Berg & Leute. Tirol als Landschaft und Identität (Schriften zur Politischen Ästhetik Bd. 1),...

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innsbruck university press Ulrich Leitner (Hg.) BERG & LEUTE Kann Landschaft eine Identität haben und Identität stiften? Dieser Frage geht der vorliegende Band nach, indem Landschaft als soziale Kategorie am Beispiel des historischen Tirols interdisziplinär erprobt wird. Ein Schwerpunkt liegt auf dem heu- tigen Südtirol. 20 Beiträge, eine Diskussion mit Reinhold Messner und Werke Tiroler Künstler/-innen in Bild und auf Audio-CD bieten Einblicke in die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft. Im Mittelpunkt steht der Berg als landschaftsprägendes Ele- ment, die Beziehung zwischen den Menschen und ihrem bergigen Umland, deren Aus- einandersetzung mit und ihr Blick vom und auf den Berg. »Es gibt eine Interferenz zwischen Landschaft und Identität, wenn auch die Landschaft an sich keine Identität haben kann, weil sie kein Bewusstsein hat.« Reinhold Messner Mit Audio CD

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EUTEKann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Dieser Frage geht der

vorliegende Band nach indem Landschaft als soziale Kategorie am Beispiel des historischen Tirols interdisziplinaumlr erprobt wird Ein Schwerpunkt liegt auf dem heu-tigen Suumldtirol 20 Beitraumlge eine Diskussion mit Reinhold Messner und Werke Tiroler Kuumlnstler-innen in Bild und auf Audio-CD bieten Einblicke in die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft Im Mittelpunkt steht der Berg als landschaftspraumlgendes Ele-ment die Beziehung zwischen den Menschen und ihrem bergigen Umland deren Aus-einandersetzung mit und ihr Blick vom und auf den Berg

raquoEs gibt eine Interferenz zwischen Landschaft und Identitaumlt wenn auch die Landschaft an sich keine Identitaumlt haben kann weil sie kein Bewusstsein hatlaquo

Reinhold Messner

Mit Audio CD

innsbruck university press

SERIES

Schriften zur Politischen Aumlsthetik Band 1

Series-Editors Christina Antenhofer Ulrich Leitner Andreas Oberprantacher Kordula Schnegg

Ulrich Leitner (Hg)

Berg amp LeuteTirol als Landschaft und Identitaumlt

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaft sowie Forschungsschwerpunkt Kulturelle Begegnungen ndash Kulturelle Konflikte Universitaumlt Innsbruck

Gedruckt mit Unterstuumltzung des Vizerektorats fuumlr Forschung der Universitaumlt Innsbruck Institut fuumlr Erziehungs-wissenschaft der Universitaumlt Innsbruck Forschungsschwerpunkt Kulturelle Begegnungen ndash Kulturelle Kon-flikte Autonome Region Trentino Suumldtirol Abteilung Deutsche Kultur der Suumldtiroler Landesregierung Abteilung Kultur der Tiroler Landesregierung Stadtgemeinde Bruneck Stadtmarketing Bruneck Gemeinde Terenten sowie Ladinisches Kulturinstitut Micuragrave de Ruuml

copy innsbruck university press 2014Universitaumlt Innsbruck1 AuflageAlle Rechte vorbehaltenLayout und Satz Judith StriederUmschlagbild Heidi Leitner Trilogie 1809 (1994) Foto Gina SchatzlwwwuibkacatiupISBN 978-3-902936-36-3

Zum Geleit 10

Geleitworte 11

EINLEITUNG 20

I THEORIE 41

Berg ndash Tirols poetischer Ort 42

Ein Modell zum Raum- und Landschaftsbezug der IdentitaumltUlrich Leitner

II POSITIONEN 83

Berge und Mythos 84

Helga Peskoller

Erzaumlhlte Welt 97

Die Emotionalisierung der Landschaft uumlber die Geschichte ihrer BenennungenChristina Antenhofer

Von Raumltien und Noricum zu Tirol 132

Geschichtsbilder und Meistererzaumlhlungen fuumlr das erste Jahrtausend unserer ZeitRoland Steinacher

Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften 163

Reinhold Messner Sabina Kasslatter Mur Christina Antenhofer Helga Peskoller und Roland Steinacher im Gespraumlch mit Eberhard Daum

III ZUGAumlNGE 184

Der Berg als Grundlage 185

Dolomiten und Ladiner ndash Territorium und Identitaumlt 186

Werner Pescosta

Natuumlrliche Konstante oder menschgemachte Variable 222

Bemerkungen zu den Landschaftsbegriffen zur Geschichte der Tiroler Landschaft und ihrer identitaumltsstiftenden Wirkung aus wirtschaftshistorischer PerspektiveGerhard Siegl

Von der Geologie als Basis ndash Leben vom und mit dem Untergrund in Tirol 237

Michael Unterwurzacher

Heidi Leitner ndash Die Landschaft verkoumlrpern 262

Rosanna Dematteacute

Der Berg als Bild 273

Der Berg und die Freiheit ndash Wie der Tiroler Aufstand von 1809 274

mit der Entdeckung der Alpen zusammenhaumlngtAndreas Oberhofer

Gemeine Plaumltze ndash Die Wahrnehmung der Alpen in (Spaumlt-)Antike 302

und (Fruumlh-)MittelalterKatharina Winckler

Die Bergsteiger als kulturelles Konstrukt des Sprachgebrauchs 325

Eine diskursanalytische Untersuchung sprachlicher Gebrauchsmuster in der BergsteigerliteraturClaudia Posch

Jessie Pitt ndash Der gewandelte Blick auf die Berge 339

Katharina Seidl

Der Berg als Erfahrung 353

Bergnamen als identitaumltsstiftende Sprachzeichen 354

Gerhard Rampl

Der Berg im Kopf ndash Ein Netz von Flurnamen als mentale Landkarte 369

Thea Goumltsch

Klanglandschaften ndash Die Natur als Komponistin 382

Manuela Kerer

miniatur ueber die alpen samt deren bewohnern 385

Katja Renzler Rudolf Unterhuber

Der Berg als Projektion 389

Die (soziale) Landschaft Suumldtirols ndash 390

Mountain Identity and the Global SocietyAnnemarie Profanter

Wahl-Heimat Suumldtirol ndash Alto Adige Identifikationsangebote 415

jenseits anerkannter SprachgruppenPier Paolo Pasqualoni

Die Bilder der Anderen 437

Eine qualitative Analyse im Spannungsfeld von aumlsthetischer Rezeption Repraumlsentation Differenz und EinheitVincenzo Bua

Von Vorgefundenem und Kuumlnstlichem 451

Ein Interview mit Andreas Perkmann Berger uumlber das Wahrnehmen und Gestalten von realen und poetischen RaumlumenVerena Oberparleiter

AUSKLANG | Dank | Biographien | Register 465

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Zum Geleit

Berg amp Leute ndash Dieses spannende Thema betrifft eigentlich alle die in den Bergen leben die in die Berge gehen die uumlber die Berge schreiben die die Berge erforschen sie schaumlt-zen und schuumltzen sie lieben oder hassen oder vielleicht beidesDie Geschichte des Alpinismus ist eine faszinierende facettenreiche Geschichte die immer wieder von einem Phaumlnomen begleitet wird der Leidenschaft Denn Berge bedeuten Schoumlnheit der Natur Herausforderung und Grenzerfahrung Berge loumlsten und loumlsen Emotionen aus Es gab in der Vergangenheit die Angst davor aber auch die groszlige Neu-gierde die Welt von einem Gipfel aus zu entdecken Berge sind auch ein immer wieder keh-rendes Thema in Kunst und Kultur Viele Museen koumlnnen auf kulturhistorische Bestaumlnde aus der Geschichte des Alpinismus verweisen Die musealen Gegenstaumlnde stehen aber nicht fuumlr sich allein genauso wie der Berg nicht fuumlr sich allein steht sondern immer in Verbindung mit dem Menschen zu sehen ist In welcher Verbindung auch immerDas Zusammenwirken von Mensch und Berg wird uns besonders bewusst wenn wir durch Schloss Bruneck gehen wo Reinhold Messner den Bergvoumllkern der Welt den ihnen gebuumlhrenden Raum gibt Zu den vom internationalen Museumsrat festgelegten ethi-schen Grundsaumltzen von Museen gehoumlren das Sammeln Bewahren Ausstellen Doku-mentieren Vermitteln und das Forschen Erst dann darf sich eine Einrichtung Museum nennen Das Letztere das Forschen beginnt zunehmende Bedeutung zu gewinnen weshalb ich es sehr begruumlszlige dass in Zusammenarbeit zwischen dem Forschungsclu-ster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der Universitaumlt Innsbruck und dem Messner Mountain Museum Ripa ein Forschungsprojekt entstanden ist das durch mein Ressort das Land Tirol und die Gemeinden Bruneck und Terenten gefoumlrdert wurde Es handelt sich um ein Projekt das die Berge aus mehreren Blickwinkeln untersucht und beleuch-tet aus dem historischen dem soziologischen dem geologischen dem sprachwissen-schaftlichen dem paumldagogischen dem kunsthistorischen wie kuumlnstlerischen und des-sen Ergebnisse im vorliegenden Buch muumlnden

Sabina Kasslatter MurSuumldtiroler Landesraumltin fuumlr Bildung und Deutsche Kultur

Bozen im Jaumlnner 2013

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Geleitworte

Das Projekt Berg amp Leute ist eines unter vielen Projekten der seit dem 1 Jaumlnner 2010 eta-blierten Forschungsplattform Politik Religion Kunst der Universitaumlt Innsbruck aber es ist ein ganz besonderes ein ganz besonders schoumlnes es zeigt sehr anschaulich was eine solche Forschungsplattform zu leisten imstande ist In dieser Plattform Politik Religion Kunst sind vor allem Kolleginnen und Kollegen der Philosophisch-Historischen der Phi-lologisch-Kulturwissenschaftlichen und der Theologischen Fakultaumlt vertreten aber dar-uumlber hinaus auch einzelne Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fakultaumlten Das Beson-dere einer solchen Forschungsplattform Es sind um es kurz zu sagen drei Punkte Das erste ist dass hier Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Disziplinen die sonst gewohnt sind sich mehr und mehr zu spezialisieren und nur mehr auf einem ganz bestimmten meist engen Feld zu arbeiten gezwungen werden uumlber die Grenzen ihres Faches hinauszuschauen diese Grenzen zu uumlberschreiten und sich auf Perspektiven auch auf methodische und methodologische Positionen anderer Disziplinen einzulas-sen Das andere mindestens genauso Bemerkenswerte ist dass in den einzelnen For-mationen der Plattform Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten ohne dass dort die Hierarchie auch nur die geringste Rolle spielen wuumlrde Die Hierarchie die ja seit dem Universitaumltsgesetz 2002 in Oumlsterreich wieder eine ganz massive Rolle spielt wird in der-artigen Plattformen wieder sehr flach Die Grenzen die sonst gesetzt werden werden uumlberquert indem Kolleginnen und Kollegen ob sie Professoren Dozenten Assistenten oder Studierende sind zusammenarbeiten und nur eines zaumlhlt naumlmlich was die einzel-nen Kolleginnen und Kollegen leisten nichts sonst Das dritte ist dass die Arbeit in die-sen Clustern immer aus dem Elfenbeinturm der Universitaumlt hinausfuumlhrt und auch das ist fuumlr den Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode bzw das Projekt Berg amp Leute signi-fikant hier geradezu anschaulich zu sehen ndash Ich halte zwar nichts davon den Elfenbein-turm permanent schlecht zu reden denn Elfenbein ist bekanntlich weiszliges Gold aber uumlber die Grenzen des Elfenbeinturms hinaus eine breitere Oumlffentlichkeit anzusprechen ist dennoch eine ganz besondere Leistung dieses ProjektesDie Erschlieszligung wissenschaftlichen Neulands muss nicht zwangslaumlufig verknuumlpft sein mit der Entdeckung neuer Gegenstandsebenen sie muss auch keineswegs um jeden Preis mit neuen Materialien aufwarten sie kann sich genauso gut aus innovativen Frage-stellungen aus ungewohnten Perspektiven oder aber aus theoretischen Zugriffen ent-wickeln die bisher versperrte Zugaumlnge zu einem Thema schlagartig zu oumlffnen imstande sind Letzteres zeichnet dieses Buch ausBerg amp Leute Auf den ersten Blick ist zu diesem Thema alles ausgefuumlhrt was dazu zu sagen ist Vor allem in Tirol gibt es nicht doch laumlngst schon hinreichend historische poli-tikwissenschaftliche kulturwissenschaftliche literarische und kuumlnstlerische Auseinan-dersetzungen mit dem Raum Tirol mit Land und Leuten und schlieszliglich mit den unter-schiedlichsten Konstruktionen die im Laufe der Geschichte der Landschaft aufgebuumlr-det worden sind

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Der vorliegende Sammelband verspricht Aspekte und Perspektiven zu diesem Thema zu praumlsentieren die in der einschlaumlgigen Forschung bisher noch nicht entsprechend dar-gelegt worden sind und zwar einerseits konkret zur Region TirolSuumldtirol andererseits auch grundsaumltzlich zur Rolle der Landschaft im Hinblick auf die Entwicklung von Identi-taumlten (die bekanntlich immer dem geschichtlichen Wandel unterliegen und somit auch nicht unaufloumlslich an geografische Raumlume gebunden sind)Dieses Buch sammelt jedoch nicht nur neue Ertraumlge der Forschung ein es vermittelt auch eine Fuumllle von Anstoumlszligen zu weiteren Arbeiten Anregungen beispielsweise (um hier auf meine eigene Disziplin noch zu sprechen zu kommen) fuumlr eine Literaturwissen-schaft die sich aus der Umklammerung der traditionellen Regionalliteraturforschung befreien und stattdessen einbinden moumlchte in internationale Ansaumltze kulturwissen-schaftlicher RaumtheorienSo ist immer noch die kritische Beschaumlftigung mit der italienischen und ladinischen Lite-ratur in Suumldtirol (seit 191819) ganz offensichtlich ein Desiderat der Forschung (waumlhrend die deutschsprachige Literatur des Landes schon weit besser aufgearbeitet ist und nach wie vor unter den verschiedensten Gesichtspunkten wissenschaftlich betrachtet wird) Umgekehrt waumlre es jedoch genauso interessant und an der Zeit literarische Werke die auszligerhalb der Landesgrenzen entstanden und erschienen sind auch einmal im Hinblick darauf zu studieren wie sie denn dazu kommen die Ver-Ortung bestimmter Positionen ausgerechnet im Raum Tirol bzw im Alpenraum vorzusehen ndash wie zB Vicki Baum dies unternimmt die in ihrem Roman Kristall im Lehm (in deutscher Fassung erstmals veroumlf-fentlicht 1953) die Traumwelt der Alpen namentlich der Roccalunga als Gegenwelt zu den amerikanischen Metropolen zeichnetVicki Baum zu ihrer Zeit eine der charmantesten und beliebtesten Erscheinungen auf dem deutschsprachigen wie auf dem amerikanischen Literaturmarkt hat neben vielen (noch immer lesenswerten) Unterhaltungsromanen Menschen im Hotel ist der beruumlhmteste auch einen geschrieben der ihr immer ganz besonders wichtig gewe-sen ist eben Kristall im Lehm Hauptschauplatz ist Kalifornien eine Gesellschaft die ganz und gar heruntergekommen ist die von Alkohol- und Drogenproblemen nicht mehr loskommt in der alle Werte die fruumlher einmal gegolten haben und die aus der Sicht der Autorin aufhebenswerte Werte gewesen waumlren zugrundegerichtet worden sind In dieser Gesellschaft taucht ein Mann auf Giano ein junger Italiener um sei-nen amerikanischen Freunden die alle psychisch krank wenn nicht schon ganz kaputt sind im letzten Augenblick zu helfen Er kommt von einer raquohochgelegenen Almlaquo wie es heiszligt dementsprechend denkt und handelt er raquowie der gute Hirtelaquo unabhaumlngig von gesellschaftlichen Instanzen oder Zwaumlngen wie sie in der Groszligstadt herrschen voumlllig autonom Ein idealer (Berg-)Fuumlhrer Wenn er nicht gerade in Los Angeles zu tun hat zieht er sich zuruumlck in seine Berglandschaft dort huumltet er Schafe und dort liest er Rilke ndash Der Stem-pel der dieser Landschaft somit aufgedruumlckt wird ist schon ziemlich oft verwendet worden ein nicht ganz unproblematischer Stempel Es gibt aber haumlsslichere und ganz andere auch wie ein Blick in die Literaturgeschichte Tirols zeigen koumlnnte

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Ich nenne nur zwei Autoren die hier aus meiner Sicht zu allererst zu erwaumlhnen sind Adolf Pichler der eine der bekanntlich auch Naturwissenschaftler ein Experte in den Faumlchern Geologie und Mineralogie gewesen ist immer in den Bergen herumgestiegen und dabei auf jene Ideen gekommen ist die er dann in seinen aumlsthetischen und poli-tischen Schriften in seinen Erzaumlhlungen in seinen Versepen anschaulich vorgetragen hat ein Liberaler der ersten Stunde ndash Pichler hat in der Einsamkeit der Bergwelt in der (damals noch) menschenleeren Natur die er staumlndig aufgesucht hat jene Uumlberlegungen entwickelt die es ihm in der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts ermoumlglicht haben das stockkonservativ-katholische Milieu seiner Heimat mit Gegenpositionen zu konfrontie-ren und sich fuumlr eine ebenso menschen- wie kunstfreundliche Atmosphaumlre einzusetzenDer andere der hier zu nennen waumlre ist Carl Dallago der Anfang des 20 Jahrhunderts mit seinen Schriften vor allem auch in Suumldtirol zunaumlchst fuumlr viel Aufregung gesorgt hat Auch er hat die Welt der Berge aufgesucht um vor jener Gesellschaft die in seinen Augen eine Gesellschaft der Philister und mithin ganz heruntergekommen war zu flie-hen und ihr gleichzeitig Gegenbilder entgegen zu setzen Bilder wie er sie beispiels-weise in den Gemaumllden eines Giovanni Segantini vorgefunden hat oder auch in den Schriften von Nietzsche und Karl Kraus solche Bilder haben ihn in diesen seinen Bemuuml-hungen unterstuumltzt Dallago hat in seinen Essays in seinen Attacken gegen alle Institu-tionen sowohl die staatlichen wie auch die kirchlichen Einrichtungen auf eine Haltung gezielt von der aus fast ohne weiteres eine Bruumlcke zu schlagen waumlre zu jener Position wie man sie in den Uumlberlegungen von Reinhold Messner wieder findet in Gedanken-gaumlngen die das Extrembergsteigen mit Begriffen in Zusammenhang gebracht haben wie Autonomie Selbststaumlndigkeit Unabhaumlngigkeit AnarchieBerg amp Leute Unter diesem Titel ist noch immer vielfach unerforschtes Gelaumlnde zu entdek-ken dieses Buch unterstreicht das mit gehoumlrigem Nachdruck Im Namen der Forschungs-plattform Politik Religion Kunst darf ich allen Mitwirkenden herzlich danken die Beitraumlge zu dem Buch verfasst und dieses Projekt mit groszligem Engagement getragen haben ins-besondere Christina Antenhofer Heidi und Ulrich Leitner sowie Andreas Oberhofer

Innsbruck im Jaumlnner 2013 Johann Holzner Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Universitaumlt Innsbruck

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Der Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode entfaltet seine Forschungstaumltigkeit in enger Auseinandersetzung mit den Schriften von Jacques Ranciegravere Ein wesentlicher Impuls kam von Ranciegravere selbst im Rahmen der Tagung Im Unvernehmen Ein Tag mit Jacques Ranciegravere an der Bergischen Universitaumlt Wuppertal 2009 an der einige Mitglie-der des Clusters teilnahmen Dort plaumldierte Ranciegravere fuumlr eine ethische Verantwortung der Wissenschaft nicht nur was die Themen sondern auch was den Gegenstand der Forschung betrifft und damit das Arbeiten an den raquoRaumlndern der Disziplinenlaquo wie er es nannte an denen die eigentliche Herausforderung interdisziplinaumlren Arbeitens liegt naumlmlich in jenen Grau- und Kontaktzonen die von rigiden disziplinaumlren Einteilungen ausgenommen sind und deshalb selten wissenschaftliche Bearbeitung finden Gerade die systematische Beschaumlftigung mit Fragestellungen die vom akademischen Betrieb mitunter marginalisiert werden erlaubt es das Potential interdisziplinaumlrer Arbeits-gruppen zu schaumlrfen Dieser Aufmerksamkeit entsprechend widmet sich der Cluster Politische Aumlsthetik konsequent der Verbindung von Theorie und Praxis indem die wis-senschaftliche Auseinandersetzung uumlber die gemeinsame Organisation von Tagun-gen Ausstellungen und Projekten erfolgt die sich jeweils solchen Themenbereichen widmen die erst durch eine interdisziplinaumlre Auseinandersetzung erfasst werden koumln-nen Die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt ist ein solcher Themenbereich der im Rahmen des Projektes Berg amp Leute im Sinne Ranciegraveres einer interdisziplinaumlren Betrachtung zugefuumlhrt wurdeEinen zweiten Stimulus den der Cluster Politische Aumlsthetik von Ranciegravere erfaumlhrt ist dessen Bestimmung des Aumlsthetischen Ranciegraveres Uumlberlegungen zufolge handelt es sich bei dem Begriff Aumlsthetik nicht um eine am Prinzip der Schoumlnheit und Kunstfer-tigkeit geschulte Kategorie der Bildenden Kunst Das Aumlsthetische wird vielmehr im Sinne einer raquoAufteilung des Sinnlichenlaquo diskutiert womit der Begriff Aumlsthetik eine explizit politische Konnotation erhaumllt Eine so verstandene politische Umwertung der Aumlsthetik kann mit der Vorstellung einer aumlsthetizistischen Anschauung des Lebens die unter anderem fuumlr Einstellungen der Romantik praumlgend war unmoumlglich zur Deckung gebracht werden Ausgehend von Ranciegraveres Studien zum Unvernehmen sowie zur Auf-teilung des Sinnlichen versucht der Cluster Politische Aumlsthetik die politische Dimension aumlsthetischer Ordnungen daher als historische Konfiguration von sinnlichen Verhaumlltnis-sen zu begreifen die insgesamt regeln wie Wirklichkeit erfahren und der soziale Raum gestaltet werden kann Denn Ranciegravere zufolge ist Kunst

raquoweder politisch aufgrund der Botschaft die sie uumlberbringt noch aufgrund der Art und Weise wie sie soziale Strukturen politische Konflikte oder soziale ethnische oder sexuelle Identitauml-ten darstellt Kunst ist in erster Linie dadurch politisch dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins des Innen- oder Auszligen- Gegenuumlber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden Kunst ist dadurch politisch dass sie einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit aufteiltlaquo (Jacques Ranciegravere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien Berlin 2008 77)

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In diesem Sinne wird Ranciegravere nicht muumlde daran zu erinnern dass das Aumlsthetische wie es in gelaumlufiger Diktion gebraucht wird im Prinzip ein Elitendiskurs ist der sich uumlber Kennerschaft definiert und daruumlber dass diese Kennerschaft bzw die Sensibili-taumlt fuumlr das Schoumlne bestimmten (elitaumlren) Kreisen vorbehalten ist oder diesen zugeteilt wird Die Differenzierung zwischen Hoher Kultur und Populaumlrer Kultur ist eine beson-ders markante Auspraumlgung einer diskursiven Engfuumlhrung des Begriffs Aumlsthetik die implizit zur Exklusion breiter Schichten von der Beteiligung an der Diskussion aumlsthe-tischer Erfahrungen neigt und diese legitimiert Dies geschieht laut Ranciegravere sowohl uumlber den speziellen Diskurs der Kennerschaft der Nicht-Kenner per se bereits uumlber die Sprache ausschlieszligt als auch in einem noch grundlegenderen Sinne infolge der Ver-knappung der Ressource Zeit die fuumlr die Anteilnahme am Aumlsthetischen zur Verfuumlgung steht Denn in dem Maszlige wie ein Groszligteil der Lebenszeit zur Sicherung des Lebens-unterhalts aufgebracht werden muss wird vielen praktisch das Wort entzogen Aber auch Migrant-inn-en oder so genannte Staatenlose werden aus diesem Diskurs aus-geschlossen da ihnen prinzipiell die politische Stimme aberkannt wird Mit Ranciegravere gesprochen kommt es darauf an die politische Qualitaumlt diverser Aumlsthetiken dort zu erkennen und zu verstehen wo sich kuumlnstlerische Formen und Praktiken auf Fragen des Verhaumlltnisses von Oumlffentlichkeit und Privatheit von Zwischenmenschlichkeit und Ausgrenzung oder von Orthodoxie und Haumlresie beziehen lassen um mitunter uner-houmlrten Moumlglichkeiten Gemeinschaft zu erfahren Ausdruck zu verleihenEin besonderes Ziel des Clusters Politische Aumlsthetik besteht infolgedessen darin diskur-sive Grenzen aufzuspuumlren und wo moumlglich zu transformieren oder auch abzutragen ndash Grenzen die etwa den wissenschaftlichen Diskurs vom oumlffentlichen trennen und mit-unter ein Denken im Elfenbeinturm intensivieren Zu diesem Zweck ist der Cluster Poli-tische Aumlsthetik bestrebt Verbindungen von wissenschaftlichem Diskurs Kunst Literatur und Oumlffentlichkeit zu untersuchen aber auch zu erarbeiten Die Arbeit des Forschungs-clusters baut demgemaumlszlig auf vier Grundsaumlulen die sich in die zwei Hauptbereiche For-schung und Vermittlung eingliedern Der Bereich Forschung zum einen greift auf das interdisziplinaumlre Forschungsnetzwerk als Diskussions- und Reflexionsinstanz fuumlr For-schungsprojekte zuruumlck die sich sowohl mit empirischer Grundlagenforschung als auch mit kritischer Theorie- und Methodenreflexion beschaumlftigen Der Bereich der Vermitt-lung wiederum umfasst in der Folge unterschiedliche Aktivitaumlten der Sichtbarmachung der gemeinsamen Forschung in der universitaumlren Lehre wie im oumlffentlichen Raum

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Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

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Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

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Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

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Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

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Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

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zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

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nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

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und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

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wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

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Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

innsbruck university press

SERIES

Schriften zur Politischen Aumlsthetik Band 1

Series-Editors Christina Antenhofer Ulrich Leitner Andreas Oberprantacher Kordula Schnegg

Ulrich Leitner (Hg)

Berg amp LeuteTirol als Landschaft und Identitaumlt

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaft sowie Forschungsschwerpunkt Kulturelle Begegnungen ndash Kulturelle Konflikte Universitaumlt Innsbruck

Gedruckt mit Unterstuumltzung des Vizerektorats fuumlr Forschung der Universitaumlt Innsbruck Institut fuumlr Erziehungs-wissenschaft der Universitaumlt Innsbruck Forschungsschwerpunkt Kulturelle Begegnungen ndash Kulturelle Kon-flikte Autonome Region Trentino Suumldtirol Abteilung Deutsche Kultur der Suumldtiroler Landesregierung Abteilung Kultur der Tiroler Landesregierung Stadtgemeinde Bruneck Stadtmarketing Bruneck Gemeinde Terenten sowie Ladinisches Kulturinstitut Micuragrave de Ruuml

copy innsbruck university press 2014Universitaumlt Innsbruck1 AuflageAlle Rechte vorbehaltenLayout und Satz Judith StriederUmschlagbild Heidi Leitner Trilogie 1809 (1994) Foto Gina SchatzlwwwuibkacatiupISBN 978-3-902936-36-3

Zum Geleit 10

Geleitworte 11

EINLEITUNG 20

I THEORIE 41

Berg ndash Tirols poetischer Ort 42

Ein Modell zum Raum- und Landschaftsbezug der IdentitaumltUlrich Leitner

II POSITIONEN 83

Berge und Mythos 84

Helga Peskoller

Erzaumlhlte Welt 97

Die Emotionalisierung der Landschaft uumlber die Geschichte ihrer BenennungenChristina Antenhofer

Von Raumltien und Noricum zu Tirol 132

Geschichtsbilder und Meistererzaumlhlungen fuumlr das erste Jahrtausend unserer ZeitRoland Steinacher

Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften 163

Reinhold Messner Sabina Kasslatter Mur Christina Antenhofer Helga Peskoller und Roland Steinacher im Gespraumlch mit Eberhard Daum

III ZUGAumlNGE 184

Der Berg als Grundlage 185

Dolomiten und Ladiner ndash Territorium und Identitaumlt 186

Werner Pescosta

Natuumlrliche Konstante oder menschgemachte Variable 222

Bemerkungen zu den Landschaftsbegriffen zur Geschichte der Tiroler Landschaft und ihrer identitaumltsstiftenden Wirkung aus wirtschaftshistorischer PerspektiveGerhard Siegl

Von der Geologie als Basis ndash Leben vom und mit dem Untergrund in Tirol 237

Michael Unterwurzacher

Heidi Leitner ndash Die Landschaft verkoumlrpern 262

Rosanna Dematteacute

Der Berg als Bild 273

Der Berg und die Freiheit ndash Wie der Tiroler Aufstand von 1809 274

mit der Entdeckung der Alpen zusammenhaumlngtAndreas Oberhofer

Gemeine Plaumltze ndash Die Wahrnehmung der Alpen in (Spaumlt-)Antike 302

und (Fruumlh-)MittelalterKatharina Winckler

Die Bergsteiger als kulturelles Konstrukt des Sprachgebrauchs 325

Eine diskursanalytische Untersuchung sprachlicher Gebrauchsmuster in der BergsteigerliteraturClaudia Posch

Jessie Pitt ndash Der gewandelte Blick auf die Berge 339

Katharina Seidl

Der Berg als Erfahrung 353

Bergnamen als identitaumltsstiftende Sprachzeichen 354

Gerhard Rampl

Der Berg im Kopf ndash Ein Netz von Flurnamen als mentale Landkarte 369

Thea Goumltsch

Klanglandschaften ndash Die Natur als Komponistin 382

Manuela Kerer

miniatur ueber die alpen samt deren bewohnern 385

Katja Renzler Rudolf Unterhuber

Der Berg als Projektion 389

Die (soziale) Landschaft Suumldtirols ndash 390

Mountain Identity and the Global SocietyAnnemarie Profanter

Wahl-Heimat Suumldtirol ndash Alto Adige Identifikationsangebote 415

jenseits anerkannter SprachgruppenPier Paolo Pasqualoni

Die Bilder der Anderen 437

Eine qualitative Analyse im Spannungsfeld von aumlsthetischer Rezeption Repraumlsentation Differenz und EinheitVincenzo Bua

Von Vorgefundenem und Kuumlnstlichem 451

Ein Interview mit Andreas Perkmann Berger uumlber das Wahrnehmen und Gestalten von realen und poetischen RaumlumenVerena Oberparleiter

AUSKLANG | Dank | Biographien | Register 465

10

Zum Geleit

Berg amp Leute ndash Dieses spannende Thema betrifft eigentlich alle die in den Bergen leben die in die Berge gehen die uumlber die Berge schreiben die die Berge erforschen sie schaumlt-zen und schuumltzen sie lieben oder hassen oder vielleicht beidesDie Geschichte des Alpinismus ist eine faszinierende facettenreiche Geschichte die immer wieder von einem Phaumlnomen begleitet wird der Leidenschaft Denn Berge bedeuten Schoumlnheit der Natur Herausforderung und Grenzerfahrung Berge loumlsten und loumlsen Emotionen aus Es gab in der Vergangenheit die Angst davor aber auch die groszlige Neu-gierde die Welt von einem Gipfel aus zu entdecken Berge sind auch ein immer wieder keh-rendes Thema in Kunst und Kultur Viele Museen koumlnnen auf kulturhistorische Bestaumlnde aus der Geschichte des Alpinismus verweisen Die musealen Gegenstaumlnde stehen aber nicht fuumlr sich allein genauso wie der Berg nicht fuumlr sich allein steht sondern immer in Verbindung mit dem Menschen zu sehen ist In welcher Verbindung auch immerDas Zusammenwirken von Mensch und Berg wird uns besonders bewusst wenn wir durch Schloss Bruneck gehen wo Reinhold Messner den Bergvoumllkern der Welt den ihnen gebuumlhrenden Raum gibt Zu den vom internationalen Museumsrat festgelegten ethi-schen Grundsaumltzen von Museen gehoumlren das Sammeln Bewahren Ausstellen Doku-mentieren Vermitteln und das Forschen Erst dann darf sich eine Einrichtung Museum nennen Das Letztere das Forschen beginnt zunehmende Bedeutung zu gewinnen weshalb ich es sehr begruumlszlige dass in Zusammenarbeit zwischen dem Forschungsclu-ster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der Universitaumlt Innsbruck und dem Messner Mountain Museum Ripa ein Forschungsprojekt entstanden ist das durch mein Ressort das Land Tirol und die Gemeinden Bruneck und Terenten gefoumlrdert wurde Es handelt sich um ein Projekt das die Berge aus mehreren Blickwinkeln untersucht und beleuch-tet aus dem historischen dem soziologischen dem geologischen dem sprachwissen-schaftlichen dem paumldagogischen dem kunsthistorischen wie kuumlnstlerischen und des-sen Ergebnisse im vorliegenden Buch muumlnden

Sabina Kasslatter MurSuumldtiroler Landesraumltin fuumlr Bildung und Deutsche Kultur

Bozen im Jaumlnner 2013

11

Geleitworte

Das Projekt Berg amp Leute ist eines unter vielen Projekten der seit dem 1 Jaumlnner 2010 eta-blierten Forschungsplattform Politik Religion Kunst der Universitaumlt Innsbruck aber es ist ein ganz besonderes ein ganz besonders schoumlnes es zeigt sehr anschaulich was eine solche Forschungsplattform zu leisten imstande ist In dieser Plattform Politik Religion Kunst sind vor allem Kolleginnen und Kollegen der Philosophisch-Historischen der Phi-lologisch-Kulturwissenschaftlichen und der Theologischen Fakultaumlt vertreten aber dar-uumlber hinaus auch einzelne Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fakultaumlten Das Beson-dere einer solchen Forschungsplattform Es sind um es kurz zu sagen drei Punkte Das erste ist dass hier Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Disziplinen die sonst gewohnt sind sich mehr und mehr zu spezialisieren und nur mehr auf einem ganz bestimmten meist engen Feld zu arbeiten gezwungen werden uumlber die Grenzen ihres Faches hinauszuschauen diese Grenzen zu uumlberschreiten und sich auf Perspektiven auch auf methodische und methodologische Positionen anderer Disziplinen einzulas-sen Das andere mindestens genauso Bemerkenswerte ist dass in den einzelnen For-mationen der Plattform Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten ohne dass dort die Hierarchie auch nur die geringste Rolle spielen wuumlrde Die Hierarchie die ja seit dem Universitaumltsgesetz 2002 in Oumlsterreich wieder eine ganz massive Rolle spielt wird in der-artigen Plattformen wieder sehr flach Die Grenzen die sonst gesetzt werden werden uumlberquert indem Kolleginnen und Kollegen ob sie Professoren Dozenten Assistenten oder Studierende sind zusammenarbeiten und nur eines zaumlhlt naumlmlich was die einzel-nen Kolleginnen und Kollegen leisten nichts sonst Das dritte ist dass die Arbeit in die-sen Clustern immer aus dem Elfenbeinturm der Universitaumlt hinausfuumlhrt und auch das ist fuumlr den Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode bzw das Projekt Berg amp Leute signi-fikant hier geradezu anschaulich zu sehen ndash Ich halte zwar nichts davon den Elfenbein-turm permanent schlecht zu reden denn Elfenbein ist bekanntlich weiszliges Gold aber uumlber die Grenzen des Elfenbeinturms hinaus eine breitere Oumlffentlichkeit anzusprechen ist dennoch eine ganz besondere Leistung dieses ProjektesDie Erschlieszligung wissenschaftlichen Neulands muss nicht zwangslaumlufig verknuumlpft sein mit der Entdeckung neuer Gegenstandsebenen sie muss auch keineswegs um jeden Preis mit neuen Materialien aufwarten sie kann sich genauso gut aus innovativen Frage-stellungen aus ungewohnten Perspektiven oder aber aus theoretischen Zugriffen ent-wickeln die bisher versperrte Zugaumlnge zu einem Thema schlagartig zu oumlffnen imstande sind Letzteres zeichnet dieses Buch ausBerg amp Leute Auf den ersten Blick ist zu diesem Thema alles ausgefuumlhrt was dazu zu sagen ist Vor allem in Tirol gibt es nicht doch laumlngst schon hinreichend historische poli-tikwissenschaftliche kulturwissenschaftliche literarische und kuumlnstlerische Auseinan-dersetzungen mit dem Raum Tirol mit Land und Leuten und schlieszliglich mit den unter-schiedlichsten Konstruktionen die im Laufe der Geschichte der Landschaft aufgebuumlr-det worden sind

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Der vorliegende Sammelband verspricht Aspekte und Perspektiven zu diesem Thema zu praumlsentieren die in der einschlaumlgigen Forschung bisher noch nicht entsprechend dar-gelegt worden sind und zwar einerseits konkret zur Region TirolSuumldtirol andererseits auch grundsaumltzlich zur Rolle der Landschaft im Hinblick auf die Entwicklung von Identi-taumlten (die bekanntlich immer dem geschichtlichen Wandel unterliegen und somit auch nicht unaufloumlslich an geografische Raumlume gebunden sind)Dieses Buch sammelt jedoch nicht nur neue Ertraumlge der Forschung ein es vermittelt auch eine Fuumllle von Anstoumlszligen zu weiteren Arbeiten Anregungen beispielsweise (um hier auf meine eigene Disziplin noch zu sprechen zu kommen) fuumlr eine Literaturwissen-schaft die sich aus der Umklammerung der traditionellen Regionalliteraturforschung befreien und stattdessen einbinden moumlchte in internationale Ansaumltze kulturwissen-schaftlicher RaumtheorienSo ist immer noch die kritische Beschaumlftigung mit der italienischen und ladinischen Lite-ratur in Suumldtirol (seit 191819) ganz offensichtlich ein Desiderat der Forschung (waumlhrend die deutschsprachige Literatur des Landes schon weit besser aufgearbeitet ist und nach wie vor unter den verschiedensten Gesichtspunkten wissenschaftlich betrachtet wird) Umgekehrt waumlre es jedoch genauso interessant und an der Zeit literarische Werke die auszligerhalb der Landesgrenzen entstanden und erschienen sind auch einmal im Hinblick darauf zu studieren wie sie denn dazu kommen die Ver-Ortung bestimmter Positionen ausgerechnet im Raum Tirol bzw im Alpenraum vorzusehen ndash wie zB Vicki Baum dies unternimmt die in ihrem Roman Kristall im Lehm (in deutscher Fassung erstmals veroumlf-fentlicht 1953) die Traumwelt der Alpen namentlich der Roccalunga als Gegenwelt zu den amerikanischen Metropolen zeichnetVicki Baum zu ihrer Zeit eine der charmantesten und beliebtesten Erscheinungen auf dem deutschsprachigen wie auf dem amerikanischen Literaturmarkt hat neben vielen (noch immer lesenswerten) Unterhaltungsromanen Menschen im Hotel ist der beruumlhmteste auch einen geschrieben der ihr immer ganz besonders wichtig gewe-sen ist eben Kristall im Lehm Hauptschauplatz ist Kalifornien eine Gesellschaft die ganz und gar heruntergekommen ist die von Alkohol- und Drogenproblemen nicht mehr loskommt in der alle Werte die fruumlher einmal gegolten haben und die aus der Sicht der Autorin aufhebenswerte Werte gewesen waumlren zugrundegerichtet worden sind In dieser Gesellschaft taucht ein Mann auf Giano ein junger Italiener um sei-nen amerikanischen Freunden die alle psychisch krank wenn nicht schon ganz kaputt sind im letzten Augenblick zu helfen Er kommt von einer raquohochgelegenen Almlaquo wie es heiszligt dementsprechend denkt und handelt er raquowie der gute Hirtelaquo unabhaumlngig von gesellschaftlichen Instanzen oder Zwaumlngen wie sie in der Groszligstadt herrschen voumlllig autonom Ein idealer (Berg-)Fuumlhrer Wenn er nicht gerade in Los Angeles zu tun hat zieht er sich zuruumlck in seine Berglandschaft dort huumltet er Schafe und dort liest er Rilke ndash Der Stem-pel der dieser Landschaft somit aufgedruumlckt wird ist schon ziemlich oft verwendet worden ein nicht ganz unproblematischer Stempel Es gibt aber haumlsslichere und ganz andere auch wie ein Blick in die Literaturgeschichte Tirols zeigen koumlnnte

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Ich nenne nur zwei Autoren die hier aus meiner Sicht zu allererst zu erwaumlhnen sind Adolf Pichler der eine der bekanntlich auch Naturwissenschaftler ein Experte in den Faumlchern Geologie und Mineralogie gewesen ist immer in den Bergen herumgestiegen und dabei auf jene Ideen gekommen ist die er dann in seinen aumlsthetischen und poli-tischen Schriften in seinen Erzaumlhlungen in seinen Versepen anschaulich vorgetragen hat ein Liberaler der ersten Stunde ndash Pichler hat in der Einsamkeit der Bergwelt in der (damals noch) menschenleeren Natur die er staumlndig aufgesucht hat jene Uumlberlegungen entwickelt die es ihm in der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts ermoumlglicht haben das stockkonservativ-katholische Milieu seiner Heimat mit Gegenpositionen zu konfrontie-ren und sich fuumlr eine ebenso menschen- wie kunstfreundliche Atmosphaumlre einzusetzenDer andere der hier zu nennen waumlre ist Carl Dallago der Anfang des 20 Jahrhunderts mit seinen Schriften vor allem auch in Suumldtirol zunaumlchst fuumlr viel Aufregung gesorgt hat Auch er hat die Welt der Berge aufgesucht um vor jener Gesellschaft die in seinen Augen eine Gesellschaft der Philister und mithin ganz heruntergekommen war zu flie-hen und ihr gleichzeitig Gegenbilder entgegen zu setzen Bilder wie er sie beispiels-weise in den Gemaumllden eines Giovanni Segantini vorgefunden hat oder auch in den Schriften von Nietzsche und Karl Kraus solche Bilder haben ihn in diesen seinen Bemuuml-hungen unterstuumltzt Dallago hat in seinen Essays in seinen Attacken gegen alle Institu-tionen sowohl die staatlichen wie auch die kirchlichen Einrichtungen auf eine Haltung gezielt von der aus fast ohne weiteres eine Bruumlcke zu schlagen waumlre zu jener Position wie man sie in den Uumlberlegungen von Reinhold Messner wieder findet in Gedanken-gaumlngen die das Extrembergsteigen mit Begriffen in Zusammenhang gebracht haben wie Autonomie Selbststaumlndigkeit Unabhaumlngigkeit AnarchieBerg amp Leute Unter diesem Titel ist noch immer vielfach unerforschtes Gelaumlnde zu entdek-ken dieses Buch unterstreicht das mit gehoumlrigem Nachdruck Im Namen der Forschungs-plattform Politik Religion Kunst darf ich allen Mitwirkenden herzlich danken die Beitraumlge zu dem Buch verfasst und dieses Projekt mit groszligem Engagement getragen haben ins-besondere Christina Antenhofer Heidi und Ulrich Leitner sowie Andreas Oberhofer

Innsbruck im Jaumlnner 2013 Johann Holzner Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Universitaumlt Innsbruck

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Der Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode entfaltet seine Forschungstaumltigkeit in enger Auseinandersetzung mit den Schriften von Jacques Ranciegravere Ein wesentlicher Impuls kam von Ranciegravere selbst im Rahmen der Tagung Im Unvernehmen Ein Tag mit Jacques Ranciegravere an der Bergischen Universitaumlt Wuppertal 2009 an der einige Mitglie-der des Clusters teilnahmen Dort plaumldierte Ranciegravere fuumlr eine ethische Verantwortung der Wissenschaft nicht nur was die Themen sondern auch was den Gegenstand der Forschung betrifft und damit das Arbeiten an den raquoRaumlndern der Disziplinenlaquo wie er es nannte an denen die eigentliche Herausforderung interdisziplinaumlren Arbeitens liegt naumlmlich in jenen Grau- und Kontaktzonen die von rigiden disziplinaumlren Einteilungen ausgenommen sind und deshalb selten wissenschaftliche Bearbeitung finden Gerade die systematische Beschaumlftigung mit Fragestellungen die vom akademischen Betrieb mitunter marginalisiert werden erlaubt es das Potential interdisziplinaumlrer Arbeits-gruppen zu schaumlrfen Dieser Aufmerksamkeit entsprechend widmet sich der Cluster Politische Aumlsthetik konsequent der Verbindung von Theorie und Praxis indem die wis-senschaftliche Auseinandersetzung uumlber die gemeinsame Organisation von Tagun-gen Ausstellungen und Projekten erfolgt die sich jeweils solchen Themenbereichen widmen die erst durch eine interdisziplinaumlre Auseinandersetzung erfasst werden koumln-nen Die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt ist ein solcher Themenbereich der im Rahmen des Projektes Berg amp Leute im Sinne Ranciegraveres einer interdisziplinaumlren Betrachtung zugefuumlhrt wurdeEinen zweiten Stimulus den der Cluster Politische Aumlsthetik von Ranciegravere erfaumlhrt ist dessen Bestimmung des Aumlsthetischen Ranciegraveres Uumlberlegungen zufolge handelt es sich bei dem Begriff Aumlsthetik nicht um eine am Prinzip der Schoumlnheit und Kunstfer-tigkeit geschulte Kategorie der Bildenden Kunst Das Aumlsthetische wird vielmehr im Sinne einer raquoAufteilung des Sinnlichenlaquo diskutiert womit der Begriff Aumlsthetik eine explizit politische Konnotation erhaumllt Eine so verstandene politische Umwertung der Aumlsthetik kann mit der Vorstellung einer aumlsthetizistischen Anschauung des Lebens die unter anderem fuumlr Einstellungen der Romantik praumlgend war unmoumlglich zur Deckung gebracht werden Ausgehend von Ranciegraveres Studien zum Unvernehmen sowie zur Auf-teilung des Sinnlichen versucht der Cluster Politische Aumlsthetik die politische Dimension aumlsthetischer Ordnungen daher als historische Konfiguration von sinnlichen Verhaumlltnis-sen zu begreifen die insgesamt regeln wie Wirklichkeit erfahren und der soziale Raum gestaltet werden kann Denn Ranciegravere zufolge ist Kunst

raquoweder politisch aufgrund der Botschaft die sie uumlberbringt noch aufgrund der Art und Weise wie sie soziale Strukturen politische Konflikte oder soziale ethnische oder sexuelle Identitauml-ten darstellt Kunst ist in erster Linie dadurch politisch dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins des Innen- oder Auszligen- Gegenuumlber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden Kunst ist dadurch politisch dass sie einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit aufteiltlaquo (Jacques Ranciegravere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien Berlin 2008 77)

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In diesem Sinne wird Ranciegravere nicht muumlde daran zu erinnern dass das Aumlsthetische wie es in gelaumlufiger Diktion gebraucht wird im Prinzip ein Elitendiskurs ist der sich uumlber Kennerschaft definiert und daruumlber dass diese Kennerschaft bzw die Sensibili-taumlt fuumlr das Schoumlne bestimmten (elitaumlren) Kreisen vorbehalten ist oder diesen zugeteilt wird Die Differenzierung zwischen Hoher Kultur und Populaumlrer Kultur ist eine beson-ders markante Auspraumlgung einer diskursiven Engfuumlhrung des Begriffs Aumlsthetik die implizit zur Exklusion breiter Schichten von der Beteiligung an der Diskussion aumlsthe-tischer Erfahrungen neigt und diese legitimiert Dies geschieht laut Ranciegravere sowohl uumlber den speziellen Diskurs der Kennerschaft der Nicht-Kenner per se bereits uumlber die Sprache ausschlieszligt als auch in einem noch grundlegenderen Sinne infolge der Ver-knappung der Ressource Zeit die fuumlr die Anteilnahme am Aumlsthetischen zur Verfuumlgung steht Denn in dem Maszlige wie ein Groszligteil der Lebenszeit zur Sicherung des Lebens-unterhalts aufgebracht werden muss wird vielen praktisch das Wort entzogen Aber auch Migrant-inn-en oder so genannte Staatenlose werden aus diesem Diskurs aus-geschlossen da ihnen prinzipiell die politische Stimme aberkannt wird Mit Ranciegravere gesprochen kommt es darauf an die politische Qualitaumlt diverser Aumlsthetiken dort zu erkennen und zu verstehen wo sich kuumlnstlerische Formen und Praktiken auf Fragen des Verhaumlltnisses von Oumlffentlichkeit und Privatheit von Zwischenmenschlichkeit und Ausgrenzung oder von Orthodoxie und Haumlresie beziehen lassen um mitunter uner-houmlrten Moumlglichkeiten Gemeinschaft zu erfahren Ausdruck zu verleihenEin besonderes Ziel des Clusters Politische Aumlsthetik besteht infolgedessen darin diskur-sive Grenzen aufzuspuumlren und wo moumlglich zu transformieren oder auch abzutragen ndash Grenzen die etwa den wissenschaftlichen Diskurs vom oumlffentlichen trennen und mit-unter ein Denken im Elfenbeinturm intensivieren Zu diesem Zweck ist der Cluster Poli-tische Aumlsthetik bestrebt Verbindungen von wissenschaftlichem Diskurs Kunst Literatur und Oumlffentlichkeit zu untersuchen aber auch zu erarbeiten Die Arbeit des Forschungs-clusters baut demgemaumlszlig auf vier Grundsaumlulen die sich in die zwei Hauptbereiche For-schung und Vermittlung eingliedern Der Bereich Forschung zum einen greift auf das interdisziplinaumlre Forschungsnetzwerk als Diskussions- und Reflexionsinstanz fuumlr For-schungsprojekte zuruumlck die sich sowohl mit empirischer Grundlagenforschung als auch mit kritischer Theorie- und Methodenreflexion beschaumlftigen Der Bereich der Vermitt-lung wiederum umfasst in der Folge unterschiedliche Aktivitaumlten der Sichtbarmachung der gemeinsamen Forschung in der universitaumlren Lehre wie im oumlffentlichen Raum

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Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

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Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

26 Einleitung

Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

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nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

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wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

Ulrich Leitner (Hg)

Berg amp LeuteTirol als Landschaft und Identitaumlt

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaft sowie Forschungsschwerpunkt Kulturelle Begegnungen ndash Kulturelle Konflikte Universitaumlt Innsbruck

Gedruckt mit Unterstuumltzung des Vizerektorats fuumlr Forschung der Universitaumlt Innsbruck Institut fuumlr Erziehungs-wissenschaft der Universitaumlt Innsbruck Forschungsschwerpunkt Kulturelle Begegnungen ndash Kulturelle Kon-flikte Autonome Region Trentino Suumldtirol Abteilung Deutsche Kultur der Suumldtiroler Landesregierung Abteilung Kultur der Tiroler Landesregierung Stadtgemeinde Bruneck Stadtmarketing Bruneck Gemeinde Terenten sowie Ladinisches Kulturinstitut Micuragrave de Ruuml

copy innsbruck university press 2014Universitaumlt Innsbruck1 AuflageAlle Rechte vorbehaltenLayout und Satz Judith StriederUmschlagbild Heidi Leitner Trilogie 1809 (1994) Foto Gina SchatzlwwwuibkacatiupISBN 978-3-902936-36-3

Zum Geleit 10

Geleitworte 11

EINLEITUNG 20

I THEORIE 41

Berg ndash Tirols poetischer Ort 42

Ein Modell zum Raum- und Landschaftsbezug der IdentitaumltUlrich Leitner

II POSITIONEN 83

Berge und Mythos 84

Helga Peskoller

Erzaumlhlte Welt 97

Die Emotionalisierung der Landschaft uumlber die Geschichte ihrer BenennungenChristina Antenhofer

Von Raumltien und Noricum zu Tirol 132

Geschichtsbilder und Meistererzaumlhlungen fuumlr das erste Jahrtausend unserer ZeitRoland Steinacher

Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften 163

Reinhold Messner Sabina Kasslatter Mur Christina Antenhofer Helga Peskoller und Roland Steinacher im Gespraumlch mit Eberhard Daum

III ZUGAumlNGE 184

Der Berg als Grundlage 185

Dolomiten und Ladiner ndash Territorium und Identitaumlt 186

Werner Pescosta

Natuumlrliche Konstante oder menschgemachte Variable 222

Bemerkungen zu den Landschaftsbegriffen zur Geschichte der Tiroler Landschaft und ihrer identitaumltsstiftenden Wirkung aus wirtschaftshistorischer PerspektiveGerhard Siegl

Von der Geologie als Basis ndash Leben vom und mit dem Untergrund in Tirol 237

Michael Unterwurzacher

Heidi Leitner ndash Die Landschaft verkoumlrpern 262

Rosanna Dematteacute

Der Berg als Bild 273

Der Berg und die Freiheit ndash Wie der Tiroler Aufstand von 1809 274

mit der Entdeckung der Alpen zusammenhaumlngtAndreas Oberhofer

Gemeine Plaumltze ndash Die Wahrnehmung der Alpen in (Spaumlt-)Antike 302

und (Fruumlh-)MittelalterKatharina Winckler

Die Bergsteiger als kulturelles Konstrukt des Sprachgebrauchs 325

Eine diskursanalytische Untersuchung sprachlicher Gebrauchsmuster in der BergsteigerliteraturClaudia Posch

Jessie Pitt ndash Der gewandelte Blick auf die Berge 339

Katharina Seidl

Der Berg als Erfahrung 353

Bergnamen als identitaumltsstiftende Sprachzeichen 354

Gerhard Rampl

Der Berg im Kopf ndash Ein Netz von Flurnamen als mentale Landkarte 369

Thea Goumltsch

Klanglandschaften ndash Die Natur als Komponistin 382

Manuela Kerer

miniatur ueber die alpen samt deren bewohnern 385

Katja Renzler Rudolf Unterhuber

Der Berg als Projektion 389

Die (soziale) Landschaft Suumldtirols ndash 390

Mountain Identity and the Global SocietyAnnemarie Profanter

Wahl-Heimat Suumldtirol ndash Alto Adige Identifikationsangebote 415

jenseits anerkannter SprachgruppenPier Paolo Pasqualoni

Die Bilder der Anderen 437

Eine qualitative Analyse im Spannungsfeld von aumlsthetischer Rezeption Repraumlsentation Differenz und EinheitVincenzo Bua

Von Vorgefundenem und Kuumlnstlichem 451

Ein Interview mit Andreas Perkmann Berger uumlber das Wahrnehmen und Gestalten von realen und poetischen RaumlumenVerena Oberparleiter

AUSKLANG | Dank | Biographien | Register 465

10

Zum Geleit

Berg amp Leute ndash Dieses spannende Thema betrifft eigentlich alle die in den Bergen leben die in die Berge gehen die uumlber die Berge schreiben die die Berge erforschen sie schaumlt-zen und schuumltzen sie lieben oder hassen oder vielleicht beidesDie Geschichte des Alpinismus ist eine faszinierende facettenreiche Geschichte die immer wieder von einem Phaumlnomen begleitet wird der Leidenschaft Denn Berge bedeuten Schoumlnheit der Natur Herausforderung und Grenzerfahrung Berge loumlsten und loumlsen Emotionen aus Es gab in der Vergangenheit die Angst davor aber auch die groszlige Neu-gierde die Welt von einem Gipfel aus zu entdecken Berge sind auch ein immer wieder keh-rendes Thema in Kunst und Kultur Viele Museen koumlnnen auf kulturhistorische Bestaumlnde aus der Geschichte des Alpinismus verweisen Die musealen Gegenstaumlnde stehen aber nicht fuumlr sich allein genauso wie der Berg nicht fuumlr sich allein steht sondern immer in Verbindung mit dem Menschen zu sehen ist In welcher Verbindung auch immerDas Zusammenwirken von Mensch und Berg wird uns besonders bewusst wenn wir durch Schloss Bruneck gehen wo Reinhold Messner den Bergvoumllkern der Welt den ihnen gebuumlhrenden Raum gibt Zu den vom internationalen Museumsrat festgelegten ethi-schen Grundsaumltzen von Museen gehoumlren das Sammeln Bewahren Ausstellen Doku-mentieren Vermitteln und das Forschen Erst dann darf sich eine Einrichtung Museum nennen Das Letztere das Forschen beginnt zunehmende Bedeutung zu gewinnen weshalb ich es sehr begruumlszlige dass in Zusammenarbeit zwischen dem Forschungsclu-ster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der Universitaumlt Innsbruck und dem Messner Mountain Museum Ripa ein Forschungsprojekt entstanden ist das durch mein Ressort das Land Tirol und die Gemeinden Bruneck und Terenten gefoumlrdert wurde Es handelt sich um ein Projekt das die Berge aus mehreren Blickwinkeln untersucht und beleuch-tet aus dem historischen dem soziologischen dem geologischen dem sprachwissen-schaftlichen dem paumldagogischen dem kunsthistorischen wie kuumlnstlerischen und des-sen Ergebnisse im vorliegenden Buch muumlnden

Sabina Kasslatter MurSuumldtiroler Landesraumltin fuumlr Bildung und Deutsche Kultur

Bozen im Jaumlnner 2013

11

Geleitworte

Das Projekt Berg amp Leute ist eines unter vielen Projekten der seit dem 1 Jaumlnner 2010 eta-blierten Forschungsplattform Politik Religion Kunst der Universitaumlt Innsbruck aber es ist ein ganz besonderes ein ganz besonders schoumlnes es zeigt sehr anschaulich was eine solche Forschungsplattform zu leisten imstande ist In dieser Plattform Politik Religion Kunst sind vor allem Kolleginnen und Kollegen der Philosophisch-Historischen der Phi-lologisch-Kulturwissenschaftlichen und der Theologischen Fakultaumlt vertreten aber dar-uumlber hinaus auch einzelne Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fakultaumlten Das Beson-dere einer solchen Forschungsplattform Es sind um es kurz zu sagen drei Punkte Das erste ist dass hier Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Disziplinen die sonst gewohnt sind sich mehr und mehr zu spezialisieren und nur mehr auf einem ganz bestimmten meist engen Feld zu arbeiten gezwungen werden uumlber die Grenzen ihres Faches hinauszuschauen diese Grenzen zu uumlberschreiten und sich auf Perspektiven auch auf methodische und methodologische Positionen anderer Disziplinen einzulas-sen Das andere mindestens genauso Bemerkenswerte ist dass in den einzelnen For-mationen der Plattform Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten ohne dass dort die Hierarchie auch nur die geringste Rolle spielen wuumlrde Die Hierarchie die ja seit dem Universitaumltsgesetz 2002 in Oumlsterreich wieder eine ganz massive Rolle spielt wird in der-artigen Plattformen wieder sehr flach Die Grenzen die sonst gesetzt werden werden uumlberquert indem Kolleginnen und Kollegen ob sie Professoren Dozenten Assistenten oder Studierende sind zusammenarbeiten und nur eines zaumlhlt naumlmlich was die einzel-nen Kolleginnen und Kollegen leisten nichts sonst Das dritte ist dass die Arbeit in die-sen Clustern immer aus dem Elfenbeinturm der Universitaumlt hinausfuumlhrt und auch das ist fuumlr den Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode bzw das Projekt Berg amp Leute signi-fikant hier geradezu anschaulich zu sehen ndash Ich halte zwar nichts davon den Elfenbein-turm permanent schlecht zu reden denn Elfenbein ist bekanntlich weiszliges Gold aber uumlber die Grenzen des Elfenbeinturms hinaus eine breitere Oumlffentlichkeit anzusprechen ist dennoch eine ganz besondere Leistung dieses ProjektesDie Erschlieszligung wissenschaftlichen Neulands muss nicht zwangslaumlufig verknuumlpft sein mit der Entdeckung neuer Gegenstandsebenen sie muss auch keineswegs um jeden Preis mit neuen Materialien aufwarten sie kann sich genauso gut aus innovativen Frage-stellungen aus ungewohnten Perspektiven oder aber aus theoretischen Zugriffen ent-wickeln die bisher versperrte Zugaumlnge zu einem Thema schlagartig zu oumlffnen imstande sind Letzteres zeichnet dieses Buch ausBerg amp Leute Auf den ersten Blick ist zu diesem Thema alles ausgefuumlhrt was dazu zu sagen ist Vor allem in Tirol gibt es nicht doch laumlngst schon hinreichend historische poli-tikwissenschaftliche kulturwissenschaftliche literarische und kuumlnstlerische Auseinan-dersetzungen mit dem Raum Tirol mit Land und Leuten und schlieszliglich mit den unter-schiedlichsten Konstruktionen die im Laufe der Geschichte der Landschaft aufgebuumlr-det worden sind

12

Der vorliegende Sammelband verspricht Aspekte und Perspektiven zu diesem Thema zu praumlsentieren die in der einschlaumlgigen Forschung bisher noch nicht entsprechend dar-gelegt worden sind und zwar einerseits konkret zur Region TirolSuumldtirol andererseits auch grundsaumltzlich zur Rolle der Landschaft im Hinblick auf die Entwicklung von Identi-taumlten (die bekanntlich immer dem geschichtlichen Wandel unterliegen und somit auch nicht unaufloumlslich an geografische Raumlume gebunden sind)Dieses Buch sammelt jedoch nicht nur neue Ertraumlge der Forschung ein es vermittelt auch eine Fuumllle von Anstoumlszligen zu weiteren Arbeiten Anregungen beispielsweise (um hier auf meine eigene Disziplin noch zu sprechen zu kommen) fuumlr eine Literaturwissen-schaft die sich aus der Umklammerung der traditionellen Regionalliteraturforschung befreien und stattdessen einbinden moumlchte in internationale Ansaumltze kulturwissen-schaftlicher RaumtheorienSo ist immer noch die kritische Beschaumlftigung mit der italienischen und ladinischen Lite-ratur in Suumldtirol (seit 191819) ganz offensichtlich ein Desiderat der Forschung (waumlhrend die deutschsprachige Literatur des Landes schon weit besser aufgearbeitet ist und nach wie vor unter den verschiedensten Gesichtspunkten wissenschaftlich betrachtet wird) Umgekehrt waumlre es jedoch genauso interessant und an der Zeit literarische Werke die auszligerhalb der Landesgrenzen entstanden und erschienen sind auch einmal im Hinblick darauf zu studieren wie sie denn dazu kommen die Ver-Ortung bestimmter Positionen ausgerechnet im Raum Tirol bzw im Alpenraum vorzusehen ndash wie zB Vicki Baum dies unternimmt die in ihrem Roman Kristall im Lehm (in deutscher Fassung erstmals veroumlf-fentlicht 1953) die Traumwelt der Alpen namentlich der Roccalunga als Gegenwelt zu den amerikanischen Metropolen zeichnetVicki Baum zu ihrer Zeit eine der charmantesten und beliebtesten Erscheinungen auf dem deutschsprachigen wie auf dem amerikanischen Literaturmarkt hat neben vielen (noch immer lesenswerten) Unterhaltungsromanen Menschen im Hotel ist der beruumlhmteste auch einen geschrieben der ihr immer ganz besonders wichtig gewe-sen ist eben Kristall im Lehm Hauptschauplatz ist Kalifornien eine Gesellschaft die ganz und gar heruntergekommen ist die von Alkohol- und Drogenproblemen nicht mehr loskommt in der alle Werte die fruumlher einmal gegolten haben und die aus der Sicht der Autorin aufhebenswerte Werte gewesen waumlren zugrundegerichtet worden sind In dieser Gesellschaft taucht ein Mann auf Giano ein junger Italiener um sei-nen amerikanischen Freunden die alle psychisch krank wenn nicht schon ganz kaputt sind im letzten Augenblick zu helfen Er kommt von einer raquohochgelegenen Almlaquo wie es heiszligt dementsprechend denkt und handelt er raquowie der gute Hirtelaquo unabhaumlngig von gesellschaftlichen Instanzen oder Zwaumlngen wie sie in der Groszligstadt herrschen voumlllig autonom Ein idealer (Berg-)Fuumlhrer Wenn er nicht gerade in Los Angeles zu tun hat zieht er sich zuruumlck in seine Berglandschaft dort huumltet er Schafe und dort liest er Rilke ndash Der Stem-pel der dieser Landschaft somit aufgedruumlckt wird ist schon ziemlich oft verwendet worden ein nicht ganz unproblematischer Stempel Es gibt aber haumlsslichere und ganz andere auch wie ein Blick in die Literaturgeschichte Tirols zeigen koumlnnte

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Ich nenne nur zwei Autoren die hier aus meiner Sicht zu allererst zu erwaumlhnen sind Adolf Pichler der eine der bekanntlich auch Naturwissenschaftler ein Experte in den Faumlchern Geologie und Mineralogie gewesen ist immer in den Bergen herumgestiegen und dabei auf jene Ideen gekommen ist die er dann in seinen aumlsthetischen und poli-tischen Schriften in seinen Erzaumlhlungen in seinen Versepen anschaulich vorgetragen hat ein Liberaler der ersten Stunde ndash Pichler hat in der Einsamkeit der Bergwelt in der (damals noch) menschenleeren Natur die er staumlndig aufgesucht hat jene Uumlberlegungen entwickelt die es ihm in der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts ermoumlglicht haben das stockkonservativ-katholische Milieu seiner Heimat mit Gegenpositionen zu konfrontie-ren und sich fuumlr eine ebenso menschen- wie kunstfreundliche Atmosphaumlre einzusetzenDer andere der hier zu nennen waumlre ist Carl Dallago der Anfang des 20 Jahrhunderts mit seinen Schriften vor allem auch in Suumldtirol zunaumlchst fuumlr viel Aufregung gesorgt hat Auch er hat die Welt der Berge aufgesucht um vor jener Gesellschaft die in seinen Augen eine Gesellschaft der Philister und mithin ganz heruntergekommen war zu flie-hen und ihr gleichzeitig Gegenbilder entgegen zu setzen Bilder wie er sie beispiels-weise in den Gemaumllden eines Giovanni Segantini vorgefunden hat oder auch in den Schriften von Nietzsche und Karl Kraus solche Bilder haben ihn in diesen seinen Bemuuml-hungen unterstuumltzt Dallago hat in seinen Essays in seinen Attacken gegen alle Institu-tionen sowohl die staatlichen wie auch die kirchlichen Einrichtungen auf eine Haltung gezielt von der aus fast ohne weiteres eine Bruumlcke zu schlagen waumlre zu jener Position wie man sie in den Uumlberlegungen von Reinhold Messner wieder findet in Gedanken-gaumlngen die das Extrembergsteigen mit Begriffen in Zusammenhang gebracht haben wie Autonomie Selbststaumlndigkeit Unabhaumlngigkeit AnarchieBerg amp Leute Unter diesem Titel ist noch immer vielfach unerforschtes Gelaumlnde zu entdek-ken dieses Buch unterstreicht das mit gehoumlrigem Nachdruck Im Namen der Forschungs-plattform Politik Religion Kunst darf ich allen Mitwirkenden herzlich danken die Beitraumlge zu dem Buch verfasst und dieses Projekt mit groszligem Engagement getragen haben ins-besondere Christina Antenhofer Heidi und Ulrich Leitner sowie Andreas Oberhofer

Innsbruck im Jaumlnner 2013 Johann Holzner Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Universitaumlt Innsbruck

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Der Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode entfaltet seine Forschungstaumltigkeit in enger Auseinandersetzung mit den Schriften von Jacques Ranciegravere Ein wesentlicher Impuls kam von Ranciegravere selbst im Rahmen der Tagung Im Unvernehmen Ein Tag mit Jacques Ranciegravere an der Bergischen Universitaumlt Wuppertal 2009 an der einige Mitglie-der des Clusters teilnahmen Dort plaumldierte Ranciegravere fuumlr eine ethische Verantwortung der Wissenschaft nicht nur was die Themen sondern auch was den Gegenstand der Forschung betrifft und damit das Arbeiten an den raquoRaumlndern der Disziplinenlaquo wie er es nannte an denen die eigentliche Herausforderung interdisziplinaumlren Arbeitens liegt naumlmlich in jenen Grau- und Kontaktzonen die von rigiden disziplinaumlren Einteilungen ausgenommen sind und deshalb selten wissenschaftliche Bearbeitung finden Gerade die systematische Beschaumlftigung mit Fragestellungen die vom akademischen Betrieb mitunter marginalisiert werden erlaubt es das Potential interdisziplinaumlrer Arbeits-gruppen zu schaumlrfen Dieser Aufmerksamkeit entsprechend widmet sich der Cluster Politische Aumlsthetik konsequent der Verbindung von Theorie und Praxis indem die wis-senschaftliche Auseinandersetzung uumlber die gemeinsame Organisation von Tagun-gen Ausstellungen und Projekten erfolgt die sich jeweils solchen Themenbereichen widmen die erst durch eine interdisziplinaumlre Auseinandersetzung erfasst werden koumln-nen Die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt ist ein solcher Themenbereich der im Rahmen des Projektes Berg amp Leute im Sinne Ranciegraveres einer interdisziplinaumlren Betrachtung zugefuumlhrt wurdeEinen zweiten Stimulus den der Cluster Politische Aumlsthetik von Ranciegravere erfaumlhrt ist dessen Bestimmung des Aumlsthetischen Ranciegraveres Uumlberlegungen zufolge handelt es sich bei dem Begriff Aumlsthetik nicht um eine am Prinzip der Schoumlnheit und Kunstfer-tigkeit geschulte Kategorie der Bildenden Kunst Das Aumlsthetische wird vielmehr im Sinne einer raquoAufteilung des Sinnlichenlaquo diskutiert womit der Begriff Aumlsthetik eine explizit politische Konnotation erhaumllt Eine so verstandene politische Umwertung der Aumlsthetik kann mit der Vorstellung einer aumlsthetizistischen Anschauung des Lebens die unter anderem fuumlr Einstellungen der Romantik praumlgend war unmoumlglich zur Deckung gebracht werden Ausgehend von Ranciegraveres Studien zum Unvernehmen sowie zur Auf-teilung des Sinnlichen versucht der Cluster Politische Aumlsthetik die politische Dimension aumlsthetischer Ordnungen daher als historische Konfiguration von sinnlichen Verhaumlltnis-sen zu begreifen die insgesamt regeln wie Wirklichkeit erfahren und der soziale Raum gestaltet werden kann Denn Ranciegravere zufolge ist Kunst

raquoweder politisch aufgrund der Botschaft die sie uumlberbringt noch aufgrund der Art und Weise wie sie soziale Strukturen politische Konflikte oder soziale ethnische oder sexuelle Identitauml-ten darstellt Kunst ist in erster Linie dadurch politisch dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins des Innen- oder Auszligen- Gegenuumlber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden Kunst ist dadurch politisch dass sie einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit aufteiltlaquo (Jacques Ranciegravere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien Berlin 2008 77)

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In diesem Sinne wird Ranciegravere nicht muumlde daran zu erinnern dass das Aumlsthetische wie es in gelaumlufiger Diktion gebraucht wird im Prinzip ein Elitendiskurs ist der sich uumlber Kennerschaft definiert und daruumlber dass diese Kennerschaft bzw die Sensibili-taumlt fuumlr das Schoumlne bestimmten (elitaumlren) Kreisen vorbehalten ist oder diesen zugeteilt wird Die Differenzierung zwischen Hoher Kultur und Populaumlrer Kultur ist eine beson-ders markante Auspraumlgung einer diskursiven Engfuumlhrung des Begriffs Aumlsthetik die implizit zur Exklusion breiter Schichten von der Beteiligung an der Diskussion aumlsthe-tischer Erfahrungen neigt und diese legitimiert Dies geschieht laut Ranciegravere sowohl uumlber den speziellen Diskurs der Kennerschaft der Nicht-Kenner per se bereits uumlber die Sprache ausschlieszligt als auch in einem noch grundlegenderen Sinne infolge der Ver-knappung der Ressource Zeit die fuumlr die Anteilnahme am Aumlsthetischen zur Verfuumlgung steht Denn in dem Maszlige wie ein Groszligteil der Lebenszeit zur Sicherung des Lebens-unterhalts aufgebracht werden muss wird vielen praktisch das Wort entzogen Aber auch Migrant-inn-en oder so genannte Staatenlose werden aus diesem Diskurs aus-geschlossen da ihnen prinzipiell die politische Stimme aberkannt wird Mit Ranciegravere gesprochen kommt es darauf an die politische Qualitaumlt diverser Aumlsthetiken dort zu erkennen und zu verstehen wo sich kuumlnstlerische Formen und Praktiken auf Fragen des Verhaumlltnisses von Oumlffentlichkeit und Privatheit von Zwischenmenschlichkeit und Ausgrenzung oder von Orthodoxie und Haumlresie beziehen lassen um mitunter uner-houmlrten Moumlglichkeiten Gemeinschaft zu erfahren Ausdruck zu verleihenEin besonderes Ziel des Clusters Politische Aumlsthetik besteht infolgedessen darin diskur-sive Grenzen aufzuspuumlren und wo moumlglich zu transformieren oder auch abzutragen ndash Grenzen die etwa den wissenschaftlichen Diskurs vom oumlffentlichen trennen und mit-unter ein Denken im Elfenbeinturm intensivieren Zu diesem Zweck ist der Cluster Poli-tische Aumlsthetik bestrebt Verbindungen von wissenschaftlichem Diskurs Kunst Literatur und Oumlffentlichkeit zu untersuchen aber auch zu erarbeiten Die Arbeit des Forschungs-clusters baut demgemaumlszlig auf vier Grundsaumlulen die sich in die zwei Hauptbereiche For-schung und Vermittlung eingliedern Der Bereich Forschung zum einen greift auf das interdisziplinaumlre Forschungsnetzwerk als Diskussions- und Reflexionsinstanz fuumlr For-schungsprojekte zuruumlck die sich sowohl mit empirischer Grundlagenforschung als auch mit kritischer Theorie- und Methodenreflexion beschaumlftigen Der Bereich der Vermitt-lung wiederum umfasst in der Folge unterschiedliche Aktivitaumlten der Sichtbarmachung der gemeinsamen Forschung in der universitaumlren Lehre wie im oumlffentlichen Raum

16

Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

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Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

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risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

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Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

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Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

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Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

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nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

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Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

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Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaft sowie Forschungsschwerpunkt Kulturelle Begegnungen ndash Kulturelle Konflikte Universitaumlt Innsbruck

Gedruckt mit Unterstuumltzung des Vizerektorats fuumlr Forschung der Universitaumlt Innsbruck Institut fuumlr Erziehungs-wissenschaft der Universitaumlt Innsbruck Forschungsschwerpunkt Kulturelle Begegnungen ndash Kulturelle Kon-flikte Autonome Region Trentino Suumldtirol Abteilung Deutsche Kultur der Suumldtiroler Landesregierung Abteilung Kultur der Tiroler Landesregierung Stadtgemeinde Bruneck Stadtmarketing Bruneck Gemeinde Terenten sowie Ladinisches Kulturinstitut Micuragrave de Ruuml

copy innsbruck university press 2014Universitaumlt Innsbruck1 AuflageAlle Rechte vorbehaltenLayout und Satz Judith StriederUmschlagbild Heidi Leitner Trilogie 1809 (1994) Foto Gina SchatzlwwwuibkacatiupISBN 978-3-902936-36-3

Zum Geleit 10

Geleitworte 11

EINLEITUNG 20

I THEORIE 41

Berg ndash Tirols poetischer Ort 42

Ein Modell zum Raum- und Landschaftsbezug der IdentitaumltUlrich Leitner

II POSITIONEN 83

Berge und Mythos 84

Helga Peskoller

Erzaumlhlte Welt 97

Die Emotionalisierung der Landschaft uumlber die Geschichte ihrer BenennungenChristina Antenhofer

Von Raumltien und Noricum zu Tirol 132

Geschichtsbilder und Meistererzaumlhlungen fuumlr das erste Jahrtausend unserer ZeitRoland Steinacher

Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften 163

Reinhold Messner Sabina Kasslatter Mur Christina Antenhofer Helga Peskoller und Roland Steinacher im Gespraumlch mit Eberhard Daum

III ZUGAumlNGE 184

Der Berg als Grundlage 185

Dolomiten und Ladiner ndash Territorium und Identitaumlt 186

Werner Pescosta

Natuumlrliche Konstante oder menschgemachte Variable 222

Bemerkungen zu den Landschaftsbegriffen zur Geschichte der Tiroler Landschaft und ihrer identitaumltsstiftenden Wirkung aus wirtschaftshistorischer PerspektiveGerhard Siegl

Von der Geologie als Basis ndash Leben vom und mit dem Untergrund in Tirol 237

Michael Unterwurzacher

Heidi Leitner ndash Die Landschaft verkoumlrpern 262

Rosanna Dematteacute

Der Berg als Bild 273

Der Berg und die Freiheit ndash Wie der Tiroler Aufstand von 1809 274

mit der Entdeckung der Alpen zusammenhaumlngtAndreas Oberhofer

Gemeine Plaumltze ndash Die Wahrnehmung der Alpen in (Spaumlt-)Antike 302

und (Fruumlh-)MittelalterKatharina Winckler

Die Bergsteiger als kulturelles Konstrukt des Sprachgebrauchs 325

Eine diskursanalytische Untersuchung sprachlicher Gebrauchsmuster in der BergsteigerliteraturClaudia Posch

Jessie Pitt ndash Der gewandelte Blick auf die Berge 339

Katharina Seidl

Der Berg als Erfahrung 353

Bergnamen als identitaumltsstiftende Sprachzeichen 354

Gerhard Rampl

Der Berg im Kopf ndash Ein Netz von Flurnamen als mentale Landkarte 369

Thea Goumltsch

Klanglandschaften ndash Die Natur als Komponistin 382

Manuela Kerer

miniatur ueber die alpen samt deren bewohnern 385

Katja Renzler Rudolf Unterhuber

Der Berg als Projektion 389

Die (soziale) Landschaft Suumldtirols ndash 390

Mountain Identity and the Global SocietyAnnemarie Profanter

Wahl-Heimat Suumldtirol ndash Alto Adige Identifikationsangebote 415

jenseits anerkannter SprachgruppenPier Paolo Pasqualoni

Die Bilder der Anderen 437

Eine qualitative Analyse im Spannungsfeld von aumlsthetischer Rezeption Repraumlsentation Differenz und EinheitVincenzo Bua

Von Vorgefundenem und Kuumlnstlichem 451

Ein Interview mit Andreas Perkmann Berger uumlber das Wahrnehmen und Gestalten von realen und poetischen RaumlumenVerena Oberparleiter

AUSKLANG | Dank | Biographien | Register 465

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Zum Geleit

Berg amp Leute ndash Dieses spannende Thema betrifft eigentlich alle die in den Bergen leben die in die Berge gehen die uumlber die Berge schreiben die die Berge erforschen sie schaumlt-zen und schuumltzen sie lieben oder hassen oder vielleicht beidesDie Geschichte des Alpinismus ist eine faszinierende facettenreiche Geschichte die immer wieder von einem Phaumlnomen begleitet wird der Leidenschaft Denn Berge bedeuten Schoumlnheit der Natur Herausforderung und Grenzerfahrung Berge loumlsten und loumlsen Emotionen aus Es gab in der Vergangenheit die Angst davor aber auch die groszlige Neu-gierde die Welt von einem Gipfel aus zu entdecken Berge sind auch ein immer wieder keh-rendes Thema in Kunst und Kultur Viele Museen koumlnnen auf kulturhistorische Bestaumlnde aus der Geschichte des Alpinismus verweisen Die musealen Gegenstaumlnde stehen aber nicht fuumlr sich allein genauso wie der Berg nicht fuumlr sich allein steht sondern immer in Verbindung mit dem Menschen zu sehen ist In welcher Verbindung auch immerDas Zusammenwirken von Mensch und Berg wird uns besonders bewusst wenn wir durch Schloss Bruneck gehen wo Reinhold Messner den Bergvoumllkern der Welt den ihnen gebuumlhrenden Raum gibt Zu den vom internationalen Museumsrat festgelegten ethi-schen Grundsaumltzen von Museen gehoumlren das Sammeln Bewahren Ausstellen Doku-mentieren Vermitteln und das Forschen Erst dann darf sich eine Einrichtung Museum nennen Das Letztere das Forschen beginnt zunehmende Bedeutung zu gewinnen weshalb ich es sehr begruumlszlige dass in Zusammenarbeit zwischen dem Forschungsclu-ster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der Universitaumlt Innsbruck und dem Messner Mountain Museum Ripa ein Forschungsprojekt entstanden ist das durch mein Ressort das Land Tirol und die Gemeinden Bruneck und Terenten gefoumlrdert wurde Es handelt sich um ein Projekt das die Berge aus mehreren Blickwinkeln untersucht und beleuch-tet aus dem historischen dem soziologischen dem geologischen dem sprachwissen-schaftlichen dem paumldagogischen dem kunsthistorischen wie kuumlnstlerischen und des-sen Ergebnisse im vorliegenden Buch muumlnden

Sabina Kasslatter MurSuumldtiroler Landesraumltin fuumlr Bildung und Deutsche Kultur

Bozen im Jaumlnner 2013

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Geleitworte

Das Projekt Berg amp Leute ist eines unter vielen Projekten der seit dem 1 Jaumlnner 2010 eta-blierten Forschungsplattform Politik Religion Kunst der Universitaumlt Innsbruck aber es ist ein ganz besonderes ein ganz besonders schoumlnes es zeigt sehr anschaulich was eine solche Forschungsplattform zu leisten imstande ist In dieser Plattform Politik Religion Kunst sind vor allem Kolleginnen und Kollegen der Philosophisch-Historischen der Phi-lologisch-Kulturwissenschaftlichen und der Theologischen Fakultaumlt vertreten aber dar-uumlber hinaus auch einzelne Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fakultaumlten Das Beson-dere einer solchen Forschungsplattform Es sind um es kurz zu sagen drei Punkte Das erste ist dass hier Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Disziplinen die sonst gewohnt sind sich mehr und mehr zu spezialisieren und nur mehr auf einem ganz bestimmten meist engen Feld zu arbeiten gezwungen werden uumlber die Grenzen ihres Faches hinauszuschauen diese Grenzen zu uumlberschreiten und sich auf Perspektiven auch auf methodische und methodologische Positionen anderer Disziplinen einzulas-sen Das andere mindestens genauso Bemerkenswerte ist dass in den einzelnen For-mationen der Plattform Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten ohne dass dort die Hierarchie auch nur die geringste Rolle spielen wuumlrde Die Hierarchie die ja seit dem Universitaumltsgesetz 2002 in Oumlsterreich wieder eine ganz massive Rolle spielt wird in der-artigen Plattformen wieder sehr flach Die Grenzen die sonst gesetzt werden werden uumlberquert indem Kolleginnen und Kollegen ob sie Professoren Dozenten Assistenten oder Studierende sind zusammenarbeiten und nur eines zaumlhlt naumlmlich was die einzel-nen Kolleginnen und Kollegen leisten nichts sonst Das dritte ist dass die Arbeit in die-sen Clustern immer aus dem Elfenbeinturm der Universitaumlt hinausfuumlhrt und auch das ist fuumlr den Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode bzw das Projekt Berg amp Leute signi-fikant hier geradezu anschaulich zu sehen ndash Ich halte zwar nichts davon den Elfenbein-turm permanent schlecht zu reden denn Elfenbein ist bekanntlich weiszliges Gold aber uumlber die Grenzen des Elfenbeinturms hinaus eine breitere Oumlffentlichkeit anzusprechen ist dennoch eine ganz besondere Leistung dieses ProjektesDie Erschlieszligung wissenschaftlichen Neulands muss nicht zwangslaumlufig verknuumlpft sein mit der Entdeckung neuer Gegenstandsebenen sie muss auch keineswegs um jeden Preis mit neuen Materialien aufwarten sie kann sich genauso gut aus innovativen Frage-stellungen aus ungewohnten Perspektiven oder aber aus theoretischen Zugriffen ent-wickeln die bisher versperrte Zugaumlnge zu einem Thema schlagartig zu oumlffnen imstande sind Letzteres zeichnet dieses Buch ausBerg amp Leute Auf den ersten Blick ist zu diesem Thema alles ausgefuumlhrt was dazu zu sagen ist Vor allem in Tirol gibt es nicht doch laumlngst schon hinreichend historische poli-tikwissenschaftliche kulturwissenschaftliche literarische und kuumlnstlerische Auseinan-dersetzungen mit dem Raum Tirol mit Land und Leuten und schlieszliglich mit den unter-schiedlichsten Konstruktionen die im Laufe der Geschichte der Landschaft aufgebuumlr-det worden sind

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Der vorliegende Sammelband verspricht Aspekte und Perspektiven zu diesem Thema zu praumlsentieren die in der einschlaumlgigen Forschung bisher noch nicht entsprechend dar-gelegt worden sind und zwar einerseits konkret zur Region TirolSuumldtirol andererseits auch grundsaumltzlich zur Rolle der Landschaft im Hinblick auf die Entwicklung von Identi-taumlten (die bekanntlich immer dem geschichtlichen Wandel unterliegen und somit auch nicht unaufloumlslich an geografische Raumlume gebunden sind)Dieses Buch sammelt jedoch nicht nur neue Ertraumlge der Forschung ein es vermittelt auch eine Fuumllle von Anstoumlszligen zu weiteren Arbeiten Anregungen beispielsweise (um hier auf meine eigene Disziplin noch zu sprechen zu kommen) fuumlr eine Literaturwissen-schaft die sich aus der Umklammerung der traditionellen Regionalliteraturforschung befreien und stattdessen einbinden moumlchte in internationale Ansaumltze kulturwissen-schaftlicher RaumtheorienSo ist immer noch die kritische Beschaumlftigung mit der italienischen und ladinischen Lite-ratur in Suumldtirol (seit 191819) ganz offensichtlich ein Desiderat der Forschung (waumlhrend die deutschsprachige Literatur des Landes schon weit besser aufgearbeitet ist und nach wie vor unter den verschiedensten Gesichtspunkten wissenschaftlich betrachtet wird) Umgekehrt waumlre es jedoch genauso interessant und an der Zeit literarische Werke die auszligerhalb der Landesgrenzen entstanden und erschienen sind auch einmal im Hinblick darauf zu studieren wie sie denn dazu kommen die Ver-Ortung bestimmter Positionen ausgerechnet im Raum Tirol bzw im Alpenraum vorzusehen ndash wie zB Vicki Baum dies unternimmt die in ihrem Roman Kristall im Lehm (in deutscher Fassung erstmals veroumlf-fentlicht 1953) die Traumwelt der Alpen namentlich der Roccalunga als Gegenwelt zu den amerikanischen Metropolen zeichnetVicki Baum zu ihrer Zeit eine der charmantesten und beliebtesten Erscheinungen auf dem deutschsprachigen wie auf dem amerikanischen Literaturmarkt hat neben vielen (noch immer lesenswerten) Unterhaltungsromanen Menschen im Hotel ist der beruumlhmteste auch einen geschrieben der ihr immer ganz besonders wichtig gewe-sen ist eben Kristall im Lehm Hauptschauplatz ist Kalifornien eine Gesellschaft die ganz und gar heruntergekommen ist die von Alkohol- und Drogenproblemen nicht mehr loskommt in der alle Werte die fruumlher einmal gegolten haben und die aus der Sicht der Autorin aufhebenswerte Werte gewesen waumlren zugrundegerichtet worden sind In dieser Gesellschaft taucht ein Mann auf Giano ein junger Italiener um sei-nen amerikanischen Freunden die alle psychisch krank wenn nicht schon ganz kaputt sind im letzten Augenblick zu helfen Er kommt von einer raquohochgelegenen Almlaquo wie es heiszligt dementsprechend denkt und handelt er raquowie der gute Hirtelaquo unabhaumlngig von gesellschaftlichen Instanzen oder Zwaumlngen wie sie in der Groszligstadt herrschen voumlllig autonom Ein idealer (Berg-)Fuumlhrer Wenn er nicht gerade in Los Angeles zu tun hat zieht er sich zuruumlck in seine Berglandschaft dort huumltet er Schafe und dort liest er Rilke ndash Der Stem-pel der dieser Landschaft somit aufgedruumlckt wird ist schon ziemlich oft verwendet worden ein nicht ganz unproblematischer Stempel Es gibt aber haumlsslichere und ganz andere auch wie ein Blick in die Literaturgeschichte Tirols zeigen koumlnnte

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Ich nenne nur zwei Autoren die hier aus meiner Sicht zu allererst zu erwaumlhnen sind Adolf Pichler der eine der bekanntlich auch Naturwissenschaftler ein Experte in den Faumlchern Geologie und Mineralogie gewesen ist immer in den Bergen herumgestiegen und dabei auf jene Ideen gekommen ist die er dann in seinen aumlsthetischen und poli-tischen Schriften in seinen Erzaumlhlungen in seinen Versepen anschaulich vorgetragen hat ein Liberaler der ersten Stunde ndash Pichler hat in der Einsamkeit der Bergwelt in der (damals noch) menschenleeren Natur die er staumlndig aufgesucht hat jene Uumlberlegungen entwickelt die es ihm in der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts ermoumlglicht haben das stockkonservativ-katholische Milieu seiner Heimat mit Gegenpositionen zu konfrontie-ren und sich fuumlr eine ebenso menschen- wie kunstfreundliche Atmosphaumlre einzusetzenDer andere der hier zu nennen waumlre ist Carl Dallago der Anfang des 20 Jahrhunderts mit seinen Schriften vor allem auch in Suumldtirol zunaumlchst fuumlr viel Aufregung gesorgt hat Auch er hat die Welt der Berge aufgesucht um vor jener Gesellschaft die in seinen Augen eine Gesellschaft der Philister und mithin ganz heruntergekommen war zu flie-hen und ihr gleichzeitig Gegenbilder entgegen zu setzen Bilder wie er sie beispiels-weise in den Gemaumllden eines Giovanni Segantini vorgefunden hat oder auch in den Schriften von Nietzsche und Karl Kraus solche Bilder haben ihn in diesen seinen Bemuuml-hungen unterstuumltzt Dallago hat in seinen Essays in seinen Attacken gegen alle Institu-tionen sowohl die staatlichen wie auch die kirchlichen Einrichtungen auf eine Haltung gezielt von der aus fast ohne weiteres eine Bruumlcke zu schlagen waumlre zu jener Position wie man sie in den Uumlberlegungen von Reinhold Messner wieder findet in Gedanken-gaumlngen die das Extrembergsteigen mit Begriffen in Zusammenhang gebracht haben wie Autonomie Selbststaumlndigkeit Unabhaumlngigkeit AnarchieBerg amp Leute Unter diesem Titel ist noch immer vielfach unerforschtes Gelaumlnde zu entdek-ken dieses Buch unterstreicht das mit gehoumlrigem Nachdruck Im Namen der Forschungs-plattform Politik Religion Kunst darf ich allen Mitwirkenden herzlich danken die Beitraumlge zu dem Buch verfasst und dieses Projekt mit groszligem Engagement getragen haben ins-besondere Christina Antenhofer Heidi und Ulrich Leitner sowie Andreas Oberhofer

Innsbruck im Jaumlnner 2013 Johann Holzner Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Universitaumlt Innsbruck

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Der Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode entfaltet seine Forschungstaumltigkeit in enger Auseinandersetzung mit den Schriften von Jacques Ranciegravere Ein wesentlicher Impuls kam von Ranciegravere selbst im Rahmen der Tagung Im Unvernehmen Ein Tag mit Jacques Ranciegravere an der Bergischen Universitaumlt Wuppertal 2009 an der einige Mitglie-der des Clusters teilnahmen Dort plaumldierte Ranciegravere fuumlr eine ethische Verantwortung der Wissenschaft nicht nur was die Themen sondern auch was den Gegenstand der Forschung betrifft und damit das Arbeiten an den raquoRaumlndern der Disziplinenlaquo wie er es nannte an denen die eigentliche Herausforderung interdisziplinaumlren Arbeitens liegt naumlmlich in jenen Grau- und Kontaktzonen die von rigiden disziplinaumlren Einteilungen ausgenommen sind und deshalb selten wissenschaftliche Bearbeitung finden Gerade die systematische Beschaumlftigung mit Fragestellungen die vom akademischen Betrieb mitunter marginalisiert werden erlaubt es das Potential interdisziplinaumlrer Arbeits-gruppen zu schaumlrfen Dieser Aufmerksamkeit entsprechend widmet sich der Cluster Politische Aumlsthetik konsequent der Verbindung von Theorie und Praxis indem die wis-senschaftliche Auseinandersetzung uumlber die gemeinsame Organisation von Tagun-gen Ausstellungen und Projekten erfolgt die sich jeweils solchen Themenbereichen widmen die erst durch eine interdisziplinaumlre Auseinandersetzung erfasst werden koumln-nen Die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt ist ein solcher Themenbereich der im Rahmen des Projektes Berg amp Leute im Sinne Ranciegraveres einer interdisziplinaumlren Betrachtung zugefuumlhrt wurdeEinen zweiten Stimulus den der Cluster Politische Aumlsthetik von Ranciegravere erfaumlhrt ist dessen Bestimmung des Aumlsthetischen Ranciegraveres Uumlberlegungen zufolge handelt es sich bei dem Begriff Aumlsthetik nicht um eine am Prinzip der Schoumlnheit und Kunstfer-tigkeit geschulte Kategorie der Bildenden Kunst Das Aumlsthetische wird vielmehr im Sinne einer raquoAufteilung des Sinnlichenlaquo diskutiert womit der Begriff Aumlsthetik eine explizit politische Konnotation erhaumllt Eine so verstandene politische Umwertung der Aumlsthetik kann mit der Vorstellung einer aumlsthetizistischen Anschauung des Lebens die unter anderem fuumlr Einstellungen der Romantik praumlgend war unmoumlglich zur Deckung gebracht werden Ausgehend von Ranciegraveres Studien zum Unvernehmen sowie zur Auf-teilung des Sinnlichen versucht der Cluster Politische Aumlsthetik die politische Dimension aumlsthetischer Ordnungen daher als historische Konfiguration von sinnlichen Verhaumlltnis-sen zu begreifen die insgesamt regeln wie Wirklichkeit erfahren und der soziale Raum gestaltet werden kann Denn Ranciegravere zufolge ist Kunst

raquoweder politisch aufgrund der Botschaft die sie uumlberbringt noch aufgrund der Art und Weise wie sie soziale Strukturen politische Konflikte oder soziale ethnische oder sexuelle Identitauml-ten darstellt Kunst ist in erster Linie dadurch politisch dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins des Innen- oder Auszligen- Gegenuumlber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden Kunst ist dadurch politisch dass sie einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit aufteiltlaquo (Jacques Ranciegravere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien Berlin 2008 77)

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In diesem Sinne wird Ranciegravere nicht muumlde daran zu erinnern dass das Aumlsthetische wie es in gelaumlufiger Diktion gebraucht wird im Prinzip ein Elitendiskurs ist der sich uumlber Kennerschaft definiert und daruumlber dass diese Kennerschaft bzw die Sensibili-taumlt fuumlr das Schoumlne bestimmten (elitaumlren) Kreisen vorbehalten ist oder diesen zugeteilt wird Die Differenzierung zwischen Hoher Kultur und Populaumlrer Kultur ist eine beson-ders markante Auspraumlgung einer diskursiven Engfuumlhrung des Begriffs Aumlsthetik die implizit zur Exklusion breiter Schichten von der Beteiligung an der Diskussion aumlsthe-tischer Erfahrungen neigt und diese legitimiert Dies geschieht laut Ranciegravere sowohl uumlber den speziellen Diskurs der Kennerschaft der Nicht-Kenner per se bereits uumlber die Sprache ausschlieszligt als auch in einem noch grundlegenderen Sinne infolge der Ver-knappung der Ressource Zeit die fuumlr die Anteilnahme am Aumlsthetischen zur Verfuumlgung steht Denn in dem Maszlige wie ein Groszligteil der Lebenszeit zur Sicherung des Lebens-unterhalts aufgebracht werden muss wird vielen praktisch das Wort entzogen Aber auch Migrant-inn-en oder so genannte Staatenlose werden aus diesem Diskurs aus-geschlossen da ihnen prinzipiell die politische Stimme aberkannt wird Mit Ranciegravere gesprochen kommt es darauf an die politische Qualitaumlt diverser Aumlsthetiken dort zu erkennen und zu verstehen wo sich kuumlnstlerische Formen und Praktiken auf Fragen des Verhaumlltnisses von Oumlffentlichkeit und Privatheit von Zwischenmenschlichkeit und Ausgrenzung oder von Orthodoxie und Haumlresie beziehen lassen um mitunter uner-houmlrten Moumlglichkeiten Gemeinschaft zu erfahren Ausdruck zu verleihenEin besonderes Ziel des Clusters Politische Aumlsthetik besteht infolgedessen darin diskur-sive Grenzen aufzuspuumlren und wo moumlglich zu transformieren oder auch abzutragen ndash Grenzen die etwa den wissenschaftlichen Diskurs vom oumlffentlichen trennen und mit-unter ein Denken im Elfenbeinturm intensivieren Zu diesem Zweck ist der Cluster Poli-tische Aumlsthetik bestrebt Verbindungen von wissenschaftlichem Diskurs Kunst Literatur und Oumlffentlichkeit zu untersuchen aber auch zu erarbeiten Die Arbeit des Forschungs-clusters baut demgemaumlszlig auf vier Grundsaumlulen die sich in die zwei Hauptbereiche For-schung und Vermittlung eingliedern Der Bereich Forschung zum einen greift auf das interdisziplinaumlre Forschungsnetzwerk als Diskussions- und Reflexionsinstanz fuumlr For-schungsprojekte zuruumlck die sich sowohl mit empirischer Grundlagenforschung als auch mit kritischer Theorie- und Methodenreflexion beschaumlftigen Der Bereich der Vermitt-lung wiederum umfasst in der Folge unterschiedliche Aktivitaumlten der Sichtbarmachung der gemeinsamen Forschung in der universitaumlren Lehre wie im oumlffentlichen Raum

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Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

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Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

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Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

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und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

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wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

Zum Geleit 10

Geleitworte 11

EINLEITUNG 20

I THEORIE 41

Berg ndash Tirols poetischer Ort 42

Ein Modell zum Raum- und Landschaftsbezug der IdentitaumltUlrich Leitner

II POSITIONEN 83

Berge und Mythos 84

Helga Peskoller

Erzaumlhlte Welt 97

Die Emotionalisierung der Landschaft uumlber die Geschichte ihrer BenennungenChristina Antenhofer

Von Raumltien und Noricum zu Tirol 132

Geschichtsbilder und Meistererzaumlhlungen fuumlr das erste Jahrtausend unserer ZeitRoland Steinacher

Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften 163

Reinhold Messner Sabina Kasslatter Mur Christina Antenhofer Helga Peskoller und Roland Steinacher im Gespraumlch mit Eberhard Daum

III ZUGAumlNGE 184

Der Berg als Grundlage 185

Dolomiten und Ladiner ndash Territorium und Identitaumlt 186

Werner Pescosta

Natuumlrliche Konstante oder menschgemachte Variable 222

Bemerkungen zu den Landschaftsbegriffen zur Geschichte der Tiroler Landschaft und ihrer identitaumltsstiftenden Wirkung aus wirtschaftshistorischer PerspektiveGerhard Siegl

Von der Geologie als Basis ndash Leben vom und mit dem Untergrund in Tirol 237

Michael Unterwurzacher

Heidi Leitner ndash Die Landschaft verkoumlrpern 262

Rosanna Dematteacute

Der Berg als Bild 273

Der Berg und die Freiheit ndash Wie der Tiroler Aufstand von 1809 274

mit der Entdeckung der Alpen zusammenhaumlngtAndreas Oberhofer

Gemeine Plaumltze ndash Die Wahrnehmung der Alpen in (Spaumlt-)Antike 302

und (Fruumlh-)MittelalterKatharina Winckler

Die Bergsteiger als kulturelles Konstrukt des Sprachgebrauchs 325

Eine diskursanalytische Untersuchung sprachlicher Gebrauchsmuster in der BergsteigerliteraturClaudia Posch

Jessie Pitt ndash Der gewandelte Blick auf die Berge 339

Katharina Seidl

Der Berg als Erfahrung 353

Bergnamen als identitaumltsstiftende Sprachzeichen 354

Gerhard Rampl

Der Berg im Kopf ndash Ein Netz von Flurnamen als mentale Landkarte 369

Thea Goumltsch

Klanglandschaften ndash Die Natur als Komponistin 382

Manuela Kerer

miniatur ueber die alpen samt deren bewohnern 385

Katja Renzler Rudolf Unterhuber

Der Berg als Projektion 389

Die (soziale) Landschaft Suumldtirols ndash 390

Mountain Identity and the Global SocietyAnnemarie Profanter

Wahl-Heimat Suumldtirol ndash Alto Adige Identifikationsangebote 415

jenseits anerkannter SprachgruppenPier Paolo Pasqualoni

Die Bilder der Anderen 437

Eine qualitative Analyse im Spannungsfeld von aumlsthetischer Rezeption Repraumlsentation Differenz und EinheitVincenzo Bua

Von Vorgefundenem und Kuumlnstlichem 451

Ein Interview mit Andreas Perkmann Berger uumlber das Wahrnehmen und Gestalten von realen und poetischen RaumlumenVerena Oberparleiter

AUSKLANG | Dank | Biographien | Register 465

10

Zum Geleit

Berg amp Leute ndash Dieses spannende Thema betrifft eigentlich alle die in den Bergen leben die in die Berge gehen die uumlber die Berge schreiben die die Berge erforschen sie schaumlt-zen und schuumltzen sie lieben oder hassen oder vielleicht beidesDie Geschichte des Alpinismus ist eine faszinierende facettenreiche Geschichte die immer wieder von einem Phaumlnomen begleitet wird der Leidenschaft Denn Berge bedeuten Schoumlnheit der Natur Herausforderung und Grenzerfahrung Berge loumlsten und loumlsen Emotionen aus Es gab in der Vergangenheit die Angst davor aber auch die groszlige Neu-gierde die Welt von einem Gipfel aus zu entdecken Berge sind auch ein immer wieder keh-rendes Thema in Kunst und Kultur Viele Museen koumlnnen auf kulturhistorische Bestaumlnde aus der Geschichte des Alpinismus verweisen Die musealen Gegenstaumlnde stehen aber nicht fuumlr sich allein genauso wie der Berg nicht fuumlr sich allein steht sondern immer in Verbindung mit dem Menschen zu sehen ist In welcher Verbindung auch immerDas Zusammenwirken von Mensch und Berg wird uns besonders bewusst wenn wir durch Schloss Bruneck gehen wo Reinhold Messner den Bergvoumllkern der Welt den ihnen gebuumlhrenden Raum gibt Zu den vom internationalen Museumsrat festgelegten ethi-schen Grundsaumltzen von Museen gehoumlren das Sammeln Bewahren Ausstellen Doku-mentieren Vermitteln und das Forschen Erst dann darf sich eine Einrichtung Museum nennen Das Letztere das Forschen beginnt zunehmende Bedeutung zu gewinnen weshalb ich es sehr begruumlszlige dass in Zusammenarbeit zwischen dem Forschungsclu-ster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der Universitaumlt Innsbruck und dem Messner Mountain Museum Ripa ein Forschungsprojekt entstanden ist das durch mein Ressort das Land Tirol und die Gemeinden Bruneck und Terenten gefoumlrdert wurde Es handelt sich um ein Projekt das die Berge aus mehreren Blickwinkeln untersucht und beleuch-tet aus dem historischen dem soziologischen dem geologischen dem sprachwissen-schaftlichen dem paumldagogischen dem kunsthistorischen wie kuumlnstlerischen und des-sen Ergebnisse im vorliegenden Buch muumlnden

Sabina Kasslatter MurSuumldtiroler Landesraumltin fuumlr Bildung und Deutsche Kultur

Bozen im Jaumlnner 2013

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Geleitworte

Das Projekt Berg amp Leute ist eines unter vielen Projekten der seit dem 1 Jaumlnner 2010 eta-blierten Forschungsplattform Politik Religion Kunst der Universitaumlt Innsbruck aber es ist ein ganz besonderes ein ganz besonders schoumlnes es zeigt sehr anschaulich was eine solche Forschungsplattform zu leisten imstande ist In dieser Plattform Politik Religion Kunst sind vor allem Kolleginnen und Kollegen der Philosophisch-Historischen der Phi-lologisch-Kulturwissenschaftlichen und der Theologischen Fakultaumlt vertreten aber dar-uumlber hinaus auch einzelne Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fakultaumlten Das Beson-dere einer solchen Forschungsplattform Es sind um es kurz zu sagen drei Punkte Das erste ist dass hier Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Disziplinen die sonst gewohnt sind sich mehr und mehr zu spezialisieren und nur mehr auf einem ganz bestimmten meist engen Feld zu arbeiten gezwungen werden uumlber die Grenzen ihres Faches hinauszuschauen diese Grenzen zu uumlberschreiten und sich auf Perspektiven auch auf methodische und methodologische Positionen anderer Disziplinen einzulas-sen Das andere mindestens genauso Bemerkenswerte ist dass in den einzelnen For-mationen der Plattform Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten ohne dass dort die Hierarchie auch nur die geringste Rolle spielen wuumlrde Die Hierarchie die ja seit dem Universitaumltsgesetz 2002 in Oumlsterreich wieder eine ganz massive Rolle spielt wird in der-artigen Plattformen wieder sehr flach Die Grenzen die sonst gesetzt werden werden uumlberquert indem Kolleginnen und Kollegen ob sie Professoren Dozenten Assistenten oder Studierende sind zusammenarbeiten und nur eines zaumlhlt naumlmlich was die einzel-nen Kolleginnen und Kollegen leisten nichts sonst Das dritte ist dass die Arbeit in die-sen Clustern immer aus dem Elfenbeinturm der Universitaumlt hinausfuumlhrt und auch das ist fuumlr den Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode bzw das Projekt Berg amp Leute signi-fikant hier geradezu anschaulich zu sehen ndash Ich halte zwar nichts davon den Elfenbein-turm permanent schlecht zu reden denn Elfenbein ist bekanntlich weiszliges Gold aber uumlber die Grenzen des Elfenbeinturms hinaus eine breitere Oumlffentlichkeit anzusprechen ist dennoch eine ganz besondere Leistung dieses ProjektesDie Erschlieszligung wissenschaftlichen Neulands muss nicht zwangslaumlufig verknuumlpft sein mit der Entdeckung neuer Gegenstandsebenen sie muss auch keineswegs um jeden Preis mit neuen Materialien aufwarten sie kann sich genauso gut aus innovativen Frage-stellungen aus ungewohnten Perspektiven oder aber aus theoretischen Zugriffen ent-wickeln die bisher versperrte Zugaumlnge zu einem Thema schlagartig zu oumlffnen imstande sind Letzteres zeichnet dieses Buch ausBerg amp Leute Auf den ersten Blick ist zu diesem Thema alles ausgefuumlhrt was dazu zu sagen ist Vor allem in Tirol gibt es nicht doch laumlngst schon hinreichend historische poli-tikwissenschaftliche kulturwissenschaftliche literarische und kuumlnstlerische Auseinan-dersetzungen mit dem Raum Tirol mit Land und Leuten und schlieszliglich mit den unter-schiedlichsten Konstruktionen die im Laufe der Geschichte der Landschaft aufgebuumlr-det worden sind

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Der vorliegende Sammelband verspricht Aspekte und Perspektiven zu diesem Thema zu praumlsentieren die in der einschlaumlgigen Forschung bisher noch nicht entsprechend dar-gelegt worden sind und zwar einerseits konkret zur Region TirolSuumldtirol andererseits auch grundsaumltzlich zur Rolle der Landschaft im Hinblick auf die Entwicklung von Identi-taumlten (die bekanntlich immer dem geschichtlichen Wandel unterliegen und somit auch nicht unaufloumlslich an geografische Raumlume gebunden sind)Dieses Buch sammelt jedoch nicht nur neue Ertraumlge der Forschung ein es vermittelt auch eine Fuumllle von Anstoumlszligen zu weiteren Arbeiten Anregungen beispielsweise (um hier auf meine eigene Disziplin noch zu sprechen zu kommen) fuumlr eine Literaturwissen-schaft die sich aus der Umklammerung der traditionellen Regionalliteraturforschung befreien und stattdessen einbinden moumlchte in internationale Ansaumltze kulturwissen-schaftlicher RaumtheorienSo ist immer noch die kritische Beschaumlftigung mit der italienischen und ladinischen Lite-ratur in Suumldtirol (seit 191819) ganz offensichtlich ein Desiderat der Forschung (waumlhrend die deutschsprachige Literatur des Landes schon weit besser aufgearbeitet ist und nach wie vor unter den verschiedensten Gesichtspunkten wissenschaftlich betrachtet wird) Umgekehrt waumlre es jedoch genauso interessant und an der Zeit literarische Werke die auszligerhalb der Landesgrenzen entstanden und erschienen sind auch einmal im Hinblick darauf zu studieren wie sie denn dazu kommen die Ver-Ortung bestimmter Positionen ausgerechnet im Raum Tirol bzw im Alpenraum vorzusehen ndash wie zB Vicki Baum dies unternimmt die in ihrem Roman Kristall im Lehm (in deutscher Fassung erstmals veroumlf-fentlicht 1953) die Traumwelt der Alpen namentlich der Roccalunga als Gegenwelt zu den amerikanischen Metropolen zeichnetVicki Baum zu ihrer Zeit eine der charmantesten und beliebtesten Erscheinungen auf dem deutschsprachigen wie auf dem amerikanischen Literaturmarkt hat neben vielen (noch immer lesenswerten) Unterhaltungsromanen Menschen im Hotel ist der beruumlhmteste auch einen geschrieben der ihr immer ganz besonders wichtig gewe-sen ist eben Kristall im Lehm Hauptschauplatz ist Kalifornien eine Gesellschaft die ganz und gar heruntergekommen ist die von Alkohol- und Drogenproblemen nicht mehr loskommt in der alle Werte die fruumlher einmal gegolten haben und die aus der Sicht der Autorin aufhebenswerte Werte gewesen waumlren zugrundegerichtet worden sind In dieser Gesellschaft taucht ein Mann auf Giano ein junger Italiener um sei-nen amerikanischen Freunden die alle psychisch krank wenn nicht schon ganz kaputt sind im letzten Augenblick zu helfen Er kommt von einer raquohochgelegenen Almlaquo wie es heiszligt dementsprechend denkt und handelt er raquowie der gute Hirtelaquo unabhaumlngig von gesellschaftlichen Instanzen oder Zwaumlngen wie sie in der Groszligstadt herrschen voumlllig autonom Ein idealer (Berg-)Fuumlhrer Wenn er nicht gerade in Los Angeles zu tun hat zieht er sich zuruumlck in seine Berglandschaft dort huumltet er Schafe und dort liest er Rilke ndash Der Stem-pel der dieser Landschaft somit aufgedruumlckt wird ist schon ziemlich oft verwendet worden ein nicht ganz unproblematischer Stempel Es gibt aber haumlsslichere und ganz andere auch wie ein Blick in die Literaturgeschichte Tirols zeigen koumlnnte

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Ich nenne nur zwei Autoren die hier aus meiner Sicht zu allererst zu erwaumlhnen sind Adolf Pichler der eine der bekanntlich auch Naturwissenschaftler ein Experte in den Faumlchern Geologie und Mineralogie gewesen ist immer in den Bergen herumgestiegen und dabei auf jene Ideen gekommen ist die er dann in seinen aumlsthetischen und poli-tischen Schriften in seinen Erzaumlhlungen in seinen Versepen anschaulich vorgetragen hat ein Liberaler der ersten Stunde ndash Pichler hat in der Einsamkeit der Bergwelt in der (damals noch) menschenleeren Natur die er staumlndig aufgesucht hat jene Uumlberlegungen entwickelt die es ihm in der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts ermoumlglicht haben das stockkonservativ-katholische Milieu seiner Heimat mit Gegenpositionen zu konfrontie-ren und sich fuumlr eine ebenso menschen- wie kunstfreundliche Atmosphaumlre einzusetzenDer andere der hier zu nennen waumlre ist Carl Dallago der Anfang des 20 Jahrhunderts mit seinen Schriften vor allem auch in Suumldtirol zunaumlchst fuumlr viel Aufregung gesorgt hat Auch er hat die Welt der Berge aufgesucht um vor jener Gesellschaft die in seinen Augen eine Gesellschaft der Philister und mithin ganz heruntergekommen war zu flie-hen und ihr gleichzeitig Gegenbilder entgegen zu setzen Bilder wie er sie beispiels-weise in den Gemaumllden eines Giovanni Segantini vorgefunden hat oder auch in den Schriften von Nietzsche und Karl Kraus solche Bilder haben ihn in diesen seinen Bemuuml-hungen unterstuumltzt Dallago hat in seinen Essays in seinen Attacken gegen alle Institu-tionen sowohl die staatlichen wie auch die kirchlichen Einrichtungen auf eine Haltung gezielt von der aus fast ohne weiteres eine Bruumlcke zu schlagen waumlre zu jener Position wie man sie in den Uumlberlegungen von Reinhold Messner wieder findet in Gedanken-gaumlngen die das Extrembergsteigen mit Begriffen in Zusammenhang gebracht haben wie Autonomie Selbststaumlndigkeit Unabhaumlngigkeit AnarchieBerg amp Leute Unter diesem Titel ist noch immer vielfach unerforschtes Gelaumlnde zu entdek-ken dieses Buch unterstreicht das mit gehoumlrigem Nachdruck Im Namen der Forschungs-plattform Politik Religion Kunst darf ich allen Mitwirkenden herzlich danken die Beitraumlge zu dem Buch verfasst und dieses Projekt mit groszligem Engagement getragen haben ins-besondere Christina Antenhofer Heidi und Ulrich Leitner sowie Andreas Oberhofer

Innsbruck im Jaumlnner 2013 Johann Holzner Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Universitaumlt Innsbruck

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Der Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode entfaltet seine Forschungstaumltigkeit in enger Auseinandersetzung mit den Schriften von Jacques Ranciegravere Ein wesentlicher Impuls kam von Ranciegravere selbst im Rahmen der Tagung Im Unvernehmen Ein Tag mit Jacques Ranciegravere an der Bergischen Universitaumlt Wuppertal 2009 an der einige Mitglie-der des Clusters teilnahmen Dort plaumldierte Ranciegravere fuumlr eine ethische Verantwortung der Wissenschaft nicht nur was die Themen sondern auch was den Gegenstand der Forschung betrifft und damit das Arbeiten an den raquoRaumlndern der Disziplinenlaquo wie er es nannte an denen die eigentliche Herausforderung interdisziplinaumlren Arbeitens liegt naumlmlich in jenen Grau- und Kontaktzonen die von rigiden disziplinaumlren Einteilungen ausgenommen sind und deshalb selten wissenschaftliche Bearbeitung finden Gerade die systematische Beschaumlftigung mit Fragestellungen die vom akademischen Betrieb mitunter marginalisiert werden erlaubt es das Potential interdisziplinaumlrer Arbeits-gruppen zu schaumlrfen Dieser Aufmerksamkeit entsprechend widmet sich der Cluster Politische Aumlsthetik konsequent der Verbindung von Theorie und Praxis indem die wis-senschaftliche Auseinandersetzung uumlber die gemeinsame Organisation von Tagun-gen Ausstellungen und Projekten erfolgt die sich jeweils solchen Themenbereichen widmen die erst durch eine interdisziplinaumlre Auseinandersetzung erfasst werden koumln-nen Die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt ist ein solcher Themenbereich der im Rahmen des Projektes Berg amp Leute im Sinne Ranciegraveres einer interdisziplinaumlren Betrachtung zugefuumlhrt wurdeEinen zweiten Stimulus den der Cluster Politische Aumlsthetik von Ranciegravere erfaumlhrt ist dessen Bestimmung des Aumlsthetischen Ranciegraveres Uumlberlegungen zufolge handelt es sich bei dem Begriff Aumlsthetik nicht um eine am Prinzip der Schoumlnheit und Kunstfer-tigkeit geschulte Kategorie der Bildenden Kunst Das Aumlsthetische wird vielmehr im Sinne einer raquoAufteilung des Sinnlichenlaquo diskutiert womit der Begriff Aumlsthetik eine explizit politische Konnotation erhaumllt Eine so verstandene politische Umwertung der Aumlsthetik kann mit der Vorstellung einer aumlsthetizistischen Anschauung des Lebens die unter anderem fuumlr Einstellungen der Romantik praumlgend war unmoumlglich zur Deckung gebracht werden Ausgehend von Ranciegraveres Studien zum Unvernehmen sowie zur Auf-teilung des Sinnlichen versucht der Cluster Politische Aumlsthetik die politische Dimension aumlsthetischer Ordnungen daher als historische Konfiguration von sinnlichen Verhaumlltnis-sen zu begreifen die insgesamt regeln wie Wirklichkeit erfahren und der soziale Raum gestaltet werden kann Denn Ranciegravere zufolge ist Kunst

raquoweder politisch aufgrund der Botschaft die sie uumlberbringt noch aufgrund der Art und Weise wie sie soziale Strukturen politische Konflikte oder soziale ethnische oder sexuelle Identitauml-ten darstellt Kunst ist in erster Linie dadurch politisch dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins des Innen- oder Auszligen- Gegenuumlber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden Kunst ist dadurch politisch dass sie einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit aufteiltlaquo (Jacques Ranciegravere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien Berlin 2008 77)

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In diesem Sinne wird Ranciegravere nicht muumlde daran zu erinnern dass das Aumlsthetische wie es in gelaumlufiger Diktion gebraucht wird im Prinzip ein Elitendiskurs ist der sich uumlber Kennerschaft definiert und daruumlber dass diese Kennerschaft bzw die Sensibili-taumlt fuumlr das Schoumlne bestimmten (elitaumlren) Kreisen vorbehalten ist oder diesen zugeteilt wird Die Differenzierung zwischen Hoher Kultur und Populaumlrer Kultur ist eine beson-ders markante Auspraumlgung einer diskursiven Engfuumlhrung des Begriffs Aumlsthetik die implizit zur Exklusion breiter Schichten von der Beteiligung an der Diskussion aumlsthe-tischer Erfahrungen neigt und diese legitimiert Dies geschieht laut Ranciegravere sowohl uumlber den speziellen Diskurs der Kennerschaft der Nicht-Kenner per se bereits uumlber die Sprache ausschlieszligt als auch in einem noch grundlegenderen Sinne infolge der Ver-knappung der Ressource Zeit die fuumlr die Anteilnahme am Aumlsthetischen zur Verfuumlgung steht Denn in dem Maszlige wie ein Groszligteil der Lebenszeit zur Sicherung des Lebens-unterhalts aufgebracht werden muss wird vielen praktisch das Wort entzogen Aber auch Migrant-inn-en oder so genannte Staatenlose werden aus diesem Diskurs aus-geschlossen da ihnen prinzipiell die politische Stimme aberkannt wird Mit Ranciegravere gesprochen kommt es darauf an die politische Qualitaumlt diverser Aumlsthetiken dort zu erkennen und zu verstehen wo sich kuumlnstlerische Formen und Praktiken auf Fragen des Verhaumlltnisses von Oumlffentlichkeit und Privatheit von Zwischenmenschlichkeit und Ausgrenzung oder von Orthodoxie und Haumlresie beziehen lassen um mitunter uner-houmlrten Moumlglichkeiten Gemeinschaft zu erfahren Ausdruck zu verleihenEin besonderes Ziel des Clusters Politische Aumlsthetik besteht infolgedessen darin diskur-sive Grenzen aufzuspuumlren und wo moumlglich zu transformieren oder auch abzutragen ndash Grenzen die etwa den wissenschaftlichen Diskurs vom oumlffentlichen trennen und mit-unter ein Denken im Elfenbeinturm intensivieren Zu diesem Zweck ist der Cluster Poli-tische Aumlsthetik bestrebt Verbindungen von wissenschaftlichem Diskurs Kunst Literatur und Oumlffentlichkeit zu untersuchen aber auch zu erarbeiten Die Arbeit des Forschungs-clusters baut demgemaumlszlig auf vier Grundsaumlulen die sich in die zwei Hauptbereiche For-schung und Vermittlung eingliedern Der Bereich Forschung zum einen greift auf das interdisziplinaumlre Forschungsnetzwerk als Diskussions- und Reflexionsinstanz fuumlr For-schungsprojekte zuruumlck die sich sowohl mit empirischer Grundlagenforschung als auch mit kritischer Theorie- und Methodenreflexion beschaumlftigen Der Bereich der Vermitt-lung wiederum umfasst in der Folge unterschiedliche Aktivitaumlten der Sichtbarmachung der gemeinsamen Forschung in der universitaumlren Lehre wie im oumlffentlichen Raum

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Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

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Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

26 Einleitung

Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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39Einleitung

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III ZUGAumlNGE 184

Der Berg als Grundlage 185

Dolomiten und Ladiner ndash Territorium und Identitaumlt 186

Werner Pescosta

Natuumlrliche Konstante oder menschgemachte Variable 222

Bemerkungen zu den Landschaftsbegriffen zur Geschichte der Tiroler Landschaft und ihrer identitaumltsstiftenden Wirkung aus wirtschaftshistorischer PerspektiveGerhard Siegl

Von der Geologie als Basis ndash Leben vom und mit dem Untergrund in Tirol 237

Michael Unterwurzacher

Heidi Leitner ndash Die Landschaft verkoumlrpern 262

Rosanna Dematteacute

Der Berg als Bild 273

Der Berg und die Freiheit ndash Wie der Tiroler Aufstand von 1809 274

mit der Entdeckung der Alpen zusammenhaumlngtAndreas Oberhofer

Gemeine Plaumltze ndash Die Wahrnehmung der Alpen in (Spaumlt-)Antike 302

und (Fruumlh-)MittelalterKatharina Winckler

Die Bergsteiger als kulturelles Konstrukt des Sprachgebrauchs 325

Eine diskursanalytische Untersuchung sprachlicher Gebrauchsmuster in der BergsteigerliteraturClaudia Posch

Jessie Pitt ndash Der gewandelte Blick auf die Berge 339

Katharina Seidl

Der Berg als Erfahrung 353

Bergnamen als identitaumltsstiftende Sprachzeichen 354

Gerhard Rampl

Der Berg im Kopf ndash Ein Netz von Flurnamen als mentale Landkarte 369

Thea Goumltsch

Klanglandschaften ndash Die Natur als Komponistin 382

Manuela Kerer

miniatur ueber die alpen samt deren bewohnern 385

Katja Renzler Rudolf Unterhuber

Der Berg als Projektion 389

Die (soziale) Landschaft Suumldtirols ndash 390

Mountain Identity and the Global SocietyAnnemarie Profanter

Wahl-Heimat Suumldtirol ndash Alto Adige Identifikationsangebote 415

jenseits anerkannter SprachgruppenPier Paolo Pasqualoni

Die Bilder der Anderen 437

Eine qualitative Analyse im Spannungsfeld von aumlsthetischer Rezeption Repraumlsentation Differenz und EinheitVincenzo Bua

Von Vorgefundenem und Kuumlnstlichem 451

Ein Interview mit Andreas Perkmann Berger uumlber das Wahrnehmen und Gestalten von realen und poetischen RaumlumenVerena Oberparleiter

AUSKLANG | Dank | Biographien | Register 465

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Zum Geleit

Berg amp Leute ndash Dieses spannende Thema betrifft eigentlich alle die in den Bergen leben die in die Berge gehen die uumlber die Berge schreiben die die Berge erforschen sie schaumlt-zen und schuumltzen sie lieben oder hassen oder vielleicht beidesDie Geschichte des Alpinismus ist eine faszinierende facettenreiche Geschichte die immer wieder von einem Phaumlnomen begleitet wird der Leidenschaft Denn Berge bedeuten Schoumlnheit der Natur Herausforderung und Grenzerfahrung Berge loumlsten und loumlsen Emotionen aus Es gab in der Vergangenheit die Angst davor aber auch die groszlige Neu-gierde die Welt von einem Gipfel aus zu entdecken Berge sind auch ein immer wieder keh-rendes Thema in Kunst und Kultur Viele Museen koumlnnen auf kulturhistorische Bestaumlnde aus der Geschichte des Alpinismus verweisen Die musealen Gegenstaumlnde stehen aber nicht fuumlr sich allein genauso wie der Berg nicht fuumlr sich allein steht sondern immer in Verbindung mit dem Menschen zu sehen ist In welcher Verbindung auch immerDas Zusammenwirken von Mensch und Berg wird uns besonders bewusst wenn wir durch Schloss Bruneck gehen wo Reinhold Messner den Bergvoumllkern der Welt den ihnen gebuumlhrenden Raum gibt Zu den vom internationalen Museumsrat festgelegten ethi-schen Grundsaumltzen von Museen gehoumlren das Sammeln Bewahren Ausstellen Doku-mentieren Vermitteln und das Forschen Erst dann darf sich eine Einrichtung Museum nennen Das Letztere das Forschen beginnt zunehmende Bedeutung zu gewinnen weshalb ich es sehr begruumlszlige dass in Zusammenarbeit zwischen dem Forschungsclu-ster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der Universitaumlt Innsbruck und dem Messner Mountain Museum Ripa ein Forschungsprojekt entstanden ist das durch mein Ressort das Land Tirol und die Gemeinden Bruneck und Terenten gefoumlrdert wurde Es handelt sich um ein Projekt das die Berge aus mehreren Blickwinkeln untersucht und beleuch-tet aus dem historischen dem soziologischen dem geologischen dem sprachwissen-schaftlichen dem paumldagogischen dem kunsthistorischen wie kuumlnstlerischen und des-sen Ergebnisse im vorliegenden Buch muumlnden

Sabina Kasslatter MurSuumldtiroler Landesraumltin fuumlr Bildung und Deutsche Kultur

Bozen im Jaumlnner 2013

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Geleitworte

Das Projekt Berg amp Leute ist eines unter vielen Projekten der seit dem 1 Jaumlnner 2010 eta-blierten Forschungsplattform Politik Religion Kunst der Universitaumlt Innsbruck aber es ist ein ganz besonderes ein ganz besonders schoumlnes es zeigt sehr anschaulich was eine solche Forschungsplattform zu leisten imstande ist In dieser Plattform Politik Religion Kunst sind vor allem Kolleginnen und Kollegen der Philosophisch-Historischen der Phi-lologisch-Kulturwissenschaftlichen und der Theologischen Fakultaumlt vertreten aber dar-uumlber hinaus auch einzelne Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fakultaumlten Das Beson-dere einer solchen Forschungsplattform Es sind um es kurz zu sagen drei Punkte Das erste ist dass hier Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Disziplinen die sonst gewohnt sind sich mehr und mehr zu spezialisieren und nur mehr auf einem ganz bestimmten meist engen Feld zu arbeiten gezwungen werden uumlber die Grenzen ihres Faches hinauszuschauen diese Grenzen zu uumlberschreiten und sich auf Perspektiven auch auf methodische und methodologische Positionen anderer Disziplinen einzulas-sen Das andere mindestens genauso Bemerkenswerte ist dass in den einzelnen For-mationen der Plattform Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten ohne dass dort die Hierarchie auch nur die geringste Rolle spielen wuumlrde Die Hierarchie die ja seit dem Universitaumltsgesetz 2002 in Oumlsterreich wieder eine ganz massive Rolle spielt wird in der-artigen Plattformen wieder sehr flach Die Grenzen die sonst gesetzt werden werden uumlberquert indem Kolleginnen und Kollegen ob sie Professoren Dozenten Assistenten oder Studierende sind zusammenarbeiten und nur eines zaumlhlt naumlmlich was die einzel-nen Kolleginnen und Kollegen leisten nichts sonst Das dritte ist dass die Arbeit in die-sen Clustern immer aus dem Elfenbeinturm der Universitaumlt hinausfuumlhrt und auch das ist fuumlr den Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode bzw das Projekt Berg amp Leute signi-fikant hier geradezu anschaulich zu sehen ndash Ich halte zwar nichts davon den Elfenbein-turm permanent schlecht zu reden denn Elfenbein ist bekanntlich weiszliges Gold aber uumlber die Grenzen des Elfenbeinturms hinaus eine breitere Oumlffentlichkeit anzusprechen ist dennoch eine ganz besondere Leistung dieses ProjektesDie Erschlieszligung wissenschaftlichen Neulands muss nicht zwangslaumlufig verknuumlpft sein mit der Entdeckung neuer Gegenstandsebenen sie muss auch keineswegs um jeden Preis mit neuen Materialien aufwarten sie kann sich genauso gut aus innovativen Frage-stellungen aus ungewohnten Perspektiven oder aber aus theoretischen Zugriffen ent-wickeln die bisher versperrte Zugaumlnge zu einem Thema schlagartig zu oumlffnen imstande sind Letzteres zeichnet dieses Buch ausBerg amp Leute Auf den ersten Blick ist zu diesem Thema alles ausgefuumlhrt was dazu zu sagen ist Vor allem in Tirol gibt es nicht doch laumlngst schon hinreichend historische poli-tikwissenschaftliche kulturwissenschaftliche literarische und kuumlnstlerische Auseinan-dersetzungen mit dem Raum Tirol mit Land und Leuten und schlieszliglich mit den unter-schiedlichsten Konstruktionen die im Laufe der Geschichte der Landschaft aufgebuumlr-det worden sind

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Der vorliegende Sammelband verspricht Aspekte und Perspektiven zu diesem Thema zu praumlsentieren die in der einschlaumlgigen Forschung bisher noch nicht entsprechend dar-gelegt worden sind und zwar einerseits konkret zur Region TirolSuumldtirol andererseits auch grundsaumltzlich zur Rolle der Landschaft im Hinblick auf die Entwicklung von Identi-taumlten (die bekanntlich immer dem geschichtlichen Wandel unterliegen und somit auch nicht unaufloumlslich an geografische Raumlume gebunden sind)Dieses Buch sammelt jedoch nicht nur neue Ertraumlge der Forschung ein es vermittelt auch eine Fuumllle von Anstoumlszligen zu weiteren Arbeiten Anregungen beispielsweise (um hier auf meine eigene Disziplin noch zu sprechen zu kommen) fuumlr eine Literaturwissen-schaft die sich aus der Umklammerung der traditionellen Regionalliteraturforschung befreien und stattdessen einbinden moumlchte in internationale Ansaumltze kulturwissen-schaftlicher RaumtheorienSo ist immer noch die kritische Beschaumlftigung mit der italienischen und ladinischen Lite-ratur in Suumldtirol (seit 191819) ganz offensichtlich ein Desiderat der Forschung (waumlhrend die deutschsprachige Literatur des Landes schon weit besser aufgearbeitet ist und nach wie vor unter den verschiedensten Gesichtspunkten wissenschaftlich betrachtet wird) Umgekehrt waumlre es jedoch genauso interessant und an der Zeit literarische Werke die auszligerhalb der Landesgrenzen entstanden und erschienen sind auch einmal im Hinblick darauf zu studieren wie sie denn dazu kommen die Ver-Ortung bestimmter Positionen ausgerechnet im Raum Tirol bzw im Alpenraum vorzusehen ndash wie zB Vicki Baum dies unternimmt die in ihrem Roman Kristall im Lehm (in deutscher Fassung erstmals veroumlf-fentlicht 1953) die Traumwelt der Alpen namentlich der Roccalunga als Gegenwelt zu den amerikanischen Metropolen zeichnetVicki Baum zu ihrer Zeit eine der charmantesten und beliebtesten Erscheinungen auf dem deutschsprachigen wie auf dem amerikanischen Literaturmarkt hat neben vielen (noch immer lesenswerten) Unterhaltungsromanen Menschen im Hotel ist der beruumlhmteste auch einen geschrieben der ihr immer ganz besonders wichtig gewe-sen ist eben Kristall im Lehm Hauptschauplatz ist Kalifornien eine Gesellschaft die ganz und gar heruntergekommen ist die von Alkohol- und Drogenproblemen nicht mehr loskommt in der alle Werte die fruumlher einmal gegolten haben und die aus der Sicht der Autorin aufhebenswerte Werte gewesen waumlren zugrundegerichtet worden sind In dieser Gesellschaft taucht ein Mann auf Giano ein junger Italiener um sei-nen amerikanischen Freunden die alle psychisch krank wenn nicht schon ganz kaputt sind im letzten Augenblick zu helfen Er kommt von einer raquohochgelegenen Almlaquo wie es heiszligt dementsprechend denkt und handelt er raquowie der gute Hirtelaquo unabhaumlngig von gesellschaftlichen Instanzen oder Zwaumlngen wie sie in der Groszligstadt herrschen voumlllig autonom Ein idealer (Berg-)Fuumlhrer Wenn er nicht gerade in Los Angeles zu tun hat zieht er sich zuruumlck in seine Berglandschaft dort huumltet er Schafe und dort liest er Rilke ndash Der Stem-pel der dieser Landschaft somit aufgedruumlckt wird ist schon ziemlich oft verwendet worden ein nicht ganz unproblematischer Stempel Es gibt aber haumlsslichere und ganz andere auch wie ein Blick in die Literaturgeschichte Tirols zeigen koumlnnte

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Ich nenne nur zwei Autoren die hier aus meiner Sicht zu allererst zu erwaumlhnen sind Adolf Pichler der eine der bekanntlich auch Naturwissenschaftler ein Experte in den Faumlchern Geologie und Mineralogie gewesen ist immer in den Bergen herumgestiegen und dabei auf jene Ideen gekommen ist die er dann in seinen aumlsthetischen und poli-tischen Schriften in seinen Erzaumlhlungen in seinen Versepen anschaulich vorgetragen hat ein Liberaler der ersten Stunde ndash Pichler hat in der Einsamkeit der Bergwelt in der (damals noch) menschenleeren Natur die er staumlndig aufgesucht hat jene Uumlberlegungen entwickelt die es ihm in der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts ermoumlglicht haben das stockkonservativ-katholische Milieu seiner Heimat mit Gegenpositionen zu konfrontie-ren und sich fuumlr eine ebenso menschen- wie kunstfreundliche Atmosphaumlre einzusetzenDer andere der hier zu nennen waumlre ist Carl Dallago der Anfang des 20 Jahrhunderts mit seinen Schriften vor allem auch in Suumldtirol zunaumlchst fuumlr viel Aufregung gesorgt hat Auch er hat die Welt der Berge aufgesucht um vor jener Gesellschaft die in seinen Augen eine Gesellschaft der Philister und mithin ganz heruntergekommen war zu flie-hen und ihr gleichzeitig Gegenbilder entgegen zu setzen Bilder wie er sie beispiels-weise in den Gemaumllden eines Giovanni Segantini vorgefunden hat oder auch in den Schriften von Nietzsche und Karl Kraus solche Bilder haben ihn in diesen seinen Bemuuml-hungen unterstuumltzt Dallago hat in seinen Essays in seinen Attacken gegen alle Institu-tionen sowohl die staatlichen wie auch die kirchlichen Einrichtungen auf eine Haltung gezielt von der aus fast ohne weiteres eine Bruumlcke zu schlagen waumlre zu jener Position wie man sie in den Uumlberlegungen von Reinhold Messner wieder findet in Gedanken-gaumlngen die das Extrembergsteigen mit Begriffen in Zusammenhang gebracht haben wie Autonomie Selbststaumlndigkeit Unabhaumlngigkeit AnarchieBerg amp Leute Unter diesem Titel ist noch immer vielfach unerforschtes Gelaumlnde zu entdek-ken dieses Buch unterstreicht das mit gehoumlrigem Nachdruck Im Namen der Forschungs-plattform Politik Religion Kunst darf ich allen Mitwirkenden herzlich danken die Beitraumlge zu dem Buch verfasst und dieses Projekt mit groszligem Engagement getragen haben ins-besondere Christina Antenhofer Heidi und Ulrich Leitner sowie Andreas Oberhofer

Innsbruck im Jaumlnner 2013 Johann Holzner Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Universitaumlt Innsbruck

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Der Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode entfaltet seine Forschungstaumltigkeit in enger Auseinandersetzung mit den Schriften von Jacques Ranciegravere Ein wesentlicher Impuls kam von Ranciegravere selbst im Rahmen der Tagung Im Unvernehmen Ein Tag mit Jacques Ranciegravere an der Bergischen Universitaumlt Wuppertal 2009 an der einige Mitglie-der des Clusters teilnahmen Dort plaumldierte Ranciegravere fuumlr eine ethische Verantwortung der Wissenschaft nicht nur was die Themen sondern auch was den Gegenstand der Forschung betrifft und damit das Arbeiten an den raquoRaumlndern der Disziplinenlaquo wie er es nannte an denen die eigentliche Herausforderung interdisziplinaumlren Arbeitens liegt naumlmlich in jenen Grau- und Kontaktzonen die von rigiden disziplinaumlren Einteilungen ausgenommen sind und deshalb selten wissenschaftliche Bearbeitung finden Gerade die systematische Beschaumlftigung mit Fragestellungen die vom akademischen Betrieb mitunter marginalisiert werden erlaubt es das Potential interdisziplinaumlrer Arbeits-gruppen zu schaumlrfen Dieser Aufmerksamkeit entsprechend widmet sich der Cluster Politische Aumlsthetik konsequent der Verbindung von Theorie und Praxis indem die wis-senschaftliche Auseinandersetzung uumlber die gemeinsame Organisation von Tagun-gen Ausstellungen und Projekten erfolgt die sich jeweils solchen Themenbereichen widmen die erst durch eine interdisziplinaumlre Auseinandersetzung erfasst werden koumln-nen Die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt ist ein solcher Themenbereich der im Rahmen des Projektes Berg amp Leute im Sinne Ranciegraveres einer interdisziplinaumlren Betrachtung zugefuumlhrt wurdeEinen zweiten Stimulus den der Cluster Politische Aumlsthetik von Ranciegravere erfaumlhrt ist dessen Bestimmung des Aumlsthetischen Ranciegraveres Uumlberlegungen zufolge handelt es sich bei dem Begriff Aumlsthetik nicht um eine am Prinzip der Schoumlnheit und Kunstfer-tigkeit geschulte Kategorie der Bildenden Kunst Das Aumlsthetische wird vielmehr im Sinne einer raquoAufteilung des Sinnlichenlaquo diskutiert womit der Begriff Aumlsthetik eine explizit politische Konnotation erhaumllt Eine so verstandene politische Umwertung der Aumlsthetik kann mit der Vorstellung einer aumlsthetizistischen Anschauung des Lebens die unter anderem fuumlr Einstellungen der Romantik praumlgend war unmoumlglich zur Deckung gebracht werden Ausgehend von Ranciegraveres Studien zum Unvernehmen sowie zur Auf-teilung des Sinnlichen versucht der Cluster Politische Aumlsthetik die politische Dimension aumlsthetischer Ordnungen daher als historische Konfiguration von sinnlichen Verhaumlltnis-sen zu begreifen die insgesamt regeln wie Wirklichkeit erfahren und der soziale Raum gestaltet werden kann Denn Ranciegravere zufolge ist Kunst

raquoweder politisch aufgrund der Botschaft die sie uumlberbringt noch aufgrund der Art und Weise wie sie soziale Strukturen politische Konflikte oder soziale ethnische oder sexuelle Identitauml-ten darstellt Kunst ist in erster Linie dadurch politisch dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins des Innen- oder Auszligen- Gegenuumlber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden Kunst ist dadurch politisch dass sie einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit aufteiltlaquo (Jacques Ranciegravere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien Berlin 2008 77)

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In diesem Sinne wird Ranciegravere nicht muumlde daran zu erinnern dass das Aumlsthetische wie es in gelaumlufiger Diktion gebraucht wird im Prinzip ein Elitendiskurs ist der sich uumlber Kennerschaft definiert und daruumlber dass diese Kennerschaft bzw die Sensibili-taumlt fuumlr das Schoumlne bestimmten (elitaumlren) Kreisen vorbehalten ist oder diesen zugeteilt wird Die Differenzierung zwischen Hoher Kultur und Populaumlrer Kultur ist eine beson-ders markante Auspraumlgung einer diskursiven Engfuumlhrung des Begriffs Aumlsthetik die implizit zur Exklusion breiter Schichten von der Beteiligung an der Diskussion aumlsthe-tischer Erfahrungen neigt und diese legitimiert Dies geschieht laut Ranciegravere sowohl uumlber den speziellen Diskurs der Kennerschaft der Nicht-Kenner per se bereits uumlber die Sprache ausschlieszligt als auch in einem noch grundlegenderen Sinne infolge der Ver-knappung der Ressource Zeit die fuumlr die Anteilnahme am Aumlsthetischen zur Verfuumlgung steht Denn in dem Maszlige wie ein Groszligteil der Lebenszeit zur Sicherung des Lebens-unterhalts aufgebracht werden muss wird vielen praktisch das Wort entzogen Aber auch Migrant-inn-en oder so genannte Staatenlose werden aus diesem Diskurs aus-geschlossen da ihnen prinzipiell die politische Stimme aberkannt wird Mit Ranciegravere gesprochen kommt es darauf an die politische Qualitaumlt diverser Aumlsthetiken dort zu erkennen und zu verstehen wo sich kuumlnstlerische Formen und Praktiken auf Fragen des Verhaumlltnisses von Oumlffentlichkeit und Privatheit von Zwischenmenschlichkeit und Ausgrenzung oder von Orthodoxie und Haumlresie beziehen lassen um mitunter uner-houmlrten Moumlglichkeiten Gemeinschaft zu erfahren Ausdruck zu verleihenEin besonderes Ziel des Clusters Politische Aumlsthetik besteht infolgedessen darin diskur-sive Grenzen aufzuspuumlren und wo moumlglich zu transformieren oder auch abzutragen ndash Grenzen die etwa den wissenschaftlichen Diskurs vom oumlffentlichen trennen und mit-unter ein Denken im Elfenbeinturm intensivieren Zu diesem Zweck ist der Cluster Poli-tische Aumlsthetik bestrebt Verbindungen von wissenschaftlichem Diskurs Kunst Literatur und Oumlffentlichkeit zu untersuchen aber auch zu erarbeiten Die Arbeit des Forschungs-clusters baut demgemaumlszlig auf vier Grundsaumlulen die sich in die zwei Hauptbereiche For-schung und Vermittlung eingliedern Der Bereich Forschung zum einen greift auf das interdisziplinaumlre Forschungsnetzwerk als Diskussions- und Reflexionsinstanz fuumlr For-schungsprojekte zuruumlck die sich sowohl mit empirischer Grundlagenforschung als auch mit kritischer Theorie- und Methodenreflexion beschaumlftigen Der Bereich der Vermitt-lung wiederum umfasst in der Folge unterschiedliche Aktivitaumlten der Sichtbarmachung der gemeinsamen Forschung in der universitaumlren Lehre wie im oumlffentlichen Raum

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Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

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Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

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Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

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nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

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und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

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wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

Der Berg als Erfahrung 353

Bergnamen als identitaumltsstiftende Sprachzeichen 354

Gerhard Rampl

Der Berg im Kopf ndash Ein Netz von Flurnamen als mentale Landkarte 369

Thea Goumltsch

Klanglandschaften ndash Die Natur als Komponistin 382

Manuela Kerer

miniatur ueber die alpen samt deren bewohnern 385

Katja Renzler Rudolf Unterhuber

Der Berg als Projektion 389

Die (soziale) Landschaft Suumldtirols ndash 390

Mountain Identity and the Global SocietyAnnemarie Profanter

Wahl-Heimat Suumldtirol ndash Alto Adige Identifikationsangebote 415

jenseits anerkannter SprachgruppenPier Paolo Pasqualoni

Die Bilder der Anderen 437

Eine qualitative Analyse im Spannungsfeld von aumlsthetischer Rezeption Repraumlsentation Differenz und EinheitVincenzo Bua

Von Vorgefundenem und Kuumlnstlichem 451

Ein Interview mit Andreas Perkmann Berger uumlber das Wahrnehmen und Gestalten von realen und poetischen RaumlumenVerena Oberparleiter

AUSKLANG | Dank | Biographien | Register 465

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Zum Geleit

Berg amp Leute ndash Dieses spannende Thema betrifft eigentlich alle die in den Bergen leben die in die Berge gehen die uumlber die Berge schreiben die die Berge erforschen sie schaumlt-zen und schuumltzen sie lieben oder hassen oder vielleicht beidesDie Geschichte des Alpinismus ist eine faszinierende facettenreiche Geschichte die immer wieder von einem Phaumlnomen begleitet wird der Leidenschaft Denn Berge bedeuten Schoumlnheit der Natur Herausforderung und Grenzerfahrung Berge loumlsten und loumlsen Emotionen aus Es gab in der Vergangenheit die Angst davor aber auch die groszlige Neu-gierde die Welt von einem Gipfel aus zu entdecken Berge sind auch ein immer wieder keh-rendes Thema in Kunst und Kultur Viele Museen koumlnnen auf kulturhistorische Bestaumlnde aus der Geschichte des Alpinismus verweisen Die musealen Gegenstaumlnde stehen aber nicht fuumlr sich allein genauso wie der Berg nicht fuumlr sich allein steht sondern immer in Verbindung mit dem Menschen zu sehen ist In welcher Verbindung auch immerDas Zusammenwirken von Mensch und Berg wird uns besonders bewusst wenn wir durch Schloss Bruneck gehen wo Reinhold Messner den Bergvoumllkern der Welt den ihnen gebuumlhrenden Raum gibt Zu den vom internationalen Museumsrat festgelegten ethi-schen Grundsaumltzen von Museen gehoumlren das Sammeln Bewahren Ausstellen Doku-mentieren Vermitteln und das Forschen Erst dann darf sich eine Einrichtung Museum nennen Das Letztere das Forschen beginnt zunehmende Bedeutung zu gewinnen weshalb ich es sehr begruumlszlige dass in Zusammenarbeit zwischen dem Forschungsclu-ster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der Universitaumlt Innsbruck und dem Messner Mountain Museum Ripa ein Forschungsprojekt entstanden ist das durch mein Ressort das Land Tirol und die Gemeinden Bruneck und Terenten gefoumlrdert wurde Es handelt sich um ein Projekt das die Berge aus mehreren Blickwinkeln untersucht und beleuch-tet aus dem historischen dem soziologischen dem geologischen dem sprachwissen-schaftlichen dem paumldagogischen dem kunsthistorischen wie kuumlnstlerischen und des-sen Ergebnisse im vorliegenden Buch muumlnden

Sabina Kasslatter MurSuumldtiroler Landesraumltin fuumlr Bildung und Deutsche Kultur

Bozen im Jaumlnner 2013

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Geleitworte

Das Projekt Berg amp Leute ist eines unter vielen Projekten der seit dem 1 Jaumlnner 2010 eta-blierten Forschungsplattform Politik Religion Kunst der Universitaumlt Innsbruck aber es ist ein ganz besonderes ein ganz besonders schoumlnes es zeigt sehr anschaulich was eine solche Forschungsplattform zu leisten imstande ist In dieser Plattform Politik Religion Kunst sind vor allem Kolleginnen und Kollegen der Philosophisch-Historischen der Phi-lologisch-Kulturwissenschaftlichen und der Theologischen Fakultaumlt vertreten aber dar-uumlber hinaus auch einzelne Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fakultaumlten Das Beson-dere einer solchen Forschungsplattform Es sind um es kurz zu sagen drei Punkte Das erste ist dass hier Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Disziplinen die sonst gewohnt sind sich mehr und mehr zu spezialisieren und nur mehr auf einem ganz bestimmten meist engen Feld zu arbeiten gezwungen werden uumlber die Grenzen ihres Faches hinauszuschauen diese Grenzen zu uumlberschreiten und sich auf Perspektiven auch auf methodische und methodologische Positionen anderer Disziplinen einzulas-sen Das andere mindestens genauso Bemerkenswerte ist dass in den einzelnen For-mationen der Plattform Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten ohne dass dort die Hierarchie auch nur die geringste Rolle spielen wuumlrde Die Hierarchie die ja seit dem Universitaumltsgesetz 2002 in Oumlsterreich wieder eine ganz massive Rolle spielt wird in der-artigen Plattformen wieder sehr flach Die Grenzen die sonst gesetzt werden werden uumlberquert indem Kolleginnen und Kollegen ob sie Professoren Dozenten Assistenten oder Studierende sind zusammenarbeiten und nur eines zaumlhlt naumlmlich was die einzel-nen Kolleginnen und Kollegen leisten nichts sonst Das dritte ist dass die Arbeit in die-sen Clustern immer aus dem Elfenbeinturm der Universitaumlt hinausfuumlhrt und auch das ist fuumlr den Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode bzw das Projekt Berg amp Leute signi-fikant hier geradezu anschaulich zu sehen ndash Ich halte zwar nichts davon den Elfenbein-turm permanent schlecht zu reden denn Elfenbein ist bekanntlich weiszliges Gold aber uumlber die Grenzen des Elfenbeinturms hinaus eine breitere Oumlffentlichkeit anzusprechen ist dennoch eine ganz besondere Leistung dieses ProjektesDie Erschlieszligung wissenschaftlichen Neulands muss nicht zwangslaumlufig verknuumlpft sein mit der Entdeckung neuer Gegenstandsebenen sie muss auch keineswegs um jeden Preis mit neuen Materialien aufwarten sie kann sich genauso gut aus innovativen Frage-stellungen aus ungewohnten Perspektiven oder aber aus theoretischen Zugriffen ent-wickeln die bisher versperrte Zugaumlnge zu einem Thema schlagartig zu oumlffnen imstande sind Letzteres zeichnet dieses Buch ausBerg amp Leute Auf den ersten Blick ist zu diesem Thema alles ausgefuumlhrt was dazu zu sagen ist Vor allem in Tirol gibt es nicht doch laumlngst schon hinreichend historische poli-tikwissenschaftliche kulturwissenschaftliche literarische und kuumlnstlerische Auseinan-dersetzungen mit dem Raum Tirol mit Land und Leuten und schlieszliglich mit den unter-schiedlichsten Konstruktionen die im Laufe der Geschichte der Landschaft aufgebuumlr-det worden sind

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Der vorliegende Sammelband verspricht Aspekte und Perspektiven zu diesem Thema zu praumlsentieren die in der einschlaumlgigen Forschung bisher noch nicht entsprechend dar-gelegt worden sind und zwar einerseits konkret zur Region TirolSuumldtirol andererseits auch grundsaumltzlich zur Rolle der Landschaft im Hinblick auf die Entwicklung von Identi-taumlten (die bekanntlich immer dem geschichtlichen Wandel unterliegen und somit auch nicht unaufloumlslich an geografische Raumlume gebunden sind)Dieses Buch sammelt jedoch nicht nur neue Ertraumlge der Forschung ein es vermittelt auch eine Fuumllle von Anstoumlszligen zu weiteren Arbeiten Anregungen beispielsweise (um hier auf meine eigene Disziplin noch zu sprechen zu kommen) fuumlr eine Literaturwissen-schaft die sich aus der Umklammerung der traditionellen Regionalliteraturforschung befreien und stattdessen einbinden moumlchte in internationale Ansaumltze kulturwissen-schaftlicher RaumtheorienSo ist immer noch die kritische Beschaumlftigung mit der italienischen und ladinischen Lite-ratur in Suumldtirol (seit 191819) ganz offensichtlich ein Desiderat der Forschung (waumlhrend die deutschsprachige Literatur des Landes schon weit besser aufgearbeitet ist und nach wie vor unter den verschiedensten Gesichtspunkten wissenschaftlich betrachtet wird) Umgekehrt waumlre es jedoch genauso interessant und an der Zeit literarische Werke die auszligerhalb der Landesgrenzen entstanden und erschienen sind auch einmal im Hinblick darauf zu studieren wie sie denn dazu kommen die Ver-Ortung bestimmter Positionen ausgerechnet im Raum Tirol bzw im Alpenraum vorzusehen ndash wie zB Vicki Baum dies unternimmt die in ihrem Roman Kristall im Lehm (in deutscher Fassung erstmals veroumlf-fentlicht 1953) die Traumwelt der Alpen namentlich der Roccalunga als Gegenwelt zu den amerikanischen Metropolen zeichnetVicki Baum zu ihrer Zeit eine der charmantesten und beliebtesten Erscheinungen auf dem deutschsprachigen wie auf dem amerikanischen Literaturmarkt hat neben vielen (noch immer lesenswerten) Unterhaltungsromanen Menschen im Hotel ist der beruumlhmteste auch einen geschrieben der ihr immer ganz besonders wichtig gewe-sen ist eben Kristall im Lehm Hauptschauplatz ist Kalifornien eine Gesellschaft die ganz und gar heruntergekommen ist die von Alkohol- und Drogenproblemen nicht mehr loskommt in der alle Werte die fruumlher einmal gegolten haben und die aus der Sicht der Autorin aufhebenswerte Werte gewesen waumlren zugrundegerichtet worden sind In dieser Gesellschaft taucht ein Mann auf Giano ein junger Italiener um sei-nen amerikanischen Freunden die alle psychisch krank wenn nicht schon ganz kaputt sind im letzten Augenblick zu helfen Er kommt von einer raquohochgelegenen Almlaquo wie es heiszligt dementsprechend denkt und handelt er raquowie der gute Hirtelaquo unabhaumlngig von gesellschaftlichen Instanzen oder Zwaumlngen wie sie in der Groszligstadt herrschen voumlllig autonom Ein idealer (Berg-)Fuumlhrer Wenn er nicht gerade in Los Angeles zu tun hat zieht er sich zuruumlck in seine Berglandschaft dort huumltet er Schafe und dort liest er Rilke ndash Der Stem-pel der dieser Landschaft somit aufgedruumlckt wird ist schon ziemlich oft verwendet worden ein nicht ganz unproblematischer Stempel Es gibt aber haumlsslichere und ganz andere auch wie ein Blick in die Literaturgeschichte Tirols zeigen koumlnnte

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Ich nenne nur zwei Autoren die hier aus meiner Sicht zu allererst zu erwaumlhnen sind Adolf Pichler der eine der bekanntlich auch Naturwissenschaftler ein Experte in den Faumlchern Geologie und Mineralogie gewesen ist immer in den Bergen herumgestiegen und dabei auf jene Ideen gekommen ist die er dann in seinen aumlsthetischen und poli-tischen Schriften in seinen Erzaumlhlungen in seinen Versepen anschaulich vorgetragen hat ein Liberaler der ersten Stunde ndash Pichler hat in der Einsamkeit der Bergwelt in der (damals noch) menschenleeren Natur die er staumlndig aufgesucht hat jene Uumlberlegungen entwickelt die es ihm in der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts ermoumlglicht haben das stockkonservativ-katholische Milieu seiner Heimat mit Gegenpositionen zu konfrontie-ren und sich fuumlr eine ebenso menschen- wie kunstfreundliche Atmosphaumlre einzusetzenDer andere der hier zu nennen waumlre ist Carl Dallago der Anfang des 20 Jahrhunderts mit seinen Schriften vor allem auch in Suumldtirol zunaumlchst fuumlr viel Aufregung gesorgt hat Auch er hat die Welt der Berge aufgesucht um vor jener Gesellschaft die in seinen Augen eine Gesellschaft der Philister und mithin ganz heruntergekommen war zu flie-hen und ihr gleichzeitig Gegenbilder entgegen zu setzen Bilder wie er sie beispiels-weise in den Gemaumllden eines Giovanni Segantini vorgefunden hat oder auch in den Schriften von Nietzsche und Karl Kraus solche Bilder haben ihn in diesen seinen Bemuuml-hungen unterstuumltzt Dallago hat in seinen Essays in seinen Attacken gegen alle Institu-tionen sowohl die staatlichen wie auch die kirchlichen Einrichtungen auf eine Haltung gezielt von der aus fast ohne weiteres eine Bruumlcke zu schlagen waumlre zu jener Position wie man sie in den Uumlberlegungen von Reinhold Messner wieder findet in Gedanken-gaumlngen die das Extrembergsteigen mit Begriffen in Zusammenhang gebracht haben wie Autonomie Selbststaumlndigkeit Unabhaumlngigkeit AnarchieBerg amp Leute Unter diesem Titel ist noch immer vielfach unerforschtes Gelaumlnde zu entdek-ken dieses Buch unterstreicht das mit gehoumlrigem Nachdruck Im Namen der Forschungs-plattform Politik Religion Kunst darf ich allen Mitwirkenden herzlich danken die Beitraumlge zu dem Buch verfasst und dieses Projekt mit groszligem Engagement getragen haben ins-besondere Christina Antenhofer Heidi und Ulrich Leitner sowie Andreas Oberhofer

Innsbruck im Jaumlnner 2013 Johann Holzner Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Universitaumlt Innsbruck

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Der Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode entfaltet seine Forschungstaumltigkeit in enger Auseinandersetzung mit den Schriften von Jacques Ranciegravere Ein wesentlicher Impuls kam von Ranciegravere selbst im Rahmen der Tagung Im Unvernehmen Ein Tag mit Jacques Ranciegravere an der Bergischen Universitaumlt Wuppertal 2009 an der einige Mitglie-der des Clusters teilnahmen Dort plaumldierte Ranciegravere fuumlr eine ethische Verantwortung der Wissenschaft nicht nur was die Themen sondern auch was den Gegenstand der Forschung betrifft und damit das Arbeiten an den raquoRaumlndern der Disziplinenlaquo wie er es nannte an denen die eigentliche Herausforderung interdisziplinaumlren Arbeitens liegt naumlmlich in jenen Grau- und Kontaktzonen die von rigiden disziplinaumlren Einteilungen ausgenommen sind und deshalb selten wissenschaftliche Bearbeitung finden Gerade die systematische Beschaumlftigung mit Fragestellungen die vom akademischen Betrieb mitunter marginalisiert werden erlaubt es das Potential interdisziplinaumlrer Arbeits-gruppen zu schaumlrfen Dieser Aufmerksamkeit entsprechend widmet sich der Cluster Politische Aumlsthetik konsequent der Verbindung von Theorie und Praxis indem die wis-senschaftliche Auseinandersetzung uumlber die gemeinsame Organisation von Tagun-gen Ausstellungen und Projekten erfolgt die sich jeweils solchen Themenbereichen widmen die erst durch eine interdisziplinaumlre Auseinandersetzung erfasst werden koumln-nen Die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt ist ein solcher Themenbereich der im Rahmen des Projektes Berg amp Leute im Sinne Ranciegraveres einer interdisziplinaumlren Betrachtung zugefuumlhrt wurdeEinen zweiten Stimulus den der Cluster Politische Aumlsthetik von Ranciegravere erfaumlhrt ist dessen Bestimmung des Aumlsthetischen Ranciegraveres Uumlberlegungen zufolge handelt es sich bei dem Begriff Aumlsthetik nicht um eine am Prinzip der Schoumlnheit und Kunstfer-tigkeit geschulte Kategorie der Bildenden Kunst Das Aumlsthetische wird vielmehr im Sinne einer raquoAufteilung des Sinnlichenlaquo diskutiert womit der Begriff Aumlsthetik eine explizit politische Konnotation erhaumllt Eine so verstandene politische Umwertung der Aumlsthetik kann mit der Vorstellung einer aumlsthetizistischen Anschauung des Lebens die unter anderem fuumlr Einstellungen der Romantik praumlgend war unmoumlglich zur Deckung gebracht werden Ausgehend von Ranciegraveres Studien zum Unvernehmen sowie zur Auf-teilung des Sinnlichen versucht der Cluster Politische Aumlsthetik die politische Dimension aumlsthetischer Ordnungen daher als historische Konfiguration von sinnlichen Verhaumlltnis-sen zu begreifen die insgesamt regeln wie Wirklichkeit erfahren und der soziale Raum gestaltet werden kann Denn Ranciegravere zufolge ist Kunst

raquoweder politisch aufgrund der Botschaft die sie uumlberbringt noch aufgrund der Art und Weise wie sie soziale Strukturen politische Konflikte oder soziale ethnische oder sexuelle Identitauml-ten darstellt Kunst ist in erster Linie dadurch politisch dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins des Innen- oder Auszligen- Gegenuumlber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden Kunst ist dadurch politisch dass sie einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit aufteiltlaquo (Jacques Ranciegravere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien Berlin 2008 77)

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In diesem Sinne wird Ranciegravere nicht muumlde daran zu erinnern dass das Aumlsthetische wie es in gelaumlufiger Diktion gebraucht wird im Prinzip ein Elitendiskurs ist der sich uumlber Kennerschaft definiert und daruumlber dass diese Kennerschaft bzw die Sensibili-taumlt fuumlr das Schoumlne bestimmten (elitaumlren) Kreisen vorbehalten ist oder diesen zugeteilt wird Die Differenzierung zwischen Hoher Kultur und Populaumlrer Kultur ist eine beson-ders markante Auspraumlgung einer diskursiven Engfuumlhrung des Begriffs Aumlsthetik die implizit zur Exklusion breiter Schichten von der Beteiligung an der Diskussion aumlsthe-tischer Erfahrungen neigt und diese legitimiert Dies geschieht laut Ranciegravere sowohl uumlber den speziellen Diskurs der Kennerschaft der Nicht-Kenner per se bereits uumlber die Sprache ausschlieszligt als auch in einem noch grundlegenderen Sinne infolge der Ver-knappung der Ressource Zeit die fuumlr die Anteilnahme am Aumlsthetischen zur Verfuumlgung steht Denn in dem Maszlige wie ein Groszligteil der Lebenszeit zur Sicherung des Lebens-unterhalts aufgebracht werden muss wird vielen praktisch das Wort entzogen Aber auch Migrant-inn-en oder so genannte Staatenlose werden aus diesem Diskurs aus-geschlossen da ihnen prinzipiell die politische Stimme aberkannt wird Mit Ranciegravere gesprochen kommt es darauf an die politische Qualitaumlt diverser Aumlsthetiken dort zu erkennen und zu verstehen wo sich kuumlnstlerische Formen und Praktiken auf Fragen des Verhaumlltnisses von Oumlffentlichkeit und Privatheit von Zwischenmenschlichkeit und Ausgrenzung oder von Orthodoxie und Haumlresie beziehen lassen um mitunter uner-houmlrten Moumlglichkeiten Gemeinschaft zu erfahren Ausdruck zu verleihenEin besonderes Ziel des Clusters Politische Aumlsthetik besteht infolgedessen darin diskur-sive Grenzen aufzuspuumlren und wo moumlglich zu transformieren oder auch abzutragen ndash Grenzen die etwa den wissenschaftlichen Diskurs vom oumlffentlichen trennen und mit-unter ein Denken im Elfenbeinturm intensivieren Zu diesem Zweck ist der Cluster Poli-tische Aumlsthetik bestrebt Verbindungen von wissenschaftlichem Diskurs Kunst Literatur und Oumlffentlichkeit zu untersuchen aber auch zu erarbeiten Die Arbeit des Forschungs-clusters baut demgemaumlszlig auf vier Grundsaumlulen die sich in die zwei Hauptbereiche For-schung und Vermittlung eingliedern Der Bereich Forschung zum einen greift auf das interdisziplinaumlre Forschungsnetzwerk als Diskussions- und Reflexionsinstanz fuumlr For-schungsprojekte zuruumlck die sich sowohl mit empirischer Grundlagenforschung als auch mit kritischer Theorie- und Methodenreflexion beschaumlftigen Der Bereich der Vermitt-lung wiederum umfasst in der Folge unterschiedliche Aktivitaumlten der Sichtbarmachung der gemeinsamen Forschung in der universitaumlren Lehre wie im oumlffentlichen Raum

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Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

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Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

26 Einleitung

Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

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belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

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sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

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Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

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kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

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historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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Zum Geleit

Berg amp Leute ndash Dieses spannende Thema betrifft eigentlich alle die in den Bergen leben die in die Berge gehen die uumlber die Berge schreiben die die Berge erforschen sie schaumlt-zen und schuumltzen sie lieben oder hassen oder vielleicht beidesDie Geschichte des Alpinismus ist eine faszinierende facettenreiche Geschichte die immer wieder von einem Phaumlnomen begleitet wird der Leidenschaft Denn Berge bedeuten Schoumlnheit der Natur Herausforderung und Grenzerfahrung Berge loumlsten und loumlsen Emotionen aus Es gab in der Vergangenheit die Angst davor aber auch die groszlige Neu-gierde die Welt von einem Gipfel aus zu entdecken Berge sind auch ein immer wieder keh-rendes Thema in Kunst und Kultur Viele Museen koumlnnen auf kulturhistorische Bestaumlnde aus der Geschichte des Alpinismus verweisen Die musealen Gegenstaumlnde stehen aber nicht fuumlr sich allein genauso wie der Berg nicht fuumlr sich allein steht sondern immer in Verbindung mit dem Menschen zu sehen ist In welcher Verbindung auch immerDas Zusammenwirken von Mensch und Berg wird uns besonders bewusst wenn wir durch Schloss Bruneck gehen wo Reinhold Messner den Bergvoumllkern der Welt den ihnen gebuumlhrenden Raum gibt Zu den vom internationalen Museumsrat festgelegten ethi-schen Grundsaumltzen von Museen gehoumlren das Sammeln Bewahren Ausstellen Doku-mentieren Vermitteln und das Forschen Erst dann darf sich eine Einrichtung Museum nennen Das Letztere das Forschen beginnt zunehmende Bedeutung zu gewinnen weshalb ich es sehr begruumlszlige dass in Zusammenarbeit zwischen dem Forschungsclu-ster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der Universitaumlt Innsbruck und dem Messner Mountain Museum Ripa ein Forschungsprojekt entstanden ist das durch mein Ressort das Land Tirol und die Gemeinden Bruneck und Terenten gefoumlrdert wurde Es handelt sich um ein Projekt das die Berge aus mehreren Blickwinkeln untersucht und beleuch-tet aus dem historischen dem soziologischen dem geologischen dem sprachwissen-schaftlichen dem paumldagogischen dem kunsthistorischen wie kuumlnstlerischen und des-sen Ergebnisse im vorliegenden Buch muumlnden

Sabina Kasslatter MurSuumldtiroler Landesraumltin fuumlr Bildung und Deutsche Kultur

Bozen im Jaumlnner 2013

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Geleitworte

Das Projekt Berg amp Leute ist eines unter vielen Projekten der seit dem 1 Jaumlnner 2010 eta-blierten Forschungsplattform Politik Religion Kunst der Universitaumlt Innsbruck aber es ist ein ganz besonderes ein ganz besonders schoumlnes es zeigt sehr anschaulich was eine solche Forschungsplattform zu leisten imstande ist In dieser Plattform Politik Religion Kunst sind vor allem Kolleginnen und Kollegen der Philosophisch-Historischen der Phi-lologisch-Kulturwissenschaftlichen und der Theologischen Fakultaumlt vertreten aber dar-uumlber hinaus auch einzelne Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fakultaumlten Das Beson-dere einer solchen Forschungsplattform Es sind um es kurz zu sagen drei Punkte Das erste ist dass hier Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Disziplinen die sonst gewohnt sind sich mehr und mehr zu spezialisieren und nur mehr auf einem ganz bestimmten meist engen Feld zu arbeiten gezwungen werden uumlber die Grenzen ihres Faches hinauszuschauen diese Grenzen zu uumlberschreiten und sich auf Perspektiven auch auf methodische und methodologische Positionen anderer Disziplinen einzulas-sen Das andere mindestens genauso Bemerkenswerte ist dass in den einzelnen For-mationen der Plattform Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten ohne dass dort die Hierarchie auch nur die geringste Rolle spielen wuumlrde Die Hierarchie die ja seit dem Universitaumltsgesetz 2002 in Oumlsterreich wieder eine ganz massive Rolle spielt wird in der-artigen Plattformen wieder sehr flach Die Grenzen die sonst gesetzt werden werden uumlberquert indem Kolleginnen und Kollegen ob sie Professoren Dozenten Assistenten oder Studierende sind zusammenarbeiten und nur eines zaumlhlt naumlmlich was die einzel-nen Kolleginnen und Kollegen leisten nichts sonst Das dritte ist dass die Arbeit in die-sen Clustern immer aus dem Elfenbeinturm der Universitaumlt hinausfuumlhrt und auch das ist fuumlr den Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode bzw das Projekt Berg amp Leute signi-fikant hier geradezu anschaulich zu sehen ndash Ich halte zwar nichts davon den Elfenbein-turm permanent schlecht zu reden denn Elfenbein ist bekanntlich weiszliges Gold aber uumlber die Grenzen des Elfenbeinturms hinaus eine breitere Oumlffentlichkeit anzusprechen ist dennoch eine ganz besondere Leistung dieses ProjektesDie Erschlieszligung wissenschaftlichen Neulands muss nicht zwangslaumlufig verknuumlpft sein mit der Entdeckung neuer Gegenstandsebenen sie muss auch keineswegs um jeden Preis mit neuen Materialien aufwarten sie kann sich genauso gut aus innovativen Frage-stellungen aus ungewohnten Perspektiven oder aber aus theoretischen Zugriffen ent-wickeln die bisher versperrte Zugaumlnge zu einem Thema schlagartig zu oumlffnen imstande sind Letzteres zeichnet dieses Buch ausBerg amp Leute Auf den ersten Blick ist zu diesem Thema alles ausgefuumlhrt was dazu zu sagen ist Vor allem in Tirol gibt es nicht doch laumlngst schon hinreichend historische poli-tikwissenschaftliche kulturwissenschaftliche literarische und kuumlnstlerische Auseinan-dersetzungen mit dem Raum Tirol mit Land und Leuten und schlieszliglich mit den unter-schiedlichsten Konstruktionen die im Laufe der Geschichte der Landschaft aufgebuumlr-det worden sind

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Der vorliegende Sammelband verspricht Aspekte und Perspektiven zu diesem Thema zu praumlsentieren die in der einschlaumlgigen Forschung bisher noch nicht entsprechend dar-gelegt worden sind und zwar einerseits konkret zur Region TirolSuumldtirol andererseits auch grundsaumltzlich zur Rolle der Landschaft im Hinblick auf die Entwicklung von Identi-taumlten (die bekanntlich immer dem geschichtlichen Wandel unterliegen und somit auch nicht unaufloumlslich an geografische Raumlume gebunden sind)Dieses Buch sammelt jedoch nicht nur neue Ertraumlge der Forschung ein es vermittelt auch eine Fuumllle von Anstoumlszligen zu weiteren Arbeiten Anregungen beispielsweise (um hier auf meine eigene Disziplin noch zu sprechen zu kommen) fuumlr eine Literaturwissen-schaft die sich aus der Umklammerung der traditionellen Regionalliteraturforschung befreien und stattdessen einbinden moumlchte in internationale Ansaumltze kulturwissen-schaftlicher RaumtheorienSo ist immer noch die kritische Beschaumlftigung mit der italienischen und ladinischen Lite-ratur in Suumldtirol (seit 191819) ganz offensichtlich ein Desiderat der Forschung (waumlhrend die deutschsprachige Literatur des Landes schon weit besser aufgearbeitet ist und nach wie vor unter den verschiedensten Gesichtspunkten wissenschaftlich betrachtet wird) Umgekehrt waumlre es jedoch genauso interessant und an der Zeit literarische Werke die auszligerhalb der Landesgrenzen entstanden und erschienen sind auch einmal im Hinblick darauf zu studieren wie sie denn dazu kommen die Ver-Ortung bestimmter Positionen ausgerechnet im Raum Tirol bzw im Alpenraum vorzusehen ndash wie zB Vicki Baum dies unternimmt die in ihrem Roman Kristall im Lehm (in deutscher Fassung erstmals veroumlf-fentlicht 1953) die Traumwelt der Alpen namentlich der Roccalunga als Gegenwelt zu den amerikanischen Metropolen zeichnetVicki Baum zu ihrer Zeit eine der charmantesten und beliebtesten Erscheinungen auf dem deutschsprachigen wie auf dem amerikanischen Literaturmarkt hat neben vielen (noch immer lesenswerten) Unterhaltungsromanen Menschen im Hotel ist der beruumlhmteste auch einen geschrieben der ihr immer ganz besonders wichtig gewe-sen ist eben Kristall im Lehm Hauptschauplatz ist Kalifornien eine Gesellschaft die ganz und gar heruntergekommen ist die von Alkohol- und Drogenproblemen nicht mehr loskommt in der alle Werte die fruumlher einmal gegolten haben und die aus der Sicht der Autorin aufhebenswerte Werte gewesen waumlren zugrundegerichtet worden sind In dieser Gesellschaft taucht ein Mann auf Giano ein junger Italiener um sei-nen amerikanischen Freunden die alle psychisch krank wenn nicht schon ganz kaputt sind im letzten Augenblick zu helfen Er kommt von einer raquohochgelegenen Almlaquo wie es heiszligt dementsprechend denkt und handelt er raquowie der gute Hirtelaquo unabhaumlngig von gesellschaftlichen Instanzen oder Zwaumlngen wie sie in der Groszligstadt herrschen voumlllig autonom Ein idealer (Berg-)Fuumlhrer Wenn er nicht gerade in Los Angeles zu tun hat zieht er sich zuruumlck in seine Berglandschaft dort huumltet er Schafe und dort liest er Rilke ndash Der Stem-pel der dieser Landschaft somit aufgedruumlckt wird ist schon ziemlich oft verwendet worden ein nicht ganz unproblematischer Stempel Es gibt aber haumlsslichere und ganz andere auch wie ein Blick in die Literaturgeschichte Tirols zeigen koumlnnte

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Ich nenne nur zwei Autoren die hier aus meiner Sicht zu allererst zu erwaumlhnen sind Adolf Pichler der eine der bekanntlich auch Naturwissenschaftler ein Experte in den Faumlchern Geologie und Mineralogie gewesen ist immer in den Bergen herumgestiegen und dabei auf jene Ideen gekommen ist die er dann in seinen aumlsthetischen und poli-tischen Schriften in seinen Erzaumlhlungen in seinen Versepen anschaulich vorgetragen hat ein Liberaler der ersten Stunde ndash Pichler hat in der Einsamkeit der Bergwelt in der (damals noch) menschenleeren Natur die er staumlndig aufgesucht hat jene Uumlberlegungen entwickelt die es ihm in der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts ermoumlglicht haben das stockkonservativ-katholische Milieu seiner Heimat mit Gegenpositionen zu konfrontie-ren und sich fuumlr eine ebenso menschen- wie kunstfreundliche Atmosphaumlre einzusetzenDer andere der hier zu nennen waumlre ist Carl Dallago der Anfang des 20 Jahrhunderts mit seinen Schriften vor allem auch in Suumldtirol zunaumlchst fuumlr viel Aufregung gesorgt hat Auch er hat die Welt der Berge aufgesucht um vor jener Gesellschaft die in seinen Augen eine Gesellschaft der Philister und mithin ganz heruntergekommen war zu flie-hen und ihr gleichzeitig Gegenbilder entgegen zu setzen Bilder wie er sie beispiels-weise in den Gemaumllden eines Giovanni Segantini vorgefunden hat oder auch in den Schriften von Nietzsche und Karl Kraus solche Bilder haben ihn in diesen seinen Bemuuml-hungen unterstuumltzt Dallago hat in seinen Essays in seinen Attacken gegen alle Institu-tionen sowohl die staatlichen wie auch die kirchlichen Einrichtungen auf eine Haltung gezielt von der aus fast ohne weiteres eine Bruumlcke zu schlagen waumlre zu jener Position wie man sie in den Uumlberlegungen von Reinhold Messner wieder findet in Gedanken-gaumlngen die das Extrembergsteigen mit Begriffen in Zusammenhang gebracht haben wie Autonomie Selbststaumlndigkeit Unabhaumlngigkeit AnarchieBerg amp Leute Unter diesem Titel ist noch immer vielfach unerforschtes Gelaumlnde zu entdek-ken dieses Buch unterstreicht das mit gehoumlrigem Nachdruck Im Namen der Forschungs-plattform Politik Religion Kunst darf ich allen Mitwirkenden herzlich danken die Beitraumlge zu dem Buch verfasst und dieses Projekt mit groszligem Engagement getragen haben ins-besondere Christina Antenhofer Heidi und Ulrich Leitner sowie Andreas Oberhofer

Innsbruck im Jaumlnner 2013 Johann Holzner Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Universitaumlt Innsbruck

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Der Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode entfaltet seine Forschungstaumltigkeit in enger Auseinandersetzung mit den Schriften von Jacques Ranciegravere Ein wesentlicher Impuls kam von Ranciegravere selbst im Rahmen der Tagung Im Unvernehmen Ein Tag mit Jacques Ranciegravere an der Bergischen Universitaumlt Wuppertal 2009 an der einige Mitglie-der des Clusters teilnahmen Dort plaumldierte Ranciegravere fuumlr eine ethische Verantwortung der Wissenschaft nicht nur was die Themen sondern auch was den Gegenstand der Forschung betrifft und damit das Arbeiten an den raquoRaumlndern der Disziplinenlaquo wie er es nannte an denen die eigentliche Herausforderung interdisziplinaumlren Arbeitens liegt naumlmlich in jenen Grau- und Kontaktzonen die von rigiden disziplinaumlren Einteilungen ausgenommen sind und deshalb selten wissenschaftliche Bearbeitung finden Gerade die systematische Beschaumlftigung mit Fragestellungen die vom akademischen Betrieb mitunter marginalisiert werden erlaubt es das Potential interdisziplinaumlrer Arbeits-gruppen zu schaumlrfen Dieser Aufmerksamkeit entsprechend widmet sich der Cluster Politische Aumlsthetik konsequent der Verbindung von Theorie und Praxis indem die wis-senschaftliche Auseinandersetzung uumlber die gemeinsame Organisation von Tagun-gen Ausstellungen und Projekten erfolgt die sich jeweils solchen Themenbereichen widmen die erst durch eine interdisziplinaumlre Auseinandersetzung erfasst werden koumln-nen Die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt ist ein solcher Themenbereich der im Rahmen des Projektes Berg amp Leute im Sinne Ranciegraveres einer interdisziplinaumlren Betrachtung zugefuumlhrt wurdeEinen zweiten Stimulus den der Cluster Politische Aumlsthetik von Ranciegravere erfaumlhrt ist dessen Bestimmung des Aumlsthetischen Ranciegraveres Uumlberlegungen zufolge handelt es sich bei dem Begriff Aumlsthetik nicht um eine am Prinzip der Schoumlnheit und Kunstfer-tigkeit geschulte Kategorie der Bildenden Kunst Das Aumlsthetische wird vielmehr im Sinne einer raquoAufteilung des Sinnlichenlaquo diskutiert womit der Begriff Aumlsthetik eine explizit politische Konnotation erhaumllt Eine so verstandene politische Umwertung der Aumlsthetik kann mit der Vorstellung einer aumlsthetizistischen Anschauung des Lebens die unter anderem fuumlr Einstellungen der Romantik praumlgend war unmoumlglich zur Deckung gebracht werden Ausgehend von Ranciegraveres Studien zum Unvernehmen sowie zur Auf-teilung des Sinnlichen versucht der Cluster Politische Aumlsthetik die politische Dimension aumlsthetischer Ordnungen daher als historische Konfiguration von sinnlichen Verhaumlltnis-sen zu begreifen die insgesamt regeln wie Wirklichkeit erfahren und der soziale Raum gestaltet werden kann Denn Ranciegravere zufolge ist Kunst

raquoweder politisch aufgrund der Botschaft die sie uumlberbringt noch aufgrund der Art und Weise wie sie soziale Strukturen politische Konflikte oder soziale ethnische oder sexuelle Identitauml-ten darstellt Kunst ist in erster Linie dadurch politisch dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins des Innen- oder Auszligen- Gegenuumlber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden Kunst ist dadurch politisch dass sie einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit aufteiltlaquo (Jacques Ranciegravere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien Berlin 2008 77)

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In diesem Sinne wird Ranciegravere nicht muumlde daran zu erinnern dass das Aumlsthetische wie es in gelaumlufiger Diktion gebraucht wird im Prinzip ein Elitendiskurs ist der sich uumlber Kennerschaft definiert und daruumlber dass diese Kennerschaft bzw die Sensibili-taumlt fuumlr das Schoumlne bestimmten (elitaumlren) Kreisen vorbehalten ist oder diesen zugeteilt wird Die Differenzierung zwischen Hoher Kultur und Populaumlrer Kultur ist eine beson-ders markante Auspraumlgung einer diskursiven Engfuumlhrung des Begriffs Aumlsthetik die implizit zur Exklusion breiter Schichten von der Beteiligung an der Diskussion aumlsthe-tischer Erfahrungen neigt und diese legitimiert Dies geschieht laut Ranciegravere sowohl uumlber den speziellen Diskurs der Kennerschaft der Nicht-Kenner per se bereits uumlber die Sprache ausschlieszligt als auch in einem noch grundlegenderen Sinne infolge der Ver-knappung der Ressource Zeit die fuumlr die Anteilnahme am Aumlsthetischen zur Verfuumlgung steht Denn in dem Maszlige wie ein Groszligteil der Lebenszeit zur Sicherung des Lebens-unterhalts aufgebracht werden muss wird vielen praktisch das Wort entzogen Aber auch Migrant-inn-en oder so genannte Staatenlose werden aus diesem Diskurs aus-geschlossen da ihnen prinzipiell die politische Stimme aberkannt wird Mit Ranciegravere gesprochen kommt es darauf an die politische Qualitaumlt diverser Aumlsthetiken dort zu erkennen und zu verstehen wo sich kuumlnstlerische Formen und Praktiken auf Fragen des Verhaumlltnisses von Oumlffentlichkeit und Privatheit von Zwischenmenschlichkeit und Ausgrenzung oder von Orthodoxie und Haumlresie beziehen lassen um mitunter uner-houmlrten Moumlglichkeiten Gemeinschaft zu erfahren Ausdruck zu verleihenEin besonderes Ziel des Clusters Politische Aumlsthetik besteht infolgedessen darin diskur-sive Grenzen aufzuspuumlren und wo moumlglich zu transformieren oder auch abzutragen ndash Grenzen die etwa den wissenschaftlichen Diskurs vom oumlffentlichen trennen und mit-unter ein Denken im Elfenbeinturm intensivieren Zu diesem Zweck ist der Cluster Poli-tische Aumlsthetik bestrebt Verbindungen von wissenschaftlichem Diskurs Kunst Literatur und Oumlffentlichkeit zu untersuchen aber auch zu erarbeiten Die Arbeit des Forschungs-clusters baut demgemaumlszlig auf vier Grundsaumlulen die sich in die zwei Hauptbereiche For-schung und Vermittlung eingliedern Der Bereich Forschung zum einen greift auf das interdisziplinaumlre Forschungsnetzwerk als Diskussions- und Reflexionsinstanz fuumlr For-schungsprojekte zuruumlck die sich sowohl mit empirischer Grundlagenforschung als auch mit kritischer Theorie- und Methodenreflexion beschaumlftigen Der Bereich der Vermitt-lung wiederum umfasst in der Folge unterschiedliche Aktivitaumlten der Sichtbarmachung der gemeinsamen Forschung in der universitaumlren Lehre wie im oumlffentlichen Raum

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Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

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Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

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Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

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und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

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wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

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Geleitworte

Das Projekt Berg amp Leute ist eines unter vielen Projekten der seit dem 1 Jaumlnner 2010 eta-blierten Forschungsplattform Politik Religion Kunst der Universitaumlt Innsbruck aber es ist ein ganz besonderes ein ganz besonders schoumlnes es zeigt sehr anschaulich was eine solche Forschungsplattform zu leisten imstande ist In dieser Plattform Politik Religion Kunst sind vor allem Kolleginnen und Kollegen der Philosophisch-Historischen der Phi-lologisch-Kulturwissenschaftlichen und der Theologischen Fakultaumlt vertreten aber dar-uumlber hinaus auch einzelne Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fakultaumlten Das Beson-dere einer solchen Forschungsplattform Es sind um es kurz zu sagen drei Punkte Das erste ist dass hier Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Disziplinen die sonst gewohnt sind sich mehr und mehr zu spezialisieren und nur mehr auf einem ganz bestimmten meist engen Feld zu arbeiten gezwungen werden uumlber die Grenzen ihres Faches hinauszuschauen diese Grenzen zu uumlberschreiten und sich auf Perspektiven auch auf methodische und methodologische Positionen anderer Disziplinen einzulas-sen Das andere mindestens genauso Bemerkenswerte ist dass in den einzelnen For-mationen der Plattform Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten ohne dass dort die Hierarchie auch nur die geringste Rolle spielen wuumlrde Die Hierarchie die ja seit dem Universitaumltsgesetz 2002 in Oumlsterreich wieder eine ganz massive Rolle spielt wird in der-artigen Plattformen wieder sehr flach Die Grenzen die sonst gesetzt werden werden uumlberquert indem Kolleginnen und Kollegen ob sie Professoren Dozenten Assistenten oder Studierende sind zusammenarbeiten und nur eines zaumlhlt naumlmlich was die einzel-nen Kolleginnen und Kollegen leisten nichts sonst Das dritte ist dass die Arbeit in die-sen Clustern immer aus dem Elfenbeinturm der Universitaumlt hinausfuumlhrt und auch das ist fuumlr den Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode bzw das Projekt Berg amp Leute signi-fikant hier geradezu anschaulich zu sehen ndash Ich halte zwar nichts davon den Elfenbein-turm permanent schlecht zu reden denn Elfenbein ist bekanntlich weiszliges Gold aber uumlber die Grenzen des Elfenbeinturms hinaus eine breitere Oumlffentlichkeit anzusprechen ist dennoch eine ganz besondere Leistung dieses ProjektesDie Erschlieszligung wissenschaftlichen Neulands muss nicht zwangslaumlufig verknuumlpft sein mit der Entdeckung neuer Gegenstandsebenen sie muss auch keineswegs um jeden Preis mit neuen Materialien aufwarten sie kann sich genauso gut aus innovativen Frage-stellungen aus ungewohnten Perspektiven oder aber aus theoretischen Zugriffen ent-wickeln die bisher versperrte Zugaumlnge zu einem Thema schlagartig zu oumlffnen imstande sind Letzteres zeichnet dieses Buch ausBerg amp Leute Auf den ersten Blick ist zu diesem Thema alles ausgefuumlhrt was dazu zu sagen ist Vor allem in Tirol gibt es nicht doch laumlngst schon hinreichend historische poli-tikwissenschaftliche kulturwissenschaftliche literarische und kuumlnstlerische Auseinan-dersetzungen mit dem Raum Tirol mit Land und Leuten und schlieszliglich mit den unter-schiedlichsten Konstruktionen die im Laufe der Geschichte der Landschaft aufgebuumlr-det worden sind

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Der vorliegende Sammelband verspricht Aspekte und Perspektiven zu diesem Thema zu praumlsentieren die in der einschlaumlgigen Forschung bisher noch nicht entsprechend dar-gelegt worden sind und zwar einerseits konkret zur Region TirolSuumldtirol andererseits auch grundsaumltzlich zur Rolle der Landschaft im Hinblick auf die Entwicklung von Identi-taumlten (die bekanntlich immer dem geschichtlichen Wandel unterliegen und somit auch nicht unaufloumlslich an geografische Raumlume gebunden sind)Dieses Buch sammelt jedoch nicht nur neue Ertraumlge der Forschung ein es vermittelt auch eine Fuumllle von Anstoumlszligen zu weiteren Arbeiten Anregungen beispielsweise (um hier auf meine eigene Disziplin noch zu sprechen zu kommen) fuumlr eine Literaturwissen-schaft die sich aus der Umklammerung der traditionellen Regionalliteraturforschung befreien und stattdessen einbinden moumlchte in internationale Ansaumltze kulturwissen-schaftlicher RaumtheorienSo ist immer noch die kritische Beschaumlftigung mit der italienischen und ladinischen Lite-ratur in Suumldtirol (seit 191819) ganz offensichtlich ein Desiderat der Forschung (waumlhrend die deutschsprachige Literatur des Landes schon weit besser aufgearbeitet ist und nach wie vor unter den verschiedensten Gesichtspunkten wissenschaftlich betrachtet wird) Umgekehrt waumlre es jedoch genauso interessant und an der Zeit literarische Werke die auszligerhalb der Landesgrenzen entstanden und erschienen sind auch einmal im Hinblick darauf zu studieren wie sie denn dazu kommen die Ver-Ortung bestimmter Positionen ausgerechnet im Raum Tirol bzw im Alpenraum vorzusehen ndash wie zB Vicki Baum dies unternimmt die in ihrem Roman Kristall im Lehm (in deutscher Fassung erstmals veroumlf-fentlicht 1953) die Traumwelt der Alpen namentlich der Roccalunga als Gegenwelt zu den amerikanischen Metropolen zeichnetVicki Baum zu ihrer Zeit eine der charmantesten und beliebtesten Erscheinungen auf dem deutschsprachigen wie auf dem amerikanischen Literaturmarkt hat neben vielen (noch immer lesenswerten) Unterhaltungsromanen Menschen im Hotel ist der beruumlhmteste auch einen geschrieben der ihr immer ganz besonders wichtig gewe-sen ist eben Kristall im Lehm Hauptschauplatz ist Kalifornien eine Gesellschaft die ganz und gar heruntergekommen ist die von Alkohol- und Drogenproblemen nicht mehr loskommt in der alle Werte die fruumlher einmal gegolten haben und die aus der Sicht der Autorin aufhebenswerte Werte gewesen waumlren zugrundegerichtet worden sind In dieser Gesellschaft taucht ein Mann auf Giano ein junger Italiener um sei-nen amerikanischen Freunden die alle psychisch krank wenn nicht schon ganz kaputt sind im letzten Augenblick zu helfen Er kommt von einer raquohochgelegenen Almlaquo wie es heiszligt dementsprechend denkt und handelt er raquowie der gute Hirtelaquo unabhaumlngig von gesellschaftlichen Instanzen oder Zwaumlngen wie sie in der Groszligstadt herrschen voumlllig autonom Ein idealer (Berg-)Fuumlhrer Wenn er nicht gerade in Los Angeles zu tun hat zieht er sich zuruumlck in seine Berglandschaft dort huumltet er Schafe und dort liest er Rilke ndash Der Stem-pel der dieser Landschaft somit aufgedruumlckt wird ist schon ziemlich oft verwendet worden ein nicht ganz unproblematischer Stempel Es gibt aber haumlsslichere und ganz andere auch wie ein Blick in die Literaturgeschichte Tirols zeigen koumlnnte

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Ich nenne nur zwei Autoren die hier aus meiner Sicht zu allererst zu erwaumlhnen sind Adolf Pichler der eine der bekanntlich auch Naturwissenschaftler ein Experte in den Faumlchern Geologie und Mineralogie gewesen ist immer in den Bergen herumgestiegen und dabei auf jene Ideen gekommen ist die er dann in seinen aumlsthetischen und poli-tischen Schriften in seinen Erzaumlhlungen in seinen Versepen anschaulich vorgetragen hat ein Liberaler der ersten Stunde ndash Pichler hat in der Einsamkeit der Bergwelt in der (damals noch) menschenleeren Natur die er staumlndig aufgesucht hat jene Uumlberlegungen entwickelt die es ihm in der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts ermoumlglicht haben das stockkonservativ-katholische Milieu seiner Heimat mit Gegenpositionen zu konfrontie-ren und sich fuumlr eine ebenso menschen- wie kunstfreundliche Atmosphaumlre einzusetzenDer andere der hier zu nennen waumlre ist Carl Dallago der Anfang des 20 Jahrhunderts mit seinen Schriften vor allem auch in Suumldtirol zunaumlchst fuumlr viel Aufregung gesorgt hat Auch er hat die Welt der Berge aufgesucht um vor jener Gesellschaft die in seinen Augen eine Gesellschaft der Philister und mithin ganz heruntergekommen war zu flie-hen und ihr gleichzeitig Gegenbilder entgegen zu setzen Bilder wie er sie beispiels-weise in den Gemaumllden eines Giovanni Segantini vorgefunden hat oder auch in den Schriften von Nietzsche und Karl Kraus solche Bilder haben ihn in diesen seinen Bemuuml-hungen unterstuumltzt Dallago hat in seinen Essays in seinen Attacken gegen alle Institu-tionen sowohl die staatlichen wie auch die kirchlichen Einrichtungen auf eine Haltung gezielt von der aus fast ohne weiteres eine Bruumlcke zu schlagen waumlre zu jener Position wie man sie in den Uumlberlegungen von Reinhold Messner wieder findet in Gedanken-gaumlngen die das Extrembergsteigen mit Begriffen in Zusammenhang gebracht haben wie Autonomie Selbststaumlndigkeit Unabhaumlngigkeit AnarchieBerg amp Leute Unter diesem Titel ist noch immer vielfach unerforschtes Gelaumlnde zu entdek-ken dieses Buch unterstreicht das mit gehoumlrigem Nachdruck Im Namen der Forschungs-plattform Politik Religion Kunst darf ich allen Mitwirkenden herzlich danken die Beitraumlge zu dem Buch verfasst und dieses Projekt mit groszligem Engagement getragen haben ins-besondere Christina Antenhofer Heidi und Ulrich Leitner sowie Andreas Oberhofer

Innsbruck im Jaumlnner 2013 Johann Holzner Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Universitaumlt Innsbruck

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Der Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode entfaltet seine Forschungstaumltigkeit in enger Auseinandersetzung mit den Schriften von Jacques Ranciegravere Ein wesentlicher Impuls kam von Ranciegravere selbst im Rahmen der Tagung Im Unvernehmen Ein Tag mit Jacques Ranciegravere an der Bergischen Universitaumlt Wuppertal 2009 an der einige Mitglie-der des Clusters teilnahmen Dort plaumldierte Ranciegravere fuumlr eine ethische Verantwortung der Wissenschaft nicht nur was die Themen sondern auch was den Gegenstand der Forschung betrifft und damit das Arbeiten an den raquoRaumlndern der Disziplinenlaquo wie er es nannte an denen die eigentliche Herausforderung interdisziplinaumlren Arbeitens liegt naumlmlich in jenen Grau- und Kontaktzonen die von rigiden disziplinaumlren Einteilungen ausgenommen sind und deshalb selten wissenschaftliche Bearbeitung finden Gerade die systematische Beschaumlftigung mit Fragestellungen die vom akademischen Betrieb mitunter marginalisiert werden erlaubt es das Potential interdisziplinaumlrer Arbeits-gruppen zu schaumlrfen Dieser Aufmerksamkeit entsprechend widmet sich der Cluster Politische Aumlsthetik konsequent der Verbindung von Theorie und Praxis indem die wis-senschaftliche Auseinandersetzung uumlber die gemeinsame Organisation von Tagun-gen Ausstellungen und Projekten erfolgt die sich jeweils solchen Themenbereichen widmen die erst durch eine interdisziplinaumlre Auseinandersetzung erfasst werden koumln-nen Die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt ist ein solcher Themenbereich der im Rahmen des Projektes Berg amp Leute im Sinne Ranciegraveres einer interdisziplinaumlren Betrachtung zugefuumlhrt wurdeEinen zweiten Stimulus den der Cluster Politische Aumlsthetik von Ranciegravere erfaumlhrt ist dessen Bestimmung des Aumlsthetischen Ranciegraveres Uumlberlegungen zufolge handelt es sich bei dem Begriff Aumlsthetik nicht um eine am Prinzip der Schoumlnheit und Kunstfer-tigkeit geschulte Kategorie der Bildenden Kunst Das Aumlsthetische wird vielmehr im Sinne einer raquoAufteilung des Sinnlichenlaquo diskutiert womit der Begriff Aumlsthetik eine explizit politische Konnotation erhaumllt Eine so verstandene politische Umwertung der Aumlsthetik kann mit der Vorstellung einer aumlsthetizistischen Anschauung des Lebens die unter anderem fuumlr Einstellungen der Romantik praumlgend war unmoumlglich zur Deckung gebracht werden Ausgehend von Ranciegraveres Studien zum Unvernehmen sowie zur Auf-teilung des Sinnlichen versucht der Cluster Politische Aumlsthetik die politische Dimension aumlsthetischer Ordnungen daher als historische Konfiguration von sinnlichen Verhaumlltnis-sen zu begreifen die insgesamt regeln wie Wirklichkeit erfahren und der soziale Raum gestaltet werden kann Denn Ranciegravere zufolge ist Kunst

raquoweder politisch aufgrund der Botschaft die sie uumlberbringt noch aufgrund der Art und Weise wie sie soziale Strukturen politische Konflikte oder soziale ethnische oder sexuelle Identitauml-ten darstellt Kunst ist in erster Linie dadurch politisch dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins des Innen- oder Auszligen- Gegenuumlber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden Kunst ist dadurch politisch dass sie einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit aufteiltlaquo (Jacques Ranciegravere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien Berlin 2008 77)

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In diesem Sinne wird Ranciegravere nicht muumlde daran zu erinnern dass das Aumlsthetische wie es in gelaumlufiger Diktion gebraucht wird im Prinzip ein Elitendiskurs ist der sich uumlber Kennerschaft definiert und daruumlber dass diese Kennerschaft bzw die Sensibili-taumlt fuumlr das Schoumlne bestimmten (elitaumlren) Kreisen vorbehalten ist oder diesen zugeteilt wird Die Differenzierung zwischen Hoher Kultur und Populaumlrer Kultur ist eine beson-ders markante Auspraumlgung einer diskursiven Engfuumlhrung des Begriffs Aumlsthetik die implizit zur Exklusion breiter Schichten von der Beteiligung an der Diskussion aumlsthe-tischer Erfahrungen neigt und diese legitimiert Dies geschieht laut Ranciegravere sowohl uumlber den speziellen Diskurs der Kennerschaft der Nicht-Kenner per se bereits uumlber die Sprache ausschlieszligt als auch in einem noch grundlegenderen Sinne infolge der Ver-knappung der Ressource Zeit die fuumlr die Anteilnahme am Aumlsthetischen zur Verfuumlgung steht Denn in dem Maszlige wie ein Groszligteil der Lebenszeit zur Sicherung des Lebens-unterhalts aufgebracht werden muss wird vielen praktisch das Wort entzogen Aber auch Migrant-inn-en oder so genannte Staatenlose werden aus diesem Diskurs aus-geschlossen da ihnen prinzipiell die politische Stimme aberkannt wird Mit Ranciegravere gesprochen kommt es darauf an die politische Qualitaumlt diverser Aumlsthetiken dort zu erkennen und zu verstehen wo sich kuumlnstlerische Formen und Praktiken auf Fragen des Verhaumlltnisses von Oumlffentlichkeit und Privatheit von Zwischenmenschlichkeit und Ausgrenzung oder von Orthodoxie und Haumlresie beziehen lassen um mitunter uner-houmlrten Moumlglichkeiten Gemeinschaft zu erfahren Ausdruck zu verleihenEin besonderes Ziel des Clusters Politische Aumlsthetik besteht infolgedessen darin diskur-sive Grenzen aufzuspuumlren und wo moumlglich zu transformieren oder auch abzutragen ndash Grenzen die etwa den wissenschaftlichen Diskurs vom oumlffentlichen trennen und mit-unter ein Denken im Elfenbeinturm intensivieren Zu diesem Zweck ist der Cluster Poli-tische Aumlsthetik bestrebt Verbindungen von wissenschaftlichem Diskurs Kunst Literatur und Oumlffentlichkeit zu untersuchen aber auch zu erarbeiten Die Arbeit des Forschungs-clusters baut demgemaumlszlig auf vier Grundsaumlulen die sich in die zwei Hauptbereiche For-schung und Vermittlung eingliedern Der Bereich Forschung zum einen greift auf das interdisziplinaumlre Forschungsnetzwerk als Diskussions- und Reflexionsinstanz fuumlr For-schungsprojekte zuruumlck die sich sowohl mit empirischer Grundlagenforschung als auch mit kritischer Theorie- und Methodenreflexion beschaumlftigen Der Bereich der Vermitt-lung wiederum umfasst in der Folge unterschiedliche Aktivitaumlten der Sichtbarmachung der gemeinsamen Forschung in der universitaumlren Lehre wie im oumlffentlichen Raum

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Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

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Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

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risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

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der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

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Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

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Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

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Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

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zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

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nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

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und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

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wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

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belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

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sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

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Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

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kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

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historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

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Der vorliegende Sammelband verspricht Aspekte und Perspektiven zu diesem Thema zu praumlsentieren die in der einschlaumlgigen Forschung bisher noch nicht entsprechend dar-gelegt worden sind und zwar einerseits konkret zur Region TirolSuumldtirol andererseits auch grundsaumltzlich zur Rolle der Landschaft im Hinblick auf die Entwicklung von Identi-taumlten (die bekanntlich immer dem geschichtlichen Wandel unterliegen und somit auch nicht unaufloumlslich an geografische Raumlume gebunden sind)Dieses Buch sammelt jedoch nicht nur neue Ertraumlge der Forschung ein es vermittelt auch eine Fuumllle von Anstoumlszligen zu weiteren Arbeiten Anregungen beispielsweise (um hier auf meine eigene Disziplin noch zu sprechen zu kommen) fuumlr eine Literaturwissen-schaft die sich aus der Umklammerung der traditionellen Regionalliteraturforschung befreien und stattdessen einbinden moumlchte in internationale Ansaumltze kulturwissen-schaftlicher RaumtheorienSo ist immer noch die kritische Beschaumlftigung mit der italienischen und ladinischen Lite-ratur in Suumldtirol (seit 191819) ganz offensichtlich ein Desiderat der Forschung (waumlhrend die deutschsprachige Literatur des Landes schon weit besser aufgearbeitet ist und nach wie vor unter den verschiedensten Gesichtspunkten wissenschaftlich betrachtet wird) Umgekehrt waumlre es jedoch genauso interessant und an der Zeit literarische Werke die auszligerhalb der Landesgrenzen entstanden und erschienen sind auch einmal im Hinblick darauf zu studieren wie sie denn dazu kommen die Ver-Ortung bestimmter Positionen ausgerechnet im Raum Tirol bzw im Alpenraum vorzusehen ndash wie zB Vicki Baum dies unternimmt die in ihrem Roman Kristall im Lehm (in deutscher Fassung erstmals veroumlf-fentlicht 1953) die Traumwelt der Alpen namentlich der Roccalunga als Gegenwelt zu den amerikanischen Metropolen zeichnetVicki Baum zu ihrer Zeit eine der charmantesten und beliebtesten Erscheinungen auf dem deutschsprachigen wie auf dem amerikanischen Literaturmarkt hat neben vielen (noch immer lesenswerten) Unterhaltungsromanen Menschen im Hotel ist der beruumlhmteste auch einen geschrieben der ihr immer ganz besonders wichtig gewe-sen ist eben Kristall im Lehm Hauptschauplatz ist Kalifornien eine Gesellschaft die ganz und gar heruntergekommen ist die von Alkohol- und Drogenproblemen nicht mehr loskommt in der alle Werte die fruumlher einmal gegolten haben und die aus der Sicht der Autorin aufhebenswerte Werte gewesen waumlren zugrundegerichtet worden sind In dieser Gesellschaft taucht ein Mann auf Giano ein junger Italiener um sei-nen amerikanischen Freunden die alle psychisch krank wenn nicht schon ganz kaputt sind im letzten Augenblick zu helfen Er kommt von einer raquohochgelegenen Almlaquo wie es heiszligt dementsprechend denkt und handelt er raquowie der gute Hirtelaquo unabhaumlngig von gesellschaftlichen Instanzen oder Zwaumlngen wie sie in der Groszligstadt herrschen voumlllig autonom Ein idealer (Berg-)Fuumlhrer Wenn er nicht gerade in Los Angeles zu tun hat zieht er sich zuruumlck in seine Berglandschaft dort huumltet er Schafe und dort liest er Rilke ndash Der Stem-pel der dieser Landschaft somit aufgedruumlckt wird ist schon ziemlich oft verwendet worden ein nicht ganz unproblematischer Stempel Es gibt aber haumlsslichere und ganz andere auch wie ein Blick in die Literaturgeschichte Tirols zeigen koumlnnte

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Ich nenne nur zwei Autoren die hier aus meiner Sicht zu allererst zu erwaumlhnen sind Adolf Pichler der eine der bekanntlich auch Naturwissenschaftler ein Experte in den Faumlchern Geologie und Mineralogie gewesen ist immer in den Bergen herumgestiegen und dabei auf jene Ideen gekommen ist die er dann in seinen aumlsthetischen und poli-tischen Schriften in seinen Erzaumlhlungen in seinen Versepen anschaulich vorgetragen hat ein Liberaler der ersten Stunde ndash Pichler hat in der Einsamkeit der Bergwelt in der (damals noch) menschenleeren Natur die er staumlndig aufgesucht hat jene Uumlberlegungen entwickelt die es ihm in der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts ermoumlglicht haben das stockkonservativ-katholische Milieu seiner Heimat mit Gegenpositionen zu konfrontie-ren und sich fuumlr eine ebenso menschen- wie kunstfreundliche Atmosphaumlre einzusetzenDer andere der hier zu nennen waumlre ist Carl Dallago der Anfang des 20 Jahrhunderts mit seinen Schriften vor allem auch in Suumldtirol zunaumlchst fuumlr viel Aufregung gesorgt hat Auch er hat die Welt der Berge aufgesucht um vor jener Gesellschaft die in seinen Augen eine Gesellschaft der Philister und mithin ganz heruntergekommen war zu flie-hen und ihr gleichzeitig Gegenbilder entgegen zu setzen Bilder wie er sie beispiels-weise in den Gemaumllden eines Giovanni Segantini vorgefunden hat oder auch in den Schriften von Nietzsche und Karl Kraus solche Bilder haben ihn in diesen seinen Bemuuml-hungen unterstuumltzt Dallago hat in seinen Essays in seinen Attacken gegen alle Institu-tionen sowohl die staatlichen wie auch die kirchlichen Einrichtungen auf eine Haltung gezielt von der aus fast ohne weiteres eine Bruumlcke zu schlagen waumlre zu jener Position wie man sie in den Uumlberlegungen von Reinhold Messner wieder findet in Gedanken-gaumlngen die das Extrembergsteigen mit Begriffen in Zusammenhang gebracht haben wie Autonomie Selbststaumlndigkeit Unabhaumlngigkeit AnarchieBerg amp Leute Unter diesem Titel ist noch immer vielfach unerforschtes Gelaumlnde zu entdek-ken dieses Buch unterstreicht das mit gehoumlrigem Nachdruck Im Namen der Forschungs-plattform Politik Religion Kunst darf ich allen Mitwirkenden herzlich danken die Beitraumlge zu dem Buch verfasst und dieses Projekt mit groszligem Engagement getragen haben ins-besondere Christina Antenhofer Heidi und Ulrich Leitner sowie Andreas Oberhofer

Innsbruck im Jaumlnner 2013 Johann Holzner Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Universitaumlt Innsbruck

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Der Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode entfaltet seine Forschungstaumltigkeit in enger Auseinandersetzung mit den Schriften von Jacques Ranciegravere Ein wesentlicher Impuls kam von Ranciegravere selbst im Rahmen der Tagung Im Unvernehmen Ein Tag mit Jacques Ranciegravere an der Bergischen Universitaumlt Wuppertal 2009 an der einige Mitglie-der des Clusters teilnahmen Dort plaumldierte Ranciegravere fuumlr eine ethische Verantwortung der Wissenschaft nicht nur was die Themen sondern auch was den Gegenstand der Forschung betrifft und damit das Arbeiten an den raquoRaumlndern der Disziplinenlaquo wie er es nannte an denen die eigentliche Herausforderung interdisziplinaumlren Arbeitens liegt naumlmlich in jenen Grau- und Kontaktzonen die von rigiden disziplinaumlren Einteilungen ausgenommen sind und deshalb selten wissenschaftliche Bearbeitung finden Gerade die systematische Beschaumlftigung mit Fragestellungen die vom akademischen Betrieb mitunter marginalisiert werden erlaubt es das Potential interdisziplinaumlrer Arbeits-gruppen zu schaumlrfen Dieser Aufmerksamkeit entsprechend widmet sich der Cluster Politische Aumlsthetik konsequent der Verbindung von Theorie und Praxis indem die wis-senschaftliche Auseinandersetzung uumlber die gemeinsame Organisation von Tagun-gen Ausstellungen und Projekten erfolgt die sich jeweils solchen Themenbereichen widmen die erst durch eine interdisziplinaumlre Auseinandersetzung erfasst werden koumln-nen Die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt ist ein solcher Themenbereich der im Rahmen des Projektes Berg amp Leute im Sinne Ranciegraveres einer interdisziplinaumlren Betrachtung zugefuumlhrt wurdeEinen zweiten Stimulus den der Cluster Politische Aumlsthetik von Ranciegravere erfaumlhrt ist dessen Bestimmung des Aumlsthetischen Ranciegraveres Uumlberlegungen zufolge handelt es sich bei dem Begriff Aumlsthetik nicht um eine am Prinzip der Schoumlnheit und Kunstfer-tigkeit geschulte Kategorie der Bildenden Kunst Das Aumlsthetische wird vielmehr im Sinne einer raquoAufteilung des Sinnlichenlaquo diskutiert womit der Begriff Aumlsthetik eine explizit politische Konnotation erhaumllt Eine so verstandene politische Umwertung der Aumlsthetik kann mit der Vorstellung einer aumlsthetizistischen Anschauung des Lebens die unter anderem fuumlr Einstellungen der Romantik praumlgend war unmoumlglich zur Deckung gebracht werden Ausgehend von Ranciegraveres Studien zum Unvernehmen sowie zur Auf-teilung des Sinnlichen versucht der Cluster Politische Aumlsthetik die politische Dimension aumlsthetischer Ordnungen daher als historische Konfiguration von sinnlichen Verhaumlltnis-sen zu begreifen die insgesamt regeln wie Wirklichkeit erfahren und der soziale Raum gestaltet werden kann Denn Ranciegravere zufolge ist Kunst

raquoweder politisch aufgrund der Botschaft die sie uumlberbringt noch aufgrund der Art und Weise wie sie soziale Strukturen politische Konflikte oder soziale ethnische oder sexuelle Identitauml-ten darstellt Kunst ist in erster Linie dadurch politisch dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins des Innen- oder Auszligen- Gegenuumlber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden Kunst ist dadurch politisch dass sie einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit aufteiltlaquo (Jacques Ranciegravere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien Berlin 2008 77)

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In diesem Sinne wird Ranciegravere nicht muumlde daran zu erinnern dass das Aumlsthetische wie es in gelaumlufiger Diktion gebraucht wird im Prinzip ein Elitendiskurs ist der sich uumlber Kennerschaft definiert und daruumlber dass diese Kennerschaft bzw die Sensibili-taumlt fuumlr das Schoumlne bestimmten (elitaumlren) Kreisen vorbehalten ist oder diesen zugeteilt wird Die Differenzierung zwischen Hoher Kultur und Populaumlrer Kultur ist eine beson-ders markante Auspraumlgung einer diskursiven Engfuumlhrung des Begriffs Aumlsthetik die implizit zur Exklusion breiter Schichten von der Beteiligung an der Diskussion aumlsthe-tischer Erfahrungen neigt und diese legitimiert Dies geschieht laut Ranciegravere sowohl uumlber den speziellen Diskurs der Kennerschaft der Nicht-Kenner per se bereits uumlber die Sprache ausschlieszligt als auch in einem noch grundlegenderen Sinne infolge der Ver-knappung der Ressource Zeit die fuumlr die Anteilnahme am Aumlsthetischen zur Verfuumlgung steht Denn in dem Maszlige wie ein Groszligteil der Lebenszeit zur Sicherung des Lebens-unterhalts aufgebracht werden muss wird vielen praktisch das Wort entzogen Aber auch Migrant-inn-en oder so genannte Staatenlose werden aus diesem Diskurs aus-geschlossen da ihnen prinzipiell die politische Stimme aberkannt wird Mit Ranciegravere gesprochen kommt es darauf an die politische Qualitaumlt diverser Aumlsthetiken dort zu erkennen und zu verstehen wo sich kuumlnstlerische Formen und Praktiken auf Fragen des Verhaumlltnisses von Oumlffentlichkeit und Privatheit von Zwischenmenschlichkeit und Ausgrenzung oder von Orthodoxie und Haumlresie beziehen lassen um mitunter uner-houmlrten Moumlglichkeiten Gemeinschaft zu erfahren Ausdruck zu verleihenEin besonderes Ziel des Clusters Politische Aumlsthetik besteht infolgedessen darin diskur-sive Grenzen aufzuspuumlren und wo moumlglich zu transformieren oder auch abzutragen ndash Grenzen die etwa den wissenschaftlichen Diskurs vom oumlffentlichen trennen und mit-unter ein Denken im Elfenbeinturm intensivieren Zu diesem Zweck ist der Cluster Poli-tische Aumlsthetik bestrebt Verbindungen von wissenschaftlichem Diskurs Kunst Literatur und Oumlffentlichkeit zu untersuchen aber auch zu erarbeiten Die Arbeit des Forschungs-clusters baut demgemaumlszlig auf vier Grundsaumlulen die sich in die zwei Hauptbereiche For-schung und Vermittlung eingliedern Der Bereich Forschung zum einen greift auf das interdisziplinaumlre Forschungsnetzwerk als Diskussions- und Reflexionsinstanz fuumlr For-schungsprojekte zuruumlck die sich sowohl mit empirischer Grundlagenforschung als auch mit kritischer Theorie- und Methodenreflexion beschaumlftigen Der Bereich der Vermitt-lung wiederum umfasst in der Folge unterschiedliche Aktivitaumlten der Sichtbarmachung der gemeinsamen Forschung in der universitaumlren Lehre wie im oumlffentlichen Raum

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Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

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Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

26 Einleitung

Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

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Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

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kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

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historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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39Einleitung

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Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

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Ich nenne nur zwei Autoren die hier aus meiner Sicht zu allererst zu erwaumlhnen sind Adolf Pichler der eine der bekanntlich auch Naturwissenschaftler ein Experte in den Faumlchern Geologie und Mineralogie gewesen ist immer in den Bergen herumgestiegen und dabei auf jene Ideen gekommen ist die er dann in seinen aumlsthetischen und poli-tischen Schriften in seinen Erzaumlhlungen in seinen Versepen anschaulich vorgetragen hat ein Liberaler der ersten Stunde ndash Pichler hat in der Einsamkeit der Bergwelt in der (damals noch) menschenleeren Natur die er staumlndig aufgesucht hat jene Uumlberlegungen entwickelt die es ihm in der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts ermoumlglicht haben das stockkonservativ-katholische Milieu seiner Heimat mit Gegenpositionen zu konfrontie-ren und sich fuumlr eine ebenso menschen- wie kunstfreundliche Atmosphaumlre einzusetzenDer andere der hier zu nennen waumlre ist Carl Dallago der Anfang des 20 Jahrhunderts mit seinen Schriften vor allem auch in Suumldtirol zunaumlchst fuumlr viel Aufregung gesorgt hat Auch er hat die Welt der Berge aufgesucht um vor jener Gesellschaft die in seinen Augen eine Gesellschaft der Philister und mithin ganz heruntergekommen war zu flie-hen und ihr gleichzeitig Gegenbilder entgegen zu setzen Bilder wie er sie beispiels-weise in den Gemaumllden eines Giovanni Segantini vorgefunden hat oder auch in den Schriften von Nietzsche und Karl Kraus solche Bilder haben ihn in diesen seinen Bemuuml-hungen unterstuumltzt Dallago hat in seinen Essays in seinen Attacken gegen alle Institu-tionen sowohl die staatlichen wie auch die kirchlichen Einrichtungen auf eine Haltung gezielt von der aus fast ohne weiteres eine Bruumlcke zu schlagen waumlre zu jener Position wie man sie in den Uumlberlegungen von Reinhold Messner wieder findet in Gedanken-gaumlngen die das Extrembergsteigen mit Begriffen in Zusammenhang gebracht haben wie Autonomie Selbststaumlndigkeit Unabhaumlngigkeit AnarchieBerg amp Leute Unter diesem Titel ist noch immer vielfach unerforschtes Gelaumlnde zu entdek-ken dieses Buch unterstreicht das mit gehoumlrigem Nachdruck Im Namen der Forschungs-plattform Politik Religion Kunst darf ich allen Mitwirkenden herzlich danken die Beitraumlge zu dem Buch verfasst und dieses Projekt mit groszligem Engagement getragen haben ins-besondere Christina Antenhofer Heidi und Ulrich Leitner sowie Andreas Oberhofer

Innsbruck im Jaumlnner 2013 Johann Holzner Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Universitaumlt Innsbruck

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Der Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode entfaltet seine Forschungstaumltigkeit in enger Auseinandersetzung mit den Schriften von Jacques Ranciegravere Ein wesentlicher Impuls kam von Ranciegravere selbst im Rahmen der Tagung Im Unvernehmen Ein Tag mit Jacques Ranciegravere an der Bergischen Universitaumlt Wuppertal 2009 an der einige Mitglie-der des Clusters teilnahmen Dort plaumldierte Ranciegravere fuumlr eine ethische Verantwortung der Wissenschaft nicht nur was die Themen sondern auch was den Gegenstand der Forschung betrifft und damit das Arbeiten an den raquoRaumlndern der Disziplinenlaquo wie er es nannte an denen die eigentliche Herausforderung interdisziplinaumlren Arbeitens liegt naumlmlich in jenen Grau- und Kontaktzonen die von rigiden disziplinaumlren Einteilungen ausgenommen sind und deshalb selten wissenschaftliche Bearbeitung finden Gerade die systematische Beschaumlftigung mit Fragestellungen die vom akademischen Betrieb mitunter marginalisiert werden erlaubt es das Potential interdisziplinaumlrer Arbeits-gruppen zu schaumlrfen Dieser Aufmerksamkeit entsprechend widmet sich der Cluster Politische Aumlsthetik konsequent der Verbindung von Theorie und Praxis indem die wis-senschaftliche Auseinandersetzung uumlber die gemeinsame Organisation von Tagun-gen Ausstellungen und Projekten erfolgt die sich jeweils solchen Themenbereichen widmen die erst durch eine interdisziplinaumlre Auseinandersetzung erfasst werden koumln-nen Die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt ist ein solcher Themenbereich der im Rahmen des Projektes Berg amp Leute im Sinne Ranciegraveres einer interdisziplinaumlren Betrachtung zugefuumlhrt wurdeEinen zweiten Stimulus den der Cluster Politische Aumlsthetik von Ranciegravere erfaumlhrt ist dessen Bestimmung des Aumlsthetischen Ranciegraveres Uumlberlegungen zufolge handelt es sich bei dem Begriff Aumlsthetik nicht um eine am Prinzip der Schoumlnheit und Kunstfer-tigkeit geschulte Kategorie der Bildenden Kunst Das Aumlsthetische wird vielmehr im Sinne einer raquoAufteilung des Sinnlichenlaquo diskutiert womit der Begriff Aumlsthetik eine explizit politische Konnotation erhaumllt Eine so verstandene politische Umwertung der Aumlsthetik kann mit der Vorstellung einer aumlsthetizistischen Anschauung des Lebens die unter anderem fuumlr Einstellungen der Romantik praumlgend war unmoumlglich zur Deckung gebracht werden Ausgehend von Ranciegraveres Studien zum Unvernehmen sowie zur Auf-teilung des Sinnlichen versucht der Cluster Politische Aumlsthetik die politische Dimension aumlsthetischer Ordnungen daher als historische Konfiguration von sinnlichen Verhaumlltnis-sen zu begreifen die insgesamt regeln wie Wirklichkeit erfahren und der soziale Raum gestaltet werden kann Denn Ranciegravere zufolge ist Kunst

raquoweder politisch aufgrund der Botschaft die sie uumlberbringt noch aufgrund der Art und Weise wie sie soziale Strukturen politische Konflikte oder soziale ethnische oder sexuelle Identitauml-ten darstellt Kunst ist in erster Linie dadurch politisch dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins des Innen- oder Auszligen- Gegenuumlber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden Kunst ist dadurch politisch dass sie einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit aufteiltlaquo (Jacques Ranciegravere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien Berlin 2008 77)

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In diesem Sinne wird Ranciegravere nicht muumlde daran zu erinnern dass das Aumlsthetische wie es in gelaumlufiger Diktion gebraucht wird im Prinzip ein Elitendiskurs ist der sich uumlber Kennerschaft definiert und daruumlber dass diese Kennerschaft bzw die Sensibili-taumlt fuumlr das Schoumlne bestimmten (elitaumlren) Kreisen vorbehalten ist oder diesen zugeteilt wird Die Differenzierung zwischen Hoher Kultur und Populaumlrer Kultur ist eine beson-ders markante Auspraumlgung einer diskursiven Engfuumlhrung des Begriffs Aumlsthetik die implizit zur Exklusion breiter Schichten von der Beteiligung an der Diskussion aumlsthe-tischer Erfahrungen neigt und diese legitimiert Dies geschieht laut Ranciegravere sowohl uumlber den speziellen Diskurs der Kennerschaft der Nicht-Kenner per se bereits uumlber die Sprache ausschlieszligt als auch in einem noch grundlegenderen Sinne infolge der Ver-knappung der Ressource Zeit die fuumlr die Anteilnahme am Aumlsthetischen zur Verfuumlgung steht Denn in dem Maszlige wie ein Groszligteil der Lebenszeit zur Sicherung des Lebens-unterhalts aufgebracht werden muss wird vielen praktisch das Wort entzogen Aber auch Migrant-inn-en oder so genannte Staatenlose werden aus diesem Diskurs aus-geschlossen da ihnen prinzipiell die politische Stimme aberkannt wird Mit Ranciegravere gesprochen kommt es darauf an die politische Qualitaumlt diverser Aumlsthetiken dort zu erkennen und zu verstehen wo sich kuumlnstlerische Formen und Praktiken auf Fragen des Verhaumlltnisses von Oumlffentlichkeit und Privatheit von Zwischenmenschlichkeit und Ausgrenzung oder von Orthodoxie und Haumlresie beziehen lassen um mitunter uner-houmlrten Moumlglichkeiten Gemeinschaft zu erfahren Ausdruck zu verleihenEin besonderes Ziel des Clusters Politische Aumlsthetik besteht infolgedessen darin diskur-sive Grenzen aufzuspuumlren und wo moumlglich zu transformieren oder auch abzutragen ndash Grenzen die etwa den wissenschaftlichen Diskurs vom oumlffentlichen trennen und mit-unter ein Denken im Elfenbeinturm intensivieren Zu diesem Zweck ist der Cluster Poli-tische Aumlsthetik bestrebt Verbindungen von wissenschaftlichem Diskurs Kunst Literatur und Oumlffentlichkeit zu untersuchen aber auch zu erarbeiten Die Arbeit des Forschungs-clusters baut demgemaumlszlig auf vier Grundsaumlulen die sich in die zwei Hauptbereiche For-schung und Vermittlung eingliedern Der Bereich Forschung zum einen greift auf das interdisziplinaumlre Forschungsnetzwerk als Diskussions- und Reflexionsinstanz fuumlr For-schungsprojekte zuruumlck die sich sowohl mit empirischer Grundlagenforschung als auch mit kritischer Theorie- und Methodenreflexion beschaumlftigen Der Bereich der Vermitt-lung wiederum umfasst in der Folge unterschiedliche Aktivitaumlten der Sichtbarmachung der gemeinsamen Forschung in der universitaumlren Lehre wie im oumlffentlichen Raum

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Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

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Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

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risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

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Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

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sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

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Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

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kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

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Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

14

Der Cluster Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode entfaltet seine Forschungstaumltigkeit in enger Auseinandersetzung mit den Schriften von Jacques Ranciegravere Ein wesentlicher Impuls kam von Ranciegravere selbst im Rahmen der Tagung Im Unvernehmen Ein Tag mit Jacques Ranciegravere an der Bergischen Universitaumlt Wuppertal 2009 an der einige Mitglie-der des Clusters teilnahmen Dort plaumldierte Ranciegravere fuumlr eine ethische Verantwortung der Wissenschaft nicht nur was die Themen sondern auch was den Gegenstand der Forschung betrifft und damit das Arbeiten an den raquoRaumlndern der Disziplinenlaquo wie er es nannte an denen die eigentliche Herausforderung interdisziplinaumlren Arbeitens liegt naumlmlich in jenen Grau- und Kontaktzonen die von rigiden disziplinaumlren Einteilungen ausgenommen sind und deshalb selten wissenschaftliche Bearbeitung finden Gerade die systematische Beschaumlftigung mit Fragestellungen die vom akademischen Betrieb mitunter marginalisiert werden erlaubt es das Potential interdisziplinaumlrer Arbeits-gruppen zu schaumlrfen Dieser Aufmerksamkeit entsprechend widmet sich der Cluster Politische Aumlsthetik konsequent der Verbindung von Theorie und Praxis indem die wis-senschaftliche Auseinandersetzung uumlber die gemeinsame Organisation von Tagun-gen Ausstellungen und Projekten erfolgt die sich jeweils solchen Themenbereichen widmen die erst durch eine interdisziplinaumlre Auseinandersetzung erfasst werden koumln-nen Die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt ist ein solcher Themenbereich der im Rahmen des Projektes Berg amp Leute im Sinne Ranciegraveres einer interdisziplinaumlren Betrachtung zugefuumlhrt wurdeEinen zweiten Stimulus den der Cluster Politische Aumlsthetik von Ranciegravere erfaumlhrt ist dessen Bestimmung des Aumlsthetischen Ranciegraveres Uumlberlegungen zufolge handelt es sich bei dem Begriff Aumlsthetik nicht um eine am Prinzip der Schoumlnheit und Kunstfer-tigkeit geschulte Kategorie der Bildenden Kunst Das Aumlsthetische wird vielmehr im Sinne einer raquoAufteilung des Sinnlichenlaquo diskutiert womit der Begriff Aumlsthetik eine explizit politische Konnotation erhaumllt Eine so verstandene politische Umwertung der Aumlsthetik kann mit der Vorstellung einer aumlsthetizistischen Anschauung des Lebens die unter anderem fuumlr Einstellungen der Romantik praumlgend war unmoumlglich zur Deckung gebracht werden Ausgehend von Ranciegraveres Studien zum Unvernehmen sowie zur Auf-teilung des Sinnlichen versucht der Cluster Politische Aumlsthetik die politische Dimension aumlsthetischer Ordnungen daher als historische Konfiguration von sinnlichen Verhaumlltnis-sen zu begreifen die insgesamt regeln wie Wirklichkeit erfahren und der soziale Raum gestaltet werden kann Denn Ranciegravere zufolge ist Kunst

raquoweder politisch aufgrund der Botschaft die sie uumlberbringt noch aufgrund der Art und Weise wie sie soziale Strukturen politische Konflikte oder soziale ethnische oder sexuelle Identitauml-ten darstellt Kunst ist in erster Linie dadurch politisch dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins des Innen- oder Auszligen- Gegenuumlber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden Kunst ist dadurch politisch dass sie einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit aufteiltlaquo (Jacques Ranciegravere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien Berlin 2008 77)

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In diesem Sinne wird Ranciegravere nicht muumlde daran zu erinnern dass das Aumlsthetische wie es in gelaumlufiger Diktion gebraucht wird im Prinzip ein Elitendiskurs ist der sich uumlber Kennerschaft definiert und daruumlber dass diese Kennerschaft bzw die Sensibili-taumlt fuumlr das Schoumlne bestimmten (elitaumlren) Kreisen vorbehalten ist oder diesen zugeteilt wird Die Differenzierung zwischen Hoher Kultur und Populaumlrer Kultur ist eine beson-ders markante Auspraumlgung einer diskursiven Engfuumlhrung des Begriffs Aumlsthetik die implizit zur Exklusion breiter Schichten von der Beteiligung an der Diskussion aumlsthe-tischer Erfahrungen neigt und diese legitimiert Dies geschieht laut Ranciegravere sowohl uumlber den speziellen Diskurs der Kennerschaft der Nicht-Kenner per se bereits uumlber die Sprache ausschlieszligt als auch in einem noch grundlegenderen Sinne infolge der Ver-knappung der Ressource Zeit die fuumlr die Anteilnahme am Aumlsthetischen zur Verfuumlgung steht Denn in dem Maszlige wie ein Groszligteil der Lebenszeit zur Sicherung des Lebens-unterhalts aufgebracht werden muss wird vielen praktisch das Wort entzogen Aber auch Migrant-inn-en oder so genannte Staatenlose werden aus diesem Diskurs aus-geschlossen da ihnen prinzipiell die politische Stimme aberkannt wird Mit Ranciegravere gesprochen kommt es darauf an die politische Qualitaumlt diverser Aumlsthetiken dort zu erkennen und zu verstehen wo sich kuumlnstlerische Formen und Praktiken auf Fragen des Verhaumlltnisses von Oumlffentlichkeit und Privatheit von Zwischenmenschlichkeit und Ausgrenzung oder von Orthodoxie und Haumlresie beziehen lassen um mitunter uner-houmlrten Moumlglichkeiten Gemeinschaft zu erfahren Ausdruck zu verleihenEin besonderes Ziel des Clusters Politische Aumlsthetik besteht infolgedessen darin diskur-sive Grenzen aufzuspuumlren und wo moumlglich zu transformieren oder auch abzutragen ndash Grenzen die etwa den wissenschaftlichen Diskurs vom oumlffentlichen trennen und mit-unter ein Denken im Elfenbeinturm intensivieren Zu diesem Zweck ist der Cluster Poli-tische Aumlsthetik bestrebt Verbindungen von wissenschaftlichem Diskurs Kunst Literatur und Oumlffentlichkeit zu untersuchen aber auch zu erarbeiten Die Arbeit des Forschungs-clusters baut demgemaumlszlig auf vier Grundsaumlulen die sich in die zwei Hauptbereiche For-schung und Vermittlung eingliedern Der Bereich Forschung zum einen greift auf das interdisziplinaumlre Forschungsnetzwerk als Diskussions- und Reflexionsinstanz fuumlr For-schungsprojekte zuruumlck die sich sowohl mit empirischer Grundlagenforschung als auch mit kritischer Theorie- und Methodenreflexion beschaumlftigen Der Bereich der Vermitt-lung wiederum umfasst in der Folge unterschiedliche Aktivitaumlten der Sichtbarmachung der gemeinsamen Forschung in der universitaumlren Lehre wie im oumlffentlichen Raum

16

Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

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Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

26 Einleitung

Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

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Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

15

In diesem Sinne wird Ranciegravere nicht muumlde daran zu erinnern dass das Aumlsthetische wie es in gelaumlufiger Diktion gebraucht wird im Prinzip ein Elitendiskurs ist der sich uumlber Kennerschaft definiert und daruumlber dass diese Kennerschaft bzw die Sensibili-taumlt fuumlr das Schoumlne bestimmten (elitaumlren) Kreisen vorbehalten ist oder diesen zugeteilt wird Die Differenzierung zwischen Hoher Kultur und Populaumlrer Kultur ist eine beson-ders markante Auspraumlgung einer diskursiven Engfuumlhrung des Begriffs Aumlsthetik die implizit zur Exklusion breiter Schichten von der Beteiligung an der Diskussion aumlsthe-tischer Erfahrungen neigt und diese legitimiert Dies geschieht laut Ranciegravere sowohl uumlber den speziellen Diskurs der Kennerschaft der Nicht-Kenner per se bereits uumlber die Sprache ausschlieszligt als auch in einem noch grundlegenderen Sinne infolge der Ver-knappung der Ressource Zeit die fuumlr die Anteilnahme am Aumlsthetischen zur Verfuumlgung steht Denn in dem Maszlige wie ein Groszligteil der Lebenszeit zur Sicherung des Lebens-unterhalts aufgebracht werden muss wird vielen praktisch das Wort entzogen Aber auch Migrant-inn-en oder so genannte Staatenlose werden aus diesem Diskurs aus-geschlossen da ihnen prinzipiell die politische Stimme aberkannt wird Mit Ranciegravere gesprochen kommt es darauf an die politische Qualitaumlt diverser Aumlsthetiken dort zu erkennen und zu verstehen wo sich kuumlnstlerische Formen und Praktiken auf Fragen des Verhaumlltnisses von Oumlffentlichkeit und Privatheit von Zwischenmenschlichkeit und Ausgrenzung oder von Orthodoxie und Haumlresie beziehen lassen um mitunter uner-houmlrten Moumlglichkeiten Gemeinschaft zu erfahren Ausdruck zu verleihenEin besonderes Ziel des Clusters Politische Aumlsthetik besteht infolgedessen darin diskur-sive Grenzen aufzuspuumlren und wo moumlglich zu transformieren oder auch abzutragen ndash Grenzen die etwa den wissenschaftlichen Diskurs vom oumlffentlichen trennen und mit-unter ein Denken im Elfenbeinturm intensivieren Zu diesem Zweck ist der Cluster Poli-tische Aumlsthetik bestrebt Verbindungen von wissenschaftlichem Diskurs Kunst Literatur und Oumlffentlichkeit zu untersuchen aber auch zu erarbeiten Die Arbeit des Forschungs-clusters baut demgemaumlszlig auf vier Grundsaumlulen die sich in die zwei Hauptbereiche For-schung und Vermittlung eingliedern Der Bereich Forschung zum einen greift auf das interdisziplinaumlre Forschungsnetzwerk als Diskussions- und Reflexionsinstanz fuumlr For-schungsprojekte zuruumlck die sich sowohl mit empirischer Grundlagenforschung als auch mit kritischer Theorie- und Methodenreflexion beschaumlftigen Der Bereich der Vermitt-lung wiederum umfasst in der Folge unterschiedliche Aktivitaumlten der Sichtbarmachung der gemeinsamen Forschung in der universitaumlren Lehre wie im oumlffentlichen Raum

16

Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

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Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

26 Einleitung

Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

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sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

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Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

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kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

16

Abb 1 Die Grundsaumlulen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode

Die Themenkomplexe mit denen sich die Mitarbeiter-innen des Clusters Politische Aumlsthetik aktuell auseinandersetzen beschaumlftigen sich mit Fragen der globalen und loka-len Identitaumltsbildung mit Geschlecht als diskursiver Praxis aktuellen Resignifikationen des oumlffentlichen Raumes mit Fetisch- und Primitivismusdiskursen Dynamiken der poli-tischen Subjektivierung unter prekaumlren Bedingungen dem Verhaumlltnis von Menschen-rechten Islam und Internationalem Recht mit der akademischen Fachdidaktik der Rele-vanz der Politischen Bildung sowie mit der Imperiumsdebatte Die Themen werden bewusst sowohl von wissenschaftlicher wie von der Perspektive der bildenden Kunst aus betrachtet indem Kuumlnstler-innen Literat-innen und Wissenschaftler-innen sich in Projekten und Gespraumlchen gemeinsamen Podiumsdiskussionen Workshops und Publi-kationen zusammenfinden Uumlber die Einbindung bekannter Figuren aus dem oumlffentli-chen Leben und infolge von Kooperationen mit Galerien und Museen versucht der Clu-ster zudem die Grenzen zwischen heterogenen Raumlumen und Institutionen zu durch-queren und neue Sensibilitaumlten anzuregen

17

Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

26 Einleitung

Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

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sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

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Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

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kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

17

Das Forschungsfeld rund um die Beziehung zwischen Landschaft und Identitaumlt dem sich das Projekt Berg amp Leute widmete und dessen Ergebnisse in diesem Band vorgelegt werden beruumlhrt die genannten Themen nicht nur verschiedentlich sondern fuumlhrt sie vielmehr zusammen und fuumlllt damit ndash ganz im Sinne Ranciegraveres ndash eine Schnittstelle die ein gemeinsames Denken an den Raumlndern der Disziplinen moumlglich macht

Die Sprecher-innen des Clusters

Christina AntenhoferInstitut fuumlr Geschichtswissenschaften und Europaumlische Ethnologie

Universitaumlt Innsbruck

Ulrich LeitnerInstitut fuumlr Erziehungswissenschaften

Universitaumlt Innsbruck

Andreas OberprantacherInstitut fuumlr Philosophie

Universitaumlt Innsbruck

Kordula SchneggInstitut fuumlr Alte Geschichte und Altorientalistik

Universitaumlt Innsbruck

18 Einleitung

19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

26 Einleitung

Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

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sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

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Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

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kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

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historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

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risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

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der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

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Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

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Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

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Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

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zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

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nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

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und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

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wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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39Einleitung

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19Einleitung

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

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risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

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der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

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Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

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Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

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Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

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zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

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nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

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und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

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wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

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Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

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kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

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Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

20 Einleitung

Wenn der Bauer Michael Klammer in einem Kaufbrief von 1710 raquoein Partial [hellip] Klammerische[s] Paurecht in Weiszligenbach Landgericht Taufers liegendlaquo seinem raquoEidam und eheleiblichen Tochter Blasien Grueber und Ursula Clammerinlaquo uumlber-traumlgt raquound zu de[m] clammerischen Baurecht daselbst in Weiszligenbach gehoumlrigen Zuehaus durchau[s] die Haumllfte samt den hilgen Soumllder mit der Zugehoumlrung wie auch ein Stuumlck Feldlaquo erhaumllt die heutige Leserschaft einen Einblick in die Art und Weise wie in diesem historischen Rechtsdokument Landschaft erfasst wird Es heiszligt

raquo[V]on solich beschriebenen Zuhaus an hinabwaumlrts bis auf die andere lange Mauer gegen Tal Weiszligenbach hinein bis zum Pflanzgartenzaun und vom selbigen Zaun an bis zum Kirchweg unter den Kirchweg bis auf ein groszligen Lagerstein allwoselbsten ein Kreuz eingehauen von solchen Lagerstein hinab bis auf die obgemelte andere lange Mauer im uumlbrigen soliches verkauftes Stuumlck mit Zaun und Mauern eingefangen mit aller Zuegehoumlr und Gerechtigkeit Landgerichte Taufers liegendlaquo (Kaufbrief 1710 Pri-vatarchiv des Klammerhofes in WeiszligenbachSuumldtirol)1

Findet der heutige Klammerbauer sein Eigentum in geografisch genau vermes-senen Parzellen versehen mit deren Nutzungsrechten sowie den darauf befind-lichen baulichen Anlagen auf seinem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Grundbuch erfasste sein Oheim das Klammerische Eigentum und seine Grenzen uumlber signifikante Landschaftsmerkmale Das genaue Vermessen fand im Zuge des Theresianischen Katasters seinen Ausdruck Mit einem Patent Maria Theresias von 1770 bekam auch der Versuch Kontur gegen die Zersplitterung einer Hofstelle vorzugehen der bis heute in Form des so genannten geschlos-senen Hofes ein signifikantes Merkmal des baumluerlichen Besitzes in Tirol darstellt (Schennach 2003 8) Die Veraumlnderung der rechtlichen Erfassung einer Land-schaft ist durch Rechtsdokumente wie dem oben zitierten in einer diachronen Perspektive gut nachvollziehbar Sie geben Auskunft uumlber die Beziehung zwi-schen Mensch und raumlumlichen Denkmustern und demonstrieren anschaulich dass die Beziehung zwischen Berg amp Leuten sozialen Bedingungen unterworfen ist die unterschiedliche Formen annehmen koumlnnen Die oben eingefuumlhrte histo-rische Rechtsquelle praumlsentiert Landschaft somit als eine sozial bedingte Raum-kategorie

EinleitungUlrich Leitner

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

26 Einleitung

Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

21Einleitung

Landschaft als soziale KategorieLandschaft gewinnt seit der Wiederentdeckung des Raumes in den spaumlten 1980er Jahren zusehends Beachtung als historische Kategorie nachdem raumlumliche Denkmuster in der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Raumobsession gegenuumlber zeitlich orientierter Auseinandersetzungen in den Hintergrund ruumlckten Oft ist sogar von einer raumlumlichen Wende dem so genannten spatial turn zu lesen Als Forcierer der neuen Raumorientierung kann der deutsche Historiker Karl Schloumlgel angesehen werden der zu Beginn seines viel zitierten Buches Im Raume lesen wir die Zeit feststellte dass ein angemessenes Bild von der Welt nur gewonnen werden koumlnne raquowenn wir beginnen Raum Zeit und Handlung wieder zusammen-zudenkenlaquo (Schloumlgel 2003 24)Besonders scharf kritisierte dem gegenuumlber der Geograf Gerhard Hard die Wie-derentdeckung der Raumkategorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften raquoDie Literatur des spatial turnlaquo so stellte er fest raquobietet eindrucksvolle Zeugnisse fuumlr einen Unmittelbarkeits- und Wirklichkeitshunger der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird Raumabstraktionen werden zu Garanten fuumlr einen unmit-telbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeitlaquo Landschaft oder landschaftlich konstruierter Raum so fasst Hard zusammen werde als eine raquounmittelbar-anschaulich gegebene und unmittelbar-anschaulich erfassbare konkrete Totalitaumlt [hellipdemonstriert] als rsaquokomplexe Ganzheitlsaquo und als der rsaquoSchluumlssellsaquo zur rsaquohistoire totalelsaquolaquo (Hard 2008 281) Konkrete Totalitaumlten in Form eines Regionalbewusst-seins regionaler Identitaumlt regionalem Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl oder einer Heimat einem Vaterland seien Bestandteile sozialer Kommunikation und lieszligen sich nicht mit Raumabstraktionen lokal fixieren Deshalb schlug Hard vor nicht Bewusst-seinsinhalte zu erheben und diese in physikalischen Raumlumen zu verorten sondern zu beobachten raquowo soziale Kommunikation welche Raumsymbole enthaumllt und diese Bestandteile sozialer Kommunikation im sozialen und im semantischen Raum [zu] verortenlaquo (Hard 2002 [1987] 324) Es geht Hard um die Frage welche emo-tional besetzten und emotional besetzbaren Raumabstraktionen ndash von den Land-schaften uumlber Regionen und Heimaten zu den Nationen und Imperien ndash von welchen Kommunikationssystemen in welchen Medien und Sprachen fuumlr welches Publikum mit welchen Funktionen welchen Absichten und welchen Effekten pro-duziert werdenSchloumlgel auf der einen Hard auf der anderen Seite lassen sich als zwei Pole einer Debatte begreifen die um das Bestreben kreist die Beziehung zwischen sozialen Gegebenheiten und raumlumlichen Denkmustern zu erfassen Waumlhrend Schloumlgel der Meinung ist dass sich Soziales auf die psychische wie physisch-materielle Welt bezieht meint Hard dagegen dass es hauptsaumlchlich darum geht die soziale Kon-struktion der hinter sozialen Ausformungen stehenden Raumabstraktionen zu erforschen In dieser Spanne wird das weite Feld sichtbar in dem sich Studien zur Raum- und Landschaftstheorie rund um die Frage der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft bewegen Dieses weite Feld wird im Folgenden exempla-

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

26 Einleitung

Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

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nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

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wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

22 Einleitung

risch auf vier haumlufig genannte Dimensionen der Interaktion zwischen Mensch und Landschaft zugespitzt die kognitive die emotionale die aumlsthetische und die koumlr-perlich-physische Dimension

Beziehung zwischen Mensch und LandschaftWie der eingangs zitierte neuzeitliche Kaufbrief demonstriert kann Landschaft uumlber die Regelung von Eigentumsverhaumlltnissen kognitiv erfasst werden Dieser rechtshistorische Zugang zur kognitiven Dimension der Interaktion zwischen Indi-viduen und ihrer Umgebung kann durch naturwissenschaftliche Methoden der Biologie Oumlkologie Geologie und Geografie ergaumlnzt werden die versuchen Land-schaft kognitiv fassbar zu machen wenn beispielsweise ein Berg in Houmlhenschich-tenlinien in Laumlngen- und Breitengraden eingeteilt wird wenn mit dem Mikroskop ein besonders fruchtbarer Boden oder das Vorkommen besonderer Lebewesen oder Gesteinsarten nachgewiesen wird oder wenn Naturphaumlnomene fuumlr den Men-schen als nutzbringend oder gefaumlhrlich eingestuft werden (hierzu Unterwurzacher in diesem Band) Neben diesem Expertenwissen spielt auch die alltagsweltliche Raumerfassung fuumlr die kognitive Beziehung zwischen Mensch und Landschaft eine Rolle die sich beispielsweise uumlber das durch Literatur und Kunst tradierte Wissen oder uumlber die Sprache aumluszligert (hierzu Posch in diesem Band) Besonders markante Landschaftselemente wie der Berg bringen weiters Kuumlnstler-innen dazu sich in gewisser Weise auszudruumlcken in dem sie von ihm aufgefordert werden an der Landschaft teilzunehmen (siehe hierzu Dematteacute in diesem Band)Das Kognitive ist eng verknuumlpft mit weiteren Dimensionen der Verbindung zwi-schen Mensch und Landschaft So etwa mit der emotionalen Ebene wie dies die zwischen der Landschaft und ihrer Bevoumllkerung gespannten Flurnamennetze deutlich zeigen (hierzu Antenhofer und Goumltsch in diesem Band) Emotionen sind kein leicht zu erfassendes Phaumlnomen Christine Meier und Annemarie Bucher (2010) haben in einer empirischen Fallstudie versucht Gefuumlhle und Empfindungen in Verbindung mit konkreten landschaftlichen Elementen in der schweizerischen Gemeinde Glarus Suumld zu analysieren Damit spuumlrten sie Verknuumlpfungen zwischen physisch definierten geografischen Realitaumlten und Vorstellungslandschaften der Bevoumllkerung nach Die Autorinnen heben vor allem die emotionalen Bindestruk-turen zur Landschaft hervor und betonen die Berge und die Alpen als wichtigste Elemente der emotionalen Identifikation mit der Landschaft in ihrem Fallbeispiel raquoIn der ganzen Gefuumlhlspalette welche die Befragten ihrer Landschaft entgegen-bringenlaquo so halten sie fest raquowurden Vertrautheit Heimatgefuumlhl Geborgenheit Gemeinschaft Tradition Gewohnheit und Verbundenheit am haumlufigsten genannt Diese Gefuumlhle lassen sich unter rsaquoIdentifikationlsaquo zusammenfassen und stellen das wichtigste emotionale Wirkungsfeld der Landschaft in Glarus Suumld darlaquo (MeierBucherHagenbuch 2010 221) Zu einem aumlhnlichen Ergebnis kam eine Studie der Oumlsterreichischen Bundesforste (2012) Fuumlr Tirol gaben hundert Prozent der Befragten an dass Berge wichtig fuumlr die Identitaumlt Oumlsterreichs seien Die Tragweite

23Einleitung

der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

26 Einleitung

Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

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belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

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sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

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Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

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kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

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der emotionalen Dimension reicht von der Naturliebe der Verbindung sozialer Netzwerke die Traditionen und Braumluche praktizieren bis hin zur Heimatliebe wie die Studien zeigenIn der emotionalen Dimension praumlsentiert sich die Landschaft offenkundig als Kate-gorie des Sozialen Das heiszligt dass individuelle Gemuumltsregungen mit der Materie und ebenso mit politischen Normen zu tun haben Der franzoumlsische Ethnologe Claude Leacutevi Strauss bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt wenn er schreibt raquo[J]eder Mensch empfindet in Funktion der Art und Weise in der es ihm erlaubt oder verboten ist sich zu verhalten Die Braumluche sind als aumluszligere Normen gegeben ehe sie Gefuumlhle entstehen lassen und diese fuumlhllosen Normen bestimmen die indi-viduellen Gefuumlhle und auch die Umstaumlnde unter denen sie sich bekunden koumlnnen oder muumlssenlaquo (Leacutevi Strauss 1965 92 f) Politische Faktoren rund um die Deutungs-hoheit in einem bestimmten Gebiet wie sie fuumlr die Ausbildung regionaler Identitaumlt von Bedeutung ist spielen beim emotionalen Landschaftsempfinden eine groszlige Rolle Das zeigt sich besonders dann wenn es um die Frage geht was in einer gewissen Zeit als aumlsthetisch empfunden wird beziehungsweise werden darf und was nicht Das emotionale Befinden das etwa Wandernde beim Anblick des Berg-panoramas Goumlttliches spuumlren laumlsst (siehe hierzu Kasslatter Mur in diesem Band) ist eng mit der politischen Aumlsthetik des Raumes sowie der Bedeutung der Land-schaft als Bildwerk verbunden (Peskoller und Seidl in diesem Band)Dieser Gedanke fuumlhrt uumlber zur aumlsthetischen Dimension der Landschaftswahr-nehmung In einer sehr bekannten Auseinandersetzung mit Landschaft verglich der Philosoph Georg Simmel die aumlsthetische Landschaftswahrnehmung mit dem Bildschaffen eines Kuumlnstlers

raquo[D]aszlig er aus der chaotischen Stroumlmung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stuumlck herausgrenzt es als eine Einheit faszligt und formt die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Faumlden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zuruumlckgeknuumlpft hat ndash eben dies tun wir in niederem weniger prinzipiel-lem Maszlige in fragmentarischer grenzunsicherer Art sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine rsaquoLandschaftlsaquo schauenlaquo (Simmel 1957 [1913]) 144)

Die Schauenden schaffen damit raquoein Kunstwerk in statu nascendilaquo (ebd 147) das Landschaft als eine Einheit begreifen laumlsst die von einer Stimmung getragen werde Das zeigt das Ineinandergreifen verschiedener Dimensionen der Landschaftswahr-nehmung deutlich auf wie Simmel betont raquoGerade wo uns wie der Landschaft gegenuumlber die Einheit des natuumlrlichen Daseins in sich einzuweben strebt erweist sich die Zerreiszligung in ein schauendes und ein fuumlhlendes Ich als doppelt irriglaquo (Ebd 152)Die aumlsthetische Dimension haumlngt dabei nicht nur mit der kognitiven und der emotionalen Dimension zusammen vielmehr sind diese nicht moumlglich ohne die Physis die ihrerseits von der Landschaft zum Handeln gebracht wird (siehe

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Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

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Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

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Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

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zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

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nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

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und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

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wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

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Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

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belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

24 Einleitung

Messner und Peskoller in diesem Band) Zur physischen Landschaftswahr-nehmung ndash oder besser zur Beziehung zwischen der Landschaft und dem Koumlrper ndash gehoumlren vielfaumlltige koumlrperliche Aktivitaumlten und Praktiken vom Tragen und Gehen bei der Heumahd der Bergbauern uumlber das touristische Wandern in der Berglandschaft der Dolomiten bis hin zum Extremklettern im Himalaya-Gebirge Landschaft kann aber auch durch Geraumlusche und Toumlne mit dem Menschen inter-agieren die Klanglandschaften entstehen lassen (siehe Kerer in diesem Band) Bei all diesen Taumltigkeiten ist ein Koumlrpergedaumlchtnis wichtig wo ein ausgepraumlgter Bewegungssinn und ein Koumlrperwissen sich vereinen Es ist dies raquoder Ort wo alle Vorgaumlnge wie Beruumlhrung Bewegung Empfindung Fuumlhlung und Wahr-nehmung sich versammeln anlagern und befestigen Um aber dann in die mate-rielle Struktur des Koumlrpers einzusinkenlaquo (Peskoller 2007)

Wie es zum Band kamDie oben vorgestellten vier Dimensionen der Landschaftswahrnehmung veran-schaulichen exemplarisch wie eng die Welt der Materie mit dem Menschen und historischen wie sozial-politischen Diskursen verwoben ist Der vorliegende Band versucht sich den vielschichtigen Argumentationslinien der oben angeris-senen Dimensionen rund um die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zu naumlhern indem er seinen Fokus auf das Verhaumlltnis zwischen der Landschaft und der menschlichen Identitaumltsstruktur legt und der konkreten Frage nachgeht Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiftenDen Anstoszlig zu dieser Auseinandersetzung mit Landschaft als sozialer Kategorie bot die Sektion The Identity of the Tyrol A Borderland of Mountains Valleys and Passes bei der American Historical Association (AHA) Conference 2010 in San Diego bestehend aus Historikerinnen und Historikern der Universitaumlt Innsbruck und der Univer-sitaumlt von Alberta Aufbauend auf den in San Diego angeregten Uumlberlegungen wurde im Rahmen des Forschungsclusters Politische Aumlsthetik Theorie amp Methode der interdisziplinaumlren Forschungsplattform Politik Religion Kunst Plattform fuumlr Konflikt- und Kommunikationsforschung (PRK)2 der Universitaumlt Innsbruck ein interdiszipli-naumlres Forschungsnetzwerk bestehend aus Forscherinnen und Forschern aus Inns-bruck Wien und Bozen und Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstlern aus Suumldtirol Oumlsterreich und Australien angeregt mit dem Ziel geistes- sozial- und naturwissenschaftliche wie kuumlnstlerische Zugaumlnge zur Beziehung zwischen der Tiroler Landschaft und den dort lebenden Menschen zu diskutieren und die Ergebnisse fuumlr die breitere Oumlffentlichkeit zugaumlnglich zu machenEin Forschungsnetzwerktreffen der Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen sowie die Organisation einer Kunstausstellung wurden zum Austausch genutzt Als Veranstaltungsort diente das 2011 eroumlffnete Messner Mountain Museum MMM Ripa auf Schloss Bruneck (BZ) das dem Thema Bergvoumllker gewidmet ist Das Treffen wie die Ausstellung wurden in Kooperation mit der Stadtgemeinde

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

26 Einleitung

Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

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sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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39Einleitung

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Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

25Einleitung

Bruneck dem Stadtmarketing Bruneck und dem Museum geplant Das Treffen der Wissenschafter-innen auf dem Schloss wurde mit der Vernissage der Aus-stellung Berg amp Leute der Bildhauerin Heidi Leitner am 30 Mai 2012 verknuumlpft und beide Veranstaltungen mit einer oumlffentlichen Podiumsdiskussion ergaumlnzt Im Gespraumlch mit dem Journalisten und Moderator des Rai Senders Bozen Eberhard Daum diskutierten Schlossherr und Extrembergsteiger Reinhold Messner Suumld-tirols Kulturlandesraumltin Sabina Kasslatter Mur mit den Wissenschaftler-inne-n Helga Peskoller Christina Antenhofer und Roland Steinacher uumlber die Frage ob Landschaft eine Identitaumlt haben und stiften kann Die Standpunkte der genannten Wissenschaftler-innen und das Transkript der Podiumsdiskussion werfen ganz unterschiedliche Blicke auf das Forschungsthema Sie gelten dem vorliegenden Band als Positionspapiere da die jeweiligen Sichtweisen den beim Forschungsnetzwerk-treffen gefuumlhrten Gespraumlchen als Grundlage dienten Die durch die Stiftung Kultur der Suumldtiroler Sparkasse finanzierte Veranstaltung in Bruneck war eingebunden in die Suumldtiroler Aktionstage Politische Bildung 2012 zum Thema Unsere Geschichte ndash Unsere Geschichten des Suumldtiroler Amtes fuumlr Weiterbildung und sprach in Kombination mit der Ausstellungseroumlffnung im MMM Ripa ein breites Publikum an

Abb 1 Wissenschaftler-innen und Kuumlnstler-innen des Forschungsnetzwerkes Berg amp Leute mit dem Vertreter der Stadtgemeinde und der Vertreterin des Stadtmarketings Bruneck sowie der Kunstgalerie Hosp (NassereithInnsbruck) und der Kunstgalerie Hofburg (Brixen) am 30 Mai 2012 in Bruneck

Der vorliegende Band sammelt die Forschungsergebnisse der Mitglieder des Netz-werkes die in ihren Beitraumlgen ndash erklaumlrbar durch die Vielfalt der Herangehensweisen ndash formal wie inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzen Die Sammlung will einen Beitrag dazu liefern das breite und vielschichtige Feld des Zusammen-wirkens zwischen Landschaften und Identitaumlten wie es oben angedeutet wurde interdisziplinaumlr anzureiszligen und weitere Forschungen anzuregen Die Tiroler Land-schaft so die Hauptthese des Bandes ist ein ideales Untersuchungsobjekt um der Beziehung zwischen Menschen Materie und Politik nachzuspuumlren was am Berg exemplarisch aufgezeigt wird

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Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

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nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

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und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

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wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

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sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

26 Einleitung

Der Aufbau des BandesDer Band gliedert sich in drei Hauptkapitel Im Kapitel Theorie wird ein Land-schaftsmodell entworfen Sodann werden im zweiten Kapitel Positionen vorgestellt die beispielhaft auf die vier zentralen Dimensionen des Interagierens zwischen Mensch und Landschaft deuten die aumlsthetische die emotionale die kognitive und die physische Dimension Im Kapitel Zugaumlnge werden die Beitraumlge mit Bezug auf die im ersten Kapitel aufgefaumlcherte theoretische Grundlage und die im zweiten Kapitel dargelegten Positionen in vier themenzentrierte Abschnitte geordnet Der Berg als Grundlage als Bild als Erfahrung als Projektion Abschlieszligend wird unter dem Titel Ausklang ein Uumlberblick uumlber den Inhalt der den Band begleitenden Audio-Cd geboten Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden anhand von kurzen Zusammenfassungen der Argumentation der einzelnen Beitraumlge vorgestellt

TheorieDurch theoriegeleitete Uumlberlegungen zur Beziehung zwischen Landschaft Raum und Identitaumlt gewinnt Ulrich Leitner ein Landschaftsmodell das uumlber die Metapher des poetischen Ortes entfaltet wird Das Modell sieht vor die Welt der Materie die Erfahrungs- und Handlungsweisen der Menschen und die politisch-historischen Diskurse zusammenzudenken Der poetische Ort ist somit keine feststehende Wesenheit die geografisch verortet oder sozial lokalisiert werden koumlnnte er wird vielmehr als eine Denkfigur verstanden deren augenfaumllligste Eigenschaft es ist Verbindungslinien zwischen Subjekten Objekten und Politik sichtbar zu machen Die theoretischen Uumlberlegungen verdeutlichen dass die Formel Berg amp Leute keine feststehende Entitaumlt beschreibt sondern einen vielschichtigen Knotenpunkt von dem aus sich ein weitlaumlufiges Kanalsystem an Selbst- und Fremdverstaumlndnissen Kategoriebildungen und Gruppengefuumlhlen verzweigt Der poetische Ort tritt dort am deutlichsten zu Tage wo regionale und globale historische Belange gemeinsam auftauchen und ihrerseits auf Vergangenes Gegenwaumlrtiges und Zukuumlnftiges ver-weisen und ebenso dort wo verschiedene Repraumlsentanten der sozialen Welt gleich-zeitig ins Visier genommen werden Der Berg als zentrales Landschaftsmerkmal Tirols so die These ist ein solcher poetischer Ort und er ermoumlglicht gerade uumlber diese Eigenschaft eine Untersuchung der Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt Um den heuristischen Blick auf das Fallbeispiel Tirol zu schaumlrfen emp-fiehlt das hier entworfene Landschaftsmodell die Verbindung von vier Dimen-sionen der Landschaftswahrnehmung welche in diesem Band uumlber die Beitraumlge im Kapitel Positionen realisiert werden unter Beruumlcksichtigung von vier themati-schen Schwerpunkten die uumlber die vier Kapitel als Zugaumlnge gefasst werden

PositionenHelga Peskoller fuumlhrt in die aumlsthetische Dimension des Berges ein und verknuumlpft sie mit der koumlrperlichen Sie geht dabei der Idee nach raquoSehen im Modus des Tastens zu ermoumlglichenlaquo indem sie Berg Bild und Mythos zusammendenkt Zunaumlchst

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

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Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

27Einleitung

zeigt die Autorin am Beispiel wolkenbedeckter Berge auf dass Grenzverwi-schungen besondere Erkenntnistraumlger sind Wolken unterlaufen aumlhnlich wie Dunst und Schleier dualistische Sichtweisen weil sie stets mehrere Seiten eines Bildes zeigen Daraufhin bringt Peskoller den Mythos ins Spiel er bestehe aus Bildern raquodie wirklicher sind als die wirklichen Bilder uumlber die Weltlaquo und zeige sich in kulturellen Erzaumlhlungen deren Analyse sich als unendliches Unterfangen erweise Anhand des Kletterns und dessen Verhaumlltnis zum Sinnesorgan Haut durchbricht die Autorin die gaumlngigen Berg-Bilder und -Mythen indem sie das Taktile als Erkenntnisform einfuumlhrt Hieran schreibt sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur fest Das Tastbild ermoumlgliche Erkenntnisreichtum der uumlber eine dualistische Entscheidung weit hinausfuumlhre und ein besonderes Sehempfinden beschere raquoGeht man also vom Tasten nicht nur vom Sehen aus muumlssen die Gewichte der Erkenntnis anders ver-teilt werdenlaquo so schlussfolgert Peskoller raquoNicht Ja oder Nein kein Entweder-Oder weder klar noch truumlb Licht oder Schatten drauszligen oder drinnen sondern beides als etwas im Dazwischen das die Sinne dadurch schaumlrft weil es unscharf wird halb verdeckt und halb gesehenlaquoAnhand der landschaftlichen Namensgebung spuumlrt Christina Antenhofer im Anschluss der Verbindung zwischen der emotionalen und der kognitiven Dimension der Landschaftswahrnehmung nach Namen versteht sie als Index der nicht nur die verschiedenen Dimensionen der Landschaftswahrnehmung ver-binde sondern auch ihre historische Dimension sichtbar mache Das zeige sich etwa in der sensiblen Reaktion auf die Veraumlnderung von Namen die prototy-pisch fuumlr den Umgang mit der Landschaft steht Zunaumlchst geht die Autorin auf die persoumlnliche Sphaumlre ein die Namen als besondere Elemente des Wortschatzes zwischen Individuum und dem bezeichneten Referenzobjekt ndash der Landschaft ndash eroumlffnet Sodann wird am Beispiel der Tolomeischen Namen in Suumldtirol die nationa-listische Inanspruchnahme der Landschaft uumlber das Medium der Sprache und insbe-sondere der Toponyme ins Blickfeld geruumlckt Die historischen und rechtlichen Eck-pfeiler der so genannten Toponomastikdebatte werden nachgezeichnet wobei aufge-zeigt wird wie uumlber Namen und Sprachen nationale Erzaumlhlungen konstruiert und daruumlber Gebiete beansprucht wurden Diese bis heute andauernde Debatte dechif-friert Antenhofer als einen zwischen Folklore und Sehnsucht nach Heimat zu veror-tenden Familienstreit zwischen italienisch- und deutschsprachigen Personen in Suumld-tirol in dem sich die Verunsicherung angesichts der sich veraumlndernden (sozialen) Landschaft niederschlage Im Kampf um die Namen zeige sich daher so das Fazit die sentimentalisierte Sehnsucht nach der erinnerten Landschaft der Kindheit die an deren dialektalen Benennungen festgemacht wirdGeschichtsbilder Ursprungs- und Meistererzaumlhlungen uumlber den Tiroler Raum sind Thema des Beitrages von Roland Steinacher Sie stehen paradigmatisch fuumlr die kognitive Erfassung eines historischen Raumes wie Steinacher an Quellen zur Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters aufzeigt Der Autor betont die starren Bilder von Romanen und Germanen einer roumlmischen Eroberung und einer bairischen Land-

28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

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belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

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sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

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Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

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kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

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historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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28 Einleitung

nahme wie sie im 19 und 20 Jahrhundert zur Legitimation nationaler Identitaumlten verfestigt wurden und hebt demgegenuumlber die kulturelle Vielfalt und Mehrspra-chigkeit im Alpenraum im ersten Jahrtausend unserer Zeit hervor Steinacher beginnt seine Ausfuumlhrungen bei den Feldzuumlgen des Drusus und Tiberius 15 vor Christus widmet sich der Geschichte der Organisation der roumlmischen Provinzen Raetien und Noricum und geht sodann auf die Zeit nach dem Ende des westroumlmi-schen Kaisertums ein wo die roumlmische Buumlrokratie und Verwaltung in einem bai-rischen Dukat weiter Bestand hatten Sodann wendet er sich der Frage zu woher die Baiern kamen und verdeutlicht warum die Vorstellung einer so genannten Voumll-kerwanderung keiner historischen Realitaumlt entspricht Vielmehr skizziert er anhand der Machtverhaumlltnisse im Tiroler Raum bis zur karolingischen Zeit die komplexe gesellschaftliche Realitaumlt die sich angesichts der Umgestaltung des uumlberregionalen politischen Systems in den lokalen Gesellschaften abspielte Sicherheit uumlber die Selbstdefinitionen der Bevoumllkerung der Tiroler Taumller lasse sich aber aufgrund der historischen archaumlologischen und sprachwissenschaftlichen Quellenbasis nicht gewinnen worin Steinacher einen Grund dafuumlr sieht dass gerade diese Zeit fuumlr die Rechtfertigung von verschiedenen Weltbildern herangezogen wirdDen letzten Beitrag der Positionen bildet das Transkript der Podiumsdiskussion zur Frage Kann Landschaft eine Identitaumlt haben und Identitaumlt stiften Reinhold Messner betont in der Diskussion dass der Mensch uumlber die koumlrperliche Dimension der Wahrnehmung die Landschaft aber auch sich selbst erfahre Dies werde etwa unter den besonderen Bedingungen beim Extrembergsteigen deutlich Wenn man dort hingeht raquowo man umkommen koumlnnte um nicht umzukommenlaquo wie Messner es ausdruumlckt herrschen keine zivilisatorischen Regeln sondern regieren die menschlichen Uumlberlebensinstinkte Deshalb seien extreme Land-schaften wichtig um primaumlre menschliche Erfahrungen machen zu koumlnnen Der Berg so schlussfolgert Messner habe als geologische Formation keine Identitaumlt sie werde ihm vielmehr durch die Erfahrungen die man mit ihm macht zuge-schrieben Christina Antenhofer bringt den toten Koumlrper als wichtiges Verbindungs-element mit der Landschaft in die Diskussion ein Das Grab geliebter Menschen stelle eine Beziehung mit der Erde her fungiere als Orientierungspunkt und binde emotional an ein Stuumlck Land Sabina Kasslatter Mur betont die Kindheit als beson-deres Element landschaftlicher Praumlgung Sie schreibe sich durch Geruumlche Bilder und Erinnerungen in den Koumlrper und die Identitaumltsstruktur ein was etwa im Ver-missen der heimatlichen Landschaft zum Ausdruck komme Helga Peskoller wie-derum streicht vor allem die Fremdheitserfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Berg heraus Es gehe bei der Verbindung zwischen Mensch und Land-schaft weniger um die Schaffung identitaumlrer Sicherheiten im Sinne sozialer Ruumlck-zugsgebiete als vielmehr um Grenzerfahrungen angesiedelt zwischen Stabilitaumlt und Unsicherheit Bilder gesicherter Identitaumlten wie sie fuumlr Tirol gelten so betont Roland Steinacher schlieszliglich seien vor allem Produkte immer weiter getragener Geschichtsbilder In der Untersuchung des Spannungsverhaumlltnisses zwischen Bild

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und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

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wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

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Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

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belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

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die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

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sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

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Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

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kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

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historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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39Einleitung

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29Einleitung

und Wirklichkeit verortet der Historiker die Aufgabe gegenwaumlrtiger landschafts-theoretischer Studien

Zugaumlnge

Der Berg als GrundlageIn diesem ersten Abschnitt geht es um das Identifizieren des Berges als signifikante Groumlszlige einer Landschaft durch die menschliche Wahrnehmung und Erfassung Fokussiert wird auf die Landschaftsidentitaumlt als kognitiv-emotionale Bewusst-seinsstrukturWerner Pescosta geht in seinem Beitrag der Geschichte der Dolomitenladiner nach und zeigt auf wie das Gebirge auf das Selbstverstaumlndnis dieser ethnischen Gruppe einwirkte Ausgehend von der besonderen Beschaffenheit des Dolomiten-gebietes fuumlhrt Pescosta die Dolomitenladiner als eine der zwoumllf in Italien aner-kannten Minderheiten ein indem er vor allem die Entwicklung der ladinischen Sprachgeschichte nachzeichnet Gemeinsame kulturelle Traditionen die von der-selben soziolinguistischen Gruppe geteilt werden und das Bewusstsein der Zuge-houmlrigkeit zu einer eigenstaumlndigen Sprachgruppe untermauern dass es sich beim Ladinischen nicht um einen Dialekt sondern eine eigenstaumlndige Sprache handle Diese sei Ausdruck einer eigenstaumlndigen ladinischen Identitaumlt die sich auch an den ladinischen Sagen den so genannten contigravee nachvollziehen lasse die rund um die Dolomiten kreisen Hier betont Pescosta den Sagenzyklus vom Reich der Fanes und dessen legendaumlrer Prinzessin Dolasilla Im 19 Jahrhundert war das Erwachen des ladinischen Identitaumltsbewusstseins ein Streitfall zwischen den in Tirol vorherr-schenden Sprachgruppen und fungierte als Puffer zwischen deutschen und italie-nischen Nationalismen Die Ladiner koumlnnen aber nicht als italophil oder prooumlster-reichisch bezeichnet werden so schlussfolgert Pescosta sondern orientierten sich stets vielmehr an der gelebten Wirklichkeit in ihrer LandschaftDen Landschaftsbegriffen widmet sich Gerhard Siegl aus einer wirtschaftsgeschicht-lichen Perspektive Er haumllt fest dass diese haumlufig zwischen den Vorstellungen von Landschaft als natuumlrlicher Konstante und als menschgemachter Variable pendeln Anhand des weiten Feldes der Landschaftsnutzung lenkt der Autor den Blick auf die vielfaumlltigen Facetten der Erfassung von Berglandschaft durch ihre Bearbeitung Diese sei ausschlaggebend dafuumlr der Landschaft unterschiedliche Wesenszuumlge zuzuschreiben und sie daruumlber zu kategorisieren Nach einem kurzen wirtschafts-historischen Abriss zur Geschichte der Landschaft in Tirol demonstriert Siegl an zwei Beispielen ndash der Landwirtschaft und dem Verkehr ndash wie sich politische wirt-schaftliche und soziale Veraumlnderungen in Tirol in die Landschaft einzeichneten Er kommt zum Schluss dass der Mensch durch sein Leben und Wirtschaften die Tiroler Landschaft veraumlnderte Andererseits koumlnne der Berg als erschwerender Faktor fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung der Region angesehen werden was ver-deutliche dass auch der Lebensraum auf den Wirtschaftsraum der Menschen ein-

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wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

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Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

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wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

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Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

30 Einleitung

wirkt wenngleich den Alpenbewohner-innen durch den wirtschaftshistorischen Befund an sich keine besondere Identitaumlt zugeschrieben werden koumlnneDer wechselseitige Einfluss zwischen Mensch und Landschaft spielt im Beitrag des Geologen Michael Unterwurzacher eine zentrale Rolle Bei ihm geht es um die natur-wissenschaftliche Erfassung des Berges durch die Charakterisierung der Gebirgs-landschaft als Nutzen oder als Gefahr fuumlr den Menschen Ausgehend von der Ent-stehung der alpenlaumlndischen Geologie spannt der Autor einen weiten Bogen bis hin zur nacheiszeitlichen Entwicklung An markanten Beispielen ndash wie etwa dem spektakulaumlren Koumlfelser Bergsturz im Oumltztal vor ca 10000 Jahren ndash werden Land-schaftsveraumlnderungen in Tirol nachgezeichnet und aufgezeigt wie geologische Eigenheiten durch die Jahrhunderte Einfluss auf das menschliche Leben in Tirol nahmen Die anschaulichsten Beruumlhrungspunkte zwischen Mensch und Land-schaft findet Unterwurzacher dort wo Natur als besondere Bedrohung wahrge-nommen wird was er an schweren Uumlberflutungen Erosionen und Murereignissen der letzten Jahre im Tiroler Gebiet beispielhaft darstellt Schlieszliglich wird die Prauml-gekraft thematisiert die solche auszligergewoumlhnliche Naturphaumlnomene auf die imagi-nierten Vorstellungswelten der Tiroler Bevoumllkerung hatten wie sie sich heute noch in Sagen und Mythen zeigenDie Kunsthistorikerin Rosanna Dematteacute beschlieszligt das Kapitel mit der Frage wie Landschaft uumlber das Medium der klassischen Bildhauerei im Raum praumlsent werden kann Die Auseinandersetzung mit dem Berg koumlnne Voraussetzung kuumlnstleri-schen Schaffens sein und sich so in der Skulptur verkoumlrpern weshalb die Autorin den Begriff der Teilnahme als Alternative zum Begriff der Identitaumlt vorschlaumlgt Die Teilnahme an einer Landschaft erzeuge eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt deren Spannungsverhaumlltnis sich im kuumlnstlerischen Prozess entlade und in der Skulptur manifestiere Anhand der Werke der Suumldtiroler Bildhauerin Heidi Leitner veranschaulicht sie ihren theoretischen Zugang Bei Leitners Figuren bestimme die Beschaffenheit des Materials Holz seine neue Realitaumlt mit wie sie an ausgewaumlhlten Skulpturen der Kuumlnstlerin ndash der ladinischen Sagenheldin Dolasilla oder den Verkoumlrperungen baumluerlicher Lebenswelten ndash aufzeigt Leitners Werke lieszligen sich nicht konzeptuell fassen sondern aktivieren eine alternative Wahr-nehmung die uumlber das Betrachten des Kunstwerks eine besondere Beziehung zur Landschaft herstelle Dematteacute fasst diesen Wahrnehmungsprozess uumlber mehrere Sinne mit dem Begriff der Beruumlhrung der uumlber die Kunstwerke ausgeloumlst werde die Dematteacute als raquoaumluszligerliche Verkoumlrperung einer kollektiv verinnerlichten Land-schaftlaquo begreift

Der Berg als BildDer zweite Abschnitt hat die Identifikation von Menschen durch die Landschaft als stereotype Selbst- und Fremdbilder zum Thema Anhand ausgewaumlhlter Fallbei-spiele werden Landschaftsbilder ndash mentale wie Sichtbilder ndash als aumlsthetische Reprauml-sentation menschlicher Identitaumlt in den Mittelpunkt der Betrachtung geruumlckt

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

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Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

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39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

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Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

31Einleitung

Der Beitrag von Andreas Oberhofer eroumlrtert die Frage nach der Entstehung des Bildes einer spezifischen Tiroler Freiheit Zunaumlchst beschreibt der Autor die Tiroler Alpen als Geschichtslandschaft in der Bilder von Identitaumlten verschiedener Art loka-lisiert werden Zum Ort und Sinnbild besonderer Natur Freiheit Wildheit und Schoumlnheit wurden die Alpen durch ihre Erschlieszligung im 18 und 19 Jahrhundert Zur Vorstellung der Tiroler als Homines Alpini trugen diese selbst in Abgrenzung nach auszligen hin bei Am Beispiel der Schweizer Alpen spuumlrt Oberhofer sodann den Konnotationen nach die mit dem Begriff Freiheit in Verbindung standen Im aus-gehenden 18 Jahrhundert verschmolz der Begriff etwa mit dem Bild eines demo-kratisch gesinnten Bergvolkes Dieser Schweizer Alpenmythos schlug sich in Figuren wie Schillers Wilhelm Tell nieder wobei Oberhofer den Parallelen zum Tiroler Frei-heitskampf von 1809 nachgeht In dessen Rezeption wurde vor allem Andreas Hofer selbst zum Sinnbild des freien Tiroler Bauernstandes hochstilisiert und wirkte so als Katalysator der Entdeckung der Alpen Der Bergisel bei Innsbruck so stellt Oberhofer schlieszliglich fest wurde zum nationalen Erinnerungsort an dem die Erzaumlhlung rund um die Tiroler Freiheit bildgewaltig kumuliertKatharina Winckler zeichnet die Wahrnehmung des Gebirges anhand historiographi-scher und literarischer Quellen der roumlmischen Spaumltantike und des fruumlhen Mittelalters nach Alpenbeschreibungen lassen sich in den antiken Quellen vor allem in Zusam-menhang mit heldenhaften Erzaumlhlungen finden wie Hannibals Alpenuumlberquerung die eine breite Rezeption erfuhr Daneben diente die teils von den antiken Autoren imaginierte Landschaftsbeschreibung dazu eine Idealvorstellung eines Ortes zu ent-werfen Die Darstellung des Gebirges und seiner Bevoumllkerung weisen in den antiken Texten daher stereotype Merkmale auf die zwischen positiv oder negativ konno-tierten Zuschreibungen schwanken wie Winckler am Beispiel des so genannten locus amoenus einem schoumlnen Platz ndash und seinem Pendant dem locus horribilis ndash auf-zeigt Mit dem Christentum wandelte sich auch die Beschreibung der Landschaft in der man nun goumlttliches Wirken zum Ausdruck kommen sah Landschaftsdarstel-lungen in Spaumltantike und Fruumlhmittelalter veraumlndern sich je nach dem Zweck den der Autor verfolgt und der Erwartung des Publikums wie Winckler schlussfolgert Sie zeichnen imaginaumlr-topische Bilder von den Alpen und ihrer Bevoumllkerung keine histo-rische RealitaumltWie beeinflusst die Sprache das Wahrnehmungsbild der Bergsteiger Dieser Frage geht Claudia Posch anhand ausgewaumlhlter Beispiele der Bergsteigerliteratur nach An Bezeichnungen fuumlr Individuen und Kollektive demonstriert die Linguistin zunaumlchst dass das Sprechen uumlber die Berge deren Bedeutung praumlgt was sich etwa an der Kon-notation des Bergsteigens mit Maumlnnlichkeit und Kriegsmetaphorik aufzeigen laumlsst Posch verdeutlicht sodann dass die Zuschreibung von Eigenschaften uumlber das Mittel der Abgrenzung zu Identitaumltskonstruktionen fuumlhrt was sie am Beispiel des Gegen-satzpaares echte und unechte Bergsteiger ausfuumlhrt Daneben dekodiert sie Argumenta-tionsmuster die sich an ein Kollektiv oder an Einzelpersonen richten Hier wird vor allem die Verbindung zum Nationalen hervorgehoben die in der juumlngeren Bergli-

32 Einleitung

teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

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kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

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Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

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Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

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Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

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teratur zwar deutlich zuruumlckgegangen jedoch noch in Sprachgebrauchsmustern spuumlrbar sei So genannte sprachliche Intensivierer (wie zB extrem- super- spitzen-) weisen schlieszliglich auf die subjektive Faumlrbung der Bergsteigerliteratur was sich vor allem in der Betonung der Bergsteiger als Identifikationsgruppe aumluszligere Da gewohnte Sprachmuster konventionalisierte Bilder evozieren die in der Folge als Realitaumlten angesehen werden und hieruumlber bestimmte Denkweisen auferlegen sei das Sprechen uumlber die Berge einer steten Sprachkritik zu unterziehen so das Fazit der AutorinVom Alpenbild und dessen Rezeption in der Malerei handelt der Beitrag von Katharina Seidl Ein Bild sei ein kuumlnstlerisch geformter Eindruck der Realitaumlt und daher stets fiktiv Die alpenlaumlndische Wirklichkeit wurde selbst aumlsthetisch gestaltet und fand in dieser Form Eingang in die kuumlnstlerische Auseinandersetzung die ihrer-seits wiederum zur Umgestaltung der Alpen beitrug Seidl zeichnet dieses Wechsel-spiel anhand eines historischen Ruumlckblicks uumlber die Bergmalerei nach Die anfaumlnglich rein aumlsthetisch orientierte Auseinandersetzung mit den Bergen wandelte sich von naturwissenschaftlichen Bergportraits uumlber die symbolistische Beschaumlftigung mit der Landschaft bis hin zur dekorativen oder psychologischen Akzentuierung der Land-schaftsmalerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Seidl spannt den Bogen weiter uumlber die nationalistischen Inszenierungen der Bergwelt ihre massive politische Ideolo-gisierung durch die nationalsozialistische Propaganda bis hin zur Tabuisierung des Bergthemas in der Malerei nach 1945 Die australische Malerin Jessie Pitt gilt Seidl schlieszliglich als ein Beispiel dafuumlr wie mit einem von politischer Ideologie befreiten und ohne einen durch Tourismus- oder Oumlkologiedebatten verklaumlrten Blick auf den Berg geschaut werden kann Pitt die vorwiegend Tiroler Berge malt widme sich der exakten Wiedergabe der Natur und erschaffe den Berg als subjektive Projektion die dem Publikum die Formung des Bergbildes uumlber die kuumlnstlerische Wahrnehmung ndash vor allem als individuellen Sehnsuchtsort ndash vorhaumllt

Der Berg als ErfahrungDer dritte Abschnitt handelt von Identifikationsprozessen mit den Bergen von den Weisen der Landschaftserfahrung die auf das Denken Empfinden und Fuumlhlen der Menschen sowie ihren Koumlrper einwirken indem sie sich mit dem Berg auseinander-setzen Den Fokus legt das Kapitel auf eine wissenschaftliche Spezialdisziplin die NamenforschungGerhard Rampl stellt die Namenforschung als interdisziplinaumlres Forschungsfeld vor und erlaumlutert ihre linguistischen Voraussetzungen Am Beispiel der Osttiroler Bergnamen zeigt er auf dass ein Objekt einen Namen erhaumllt und im Erfahrungsschatz einer gewissen Sprechergruppe bleibt solange es fuumlr diese relevant ist Das groszligteils landwirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge war fuumlr die Bevoumllkerung lange Zeit nicht wichtig weshalb Berge in der schriftlichen Namenlandschaft vielmehr in ihrer Funktion als Demarkationspunkt in Erscheinung treten Sie sind raquoidentifizierendes Merkmal des Eigenen Manifestation der Grenze nach auszligenlaquo Bergnamen spei-chern zudem Informationen die beispielsweise slawische Siedler im Lienzer Becken

33Einleitung

belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

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kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

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historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

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Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

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belegen deren Namenspraumlgungen von der deutschsprachigen Bevoumllkerung akzep-tiert wurden Rampl legt daher die Uumlberlegung nahe dass die sprachliche Form von Namen in zwei- oder mehrsprachigen Gebieten in fruumlherer Zeit weniger stark mit der eigenen Identitaumlt in Zusammenhang stand wie dies etwa nationalstaatliche Vorstel-lungen von Volksidentitaumlten suggerieren Bergnamen werden vielmehr unabhaumlngig von der jeweiligen Sprache als identitaumltsstiftender Teil einer Gesellschaft wahrge-nommen wie der Autor an zwei aktuellen Umbenennungsversuchen von Tiroler Bergen demonstriertIm Anschluss bietet Thea Goumltsch durch empirische Beobachtungen Einblick in die Frage wie sich Erfahrungsinhalte in Namen zu Informationen verdichten Anhand der Befragungen im Zuge der Flurnamenerhebung in Suumldtirol (1998-2003) zeigt sie auf wie sich Sinneswahrnehmungen in Namen speichern und zu einer mentalen Landkarte im Kopf werden Die Erfahrungen die Menschen mit der Berglandschaft machen nehmen eine praumlgende Funktion in der Ausgestaltung dieser Landkarte ein und tragen wesentlich zur Orientierung und Kommunikation bei Die Landkarte im Kopf beschreibt die Autorin als soziales System das von der jeweiligen Bevoumllkerung geschaffen und verwendet wird und das die verschiedenen Objekte in der Land-schaft bezeichnet und dadurch eine Orientierung in der wirklichen und in der Vor-stellungswelt der Bergbewohner-innen ermoumlglicht Goumltsch fuumlhrt die Leserschaft von der Entstehung einer mentalen Landkarte uumlber die Prozesse ihrer Speicherung als verzerrtes nicht realitaumltsgetreues Bild im Kopf ihrer Orientierungs- und Kommuni-kationsfunktion fuumlr ortskundige Personen bis hin zur Memorisierung der Landschaft uumlber Flurnamen und bringt dabei anschauliche empirische Befunde aus dem Suumldti-roler VinschgauGeraumlusche tragen dazu bei ein mentales Abbild der raumlumlichen Umgebung zu erzeugen indem sie eine Klanglandschaft bilden Diesem Phaumlnomen widmet sich Manuela Kerer aus dem Blickwinkel einer Komponistin Der Begriff Klanglandschaft wurde in den 1960er Jahren gepraumlgt und meint raquodie klangliche Umgebung aus der Perspektive des houmlrenden Menschen in seiner ganzen kulturellen Befaumlhigung zu Wahrnehmung und Ausdrucklaquo wie es der Humangeograf Justin Winkler (2012 157) formulierte Aufbauend auf Winklers Uumlberlegungen beschreibt Kerer das Horchen auf die klangliche Umgebung als die Wurzel allen Zuhoumlrens Sie plaumldiert dafuumlr sich der Klanglandschaften bewusst zu werden die uns umgeben und in der Folge Houmlrerfahrungen kritisch auszuwaumlhlen Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Vertonung eines Gedichtes von Katja Renzler durch den Keraphonisten Rudolf Unterhuber hebt Kerer als ein solches Houmlrerlebnis hervor da bereits der hoch-inspirative Text der Lyrikerin Klaumlnge im Kopf entstehen lasse denen Unterhuber auf seinem Instrument Ausdruck verleiht Bewusst Stille zu erleben oder bewusst eine landschaftliche Geraumluschkulisse zu houmlren klassifiziert Kerer als Befreiung der Ohren die in Zeiten von Dauerbeschallung rar geworden seiDer lyrische Beitrag der Schriftstellerin Katja Renzler wird mit der Partitur zur Ver-tonung auf Keraphon von Rudolf Unterhuber praumlsentiert Er ist eine miniatur ueber

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

34 Einleitung

die alpen samt deren bewohnern wie der Titel verraumlt Die Autorin praumlsentiert dem Publikum die Erfahrungswelt der Suumldtiroler Berge in komprimierter Form in einer Art Guckkasten indem sie diese in Anlehnung an Techniken des Bildgedichts visuell erfahrbar macht In Renzlers Miniatur verschmelzen menschliche und tie-rische Verhaltensmuster miteinander Oft zitierte touristische Vorstellungen uumlber die Suumldtiroler Landschaft und die dort lebenden Menschen laumlsst die Autorin im flie-szligenden Perspektivenwechsel mit Bildern konkurrieren mit denen Einheimische die Besucher-innen ihrerseits klassifizieren Durch Buchstaben- und Wortdoppe-lungen zeichnet Renzler eine graphisch arrangierte Landschaftskulisse in der ver-schiedenste menschliche tierische und materielle Akteure auftreten und suedtirol als gelobtes land praumlsentieren ndash vielleicht weil hier ineinandergreifende Diskurse oumlkolo-gischer sprachlicher kultureller landschaftlicher wirtschaftlicher und touristischer Natur offenkundig zu Tage treten und so eine Vielfalt von Erfahrungen anregen

Der Berg als ProjektionDer vierte Abschnitt fuumlhrt hinein in den Prozess des Identifizierens mit anderen die mit dem Berg in Verbindung stehen und ihn als Identifikationsobjekt jener Gruppe verstehen zu der sie sich selbst zugehoumlrig fuumlhlen und hieruumlber von anderen abgrenzenAnnemarie Profanter widmet sich der Landschaft als kulturelle Projektion einer Gesellschaft Das Zusammenwirken von Landschaft und Identitaumlt entziffert sie als zentrales Thema der psychologischen und paumldagogischen Identitaumltsdiskussion in Zeiten von Globalisierung und Interkulturalitaumlt Anhand des Fallbeispieles Suumld-tirol und den komplexen Herausforderungen einer veraumlnderten sozialen Land-schaft durch Migrationszufluumlsse spuumlrt die Autorin einer spezifischen mountain identity nach Eine kritische Pruumlfung der Begriffe Identitaumlt bzw des Selbst und ihrer Beziehung zum sozialen Raum laumlsst Profanter zum Schluss kommen dass die kulturelle Landschaft in denen sich beide niederschlagen eine raquokulturelle Projektion einer Gesellschaft in Bezug auf einen designierten Raumlaquo darstellt Ob Gebirge oder Flachland eher zur Foumlrderung eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Sprachgruppen beitragen muumlsse erst durch empi-rische Studien uumlberpruumlft werden Fest stehe lediglich dass Landschaft selbst iden-titaumltsleer sei Das was fuumlr einen Mensch das jeweils Eigene oder Andere ausmache koumlnne daher durch einen interkulturellen Dialog verschoben und dadurch Heimat ermoumlglicht werden woran vor allem die interkulturelle Paumldagogik arbeiten sollteAnschlieszligend diskutiert Pier-Paolo Pasqualoni das Phaumlnomen der Heimat hin-sichtlich der zunehmenden Zahl von Menschen die in gemischtsprachigen Familien zusammenleben Sie stellen ndash gemeinsam mit Menschen mit Migrati-onshintergrund ndash einen mittelfristig nicht mehr zu vernachlaumlssigenden Anteil der Wohnbevoumllkerung in Suumldtirol dar Zunaumlchst widmet sich der Autor der Indienst-nahme des Heimatbegriffes und der Landschaft fuumlr politische Agitationen auf der regionalen und der nationalstaatlichen Ebene Das Hauptaugenmerk legt er

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

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Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

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Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

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Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

35Einleitung

sodann auf zweisprachig sozialisierte Menschen in Suumldtirol und stellt fest dass diese keine eindeutige Identifikation mit einer einzigen Sprachgruppe aufweisen Sie nehmen vielmehr Anteile beider Kulturen in sich auf und verknuumlpfen sie zu einer kreativen Synthese Da soziale Identitaumlten aber mit gesellschaftlichen Erwar-tungen verbunden sind die im Interaktionsprozess zwischen den Sprachgruppen die Rolle einer normativen Instanz einnehmen muumlssten neben den rechtlich aner-kannten drei Sprachgruppen auch Mehrfachzugehoumlrigkeiten anerkannt werden Ein erster Schritt hierzu koumlnnte die soziale Anerkennung jener Menschen sein so schlussfolgert Pasqualoni die Identifikationsangebote jenseits der drei aner-kannten Sprachgruppen in sich aufnehmenVincenzo Bua geht dem Berg als Projektion in Form der so genannten alten Schutz-marke Suumldtirol ndash Alto Adige und des aktuellen Qualitaumltszeichens fuumlr land- und ernaumlh-rungswirtschaftliche Erzeugnisse nach Er steckt zunaumlchst das Feld der Images uumlber andere Ethnien theoretisch ab und praumlsentiert daraufhin Ergebnisse einer qualita-tiven Studie bei der er deutsch- italienisch- und zweisprachige Interviewpartner-innen hinsichtlich ihrer Assoziationen zum Bild der Schutzmarke befragte Bua stellt hieraus ausgewaumlhlte Ergebnisse der Analyse von Metaphern symbolischen Rede-wendungen und Begriffen vor die in Zusammenhang mit dem Begriff Geschichte in den Interviews mit den verschiedenen Proband-inn-en zum Vorschein kamen Er spuumlrt daruumlber Selbst- und Fremdbildern nach und haumllt fest dass sich diese je nach Werten laumlndlichen staumldtischen oder nationalen Referenzsystemen der Proband-inn-en aumlndern wobei die Identifikation mit den Bergen und der Natur sowie die Identifikation mit den verschiedenen Kulturen bei diesen positiv besetzt seien Der Berg so die Schlussfolgerung des Autors koumlnne als Repraumlsentationsobjekt einer mehrsprachigen Provinz fungieren weil er von mehreren ethnisch definierten Gruppen symbolische Anerkennung genieszlige wenngleich er von diesen auch mit unterschiedlichen Assoziationen verknuumlpft werdeIn die aumlsthetische Projektion interkultureller Lebensformen fuumlhrt abschlieszligend Verena Oberparleiter in ihrem Gespraumlch mit dem Architekten und textuellen Bild-hauer Andreas Perkmann Berger Geboren in Suumldtirol lebt und arbeitet der Kuumlnstler in Wien wo er sich in strenger Kritik des idealisierenden Funktionalismus seinem Geburtsland Suumldtirol uumlber die Kunst wieder annaumlhert Diese Annaumlherung durch-laumluft zwei Etappen Zunaumlchst verdreht der Kuumlnstler die mit Suumldtirol verbundenen Projektionen bis zur Absurditaumlt Das Postkartenmotiv der Drei Zinnen zeigt er als Wild-West-Filmkulisse das Tiroler Wappentier formt er zur Comicfigur um dem romantischen Idealbild eines Bauern stellt er die industrialisierte baumluerliche Realitaumlt gegenuumlber eine Jagdszene wird zum Tatort und das Messner Mountain Museum zum weltweiten Kulturexport Perkman Berger bleibt aber bei der Dekonstruktion nicht stehen sondern entwirft im zweiten Schritt selbst eine Projektion das Bild eines Suumld-tirols das seine Potentiale nicht in der Idealisierung einer Einheitskultur erschoumlpft sondern in der kulturellen Vielfalt immer wieder neu belebt Jenseits identitaumlrer Idealvorstellungen sind kulturelle Dialoge moumlglich wie Perkmann Berger uumlber das

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

36 Einleitung

Motiv eines traditionsbehafteten Moumlbelstuumlckes der Kredenz aufzeigt Das haumlufig zur Erinnerung vergangener Traditionen hochstilisierte Mobiliar laumlsst der Kuumlnstler bunt schimmern und zum Zeugen interkultureller Handlungsablaumlufe werden

AusklangEine Klanginstallation von Manuela Kerer eroumlffnet die Audio-Cd Sie wurde 2010 komponiert und durch die Werke der Bildhauerin Heidi Leitner inspiriert Auf Schloss Bruneck begleitete die Komposition die Ausstellung der Kuumlnstlerin Die im Rahmen des Projektes Berg amp Leute entstandene Co-Produktion minatur ueber die alpen samt deren bewohnern der Schriftstellerin Katja Renzler und dem Kompo-nisten Rudolf Unterhuber erklingt im Anschluss Die Komposition wurde am 30 Mai 2012 auf Schloss Bruneck uraufgefuumlhrt Das Instrument das hier zu houmlren ist ndash das Keraphon (= klingende Keramik) ndash ist eine Schoumlpfung von Unterhuber Die Klangkoumlrper des Instruments bestehen aus Ofenkacheln die der Musiker mit verschiedenen Materialien bespielt Die Flurnamengeschichten die sodann erzaumlhlt werden enthalten vielfach nur muumlndlich tradiertes Landschaftswissen und ver-mitteln landschaftstheoretische Zugaumlnge in literarischer Form Die von Agnes Mairhofer gelesenen Geschichten haben Christina Antenhofer und Thea Goumltsch in Suumldtirol gesammelt und nacherzaumlhlt3 Das letzte Stuumlck auf der Cd erzaumlhlt die Sage der Fanes (Lieumlnda de Fanes) in ladinischer Sprache Es entstand in den 1980er Jahren und war urspruumlnglich von Heinz Kostner und Claudio Poli als analoge Multivision (multivijiun) ndash bestehend aus Diabildern Musik und Text ndash dreisprachig konzipiert Musik und Text wurden von der Uniun di Ladins dla Val Badia digitalisiert und fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt und sollen vor allem einen Eindruck der auszligerhalb Tirols wenig bekannten ladinischen Sprache vermitteln Zur leichteren Orientierung befindet sich dort wo die Inhalte der Beitraumlge durch die Houmlrbeispiele ergaumlnzt werden koumlnnen am Buchrand ein Audio Symbol

AusblickDie Beitraumlge regen eine Reihe von Uumlberlegungen an die fuumlr das Verhaumlltnis zwi-schen Landschaft und Identitaumlt als Ausgangspunkt fuumlr weitere Forschungen zum Tiroler Raum sprechen Daraus werden im Folgenden drei Gedanken zur Dis-kussion gestellt die Anknuumlpfungspunkte fuumlr zukuumlnftige Studien anbieten

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt stellt einen Knotenpunkt dar an dem Raum und Zeit zusammenflieszligen Landschaft besitzt insofern eine Identitaumlt als ihr durch wechselnde sozial-politische Diskurse verschiedene Identitaumlts-merkmale zugeschrieben werden Besonders dort wo sich Macht- und Herr-schaftsanspruumlche politischer Ordnungssysteme in die Landschaft zeichnen erweist sich die Verbindung raumlumlicher und sozialer Konzepte fuumlr das Tiroler Gebiet deshalb als fruchtbarer Forschungsansatz Tirol war in seiner Geschichte stets mit politischen Ordnungen konfrontiert bei denen die Raum-

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

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Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

37Einleitung

kategorie eine wichtige Rolle spielte dem Imperium Romanum den mittelal-terlichen Herrschaften der Monarchie der Habsburger und zuletzt dem italie-nischen Faschismus Heute spielt die Verbindung zwischen Raum und Iden-titaumlt im Zuge des modernen Europamodells eine zentrale Rolle Die Raum-vorstellungen dieser politischen Ideen legten und legen Spuren in der Land-schaft die es ermoumlglichen zeitliche und raumlumliche historische Dimensionen miteinander zu betrachten (zur theoretischen Verortung der Verbindung von Raum und Zeit als historische Kategorien siehe vor allem Osterhammel 2009)

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt hat heuristisches Potential um Ver-bindungen zwischen Regional- und Globalgeschichte aufzuspuumlren4 Fuumlr aktuelle Fra-gestellungen zur Verbindung zwischen Landschaft und Identitaumlt in Tirol sind die Effekte interessant welche die Mobilisierung der viel beschworenen kollek-tiven europaumlischen Identitaumlt auf der supranationalen Ebene fuumlr lokale ethnische und kulturelle Identitaumlten auf der regionalen und lokalen Ebene tatsaumlchlich hat Am Fallbeispiel Tirol koumlnnten die Bedeutungsdimensionen historischer Pro-zesse der Ethnogenese im Europa der Spaumltantike und des Fruumlhmittelalters und die daruumlber erfolgten zeitgenoumlssischen Identitaumltskonstruktionen im vereinten Europa der Gegenwart einer diachronen historisch-soziologischen Analyse zugefuumlhrt werden Ihr Fokus sollte auf den eigenen Identitaumltskonstruktionen der jeweiligen ethnischen Gruppen und ihrer Bezugnahme zu antiken und fruumlhmittelalterlichen Bevoumllkerungsgruppen liegen (siehe hierzu etwa Pescosta zur Spaumltantike Steinacher in diesem Band zum Theoriekonzept Leitner 2011 2013 ein Modell zur Analyse von Kulturkontakten in historischen Kontexten liefert Ulf 2009 zum Suumldtirol-Modell siehe Benedikter 2012)5

Das Verhaumlltnis zwischen Landschaft und Identitaumlt ermoumlglicht die Untersuchung von Inkorporierungs- und Differenzierungsprozessen Kategorisierungen Selbst- und Fremdverstaumlndnisse sowie Selbst- und Fremdidentifikationen Erfah-rungen von Gemeinschaft der Zugehoumlrigkeit und Verbundenheit koumlnnen mit dem Fokus auf die Landschaft aufgedeckt werden Hier stehen noch Unter-suchungen zum Zusammenleben der in Tirol lebenden Identitaumlten unter Ein-bezug von Migrationsphaumlnomenen sowie Ethnopolitiken und deren Beziehung zu Raumkonzepten aus Ein solcher Blickwinkel koumlnnte zum einen dazu fuumlhren den wirtschafts- kultur- und sozialhistorischen Blick mit dem der Diplomatie-geschichte zu koppeln und damit soziale Asymmetrien zu uumlberwinden Diese Uumlberwindung ginge nicht zuletzt mit einer gebuumlhrenden Aufmerksamkeit fuumlr die Vielfalt historischer Akteure einher (hierzu vor allem Cooper 2012 [2007] auch Spivak 2007 zu Tirol siehe vor allem die Beitraumlge zur Namenforschung in diesem Band) Dieser Zugang koumlnnte zum anderen anregen sich von einer Innenperspektive loumlsen zu koumlnnen und durch Vergleichsstudien ndash vor allem unter Beruumlcksichtigung auszligereuropaumlischer Positionen ndash den Blick auf die eigenen Lebensumstaumlnde zu schaumlrfen (zum Forschungsstand der Interkultura-litaumlt in Tirol siehe vor allem Profanter und Pasqualoni zum innereuropaumlischen

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

Cooper Frederick (2012 [2007]) Kolonialismus denken Konzepte und Theorien in kritischer Pers-pektive FrankfurtMain ua

Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

Hard Gerhard (2008) Der Spatial Turn von der Geographie her beobachtet in Joumlrg DoumlringTristan Thielmann (Hg) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissen-schaften Bielefeld S 263-315

Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

39Einleitung

Leitner Ulrich (2013) Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems in Michael GehlerRobert Rollingerunter Mitarbeit von Sabine Fick Imperien und Reiche in der Weltgeschichte Epochenuumlbergreifende und globalhistorische Vergleiche mehrere Bde Wiesbaden (im Druck)

Leacutevi-Strauss Claude (1965) Das Ende des Totemismus FrankfurtMainMeier ChristineBucher AnnemarieHagenbuch Reto (2010) Landschaft Landschaftsbe-

wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts Muumlnchen

Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

Schloumlgel Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit Uumlber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik FrankfurtMain

Simmel Georg (1957 [1913]) Philosophie der Landschaft in Michael Landmann (Hg) Georg Simmel Bruumlcke und Tuumlr Essays des Philosophen zur Geschichte Religion Kunst und Gesell-schaft Stuttgart S 141-152

Spivak Gayatri Chakravorty (2007) Can the Subaltern speak Postkolonialitaumlt und subalterne Artikulation Wien

Ulf Christoph (2009) Rethinking Cultural Contact in Ancient West amp East 8 S 81-132 Winkler Justin (2012) Klanglandschaft ndash Zeitlandschaft in Stefanie KrebsManfred Seif-ert (Hg) Landschaft quer Denken Theorien ndash Bilder ndash Formationen Leipzig S 155-166

38 Einleitung

historischen Vergleich siehe beispielhaft Oberhofer [Schweiz] Antenhofer und Rampl [KaumlrntenSlowenien] zum Potential des internationalen Perspektiv-wechsels Holzner im Geleitwort zu diesem Band)

Anmerkungen1 Fuumlr die freundliche Erlaubnis zur Einsichtnahme in sein Hofarchiv danke ich dem Klam-merbauern in WeiszligenbachSuumldtirol Armin Gasteiger2 Die Forschungsplattform PRK bildet seit dem 1 Maumlrz 2013 gemeinsam mit der Forschungs-plattform Cultural Encounters and Transfers (CEnT) den Forschungsschwerpunkt Kulturelle Be-gegnungen ndash Kulturelle Konflikte der Universitaumlt Innsbruck3 Die hier erzaumlhlten Flurnamengeschichten stammen aus dem Buch Flurnamengeschichten Vinschgau-Pustertal von Christina Antenhofer und Thea Goumltsch das 2006 im StudienVerlag (Innsbruck ua) erschienen ist Dem StudienVerlag sei an dieser Stelle herzlich fuumlr die freund-liche Genehmigung der Aufnahme der Geschichten im vorliegenden Band gedankt4 Die Arbeitsgruppe Regionalgeschichte arbeitet seit 1992 an einer regionalhistorischen Ge-schichtswissenschaft im Raum Tirol-Suumldtirol-Trentino in den Bereichen der Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte historischen Kulturgeschichte Geistesgeschichte und Wissenschafts-geschichte mit eigenen Publikationen (siehe hierzu httpwwwprovinzbzitdenkmal-pflege1303grsrindexhtm)5 Interdisziplinaumlre Einblicke in die Kommunikations- und Konfliktforschung versprechen die Dissertationen die derzeit im Innsbrucker Doktoratskolleg Arts amp Politics Visuelle Rhetorik und Sprachen des Politischen in historischer Perspektive im Rahmen des Forschungsclusters Poli-tische Aumlsthetik Theorie amp Methode (PRK) entstehen (siehe hierzu httpwwwuibkacatpoli-tik-religion-kunst) Verwiesen sei auch auf die Schriften zur Politischen Kommunikation des In-ternationalen Graduiertenkollegs (IGK) Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20 Jahr-hundert der Universitaumlten Innsbruck ndash Bologna ndash Frankfurt am Main (siehe hierzu httpwwwgeschichteuni-frankfurtde43264933igk)

LiteraturBenedikter Roland (2012) The Himalayas can learn from the Alps in The National Inter-

est March 22 httpnationalinterestorgcommentarythe-himalayas-can-learn-the-alps-6669 abgerufen am 8 Dezember 2012

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Hard Gerhard (2002 [1987]) raquoBewusstseinsraumlumelaquo ndash Interpretationen zu geographischen Versuchen regionales Bewusstsein zu erforschen in Gerhard Hard (Hg) Landschaft und Raum Osnabruumlck S 303-328

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Leitner Ulrich (2011) Zwischen Integration und Autonomie Eine interdisziplinaumlre Studie zur Bez-iehung zwischen globalen Identitaumlten und lokalen Gegenidentitaumlten in politischen Transforma-tionsprozessen Am Beispiel europaumlischer Identitaumlten (im Tiroler Raum) der Spaumltantike und den ethnischen Identitaumlten im modernen Suumldtirol auf dem Weg in ein vereintes Europa Projektantrag in Zusammenarbeit mit Innsbruck-Wien-Bozen-Stanford eingereicht uumlber die Wissen-schaftsfoumlrderung der Autonomen Provinz Bozen im September 2011

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wusstsein und landschaftliche Identitaumlt als Potenziale fuumlr die regionale Entwicklung Eine empirische Fallstudie in Glarus Suumld Schweiz in Gaia 193 S 213-222

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Oumlsterreichische Bundesforste AG (2012) Umfrage Berge und Waumllder wichtig fuumlr Identitaumlt Oumlster-reichs vom 06032012 httpwwwoebfatindexphpid=54amptx_ttnews[tt_news]=630amp-cHash=85adae372fbc435cf341426744c1181d abgerufen am 18 August 2012

Peskoller Helga (2007) raquoIch bin ein Berglaquo ndash Interview in PM 112007 S 82-85 httpwwwpm-magazindeaC2BBich-bin-ein-bergC2AB abgerufen am 18 August 2012

Schennach Martin P (2003) Geschichte des baumluerlichen Besitz- und Erbrechts in Tirol ndash ein Uumlberblick in Hofgeschichten der 2002 und 2003 verliehenen Erbhoumlfe (Tiroler Erbhoumlfe 21) Innsbruck S 9-30

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39Einleitung

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