eines multimodalen Massenmediums »Wer schnellen und bleibenden Eindruck machen will, bedient sich der Bilder«, so ein Diktum Otto Neuraths aus dem Jahr 1933. 1 Der öster- reichische Ökonom und Wissenschaftstheoretiker entwickelte ab 1944 ein durchgehend auf Infografiken basierendes Geschichtsbuch mit dem Titel Visual history of mankind (Abb. 1). 2 Dieses weitgehend »vergessene Kapitel des Iconic Turn« 3 blieb jedoch eine relativ folgenarme Episode in der Schulbuchentwicklung, -produktion und -forschung. Neuraths von demokratisierendem und sozial-aufklärerischem Impetus geprägtes Werk geriet mehr und mehr in Vergessenheit. 4 Ungeachtet der großen Aufmerksamkeit von Rezipientenseite – Generationen von Schülerin- nen und Schülern haben vermutlich zu Beginn des neuen Schuljahres das neue Schulbuch zunächst im Schnelldurchlauf auf die Abbildungen hin durchgeblättert 5 – blieb die visuelle Ebene in Schulbüchern lange Zeit ein Stiefkind der Bildungsmedienforschung. Erst mit der Konsta- tierung eines Visual oder Iconic Turn in den frühen 1990er Jahren er- 1 Zit. nach: Bildersprache. Otto Neurath, Visualisierungen. Hrsg. von: Frank Hartmann, Erwin K. Bauer. Wien 2006, S. 14. 2 Otto Neurath / Marie Neurath / Lancelot Hogben: Visual history of mankind. London 1948. 3 Frank Hartmann: Mediologie. Ansätze einer Medientheorie der Kulturwissen- schaften. Wien 2003, S. 51. Die Visual history of mankind war laut Neurath »a new development in Visual Education«; vgl. Hartmann/Bauer: Bildersprache (Anm.1). 4 Erst in jüngster Zeit hat die Erforschung von Neuraths Werk und Wirken aus historischer sowie bildungs- und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive Fahrt aufgenommen. Siehe.www.isotyperevisited.org – Stand: 27.08.2014. 5 Für die 1990er Jahre vgl. die von Alain Choppin zitierten Erhebungen. Alain Choppin: Aspekte der Illustration und Konzeption von Schulbüchern. In: Schulbücher auf dem Prüfstand. Perspektiven der Schulbuchforschung und Schulbuchbeurteilung in Europa. Hrsg. von Karl Peter Fritzsche. Frankfurt a. M. 1992, S. 137–150, hier S. 139f.

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Lucia Halder

Bilderwelten im Schulbuch

Die visuelle Dimension eines multimodalen Massenmediums

»Wer schnellen und bleibenden Eindruck machen will, bedient sich der Bilder«, so ein Diktum Otto Neuraths aus dem Jahr 1933.1 Der öster-reichische Ökonom und Wissenschaftstheoretiker entwickelte ab 1944 ein durchgehend auf Infografiken basierendes Geschichtsbuch mit dem Titel Visual history of mankind (Abb. 1).2 Dieses weitgehend »vergessene Kapitel des Iconic Turn«3 blieb jedoch eine relativ folgenarme Episode in der Schulbuchentwicklung, -produktion und -forschung. Neuraths von demokratisierendem und sozial-aufklärerischem Impetus geprägtes Werk geriet mehr und mehr in Vergessenheit.4 Ungeachtet der großen Aufmerksamkeit von Rezipientenseite – Generationen von Schülerin-nen und Schülern haben vermutlich zu Beginn des neuen Schuljahres das neue Schulbuch zunächst im Schnelldurchlauf auf die Abbildungen hin durchgeblättert5 – blieb die visuelle Ebene in Schulbüchern lange Zeit ein Stiefkind der Bildungsmedienforschung. Erst mit der Konsta-tierung eines Visual oder Iconic Turn in den frühen 1990er Jahren er-

1 Zit. nach: Bildersprache. Otto Neurath, Visualisierungen. Hrsg. von: Frank Hartmann, Erwin K. Bauer. Wien 2006, S. 14.

2 Otto Neurath / Marie Neurath / Lancelot Hogben: Visual history of mankind. London 1948.

3 Frank Hartmann: Mediologie. Ansätze einer Medientheorie der Kulturwissen-schaften. Wien 2003, S. 51. Die Visual history of mankind war laut Neurath »a new development in Visual Education«; vgl. Hartmann/Bauer: Bildersprache (Anm.1).

4 Erst in jüngster Zeit hat die Erforschung von Neuraths Werk und Wirken aus historischer sowie bildungs- und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive Fahrt aufgenommen. Siehe.www.isotyperevisited.org – Stand: 27.08.2014.

5 Für die 1990er Jahre vgl. die von Alain Choppin zitierten Erhebungen. Alain Choppin: Aspekte der Illustration und Konzeption von Schulbüchern. In: Schulbücher auf dem Prüfstand. Perspektiven der Schulbuchforschung und Schulbuchbeurteilung in Europa. Hrsg. von Karl Peter Fritzsche. Frankfurt a. M. 1992, S. 137–150, hier S. 139f.

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fuhren die visuelle Kultur und somit auch Bilder in Bildungskontexten eine gesteigerte Aufmerksamkeit der Forschung.6

Bilder in Schulbüchern strukturieren Texte, verbildlichen Sachver-halte und veranschaulichen abstrakte Zusammenhänge.7 Als »schnelle Schüsse ins Gehirn«8 charakterisierte Werner Kroeber-Riehl plastisch die Wirkungsweise von Bildern und nahm damit jüngere Forschungs-ergebnisse zur Bildrezeption vorweg, welche die Funktion von Bildern als Zugangsstimuli zu medialen Angeboten und Akzeleratoren für die

6 Wenn im Folgenden von »Bildern« die Rede ist, so sind damit nach der Klassifi-zierung des Kunsthistorikers William J. T. Mitchell materielle graphische Bilder (in Abgrenzung zu mentalen Bildern) gemeint. Vgl. u. a. William J. T. Mitchell: Was ist ein Bild? In: Bildlichkeit. Internationale Beiträge zur Politik. Hrsg. von Volker Bohn. Frankfurt a. M. 1990, S. 17–68, hier S. 20.

7 Günter Abel: Zeichen- und Interpretationsphilosophie der Bilder. In: Bild-Zeichen. Perspektiven einer Wissenschaft vom Bild. Hrsg. von Stefan Majet-schak. München 2005, S. 13–29.

8 Werner Kroeber-Riel: Bildkommunikation. The New Science of Imagination. München 1993, S. 53.

Abb. 1 Doppelseite aus Otto Neurath / Marie Neurath / Lancelot Thomas Hogben: Visual history of mankind. Book One. London 1948.

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kognitive Verarbeitung von Informationen belegen.9 Im Zusammenspiel von Bild und Text, wie in einem Schulbuch gegeben, diagnostizieren zahlreiche Studien den so genannten »Picture-Superiority-Effect«, wel-cher besagt, dass Bilder im Gegensatz zu Text rascher wahrgenommen und abgespeichert sowie Inhalte über Bilder besser memoriert werden können. Dieser Effekt wird im Wesentlichen mit der kognitionspsycho-logischen »Dual-Coding-Theory« erklärt, die besagt, dass Bild und Text von den Rezipienten zweikanalig decodiert, gespeichert und organisiert werden. Demnach durchlaufen Bilder – im Gegensatz zu sprachlichen Zeichen – im Gehirn eine doppelte Codierung, das heißt sprachlich und bildlich, wodurch sie besser memoriert und zu einem späteren Zeit-punkt erneut abgerufen werden können.10

Bilder sind jedoch weit mehr als nur visuelle Anreize in medialen Produkten und Erinnerungsstützen im Lernprozess. Nicht nur ihre kommunikative Funktionalität, sondern auch ihre verwirrende Vielfalt sowie ihre Polysemie machen eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Abbildungen in Schulbüchern notwendig. Bilder entziehen sich ei-ner eindimensionalen Deutung, Bilder emotionalisieren Betrachter, Bil-der konstruieren historische Narrative, Bilder vermögen als Akteure im

9 Zum »Picture-Superiority-Effect« wurden bereits zahlreiche Eyetracking-Studi-en an diversen medialen Erzeugnissen wie Zeitungen, Magazinen oder Web-seiten durchgeführt. Exemplarisch: Jana Holsanova / Henrik Rahm / Kenneth Holmqvist: Entry Points and Reading Paths on Newspaper Spreads. Comparing a Semiotic Analysis with Eye-Tracking Measurements. In: Visual Communi-cation. 5 (2006) 1, S. 65–93; Michael Pfau u. a.: The Effect of Print News Photographs of the Casualties of War. In: Journalism & Mass Communication Quarterly, 83 (2006) 1, S. 150–168. Eine medienwissenschaftliche Studie zur Rezeption politischer Plakate kommt zu dem Ergebnis, dass »Bilder eine größe-re Aufmerksamkeit und Aktivierungswirkung erzielen als Texte.«, s. Stephanie Geise / Frank Brettschneider: Die Wahrnehmung und Bewertung von Wahlpla-katen. Ergebnisse einer Eyetracking-Studie. In: Information – Wahrnehmung – Emotion. Politische Psychologie in der Wahl- und Einstellungsforschung. Hrsg. von Thorsten Faas, Kai Arzheimer und Sigrid Roßteutscher. Wiesbaden 2010, S. 71–96. Eine Zusammenfassung zahlreicher Studien liefert Katharina Lobinger: Visuelle Kommunikationsforschung. Medienbilder als Herausforderung für die Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden 2012, S. 76ff.

10 Mark Sadoski / Allan Paivio: Imagery and text. A dual coding theory of reading and writing. New York 2013.

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historischen Prozess wirksam zu sein.11 Spätestens seit der Formierung des transdisziplinären Forschungsfeldes der Visual History besteht kein Zweifel mehr an der Quellenqualität sowie Geschichtsmächtigkeit vi-sueller Darstellungen, kurzum an der Notwendigkeit zur Erforschung der »Visualität von Geschichte und der Historizität des Visuellen«.12 Dass Bilder weitaus mehr als nur statische Illustrationen sind und in ihrer Funktion als Medien, als Quellen und als generative Kräfte im historischen Prozess wirken können, hat beispielsweise Gerhard Paul in zahlreichen Publikationen dargelegt.13 Oder um es mit Christine Brocks auszudrücken: Bilder sind Beweise, Repräsentationen, Konstruktionen und Handlungen.14 Geht man darüber hinaus mit Barbara Christophe davon aus, dass Schulbücher nicht nur das Wissen einer Gesellschaft kanonisieren, sondern auch Deutungsmuster prägen, dann kommt Bildern in Schulbüchern eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Bildung kollektiver Gedächtnisse und nationaler Bildinventare zu.15 In Anbetracht der wahrnehmungspsychologischen Dominanz von

11 Zum emotionalisierenden Effekt von Bildern vgl. Lobinger: Visuelle Kommuni-kationsforschung (Anm. 9), S. 82f. Wegweisend sind überdies die Forschungen von Gerhard Paul; beispielhaft siehe Gerhard Paul: Visual History Version 3.0. In: docupedia, http.//docupedia.de/zg/Visual_History_Version_3.0_Gerhard_Paul – Stand: 27.08.2014; vgl. auch Klaus Bergmann / Gerhard Schneider: Das Bild. In: Handbuch Medien im Geschichtsunterricht. Hrsg. von Hans-Jürgen Pandel, Ursula A. J. Becher und Gerhard Schneider, Schwalbach / Ts. 2007, S. 211–254.

12 Gerhard Paul: Visual History. Ein Studienbuch. Göttingen 2006, S. 27.13 Exemplarisch: Gerhard Paul: Bilder des Krieges, Krieg der Bilder. Die Visualisie-

rung des modernen Krieges. Paderborn / München 2004. Ders.: Das Jahrhun-dert der Bilder. Göttingen 2008; ders.: BilderMACHT – Studien zur ›Visual History‹ des 20. und 21. Jahrhunderts. Göttingen 2013.

14 Christine Brocks: Bildquellen der Neuzeit. Stuttgart 2012.15 Barbara Christophe / Katharina Baier / Kathrin Zehr: Schulbücher als Seismo-

graphen für diskursive Brüche. – Ein neuer Ansatz in der kulturwissenschaftli-chen Schulbuchforschung dargestellt am Beispiel der Analyse von Schulbucher-zählungen über den Kalten Krieg. Eckert. Working Papers 2014/4 http://www.edumeres.net/urn/urn:nbn:de:0220-2014-00184 – Stand: 27.08.2014. Selbst-verständlich ist nicht ausschließlich die Institution Schule für die Ausbildung eines Geschichtsbewusstseins und dessen Inhalte zuständig. Massenmediale Narrative sowie Prägungen aus dem familiären Umfeld sind als Faktoren des Geschichtsbewusstseins ebenfalls nicht zu unterschätzen, jedoch nicht Teil vor-liegender Ausführungen.

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Bildern einerseits und ihrer Rolle als »Aktivposten« (Gerhard Paul) im historischen Prozess andererseits ist eine Auseinandersetzung mit Schul-buchbildern allein schon aufgrund ihrer weiten Verbreitung vielver-sprechend.16 Im Folgenden sollen die medialen, wissenschaftlichen und politischen Faktoren erörtert werden, die an der Produktion von Visu-alität im Schulbuch beteiligt sind. Im Fokus stehen dabei insbesondere Schulbücher für den Geschichtsunterricht.

Das Medium (Geschichts-)Schulbuch

Um sich die Vielschichtigkeit des Themas vor Augen zu führen, lohnt zunächst ein eingehender Blick auf das Trägermedium. Eine zentrale Funktion von Schulbüchern ist zunächst ihre primäre Rolle als Bildungs-medium im klassischen Sinne – ein Medium also, das im Kontext eines staatlich beziehungsweise gesellschaftlich formulierten Bildungsauftra-ges verwendet wird. Über schulische Bildungsmedien wird konkretes faktisches Wissen vermittelt. Sie definieren jedoch auch Sag- und Zeig-barkeitsrahmen und schließen soziokulturelle Aushandlungsprozesse über eben jenes Wissen mit ein. Aus kulturwissenschaftlicher Sicht wer-

16 Vgl. Simone Lässig: Repräsentationen des »Gegenwärtigen« im deutschen Schulbuch. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 62 (2012), S. 46–54. Simone Lässig: Wer definiert relevantes Wissen? Schulbücher und ihr gesellschaftlicher Kontext. In: Schulbuch konkret. Kontexte – Produktion – Unterricht. Hrsg. von Eckhardt Fuchs, Jürgen Kahlert und Uwe Sandfuchs. Bad Heilbrunn 2010, S. 199–215; vgl. auch Thomas Höhne / Thomas Kuntz / Frank-Olaf Radtke: Bilder von Fremden. Was unsere Kinder aus Schulbüchern über Migranten ler-nen sollen. Frankfurt a. M. 2005. Für Definitionen aus medien- und kommu-nikationswissenschaftlicher Perspektive vgl. Gerhard Maletzke: Kommunikati-onswissenschaft im Überblick. Grundlagen, Probleme, Perspektiven. Opladen 1998; Ulrich Saxer. Mediengesellschaft. Verständnisse und Mißverständnisse. In: Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Hrsg. von Ulrich Sarcinelli. Opladen 1998, S. 52–73. Selbstverständlich können nur im Einzelfall exakte Aussagen über den Einsatz bestimmter Schulbücher im Unter-richt getroffen werden. Eine laufende Studie zum Gebrauch und zur Aneignung von Schulbuchwissen im Geschichtsunterricht wird derzeit im Rahmen des Pro-jektes »Angewandte Geschichte(n). Erinnerungspraktiken im Schulalltag« am Georg-Eckert-Institut durchgeführt.

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den sie daher als Wissensmedien bezeichnet.17 Da Schulbücher langfris-tige Deutungen geschichtlicher Prozesse anbieten, wirken sie zudem als Erinnerungsmedien, die abbilden, was als überlieferungswürdig erachtet wird, und damit ein potenzielles Text- und Bildinventar einer Gesell-schaft erzeugen und stabilisieren. Als Medien historischer Sinnstiftung wirken Geschichtsschulbücher an der Konstruktion von Geschichtsnar-rativen mit und liefern Deutungsangebote der Vergangenheit.

Schulbücher transportieren also staatlich zugelassenes, »offizielles« Wissen – der normative Charakter von Schulbüchern als »Archive[n] kanonisierten historischen Wissens«18 ist unübersehbar.19 Doch auf dem Gebiet der Bildungsmedienforschung setzt sich neben der klassischen Sicht auf das Schulbuch als »nationale Autobiographie«20 zunehmend auch die Auffassung des Mediums als »interdiskursiver Wissensraum«21. durch. Schulbücher sind also Medien, die aufgrund der spezifischen Produktions- und Zulassungsprozesse einerseits relativ beständig sind und somit langfristige Deutungsmuster des darin abgebildeten Wissens transportieren,22 die aber andererseits – entsprechend befragt – gesell-schaftliche Diskurse um eben jenes Wissen widerzuspiegeln vermögen – auch durch Bilder. Für jede der drei Perspektiven auf das Schulbuch als Bildungs-, Wissens- und Erinnerungsmedium spielt die visuelle Dimen-sion eine Rolle und rückt mehr und mehr in den Fokus der Forschung.23

17 Vgl. Gerd Stein: Schulbuchwissen, Politik und Pädagogik. Untersuchungen zu ei-ner praxisbezogenen und theoriegeleiteten Schulbuchforschung. Kastellaun 1977; Thomas Höhne: Schulbuchwissen. Umrisse einer Wissens und Medientheorie des Schulbuches. Frankfurt am Main 2002; Felicitas Macgilchrist: Schulbuchverlage als Organisationen der Diskursproduktion. Eine ethnographische Perspektive. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 31 (2011), S. 248–263.

18 Felicitas Macgilchrist / Marcus Otto: Schulbücher für den Geschichtsunter-richt. Version. 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte. http.//docupedia.de/zg/Schulbuecher?oldid=88454 – Stand: 27.08.2014.

19 Wolfgang Jacobmeyer: Das Schulgeschichtsbuch – Gedächtnis der Gesellschaft oder Autobiographie der Nation? In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 26 (1998) 1/2, S. 26–35; Lässig: Repräsentationen des »Gegenwärtigen« (Anm. 16).

20 Jacobmeyer: Das Schulgeschichtsbuch (Anm. 19).21 Lässig: Repräsentationen des »Gegenwärtigen« (Anm. 16).22 Lässig: Wer definiert relevantes Wissen? (Anm. 16).23 Vgl. Das Bild im Schulbuch. Hrsg. von Carsten Heinze und Eva Matthes. Bad

Heilbrunn 2010; James Andrew La Spina: The Visual Turn and the Transfor-mation of the Textbook. Mahwah 1998; Ina Markova: Wie Vergangenheit neu erzählt wird. Der Umgang mit der NS-Zeit in österreichischen Schulbüchern. Marburg 2013.

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Eine kurze Mediengeschichte der Bilder im Schulbuch

Darstellungskonventionen und Darstellungsformen sind immer auch an die jeweiligen technischen Entwicklungen gebunden.24 Ein Querschnitt durch die Mediengeschichte des Schulbuchs soll schlaglichtartig einige Phasen der Abbildungspraxis beleuchten. Ein frühes und gleichermaßen prominentes Beispiel für Abbildungen zu Lehrzwecken ist der 1658 er-schienene Orbis sensualium pictus (Die sichtbare Welt) von Johann Amos Comenius. Es handelt sich dabei um ein Schulbuch, das die Schüler mit Phänomenen der Natur und Kultur vertraut machen sollte, das aber wegen seiner Zweisprachigkeit vornehmlich als Lateinlehrwerk einge-setzt wurde. Auf 150 Holzschnitten werden Sachverhalte und Szenen visualisiert, die im begleitenden lateinischen und deutschen Text erklärt werden.25 Das Lehrwerk erfreute sich außerordentlicher Beliebtheit und wurde – übersetzt in rund 20 Sprachen – über 200 Mal neu aufgelegt.26 Auch Otto Neurath bediente sich knapp 300 Jahre später in der bereits eingangs erwähnten Visual history of mankind des didaktischen Kon-zeptes von Comenius, indem er zur Veranschaulichung von Bezügen, Konstellationen und zeitlichen Entwicklungen zweidimensionale Bild-Text-Ensembles einsetzte (siehe Abb. 1).

Schulbücher mit Bildern zu versehen, blieb jedoch lange Zeit eine technische Herausforderung und nicht zuletzt eine Kostenfrage.27 Seit der Erfindung der Lithographie 1797 waren mehrfarbige Drucke in

24 Jürgen Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. Köln 2000. Werner Faulstich: Die Medien-geschichte des 20. Jahrhunderts. Paderborn 2012. Michael Giesecke: Der Buch-druck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Frankfurt a. M. 1998.

25 Vgl. den Beitrag von Adam Fijałkowski in diesem Heft. 26 Adam Fijałkowski: Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung »Orbis Pictus. Die

Welt in Bildern des Johann Amos Comenius« am 6. Mai 2010 in der BBF. In: Mitteilungsblatt des Förderkreises Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung e. V. 21 (2010), S. 15–21, http.//bbf.dipf.de/foerderkreis/2010/mb_ 2010_01.pdf. – Stand: 27.08.2014.

27 Michael Wobring: Die Reproduktion historischer Bildvorlagen im Schulge-schichtsbuch. Technische Möglichkeiten, Mängel und Chancen. In: Der euro-päische Bildersaal. Hrsg. von Suanne Popp und Michael Wobring. Schwalbach/Ts. 2014, S. 180–186.

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mehrfacher Ausfertigung zwar möglich, das aufwändige Verfahren der Chromolithographie fand zunächst aber hauptsächlich in der Plakat-kunst und Werbung Anwendung. 1812 konstruierte Friedrich Koe-nig etwa zeitgleich mit der Technisierung in der Papierproduktion die Zylinderdruck-Schnellpresse.28 Mitte der 1860er Jahre ermöglichte die Erfindung der Rollen-Rotationsdruckmaschine dann die schnelle Her-stellung großer Auflagen von Zeitschriften, Zeitungen und Büchern.29 Die industriell hergestellten Bücher verlangten nach entsprechenden Bild-Reproduktionsverfahren. Die Vorlagen für die Vervielfältigungs-techniken vom Holzstich zur Lithographie und zu Autotypie und Licht-druck lieferte nun zunehmend das »junge Medium Fotografie«.30 Der allgemeine »Visualisierungsschub« im 19. Jahrhundert führte schließlich dazu, dass Bilder im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert auch im Bildungsprozess eine wichtige Rolle spielten.31 In Lehrwerken, ins-besondere in Geschichtsbüchern, blieben sie allerdings dennoch rar.32 Einzelne Schulbuchreihen beinhalteten zwar Holzstiche oder bereits verhältnismäßig hochwertige Schwarz-Weiß-Reproduktionen von Foto-grafien,33 üblich waren zu dieser Zeit jedoch rein schriftliche Lehrwerke. Titel wie Bilder aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte (Verlag Hirt, Breslau 1917) oder Geschichts-Bilder (Verlag Greßler, Langensalza 1865) legen zwar aus heutiger Sicht eine andere Vermutung nahe, sind jedoch bar jeglicher Abbildungen. Gemeint sind hier gemeinhin menta-le Bilder, oder um es mit William J. T. Mitchell auszudrücken, »perzep-

28 Marion Janzin / Joachim Güntner: Das Buch vom Buch. 5000 Jahre Buchge-schichte. Hannover 2007, S. 318f.

29 Nach Elisabeth Eisenstein wirkte die Druckerpresse in der modernen Kultur-geschichte stets als »agent of change«. Elisabeth Eisenstein: Die Druckerpresse. Kulturrevolutionen im frühen modernen Europa. Wien / New York 1997.

30 Janzin / Güntner: Das Buch vom Buch (Anm. 28), S. 328.31 Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte (Anm. 24),

S. 306. Siehe auch: Janzin / Güntner: Das Buch vom Buch (Anm. 28), S. 327. Ein Beispiel für die prominente Rolle von Bildern ist das Lehrbuch Der erste Geschichtsunterricht. Mit Erzählungen aus dem Weltkriege aus dem Jahr 1917. Der Verlag druckte als Kaufanreiz auf das innere Vorsatzblatt den Zusatz »Mit zahlreichen in den Text gedruckten Abbildungen«, der einige Jahre später um den Terminus »farbige Abbildungen« ergänzt wurde.

32 Geographiebücher integrierten im Gegensatz zu Geschichtsbüchern weitaus frü-her farbige Abbildungen – überwiegend Karten – in den Text.

33 Meist in einem separaten Anhang oder auf den Seiten eingeklebt.

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tuelle, geistige und sprachliche Bilder.«34 Eine völlige Abwesenheit von Bildern im schulischen Kontext bedeutet dies mitnichten: Schulwand-bilder erfreuten sich beispielsweise lange Zeit großer Beliebtheit.35

In der Nachkriegszeit brachten drucktechnische Entwicklungen gravierende Veränderungen in der Gestaltung von Geschichtsschulbü-chern mit sich: Der Offsetdruck – bereits 1904 in den USA entwickelt, aber erst nach den beiden Weltkriegen in Deutschland flächendeckend verbreitet – begann das Antlitz von Schulbüchern entscheidend zu verändern.36 Die neue Technologie, bei der Text und Bild gemeinsam mit einer fotografisch erzeugten Platte gedruckt werden konnten, er-laubte eine deutlich schnellere Produktion von (mehrfarbigen) Druck- werken mit hoher Auflage als bis dahin gebräuchliche Druckverfah-ren.37 Mitte der 1960er Jahre läuteten nicht nur Neuerungen auf dem Gebiet der Elektronik einen drucktechnischen Wandel ein. Auch die steigende Bedeutung von Werbung und Verpackungen sowie parallele Fortschritte in der Papierindustrie und der chemischen Forschung be-einflussten die Druckindustrie maßgeblich, etwa durch die Verbesse-rung von Papier und Druckfarben. Daraus resultierte die Möglichkeit, Bilder nunmehr frei in Texten anzuordnen.38 Es dauerte jedoch eine gewisse Zeit, bis sich diese technischen Neuerungen auch im Schul-buch durchsetzten. Zahlreiche Verlage verwendeten weiterhin eigens angefertigte Zeichnungen nach fotografischen Vorlagen für die Illust-ration von Autorentexten.

34 Mitchell: Was ist ein Bild? (Anm. 6).35 Zwischen Kunst und Pädagogik. Zur Geschichte des Schulwandbildes in der

Schweiz und in Deutschland. Hrsg. von Christian Ritzi und Ulrich Wiegmann. Baltmannsweiler 1998. Den derzeit europaweit größten Bestand an Schulwand-bildern archiviert die Forschungsstelle für Historische Bildmedien der Univer-sität Würzburg, vgl. http://www.bildungswissenschaft.uni-wuerzburg.de/for-schungsstelle_historische_bildmedien/.

36 Buchdruck erfolgte trotz Entwicklung der Offset-Technik im Hochdruckverfah-ren. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich das Verfahren schließlich durch und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zur vorherrschenden Drucktechnik. Vgl. Janzin / Güntner: Das Buch vom Buch (Anm. 28), S. 448.

37 Wolfgang Erhardt Heinold: Bücher und Büchermacher. Heidelberg 2001. S. 305.

38 Janzin / Güntner: Das Buch vom Buch (Anm.28), S. 448f.

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Die durchgehende Bebilderung von Schulbüchern ist spätestens seit den 1980er Jahren Standard, nachdem um 1980 digitales Desktop Pu-blishing möglich wurde und sich als moderne Druckvorstufe durchsetz-te. Heute werden Schulbücher weitgehend mit digitalen Druckvorstufen produziert. Die Einführung von Postscript im Jahr 1984, einem Format, mit dem Druckseiten und insbesondere Grafiken in hoher Qualität in den Druckprozess eingespeist werden konnten, und die Einführung des Porta-ble Document Format (PDF) neun Jahre später ermöglichten die heutige Gestaltung von Schulbüchern, die durch ein farbiges Layout im Magazin-Stil und ganzseitige Abbildungen gekennzeichnet ist (siehe Abb. 2).39

39 Am Beispiel der Verlagsgruppe Westermann lassen sich die Entwicklungen der Druckindustrie in Bezug auf die Schulbuchproduktion nachvollziehen. Das Un-ternehmen, 1838 in Braunschweig gegründet, begann 1845 mit dem Aufbau einer Druckerei und veröffentlichte 1853 den ersten Schulatlas. 1977 installierte das Unternehmen die erste Rollenoffsetanlage. Zwanzig Jahre später (1997) begann Westermann mit dem Desktop Publishing als Druckvorstufe. Im Jahr 2006 wurden Digitaldrucksysteme eingeführt. Vgl. http://www.westermann-druck.de/de/historie.php – Stand: 26.08.2014.

Abb. 2 Zeiten und Menschen. Band 3. Paderborn 2009, S. 8 und 9.

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In Folge der Erfindung der Scantechnologie und der Digitalfotogra-fie stieg die Anzahl von Abbildungen in Druckwerken noch einmal an. Eine kontinuierliche Entwicklung des Schulbuchs von der Bleiwüste zum »Bildersaal«40 kann zwar generell, aber nicht ohne eine gewisse Dif-ferenzierung konstatiert werden. Zum einen bringt die hiesige föderale Bildungslandschaft einen stark segmentierten Schulbuchmarkt hervor, auf dem zahlreiche Verlage mit verschiedenartigen Werken konkurrieren. Diese unterscheiden sich nicht zuletzt in der Bebilderung: Während in bestimmten Schulbuchreihen zahlreiche farbige Abbildungen bereits seit den frühen 1960er Jahren Standard waren, gab es bis weit in die 1990er Jahre noch Geschichtsschulbücher für die Oberstufe ohne eine einzige Farbfotografie. Zum anderen tragen einzelne Reihen auch hinsichtlich der Bebilderung die Handschrift ihrer Autoren. Der Schulbuchautor Hans Ebeling beispielsweise prägte auch den visuellen Stil des im Westermann Verlag erschienenen Geschichtsbuch Reise in die Vergangenheit maßgeblich mit. Auch Wolfgang Birkenfeld, der die Reihe nach dem Tode Ebelings überarbeitete, traf die Bildauswahl weitgehend in Eigenregie. Für die Be-schaffung der Bildvorlagen war dann der Verlag zuständig.41 Die redakti-onellen Abläufe der Bildauswahl im Schulbuchwesen sind derzeit jedoch noch ein Desiderat der bildhistorisch orientierten Schulbuchforschung.

Eng verbunden mit dem Produktionsprozess von Geschichtsschul-büchern ist die Frage nach der Verfügbarkeit von Bildern sowie nach den Akteuren der Bildproduktion, -distribution und -auswahl.42 Paral-lel zum technischen Ausbau im Druckereiwesen im Hinblick auf den Abdruck von Bildern entwickelten sich außerhalb der Verlage entspre-chende Infrastrukturen der Bildzirkulation.43 Der Ausbau von Bildarchi-

40 Vgl. Popp / Wobring: Der europäische Bildersaal (Anm. 27).41 Unternehmensarchiv der Westermann Druck- und Verlagsgruppe, Abteilung

Schulbuch, 5/150–5/157.42 Mit spezifischen Akteuren und Institutionen der Bildzirkulation beschäftigt sich

derzeit das Forschungsprojekt »Visual History. Institutionen und Medien des Bildgedächtnisses«. www.visual-history.de – Stand: 27.08.2014.

43 Malte Zierenberg: Die Produktion des Sichtbaren im Verborgenen. Diskurs-ordnungen der Pressefotografie, ca. 1900–1930. In: Bilder in historischen Dis-kursen. Hrsg. von Franz X. Eder, Oliver Kühschelm und Christina Linsboth. Wiesbaden 2014, S. 173–194; Matthias Bruhn: Tarife für das Sichtbare. Eine kurze Geschichte der Bildagenturen. In: Fotogeschichte 105 (2007), S. 12–25; Fotografien im 20. Jahrhundert. Verbreitung und Vermittlung. Hrsg. von Anne-lie Ramsbrock, Annette Vowinckel und Malte Zierenberg. Göttingen 2013.

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ven und -agenturen in der Nachkriegszeit sowie massenhaft produzierte und äußerst beliebte Bildpublikationen,44 die teilweise als Vorlagen für Schulbücher dienten, verbesserten die Verfügbarkeit von Bildern kon-tinuierlich.45 Eine Professionalisierung der Archivierungs- und Arbeits-abläufe begünstigte die Entstehung eines »neuen, marktkompatiblen Kanon des Sichtbaren«.46 Ein Blick in die Abbildungsverzeichnisse von Schulbüchern offenbart bereits ab den 1960er Jahren ein überraschend weit verzweigtes Netz von Bild-Bezugsquellen, das auch im Kalten Krieg über die Blockgrenzen hinweg funktionieren konnte.

Lernimpulse oder Quellen: didaktische und geschichtswissenschaftliche Perspektiven

Wie geht die Forschung mit dem Trend zur Visualisierung in Schulbü-chern um und wie beeinflusst sie die Schulbuchentwicklung? Zwischen der Schulbuchentwicklung und ihrer Erforschung besteht ein Wechsel-verhältnis: Die zunehmende Visualisierung zieht die Aufmerksamkeit verschiedener Disziplinen auf sich, umgekehrt werden Impulse aus der Forschung auch von den Verlagen aufgenommen.

Eine intensive Auseinandersetzung mit Bildern in Schulbüchern fin-det auf dem interdisziplinären Forschungsfeld zur Visual Literacy statt. Daran beteiligt ist die Lehr- und Lernforschung, die sich mit der »päd-agogischen Wirkung von Bildern, dem ästhetischen Bildungswert sowie didaktischen Einsatzmöglichkeiten von Bildern in unterschiedlichen pä-dagogischen Zusammenhängen« auseinandersetzt.47 Der Rückgriff auf die Lernprinzipien der Anschauung von Pestalozzi und Comenius be-

44 Vgl. die Chronik-Reihe (Chronik-Verlag) oder Bilder unseres Jahrhunderts (Ber-telsmann). Vgl. auch Silke Körber: Was soll das Bild im Buch? Überlegungen zum »illustrierten Sachbuch«. In: Non Fiktion 5 (2010), S. 143–158.

45 Habbo Knoch: Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur. Hamburg 2001, S. 925f.

46 Malte Zierenberg: Die Ordnung der Agenturen. Zur Verfertigung massenme-dialer Sichtbarkeit im Pressewesen, 1900–1940. In: Ramsbrock / Vowinckel: Fotografien im 20. Jahrhundert (Anm. 42), S. 61.

47 Lehren und Lernen mit Bildern. Ein Handbuch zur Bilddidaktik. Hrsg. von Gabriele Lieber. Baltmannsweiler 2008, S. 8.

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fruchtete die Forschung über Bildeinsatz und Bildwirkung.48 »Gute Bil-der«, so der Informationsdesign-Forscher Rune Pettersson, sind »leicht zu lesen und zu verstehen«.49 De facto gebe es aber keine allgemein gül-tige Definition des Begriffs »Bildqualität«, konstatiert er in seinem Werk über Bilder in Lehrmitteln, in dem er zugleich einen Mindeststandard für die inhaltlichen, ästhetischen und technischen Anforderungen an Schul-buchbilder formuliert.50

Die Sentenz von William J. T. Mitchell, es gebe keine visuellen Medien – »there are no visual media« –, trifft auch auf Schulbücher zu.51 Ge-schichtsschulbücher konstruieren historische Narrationen im gemeinsa-men Wirken von Text und Bildern. Sie sind multimodal strukturiert.52

Die Verschränkung von Bild und Text im Schulbuch verliere durch die zunehmende Verwendung von Bildern aber nicht an Bedeutung, kons-tatiert der Geschichtsdidaktiker Christoph Kühberger. Das Gegenteil sei festzustellen: Je mehr Bilder in Geschichtsschulbüchern als Quelle wahr-genommen würden, desto komplexer sind auch die Verschränkungen von Bildinhalt und Text.53 Zwar stehen Bilder in Schulbüchern (fast) immer in Verbindung zu Text-Elementen, so funktionieren sie aber doch nach eigenen visuellen Regeln und müssen – entgegen des viel zitierten Sprich-worts, dass ein Bild mehr als 1000 Worte sage – zum Sprechen gebracht werden. Verbunden mit der Frage, ob Bildmaterialien eine spezifische Bildlesekompetenz (Visual Literacy) erfordern, liefern Arbeiten zur Lehr- und Lernforschung Erkenntnisse über Funktion, Rezeption und Verbrei-tung von Abbildungen in Schulbüchern.54 Die daraus formulierten Stan-

48 Gotthilf G. Hiller: Anschauung. In: Wörterbuch der Erziehung. Hrsg. von Christoph Wulf. München 1989, S. 16–23.

49 Rune Pettersson: Bilder in Lehrmitteln. Baltmannsweiler 2010, S. 163.50 Ebd.51 William J. T. Mitchell: There are no visual media. In: Journal of Visual Culture

4 (2005), S. 257–266, hier S. 257.52 Theo van Leeuwen: The Schoolbook as a Multimodal Text. In: Internationale

Schulbuchforschung 14 (1992), S. 35–58.53 Christoph Kühberger: Multimodale Narration. Bild-Text-Graphik-Kommuni-

kation in Schulgeschichtsbüchern. In: Das Bild im Schulbuch. Hrsg. von Cars-ten Heinze und Eva Matthes. Bad Heilbrunn 2010, S. 43–55.

54 Vgl. Lieber: Lehren und Lernen mit Bildern (Anm. 46); Schulbuchbilder. Hrsg. von Franz Billmayer. Flensburg 2012; Pettersson: Bilder in Lehrmitteln (Anm. 49).

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dards für die Bildverwendung in Lehrmitteln werden mittlerweile auch von Geschichtsdidaktikern und Historikern zur Bewertung und Verbes-serung von technisch reproduzierten Visualisierungen in Geschichtsschul-büchern aufgegriffen.55

Historiker und Geschichtsdidaktiker tragen darüber hinaus noch fachspezifische Erwartungen an Abbildungen heran, die mittlerweile die Verwendungspraxis von Bildern in Geschichtsschulbüchern bestimmen. Verkürzt gesprochen, hat sich durch den Visual Turn der Stellenwert der Bilder von der Illustration zur Quelle gewandelt. Aber schon Ende der 1950er Jahre, als Bilder noch nicht als Quellen von eigenem Wert in Schulbüchern verwendet wurden, nahm das Interesse am gezielten Einsatz von Bildmaterialien im Geschichtsunterricht zu. Die Meinun-gen oszillierten damals zwischen einer Ablehnung der »modernen Bil-derflut« und dem Wunsch nach einem zeitgemäßen Einsatz von Visu-alisierungen im Geschichtsunterricht. Bildern wurde eine »besondere Anziehungskraft«56 zugeschrieben, Bildtheorien waren aber auch stets mit einer gewissen Furcht vor dem Visuellen verbunden. Eine scheinbar unerklärliche »Macht« der Bilder ließ diese für den Gebrauch im Unter-richt als unangebracht erscheinen.

1957 warnte der bereits oben erwähnte Schulbuchautor und Ge-schichtsdidaktiker Hans Ebeling vor der »Bilderfülle« und »Bilderschwem-me«, denen Individuen ausgesetzt seien. In seinem Buch Anschauen, behan-deln, begreifen: Zur Arbeit mit Bildern im Unterricht aus dem Jahre 1957 sah er die Gefahr einer »Abstumpfung«57 durch zu viele Bilder. Doch bei aller Kritik erkannte Ebeling in Anlehnung an Pestalozzi gleichwohl, dass »Anschauung […] das Fundament aller Erkenntnis« sei.58 In diesem Sinne formulierte er bereits in den 1950er Jahren einen Anforderungskatalog an visuelles Quellenmaterial für den Geschichtsunterricht und formulierte Standards, beispielsweise zur Beschriftung der verwendeten Abbildungen. Schulbuchbilder, so Ebeling, könnten auf diese Weise durchaus als sinn-voller Gegensatz zu den beliebten Illustrierten wirken.59

55 Vgl. Wobring: Die Reproduktion historischer Bildvorlagen (Anm. 27).56 Knoch: Die Tat als Bild (Anm. 45), S. 750, FN 382.57 Hans Ebeling: Anschauen, behandeln, begreifen. Zur Arbeit mit Bildern im Un-

terricht. Hannover 1957, S. 11.58 Ebeling: Anschauen, behandeln, begreifen (Anm. 57), S. 7. 59 Vgl. Knoch: Die Tat als Bild (Anm. 45), S. 750.

77Bilderwelten im Schulbuch

Einen weiteren Impuls für die zunehmende Visualisierung in Ge-schichtsschulbüchern lieferte sicherlich die Belebung historischer und pädagogischer Diskurse ab den späten 1960er Jahren. In der Geschichts-wissenschaft vollzog sich ein Wechsel vom »historistischen Paradigma« zur »Historischen Sozialwissenschaft«,60 gleichzeitig löste sich die Ge-schichtsdidaktik von älteren Entwicklungs- und Bildungstheorien und bildete sich als eigenständige Disziplin aus.61 All diese Entwicklungen führten zur Etablierung der Kategorie des Geschichtsbewusstseins,62 die auch für die Entwicklung der Visual History von großer Bedeutung ist. »Geschichte tritt uns entgegen als ein auf Überrest und Tradition ge-stützter Vorstellungskomplex von Vergangenheit, der durch das gegen-wärtige Selbstverständnis und durch Zukunftserwartungen strukturiert und gedeutet wird. Nur in dieser Form haben wir Geschichte in unserer Vorstellung; sie ist eben nicht die reale Vergangenheit selbst oder ihr Abbild, sondern ein Bewusstseinskonstrukt«, so Karl-Ernst Jeismann. Geschichte sei also eine »aus Zeugnissen erstellte, auswählende und deu-tende Rekonstruktion.«63 Wenn diese Rekonstruktion nun vermehrt über Bilder erfolgte, ergab sich daraus unumgänglich die Notwendig-keit, Bilder entsprechend verwenden, kontextualisieren und entschlüs-seln zu lernen.64

Die nachfolgend abgebildeten Schulbuchseiten stehen beispielhaft für die Veränderung des Stellenwerts von Bildern in Geschichtsschulbü-

60 Georg G. Iggers: Neue Geschichtswissenschaft. Vom Historismus zur Histori-schen Sozialwissenschaft. München 1978, S. 97–156.

61 Sichtbar wird dies an Titeln wie Erinnern und urteilen (seit 1977) oder Fragen an die Geschichte (seit 1974).

62 Zur Begriffsgeschichte: Karl-Ernst Jeismann: Geschichtsbewusstsein als zentrale Kategorie des Geschichtsunterrichts. In: Aktuelle Probleme der Geschichtsdi-daktik. Hrsg. von Gerhard Niemitz. Stuttgart 1990, S. 46–72. Zur Kategorie Geschichtsbewusstsein in Bezug auf Schulbücher siehe: Bodo von Borries: Legi-timation aus Geschichte oder Legitimation trotz Geschichte? Zu einer Haupt-funktion von Geschichtsbewußtsein. In: Geschichtsdidaktik 8 (1983), S. 9–21, Reprint in: Geschichte als Legitimation? Internationale Schulbuchrevision unter den Ansprüchen von Politik, Geschichtswissenschaft und Geschichtsbedürfnis. Hrsg. von Karl-Ernst Jeismann. Braunschweig 1984, S. 42–62.

63 Jeismann: Geschichtsbewusstsein als zentrale Kategorie (Anm. 62), S. 49.64 Vgl. dazu u. a. Michael Sauer: Bilder im Geschichtsunterricht. Seelze-Velber:

2007 und das Themenheft »Visual History«, Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 12 (2013).

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chern und illustrieren so auch die geschichtsdidaktische Entwicklung. Handelt es sich bei den ausgewählten Beispielen zwar um Schulbuch-seiten zu unterschiedlichen Themeneinheiten, so geht es doch in bei-den Fällen um eine Auseinandersetzung mit sowjetischer Propaganda. Beide Beispiele stammen aus dem Lehrwerk Zeiten und Menschen, je-doch aus verschiedenen Ausgaben.65 Das Beispiel aus dem Jahr 1967 zeigt eine ganzseitige farbige Abbildung eines sowjetischen Plakats zum Thema Raumfahrt (Abb. 3). Das zweite Beispiel aus dem Buch von 2009 thematisiert den Personenkult um den sowjetischen Machthaber Josef Stalin (Abb. 4). Beide Schulbuchseiten sind farbig gedruckt, un-terscheiden sich aber eindeutig in ihrer Gestaltung: Während das Plakat aus dem älteren Buch ganzseitig abgebildet ist, werden dem Stalinkult im jüngeren Lehrwerk auf einer Doppelseite fünf kleinere Abbildungen unterschiedlicher visueller Medien wie Gemälde oder Fotografie gewid-met. Der prägnante Unterschied zeigt sich jedoch nicht nur auf der rein visuellen Ebene, sondern auch bei der Lektüre der zugehörigen Bildun-terschriften, die Teil der didaktischen Rahmung ist. Während Entste-hungsdatum und Provenienz, ja überhaupt nähere Informationen zum »Raumfahrt-Plakat der UdSSR« gänzlich fehlen und die Abbildung rein illustrativ verwendet wird, erfüllen die Visualisierungen Stalins in dem neueren Buch eine weiter reichende Funktion: Zahlreiche Aufgabenstel-lungen leiten die Schülerinnen und Schüler dazu an, sich mit den Ab-bildungen als historischen Quellen intensiv auseinandersetzen und eine kritische Bildlektürekompetenz entwickeln.66

65 Zeiten und Menschen, Band 4: Europa und die Welt. Das 20. Jahrhundert. Hrsg. von Robert Hermann Tenbrock, Kurt Klunxen und Hans Erich Stier. Paderborn: Schöningh Verlag 1967; Zeiten und Menschen. Band 3. Hrsg. von Hans-Jürgen Lendzian. Braunschweig / Paderborn / Darmstadt: Schöningh Ver-lag 2009.

66 Diskussionen um die mangelnde Quellenqualität von Schulbuchbildern sind jedoch immer noch im Gange. Vgl. Günter Kaufmann: Neue Bücher – alte Fehler. Zur Bildpräsentation in Schulgeschichtsbüchern. In: Geschichte in Wis-senschaft und Unterricht 51 (2000), S. 68–87; Wobring: Die Reproduktion historischer Bildvorlagen (Anm. 27).

79Bilderwelten im Schulbuch

Abb. 3 und 4 Zeiten und Menschen. Band 4. Paderborn 1967, S. 216f., unten: Zeiten und Menschen. Band 3. Paderborn u. a. 2009, S. 32f.

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Schulbuchbilder als Ausdruck soziopolitischer Aushandlungsprozesse

Schulbuchinhalte und damit auch Schulbuchbilder sind zum einen Aus-druck mediengeschichtlicher, wissenschaftsgeschichtlicher und pädagogi-scher Bedingungen. Zum anderen sind sie mit Thomas Höhne gesprochen stets das Resultat »gesellschaftlicher Mächte« und Diskurse.67 Als Aus-druck gesellschaftlicher Debatten und Prozesse sind Medien keine neu-tralen Träger oder Behältnisse von Gedächtniszeichen,68 sondern gewis-sermaßen erinnerungskulturelle »dynamische Palimpseste, in denen sich Deutungen der Geschichte diachron und synchron überlagern«.69 Die An-nahme, dass Bilder in Geschichtsschulbüchern immer auch als »mediale Objektivierungen historischen Geschehens« Indikatoren für Muster und Verschiebungen in Geschichtsschreibung und Erinnerungskulturen sind, macht Geschichtsschulbücher zu Gegenständen mit großem Potential für die Visual History.70 Ebenso wie bei der Analyse von Schulbuchtexten stellt sich auch bei Visualisierungen die Frage: »Wer definiert relevantes Wissen?«71 Und daran anschließend: Welche Bilder eines Phänomens werden vermittelt und welche nicht? Welche Bilder und Visiotype kris-tallisieren sich zur Repräsentation eines Ereignisses heraus?72 Welche Peri-

67 Höhne: Schulbuchwissen (Anm. 17), S. 10.68 Der Politikwissenschaftler Günther Sandner skizziert die diskursiven Qualitäten

von Schulbüchern folgendermaßen: »Vor allem weil Schulbücher auf die politi-sche Sozialisation Jugendlicher einwirken, sind sie Bestandteil des Kampfes um die historische Definitionsmacht und als solche immer wieder Gegenstand ge-schichtspolitischer Kontroversen«, Günther Sandner: Hegemonie und Erinne-rung. Zur Konzeption von Geschichts- und Vergangenheitspolitik. In: Österrei-chische Zeitschrift für Politikwissenschaft 30 (2001) 1, zit. nach: Ina Markova, Die NS-Zeit im Schulgeschichtsbuch. Österreichische Bilddiskurse der 1950er Jahre. In: Gegenbilder – literarisch/ filmisch/ fotografisch. Internationales und interdisziplinäres Forschungskolloquium der Bamberger Graduiertenschule für Literatur, Kultur und Medien, 8. / 9. Juni 2012 in Bamberg. Hrsg. von Corina Erk und Christoph Naumann. Bamberg 2013, S. 211–235, hier S. 214.

69 Habbo Knoch: Die Tat als Bild (Anm. 45), S. 22f.70 Habbo Knoch: Die Tat als Bild (Anm. 45), S. 25.71 Lässig: Wer definiert relevantes Wissen? (Anm. 16). 72 Zur Begrifflichkeit vgl. Uwe Pörksen: Weltmarkt der Bilder. Eine Philosophie

der Visiotype. Stuttgart 1997 und Elke Grittmann / Ilona Amann: Die Methode der quantitativen Bildtypenanalyse. Zur Routinisierung der Bildberichterstat-tung am Beispiel von 9/11 in der journalistischen Erinnerungskultur. In: Visu-elle Stereotype. Hrsg. von Thomas Petersen. Köln 2009, S. 141–158.

81Bilderwelten im Schulbuch

odisierungen in Darstellungskonvention oder Erinnerungskultur sind zu beobachten? Vor allem die Darstellung von Nationalsozialismus, Zweitem Weltkrieg und Holocaust wurde bisher – unter anderem im Medium des Schulbuchs – im Hinblick auf Inhalte und Transformationen eines Bilder-haushalts untersucht.73 Die politische Dimension der Bildauswahl wird besonders greifbar, wenn die unmittelbare Zeitgeschichte im Schulbuch behandelt wird. In der vom Ost-West-Konflikt geprägten bundesdeut-schen Nachkriegszeit dienten Bilder auch als »optische Stellvertreter«74 im öffentlichen Aushandeln einer Westidentität der Bundesrepublik und als Medien zum Zwecke politischer Systembildung. Als ein Beispiel unter vielen mag die bereits oben erwähnte Schulbuchseite aus dem Jahr 1967 dienen.75 Die ganzseitige farbige Abbildung des sowjetischen Plakats zum Thema Raumfahrt wurde ohne erläuternden Bildtext einem Kapitel zum Ost-West-Konflikt ans Ende gestellt. Durch die Größe der Abbildung ge-rät die scheinbare sowjetische Überlegenheit ins Bild. Im Nachhall des antikommunistischen Klimas der Adenauer-Ära vermochte das Bild die Verunsicherung des Westens durch den Start des sowjetischen Satelliten »Sputnik« 1957 und die erste bemannte Raumfahrt mit der Raumkap-sel »Wostok« 1961 zu symbolisieren. Der gegenüberliegende Autorentext bringt Ähnliches zum Ausdruck. Da das Plakat in der unkommentierten Form kaum von didaktischem Wert ist, erfüllte es vor allem den Zweck, durch das Heraufbeschwören eines Bedrohungsszenarios die eigene west-liche Identität zu stärken. In der Neuauflage von 1971 wurde dem sowje-tischen Plakat dann ein Gegenbild – eine Fotografie der amerikanischen Mondlandung – zur Seite gestellt. Damit schrumpfte die sowjetische Ab-bildung auf die Hälfte seiner Größe zusammen. So wurde auf den ersten Blick deutlich, wer im »Space Race« des Kalten Krieges vorne lag.

Ungeachtet der Tatsache, dass nur im Einzelfall eruiert werden kann, ob und wie intensiv ein Schulbuch tatsächlich in Gebrauch ist, ermög-licht die Analyse von Abbildungen in Geschichtsschulbüchern durchaus Rückschlüsse auf die Zeigbarkeitsrahmen einer Gesellschaft. Diese de-

73 Vgl. Bertrand Lécureur: Enseigner le Nazisme et la Shoah: une étude compa-rée des manuels scolaires en Europe. Göttingen 2012. Knoch: Die Tat als Bild (Anm. 45), S. 395ff.; 528ff., 928.

74 Knoch: Die Tat als Bild (Anm. 45). 75 Zeiten und Menschen, Band 4: Europa und die Welt. Das 20. Jahrhundert.

Paderborn 1966, S. 217.

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finieren als dynamische Konstrukte, wie die Vergangenheit in der ge-genwärtigen Machtkonstellation in Hinblick auf Zukunftserwartungen sichtbar gemacht werden darf. Gerhard Paul bezeichnet Sichtbarkeit da-her auch als »Herrschaftsressource«.76 Der Bilderkanon einer jeweiligen Zeit kann also Sediment aktueller visueller Diskurse und Erinnerungs-kulturen zugleich sein. Mit Jens Ruchatz ausgedrückt, ist die Schule die »vermutlich wichtigste Institution, um nicht nur das national ver-bindliche Geschichtswissen, sondern auch die dazugehörigen Bilder im Gedächtnis von Individuen zu implementieren«.77 Hans-Jürgen Pandel geht noch einen Schritt weiter, wenn er behauptet, »das visuelle deutsche Gedächtnis [werde, L. H.] also geradezu von den Bildbeschaffungsstel-len der deutschen Schulbuchverlage hergestellt.«78 Die Frage, ob sich aus der Analyse von Schulbüchern eindeutig lesbare Inventare des Bil-derhaushalts einer Gesellschaft ableiten lassen, muss hier aber zunächst offen bleiben. Die Grundannahme, dass durch die Verwendung von Bildern in Geschichtsschulbüchern kollektiv verfügbare Bilderhaushalte entstehen, die gleichermaßen medial, pädagogisch, wissenschaftlich und nicht zuletzt politisch beeinflusst sind, kann jedoch mit Nachdruck be-jaht werden.

Die Erforschung von Abbildungen in Schulbüchern steckt noch in den Kinderschuhen. Ein großes Potenzial für das Forschungsfeld birgt der transdisziplinäre Ansatz gegenwärtiger bildwissenschaftlicher Her-angehensweisen. Seriell-ikonografische Untersuchungen historischer Signaturen wie Nationalsozialismus, Kolonialismus oder Sozialismus vermögen medienübergreifend visuelle Deutungsmuster nationaler Prä-gung und transnationaler Verschränkung freizulegen. Die Frage, welche

76 Gerhard Paul: Visual History und Geschichtsdidaktik. Einführende Überlegun-gen. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik (2013), S. 9–26.

77 Christophe / Baier / Zehr: Schulbücher als Seismographen (Anm. 15); Jens Ruchatz: Fotografische Gedächtnisse. Ein Panorama medienwissenschaftlicher Fragestellungen. In: Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität– Historizität– Kulturspezifität. Hrsg. von Astrid Erll und Ansgar Nünning. Ber-lin 2008, S. 83–105, hier S. 97.

78 Hans-Jürgen Pandel: Bild und Film. Ansätze zu einer Didaktik der »Bildge-schichte«. In: Geschichtsbewußtsein und Methoden historischen Lernens. Hrsg. von Bernd Schönemann, Uwe Uffelmann und Hartmut Voit. Weinheim 1998, S. 157–168, hier S. 164.

83Bilderwelten im Schulbuch

79 Vgl. hierzu die Überlegungen von Gerhard Paul zur Rolle eines Bilderkanons. U. a. in: Gerhard Paul: Das Jahrhundert der Bilder. Die visuelle Geschichte und der Bildkanon des kulturellen Gedächtnisses. In: Das Jahrhundert der Bilder. Bilderatlas I: 1900–1949. Hrsg. von Gerhard Paul. Göttingen 2009, S. 14–39. Gerhard Paul: Europabilder des 20. Jahrhunderts. Bilddiskurse – Bilderkanon – visuelle Erinnerungsorte. In: Bilder von Europa. Innen- und Außenansichten von der Antike bis zur Gegenwart. Europäische Horizonte. Hrsg. von Benjamin Drechsel u. a. Bielefeld 2010, S. 255–280.

80 Zit. nach: Hartmann / Bauer: Bildersprache (Anm. 1), S. 41.

Bilder in den kollektiven Bilderhaushalt aufgenommen werden und wel-che ausgespart bleiben, ist dabei nicht nur für die kulturwissenschaftlich orientierte Schulbuchforschung von Relevanz.79 Auf dem Gebiet der Medienwirkungsforschung und der Kognitionspsychologie werden Er-kenntnisse zur Rezeption von Bildern und den Effekten auf Lernverhal-ten, Geschichtsbewusstsein und Erinnerungspraktiken erwartet. Gleich-zeitig verlangt auch die Entwicklung digitaler Lernformate spezifische Analyseinstrumente von Bild-Text-Beziehungen sowie des Einsatzes von Bewegtbildern. Der moderne »Augenmensch«, so eine Wortschöpfung des Eingangs zitierten Otto Neurath,80 wird also Forscher verschiedener Disziplinen in Zukunft noch stärker beschäftigen.