Texte und Textsorten [Texts and Genres in Political Discourse, handbook article]
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Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft, ed. Kersten Roth, Martin Wengeler, Alex-
ander Ziem. Handbücher Sprachwissen, vol 19. Berlin, New York: de Gruyter.
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Melani Schröter
Texte und Textsorten
Die Entwicklung innerhalb der angewandten Linguistik der letzten Jahrzehnte ist
geprägt von von einer Ausweitung des Gegenstandsbereichs, so dass sprachliches
Handeln nicht mehr nur in Sätzen und Texten, sondern vielmehr in Diskursen
verortet wird. Die jeweils ‚überwundenen‘ Ebenen ‚niedrigeren‘
Komplexitätsgrades werfen dabei Fragen nach dem Verhältnis zwischen den
Ebenen – Wort, Satz, Text und Diskurs – auf und gehen auch in die Modellierung
übergeordeter Ebenen ein, vgl. Warnke und Spitzmüllers (2008) Modell zur
diskurslinguistischen Mehr-Ebenen-Analyse (insbes. S. 44). Dadurch, dass in
einem umfassenden, integrativen Modell mit den verschiedenen Ebenen jeweils
Kriterien zur Erfassung, Verortung und Bedingtheit sprachlichen Handelns
hinzukommen, erfolgt eine Erweiterung linguistischer Fragestellungen. Mit Blick
auf diesen wissenschaftsgeschichtlichen Kontext soll hier die anhaltende
Bedeutsamkeit der Konzeptionalisierung der sprachlichen Ebene Text sowie ihrer
Untersuchung reflektiert werden, und zwar besonders hinsichtlich des
Stellenwertes für die Analyse politischen Sprachgebrauchs. Exemplifiziert
werden diese Überlegungen anhand der Textsorte Wahlplakat sowohl im Hinblick
auf deren konstitutive Elemente als auch im Hinblick auf die multimodalen,
intertextuellen und diskursiven Zusammenhänge, die für die Textsorte ebenso
charakteristisch sind wie rekurrente struktuelle Merkmale.
Gliederungsübersicht
1 Satz – Text - Diskurs
2 Klassifikation von Texten im politischen Sprachgebrauch
3 Wahlplakate – eine Textsorte im multimodalen, intertextuellen,
intermedialen und diskursiven Geflecht
4 Literatur
10 Stichwörter für Sachregister: Text, Textsorte, Textlinguistik, Textualität,
Wahlplakat, Multimodalität, Intertextualität, Intermedialität, Diskurslinguistik,
Diskursanalyse
1 Satz – Text – Diskurs
1.1 Vom Satz zur transphrastischen Ebene
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Im Zuge der pragmatischen Wende in der Linguistik seit den 1960er Jahren hat
sich das Interesse an satzübergreifenden sprachlichen Einheiten verstärkt (vgl.
Heinemann/Viehweger 1991, 13-85), wobei sich zunehmend herausstellte, dass
erstens Textzusammenhänge durch systematisch auftretende strukturelle
Merkmale gestiftet werden, dass zweitens Themenkonstiution und drittens
Handlungszusammenhänge die Grenzen von Einzeläußerungen überschreiten und
dass daher die sprachliche Einheit Text anzusetzen und nach diesen Aspekten zu
befragen ist. Die durch die amerikanische Anthropologie beeinflusste
Entwicklung soziolinguistischer Fragestellungen und die mit der Nähe zu
Soziologie und Anthropologie einhergehende Hinwendung zu empirischer
Forschung hat auch weg von der Beschäftigung mit für die frühe Pragmatik
kennzeichnenden fiktiven satzwertigen Äußerungen hin zur Analyse konkreter
Alltagstexte geführt, die bis dahin kaum zum Gegenstand linguistischer Analyse
geworden sind – vom Kochrezept über die Packungsbeilage bis zum
Verkehrsschild. Gleichzeitig hat der Blick auf gesellschaftliche Zusammenhänge
(z.B. geschlechtsspezifische Diskriminierung) bzw. Gruppen (z.B. Soziolekte)
und deren Einfluss auf Sprachgebrauch und Sprachattitüden das Interesse an
politischer Kommunikation außerhalb klassischer Bildung und antiker Rhetorik
(wieder)belebt und es auch ermöglicht, den Blick von den Redegattungen auf die
ganze Breite von Textsorten und verschiedenartigen Sprachhandlungen und
Sprachhandlungszusammenhängen in der Politik zu lenken (vgl. Dieckmann
1975). Besonders hervorzuheben sind für den gegebenen Zusammenhang zwei
Konzepte, um die die Beschäftigung mit Texten die Linguistik bereichert hat:
Erstens das der Textualität und zweitens das der Textsorte. Es ist hier nicht der
nötige Raum gegeben, auf weiterhin existierende Probleme bei der Bestimmung
von Textualitat (vgl. Adamzik 2004, 20-50; Heinemann/Heinemann 2002, 95-
112) bzw. im Detail auf Kriterien zur Klassifikation von Textsorten einzugehen
(vgl. Brinker 2005, 138-154; Heinemann/Viehweger 1991, 137-175). Kriterien
der Textualität wurden besonders intensiv mit Blick auf die
Gegenstandsbestimmung diskutiert, also dahingehend, was einen Text zum Text
macht. Vor allem mit Blick auf die einflussreichen Textualitätskriterien von de
Beaugrande und Dressler (1981) lässt sich aber auch allgemeiner festhalten, dass
kommunikatives Handeln mit und durch Sprache schlechthin Textualität aufweist.
Insoweit man also der Auffassung zustimmt, dass Subjekte in der Lage sind,
mittels Sprache intentionale Handlungen zu vollziehen, wird man auch
konzedieren, dass sprachliche Handlungen in Texten vollzogen werden, die
bestimmte hierarchisierbare und musterhafte Handlungseinheiten und
Handlungsabläufe aufweisen (vgl. Heinemann/Viehweger 1991). Diese
Musterhaftigkeit und der Kontext (z.B. Institution, Medien, Kommerz), die
Gesamtfunktion (z.B. REGULIEREN oder INFORMIEREN, UNTERHALTEN,
WERBEN oder INFORMIEREN) sowie stilistische Merkmale verschiedener
Texte (z.B. fachsprachliche Elemente, Umgangssprache, kreativ-innovativer
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Sprachgebrauch) werden (unter anderem) zur Bestimmung von Textsorten
hinzugezogen. Aufschlussreich in dieser Hinsicht ist auch, dass im Unterschied
zu vielen anderen bestimmbaren sprachlichen Einheiten Textsorten eine starke
Präsenz im nicht linguistisch geschulten Alltagsbewusstsein haben. Die meisten
schulgebildeten Mitglieder von Sprachgemeinschaften sind nicht nur in der Lage,
eine Vielzahl von Textsorten zu benennen, sondern auch wesentliche
Textsortenmerkmale soweit zu identifizieren, um sie auch außerhalb von Kunst
und Satire ins Uneigentliche übertragen zu können (jemandem eine ‚Predigt‘
halten, ‚Fahrpläne‘ für Unternehmensentwicklung oder ‚Rezepte‘ für gelingende
Beziehungen). Texte lassen sich aufgrund von gemeinsamen Merkmalen zu
Textsorten zusammenfassen als "in einer Kommunikationsgemeinschaft
herausgebildete (und somit kulturspezifische) globale sprachliche Muster zur
Bewältigung von spezifischen kommunikativen Aufgaben in bestimmten
Situationen" (Fix/Poethe/Yos 2003, S. 220).
Bezüglich der erwähnten Merkmale besteht ein allgemeines Wissen über
Textsorten und damit bestehen auch bestimmte Erwartungen an Texte. Das trifft
auch auf die Textsorten politischer Kommunikation zu. Zum Beispiel würde man
von einer Regierungserklärung beim Antritt einer neuen Regierung erwarten, dass
die Rednerin oder der Redner sich zunächst in einem einleitenden Teil an die
Adressierten wendet und einige allgemeinere Worte zur Situation findet, dann zu
einem berichtenden Mittelteil übergeht und sich zum Abschluss wieder den
Adressierten und der Redesituation zuwendet. Die Rede wird im sachlich-
neutralen bis gehobenen allgemein-bildungssprachlichen Stil formuliert sein. Was
die Struktur betrifft, wird zunächst auf den Wahlausgang und die vorhergehende
Regierung eingegangen, eingebettet in die aktuelle Situation werden Ziele
formuliert, sodann werden konkreter und inhaltlich gegliedert die geplanten
Schwerpunkte der Regierungsarbeit für die kommende Legislaturperiode
dargestellt. Am Schluss der Erklärung steht ein Ausblick auf die Er-
folgsbedingungen bzw. Erfolgsaussichten oder eine allgemeinere
Charakterisierung dessen, was die künftige Regierung sich von einem solchen
Programm verspricht (Korte 2002, Schröter 2006).
Abweichungen von solchen vorgegebenen Mustern werden daher bemerkt und
bewertet. Zum Beispiel gibt die Textsorte Gedenkrede bestimmte
Sprechhandlungen vor und schließt andere aus.Die Rede des damaligen
Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger vom 9.11.1988 zum 50. Jahrestag der
nationalsozialistischen Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung, wegen der der
Redner schließlich zurücktrat, ist ein berühmtes Beispiel für enttäuschte
Erwartungen bei der Realisation des vorgegebenen Musters (Heringer 1990, Linn
1991).
Ein Teil des Interesses am politischen Gebrauch der Sprache bezieht sich auf
die Textsorten, die in politischer Kommunikation zum Einsatz kommen, sowie
auf die genauere Analyse politikspezifischer Textsorten wie etwa
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Regierungserklärung, Parteitagsrede oder Wahlplakat. Das Spektrum repräsentiert
den Kommunikationsbereich Politik, Funktionen der einzelnen Textsorten
erlauben Aufschluss über kommunikative Intentionen politischer Akteure. Eine
genauere Analyse von Struktur, Stil oder Inhalt politischer Textsorten kann unter
Umständen Aufschluss über Rahmenbedingungen des politischen Gebrauchs der
Sprache bieten.
1.2 Vom Text zur transtextuellen Ebene
Neben de Beaugrande und Dresslers entsprechendem Texualitätskriterium
verweist auch bereits die Konzeptionalisierung von Textsorten auf die weitere
Stufe in der Entwicklung hin zur transtextuellen Ebene (vgl. Warnke/Spitzmüller
2008), nämlich auf Intertextualität. Nur die oben erwähnte Musterhaftigkeit, also
Wiederkehr von Merkmalskombinationen in Texten, deren regelmäßiges
Auftreten in bestimmten Domänen mit bestimmten Funktionen sowie Emittenten-
und Adressatenkonstellationen und dementsprechenden stilistischen Merkmalen
ermöglicht es, Textsorten voneinander abzugrenzen – ein
Intertextualitätsverhältnis, das bei Fix (2000) Text-Textmuster-Beziehungen
genannt wird. Das Wissen um die durch Text-Textmuster konstituierten
Merkmale von Textsorten bedingt auch Erwartungen an Texte. Dies ist nicht rein
normativ zu verstehen in dem Sinne, dass Erwartungen eingehalten werden
müssen (was im Extremfall Langeweile und Überdruss zur Folge hat),vielmehr
ermöglichen eben diese Erwartungen auch Kreativität, indem Abweichungen von
der Norm und gerade die damit einhergehende Enttäuschung bestehender
Erwartungen den für kreativen Sprachgebrauch benötigten Interpretationsaufwand
mobilisieren; dies wird weiter unten (3.1) bei der Beispielanalyse von
Wahlplakaten noch deutlich werden.
Einzelnen Texten oder Textsorten kommt im komplexen Prozess größtenteils
massenmedial vermittelter politischer Kommunikation in der modernen
Massendemokratie kaum noch großer Stellenwert zu – von einigen historischen,
meist bundespräsidialen 'Ausnahmereden' einmal abgesehen. Die Rede des
damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des
Kriegsendes 1985 gilt als eine solche Ausnahmerede, auch die 'Ruck'-Rede seines
Nachfolgers Roman Herzog vom 26.04.1997 (Kopperschmidt 1989 und 1999,
Jochum 1999) Dennoch steht auch eine wichtige öffentliche politische Rede nie
für sich. Sie wird zuvor z.B. angekündigt, es folgen Spekulationen über
Redeinhalt und -situation in Presse und Fernsehberichterstattung. Das Re-
deereignis selbst wird in den Medien vollständig oder ausschnittweise zitiert bzw.
gesendet oder reformuliert und schließlich kommentiert (vgl. Klein 2007, Kühn
1992). Neben den generell zu veranschlagenden Text-Textmuster Beziehungen
sind also für den Bereich politischer Kommunikation mehr oder weniger
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unmittelbare Text-Text-Beziehungen (vgl. Fix 2000) von größerem Interesse, d.h.
Beziehungen konkreter Textexemplare untereinander, besonders im
Zusammenhang mit Textketten und Textnetzen (vgl. Paltridge 2006, 89ff.).
Dieser Zusammenhang verweist zudem auf die später behandelte Diskursanalyse ,
da einer Diskursanalyse auch stets ein Netz vorwiegend thematisch zusam-
menhängender Texte zugrunde gelegt werden muss, nur dass sich die
Diskursanalyse nicht primär für die Form oder die Eigenarten dieser
Textbeziehungen interessiert. Einzelne Texte als Teil von Textketten oder –netzen
können durch einen gemeinsamen Rahmen als ein zusammengehörendes
Ensemble betrachtet werden, wobei dieser Rahmen institutioneller (Beispiel
Gesetzgebungsverfahren), funktionaler (Beispiel Wahlkampagne) oder
thematischer (Beispiel Diskurs) Art sein kann.
Klein hat sich in einem Aufsatz (1991) mit intertextuellen Bezügen
politischer Textsorten sowohl im institutionellen als auch im funktionalen
Rahmen beschäftigt. Als Beispiel für eine Textkette im institutionellen Rahmen
kann das von ihm beschriebene Gesetzgebungsverfahren gelten. Dieses beruht auf
der Geschäftsordnung des Bundestages, die das Verfahren regelt, einem ersten
Entwurf zum Gesetz, Stellungnahmen dazu aus den verschiedenen Ministerien
sowie einer Beratung im Kabinett, bei der ein Regierungsentwurf beschlossen
wird, der dann an den Bundesrat geht. Der Bundesrat verfasst eine
Stellungnahme, dann wird der Entwurf in den Fraktionen beraten, woraufhin eine
Lesung im Bundestag mit anschließender Debatte folgt. Wenn keine Einigung
erzielt wird, kann – wiederum unter Einsatz zahlreicher Einzeltexte – der
Vermittlungsausschuss tätig werden. Schließlich erfolgt ein Beschluss im
Bundestag und Bundesrat, danach kann es aber auch noch zu Änderungsanträgen
und Eingaben kommen. Der Ausdruck Textkette beinhaltet, dass Einzeltexte wie
auf einer Kette in serieller Abfolge aneinandergereiht werden. Zum gesamten
Kommunikationsprozess über ein solches Gesetzgebungsverfahren ist natürlich
noch die mediale Berichterstattung über Entwurf, Verfahren und politische
Auseinandersetzung hinzuzunehmen, inklusive der ebenfalls medial
aufgegriffenen Stellungnahmen einzelner Gruppen oder Organisationen. In
diesem Fall wäre dann allerdings von einem Textnetz im thematischen
Zusammenhang des öffentlich-politischen Diskurses über ein neues Gesetz zu
sprechen. Der Ausdruck ‚Textnetz‘ verweist darauf, dass intertextuelle Bezüge
nicht nur durch serielle Abfolge, sondern auch durch thematische Querverweise
konstituiert werden.
Ein Textnetz im funktionalen Rahmen stellen die ebenfalls bei Klein (1991)
behandelten Texte einer Wahlkampagne dar. Die Texte einer Wahlkampagne
dienen der politischen Eigenwerbung der Parteien mit dem konkreten Ziel, ein
möglichst gutes Wahlergebnis zu erreichen und bestenfalls am Ende (mit-)
regieren zu können. Dieses Ziel wird über eine Vielzahl von Textsorten verfolgt;
Wahlwerbespots für das Fernsehen, Werbeanzeigen in der Presse, Beilagen für
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Presseerzeugnisse, Wahlzeitungen, Wahlbroschüren, Prospekte und Faltblätter,
Handzettel und Flugblätter, Wahlplakate und die entsprechenden Wahlslogans.
Auch wenn der funktionale Rahmen überwiegt, sind natürlich thematische
Zusammenhänge ebenfalls gegeben – eine Wahlkampagne kann nicht aus einer
Vielzahl untereinander inkohärenter Botschaften bestehen, sondern vor allem die
Kernaussagen werden über die verschiedenen Formate hinweg ständig
wiederholt. Neben den von Parteien emittierten Texten werden Medientextsorten
wie Interviews und Fernsehdiskussionen genutzt; sogar 'unverdächtige'
Textsorten wie Kalender oder Ansichtskarte oder auch Gebrauchsgegenstände
wie Kugelschreiber werden mit Werbeelementen wie dem Parteilogo und/oder
Slogan versehen. Schließlich können Wahlwerbetexte sich andere Textsorten
‚kostümieren‘, wie es z.B. bei der Wahlillustrierten oder dem Kandidatenbrief der
Fall ist (vgl. ebd.).
Einen Schritt weiter in Richtung Diskursanalyse geht Girnth (1996), der sich
mit Textbeziehungen im thematischen Rahmen anhand des Diskurses über den –
später fallengelassenen – CDU-Kandidaten zur Wahl des Bundestagspräsidenten
1993, Steffen Heitmann beschäftigt. Die Texte, die Girnth diesem Diskurs
zuordnet, bestehen zunächst in dem Beschluss des Parteivorstands, der sich auf
diesen Kandidaten festlegt, sowie Nachrichten darüber in der Presse. Kurz darauf
wurde ein Interview mit Heitmann veröffentlicht, in dem er sich fremden- und
frauenfeindlich äußerte, weshalb es in der Folgezeit in den Medien Kommentare
und auch Aufsätze gab, die Kritik an der Person Heitmanns enthielten. Am Ende
gab Heitmann eine Presserklärung ab, mit der er seine Kandidatur zurückzog,
worüber wiederum berichtet wurde. Girnth geht es in seinem Aufsatz um die
Beschreibung des textuellen Beziehungsgeflechts, der Position und Funktion der
einzelnen Texte innerhalb dieses Diskurses. So unterscheidet er initiale,
prozessuale und terminale Texte; bei dem Beschluss des Parteivorstands und der
ersten Nachricht darüber handelt es sich um die diskursinitiierenden Texte, bei
den weiteren Kommentaren und dem Interview um prozessuale Texte;
diskursterminal ist die Presseerklärung Heitmannns über seinen Rücktritt von der
Kandidatur. Außerdem unterscheidet Girnth zwischen Primär- bzw. Objekttext
und Sekundär- bzw. Metatext. Um einen Objekttext handelt es sich etwa bei dem
Parteibeschluss über die Kandidatur; dieser Text wird zum Objekt von
Metatexten, also der Nachrichtentexte, die über diesen Beschluss berichten bzw.
ihn kommentieren. Mit Blick auf ihren inhaltlichen Stellenwert für den Verlauf
eines Diskurses nennt Girnth diskurstranszendente Texte (solche, die mehr als
einem Diskurs zugerechnet werden können), diskursimmanente Texte (solche, die
nur einem bestimmten Diskurs zuzuordnen sind), diskursperiphere und
diskursdominierende Texte.
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1.3 Der Stellenwert der Kategorie Text in der linguistischen Diskursanalyse
Ginge es der Diskursanalyse primär um Text-Text-Beziehungen und wäre
Diskurs vorwiegend als Textnetz im Sinne von Diskurslinguistik als Erweiterung
der Textlinguistik gedacht (vgl. Spitzmüller/Warnke 22-25.), so bliebe der
Stellenwert der Kategorie Text davon weitgehend unberührt. Spitzmüller und
Warnke stellen jedoch heraus, „dass Diskurslinguistik weitaus mehr leistet, als
lediglich eine Erweiterung der Textlinguistik zu sein oder eine Spielart der
Korpuslinguistik“ (47), indem eine an Foucault anschließende Diskurslinguistik
Fragen nach Wirklichkeitskonstituierung in Diskursen und durch Diskurse
aufwirft und nach der Konstruktion von gesellschaftlichem Wissen (vgl. ebd.
40ff.). Damit richtet sich der Blick auf Serialität und Regelhaftigkeit von
Aussagen über eine Vielzahl verschiedener Texte hinweg, die durch den Diskurs
als Formationssystem im Sinne Foucaults determiniert sind. Mit dieser
Konzeptionalisierung wird die Vorstellung eines souverän und intentional in
Gestalt von Texten sprachlich handelnden Subjekts zwar nicht völlig aufgehoben,
jedoch stark relativiert (vgl. ebd. 67-75; Spieß 2011, 141-143.). Subjekte
determinieren Aussagen nicht eigenmächtig, sondern bewegen sich im Rahmen
dessen, was in bestimmten historisch-sozialen Situationen gesagt werden kann.
Dies berührt ganz zentral zumindest die Textualitätskriterien der Intentionalität
und Akzeptabilität. Sprachlich gehandelt wird zwar in und mit Texten, aber der
Blick richtet sich über Texte hinaus auf Möglichkeitsbedingungen von Aussagen.
Spieß (2011) betrachtet auch im Rahmen einer Diskurslinguistik Texte als
primäre Handlungs- und damit auch Analyseeinheit (135) und Diskurse somit in
erster Linie als Textverbünde. Vor allem aus forschungspraktischer Sicht bietet es
sich an, ein konstitutives Verhältnis zwischen Text und Diskurs zugrundezulegen.
Um linguistische Diskursanalyse zu operationalisieren, müssen Textnetze
ausgemacht werden können, die Diskurse konstituieren. DiskursanalytikerInnen
müssen in der Lage sein, plausibel zu argumentieren, in welchen Texten und
Domänen sich der fragliche Diskurs manifestiert, und somit begründen, welches
Textmaterial einer Analyse zugrunde gelegt wird. Dabei gilt, dass sich Diskurs
„unter anderem qua Sprache in ihrer textuellen Positivität“ realisiert, „aber es gibt
ein Mehr des Diskurses, das nicht hinter der Sprache liegt, sondern mit ihr
zusammen den Text konstituiert“ (Warnke/Spitzmüller 2008, 16).
Je nach konkreterer Fragestellung oder Untersuchungsdesign können durch
die Textlinguistik etablierte sprachliche Phänomene nach wie vor Eingang in
diskursanalytische Untersuchungen finden, etwa wenn für die Analyse relevante
sprachliche Phänomene in bestimmten Textsorten oder an bestimmten Stellen in
der Textstruktur vorkommen. Am ehesten verliert die Kategorie Text ihren
Stellenwert dann, wenn sprachliche Phänomene im Vordergrund stehen, die
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ihrerseits Rekurrenz und Musterhaftigkeit aufweisen, die aber nicht von einer
bestimmten Art von Text als Handlungseinheit abhängig sind, sondern sozusagen
quer zu Texten liegen und sich durch eine Vielzahl verschiedenartiger Texte
innerhalb von Diskursen hindurchziehen – z.B. metaphorische
Konzeptualisierungen (Musolff 2004), Schlagwörter (Schröter/Carius 2009, 19-
40, Schröter 2011, Schröter i.Dr.) und Argumentationstopoi (Wengeler 2006).
Auch wenn man mit Spitzmüller und Warnke (2011) konzediert, dass es sich
bei Diskursen um wesentlich mehr handelt als Ansammlungen von Texten, spielt
die Kategorie Text insofern eine wesentliche Rolle, als Diskursanalyse
forschungspraktsisch – sowohl bei hermeneutisch-qualitativem als auch bei
korpuslinguistischem Vorgehen (vgl. ebd. 32ff.) – stets auf einer zu
begründenden Sammlung von Texten beruht. Durch die Auseinandersetzung mit
Diskursen mag die textuelle Ebene als Analysegegenstand mehr und mehr in den
Hintergrund treten; Textsorten und die durch sie bedingten Handlungsfolgen,
Struktur- und Stilmerkmalen bleiben jedoch für eine Reihe von Fragestellungen
und vor allem für Untersuchungsdesigns zur Analyse von Sprache in Politik und
Gesellschaft durchaus relevant. Die Beschäftigung mit Diskursen ist zwar auf der
transtextuellen Ebene zu verorten, dies bedeutet jedoch nicht ein Abseits sondern
die Notwendigkeit ihrer Integration in ein übergeordnetes Modell mitsamt der ihr
zuzuordnenden Phänomene, Fragestellungen und Analysekategorien. ImRahmen
eines solchen übergeordneten Modells kommt der Kategorie Text weiterhin ein
eigener Stellenwert zu, der nun in anderen Zusammenhängen operationalisiert
wird.
2 Klassifikation von Texten im politischen
Sprachgebrauch
2.1 Lokalisierung politischer Textsorten in Topographien des
Kommunikationsbereichs Politik
Zur Erfassung des Handlungs- bzw. Kommunikationsbereichs Politik ist in den
letzten Jahrzehnten eine Reihe an Vorschlägen unterbreitet worden, die mit
unterschiedlichen Konzeptionalisierungen bzw. Hierarchisierungen arbeiten,
deren Details hier vernachlässigt werden müssen. In diesem Abschnitt sollen
Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Topographien politischer
Kommunikation dargestellt werden, um gleichsam einen Konsensbereich sowie
darüber hinausgehende Vorschläge deutlich werden zu lassen, die man sich im
Sinne von Zentrum und Peripherie vergegenwärtigen kann. Zwar liegen
konkurrierende Umgrenzungen des Kommunikationsbereichs Politik vor, die
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jeweils auf ein engeres bzw. weiteres Politikverständnis schließen lassen (vgl.
Schröter/Carius 2009, 10ff.). Jedoch hat man sich in der Politolinguistik bisher
kaum über die Frage gestritten, was als politische Kommunikation gelten darf
und wo dieser Bereich aufhört, so dass man es eher mit charakterisierenden
Vorschlägen zu tun hat als mit scharfen Grenzziehungen, sowie mit dem
Bestreben, einen Überblick zu schaffen anstatt weitere Phänomene
auszuschließen.
Zunächst ist den im Folgenden genannten Vorschlägen gemeinsam, dass sie
dazu gedacht sind, den Kommunikationsbereich Politik als solchen zu umreißen
und den verschiedenen Unterkategorien jeweils Textsorten zuzuordnen, um so
einen Überblick über sprachgebundenes politisches Handeln zu schaffen. In der
folgenden Darstellung werden daher beispielhaft einige der für die verschiedenen
Bereiche angegebene Textsorten mitgenannt.
Alle Vorschläge grenzen einen eher politik- bzw. institutionsinternen Bereich von
einem nach außen gerichteten, öffentlichkeitsorientierten Bereich politischer
Kommunikation ab. Zumeist werden diese beiden Bereiche als zentral für
politische Kommunikation betrachtet. Von einigen Autoren werden weitere
Bereiche und Textsorten genannt, jedoch variieren alle Vorschläge dort, wo sie
den in der folgenden Tabelle umrissenen Bereich verlassen, so dass sich in der
Zusammenschau der Klassifikationsvorschläge für weitere Textsorten und
Handlungsbereiche der Eindruck eines eher peripheren Stellenwertes ergibt.
Politik/-institutionsintern Außen- bzw. öffentlichkeitsorientiert
Politiksprache (Burkhardt 1996)
Funktionssprache (Sprache des
Gesetzes, der Verwaltung und der
Verhandlung) (Diekmann 1975)
Regulatives Sprachspiel (Grünert 1983)
Sprachspiel der Meinungs- und
Willensbildung in Institutionen sowie
in Parteien und Gruppen (Strauß 1986)
Handlungsfelder des
Gesetzgebungsverfahrens, der
innerparteilichen und
zwischenparteilichen Meinungs-,
Einstellungs- und Willensbildung, z.T.
politische Exekutive und
Administration (Reisigl 2007)
Primäre institutionen der Politik (v.a.
Ausschüsse und Gremien) Kuße (2012)
Meinungssprache (Burkhardt 1996)
Sprache der Überredung (Diekmann
1975)
Informativ-persuasives Sprachspiel
(umfasst in etwas Sprach der
Verhandlug und der Überredung bei
Diekmann 1975), (Grünert 1983)
Sprachspiel der öffentlich- politischen
Meinungsbildung, politische Werbung
(Strauß 1986)
Politische Werbung, öffentlich-
politische Meinungs-, Einstellungs-
und Willensbildung, z.T. politische
Exekutive und Administration)
(Reisigl 2007)
Primäre Institutionen der Politik (v.a.
Regierung, Parteien, z.T. Parlament)
(Kuße 2012)
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z.B. Ausschusssitzung
Gesetzesvorlage
Koalitionsvertrag
Parlamentarische Geschäftsordnung
Parteiprogramm
z.B. Debattenrede
Pressekonferenz
Regierungserklärung
Wahlwerbespot
Eröffnungsrede
Dass andere Bereiche eher sporadisch genannt werden, erscheint nicht immer
gerechtfertigt, vor allem im Hinblick auf den Bereich
„Zwischenstaatliche/internationale Beziehungsgestaltung“ (Reisigl 2007), z.B.
Note, Ultimatum, Staatsvertrag. Dass sich die Politolinguistik um außenpolitische
Kommunikation bisher wenig gekümmert hat, hat sicher in erster Linie
forschungspraktische Gründe, die zum einen in der erschwerten Zugänglichkeit
des Materials und zum anderen in dem erschwerten Einblick in die
Handlungslogiken von Außenpolitik liegen dürften.
Dem außen- bzw. öffentlichkeitsorientierten Bereich ist das von Grünert
(1983) genannte integrative Sprachspiel zuzuordnen, z.B. Parteiprogramm,
Gemeinschaftslied, Gedenkrede. Auch mit einem engen Politikverständnis würde
man wohl konzedieren, dass dies z.B. unter die von Burkhardt (1996) genannte
Politikersprache fällt und dementsprechend in den Kernbereich politischer
Kommunikation.
Diesen Konsensbereich erweiternd fällt unter Strauß‘ Sprachspiel der
öffentlich- politischen Meinungsbildung auch der bei Burkhardt (1996) genannte
Bereich der politischen Mediensprache bzw. der bei Kuße (2012) genannte
Bereich ‚Medien‘; Zeitungsartikel, Interviews, Talkshows. Grünerts (1983)
instrumental-begehrendes Sprachspiel bzw. politische Kontrolle und politischer
Protest bei Reisigl (2007) und politische Bewegungen bei Kuße (2012) weisen
darauf hin, dass auch Bürgerbewegungen und Interessenvertretungen im Bereich
politischer Kommunikation verankert werden müssen, vor allem wenn und
insoweit sie sich mit ihren Anliegen direkt an Abgeordnete, Parteien oder
Institutionen wenden; z.B. Petition, Flugblatt, Protestslogan. Schließlich
veranschlagt Burkhardt (1996) einen Bereich privat-halböffentlichen Sprechens
über Politik, dem z.B. die Stammtischparole, politische Diskussionen am
Familientisch oder Privatgespräche vor dem Fernseher bei der Rezeption von
Hochrechnungen an Wahlabenden zugeordnet werden können. Strauß geht auch
von einem Sprachspiel der politischen Bildung, Aufklärung und Belehrung aus,
der gesellschaftswissenschaftliche Sach- und Schulbücher, wohl aber auch
politisches Kabarett umfassen dürfte.
2.2 Studien zu Textsorten der politischen Kommunikation
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Neben den oben genannten, topografisch-klassifikatorischen Ansätzen und
Übersichten beschreibt Burkhardt (2003) ausführlich die Domäne
parlamentarischer Kommunikation und gibt damit auch eine Übersicht und z.T.
detailliertere Beschreibung einzelner Textsorten, die in der parlamentarischen
Kommunikation eine Rolle spielen, vor allem die parlamentarische Besonderheit
strategisch eingesetzter dialogischer Elemente (Zwischenruf, Zwischenfrage).
Holly (1990) erarbeitet einen Überblick über verschiedene Rollen und
Sprachhandlungen eines Abgeordneten, der auch Aufschluss bietet über die
involvierten Textsorten als Handlungsmuster zur Verrichtung der Arbeit eines
Abgeordneten.
Allgemein lässt sich jedoch konstatieren, dass nicht sehr viele Beiträge
vorliegen, die einzelne Textsorten in der Politik als solche genau charakterisieren
und beschreiben. Dies ist fast ein wenig verwunderlich, liegt doch mit Klein 2000
ein durchaus breit rezipierter und viel zitierter Vorschlag zur Einordnung und
Beschreibung von Textsorten in politischen Institutionen vor. Die bei Klein
genannten Klassifikationskriterien sind unmittelbar textbezogen, sie
unterscheiden sich mit Blick auf den Grad ihrer Allgemeinheit bzw. Konkretheit
und sollten Klein zufolge auch unterschiedlich gewichtet werden. Er nennt
pragmatische Kategorien (Emittent, Adressat, Textart, Grundfunktion, Text-
handlungsmuster, Geltungsmodus, Textsorten-Intertextualität), semantische
Kategorien (Thema, Lexik), grammatische Kategorien (Syntax, Verbkategorien,
Personenbezug) und rhetorische Kategorien (Bauform, Themenentfaltung,
rhetorische Figuren/Tropen). Allgemeiner und für die Klassifikation besonders
wichtig sind die pragmatischen Kategorien Emittent, Adressat, Textart und
Grundfunktion. Als Hauptkriterium zur Klassifizierung der Textsorten soll die
Kategorie Emittent dienen, denn „wer unter welchen Bedingungen und in
welchem Maße welchen Adressaten gegenüber die Möglichkeit hat,
adressatenbindende TS [Textsorten, M.S.] mit direktiv-regulativer Grundfunktion
u./o. meinungsbetonte TS mit evaluativ-appellativer Grundfunktion zu
emittieren“ (734), ist Klein zufolge ein konstitutiver Faktor nicht nur politischer
Kommunikation, sondern politischer Systeme schlechthin, denn die „Funktionen
und Rollen, die dieses System zuweist, manifestieren sich in hohem Maße in der
ausschließlichen oder dominanten Zuständigkeit als Emittent bestimmter TS
(Textsorten, MS).“ (Ebd.) Als sekundäres Einteilungskriterium nennt Klein die
Kategorie Adressat und weist darauf hin, dass es zwar aufgrund des hohen Maßes
an Öffentlichkeit für die Emittenten schwierig ist, abzusehen, wer zu welcher Zeit
welche Teile ihrer Rede tatsächlich rezipieren wird, dass sich aber aus den
meisten politischen Textsorten primäre Adressierungen herauslesen lassen. Als
Beispiel dafür kann die Parteitagsrede genannt werden: Primärer Adressat ist die
eigene Partei, die Rede soll zur innerparteilichen Konsensbildung und Integration
beitragen. Es gilt dabei allerdings auch die sekundär adressierte Öffentlichkeit zu
bedenken, mit Blick auf diese soll die Parteitagsrede auch für die eigenen
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Positionen werben. Es gibt also für die verschiedenen Adressatenkreise auch
verschiedene Textfunktionen. Die dritte zentrale Kategorie besteht in der Textart:
Handelt es sich um einen schriftlich oder mündlich geäußerten Text, um face to
face oder medial vermittelte Kommunikation? In einem weiteren Beitrag (2001)
geht Klein gesondert auf mündliche Interaktionsformate im
Kommunikationsbereich Politik ein. Das nächste Kriterium ist die
kommunikative Grundfunktion, die, wie eben gesehen, je nach Adressatenkreis
verschieden sein kann.
Mit Hilfe dieser Kriterien grenzt Klein verschiedene Gruppen von Texten
voneinander ab, z.B. von Volksvertretungen, Regierungen, Parteien,
PolitikerInnen emittierte Texsorten, die weiter v.a. nach außen- oder
binnenadressiert, schriftlich oder mündlich unterteilt werden, sowie
politikadressierte Textsorten externer Emittenten, z.B. Expertengutachten,
Pressekommentar, Verfassungsgerichtsurteil, Protestparole, Volksbegehren,
Stellungnahmen von Interessengruppen (s. dazu Reisigl 2011, 462ff.).
Holly (1996) wendet bei seiner Analyse von Weihnachts- und
Neujahrsansprachen von SPD-Bundeskanzlern die meisten der bei Klein später
genannten Kriterien bereits an und liefert damit eine umfassende
Charakterisierung und Einordnung der betreffenden Textsorte. Ähnlich geht
Schröter (2008) bei der Charakterisierung von Tischreden anlässlich von
Staatsbesuchen vor, eine der wenigen Studien zum außenpolitischen
Kommunikationsbereich. Ein von Korte (2002) herausgegebener Band widmet
sich der Textsorte Regierungsrede, Toman-Banke (1996) beschreibt eingehend
die Textsorte Wahlslogan, Tillmann (1989) charakterisiert Textsorten parteilichen
Sprechens und Simmler (1978) erfasst und beschreibt parlamentarische
Textsorten. Es gibt eine Vielzahl von Einzelstudien zu Einzeltexten oder
einzelnen Kommunikationsbereichen, aus denen man wertvolle Informationen zur
entsprechenden Textsorte gewinnen kann, vor allem wenn es sich dabei um
neuartige textuelle Phänomene handelt. Davon zeugt, dass das Entstehen neuer
Internettextsorten bzw. deren Nutzung im Bereich politischer Kommunikation mit
großem Interesse verfolgt wurde (kürzlich z.B. Diekmannshenke 2013, Nos 2013,
Girnth 2013, Wengeler 2013). Davon abgesehen, dass eine Vielzahl in
textlinguistischer Hinsicht aufschlussreicher Publikationen vorliegt (vgl. auch
Cap/Okulska 2013), ist es jedoch nicht zum umfassenden politolinguistischen
Forschungsprogramm geworden, den Bereich politischer Kommunikation präzise
zu umreissen und politische Textsorten mit ihren strukturell-funktionalen
Eigenschaften genau zu beschreiben und im politischen Textsortenspektrum zu
verankern.
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3 Wahlplakate – eine Textsorte im,
intertextuellen, intermedialen, diskursiven
und Text-Bild Geflecht
Wahlplakate wurden hier für eine Fallstudie ausgewählt, weil sie in mancherlei
Hinsicht für die exemplarische Analyse einer politischen Textsorte einen
einerseits besonders typischen, andererseits aber auch eher untypischen Fall
darstellen. Sie sind dahingehend typisch, dass sie sich im Zentrum und nicht an
der Peripherie politischer Kommunikation befinden und sie würden sicher bei
einer allgemeinen Umfrage mit als erstes genannt, wenn es darum ginge, für
politische Kommunikation typische Texte zu nennen. Auch wenn in dem Maße,
in dem sich andere Kommunikationswege und Marketing-Strategien verbreiten,
die Bedeutung von Wahlplakaten abzunehmen scheint (vgl. Klein 2011, 294f.)
und auch wenn ihre Bedeutung als Einzeltexte zu relativieren ist, weil diese sich
eher aus dem Gesamtzusammenhang der Kampagne ergibt, ist derzeit ihre
Reichweite und das Potenzial, Aufmerksamkeit für den Wahlkampf als solches,
für die Parteien und ihre Hauptthemen zu generieren, nach wie vor als so hoch
einzuschätzen, dass Parteien auf Plakatwerbung nicht verzichten können (vgl.
Universität Hohenheim o.J.). Wahlplakate sind etwas untypisch für eine
Diskussion politischer Textsorten, da sie nicht sehr viel Text enthalten und das
Verständnis des knappen Textes häufig auf dem Bild-Text-Verhältnis beruht,
zumal Klein (2000) bemerkt, dass das Textelement oft gegenüber dem
Bildelement zurücktrete, weshalb er sie als “weniger eine TS (Textsorte, MS) als
ein Medium, das als großformatiger visueller Werbereiz auf Straßen und Plätzen
in die Augen springen soll“ (743), betrachtet.
Die beträchtlichen Veränderungen in der Gestaltung und Formulierung von
Wahlplakaten bei gleichzeitig stabilen Grundelementen, legen es nahe, einen
Blick auf Wandel und Konstanten der Textsorte zu werfen. Es soll im Folgenden
außerdem anhand verbreiteter und teilweise ausgiebiger Karikierung von
Wahlplakaten gezeigt werden, mit welchem Maß an kritischer Aufmerksamkeit
die Wahlwerbung von Parteien offenbar noch und vor allem mit Bezug auf
Wahlplakate begleitet wird.
Wegen ihrer Prägnanz lassen sich Wahlplakate gut in der hier erforderlichen
Knappheit sowohl unter generischen Gesichtspunkten (Kernelemente der
Textsorte) als auch mit Blick auf ihre intertextuelle Einbindung (als Teil von
Kampagnen) darstellen und es ist so auch möglich, eine größere Zahl von
Beispielen beizubringen und auch einen Blick auf zeitlich stabile Elemente und
Wandel zu werfen Die meisten der unten erwähnten Wahlplakate finden sich auf
der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung. Vor allem mit Blick auf
Intertextualiät und Diskursivität eignen sich Wahlplakate für diesen Beitrag als
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Beispiele, indem sie nicht nur als Teil von Kampagnen gewürdigt werden,
sondern auch als Teil von Diskursen und Gegendiskursen. Auf diese Weise soll
die Beispielanalyse einerseits dem weithin etablierten Gegenstandsbereich der
Textlinguistik Rechnung tragen, indem rekurrente Strukturelemente (3.1) sowie
intertextuelle und intermediale Zusammenhänge (3.2) benannt werden, womit auf
die oben in 1.1 und 1.2 aufgegriffenen Aspekte Bezug genommen wird. Ein Blick
auf diskursive Zusammenhänge (3.3) greift auf das weiter oben in 1.3
charakterisierte Verhältnis von Text und Diskurs zurück. Die verbreitete
Persiflierung von Wahlplakaten eignet sich zur Problematisierung der
Funktionalität und Intentionalität dieser Kerntextsorte politischer Werbung.
3.1 Die Textsorte Wahlplakat – Wandel und Konstanten im Text-Bild Geflecht
Bei der Betrachtung historischer und zeitgenössischer Wahlplakate (Müller 1978,
Demarmels 2009) wird deutlich, dass die Textsorte einige Kernelemente als
Konstanten aufweist, aber auch beträchtlichem Wandel unterliegt und dass deren
Entwicklung im engen Zusammenhang mit kommerzieller Produktwerbung steht.
Gemäß Kleins (2000) Kriterien für die Klassifizierung und Analyse politischer
Textsorten handelt es sich bei dem Wahlplakat um eine von Parteien emittierte,
an die gesamte (wahlberechtigte) Öffentlichkeit addressierte schriftlich verfasste
Textsorte mit persuasiv-appellativer Grundfunktion. Klein betont dabei, dass
einzelnen Wahlkampftextsorten als solchen ein relativ geringes Eigengewicht
zukommt, dass sie vor allem als Teil einer Kampagne funktionieren, deren
Prinzipien “erstens die Konzentration auf den/die Spitzenkandidatin u./o. auf
wenige Sachthemen sowie zweitens eine werbestrategisch optimale mediale
Distribution der Wahlkampfbotschaften” (742) beinhalten. In diesem Verbund
dienen Wahlkampftextsorten dazu, auf die Wahl aufmerksam zu machen,
AnhängerInnen für den Wahlkampf zu mobilisieren, die eigene Partei möglichst
günstig zu präsentieren (ebd.) und ggf. die Konkurrenzpartei(en) in ein möglichst
negatives Licht zu rücken. Klare Texthandlungsmuster lassen sich in
Wahlkampftextsorten nicht so leicht ausmachen, eher handelt es sich um
“Konglomerate aus Thesen, Behauptungen, Forderungen, Beschuldigungen,
Ankündigen und Bewertungen, die mehr oder weniger argumentativ untermauert
werden (…) auf einer Skala vom sachlichen Ton bis zur aggressiven Polemik”
(ebd.). Wahlkampftexte sind mit Bezug auf ihren Geltungsmodus weniger
verbindlich als legislative Texte, aber Wahlprogramme implizieren durchaus eine
gewisse Verpflichtung der Parteien auf die dort spezifizierten inhaltlichen
Positionen auch über die Wahl hinaus, gleichzeitig ist auf Seiten der
RezipientInnen eine weitverbreitete Skepsis in Bezug auf diese Wahl-
’Versprechen‘ zu konstatieren.
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Ein prototypisches Wahlplakat weist den Namen der Partei auf, einen Slogan,
der ein Argument dafür enthält, die jeweilige Partei zu wählen, sowie ein
bildliches Element, das die Proposition und Illokution des Slogans unterstützt
bzw. verstärkt. Wahlplakate weisen grundsätzlich die Partei aus, für die geworben
wird. Tauchten die Parteinamen zunächst in verschiedenen Farben, mit
verschiedenen farblichen Unterlegungen und Schriftarten auf, so weisen neuere
Plakate eine einheitliche Gestaltung der Parteilogos auf, die im Zusammenhang
mit sich verbreitetendem Branding als Strategie für eine klar identifizierbare
Visual Identity zu verstehen ist, die wiederum auf die Nähe zur Produktwerbung
bzw. auf Entwicklungen in der Produktwerbung und die Professionalisierung
politischer Kommunikation durch Werbeagenturen verweist. Grundsätzlich sind
Wahlplakate mit einem Slogan bestückt, aber auch hier gibt es Grenzfälle. So hat
die CDU für den Wahlkampf 1994 ein Plakat ganz ohne Slogan produzieren
lassen, auf dem gleichsam das Bild für sich selbst spricht – auf diesem ist Helmut
Kohl dicht umringt von Menschen zu sehen, in deren Mitte er steht und die er
gleichzeitig mit seiner Statur überragt. Als ein weiterer Grenzfall in dieser
Hinsicht kann ein ‚negative campaigning‘-Plakat der SPD aus dem Jahr 2002
gelten, das mit dem Textelement “Mit den Jahren hat sich auch Stoibers
Frauenbild weiterentwickelt” aufwartet. Dies kann nicht als Slogan gewertet
werden, weil es nicht unabhängig vom Plakat verwendet werden kann (Toman-
Banke 1996, 78f.), und das Wahlplakat ‚kostümiert‘ (vgl. Klein 1991) sich hier
als politische Satire, wobei die Ironie des Textelementes erst durch das
Bildelement konstituiert wird. Dabei handelt es sich um zwei Fotos, auf denen
jeweils eine Frau zu sehen ist, die eine Waschmaschine befüllt – auf dem einen
Bild ist ein technisch überholtes und auf dem anderen ein zeitgemäßes
Waschmaschinenmodell zu sehen. Auf einem weiteren Plakat aus dem gleichen
Wahlkampf gibt es weder ein Bild noch einen Slogan. Das Plakat ist ganz weiß,
mit dem schwarz gedrucktem Text (in großer Überschrift): „Endlich: Der
Kandidat der CDU/CSU ist da” sowie in der Mitte des Plakates, in kleinerer
Schriftgröße: “Leider nicht im Bild da zu weit rechts”. Die CDU hat für den
Wahlkampf 1987 ein Plakat drucken lassen, auf dem ein Fuß in einem Turnschuh
mit Schwarz-rot-goldenen Streifen zu sehen ist, an den eine rot-grüne Kugel
gekettet ist. Der Slogan dazu lautet: “Leistung muss endlich wieder bestraft
werden.” Es handelt sich auch hier um einen uneigentlichen Slogan, der dem
politischen Gegner in den Mund gelegt wird, was wiederum nur im
Zusammenhang mit dem Bildelement deutlich wird. Diese Plakate illustrieren in
Anlehnung auch an Entwicklungen in der Produktwerbung einen Wandel hin vom
direkten Appell und zu mehr Kreativität, Ironie und Anspielung, besonders wenn
es um den Angriff auf den politischen Gegner geht. Ein weiteres Beispiel hierfür
wäre ein Plakat der CDU zum Wahlkampf 2002, auf dem eine halb rote, halb
grüne Tablette zu sehen ist mit dem Slogan: “Genug geschluckt.” Darüber findet
sich in Anspielung auf Produktbeschreibungen von Medikamenten der Text:
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“Gegenanzeigen. Kann in Belastungssituationen zu Orientierungslosigkeit,
vermindertem Urteilsvermögen und Händezittern führen”. Auch das Spiel mit
bzw. Anspielungen auf politische Farbsymbolik ist dieser Kreativität zuträglich.
Während frühere Wahlplakate mit eben ‘plakativeren’ Botschaften und eher noch
mit direkt appellativen Slogans (z.B. FDP 1949: “Wählt die Freien Demokraten
(…) Macht die Mitte stark!”; CDU 1953: „Seid abwehrbereit – wählt CDU”)
gearbeitet haben, wurde die direkte Anrede der WählerInnen in den letzten
Jahrzehnten weitgehend vermieden; eher finden sich stattdessen fiktive
WählerInnen in fotografischer Darstellung, denen als vox populi die Botschaft der
Parteien in den Mund gelegt wird. Ein Beispiel hierfür ist die Plakatserie der SPD
2009, auf der sich jeweils auf der linken Seite Fotos von Menschen finden, die
verschiedene WählerInnengruppen repräsentieren (z.B. eine natürlich aussehende
junge Frau oder einen Arbeiter im Blaumann) und rechts daneben eine durch
Anführungsstriche als Zitat markierte Aussage (z.B. neben der jungen Frau:
“Atomkraft war gestern. Saubere Energie ist die Zukunft. Und deshalb wähle ich
SPD” bzw. neben dem Arbeiter: “Die SPD kämpft für Arbeitsplätze. Für meinen
und auch Ihren. Und deshalb wähle ich SPD”). Die direkte Anrede scheint im
Wahlkampf 2013 bei den Grünen mit der “Und du?” Plakatserie (vgl. Wengeler
2013) und z.T. bei der Piratenpartei (vgl. Schröter 2013) ein Comeback erfahren
zu haben, jedoch handelt es sich im Unterschied zu früheren Plakaten nicht um
direkte Appelle bzw. nicht um direkte Wahlappelle. Weniger ‘plakative’
Wahlplakate erfordern zum Teil einen nicht unerheblichen
Interpretationsaufwand; zum Beispiel sind auf einem Plakat von Bündnis90/Die
Grünen PaartänzerInnen zu sehen unter dem Slogan “Wir bringen die
Verhältnisse zum Tanzen”. Dass mit “Verhältnisse” zwischenmenschliche
Beziehungen gemeint sind und mit dem Slogan offenbar das Politikfeld der
Freiheit sexueller Orientierung und/oder der rechtlichen Gleichstellung
homosexueller Paare angesprochen wird, wird durch das Bildelement deutlich,
denn auf dem Foto handelt es sich um jeweils ein Mann/Mann- und ein
Frau/Frau-Paar. Mit Hilfe des Bildes muss „Verhältnisse“ reambiguiert werden,
es wird nur mit Hilfe politischen Vorwissens deutlich, dass die Partei
homosexuelle Partnerschaften gutheißt.
In Bezug auf die Einbindung bildlicher Elemente werden im Laufe der Zeit
Zeichnungen weitestgehend durch Fotografien ersetzt. Jedoch gibt es wiederum
auch neuere Ausnahmen wie die Plakatserie der SPD aus dem Wahlkampf 2005,
die einige Plakate ohne Bildelemente enthielt. Aus der Integration eines
Bildelementes ergeben sich Beschränkungen für die Platzierung der Textelemente
und auch hier lässt sich ein Wandel beobachten von der überwiegenden
Anordnung der Textelemente über und unter dem Bildelement hin zum seitlichen
Einschub. In Bezug auf fotografierte Personen hat die Präsenz von
SpitzenkandidatInnen der Parteien im Laufe der Jahre insgesamt eher
zugenommen.
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3.2 Wahlplakate im intertextuellen und intermedialen Geflecht
Bis zum Jahr 2002 haben die meisten Parteien noch Einzelplakate drucken lassen,
die zum Teil, auch wenn sie im Auftrag der gleichen Partei für den gleichen
Wahlkampf konzipiert wurden, sehr verschieden aussahen. Seit 2005 ist eine
klare Hinwendung aller Parteien zur Plakatserie zu verzeichnen. Bei Plakatserien
wiederholen sich über verschiedene Plakate hinweg mehrere der folgenden
Gestaltungselemente: Räumliche Anordnung der Text- und Bildelemente,
Formulierungen, Slogan, Farbgestaltung (Hintergrund, Schrift), Schriftart und -
größe. Zum Beispiel hat die CDU für den Wahlkampf 2009 eine Plakatserie in
Auftrag gegeben, in der der Slogan “Wir haben die Kraft” wiederholt verwendet
wurde, wobei das “wir” in weißer Schrift auf den Hintergrund der
Deutschlandfahne gelegt wurde, womit offenbar das “wir” ambiguiert werden
sollte: Wir, die CDU als Regierungspartei, aber auch (die Menschen in) ganz
Deutschland. Als Rahmenplakat dieser Serie fungiert ein Plakat mit nur diesem
Slogan und einem Bild von Angela Merkel. Weitere Plakate in der Serie
spezifizieren diese Botschaft nach Politikfeldern mit den Konterfeis der
damaligen MinisterInnen, z.B. “Wir haben die Kraft für Sicherheit und Freiheit”
(im Bild Innenminister Schäuble), “Wir haben die Kraft für Wirtschaft mit
Vernunft” (im Bild Wirtschaftsminister Guttenberg), “Wir haben die Kraft für
starke Familien” (im Bild Familienministerin von der Leyen), wobei jeweils die
Themen- und Hochwertwörter Wirtschaft, Sicherheit und Familien orange
unterlegt sind und mit der gleichen Schriftart sowie den gleichen Schrifgrößen
gearbeitet wird. Auch weisen alle Plakate ein unscharfes, in Blau gehaltenes
Element am linken Bildrand auf, das weitgehend der Schrift hinterlegt ist,
während die Ministerinnen und Minister im rechten Teil des Bildes zu sehen sind.
Es ist also zunehmend neben den intertextuellen Bezügen zu anderen
Wahlkampftextsorten wie Wahlprogramm, Wahlwerbespot, Handzettel und TV-
Duell auch die visuelle und strukturelle Intertextualität innerhalb von Plakatserien
von Interesse.
Wahlplakate haben von jeher als Teil von Kampagnen Aufmerksamkeit
erhalten, womit deutlich wird, dass sie in einem engen Bezug stehen zu weiteren
Texten innerhalb der gleichen Wahlkampagne. So beschreibt z.B. Burkhardt
(2006) die Hauptthemen der CDU im Wahlkampf 2005 und zeigt dabei, wie die
gleichen Botschaften zu den gleichen Themen über verschiedene Textsorten
hinweg, nämlich auf Plakaten, in Fernseh- und Radiospots, im TV-Duell und in
Bundestagsreden wiederholt werden und auch aus Roths Beitrag (2006) zum
Wahlkampf der Grünen 2005, aus Papperts (2011) Analyse des
Landtagswahlkampfs in Nordrhein-Westfalen 2010 und aus Geiers (2013)
Analyse der NPD Wahlkampfsprache 2013 wird deutlich, wie die Wahlplakate
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über den Wahlkampf hinweg im Zusammenhang mit auch in anderen Formaten
widerholten Aussagen stehen.
Neben diesem vielfach beobachteten, vor allem in funktionaler Hinsicht
intertextuellen Zusammenspiel von Wahlkampftextsorten innerhalb von
Kampagnen ist auch ein intermediales Zusammenspiel zu beobachten. Erstens
werden Wahlplakate von den Parteien online weiter- und wiederverwendet. Man
findet sie teils an prominenter Stelle auf den Webseiten der Parteien und sie
werden auch von den Parteien und Kandidatinnen und Kandidaten auf Facebook
eingestellt, dort weiterverbreitet und kommentiert. Nicht nur die Parteien
verkünden das Erscheinen ihrer Wahlplakate online, auf ihren Blogs, Facebook-
Seiten und Homepages und über Twitter; auch die Presse greift in ihrer
Wahlkampfberichterstattung auf Wahlplakate zurück, besonders seit sich in
online erscheinenden Artikeln Bildserien sehr gut unterbringen lassen. Die
Parteien machen inzwischen selbst aus dem Lancieren ihrer Plakate eine
öffentliche Veranstaltung, zu der die Presse eingeladen wird. Im Wahlkampf 2013
haben z.B. sowohl die Rheinische Post als auch Der Spiegel in der Folge der
Präsentation der Plakate der CDU eine Bilderserie mit den Plakaten
veröffentlicht, auf denen z.T. der sie präsentierende Generalsekretär zu sehen ist,
und die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte eine Kritik zum mangelnden
Unterschied zwischen Plakaten der CDU und SPD („Lächeln als einziger
Unterschied“, 05.08.2013). Kurz nach der Vorstellung der Wahlplakate der
Grünen veröffentlichte Die Welt eine Kritik derselben („Grüne verheddern sich
im Spott über Schwarz-Gelb“, 24.06.2013). Andere Zeitungen greifen das Thema
Wahlplakate auch allgemeiner auf: „Wahlplakate zur Bundestagswahl. Bunte
Slogans und lahme Versprechen“ (stern.de, 06.08.2013); „Fünf Parteien, tausende
Plakate, keine Ideen“ (Berliner Zeitung online; bz-berlin.de, 05.08.2013);
“Parteien und ihre Wahlplakate“ (tagesspiegel.de, 05.08.2013); „Die 20
skurrilsten Wahlplakate. So schräg kämpfen Politiker um unsere Stimmen.“
(bild.de, 20.09.2013).
3.3 Wahlplakate im diskursiven Geflecht
An dem bisher Ausgeführten zeigt sich bereits, dass Wahlplakate nicht oder nicht
mehr nur als von Parteien emittierte Textsorte politischer Kommunikation im
engeren Sinne verstanden werden können, sondern auch Teil des
Mediendiskurses über Politik bzw. der Medienberichterstattung über Wahlkämpfe
werden. Außerdem zeugt die Dokumentation von Wahlplakaten auf den
Webseiten der Bundeszentrale für politische Bildung bzw. das Auftauchen von
Wahlplakaten in geschichtswissenschaftlichem Lehrmaterial davon, dass
Wahlplakate auch im Bildungsbereich zu Analysezwecken bzw. zur Illustration
von geschichtlichen Themen rekontextualisiert werden.
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Mit Blick auf das diskursive Geflecht von Wahlplakaten von besonderem
Interesse ist die Verbreitung von Reaktionen auf Wahlplakate in Gestalt von
Karikaturen oder Gegenplakaten. Solche Reaktionen verweisen über die
Ausführungen Kleins zur (eingeschränkten) Funktion von Wahlplakaten im
Verbund von Wahlkampftexten hinaus darauf, dass Parteien hier nicht einfach nur
ihre Themensetzungen zu erkennen geben, ihre AnhängerInnen mobilisieren und
für den Wahlkampf Aufmerksamkeit generieren, sondern dass diese ‚plakativen‘
Themesetzungen von einem hohen Maß an (kritischer) Aufmerksamkeit begleitet
werden – und dies nicht nur mit Blick auf eine weitverbreitete Skepsis gegenüber
Wahl-‚Versprechen‘, sondern auch mit bewusster, kritisch-unterminierender und
distanzierender Rekontextualisierung im Rahmen von Gegendiskursen. Ein
Beispiel für gezielt produzierte Gegenentwürfe ist das oben schon genannte
Plakat aus der CDU-Plakatserie von 2009 mit Wolfgang Schäuble: „Wir haben
die Kraft für Sicherheit und Freiheit“. Die Seite netzpolitik.org hat ihre Anhänger
im August 2009 explizit dazu aufgerufen, dieses Plakat zu modifizieren.
Entsprechend der (offenbar den politischen Zielsetzungen der Piratenpartei
nahestehenden) Seite hat dieser Aufruf eine Vielzahl von Modifikationen
hervorgebracht. Alle Modifikationen stellen die von dem originalen Wahlplakat
suggerierte Fähigkeit der Regierungspartei, die Balance zwischen Freiheit und
Sicherheit wahren zu können, d.h. Sicherheit unter Wahrung von Freiheit – und
umgekehrt – gewährleisten zu können, in Abrede und verbinden die Partei CDU,
die Person Schäubles und das Amt des Innenministers ganz offensichtlich mit
Überwachung und Einschränkung persönlicher Freiheit, u.a.:
„Wir haben die Kraft für die totale Überwachung“
„Wir haben die Kraft für Sicherheit ohne Freiheit“
„Wir haben die Kraft für Zensur und Überwachung“
Eine Google-Bildersuche nach „Wahlplakate CDU 2009“ liefert Hinweise auf
weitere Modifikationen, die den gleichen Ansatzpunkt wählen und zugleich auf
das Interesse an dem eigentlich ja nicht weiter aufsehenerregenden Plakat und auf
Lust an der Kritik verweisen, z.B.:
„Wir versprechen Ihnen: Freiheit stirbt mit Sicherheit“
„Wir haben Zugriff auf Ihre Daten im Polizeistaat“
„Wir haben die Kraft aus der Freiheit dich zu erlösen“
Mit Bezug auf den oft monierten Assoziationsreichtum von Wahlplakaten bei
gleichzeitiger Inhaltsarmut lässt sich anhand dieser noch nicht einmal
erschöpfenden Auswahl zeigen, dass sich selbst in der notwendigen Verdichtung
auch aus ‚plakativen‘ Versatzstücken noch unterschiedliche Gegenaussagen
fingieren lassen, die die Proposition des Originals unterminieren.
Besonders bei der Google-Bildersuche nach Wahlplakaten der großen
Parteien sowie der NPD tauchen im Ergebnis eine Vielzahl an Persiflierungen
auf. In Bezug auf letztere hat das NPD-Wahlplakat 2013 (vgl. Geier 2013) „Geld
für die Oma statt für Sinti und Roma“ besonderen Anstoß erregt, so dass bis auf
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die FDP alle anderen im Bundestag und in Landtagen vertretenen Parteien
zusammen mit zwei weiteren Organisationen ein Gegenplakat produzieren ließen,
auf dem eine fröhliche und nicht besorgt-verängstigte ‚Oma‘ und ein Mädchen
mit dunklen Haaren sich anlachen unter dem Slogan: „Meine Oma mag auch Sinti
und Roma“. Weniger politisch korrekt geht ein weiteres Gegenplakat vor: „Sauf
dich ins Koma mit Geld von der Oma“. Ebenso eher in den Bereich von Anarcho-
Punk wird das Plakat „Arbeit zuerst für Deutsche“ umgewandelt in: „Arbeit ist
scheiße. Deutsche stinken“.
Das NPD-Originalplakat, wiederum aus dem Wahlkampf 2013 „Maria statt
Scharia“ kontrastiert eine junge Frau mit blonden Haaren und blauen Augen, die
direkt in die Kamera blickt mit einer Frau, deren dunkle Augen zwischen einem
Kopftuch und Gesichtsschleier seitlich hervorblicken. Ein weiteres Plakat aus der
Serie wirbt für die NPD mit dem Slogan „Natürlich deutsch“. Auf dem Plakat
lächelt ein kleines Mädchen mit blauen Augen und blonden Haaren in die
Kamera. Auf beide Plakate nimmt ein Gegenentwurf Bezug, der eine stark
übergewichtige Frau zeigt, die barfüßig und breitbeinig in einem zu kurzen Kleid
oder Oberteil auf einer Parkbank sitzt und sich auf die Fläche zwischen ihren
Füßen ausgiebig übergibt. Der Slogan hierzu lautet „Maria statt Scharia.
Natürlich deutsch“ und untergräbt erstens mit der ungepflegten und offenbar der
Selbskontrolle ermangelnden Person im Bild die positive Assoziation der
heiligen Maria, zweitens die durch das NPD-Plakat evozierte Assoziation der
attraktive(re)n jungen Frau mit ‚deutsch‘, indem hier ein Gegenentwurf einer
offenbar ebenso ‚deutschen Frau‘ vorgestellt wird, drittens lädt das Plakat dazu
ein, die Blöße der Frau als kulturelle Errungenschaft infrage zu stellen und
viertens unterminiert es die positive Assoziation von ‚natürlich‘, denn auch bei
dem Erbrechen handelt es sich um einen natürlichen Vorgang.
Auch wenn die Plakate und Gegenplakate hier nicht ausführlich diskutiert
werden können, zeigt doch ein Blick auf solche Reaktionen, dass Wahlplakate
nicht einfach nur von Parteien als Element im Rahmen einer Wahlkampagne in
die Welt gestellt werden und dort ihren persuasiven Appell ausstrahlen. Ein Blick
auf solche Aneignungen von Wahlplakaten zeigt, dass Wahlplakate auf eine
diskursive Gemengelage treffen, in der sie auch auf Gegenreaktionen,
Widerspruch und Karikierung stroßen. Dabei handelt es sich nicht einfach nur um
ein funktional-thematisches Textnetz, sondern solche Reaktionen werden aus
Gegendiskursen gespeist, die auf Grundlage konträrer politischer Prämissen in
gleichen thematischen Zusammenhängen andere Bedeutungen generieren.
4 Literatur
This is a pre-publication manuscript of a contribution to:
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