Texte und Textsorten [Texts and Genres in Political Discourse, handbook article]

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This is a pre-publication manuscript of a contribution to: Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft, ed. Kersten Roth, Martin Wengeler, Alex- ander Ziem. Handbücher Sprachwissen, vol 19. Berlin, New York: de Gruyter. The volume is in press and due for publication in 2015. If you wish to quote from the arti- cle, either contact [email protected] or refer to the published version once available. 1 Melani Schröter Texte und Textsorten Die Entwicklung innerhalb der angewandten Linguistik der letzten Jahrzehnte ist geprägt von von einer Ausweitung des Gegenstandsbereichs, so dass sprachliches Handeln nicht mehr nur in Sätzen und Texten, sondern vielmehr in Diskursen verortet wird. Die jeweils ‚überwundenen‘ Ebenen ‚niedrigeren‘ Komplexitätsgrades werfen dabei Fragen nach dem Verhältnis zwischen den Ebenen Wort, Satz, Text und Diskurs auf und gehen auch in die Modellierung übergeordeter Ebenen ein, vgl. Warnke und Spitzmüllers (2008) Modell zur diskurslinguistischen Mehr-Ebenen-Analyse (insbes. S. 44). Dadurch, dass in einem umfassenden, integrativen Modell mit den verschiedenen Ebenen jeweils Kriterien zur Erfassung, Verortung und Bedingtheit sprachlichen Handelns hinzukommen, erfolgt eine Erweiterung linguistischer Fragestellungen. Mit Blick auf diesen wissenschaftsgeschichtlichen Kontext soll hier die anhaltende Bedeutsamkeit der Konzeptionalisierung der sprachlichen Ebene Text sowie ihrer Untersuchung reflektiert werden, und zwar besonders hinsichtlich des Stellenwertes für die Analyse politischen Sprachgebrauchs. Exemplifiziert werden diese Überlegungen anhand der Textsorte Wahlplakat sowohl im Hinblick auf deren konstitutive Elemente als auch im Hinblick auf die multimodalen, intertextuellen und diskursiven Zusammenhänge, die für die Textsorte ebenso charakteristisch sind wie rekurrente struktuelle Merkmale. Gliederungsübersicht 1 Satz Text - Diskurs 2 Klassifikation von Texten im politischen Sprachgebrauch 3 Wahlplakate eine Textsorte im multimodalen, intertextuellen, intermedialen und diskursiven Geflecht 4 Literatur 10 Stichwörter für Sachregister: Text, Textsorte, Textlinguistik, Textualität, Wahlplakat, Multimodalität, Intertextualität, Intermedialität, Diskurslinguistik, Diskursanalyse 1 Satz – Text – Diskurs 1.1 Vom Satz zur transphrastischen Ebene

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1

Melani Schröter

Texte und Textsorten

Die Entwicklung innerhalb der angewandten Linguistik der letzten Jahrzehnte ist

geprägt von von einer Ausweitung des Gegenstandsbereichs, so dass sprachliches

Handeln nicht mehr nur in Sätzen und Texten, sondern vielmehr in Diskursen

verortet wird. Die jeweils ‚überwundenen‘ Ebenen ‚niedrigeren‘

Komplexitätsgrades werfen dabei Fragen nach dem Verhältnis zwischen den

Ebenen – Wort, Satz, Text und Diskurs – auf und gehen auch in die Modellierung

übergeordeter Ebenen ein, vgl. Warnke und Spitzmüllers (2008) Modell zur

diskurslinguistischen Mehr-Ebenen-Analyse (insbes. S. 44). Dadurch, dass in

einem umfassenden, integrativen Modell mit den verschiedenen Ebenen jeweils

Kriterien zur Erfassung, Verortung und Bedingtheit sprachlichen Handelns

hinzukommen, erfolgt eine Erweiterung linguistischer Fragestellungen. Mit Blick

auf diesen wissenschaftsgeschichtlichen Kontext soll hier die anhaltende

Bedeutsamkeit der Konzeptionalisierung der sprachlichen Ebene Text sowie ihrer

Untersuchung reflektiert werden, und zwar besonders hinsichtlich des

Stellenwertes für die Analyse politischen Sprachgebrauchs. Exemplifiziert

werden diese Überlegungen anhand der Textsorte Wahlplakat sowohl im Hinblick

auf deren konstitutive Elemente als auch im Hinblick auf die multimodalen,

intertextuellen und diskursiven Zusammenhänge, die für die Textsorte ebenso

charakteristisch sind wie rekurrente struktuelle Merkmale.

Gliederungsübersicht

1 Satz – Text - Diskurs

2 Klassifikation von Texten im politischen Sprachgebrauch

3 Wahlplakate – eine Textsorte im multimodalen, intertextuellen,

intermedialen und diskursiven Geflecht

4 Literatur

10 Stichwörter für Sachregister: Text, Textsorte, Textlinguistik, Textualität,

Wahlplakat, Multimodalität, Intertextualität, Intermedialität, Diskurslinguistik,

Diskursanalyse

1 Satz – Text – Diskurs

1.1 Vom Satz zur transphrastischen Ebene

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Im Zuge der pragmatischen Wende in der Linguistik seit den 1960er Jahren hat

sich das Interesse an satzübergreifenden sprachlichen Einheiten verstärkt (vgl.

Heinemann/Viehweger 1991, 13-85), wobei sich zunehmend herausstellte, dass

erstens Textzusammenhänge durch systematisch auftretende strukturelle

Merkmale gestiftet werden, dass zweitens Themenkonstiution und drittens

Handlungszusammenhänge die Grenzen von Einzeläußerungen überschreiten und

dass daher die sprachliche Einheit Text anzusetzen und nach diesen Aspekten zu

befragen ist. Die durch die amerikanische Anthropologie beeinflusste

Entwicklung soziolinguistischer Fragestellungen und die mit der Nähe zu

Soziologie und Anthropologie einhergehende Hinwendung zu empirischer

Forschung hat auch weg von der Beschäftigung mit für die frühe Pragmatik

kennzeichnenden fiktiven satzwertigen Äußerungen hin zur Analyse konkreter

Alltagstexte geführt, die bis dahin kaum zum Gegenstand linguistischer Analyse

geworden sind – vom Kochrezept über die Packungsbeilage bis zum

Verkehrsschild. Gleichzeitig hat der Blick auf gesellschaftliche Zusammenhänge

(z.B. geschlechtsspezifische Diskriminierung) bzw. Gruppen (z.B. Soziolekte)

und deren Einfluss auf Sprachgebrauch und Sprachattitüden das Interesse an

politischer Kommunikation außerhalb klassischer Bildung und antiker Rhetorik

(wieder)belebt und es auch ermöglicht, den Blick von den Redegattungen auf die

ganze Breite von Textsorten und verschiedenartigen Sprachhandlungen und

Sprachhandlungszusammenhängen in der Politik zu lenken (vgl. Dieckmann

1975). Besonders hervorzuheben sind für den gegebenen Zusammenhang zwei

Konzepte, um die die Beschäftigung mit Texten die Linguistik bereichert hat:

Erstens das der Textualität und zweitens das der Textsorte. Es ist hier nicht der

nötige Raum gegeben, auf weiterhin existierende Probleme bei der Bestimmung

von Textualitat (vgl. Adamzik 2004, 20-50; Heinemann/Heinemann 2002, 95-

112) bzw. im Detail auf Kriterien zur Klassifikation von Textsorten einzugehen

(vgl. Brinker 2005, 138-154; Heinemann/Viehweger 1991, 137-175). Kriterien

der Textualität wurden besonders intensiv mit Blick auf die

Gegenstandsbestimmung diskutiert, also dahingehend, was einen Text zum Text

macht. Vor allem mit Blick auf die einflussreichen Textualitätskriterien von de

Beaugrande und Dressler (1981) lässt sich aber auch allgemeiner festhalten, dass

kommunikatives Handeln mit und durch Sprache schlechthin Textualität aufweist.

Insoweit man also der Auffassung zustimmt, dass Subjekte in der Lage sind,

mittels Sprache intentionale Handlungen zu vollziehen, wird man auch

konzedieren, dass sprachliche Handlungen in Texten vollzogen werden, die

bestimmte hierarchisierbare und musterhafte Handlungseinheiten und

Handlungsabläufe aufweisen (vgl. Heinemann/Viehweger 1991). Diese

Musterhaftigkeit und der Kontext (z.B. Institution, Medien, Kommerz), die

Gesamtfunktion (z.B. REGULIEREN oder INFORMIEREN, UNTERHALTEN,

WERBEN oder INFORMIEREN) sowie stilistische Merkmale verschiedener

Texte (z.B. fachsprachliche Elemente, Umgangssprache, kreativ-innovativer

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Sprachgebrauch) werden (unter anderem) zur Bestimmung von Textsorten

hinzugezogen. Aufschlussreich in dieser Hinsicht ist auch, dass im Unterschied

zu vielen anderen bestimmbaren sprachlichen Einheiten Textsorten eine starke

Präsenz im nicht linguistisch geschulten Alltagsbewusstsein haben. Die meisten

schulgebildeten Mitglieder von Sprachgemeinschaften sind nicht nur in der Lage,

eine Vielzahl von Textsorten zu benennen, sondern auch wesentliche

Textsortenmerkmale soweit zu identifizieren, um sie auch außerhalb von Kunst

und Satire ins Uneigentliche übertragen zu können (jemandem eine ‚Predigt‘

halten, ‚Fahrpläne‘ für Unternehmensentwicklung oder ‚Rezepte‘ für gelingende

Beziehungen). Texte lassen sich aufgrund von gemeinsamen Merkmalen zu

Textsorten zusammenfassen als "in einer Kommunikationsgemeinschaft

herausgebildete (und somit kulturspezifische) globale sprachliche Muster zur

Bewältigung von spezifischen kommunikativen Aufgaben in bestimmten

Situationen" (Fix/Poethe/Yos 2003, S. 220).

Bezüglich der erwähnten Merkmale besteht ein allgemeines Wissen über

Textsorten und damit bestehen auch bestimmte Erwartungen an Texte. Das trifft

auch auf die Textsorten politischer Kommunikation zu. Zum Beispiel würde man

von einer Regierungserklärung beim Antritt einer neuen Regierung erwarten, dass

die Rednerin oder der Redner sich zunächst in einem einleitenden Teil an die

Adressierten wendet und einige allgemeinere Worte zur Situation findet, dann zu

einem berichtenden Mittelteil übergeht und sich zum Abschluss wieder den

Adressierten und der Redesituation zuwendet. Die Rede wird im sachlich-

neutralen bis gehobenen allgemein-bildungssprachlichen Stil formuliert sein. Was

die Struktur betrifft, wird zunächst auf den Wahlausgang und die vorhergehende

Regierung eingegangen, eingebettet in die aktuelle Situation werden Ziele

formuliert, sodann werden konkreter und inhaltlich gegliedert die geplanten

Schwerpunkte der Regierungsarbeit für die kommende Legislaturperiode

dargestellt. Am Schluss der Erklärung steht ein Ausblick auf die Er-

folgsbedingungen bzw. Erfolgsaussichten oder eine allgemeinere

Charakterisierung dessen, was die künftige Regierung sich von einem solchen

Programm verspricht (Korte 2002, Schröter 2006).

Abweichungen von solchen vorgegebenen Mustern werden daher bemerkt und

bewertet. Zum Beispiel gibt die Textsorte Gedenkrede bestimmte

Sprechhandlungen vor und schließt andere aus.Die Rede des damaligen

Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger vom 9.11.1988 zum 50. Jahrestag der

nationalsozialistischen Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung, wegen der der

Redner schließlich zurücktrat, ist ein berühmtes Beispiel für enttäuschte

Erwartungen bei der Realisation des vorgegebenen Musters (Heringer 1990, Linn

1991).

Ein Teil des Interesses am politischen Gebrauch der Sprache bezieht sich auf

die Textsorten, die in politischer Kommunikation zum Einsatz kommen, sowie

auf die genauere Analyse politikspezifischer Textsorten wie etwa

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Regierungserklärung, Parteitagsrede oder Wahlplakat. Das Spektrum repräsentiert

den Kommunikationsbereich Politik, Funktionen der einzelnen Textsorten

erlauben Aufschluss über kommunikative Intentionen politischer Akteure. Eine

genauere Analyse von Struktur, Stil oder Inhalt politischer Textsorten kann unter

Umständen Aufschluss über Rahmenbedingungen des politischen Gebrauchs der

Sprache bieten.

1.2 Vom Text zur transtextuellen Ebene

Neben de Beaugrande und Dresslers entsprechendem Texualitätskriterium

verweist auch bereits die Konzeptionalisierung von Textsorten auf die weitere

Stufe in der Entwicklung hin zur transtextuellen Ebene (vgl. Warnke/Spitzmüller

2008), nämlich auf Intertextualität. Nur die oben erwähnte Musterhaftigkeit, also

Wiederkehr von Merkmalskombinationen in Texten, deren regelmäßiges

Auftreten in bestimmten Domänen mit bestimmten Funktionen sowie Emittenten-

und Adressatenkonstellationen und dementsprechenden stilistischen Merkmalen

ermöglicht es, Textsorten voneinander abzugrenzen – ein

Intertextualitätsverhältnis, das bei Fix (2000) Text-Textmuster-Beziehungen

genannt wird. Das Wissen um die durch Text-Textmuster konstituierten

Merkmale von Textsorten bedingt auch Erwartungen an Texte. Dies ist nicht rein

normativ zu verstehen in dem Sinne, dass Erwartungen eingehalten werden

müssen (was im Extremfall Langeweile und Überdruss zur Folge hat),vielmehr

ermöglichen eben diese Erwartungen auch Kreativität, indem Abweichungen von

der Norm und gerade die damit einhergehende Enttäuschung bestehender

Erwartungen den für kreativen Sprachgebrauch benötigten Interpretationsaufwand

mobilisieren; dies wird weiter unten (3.1) bei der Beispielanalyse von

Wahlplakaten noch deutlich werden.

Einzelnen Texten oder Textsorten kommt im komplexen Prozess größtenteils

massenmedial vermittelter politischer Kommunikation in der modernen

Massendemokratie kaum noch großer Stellenwert zu – von einigen historischen,

meist bundespräsidialen 'Ausnahmereden' einmal abgesehen. Die Rede des

damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des

Kriegsendes 1985 gilt als eine solche Ausnahmerede, auch die 'Ruck'-Rede seines

Nachfolgers Roman Herzog vom 26.04.1997 (Kopperschmidt 1989 und 1999,

Jochum 1999) Dennoch steht auch eine wichtige öffentliche politische Rede nie

für sich. Sie wird zuvor z.B. angekündigt, es folgen Spekulationen über

Redeinhalt und -situation in Presse und Fernsehberichterstattung. Das Re-

deereignis selbst wird in den Medien vollständig oder ausschnittweise zitiert bzw.

gesendet oder reformuliert und schließlich kommentiert (vgl. Klein 2007, Kühn

1992). Neben den generell zu veranschlagenden Text-Textmuster Beziehungen

sind also für den Bereich politischer Kommunikation mehr oder weniger

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unmittelbare Text-Text-Beziehungen (vgl. Fix 2000) von größerem Interesse, d.h.

Beziehungen konkreter Textexemplare untereinander, besonders im

Zusammenhang mit Textketten und Textnetzen (vgl. Paltridge 2006, 89ff.).

Dieser Zusammenhang verweist zudem auf die später behandelte Diskursanalyse ,

da einer Diskursanalyse auch stets ein Netz vorwiegend thematisch zusam-

menhängender Texte zugrunde gelegt werden muss, nur dass sich die

Diskursanalyse nicht primär für die Form oder die Eigenarten dieser

Textbeziehungen interessiert. Einzelne Texte als Teil von Textketten oder –netzen

können durch einen gemeinsamen Rahmen als ein zusammengehörendes

Ensemble betrachtet werden, wobei dieser Rahmen institutioneller (Beispiel

Gesetzgebungsverfahren), funktionaler (Beispiel Wahlkampagne) oder

thematischer (Beispiel Diskurs) Art sein kann.

Klein hat sich in einem Aufsatz (1991) mit intertextuellen Bezügen

politischer Textsorten sowohl im institutionellen als auch im funktionalen

Rahmen beschäftigt. Als Beispiel für eine Textkette im institutionellen Rahmen

kann das von ihm beschriebene Gesetzgebungsverfahren gelten. Dieses beruht auf

der Geschäftsordnung des Bundestages, die das Verfahren regelt, einem ersten

Entwurf zum Gesetz, Stellungnahmen dazu aus den verschiedenen Ministerien

sowie einer Beratung im Kabinett, bei der ein Regierungsentwurf beschlossen

wird, der dann an den Bundesrat geht. Der Bundesrat verfasst eine

Stellungnahme, dann wird der Entwurf in den Fraktionen beraten, woraufhin eine

Lesung im Bundestag mit anschließender Debatte folgt. Wenn keine Einigung

erzielt wird, kann – wiederum unter Einsatz zahlreicher Einzeltexte – der

Vermittlungsausschuss tätig werden. Schließlich erfolgt ein Beschluss im

Bundestag und Bundesrat, danach kann es aber auch noch zu Änderungsanträgen

und Eingaben kommen. Der Ausdruck Textkette beinhaltet, dass Einzeltexte wie

auf einer Kette in serieller Abfolge aneinandergereiht werden. Zum gesamten

Kommunikationsprozess über ein solches Gesetzgebungsverfahren ist natürlich

noch die mediale Berichterstattung über Entwurf, Verfahren und politische

Auseinandersetzung hinzuzunehmen, inklusive der ebenfalls medial

aufgegriffenen Stellungnahmen einzelner Gruppen oder Organisationen. In

diesem Fall wäre dann allerdings von einem Textnetz im thematischen

Zusammenhang des öffentlich-politischen Diskurses über ein neues Gesetz zu

sprechen. Der Ausdruck ‚Textnetz‘ verweist darauf, dass intertextuelle Bezüge

nicht nur durch serielle Abfolge, sondern auch durch thematische Querverweise

konstituiert werden.

Ein Textnetz im funktionalen Rahmen stellen die ebenfalls bei Klein (1991)

behandelten Texte einer Wahlkampagne dar. Die Texte einer Wahlkampagne

dienen der politischen Eigenwerbung der Parteien mit dem konkreten Ziel, ein

möglichst gutes Wahlergebnis zu erreichen und bestenfalls am Ende (mit-)

regieren zu können. Dieses Ziel wird über eine Vielzahl von Textsorten verfolgt;

Wahlwerbespots für das Fernsehen, Werbeanzeigen in der Presse, Beilagen für

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Presseerzeugnisse, Wahlzeitungen, Wahlbroschüren, Prospekte und Faltblätter,

Handzettel und Flugblätter, Wahlplakate und die entsprechenden Wahlslogans.

Auch wenn der funktionale Rahmen überwiegt, sind natürlich thematische

Zusammenhänge ebenfalls gegeben – eine Wahlkampagne kann nicht aus einer

Vielzahl untereinander inkohärenter Botschaften bestehen, sondern vor allem die

Kernaussagen werden über die verschiedenen Formate hinweg ständig

wiederholt. Neben den von Parteien emittierten Texten werden Medientextsorten

wie Interviews und Fernsehdiskussionen genutzt; sogar 'unverdächtige'

Textsorten wie Kalender oder Ansichtskarte oder auch Gebrauchsgegenstände

wie Kugelschreiber werden mit Werbeelementen wie dem Parteilogo und/oder

Slogan versehen. Schließlich können Wahlwerbetexte sich andere Textsorten

‚kostümieren‘, wie es z.B. bei der Wahlillustrierten oder dem Kandidatenbrief der

Fall ist (vgl. ebd.).

Einen Schritt weiter in Richtung Diskursanalyse geht Girnth (1996), der sich

mit Textbeziehungen im thematischen Rahmen anhand des Diskurses über den –

später fallengelassenen – CDU-Kandidaten zur Wahl des Bundestagspräsidenten

1993, Steffen Heitmann beschäftigt. Die Texte, die Girnth diesem Diskurs

zuordnet, bestehen zunächst in dem Beschluss des Parteivorstands, der sich auf

diesen Kandidaten festlegt, sowie Nachrichten darüber in der Presse. Kurz darauf

wurde ein Interview mit Heitmann veröffentlicht, in dem er sich fremden- und

frauenfeindlich äußerte, weshalb es in der Folgezeit in den Medien Kommentare

und auch Aufsätze gab, die Kritik an der Person Heitmanns enthielten. Am Ende

gab Heitmann eine Presserklärung ab, mit der er seine Kandidatur zurückzog,

worüber wiederum berichtet wurde. Girnth geht es in seinem Aufsatz um die

Beschreibung des textuellen Beziehungsgeflechts, der Position und Funktion der

einzelnen Texte innerhalb dieses Diskurses. So unterscheidet er initiale,

prozessuale und terminale Texte; bei dem Beschluss des Parteivorstands und der

ersten Nachricht darüber handelt es sich um die diskursinitiierenden Texte, bei

den weiteren Kommentaren und dem Interview um prozessuale Texte;

diskursterminal ist die Presseerklärung Heitmannns über seinen Rücktritt von der

Kandidatur. Außerdem unterscheidet Girnth zwischen Primär- bzw. Objekttext

und Sekundär- bzw. Metatext. Um einen Objekttext handelt es sich etwa bei dem

Parteibeschluss über die Kandidatur; dieser Text wird zum Objekt von

Metatexten, also der Nachrichtentexte, die über diesen Beschluss berichten bzw.

ihn kommentieren. Mit Blick auf ihren inhaltlichen Stellenwert für den Verlauf

eines Diskurses nennt Girnth diskurstranszendente Texte (solche, die mehr als

einem Diskurs zugerechnet werden können), diskursimmanente Texte (solche, die

nur einem bestimmten Diskurs zuzuordnen sind), diskursperiphere und

diskursdominierende Texte.

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1.3 Der Stellenwert der Kategorie Text in der linguistischen Diskursanalyse

Ginge es der Diskursanalyse primär um Text-Text-Beziehungen und wäre

Diskurs vorwiegend als Textnetz im Sinne von Diskurslinguistik als Erweiterung

der Textlinguistik gedacht (vgl. Spitzmüller/Warnke 22-25.), so bliebe der

Stellenwert der Kategorie Text davon weitgehend unberührt. Spitzmüller und

Warnke stellen jedoch heraus, „dass Diskurslinguistik weitaus mehr leistet, als

lediglich eine Erweiterung der Textlinguistik zu sein oder eine Spielart der

Korpuslinguistik“ (47), indem eine an Foucault anschließende Diskurslinguistik

Fragen nach Wirklichkeitskonstituierung in Diskursen und durch Diskurse

aufwirft und nach der Konstruktion von gesellschaftlichem Wissen (vgl. ebd.

40ff.). Damit richtet sich der Blick auf Serialität und Regelhaftigkeit von

Aussagen über eine Vielzahl verschiedener Texte hinweg, die durch den Diskurs

als Formationssystem im Sinne Foucaults determiniert sind. Mit dieser

Konzeptionalisierung wird die Vorstellung eines souverän und intentional in

Gestalt von Texten sprachlich handelnden Subjekts zwar nicht völlig aufgehoben,

jedoch stark relativiert (vgl. ebd. 67-75; Spieß 2011, 141-143.). Subjekte

determinieren Aussagen nicht eigenmächtig, sondern bewegen sich im Rahmen

dessen, was in bestimmten historisch-sozialen Situationen gesagt werden kann.

Dies berührt ganz zentral zumindest die Textualitätskriterien der Intentionalität

und Akzeptabilität. Sprachlich gehandelt wird zwar in und mit Texten, aber der

Blick richtet sich über Texte hinaus auf Möglichkeitsbedingungen von Aussagen.

Spieß (2011) betrachtet auch im Rahmen einer Diskurslinguistik Texte als

primäre Handlungs- und damit auch Analyseeinheit (135) und Diskurse somit in

erster Linie als Textverbünde. Vor allem aus forschungspraktischer Sicht bietet es

sich an, ein konstitutives Verhältnis zwischen Text und Diskurs zugrundezulegen.

Um linguistische Diskursanalyse zu operationalisieren, müssen Textnetze

ausgemacht werden können, die Diskurse konstituieren. DiskursanalytikerInnen

müssen in der Lage sein, plausibel zu argumentieren, in welchen Texten und

Domänen sich der fragliche Diskurs manifestiert, und somit begründen, welches

Textmaterial einer Analyse zugrunde gelegt wird. Dabei gilt, dass sich Diskurs

„unter anderem qua Sprache in ihrer textuellen Positivität“ realisiert, „aber es gibt

ein Mehr des Diskurses, das nicht hinter der Sprache liegt, sondern mit ihr

zusammen den Text konstituiert“ (Warnke/Spitzmüller 2008, 16).

Je nach konkreterer Fragestellung oder Untersuchungsdesign können durch

die Textlinguistik etablierte sprachliche Phänomene nach wie vor Eingang in

diskursanalytische Untersuchungen finden, etwa wenn für die Analyse relevante

sprachliche Phänomene in bestimmten Textsorten oder an bestimmten Stellen in

der Textstruktur vorkommen. Am ehesten verliert die Kategorie Text ihren

Stellenwert dann, wenn sprachliche Phänomene im Vordergrund stehen, die

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ihrerseits Rekurrenz und Musterhaftigkeit aufweisen, die aber nicht von einer

bestimmten Art von Text als Handlungseinheit abhängig sind, sondern sozusagen

quer zu Texten liegen und sich durch eine Vielzahl verschiedenartiger Texte

innerhalb von Diskursen hindurchziehen – z.B. metaphorische

Konzeptualisierungen (Musolff 2004), Schlagwörter (Schröter/Carius 2009, 19-

40, Schröter 2011, Schröter i.Dr.) und Argumentationstopoi (Wengeler 2006).

Auch wenn man mit Spitzmüller und Warnke (2011) konzediert, dass es sich

bei Diskursen um wesentlich mehr handelt als Ansammlungen von Texten, spielt

die Kategorie Text insofern eine wesentliche Rolle, als Diskursanalyse

forschungspraktsisch – sowohl bei hermeneutisch-qualitativem als auch bei

korpuslinguistischem Vorgehen (vgl. ebd. 32ff.) – stets auf einer zu

begründenden Sammlung von Texten beruht. Durch die Auseinandersetzung mit

Diskursen mag die textuelle Ebene als Analysegegenstand mehr und mehr in den

Hintergrund treten; Textsorten und die durch sie bedingten Handlungsfolgen,

Struktur- und Stilmerkmalen bleiben jedoch für eine Reihe von Fragestellungen

und vor allem für Untersuchungsdesigns zur Analyse von Sprache in Politik und

Gesellschaft durchaus relevant. Die Beschäftigung mit Diskursen ist zwar auf der

transtextuellen Ebene zu verorten, dies bedeutet jedoch nicht ein Abseits sondern

die Notwendigkeit ihrer Integration in ein übergeordnetes Modell mitsamt der ihr

zuzuordnenden Phänomene, Fragestellungen und Analysekategorien. ImRahmen

eines solchen übergeordneten Modells kommt der Kategorie Text weiterhin ein

eigener Stellenwert zu, der nun in anderen Zusammenhängen operationalisiert

wird.

2 Klassifikation von Texten im politischen

Sprachgebrauch

2.1 Lokalisierung politischer Textsorten in Topographien des

Kommunikationsbereichs Politik

Zur Erfassung des Handlungs- bzw. Kommunikationsbereichs Politik ist in den

letzten Jahrzehnten eine Reihe an Vorschlägen unterbreitet worden, die mit

unterschiedlichen Konzeptionalisierungen bzw. Hierarchisierungen arbeiten,

deren Details hier vernachlässigt werden müssen. In diesem Abschnitt sollen

Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Topographien politischer

Kommunikation dargestellt werden, um gleichsam einen Konsensbereich sowie

darüber hinausgehende Vorschläge deutlich werden zu lassen, die man sich im

Sinne von Zentrum und Peripherie vergegenwärtigen kann. Zwar liegen

konkurrierende Umgrenzungen des Kommunikationsbereichs Politik vor, die

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jeweils auf ein engeres bzw. weiteres Politikverständnis schließen lassen (vgl.

Schröter/Carius 2009, 10ff.). Jedoch hat man sich in der Politolinguistik bisher

kaum über die Frage gestritten, was als politische Kommunikation gelten darf

und wo dieser Bereich aufhört, so dass man es eher mit charakterisierenden

Vorschlägen zu tun hat als mit scharfen Grenzziehungen, sowie mit dem

Bestreben, einen Überblick zu schaffen anstatt weitere Phänomene

auszuschließen.

Zunächst ist den im Folgenden genannten Vorschlägen gemeinsam, dass sie

dazu gedacht sind, den Kommunikationsbereich Politik als solchen zu umreißen

und den verschiedenen Unterkategorien jeweils Textsorten zuzuordnen, um so

einen Überblick über sprachgebundenes politisches Handeln zu schaffen. In der

folgenden Darstellung werden daher beispielhaft einige der für die verschiedenen

Bereiche angegebene Textsorten mitgenannt.

Alle Vorschläge grenzen einen eher politik- bzw. institutionsinternen Bereich von

einem nach außen gerichteten, öffentlichkeitsorientierten Bereich politischer

Kommunikation ab. Zumeist werden diese beiden Bereiche als zentral für

politische Kommunikation betrachtet. Von einigen Autoren werden weitere

Bereiche und Textsorten genannt, jedoch variieren alle Vorschläge dort, wo sie

den in der folgenden Tabelle umrissenen Bereich verlassen, so dass sich in der

Zusammenschau der Klassifikationsvorschläge für weitere Textsorten und

Handlungsbereiche der Eindruck eines eher peripheren Stellenwertes ergibt.

Politik/-institutionsintern Außen- bzw. öffentlichkeitsorientiert

Politiksprache (Burkhardt 1996)

Funktionssprache (Sprache des

Gesetzes, der Verwaltung und der

Verhandlung) (Diekmann 1975)

Regulatives Sprachspiel (Grünert 1983)

Sprachspiel der Meinungs- und

Willensbildung in Institutionen sowie

in Parteien und Gruppen (Strauß 1986)

Handlungsfelder des

Gesetzgebungsverfahrens, der

innerparteilichen und

zwischenparteilichen Meinungs-,

Einstellungs- und Willensbildung, z.T.

politische Exekutive und

Administration (Reisigl 2007)

Primäre institutionen der Politik (v.a.

Ausschüsse und Gremien) Kuße (2012)

Meinungssprache (Burkhardt 1996)

Sprache der Überredung (Diekmann

1975)

Informativ-persuasives Sprachspiel

(umfasst in etwas Sprach der

Verhandlug und der Überredung bei

Diekmann 1975), (Grünert 1983)

Sprachspiel der öffentlich- politischen

Meinungsbildung, politische Werbung

(Strauß 1986)

Politische Werbung, öffentlich-

politische Meinungs-, Einstellungs-

und Willensbildung, z.T. politische

Exekutive und Administration)

(Reisigl 2007)

Primäre Institutionen der Politik (v.a.

Regierung, Parteien, z.T. Parlament)

(Kuße 2012)

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z.B. Ausschusssitzung

Gesetzesvorlage

Koalitionsvertrag

Parlamentarische Geschäftsordnung

Parteiprogramm

z.B. Debattenrede

Pressekonferenz

Regierungserklärung

Wahlwerbespot

Eröffnungsrede

Dass andere Bereiche eher sporadisch genannt werden, erscheint nicht immer

gerechtfertigt, vor allem im Hinblick auf den Bereich

„Zwischenstaatliche/internationale Beziehungsgestaltung“ (Reisigl 2007), z.B.

Note, Ultimatum, Staatsvertrag. Dass sich die Politolinguistik um außenpolitische

Kommunikation bisher wenig gekümmert hat, hat sicher in erster Linie

forschungspraktische Gründe, die zum einen in der erschwerten Zugänglichkeit

des Materials und zum anderen in dem erschwerten Einblick in die

Handlungslogiken von Außenpolitik liegen dürften.

Dem außen- bzw. öffentlichkeitsorientierten Bereich ist das von Grünert

(1983) genannte integrative Sprachspiel zuzuordnen, z.B. Parteiprogramm,

Gemeinschaftslied, Gedenkrede. Auch mit einem engen Politikverständnis würde

man wohl konzedieren, dass dies z.B. unter die von Burkhardt (1996) genannte

Politikersprache fällt und dementsprechend in den Kernbereich politischer

Kommunikation.

Diesen Konsensbereich erweiternd fällt unter Strauß‘ Sprachspiel der

öffentlich- politischen Meinungsbildung auch der bei Burkhardt (1996) genannte

Bereich der politischen Mediensprache bzw. der bei Kuße (2012) genannte

Bereich ‚Medien‘; Zeitungsartikel, Interviews, Talkshows. Grünerts (1983)

instrumental-begehrendes Sprachspiel bzw. politische Kontrolle und politischer

Protest bei Reisigl (2007) und politische Bewegungen bei Kuße (2012) weisen

darauf hin, dass auch Bürgerbewegungen und Interessenvertretungen im Bereich

politischer Kommunikation verankert werden müssen, vor allem wenn und

insoweit sie sich mit ihren Anliegen direkt an Abgeordnete, Parteien oder

Institutionen wenden; z.B. Petition, Flugblatt, Protestslogan. Schließlich

veranschlagt Burkhardt (1996) einen Bereich privat-halböffentlichen Sprechens

über Politik, dem z.B. die Stammtischparole, politische Diskussionen am

Familientisch oder Privatgespräche vor dem Fernseher bei der Rezeption von

Hochrechnungen an Wahlabenden zugeordnet werden können. Strauß geht auch

von einem Sprachspiel der politischen Bildung, Aufklärung und Belehrung aus,

der gesellschaftswissenschaftliche Sach- und Schulbücher, wohl aber auch

politisches Kabarett umfassen dürfte.

2.2 Studien zu Textsorten der politischen Kommunikation

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Neben den oben genannten, topografisch-klassifikatorischen Ansätzen und

Übersichten beschreibt Burkhardt (2003) ausführlich die Domäne

parlamentarischer Kommunikation und gibt damit auch eine Übersicht und z.T.

detailliertere Beschreibung einzelner Textsorten, die in der parlamentarischen

Kommunikation eine Rolle spielen, vor allem die parlamentarische Besonderheit

strategisch eingesetzter dialogischer Elemente (Zwischenruf, Zwischenfrage).

Holly (1990) erarbeitet einen Überblick über verschiedene Rollen und

Sprachhandlungen eines Abgeordneten, der auch Aufschluss bietet über die

involvierten Textsorten als Handlungsmuster zur Verrichtung der Arbeit eines

Abgeordneten.

Allgemein lässt sich jedoch konstatieren, dass nicht sehr viele Beiträge

vorliegen, die einzelne Textsorten in der Politik als solche genau charakterisieren

und beschreiben. Dies ist fast ein wenig verwunderlich, liegt doch mit Klein 2000

ein durchaus breit rezipierter und viel zitierter Vorschlag zur Einordnung und

Beschreibung von Textsorten in politischen Institutionen vor. Die bei Klein

genannten Klassifikationskriterien sind unmittelbar textbezogen, sie

unterscheiden sich mit Blick auf den Grad ihrer Allgemeinheit bzw. Konkretheit

und sollten Klein zufolge auch unterschiedlich gewichtet werden. Er nennt

pragmatische Kategorien (Emittent, Adressat, Textart, Grundfunktion, Text-

handlungsmuster, Geltungsmodus, Textsorten-Intertextualität), semantische

Kategorien (Thema, Lexik), grammatische Kategorien (Syntax, Verbkategorien,

Personenbezug) und rhetorische Kategorien (Bauform, Themenentfaltung,

rhetorische Figuren/Tropen). Allgemeiner und für die Klassifikation besonders

wichtig sind die pragmatischen Kategorien Emittent, Adressat, Textart und

Grundfunktion. Als Hauptkriterium zur Klassifizierung der Textsorten soll die

Kategorie Emittent dienen, denn „wer unter welchen Bedingungen und in

welchem Maße welchen Adressaten gegenüber die Möglichkeit hat,

adressatenbindende TS [Textsorten, M.S.] mit direktiv-regulativer Grundfunktion

u./o. meinungsbetonte TS mit evaluativ-appellativer Grundfunktion zu

emittieren“ (734), ist Klein zufolge ein konstitutiver Faktor nicht nur politischer

Kommunikation, sondern politischer Systeme schlechthin, denn die „Funktionen

und Rollen, die dieses System zuweist, manifestieren sich in hohem Maße in der

ausschließlichen oder dominanten Zuständigkeit als Emittent bestimmter TS

(Textsorten, MS).“ (Ebd.) Als sekundäres Einteilungskriterium nennt Klein die

Kategorie Adressat und weist darauf hin, dass es zwar aufgrund des hohen Maßes

an Öffentlichkeit für die Emittenten schwierig ist, abzusehen, wer zu welcher Zeit

welche Teile ihrer Rede tatsächlich rezipieren wird, dass sich aber aus den

meisten politischen Textsorten primäre Adressierungen herauslesen lassen. Als

Beispiel dafür kann die Parteitagsrede genannt werden: Primärer Adressat ist die

eigene Partei, die Rede soll zur innerparteilichen Konsensbildung und Integration

beitragen. Es gilt dabei allerdings auch die sekundär adressierte Öffentlichkeit zu

bedenken, mit Blick auf diese soll die Parteitagsrede auch für die eigenen

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Positionen werben. Es gibt also für die verschiedenen Adressatenkreise auch

verschiedene Textfunktionen. Die dritte zentrale Kategorie besteht in der Textart:

Handelt es sich um einen schriftlich oder mündlich geäußerten Text, um face to

face oder medial vermittelte Kommunikation? In einem weiteren Beitrag (2001)

geht Klein gesondert auf mündliche Interaktionsformate im

Kommunikationsbereich Politik ein. Das nächste Kriterium ist die

kommunikative Grundfunktion, die, wie eben gesehen, je nach Adressatenkreis

verschieden sein kann.

Mit Hilfe dieser Kriterien grenzt Klein verschiedene Gruppen von Texten

voneinander ab, z.B. von Volksvertretungen, Regierungen, Parteien,

PolitikerInnen emittierte Texsorten, die weiter v.a. nach außen- oder

binnenadressiert, schriftlich oder mündlich unterteilt werden, sowie

politikadressierte Textsorten externer Emittenten, z.B. Expertengutachten,

Pressekommentar, Verfassungsgerichtsurteil, Protestparole, Volksbegehren,

Stellungnahmen von Interessengruppen (s. dazu Reisigl 2011, 462ff.).

Holly (1996) wendet bei seiner Analyse von Weihnachts- und

Neujahrsansprachen von SPD-Bundeskanzlern die meisten der bei Klein später

genannten Kriterien bereits an und liefert damit eine umfassende

Charakterisierung und Einordnung der betreffenden Textsorte. Ähnlich geht

Schröter (2008) bei der Charakterisierung von Tischreden anlässlich von

Staatsbesuchen vor, eine der wenigen Studien zum außenpolitischen

Kommunikationsbereich. Ein von Korte (2002) herausgegebener Band widmet

sich der Textsorte Regierungsrede, Toman-Banke (1996) beschreibt eingehend

die Textsorte Wahlslogan, Tillmann (1989) charakterisiert Textsorten parteilichen

Sprechens und Simmler (1978) erfasst und beschreibt parlamentarische

Textsorten. Es gibt eine Vielzahl von Einzelstudien zu Einzeltexten oder

einzelnen Kommunikationsbereichen, aus denen man wertvolle Informationen zur

entsprechenden Textsorte gewinnen kann, vor allem wenn es sich dabei um

neuartige textuelle Phänomene handelt. Davon zeugt, dass das Entstehen neuer

Internettextsorten bzw. deren Nutzung im Bereich politischer Kommunikation mit

großem Interesse verfolgt wurde (kürzlich z.B. Diekmannshenke 2013, Nos 2013,

Girnth 2013, Wengeler 2013). Davon abgesehen, dass eine Vielzahl in

textlinguistischer Hinsicht aufschlussreicher Publikationen vorliegt (vgl. auch

Cap/Okulska 2013), ist es jedoch nicht zum umfassenden politolinguistischen

Forschungsprogramm geworden, den Bereich politischer Kommunikation präzise

zu umreissen und politische Textsorten mit ihren strukturell-funktionalen

Eigenschaften genau zu beschreiben und im politischen Textsortenspektrum zu

verankern.

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3 Wahlplakate – eine Textsorte im,

intertextuellen, intermedialen, diskursiven

und Text-Bild Geflecht

Wahlplakate wurden hier für eine Fallstudie ausgewählt, weil sie in mancherlei

Hinsicht für die exemplarische Analyse einer politischen Textsorte einen

einerseits besonders typischen, andererseits aber auch eher untypischen Fall

darstellen. Sie sind dahingehend typisch, dass sie sich im Zentrum und nicht an

der Peripherie politischer Kommunikation befinden und sie würden sicher bei

einer allgemeinen Umfrage mit als erstes genannt, wenn es darum ginge, für

politische Kommunikation typische Texte zu nennen. Auch wenn in dem Maße,

in dem sich andere Kommunikationswege und Marketing-Strategien verbreiten,

die Bedeutung von Wahlplakaten abzunehmen scheint (vgl. Klein 2011, 294f.)

und auch wenn ihre Bedeutung als Einzeltexte zu relativieren ist, weil diese sich

eher aus dem Gesamtzusammenhang der Kampagne ergibt, ist derzeit ihre

Reichweite und das Potenzial, Aufmerksamkeit für den Wahlkampf als solches,

für die Parteien und ihre Hauptthemen zu generieren, nach wie vor als so hoch

einzuschätzen, dass Parteien auf Plakatwerbung nicht verzichten können (vgl.

Universität Hohenheim o.J.). Wahlplakate sind etwas untypisch für eine

Diskussion politischer Textsorten, da sie nicht sehr viel Text enthalten und das

Verständnis des knappen Textes häufig auf dem Bild-Text-Verhältnis beruht,

zumal Klein (2000) bemerkt, dass das Textelement oft gegenüber dem

Bildelement zurücktrete, weshalb er sie als “weniger eine TS (Textsorte, MS) als

ein Medium, das als großformatiger visueller Werbereiz auf Straßen und Plätzen

in die Augen springen soll“ (743), betrachtet.

Die beträchtlichen Veränderungen in der Gestaltung und Formulierung von

Wahlplakaten bei gleichzeitig stabilen Grundelementen, legen es nahe, einen

Blick auf Wandel und Konstanten der Textsorte zu werfen. Es soll im Folgenden

außerdem anhand verbreiteter und teilweise ausgiebiger Karikierung von

Wahlplakaten gezeigt werden, mit welchem Maß an kritischer Aufmerksamkeit

die Wahlwerbung von Parteien offenbar noch und vor allem mit Bezug auf

Wahlplakate begleitet wird.

Wegen ihrer Prägnanz lassen sich Wahlplakate gut in der hier erforderlichen

Knappheit sowohl unter generischen Gesichtspunkten (Kernelemente der

Textsorte) als auch mit Blick auf ihre intertextuelle Einbindung (als Teil von

Kampagnen) darstellen und es ist so auch möglich, eine größere Zahl von

Beispielen beizubringen und auch einen Blick auf zeitlich stabile Elemente und

Wandel zu werfen Die meisten der unten erwähnten Wahlplakate finden sich auf

der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung. Vor allem mit Blick auf

Intertextualiät und Diskursivität eignen sich Wahlplakate für diesen Beitrag als

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Beispiele, indem sie nicht nur als Teil von Kampagnen gewürdigt werden,

sondern auch als Teil von Diskursen und Gegendiskursen. Auf diese Weise soll

die Beispielanalyse einerseits dem weithin etablierten Gegenstandsbereich der

Textlinguistik Rechnung tragen, indem rekurrente Strukturelemente (3.1) sowie

intertextuelle und intermediale Zusammenhänge (3.2) benannt werden, womit auf

die oben in 1.1 und 1.2 aufgegriffenen Aspekte Bezug genommen wird. Ein Blick

auf diskursive Zusammenhänge (3.3) greift auf das weiter oben in 1.3

charakterisierte Verhältnis von Text und Diskurs zurück. Die verbreitete

Persiflierung von Wahlplakaten eignet sich zur Problematisierung der

Funktionalität und Intentionalität dieser Kerntextsorte politischer Werbung.

3.1 Die Textsorte Wahlplakat – Wandel und Konstanten im Text-Bild Geflecht

Bei der Betrachtung historischer und zeitgenössischer Wahlplakate (Müller 1978,

Demarmels 2009) wird deutlich, dass die Textsorte einige Kernelemente als

Konstanten aufweist, aber auch beträchtlichem Wandel unterliegt und dass deren

Entwicklung im engen Zusammenhang mit kommerzieller Produktwerbung steht.

Gemäß Kleins (2000) Kriterien für die Klassifizierung und Analyse politischer

Textsorten handelt es sich bei dem Wahlplakat um eine von Parteien emittierte,

an die gesamte (wahlberechtigte) Öffentlichkeit addressierte schriftlich verfasste

Textsorte mit persuasiv-appellativer Grundfunktion. Klein betont dabei, dass

einzelnen Wahlkampftextsorten als solchen ein relativ geringes Eigengewicht

zukommt, dass sie vor allem als Teil einer Kampagne funktionieren, deren

Prinzipien “erstens die Konzentration auf den/die Spitzenkandidatin u./o. auf

wenige Sachthemen sowie zweitens eine werbestrategisch optimale mediale

Distribution der Wahlkampfbotschaften” (742) beinhalten. In diesem Verbund

dienen Wahlkampftextsorten dazu, auf die Wahl aufmerksam zu machen,

AnhängerInnen für den Wahlkampf zu mobilisieren, die eigene Partei möglichst

günstig zu präsentieren (ebd.) und ggf. die Konkurrenzpartei(en) in ein möglichst

negatives Licht zu rücken. Klare Texthandlungsmuster lassen sich in

Wahlkampftextsorten nicht so leicht ausmachen, eher handelt es sich um

“Konglomerate aus Thesen, Behauptungen, Forderungen, Beschuldigungen,

Ankündigen und Bewertungen, die mehr oder weniger argumentativ untermauert

werden (…) auf einer Skala vom sachlichen Ton bis zur aggressiven Polemik”

(ebd.). Wahlkampftexte sind mit Bezug auf ihren Geltungsmodus weniger

verbindlich als legislative Texte, aber Wahlprogramme implizieren durchaus eine

gewisse Verpflichtung der Parteien auf die dort spezifizierten inhaltlichen

Positionen auch über die Wahl hinaus, gleichzeitig ist auf Seiten der

RezipientInnen eine weitverbreitete Skepsis in Bezug auf diese Wahl-

’Versprechen‘ zu konstatieren.

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Ein prototypisches Wahlplakat weist den Namen der Partei auf, einen Slogan,

der ein Argument dafür enthält, die jeweilige Partei zu wählen, sowie ein

bildliches Element, das die Proposition und Illokution des Slogans unterstützt

bzw. verstärkt. Wahlplakate weisen grundsätzlich die Partei aus, für die geworben

wird. Tauchten die Parteinamen zunächst in verschiedenen Farben, mit

verschiedenen farblichen Unterlegungen und Schriftarten auf, so weisen neuere

Plakate eine einheitliche Gestaltung der Parteilogos auf, die im Zusammenhang

mit sich verbreitetendem Branding als Strategie für eine klar identifizierbare

Visual Identity zu verstehen ist, die wiederum auf die Nähe zur Produktwerbung

bzw. auf Entwicklungen in der Produktwerbung und die Professionalisierung

politischer Kommunikation durch Werbeagenturen verweist. Grundsätzlich sind

Wahlplakate mit einem Slogan bestückt, aber auch hier gibt es Grenzfälle. So hat

die CDU für den Wahlkampf 1994 ein Plakat ganz ohne Slogan produzieren

lassen, auf dem gleichsam das Bild für sich selbst spricht – auf diesem ist Helmut

Kohl dicht umringt von Menschen zu sehen, in deren Mitte er steht und die er

gleichzeitig mit seiner Statur überragt. Als ein weiterer Grenzfall in dieser

Hinsicht kann ein ‚negative campaigning‘-Plakat der SPD aus dem Jahr 2002

gelten, das mit dem Textelement “Mit den Jahren hat sich auch Stoibers

Frauenbild weiterentwickelt” aufwartet. Dies kann nicht als Slogan gewertet

werden, weil es nicht unabhängig vom Plakat verwendet werden kann (Toman-

Banke 1996, 78f.), und das Wahlplakat ‚kostümiert‘ (vgl. Klein 1991) sich hier

als politische Satire, wobei die Ironie des Textelementes erst durch das

Bildelement konstituiert wird. Dabei handelt es sich um zwei Fotos, auf denen

jeweils eine Frau zu sehen ist, die eine Waschmaschine befüllt – auf dem einen

Bild ist ein technisch überholtes und auf dem anderen ein zeitgemäßes

Waschmaschinenmodell zu sehen. Auf einem weiteren Plakat aus dem gleichen

Wahlkampf gibt es weder ein Bild noch einen Slogan. Das Plakat ist ganz weiß,

mit dem schwarz gedrucktem Text (in großer Überschrift): „Endlich: Der

Kandidat der CDU/CSU ist da” sowie in der Mitte des Plakates, in kleinerer

Schriftgröße: “Leider nicht im Bild da zu weit rechts”. Die CDU hat für den

Wahlkampf 1987 ein Plakat drucken lassen, auf dem ein Fuß in einem Turnschuh

mit Schwarz-rot-goldenen Streifen zu sehen ist, an den eine rot-grüne Kugel

gekettet ist. Der Slogan dazu lautet: “Leistung muss endlich wieder bestraft

werden.” Es handelt sich auch hier um einen uneigentlichen Slogan, der dem

politischen Gegner in den Mund gelegt wird, was wiederum nur im

Zusammenhang mit dem Bildelement deutlich wird. Diese Plakate illustrieren in

Anlehnung auch an Entwicklungen in der Produktwerbung einen Wandel hin vom

direkten Appell und zu mehr Kreativität, Ironie und Anspielung, besonders wenn

es um den Angriff auf den politischen Gegner geht. Ein weiteres Beispiel hierfür

wäre ein Plakat der CDU zum Wahlkampf 2002, auf dem eine halb rote, halb

grüne Tablette zu sehen ist mit dem Slogan: “Genug geschluckt.” Darüber findet

sich in Anspielung auf Produktbeschreibungen von Medikamenten der Text:

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“Gegenanzeigen. Kann in Belastungssituationen zu Orientierungslosigkeit,

vermindertem Urteilsvermögen und Händezittern führen”. Auch das Spiel mit

bzw. Anspielungen auf politische Farbsymbolik ist dieser Kreativität zuträglich.

Während frühere Wahlplakate mit eben ‘plakativeren’ Botschaften und eher noch

mit direkt appellativen Slogans (z.B. FDP 1949: “Wählt die Freien Demokraten

(…) Macht die Mitte stark!”; CDU 1953: „Seid abwehrbereit – wählt CDU”)

gearbeitet haben, wurde die direkte Anrede der WählerInnen in den letzten

Jahrzehnten weitgehend vermieden; eher finden sich stattdessen fiktive

WählerInnen in fotografischer Darstellung, denen als vox populi die Botschaft der

Parteien in den Mund gelegt wird. Ein Beispiel hierfür ist die Plakatserie der SPD

2009, auf der sich jeweils auf der linken Seite Fotos von Menschen finden, die

verschiedene WählerInnengruppen repräsentieren (z.B. eine natürlich aussehende

junge Frau oder einen Arbeiter im Blaumann) und rechts daneben eine durch

Anführungsstriche als Zitat markierte Aussage (z.B. neben der jungen Frau:

“Atomkraft war gestern. Saubere Energie ist die Zukunft. Und deshalb wähle ich

SPD” bzw. neben dem Arbeiter: “Die SPD kämpft für Arbeitsplätze. Für meinen

und auch Ihren. Und deshalb wähle ich SPD”). Die direkte Anrede scheint im

Wahlkampf 2013 bei den Grünen mit der “Und du?” Plakatserie (vgl. Wengeler

2013) und z.T. bei der Piratenpartei (vgl. Schröter 2013) ein Comeback erfahren

zu haben, jedoch handelt es sich im Unterschied zu früheren Plakaten nicht um

direkte Appelle bzw. nicht um direkte Wahlappelle. Weniger ‘plakative’

Wahlplakate erfordern zum Teil einen nicht unerheblichen

Interpretationsaufwand; zum Beispiel sind auf einem Plakat von Bündnis90/Die

Grünen PaartänzerInnen zu sehen unter dem Slogan “Wir bringen die

Verhältnisse zum Tanzen”. Dass mit “Verhältnisse” zwischenmenschliche

Beziehungen gemeint sind und mit dem Slogan offenbar das Politikfeld der

Freiheit sexueller Orientierung und/oder der rechtlichen Gleichstellung

homosexueller Paare angesprochen wird, wird durch das Bildelement deutlich,

denn auf dem Foto handelt es sich um jeweils ein Mann/Mann- und ein

Frau/Frau-Paar. Mit Hilfe des Bildes muss „Verhältnisse“ reambiguiert werden,

es wird nur mit Hilfe politischen Vorwissens deutlich, dass die Partei

homosexuelle Partnerschaften gutheißt.

In Bezug auf die Einbindung bildlicher Elemente werden im Laufe der Zeit

Zeichnungen weitestgehend durch Fotografien ersetzt. Jedoch gibt es wiederum

auch neuere Ausnahmen wie die Plakatserie der SPD aus dem Wahlkampf 2005,

die einige Plakate ohne Bildelemente enthielt. Aus der Integration eines

Bildelementes ergeben sich Beschränkungen für die Platzierung der Textelemente

und auch hier lässt sich ein Wandel beobachten von der überwiegenden

Anordnung der Textelemente über und unter dem Bildelement hin zum seitlichen

Einschub. In Bezug auf fotografierte Personen hat die Präsenz von

SpitzenkandidatInnen der Parteien im Laufe der Jahre insgesamt eher

zugenommen.

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3.2 Wahlplakate im intertextuellen und intermedialen Geflecht

Bis zum Jahr 2002 haben die meisten Parteien noch Einzelplakate drucken lassen,

die zum Teil, auch wenn sie im Auftrag der gleichen Partei für den gleichen

Wahlkampf konzipiert wurden, sehr verschieden aussahen. Seit 2005 ist eine

klare Hinwendung aller Parteien zur Plakatserie zu verzeichnen. Bei Plakatserien

wiederholen sich über verschiedene Plakate hinweg mehrere der folgenden

Gestaltungselemente: Räumliche Anordnung der Text- und Bildelemente,

Formulierungen, Slogan, Farbgestaltung (Hintergrund, Schrift), Schriftart und -

größe. Zum Beispiel hat die CDU für den Wahlkampf 2009 eine Plakatserie in

Auftrag gegeben, in der der Slogan “Wir haben die Kraft” wiederholt verwendet

wurde, wobei das “wir” in weißer Schrift auf den Hintergrund der

Deutschlandfahne gelegt wurde, womit offenbar das “wir” ambiguiert werden

sollte: Wir, die CDU als Regierungspartei, aber auch (die Menschen in) ganz

Deutschland. Als Rahmenplakat dieser Serie fungiert ein Plakat mit nur diesem

Slogan und einem Bild von Angela Merkel. Weitere Plakate in der Serie

spezifizieren diese Botschaft nach Politikfeldern mit den Konterfeis der

damaligen MinisterInnen, z.B. “Wir haben die Kraft für Sicherheit und Freiheit”

(im Bild Innenminister Schäuble), “Wir haben die Kraft für Wirtschaft mit

Vernunft” (im Bild Wirtschaftsminister Guttenberg), “Wir haben die Kraft für

starke Familien” (im Bild Familienministerin von der Leyen), wobei jeweils die

Themen- und Hochwertwörter Wirtschaft, Sicherheit und Familien orange

unterlegt sind und mit der gleichen Schriftart sowie den gleichen Schrifgrößen

gearbeitet wird. Auch weisen alle Plakate ein unscharfes, in Blau gehaltenes

Element am linken Bildrand auf, das weitgehend der Schrift hinterlegt ist,

während die Ministerinnen und Minister im rechten Teil des Bildes zu sehen sind.

Es ist also zunehmend neben den intertextuellen Bezügen zu anderen

Wahlkampftextsorten wie Wahlprogramm, Wahlwerbespot, Handzettel und TV-

Duell auch die visuelle und strukturelle Intertextualität innerhalb von Plakatserien

von Interesse.

Wahlplakate haben von jeher als Teil von Kampagnen Aufmerksamkeit

erhalten, womit deutlich wird, dass sie in einem engen Bezug stehen zu weiteren

Texten innerhalb der gleichen Wahlkampagne. So beschreibt z.B. Burkhardt

(2006) die Hauptthemen der CDU im Wahlkampf 2005 und zeigt dabei, wie die

gleichen Botschaften zu den gleichen Themen über verschiedene Textsorten

hinweg, nämlich auf Plakaten, in Fernseh- und Radiospots, im TV-Duell und in

Bundestagsreden wiederholt werden und auch aus Roths Beitrag (2006) zum

Wahlkampf der Grünen 2005, aus Papperts (2011) Analyse des

Landtagswahlkampfs in Nordrhein-Westfalen 2010 und aus Geiers (2013)

Analyse der NPD Wahlkampfsprache 2013 wird deutlich, wie die Wahlplakate

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über den Wahlkampf hinweg im Zusammenhang mit auch in anderen Formaten

widerholten Aussagen stehen.

Neben diesem vielfach beobachteten, vor allem in funktionaler Hinsicht

intertextuellen Zusammenspiel von Wahlkampftextsorten innerhalb von

Kampagnen ist auch ein intermediales Zusammenspiel zu beobachten. Erstens

werden Wahlplakate von den Parteien online weiter- und wiederverwendet. Man

findet sie teils an prominenter Stelle auf den Webseiten der Parteien und sie

werden auch von den Parteien und Kandidatinnen und Kandidaten auf Facebook

eingestellt, dort weiterverbreitet und kommentiert. Nicht nur die Parteien

verkünden das Erscheinen ihrer Wahlplakate online, auf ihren Blogs, Facebook-

Seiten und Homepages und über Twitter; auch die Presse greift in ihrer

Wahlkampfberichterstattung auf Wahlplakate zurück, besonders seit sich in

online erscheinenden Artikeln Bildserien sehr gut unterbringen lassen. Die

Parteien machen inzwischen selbst aus dem Lancieren ihrer Plakate eine

öffentliche Veranstaltung, zu der die Presse eingeladen wird. Im Wahlkampf 2013

haben z.B. sowohl die Rheinische Post als auch Der Spiegel in der Folge der

Präsentation der Plakate der CDU eine Bilderserie mit den Plakaten

veröffentlicht, auf denen z.T. der sie präsentierende Generalsekretär zu sehen ist,

und die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte eine Kritik zum mangelnden

Unterschied zwischen Plakaten der CDU und SPD („Lächeln als einziger

Unterschied“, 05.08.2013). Kurz nach der Vorstellung der Wahlplakate der

Grünen veröffentlichte Die Welt eine Kritik derselben („Grüne verheddern sich

im Spott über Schwarz-Gelb“, 24.06.2013). Andere Zeitungen greifen das Thema

Wahlplakate auch allgemeiner auf: „Wahlplakate zur Bundestagswahl. Bunte

Slogans und lahme Versprechen“ (stern.de, 06.08.2013); „Fünf Parteien, tausende

Plakate, keine Ideen“ (Berliner Zeitung online; bz-berlin.de, 05.08.2013);

“Parteien und ihre Wahlplakate“ (tagesspiegel.de, 05.08.2013); „Die 20

skurrilsten Wahlplakate. So schräg kämpfen Politiker um unsere Stimmen.“

(bild.de, 20.09.2013).

3.3 Wahlplakate im diskursiven Geflecht

An dem bisher Ausgeführten zeigt sich bereits, dass Wahlplakate nicht oder nicht

mehr nur als von Parteien emittierte Textsorte politischer Kommunikation im

engeren Sinne verstanden werden können, sondern auch Teil des

Mediendiskurses über Politik bzw. der Medienberichterstattung über Wahlkämpfe

werden. Außerdem zeugt die Dokumentation von Wahlplakaten auf den

Webseiten der Bundeszentrale für politische Bildung bzw. das Auftauchen von

Wahlplakaten in geschichtswissenschaftlichem Lehrmaterial davon, dass

Wahlplakate auch im Bildungsbereich zu Analysezwecken bzw. zur Illustration

von geschichtlichen Themen rekontextualisiert werden.

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Mit Blick auf das diskursive Geflecht von Wahlplakaten von besonderem

Interesse ist die Verbreitung von Reaktionen auf Wahlplakate in Gestalt von

Karikaturen oder Gegenplakaten. Solche Reaktionen verweisen über die

Ausführungen Kleins zur (eingeschränkten) Funktion von Wahlplakaten im

Verbund von Wahlkampftexten hinaus darauf, dass Parteien hier nicht einfach nur

ihre Themensetzungen zu erkennen geben, ihre AnhängerInnen mobilisieren und

für den Wahlkampf Aufmerksamkeit generieren, sondern dass diese ‚plakativen‘

Themesetzungen von einem hohen Maß an (kritischer) Aufmerksamkeit begleitet

werden – und dies nicht nur mit Blick auf eine weitverbreitete Skepsis gegenüber

Wahl-‚Versprechen‘, sondern auch mit bewusster, kritisch-unterminierender und

distanzierender Rekontextualisierung im Rahmen von Gegendiskursen. Ein

Beispiel für gezielt produzierte Gegenentwürfe ist das oben schon genannte

Plakat aus der CDU-Plakatserie von 2009 mit Wolfgang Schäuble: „Wir haben

die Kraft für Sicherheit und Freiheit“. Die Seite netzpolitik.org hat ihre Anhänger

im August 2009 explizit dazu aufgerufen, dieses Plakat zu modifizieren.

Entsprechend der (offenbar den politischen Zielsetzungen der Piratenpartei

nahestehenden) Seite hat dieser Aufruf eine Vielzahl von Modifikationen

hervorgebracht. Alle Modifikationen stellen die von dem originalen Wahlplakat

suggerierte Fähigkeit der Regierungspartei, die Balance zwischen Freiheit und

Sicherheit wahren zu können, d.h. Sicherheit unter Wahrung von Freiheit – und

umgekehrt – gewährleisten zu können, in Abrede und verbinden die Partei CDU,

die Person Schäubles und das Amt des Innenministers ganz offensichtlich mit

Überwachung und Einschränkung persönlicher Freiheit, u.a.:

„Wir haben die Kraft für die totale Überwachung“

„Wir haben die Kraft für Sicherheit ohne Freiheit“

„Wir haben die Kraft für Zensur und Überwachung“

Eine Google-Bildersuche nach „Wahlplakate CDU 2009“ liefert Hinweise auf

weitere Modifikationen, die den gleichen Ansatzpunkt wählen und zugleich auf

das Interesse an dem eigentlich ja nicht weiter aufsehenerregenden Plakat und auf

Lust an der Kritik verweisen, z.B.:

„Wir versprechen Ihnen: Freiheit stirbt mit Sicherheit“

„Wir haben Zugriff auf Ihre Daten im Polizeistaat“

„Wir haben die Kraft aus der Freiheit dich zu erlösen“

Mit Bezug auf den oft monierten Assoziationsreichtum von Wahlplakaten bei

gleichzeitiger Inhaltsarmut lässt sich anhand dieser noch nicht einmal

erschöpfenden Auswahl zeigen, dass sich selbst in der notwendigen Verdichtung

auch aus ‚plakativen‘ Versatzstücken noch unterschiedliche Gegenaussagen

fingieren lassen, die die Proposition des Originals unterminieren.

Besonders bei der Google-Bildersuche nach Wahlplakaten der großen

Parteien sowie der NPD tauchen im Ergebnis eine Vielzahl an Persiflierungen

auf. In Bezug auf letztere hat das NPD-Wahlplakat 2013 (vgl. Geier 2013) „Geld

für die Oma statt für Sinti und Roma“ besonderen Anstoß erregt, so dass bis auf

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die FDP alle anderen im Bundestag und in Landtagen vertretenen Parteien

zusammen mit zwei weiteren Organisationen ein Gegenplakat produzieren ließen,

auf dem eine fröhliche und nicht besorgt-verängstigte ‚Oma‘ und ein Mädchen

mit dunklen Haaren sich anlachen unter dem Slogan: „Meine Oma mag auch Sinti

und Roma“. Weniger politisch korrekt geht ein weiteres Gegenplakat vor: „Sauf

dich ins Koma mit Geld von der Oma“. Ebenso eher in den Bereich von Anarcho-

Punk wird das Plakat „Arbeit zuerst für Deutsche“ umgewandelt in: „Arbeit ist

scheiße. Deutsche stinken“.

Das NPD-Originalplakat, wiederum aus dem Wahlkampf 2013 „Maria statt

Scharia“ kontrastiert eine junge Frau mit blonden Haaren und blauen Augen, die

direkt in die Kamera blickt mit einer Frau, deren dunkle Augen zwischen einem

Kopftuch und Gesichtsschleier seitlich hervorblicken. Ein weiteres Plakat aus der

Serie wirbt für die NPD mit dem Slogan „Natürlich deutsch“. Auf dem Plakat

lächelt ein kleines Mädchen mit blauen Augen und blonden Haaren in die

Kamera. Auf beide Plakate nimmt ein Gegenentwurf Bezug, der eine stark

übergewichtige Frau zeigt, die barfüßig und breitbeinig in einem zu kurzen Kleid

oder Oberteil auf einer Parkbank sitzt und sich auf die Fläche zwischen ihren

Füßen ausgiebig übergibt. Der Slogan hierzu lautet „Maria statt Scharia.

Natürlich deutsch“ und untergräbt erstens mit der ungepflegten und offenbar der

Selbskontrolle ermangelnden Person im Bild die positive Assoziation der

heiligen Maria, zweitens die durch das NPD-Plakat evozierte Assoziation der

attraktive(re)n jungen Frau mit ‚deutsch‘, indem hier ein Gegenentwurf einer

offenbar ebenso ‚deutschen Frau‘ vorgestellt wird, drittens lädt das Plakat dazu

ein, die Blöße der Frau als kulturelle Errungenschaft infrage zu stellen und

viertens unterminiert es die positive Assoziation von ‚natürlich‘, denn auch bei

dem Erbrechen handelt es sich um einen natürlichen Vorgang.

Auch wenn die Plakate und Gegenplakate hier nicht ausführlich diskutiert

werden können, zeigt doch ein Blick auf solche Reaktionen, dass Wahlplakate

nicht einfach nur von Parteien als Element im Rahmen einer Wahlkampagne in

die Welt gestellt werden und dort ihren persuasiven Appell ausstrahlen. Ein Blick

auf solche Aneignungen von Wahlplakaten zeigt, dass Wahlplakate auf eine

diskursive Gemengelage treffen, in der sie auch auf Gegenreaktionen,

Widerspruch und Karikierung stroßen. Dabei handelt es sich nicht einfach nur um

ein funktional-thematisches Textnetz, sondern solche Reaktionen werden aus

Gegendiskursen gespeist, die auf Grundlage konträrer politischer Prämissen in

gleichen thematischen Zusammenhängen andere Bedeutungen generieren.

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