Josef in Ägypten. Eine biblische Erzählung bei Goethe und Voltaire (Paderborner Universitätsreden...

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1 Bernhard Lang, Josef in Ägypten. Eine biblische Erzählung bei Goethe und Voltaire (Paderborner Universitätsreden 120; Paderborn: Universität Paderborn 2011), 52 S. Josef in Ägypten Eine biblische Erzählung bei Goethe und Voltaire Bernhard Lang Vorwort /S. 1:/ Bernhard Lang, der seit 1985 an der Universität Paderborn in der Katholischen Theologie die Fächer Religionswissenschaft und Altes Testament lehrt, geht im Sommer 2011 nach Vollendung seines 65. Geburtstags in den Ruhestand. Aus diesem Anlass führte das Institut für Katholische Theologie zusammen mit dem Institut für Evangelische Theologie am 14. Juni 2011 einen Studientag zum Thema „Bibelrezeption“ durch. Das vorliegende Heft der Universitätsreden macht Bernhard Langs Abschiedsvorlesung einer interessierten Leserschaft zugänglich. Diese Vorlesung ist einem biblischen Thema in europäischer Literatur gewidmet und belegt die seit langem für die Paderborner Katholische Theologie charakteristische interdisziplinäre Verzahnung. Mit einer früheren, französischen Fassung des Textes hatte Lang bereits im November 2010 eine an der Universität Paderborn veranstaltete deutsch- französische Tagung über Aspekte der europäischen Identität eröffnet. Dem schon damals geäußerten Wunsch nach Veröffentlichung wird hiermit entsprochen. Das Heft enthält ebenfalls das Eröffnungswort von Professor Dr. Klaus von Stosch sowie die von Langs Schülerin Frau Professor Dr. Marie-Theres Wacker (Universität Münster) am Ende des Studientages gehaltene Würdigung von Langs wissenschaftlichem Werk. Peter Freese

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Bernhard Lang, Josef in Ägypten. Eine biblische Erzählung bei Goethe und Voltaire (Paderborner Universitätsreden 120; Paderborn: Universität Paderborn 2011), 52 S.

Josef in Ägypten Eine biblische Erzählung bei Goethe und Voltaire

Bernhard Lang

Vorwort /S. 1:/ Bernhard Lang, der seit 1985 an der Universität Paderborn in der Katholischen Theologie die Fächer Religionswissenschaft und Altes Testament lehrt, geht im Sommer 2011 nach Vollendung seines 65. Geburtstags in den Ruhestand. Aus diesem Anlass führte das Institut für Katholische Theologie zusammen mit dem Institut für Evangelische Theologie am 14. Juni 2011 einen Studientag zum Thema „Bibelrezeption“ durch. Das vorliegende Heft der Universitätsreden macht Bernhard Langs Abschiedsvorlesung einer interessierten Leserschaft zugänglich. Diese Vorlesung ist einem biblischen Thema in europäischer Literatur gewidmet und belegt die seit langem für die Paderborner Katholische Theologie charakteristische interdisziplinäre Verzahnung. Mit einer früheren, französischen Fassung des Textes hatte Lang bereits im November 2010 eine an der Universität Paderborn veranstaltete deutsch-französische Tagung über Aspekte der europäischen Identität eröffnet. Dem schon damals geäußerten Wunsch nach Veröffentlichung wird hiermit entsprochen. Das Heft enthält ebenfalls das Eröffnungswort von Professor Dr. Klaus von Stosch sowie die von Langs Schülerin Frau Professor Dr. Marie-Theres Wacker (Universität Münster) am Ende des Studientages gehaltene Würdigung von Langs wissenschaftlichem Werk. Peter Freese

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BERNHARD LANG

Josef in Ägypten

Eine biblische Erzählung bei Goethe und Voltaire

Den Lehrern Hellmut Brunner (1913–1997), André Caquot (1923–2004) und Herbert Haag (1915–2001) in memoriam

/S. 3:/ Im Frühjahr 1985 bin ich an die Universität Paderborn gekommen. Zu ihren Attraktionen gehörte für mich sofort die Bibliothek, von den Studenten „Bibo“ genannt. Sie ist noch heute mein liebster Aufenthaltsort. Anders als die alten Universitätsbibliotheken, die ich gewohnt war, sind hier die Bestände frei zugänglich, bis spät in die Nacht und sogar am Wochenende. Da lässt es sich fröhlich schmökern. Bei meinen Wanderungen entlang der Regale stieß ich eines Tages auf eine mehrbändige Ausgabe der Briefe des französischen Philosophen und Literaten Denis Diderot. Welche Sprache! Welche Beweglichkeit der Gedanken! Ich konnte mich nicht davon losreißen.

Tatsächlich kam es auch zu einer schönen Lesefrucht. In einem seiner Briefe kommt

Diderot auf die Bibel zu sprechen, genauer: auf die Liebe seines Töchterchens zum Alten Testament. Auf Angélique, 1759 knapp sechs Jahre alt, ist ihr Vater ganz stolz. „Angélique geht es prächtig. Wenn Sie uns besuchen, wird sie Ihnen einige Kapitel des Alten Testaments aufsagen – das Überschreiten des Jordans oder die Geschichte von Josef. Diese nennt sie ihr schönstes Märchen (le meilleur de ses contes). Der Ausdruck stammt von ihr selbst, was ihrer Mutter ganz und gar nicht gefällt.“1 Der Mutter war es wohl etwas peinlich, wenn Angélique die Josefsgeschichte ein Märchen nennt; heute ist diese Gattungsbezeichnung in der Fachwissenschaft durchaus üblich. Diese Lesefrucht blieb mir lange im Gedächtnis. Wie kam es eigentlich zu Angéliques Begeisterung für gerade diese biblische Erzählung? So beschloss ich, der Sa- /S. 4/ che auf den Grund zu gehen – und daraus wurde ein fast zehnjähriges, inzwischen abgeschlossenes Forschungsprojekt. Es warf mich tief in die europäische Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts. Ich recherchierte vor allem auf den in jener Zeit fruchtbaren Gebieten Pädagogik, Geschichtsforschung und Literaturkritik.

Die Bibel ist mit jedem dieser drei Gebiete verbunden: Sie wurde als Lektüre im Unterricht

eingesetzt; ihre Autorität und ihre Lehre wurden von der historischen Kritik heftig befehdet; und, zu unserer Überraschung: sie wurde aufgrund ihrer einzigartigen literarischen und sogar moralischen Qualität geschätzt. All das lässt sich anhand einer einzigen biblischen Erzählung belegen – Angéliques Lieblingsmärchen: die Geschichte von Josef in Ägypten.2

Einige der charakteristischen Szenen und Episoden dieser Erzählung möchte ich kurz in

Erinnerung rufen (jedenfalls für jene, die nicht mehr ganz bibelfest sind):3 Unter den Söhnen Jakobs kommt es zum Bruderzwist. Jakob zieht seinen Sohn Josef den Geschwistern vor, zu

1 Denis Diderot an Melchior Grimm, 5. Juni 1759 (D. Diderot, Correspondence. Hrsg. von G. Roth, Paris 1956, Bd. 2, S. 154). 2 B. Lang, Joseph in Egypt: A Cultural Icon from Grotius to Goethe, London 2009. Besprechungen des Buchs: Stephen Prickett, Many-coloured, Times Literary Supplement no. 5597, July 9, 2010, S. 5; Theodore Ziolkowski, Journal of Religion 90 (2010), 438–439. 3 Gen 37–50.

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deren Missfallen. Josefs Brüder setzen ihn gefangen und verkaufen ihn in die Sklaverei. So kommt der Siebzehnjährige in den Dienst eines ägyptischen Haushalts. Eine weitere Episode: Josefs Herrin macht sich an den attraktiven jungen Mann heran; von Josef abgewiesen, wird Potifars Weib zu seiner Feindin. Sie klagt ihn versuchter Vergewaltigung an und lässt ihn ins Gefängnis werfen. Eine dritte Episode: Obwohl im Gefängnis, zeichnet sich Josef als Traumdeuter aus; selbst die Träume Pharaos kann er mühelos erklären. Diese Träume weisen nämlich auf die Folge von sieben mageren Jahren in der Wirtschaft des Landes; den mageren Jahren aber gehen sieben fette Jahre voraus. Als Ergebnis seiner Prophezeiung wird Josef zum Wirtschaftsminister Ägyptens. Er erbaut staatliche Vorratshäuser für den Überfluss der fetten Jahre, um Getreide während der mageren Jahre an die Untertanen zu verkaufen. Mit Ausnahme der Priester /S. 5:/ werden alle Ägypter zu Sklaven des Pharao. Eine vierte Episode bringt die Brüder Josefs ins Spiel: Sie werden nach Ägypten geschickt, um Getreide zu kaufen. Sie sprechen bei Josef vor, ohne ihn zu erkennen. Nachdem er in einem Nebenraum Tränen der Rührung vergossen hat, offenbart sich Josef seinen Brüdern, verzeiht ihnen und führt seine ganze Verwandtschaft, einschließlich seines alten Vaters, nach Ägypten. Individuelle Biographie und Familiendrama werden auf wirkungsvolle Weise mit Naturkatastrophe und staatlicher Wirtschaftspolitik verknüpft, und am Schluss gibt es für alle ein happy ending – für die ägyptische Wirtschaft ebenso wie für Josef selbst und seine Brüder.

Das ist die Geschichte von Josef in Ägypten, wie sie die Genesis erzählt. Sie gehört zu

jener Gattung, die Walter Benjamin als (vom Roman unterschiedene und scharf abgegrenzte) „Erzählung“ bezeichnet. Ihre narrative Ausgestaltung bleibt rudimentär, wie der Erzähler überhaupt seinen Gegenstand niemals erschöpft. Die Erzählung, formuliert Benjamin, „verausgabt sich nicht. Sie bewahrt ihre Kraft gesammelt und ist noch nach langer Zeit der Entfaltung fähig“.4 Nach langer Zeit, das heißt für unser Thema: Noch im 18. Jahrhundert kann die biblische Geschichte ihre Kraft entfalten, indem sie Leser in ihren Bann schlägt.

Tatsächlich war das 18. Jahrhundert mit der Gestalt Josefs gut vertraut. Seine Geschichte

galt als besonders geeignet für Kinder – daher meine erste Überschrift: Eine Geschichte für Schulkinder Dieses Thema will ich anhand von zwei berühmten Personen des 18. Jahrhunderts erläutern – dem französischen Philosophen Voltaire und dem deutschen Schriftsteller Johann Wolfgang Goethe. Beide sind zu bekannt als dass sie der Vorstellung bedürften, aber ich will ihre Lebensdaten nennen. Voltaire wurde als François Marie Arouet 1694 in Paris geboren. Goethe kam zur Welt in Frankfurt im Jahr 1749, als Voltaire bereits im 55. Lebensjahr stand. Beide wurden über achtzig – /S. 6/ Voltaire verstarb im Jahr 1778 im Alter von 83, Goethe im Jahr 1832 im Alter von 82 Jahren. Voltaire erlebte die Französische Revolution nicht mehr, doch Goethe stand damals, 1789, mit 40 Jahren in der Mitte seines Lebens.

Die Schulzeit der beiden verlief ganz unterschiedlich. Beginnen wir mit François! Im Alter

von 11 Jahren wurde er aufs Lycée Louis-le-Grand in Paris geschickt, ein Gymnasium, das heute noch existiert, unmittelbar neben der Sorbonne im Quartier Latin, wenn auch nicht mehr unter Leitung der Jesuiten. François besuchte diese Einrichtung bis zum Alter von 17. Ist er dort zum ersten Mal der Josefserzählung begegnet, auf die er in seinem späteren Leben so oft Bezug nehmen sollte? Streng genommen wissen wir die Antwort nicht, aber vieles spricht für diese Annahme. Einer der Lehrer des jungen François, Pater Gabriel Le Jay, liebte die Josefserzählung. Er schrieb vier lateinische Josefsspiele für den Schulgebrauch; drei 4 W. Benjamin, Der Erzähler, in: ders., Illuminationen. Ausgewählte Schriften, hrsg. von S. Unseld, Frankfurt 1969, S. 409–436, hier S. 416.

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davon wurden von seinen Schülern aufgeführt in den Monaten März, Juni und August 1709, und zwar anlässlich von Schulfesten. Vielleicht stand auch der damals fünfzehnjährige François auf der Bühne, und seine Eltern saßen im Zuschauerraum. In diesem Alter könnte er beispielsweise die Rolle des Josef übernehmen, eine Rolle, die dem begabten und ehrgeizigen Knaben zweifellos lag. Warum sollten die Jesuiten, bekannt für ihre pädagogischen Fähigkeiten, gerade das Talent ihres begabtesten Schülers übersehen haben? Voltaire erinnerte sich an seine Schulzeit stets mit Vergnügen. Tatsächlich blieb er in Kontakt mit einem seiner jesuitischen Lehrer in seinem späteren Leben. Nach seiner Schulzeit hatte François mindestens eine weitere Gelegenheit, der Aufführung eines Josefsspiels beizuwohnen – dem Josefsspiel von Charles-Claude Genest. Dieser Priester war mit dem Schloss von Sceaux verbunden, unweit von Paris. In diesem Schloss verkehrte Voltaire zwischen 1712 und 1717. Noch sechzig Jahre später erinnerte er sich an Abbé Genests Josefsspiel, das er – mit charakteristischem understatement, „das noch erträglichste Bühnenstück über dieses ansprechende Thema“ nannte. Das Fehlen von sicherer Nachricht über Voltaires frühe Begegnung mit der Josefsgeschichte lässt sich ausgleichen durch einen näheren Blick auf die Erziehung von Wolfgang Goethe.

/S. 7:/ Wolfgang besuchte nie eine reguläre Schule in seiner Heimatstadt Frankfurt.

Stattdessen beschäftigte sein Vater einen Hauslehrer, dessen Namen wir kennen – Johann Heinrich Thym. Er diente der Familie neun Jahre lang, von 1756 bis 1765, als Wolfgang vom Alter von sieben Jahren zum Alter von sechzehn Jahren fortschritt. Er unterrichtete Wolfgang und dessen ein Jahr jüngere Schwester Cornelia in den Fächern Schreiben, Rechnen, Erdkunde, Geschichte, Naturkunde und Religion. In seiner Autobiographie hält Goethe allerlei bemerkenswerte Begebnisse aus seiner Kindheit fest, und zwei davon haben mit der Josefsgeschichte zu tun. Im Jahr 1760, Wolfgang war elf Jahre alt, schuf ein Bekannter von Goethes Vater eine Reihe von Gemälden für Graf Thoranc, den damaligen Militärgouverneur von Frankfurt. Nach meiner Rekonstruktion der Episode stellte Wolfgangs Hauslehrer, einem Einfall folgend, dem Knaben folgende Aufgabe: Stell’ dir Szenen aus der Josefsgeschichte möglichst plastisch vor; beschreibe sie genau, so dass der Künstler sie auf die Leinwand bringen kann. Wolfgang entsprach diesem Auftrag mit Begeisterung. Folgendermaßen berichtet er darüber in Dichtung und Wahrheit: „Ich erinnere mich noch, dass ich einen umständlichen Aufsatz verfertigte, worin ich zwölf Bilder beschrieb, welche die Geschichte Josephs darstellen sollten: einige davon wurden ausgeführt.“5 Tatsächlich haben Forscher mehrere dieser Bilder aufgespürt. Vom Goethemuseum in Frankfurt erworben, sind sie heute in jenem Raum zu sehen, den Wolfgang im Haus seiner Eltern bewohnte. Johann Georg Trautmann, der Künstler, hat sich jedoch kaum auf den (nicht erhaltenen) Aufsatz des Knaben gestützt; vielmehr orientierte er sich an dem damals sehr umfangreichen Repertoire von Josefsdarstellungen, zum Beispiel von Murillo und Rembrandt. Trautmann hat seinem Josef, der den Ägyptern in den Jahren der Not Getreide verteilt, mit den Zügen des französischen Gouverneurs versehen.Dennoch mag der Künstler, zweifellos sich einen Spaß erlaubend, dem Knaben für seine große Hilfe bei der Themenfindung gedankt haben. Der Stolz des Knaben ist aus der Erinnerung des alten Goethe nicht verschwunden.

/S. 8:/ Die zweite Episode bringt uns näher zu Goethe dem Dichter. In seiner

Autobiographie berichtet uns Goethe von seinem ersten literarischen Versuch. Im Alter von dreizehn oder vierzehn von der Josefsgeschichte begeistert, wählte sich der Knabe die biblische Erzählung für eine literarische Darstellung. Was in der Bibel stand wurde erweitert und phantasievoll zu einer umfangreichen Prosaerzählung ausgestaltet. Der Sekretär seines Vaters, für seine feine Handschrift bekannt, fertigte eine Reinschrift an; diese wurde zum 5 J. W. Goethe, Dichtung und Wahrheit I, 3 (Goethes Werke. Hrsg. von E. Trunz, 11. Aufl., München 1989, Bd. 9, S. 89 – „Hamburger Ausgabe“).

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Buchbinder gebracht und zum Wohlgefallen der Eltern diesen präsentiert. Das war Goethes allererstes Buch, ein Werk, das offenbar keinen anderen Titel trug als „Joseph“. Wolfgang war naturgemäß stolz auf seine Leistung und trug sich mit dem Gedanken, das Werk bei einem Verlag für erbauliche Literatur in Druck zu geben. Später, im Alter von siebzehn Jahren, dachte er an eine Fortsetzung. Diese sollte von der Sklaverei der Hebräer in Ägypten handeln und von ihrer Befreiung durch Mose. Damals war Wolfgang Student an der Universität Leipzig. Im selben Maße, wie damals seine literarische Bildung und sprachliche Kompetenz zunahm, wurden ihm die Mängel seiner frühen literarischen Versuche bewusst. Er litt unter einer Art Depression. Im Oktober 1767 verbrannte er seine gesamte Sammlung früher Manuskripte. In seiner Autobiographie berichtet er darüber: „Nach einiger Zeit und nach manchem Kampfe warf ich jedoch eine so große Verachtung auf meine begonnenen und geendigten Arbeiten, dass ich eines Tags Poesie und Prose, Plane, Skizzen und Entwürfe sämtlich zugleich auf dem Küchenherd verbrannte, und durch den das ganze Haus erfüllenden Rauchqualm unsere gute alte Wirtin in nicht geringe Furcht und Angst versetzte.“6

Befand sich jene gebundene Reinschrift unter den Manuskripten, die in Leipzig in

Flammen aufgegangen sind? Das mag sein, wir wissen es aber nicht. Auf alle Fälle ist Goethes „Joseph“ verschollen. Dennoch gibt uns Dichtung und Wahrheit eine Vorstellung vom Inhalt des Jugendwerks. Goethe verrät uns nämlich etwas von der Art und Weise, wie er das Thema bearbeitete. Er legte dem Helden seiner Erzählung mancherlei lange Gebete in den Mund; auch nennt er uns sein /S. 9:/ literarisches Vorbild – einen kleinen frommen Roman über einen anderen biblischen Helden, ein Buch mit dem Titel Daniel in der Löwen-Grube. Das Werk und sein Autor Friedrich Carl von Moser sind gut bekannt. Tatsächlich enthält dieser Roman, ein Buch von 144 Seiten, zahlreiche Gebete seines Helden. Die ganze Erzählung ist mit Gebeten gewürzt – zweifellos zu sehr gewürzt. Wir benötigen nicht allzu viel Phantasie, um uns Wolfgangs Vorgehensweise vorzustellen. Im Zentrum von Daniel in der Löwen-Grube steht das lange, umständliche und wortreiche Gebet, das Daniel spricht, nachdem er, in der Löwengrube gefangen, um sein Leben fürchtet. Wolfgang mag ein ähnliches Gebet dem frommen Josef in den Mund gelegt haben, als dieser von seinen Brüdern in eine Zisterne gesteckt worden war, aus der er sich nicht befreien konnte. Aus diesem Verließ kam er nur frei, um in die Sklaverei verkauft zu werden. Mosers Daniel ist literarisch wertlos, und dasselbe Urteil wird auch für Wolfgangs Joseph zutreffen. Auf alle Fälle kam der jugendliche Autor selbst zu diesem Urteil.

Die beiden Schreibversuche des jungen Goethe – der Aufsatz über die zwölf

Josefsillustrationen und der kleine Josefsroman – belegen die kindliche Begeisterung für die biblische Erzählung. Wir erinnern uns an die sechsjährige Angélique. Solche Begeisterung findet sich in den Kindheitserzählungen des 18. Jahrhunderts aus allen Teilen Europas. Auch die Erzieher wurden auf die Erzählung aufmerksam. Nach der Auffassung der Pädagogen der frühen Neuzeit sind nicht alle alttestamentlichen Geschichten für Kinder gleichermaßen geeignet – damals eine neue Einsicht. Pädagogische Traktate enthalten oft Listen jener biblischen Erzählungen, die man Kindern erzählen und erklären soll, und die Josefsgeschichte nimmt darin einen prominenten Platz ein. Als Pater Le Jay seine Bühnenstücke für das jesuitische Schultheater schrieb, konnten die Jesuiten bereits auf eine Tradition von hundert Jahren zurückblicken. Bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte der bayerische Jesuit Jeremias Drexel ein oft aufgeführtes lateinisches Josefsspiel geschrieben; im Jahr 1640 wurde es unter dem Titel Joseph Aegypti Prorex – Josef, Vizekönig von Ägypten – gedruckt. In Deutschland hat man die biblische Unterweisung der Kinder durch illustrierte Bibelausgaben unterstützt; zwei solcher Werke befanden sich in der Bibliothek der Familie Goethe, eifrig

6 Goethe, Dichtung und Wahrheit II, 6 (S. 257–258).

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benutzt von /S. 10:/ Wolfgang und Cornelia. Die Bilderbibel von Mathias Merian enthält einen Josefszyklus. Hier konnte Wolfgang sehen, wie Josef von seinen Brüdern wieder aus der Zisterne befreit wurde, um sogleich an die wandernden Händler verkauft zu werden. Weitere Stiche zeigen, wie Josef in Eile das Schlafzimmer von Potifars Weib verlässt, um der aufdringlichen Frau zu entkommen; oder wie Josef vor Pharao geführt wird, um dessen Träume zu deuten. Gewiss hat der beflissene Hauslehrer in seinem Unterricht auf solche Illustrationen zurückgegriffen, und Cornelia und Wolfgang für die biblische Geschichte begeistert. Bilder und Erzählung haben ihre Phantasie ebenso befruchtet wie ihren kindlichen Glauben an einen Gott, der seine Frommen beschützt und begleitet, indem er sie auch in schweren Zeiten nicht im Stich lässt, sondern schließlich zu Erfolg und Ehren führt.

Kürzlich habe ich Harold von meinen Forschungen über die Josefsgeschichte erzählt.

Harold, ein Londoner mittleren Alters, äußert sich spontan: „O, I did love the story as a child, and wept over it.“ Genau dasselbe Gefühl finden wir auch bei den Kindern des 18. Jahrhunderts; oft werden in den Quellen ihre Tränen der Rührung erwähnt. Doch dann kommt der Tag, an dem die Kindheit zu Ende geht und der kritische Geist sich meldet. Das führt uns zu unserem zweiten Abschnitt: Die historische Kritik und die Wahrheit über Josef Goethe und Voltaire verdanken wir Beiträge zur Bibelwissenschaft, einer damals sehr jungen und viel erörterten Disziplin. In seiner Studienzeit schrieb Goethe keine Romane mehr über Josef, Mose und den Auszug aus Ägypten, doch er wählte die Zehn Gebote als Thema für seine Dissertation im Fach Jura; sie wurde im Jahr 1771 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg abgelehnt. Nach dieser Enttäuschung kam Goethe nur noch selten auf das Thema biblische Kritik zurück; erst 48 Jahre später, im Jahr 1819, rückte er eine kleine Abhandlung über „Israel in der Wüste“ in die „Noten und /S. 11:/ Abhandlungen“ zum West-östlichen Divan ein.7 Als Bibelforscher bewies Voltaire größeren Eifer.

An dieser Stelle müssen wir uns daran erinnern wie sich Voltaire selbst einschätzte und

wie er von seinen Zeitgenossen gesehen wurde. Heute schätzen wir ihn als Essayisten und Erzähler, vor allem als Autor von phantasievollen Kurzgeschichten wie Candide und Zadig, die gewöhnlich in einem einzigen handlichen Band zur Verfügung stehen. Wir geben Voltaire einen Ehrenplatz in der französischen Literaturgeschichte. In seiner eigenen Zeit war das anders. Die anonym publizierten Erzählungen trugen zu seiner Reputation als Schriftsteller nichts bei. Voltaire galt in erster Linie als Historiker. Mindestens vier wichtige historische Werke stammen von ihm: Die Geschichte Karls XII. von Schweden; Die Geschichte des Russischen Reichs unter Peter dem Großen; Das Jahrhundert Ludwigs XIV.; Ein Versuch über Sitten und Geist der Völker – der zuletzt genannte Titel eine elegant geschriebene Skizze der Weltgeschichte. Alle diese Bücher beruhen auf eigener Forschung, d.h. auf dem Studium von Quellen in Archiven oder auf der kritischen Analyse früherer Darstellungen. Als kritischer Denker und vorzüglicher Stilist war Voltaire einer der ersten wirklich modernen Historiker. Er wusste es und war stolz darauf.

Historische Bibelkritik war allerdings ein gefährliches Unternehmen. Im Frankreich des 18.

Jahrhunderts war sie weder den kirchlichen noch den staatlichen Behörden genehm. Man konnte dafür ins Gefängnis kommen und zusehen, wie Druckschriften öffentlich verbrannt wurden. Beides hat Voltaire selbst erlebt. In seiner Jugend verbrachte er elf Monate in der 7 Zur Chronologie der weiteren Beschäftigung Goethes mit der Bibel vgl. die Hinweise bei Willy Schottroff, Goethe als Bibelwissenschaftler, Evangelische Theologie 44 (1984), S. 463–485, hier S. 474–475.

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Bastille, nachdem er Philipp II. von Orléans beleidigt hatte – ausgerechnet jenen Mann, der die Regierungsgeschäfte für Ludwig XV. führte. Das war 1717. Später, im Jahr 1759, verfiel seine poetische Wiedergabe zweier biblischer Schriften – des Hohenlieds und des Buches Kohelet – der Zensur und wurde in Paris öffentlich verbrannt. So zog es Voltaire vor, die Ergebnisse seiner biblischen Studien anonym zu publizieren. Nie bekannte er sich zur /S. 12:/ Autorschaft von Büchern wie La Bible enfin expliquée. Dieses Buch, 1776 veröffentlicht, enthält Voltaires letzte Stellungnahme zur Josefserzählung, doch können wir einige seiner einschlägigen Ideen bis 1731 zurückverfolgen, bis zu seinem Alter von 37 Jahren. Voltaire verbarg nicht nur die Autorschaft seiner Schriften über die Bibel; auch in diesen Schriften selbst kleidete er seine Ausführungen in zweideutige Form, zum Beispiel dadurch, dass er die eigene Auffassung anderen zuschrieb und bemerkte, man müsse dennoch glauben, was die Kirche für richtig halte. Solche Strategien können allerdings nur den uneingeweihten Leser verwirren, denn sobald man Voltaires Vorgehensweise und das geheime Regelwerk seiner Sprache durchschaut, ist man für die Erforschung von Voltaires Bibelkritik gerüstet.

Mit Hilfe des Wissens um seine Darstellungsweise und façon de parler, und mit Hilfe von

etwas Detektivarbeit lässt sich ermitteln, wie Voltaire wirklich über die Josefserzählung dachte. Seine Position lässt sich zu drei Punkten zusammenfassen. Erstens: Die Geschichte von Josef, wie sie in der Genesis erzählt wird, ist Fiktion und nicht Geschichte. Es handelt sich um eine Erzählung von der Art der Geschichten aus Tausend und einer Nacht – ein schönes orientalisches Märchen. Zweitens: Dennoch steht hinter diesem Märchen eine echte historische Persönlichkeit. Der problematische Charakter dieses Mannes scheint in der biblischen Erzählung bisweilen durch, besonders in der Episode von der Versklavung aller Ägypter. „Eine solche Maßnahme ist von keinem Staatsminister der Welt jemals bekannt geworden. Wer in England ein solches Gesetz auch nur vorgeschlagen hätte, würde sich am nächsten Tag am Galgen sehen“ – so Voltaire in Die Predigt der Fünfzig, 1762 anonym gedruckt. Voltaire war sich nicht sicher, ob es eine historische Basis für die Meinung gab, Josef sei der Vater des Despotismus. Die Episode mag erfunden sein, um den orientalischen Despotismus zu charakterisieren. Dies bringt uns zum dritten und zweifellos kühnsten Punkt: In einer Anmerkung in La Bible enfin expliquée schlägt er vor, den echten, historischen Josef mit einem jüdischen Steuereintreiber gleichen Namens gleichzusetzen, einem in den Jüdischen Altertümern des Flavius Josephus erwähnten Mann.8

/S. 13:/ Dieser andere Josef, im 3. Jahrhundert v. Chr. im hellenistischen Ägypten lebend,

stand im Dienst des ptolemäischen Staates. Flavius Josephus berichtet über diesen Mann ausführlich. Josef, ein junger jüdischer Mann aus Jerusalem, ist Neffe des Hohenpriesters, in dessen Auftrag er mit den ptolemäischen Behörden verhandelt. Die Ptolemäer, ein griechisches Herrscherhaus, sind in jener Zeit die Herren über Ägypten und Palästina. Es gelingt Josef, offizieller Steuerpächter zu werden. Er soll die Steuern aus Judäa für den ptolemäischen Staat eintreiben, eine Aufgabe, der er mit großer Effizienz und vor allem mit großer Grausamkeit nachkommt. Einige Episoden lesen sich wie Spiegelungen oder Umkehrungen der biblischen Erzählung. In Ägypten verliebt sich Josef in eine junge ägyptische Tänzerin. Sein Bruder will verhindern, dass Josef mit ihr schläft, ist doch die Verbindung eines Juden mit einer Nichtjüdin religionsgesetzlich untersagt. Um die Sünde Josefs zu verhindern, verkleidet der Bruder seine eigene Tochter als Tänzerin. Mit dieser schläft Josef versehentlich und verliebt sich tatsächlich auch in sie. Schließlich werden die wahren Verhältnisse aufgedeckt und die beiden schließen die Ehe. Eine andere Episode hat mit Josefs Sohn Hyrkanus zu tun. Das ist Josefs Lieblingssohn, von seinen sieben Brüdern beneidet und gehasst. Hyrkanus, ständig in bewaffneter Auseinandersetzung mit seinen

8 Josephus, Jüdische Altertümer XII, 158–236.

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Geschwistern, tötet zwei seiner Brüder. Schließlich verlässt er das Land, um sich in einer Wüstenfestung zu verschanzen, wo er am Ende Selbstmord begeht. Soweit die Geschichte, wie sie Josephus wiedergibt in den Jüdischen Altertümern.

Nach Voltaire hat ein jüdischer Autor des dritten Jahrhunderts v. Chr. diese Geschichte

gekannt. Er änderte die Handlung und schuf eine einzige Gestalt, den biblischen Josef, aus zwei historischen Gestalten: aus Josef dem Steuerpächter und dessen Sohn Hyrkanus. Doch sollten mehrere Themen erhalten bleiben: die väterliche Bevorzugung eines bestimmten Sohnes, der Streit unter Brüdern, die Ausbeutung des Volkes durch einen Hebräer im Dienst des fremden Staates sowie, nicht zu vergessen, eine unterhaltsame erotische Episode. Im dritten Jahrhundert, spekuliert Voltaire, muss es die Genesis in zwei Fassungen gegeben haben – in einer Langfassung mit der Josefsgeschichte und einer Kurzfassung ohne diesen Zusatz. Schließlich hat sich die /S. 14:/ Langfassung bei allen Juden durchgesetzt und bildet auch bei uns einen festen Bestandteil der Bibel.

In Voltaires 18. Jahrhundert ist dies eine recht kühne und ungewöhnliche Interpretation

einer biblischen Geschichte. Tatsächlich hat sich kein einziger zeitgenössischer Autor auf sie bezogen. Heute sehen die Dinge anders aus. Die Kopenhagener Schule der alttestamentlichen Wissenschaft, verbunden mit den Namen Niels Peter Lemche und Thomas Thompson, neigt dazu, große Teile des Alten Testaments in die hellenistische Zeit zu datieren und sie als Geschichtsfiktion zu beurteilen. Die Kopenhagener mögen Voltaire als einen ihrer Vorgänger und Verbündeten betrachten. Er ist ihr bekanntester Vorläufer.

Insgesamt zeigte Voltaire an einer historischen Erklärung des Alten Testaments wenig

Interesse. Er schreibt elegant und mit Leidenschaft, erhebt jedoch keinerlei wissenschaftlichen Anspruch. Voltaire wollte die Autorität der Bibel als heiliges Buch unterminieren; daran lag ihm mehr als an der Erforschung der historischen Herkunft ihrer Erzählungen. Ging es jedoch darum, die biblische Erzählung als narrative Literatur zu analysieren, war Voltaire absolut ernsthaft – und überzeugend. Das bringt uns zu unserem dritten und letzten Abschnitt: Ein orientalisches Märchen, erklärt in einem literarischen Essay Wie heute allgemein anerkannt, war Voltaire ein Meister des Essays. Nicht anders als heute war ein Essay in jener Zeit ein kurzes Stück Prosa, gekennzeichnet durch vorgeschriebene Unvollständigkeit, informellen Plauderton und persönliche Stellungnahme. Die Regel der Unvollständigkeit erlaubt dem Autor einen Gegenstand zur Sprache zu bringen, ohne darauf aus zu sein, ihn vollständig und in allen Details zu untersuchen und mit den eigentlich notwendigen wissenschaftlichen Hinweisen zu versehen. Diese Form erlaubt Abschweifungen und das Verlassen eines geradlinigen Gedankengangs. Auch das Beleuchten eines bestimmten auffälligen Einzelaspekts ist möglich. Der Essay ist geeignet, nur einen einzigen Gedanken vorzutragen, nur vorläufige oder auch gar keine Schlussfolgerungen zu ziehen. Der Artikel „Joseph“ ist von dieser Art. Er findet sich in Voltaires Dictionnaire philosophique, 1764 anonym publiziert und noch heute als /S. 15:/ eines seiner literarischen Meisterwerke erachtet. Wer Voltaires literarische Beurteilung der Bibel kennenlernen will, braucht sich nur in diesen Essay zu vertiefen. Wir werden ihn ganz lesen. Hier ist der Anfang, in meiner eigenen Wiedergabe:9

EineKuriosität,einStückLiteratur–unddochistdieGeschichtevonJosefeinesderwertvollsten Denkmäler der Alten Welt, die auf uns gekommen sind. Ohne Zweifel diente sie allen Autoren des

9 Voltaire, Dictionnaire Philosophique, Artikel „Joseph“; kritische Edition: Les Oeuvres complètes de Voltaire, Genf 1994, Bd. 36, S. 254–261.

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Orients als Vorbild. Sie spricht das Gemüt mehr an als Homers Odyssee, denn ein Held, der verzeiht, berührt uns mehr als einer, der sich rächt.

Die Araber gelten als die ersten, die sich solche köstlichen Geschichten ausgedacht haben, die dann in den Erzählschatz aller Völker Eingang fanden; doch nirgendwo habe ich eine Erzählung gefunden, die sich mit der von Josef messen könnte. Fast alles ist hier wundersam, und das Ende rührt uns zu Tränen. In ihrer Art ist sie einzig – die einzige hebräische Erzählung, die von einem großzügigen Akt der Milde berichtet. Einige Gelehrte halten sie für die Nachahmung eines alten arabischen Märchens, doch wollen wir uns, ohne auf diese Debatte einzugehen, mit der Geschichte selbst befassen. Auf einen jungen Mann von sechzehn Jahren sind seine Brüder neidisch; von ihnen wird er an eine Karawane von ismaelitischen Händlern verkauft, nach Ägypten verschleppt, und kommt in den Besitz eines königlichen Eunuchen. Dieser hat eine Frau, was uns nicht erstaunt. Kislar-Aga, ein vollständiger Eunuch, dem man alles abgeschnitten hat, besitzt heute in Konstantinopel einen ganzen Harem. Die Hände und die Augen hat man ihm gelassen, und weder sein Herz noch seine Triebe haben etwas von ihrer Natur eingebüßt. Auch andere Eunuchen, denen man nur die beiden Begleiter des Reproduktionsorgans genommen hat, bedienen sich oft dieses Organs; von dieser Art ist wohl auch Potifar gewesen, an den Josef verkauft worden war.

Potifars Frau verliebt sich in den jungen Josef. Doch dieser, seinem Herrn und Wohltäter treu ergeben, weist die Annäherungsversuche der Frau ab. Erzürnt erhebt sie Vorwürfe gegen Josef. Sie behauptet, er habe sie verführen wollen. Das ist nichts anderes als die alte Geschichte von Hippolyt und Phädra, Bellerophon und Stenobaea, Hebrus und Damasippe, Tanis und Peribea, Mirtil und Hipodamia, Peleus und Demenette. Welche von diesen Geschichten das Original bildet, ist nicht mehr auszumachen. Bei den alten arabischen Autoren gibt es eine spannende, un- /S. 16:/ sere Aufmerksamkeit verdienende Szene aus der Beziehungsgeschichte von Josef und Potifars Weib. Nach dem arabischen Erzähler ist sich Potifar unschlüssig, ob er seiner Frau oder Josef Glauben schenken soll, denn er hält das von seiner Frau zerrissene Gewand des Josef nicht für einen schlüssigen Beweis für den Vergewaltigungsversuch des jungen Mannes. Nun befand sich in der Kammer der Frau ein Kind in einer Wiege. Potifar wandte sich an das Kind, dessen Geist für sein Alter bereits erstaunlich weit entwickelt war. Das Kind sprach zu Potifar: Schau nach, ob Josefs Gewand vorne oder hinten zerrissen ist; vorne zerrissen bedeutet: Josef hat sie zu vergewaltigen versucht, doch sie hat sich gewehrt; hinten zerrissen aber beweist, dass die Frau ihm nachlief. Dank der Genialität des Kindes erkannte Potifar die Unschuld seines Sklaven. So steht die Geschichte auch im Koran, nach der Vorgabe jenes arabischen Autors. Er verzichtet darauf, uns zu verraten, wem das Kind gehörte, das über so großes Urteilsvermögen verfügte. War es ein Kind Potifars, dann war Josef nicht der erste, mit dem es diese Frau versucht hatte.

Das ist ungefähr die Hälfte von Voltaires Artikel. Der Essay ist dadurch einzigartig, dass er den polemischen Ton vermeidet, der viele der anderen biblischen Einträge im Dictionnaire philosophique kennzeichnet. Hier verbindet der Autor, wie bei einem Essay üblich, eine inhaltliche Wiedergabe mit satirischen Bemerkungen und einer Bewertung der literarischen Qualität der Josefsnovelle, und man kann die Leichtigkeit nur bewundern, mit der er vom einen zum anderen Aspekt springt. Die mühelose Verbindung von Ernst und Scherz, Erhabenem und Witz, ist nicht nur ein geläufiges Stilmittel Voltaires; wie jene berichten, die ihn kannten, gab er sich so auch im Alltag. Wenn wir von den scherzhaften Bemerkungen absehen, offenbart uns der übrige Text Voltaires auffälligstes Lob der Bibel. Nirgendwo sonst hat Voltaire seine Bewunderung einer biblischen Erzählung so deutlich ausgesprochen wie hier. Vom orientalischen Schauplatz ebenso fasziniert wie vom Geschick des Erzählers, anerkennt er die emotionale Wirkung der Geschichte und bejaht ihre ethische Botschaft.

Voltaires Begeisterung für die biblische Erzählung hängt mit seiner Wertschätzung

orientalischer Kurzprosa zusammen. Zwischen 1704 und 1717, als Voltaire Kind und junger Erwachsener war, wurden die Geschichten von Tausend und einer Nacht erstmals in Europa bekannt, in der französischen Übertragung von François Galland. Voltaires /S. 17:/ Faszination mit dieser Art von Literatur hat Spuren in seinem eigenen Werk hinterlassen, besonders in jenen seiner Erzählungen, die er im Orient spielen lässt, zum Beispiel Zadig oder das Buch des Schicksals. Diese Erzählung verrät Voltaires Vorliebe für einen orientalischen Ort der Handlung, denn dieser ermöglicht ihm, das Unwahrscheinliche, Phantastische und Wunderhafte zur Geltung zu bringen, jene Züge also, die den Reiz orientalischer Erzählkunst ausmachen. Voltaire hielt Geschichten wie die in Tausend und einer Nacht für weit bedeutender als die sentimentalen Romane, die in seiner Zeit den literarischen Markt zu

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überschwemmen begannen. Voltaire verabscheute die Sentimentalität der Eloïse von Jean-Jacques Rousseau, das endlose Detail des Tom Jones von Henry Fielding und die moralistischen Banalität der Clarissa Harlowe von Samuel Richardson. Zu dem, was spätere Kritiker die Revolution der Empfindsamkeit im Roman des 18. Jahrhunderts nennen sollten, fand er kein Verhältnis. Voltaires Briefe – ein Corpus von vielen Bänden – zeigen uns einen Mann, der sich stets abfällig über die Lektüre von Romanen äußert. Dem gegenüber pries er die Lektüre des Alten Testaments; aus diesem Werk könne man viel über die Sitten, Gebräuche und Einrichtungen der Alten Welt erfahren und so reiche Belehrung gewinnen.10 Eine solche Einrichtung ist die /S. 18:/ Traumdeutung – und jetzt zitiere ich die Fortsetzung von Voltaires Artikel:

Wie dem auch sei, nach der Erzählung der Genesis kommt Josef ins Gefängnis. Dort findet er sich in der Gesellschaft des Mundschenks und des Bäckers des Königs von Ägypten. Jeder der beiden Staatsgefangenen hat eines Nachts einen Traum; Josef deutet die Träume und sagt, der Mundschenk werde in drei Tagen wieder Gnade finden und seine Stellung zurückerhalten, der Bäcker jedoch werde am Galgen enden. Beides trifft ein.

Zwei Jahre später hat auch der König einen Traum. Der Mundschenk berichtet ihm von dem jungen Juden im Gefängnis, dem besten Traumdeuter der Welt. Da lässt der König den jungen Mann rufen. Dieser sagt sieben fette Jahre und sieben magere Jahre voraus.

Unterbrechen wir an dieser Stelle den Faden der Geschichte, um daran zu erinnern, auf welche ehrwürdige Geschichte die Traumdeutung zurückblicken kann. Jakob hat im Traum jene geheimnisvolle Leiter gesehen, an deren Spitze Gott selbst stand; in einem anderen Traum lernte er eine Methode zur Vergrößerung seiner Herden, eine Methode, die übrigens nur bei ihm selbst zum gewünschten Erfolg führte. Josef selbst hat in einem Traum von einer künftigen Herrschaft über seine Brüder erfahren. Viel früher hatte Abimelek im Traum erfahren, dass Sara die Frau Abrahams ist. (Vergleiche den Artikel Traum.)

Kehren wir zu Josef zurück! Kaum dass er den Traum Pharaos gedeutet hatte, war er schon erster Minister geworden. Heute kann man wohl kaum einen König finden, nicht einmal in Asien, der einen solchen Posten /S. 19:/ als Belohnung für eine Traumdeutung vergibt. Pharao verheiratet Josef mit einer Tochter Potifars. Dieser Potifar, so heißt es, sei Hoherpriester von Heliopolis; es kann sich also nicht um seinen früheren Herrn handeln, den Eunuchen. Oder, wenn es tatsächlich derselbe sein sollte, besaß dieser noch einen weiteren Titel außer dem des Hohenpriesters, und seine Frau hatte mehr als ein einziges Kind.

10Voltaires Briefe sprechen eine deutliche Sprache.Zwischen Voltaire und Marie de Vichy de Chamrond, Marquise Du Deffand (1696–1780) existiert ein umfangreicher Briefwechsel. Die nachstehenden Auszüge sind Briefen entnommen, in denen Voltaire die Frage nach geeignetem Lesestoff beantwortet. Die in Paris lebende, fast blinde Madame Du Deffand ließ sich jeden Tag mehrere Stunden aus Büchern vorlesen. – Voltaire an Mme Du Deffand, 17. September 1759: „Nein Madame, von den Engländern liebe ich nur die philosophischen Bücher und einige ihrer frechen Gedichte, doch was die Gattung betrifft, von der Sie schwärmen [dem englischen Roman], da muss ich wirklich passen. Ich lese nur das Alte Testament, drei oder vier Bücher von Vergil, den ganzen Ariost, einen Teil von Tausend und einer Nacht. An französischer Prosa lese ich immer wieder die Lettres provinciales [von Pascal ...] Doch folgen Sie meinem Rat: Lassen Sie sich den historischen Teil des Alten Testaments von Anfang bis Ende vorlesen; Sie werden merken, keine unterhaltsamere Lektüre gibt. Ich spreche nicht von Erbauung, die man daraus erhält, ich spreche vielmehr von der Einzigartigkeit der alten Bräuche, der vielen Ereignisse, von denen jedes wundersam ist, von der Kindlichkeit des Stils, usw. ... Wenn Sie das Glück haben, an diesem Buch Geschmack zu finden, werden Sie sich nie mehr langweilen, und man kann Ihnen keinen Lesestoff mehr schicken, der sich damit messen könnte.“ – Voltaire an Mme Du Deffand, 13. Oktober 1759: „Ich schreibe nur Ihnen, Madame, denn Ihre Phantasie war schon immer nach meinem Geschmack. Doch Ihrem Wunsch, englische Romane zu lesen, kann ich nicht nachkommen, solange Sie das Alte Testament nicht lesen wollen. Sagen Sie mir doch bitte, wo Sie eine schönere Geschichte als die von Josef finden – er wurde zum obersten Beamten von Ägypten und ist seinen Brüdern wiederbegegnet? Gilt Ihnen Daniel nichts, der die beiden Alten so herrlich überlistet? Zugegeben: die Geschichte von Tobias ist nicht so gut, doch immer noch besser als Tom Jones [von Henry Fielding], wo es außer der Gestalt eines Barbiers nichts Bemerkenswertes gibt. Aber man muss Appetit haben, und Sie haben wenig Appetit bei einem guten Geschmack. Glücklich, wer genug Appetit hat, das Alte Testament zu verschlingen! Machen Sie sich nicht über mich lustig: dieses Buch lehrt uns die Sitten des alten Asien besser als Homer. Von allen Denkmälern der Antike ist es das kostbarste.“ – Les œuvres complètes de Voltaire. Hrsg. von Theodore Besterman, Banbury1971, Bd. 104, S. 359–361 (Brief D 8484) und S. 397–398 (Brief D 8533).

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Inzwischen war die Hungersnot eingetreten, wie von Josef vorhergesagt. Um sich des königlichen Wohlwollens zu versichern, zwang Josef die ganze Bevölkerung, ihren Grundbesitz an Pharao zu verkaufen. Alle machten sich zu Sklaven, um Getreide zu erhalten. Offenbar ist dies der Ursprung despotischer Herrschaft. Tatsächlich hat niemals ein König ein besseres Geschäft gemacht. Das Volk aber hatte keinen Grund, den ersten Minister zu loben. Schließlich mangelte es auch dem Vater und den Brüdern Josefs an Getreide, denn Hungersnot bedrückte damals die ganze Erde. Es lohnt nicht, hier zu erzählen, wie Josef seine Brüder empfangen hat, wie er ihnen verzieh und sie reich beschenkte. In dieser Erzählung findet sich alles, was eine gute epische Dichtung ausmacht: Schilderung der Ausgangslage, Schürzung des Knotens, Wiedererkennen, Umschwung und das Wunderbare. All das verrät die Genialität orientalischer Erzählkunst.

Doch weder die emotionale und ästhetische Qualität der Josefserzählung, noch deren Überlegenheit gegenüber dem modernen Roman allein können Voltaire befriedigen. Er stellt weitere Ansprüche. Für ihn muss eine gute Erzählung auch eine philosophische Botschaft besitzen. Die philosophische Lehre der Josefsgeschichte, wie Voltaire sie liest, bezieht sich auf das Vergeben von Unrecht, das einem andere zugefügt haben. Die biblische Erzählung, erklärt er, „spricht das Gemüt mehr an als Homers Odyssee, denn ein Held, der verzeiht, berührt uns mehr als einer, der sich rächt“. Odysseus richtet unter den Freiern seiner Frau Penelope ein brutales Massaker an, bei dem alle den Tod finden. Josef dagegen verzeiht seinen Brüdern und lässt unverdiente Milde walten. Modern gesprochen vergleicht Voltaire das blutige Gemetzel aus dem archaischen Griechenland mit einer sentimentalen und idyllischen Szene aus der Spätzeit der althebräischen Literatur. Hinter dem Kontrast verbirgt sich mehr als nur ein zufälliger Unterschied; wir haben es mit zwei unterschiedlichen Ethosformen oder moralischen Welten zu tun – dem Ethos des Kriegeradels und dem /S. 20:/ antiken wie modernen bürgerlichen Ethos. Odysseus gehorcht einem Ethos, das auf dem archaischen Ehrenkodex des griechischen Kriegeradels beruht. Der homerische Held ist gehalten, seine Ehre mit der Waffe zu verteidigen oder wiederzugewinnen. Bei Josef dagegen zeigt sich ein auf Ausgleich und Harmonie bedachtes Ethos. Im Milieu von Verwandtschaft und Rechtswesen wurzelnd, gewinnt es in der philosophischen Reflexion bereits des antiken Polis-Bürgertums Prägnanz. Voltaire selbst kann am archaischen Ehrenkodex kein Gefallen finden; er ist dem modernen bürgerlichen Ethos verpflichtet. Wie Voltaires eigene philosophische Erzählungen enthält die Josefsgeschichte eine moralische Lehre. Tatsächlich wird sein Artikel von dem Wort pardonner eingerahmt; am Anfang und am Ende wird es genannt; der Zusammenhang legt die Bedeutung fest auf Vergeben, Verzicht auf Rache, Erweisen von Großzügigkeit und Milde. Damit kommt ein von Voltaire selbst vertretenes ethisches Ideal in den Blick. Voltaires Ablehnung des auf Rache gesonnenen, männertötenden Odysseus und die Anerkennung des milde vergebenden Josef entspricht sowohl der christlichen als auch der philosophischen Mentalität des 18. Jahrhunderts. Um dies zu belegen, genügt es, den Artikel „vengeance“ (Rache) in der berühmten Encyclopédie von Diderot und d’Alembert aufzuschlagen:11 Dort wird Rache als barbarischer Akt bezeichnet, der /S. 21:/ zivilisierten Menschheit unwürdig; dagegen werden Milde und Bereitschaft zur Vergebung

11 Vollständiger Text des Artikels „Vengeance“: „Rache (natürliches Recht): Pein, die man seinem Feind zufügt, entweder begründet, oder in der Annahme, man sei beleidigt worden. Rache ist etwas Natürliches. Es ist erlaubt, ein wirkliches Unrecht zurückzuweisen, sich vor Unrecht zu schützen, seine Rechte wahrzunehmen und dort Rache zu üben, wo die Gesetze keine Abhilfe vorsehen. Somit ist die Rache eine Art Gerechtigkeit, doch ich vernehme die Stimme der Weisen, die mir sagen, es sei schön, Verzeihung zu üben und man müsse sie jenen gewähren, die sich gegen uns nur geringfügig vergangen haben; jene aber, die uns wirkliches Unrecht zugefügt haben, soll man mit Verachtung strafen. Wer von der Aufklärung aller Zeiten Nutzen zieht, verurteilt alles, was bloße Rache ist. Racheakte aus niederträchtiger Gesinnung verabscheut er. Er vergleicht sie Pfeilen, die in feiger Weise des Nachts abgeschossen worden sind. Schließlich ist es erwiesen, dass jene Menschen, die einen rachesüchtigen Geist haben, den Zauberern gleichen: Diese machen andere unglücklich, um schließlich selbst unglücklich zu werden. Ich schließe mit der Feststellung, dass es von großer Tugend zeugt, dem uns zugefügten Unrecht die Mäßigung entgegenzusetzen.“ Louis de Jaucourt, Art. Vengeance, in: Denis Diderot u.a. (Hrsg.), Encyclopédie ou Dictionnaire raisonnée des sciences, des arts et des métiers, Neuchâtel 1765, Bd. 17, S. 4.

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als philosophische Tugenden gepriesen. Indem er die Tugend der Zurückhaltung übt, sieht der Weise über kleine Vergehen hinweg, und großes Unrecht wird mit Verachtung gestraft. Vergeben gilt als schön – il es beau de pardonner.

Hat die Erzählung eine ethische Botschaft, muss sich das auf ihre literarische

Klassifikation auswirken. Tatsächlich ist die Josefserzählung für Voltaire ein conte philosophique, das heißt eine Erzählung von der Art der Utopia von Thomas Morus, des Candide von Voltaire selbst und ein Vorläufer des bekanntesten philosophischen Märchens des 20. Jahrhunderts, Le Petit Prince (1943) von Saint-Exupéry. Anders gesagt: Die Josefsgeschichte ist für Voltaire ein philosophisches Märchen, in dem sich literarisches Können mit moralischer Belehrung und philosophischer Einsicht aufs glücklichste verbindet.

Dieser Gedanke bringt uns zu einer weiteren Überlegung unter dem Titel Was lernen wir aus der Rezeptionsgeschichte? Im Prinzip können wir sagen: Die Geschichte genügt sich selbst; da sie ihren Sinn in sich selber trägt, bedarf sie keiner Anwendung. Dennoch scheint mir die Rezeptionsgeschichte der Josefserzählung im 18. Jahrhundert nicht ohne Lehre für das heutige Verständnis. Die biblische Erzählung ist weder historischer Bericht noch reine Fiktion, sondern am ehesten als literarisierte, zur Novelle gestaltete Tradition zu verstehen. Doch Voltaires Vorschlag, die Erzählung als philosophisches Märchen zu verstehen, ist nicht von der Hand zu weisen; im Gegenteil: sie bietet uns den Schlüssel zur Interpretation.

Wollen wir die Josefsgeschichte als Märchen interpretieren, dürfen wir allerdings nicht bei

Voltaire stehenbleiben. An dieser Stelle kommt uns Max Lüthi zu Hilfe, der große Schweizer Erforscher der /S. 22:/ europäischen Volkserzählung.12 Lüthi betont den universalistischen, aller nationalen Enge abholden Charakter des Märchens. Das Fehlen geographischer und ethnischer Schranken erlaube es dem Helden, in die weite Welt zu wandern, wo er der Möglichkeit nach mit jedermann interagieren könne. Der Held eines Märchens werde gewöhnlich als isoliertes Individuum aufgefasst, das sich von seiner Heimat löse, um niemals mehr zurückzukehren. Fern der Heimat finde der Einsame, dessen Leben als Wanderschaft begann, einen sicheren Ort, vielleicht sogar eine führende Stellung in einem fremden Königreich. Auf diese Weise vermittele das Märchen Vertrauen und Zuversicht. Gelegentlich könne sich der Held auf übernatürliche Helfer stützen; nicht zuletzt darauf beruhe seine Zuversicht. Das Übernatürliche ist selbstverständlicher Bestandteil einer einheitlichen Welt, in der es sich einer ruhigen und fast unbemerkten Anwesenheit erfreue. Vom Übernatürlichen werde deshalb kaum Notiz genommen. Lüthi schließt seine Interpretation mit dem Hinweis auf die spezifische Stimmung, die der Gattung „Märchen“ eigen sei und die sich auf ihre Leserschaft oder Zuhörerschaft auswirke: eine helle, frohe und spielerische Stimmung, in der alle Fragen vergessen werden, da es nur Antworten gebe.

Tatsächlich weist Josef viele Eigenschaften jenes kumulativen Porträts auf, das Lüthi vom

Märchenhelden erstellt hat: Als zentrale Gestalt wird er nie von anderen übertroffen, obwohl er der jüngste Sohn seiner Eltern ist; seine bösen Brüder, ihn beneidend, suchen ihm zu schaden; er verlässt seine Familie und zieht in die weite Welt, um nie wieder zurückzukehren; wenn benötigt, genießt er Gunst und Hilfe unsichtbarer Mächte, die ihn beschützen und durch unbekanntes und gefährliches Land geleiten; in einer Welt lebend, der er letztlich vertrauen kann (obwohl er sie nie ganz versteht), zweifelt er niemals an diesen freundlichen Mächten 12 Max Lüthi, Märchen und Sage, in: ders., Volksmärchen und Volkssage. Zwei Grundformen erzählender Dichtung, 2. Aufl., Bern 1966, 22–48; ders., Der Märchenheld, in: ders., Es war einmal. Vom Wesen des Volksmärchens, 2. Aufl., Göttingen 2008, 107–119.

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und verlässt sich frohen Sinnes auf ihr Eingreifen zu seinen Gunsten; ein dauernder Kontakt zu oder Bund des Helden mit übernatürlichen Mächten besteht nicht, obgleich sich /S. 23:/ der Held „von guten Mächten wunderbar geborgen“ weiß (Dietrich Bonhoeffer); ohne Absicht handelt er stets genau richtig, um zu Erfolg, Reichtum und Glück zu gelangen. Wie der typische Märchenheld bleibt Josef während des größten Teils der Erzählung eine von der Gemeinschaft isolierte Gestalt – jemand, der allein und in eigener Verantwortung handelt. Demzufolge befindet er sich in einer privilegierten Lage, mit anderen eine Beziehung einzugehen, tatsächlich sogar mit fast allen Menschen, denen er begegnet. Die universelle Offenheit des Märchenhelden, eine Tugend, die ihm kaum selbst bewusst ist, macht ihn zu einem geselligen und zugänglichen Menschen.

Das Märchen, wie Lüthi es deutet, führt uns den Einzelnen als entwurzelte, einsame Person

vor Augen. Aus Familie und Land verstoßen, sieht sie sich in eine unbekannte und unverständliche Welt geworfen. Dennoch vermittelt diese Welt jenen, die auf sie zu achten verstehen, ein Gefühl der Zuversicht, und lädt sie ein, alles Geschehen mit Optimismus zu betrachten. Es herrscht die Weltauffassung der Komödie: Letztlich ist die Welt gut, vermag sie doch selbst dem entwurzelten Menschen nach mancher Verwicklung doch eine Heimat zu bieten. Verfeindete Brüder können einander vergeben und sich versöhnen. Wie alle Märchen erfordert auch die biblische Erzählung keinen Glauben an die Geschichtlichkeit des Erzählten oder an die Existenz ihres Helden und jener, mit denen er zu tun hat. Stattdessen lädt sie auch den heutigen Leser dazu ein, eine Weltauffassung zu teilen, die nicht nur poetisch und erfreulich ist, sondern gleichzeitig einem Ethos der Verantwortung (und nicht einem mosaischen Ethos des Gehorsams) verpflichtet ist. Hier werden Geist und Gefühl gleichermaßen befriedigt.13

/S. 24:/ Lassen Sie mich nach diesem Exkurs zum 18. Jahrhundert zurückkehren! Unsere letzte Überschrift soll heißen: Abschließende autobiographische Spekulation Kein Zweifel: Voltaire und Goethe waren von der Josefsgeschichte persönlich betroffen, einer Erzählung, die sie von der Kindheit bis ins Alter begleitete. Für sie wie für viele Menschen der frühen Neuzeit stellte die biblische Geschichte ein Repertoire von Verhaltens- und Deutungsmustern bereit, mit denen man das eigene Leben vergleichen, vermessen und 13 Die Botschaft des Josefsmärchens lässt sich durch einen Vergleich mit der biblischen Überlieferung von Mose noch verdeutlichen. Von Mose berichtet die Bibel nicht in der Gestalt des Märchens, sondern der Sage. Nach Lüthi ist das Weltbild der Sage partikularistisch und provinziell und damit von einem eingeschränkten geographischen Horizont bestimmt, dessen Bewohnerschaft sich von anderen deutlich abgrenze und auf eine genau festgelegte Identität bedacht sei. Die Bewohner agierten innerhalb dieser Grenzen und hätten stets mit Mitgliedern derselben Gruppe zu tun. Jenseits der vorfindlichen Welt liege das Reich des Übernatürlichen, das sich gelegentlich in spektakulären, wunderhaften Ereignissen kundtue, ein Reich, dem man mit Scheu, aber auch mit größtem Interesse begegne. Heilig und profan seien genau und streng unterschieden. Auch sei die Sage sei von einer ernsten, düsteren, unheilvollen Atmosphäre bestimmt. Tatsächlich lassen sich die wesentlichen Züge der von Lüthi charakterisierten Sage in der Mosetradition wiederfinden. Sie beschreibt die schwere Bedrängnis einer Volksgruppe, präsentiert ihren Helden als Visionär, Propheten und Mittler zwischen menschlicher und göttlicher Welt, und berichtet mehrfach von wunderhaftem göttlichem Eingreifen. Die Höhepunkte sind die Ertränkung von Pharaos Kriegswagen im Meer und Gottes Offenbarung des Gesetzes an Mose auf dem Berg Sinai, ein Vorgang, der die Hebräer und ihren Gott in einem bleibenden Bund zusammenschließt. In dieser Erzählung bleibt Mose von seinem Volk, den Israeliten, getragen; obwohl göttlich erwählt, erscheint er in erster Linie als Mitglied und Repräsentant der Gemeinschaft. Thema dieser Sage ist letztlich das Volk und nicht Mose als Einzelperson; und die Erwählten erscheinen als eng und bleibend mit Gott als ihrem Herrn verbunden. Die Sage erhebt den Anspruch auf Wahrheit: Die in ihr agierenden Personen haben wirklich gelebt, die geschilderten Ereignisse haben stattgefunden, wenn auch in ferner Vergangenheit. Unverkennbar sind auch die tragischen Züge der Mosesage: Durch Mose wird dem Volk ein Gesetz gegeben, dessen Forderungen es schließlich nicht gerecht werden kann und an denen es später scheitern wird.

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bewerten konnte. Im Werk beider Autoren finden sich versteckte Spuren eines solchen Denkens, und ich will kurz eine solche Spur bei Goethe und eine bei Voltaire aufzeigen.

Ich will mit Voltaire beginnen. „All das verrät die Genialität orientalischer Erzählkunst“ –

mit diesen Worten endet der Josefsartikel. Doch Voltaire fügt noch einen weiteren kurzen Absatz hinzu, den einzigen von mir noch nicht angeführten Abschnitt:

Was der alte Jakob, der Vater Josefs, dem Pharao antwortet, entgeht jenen nicht, die die Anspielung verstehen. „Wie alt bist du?“, fragt ihn der König. „Ich bin einhundertunddreißig Jahre alt“, erwidert ihm der Greis, /S. 25:/ „und ich habe noch keinen einzigen glücklichen Tag erlebt während meiner kurzen Wanderschaft.“

„Entgeht jenen nicht, die die Anspielung verstehen.“ Die meisten Leser des Zeitalters der Aufklärung liebten Anspielungen, die man enträtseln musste; viele brachten es zur Meisterschaft im Rätsellösen. Der Greis – welcher Greis? Nun, das kann kein anderer als Voltaire sein, der, dürfen wir hinzufügen, längst eine Legende seiner Zeit geworden war. Der Greis, der sein hohes Lebensalter nennt, ist der biblische Erzvater Jakob, aber hinter der Maske Jakobs sehen wir keinen anderen als Voltaire selbst, der diese Zeilen im Alter von neunundsechzig Jahren schrieb. Voltaire will anspielen auf die Ruhelosigkeit seines Lebens, seine Kämpfe und Enttäuschungen. Er mag an seine Gefangenschaft in der Bastille ebenso gedacht haben wie an seine Flucht nach England, den frühen Tod seiner Freundin Emilie du Châtelet und seine lebenslange Verbannung aus Paris, der Stadt seiner Geburt und Schulzeit. Indem er seinen Artikel mit dieser unerwarteten autobiographischen Bemerkung abschließt, verleiht er seinem Essay eine persönliche Note. Er versieht sein anonym publiziertes Dictionnaire philosophique sozusagen mit einer eigenhändigen Unterschrift. Nach meiner – zweifellos unvollständigen – Recherche ist der Artikel „Joseph“ der einzige, der eine solche persönliche Signatur des Verfassers erhalten hat.

Bei Goethe liegen die Dinge anders. Die biblische Erzählung begleitete ihn während seines

späteren Lebens; so zu ersehen aus der Liste der Opern, die unter seiner Regie an den fürstlichen Theatern in Weimar und Halle auf die Bühne kamen. Zum Repertoire gehörte ein Stück mit dem Titel Joseph in Ägypten, eine Mischung aus Oper und Oratorium, vertont von Etienne-Nicolas Méhul. 1807 in Paris uraufgeführt, gipfelt es in der Versöhnung zwischen Josef und seinen Brüdern, und zwischen Jakob und seinen Söhnen. Es fand großen Anklang auf allen Bühnen Europas, verständlich bei einem Publikum, das, der Kriege und Revolutionen überdrüssig, sich nach Frieden sehnte. Goethe ließ es zwischen 1812 und 1816 zehnmal aufführen. Besonders im letztgenannten Jahr, nach Ende der napoleonischen Kriege, entsprach es dem Wunsch nach politischer Erneuerung und Versöhnung in Eu- /S. 26:/ ropa. So diente es gleichzeitig als Vorbild und als Feier einer universalen Versöhnung. Diese Stimmung war Goethe nicht fremd, einem Mann, der Revolutionen verabscheute und den Krieg als Mittel der Politik ablehnte. Nach einer der Aufführungen, am Samstag, den 16. April 1816, schrieb er folgende lakonische, doch bedeutungsvolle Notiz in sein Tagebuch: „Joseph in Ägypten, sehr gute Vorstellung.“14 Goethe mag die literarischen Erzeugnisse seiner Kindheit den Flammen übereignet haben, doch in seinem späteren Leben hat er nie an der pädagogischen, moralischen und religiösen Qualität seines ersten literarischen Stoffes gezweifelt. Es mag jedoch noch einen weiteren, unbewussten Sinn des knappen Tagebucheintrags geben. Goethe selbst muss sich mit Josef identifiziert haben, war er doch, wie die biblische Gestalt, schon früh in seinem Leben in den Dienst eines auswärtigen Hofs getreten, um schon bald ein hochrangiges Ministeramt am Hof von Weimar zu bekleiden. Damals, im Alter von sechsundsechzig, hatte er nur noch wenige offizielle Pflichten, sondern

14 Goethes Werke. Abteilung 3: Tagebücher, Bd. 5, Weimar 1893, S. 221.

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erfreute sich eines unbeschwerten Lebens unter fürstlicher Förderung. Mit seinem Leben, seinem Werk und seiner beruflichen Laufbahn war er versöhnt. Wir müssen uns Goethe als einen glücklichen Menschen vorstellen. Was Goethe, ihm selbst unbewusst, in sein Tagebuch schrieb, war dies: Goethe in Weimar, sehr gute Vorstellung.

Nun stehen wir am Ende! Wir haben uns beschäftigt mit drei Gebieten, in denen die

Josefserzählung im 18. Jahrhundert kulturelle Bedeutung erlangt hat: in der Erziehung von Kindern, in der historischen Bibelexegese und in der Literaturkritik.

Ohne Schwierigkeit könnten wir das Blickfeld ausweiten und den Einfluss weiterer

biblischer Erzählungen in jener Zeit studieren. Das freilich wäre problematisch. Als Forscher müssen wir in kleinen, vorsichtigen Schritten vorgehen, ist doch die Rezeptionsgeschichte der Bibel ein ganz neu entdeckter, noch nicht systematisch behandelter Gegenstand der Bibelwissenschaft. Der Tribut an die Neuheit des Themas aber müssen Umsicht und Beschränkung sein. Orientierung bot ein Wort meines ägyptologischen Lehrers Hellmut Brunner, das er /S. 27:/ fast in jedes Vorwort seiner Bücher schrieb: Vollständigkeit ist das Grab der Wissenschaft. Eingedenk dieses Spruchs beschränkt sich meine Studie auf eine einzige Erzählung und auf ein einziges Jahr – das Jahr 1763. In diesem Jahr hat Voltaire, im Alter von neunundsechzig Jahren, seinen Essay über Josef für das Dictionnaire philosophique zu Papier gebracht. Im selben Jahr schrieb Wolfgang Goethe, elf Jahre alt, seine eigene Josefserzählung, um sie jedoch alsbald den Flammen anzuvertrauen. Später hat er dieser Episode durch seine Autobiographie Unsterblichkeit verliehen. Voltaires Dictionnaire philosophique gehört ebenso zum Kanon europäischer Literatur wie Dichtung und Wahrheit. Es ist ein Vergnügen, in diesen Werken das Echo einer biblischen Geschichte zu finden, das Echo eines Märchens, das auch heute, im 21. Jahrhundert, seinen Reiz nicht eingebüßt hat.

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Literatur /S. 28:/ Quellen Goethe, Johann Wolfgang: Aus meinem Leben – Dichtung und Wahrheit. In: Goethes Werke.

Hg. von Erich Trunz, 11. Aufl. München: C.H. Beck 1989, Bd. 9 („Hamburger Ausgabe“).

Voltaire: Dictionnaire Philosophique, Artikel „Joseph“ [1764]. Kritische Edition: Les Oeuvres complètes de Voltaire, Oxford: Voltaire Foundation 1994, Bd. 36, S. 254–261.

Ders.: La Bible enfin expliquée [1771]. Edition: Oeuvres complètes de Voltaire. Hg. von Louis Moland. Paris: Garnier frères 1880, Bd. 30, S. 1–316.

Sekundärliteratur Assmann, Jan: Ägypten. Eine Sinngeschichte, München: Hanser 1996. Benjamin, Walter: Der Erzähler. In: ders., Illuminationen. Ausgewählte Schriften, hg. von

Sigfried Unseld. Frankfurt: Suhrkamp 1969, S. 409–436. Lang, Bernhard: Joseph in Egypt. A Cultural Icon from Grotius to Goethe. London: Yale

University Press 2009. Ders.: Joseph the Diviner: Careers of a Biblical Hero. In: Bernhard Lang, Hebrew Life and

Literature. Selected Essays. Farmington: Ashgate 2008, S. 93–109. Ders.: Verehrt, geschmäht, von Voltaire gerettet. Über den heiligen Josef von Ägypten. In:

Neue Rundschau 116 (2005), S. 44–49. Lüthi, Max: Märchen und Sage. In: ders., Volksmärchen und Volkssage. Zwei Grundformen

erzählender Dichtung, 2. Aufl. Bern: Francke 1966, 22–48. Ders., Der Märchenheld. In: ders., Es war einmal. Vom Wesen des Volksmärchens, 2. Aufl.

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, 107–119. Wildavsky, Aaron B.: Assmilation versus Separation: Joseph the Administrator and the Politics of Religion in Biblical Israel. New Brunswick, N.J.: Transaction Publishers, 1993.15

15 Wildavsky vergleicht die biblische Josefserzählung mit der Überlieferung von Mose; der von Josef beschrittene Weg der Assimilation werde in der Bibel letztlich als falscher Weg verworfen; der für das Judentum zukunftsweisende Weg sei die mosaische Option für Separatismus.

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KLAUS VON STOSCH

Der Lord /S. 29:/ Mit den nachfolgenden Worten wurde der von den Instituten für katholische und evangelische Theologie durchgeführte Studientag eröffnet. Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, aber vor allem lieber Herr Lang, hiermit heiße ich Sie alle im Namen des Instituts für Katholische Theologie herzlich willkommen zu unserem diesjährigen Studientag, den ich hiermit gerne eröffne. Die an unserem Institut stattfindenden Studientage haben immer das Ziel, ein bestimmtes, in seiner Weise übergreifendes und herausforderndes Thema der Theologie aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen zu beleuchten, um so die Einheit der Theologie zum Ausdruck zu bringen und verständlich zu machen. In den vergangen Jahren haben wir uns mit so herausfordernden Themen wie Offenbarung, Sexualität sowie Himmel und Hölle beschäftigt. Diesmal ist unser Thema eine Person, die nicht weniger Anregungen und Herausforderungen für die verschiedenen Disziplinen darstellt. Unser Thema sind diesmal Sie, lieber Herr Lang. Denn es gibt nur wenige biblische Theologen, die unserer Zeit auf so vielfältige Weise Denkanregungen gegeben haben wie Sie. Wenn wir den Tag nicht einfach mit dem Titel „Lang“, sondern mit dem Thema „Bibelrezeption“ überschrieben haben, dann deswegen, weil auf diesem Forschungsfeld in ganz besonderer Weise Ihre Verdienste und Ihr Originalität zum Ausdruck kommen.

Ich will an dieser Stelle der Laudatio von Marie-Theres Wacker nicht vorgreifen. Aus

diesem Grund will ich weder Ihre wissenschaftliche Exzellenz herausstellen noch Ihren wissenschaftlichen Werdegang wiedergeben. Dazu fehlt mir auch an vielen Stellen die Kompetenz. Ich werde also nicht auf Ihre zahlreichen Gastprofessuren etwa in Philadelphia, Paris, Berlin oder St. Andrews hinweisen und auch nicht auf Ihre Ehrendoktorwürde in Aarhus eingehen. Ich werde auch nicht Ihren Werdegang hier in Paderborn seit dem Jahr 1985 nachzuzeichnen versuchen oder gar die Stationen davor aufzählen. All das wird Frau Kollegin Wacker in der ihr eigenen Genauigkeit tun.

/S. 30:/ Auch auf Ihre umfangreiche Bibliographie will ich nicht eingehen. Ich erwähne nur,

dass Sie der einzige mir bekannte Theologe sind, der gleich zwei Bücher mit dem Titel Die Bibel geschrieben hat. Mir war zwar bekannt, dass viele Autoren die Bibel geschrieben haben, aber dass ein Autor gleich mehrfach Die Bibel schreibt, kommt vermutlich nicht so häufig vor. Ich will also nicht Ihre wissenschaftliche Exzellenz würdigen, sondern nur ein paar Worte dazu sagen, wie Sie von Ihren Studierenden als theologischer Lehrer wahrgenommen werden und wie Sie auf mich als Kollegen wirken. An dieser Stelle gibt es nämlich einige Übereinstimmungen. Gestatten Sie mir fünf Punkte hervorzuheben: Ihre Bescheidenheit, Ihre Höflichkeit, Ihre Herzlichkeit, Ihre Hilfsbereitschaft und Ihre Originalität.

Ihre Bescheidenheit drückt sich schon in der Weise aus, wie Sie heute von uns

verabschiedet werden. Eine der ersten Dinge, die mir mein sehr geschätzter Vorgänger Peter Eicher hier in Paderborn eingeschärft hat, war, dass wir Sie mit einer Ringvorlesung und einem hochkarätigen Abschiedsprogramm verabschieden sollten. Das Thema sollte

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„Monotheismus“ sein, und wir sollten berühmte und mit Ihnen jeweils verbundene Denker wie beispielsweise Peter Sloterdijk einladen und Sie auf diese Weise würdigen. All das hätten wir liebend gern gemacht. Aber Sie wollten keine große Abschiedsinszenierung, sondern Sie wollten in aller Bescheidenheit gehen und wünschten sich einen Abschied ohne große Gastredner, so dass heute einfach nur wir als Ihre Kollegen und Kolleginnen zusammen mit der Hilfe Ihrer ersten Schülerin Sie zu würdigen versuchen. Die Uneitelkeit, die Sie uns auf diese Weise zeigen, würde vielen Wissenschaftlern gut tun. Sie ist als Tugend zu Unrecht in Vergessenheit geraten.

Ihre Höflichkeit durfte nicht nur ich erleben, sondern wird mir auch von Studierenden

immer wieder begeistert erzählt. Immer wieder haben mir Studierende mit leuchtenden Augen erzählt, dass der auch unter ihnen legendarische Bernhard Lang ihnen so nett schreibt und immer endet mit „Herzliche Grüße, Ihr Bernhard Lang“. Niemand an dieser Universität kann zählen, wie vielen Studierenden Herr Lang in seinem Leben bereits die Tür aufgehalten hat. Mit derartigen Gesten /S. 31:/ versteht er es auch den einfachsten Menschen zu zeigen, dass er sie wertschätzt und ernst nimmt.

Damit zusammen hängt die dritte Eigenschaft, die ich hervorheben will: Ihre Herzlichkeit.

Die Art, wie Sie mich hier empfangen und mir sehr schnell das Gefühl gegeben haben, angekommen zu sein, hat mir gut getan. Auch den Studierenden merkt man an, wie wohl sie sich bei Ihnen fühlen, was aber sicher auch mit Ihrer Hilfsbereitschaft zu tun hat. Es ist kaum zu fassen, wie intensiv Sie die Studierenden in ihren Arbeiten begleiten und ihnen alle nur erdenklichen Hilfestellungen geben. Praktisch hat das die Folge, dass sie in jedem Semester neue Rekorde an Prüfungsbetreuungen aufstellen. Wahrscheinlich haben Sie schon deutlich mehr Studierende geprüft als andere Professoren in ihrem ganzen Leben zu Gesicht bekommen. Aber auch mir als Kollegen sind Sie immer mit außerordentlicher Hilfsbereitschaft begegnet: bei der Bitte um Teilnahme an einer Tagung ebenso wie bei den banalsten Fragen zu unserer schönen Universitätsbibliothek, die Ihnen eine Vielzahl wertvoller Impulse verdankt.

Nicht nur unter den Studierenden gelten Sie als Original, gelegentlich als etwas skurril.

Einer Ihrer Spitznamen ist „der Lord“. In der Tat wird in Ihren Umgangsweisen in positivem Sinne eine Form britischer Aristokratie erfahrbar, die uns alle beeindruckt. In einer Zeit, in der sich auch Professoren oft genug stromlinienförmig in die Zeit einpassen, sind Sie wohltuend unangepasst und im guten Sinne anstößig.

Das gilt übrigens auch für Ihre Stellung in Ihrer eigenen Zunft und für Ihre Haltung

gegenüber der Theologie. Schon früh haben Sie die Theologie als Kulturwissenschaft verstanden und die übliche Unterscheidung von Innen- und Außenperspektiven religionsbezogener Wissenschaften über den Haufen geworfen. Ihre Disziplin der alttestamentlichen Exegese haben Sie nie rein philologisch verstanden und haben in bewundernswerter Weise religionsgeschichtliche Perspektiven in Ihre Arbeit einbezogen. Ja, manchmal treten Sie so sehr als Religionswissenschaftler und Religionsgeschichtler auf, dass sich manche fragen, wo überhaupt Ihr christlich-theologisches Profil erkennbar wird. Gerade von kirchlicher Seite ist mir immer wieder die Frage gestellt worden, an welcher Stelle man eigentlich erkennen kann, /S. 32:/ dass Sie aus dem Geist Jesu handeln und inwiefern Sie durch Ihre Arbeit Zeugnis von seinem Geist geben.

Auf diese Frage meine ich, in Ihrem jüngsten Buch Jesus, der Hund eine Antwort

gefunden zu haben. Die Art, wie Sie Jesus als Kyniker porträtieren, und die Weise, wie Sie den kynischen Geist beschreiben, hat mir Sie selbst vor Augen gestellt und für mich

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erkennbar gemacht, in welch glaubwürdiger und beeindruckender Weise Sie das kynisch-jesuanische Erbe lebendig halten. Alle von mir aufgezählten Eigenschaften erhalten von diesem Verstehensschlüssel her noch einmal eine eigene philosophisch-geistliche Färbung, die zu verdeutlichen vermag, wie stark Sie auch von dem Rabbi aus Nazaret geprägt sind und seinem Erbe verpflichtet sind.

Lieber Herr Lang, die Universität Paderborn verliert mit Ihnen einen ihrer bekanntesten

Denker und wertvollsten Impulsgeber. Die Katholische Theologie verliert einen bedeutenden Pionier und Wegbereiter neuer Forschungsansätze, aber auch einen zuverlässigen und außerordentlich vielseitigen Kollegen. Wir hoffen sehr, dass wir auch nach Ihrer Emeritierung immer wieder das Vergnügen haben werden, Ihnen zu begegnen. Unsere Türen werden Ihnen jedenfalls immer offen stehen. Lieber Herr Lang, wir werden Sie vermissen.

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MARIE-THERES WACKER

Essen vom Baum der Erkenntnis

Eine Laudatio für Bernhard Lang zum 65. Geburtstag Persönliche Vorbemerkung /S. 33:/ Wie kommt eine Münsteraner feministische Theologin dazu, eine Laudatio für Bernhard Lang zu halten? Tatsächlich war ich von 1985 bis 1989 wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Paderborner Lehrstuhl. Dazu gehört eine längere Vorgeschichte: Als ich nach dem theologischen Vordiplom im August 1974 von Bonn nach Tübingen wechselte, saß in der ersten Lehrveranstaltung, die ich dort besuchte, einem Sommer-Ulpan des Institutum Iudaicum, also einem Kompaktkurs Neuhebräisch, Bernhard Lang neben mir, damals noch alttestamentlicher Doktorand bei Herbert Haag. Bald kamen wir ins Gespräch über gemeinsame alttestamentliche, judaistische und altorientalistische Interessen, und er erzählte mir von dem interdisziplinären Hauptseminar, das Haag zusammen mit dem Moraltheologen Alfons Auer im bevorstehenden Wintersemester anbot: Der biblische Dekalog sollte unter der Perspektive einer „Autonomen Moral“ exegetisch und systematisch-theologisch besprochen werden. Meine Teilnahme an diesem Seminar bestärkte mich darin, die alttestamentliche Wissenschaft mit ihren vielfältigen Anschlussmöglichkeiten weiterzuverfolgen.

Ich schrieb eine theologische Diplomarbeit, die bei Herbert Haag eingereicht, de facto aber

von Bernhard Lang betreut wurde. Ihr Thema, „Die Hölle im Alten Testament“, lag ganz auf der Linie der großen Publikation, die Haag kurz vorher zum Teufelsglauben herausgebracht und zu der Lang zwei Kapitel beigesteuert hatte.16 Herbert Haag war davon überzeugt: Die biblischen Grundlagen dieser dogmatischen Lehren bzw. Vorstellungen sind so dürftig, dass große Zweifel an ihrer Schriftgemäßheit angemeldet werden müssen; ein Verzicht auf diese Lehren, zumindest eine radikale Transformation, sei um der /S. 34:/ dogmatischen Redlichkeit willen und im Sinne einer zeitgemäßen Fassung der christlichen Lehre erforderlich. Das Selbstbewusstsein der katholischen Exegese nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das sich hier zu Wort meldete, imponierte mir und bestimmte die Atmosphäre jener Tübinger Jahre.

Haag und Lang waren es dann auch, die mir mit ihren empfehlenden Gutachten

ermöglichten, ein Studienjahr an der Ecole Biblique et Archéologique Française in Jerusalem zu verbringen, an der sie beide ebenfalls studiert hatten. Dass dieses Jahr in einem sehr klassischen französisch-katholischen Milieu mit einer ausgeprägten Wahrnehmung der Polarität des Männlichen und Weiblichen dazu führen würde, mein protofeministisches Bewusstsein zu wecken, damit hatten sie sicher nicht gerechnet. Aus Jerusalem brachte ich Jerusalem ein Dissertationsprojekt zum äthiopischen Henochbuch mit. Im Winter 1981/2 konnte ich es bei Bernhard Lang abschließen, der in Tübingen inzwischen eine Professur angetreten hatte. Vor Ihnen steht also nicht nur die erste Assistentin von Bernhard Lang in Paderborn, sondern auch seine erste Promovendin, die diesen Weg ohne seine Förderung sicher nicht so zügig hätte gehen können. Es ist für mich deshalb ein Akt der Dankbarkeit,

16 Herbert Haag u.a., Teufelsglaube, Tübingen 1974; darin: Bernhard Lang, Dämonenabwehr in der Umwelt Israels, S. 151–162, und: ders., Der Teufel und die Juden, S. 477–489.

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aber zugleich auch eine Ehre und ein Vergnügen, hier und heute seine wissenschaftliche Biographie vorzustellen und zu würdigen. Erkenntnis als Lebensweg Der zeitliche Rahmen ist rasch referiert: Bernhard Lang, geboren 1946 in Stuttgart, hat 1966 bis 1970 in Tübingen und Münster Katholische Theologie und altorientalische Kulturen studiert. Nach dem theologischen Abschluss in Tübingen hat er ein Studienjahr an der Jerusalemer École Biblique verbracht, um 1971 mit einer ägyptologischen Arbeit den Grad eines Elève titulaire zu erwerben. Im Jahr 1975 wurde er in Tübingen mit einer Dissertation über die biblische Gestalt der Frau Weisheit zum Dr. theol. promoviert. Er habilitierte sich 1977 in Freiburg mit einer Arbeit zur Politik des Propheten Eze- /S. 35:/ chiel.17 Noch im gleichen Jahr wurde er Professor für Altes Testament und Frühjudentum an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, übernahm von 1982 bis 1985 den Lehrstuhl für Altes Testament an der Gutenberg-Universität zu Mainz. Dann wechselte er an die Universität Paderborn, wo er bis heute, also seit mehr als einem Vierteljahrhundert, forscht und lehrt.

Schon diese dürren Daten lassen aufhorchen. Dass ein Seminarist schon während seiner

philosophisch-theologischen Grundausbildung das Angebot anderer universitärer Wissenschaften nutzt, war während Langs Studienzeit durchaus ungewöhnlich und von der Seminarleitung auch nicht vorbehaltlos erwünscht. Bernhard Lang selbst charakterisiert diese Zeit denn auch einmal für sich als Essen vom Baum der Erkenntnis,18 als Griff nach verbotenen Früchten, war deren Genuss ja dazu angetan, die Augen zu öffnen und aus der Binnensicht einer katholischen Weltanschauung hinauszuführen in das Universum kritischer Gedanken-Freiheit.

Ungewöhnlich ist sodann die kurze Zeitspanne zwischen Promotion und Habilitation. Sie

dokumentiert bereits eine große Begabung Langs, die Fähigkeit, sich auf der Basis seines ohnehin phänomenalen enzyklopädischen Wissens in knapper Frist in neue komplexe Sachverhalte einzuarbeiten und souverän darüber zu verfügen. Bis dato – ein Ende ist nicht in Sicht; die Fahnen eines neuen Sammelbandes sind soeben zur Korrektur eingetroffen!19 – umfasst seine Bibliographie20 allein an die 30 Monographien und Aufsatzbände; ich bitte /S. 36:/ schon jetzt um Verständnis dafür, dass ich selbst diese größeren Werke nicht alle werde nennen können. Dazu kommen mehr als hundert Beiträge in Zeitschriften, mehrere hundert Artikel in Lexika und Enzyklopädien, insbesondere auch für das von ihm und Manfred Görg herausgegebene dreibändige Neue Bibel-Lexikon, das zwischen 1991 und 2001 erschien, und für die dritte Neuauflage des von Peter Eicher besorgten Neuen Handbuchs theologischer Grundbegriffe von 2005. Als Herausgeber des International Review of Biblical Studies hat Bernhard Lang seit 1980 in 31 Bänden zudem tausende von abstracts zu Büchern und Artikeln aus der ganzen Breite der Bibelwissenschaft und ihren Grenzgebieten verfasst. Überraschen mag schließlich auch der Wechsel von Mainz nach Paderborn, von einer ausgebauten Theologischen Fakultät an einer renommierten Universität zu einem 17 Bernhard Lang, Frau Weisheit. Deutung einer biblischen Gestalt, Düsseldorf 1975; ders., Kein Aufstand in Jerusalem. Die Politik des Propheten Ezechiel, Stuttgart 1978. 18 Bernhard Lang, Biblical Studies as a Vocation: Sketch of an Academic Self-Portrait, in: ders., Hebrew Life and Literature, Farnham/Surrey 2008, S. 3–11, hier S. 11. 19Bernhard Lang, Buch der Kriege – Buch des Himmels. Kleine Schriften zur Exegese und Theologie, Leuven 2011. 20 Lang selbst hat eine Dokumentation seiner Veröffentlichungen bis Ende 2010 zusammengestellt: International Review of Biblical Studies 56 (2009–2010), Leiden 2011, S. 509–540; Nummern 1*–216*. Sie ist in der Auflistung der Beiträge zu Lexika und Enyklopädien allerdings nicht vollständig, sondern nennt diese z.T. nur summarisch.

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geisteswissenschaftlichen Fachbereich in einer damals noch so genannten Gesamthochschule. Bernhard Lang sah dort wohl größere Freiräume, seine methodischen und inhaltlichen Schwerpunkte zu verlagern hin zu dezidiert religions- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen, die über die Bibel hinaus die Christentumsgeschichte in den Blick nehmen bzw. menschheitsgeschichtlich ausgreifen. Diese Perspektiven treten in seinen Arbeiten seit Anfang der 1980er Jahre immer stärker hervor und sind mit einer konsequent ausgebauten Internationalisierung seiner Wirkungsfelder verbunden. So lehrte er im Studienjahr 1992/93 in Paris an der Sorbonne und bekleidete zwischen 1999 und 2003 parallel zu seiner Paderborner Tätigkeit eine Professur „for Old Testament and Religious Studies“ an der University of St. Andrews in Schottland. 2008 wurde ihm an der Universität Aarhus in Dänemark die Ehrendoktorwürde verliehen. Das frühe Essen vom Baum der Erkenntnis, so könnte man im Bild bleibend sagen, hatte nachhaltige Wirkung auf seinen gesamten weiteren Lebensweg.

Ich möchte im Folgenden zunächst am Beispiel derjenigen beiden Themenbereiche, in

denen ich persönlich am meisten von meinem /S. 37:/ Doktorvater gelernt habe, die Transformationen nachzeichnen, die sein Denken durchlaufen hat, in einem zweiten Schritt sodann den Publikationen entlanggehen, in denen er selbst über seine methodischen Grundlagen Rechenschaft gibt, und hier auch seine großen kulturgeschichtlichen Arbeiten in den Blick zu nehmen. Schließlich möchte ich über zwei Kollegen vor Ort in Paderborn sprechen, denen Bernhard Lang auf je besondere Weise verbunden ist. Der einzige Gott Im Jahr 1981 erschien ein Buch, das wie kein anderes vorher seinen Herausgeber und Autor bekannt machte und in eine äußerst kontroverse Debatte in seiner Zunft, der alttestamentli-chen Wissenschaft, verwickelte – ich spreche von Bernhard Langs Initialzündung zur Mono-theismusfrage, die den Titel trägt Der einzige Gott. Die Geburt des biblischen Monotheismus. Die Geburtsmetapher im Untertitel des Sammelbandes spielt keineswegs auf einen organischen oder natürlichen Prozess an, sondern stellt den gewaltsamen, schmerzhaften Durchbruch von etwas Neuem in den Vordergrund. Die Leitthese, die Lang in seinem Beitrag ins Spiel bringt, ist die, dass der Weg zum Monotheismus Israels völlig unzureichend, da abgehoben von konkreten sozialen Prozessen, beschrieben ist, wenn man ihn als Siegeszug einer universalen Ethik der biblischen Propheten auffasst. Vielmehr müsse man diesen Weg als Projekt und Produkt einer minoritären Bewegung seit dem königszeitlichen Israel, der „Jahwe-allein-Bewegung“, rekonstruieren.21 Heute, drei Jahrzehnte später, gehört diese These zum Grundwissen des Faches. In den Jahren nach Erscheinen des Diskussionsbandes war die Aufregung zumal in der katholischen alttestamentlichen Wissenschaft allerdings groß. Ich erinnere mich an die Jahrestagung der deutschsprachigen katholischen Alttestamentler 1984, auf der über Bernhard Langs Thesen sehr apodiktisch negative Urteile gefällt wurden.22

/S. 38:/ Vielleicht hatte Lang es seinen Kritikern zu leicht gemacht, war seine neue Sicht auf den Monotheismus Israels doch sehr knapp und thetisch vorgetragen und schreckte zudem stilistisch vor kleinen Frivolitäten nicht zurück. Was die Zunft aber nachhaltig irritierte, ja empörte, war der intendierte Bruch mit dem geltenden Paradigma einer weit in die vorstaatliche Zeit Israels zurückreichenden Tradition der Verehrung des einen Gottes allein,

21 Bernhard Lang, Die Jahwe-allein-Bewegung, in: ders. (Hrsg.), Der einzige Gott. Die Geburt des biblischen Monotheismus, München 1981, S. 47–83; vgl. auch die englische Fassung „The Yahweh-alone-movement and the making of Jewish monotheism“, in: ders., Monotheism and the Prophetic Minority, Sheffield 1983, S. 13–59. 22 Vgl. den von Ernst Haag herausgegebenen Tagungsband: Gott, der einzige. Zur Entstehung des Monotheismus in Israel (Quaestiones disputatae 104), Freiburg 1985.

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einer Tradition, in die die großen heilsgeschichtlichen Themen des Alten Testaments organisch integriert werden konnten. Lang zwang die alttestamentliche Wissenschaft, gleichsam der konkreten, politischen, interessegeleiteten Unterseite der Geschichte des Gottesglaubens in Israel ins Gesicht zu sehen, methodisch formuliert: Soziologie und Ideologiekritik als Analyseinstrumentarien in die Exegese aufzunehmen. Ich vermute, dass die Zunft mit dieser Herausforderung damals schlicht überfordert war. Im Bild gesprochen: Lang bot Früchte vom Baum der Erkenntnis an, aber Adam weigerte sich, sie anzunehmen. Stattdessen, das merke ich in Klammern an, gab es einige Evas, die ab der Mitte der 1980er Jahre auf seine Thesen aufmerksam wurden und sie in die beginnende feministische Debatte um die verlorenen, verdrängten und wiederzugewinnenden weiblichen Gottheiten einzuspeisen begannen.

Allerdings wurde von Seiten der Alttestamentler auch eine aus meiner Sicht berechtigte

Sorge artikuliert: Während in der katholischen Theologie die Einsicht zu wachsen begann, dass das Alte Testament als Heilige Schrift auch des Judentums in der Kirche neu gewürdigt werden muss, forderten die Thesen Langs eine ideologiekritische Analyse des Alten Testaments, die solchen theologischen Erneuerungsbemühungen den Boden unter den Füßen wegzuziehen schien. Heute, drei Jahrzehnte später, ist das „gegessen“: Die katholische alttestamentliche Wissenschaft beteiligt sich intensiv und kontrovers an der Debatte über Entstehung und Folgen des Monotheismus einschließlich der damit verbundenen Gewaltfrage. Zugleich drängt sie auf historische Differenzierungen insbesondere im Blick auf das Verhältnis von Christentum und Judentum.

Lang selbst ist in der Folgezeit immer wieder auf das Thema des biblischen Monotheismus

zurückgekommen. Die Grundstrukturen /S. 39:/ seiner Position hat er in mehreren Einzelstudien und Zusammenfassungen, zum Beispiel im Neuen Bibel-Lexikon oder im Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, weiterentwickelt und präzisiert – ich nenne die Stichworte minoritäre Prophetenbewegung als Träger eines neuen Gotteskonzepts, krisenbedingte temporäre Monolatrien Jahwes, die perpetuiert werden; Unterscheidung zwischen monarchischem und absoluten Monotheismus; Konstellation „zweier Götter“ im Frühjudentum als Verstehensmodell für die Christologie.23 Von „Frau Weisheit“ zur „Israelite Goddess“ und zum „Lord of Wisdom“ Die ersten wissenschaftlichen Publikationen Langs aus den 1970er Jahren kreisen um Themen der alttestamentlichen Weisheit. Gleich in seiner ersten Arbeit hat er eine biblische Text-Gattung entdeckt und beschrieben, die weisheitliche Lehrrede.24 Er hat einen Kurzkommentar zu zwei weisheitlichen Schriften vorgelegt, dem Buch der Sprüche und dem Buch Jesus Sirach.25 In seiner Dissertation von 1975 versucht er, die literarische Figur der Frau Weisheit im Buch der Sprüche als jene poetisch-rhetorische Personifikation zu verstehen, mit welcher der Lehrer der Jerusalemer Schreiberschule seinen Schülern die Bildung, die er vermittelt,

23 Vgl. die Artikel von Bernhard Lang, „Monotheismus“, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Stuttgart 1998, Bd. IV, S. 148–165; und in: Neues Bibel-Lexikon, Zürich 1995, Bd. 2, Sp. 834–844. Vgl. noch die Weiterführungen etwa in ders., Der monarchische Monotheismus und die Konstellation zweier Götter im Frühjudentum, in: Walter Dietrich u.a. (Hrsg.), Ein Gott allein? (Orbis Biblicus et Orientalis 139), Fribourg 1994, S. 559–564 und B. Lang, Der eine Gott im Weltbild der Bibel. Ein Versuch, den Monotheismus zu verstehen, in: Andreas Hölscher u.a. (Hrsg.), Glauben in Welt, Berlin 1999, S. 9–28. 24 Bernhard Lang, Die weisheitliche Lehrrede (Stuttgarter Bibelstudien 54), Stuttgart 1972. 25 Bernhard Lang, Anweisungen gegen die Torheit. Sprichwörter – Jesus Sirach (Stuttgarter kleiner Kommentar zum Alten Testament 19), Stuttgart 1973. Dazu tritt die zu einer kleinen Monographie ausgebaute Antrittsvorlesung über das Buch Kohelet: ders., Ist der Mensch hilflos? (Theologische Meditationen 53, hrsg. von Hans Küng), Zürich 1979.

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schmackhaft mache.26 Emphatisch heißt es bei Lang: „Frau Weisheit ist keinesfalls als ‚Göttin’ zu bezeichnen. Sie ist /S. 40:/ eine didaktische Hilfskonstruktion, die auf den Schüler Eindruck machen soll; sie ist nichts anderes als eben ein Requisit der didaktischen Poesie.“27

Unter dem Eindruck seiner Monotheismus-Studien hat er diese Einschätzung wenige Jahre später grundlegend revidiert. In seinem bahnbrechenden Aufsatz zur Jahwe-Allein-Bewegung wird die Weisheitsgestalt nun unumwunden zu einer altisraelitischen Göttin: „Die Weisheit ist die Göttin der Schule und des Unterrichtswesens, genauer gesagt: der Schreiberausbildung … Zur Schulgöttin soll der Schüler – jedenfalls nach Meinung der Lehrer – ein ausgesprochen inniges und persönliches Verhältnis haben.“28 Die hier nur in knappen Sätzen skizzierte Neudeutung findet sich in erweiterter Form in der englischen Fassung seiner Dissertation, in deren Untertitel bereits anklingt, dass sie durchgehend umgeschrieben wurde: Wisdom and the Book of Proverbs – an Israelite Goddess redefined, erschienen 1986.29 Lang hält darin an der Datierung der Lehrgedichte über die Weisheit in die Königszeit Israels fest, bettet sie aber nun in das Bild eines polytheistischen Israel ein und vergleicht Ort und Funktion der israelitischen Schreibergöttin mit der sumerischen Schulgöttin Nisaba, der „Herrin der Wissenschaft“.30 Als „kleine“ Göttin tangiert sie die Machtsphäre anderer Gottheiten, vor allem auch des im Jerusalemer Tempel verehrten Nationalgottes, kaum; für die Schüler der Schreiberschule aber bietet sie sich als Gottheit der persönlichen Frömmigkeit in idealer Weise an. In nachexilischer Zeit dann hätte es die Auffassung der Weisheitsfigur als poetischer Personifikation ermöglicht, die Lehrgedichte in den sich durchsetzenden Monotheismus Israels einzubeziehen. Nicht die Texte mussten geändert werden, sondern eine veränderte Rezeption war ausreichend.31 Hier wird ein hermeneutisches Prinzip deutlich, das Lang selbst praktiziert bzw. seinen Lesern und Leserin- /S. 41:/ nen nahelegt: Unter einem neuen Rezeptionsperspektive gewinnen die gleichen Dinge ein neues und andersartiges Profil.

Ein weiteres neues Raster, in dem sich Frau Weisheit bzw. die Weisheitsgöttin noch einmal modifiziert darstellt, entwickelt Bernhard Lang in seiner 2002 publizierten Monographie Jahwe der biblische Gott. Ein Porträt.32 Diese Studie verfolgt ebenfalls ein religionsgeschichtliches Interesse; die Studie zielt nicht mehr auf die Rekonstruktion der Prozesse, die zum biblischen Monotheismus führten, sondern sucht die Rollen und Funktionen zu systematisieren, in denen der biblische Gott in den Texten des Alten Testaments erscheint. Diese Suche erfolgt aber wiederum nicht im Stil einer gesamtbiblischen Theologie, sondern auf den Spuren des „Älteren Testaments“, wie Lang mit Margaret Barker sagt, d.h. als Rückführung der erhobenen Rollen und Funktionen des biblischen Gottes auf ein archaisches Grundmuster, das er hinter den Texten und durch sie hindurch zu fassen sucht. Den drei gesellschaftlichen Funktionen des Lehrstandes, Wehrstandes und Nährstandes entsprechen drei Funktionen in der Götterwelt, die man auf die drei Begriffe Weisheit, Waffe, Wohlstand bringen kann. Dementsprechend lässt sich der biblische Gott als „Herr der drei Gaben“ charakterisieren. Als „Herr des Krieges“ etwa wird er unmissverständlich im Moselied Exodus 15 bezeichnet und in den Erzählungen des Josuabuches vorausgesetzt. Als „Herrn des guten Lebens“, des Landbesitzes und der Nachkommenschaft, sehen 26 Lang, Frau Weisheit. 27 Lang, Frau Weisheit, S. 270. 28 Lang (Hrsg.), Der einzige Gott, S. 80. 29 Bernhard Lang, Wisdom and the Book of Proverbs – an Israelite Goddess Redefined, New York 1986. 30 Lang (Hrsg.), Der einzige Gott, 80; ders., Wisdom and the Book of Proverbs, S. 129. 31 Lang, Wisdom and the Book of Proverbs, S. 5. 32 Bernhard Lang, Jahwe der biblische Gott. Ein Porträt, München 2002; gleichzeitigauch in englischer Sprache erschienen: ders., The Hebrew God. Portrait of an Ancient Deity, New Haven 2002. Vgl. die Kurzzusammenfassung der Arbeit durch Lang selbst: The Hebrew God: A Very Short Summary, in: ders., Hebrew Life and Literature, S. 13–28.

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beispielsweise die Erzelterngeschichten der Genesis den biblischen Gott. Das Buch der Sprüche zeigt den Gott Israels in exemplarischer Weise als „Herrn der Weisheit“: Er hat die Welt schöpferisch geordnet, während die Weisheitsgöttin vor ihm spielte, und deshalb kann sie den Staatsbeamten Einsicht in die göttlich grundgelegten Ordnungen der Welt vermitteln, damit sie sich daran orientieren – denn nur so sind Recht und Gerechtigkeit gewährleistet.33

/S. 42:/ Lang entnimmt die fonction tripartite – die er als Gliederungsprinzip auch seiner

Aufsatzsammlung Hebrew Life and Literature zugrunde legt – dem Werk des französischen Religionshistorikers Georges Dumézil. Dieser glaubte, damit ein spezifisch indogermanisches Ordnungsmuster der Gesellschaft und entsprechend für die Götterwelt gefunden zu haben. Für Lang besteht der Charme des Bezugs auf Dumézil deshalb in einem doppelten Effekt. Auf der einen Seite erhält er mit Dumézils Theorie einen Ansatz, mit dem sich die bunte Fülle der Rollen, Funktionen und Anrufungen des biblischen Gottes in ein griffiges Muster bringen lässt und so manche dunkel scheinenden biblischen Passagen in überraschend neuem Licht erscheinen. Auf der anderen Seite aber kann er Dumézils Theorie aus einer historisch und ideologiekritisch nicht unproblematischen Engführung auf „das Indoeuropäische“ herausholen und über ein gemeinsames kulturelles Stratum des gesamten europäisch-vorderasiatischen Raumes nachdenken.34 Man spürt die Freude Langs, den für ihn stimmigen hermeneutischen Schlüssel gefunden zu haben, wenn er festhält: „Nur auf der Grundlage bestimmter Methoden lassen sich wichtige Fragen stellen und befriedigende Antworten finden sowie entscheidende Zusammenhänge aufdecken, die sonst verborgen blieben. Das wissenschaftliche Vorgehen mit seiner einschränkenden Sicht [im englischen Text steht hier: reductionism!] vermag zwar nicht immer die ganze Vielfalt des Lebens und der Geschichte einzufangen, doch dieser Nachteil zahlt sich in klarer Erkenntnis aus. Dem Verlust an Detail steht ein Gewinn an Klarheit und Verstehen gegenüber.“35 Neue Methoden für das Verstehen der Bibel „Nur auf der Grundlage bestimmter Methoden lassen sich wichtige Fragen stellen und befriedigende Antworten finden sowie entscheidende Zusammenhänge aufdecken, die sonst verborgen blieben“ – man könnte den wissenschaftlichen Weg von Bernhard Lang gut und gern rekonstruieren als Weg des Experimentierens mit immer neuen Methoden, von denen er sich jeweils befriedigende Antworten und das /S. 43:/ Aufdecken entscheidender Zusammenhänge verspricht. Begonnen hat er als klassischer historisch-kritisch arbeitender Exeget, wenn auch mit ungewöhnlich breiten Kompetenzen in Nachbardisziplinen wie Altorientalistik, Ägyptologie und biblischer Archäologie. Auch seine Habilitationsschrift zum Propheten Ezechiel, entstanden während eines Studienaufenthaltes 1975/76 in Paris, bleibt in den Spuren der historischen Kritik, wenn sie der Frage nach den Allegorien des Ezechielbuches nachgeht, vorsichtige literarkritische Schnitte gegen Theorien breitflächiger Fortschreibungen des Buches setzt und das Profil des Propheten als Seelsorger unter den Exilierten gründlich revidiert, indem ein dezidiert politisches Agieren Ezechiels von Babylon aus gegen die Partei der Aufstandswilligen in Jerusalem plausibel gemacht wird.

Zurück in Tübingen als Professor für Frühjudentum beginnt Bernhard Lang ab 1978 aber

dann intensive Studien der Soziologie, insbesondere auch der Religionssoziologie Max Webers, von der er sich neue Kategorien für die exegetische Arbeit verspricht. Die erste Fassung seiner sonst ganz auf der Linie der historischen Kritik bleibenden Einführung in die

33 Vgl. Lang, Jahwe der biblische Gott, S. 42–44. 34 Die noch weiter gehende Überlegung zu einem geradezu archetypischen Muster (Jahwe der biblische Gott, S. 18) scheint mir vorerst fraglich; sie müsste sicher historisch und empirisch genauer überprüft werden. 35 Lang, Jahwe der biblische Gott, S. 11. Vgl. ders., The Hebrew God, S. x.

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kritische Lektüre der Bibel, die den schönen Titel trägt Ein Buch wie kein anderes und 1980 erschien, lässt davon bereits erste Früchte erkennen, wenn etwa im Rahmen des Abrisses über die Entstehung der jüdischen Bibel von einer Phase der Buchreligion vor der eigentlichen Kanonbildung gesprochen wird.36

Während einer Gastprofessur 1980 an der Freien Universität Berlin lernt Lang den

Ethnologen Fritz Kramer kennen. Sofort ist er fasziniert von den Möglichkeiten, die diese Disziplin für die Exegese bietet, zumal Ethnologinnen wie Mary Douglas ihre Theorien ja ihrerseits an der Bibel erprobt haben. Er lässt sich für das Studienjahr 1981/2 beurlauben und verbringt es an der London School of Economics, um dort systematisch Sozialanthropologie, die britische Variante der Ethnologie, zu studieren. Er nimmt Kontakt auf zu John Rogerson, einem der Alttestamentler am biblischen Institut in Sheffield, der bereits Publi- /S. 44:/ kationen zu ethnologischer Bibelauslegung vorgelegt hatte. Es entstehen erste kleine Studien zur Sozialgeschichte Israels, zu Max Webers Sicht der israelitischen Propheten und zu ethnologischen Interpretationen der Bibel.37 Zwei Reader folgen 1984 und 1985 – Bernhard Lang ist inzwischen Lehrstuhlinhaber in Mainz – , die seine neuen Interessen dokumentieren und in die Exegese hinein vermitteln wollen, ein Band zu kultischen Ritualen in Buchreligionen und eine Sammlung von Beiträgen unter dem Oberthema Anthropological Approaches to the Old Testament.38

Langs Hinwendung zu neuen Methodenfrüchten vom Baum der Erkenntnis kann sicherlich

auf der Linie einer generellen Entwicklung in der Bibelwissenschaft gesehen werden, dem Ende der historischen Kritik als exegetischer Leitmethode seit den 1980er Jahren und der Rezeption neuer Ansätze aus den Sprach- und Literaturwissenschaften sowie den Sozialwissenschaften, aber auch einer neuen Sensibilität für Kontexte derer, die die biblischen Texte lesen und benutzen. Dadurch wird nicht nur im Rahmen theologischer Institutionen der wissenschaftliche Umgang mit der Bibel pluraler. Zugleich kommt methodisch in den Blick, dass die Bibel. auch außerhalb kirchlicher Gemeinschaften breit rezipiert, als kultureller Klassiker ernst zu nehmen ist. In einer Neuausgabe seines Lehrbuchs zur Bibel von 1990 hat Lang solche Entwicklungen für seine Studierenden knapp skizziert.39

Für ihn selbst aber ist die neue methodologische Konzentration auch verbunden mit einem

einschneidenden Moment seiner Bio- /S. 45:/ graphie.40 Als junger Tübinger Professor war er willens und bereit, die theologischen und kirchlich-praktischen Aufbrüche des Zweiten Vatikanischen Konzils im Rahmen einer katholisch-theologischen Fakultät aufzugreifen und mit zu gestalten. In der Einführung von Ein Buch wie kein anderes spricht er davon, dass nach seiner Überzeugung die Bibelwissenschaft zu einem „informierten Glauben“ verhelfe. Als Bild für die Auffassung, die der Beschäftigung mit der Bibel angemessen sei, sieht er die Plastik des lesenden Klosterschülers von Ernst Barlach: Dieser hält das aufgeschlagene Buch auf seinem Schoß, liest aber nicht mehr, sondern denkt darüber nach, bevor er aufsteht, um zu

36 Bernhard Lang, Ein Buch wie kein anderes. Einführung in die kritische Lektüre der Bibel, Kevelaer 1980, S. 16–20. 37 Bernhard Lang, Sklaven und Unfreie im Buch Amos, in: Vetus Testamentum 31 (1981) S. 482–488; ders., The Social Organization of Peasant Poverty in Biblical Israel, in: Journal fort he Study of the Old Testament 24 (1982), S. 47–63; ders., Spione im Gelobten Land: Ethnologen als Leser des Alten Testaments, in: E. W. Müller (Hrsg.), Ethnologie als Sozialwissenschaft, Opladen 1984, S. 158–177. 38 Bernhard Lang (Hrsg.), Das tanzende Wort. Intellektuelle Rituale im Religionsvergleich, München 1984; ders. (Hrsg.), Anthropological Approaches to the Old Testament, Philadelphia 1985. 39 Bernhard Lang, Die Bibel, Paderborn 1990, S. 238–240; 2. Auflage, Paderborn 1994, S. 252–254. Vgl. auch in der 2. Auflage S. 219–232 speziell zu psychologischen Ansätzen. 40 Vgl. Bernhard Lang, Biblical Studies as a Vocation, S. 5.

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handeln.41 Schon vorher, während seines Studienaufenthaltes in Paris, war ein Bändchen mit Gebetstexten entstanden, die neue Formen einer auch liturgisch verwendbaren Sprache erproben.42 Der dritte Teil des Lehrbuchs, in dem Lang die theologischen Aufbrüche der katholischen Kirche und ihre Öffnung für die kritische Bibelwissenschaft darstellt, trägt den Untertitel „Die Bibel als Buch der modernen Kirche“.43 Offensichtlich war Bernhard Lang damals von dem Optimismus getragen, dass die Kirche die Moderne erreicht hat bzw. die Anliegen der Moderne in der Kirche Gehör gefunden hatten.

In den Wintermonaten 1979/80 aber kam es zu einem Bruch in der Tübinger Katholisch-

Theologischen Fakultät, als ihrem renommierten Mitglied Hans Küng wegen seiner theolo-gischen Kritik der päpstlichen Unfehlbarkeit und seiner Reformulierung der Christologie die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde. Nach anfänglicher Einmütigkeit der Kollegen, seinen Verbleib in der Fakultät zu ermöglichen, gingen Anfang Februar 1980 sieben Professoren und damit die Mehrheit des Kollegiums mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit, in der sie sich für einen Ausschluss Küngs aus der Fakultät aussprachen. In diesem Konflikt standen Lang und sein Doktorvater Haag eindeutig auf der Seite Küngs. Für Bernhard Lang wurde dieses Ereignis zum Symbol dafür, dass die Früchte vom Baum der Erkenntnis unter der /S. 46:/ Aufsicht kirchlicher Hirten und Gärtner weiterhin verboten sind bzw. dass das Genießen der Früchte modernen Denkens im Raum der Kirche nach wie vor an harte Grenzen stößt. Das Projekt, trotzdem und weiterhin konstruktiv an einer Erneuerung der Theologie mitzuarbeiten, erschien ihm nun zunehmend aussichtslos. Vielleicht, das merke ich nur kurz an, lässt sich so Langs auffallendes Desinteresse an solchen neueren Zugängen erklären, die eine auf verändernde Praxis bezogene Komponente haben, wie die feministischen oder die befreiungstheologischen Ansätze der Bibelauslegung.

Doch die Bibel bleibt auch jenseits des Raums der römisch-katholischen Kirche ein Buch

wie kein anderes. Sie bleibt ein unschätzbares Dokument für die Religionsgeschichte des Alten Vorderen Orients und für darüber hinausgehende religionsphänomenologische Interessen. Sie bleibt ein Klassiker der Weltliteratur, ein Werk, das die Kulturen zumal Westeuropas und Nordamerikas zutiefst geprägt hat, damit ein Ausgangspunkt für faszinierende Exkursionen in die Kulturgeschichte des Christentums und seiner postchristlichen Erben wie Verächter. Und Deutschland ist nicht der Nabel der Welt: An der Sorbonne in Paris, an Departments of Biblical Studies im angelsächsischen Raum wie St. An-drews oder an der Universität Aarhus in Dänemark wird Langs Art des Arbeitens gerade deshalb geschätzt, weil sie interdisziplinäre Perspektiven einbringt und damit auch die christliche Theologie insgesamt bereichern kann. Kulturgeschichte des Christentums Im Rahmen seiner Mitarbeit am Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, dessen Vorlaufszeit bis in die 70er Jahre zurückreicht, hatte Bernhard Lang Gelegenheit, religionsgeschichtliche und religionswissenschaftliche Ansätze in den von ihm übernommenen Artikeln etwa zu Buchreligion, homo religiosus, Kult, Ritus oder Urreligion zu erproben. Dafür griff er vergleichend auch schon in die Christentumsgeschichte aus. In seinen Mainzer Jahren wird ein Projekt konkreter, das die neu angeeigneten Methoden und Perspektiven weit über die Exegese hinausführen will. Eine Kultur- und Sozialgeschichte der Vorstellungen über das Leben im Jenseits soll entstehen. Mit der amerikanischen Religionshistorikerin Colleen McDannell, die (/S. 47:/ als Fachfrau für das viktorianische 41 Lang, Ein Buch wie kein anderes, S. 6. 42 Bernhard Lang, Gib uns die Sprache wieder. Gebete, Stuttgart 1976. 43 Lang, Ein Buch wie kein anderes, S. 177.

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Nordamerika gleichsam vom anderen Ende der Zeitskala an diesen Fragen arbeitet, schreibt er ein Buch von 400 Seiten, das den schlichten Titel erhält Heaven. A History. 1988 zuerst in den USA erschienen, findet es große öffentliche Aufmerksamkeit und wird mehrfach als Paperback nachgedruckt. Die deutsche Fassung, die Bernhard Lang selbst besorgt, erscheint 1990, für eine Arbeit mit einem theologisch scheinenden Thema ganz ungewöhnlich, bei Suhrkamp, erhält Besprechungen in der Zeit und in der FAZ. Im Jahr 1996 wird das Buch noch einmal bei Insel aufgelegt. In den Folgejahren wird Der Himmel: Eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens ins Spanische (hier zwei Auflagen), Italienische, Niederländische, Japanische und Koreanische übersetzt.44 Ein deutschsprachiges Folgeprojekt ist 2003 das Beck’sche Bändchen zu Himmel und Hölle, das Grundzüge des Jenseitsglaubens von der Antike bis in die Gegenwart knapp zusammenfasst.45

Das glänzend geschriebene Himmelsbuch trifft auf ein Klima erhöhten Interesses an

Fragen eines Jenseits bzw. eines Lebens nach dem Leben. Diesem Interesse kommt entgegen, dass es über Jenseitsvorstellungen so erzählt, dass sich die Leserin oder der Leser angeregt finden, über ihre eigenen Vorstellungen und Sehnsüchte nachzudenken und ein Stück Selbst-Erkenntnis zu betreiben – die Frucht des Baumes gewissermaßen nun für alle. Gleichzeitig wird bewusst, wie stark individuell scheinende Hoffnungen von der biblisch-christlichen Tradition geprägt sind, wie verblüffend analog sie sich aber auch zu den großen gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüchen von der Antike bis zur Moderne verhalten. Denn es ist kein Zufall, dass etwa der Himmel der Renaissance auch sinnliche Züge erhält oder dass in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Emanuel Swedenborg den „Sabbat“ des Himmels mit seiner ewigen Ruhe und der unablässigen Liturgie als gähnende Langeweile empfindet. Als Alternative setzt er /S. 48:/ Liebe, Arbeit und menschliche Geselligkeit als höchste Vollkommenheit dagegen.46 Die Behauptung von Lang und McDannell, „dass der Himmel auch als Schlüssel zum Verständnis der westlichen Kultur dienen kann“ ,47 wird in ihrer Monographie überzeugend eingelöst.

Ein Jahrzehnt nach Erscheinen von Heaven folgt ein ähnlich ambitioniertes und im

Ergebnis noch umfangreicheres Projekt, das Bernhard Lang diesmal allein realisiert hat, eine Geschichte des christlichen Gottesdienstes.48 Im Aufriss dieses Buches erkennt man jene Weise des strukturierenden Zugriffs, die Langs Ideal einer Religions- und Kulturgeschichte entsprechen dürfte und die sich auch im Porträt des biblischen Gottes sowie in seiner 2009 erschienenen Monographie zur frühneuzeitlichen Rezeption der biblischen Josephsgeschichte49 wiederfindet: ich meine, wie schon oben erwähnt, die Reduktion der Phänomene in ihrer verwirrenden Vielfalt auf wenige Grundformen, von denen her die Vielfalt strukturiert beschrieben und zugeordnet werden kann. Lang sieht das heilige Spiel des christlichen Gottesdienstes als Verwebung von sechs solcher Grundgestalten, Lobpreis, Bittgebet, Predigt, Opfer, Sakrament und geistliche Ekstase. Er verfolgt diese Grundgestalten in ihren phänomenologisch unterschiedlichen Ausprägungen in Geschichte und Gegenwart sowie in ihrer Herkunft aus der vor- und außerchristlichen Antike. Das letzte Kapitel entdeckt noch einmal eine quer dazu liegende strukturelle Formel, indem es im Kult zwei gegenläufige 44 Colleen McDannell und Bernhard Lang, Heaven. A History. New Haven 1988; deutsche Ausgabe: Der Himmel. Eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens, Frankfurt 1990. Für weitere Nachweise vgl. International Review of Biblical Studies 56 (2010–2011), Nr. 11*. 45 Bernhard Lang, Himmel und Hölle. Jenseitsglaube von der Antike bis heute, München 2003; 2. Auflage 2009. 46 Vgl. das Swedenborgkapitel in: Lang und McDannell, Der Himmel, S. 246–305. 47 Lang und McDannell, Der Himmel, S. 15. 48 Bernhard Lang, Sacred Games. A History of Christina Worship, New Haven 1997; deutsch: Heiliges Spiel. Eine Geschichte des christlichen Gottesdienstes, München 1998 (in beiden Ausgaben jeweils mehr als 500 großformatige Seiten). 49 Bernhard Lang, Joseph in Egypt. A Cultural Icon From Grotius to Goethe, New Haven 2009.

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Vorstellungen von der Beziehung zwischen Gott und Mensch realisiert sieht – die des fernen, majestätischen Königs und die des liebenden mütterlichen Vaters. In den allerletzten Sätzen des Buches finde ich eine prägnante Zusammenfassung dessen, was den Autor treibt: „Wir mögen historische Quellen untersuchen, vergleichende Religionswissenschaft betreiben, Psychologie und Kunst befragen – immer finden wir unser eigenes Gesicht, unsere /S. 49:/ eigene Seele, unsere eigene Kultur, kurz: uns selbst im Mittelpunkt des heiligen Spiels.“50 Eugen Drewermann Im Studienjahr 1992/3 vertrat Bernhard Lang an der Sorbonne den Religionshistoriker Michel Meslin, der in dieser Zeit als Präsident der Université de Paris IV amtierte. In Frankreich waren soeben die ersten Übersetzungen von Werken des in Deutschland schon bekannten und kontrovers diskutierten Paderborner Theologen und Tiefenpsychologen Eugen Drewermann erschienen.51 Man bat Bernhard Lang, eine Sondervorlesung zu Drewermann anzubieten. Lang, der im Büro von Michel Meslin mit Blick auf eine Bücherwand mit den Werken des großen Religionshistorikers Mircea Eliade arbeitete, entdeckte auffallende Parallelen zwischen dem deutschen und dem rumänisch-französischen Wissenschaftler, nicht zuletzt auch den Rekurs beider auf archaische Strukturen, der eine in den Religionen der Menschheit, der andere in der menschlichen Seele. Es entstand das literarische Porträt Drewermanns als eines Romantikers, verbunden mit einer luziden Einführung in dessen Ansatz der tiefenpsychologischen Bibellektüre am Beispiel der Paradiesgeschichte in Genesis 2–3 und der Kindheitsgeschichten Jesu im Lukasevangelium.52 Als kritische Antwort Langs auf die kirchenamtliche Verurteilung Drewermanns lese ich insbesondere seinen Verweis auf die Stellungnahme der päpstlichen Bibelkommission von 1993, die die psychologische Bibelauslegung explizit würdigt, und seine Ausführungen zum sogenannten vierfachen Schriftsinn, mit dem die Kirche von Anfang an eine Vielfalt der Deutungsmöglichkeiten biblischer Texte eingeräumt hat.

Bernhard Lang, der psychologische Zugänge zur Bibel, insbesondere Hjalmar Sundéns

Rollenpsychologie, schon im Rahmen seiner /S. 50:/ Prophetieforschungen aufgenommen hatte,53 wäre nicht Bernhard Lang, wenn er sich nicht auch die Tiefenpsychologie als neue Frucht am Baum der Erkenntnis einverleibt hätte. So wird, um nur ein sprechendes Beispiel zu nennen, Frau Weisheit ein weiteres Mal transformiert: aus dem didaktischen Hilfsmittel und der Göttin der altisraelitischen Beamtenschule wird nun eine Anima-Gestalt.54 Dass sich damit die Göttin Weisheit unumwunden als eine Göttin für Männer bzw. als männlicher Archetyp präsentiert, ist ihm nicht entgangen – und wäre von einer gendersensiblen Exegese weiter zu explorieren! Peter Eicher Wenn es einen Kollegen in Paderborn gab, mit dem Bernhard Lang eine lange Freundschaft verbindet, dann ist das Peter Eicher. Auf den ersten Blick fällt es schwer zu verstehen, was Eicher, den quirligen Charismatiker, mit Lang, dem eher öffentlichkeitsscheuen Liebhaber der Bibliotheken und Archive, verbindet. Eine Gemeinsamkeit jedoch, die man dann schnell 50 Lang, Heiliges Spiel, S. 488. 51 Eugen Drewremann, La parole qui guérit, Paris 1991; ders., De la naissance des Dieux à la naissance du Christ, Paris 1992 52 Bernhard Lang, Drewermann, interprète de la Bible, Paris 1994; ders., Die Bibel neu entdecken. Drewermann als Leser der Bibel, München 1995. 53 Vgl. Bernhard Lang, Wie wird man Prophet in Israel?, Düsseldorf 1980, S. 11–58. 54 Bernhard Lang, Lady Wisdom: Poetry, Polytheism, and Psychology: A Pilgrim’s Process, in: ders., Hebrew Life and Literature, S. 165–183.

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entdecken kann, ist die Lust am Essen vom Baum der Erkenntnis oder, weniger metaphorisch formuliert, die ungeheuere Dynamik, mit der beide auf je neue Themen und Probleme zugehen, um sie sich anzueignen. In zahllosen Tischgesprächen wurden die Früchte der Arbeit ausgetauscht. Ein sichtbares Ergebnis der fruchtbaren Kommunikation ist die Neuausgabe des Handbuchs theologischer Grundbegriffe, die Peter Eicher 2005 herausgebracht hat. Zahlreiche Beiträge aus bibel- oder religionswissenschaftlicher Perspektive darin stammen von Bernhard Lang, dem dieses renommierte Werk die Möglichkeit bot, an prominenter Stelle seine Positionen etwa zu „Himmel“ und „Hölle“, „Engel“ und „Teufel“, „Opfer“ und „Sakrament“, „Prophetie“ und „Gebet“, aber auch „Arbeit“ und „Fremde“ in lexikalisch-geraffter Form vorzutragen.

/S. 51:/ Die jüngste Monographie, die Bernhard Lang geschrieben hat, ist denn auch Peter

Eicher gewidmet.55 Unter dem Titel „Jesus der Hund“ handelt sie von Jesus als jüdischem Kyniker. Damit greift Lang ein Motiv auf, das Peter Eicher seit vielen Jahren begleitet und das dieser selbst als eine ihn faszinierende Ähnlichkeit zwischen Jesus und Buddha beschreiben würde. Naturzugewandtheit, Bedürfnislosigkeit und Gewaltverzicht etwa sind ja charakteristisch für das Bild Jesu, wie es insbesondere die Bergpredigt zeichnet. Bernhard Lang arbeitet diese Parallelen so auf, dass sie vermittelt über die kynische Philosophie auch historisch mögliche Konturen erhalten. Unter seinem Zugriff wird aus Jesus ein Mann, der ein „zitathaftes Leben“ in der Nachfolge des Gottesmannes und Schamanen Elija führt und zugleich als Intellektueller im präzisen soziologischen Wortsinn in den Spuren eines jüdischen Kynismus begriffen werden kann. Jesus der Jude – ja, aber nicht ein Jude im Bild des im jüdisch-christlichen Dialog normativ gewordenen rabbinischen Judentums, sondern ein Jude, der das Wilde, Archaische seiner Tradition verbindet mit den neuen Herausforderungen durch die hellenistische Welt. Neue Früchte vom Baum der Erkenntnis, die sicher nicht allen schmecken werden. Bernhard Lang – ein Querdenker, der sich treu bleibt!

55 Bernhard Lang, Jesus der Hund. Leben und Lehre eines jüdischen Kynikers, München 2010; für die Widmung an Peter Eicher vgl. dort S. 233.

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Der Autor /S. 52/ Bernhard Lang, geb. 1946 in Stuttgart, studierte in Tübingen, Münster, Jerusalem (Ecole biblique), Paris (Collège de France) und London (London School of Economics). Nach der theologischen Promotion in Tübingen (1975) wurde er in Freiburg habilitiert (1977). Von 1985 bis zum Sommersemester 2011 war er Professor für Katholische Theologie (Altes Testament und Religionswissenschaft) an der Universität Paderborn. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Besondere Aufmerksamkeit erlangten Der Himmel. Eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens (mit Colleen McDannell, 1990; zahlreiche Übersetzungen); Heiliges Spiel. Eine Geschichte des christlichen Gottesdienstes (1998); Jahwe der biblische Gott. Ein Porträt (2002); Joseph in Egypt: A Cultural Icon from Grotius to Goethe (2009) und Jesus der Hund. Leben und Lehre eines jüdischen Kynikers (2010). Zuletzt erschienen Meeting in Heaven: Modernising the Christian Afterlife, 1600–2000 (2011) und die Aufsatzsammlung Buch der Kriege – Buch des Himmels. Kleine Schriften zur Exegese und Theologie (2011). Eine Bibliographie seiner Schriften findet sich im International Review of Biblical Studies 56 (2009–2010), S. 509–540. Unter den akademischen Ehren, die Lang für sein wissenschaftliches Werk erhielt, sind zu erwähnen: Ernennung zum Honorary Member der Society for Old Testament Study (1997), zum Honorary Professor of Divinity der University of St. Andrews, Schottland (2003), zum Dr. theol. h.c. der Universität Aarhus, Dänemark (2008) sowie zum Honorarprofessor der Theologischen Fakultät der Universität Aarhus (2010).