Wissenschaft zwischen neuhumanistischem Bildungsideal und Staatsnutzen. Zur Gründung der Berliner...

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© Koninklijke Brill NV, Leiden ZRGG 62, 3 (2010) Also available online - www.brill.nl WERNER TRESS Wissenschaft zwischen neuhumanistischem Bildungsideal und Staatsnutzen Zur Gründung der Berliner Universität 1810 Das Humboldt’sche Bildungsideal zwischen Mythos und Forschung In seinem Werk „Die Gründung der Königlichen Friedrich-Wilhelms- Universität zu Berlin“, das 1860 anlässlich des 50. Jubiläumsjahres der Alma Mater Berolinensis erschien, dankt Rudolf Köpke dem damali- gen preußischen Kultusminister August von Bethmann-Hollweg dafür, dass er die „Acten seines Ministeriums unbeschränkt benutzen“ durf- te. 1 Die meisten Urkunden im Anhang seines Buches, so Köpke, seien „dorther entlehnt“. 2 Obgleich einige Quellenangaben bei Köpke bereits auf das „Königliche Geheime Staatsarchiv“ verweisen, waren bis 1860 die Kernbestände der Akten, die die Vorgeschichte und Gründung der Berliner Universität betreffen, offenbar noch nicht vom 1817 einge- richteten „Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten“ an das genannte Archiv abgegeben worden. Weitere 50 Jahre später – zum 100. Geburtstag der Berliner Univer- sität im Jahr 1910 – gibt sich Max Lenz betont bescheiden, als er im Vorwort seiner auf vier Bände angelegten „Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin“ über die von ihm und sei- nen Mitarbeitern herangezogenen Quellen Auskunft gibt. Fast schon selbstkritisch merkt er an, dass eine Verarbeitung sämtlicher erreichba- rer Quellen nicht angestrebt worden sei, weil die Arbeit sonst zu kei- nem Ende gefunden hätte. Einzig für das „gedruckte Material“, so Lenz, By now scholars agree that the foundation of the University of Berlin in 1810 and its glorification through the “Humboldtian myth” must be viewed sepa- rately. Nevertheless, ever since the 1910 centennial, historiography has rarely gone beyond references to the historical documents edited by Rudolf Köpke (1860) and Max Lenz (1910). Analyzing the lectures announced in the univer- sity calendar for the fall semester 1810/11, the essay shows that applied science and vocational training played a larger role than assumed. In founding the uni- versity, it seems, the authorities looked rather for the advancement of the com- mon public interest (“Staatsnutzen”) than for the realization of a “Bildungsideal”. This essay pleads, therefore, for a comprehensive reassessment of the historical docu- ments from the planning and founding stages of the University of Berlin. 1 Rudolf Köpke, Die Gründung der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1860, S. V f. 2 Ebd. S. VI; im Anhang des Buches findet sich auf den Seiten 145-236 eine Auswahl von 50 transskribierten Dokumenten aus den Jahren 1802 bis 1816, wobei Köpke neben dem Kultusministerium als weitere Fundorte das „Königliche Geheime Staatsarchiv“, den Nachlass von Carl Friedrich von Beyme und die „ungedruckten Briefe“ von Friedrich D. E. Schleiermacher und Johann G. Fichte angibt.

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WERNER TRESS

Wissenschaft zwischen neuhumanistischemBildungsideal und Staatsnutzen

Zur Gründung der Berliner Universität 1810

Das Humboldt’sche Bildungsideal zwischen Mythos und Forschung

In seinem Werk „Die Gründung der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin“, das 1860 anlässlich des 50. Jubiläumsjahres derAlma Mater Berolinensis erschien, dankt Rudolf Köpke dem damali-gen preußischen Kultusminister August von Bethmann-Hollweg dafür,dass er die „Acten seines Ministeriums unbeschränkt benutzen“ durf-te.1 Die meisten Urkunden im Anhang seines Buches, so Köpke, seien„dorther entlehnt“.2 Obgleich einige Quellenangaben bei Köpke bereitsauf das „Königliche Geheime Staatsarchiv“ verweisen, waren bis 1860die Kernbestände der Akten, die die Vorgeschichte und Gründung derBerliner Universität betreffen, offenbar noch nicht vom 1817 einge-richteten „Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- undMedizinalangelegenheiten“ an das genannte Archiv abgegeben worden.

Weitere 50 Jahre später – zum 100. Geburtstag der Berliner Univer-sität im Jahr 1910 – gibt sich Max Lenz betont bescheiden, als er imVorwort seiner auf vier Bände angelegten „Geschichte der KöniglichenFriedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin“ über die von ihm und sei-nen Mitarbeitern herangezogenen Quellen Auskunft gibt. Fast schonselbstkritisch merkt er an, dass eine Verarbeitung sämtlicher erreichba-rer Quellen nicht angestrebt worden sei, weil die Arbeit sonst zu kei-nem Ende gefunden hätte. Einzig für das „gedruckte Material“, so Lenz,

By now scholars agree that the foundation of the University of Berlin in 1810and its glorification through the “Humboldtian myth” must be viewed sepa-rately. Nevertheless, ever since the 1910 centennial, historiography has rarelygone beyond references to the historical documents edited by Rudolf Köpke(1860) and Max Lenz (1910). Analyzing the lectures announced in the univer-sity calendar for the fall semester 1810/11, the essay shows that applied scienceand vocational training played a larger role than assumed. In founding the uni-versity, it seems, the authorities looked rather for the advancement of the com-mon public interest (“Staatsnutzen”) than for the realization of a “Bildungsideal”.This essay pleads, therefore, for a comprehensive reassessment of the historical docu-ments from the planning and founding stages of the University of Berlin.

1 Rudolf Köpke, Die Gründung der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zuBerlin, Berlin 1860, S. V f.

2 Ebd. S. VI; im Anhang des Buches findet sich auf den Seiten 145-236 eine Auswahlvon 50 transskribierten Dokumenten aus den Jahren 1802 bis 1816, wobei Köpke nebendem Kultusministerium als weitere Fundorte das „Königliche Geheime Staatsarchiv“, denNachlass von Carl Friedrich von Beyme und die „ungedruckten Briefe“ von Friedrich D.E. Schleiermacher und Johann G. Fichte angibt.

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hätte eine nahezu vollständige Auswertung erreicht werden können,wohingegen er sich bei den handschriftlichen Quellen auf die BerlinerArchive habe beschränken müssen, das heißt „auf das Geheime Staats-archiv, das Königliche Hausarchiv und die Registraturen der Universi-tät und des Kultusministeriums.“3

Noch einmal 100 Jahre später – im Vorfeld des 200. Jubiläums derheutigen Humboldt-Universität zu Berlin – kann man bilanzieren, dassdie Zweifel, die Max Lenz 1910 an seiner eigenen Arbeit hegte, zumin-dest hinsichtlich der Quellenrezeption unbegründet waren. Niemandnach ihm hat die frühe Berliner Universitätsgeschichte auf Grundlageeines vergleichbar breit angelegten und vertieften Aktenstudiums mo-nographisch bearbeitet.4

Nicht zuletzt die großzügige editorische Aufbereitung ausgewählterQuellen bei Köpke und Lenz hat dazu geführt, dass beide Publikatio-nen bis heute in der Forschungsliteratur zur Gründungsphase der Berli-ner Universität die maßgeblichen Referenzwerke geblieben sind. Un-geachtet der wichtigen Erkenntnisse, die sich den großen Sammelwer-ken unter Herausgeberschaft von Wilhelm Weischedel5, von Hans Leus-sink, Eduard Neumann und Georg Kotowski6 und von Ernst Müller7

sowie den Studien von Ludwig Petry8, Ulrich Muhlack9, Walter Ruegg10,

3 Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin.Bd. 1: Gründung und Ausbau, Halle a. d. S. 1910, S. VII. Die Bestände der von Lenzgenannten Archive sind heute wie folgt zugeordnet: Geheimes Staatsarchiv → GeheimesStaatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK); Königliches Hausarchiv (ehem. Char-lottenburg) → GStA PK (dort altes Findbuch: „Übersicht über die Bestände desBrandenburgisch-Preussischen Hausarchivs zu Berlin-Charlottenburg“, Leipzig 1936,teilweise Kriegsverlust); Registraturen der Universität → Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin (UAHU); Registraturen des Kultusministeriums → GStA PK.

4 Noch umfangreicher als Köpke hat Max Lenz im vierten Band seiner „Geschichte derKöniglichen Friedrich-Wilhelms-Universiät zu Berlin“ eine Auswahl an „Urkunden, Ak-ten und Briefe[n]“ zusammengestellt.

5 Vgl. Wilhelm Weischedel (Hg.), Idee und Wirklichkeit einer Universität. Dokumen-te zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (= Gedenkschrift der Frei-en Universität Berlin zur 150. Wiederkehr des Gründungsjahres der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 1), Berlin 1960.

6 Vgl. Hans Leussink/Eduard Neumann/Georg Kotowski (Hg.), Studium Berolinense.Aufsätze und Beiträge zu Problemen der Wissenschaft und zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (= Gedenkschrift der Freien Universität Berlin zur 150.Wiederkehr des Gründungsjahres der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 2),Berlin 1960.

7 Vgl. Ernst Müller (Hg.), Gelegentliche Gedanken über Universitäten, Leipzig 1990.8 Vgl. Ludwig Petry, Die Gründung der drei Friedrich-Wilhelms-Universitäten Berlin,

Breslau und Bonn, in: Otto Brunner u. a. (Hg.), Festschrift für Hermann Aubin zum 80.Geburtstag, Bd. 2, Wiesbaden 1965, S. 687-709.

9 Vgl. Ulrich Muhlack, Die Universitäten im Zeichen von Neuhumanismus und Idea-lismus: Berlin, in: Peter Baumgart/Notker Hammerstein (Hg.), Beiträge zu Problemen deut-scher Universitätsgründungen in der frühen Neuzeit, Nendeln 1978, S. 299-340.

10 Vgl. Walter Ruegg, Der Mythos der Humboldtschen Universität, in: Universitas intheologia – theologia in universitate. Festschrift für Hans Heinrich Schmid zum 60. Ge-burtstag, Zürich 1997, S. 155-174.

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Rüdiger vom Bruch11 und Sylvia Paletschek12 verdanken, ist insgesamtfestzustellen, dass die Forschung zur Gründung der Berliner Universi-tät seit Max Lenz sehr stark von ideengeschichtlichen Diskursen ge-prägt wurde. Quellenbasierte, zumal aktengestützte Darstellungen blie-ben dagegen spärlich. Nur wenige Untersuchungen können für sich inAnspruch nehmen, hinter die genannten edierten Quellen auch auf dasoriginale Archivgut zurückgegangen zu sein.13

Der Beginn der ideengeschichtlichen Verengung der Berliner Uni-versitätsgründung geht noch um über eine Dekade vor das Erscheinendes Werkes von Max Lenz zurück. Im Jahr 1896 machte der HistorikerBruno Gebhardt14, im Jahr 1900 auch der Kirchengeschichtler Adolfvon Harnack15 erstmals eine breitere Öffentlichkeit auf die DenkschriftWilhelm von Humboldts „Über die innere und äußere Organisation derhöheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin“ aufmerksam.16 DieDenkschrift stammt zwar aus dem Zeitraum 1809/10, wurde aber imweiteren 19. Jahrhundert bis 1896 nicht rezipiert, so dass ihre Wieder-entdeckung durch Gebhardt und Harnack auf große Resonanz stieß, wasdie Diskussion im 20. Jahrhundert dann umso mehr beeinflusste. Imhistorischen Gedächtnis verfestigte sich daraufhin bis heute die Vor-stellung, dass die zentralen programmatischen Positionen der Denk-schrift – Bildung durch Wissenschaft, Einheit von Forschung und Leh-

11 Vgl. Rüdiger vom Bruch, Zur Gründung der Berliner Universität im Kontext derdeutschen Universitätslandschaft um 1800, in: Gerhard Müller/Klaus Ries/Paul Ziche (Hg.),Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800, Stuttgart 2001, 63-77; ders.,Langsamer Abschied von Humboldt? Etappen deutscher Universitätsgeschichte 1810-1945,in: Mitchell G. Ash (Hg.), Mythos Humboldt. Vergangenheit und Zukunft der deutschenUniversitäten, Wien/Köln/Weimar 1999, S. 29-57; ders., Humboldt-Universität zu Berlin(vormals Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin), in: Laetitia Boehm/Rainer A. Müller(Hg.): Universitäten und Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. EineUniversitätsgeschichte in Einzeldarstellungen, Düsseldorf 1983, S. 50-68.

12 Vgl. Sylvia Paletschek, Verbreitete sich ein ‚Humboldt‘sches Modell‘ an den deut-schen Universitäten im 19. Jahrhundert?, in: Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Hum-boldt International. Der Export des deutschen Universitätsmodells im 19. und 20. Jahr-hundert, Basel 2001, S. 75-104.

13 Zu erwähnen ist vor allem die Arbeit von Hans Christof Kraus, Theodor Anton Hein-rich Schmalz (1760-1831) – Jurisprudenz, Universitätspolitik und Publizistik im Spannungs-feld von Revolution und Restauration (= Ius Commune; Sonderhefte: Studien zur europä-ischen Rechtsgeschichte, Bd. 124), Frankfurt am Main 1999, zum Kontext der BerlinerUniversitätsgründung siehe insbesondere das II. Kapitel, S. 89-188.

14 Vgl. Bruno Gebhardt, Wilhelm von Humboldt als Staatsmann, Bd. 1: Bis zum Aus-gang des Prager Kongresses, Stuttgart 1896, S. 118-124. Auf den Seiten 187-218 gehtGebhardt ausführlich auf die Berliner Universitätsgründung ein, wobei er sich stark aufKöpke, aber auch auf das originale Archivgut bezieht.

15Adolf von Harnack, Geschichte der Königlich preußischen Akademie der Wissen-schaften zu Berlin, Berlin 1900, Bd. 1, S. 594-597, Bd. 3, S. 361-367.

16 Vollständig veröffentlicht wurde Humboldts Denkschrift 1903 in: Wilhelm vonHumboldts gesammelte Schriften, hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften,Abt. 2: Politische Denkschriften, Bd. 10 (1802-1813), hg. von Bruno Gebhardt, Berlin1903, Neudruck Berlin 1968, S. 250-260; das handschriftliche Original der Denkschriftbefindet sich im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (ABBAW), PAW1700-1811, I-I-25a.

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re sowie Einsamkeit und Freiheit wissenschaftlichen Arbeitens –gleichsam mit der Berliner Universitätsgründung 1810 voll zur Gel-tung gekommen wären und somit als Essenz der HumboldtschenUniversitätsreform verstanden werden müssten.17

Ergänzt wurde diese Sichtweise durch kommentierte Neuedierungenweiterer Denkschriften beziehungsweise philosophischer Texte aus derVorphase der Berliner Universitätsgründung, die 1910 mit dem vonEduard Spranger herausgegebenen Band „Fichte, Schleiermacher,Steffens über das Wesen der Universität“18 anhob und 1956 mit ErnstAnrichs „Die Idee der deutschen Universität“19 ihren Höhepunkt erreich-te.20 Schon der Untertitel des von Anrich herausgegeben Bandes „Diefünf Grundschriften aus der Zeit ihrer Neubegründung durch klassischenIdealismus und romantischen Realismus“ verdeutlicht ein Verfahren,in dem Geschichte durch Extrahierung einer abstrakten „Idee“ letztlichzu reiner Philosophie – „klassischer Idealismus und romantischer Rea-lismus“ – transformiert wird, um – nicht zuletzt politisch-weltanschau-lich motiviert21 – die „Neubegründung“ „der Deutschen Universität“auf die Zeit um 1810 zurück projizieren zu können. Dieser auf ein ‚Leit-bild’ hin kanonisierten Textauswahl hatten die von Weischedel undMüller herausgegebenen Editionen voraus, dass bei ihnen unter ande-rem auch der Hochschulentwurf des Berliner Spätaufklärers und frühe-ren Lehrers der Gebrüder Humboldt, Johann Jakob Engel (1741-1802),aufgenommen wurde.22 Engel plädierte für eine „große Lehranstalt in

17 Zur Rezeption des Humboldtschen Universitäts-Modells nach 1900 vgl. Silvia Pa-letschek, Die Erfindung der Humboldtschen Universität. Die Konstruktion der deutschenUniversitätsidee in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Historische Anthropologie10 (2002), S. 183-205; Mitchell G. Ash (Hg.), Mythos Humboldt. Vergangenheit und Zu-kunft der deutschen Universitäten, Wien/Köln/Weimar 1999.

18 Vgl. Eduard Spranger (Hg.), Fichte, Schleiermacher, Steffens über das Wesen derUniversität, Leipzig 1910. Der Band enthält die Schriften von Johann Gottlieb Fichte,„Deducirter Plan einer zu Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt“ (1807); FriedrichDaniel Ernst Schleiermacher, „Gelegentliche Gedanken über Universitäten im deutschenSinn“ (1808) und Henrik Steffens, „Über die Idee der Universitäten“ (1809).

19 Vgl. Ernst Anrich (Hg.), Die Idee der deutschen Universität. Die fünf Grundschrif-ten aus der Zeit ihrer Neubegründung durch klassischen Idealismus und romantischen Re-alismus, Darmstadt 1956. Der Band enthält neben den o. g. Schriften von Humboldt, Fich-te, Schleiermacher und Steffens zusätzlich die erstmals 1803 von Friedrich Wilhelm JosephSchelling veröffentlichten „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums“.

20 Ebenfalls dem Topos der ‚Idee-, Wesens- und Gestaltschriften‘ zuzuordnen sind u. a.Carl Heinrich Becker, Vom Wesen der deutschen Universität, in: Reinhold Schairer/ConradHofmann (Hg.), Die Universitätsideale der Kulturvölker, Leipzig 1925, S. 1-30; René Kö-nig, Vom Wesen der deutschen Universität, Berlin 1935; Karl Jaspers, Die Idee der Uni-versität, Berlin 1946; Helmut Schelsky, Einsamkeit und Freiheit. Idee und Gestalt derdeutschen Universität und ihrer Reformen, Hamburg 1963.

21 Vgl. Werner Treß, Ernst Anrich, in: Wolfgang Benz (Hg.), Handbuch des Antisemi-tismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Band 2/1: Personen, Berlin 2009,S. 23-26.

22 Vgl. Johann Jacob Engel, Denkschrift zur Errichtung einer großen Lehranstalt inBerlin [1802], in: Weischedel (Hg.) (wie Anm. 5), S. 3-10; in: Müller (Hg.) (wie Anm. 7),S. 6-17. Bei Müller findet sich auf den Seiten 18-42 zudem ein Ausschnitt aus der Denk-

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Berlin“ nach Vorbild der Pariser École polytechnique, an der eine demStaatsnutzen dienende berufsorientierte Ausbildung Priorität haben soll-te. Dieser utilitaristische Ansatz, den auch der bis 1807 für das preußi-sche Hochschulwesen zuständige Justizminister Julius von Massow (1750-1816) vertrat, unterschied sich fundamental von den ab 1807 durch Ro-mantik und Neuhumanismus inspirierten Universitätsplänen bei Schleier-macher und Humboldt. Wie noch zu zeigen ist, darf der – unter anderemdurch die Engel-Denkschrift vermittelte – nachhaltige Einfluss der Auf-klärung auf die alltägliche Entscheidungspraxis der Akteure in der preu-ßischen Staatsverwaltung nicht unterschätzt werden.

Die ideengeschichtliche Überhöhung des ‚Humboldt‘schen Univer-sitätsmodells‘ wurde spätestens durch Rüdiger vom Bruch und SilviaPaletschek als Konstruktion des 20. Jahrhunderts historisiert, so dassim Forschungsdiskurs inzwischen Konsens bestehen dürfte, wenn HeinzElmar Tenorth schreibt: „Die Berliner Universität und der ‚MythosHumboldt’ hatten […] eine je eigene Geschichte.“23

Quellenstudien – ein Desiderat der Forschung

Wenn also Einigkeit darüber besteht, dass beides voneinander zu tren-nen ist, welche historiographischen Standards müssen dann für die Ber-liner Universitätsgründung zur Geltung kommen? Zunächst ist es nichthinreichend, bei der Diagnose der „Humboldt‘schen Universität“ als„Erfindung“, „Konstruktion“ oder „Mythos“ stehen zu bleiben. Auchdie hinter den ‚Mythos’ zurückgehende Neurezeption von Lenz undKöpke oder der häufige Verweis auf beider Geschichtswerke, wie sieneuerdings im vierten – dem bislang einzigen erschienen – von sechsgeplanten Sammelbänden der Jubiläumsreihe „Geschichte der Univer-sität Unter den Linden 1810-2010“ vorzufinden ist, wird mittelfristignicht hinreichen.24 Der häufig anzutreffende Literaturverweis auf Köpke

schrift „Über die Einrichtung und den Zweck der höheren Lehranstalten“, die 1802 vomBerliner Arzt und Philosophen Johann Benjamin Erhard veröffentlich wurde. Wie Engelvertrat auch Erhard ein aufklärerisch-utilitaristisches Hochschulmodell.

23 Heinz Elmar Tenorth, Genese der Disziplinen – Die Konstitution der Universität.Zur Einleitung, in: ders. (Hg.), Geschichte der Universität Unter den Linden 1810-2010,Bd. 4, Berlin 2010, S. 10.

24 Vgl. Wilhelm Gräb, Die Begründung der Theologie als Wissenschaft vom Christentum,in: Tenorth (Hg.) (wie Anm. 23), S. 56. f. Hier wird „Der Aufbau der Theologischen Fakultätund die Erstbesetzung der Lehrstühle“ fast ausschließlich durch Verweise auf Köpke rekonst-ruiert. Vgl. im selben Band auch den Beitrag von Ursula Klein, Chemische Wissenschaft undTechnologie in der Gründungsphase der Berliner Universität, S. 456 ff. mit zahlreichen Ver-weisen auf Lenz; Jochen Brüning, Von Humboldt zu Helmholz: Zur Disziplinierung in denNaturwissenschaften am Beispiel der Physik (S. 395-424) verzichtet fast gänzlich auf Quellen-belege. Helmut Koch/Jürg Kramer, Die Mathematik bis 1890 (S. 465-486), berichten über„Die Anfänge der Mathematik an der Berliner Universität 1810-1831“ (S. 467 f.) nach weni-gen Sätzen abschließend: „Auch andere berufene Mathematiker und Privatdozenten in der Zeitvor 1830 traten weder durch bedeutende eigene wissenschaftliche Ergebnisse noch durch ihreLehrtätigkeit hervor.“ Nicht erwähnt werden in diesem Zusammenhang Abel Burja (1752-1816) und vor allem Johann Philipp Grüson (1768-1857), der in den ersten Semestern das Gros

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und Lenz ist aus quellenkritischen Gesichtspunkten umso bemerkens-werter, wenn man bedenkt, dass das historische Erkenntnisinteresseheute durchaus von anderen Fragestellungen geleitet wird, als in denJahren 1910 oder 1860. Demgegenüber erscheint eine neue Hinwendungzum historischen Quellenmaterial dringend geboten.

Der weitaus größte Teil der überlieferten Akten aus der Vor- undGründungsphase der Berliner Universität liegt heute im „GeheimenStaatsarchiv Preußischer Kulturbesitz“ (GStA PK). Dort befindet sich inder Überlieferung des Kultusministeriums (I. HA Rep. 76) ein Akten-lauf, der für den genannten Zeitraum als Kernbestand gelten kann.25

Ebenfalls im GStA PK enthalten die Bestände zum Kultusministerium26,

des Lehrangebotes in den „Mathematischen Wissenschaften“ abdeckte. Durch breitereArchivrecherchen fundiert sind in dem von Tenorth herausgegebenen Band einzig die Bei-träge von Johannes Helmrath, Geschichte des Mittelalters an der Berliner Universität 1810-1918 (S. 265-289), und Volker Hess, Medizin zwischen Sammeln und Experimentieren(S. 489-565).

25 Dieser Kernbestand ist wie folgt aufgebaut: GStA PK, I. HA, Rep. 76 – Kultusminis-terium, Va Sekt. 2, Tit. I, Nr. 1: „Die Einrichtung eines allgemeinen Lehrinstituts in Berlin“,ein Aktenband, Laufzeit: August 1807 bis März 1809, enthält den amtlichen Schriftwech-sel des Geheimen Kabinettsrats Carl Friedrich von Beyme und des OberkonsistorialratesJohann Wilhelm Heinrich von Nolte, Kabinettsorder des Königs Friedrich Wilhelm III,die handschriftlichen Originale der Denkschriften von Johann Jacob Engel, ChristianGottfried Schütz, Johann Christian Reil, Ludwig Friedrich von Froriep, Johann WilhelmHeinrich Nolte und Christoph Wilhelm Hufeland sowie die Etatlisten der UniversitätenFrankfurt/Oder, Königsberg und Halle für die Jahre 1796 bis 1805; Nr. 2: „Die Errichtungder Universität in Berlin“, zehn Aktenbände, Laufzeit der Bände I-VIII: Februar 1809 bisMärz 1811 (Bd. V nicht mehr im Bestand), enthält u. a. den die Universitätsgründung inBerlin betreffenden Schriftwechsel der Staatsräte Wilhelm von Humboldt, Georg H. L.Nicolovius, Johann W. Süvern und Johann D. W. Uhden; Nr. 3: „Staatsrat Uhden, betr. dieStiftung einer allgemeinen höheren Lehranstalt und Universität zu Berlin und die Über-nahme des derselben von Sr. Majestät dem Könige überlassenen Prinzen Heinrichs Palais“(diese Akte ist nicht mehr im Bestand); Nr. 4: „Die Herren Staatsräte Süvern und Uhdenund Professor Dr. Schleiermacher über die Errichtung der Universität zu Berlin“, ein Akten-band, Laufzeit Juni 1810 bis Dezember 1810“, enthält u. a. die Instruktion und Protokolleder „Commission zur Einrichtung der Universität zu Berlin“; Nr. 5: „Über die Einrichtungder Universität zu Berlin, betr. den Bericht des Herrn Staatsrats Uhden über die Bereisungmehrerer Universitäten Deutschlands im Jahre 1810“, ein Aktenband, enthält den Reise-bericht Uhdens vom September 1810 und als Anlagen die Vorlesungsverzeichnisse(Catalogus Praelectionum) der von Uhden besuchten Universitäten in Wittenberg, Halle,Leipzig, Jena, Erfurt, Göttingen, Marburg, Heidelberg und Würzburg vom Sommersemester1810.

26 GStA PK, I. HA, Rep. 76, Va Sekt. 2, Tit. IV: „Anstellung, Besoldung und Dienst-führung der Professoren, auch Habilitationen und Nostrifikationen“, hierin betreffen fünfAkten die Gründungszeit der Berliner Universität: Nr. 1: „Die Erhaltung des ProfessorsGeheimer Rat Wolf für den Preußischen Staat und dessen Anstellung in Berlin“, Laufzeit:Februar bis Juli 1809; Nr. 2: „Die Erhaltung des Professors Fichte für den preuss. Staatund dessen Anstellung in Berlin“, Laufzeit: Mai bis Oktober 1809; Nr. 3: „Die Erhaltungdes Professors und Predigers Schleiermacher für den preuss. Staat und dessen anderweiteAnstellung in Berlin“, Laufzeit: Juli bis August 1809; Nr. 4: „Die Erhaltung des Profes-sors Buttmann für den preuss. Staat und dessen Anstellung in Berlin“, Laufzeit: Dezember1808 bis April 1809; Nr.5: „Die Anstellung und Besoldung der ordentlichen und außeror-dentlichen Professoren bei der Universität zu Berlin“, Bd. I, Laufzeit: November 1810 bisJuli 1812.

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Innenministerium27, Finanzministerium28 und zur Technischen Oberbau-direktion29 noch kleinere Akteneinheiten mit Quellen zur Gründung derBerliner Universität. Hinzu kommen die Nachlässe der an der Univer-sitätsgründung beteiligten Personen, die für den vorliegenden Beitragnicht gesichtet werden konnten.

Diese breite, in jüngerer Zeit kaum mehr wahrgenommene Original-überlieferung legt die Annahme nahe, dass zur Berliner Universitäts-gründung doch noch nicht alles gesagt worden ist. Eine Neusichtungder historischen Quellenbestände könnte durchaus zu einer Neu-bewertung einzelner Aspekte der Berliner Universitätsgründung füh-ren. Diese Hypothese findet zusätzliche Unterstützung, wenn man einin den Akten überliefertes, bislang kaum rezipiertes Quellenstückgenauer betrachtet: Das deutschsprachige „Verzeichniß der von der hie-sigen Universität im nächsten Winterhalbenjahre vom 15ten Octoberan zu haltenden Vorlesungen“30 vom 18. September 1810.

Das erste Studiensemester der Berliner Universität

Die Gewichtung der Fachdisziplinen, wie sie aus dem ersten Vorlesungs-verzeichnis der Berliner Universität vom 18. September 1810 ersicht-lich wird, lässt nicht primär auf eine Gründung im Zeichen von „Neu-humanismus und Idealismus“31 schließen. Vielmehr deutet das ersteLehrangebot zum Wintersemester 1810/11 darauf hin, dass sich das vonder Spätaufklärung getragene utilitaristische Modell mit der Priorität

27 GStA PK, I. HA, Rep. 77 – Innenminsterium, Tit. 46, Nr. 6, „Errichtung einer Uni-versität in Berlin“, Bd. 1: 1809-1810, Bd. 2: 1810-1812; Tit. 183, Nr. 7: „Die veränderteVerfassung der obersten Geistlichen- und Schulbehörden und der Verwaltungszustand dernach der Verordnung vom 24. Nov. 1808 über die veränderte Verfassung der Staatsbehördenangeordneten Sektion für den Cultus und den öffentlichen Unterricht 1808-1810“.

28 GStA PK, I. HA, Rep. 151 – Finanzministerium, IC 6595/IC 6596/IC 6597: „Errich-tung einer Universität in Berlin“, drei Aktenbände, Laufzeit: Juni 1810 bis Mai 1811,enthält u. a. den „Etat der wissenschaftlichen Anstalten zu Berlin“ für 1810/11 vom 31.Oktober 1810 (Blätter 79-85); GStA PK, I. HA, Rep. 151, III, 11337: „Herausgabe einesUniversitätskalenders für Berlin“, ein Aktenband, Laufzeit: 1811-1812, enthält u. a. den„Marburger akademischen Adreß-Kalender auf das Jahr 1811“ sowie den „Berliner Uni-versitäts-Kalender auf das Schaltjahr 1812“, hg. von Julius Eduard Hitzig, darin ein „Ver-zeichnis aller Herren Mitglieder der Universität und ihrer Wohnungen“, eine Rückschauder „wirklich gehaltenen Vorlesungen“ im Wintersemester 1810/11 und Sommersemester1811, Angaben über Anzahl und Zusammensetzung der Studierenden.

29 GStA PK, I. HA, Rep. 93 D – Technische Oberbaudirektion, 222: „Bauten und Re-paraturen an den Universitätsgebäuden in Berlin”, ein Aktenband, Laufzeit: 1810-1814,enthält u. a. den Schriftwechsel zwischen dem Direktor der königl. OberbaudeputationJohann Albert Eytelwein (der ab 1810 auch an der Universität lehrte) und dem Staatsrat inder preußischen Kultusverwaltung Georg H. L. Nicolovius.

30 „Verzeichniß der von der hiesigen Universität im nächsten Winterhalbenjahre vom15ten October an zu haltenden Vorlesungen“, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76, Va, Sekt 2,Tit. I, Nr. 2, Bd. 6, Blatt 175/176; diese deutschsprachige Fassung des ersten Vorlesungs-verzeichnisses wurde u. a. im „Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeinen Literatur-zeitung“, Numero 76, vom 6. Oktober 1810, gedruckt.

31 Vgl. Muhlack (wie Anm. 9).

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auf berufsorientierte Studiengänge in den meisten Fachbereichenzunächst durchsetzte.

Mit 30 Vorlesungen, Kursen und Übungen (29 fanden tatsächlichstatt)32 wies der Fachbereich „Heilkunde“ das mit Abstand größte undinnerdisziplinär vielseitigste Lehrangebot auf. Damit wurde die seitGründung der Charité, des Collegium medico-chirurgicum und derPépinière bereits im 18. Jahrhundert gut ausgeprägte Ärzteausbildungin Berlin weiter gestärkt. Zugleich wurden die Grundlagen für die imweiteren 19. Jahrhundert wachsende Bedeutung der Berliner Universi-tätsmedizin als Forschungsstandort gelegt.33 Zwar waren unter den Ber-liner Studenten vor allem die auch „Pépinièristen“ genannten, ange-henden Militärärzte wegen ihrer oft ärmlichen sozialen Herkunft undihrer Neigung zu Krawall und Raufereien berüchtigt. Ihr rustikaler Cha-rakter in Verbindung mit der soliden chirurgischen Ausbildung erwiessich jedoch als sehr „nützlich“, als sie ab 1813 in den Befreiungskrie-gen auf den Verbandsplätzen der Schlachtfelder zum Einsatz kamen.Einer ihrer seit 1810 an der Berliner Universität lehrenden Professoren,der Anatom, Chirurg, Physiologe, Pathologe, Kliniker, Pharmakologeund Psychiater Johann Christian Reil (1759-1813)34, übernahm 1813die Leitung der links der Elbe gelegenen Lazarette mit den Militärhos-pitälern in Leipzig und Halle, wo er unter anderem für die Versorgungder an die 30.000 Verwundeten der „Völkerschlacht bei Leipzig“ zu-ständig war. Reil selbst verstarb wenige Wochen später, am 22. No-vember 1813, an Typhus. Die somit bereits in ihrer Gründung angeleg-ten Verflechtungen der Berliner Universität mit dem militärischen Ap-parat des preußischen Staates werden aus den hier genannten Beispie-len sehr deutlich, was ebenfalls dem Gesichtspunkt des StaatsnutzensRechnung trug.

Einem mehr gesamtgesellschaftlichen Nutzen entsprach die hoheBedeutung, die in der „Heilkunde“ dem Bereich der „Entbindungskunst“beziehungsweise „Geburtshilfe“ zugemessen wurde.35 Gleich drei Pro-fessoren beziehungsweise Dozenten boten im Wintersemester 1810/11Vorlesungen und praktische Übungen zu diesem Thema an: Karl F.

32 Die Angaben zu den tatsächlich durchgeführten Vorlesungen beziehen sich hier undim Weiteren auf den „Berliner Universitäts-Kalender auf das Schaltjahr 1812“, hg. vonJulius Eduard Hitzig, in: GStA PK, I. HA, Rep. 151, III, 11337 (unpaginiert) (wie Anm.28).

33 Vgl. den Literaturbericht von Christoph Kopke, Medizin im Wandel der Zeit und imWechsel der Systeme. 300 Jahre Berliner Charité, im vorl. Heft, S. 287-293.

34 Siehe u. a. Rudolf Beneke, Johann Christian Reil, in: Historische Kommission fürdie Provinz Sachsen und für Anhalt (Hg.): Mitteldeutsche Lebensbilder, Bd. 2: Lebensbil-der des 19. Jahrhunderts, Magdeburg 1927, S. 30-45; Ursula Engel, Zum Verhältnis vonPsychiatrie und Pädagogik. Aspekte einer vernunftkritischen Psychiatriegeschichte, Frank-furt am Main 1996.

35 Siehe hierzu auch Andreas D. Ebert/Matthias David, Die Gründungsväter der Uni-versitäts-Frauenklinik: Adam Elias von Siebold, Eduard Caspar Jakob von Siebold undDietrich Wilhelm Heinrich Busch, in: Matthias David/Andras D. Ebert (Hg.), Geschichteder Berliner Universitäts-Frauenkliniken, Berlin 2010, S. 165-186.

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Graefe (1787-1840)36, Christian H. Kohlrausch (1780-1828), und NathanJ. Friedländer (1776-1830).

Übrigens illustriert besonders der Fall Friedländer, dass durch dieunkritische Rezeption der Darstellung von Lenz ungewollt Verzerrun-gen in den gegenwärtigen Forschungsstand übernommen werden kön-nen. Friedländer, dem ersten Privatdozenten jüdischen Glaubens, deran der Berliner Universität mit Eröffnung des Lehrbetriebs in den er-weiterten Lehrkörper aufgenommen wurde,37 blieb die Ernennung zumProfessor zeitlebens verwehrt. Bei Max Lenz stellt sich dieser Vorgangso dar:

„Unverdrossen in der Selbstempfehlung war der Accoucheur Dr. N. J.Friedlaender, der sich, wie er mitzuteilen nicht vergaß, der besonderenGunst Hufelands und Formeys erfreute und schon ein paar Jahre hindurchan dem Collegium Medico-chirurgicum Vorlesungen gehalten hatte.“38

Demgegenüber sind in den Akten zahlreiche durchaus insistierendereBewerbungen auf Professuren überliefert39, so dass die Passage ein Belegfür ein vorurteilsgeleitetes, durchgängig negatives Bild von Glaubens-juden unter den Gelehrten der Berliner Universität ist, während getauf-te Juden bei Lenz in der Regel wesentlich positiver dargestellt wer-den.40

Nach der Heilkunde waren die „Mathematischen Wissenschaften“mit 15 Lehrveranstaltungen (zehn fanden tatsächlich statt) im erstenVorlesungsverzeichnis am zweitstärksten vertreten. Auch hier lassensich deutliche berufspraktische Bezüge etwa zur Architektur, zum Ma-schinenbau und zum Vermessungswesen feststellen. Der Direktor derBerliner Bauakademie und spätere Oberlandesbaudirektor Johann A.

36 Auch Graefe übernahm während der Befreiungskriege als Generalstabsarzt mehrereleitende Funktionen im Lazarettwesen der preußischen Armee. Vgl. Allgemeine DeutscheBiographie, Bd. 9 (1879), S. 557 ff.

37 Vgl. Jacob Jacobson, Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin (= Veröffentlichungender Berliner Historischen Kommission, Bd. 4, Quellenwerke Bd. 1), Berlin 1962, S. 44.

38 Lenz, Geschichte (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 238.39 GStA PK, I. HA, Rep. 76 – Kultusministerium, Va Sekt. 2, Tit. I, Nr. 2, Bd. 3 und 4.

Hier finden sich die zahlreichen Bewerbungen großenteils in Berlin bereits tätiger Gelehr-ter auf eine Dozentur oder Professur und die Zu- und Absagen von Professoren, die Hum-boldt, Nicolovius und Uhden großenteils von auswärts nach Berlin zu berufen versuchten.Letzteres Bemühen war übrigens durchaus von ernüchternden Ergebnissen gekennzeich-net, wenn man beispielsweise die Rufablehnungen des Göttinger Mathematikers Carl Fried-rich Gauß (Bd. 3, Blatt 114), des Heidelberger Historikers und Orientalisten FriedrichWilken (Bd. 4, Blatt 56, Wilken kam dann 1817 doch noch nach Berlin) oder des LeipzigerAltphilologen Johann Gottfried J. Hermann (Bd. 4, Blatt 263) liest.

40 Weitere deutlich antisemitische Anspielungen bei Lenz (wie Anm. 3) finden sich u. a.zum Fall der Gewaltübergriffe auf den jüdischen Studenten Joseph Leyser Brogi in denJahren 1811 und 1812 (Bd. 1, S. 410 ff.: „[…] Sohn eines jüdischen Händlers von armerHerkunft und schlechten Manieren, schäbig in der Kleidung und […] auch von Gesinnung[…].“) und zum Fall der Berufung des Juristen Eduard Gans (Bd. 2/1, S. 116 ff.). Positivergewertet wird z. B. August Neander, der bis zu seiner Taufe 1806 den Namen David Mendeltrug (Bd. 1, S. 614).

270 WERNER TREß

Eytelwein (1764-1848) lehrte im Eröffnungssemester über die „Mecha-nik fester Körper und Hydraulik“, der Mathematiker Johann PhilippGrüson las unter anderem über die „Construktion der Maschinen“ undder Astronom Jabbo Oltmanns (1783-1833) kündigte eine Vorlesung„Ueber die Anwendung der Astronomie auf die Land- und Feld-Meßkunst“ (die aber nicht stattfand) an. In den „Mathematischen Wis-senschaften“ ging es also auch um die Ausbildung des Ingenieursnach-wuchses.

Zahlenmäßig erst an dritter Stelle kamen die „Philologischen Wis-senschaften“ mit zwölf Lehrveranstaltungen (neun fanden tatsächlichstatt). Namhafte klassische Philologen wie August Boeckh (1785-1867)Friedrich August Wolf (1759-1824), Georg Ludwig Spalding (1762-1811), Ludwig Friedrich Heindorf (1774-1816), Philipp Karl Buttmann(1764-1829) und August Ferdinand Bernhardi (1769-1880) entfaltetenzweifellos mit Beginn des ersten Studiensemesters eine Vorlesungs-tätigkeit, deren Themen dem Bildungsideal des Neuhumanismus ent-sprachen. Ergänzt wurde das Lehrangebot im Sinne des Neuhumanis-mus durch eine Vorlesung im Bereich „Alterthumskunde“ – über die„Archäologie der Hebräer“ durch den Theologen Wilhelm Martin Le-berecht de Wette (1780-1849) – und zwei Vorlesungen in den „Schö-nen Künsten“, die vom Archäologen Aloys Hirt (1759-1837) über die„Geschichte der bildlichen Monumente“ und über „Baukunst“ ange-kündigt wurden.

Nimmt man als Fundierung des „Idealismus“ die „PhilosophischenWissenschaften“ hinzu, so ist festzustellen, dass diese mit gerade einmalsieben Lehrveranstaltungen (von denen tatsächlich sechs stattfanden)zu den weniger stark ausgeprägten Fachbereichen zählten. Vier der sie-ben Vorlesungen wurden von Johann Gottlieb Fichte durchgeführt (an-geboten hatte er fünf), wobei dessen „Wissenschaftslehre“ den Mittel-punkt bildete.41 Wäre es nach Fichte gegangen, so hätte sein philoso-phisches System auch als Mittelpunkt der ganzen Universität gegolten.Und dass das Lehrangebot der Philosophie im ersten Semester so spär-lich ausfiel, kam Fichtes Modell einer vom Primat der Subjektivitätdurchwalteten Universität durchaus entgegen. In seinem „DeduciertenPlan einer zu Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt“ hatte er 1807geschrieben:

„Der philosophische Künstler muß, beim Beginnen der Anstalt, ein einzi-ger sein, außer welchem durchaus kein anderer auf die Entwicklung desJünglings zum Philosophieren Einfluß habe.“42

41 Zur Philosophie an der Berliner Universität während der Gründungsphase vgl. VolkerGerhardt/Reinhard Mehring/Jana Rindert, Berliner Geist. Eine Geschichte der BerlinerUniversitätsphilosophie, Berlin 1999, S. 19-52, zu Fichte S. 46 ff.

42 Johann Gottlieb Fichte, Deduzierter Plan einer zu Berlin zu errichtenden höherenLehranstalt, die in gehöriger Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften stehe, §18,zitiert aus: Müller (Hg.) (wie Anm. 7), S. 82.

271Wissenschaft zwischen neuhumanistischem Bildungsideal und ...

Fichte wollte also allein und unwidersprochen seine Wissenschaftslehrelehren. Dem wurde aber schon im ersten Semester der Berliner Univer-sität nicht entsprochen, indem je ein Professor der Fachbereiche „Rechts-wissenschaft“ und „Heilkunde“ die Vorlesungen Fichtes durch eigeneLehrangebote in den „Philosophischen Wissenschaften“ flankierten.Dabei handelte es sich um den Juristen und ersten Rektor der BerlinerUniversität Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760-1831), der über„Naturrecht“ las, und um den erwähnten Mediziner Johann ChristianReil, der auch als Begründer der Psychiatrie und Psychotherapie gilt.Er bot eine Vorlesung unter dem für das Jahr 1810 seiner Zeit vorausklingenden Titel „Psychologie“ an.

Konkurrenz im Sinne eines denkerischen Vorbehalts gegen seineWissenschaftslehre erfuhr Fichte indes weniger durch Schmalz und Reil,als vor allem durch Schleiermacher, der von den „Theologischen Wis-senschaften“ aus ab 1810 unter anderem über „Hermeneutik“ und inspäteren Semestern zudem über „Dialektik“ las und seine eigenen phi-losophischen Grundannahmen dabei als unvereinbar mit den Fichte‘-schen publizierte. Insgesamt waren die mit acht Lehrveranstaltungen(von denen tatsächlich fünf stattfanden) ebenfalls eher schwach ausge-prägten „Theologischen Wissenschaften“ im ersten Semester kaum vonphilosophischen oder systematischen Themen geprägt. In der Substanzdominierten im Lehrangebot der Theologie-Professoren Schleiermacher,de Wette und Philipp Konrad Marheineke (1780-1846)43 Themen wie„Die Psalmen“, „Eine Einleitung in das Neue Testament“, „Symbolik“und „Homiletik“, was darauf schließen lässt, dass auch in den „Theolo-gischen Wissenschaften“ ein auf den Beruf des Pfarrers ausgerichtetesStudium als vorrangig angesehen wurde.

Darüber hinaus war das Lehrangebot der „Rechtswissenschaft“ undder „Kameralistischen Wissenschaften“ auf die Ausbildung von Juris-ten, Verwaltungsbeamten, Agrarökonomen und auch Unternehmernausgerichtet, was ebenfalls dem Bedarf des Staates an Fachkräftenentgegen kam. Mit Albrecht Daniel Thaer (1752-1828), der über das„Gewerbe der Landwirtschaft“ sowie über „Ackerbau und Viehzucht inihren einzelnen Zweigen“ las, war es gelungen, den Begründer dermodernen Agrarwissenschaft als Professor nach Berlin zu holen. Bereits1804 hatte Thaer auf einem alten Rittergut im brandenburgischen Möglinbegonnen eine landwirtschaftliche Akademie aufzubauen, deren prak-tische Expertisen er nun in die neu gegründete Universität einbrachte.

Im Hinblick auf die wechselseitigen Bezüge von Wissenschaft, Tech-nologie und Gewerbe verdienen die von Sigismund Friedrich Hermb-städt (1760-1833)44 angebotenen Vorlesungen besondere Aufmerksam-keit. Zunächst fällt auf, dass Hermbstädt sowohl in den „Naturwissen-

43 Die von Marheineke für das Wintersemester 1810/11 angebotenen Vorlesungen fan-den nicht statt, weil er erst 1811 von Heidelberg nach Berlin kam.

44 Siehe Ilja Mieck, Sigismund Friedrich Hermbstädt (1760-1833), Chemiker und Techno-loge in Berlin, in: Technikgeschichte 32 (1965), S. 325-382; Klein (wie Anm. 24), S. 452 ff.

272 WERNER TREß

schaften“ als auch in den „Kameralistischen Wissenschaften“ Vorle-sungen anbot, in den ersteren „Experimentalchemie“ und in den letzte-ren „Abriß der Technologie“, „technische, ökonomische undmedicinische Warenkunde“ und „Von den ökonomischen Gewerben“.Hierbei handelte es sich um Themen- und Praxisfelder, die von derGrundlagenforschung über ihre technischen Anwendbarkeiten bis hinzur warenförmigen Distribution in Handel und Gewerbe reichten.Hermbstädt sorgte damit nicht nur für disziplinenübergreifende Syner-gien innerhalb der Universität, sondern schuf zugleich wichtige Grund-lagen für die Vernetzung von Wissenschaft und Gewerbe. Nimmt mandas vielfältige Engagement Hermbstädts hinzu, das er unter anderemals Dozent an der Bergakademie, Obermedizinalrat, Mitglied der Tech-nischen Gewerbe- und Handelsdeputation, Berater der WegelyschenFabriken, Mitherausgeber des „Magazins zur Beförderung der Indus-trie“, Autor zahlreicher Fachbücher und schließlich als Professor ander Berliner Universität entfaltete, dann wird seine Bedeutung als Pio-nier der erst Jahrzehnte später einsetzenden Industrialisierung in Preu-ßen ersichtlich. Anders als wenige Jahre später Christian Peter WilhelmBeuth (1781-1853)45, der heute gemeinhin als „Vater der preußischenGewerbeförderung“46 gilt und 1821 in Berlin die Gewerbeschule grün-dete, verankerte Hermbstädt seine Forschungsthemen und Praxisfelderdirekt im wissenschaftlichen Milieu der Universität und nahm damitden historischen Umweg, den die von Beuth initiierten Gewerbeschulenund Technischen Hochschulen bis zu den heutigen Technischen Uni-versitäten durchliefen, zumindest in Teilen vorweg.

Insgesamt war das Lehrangebot im ersten Vorlesungsverzeichnis derBerliner Universität also von berufsrelevanten und gesellschaftlich„nützlichen“ Studien weitaus stärker geprägt, als bislang angenommen.Eine bruchlose historische Einordnung der Berliner Gründung von 1810als Universitätsreform im Sinne des Neuhumanismus wird damit frag-lich. Gewiss kamen in begrenztem Umfang auch Studienangebote zumTragen, die den Bildungsvorstellungen des Neuhumanismus und Idea-lismus entsprachen. Einige Lehrveranstaltungen lassen es plausibel er-scheinen, dass die mehr berufspraktischen und eher bildungsorientiertenStudienangebote sich auch gegenseitig ergänzen und bereichern konn-ten, so etwa die erwähnten Vorlesungen „Baukunst“ durch Aloys Hirtim Fachbereich „Schöne Künste“ und „Mechanik fester Körper undHydraulik“47 durch Johann Albert Eytelwein in den „Mathematischen

45 Siehe Helmut Reihlen, Christian Peter Wilhelm Beuth. Eine Betrachtung zur preußi-schen Politik der Gewerbeförderung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und denDrakeschen Beuth-Reliefs, Berlin/Köln 1992.

46 Vgl. u. a. „Namenspatron Beuth, der Vater der Ingenieure“ auf der Webseite der„Beuth Hochschule für Technik Berlin“ unter http://www.beuth-hochschule.de/967/ (Ab-ruf: 15.06.2010).

47 Die Vorlesung von Eytelwein orientierte sich an seinem „Handbuch der Mechanikfester Körper und der Hydraulik. Mit vorzüglicher Rücksicht auf ihre Anwendung in derArchitektur“ (548 Seiten), das 1801 in Berlin erschienen war.

273Wissenschaft zwischen neuhumanistischem Bildungsideal und ...

Wissenschaften“. Ebenso ergänzten sich im Falle der Vorlesung über„Naturrecht“ von Theodor A. H. Schmalz juristische und philosophi-sche, und im Falle der Vorlesung von Johann Christian Reil über „Psy-chologie“ medizinische und philosophische Themen. Unter den Absol-venten dürften sich derart interdisziplinäre Lehrangebote aber eher da-hingehend ausgewirkt haben, dass mehr philosophisch gebildete Juris-ten beziehungsweise Ärzte die Universität verließen als umgekehrt ju-ristisch oder medizinisch gebildete Philosophen.

Auch die Verteilung der 241 im Wintersemester 1810/11 immatri-kulierten Studenten auf die vier Fakultäten der Berliner Universitätspricht eher für eine berufspraktisch orientierte Wahl der Fächer: Al-lein 110 Studenten, also fast die Hälfte der Studierenden, waren an der

Vordruck eines Studentenausweises der Berliner Universität aus dem Wintersemester1810/1811. GStA PK, I. HA, Rep. 76, Va Sekt. 2, Tit. I, Nr. 2, Bd. VIII, Bl. 219.

Medizinischen Fakultät eingeschrieben. Zwar gehörten 52 der Philoso-phischen Fakultät an, doch war die Juristische Fakultät mit 51 fast gleich-auf, die Theologen folgten mit 28 Immatrikulierten. Zudem gehörtenzur Philosophischen Fakultät nicht nur die Philosophischen, Histori-schen und Philologischen Wissenschaften, sondern auch die stärker anPraxis orientierten Fachbereiche der Mathematischen Wissenschaften,Naturwissenschaften und Kameralistischen Wissenschaften.48

48 Angaben nach: „Berliner Universitäts-Kalender auf das Schaltjahr 1812“, S. 6ff.(wie Anm. 28); die statistischen Angaben bei Lenz, Bd. 3: Wissenschaftliche Anstalten,Spruch Kollegium, Statistik, Halle a. d. S. 1910, weichen hiervon ab.

274 WERNER TREß

Es besteht Anlass anzunehmen, dass eine umfassende Neusichtungder historischen Quellen, unter Einbezug des unpublizierten Akten-materials, das gewonnene Bild bestärkt. Zumindest die planenden undausführenden Behörden des preußischen Staates scheinen sich im Pro-zess der Gründung der Berliner Universität gegenüber dem von Hum-boldt geprägten neuhumanistischen Bildungsideal in weitaus höheremMaße an einer Mehrung des „Staatsnutzens“ orientiert zu haben.

So schrieb der oft unterschätzte Friedrich von Schuckmann (1755-1834), der – bereits am 20. November 1810 per Kabinettsordre als Nach-folger Humboldts zum neuen Direktor der „Sektion des Kultus und desöffentlichen Unterrichts“ berufen – bekanntlich kein Anhänger desNeuhumanismus war, am 3. März 1811 an den Staatskanzler Karl Au-gust von Hardenberg:

„Nicht bloß als Diener und Bürger, sondern auch als Mensch bin ich derinnigen Ueberzeugung, daß man im Handeln nicht die cosmopolitischenBeziehungen des letzteren höher als die positiven Verbindlichkeiten desersteren achten dürfe, daß man dem gegenwärtigen Regenten und Mitbür-gern zunächst verpflichtet sei, und nur was hierbei frei bleibt, der proble-matischen Vorbereitung für künftige Generationen gebühre. Aber der Geistder Zeit schwärmt in Theorien und gefällt sich im Spiel und Wechsel mitdenselben. […] Wie aber auch die Köpfe exaltiert sein mögen, so behaltendoch die Mägen immer ihre Rechte gegen sie, die einzigen die in diesemZustande geschont werden. Wem die Herrschaft über letztere bleibt, derwird auch immer mit ersteren fertig […].“49

Der Primat des Nutzenkalküls im Verhältnis von Staat und Wissenschaftberuhte also durchaus auf Gegenseitigkeit. Daran hat weder die Grün-dung der Berliner Universität von 1810 noch die nachfolgende Wissen-schafts- und Universitätsgeschichte bis heute etwas ändern können. Istdamit das Humboldt‘sche Universitätsmodell obsolet? Nein, sofern esnicht als etwas historisch je Erreichtes, sondern als „etwas noch nichtganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes“ betrachtet wird. Solan-ge Wissenschaft dem „Mythos Humboldt“ als einem ethisch fundiertenForschungsimperativ verpflichtet bleibt, nützt sie auch dem Menschen.

***

49 Köpke (wie Anm. 1), S. 226 f.

275Wissenschaft zwischen neuhumanistischem Bildungsideal und ...

DOKUMENTARISCHER ANHANG:Vorlesungsverzeichnis der Berliner Universität

vom 18. September 181050

Daß die Arbeiten der hier zu stiftenden Universität auf Michaelis d. J.ihren Anfang nehmen sollen, ist bereits von Seiten der Section für denöffentlichen Unterricht bekannt gemacht worden. Die vollständige Be-gründung und Einrichtung eines so ansehnlichen Instituts erfordert aberzu wichtige und vielseitige Vorbereitungen, als daß sie das Werk weni-ger Monate seyn könnte. Nur allmählig können geschickte Lehrer her-beigezogen, und die Verfassung der Anstalt muß durch die reiflichsteUeberlegung der dazu mitwirkenden Staatsbehörden festgestellt werden.

Keine bedeutende Universität ist deswegen gestiftet worden, wel-che sogleich in allen Theilen vollendet hätte auftreten können. Ihrerförmlichen Eröffnung mußte der Anfang der Vorlesungen, so wie dieProfessoren sich nach und nach zusammenfanden, oft mehrere Jahrevorhergehn.

Auch die Errichtung der hiesigen Universität und die dazu nöthigenVorkehrungen gestatten keine Uebereilung, und wenn auch ihre feierli-che Inauguration, so viel die Umstände vergönnen, wird beschleunigtwerden, so erlaubt es doch die Bedeutsamkeit, welche man dem Institu-te zu geben wünscht, und die Größe seines Zweckes nicht, den mit Be-dacht eingeleiteten und ununterbrochen zu verfolgenden Maaßregelnvorzugreifen, ohne welche das Ganze nicht mit festbegründeter Verfas-sung und in ausgebildeter Vollkommenheit erscheinen, und die Voll-endung des Werks öffentlich angekündigt werden kann.

Um aber die Zeit bis dahin nicht ungenutzt verstreichen, sondern,während die constitutionelle Grundlage bereitet wird, das Institut selbstin der Wirklichkeit sich allmählig bilden und in ihr wurzeln zu lassen,um den schon ernannten und nach und nach eintretenden trefflichenLehrern der neuen Universität sobald wie möglich ihren schönen Wir-kungskreis zu eröffnen, und die ihrer Bildung wegen schon anwesen-den und sich noch einfindenden Jünglinge für ihren Zweck nützlich zubeschäftigen, sollen die akademischen Vorlesungen bereits mit dembevorstehenden Winterhalbenjahre ihren Anfang nehmen.

Das nachstehende Verzeichniß derselben, welches nur zur Kenntnißdes größern Publikums vorläufig bekannt gemacht wird – indem dereigentliche Lections-Katalog noch besonders in lateinischer Sprachegedruckt werden soll – ist fragmentarisch und unvollständig in Beziehung

50 Quelle der Abschrift: GStA PK, I. HA, Rep. 76 – Kultusministerium, Va, Sekt 2, Tit.I, Nr. 2, Bd. 6, Blatt 175/176. Die Vorbemerkung von Nikolovius ist dem vierseitigenDokument ohne Überschrift als erste Seite vorangestellt. Die publizierte Fassung im„Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung“ (wie Anm. 30) weist weni-ge Abweichungen v. a. der Schreibweise auf. – Diejenigen Vorlesungen, die laut „BerlinerUniversitäts-Kalender auf das Schaltjahr 1812“ (wie Anm. 28) nicht unter den „wirklichgehaltenen Vorlesungen“ aufgeführt sind, also wahrscheinlich ausfielen, sind in der vor-liegenden Abschrift kursiv gesetzt.

276 WERNER TREß

auf die Idee, welche auch das Publikum sich selbst schon zumal d i e s e rUniversität zum Grunde legen zu müssen glaubt, konnte aber, dem Obigenzufolge, nicht anders seyn, zeichnet sich jedoch in einigen Theilen schonaus, und kündigt die Gestalt an, welche man dem Ganzen nach voll-ständiger Besetzung aller Lehrstellen zu geben beabsichtigt. EinigeErgänzungen dürfte auch wohl der lateinische Lections-Katalog schonenthalten. Aber welch ein herrlicher Uebungsplatz für das schon gebil-dete und das sich noch bildende Talent hier sich öffnen wird, daswenigstens erhellt bei dem thätigen Antheil, welchen auch mehrereMitglieder der Königlichen Akademie der Wissenschaften an der wer-denden Anstalt freiwillig nehmen, schon aus diesem ersten Versuch.

Mögen alle günstigen Umstände zusammenwirken, ein für deutscheWissenschaft und Bildung so viel versprechendes Institut, dessen Stif-tung die Regierung unseres Monarchen für immer glänzend bezeichnenwird, leicht und frey zu dem Grade der Reife zu erheben, zu welchemgediehen es als ein großes National-Institut mit allgemeiner Theilnahmezu seiner Bestimmung feierlich eingeweiht werden kann! Die Behörde,welcher zunächst die Pflege der Wissenschaft im Vaterlande und auchdieses ihren neuen Heiligthums obliege, wird es an Eifer und Thätigkeitnicht fehlen lassen, ihn, womöglich, binnen Jahresfrist herbeizuführen.

Berlin, den 18ten September 1810. Die Section des öffentlichen Unterrichts im Ministerio des Innern. Nicolovius

V e r z e i c h n i ßder

von der hiesigen Universität im nächsten Winterhalbenjahre vom15ten October an zu haltenden Vorlesungen.

Theologische Wissenschaften.Encyklopädie der theologischen Wissenschaften trägt Herr Prof.Schleiermacher in zwei Stunden wöchentlich vor.

Hermeneutik liest derselbe in 2 Stunden wöchentl.Die Psalmen erklärt Herr Prof. de Wette in sechs Stunden wöchentlich.Eine Einleitung in das Neue Testament giebt derselbe in vier Stun-

den wöchentlich.Die Schriften des Lukas erklärt Herr Prof. Schleiermacher fünf Stun-

den wöchentlich.Die Kirchengeschichte, und zwar den ersten Theil derselben, trägt

Hr. Prof. Marheineke vor.Symbolik, oder historisch-dogmatische Darstellung des Protestan-

tismus und Katholicismus, wie auch der Lehre und Verfassung der klei-nen christlichen Kirchenparteien, lehrt derselbe.

Homiletik liest derselbe.

277Wissenschaft zwischen neuhumanistischem Bildungsideal und ...

Rechtswissenschaft.Ueber die gegenwärtige Lage der Jurisprudenz in Deutschland und

die Methode ihres Studiums, wird Herr Pr. Schmalz vor dem Anfangeder Kollegien einige Tage lesen.

Das europäische Völkerrecht trägt ders. 3mal wöchentl. vor, nachMart. précis du droit de gens etc.

Allgemeines und positives Staatsrecht der Europäischen Reiche lehrtders. nach seinem Handbuche dreimal wöchentlich.

Institutionen, Geschichte und Alterthümer des römischen Rechts trägtHerr Prof. v. Savigny täglich in zwei Stunden vor.

Das Kriminalrecht mit Kriminal-Prozeß lehrt Herr Prof. Biehner.Das Lehnrecht, ders.Deutsches Recht, besonders Handels-, See- und Wechsel-Recht, trägt

Herr Prof. Schmalz nach seinem Handb. 1 Stunde täglich vor.Das Pfandrecht lehrt Herr Prof. v. Savigny öffentlich.

Heilkunde.Encyklopädie der medicinischen Wissenschaften trägt Herr Prof.

Rudolphi in zwei Stunden wöchentlich vor.Die gesammte Anatomie kursorisch trägt Herr Pr. Rudolphi im ana-

tomischen Theater vor.Osteologie trägt Herr Prof. Knape vor.Syndesmologie, derselbe.Splanchnologie, derselbe.Beide gemeinschaftlich leiten die Uebungen im anatomischen Präpariren.Vergleichende Anatomie lehrt Herr Prof. Rudolphi in vier Stunden

wöchentlich.Die Physiologie lehrt derselbe in vier Stunden wöchentlich.Dieselbe Wissenschaft lehrt Herr Prof. Horkel.Die Arzneimittellehre lehrt H. Pr. Hufeland.Dieselbe Wissenschaft werden die Herren D. Friedländer und D.

Staberoh, letzterer auch Toxikologie, vortragen.Die Pathologie lehrt Herr Prof. Reil.Von den Metamorphosen des Herzens handelt Herr Prof. Horkel öffentlich.Pathologische Anatomie liest Herr Prof. Rudolphi in zwei Stunden

wöchentlich.Die Semiotik, nach eigenen Diktaten, Herr Prof. D. Wolfart zweimal

wöchentlich.Das Formulare derselbe nach seinem Kompendium: Formulare oder

Lehre der Abfassung von Rezepten, zweimal wöchentlich.Die praktische Heilkunde lehrt Herr Prof. Hufeland.Ueber die Fieberlehre, nach den Grundsätzen der organischen Phy-

sik, Herr Prof. Reich zweimal wöchentlich.Die Chirurgie und Entbindungskunst lehrt Herr Prof. Graefe.Die Entbindungskunst wird Herr D. Kohlrausch vortragen, und sein vor-

läufig angefangenes chirurgisches Klinikum im Charitéhospitale fortsetzen.

278 WERNER TREß

Den theoretischen und praktischen Theil der Geburtshülfe trägt HerrD. Friedländer nach Osianders Grundriß der Entbindungskunst vor, undverbindet damit praktische Uebungen.

Die ambulatorisch-klinischen medicinisch-chirurgischen Uebungen,sowie das Klinikum für Augenkrankheiten, wird Herr Pr. Hufeland inVerbindung der Herren D. Bernstein u. O. Flemming im Universitäts-gebäude tägl. fortsetzen.

Klinische Uebungen werden von Herrn Prof. Reil im medicinischen,von Herrn Prof. Graefe im chirurgischen Klinikum angestellt.

Das klinische Institut im Charitéhospital dirigirt Herr Prof. Dorn.Die Lehre vom chirurgischen Verbande und den chirurgischen Ma-

schinen trägt Herr D. Bernstein nach seinem Lehrbuche vor.Die chirurgische Heilmittellehre (Akologie) d. i. die Kenntniß der In-

strumente zu allen chirurgischen Operationen, im gleichen der Binden,Bandagen und Maschinen zu sämmtlichen äußerlichen Krankheiten, unddie Anweisung zu einer richtigen Anwendung, liest Herr D. Bernstein.

Die gerichtliche Arzneikunde lehrt Herr Prof. Knape.Die Thierarzneikunde lehrt in ihren theoretischen und praktischen

Theilen sowohl für Thierärzte als künftige Physiker Herr D. Recklebenin der Thierarzneischule.

Philosophische Wissenschaften.Ueber Baco’s neues Organon wird Herr Prof. Fischer zwei Stunden

wöchentl. öffentl. lesen.Ueber das Studium der Philosophie, überhaupt als Einleitung in sei-

ne gesammten Vorlesungen, liest Herr Prof. Fichte.Eine Darlegung der Thatsachen des Bewußtseyns, als Vorbereitung

auf die Wissenschaftslehre, unddie Wissenschaftslehre selbst trägt derselbe vor;imgleichen die Rechtslehre.Naturrecht liest Herr Prof. Schmalz nach seinem Handbuche.Psychologie Herr Prof. Reil.

Mathematische Wissenschaften.Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften liest Herr Prof. Burja.Arithmetik, Geometrie, Stereometrie und ebne Trigonometrie träft

Herr Prof. Grüson vor, zweimal wöchentlich.Buchstabenrechnung und Algebra bis incl. der Auflösung numeri-

scher Gleichungen von allen Graden, derselbe zweimal wöchentlich.Analysis endlicher Größen, derselbe zweimal wöchentlich.Analysis der unendlichen Größen oder die Differenzial- und Inte-

gral-Rechnung, zweimal wöchentlich.Die allgemeine Theorie der Differenzialgleichung lehrt Herr Prof. Tralles.Analysis der Geometrie trägt derselbe vor.Ueber die Kegelschnitte und Theorie der Curven, nebst analytischer

Trigonometrie, liest Herr Prof. Grüson zweimal wöchentlich.

279Wissenschaft zwischen neuhumanistischem Bildungsideal und ...

Die Optischen Wissenschaften, zweimal wöchentlich, derselbe.Statik, Hydrostatik und Aerometrie zweimal wöchentlich, derselbe.Mechanik und Hydraulik, derselbe zweimal wöchentlich.Mechanik fester Körper und Hydraulik trägt Herr Prof. Eytelwein

vor, nach seinem Lehrbuche.Die Theorie der geographischen Ortsbestimmung aus astronomischen

Beobachtungen giebt Herr Prof. Oltmanns.Ueber die Anwendung der Astronomie auf die Land- und Feld-

Meßkunst liest derselbe.Gemeinnützige Vorlesungen über die zur Astronomie oder allgemei-

nen Weltbeschreibung gehörigen Wissenschaften hält Herr Prof. Bode.

Naturwissenschaften.Allgemeine Naturlehre trägt Herr Prof. Ermann vor.Experimentalphysik, Herr Prof. Tourte.Allgemeine Chemie, derselbe nach eigenen Heften.Experimentalchemie, Herr Prof. Klaproth, zwei Stunden wöchentlich.Allgemeine Experimentalchemie, Hr. Prof. Hermbstädt vier Stun-

den wöchentlich nach seinem Grundriß.Einzelne Theile der Chemie wird Herr Prof. Tourte vortragen.Pharmaceutische Chemie, derselbe.Die Mineralogie lehrt Herr Prof. Weiß.Physische Geographie, Herr Prof. Zeune zwei Stunden wöchentlich.Die Naturgeschichte der Säugethiere, Amphibien und Fische trägt

Herr D. Lichtenstein vor.Botanische Vorlesengen wird Herr Prof. Willdenow nach seiner Zu-

rückkunft von Paris halten.

Kameralistische Wissenschaften.Die Staatswirthschaft lehrt Herr Prof. Hoffmann.Dieselbe, Herr Prof. Schmalz nach seinem Handbuche.Von dem Gewerbe der Landwirthschaft, oder der Bewirthschaftung

der Landgüter im Allgemeinen, in Hinsicht auf die Landwirthe und denStaat, handelt Herr Prof. Thaer.

Vom Ackerbau und der Viehzucht in ihren einzelnen Zweigen, derselbe.Einen Abriß der Technologie, als Vorbereitung zum Vortrage der

allgemeinen Technologie, giebt Herr Prof. Hermbstädt.Die technische, ökonomische und medicinische Waarenkunde lehrt

derselbe 6 Stunden wöchentlich nach eigenen Heften.Von den ökonomischen Gewerben handelt derselbe.

Schöne Künste.Die Geschichte der bildlichen Monumente mit Rücksicht auf Kunst-

theorie und Kunstgeschichte wird Herr Prof. Hirt öffentlich vortragen.Die Baukunst, derselbe privatim.

280 WERNER TREß

Historische Wissenschaften.Propädeutik der Geschichte liest Hr. Prof. Rühs.Die römische Geschichte trägt Hr. D. Niebuhr in zwei Stunden wö-

chentlich vor.Die mittlere Geschichte, Herr Prof. Rühs.Die neuere Geschichte, derselbe.Eine Einleitung in die älteste Geschichte Deutschlands und des Nor-

dens, nach Tacitus Germania, trägt derselbe vor.Geschichte des Preußischen Staats, Herr Prof. Stein nach seinem Handbuche.Statistik des Preußischen Staats, derselbe nach seinem Lehrbuche der Ge-

ographie.Statistik der Europäischen Staaten, derselbe.

Alterthumskunde.Archäologie der Hebräer trägt Herr Prof. de Wette viermal wöchent-

lich vor.

Philologische Wissenschaften.Encyklopädie und Methodologie der gesammten philologischen Wis-

senschaften trägt Herr Prof. Böckh in vier Stunden wöchentlich vor.Philosophische Grammatik, Hr. D. Bernhardt.Die Metrik, lehrt in zwei Stunden wöchentlich, Herr Prof. Böckh öffentlich.Ueber Homers Ilias liest Herr Prof. Buttmann.Pindar’s Olympische und Pythische Siegslieder erklärt viermal wö-

chentlich Herr Prof. Böckh.Ueber auserlesene Stücke des Aristophanes und deren Scholien liest

Herr Prof. Wolf öffentlich zweimal wöchentlich.Ueber die Griechischen Bukoliker, Herr Prof. Heindorf in fünf Stun-

den wöchentlich.Ueber den Thukydides, Herr Prof. Wolf viermal wöchentlich.Platons Gorgias oder Gastmahl erklärt Herr Prof. Böckh vier Stun-

den wöchentlich.Ueber die Sermonen und Episteln des Horaz mit Einschluß der Poe-

tik liest Herr Prof. Heindorf fünf Stunden wöchentlich.Ueber Tacitus Annalen, fünfmal wöchentlich Herr Prof. Wolf.Das zehnte Buch des Quintilianus de institutione oratoria erklärt Hr.

Prof. Spalding öffentlich in zwei Stunden wöchentlich.

Neuere Sprachen und Literatur.Eine Einleitung in die Geschichte der ältern deutschen Poesie

überhaupt und insonderheit in das Nibelungen-Lied wird vortragen unddies Gedicht in der Ursprache grammatisch und antiquarisch erklären,Herr Prof. von der Hagen 3 Stunden wöchentlich.

Zum Privatunterricht in der Italienischen und Englischen Spracheerbietet sich Hr. Montucci;

281Wissenschaft zwischen neuhumanistischem Bildungsideal und ...

in der Spanischen Herr de Liaste;in der Französischen die Herren Prediger Reclam und Theremin.

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Zum Unterricht im Fechten und Voltigieren erbietet sich Herr Fecht-meister Felmy.

Unterricht im Reiten wird auf der Königlichen Reitbahn erteilt.

Oeffentliche gelehrte Anstalten.Die Königliche Bibliothek wird alle Tage geöffnet von 9 bis 12 und von

2 bis 4 Uhr. Auf der Bibliothek selbst erhält man jedes Buch, das man nachden Gesetzen verlangt. Ueber die Bedingungen unter welchen StudierendeBücher von der Bibliothek geliehen erhalten können, werden noch besonde-re Bestimmungen getroffen, und gehörigen Orts bekannt gemacht werden.

Die Sternwarte, der botanische Garten, das anatomische und zooto-mische Museum, das zoologische Museum, die Sammlung vonGypsabgüssen, von verschiedenen kunstreichen Merkwürdigkeiten,werden zum Theil bey Vorlesungen benutzt, oder können von Studie-renden, die sich gehörigen Orts melden, besucht werden.

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Wegen der Wohnungen meldet man sich an den Logis-KommissariusHerrn Kommissionsrath Gädicke. Auswärtige können von ihm sowohlüber die Preise der Wohnungen als andere Umstände Nachricht erhal-ten, und durch ihn im voraus Bestellungen machen.

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Ergänzung: Laut „Berliner Universitäts-Kalender auf das Schaltjahr1812“ (siehe Anm. 28) fanden im Wintersemester 1810/11 zusätzlichfolgende Vorlesungen und Kurse statt, die nicht im „Verzeichniß…“vom 18. Sept. 1810 angekündigt wurden:

Heilkunde: Anton Ludwig Ernst Horn: Clinische Übungen;Novologie und spezielle Fieberlehre; venerische Krankheiten.

Philologische Wissenschaften: Ludwig Friedrich Heindorf: Über dieGeschichte des Theokrit, Bion und Moschus; Friedrich August Wolf:Über lateinischen Stil.

Mathematische Wissenschaften: Johann Philipp Grüson:Construktion der MaschinenNaturwissenschaften: Georg Carl Ludwig Sigwart: Chemie der organi-

schen Körper; Christian Samuel Weiß: Geognosie.Kameralistische Wissenschaften: Johann Gottfried Hoffmann: Politi-

sche Arithmetik.