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3/2012 152 Sicherheits- & Polizeirecht Si le monopole étatique de la violence est indispensable à l’État de droit, il peut aussi constituer une menace pour ce dernier en cas d’abus. Il est étroitement associé à la notion de souveraineté, la «toute-puissance» de l’État en son sein et la faculté, de droit et de fait, à pré- server son indépendance vis-à-vis de l’extérieur. Cette double orientation constitue aussi un dilemme en cas de graves abus du monopole de la violence à l’intérieur. Le monopole de la violence va de pair avec la légalité et la légitimité. Le devoir lié à son application correcte présente aussi des risques. Markus H.F. Mohler* Staatliches Gewaltmonopol Inhalt I. Sprachliche Vorbemerkung II. Macht, Herrschaft und Gewalt 1. Zur Entwicklung 2. Die GaltunG’sche «strukturelle Gewalt» III. Zur Entwicklung des staatlichen Gewalt-/Macht-Duopols in der Schweiz IV. Völkerrechts- und staatspolitische Paradigmenwandel 1. Geo- und völkerrechtspolitische Entwicklungen nach 1945 1.1 Globaler Wandel 1991 1.2 Europa 2. Schweiz V. Staatsrechtlicher und rechtsstaatlicher Rahmen (Schweiz) 1. Das «Gewaltmonopol» als quasi vorkonstitutionelle Selbstverständlichkeit? 2. Voraussetzungen für die Legitimität des staatlichen Gewaltmonopols 2.1 Im Allgemeinen 2.2 Konkret im Rechtsstaat 3. Verfassungsmässige Grenzen der Ausübung staatlicher Macht bzw. Gewalt 3.1 Grundsätzlich 3.2 Delegierbarkeit und Ausnahmen der Ausübung des Macht- und des staatlichen Gewaltmonopols und ihre Grenzen 4. Herausforderungen des staatlichen Gewaltmonopols 4.1 Gesetzliche Ermächtigungen zu (begrenzter) Machtausübung bzw. Gewaltanwendung 4.2 Illegale Herausforderungen des staatlichen Gewaltmonopols 4.3 Der Rückzug aus der Verantwortung des staatlichen Gewaltmonopols VI. Schlussbemerkungen I. Sprachliche Vorbemerkung Das Wort «Gewalt», vom Althochdeutschen «waltan» hergeleitet, bereitet in der dafür mageren deutschen Sprache in ambivalenter Weise Mühe. Das gilt selbst für Bibelübersetzungen ins Deutsche: Der Ausdruck «Ge- walt» wird sowohl im positiven, im göttlichen Sinn, wie auch im negativen verwendet. 1 Das Lateinische unterscheidet zwischen «valere», d.h. bei Kräften sein, gelten, und «violare», also verletzen, bzw. «potestas» (Kraft) und «vis» (feindlich gerichtete Gewalt) resp. «violentia» (Gewaltsamkeit). Dasselbe gilt für die romanischen oder vom Romanischen doch stark beeinflussten modernen Sprachen ebenso: Sie un- terscheiden zwischen «force» und «violence» im Fran- zösischen und Englischen und forza bzw. potenza und violenza im Italienischen. Dafür kennt die deutsche Sprache nur das eine Wort: Gewalt. Und dieser Aus- druck bedeutet nicht nur Gewalt im physischen Sinn, sondern auch «Macht» wie das Französische «pouvoir» (potestas), das auch mit «Herrschaft» übersetzt werden kann. 2 In der Bundesverfassung 3 kommt der Ausdruck Gewalt in diesem Zusammenhang 4 lediglich in Art. 148 Abs. 1 1 So für die göttliche Macht: «Mir ist gegeben alle Gewalt im Him- mel und auf Erden» (Matthäus 28, 12), oder: «Er rief die Zwölf zu- sammen und gab ihnen Macht und Gewalt über alle Dämonen und zur Heilung von Kranken» (Lukas 9, 11), ebenso wie für die brachia- le illegale und illegitime Kraftanwendung: «Tut niemandem Gewalt noch Unrecht» (Luther) bzw. «Begehet gegen niemand Gewalt noch Erpressung» (Zwingli, Lukas 3, 14). 2 Vgl. auch Dieter FreiburGhaus/Felix bucheli/eDith honeGGer, Das Duopol der legitimen Gewalt im schweizerischen Bundesstaat, Chavannes-Lausanne 2006, 41 f. 3 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV), SR 101. 4 Die anderen verwendeten Wortkombinationen mit «Gewalt» be- treffen die Bestimmungen über die Sanktionen nach Gewaltverbre- Das staatliche Gewaltmonopol ist ebenso unverzicht- bar für die Rechtsstaatlichkeit, wie es bei seinem Miss- brauch dessen Bedrohung sein kann. Es ist eng ver- bunden mit dem Begriff der Souveränität, der «Höchstmächtigkeit» des Staates im Innern und der rechtlichen und faktischen Fähigkeit der Bewahrung der Unabhängigkeit gegen aussen. In dieser doppelten Ausrichtung liegt auch das Dilemma bei schwerwiegen- den Missbräuchen des Gewaltmonopols im Innern. Das Gewaltmonopol bedarf der Legalität und der Legitimi- tät. Der Pflicht seiner korrekten Anwendung lauern aber auch Gefahren. * Dr. iur. Markus H.F. Mohler, bis Ende 2011 Lehrbeauftragter für Öffentliches, speziell Sicherheits- und Polizeirecht an der Universi- tät St. Gallen.

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Si le monopole étatique de la violence est indispensable à l’État de droit, il peut aussi constituer une menace pour ce dernier en cas d’abus. Il est étroitement associé à la notion de souveraineté, la «toute-puissance» de l’État en son sein et la faculté, de droit et de fait, à pré-server son indépendance vis-à-vis de l’extérieur. Cette double orientation constitue aussi un dilemme en cas de graves abus du monopole de la violence à l’intérieur. Le monopole de la violence va de pair avec la légalité et la légitimité. Le devoir lié à son application correcte présente aussi des risques.

Markus H.F. Mohler*

Staatliches Gewaltmonopol

InhaltI. SprachlicheVorbemerkungII. Macht,HerrschaftundGewalt 1. ZurEntwicklung 2. DieGaltunG’sche«strukturelleGewalt»III. ZurEntwicklungdesstaatlichenGewalt-/Macht-Duopols

inderSchweizIV. Völkerrechts-undstaatspolitischeParadigmenwandel 1. Geo-undvölkerrechtspolitischeEntwicklungennach

1945 1.1 GlobalerWandel1991 1.2 Europa 2. SchweizV. StaatsrechtlicherundrechtsstaatlicherRahmen(Schweiz) 1. Das«Gewaltmonopol»alsquasivorkonstitutionelle

Selbstverständlichkeit? 2. VoraussetzungenfürdieLegitimitätdesstaatlichen

Gewaltmonopols 2.1 ImAllgemeinen 2.2 KonkretimRechtsstaat 3. VerfassungsmässigeGrenzenderAusübungstaatlicher

Machtbzw.Gewalt 3.1 Grundsätzlich 3.2 DelegierbarkeitundAusnahmenderAusübungdes

Macht-unddesstaatlichenGewaltmonopolsundihreGrenzen

4. HerausforderungendesstaatlichenGewaltmonopols 4.1 GesetzlicheErmächtigungenzu(begrenzter)

Machtausübungbzw.Gewaltanwendung 4.2 IllegaleHerausforderungendesstaatlichen

Gewaltmonopols 4.3 DerRückzugausderVerantwortungdesstaatlichen

GewaltmonopolsVI. Schlussbemerkungen

I. Sprachliche Vorbemerkung

DasWort «Gewalt», vomAlthochdeutschen «waltan»hergeleitet, bereitet in der dafür mageren deutschenSpracheinambivalenterWeiseMühe.DasgiltselbstfürBibelübersetzungen insDeutsche:DerAusdruck «Ge-walt»wirdsowohlimpositiven,imgöttlichenSinn,wieauchimnegativenverwendet.1

DasLateinischeunterscheidet zwischen «valere», d.h.beiKräften sein,gelten,und«violare», alsoverletzen,bzw.«potestas» (Kraft)und«vis» (feindlichgerichteteGewalt) resp. «violentia» (Gewaltsamkeit). Dasselbegilt fürdieromanischenodervomRomanischendochstarkbeeinflusstenmodernenSprachenebenso:Sieun-terscheidenzwischen«force»und«violence»imFran-zösischen undEnglischen und forza bzw. potenza undviolenza im Italienischen. Dafür kennt die deutscheSprache nur das eineWort: Gewalt. Und dieserAus-druckbedeutetnichtnurGewalt imphysischenSinn,sondernauch«Macht»wiedasFranzösische«pouvoir»(potestas),dasauchmit«Herrschaft»übersetztwerdenkann.2

InderBundesverfassung3kommtderAusdruckGewaltindiesemZusammenhang4lediglichinArt.148Abs.1

1 SofürdiegöttlicheMacht:«MiristgegebenalleGewaltimHim-melundaufErden»(Matthäus28,12),oder:«ErriefdieZwölfzu-sammenundgabihnenMachtundGewaltüberalleDämonenundzurHeilungvonKranken»(Lukas9,11),ebensowiefürdiebrachia-leillegaleundillegitimeKraftanwendung:«TutniemandemGewaltnochUnrecht»(Luther)bzw.«BegehetgegenniemandGewaltnochErpressung»(Zwingli,Lukas3,14).2 Vgl. auchDieter FreiburGhaus/Felix bucheli/eDith honeGGer,DasDuopolderlegitimenGewaltimschweizerischenBundesstaat,Chavannes-Lausanne2006,41f.3 BundesverfassungderSchweizerischenEidgenossenschaftvom18.April1999(BV),SR101.4 DieanderenverwendetenWortkombinationenmit«Gewalt»be-treffendieBestimmungenüberdieSanktionennachGewaltverbre-

Das staatliche Gewaltmonopol ist ebenso unverzicht-bar für die Rechtsstaatlichkeit, wie es bei seinem Miss-brauch dessen Bedrohung sein kann. Es ist eng ver-bunden mit dem Begriff der Souveränität, der «Höchstmächtigkeit» des Staates im Innern und der rechtlichen und faktischen Fähigkeit der Bewahrung der Unabhängigkeit gegen aussen. In dieser doppelten Ausrichtung liegt auch das Dilemma bei schwerwiegen-den Missbräuchen des Gewaltmonopols im Innern. Das Gewaltmonopol bedarf der Legalität und der Legitimi-tät. Der Pflicht seiner korrekten Anwendung lauern aber auch Gefahren.

* Dr.iur.MarkusH.F.Mohler,bisEnde2011LehrbeauftragterfürÖffentliches,speziellSicherheits-undPolizeirechtanderUniversi-tätSt.Gallen.

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tniseine«respublica»seinkönne;10erillustriertdasmitdemexemplifikativenUnterschiedzwischeneinerRäu-berbandeunddemStaat.Andersals Jean boDin (1530–1596),derBegründerderSouveränitätslehre, der die Entstehung des StaatesdurchdieMachtdesStärkstenoderUnterwerfungderSchwächerensiehtundprimärdemKönigdie«absolu-te»Machtzuspricht, lehntthomas hobbes (1588–1679)nichtnurdenantikenNaturzustandalsVor-Rechtab,sondernhältihnimGegenteilfüreinenZustand,bellum omnium contra omnes, der zu überwinden sei. DerMenschseigeradekeinzoon politicon,sonderndesan-dernMenschenGegnerbzw.Wolf(homo homini lupus).UmdiesenUn-Rechtszustandzubändigen,entwirfterdenGesellschaftsvertrag, durch den der Einzelne ausdem Naturrecht heraustritt und einen Herrscher er-mächtigt,denUmgangderMenschenmiteinanderver-bindlichzubestimmen.11DafürerhälterSicherheitbzw.das Recht auf Leben und Freiheit zuerkannt. AuchwenndesHerrschersMachtabsolutist,bildetdieAuto-nomiedesEinzelnendieRechtsquelledesGesellschafts-vertrags. Dennoch ist der Einzelne vor Willkür desHerrschers nicht geschützt, undderVertrag gilt auchnur,solangederStaatdenEinzelnenschützenkann.John locke (1684–1753) setztedieserMachtdesHerr-schersGrenzen.Gestütztaufeinenandern,Gottbezo-genenNaturrechtsbegrifferkenntereinerseitsdasLe-benalsdashöchsteGutundsindauchdieNaturrechtedesEinzelnendurchjenederanderenbegrenzt.DadieStaatsgewalt nichts anderes sei als die gemeinsameMacht aller Gesellschaftsmitglieder, könne ihr nichtmehrMacht zukommen als jeder Einzelne habe, alsokeinewillkürlicheGewaltüberLeben,FreiheitundEi-gentum.12Daraus schliesst er auf die Begrenzung derMacht bzw. der (physischen) Gewalt des Staates mitdembekanntenSatz,derauchhiereingefügtsei:«Their power in the utmost bounds of it is limited to the public good of the society. It is a power that hath no other end but preser-vation, and therefore can never have a right to destroy, en-slave, or designedly to impoverish the subjects.13» DieNot-wendigkeit desöffentlichen InteressesfürjeglichestaatlicheMachtausübunghateineprominenteStellungerhalten.

10 anDreas kley,StaatlichesGewaltmonopol–IdeengeschichtlicheHerkunftundZukunft,in:Zwahlen/Lienemann(Hrsg.),KollektiveGewalt,Bern2006,11ff.,13ff. ZurEntwicklungindendeutschenStaatenvom16.Jahrhundertan:Grimm(FN6),21ff.11 Walter kälin/anDreas lienharD/JuDith Wyttenbach,Auslage-rungvon sicherheitspolizeilichenAufgaben,ZSR 126 (2007) I, 10;seelmann(FN9),§8,Rz.9.12 reinholD Zippelius,Rechtsphilosophie, 6.Aufl.,München2011,§30II1,168f.DiesenGrundgedankennichtnuraufdasVerhält-niszwischender staatlichenObrigkeitunddenBürgern, sondernauchaufdieStaatenuntereinander,alsoaufdieinternationalenBe-ziehungenzuübertragen,hatimmanuel kantseinemFriedensmo-dellzuGrundegelegt(ZumewigenWeltfrieden,Königsberg1795,passim);vgl.dazusabine JaberG,KantsFriedensschriftunddieIdeekollektiverSicherheit–EineRechtfertigungsgrundlagefürdenKo-sovo-KriegderNATO?,Hamburg2002,7ff.13 John locke,TwoTreatisesonGovernment,BookII,London1690,§135.

vor,wonachdieBundesversammlungunterVorbehaltderRechtevonVolkundStändendieobersteGewaltimBundausübt,alsodiepolitischeHerrschaftoderMacht,nichtphysischeGewalt(auchwennesingewissenPar-lamentenausserhalbderSchweizmanchmalhandgreif-lichzu-undhergeht).DemgegenüberwirdimGrundgesetzderBundesrepu-blikDeutschland5derTerminus«Gewalt» inverschie-denenKombinationenimSinnedesfranzösischenpou-voir6ebensowie inderBedeutungvonrechtswidrigerGewaltentsprechendviolence7verwendet.DerdeutschsprachigeAusdruck«Gewalt»i.S.v.potestasist somit nicht auf die Anwendung physischer KraftoderGewaltmittel(Waffen)zubegrenzen,sondernum-fasstebensodenweitergefasstenstaatsrechtlichenBe-griffdeshoheitlichenVerhältnisseszwischendemStaatunddenPersoneninseinerJurisdiktion,dasVerfügen-dürfen8, die Verfügungsmacht. Die sprachliche NähevonGewaltalsKraftkommtauchinder(etwasausderModegekommenen)WendungzumAusdruck,eineBe-hördeverfügediesoderjeneskraftihrerZuständigkeit.

II. Macht, Herrschaft und Gewalt

1. Zur Entwicklung

DieUrsprüngederFragenachderRechtfertigungvonMachtgehenimeuropäischenKulturkreisaufdiegrie-chischen Philosophen zurück. Die Notwendigkeit derMachtdesStaateswirdmitderGerechtigkeit,zunächstfestgemachtanderewigenOrdnungderNatur,alsoamvorrechtlichenNaturrecht,begründet.9aristoteles(384–322v.Chr.)setztaufdieVernunftdesMenschen,einzoon politicon,dernachEinfügung indieGesellschaftstrebt.auGustinus (354–430) findet die Begründung für dieobrigkeitliche Macht im Streben nach der absolutenGerechtigkeit,dienurineinemgottbezogenenVerhält-

chen(Art.121Abs.3lit.a;Art.123aBV)sowiedieNaturgewalten(Art.86Abs.3lit.dBV).5 Grundgesetz fürdieBundesrepublikDeutschland (GG) inderimBundesgesetzblattTeilIII,Gliederungsnummer100-1,veröffent-lichtenbereinigtenFassung,daszuletztdurchArtikel1desGesetzesvom11.Juli2012(BGBl.IS.1478)geändertwordenist.6 So«staatlicheGewalt»(Art.1Abs.1GG),«öffentlicheGewalt»(Art.19Abs.4;Art.93Abs.1Ziff.4a),«Staatsgewalt»(Art.20Abs.2GG),«gesetzgebendeGewalten» (Art.122Abs.1GG),«rechtspre-chendeGewalt»(Art.92GG),«vollziehendeGewalt»(Art.1Abs.3;20Abs. 2 f.;Art. 20aGG), «Polizeigewalt» (des Bundestagspräsi-denten,Art.40GG),Kommando-undBefehlsgewalt(desVerteidi-gungsministersüberdieStreitkräfte,Art.65a;Art.115bGG).Vgl.auch Dieter Grimm, Das staatliche Gewaltmonopol, in: Anders/Gilcher-Holtey(Hrsg.),HerausforderungendesstaatlichenGewalt-monopols,Frankfurt2006,18ff.7 SodieGewaltanwendungzurGefährdungderAussenbeziehun-gen(betreffenddieausschliesslicheGesetzgebungskompetenzdesBundes,Art.73Abs.1Ziff.10cGG)oderderAngriffmitWaffenge-waltgegendasBundesgebiet(Art.115aAbs.1,4,5GG).8 Grimm (Fn 6),18ff.;hannes Wimmer,GewaltunddasGewaltmo-nopoldesStaates,Wien/Berlin2009,2.9 kurt seelmann,Rechtsphilosophie,5.Aufl.,München2010,§8,Rz.5.

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t denGewaltbegriffdeutlich;sieumfasstnichtsanderesals in unseren Verhältnissen die verfassungsmässigestaatlicheHoheitlichkeit,deresimRahmenderdemo-kratischenRechtsordnung,d.h.gestütztaufgesetzlicheBestimmungen und unter Einhaltung des Verhältnis-mässigkeitsprinzips,zusteht,gegenWiderspenstigedasRecht nötigenfallsmit (physischem) Zwang durchzu-setzen.21

III. Zur Entwicklung des staatlichen Gewalt-/Macht-Duopols in der Schweiz

IndiesemRahmendarfdiestaatspolitischeundrechts-geschichtlicheEntwicklungdesstaatlichenGewaltmo-nopolswohlalsbekanntvorausgesetztunddahermehrder Vollständigkeit halber bloss knapp abgehandeltwerden.TrotzdernachMarignanomassgebendenAusrichtungder alten Eidgenossenschaft auf aussenpolitische Zu-rückhaltungbzw.(immerwiederverletzte)Neutralität,die nur bewaffnet glaubwürdig sein konnte, war sienichtfähig,sichaufeingemeinsamesHandelnzueini-gen.EsbliebSachederGrenz«kantone»,sich–undda-mitdas«Hinterland»–zuverteidigen.22ErstgegendasEndedesDreissigjährigenKriegeskames1647mitdemDefensional von Wyl zu einer Verständigung über dengemeinsamenGrenzschutzmiteinergemeineidgenös-sischenWehrordnungundeinemparitätischenKriegs-rat.23Dieserwar–mitzunehmenderGefahrindreiFol-gen–aberlediglichfürdenAufrufzumZusammenzugzuständig.DasDefensionalsahwedereineOberleitungnocheinenGeneralstabvor.Dochschondiesgingmeh-rerenStändenzuweitundsotratenbereits1677–nebenkonfessionellenMotivenu.a.wegen «derZerrstörungund Zerütung unßer alten so Lobl. Pündten» – ihrersechswiederaus.24AndieserAbneigungderStändege-gen eine Monopolisierung der Verteidigung ändertesichauchindenfolgendenhundertJahrennichts.Selbstals Frankreich mit der militärischen Unterwerfungdrohte,warvoneinemeidgenössischenHeernichtszusehen.DieshatteallerdingsverschiedeneGründe:Ne-benoffenenSympathienfürFrankreichunddem«Stan-desbewusstsein»verlorenwegendesherbeigewünsch-tenEinflussesderneuenOrdnungimWestendiebishe-rigenObrigkeiteninverschiedenenStändenihrMacht-monopol; sie waren mit sich selbst bzw. einem un-zufriedenenVolkbeschäftigt.ErstmitderMediationsakte25kameszuraufoktroyiertenBildung eines eidgenössischen Heeres, das – wie da-

21 kälin/lienharD/Wyttenbach (FN 11), 15; vgl. auch Wimmer(FN8),4;peter salaDin,WozunochStaaten?,Bern1995,218f.22 eDGar bonJour, Geschichte der schweizerischen Neutralität,Bd.I,Basel1970,69.23 bonJour (FN22),71f.;FreiburGhaus/bucheli/honeGGer(FN2),6.24 bonJour (FN22),73.25 Art.2Mediationsaktevom19.Februar1803,http://www.servat.unibe.ch/verfg/ch/1803_Mediationsakte.pdf (besucht im Juni

Ein wesentlicher Schritt zur Verwirklichung diesesGrundsatzeswar inEnglandzuvorbereitsderHabeas Corpus Actvon1679,dervorwillkürlicherVerhaftungschützensollte.DieGewaltenteilung,ebensovonlockewieinabgewan-delter Form vonmontesquieu formuliert,14 diente derVorsorgegegenstaatlichenMachtmissbrauch,vondenFolgenderFranzösischen Revolutionspätergefestigt.DieWeiterentwicklungderkonzeptionellen Machtbegren-zungderStaatenerfolgtenachdemGrauendesZweitenWeltkriegs sowie der nationalsozialistisch-faschisti-schenund stalinistischenEpochevorabdurchvölker-rechtlicheÜbereinkünfte(dazunachfolgendIV.).Störungen dieses Gleichgewichts zwischen staatlichenPflichtenunddemVerzichtaufrechtmässigeGewaltan-wendungderEinzelnensindvomGrundsatzhervondrei Seiten her möglich: der Staat missbraucht seinGewaltmonopol,15waszumindest ingewissenStaateneinWiderstandsrecht entstehen lässt16, er wird selbermitMachtmittelnbedrohtoderangegriffen,wasbeiei-nembewaffnetenAngriffnachderUNOChartazuei-nem begrenzten Selbstverteidigungsrecht führt17 odererkann(oderwill)innerstaatlichnichtrechtzeitigwir-kungsvoll eingreifen, was Notwehr- und Notstands-rechtentstehenlässt.18,19

2. Die GaltunG’sche «strukturelle Gewalt»

Johan GaltunGhatsodann1975denBegriffder«struk-turellen Gewalt» eingeführt, womit er Verhältnissemeint, indenen«dieaktuelle somatischeundgeistigeVerwirklichung geringer ist als die potentielle Ver-wirklichung»20 (von Gewaltanwendung). Diese Um-schreibungüberdehntjedoch–wievielfachkritisiert–

14 kälin/lienharD/Wyttenbach (FN11),11;Zippelius (FN12),§31II1,173f.15 VonsolchenMissbräuchendesstaatlichenGewaltmonopols istdieGeschichteauchnachderInkraftsetzungderChartaderVerein-tenNationenvom26.Juni1945(«UNO-Charta»),SR0.120,derAll-gemeinenErklärungderMenschenrechtevom10.Dezember1948,des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechtevom16.Dezember1966(«UNO-PaktII»),SR0.103.2,desÜberein-kommens gegen Folter und andere grausame, erniedrigendeundunmenschlicheBehandlungoderStrafevom10.Dezember1984,SR0.105,bisindieJetztzeitleidervollvonschrecklichenBeispielen.16 §20Abs.2GGineinermöglichenVariante;Art.IIDéclarationdesdroitsdel’HommeetduCitoyende1789,dieTeilderFranzö-sischenVerfassungvom4.Oktober1958 ist (Präambel).Eine spe-zielle Regelung des notstandsähnlichenWiderstandrechts bestehtbei offensichtlich rechtswidrigen Amtshandlungen: BGer Urteilvom24.August2006,1P_375/2006,E.1.4;BGE103IV73E.6b.Vgl.philipp rauber,RechtlicheGrundlagenderErfüllungsicherheitspo-lizeilicherAufgabendurchPrivate,Diss.Basel2006,105m.w.H.17 Vgl. Art. 51 UNO-Charta, ebenso die Notstandsklauseln inArt.4UNO-PaktIIundArt.15KonventionzumSchutzederMen-schenrechteundGrundfreiheitenvom4.November1950(EMRK),SR0.101.18 Art. 15 ff. Schweizerisches Strafgesetzbuchvom21.Dezember1937(StGB),SR311.0.19 Vgl.Grimm(FN6),24,26.20 ZitiertnachWimmer(FN8),3f.

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tDieBundesverfassungvom18.April1999hatinArt.52materiell–wennauchmiteinervielknapperenFormu-lierung–andiesemverfassungsrechtlichenRahmenfüreineBundesinterventionnichtsgeändert;eineBundes-interventionnuraufGesucheinesKantons,wieimNa-tionalrat vorgeschlagen, wurde deutlich abgelehnt35(und hätte dem Nachführungsgedanken widerspro-chen).IndessenhatdieneuindieVerfassungaufgenommeneBestimmungvonArt.57,wonach«BundundKantone[…]imRahmenihrerZuständigkeitenfürdieSicherheitdesLandesunddenSchutzderBevölkerung» sorgen(Abs.1)undihreAnstrengungenimBereichderinnerenSicherheitkoordinieren(Abs.2)dievormaligeKompe-tenzrechtslage aus demGleichgewicht gebracht.36 DieVerfassungsnormvonArt.57Abs.2verliertobihrerDy-namisierung37 ihre Eindeutigkeit.Nicht nur dringt derBundimmerdeutlicherindiePolizeihoheitderKanto-neein,erweichtdabeiauchdasstaatliche Gewaltmono-polauf–unddiesauch imZuständigkeitsbereichderKantone(vgl.nachfolgendZiff.V.undVI.).38

IV. Völkerrechts- und staats-politische Paradigmenwandel

1. Geo- und völkerrechtspolitische Entwicklungen nach 1945

EngverbundenmitdemGewaltmonopolistderBegriffder Souveränität, d.h. der «Höchstmächtigkeit»39 desStaatesbzw.seinesjezuständigenOrgans.Unterschie-denwirdzwischeninnererundäussererSouveränität;wesentlichesElementderSouveränität istdasGewalt-monopol.DieäussereSouveränitätverleihtdemStaatdie Handlungsfähigkeit im völkerrechtlichen Kontextund hat grundsätzlich vorab zum Ziel, die IntegritätundUnabhängigkeitdeseigenenStaatesgegenfremdeEinflüssezuwahren.40DamitbedeutetdieäussereSou-veränitätbeiMissbräuchendesGewaltmonopolsimIn-nerneinesStaatesaberauchdieOhnmachtderVölker-gemeinschaft, selbst gegen schlimmste Verletzungenvölkerrechtlich garantierter existentieller Menschen-rechte – ausser bei Völkermord – nicht vorgehen zudürfen.41

Vgl.zudenPflichtenderBundesbehördenfernermüller (FN32),30ff.35 markus h.F. mohler, Grundzüge des Polizeirechts in derSchweiz,Basel2012,Rz.1195,1210ff.36 mohler (FN35),Rz.195ff.37 «DynamisierungvonArt.57Abs.2BV»:sowörtlichimBerichtdesBundesratesvom2.März2012zumPostulatMalamabetreffendInnereSicherheit.KlärungderKompetenzen(BBl20124459),Ziff.3.1.1(4551).38 mohler(FN35),Rz.1329ff.39 ZurRelativitätder«Höchstmächtigkeit»:salaDin(FN21),29.40 christine kauFmann,DermoderneVerfassungsstaat,in:Biaggi-ni/Gächter/Kiener(Hrsg.),Staatsrecht,Zürich/St.Gallen2011,§2,Rz.40ff.41 Vgl.Art. 2Ziff. 7UNO-Charta,Art. 1Ziff. 2desZusatzproto-kollsvom8.Juni1977zudenGenferAbkommenvom12.August1949überdenSchutzderOpfernicht internationalerbewaffneter

nachentsprechenddemBundesvertragvom7.August1815 – aus festgelegten kantonalen Kontingenten zu-sammengefasstwar.26IndenArt.12(Subsidiaritätsprin-zip), 19 (Begrenzung der kantonalen Truppenstärke,MitteilungspflichtbeiMobilisierung),31ff.(aussenpoli-tische Kompetenzen des Bundes) der MediationsaktewirdderCharakterderbundesstaatlichenOrganisationder Eidgenossenschaft durch die Teilung der Macht,d.h. eine Ausdehnung der Bundeskompetenzen, be-stimmtundderGrundsteinfüreinMacht-undGewalt-Duopolgelegt.27

UnmittelbarnachderInkraftsetzungderMediationsak-te,diedenKantonendieVerantwortungfürdieinnereSicherheit (wieder) übertrug28, entstanden die erstenkantonalen Polizeidienste,29 welche die vormaligenStadtgarnisonen,30Harschierer31oderLandjägerablös-ten.InBezugaufdieZuständigkeiten fürdieGewährleis-tungvon innererundäussererSicherheitänderte sichmit der Bundesverfassung vom 12. September 1848nichts. ImMilitärwesenwurdedieBundeskompetenzund(auchfinanzielle)-verantwortung jedochdeutlichausgebaut.32 EineNeuerung gab esmit der RegelungderBundesinterventionnachArt.16,33die(ebensoinArt.16)identischindieBVvon1874übernommenwordenist:DenBundesbehördenkommenjenachBedrohungs-lagefüroderineinemKantonmiteinemSubsidiaritäts-vorbehaltbesondereAufgabenbzw.Pflichtenzu.34

2012).bonJour (FN22),144,184;peter Dürrenmatt,SchweizerGe-schichte,Zürich1963,365ff.,372f.;FreiburGhaus/bucheli/honeG-Ger(FN2),1.26 Dürrenmatt (FN25);FreiburGhaus/bucheli/honeGGer(FN2),1.27 Vgl.anDreas kley,VerfassungsgeschichtederNeuzeit,2.Aufl.,Zürich2008,217,derdeninderLiteraturvertretenenStaatenbundablehntund aufdas «corpshelvétique»unddie fehlendevölker-rechtlicheAnerkennung der Kantone durch die fremdenMächtehinweist.28 Art.12Mediationsakte:«DieCantoneübenalleGewaltaus,dienichtausdrücklichderBundesbehördeübertragen ist»undArt. 9Mediationsakte: «DieAnzahl besoldeter Truppen, die einCantonunterhaltenkann,istaufzweihundertMannbeschränkt.»29 SobeschliesstimKantonBerndieneueKantonsregierung,«derKleineRat»,am26.Oktober1803,diebisherige«Stadt-undLand-Maréchaussée» durch «ein militärisches Corps von EinhundertLandjägernmitInbegriffihresChefsundseinerUntergeordneten»zu errichten. 200 Jahre Kantonspolizei Bern, http://www.police.be.ch/police/de/index/ueber-uns/ueber-uns/historisches.html,besuchtimJuni2012.InBaselerliessenam21.Juni1816der«Bür-germeister,KleinundGrosseRäthedesKantonsBaseldasGesetzwegenEinrichtungeinerKantonsPolizey».markus FürstenberGer,175JahreKantonspolizeiBasel-Stadt,Basel1991,23.30 DievormaligenStandeskompanien(derenAngehörigeinBasel«Stänzler»genanntwurden).31 Abgeleitetvon«Archer»(ausdemAltgriechischen«archon»,d.h.Herrscher,Führer),waseinArmbrust-oderBogenschützewar.Fürs-tenberGer(FN29),18.32 FreiburGhaus/bucheli/honeGGer (FN 2), 16 ff. Vgl. auchreto müller,InnereSicherheitderSchweiz,Diss.Basel2009,EggbeiEin-siedeln2009,19,86ff.33 müller(FN32),30f.34 Ein von 28 Nationalräten unterzeichnetes Postulat Huber«Staatsreform»,Nr.3529vom9.März1937,daszumZielehatte,den«Notstandspluralismus»aufzuheben,wurdevomNationalratnichtüberwiesen;zitiertnachkley, Verfassungsgeschichte(FN27),290.

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t Fortsetzung mit Konkretisierungen namentlich durchden Internationalen Pakt über wirtschaftliche, sozialeundkulturelleRechte48,denInternationalenPaktüberbürgerliche und politische Rechte und das Überein-kommen gegen Folter und andere grausame, un-menschlicheodererniedrigendeBehandlungoderStra-fesowiedieKinderrechtskonvention49.Der2006vonderUNO-GeneralversammlunginsLebengerufeneMenschenrechtsrat50 ist ohne dieMöglichkeit,Sanktionenzuverhängen,auchohnedirekteWirksam-keit,was zurBändigungdes innerstaatlichenGewalt-monopolswenigbeiträgt.

1.1 Globaler Wandel 1991

DiedurchdieUNO-Chartageschaffene internationaleOrdnung,nachderauf jedeAndrohungoderAnwen-dungvonGewalt,die ihrenZielenzuwiderlaufen, zuverzichtensei–wasdasius ad bellumaufhob–,wurdetrotzderfaktischenSchwächederVerbindlichkeitdie-serOrdnung – ausser vondenVeto-Mächten selber –mehroderwenigereingehalten;diesberuhteindessenmehraufdemjebereitgehaltenenWeltzerstörungspo-tentialderSupermächte.DerParadigmenwechselnachdemZusammenbruch der Sowjetunion und desWar-schauerPaktesführtedazu,dassdienachdemDreissig-jährigenKriegresp.demWestfälischenFriedeneinge-treteneVerstaatlichung des KriegeswiedereinerEntstaat-lichung höchst gewaltsamer Auseinandersetzungen weicht.51DasGleichgewichtdesSchreckensistderUbiquitätdesSchrecklichengewichen.52

Das staatliche Gewaltmonopol, das nach innen undaussenwirken soll, hat seineWirkung betreffendGe-waltverzichtoderdochGewaltmässigungindoppelterHinsichtdeutlichverloren:ZumeinenweilkriminelleOrganisationenundterroristischeNetzwerke,jaEinzel-täter, aus unterschiedlichen Motiven jederzeit undüberallmit verheerenderGewalt ihreZiele verfolgen,wasjedenStaattreffenkannunddaherneueAnforde-rungenandieAbwehrstellt;zumandernweilStaaten,statteigeneStreit-oderPolizeikräfteeinzusetzen,priva-teUnternehmenmitKampfhandlungenoderpolizeili-chen Zwangsanwendungen beauftragen, ihnen alsoDispositionsbefugnisseverleihenunddieseStaaten somit die Gewaltanwendung nicht mehr direkt verantworten.

48 InternationalerPaktvom16.Dezember1966überwirtschaftli-che,sozialeundkulturelleRechte(«UNO-PaktI»),SR0.103.1.49 Übereinkommenvom20.November1989überdieRechtedesKindes(«Kinderrechtskonvention»),SR0.107,mitzweiFakultativ-protokollenvom25.Mai2000betreffendBeteiligungvonKindernanbewaffnetenKonflikten,SR0.107.1,undbetreffenddenVerkaufvon Kindern, Kinderprostitution und Kinderpornographie, SR0.107.2.50 A/Res./60/251v.15.März2006(URL:http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/a.res.60.251_en.pdf; zuletzt be-sucht:8.10.2012);erersetztdievormaligeMenschenrechtskommis-sion.51 Vgl.preuss(FN45),61ff.52 markus h.F. mohler, Vernetzung von Sicherheit, in: Rainer J.Schweizer (Hrsg.), Sicherheits- und Ordnungsrecht des Bundes,SBVRIII/1,Basel2008,BeitragJ,Rz.127.

DieGräueldernationalsozialistisch-faschistischenunddes stalinistischen Terrorregime und das Grauen desZweitenWeltkriegesführtenzudoppeltenAnstrengun-gen,einerseitsstaatlichenTerrorundandererseitsmin-destensEroberungskriegezuverhindernoderdochzuerschweren:MitderGründungderVereintenNationenam26.Juni1945inSanFranciscounddernachfolgendenRatifikati-on ihrerCharta42 verzichteten dieMitgliedstaaten aufjede mit deren Zielen unvereinbare zwischenstaatliche Androhung oder Anwendung von Gewalt (Art. 2Ziff. 4) undübertrugendemSicherheitsrat formal einMacht- (Art. 41) bzw. Gewaltmonopol (Art. 42 UNCharta).43DenMitgliedstaatenstehtnureinbegrenztesNotwehr-Selbstverteidigungsrechtzu(Art.51),bisderSicherheitsratdienotwendigenMassnahmenergriffenhat(undsichdiesealseffektiverweisen).44DieVerein-tenNationenhabendieseZieleleiderweitverfehlt,wasprimärandermangelndenrechtlichenundfaktischenUmsetzungdesdemSicherheitsratzuerkanntenembry-onalen (preuss45) Gewaltmonopols durch die Sieger-mächtezuzuschreibenist.46Dahintersteckenallerdingsweit stärker bestimmende politische Einflüsse als diestrukturellen Unzulänglichkeiten. Daskant’scheMo-dell des Friedens,wonachdieGrundideedesRechts-staatesaufdieinternationalenBeziehungenübertragenwerdenkönnte,istbedauerlicherweiseweitnähereinerUtopiealsderWirklichkeit.Mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechtevom10.Dezember194847solltedieinnerstaatlicheMacht-anwendunggegen(alle)Menschengebremstunddie-sendieGrundrechtegegenüberderstaatlichenObrig-keitzuerkanntwerden.Zielwares,dieinnerstaatlicheGewaltanwendung imRahmendes staatlichenGewalt-monopolszumerstenMalweltweit rechtlich zu beschrän-ken.DieBemühungenfandenimRahmenderUNOihre

Konflikte(ProtokollII),SR0.518.522;daherderpolitischeStreit,obessichinSyrienumeinenBürgerkrieghandleodernicht.Vgl.aberArt.1desÜbereinkommensvom9.Dezember1948überdieVerhü-tungundBestrafungdesVölkermordes,SR0.311.11.42 Der Beitritt der Schweiz zu denVereintenNationen ist in derVolksabstimmungvom3.März2002mit54,6%Ja-Stimmen(und11+2halbegegen9+4halbenStandesstimmen)bei58,4%Stimmbe-teiligungangenommenworden;am10.September2002istderBei-trittvollzogenworden(AS2003866).43 Vgl.robert kolb,Considérationsgénéralessurlaviolenceetledroitinternational,in:Zwahlen/Lienemann(Hrsg.),KollektiveGe-walt,Bern2006,47ff.,60f.44 rainer J. schWeiZer, Verfassungs- und völkerrechtliche Anfor-derungenandieVerteidigungskompetenzderArmeeunddaszu-künftigeLeistungsprofilsowiezuausgewähltenFragenderMilitär-pflicht,Gutachtenvom8.Oktober2010z.H.desVBS,in:VPB2010,10,91ff.,124.45 ulrich k. preuss,DerWandelder FormenundderRechtferti-gungvonGewaltindeninternationalenBeziehungen,in:Anders/Gilcher-Holtey, Herausforderungen des staatlichen Gewaltmono-pols,Frankfurt2006,39ff.,59.46 Vgl.marie luisa Frick,KriegAllergegenAlle:Zurmenschen-rechtlichen Legitimation staatlicher Gewalt, in: Ertl/Troy (Hrsg.),Vom«Kriegallergegenalle»zumstaatlichenGewaltmonopolundzurück?,Frankfurta.M.2012,17ff.,34.47 AngenommenvonderUNO-GeneralversammlunginParis,Res.217A(III).

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toninDringlichkeitsfällenohnevorherigeEinwilligungdesEmpfangsstaates–obinRechtsaktendesSchengen-Besitzstandesoder inbilateralenStaatsverträgengere-gelt–kommteinemgegenseitigen begrenzten Verzicht auf das eigenstaatliche GewaltmonopolimEinzelfallgleich.In Bezug auf ein quasi beschränkt partnerschaftlichesGewaltmonopolgehtderschweizerische-deutschePoli-zeivertrag61deutlichweitermitgrenzüberschreitenderObservation (zur Strafverfolgung und Strafvollstre-ckung,Art.194,sowiezurVerhinderungvonStraftatenvon erheblicher Bedeutung, Art. 15), der Nacheile(Art. 16), der verdeckten Ermittlung (zurAufklärungvonStraftaten,Art.17,undzurVerhinderungvonStraf-taten von erheblicher Bedeutung, Art. 18) sowie derkontrolliertenLieferung(Art.19),alleinDringlichkeits-fällenselbstohnevorherigeGenehmigungdesPartner-staates.Art.22siehtüberdiesdenAustauschvonPoli-zeibeamtenmitWahrnehmunghoheitlicherBefugnissevor.62

AuchinmilitärischerHinsichtistdieSchweiztrotzih-rerNeutralitätspolitikaufZusammenarbeitsformenmitandern Staaten nicht nur in derAusbildung, sondernfallweiseebensoimoperationellenBereichangewiesen.So haben die Schweiz und Frankreich 200563 und dieSchweizundItalien200664StaatsverträgeüberdieZu-sammenarbeitimBereichderSicherungdesLuftraumsgegennichtmilitärischeBedrohungenausderLuft,dieunterformellenVoraussetzungenauchdieErzwingungder Einhaltung einer Flugroute oderder Landung imLuftraumdesPartnerstaatesumfassen,abgeschlossen.Gleichgerichtete,aberwenigerweitgehendeMassnah-menumfassendeStaatsverträgebestehenseit2008mitDeutschland65undÖsterreich.66

V. Staatsrechtlicher und rechts-staatlicher Rahmen (Schweiz)

1. Das «Gewaltmonopol» als quasi vorkonstitutionelle Selbstverständ-lichkeit?

Wieerwähnt,wirddasGewaltmonopolinderBVnichtstipuliert(wasschonfürdieVerfassungenvon1848und1874galt).Wirdesalsostillschweigendalsvorkonstitu-tionelle Selbstverständlichkeit im Sinne des drittenJellinek’schen Staatlichkeitskriteriums angenommen?

Schengen-Staaten(Schengen-Informationsaustausch-Gesetz,SIaG),SR362.2,undArt.355cStGB.61 Vertragvom27.April1999zwischenderSchweizerischenEid-genossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über diegrenzüberschreitende polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit(schweizerisch-deutscherPolizeivertrag),SR0.360.136.1.62 Diese Bestimmungkam auch bereits inGenf zurAnwendunganlässlich desGipfels von Evian vom 7.März 2003, vgl.mohler(FN35),Rz.1133,2124.63 SR0.513.234.91.64 SR0.513.245.41.65 SR0.513.213.61.66 SR0.513.216.31.

1.2 Europa

DerEuropäischenUnionwirdalsgrössterErfolgdieGe-währleistungdesseitihrererstenGründungdauerndenFriedensinEuropazuerkannt(undmitderVerleihungdes Friedens-Nobelpreises 2012 auch anerkannt). Mitderzunehmenden IntegrationwurdeeineeuropäischeSicherheitsarchitekturzurBewältigungzivilerundmili-tärischer Bedrohungen aufgebaut: die GemeinsameSicherheits-undVerteidigungspolitik53,diepolizeilicheZusammenarbeitmitdenbeidenBestandteilenSchengenundEuropol54ebensowiedieKoordinationundZusam-menarbeit der (justiziellen) Strafverfolgungsbehörden(Eurojust).55

DieMitgliedstaatenteilenaufGrunddiesereuropa-(fürdie EU-Mitgliedstaaten nicht völker-) rechtlichen Ver-pflichtungenwesentliche Elemente ihres eigenen staatlichen GewaltmonopolsmitihrenPartnerstaaten;derterritoriale BezugaufdeneigenenStaatistaufgehoben56unddurcheinenweitergefasstenJurisdiktionsbereichersetztwor-den.

2. Schweiz

Wiewohl die Schweiz nichtMitgliedstaat der EU ist,hat sie mit dem Schengen-Assoziierungsabkommenvom26.Oktober200457formalgesehen–solangesieas-soziiertesSchengen-Mitgliedist–garetwasmehrvonihrem Gewaltmonopol abgetreten58 als die EU-Mit-gliedstaaten,indemsiegehaltenist,dieWeiterentwick-lungen zu übernehmen, bei deren Gestaltung jedochnur ein Mitsprache-, aber kein Mitbestimmungsrechthat. So verpflichtet namentlich der Rahmenbeschluss2006/960/JIüberdengrundrechtsrelevantenvereinfach-tenInformationsaustausch(RB-vI)59zuKooperationen,derenBedingungennichtstrengerseindürfenalsimin-nerstaatlichen Verhältnis.60 Auch die BestimmungenüberdiegrenzüberschreitendeNacheileundObservati-

53 Art.42ff.des(Lissaboner)VertragesüberdieEuropäischeUnion(EUV),ABlC115v.9.5.2008,13.54 Art.87ff.des(Lissaboner)VertragesüberdieArbeitsweisederEuropäischenUnion(AEUV),ABlC115v.9.5.2008,47.55 Art.85f.AEUV.56 Vgl.BeitragvonerharD DenninGerindiesemHeft.57 Abkommenvom26.Oktober2004zwischenderSchweizerischenEidgenossenschaft,derEuropäischenUnionundderEuropäischenGemeinschaftüberdieAssoziierungdiesesStaatesbeiderUmset-zung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands(mitAnhängenundSchlussakte),SR0.362.31.58 ObwohlderRahmenbeschlussvom13.Juni2002überdenEuro-päischenHaftbefehl,ABlL190v.18.7.2002,1,keineWeiterentwick-lungdesSchengen-BesitzstandesdarstelltundfürdieSchweizdem-nachnichtgilt.59 ABlL386v.29.12.2006,89;Notenaustauschvom28.März2008zwischenderSchweizundderEuropäischenUnionbetreffenddieÜbernahme des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs vonInformationenundErkenntnissenzwischendenStrafverfolgungs-behörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Weiter-entwicklung des Schengen-Besitzstands, abgekürzt: RB-vI), SR0.362.380.024.60 Art.3Ziff.3RB-vI(FN59);vgl.Art.6desBundesgesetzesvom12.Juni2009überdenInformationsaustauschzwischendenStraf-verfolgungsbehörden des Bundes und denjenigen der anderen

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t rie,diemithobbesbeginnt.DieserKontraktistzwischendemHerrscherunddenzeitgenössischenBürgernunterden dannzumal aktuellen Bedingungen geschlossen.FürnachfolgendeGenerationenbedeutetdieseBegrün-dungjedocheinemöglicherweiseunfreiwilligeEinord-nungineinvorbestandenesRechtsverhältnis,wasohnevorgegebene Änderbarkeit dieses Kontraktes zumin-destnachdemokratischenStaatsrechtsgrundlagennichtnotwendigerweisezubefriedigenvermag.Demgegen-überbefindetsichderdemokratische Rechtsstaatnichtineiner Legitimationskrise: Die stimmberechtigte Bevöl-kerunglegitimiertdieMacht,siekannjederzeitgewalt-freiVerfassungsänderungenunddamitMachtwechselbewirkenundsiekontrolliertdieMacht.72Dasssiesichdabei andieMenschenrechtehaltenmuss, beruht aufderEbenederLetztprinzipien,wonachunbedingte Aner-kennungswürdigkeitennichtaufeinerMehrheitberuhen,sondernaufderUn-Bedingtheit der Menschenwürde, der Vernunft und des Prinzips der Freiheit.73

Diesedemokratisch legitimierte rechtsstaatliche, d.h.ebensogrundrechtskonforme Rechtsordnung ist auch gegenüberWiderspenstigen durchzusetzen, ansonsten eine ihrerwesentlichstenSäulen,dieGleichstellungvordemGe-setz,einbräche.74

«DerPolizististbewaffnet,damitderBürgerkeineWaf-fetragenmuss»(Jeanne hersch).Indiesemfastlapida-renSatzkommtdieSymbolisierung der GesetzemitihrerDurchsetzungsfähigkeit75,dasGewaltmonopoldesRechts-staates ebenso wie dessen Schutzpflicht im Sinne vonDurchsetzung ebenso wie Zurückhaltung zum Aus-druck.

2.2 Konkret im Rechtsstaat

Voraussetzungen für die Legitimierung des staatlichen Gewaltmonopolssinddemnach1.derpolitische Wille,– dasGewaltmonopol (nichtnur imphysischenSinn)–auchalsElementderäusserenSouveränität–imvöl-kerrechtlichenRahmenauszuüben,und– zur Herstellung und Erhaltung der Fähigkeiten, dasGewaltmonopolzum Schutze des Rechtsstaates,mithinauchseinerselbst, imRahmendergrundrechtlichenundweiteren gesetzlichen Pflichten und Schrankenanzuwenden,dienötigenMittelingenügenderQua-litätundQuantitätjederzeitzurVerfügungzuhalten,d.h.zurBereitstellunghinreichenderRessourcenins-

72 Vgl.martin senti,VolkesWilleohneWillkür,NZZvom16.Juni2012,23.SkeptischsalaDin(FN21),220.DerrechtsstaatlicheEinsatz«handfester»Machtalsultima ratiodürfeniekonstruktiv-gestaltendseinundreichedaherfürSinngebungundLegitimation[desStaa-tes]letztlichnichthin.73 Vgl.annemarie pieper,RechtundMoralalsGestaltenderFrei-heit,in:Holzhey/Leyvraz(Red.).DieHerausforderungdesRechtsdurchdieMoral,studiaphilosophicavol.44/1985,Bern1985,11ff.,13.74 Vgl.kälin/lienharD/Wyttenbach (FN11),13.75 Jeanne hersch.EthikderPolizeizwischenGesetzundGewalt,VortragamSeminarfürPolizeikommandantenundPolizeichefsv.16.–18.Mai1988inKonolfingen/BE(vervielfältigteZusammenfas-sung,SchweizerischesPolizei-InstitutNeuenburg,1988),S.4f.

max Weber definierte den Staat noch deutlicher mitdemGewaltmonopol:«Staat ist diejenige menschliche Ge-meinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes […] das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich be-ansprucht. Denn das der Gegenwart Spezifische ist, dass man allen anderen Verbänden oder Einzelpersonen das Recht zur physischen Gewaltsamkeit nur soweit zuschreibt, als der Staat sie von ihrer Seite zulässt: er gilt als alleinige Quelle des ‹Rechts auf Gewaltsamkeit›.»67EinenochprägnantereFor-mulierungdiesesAutorslautet:«[D]erStaatistderjeni-geVerband,derdasMonopollegitimer GewaltsamkeitinAnspruchnimmt,–andersisternichtzudefinieren.68»Wirhabenbereitsfestgestellt,dassdieBindungdesGe-waltmonopols an ein einzelstaatliches Territoriumüberholtist.StimmtdieUmschreibungabermateriell?DasGewaltmonopolist,wiedieöffentlicheSicherheit,kein Faktum, sondern ein nach bestimmten Kriterienimmerfort anzustrebendes Ziel.69 Noch zurückhalten-der istreemtsma: «Das staatliche Gewaltmonopol ist, wo immer wir es antreffen, kein fixer Zustand, sondern eine Mo-mentaufnahme im Prozess der Monopolisierung der Gewalt durch den Staat.»70 Diese EinschränkungenbeziehensichaufdierechtswidrigeInfragestellungoderBrechungdesstaatlichenGewaltmonopols.Grimm grenztdasstaatli-cheGewaltmonopolaufdie legitime physischeGewaltein,weshalbesdurchweiterhinvorkommendeprivateGewaltnicht inFragegestelltwerde.71DieLegitimitätfindetsichbereitsbeiWeber.WährendsiebeiWeberfor-mellzuversehenist,fokussiertGrimmaufdenmateriel-len Gehalt. Beide Varianten vermögen heute jedochnichtganzzuüberzeugen,denndiestaatlicheGewalt-anwendungmussimRechtsstaatnichtnurformell legi-tim, sondern auch legal, also gesetzlich genügend be-stimmt geregelt sein und zudemmateriell legitim, d.h.verhältnismässigsein(geradeimUnrechtsstaatkannWi-derstandgegen illegale oderunverhältnismässigeGe-walt legitim sein). Indessen wird jede private illegaleGewaltanwendungzueinemVerstossgegendasstaatli-cheGewaltmonopoloder–soferndurchstaatlicheOr-ganebegangen–zuseinemMissbrauch.

2. Voraussetzungen für die Legitimität des staatlichen Gewaltmonopols

2.1 Im Allgemeinen

Die ursprüngliche Legitimierung des staatlichen Ge-waltmonopols stützt sich aufdie Sozialkontraktstheo-

67 max Weber,Wirtschaft und Gesellschaft, hrsg. von J.Winkel-mann, 5. Aufl., Tübingen 1985, 822 (so bereits in einem Vortrag«PolitikalsBeruf»,1919).Gleichinmax Weber,Soziologie,Univer-salgeschichte Analysen Politik, hrsg. von Johannes Winkelmann,Stuttgart1973,453.ZuLegitimationsinhaltenundKritikanmax We-bersLegitimationslehre:SALADIN(FN21),189ff.68 max Weber,Soziologie–WeltgeschichtlicheAnalysen–Politik,hrsg.vonJ.Winkelmann,2.Aufl.,Stuttgart1956,453.69 markus h.F. mohler/patrick Gättelin/reto müller,Unsicher-heit über Sicherheit – vonVerfassungsbegriffen bis zurRechtsan-wendung,AJP7/2007,815ff.,816.70 Jan philipp reemtsma,VertrauenundGewalt,VersuchübereinebesondereKonstellationderModerne,Hamburg2008,168.71 Grimm(FN6),28.

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tstrikt, die Bestätigung der Ausschliesslichkeit physi-scher Zwangsanwendung (als Ministerialaufgaben)durchdenStaatindenbeidenBerichtenüberdieCorpo-rate Governance.78

Dem stehen Bestimmungen des Bundesgesetzes überdieAnwendungpolizeilichenZwangsundpolizeilicherMassnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes79unddesBundesgesetzesüberdieSicherheitsorganeimöffentlichen Verkehr80 gegenüber, die inArt. 2Abs. 1lit.eZAGundArt.5Abs.3BGSTdenEinsatzprivaterDiensteauchzurAnwendungphysischenZwangser-lauben.81

Ausnahmen vom Gewaltmonopol, und damit die be-schränkteBefugniseinzelner PrivaterGewaltanzuwen-den, sind in der schweizerischen Rechtsordnung enggefasst.SiefindensichindenBestimmungenüberdieNotwehr, Notwehrhilfe und Notstand (Art. 15–18StGB), über den Besitzesschutz (Art. 926 ZGB82 i.V.mArt.52OR83)undüberMassnahmenimRahmenderel-terlichenSorge(Art.Art.301ZGB)bzw.überdieHaus-gewalt(Art.331ff.ZGB)sowieim«Jedermannsrecht»zurvorläufigenFestnahme(Art.218StPO84).85Wieengdie private Gewaltausübung begrenzt ist, zeigen diePflichten,bei zivilrechtlichenStreitigkeitendiePolizeizuzuziehen,86unddievomBundinArt.28bZGBvorge-

78 Bericht des Bundesrates zur Ausübung und Steuerung vonBundesaufgaben(CorporateGovernanceBericht)v.13.September2006(BBl20068233,6260)undUmsetzungsplanungzumCorporateGovernanceBerichtv.25.März2009(URL:http://www.efv.admin.ch/d/downloads/finanzpolitik_grundlagen/cgov/Umsetzungsplanung_CG_25032009_d.pdf;Einblick:17.6.2012),2.Ausführlicherdazumohler(FN35),Rz.1304.79 Bundesgesetzvom20.März2008überdieAnwendungpolizeili-chenZwangsundpolizeilicherMassnahmenimZuständigkeitsbe-reichdesBundes(Zwangsanwendungsgesetz,ZAG),SR364.80 Bundesgesetzvom18.Juni2010überdieSicherheitsorganederTransportunternehmenimöffentlichenVerkehr(BGST),SR745.2.81 HinsichtlichderprivatenSicherheitsorganeimöffentlichenVer-kehr:Art.4Abs.1BGSTi.V.m.Art.3undArt.4Abs.1derVerord-nungvom17.August 2011über die SicherheitsorganederTrans-portunternehmen im öffentlichen Verkehr (VST), SR 745.21. DassdemZAG generell und dem BGST zumindest für die nicht demBundgehörendenTransportunternehmendieVerfassungsgrundla-gefehlt(vgl.mohler [FN35],Rz.207ff.m.w.N.)undTransportver-träge,somitderzuentrichtendeFahrpreisebensowieeinZuschlag,privatrechtlicherNatursind(vgl.BGE136II457,UVEKgegenSBBundSBBgegenBAVE.2.2.und6.2f.)lässtdieZwangsanwendungeinschliesslich«Anhaltung», alsoFestnahme,besondersheikel er-scheinen (vgl.Art. 11UNO-Pakt II;mastronarDi, St.GallerKom-mentarzuArt.7BV,2.Aufl.2008,Rz.48).82 SchweizerischesZivilgesetzbuchvom10.Dezember1907(ZGB),SR210.83 Bundesgesetzvom30.März1911betreffenddieErgänzungdesSchweizerischenZivilgesetzbuches(FünfterTeil:Obligationenrecht,OR),SR220.84 SchweizerischeStrafprozessordnungvom5.Oktober2007(Straf-prozessordnung,StPO),SR312.0.85 Vgl.zudenAusnahmenvomstaatlichenGewaltmonopolrauber(FN16),107ff.86 Art.59Abs.2OR,sicherndeMassregelnbeiGebäuden;Art.268bOR, Durchsetzung des Retentionsrechts des Vermieters; Art. 283Abs.2Bundesgesetzvom11.April1889überSchuldbetreibungundKonkurs(SchKG),SR281.1,WahrungdesRetentionsrechtsbeiGe-fahrimVerzug,Art.284SchKG,RückschaffungvonGegenständeninnert10Tagen.

besondereinpersonellerHinsichtmitzurgrundrechts-konformen ZwangsanwendungbefähigtenAkteuren;

2.eine allen rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Rechtsetzung,welche(u.a.)– einfache Möglichkeiten der Streitentscheidung aufgewaltfreie, verfahrensrechtlich geregelte Weise ge-währleistet,– die (wenigen)Ausnahmen vom staatlichenGewalt-monopol,d.h.dierechtmässigeAnwendungprivaterGewaltklarundtransparentfestlegt,– dieBehördenverpflichtet,alleBrüchedesGewaltmo-nopolsauf ihreRechtmässigkeithinzuuntersuchenundbeinegativemBefundzusanktionieren,und– auch dieAnwendung des staatlichen Gewaltmono-polsderjustiziellenPrüfungunterstellt.

3. Verfassungsmässige Grenzen der Ausübung staatlicher Macht bzw. Gewalt

3.1 Grundsätzlich

BeruhtdieLegitimierungderstaatlichenMachtmateri-ell-rechtlich auf demSchutz derMenschenrechte undGrundfreiheiten,sostelltsichnebendieKompetenzdesStaates,DASSerZwanganwendendarf, gleichrangigdasKriterium,WIEerdieseanwendendarf.Darauslei-tensichsowohlinderRechtsetzungwieinderRechts-anwendungdieFragenab,OBFreiheitenzubeschrän-kenseienundgegebenenfallsmitwelchenMITTELN,inwelchemMASS.76Dabeikommt,wiebereitserwähnt,derKontrollederMachtanwendungnachdengenann-ten Prinzipien durch den innerstaatlichen Souveräneine prominente Funktion zu. Zusätzlich zur rechts-staatlichunverzichtbarenjustiziellen Kontrollebedarfesder demokratisch gebotenen ununterbrochenen politi-schen Verantwortungslinie.

3.2 Delegierbarkeit und Ausnahmen der Ausübung des Macht- und des staatlichen Gewaltmonopols und ihre Grenzen

Art.178Abs.3BVgestattetesdemBund,durchGesetzVerwaltungsaufgaben Organisationen und Personendes öffentlichen oder des privatenRechts zu übertra-gen, die ausserhalb der Bundesverwaltung stehen. InBezug auf die Delegierbarkeit der unmittelbarenZwangsanwendung hat diese Bestimmung – auch alsLeitmotivaufkantonalerundkommunalerEbene–zukontroversenDiskussionengeführt.Dabei istnichtzuübersehen,dass sichderBundnichtwiderspruchsfreiverhält.DerBundesrathieltimBerichtüberdiepriva-tenSicherheits-undMilitärfirmen77 fest,dasstaatlicheGewaltmonopolbildedenKernderSicherheitsverfas-sungundmachedieAnwendungphysischenZwangszur ausschliesslichenAngelegenheit des Staates.Demfolgte inhaltlichgleich,wennsprachlichauchweniger

76 kälin/lienharD/Wyttenbach(FN11),26f.77 Vom2.Dezember2005(BBl2006623,631).

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t ternationalen Kontext in methodisch unterschiedlicherWeise,wennauchnichtnotwendigerWeisemitphysi-schem Zwang, ergeben,91 andererseits binnenrechtlich durchdieBehauptungeinerBerechtigungzurGewalt-anwendung qua «besserer Legitimität» (Besetzungenusw.)oderfremdenRechts,bspw.derSharia(z.B.Züch-tigung, Entführung, Zwangsheirat, Verstümmelungweiblicher Genitalien, Tötung, Terrorakte). Anderer-seits hat sichGewaltanwendung aber auch von jegli-cher «rechtlichen» oder ideologischen Begründunggelöst,92 sie erfolgt auch aus rein hedonistischen oderschlichtprimitivstenEinstellungen.

4.3 Der Rückzug aus der Verantwortung des staatlichen Gewaltmonopols

DasGewaltmonopolistabernicht nurdaslegitime,ge-setzlichgeregelteRechtdesStaates,wonichtmitweni-ger einschneidenden Mitteln möglich, die Rechtsord-nung durchzusetzen, insbesondere die öffentliche Si-cherheit zu gewährleisten, sondern auch seine Pflicht.93Erfülltersienicht,entstehtinunterschiedlicherWeiseeinMachtvakuum,dasaugenblicklichmitillegalerGe-waltanwendunggefülltwird.Das fürdenpolizeilichenRechtsgüterschutznochhinundwieder vertreteneOpportunitätsprinzip, d.h. dasfreieErmessenv.a.derPolizei,obsieinterveniereodernicht,istdurcheinstrikteresVerständnisdesLegalitäts-prinzipsabgelöstworden.GrundlagesindinderDurch-setzung des Gewaltmonopols gesetzliche und grund-rechtliche Schutzpflichten,massgebenddasRechtsfol-ge- und darauf gestützt das Entschliessungs- (ein-schliesslichAuswahl-)ermessen.94

IllegaleGewaltandrohungen und -anwendungen sindmeistaucheineBedrohungoderVerletzungvonGrund-rechten,dieihrerseitsschützendeInterventionengebie-ten,soferndieBehördenvonderGefahrwusstenoderhätten wissen sollen und der Schutz fundamentalenRechtsvernünftigerweiseerwartetwerdendurfte.95

91 DasVorgehenderUSAimSteuerstreitundbezüglichVerlänge-rungdesVisa-Waiver-ProgramsindBeispielefürSouveränitätsverlet-zungen.ImZusammenhangmitdemSteuerstreitzwischendenUSAundderSchweizkommendievondenUSAdurchstaatsvertraglichnichtgestützteForderungenkombiniertmitAndrohungenschwer-wiegenderwirtschaftlicherNachteileAngriffenaufdieschweizeri-sche Souveränität gleich. Umgekehrt missachten Eingeständnisseschweizerischer Behörden, die den ordre public und konkrete Ge-setzesbestimmungenignorieren,diePflichtenderVerteidigungderSouveränität i.S. des Gewaltmonopols im Landesinnern; die Ver-letzungvonVerfahrensgrundrechtenderBetroffenenerscheintalsMissbrauchdesGewaltmonopols.92 hans maGnus enZensberGer, Aussichten auf den Bürgerkrieg,Frankfurt1996,20.93 kälin/lienharD/Wyttenbach(FN11),19;rauber(FN16),98.94 kälin/lienharD/Wyttenbach (FN 11), 26; mohler (FN 35),Rz.123f.,299ff.,338ff.,651f.jem.w.N.,namentlichaufbenJamin schinDler,Verwaltungsermessen,Habil.Zürich,St.Gallen2010.95 Vgl. aus jüngerer Zeit die Urteile des EGMR Finogenov andothersv.Russia (Nr.18299/03and27311/03),20.Dezember2011,§ 209m.w.N.undShumkovav.Russia (Nr. 9296/06), 14.Februar2012,§92.kälin/lienharD/Wyttenbach(FN11),14f.

schriebenekantonaleStelle,diebeihäuslicherGewaltimKrisenfallsofortintervenierenmuss.

4. Herausforderungen des staatlichen Gewaltmonopols

4.1 Gesetzliche Ermächtigungen zu (begrenzter) Machtausübung bzw. Gewaltanwendung

Die Übertragung hoheitlicher87 Befugnisse an privateOrganisationenhatinderSchweizeinelangeTradition.SienahmindessenindenletztenJahrenaufGrundver-änderter politischer Haltungen (mit entsprechenden,oft inhaltleerenundausdemEnglischen importiertenSchlagworten88)starkzu.Soweit vor der rechtlichen Zwangsvollstreckung vonVerfügungendurchbeliehenePrivate,gestütztaufeineverfassungsrechtlichenVorgabengenügendeRechtset-zung, die richterliche Überprüfbarkeit gewährleistet ist,wird das staatliche Gewaltmonopol nicht beeinträch-tigt.Trotz gesetzlicher Ermächtigungen – wie durch dasZAGunddasBGST–istdasstaatlicheGewaltmonopol in-dessenausdreiGründenverletzt,wennPrivate zur Aus-übung unmittelbaren physischen Zwangs befugt werden,bevoreinRechtsmittelergriffenwerdenundeinejusti-ziellePrüfungstattfindenkann:– die Entscheidungsmacht, gegen wen weswegen wieZwangangewendetwird(Dispositionsbefugnis),ob-liegtnichtmehreinemStaatsorgan,– diegenügendenEigenschaften undFähigkeiten (Selek-tion, Schulung, Disziplinarordnung,89 betrieblicheKontrolle)zurErfüllungderVoraussetzungen und Be-dingungen für die Anwendung unmittelbaren physischen Zwangssindnichtgewährleistet,– die ununterbrochene politische Verantwortungslinie be-stehtnicht.

Die äusserst grundrechtssensible unmittelbare physische ZwangsanwendungerlaubtkeineAufweichungodergareinenVerzichtaufdasstaatlicheGewaltmonopolbzw.seineunmittelbare Anwendung.

4.2 Illegale Herausforderungen des staatlichen Gewaltmonopols

Auchwenn jeder illegale Zwang oder dessenAndro-hungeinenVerstossgegendasstaatlicheGewaltmono-polbedeutet,wirddiesesdurcheinzelneillegaleprivateGewaltaktenicht prinzipiellinFragegestellt,soweitderStaatnichtbewusstaufdessenDurchsetzungverzichtetodermitungenügendenMittelninKaufnimmt,diesesquasipermanentnichtverteidigenzukönnen.90

Grundsätzliche Infragestellungen oder Einbrüche kön-nensicheinerseitsdurchVölkerrechtsverletzungenim in-

87 Vgl.mohler(FN35),Rz.136m.w.H.88 Z.B.«outsourcing»,«public private partnership(PPP)».89 Vgl.kälin/lienharD/Wyttenbach(FN11),67f.90 SoauchGrimm(FN6),28.

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tengbegrenztenAusnahmen–vierfachbedroht:durchvölkerrechtswidriges Verhalten anderer Völkerrechts-subjekte,durchBehauptung(internationalundbinnen-rechtlich) einer Berechtigung zur Gewaltanwendungqua fremden oder «besseren» Rechts (Selbstlegitimie-rung), durch Delegierung der DispositionsbefugnisdurchdenStaatzurAnwendungunmittelbarerphysi-scher Gewalt und durch seine mangelnde Durchset-zung,wenndiesauchunterBeachtungdesVerhältnis-mässigkeitsprinzipsmöglichundPflichtwäre.StossendistbeiderderzeitigenVerfassungsrechtslage,dassderBund,wiedargetan,selbstinnerhalbderkan-tonalenPolizeihoheitdurchdasBGSTdasGewaltmo-nopolalssolcheswieauchdasdertangiertenKantonemitdergenerellenErmächtigungstaatlicheroderpriva-ter Transportunternehmen, für polizeiliche AufgabenprivateUnternehmenzuzuziehen,beeinträchtigt.Es istdaraufhinzuweisen,dassunterbliebenerstaatli-cherSchutz,wodieserebenvernünftigerweiseerwartetwerden durfte, zur Haftung des Gemeinwesens führenkann; das Gleiche gilt, wenn bei der hoheitlichenZwangsanwendungingesetzlichunzulässigeroderun-verhältnismässigerWeise(Grund-)Rechteverletztwer-den.Dem ist beizufügen, dass das Staatshaftungsver-fahrensrechtvonBundunddenmeistenKantonendieAnsprecherbenachteiligt,wennOrganeausserhalbderZentralverwaltung,alsoauchPrivate,Haftungssubjek-tesind.DerBedrohungendesstaatlichenGewaltmonopolsalseinwesentlicherGarant der Rechtsstaatlichkeit durchillegaleAkteuresindgenug.DerStaatsollteSorgetra-gen, dass aus dem Gewaltmonopol nicht einGewalt-markt(eppler101)unddassöffentlicheSicherheitnichtzueinercommoditywird,diesichnurnochWohlhabendeleistenkönnen.SonstkönntedieWarnunghans maG-nus enZensberGersnochWirklichkeitwerden:«DiePri-vilegiertenbezahlenfürdenLuxusihrertotalenIsolie-rung; sie sindGefangene ihrer eigenen Sicherheit ge-worden.102»Eine Gesellschaft ist nicht deswegen liberal, weil derStaatmöglichst schwachundallesPrivatedafürstarkist.DieliberaleDemokratiezieltaufeinegleichermas-sen freiheitliche und gerechte Ordnung, die mit ein-wandfreienrechtsstaatlichenMittelndurchgesetztwer-densollunddienichtmiteiner«Artgeregelter,milderundfriedsamerKnechtschaft»103zuverwechselnist.

schaftliche Fakultät derUniversität Zürich (Hrsg.), Festgabe zumschweizerischenJuristentag2006,Zürich2006.101 erharD eppler, Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt?, DiePrivatisierungundKommerzialisierungderGewalt,Frankfurta.M.2002.102 enZensberGer(FN92),57.103 alexis De tocqueville,ÜberdieDemokratieinAmerika(zit.nachkley,FN27),327.

VoreinigerZeitwurdenindenMedienzweiFälledar-gestellt,indenennachdiesenBerichten–sosieauchinwesentlichenEinzelheitenzutreffensollten–Interven-tionspflichtenderBehördenverletztwordenwärenunddamitauchdasGewaltmonopolwohlignoriertwordenseinkönnte96:InderNachtvom24.aufden25.Septem-ber2011kames inBaselvoneiner«Party»auseinemillegalbesetzten,aberpolitischtoleriertenParkherauszumassivenSachbeschädigungenanLiegenschafteninderUmgebung,verursachtdurchetwa15gewalttätigePersonen,obwohldiePolizeimitgenügenderStärkeanOrtgewesenseiundhätteeingreifenkönnen(wobeidienäherenUmstände,dieetwadieVerhältnismässigkeits-problematik betreffen könnten, nicht beschriebenwurden).97EinandererSachverhaltunterdemTitel«EinMieterzumFürchten»,dersichbisherübermehralseinJahr hinzieht, wird aus Zürich berichtet:98 Vermieterwerden von einem Mieter offensichtlich tyrannisiert,ohnedassZivilgericht,StaatsanwaltschaftoderPolizeidemSpukeinEnde setzten.DerRechtsgrundsatzmitVerfassungsrang,wonachderoffenbareMissbrauchei-nesRechtes keinenRechtsschutzfindet (Art. 2Abs. 2ZGB),derTatbestandderNötigung(Art.181StGB),dasGrundrecht auf Privat-, Familienleben undWohnung(Art.13Abs.1BV,Art.8Abs.1EMRK)unddiedamitverbundene unmittelbare Grundrechtsschutzpflichteinschliesslich staatliches Gewaltmonopol scheinennachdieserDarstellungkeineBeachtungzufinden.SolchbehördlichesVerhalten–imSinneeinerTypologieundnichtalsKritikinBezugaufdiesehiererwähntenSzenarien–kämeeinemRückzug aus der Verantwortung des staatlichen GewaltmonopolsunddamiteinerAushöh-lungderRechtsstaatlichkeitgleich.DasstaatlicheVer-halten würde zu einer Art Komplizenschaft am Un-recht,wieschonenZensberGer feststellte.99Auchwenndas Verhältnismässigkeitsprinzip, oft für behördlicheZurückhaltung ins Feld geführt, diskussionslos in je-demFallzubeachtenist,kanndiesesumgekehrtnichtalsBegründungdafürdienen,selbstgegenschwerwie-gende(Grund-)Rechtsverletzungennichteinzugreifen,ohnedieseGrundrechteunddasstaatlicheGewaltmo-nopolzumissachten.

VI. Schlussbemerkungen

Das staatlicheGewaltmonopolwird – abgesehen vonder wieder erneut vorgebrachten Infragestellung desStaatesüberhaupt100undabgesehenvondengesetzlich

96 DemAutor sind die Einzelheiten nicht bekannt, insbesonderenicht, ob die Medienberichterstattungen die Sachverhalte richtigundvollständigwiedergaben.DienachfolgendeBetrachtungerfolgtdaherimSinnevonSzenarien,sieistnichtalsBeurteilungderkon-kretenFällezuverstehen.97 Vgl.BaslerZeitungononline,http://bazonline.ch/basel/stadt/Der-Justizdirektor-schweigt/story/30562647; Einblick (besucht imJuni2012).98 EinMieterzumFürchten,NZZvom2.Juni2012,19.99 vgl. enZensberGer (FN92),54f.100 Vgl.DaviD Dürr,EntstaatlichungderRechtsordnung–einMo-dell ohne Rechtsetzungs- und Gewaltmonopol, in Rechtswissen-