Zeiten des Friedens, Zeiten der Aufruhr. Die Besiedlung des offenen Landes in frühgeschichtlicher...

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Separatdruck Baselbieter Heimatbuch 29 Landschaften & Menschen im Baselbiet Herausgegeben von der Kommission für das Baselbieter Heimatbuch 2013

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SeparatdruckBaselbieter Heimatbuch 29

Landschaften & Menschenim Baselbiet

Herausgegeben von der Kommissionfür das Baselbieter Heimatbuch

2013

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Reto Marti

Zeiten des Friedens, Zeiten der AufruhrDie Besiedlung des offenen Landes in frühgeschichtlicher Zeit

Heute bestimmen Agglomerationen und Dörfer das Siedlungsbild der Land-schaft. Doch dies war nicht immer so. Die Dörfer, wie wir sie aus unserer Kindheit kennen und die uns in jüngster Zeit in ihrem Erscheinungsbild all-mählich abhanden kommen, waren das Resultat eines Verdichtungs- und Kon- solidierungsprozesses, der erst im Laufe des Mittelalters Gestalt annahm. In den Jahrhunderten zuvor war die Besiedlung des offenen Landes nicht nur wesentlich dünner, sondern auch viel fragiler und abhängiger von den gerade herrschenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen.

Mit dem Beginn der römischen Eroberung tritt die Region der heutigen Nordwest-schweiz aus dem Dunkel geschichtsloser Vergangenheit. Erste Namen und politische Ereignisse werden fassbar, insbesondere in Caesars Rechenschaftsbericht über den

1 Die Portifluh bei Zullwil, SO, von Westen gesehen. Beispiel eines schwer zugänglichen prähistorischen

Refugiums, das auch in den Krisen des späten 3. Jahrhunderts von den Menschen der umliegenden Orte

aufgesucht wurde.

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«Gallischen Krieg».1 Bereits die früheste überlieferte Folge dieser Ereignisse, die Grün-dung der Colonia Augusta Raurica im Jahr 44 v. Chr., berührt einen grundlegenden Wandel im Siedlungswesen, der mit den Römern Einzug hielt: eine neue Form der Stadt, die diesen Namen verdient.2 Schon wenige Generationen später brauchte Au-gusta Raurica mit seinem prächtigen Forum, seinen Theatern, öffentlichen Bädern und weiträumigen Tempelanlagen den Vergleich mit manch einer Kleinstadt aus dem Mit-telmeerraum nicht mehr zu scheuen. Parallel dazu machte sich ein gewisser Wohn-komfort breit, mit gemauerten Gebäuden, festen Ziegeldächern und beheizten Räu-men. Eine gehobene Bevölkerungsschicht leistete sich diesen Luxus auch auf ihren grossen Landgütern, den villae rusticae.

Unsere Vorstellungen von der römischen Besiedlung des offenen Landes werden bestimmt von Ausgrabungen solcher Landgüter, die zum Teil eine beachtliche Kom-plexität und eine Ausstattungsqualität an den Tag legten, die durchaus mit den kom-fortabelsten Stadtvillen zu vergleichen sind (Abbildung 2). Dabei war längst nicht jeder Gutshof derart gross, dass er ein luxuriöses Herrenhaus, Verwaltungsgebäude,

2 Das grosse römische Landgut von Montiacum (Munzach) bei Liestal. Unterhalb eines gross zügigen, repräsen-

tativ mit Mosaiken, Säulenportiken und beheizten Räumen ausgestatteten Herrenhauses (im Hintergrund)

erstreckt sich ein weitläufiger Wirtschaftshof mit Werkstätten, Scheunen, Stallungen und den Unterkünften

des Gesindes. Rekonstruktionsversuch von Markus Schaub.

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Speicher und Wirtschaftsbauten für alle möglichen Zwecke umfasste. Neben den grossen, in den Tälern gelegenen Betrieben muss es vielmehr zahlreiche kleinere und kleinste Gehöfte ge geben haben, die zum Teil vermutlich weit weniger «römisch» wirkten als Erstere. Archäologisch sind sie indes auch schwerer nachweisbar. Oft zeugen nur noch einige Ziegelreste auf einem Acker oder ein paar Keramikscherben in einem Leitungsgraben von solchen Siedlungsstellen.

In der Zeit des 2. und frühen 3. Jahrhunderts, als der römische Staat in Gallien für eine gewisse Stabilität, sozialen Frieden und wirtschaftliche Prosperität sorgte, blühte die Besiedlung des offenen Landes auch im Land der Rauriker. Bis auf eine Höhe von 600 Metern über Meer erstreckte sich ein erstaunlich dichtes Netz von Siedlungen (Abbildung 3). Man wird Landwirtschaft und in höheren Lagen, wo Klima und Bodenqualität weniger günstig waren, Viehzucht betrieben haben, nicht zuletzt, um die Erzeugnisse in die nahe Stadt zu bringen, die ihrerseits mit haltbar gemachten Fleischwaren zum Beispiel auch Handel trieb. In Augusta Raurica zeigen zahlreiche Räucheröfen, dass ein Schwerpunkt der landwirtschaftlichen Produktion auf der Fleischerzeugung gelegen haben muss. Schinken, Würste, Speck und Hammen waren gemäss M. Terentius Varro wichtige gallische Exportgüter – Augusta Raurica scheint einer der Exponenten dieser Ausfuhr gewesen zu sein.3

Die Abbildung 3 zeigt zwar recht deutlich, wo sich die Menschen damals überall niedergelassen haben. Wie viele Menschen aber in der Region lebten, entzieht sich unserer Kenntnis. Neuere Berechnungen gehen für Augusta Raurica von 9000 bis 15’000 Bewohnern aus. Rechnet man mit einer guten Ertragslage von rund einer Tonne Getreide pro Hektar und dem (eher bescheidenen) Bedarf von 0,55 Kilogramm Getreide pro Person und Tag, würde das bedeuten, dass 2000 bis 3000 Hektaren Ackerland nötig waren, allein um diese Stadtbevölkerung zu ernähren. Zum Ver-

3 Verbreitung der Siedlungsstellen der römischen Blütezeit (2. und frühes 3. Jahrhundert). Die Karte gibt einen

Eindruck des dichten Siedlungsnetzes, das bis auf Höhen von 600 m ü. M. (dunkles Raster) reichte.

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gleich: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind in der gesamten Nordwestschweiz (Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Fricktal und Region Birseck/Thierstein) knapp 6000 Hektaren Ackerland bewirtschaftet worden, wobei sich nur knapp die Hälfte wirklich für Ge-treideanbau eignete.4 Mit diesen Zahlen wird klar, dass die Region – auch wenn noch weitere Landwirtschaftsflächen im südlichen Oberrheintal und im rechtsrheinischen Vorland hinzuzudenken sind – intensiv bewirtschaftet werden musste, um die Be-völkerung zu ernähren.

Im Laufe des 3. Jahrhunderts verschlechterte sich die politische Grosswetterlage. Von Persien aus bedrohten die Sassaniden das Reich in seinen Grundfesten. Goten und andere Stämme stiessen in den unteren Donau- und Schwarzmeerraum vor. Franken und Alamannen bedrängten Gallien, was 259/260 zum Fall des oberger-manisch-rätischen Limes, zu einer Rückverlegung der Reichsgrenze an Ober- und Hochrhein und in den Jahren 260 bis 274 in Gallien sogar zur Bildung eines von Rom unabhängigen, heftig umkämpften Sonderreichs führte. Soldatenkaiser, getragen von exzessiver Günstlingspolitik, drängten einander in rascher Folge vom Thron. Das Resultat war ein wirtschaftlicher Zerfall, begleitet von einer massiven Inflation, unter der alle Reichsbewohner zu leiden hatten. Zu Kriegen und Krisen gesellte sich daher zusehends auch eine innere, soziale Unrast.

Es dürfte kein Zufall sein, dass viele römische Fundstellen auf dem offenen Land kaum mehr Funde aus der Zeit nach 260 bis 270 n. Chr. aufweisen. Einige dürften gänzlich aufgegeben, andere nur noch so dünn und ärmlich besiedelt gewesen sein, dass sich dies im Fundstoff kaum mehr niedergeschlagen hat. Durch die Not der Landbevölkerung, die den wirtschaftlichen und bürgerkriegsähnlichen Krisen nach der langen Friedenszeit nahezu schutzlos ausgeliefert war, kamen prähistorische Sied-lungen wieder zu Ehren: gelegentlich noch mit Wall und Graben geschützte Plätze auf steilen Bergrücken, gut versteckt und zum Teil kaum zugänglich (Abbildung 1). Hier scheinen die Menschen zeitweilig Zuflucht gefunden zu haben mit ihrem wich-tigsten Hab und Gut. Ihre Häuser und die bebauten Felder hingegen waren den plün-dernden Horden schutzlos ausgeliefert.

Unter Kaiser Diokletian (284–305), der viele wichtige Reformen in Angriff nahm, erholte sich das Römische Reich, ohne jedoch zur alten Blüte zurückzufinden. Das Siedlungswesen veränderte sich markant. Behelfsmässige Schutzvorrichtungen wichen massiv befestigten Plätzen. Am Rheinufer von Augusta Raurica errichtete man um 290 das Castrum Rauracense, eine von mächtigen Mauern umgebene Kleinstadt, in der auch die Bevölkerung des umliegenden Landes in Krisenzeiten noch weit bis ins Frühmittelalter Schutz fand (Abbildung 4).5 In Liestal entstand am Ort der heutigen Stadtkirche vermutlich eine ebenfalls befestigte, kleine Militärstation, die die Hauen-steinpässe zu sichern hatte. Archäologische Ausgrabungen der letzten Jahre in Prat-teln-Kästeli haben gezeigt, dass sich auch in den zentralen römischen Gutshöfen eine gewisse Erholung einstellte (Abbildung 5). Doch in den Jahren 350 bis 353 entglitt den römischen Kaisern die Kontrolle in Gallien erneut: Sonderreich, Bürgerkrieg, Ger-maneneinfälle – alles fast wie beim ersten Mal. Doch von diesem Schlag erholte sich

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die Region nur noch schwer. Archäologisch fassbar ist nach 353 vor allem noch das römische Militär, anhand des Soldes und eines gewissen Luxus, den sich die Söldner leisten konnten, gelegentlich auch aufgrund verlorener Einzelteile ihrer Ausrüstung (Abbildung 6). Die verarmte Bevölkerung ist am ehesten noch in ihren lateinischen Ortsnamen greifbar, welche die stürmischen Zeiten überdauert haben: Orte wie Mut-tenz, Pratteln, Sissach, Reinach, Dornach oder Munzach verdanken ihre lateinischen Namen der Römerzeit.6

Zwischen 500 und 540 übernahmen in der Region die fränkischen Merowinger das Erbe Roms. Archäologische Funde zeigen, dass in dieser Zeit neue Personengrup-pen aus dem Oberrheintal ins Basler Hinterland zuzogen, offenbar um an der land-wirtschaftlichen Wiedererschliessung des offenen Landes mitzuwirken. In Reinach sind diese Siedler an ihrer fremdartigen Keramik erkennbar – und an den Schlacht-abfällen ihrer Schweine. Denn die Neuankömmlinge brachten offenbar speziell grosse Schweinerassen mit – ob aus besonderer Vorliebe oder einfach, weil die generell anspruchslosen Tiere für eine erste Phase der Niederlassung und Urbarmachung be sonders geeignet waren, wissen wir nicht (Abbildung 7).7

Mit der Eingliederung ins Frankenreich stabilisierten sich allmählich auch die ge-sellschaftlichen Verhältnisse wieder. Ausdruck dafür sind ab dem 7. Jahrhundert sepa-rate Friedhöfe einer wohlhabenden Oberschicht etwa in Aesch-Steinacker oder erste Kirchen in wichtigen Orten wie Liestal-Munzach, Sissach oder Oberwil. Sie gehörten Familien, die sich von der einfachen Landbevölkerung abzusetzen und dynastische Interessen zu verwirklichen begannen – die Vorboten des mittelalterlichen Adels. Die Beruhigung der Lage hatte zur Folge, dass nun unter der Obhut dieser Grundherren auch das offene Land wieder intensiv besiedelt wurde. Der viel zitierte frühmittelalter-

4 Das um 290 errichtete Castrum Rauracense (Kaiseraugst), Rekonstruktionsversuch von Markus Schaub.

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liche Landesausbau war demnach nicht nur eine Folge von Bevölkerungswachstum oder Zuwanderung, sondern auch Ausdruck der geordneteren Lebens umstände: Die Menschen konnten es wieder wagen, das offene Land dauerhaft zu besiedeln (Abbil-dung 8).

6 Reitsporn und buntmetallene

Teile von Militärgürteln des

späten 4. und früheren 5. Jahr-

hunderts aus Kaiseraugst,

Grabung Jakoblihaus 1994.

5 Aus Ziegelstücken gebaute Herdstelle in einer Säulen portikus im Herrenhaus des römischen Gutshofes von

Pratteln-Kästeli. Sie zeigt, dass die in den Krisen des späten 3. Jahrhunderts zerstörte Anlage im 4. Jahrhundert

weiter besiedelt blieb.

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Detailstudien zu einzelnen Siedlungskammern zeigen, dass man sich die früh-mittelalterliche Besiedlung des offenen Landes ausserhalb der Haupttäler ähnlich kleinteilig vorzustellen hat wie zur römischen Blütezeit. Es dürfte sich mehrheitlich um kleinere Weiler oder Gehöfte gehandelt haben, von denen in der Regel höchstens ein Name die Zeiten überdauert hat. Ihre Bewohner waren nahezu bedingungslos den Grundherren ausgeliefert. Kleinere Siedlungskammern etwa um Reigoldswil, Seewen oder Rothenfluh lassen erahnen, wie sich diese Siedlungsplätze im Laufe eines Kon-zentrationsprozesses schliesslich zu den Kernen unserer heutigen Dörfer verdichteten (Abbildung 9).8 Doch dies scheint eine Entwicklung gewesen zu sein, die erst im Hochmittelalter, ab dem 11./12. Jahrhundert einsetzte. Der genaue Ablauf und die Hintergründe lassen sich heute nur noch erahnen, denn schriftliche Quellen schwei-gen sich darüber aus, und archäologische Zeugnisse sind bisher noch äusserst rar. Denkbar ist ein Zusammenhang mit dem langsamen, aber stetigen Bevölkerungs-wachstum, das Druck auf die Nahrungsmittelproduktion ausübte und die Menschen

7 Die so genannten «Boxplots» der Grössenindices von Hausschweinen zeigen, wie die Grösse der Schweine

im Laufe der Römerzeit zu- und danach wieder abnimmt. Einen Ausreisser bilden jedoch die Schweine aus dem

frühmittelalterlichen Reinach (rot). Sie zeigen die grössten Durchschnittswerte der ganzen Serie!

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im Sinne einer Produktionssteigerung zu einer Intensivierung der Landwirtschaft und einer Ausweitung, Zusammenlegung und gemeinsamen Bewirtschaftung der Felder

8 Verbreitung der Fundstellen des 6. (grün) und 7. Jahrhunderts (rot). Der Vergleich zeigt, wie sich die Besiedlung

des offenen Landes innert weniger Generationen geradezu explosionsartig ausgebreitet hat.

9 Im Talkessel von Rothenfluh weisen mehrere frühmittelalterliche Siedlungsnamen auf Ortschaften hin, die wohl

im Laufe des Hochmittelalters zum heutigen Rothenfluh zusammengezogen wurden. Nur von einigen sind bisher

jedoch archäologische Funde bekannt. 1 Siedlungsfunde 7. Jh., 2 Kirche und Gräber 8./9. Jh.

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(Holwingen)

Hendschiken

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zwang – eine Entwicklung, die schliesslich weg von der Leibeigenschaft und hin zu einem selbstständigeren Bauernstand führte.9 Bis diese sich neu her ausbildenden Orte aber unserem herkömmlichen Bild eines Dorfes entsprachen, bedurfte es noch einer generationenlangen Entwicklung und der schrittweisen «Versteinerung» der Bauern-häuser, die archäologisch erst ab dem 15./16. Jahrhundert greifbar wird (Abbil- dung 10).

Anmerkungen

1 Gaius Iulius Caesar: Commentarii de bello Gallico, bes. I, 5; I, 29.2 Zur römischen Koloniestadt grundlegend und aktuell: Ludwig Berger: Führer durch Augusta Raurica

(7. Auflage). Basel 2012.3 Reto Marti: Between ager and silva – Phases of the colonization and the use of land in Northern

Switzerland from the 2nd/3rd to the 8th/9th century, in: Jan Klápšt ̌ e & Petr Sommer (Hrsg.), Medie-val rural settlement in marginal landscapes. Ruralia 7, 2009, 291–307, hier 299 (mit Literatur).

4 Julia Bossart, Pirmin Koch, Andrew Lawrence, Sven Straumann, Ines Winet & Peter-Andrew Schwarz: Zur Einwohnerzahl von Augusta Raurica, JbAK 27, 67–108, hier besonders 105 mit Fussnote 269; vgl. Marti 2009 (wie Anmerkung 3) 298 f.

5 Reto Marti: Frühmittelalterliche Siedlungsfunde aus dem Castrum Rauracense (Grabung Kaiseraugst-Jakoblihaus, 1994.02). JbAK 17, 1996, 149–195; Reto Marti: Zwischen Römerzeit und Mittelalter. Forschungen zur frühmittelalterlichen Siedlungsgeschichte der Nordwestschweiz (4.–10. Jahrhun-dert). Archäologie und Museum 41 A. Liestal 2000, besonders A, 266 ff.

10 Der Kernbau des Hauses zu «Tülliken» in Niederdiegten wurde vermutlich im späteren 15. Jahrhundert, sicher

jedoch vor 1563, in Stein errichtet. Dies haben Untersuchungen der Archäologie Baselland im Jahr 2011 ergeben.

40 Reto Marti

6 Marti 2000 (wie Anmerkung 5), besonders A, 324 ff.7 Reto Marti: «Luteo operi, sine quo tamen non transigetur» – Frühmittelalterliche Keramik im Spiegel

gesellschaftlicher und kulturräumlicher Veränderungen in der Nordwestschweiz, in: Hüben und drüben – Räume und Grenzen in der Archäologie des Frühmittelalters (Festschrift Max Martin). Archäologie und Museum 48. Liestal 2004, 191–215, hier 193 ff.; Elisabeth Marti-Grädel: Archäo-zoologische Untersuchungen der Tierknochen aus der Burgstelle Altenberg, Kt. Basel-Landschaft (11. Jahrhundert), im Kontext früh- und hochmittelalterlicher Siedlungen der Region (5.–12. Jahr-hundert): Forschungen zur Wirtschafts- und Umweltgeschichte des Früh- und Hochmittelalters in der Nordwestschweiz, Bände A und B. Dissertation Basel 2012, 77. 193 f., Abbildung 173; Elisabeth Marti-Grädel & Richard Frosdick: Archaeozoological studies of the medieval food supply in north- western Switzerland, in: Jan Klápšte ˇ & Petr Sommer (Hrsg.), Processing, Storage, Distribution of Food. Food in the Medieval Rural Environment. Ruralia 8, 2011, 255–270, hier 262.

8 Marti 2009 (wie Anmerkung 3), 301 ff.9 Mit guter Quellenlage: Guy Bois: La mutation de l’an mil – Lournand, village mâconnais, de

l’Antiquité au féodalisme. Paris 1989; Massimo Montanari: Der Hunger und der Überfluss. Kultur-geschichte der Ernährung in Europa. München 1993, 51 ff.; Roger Sablonier: Das Dorf im Übergang vom Hoch- zum Spätmittelalter. Untersuchungen zum Wandel ländlicher Gemeinschaftsformen im ostschweizerischen Raum, in: Lutz Fenske, Thomas Zotz & Werner Rösener (Hrsg.): Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter (Festschrift Josef Fleckenstein). Sigmaringen 1984, 727–745; Werner Rösener: Einführung in die Agrargeschichte. Darmstadt 1997, bes. 90 f., 136 ff.

Bildnachweis

1 Paul Gutzwiller, Therwil.2 Römerstadt Augusta Raurica, Markus Schaub, Augst.3 Archäologie Baselland, Liestal.4 Römerstadt Augusta Raurica, Markus Schaub, Augst.5 Archäologie Baselland, Liestal.6 Marti 1996 (wie Anmerkung 5), Abbildung 3,1; 4,4.5.7 Nach Marti-Grädel 2012 (wie Anmerkung 7), Abbildung 173.8–10 Archäologie Baselland, Liestal.