Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur klösterlicher Grundherrschaft im Frühmittelalter im...

42
Studien zu Spätantike und Frühmittelalter 8 Infrastruktur und Distribution zwischen Antike und Mittelalter Tagungsbeiträge der Arbeitsgemeinschaft Spätantike und Frühmittelalter 8 Herausgegeben von Christian Later, Michaela Helmbrecht und Ursina Jecklin-Tischhauser Verlag Dr. Kovač

Transcript of Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur klösterlicher Grundherrschaft im Frühmittelalter im...

Late

r/H

elm

brec

ht/

Jeck

lin-T

isch

haus

er (

Hrs

g.)

Infr

astr

uktu

r un

d D

istr

ibut

ion

zwis

chen

Ant

ike

und

Mit

tela

lter Studien zu Spätantike und Frühmittelalter 8

Infrastruktur und Distributionzwischen Antike und Mittelalter

Tagungsbeiträge der ArbeitsgemeinschaftSpätantike und Frühmittelalter 8

Herausgegeben von

Christian Later, Michaela Helmbrechtund Ursina Jecklin-Tischhauser

Verlag Dr. Kovač

Die Spätantike und das Frühmittelalter sind Zeiten des politi-schen, religiösen, soziokulturellen und ökonomischen Umbruchs. Deshalb stellen Fragen zur Transformation der klassischen Anti-ke in eine frühmittelalterliche Lebenswelt Archäologie und Ge-schichtswissenschaften vor eine besondere Herausforderung. Die Thematik „Infrastruktur und Distributionssysteme“ lässt Brüche, aber auch Kontinuitäten zwischen diesen beiden auf den ersten Blick so unterschiedlichen Epochen hervortreten.

Der achte Band aus der Reihe „Studien zu Spätantike und Früh-mittelalter“ mit den Beiträgen der achten Sitzung der „AG Spätantike und Frühmittelalter“ widmet sich in elf Aufsätzen aktuellen Untersuchungen zur städtischen, klösterlichen und herrschaftlichen Infrastruktur, zum Verkehrs-, Reise- und Bau-wesen, zur Rohstoffgewinnung und Produktion sowie zum Gü-tertransport und unterschiedlich organisierten Distributions-systemen. Der räumliche und zeitliche Rahmen erstreckt sich von Skandinavien über das zentrale Mitteleuropa bis an die kroatische Adriaküste zwischen dem 1. und dem 9. nachchrist-lichen Jahrhundert. Der Band illustriert eindrücklich das breite Spektrum an Fragen, welche derzeit die moderne Archäologie und ihre Nachbarfächer beschäftigen und mit welchen Herange-hensweisen und Methoden Antworten gesucht, aber auch neue Fragestellungen generiert werden.

ISBN 978-3-8300-7899-9

SAFM8

Inhalt

Vorwort 1

Irmtraut Heitmeier Verkehrsorganisation und Infrastruktur an alpinen Passstraßen im frühen Mittelalter 7

Christian LaterSiedlungsarchäologische Beobachtungen zur systematischen Erschließung einer Durchgangsregion in der jüngeren Merowinger- und Karolingerzeit am Beispiel des Altmühltals 37

Lukas Werther unter Mitarbeit verschiedener AutorenDer Karlsgraben und die Überwindung der europäischen Hauptwasserscheide. Kulturlandschaft und Infrastruktur im Umfeld eines frühmittelalterlichen Großbauprojektes 83

Maren SiegmannEine steinerne Brücke und ein genagelter Schuh … Das rechtsrheinische Rheinknie von der Spätantike bis zum Jahr 700 97

Martin AllemannNeue Ergebnisse zur Produktion und Verteilung der Ziegel der Legio I Martia 129

Carolin Haase, Lukas Werther, Andreas Wunschel Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur klösterlicher Grund-herrschaft im Frühmittelalter im Spannungsfeld ausgewählter historischer und archäologischer Quellen 151

Lutz Grunwald Produktion und Warendistribution der Mayener Ware in spätrömischer und frühmittelalterlicher Zeit 191

SAFM 8_04022015_korr.indd 1 04.02.2015 16:25:28

Elena KöstnerRekonstruktion administrativer Organisationsformen über wirtschaftliche Strukturen im „ager publicus“ zwischen Vinxtbach und Nahe am Mittelrhein (Germania superior bzw. prima) 209

Doris Gutsmiedl-Schümann Akteure in überregionalen Beziehungen Westskandinaviens: Zur Aussage von Grabfunden mit Metallgefäßen der Jüngeren Römischen Kaiserzeit 229

Roland PrienStädtische Infrastruktur in Spätantike und Frühmittelalter – Perspektiven der Forschung 247

Vinka BubićThe Construction of Diocletian’s Aqueduct in Late Antiquity and its Landscaping Today 259

SAFM 8_04022015_korr.indd 2 04.02.2015 16:25:28

Carolin Haase, Lukas Werther, Andreas Wunschel

Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur klösterlicher Grundherrschaft im Frühmittelalter im Spannungsfeld ausgewählter historischer und archäologischer Quellen

Schlagwörter: Grundherrschaft, Karolingerzeit, Klöster, Güterdistribution, Verkehrs-infrastruktur, Urbar, archäologische Quellen

Keywords: Manorialism, Carolingian period, monasteries, goods distribution, transport infrastructure, urbarium/manorial roll, archaelogical sources

Seit 2012 widmet sich das Schwerpunktprogramm 1630 der DFG der Erfor-schung von „Häfen von der Römischen Kaiserzeit bis zum Mittelalter. Zur Ar-chäologie und Geschichte regionaler und überregionaler Verkehrssysteme“1. Häfen sind Schnittstellen lokaler, regionaler und überregionaler Verkehrs-netzwerke zu Land und zu Wasser. Sie ermöglichen das sichere Anlanden von Wasserfahrzeugen, ihre Be- und Entladung, ihre Instandhaltung und Versorgung2. Neben den Seehäfen spielten Binnenhäfen an Flüssen und Seen gerade im Frühmittelalter eine bedeutende Rolle im Verkehrsgefüge. Binnengewässer waren ein entscheidendes Element von Distributionssyste-men unterschiedlicher Reichweite, nicht zuletzt verknüpften sie die südlich-mediterranen und nördlich-skandinavischen Wirtschafts- und Verkehrsräu-me. Ein historisch-archäologisches Teilprojekt des Schwerpunktprogramms setzt sich an der Friedrich-Schiller-Universität Jena mit diesem Themenkom-plex auseinander3. Der folgende Beitrag soll einen Einblick in seine Frage-stellungen und Methoden, die Erkenntnismöglichkeiten der unterschiedli-chen Quellen und die Herausforderungen der Quellenzusammenführung

1 <http://www.spp-haefen.de/>.2 S. Kalmring/C. von Carnap-Bornheim, DFG-Schwerpunktprogramm 1630 „Häfen

von der Römischen Kaiserzeit bis zum Mittelalter. Zur Archäologie und Geschichte regionaler und überregionaler Verkehrssysteme“ bewilligt. Jahresber. Zentrum Balt. u. Skand. Arch. 2011, 28–31.

3 <http://www.spp-haefen.de/de/die-projekte/binnenhaefen-im-fraenkisch-deutschen-reich/>.

SAFM 8_04022015_korr.indd 151 04.02.2015 16:27:30

152 Haase, Werther u. Wunschel152

im Spannungsfeld archäologischer und historischer Überlieferung geben4. Im Zentrum der Ausführungen stehen dabei klösterliche Grundherrschaf-ten. Es wird der Frage nachgegangen, wie Distributionssysteme dieser spe-zifischen Nutzergruppe beschaffen waren und welche Zugangsmöglichkei-ten die verschiedenen Quellen bieten. Ebenfalls untersucht wird, welchen Einfluss klösterliche Grundherrschaften als überregional agierende Organi-sationseinheiten auf Bau und Unterhalt spezifischer Verkehrsinfrastruktur – besonders der Häfen, aber auch der Landwege – ausübten. Dem historischen Teil des Beitrages liegt mit den Urbaren eine spezifische Quellengruppe zu Grunde, aus der das Prümer Urbar als aufschlussreichster Vertreter mit einigen exemplarischen Passagen ausgewählt wurde. Der archäologische Zugang erfolgt über eine modellhafte Betrachtung klösterlicher Distribu-tionssysteme, wobei Einzelaspekte durch ausgewählte Quellen beleuchtet werden. Räumlich und chronologisch konzentrieren sich die Ausführungen auf die Karolingerzeit im fränkischen Reich.

4 Für den historischen Abschnitt „Erkenntnismöglichkeiten historischer Schriftquellen zu Verkehrsinfrastruktur und Güterdistribution frühmittelalterlicher klösterlicher Grundherrschaft am Beispiel ausgewählter Passagen des Prümer Urbars“ zeichnet C. Haase verantwortlich, für den archäologischen Abschnitt „Erkenntnismöglich-keiten ausgewählter archäologischer Quellen zu Verkehrsinfrastruktur und Güter-distribution frühmittelalterlicher klösterlicher Grundherrschaft“ A. Wunschel und L. Werther. Die übrigen Abschnitte wurden gemeinsam verfasst.

SAFM 8_04022015_korr.indd 152 04.02.2015 16:27:30

153Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 153

Erkenntnismöglichkeiten historischer Schriftquellen zu Verkehrsinfrastruktur und Güterdistribution frühmittelalterlicher klösterlicher Grundherrschaft am Beispiel ausgewählter Passagen

des Prümer Urbars (Carolin Haase)5

Angesichts der relativen Quellenarmut des frühen Mittelalters fällt es nicht leicht, für diese Zeit fundierte Aussagen über das Verkehrswesen sowie Ausmaß und Funktionieren von Gütertransporten zu treffen. Vergleichs-weise gute Einblicke in jenen Themenkomplex bieten am ehesten die Über-lieferungen der Klöster als den frühmittelalterlichen Zentren von Schrift-lichkeit. Schließlich handelte es sich bei diesen nicht nur um politische und religiöse Institutionen, sondern zu einem beträchtlichen Teil auch um Wirt-schaftsunternehmen. Aufzeichnungen, die über ihre Wirtschaftstätigkeit informieren, sind gleichzeitig auch Quellen zu frühmittelalterlicher Güter-distribution und Verkehrsinfrastruktur. Hintergrund für diesen Zusam-menhang ist die typische Wirtschaftsweise der Zeit, die Grundherrschaft: Der Grundherr ließ seine Ländereien teilweise durch die abhängigen Bau-ern bewirtschaften, die zu unterschiedlichen Arbeitsdiensten verpflichtet waren. Zur Selbstversorgung erhielten jene Bauern vom Grundherrn Land, auf dessen Erträge dieser in Form von Naturalienabgaben wiederum ein Anrecht hatte. Abgaben und Dienste seiner Bauern stellten auf diese Weise die Versorgung des Grundherrn sicher. Da der Grundbesitz frühmittelalter-licher Klöster oft sehr umfangreich, aber weit verstreut und in aller Regel unzusammenhängend war, war dessen Verwaltung und effiziente Nutzung mit erheblichen logistischen Herausforderungen verbunden. In solch großen Grundherrschaften wurden verschiedene landwirtschaftliche Güter in zum Teil beträchtlichen Mengen erzeugt, die als bäuerliche Abgaben innerhalb des Klosterbesitzes verteilt und zur Nahrungsmittelversorgung der Mönche vielfach über weite Entfernungen transportiert werden mussten. Die Exis-

5 Der folgende Beitrag geht aus der Arbeit an der Dissertation hervor, die Verf. am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena bei Prof. A. Hack im Rahmen des DFG-Projekts „Studien zu den Binnenhäfen im frän-kisch-deutschen Reich als Knotenpunkte europäischer Kommunikationsnetzwerke (500–1250)“ (ein Teilprojekt des SPP 1630 „Häfen von der Römischen Kaiserzeit bis zum Mittelalter. Zur Archäologie und Geschichte regionaler und überregionaler Ver-kehrssysteme“) zum Thema Transportwesen und Binnenschifffahrt in frühmittelal-terlichen Urbaren verfasst.

SAFM 8_04022015_korr.indd 153 04.02.2015 16:27:30

154 Haase, Werther u. Wunschel154

tenz einer adäquaten Verkehrsinfrastruktur war für derartige Gütertrans-porte unabdingbar und ihre Nutzung integraler Bestandteil klösterlichen Wirtschaftens. Es liegt auf der Hand, dass ein dermaßen komplexes System von Transporten unterschiedlichster landwirtschaftlicher Erträge aus ver-schiedenen Regionen einer Grundherrschaft zu verschiedenen Zeiten, in unterschiedlichen Mengen und über stark variierende Distanzen geplant und organisiert werden musste und dass Texte, die über jene Warenströme und ihre Organisation Auskunft geben, unschätzbare Quellen für die Erfor-schung des frühmittelalterlichen Verkehrswesens darstellen.

In erster Linie kommen hierfür die sogenannten Urbare infrage6, und zwar besonders jene von klösterlichen Grundherren7. Sie verzeichnen im Idealfall8 die Besitzbestandteile der Grundherrschaft, die bäuerlichen Ab-gaben und die für den Grundherrn zu leistenden Dienste und lassen damit Rückschlüsse auf die Organisation des Transportwesens in jenen Grund-herrschaften zu. Besonders die Transportdienst-Verpflichtungen sind dabei von Interesse.

Einige ausgewählte Stellen aus dem Prümer Urbar sollen im Folgenden demonstrieren, welche Art von Informationen aus den Urbaren zu erwarten sind, welche Aussagekraft diese haben und welche Erkenntnismöglichkei-ten solche Quellen folglich für die Erforschung von Güterdistribution und

6 Vgl. W. Metz, Zur Geschichte und Kritik der frühmittelalterlichen Güterverzeichnisse Deutschlands. Archiv für Diplomatik 4, 1958, 183–206; D. Hägermann, Anmerkun-gen zum Stand und den Aufgaben frühmittelalterlicher Urbarforschung. Rhein. Vier-teljahrsbl. 50, 1986, 32–58; Ders., Quellenkritische Bemerkungen zu den karolinger-zeitlichen Urbaren und Güterverzeichnissen. In: W. Rösener (Hrsg.), Strukturen der Grundherrschaft im frühen Mittelalter. Veröff. Max-Planck-Inst. Gesch. 92 (Göttingen 1989) 47–73.

7 Als Erläuterung der hier vorgestellten Quellenauswahl sei gesagt, dass es sich bei der vergleichsweise überschaubaren Anzahl überlieferter Urbare aus dem Frühmittelalter größtenteils um Urbare von Klöstern handelt, die gleichzeitig auch die aussagekräf-tigsten zu Fragen nach Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur sind. Sie erschei-nen aus diesem Grund am ehesten geeignet, Aussagemöglichkeiten urbarialer Texte in Bezug auf jene Fragen exemplarisch zu demonstrieren und Kooperationsperspekti-ven zwischen Geschichtswissenschaft und Archäologie aufzuzeigen.

8 Die untersuchten Urbare unterscheiden sich insbesondere in Bezug auf Aussagege-halt und Informationsdichte sehr. Nicht alle Urbare nennen neben den Besitzbestand-teilen auch die Abgaben, nur einige die Dienste. Daher sind auch nicht alle Urbare zum Thema Verkehrsinfrastruktur und Güterdistribution gleich oder überhaupt auf-schlussreich.

SAFM 8_04022015_korr.indd 154 04.02.2015 16:27:30

155Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 155

die Nutzung von Verkehrsinfrastruktur in frühmittelalterlichen Grundherr-schaften eröffnen, aber auch welche Grenzen dieser Quellengattung gesetzt sind.

Die in der Eifel gelegene und 721 als adliges Hauskloster gestiftete Abtei Prüm fiel Mitte des 8. Jahrhunderts an die Karolinger und wurde durch Pip-pin d. J. neu begründet und materiell reich ausgestattet. Sie erhielt im Lau-fe des 9. Jahrhunderts vermehrt Schenkungen von königlicher und adliger Seite und entwickelte sich zu einer wohlhabenden Reichsabtei mit umfang-reichen, jedoch weit verstreuten Gütern vor allem im Gebiet von Mosel und Rhein9. Diese Besitzstruktur spiegelt sich auch in Prüms Urbar10 wider, das Abt Regino nach mehreren Normannenüberfällen samt starker Zerstörung des Klosters als Bestandsaufnahme der damaligen Prümer Besitzungen, Erträge und Rechte, offenbar zur Besitzstandssicherung, 893 anlegen ließ. Heute ist das Urbar nur in einer Abschrift des 13. Jahrhunderts überliefert, die der ehemalige Prümer Abt Caesarius von Milendonk 1222 anfertigte

9 Zur Abtei Prüm, ihrer Besitzstruktur und -geschichte vgl. u. a. M. Knichel, Geschichte der Abtei Prüm bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts. In: J. Mötsch/M. Schoebel (Hrsg.), Eiflia Sacra. Studien zu einer Klosterlandschaft. Quellen u. Abhandl. Mittelrhein. Kirchengesch. 70² (Mainz 1999) 49–77; L. Kuchenbuch, Bäuerliche Gesellschaft und Klosterherrschaft im 9. Jahrhundert. Studien zur Sozialstruktur der Familia der Abtei Prüm. Vierteljahrschr. Sozial- u. Wirtschaftsgesch., Beih. 66 (Wiesbaden 1978).

10 Die maßgebliche Edition des Prümer Urbars samt Faksimile-Ausgabe stammt von I. Schwab (Hrsg.), Das Prümer Urbar. Rhein. Urbare 5 = Ges. Rhein. Geschichtskde. 20 (Düsseldorf 1983). Darüber hinaus ist das Prümer das einzige frühmittelalterliche Ur-bar, zu dem es eine vollständige deutsche Übersetzung mit Kommentar gibt: N. Nös-ges (Übers. u. Komm.), Das Prümer Urbar von 893/1222. In: R. Nolden (Hrsg.), „anno verbi incarnati DCCCXCIII conscriptum“. Im Jahre des Herrn 893 geschrieben. 1100 Jah-re Prümer Urbar. Festschrift im Auftrag des Geschichtsvereins „Prümer Land“ e.V. (Trier 1993) 17–115. Die Aufsätze dieser Jubiläumsausgabe geben einen ersten Über-blick über einige allgemeine Fragestellungen zum Prümer Urbar. Zur Gliederung der Prümer Grundherrschaft, insbesondere zu rechtlichen und sozialen Aspekten, aber auch zu Themenfeldern der Wirtschafts- und Verkehrsgeschichte vgl. Kuchenbuch 1978 (Anm. 9).

SAFM 8_04022015_korr.indd 155 04.02.2015 16:27:30

156 Haase, Werther u. Wunschel156

1 Prümer Urbar, fol. 14r. – Nach Schwab 1983 (Anm. 10) Faksimile.

SAFM 8_04022015_korr.indd 156 04.02.2015 16:27:32

157Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 157

und mit Kommentaren, Ergänzungen und Erläuterungen versah11. Abb. 1 zeigt eine Seite aus dem Prümer Urbar und verdeutlicht recht anschaulich Schriftbild und Aufbau jener Abschrift samt den gut erkennbaren inter-linear, marginal und am unteren Ende der Seite angebrachten Kommentaren des Caesarius.

Die aus dem frühen Mittelalter überlieferten Urbare sind besonders im Hinblick auf ihre Detailfülle und Aussagekraft äußerst heterogen. Das Prümer ist in dieser Reihe eines der umfangreichsten und genauesten und außerdem dasjenige Urbar, welches mit Sicherheit am besten über das Funk-tionieren von Güterdistribution in einer klösterlichen Grundherrschaft Auskunft gibt12. Einige Textbeispiele daraus sollen stellvertretend die In-formationsqualität von Urbaren zeigen und verdeutlichen, inwiefern diese Schriftquellen im Gegensatz und in Ergänzung zur Archäologie bei der Klä-rung der Frage weiterhelfen können, wie Güterdistribution in klösterlichen Grundherrschaften funktionierte. Die Karte Abb. 2 zeigt die Lage von Prüm, die wichtigsten Flüsse, vor allem Rhein und Mosel, und die Orte, die in den folgenden Beispielen eine Rolle spielen.

11 Diese Kommentare des Caesarius sind quellenkritisch äußerst interessant, da sie zusätzliche Hintergrundinformationen geben und vielfach Zusammenhänge oder Formulierungen im Urbar erklären, die sonst schwer verständlich wären. Allerdings besteht ein Unterschied zwischen den Zuständen, die sich auf die Entstehungszeit des Urbars, das späte 9. Jh., beziehen lassen und denjenigen, die für die Zeit des Kom-mentators, das 13. Jh., gelten. Deshalb muss bei der Interpretation der Quelle immer darauf geachtet werden, die zwei Zeitschichten, mit denen man es in dem überliefer-ten Prümer Urbar zu tun hat, nicht zu vermischen. Zum Wesen der kommentierten Abschrift des Caesarius sowie der zeitlichen Doppeldimension des Prümer Urbars mit Vergleich von Besitzstruktur und Wirtschaftsweise siehe D. Hägermann, Eine Grundherrschaft des 13. Jahrhunderts im Spiegel des Frühmittelalters. Cäsarius von Prüm und seine kommentierte Abschrift des Urbars von 893. Rhein. Vierteljahrsbl. 45, 1981, 1–34.

12 Das Prümer Urbar ist nicht nur eines der detailliertesten Urbare des Frühmittelalters, sondern außerdem eines der am besten erforschten. Diverse Publikationen beschäf-tigen sich mit diesem Text und der darin in Erscheinung tretenden Grundherrschaft, darunter auch einige mit einem speziellen Fokus auf dem Transportwesen. Hierzu: J.-P. Devroey, Les services de transport à l’abbaye de Prüm au IXe siècle. Rev. Nord 61, 1979, 543–569; M. Windhausen, „Angaria“ und „scara“ im Prümer Urbar. Transport- und Botendienste in einer frühmittelalterlichen Grundherrschaft im Kontext römi-scher Verkehrswege. Beitr. Gesch. Bitburger Land 16/17, 2006, 4–30.

SAFM 8_04022015_korr.indd 157 04.02.2015 16:27:32

158 Haase, Werther u. Wunschel158

Für die Besitzungen Prüms in Holler, im Norden des heutigen Luxemburg13, vermerkt das Urbar unter anderem „angarias .II., unam de vino, alteram de annona“14 als Dienstverpflichtung der dortigen Bauern. Der Begriff „angaria“

13 Holler befindet sich etwa 2,5 km südwestlich von Weiswampach.14 Prümer Urbar: Schwab 1983 (Anm. 10) fol. 31r, Kap. 54, S. 217.

2 Karte der in den Textbeispielen vorgestellten Orte. – Karte: C. Haase.

SAFM 8_04022015_korr.indd 158 04.02.2015 16:27:32

159Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 159

bezeichnet dabei einen Transportdienst und zwar eine Art Schwertransport über weite Strecken15. Zu den Diensten der genannten Bauern für das Klos-ter Prüm gehörten zwei solche Transporte – der eine mit Wein, der andere mit Getreide. Die Quelle teilt also die transportierte Ladung mit und sie benennt die Transporteure: Wein und Getreide durch die Bauern aus Holler. Angaben über den Transportweg und das Transportmittel fehlen allerdings. Man erfährt nicht, ob Wagen oder Lasttiere auf dem Landweg oder Schiffe auf dem Wasserweg, das heißt Straßen oder Flüsse, benutzt wurden. Auch ist nicht klar, woher die Transportgüter stammten und von wo aus sie zu welchem Bestimmungsort gelangen sollten16. Die explizite Nennung, dass innerhalb einer klösterlichen Grundherrschaft organische Güter wie Wein und Getreide transportiert wurden, ist gleichwohl mehr, als sich in der Re-gel durch archäologische Quellen belegen lässt.

In den meisten Fällen fehlen jedoch auch in den Schriftquellen derartige Angaben, wie ein Beispiel aus dem 8. Kapitel des Prümer Urbars zeigt: „Mu-nifridus […] solvit […] angera integra“17 und „Willefridus […]; facit […] angarum .I.“18 liest man dort. Zwei Bauern aus Sarresdorf, heute ein Vorort von Gerol-stein, werden in dieser Textstelle sogar namentlich genannt: Munifrid und Willefrid; und auch sie leisteten den Transportdienst angaria – jeder einen. Details über die Ladung, die Art des Transportes – zu Land oder zu Wasser –, den Bestimmungsort der Güter oder den Startpunkt der angariae fehlen allerdings. Bis auf die Aussage, dass beide Bauern einen angaria-Dienst zu leisten hatten, erfährt man nichts. Diese Konstellation ist der mit Abstand häufigste in den Urbaren anzutreffende Fall: die alleinige Nennung einer Transportdienstverpflichtung, ohne jedwede weitere Information.

Umgekehrt weisen die Schriftquellen mitunter aber auch sehr konkrete Angaben auf, die sie gegenüber archäologischen Quellen so wertvoll ma-chen. Nennungen der Start- und Zielorte gehören dazu, das verwendete Ver-kehrsmittel und der Verkehrsweg, genauso wie die Auflistung der Art der

15 Vgl. Windhausen 2006 (Anm. 12) 5; Devroey 1979 (Anm. 12) 544; Ch.-E. Perrin, Re-cherches sur la seigneurie rurale en Lorraine d’après les plus anciens censiers (IXe–XIIe siècle). Publ. Fac. Lettres Univ. Strasbourg 71 (Paris 1935) 742.

16 Wenn überhaupt, dann sind solche fehlenden Informationen im Einzelfall nur an-hand weiterer Textstellen im Urbar und aus dem kompletten Urbar-Kontext zu er-schließen.

17 Prümer Urbar: Schwab 1983 (Anm. 10) fol. 10v, Kap. 8, S. 173.18 Ebd. fol. 11r, Kap. 8, S. 174.

SAFM 8_04022015_korr.indd 159 04.02.2015 16:27:32

160 Haase, Werther u. Wunschel160

Ladung oder deren Menge. Nie sind für einen Transport alle diese Informa-tionen bekannt, selten mehr als zwei. Sie kommen vielmehr in unterschied-licher Kombination als Präzisierung einzelner Dienstpflichten vor, ergeben aber zusammengenommen ein äußerst anschauliches Bild frühmittelalterli-cher Distributionsvorgänge.

Aus dem eben erwähnten Kapitel zu Sarresdorf sind beispielsweise anhand weiterer Transportdienstverpflichtungen Munifrids solche präzi-sierenden Informationen über Transportgut, -menge und Verkehrsweg in Erfahrung zu bringen: Neben seinem angaria-Transportdienst aus dem oben genannten Beispiel wurde von ihm auch noch die Beförderung von 5 Schef-feln Getreide und 10 Scheffeln Spelz beziehungsweise Dinkel erwartet. Da-rüber hinaus war er verpflichtet, 5 Scheffel Getreide vom Herrenhof zum Kloster zu fahren19. Diese Textstelle enthält demzufolge eine ganze Reihe von Einzelheiten, die einen genaueren Einblick in das grundherrschaftlich organisierte Transportsystem eines großen frühmittelalterlichen Klosters gestatten. Zum einen erfolgt die Angabe des Transportgutes auffällig dif-ferenziert: Nicht nur „annona“, Getreide im Allgemeinen, auch die Getrei-desorte Dinkel („spelta“) wird explizit genannt, und beide werden sogar hinsichtlich ihrer Menge mithilfe der Maßeinheit „modius“20 präzisiert. Zum anderen werden bei der letztgenannten Transportverpflichtung sogar Start- und Endpunkt mit „de curte dominica“ – vom Herrenhof aus – und „ad mo-nasterium“ – zum Kloster – angegeben. Gemeint sind damit der Herrenhof in Sarresdorf und die Abtei Prüm, wodurch, vergegenwärtigt man sich die Lage von Prüm und Sarresdorf auf der Karte (Abb. 2), auch die Richtung des Transportes klar ist, nämlich etwa 8,5 km Luftlinie von Ost nach West.

19 „Munifridus […] ducit de annona modios .V., de spelta modios .X.; de curte dominica ducit ad monasterium de annona modios .V.“ (Prümer Urbar: Schwab 1983 [Anm. 10] fol. 10v, Kap. 8, S. 173).

20 Der modius, Scheffel, ist ein Volumenmaß für trockene Güter, vor allem für Getrei-de. Er ist eine im Mittelalter zeitlich und regional nicht einheitliche Maßeinheit, die beim Versuch der Übertragung in heutige Liter-Vorstellungen je nach Bezug, Zeit, Ort und Quellengrundlage beträchtlich voneinander abweichende Werte ergibt (vgl. H. Kahnt/B. Knorr, Alte Maße, Münzen und Gewichte. Ein Lexikon [Leipzig 1986] 189–190 s. v. Modius; 266–267 s. v. Scheffel). Innerhalb einer Grundherrschaft bezif-ferte er für die Zeitgenossen jedoch als „normierte Rechen- bzw. Volumeneinheit[…]“ (H. Witthöft, Modius. In: Lexikon des Mittelalters 6 [Stuttgart 1999] Sp. 711–712 hier Sp. 711) die Erträge und Abgaben und machte diese relational vergleichbar (vgl. ebd. Sp. 711–712).

SAFM 8_04022015_korr.indd 160 04.02.2015 16:27:32

161Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 161

Zum Transportweg wird keine eindeutige Aussage gemacht, doch ist der Landweg in diesem Fall als sehr wahrscheinlich anzunehmen21.

Es gibt allerdings auch Beispiele aus dem Prümer Urbar, bei denen der Landweg unstrittig zu postulieren ist: Bauern aus Neckarau, heute ein Stadtteil von Mannheim und an der Mündung des Neckars in den Rhein gelegen, waren verpflichtet, Wein und Mehl auf ihrem eigenen Karren („in suo carro“) zu befördern22, was nichts anderes heißt als: auf dem Landweg. Die Ladung findet ebenfalls nach Art und Menge Erwähnung: eine ganze carrada23 Wein und eine carrada Mehl. Der Ausgangspunkt des Transportes lässt sich indessen mangels anderweitiger Benennung nur stillschweigend mit dem Herkunftsort der Transportdienst leistenden Hörigen gleichsetzen, mit Neckarau.

Zum Bestimmungsort von Wein und Mehl werden dagegen Angaben gemacht, wenn auch nur recht vage: „ubicumque eis precipitur, in stapagum“24, also überall dorthin „in stapagum“, wohin es ihnen im konkreten Fall vorge-schrieben würde. Das Transportziel wird im Urbar also nicht von vornhe-rein festgelegt, sondern relativ offen gelassen. Einzig „in stapagum“ grenzt die möglichen Zielorte des Landtransportes von Wein und Mehl auf bauern-eigenen Karren etwas ein. Nikolaus Nösges übersetzt diesen Passus mit „zu

21 Zwar wäre der Wasserweg über die Flüsse Kyll, Mosel, Sauer und Prüm theoretisch denkbar, doch lässt sich zum einen über deren Schiffbarkeit im Frühmittelalter keine gesicherte Aussage treffen und zum anderen muss die Praktikabilität einer solch um-ständlichen, viele Flüsse ab- und dann wieder aufwärts zu fahrenden Route bezwei-felt werden.

22 „Debent integram carrad(am) vini et carrad(am) farine in suo carro ducere, ubicumque eis precipitur, in stapagum.“ (Prümer Urbar: Schwab 1983 [Anm. 10] fol. 47r, Kap. 113, S. 251).

23 Bei carrada handelt es sich neben dem modius um eine weitere Maßeinheit für Trans-portgüter. Ihr Bezug ist aber augenscheinlich weder Gewicht noch Volumen, sondern der Transport. Eine carrada ist demzufolge eine Transporteinheit, die die Menge eines Gutes angibt, die als eine volle Ladung zu transportieren ist, und ist entsprechend mit „Fuhre“ oder „Fuder“ zu übersetzen. Vgl. K.-H. Ludwig, Zu den Schriftquellen der Binnenschiffahrt im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Dt. Schiffahrtsarchiv 9, 1986, 89–95 hier 91.

24 Prümer Urbar: Schwab 1983 (Anm. 10) fol. 47r, Kap. 113, S. 251.

SAFM 8_04022015_korr.indd 161 04.02.2015 16:27:32

162 Haase, Werther u. Wunschel162

dem Stapelplatz“25, womit eine Art Gütersammelplatz im weit gespannten Transportnetz der Abtei Prüm gemeint sein dürfte, zu dem Güter aus ver-schiedenen Klosterbesitzungen transportiert und dort gelagert wurden, um dann in größeren Mengen – oder umgeladen und auf anderen Wegen – weitertransportiert zu werden. Solche Sammel- oder Stapelplätze konnten idealerweise an Flüssen liegen, um die größeren Gütermengen per Schiff zu befördern. Von ihnen gab es in der Prümer Grundherrschaft mehrere; neben Schweich und Metz26 ist aus dem Urbar vor allem Cochem an der Mosel als ein solcher Stapelplatz bekannt. Dies zeigt unter anderem ein Passus im Kapitel 7: Zu dem dort beschriebenen Klosterbesitz in Kalenborn, nur 15 km

25 Vgl. Nösges 1993 (Anm. 10) 63. – Weder in Wörterbüchern zum klassischen Latein (z. B. K. E. Georges, Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch8 [Hanno-ver 1995]), noch in Mittellatein-Lexika, wie dem „Niermeyer“ oder dem „Du Cange“, findet sich der Eintrag „stapagum“ oder „stapagus“. Wie Nösges grundsätzlich richtig bemerkt (vgl. Nösges 1993 [Anm. 10] 92 Anm. 913), liefert einzig das im „Niermey-er“ verzeichnete „staffolus“, u. a. auch als „stapulum“ gebraucht und „stapagum“ da-mit recht nahekommend, eine auch zum Kontext der Prümer Quellenstelle passende Bedeutung als „Stapelage, erzwungener Warenverkauf“ (J. F. Niermeyer/C. van de Kieft, Mediae latinitatis lexicon minus 2² [Darmstadt 2002] 1287 s. v. staffolus). Dass jene rechtliche Bedeutungsebene von „stapulum“ als Stapelrecht (vgl. F.-W. Henning, Stapelrecht. In: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte 4 [Berlin 1990] Sp. 1921; R. Sprandel, Stapel. In: Lexikon des Mittelalters 8 [Stuttgart 1999] Sp. 59–60) sich sicherlich auch auf dessen räumliche Komponente erstreckte und auf den „Sta-pelplatz“ übertragbar ist, legt der Eintrag „stapula“ im „Du Cange“ nahe: „Stapula“, dessen klassisch-lateinische Bezeichnung hier mit „stabulum“, welches u. a. Lager be-deutet, und dessen volkssprachlich-germanische Entsprechung mit „stapelen“ ange-geben wird, das dem Prümer „stapagum“ recht ähnlich ist, wird als städtischer Markt, vor allem von Küstenstädten, beschrieben, auf dem auswärtige Waren (merces extra-neae) verkauft werden (vgl. Ch. du Fresne Du Cange, Glossarium mediae et infimae la-tinitatis 7. Hrsg. v. L. Favre [Niort 1886] s. v. 1. stapula). Als ein solcher Stapelplatz, der eventuell auch zum Verkauf, vor allem aber zum Umladen und zum Weitertransport der dort ankommenden Waren bestimmt war, ist höchstwahrscheinlich auch der nur grob als „in stapagum“ bezeichnete Bestimmungsort des Wein- und Mehltransportes der Neckarauer Bauern anzusehen.

26 Vgl. u. a. Prümer Urbar: Schwab 1983 (Anm. 10) fol. 19v, Anm. 1 = Kommentar des Caesarius zu Kap. 33, S. 194.

SAFM 8_04022015_korr.indd 162 04.02.2015 16:27:32

163Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 163

Luftlinie nordöstlich von Prüm gelegen, gehörten 15 Hufen27. Für eine von ihnen listet das Urbar die zugehörigen Abgaben und die mit dem Innehaben einer solchen Hufe zusammenhängenden Dienste auf, darunter auch zwei Transportdienste: „ducit de Cuhckeme de siclo modios .V., ducit etiam de Calde-burne de annona modios .X.“28, heißt es dort. Angegeben sind wieder Art und Menge der Ladung und zusätzlich statt des Bestimmungsortes jeweils der Ausgangspunkt der Transporte. 10 Scheffel Getreide waren es einmal von Kalenborn und 5 Scheffel Roggen von Cochem aus. Wohin das Getreide und der Roggen transportiert werden sollten, verrät der Abschnitt nicht29. Die beiden genannten Ortsnamen offenbaren jedoch etwas anderes: Kalenborn einerseits war der Fronhof, dem die bäuerlichen Transporteure zugeordnet waren und auf dem sie ihre eigenen Abgaben abliefern mussten. Cochem dagegen war für die in Kalenborn und Umgebung lebenden Bauern ein weit entfernter Einsatzort, zu dem sie erst gelangen mussten, um dort den von ihnen geforderten Transportdienst abzuleisten. Es scheint sich bei Cochem folglich um einen zentralen Umschlagplatz gehandelt zu haben, an dem der-art große Gütermengen – so zum Beispiel Roggen – ankamen sowie gesam-melt und zwischengelagert wurden, dass für einen Weitertransport extra anzureisende Arbeitskräfte, wie die nach Cochem beorderten Kalenborner Bauern, eingesetzt wurden. Woher aber kam jener Roggen, wenn nicht aus Cochem selbst?

Möglicherweise stammte er aus Gönheim: In Kapitel 114 des Prümer Urbars ist zu lesen, dass von einer Gruppe Bauern aus Gönheim am Rhein, heute ein Vorort von Ludwigshafen, jeder jeweils „flagellat etiam de annona modios .XII. in die suo et mittit in navi et ducit ad Chucckeme“30. Der Ausgangs-

27 Die Hufe, die Bauernstelle bzw. der „mansus“, wie es in den Quellen heißt, ist ein viel-schichtiger Begriff mit mehreren Bedeutungsebenen. In den Urbaren wird er meist als abstrakte rechtliche und wirtschaftliche Einheit verwendet, an die Menge und An-zahl der Abgaben und Dienste gebunden waren, vgl. D. Hägermann/A. Hedwig, Hufe. In: Lexikon des Mittelalters 5 (Stuttgart 1999) Sp. 154–156 hier Sp. 155; Kuchenbuch 1978 (Anm. 9) 60–61. In diesem abstrakten Sinne listet auch das Prümer Urbar die jeweilige Art und Anzahl der mansi, die zu einem Fronhofbezirk gehörten, auf.

28 Prümer Urbar: Schwab 1983 (Anm. 10) fol. 10r – fol. 10v, Kap. 7, S. 172–173.29 Aufgrund der räumlichen Nähe Kalenborns, Herkunftsort der Bauern und Ausgangs-

punkt eines der Transporte, zu Prüm kann in diesem Fall mit einer gewissen Wahr-scheinlichkeit das Kloster als Bestimmungsort angenommen werden.

30 Prümer Urbar: Schwab 1983 (Anm. 10) fol. 47v – fol. 48r, Kap. 114, S. 252–253.

SAFM 8_04022015_korr.indd 163 04.02.2015 16:27:32

164 Haase, Werther u. Wunschel164

punkt des Transportdienstes wird diesmal nicht angegeben31, was jedoch explizit genannt wird, ist neben Art und Menge der Ladung (12 Scheffel Getreide) deren Bestimmungsort, nämlich Cochem. Zusätzlich findet auch das Transportmittel Erwähnung, ein Schiff, und so ist auch der Verkehrsweg klar: ein Fluss.

Nimmt man nun alle diese Informationen zusammen, so lässt sich ex-emplarisch ein recht plastisches Bild einer möglichen Gütertransportkette innerhalb der Prümer Grundherrschaft zeichnen: Getreide, das auf den Be-sitzungen der Abtei Prüm um Gönheim herum erzeugt wurde, musste von den dort ansässigen Gönheimer Bauern gedroschen und anschließend per Schiff zunächst auf dem Rhein flussabwärts bis zur Moselmündung und dann von dort aus die Mosel aufwärts bis nach Cochem transportiert wer-den. Cochem war innerhalb des Prümer Gütertransportnetzes ein Stapel-platz und Ausgangspunkt für weitere Transporte zu Wasser oder für ein Umladen auf Karren und die Nutzung des Landweges. Folglich wurde das aus Gönheim über Rhein und Mosel nach Cochem gelangte Getreide dort gesammelt, zwischengelagert und in einer nächsten Transportetappe, mög-licherweise von Kalenborner Bauern, weiterbefördert. Dies geschah wohl auf dem Landweg, da das Ziel jener Transporte aller Wahrscheinlichkeit nach meistens der Grundherr war, das Kloster Prüm.

Die Erkenntnismöglichkeiten schriftlicher Quellen wie der Urbare sind, wie sich gezeigt hat, äußerst vielfältig. Hinsichtlich Verkehrsinfrastruktur und Güterdistribution innerhalb frühmittelalterlicher klösterlicher Grund-herrschaft bieten sie eine ganze Bandbreite an oft sehr expliziten und kon-kreten Informationen, die archäologisch so genau kaum fassbar wären. Einzelheiten wie die genauen Transportgüter, die Menge der Ladung, die beteiligten Transporteure, das Transportmittel oder namentlich genannte Ausgangspunkte, Zwischenstationen und Bestimmungsorte der Transporte gehen zum Teil weit über die archäologisch bestimmbare Informationstiefe

31 Es kann aber sehr wahrscheinlich Gönheim als Ausgangspunkt angenommen wer-den. Die Tatsache, dass der Angabe, die Gönheimer Bauern hätten an dem Tag, an dem sie an der Reihe seien, 12 Scheffel Getreide zu dreschen, direkt die Angabe zur Transportdienstverpflichtung, dieses Getreide sei per Schiff nach Cochem zu bringen, folgt, legt den Schluss nahe, dass jener Transport auch in Gönheim auf dem Rhein begonnen werden sollte.

SAFM 8_04022015_korr.indd 164 04.02.2015 16:27:32

165Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 165

hinaus; mitunter sogar mit derartiger Detailfülle, dass als Ladung zum Bei-spiel einzelne Getreidearten unterschieden werden.

Aber selbst wenn die schriftliche Überlieferung nicht immer derart prä-zise ist, sind auch anhand von weitaus vageren Informationen interessante Einblicke möglich. Die Urbare erlauben beispielsweise begründete Vermu-tungen über Start- und/oder Zielorte der Transporte und die verwende-ten Verkehrsmittel, auch wenn diese nicht explizit genannt werden. Diese Kenntnis lässt dann wiederum Rückschlüsse auf Transportweg, Verkehrs-richtung und manchmal die Fortbewegungsart zu. So offenbaren Textstel-len wie jene zum Getreidetransport von Gönheim nach Cochem nicht nur die Nutzung von Schiffen, sondern sie enthalten gleichzeitig die Informati-on, welche Flüsse mit diesen befahren wurden, im konkreten Fall nämlich Rhein und Mosel32. Davon ausgehend wird deutlich, dass Wasserwege ganz selbstverständlich in beide Fließrichtungen, flussaufwärts genauso wie flussabwärts, genutzt wurden, und diese Erkenntnis vermittelt nun sogar eine Vorstellung davon, wie Schiffe auf Rhein und Mosel bei ihrer Fahrt von Gönheim nach Cochem fortbewegt wurden. Einen Flusslauf aus Richtung Mündung in Richtung Quelle zu befahren erforderte nämlich eine ganz andere Fortbewegungsart – Treideln des Schiffes von Land aus gegen die Strömung beispielsweise – als die Fahrt stromabwärts, bei der die Strömung als Antrieb diente.

Zusätzlich lässt sich auch die Organisation und rechtliche Regelung von Transportdiensten über Schriftquellen rekonstruieren. Die Urbare offenba-ren hierbei unter anderem eine etappenweise Transportorganisation und ein zentral auf das Kloster orientiertes, aber dezentral organisiertes Distributi-onssystem, ausgehend von den lokalen Wirtschaftszentren der Grundherr-schaft und basierend auf den Frondienstverpflichtungen der abhängigen Bauern.

Urbare erweisen sich folglich als äußerst wichtige Überlieferung zu frühmittelalterlichem Verkehrswesen und als eine sinnvolle Ergänzung zu archäologischen Quellen, denen sie oftmals einigen Informationsgehalt vor-aus haben. Gleichzeitig muss jedoch eingeräumt werden, dass jene Detailfül-le sich natürlich auf wenige, vereinzelt überlieferte Sachverhalte beschränkt,

32 Durch die Lage Gönheims am Rhein und Cochems an der Mosel können Transport-weg und -richtung abgeleitet werden, nämlich von Gönheim den Rhein abwärts, dann die Mosel aufwärts bis Cochem.

SAFM 8_04022015_korr.indd 165 04.02.2015 16:27:33

166 Haase, Werther u. Wunschel166

die Urbare nur punktuell derart genau sind und vieles andere im Dunkeln bleibt. Über das Transportsystem innerhalb der Prümer Grundherrschaft ist verhältnismäßig viel bekannt, allerdings auch nur so weit, wie das Urbar Informationen zu Verkehr und Transport liefert und dies wiederum nur für eine eng umrissene Zeitspanne. Wie sich der Gütertransport an anderen Or-ten, in anderen Grundherrschaften oder zu anderen Zeiten gestaltete, bleibt dem Historiker, wenn die schriftliche Überlieferung dazu fehlt, verborgen. Die Geschichtswissenschaft kann ihre Quellen im Gegensatz zur Archäolo-gie, die durch gezielte Grabungen ihre Datenbasis vergrößern kann, nicht generieren, sondern ist von der Überlieferungslage und oft einem Überlie-ferungszufall abhängig und der Beschaffenheit und dem Informationsge-halt ihrer Quellen ausgeliefert. Über fundierte Quellenkritik, ein sicheres Verständnis für die Besonderheiten der konkreten Quelle, gezielte Frage-stellungen an den jeweiligen Text, sorgfältige Analyse der Quellenaussagen und mitunter auch über ein „Gegen-den-Strich-Bürsten“ der Überlieferung sind jedoch neue Erkenntnisse und Einsichten zu gewinnen und bekannte Quellen für neue Antworten fruchtbar zu machen.

Erkenntnismöglichkeiten ausgewählter archäologischer Quellen zu Verkehrsinfrastruktur und Güterdistribution

frühmittelalterlicher klösterlicher Grundherrschaft (Lukas Werther und Andreas Wunschel)

Infrastruktur und Distributionssysteme sind zentrale Bestandteile frühmit-telalterlicher Ökonomien. Sie werden in einem komplexen Prozessgefüge maßgeblich von Produktion und Konsum beeinflusst – und beeinflussen diese ihrerseits33. Eine archäologische Annäherung an spezifische Systeme

33 J. Moreland, Concepts of the early medieval economy. In: I. L. Hansen/Ch. J. Wick-ham (Hrsg.), The Long Eighth Century. Production, Distribution and Demand. Trans-formation Roman World 11 (Leiden 2000) 1–34; N. F. Schneider, Konsum und Gesell-schaft. In: D. Rosenkranz/N. F. Schneider (Hrsg.), Konsum. Soziologische, ökonomi-sche und psychologische Perspektiven (Opladen 2000) 9–22 hier 11–12; Ch. Wickham, Framing the Early Middle Ages. Europe and the Mediterranean 400–800 (Oxford 2005) 693–708; L. Werther, Schlacken, Scherben, Schlachtabfälle – archäologische Untersu-chungen zu Ökonomie, Ökologie und Konsum im frühmittelalterlichen Nordbayern. Siedlungsforsch. 28, 2012, 237–272 hier 237–239.

SAFM 8_04022015_korr.indd 166 04.02.2015 16:27:33

167Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 167

von Infrastruktur und Distribution kann daher schwerlich isoliert erfol-gen. Um die vielteiligen Wirkungsgefüge archäologisch zu durchdringen, bieten sich verschiedene Strategien an: Die Wahl eines Ausschnittes des Wirtschaftssystems, im gewählten Beispiel klösterliche Grundherrschaften, ermöglicht eine Fokussierung auf einen abgegrenzten Kreis von Produzen-ten, Konsumenten und Nutzern von Verkehrsinfrastruktur. Innerhalb der Grundherrschaft bildet das Kloster das prägende Zentrum und damit einen räumlich stabilen und archäologisch greifbaren Fixpunkt34. Dies erleichtert eine systematische Betrachtung. Ausgehend von den einzelnen Subsyste-men der Produktion, des Konsums und der Distribution gilt es, das Aus-sagepotential der archäologischen Quellen zu prüfen und der historischen Überlieferung gegenüberzustellen (Abb. 3).

Produktion in der klösterlichen Grundherrschaft

Karolingerzeitliche Klöster waren nicht nur sakrale Mittelpunkte, sondern treten häufig auch als Produktionsorte einer breiten Palette handwerklicher Erzeugnisse in Erscheinung35. Die Bedeutung – nicht zuletzt die Quantität – der Produktion im Kloster für die frühmittelalterliche Wirtschaft wird in der Forschung kontrovers diskutiert36. Dies ist nicht zuletzt dem unzurei-

34 R. Hodges, Dark Age Economics: a New Audit (London 2012) 67–71; 131–136. – Wich-tige Überlegungen, die allerdings aufgrund des Erscheinungsdatums nicht mehr in diesen Beitrag integriert werden konnten, finden sich dazu in Ch. Loveluck, North-west Europe in the Early Middle Ages, c. AD 600–1150. A Comparative Archaeology (Cambridge 2013).

35 Dazu zusammenfassend aus historischer Perspektive F. Schwind, Zu karolingerzeit-lichen Klöstern als Wirtschaftsorganismen und Stätten handwerklicher Tätigkeit. In: L. Fenske/W. Rösener/Th. Zotz (Hrsg.), Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für Josef Fleckenstein zu seinem 65. Geburtstag (Sigmaringen 1984) 101–123.

36 Vgl. exemplarisch M. McCormick, Origins of the European economy. Communica-tions and commerce A.D. 300–9006 (Cambridge 2010) 6–12; A. Verhulst, The Carolin-gian economy. Cambridge medieval textbooks (Cambridge 2002) 72–84; J. Blair, The church in Anglo-Saxon society (Oxford 2005) 256–261; J. Henning, Early European Towns. The development of the economy in the Frankish realm between dynamism and deceleration AD 500–1100. In: Ders. (Hrsg.), Post-Roman towns, trade and settle-ment in Europe and Byzantium 1. The heirs of the Roman west. Millenium-Stud. Kul-tur Gesch. Ersten Jts. n. Chr. 5,1 (Berlin 2007) 3–40; Hodges 2012 (Anm. 34) 67–90.

SAFM 8_04022015_korr.indd 167 04.02.2015 16:27:33

168 Haase, Werther u. Wunschel168

3 Übersicht wichtiger im Text behandelter Orte. – Basisdaten Geländemodell SRTM-GDEM © NASA 2009, CCM River and Catchment Database © European Commission 2007; Karte: L. Werther/A. Wunschel.

SAFM 8_04022015_korr.indd 168 04.02.2015 16:27:34

169Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 169

chenden Forschungsstand und der verhältnismäßig schmalen Quellenbasis geschuldet37. Von mehreren Hundert größeren Klöstern des Karolingerrei-ches lassen sich für gerade ein Dutzend fundierte Aussagen zu Produkti-onsprozessen im Klosterbereich treffen. Dominant sind dabei Hinweise auf Glasverarbeitung (u. a. Augsburg St. Ulrich, Corvey, Fulda, Lorsch, San Vin-cenzo, Solnhofen), Knochen- und Geweihverarbeitung (u. a. Fulda, Lorsch, Müstair, San Vincenzo, Solnhofen) sowie Bunt- und Edelmetallverarbeitung (u. a. Corvey, Lorsch, Müstair, San Vincenzo, St. Denis, Wörth im Staffel-see), wohingegen die Edelsteinverarbeitung (Fulda, Lorsch) sowie die Tex-til-, Leder- oder feine Holzverarbeitung (Fulda, Lorsch, Solnhofen, St. Denis)

37 M. Baumhauer, Archäologische Studie zu ausgewählten Aspekten der mittelalterli-chen Handwerkstopographie im deutschsprachigen Raum. Bestandsaufnahme der Handwerksbefunde vom 6.–14. Jahrhundert und vergleichende Analyse (Diss. Univ. Tübingen 2004) 134–140 <http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-12458> (24.03.2014); Henning 2007 (Anm. 36); M. Untermann, Handwerk im Kloster. In: W. Melzer (Hrsg.), Archäologie und mittelalterliches Handwerk – Eine Standortbe-stimmung. Beiträge des 10. Kolloquiums des Arbeitskreises zur archäologischen Er-forschung des mittelalterlichen Handwerks. Soester Beitr. Arch. 9 (Soest 2008) 27–36; R. Hodges/S. Leppard/J. Mitchell (Hrsg.), San Vincenzo Maggiore and its workshops. British School Rome, Arch. Monogr. 17 (London 2011); Hodges 2012 (Anm. 34) 71–90; K. French, Material Culture, Central Places, and Peripheries: Interpreting the Archae-ological and Textual Evidence for Monastic Craft Production and its Social Impact in Early Medieval England (ca. 600–800 CE). A paper presented at Revealing Records V, King’s College London, May 24th 2013 (London 2013).

SAFM 8_04022015_korr.indd 169 04.02.2015 16:27:34

170 Haase, Werther u. Wunschel170

deutlich zurücktritt38. Als Sonderfall ist die klosternahe Verarbeitung von

38 Ausgburg: G. Pohl, Die frühmittelalterlichen bis neuzeitlichen Baubefunde. In: J. Wer-ner (Hrsg.), Die Ausgrabungen in St. Ulrich und Afra in Augsburg 1961–1968. Münch-ner Beitr. Vor- u. Frühgesch. 23 (München 1977) 465–486. – Corvey: H.-G. Stephan, Archäologische Erkenntnisse zu karolingischen Klosterwerkstätten in der Reichsabtei Corvey. Arch. Korrbl. 24, 1994, 207–216; H.-G. Stephan/G. Hartmann/K. H. Wedepohl, Mittelalterliches Glas aus dem Reichskloster und der Stadtwüstung Corvey. Mit ei-nem Nachtrag zu den Analyseergebnissen von Gläsern aus dem Kloster Brunshausen. Germania 75, 1997, 673–715; H.-G. Stephan (Hrsg.), Studien zur Siedlungsentwicklung und -struktur von Stadt und Reichskloster Corvey (800–1670). Eine Gesamtdarstel-lung auf der Grundlage archäologischer und historischer Quellen. Göttinger Schr. Vor- u. Frühgesch. 26 (Neumünster 2000) 192–197. – Fulda: Th. Kind/K. H. Wedepohl/ A. Kronz, Karolingerzeitliches Glas und verschiedene Handwerksindizien aus dem Kloster Fulda. Aufarbeitung der Altfunde Joseph Vonderaus von 1898–1899. Zeitschr. Arch. Mittelalter 31, 2003, 61–94; Th. Kind, Das karolingerzeitliche Kloster Fulda – ein „monasterium in solitudine“. Seine Strukturen und Handwerksproduktion nach den seit 1898 gewonnenen archäologischen Daten. In: Henning 2007 (Anm. 36) 367–409. – Lorsch: M. Sanke/K. H. Wedepohl/A. Kronz, Karolingerzeitliches Glas aus dem Kloster Lorsch. Zeitschr. Arch. Mittelalter 30, 2002, 37–75; M. Sanke, Archäologische Ausgrabungen im ehemaligen Reichs- und Königskloster Lorsch II. Das Fundmate-rial der Ausgrabungskampagne 1999. In: I. Ericsson/M. Sanke (Hrsg.), Aktuelle For-schungen zum ehemaligen Reichs- und Königskloster Lorsch. Arbeiten Hess. Hist. Komm. N.F. 24 (Darmstadt 2004) 135–260; Kloster Lorsch: Vom Reichskloster Karls des Großen zum Weltkulturerbe der Menschheit (Petersberg 2011). – Müstair: P. Cas-sitti, Die Buntmetall-, Knochen- und Geweihfunde c. 800–c. 1200. Müstair, Kloster St. Johann (unpubl. Diss. Univ. Innsbruck 2010). – San Vincenzo: K. Francis/M. Moran, Planning and technology in the early Middle Ages: the temporary workshops at San Vincenzo al Volturno. In: S. Gelichi (Hrsg.), I Congresso Nazionale di Archeologia Medievale. Pisa, 29–31 maggio 1997 (Firenze 1997) 373–378; Hodges/Leppard/Mitchell 2011 (Anm. 37); Hodges 2012 (Anm. 34) 73–90; N. Schibille/I. C. Freestone, Composi-tion, Production and Procurement of Glass at San Vincenzo al Volturno: An Early Medieval Monastic Complex in Southern Italy. PloS one 8, 2013, e76479. – Solnhofen: Ch. Later, Die Propstei Solnhofen im Altmühltal. Untersuchungen zur Baugeschich-te der Kirche, zur Inszenierung eines früh- und hochmittelalterlichen Heiligenkultes und zur Sachkultur. Materialh. Bayer. Arch. 95 (Kallmünz/Opf. 2011) 331–345. – St. Denis: J. Cuisenier (Hrsg.), Un village au temps de Charlemagne. Moines et paysans de l’abbaye de Saint-Denis du VIIe siècle à l’an mil (Paris 1988); M. Wyss, Die Klos-terpfalz Saint-Denis im Spiegel der Archäologie. In: H. R. Sennhauser (Hrsg.), Pfalz – Kloster – Klosterpfalz. St. Johann in Müstair. Historische und archäologische Fra-gen. Tagung 20.–22. September 2009 in Müstair. Berichte und Vorträge. Acta Müst-air, Kloster St. Johann 2 (Zürich 2010) 147–162 hier 156–157; Saint-Denis. L’artisanat du premier millénaire <http://www.culture.gouv.fr/fr/arcnat/saint-denis/fr/3_1_artisanat.htm> (24.3.2014). – Wörth im Staffelsee: B. Haas-Gebhard, Die Insel Wörth im Staf-felsee. Römische Befestigung, frühmittelalterliches Kloster, Pfarrkirche. Führer Arch. Denkmäler Oberbayern 2 (Stuttgart 2000).

SAFM 8_04022015_korr.indd 170 04.02.2015 16:27:34

171Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 171

Getreide in Wassermühlen zu nennen, die archäologisch jedoch bislang nur für Fulda nachgewiesen ist39.

Das gesicherte Produktspektrum innerhalb der Klöster ist häufig viel-fältig und lässt sich in vier Hauptgruppen gliedern. Alltagsgüter sind spär-lich vertreten: Zu nennen wären für die wichtige Gruppe der Bekleidung exemplarisch Reste von Lederschuhen aus dem Kloster St. Denis40. Häufig nachgewiesen ist außerdem die Herstellung von Kämmen sowie gelegent-lich von einfacheren Trachtbestandteilen und Alltagsgegenständen aus Buntmetall41. Die zweite Produktgruppe bilden Objekte für die spezifische bauliche Ausstattung des Klosters: Gut belegt ist dabei die Verarbeitung der Standard-Baumaterialien Holz und Stein, vereinzelt Ziegel, außerdem die Herstellung von Fensterverglasungen und gläsernen Öllampen. Als dritte Gruppe sind exklusive Sakralobjekte zu nennen. Dazu zählen gegossene Glocken und Räuchergefäße, Aufsätze, Einlagen und Beschläge von Buch-deckeln, Reliquiaren und anderen Teilen der Kirchenausstattung aus Bunt- und Edelmetall, Glas, Edelsteinen, Geweih und Elfenbein. Ergänzend zu den Bodenfunden treten hier eine Vielzahl obertägig erhaltener Realien hin-zu, nicht zuletzt auch die Handschriften aus den klösterlichen Skriptorien42. Die vierte Gruppe bilden exklusive profane Objekte, darunter hochwertige Trachtbestandteile, Waffengarnituren und Zaumzeugteile aus Bunt- und Edelmetall, Hohlgläser, Perlen und auch im Kloster geprägte Münzen.

Die Ursachen für das knapp umrissene Nachweisspektrum sind viel-fältig: Die Verarbeitung von Knochen/Geweih, Glas und Metall hinterlässt meist haltbare und leicht ansprechbare Produktionsabfälle, Halbfertigpro-dukte und fragmentierte Fertigprodukte. Dazu treten häufig Schmelzöfen oder andere feste Installationen. Demgegenüber ist die Verarbeitung orga-nischer Materialien wie Leder, Holz und Textilien erhaltungsbedingt sehr selten greifbar und die innerhalb des Klosters vollzogenen Verarbeitungs-schritte hinterlassen kaum spezifische Befunde. So wurden beispielsweise

39 Kind/Wedepohl/Kronz 2003 (Anm. 38); Kind 2007 (Anm. 38).40 Saint-Denis (Anm. 38).41 Auf Einzelnachweise wird an dieser Stelle aus Platzgründen verzichtet. Sämtliche

Fundgruppen finden sich in den in Anm. 38 genannten Beiträgen zu den einzelnen Fundorten.

42 Zu letzteren zusammenfassend R. McKitterick, Script and book production. In: Ders. (Hrsg.), Carolingian culture. Emulation and innovation (Cambridge 1994) 221–247.

SAFM 8_04022015_korr.indd 171 04.02.2015 16:27:34

172 Haase, Werther u. Wunschel172

Stoffe den Schriftquellen zufolge fertig geliefert und im Kloster lediglich veredelt (besonders gewalkt) oder anderweitig weiterverarbeitet43. Dies wirft die Frage nach Produktionsprozessen innerhalb der klösterlichen Grund-herrschaft, aber außerhalb des Klosters auf. Von historischer Seite wird die Bedeutung dieses Elements klösterlicher Wirtschaft vielfach betont, nicht zuletzt aufgrund der dort konzentrierten Agrarproduktion44. In aller Regel sind klösterliche Produktionseinrichtungen außerhalb des Klosters archäo-logisch aber nur greifbar, wenn die Bodenarchive durch eine genau lokali-sierbare historische Überlieferung ergänzt werden. Die Synchronisierung der Quellen wirft dabei häufig Probleme auf. Sobald für eine archäologisch untersuchte Lokalität Besitz unterschiedlicher Herrschaften belegt oder zumindest nicht auszuschließen ist, lässt sich der Einzelbefund oder Be-fundkomplex in den seltensten Fällen sicher zuordnen. Zumindest punk-tuell kann jedoch eine Zuordnung gelingen und wichtige Ergebnisse zum Produktionsspektrum innerhalb ländlicher Siedlungen einer Klostergrund-herrschaft liefern. Als Paradebeispiel sei dazu auf die im 9. Jahrhundert zum Kloster St. Denis gehörige Wüstung Villare/Villiers-le-Sec verwiesen, innerhalb derer für die Karolingerzeit unter anderem umfangreiche Tex-til- und Eisenverarbeitung sowie Getreidespeicherung in großen Silogruben nachgewiesen sind45. Anbau und Lagerung von Getreide beleuchten einen wichtigen Aspekt der Produktion innerhalb der klösterlichen Grundherr-

43 Vgl. die Ausführungen in den Statuten Adalhards von Corbie, im Breve Walas von Bobbio und im Besitzverzeichnis des Klosters Centula. Auch der Klosterplan von St. Gallen wäre in diesem Kontext anzuführen. Zu den genannten Quellen zusam-menfassend Schwind 1984 (Anm. 35).

44 Vgl. exemplarisch J.-P. Devroey (Hrsg.), Études sur le grand domaine carolingien. Col-lected Stud. Ser. 391 (Aldershot 1993); S. Lebecq, The role of the monasteries in the system of production and exchange of the Frankish world between the seventh and the beginning of the ninth centuries. In: Hansen/Wickham 2000 (Anm. 33) 121–148; Verhulst 2002 (Anm. 36) 29–71.

45 Cuisenier 1988 (Anm. 38) 142–300; F. Gentili, L’organisation spatiale des habitats ru-raux du haut Moyen Âge: l’apport des grandes fouilles préventives. Deux exemples franciliens: Serries «Les Ruelles» (Seine-et-Marne) et Villiers-le-Sec (Val-d’Oise). In: J. Chapelot (Hrsg.), Trente ans d’archéologie médiévale en France. Un bilan pour un avenir (Caen 2010) 119–131 hier 122–126.

SAFM 8_04022015_korr.indd 172 04.02.2015 16:27:34

173Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 173

schaft, ihre zeitliche Dynamik46. Viele Produktionsprozesse sind jahreszeit-lich gebunden, nur in Ausnahmefällen wie winterlichen Schlagphasen von erhaltenem Bauholz ist dies allerdings archäologisch nachweisbar.

Konsum in der klösterlichen Grundherrschaft

Frühmittelalterliche Klöster waren ausgesprochene Konsumzentren. Dort konzentrierte sich dauerhaft und ortsfest eine große Zahl anspruchsvoller Konsumenten, die versorgt werden musste47. Richard Hodges hebt für die Karolingerzeit das exzeptionell hohe Konsumlevel im Kloster als entschei-denden Faktor heraus, der letztlich das Distributionssystem innerhalb der gesamten klösterlichen Grundherrschaft steuerte48. Neben alltäglich konsu-mierten Gütern wie Nahrungsmitteln und Brennholz mussten regelmäßig spezielle Bedürfnisse bedient werden, die das Klosterhandwerk mit sich brachte. Zu nennen wären dabei besonders Rohmaterialien wie Bunt- und Edelmetalle, Rohglas, Pergament oder auch Edelsteine. Temporär traten au-ßerdem Konsumspitzen von Baumaterial im Zuge monumentaler Architek-turprojekte im Kloster hinzu49.

Methodisch steht die Archäologie vor dem Problem, dass die Konsum-güter häufig nicht erhalten sind. Dies gilt besonders für Nahrungsmittel, deren Bedeutung in den Schriftquellen evident ist. Nur in Ausnahmefällen wurden bislang tierische und pflanzliche Speisereste innerhalb von Klöstern systematisch geborgen und ausgewertet. Wo entsprechende Daten vorliegen, erlauben sie allerdings einen wertvollen Einblick in die Konsumgewohnhei-ten und Speisepläne der Klostergemeinschaften. So gelang beispielsweise für das Kloster San Vincenzo der Nachweis für Konsum von frischem See-

46 Vgl. dazu allgemein Th. Meier, A farewell to the market. Constructing a Carolingian subsistence economy east of the Rhine. In: J. Klápště/P. Sommer (Hrsg.), Verarbeitung, Lagerung, Verteilung und Verbrauch von Lebensmitteln – Lebensmittel in der mittel-alterlichen bäuerlichen Welt. Ruralia 8 (Turnhout 2011) 285–300.

47 Zu Konventsgrößen des 8./9. Jhs. zusammenfassend Schwind 1984 (Anm. 35) 118. Kon-vente mit mehreren Hundert Personen waren für die Großklöster keine Seltenheit.

48 Hodges 2012 (Anm. 34) 69–70.49 Nach Hodges 2012 (Anm. 34) 69–70 war dies neben dem allgemein hohen Konsumlevel

ein weiterer prägender Faktor der spezifischen Ausprägung klösterlicher Ökonomien ab dem späteren 8. Jh.

SAFM 8_04022015_korr.indd 173 04.02.2015 16:27:35

174 Haase, Werther u. Wunschel174

fisch in größerem Umfang50. Auch vielfältige Schlachtabfälle und pflanzli-che Speisereste (verschiedene Getreide und Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst, Nüsse u. a.) aus der Klosterküche des 9. Jahrhunderts geben dort differen-zierte Einblicke in den Konsum des Konvents51. Die Abfallprodukte Wein-reben und Nussschalen dürften den botanischen Analysen zufolge auch als Brennmaterial zum Einsatz gekommen sein. Saisongebundene Pflanzen beleuchten darüber hinaus die selten nachweisbare zeitliche Dynamik des klösterlichen Konsums innerhalb des Jahresverlaufs52. Vergleichbare bota-nische Fundkomplexe stammen aus karolingerzeitlichen (Abfall-)Schichten der Klöster Fulda und Corvey53. Aus dem Kloster Frauenwörth liegen früh-mittelalterliche Tierknochenkomplexe vor, die möglicherweise einen Hin-weis auf unterschiedliche Konsumgewohnheiten von Konventsangehörigen (geringer Rindfleischkonsum) und Bauarbeitern (hoher Rindfleischkonsum) geben54. Eine besondere Rolle scheint im Kloster Frauenwörth der Konsum von Schaf/Ziege gespielt zu haben, deren Anteil im Knochenmaterial unge-wöhnlich hoch ist55. Zeitgleiche Fundkomplexe zeigen dagegen eine Domi-nanz des Konsums von Schweinefleisch, so beispielsweise im Damenstift

50 A. Carannante u. a., I reperti delle cucine monastiche di San Vincenzo al Volturno. In: F. Marazzi/A. Gobbi (Hrsg.), Il lavoro nella regola. L’approvvigionamento alimentare e il cantiere edile di San Vincenzo al Volturno fra IX e XI secolo. Quad. Ricerca Scienti-fica, Ser. Beni Cult. 8 (Napoli 2007) 35–58 hier 42–44; F. Marazzi/A. Carannante, Dal mare ai monti. L’approvvigionamento ittico nelle cucine del monastero di San Vincen-zo al Volturno nel IX secolo. In: G. Volpe/A. Buglione/G. de Venuto (Hrsg.), Vie degli animali, vie degli uomini. Transumanza e altri spostamenti di animali nell’Europa tardoantica e medievale. Insulae Diomedeae 15 (Bari 2010) 107–118.

51 Carannante u. a. 2007 (Anm. 50) 38–46.52 Carannante u. a. 2007 (Anm. 50) 48.53 Dazu Kind 2007 (Anm. 38) 391–393; U. Willerding, Karolingische und hochmittelal-

terliche Pflanzenreste aus Corvey. In: Stephan 2000 (Anm. 38) 593–621 hier 594–604. Ein Teil der in Ufersedimente eingelagerten botanischen Reste in Corvey wurde nach Willerding angeschwemmt, muss also nicht zwingend aus dem Kloster selbst stam-men. Der Aussagewert für den klösterlichen Konsum ist dadurch eingeschränkt.

54 G. Sorge, Die Tierknochen aus den Klosteranlagen auf der Fraueninsel. In: H. Dann-heimer (Hrsg.), Frauenwörth. Archäologische Bausteine zur Geschichte des Klosters auf der Fraueninsel im Chiemsee. Bayer. Akad. Wiss., Phil.-Hist. Kl., Abhandl. N.F. 126 (München 2006) 335–367 hier 349–350.

55 Sorge 2006 (Anm. 54) 340–342.

SAFM 8_04022015_korr.indd 174 04.02.2015 16:27:35

175Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 175

Herford oder in San Vincenzo56. Woher die Lebensmittel stammen, ist, abge-sehen vom Seefisch in San Vincenzo, meist unklar. Jenseits der genannten Reste von Flora und Fauna, die sich unter günstigen Bedingungen im Boden erhalten, entzieht sich außerdem ein großes Spektrum von Produkten des Massenkonsums dem archäologischen Nachweis: Exemplarisch sei hierbei auf Wein und Salz verwiesen. Bisweilen liefern Fragmente möglicher ke-ramischer Verpackungen Indizien für in ihnen transportierte Güter. Für das Kloster Lorsch wären in diesem Zusammenhang großvolumige Relief-bandamphoren aus dem Rheingebiet zu nennen57. Bislang fehlen allerdings naturwissenschaftliche Analysen, die Hinweise auf ihren Inhalt und damit das eigentliche Konsumgut geben könnten; hinzu kommt die umstrittene Funktion dieser Gefäßgruppe58.

Die große Gruppe der Produktionsabfälle des Klosterhandwerks wurde bereits diskutiert. Auch dieses Material wurde im Kloster konsumiert und durch seine Entsorgung oder seinen Verlust dem Objektkreislauf dauerhaft entzogen. Besonders augenfällig, da in vielen Fällen sogar obertägig sicht-bar, ist der hohe Verbrauch von Baumaterial in den Klöstern. Insbesondere Stein wurde in der Karolingerzeit in riesigen Mengen für die repräsentative Ausgestaltung der Klöster verwendet59. Der Bedarf konnte besonders bei Großbaumaßnahmen vielfach nicht vor Ort gedeckt werden und bedingte spezifische Distributionssysteme60.

56 H. Reichstein, Tierknochen aus mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Fundkomple-xen aus dem Herforder Stiftsbereich. In: M. Wemhoff (Hrsg.), Das Damenstift Herford. Die archäologischen Ergebnisse zur Geschichte der Profan- und Sakralbauten seit dem späten 8. Jahrhundert. Denkmalpfl. u. Forsch. Westfalen 24 (Bonn 1993) 252–267; Carannante u. a. 2007 (Anm. 50) 39–40.

57 Kloster Lorsch 2011 (Anm. 38) 524.58 Dazu zusammenfassend W. Giertz, Reliefbandamphoren aus St. Quirin im Kontext

karolingischer Keramik. In: M. Tauch (Hrsg.), Quirinus von Neuss. Beiträge zur Heili-gen-, Stifts- und Münstergeschichte (Köln 2000) 222–271 hier 258–259.

59 Vgl. exemplarisch die Beiträge in F. de Rubeis/F. Marazzi (Hrsg.), Monasteri in Europa occidentale (secoli VIII–XI). Topografia e strutture. Atti del Convegno internazionale, Museo Archeologico di Castel San Vincenzo, 23–26 settembre 2004. I libri di Viella Arte (Rom 2008).

60 Vgl. exemplarisch A. Moscariello, Lo sfruttamento delle risorse naturali. Individua-zione e catalogazione di alcune cave di travertino nella piana di Rocchetta al Volturno. In: Marazzi/Gobbi 2007 (Anm. 50) 213–223; St. Büttner/D. Prigent, Les matériaux de construction dans le bâtiment médiéval. In: Chapelot 2010 (Anm. 45) 179–194 hier 182–183.

SAFM 8_04022015_korr.indd 175 04.02.2015 16:27:35

176 Haase, Werther u. Wunschel176

Die bisherigen Ausführungen stellten den Konsum innerhalb des Klosters in den Mittelpunkt. Genauso wie das Kloster ist aber auch jeder einzelne Hof innerhalb der klösterlichen Grundherrschaft nicht nur Produktions-, sondern auch Konsumort. In aller Regel ermöglicht allerdings nur eine ent-sprechende schriftliche Überlieferung die Verknüpfung eines archäologi-schen Konsumnachweises mit einer konkreten Grundherrschaft61. Die Be-deutung der Güternachfrage und des Konsums der einfachen Bevölkerung „auf dem Land“ für das (klösterliche) Wirtschaftssystem steht stark in der Diskussion. Während Chris Wickham der ländlichen Bevölkerung keine si-gnifikante Rolle zugesteht, sieht beispielsweise Frans Theuws in ihr einen entscheidenden Motor der ökonomischen Entwicklung62. Der ungenügende archäologische Forschungsstand zu grundherrschaftlichen Strukturen der Karolingerzeit, besonders außerhalb der Zentren, lässt in dieser wichtigen Frage momentan kaum Antworten zu63. Dies betrifft neben dem Konsum in gleichem Maße auch die Distribution innerhalb der klösterlichen Grund-herrschaft, die fast ausschließlich vom Zentrum aus beurteilt werden kann, während sich die ländliche Peripherie häufig dem Nachweis entzieht.

Distribution in der klösterlichen Grundherrschaft

Für alle in der klösterlichen Grundherrschaft produzierten und konsumier-ten Güter stellt sich die Frage nach archäologischen Nachweismöglichkeiten ihrer Distribution. Schon allein aufgrund ihrer weit verzweigten Besitzun-gen und ihrer besonderen Konsumbedürfnisse sind Klöster als wesentliche Träger von Transporten über größere Entfernungen zu vermuten, die Schrift-

61 Hier sei exemplarisch wiederum auf Villiers-le-Sec verwiesen, vgl. Cuisenier 1988 (Anm. 38). – Zu allgemeinen archäologischen Indizien einer grundherrschaftlichen Einbindung anhand des Fundmaterials vgl. Th. Meier/C. Kropp, Entwurf einer Ar-chäologie der Grundherrschaft im älteren Mittelalter. Beitr. Mittelalterarch. Österreich 26, 2010, 97–124 hier 107.

62 Vgl. Wickham 2005 (Anm. 33) 706–707; F. Theuws, Early medieval transformations: aristocrats and dwellers in the pagus Texandria. A publication programme. Medieval and Modern Matters, Arch. and Material Culture Low Countries 1, 2010, 37–72 hier 58. – Vgl. auch Meier 2011 (Anm. 46).

63 Dazu zusammenfassend Meier/Kropp 2010 (Anm. 61).

SAFM 8_04022015_korr.indd 176 04.02.2015 16:27:35

177Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 177

quellen beleuchten dies in vielfältiger Weise64. Methodisch stellen sich der Archäologie allerdings verschiedene Probleme65. Klösterliche Grundherr-schaften sind keine homogenen, räumlich in sich geschlossenen Gebilde. Sie überlagern sich gegenseitig in vielfältiger Art und Weise und sind außerdem mit königlichen, adeligen und bischöflichen Grundherrschaften verzahnt66. Grundsätzlich stellt sich die Frage, welche archäologischen Spuren Distribu-tionsprozesse hinterlassen können.

Im Idealfall sind sowohl der Ausgangspunkt, die zurückgelegte Rei-sestrecke als auch der Zielort eines Gütertransports bekannt. Dies kann beispielsweise für Bausteine gelingen, die für die Errichtung und Instand-haltung der Klosterbauten genutzt wurden. Häufig lässt sich durch petro-grafische Untersuchungen des im Kloster verbauten Steinmaterials dessen Abbauort identifizieren67. Für den Transport dieser schweren Lasten bot der Wasser- gegenüber dem Landweg große Vorteile, weshalb man von einer be-vorzugten Nutzung ausgehen kann68. Ein entsprechendes Beispiel bildet das karolingerzeitliche Kloster Saint-Philibert-de-Grand-Lieu: Für den Bau der

64 Vgl. P. Johanek, Der fränkische Handel der Karolingerzeit im Spiegel der Schriftquel-len. In: K. Düwel u. a. (Hrsg.), Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa. Teil IV. Der Handel der Karolin-ger- und Wikingerzeit. Abhandl. Akad. Wiss. Göttingen, Phil.-Hist. Kl. 156 (Göttingen 1987) 7–68; Devroey 1979 (Anm. 12); Lebecq 2000 (Anm. 44); J.-P. Devroey, L’espace des échanges économiques. Commerce, marché, communications et logistique dans le monde franc au IXe siècle. In: Uomo e spazio nell’alto Medioevo. Settimane Stud. Centro Italiano Stud. Alto Medioevo 50 (Spoleto 2003) 347–392; F. Marazzi, The Early Medieval Alternative: Monasteries as Centres of non City-Based Economic Systems in Italy Between Eighth and Ninth Century A.D. In: B. Marin/C. Virlouvet (Hrsg.), Nour-rir les cités de Méditerranée. Antiquité – Temps modernes (Paris 2003) 739–767.

65 Dazu allgemein Meier/Kropp 2010 (Anm. 61) 101–113.66 Vgl. aus unterschiedlichen Perspektiven die Einzelbeiträge in Rösener 1989 (Anm. 6).

– Aus einer Mikroperspektive für Südbayern jüngst Th. Kohl, Lokale Gesellschaf-ten. Formen der Gemeinschaft in Bayern vom 8. bis zum 10. Jahrhundert. Mittelalter-Forsch. 29 (Ostfildern 2010).

67 Vgl. J. Lorenz/P. Benoit, Carrières et constructions en France et dans les pays limi-trophes. Coll. CTHS 1 (Paris 1991); F. Blary/G.-P. Gély/J. Lorenz, Pierres du patri-moine européen. Économie de la pierre de l’antiquité à la fin des temps modernes. Arch. et Hist. Art 28 (Paris 2008); Moscariello 2007 (Anm. 60); Büttner/Prigent 2010 (Anm. 60).

68 Zu einem karolingerzeitlichen Transportschiff mit Tuffsteinfracht zusammenfassend R. Bockius, Binnenfahrzeuge im Karolingerreich. In: P. Ettel u. a. (Hrsg.), Großbaustel-le 793. Das Kanalprojekt Karls des Großen zwischen Rhein und Donau. Mosaiksteine, Forsch. RGZM 11 (Mainz 2014) 81–86 hier 83–86.

SAFM 8_04022015_korr.indd 177 04.02.2015 16:27:35

178 Haase, Werther u. Wunschel178

Klosterkirche lässt sich ein Transport des Tuffsteins aus dem etwa 100 km entfernten Umfeld von Tours auf der Loire an die Baustelle wahrschein-lich machen69. Im Kloster Sandau am Lech wurden in der Karolingerzeit Jurakalke (sogenannter Treuchtlinger Marmor) verbaut, die vermutlich aus römischen Ruinen in Augsburg oder Epfach gewonnen wurden. Die Bear-beiter vermuten einen Transport mit Flößen auf dem Lech an den Bauplatz des Klosters70.

Für Kochgefäße wurde Speckstein/Lavez abgebaut und teils über be-trächtliche Entfernungen verhandelt. So liegen aus dem Kloster Reichenau-Mittelzell mehrere Fragmente von Lavezgefäßen vor, deren Rohmaterial aus dem Alpenraum stammt. Schriftquellen belegen für das Kloster Reichenau umfangreiche Schenkungen in Graubünden, wo der Stein bereits in römi-scher Zeit abgebaut wurde71. Auch aus dem Kloster Müstair stammt ein gro-ßer Komplex karolingerzeitlicher Lavezgefäße, deren Rohmaterial nicht vor Ort verfügbar war und im Tessin, den lombardischen Alpentälern und/oder dem Aostatal abgebaut wurde. Lavezgefäße dominieren dabei das Gefäß-spektrum gegenüber Keramik im Verhältnis von etwa 2:1, sodass wiederholt beträchtliche Mengen des Materials von den Steinbrüchen in das Kloster transportiert worden sein müssen72. Die dafür genutzten Transportwege und -mittel sind allerdings nicht greifbar.

Methodische Probleme bereitet der Nachweis von Distributionssyste-men anhand der Keramik. Sowohl die Gefäße selbst als auch deren Inhalt

69 Büttner/Prigent 2010 (Anm. 60) 182–183.70 H.-J. Gregor/M. Rummel/G. Schairer, Gutachten zur Herkunft der Werksteine für die

Innenausstattung der Kirche I. In: H. Dannheimer (Hrsg.), Sandau. Archäologie im Areal eines altbaierischen Klosters des frühen Mittelalters. Münchner Beitr. Vor- u. Frühgesch. 55 (München 2003) 383–386.

71 U. Gross/A. Zettler, Nachantike Lavezfunde in Südwestdeutschland. Zeitschr. Arch. Mittelalter 18/19, 1990/91, 11–31 hier 15–16.

72 Ch. Terzer, Keramik- und Lavezgefässe der Zeit von 800 bis 1200 aus Müstair GR-Klo-ster St. Johann. In: Siedlungsbefunde und Fundkomplexe der Zeit zwischen 800 und 1350. Akten des Kolloquiums zur Mittelalterarchäologie in der Schweiz, Frauenfeld, 28.–29.10.2010 (Basel 2011) 361–368 hier 363–364.

SAFM 8_04022015_korr.indd 178 04.02.2015 16:27:35

179Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 179

wurden im Frühmittelalter teils über weite Strecken verhandelt73. Eine Pro-venienzzuweisung von Keramik aus frühmittelalterlichen Klöstern anhand von Warenarten und typologischen Merkmalen gibt wichtige Hinweise auf mögliche Herkunftsgebiete74. Um den Herstellungsort und damit den Startpunkt eines Transportes sicher zu lokalisieren, sind allerdings natur-wissenschaftliche Provenienzanalysen unumgänglich75. Für zuverlässige Ergebnisse ist eine große Stichprobe nötig, was bislang nur in Einzelfällen umgesetzt werden konnte76. Insbesondere das Verbreitungsbild der karolin-gerzeitlichen Mayener Ware in Südwestdeutschland wurde wiederholt mit

73 H. Steuer, Der Handel der Wikingerzeit zwischen Nord- und Westeuropa aufgrund archäologischer Zeugnisse. In: Düwel u. a. 1987 (Anm. 64) 113–197 hier 134–142; U. Gross, Keramikverbreitung und herrschaftliche Strukturen. Beispiele aus dem frü-hen und späten Mittelalter in Südwestdeutschland. In: D. Krausse/O. Nakoinz (Hrsg.), Kulturraum und Territorialität. Archäologische Theorien, Methoden und Fallbeispie-le. Kolloquium des DFG-SPP 1171 Esslingen 17.–18. Januar 2007. Internat. Arch., Ar-beitsgemeinschaft, Tagung, Symposium, Kongress 13 (Rahden/Westf. 2009) 159–175; L. Grunwald, Anmerkungen zur Mayener Keramikproduktion des 9. bis 12. Jahrhun-derts. Archäologische Nachweise – wirtschaftsgeschichtliche Aussagen – historische Einbindungen. In: L. Grunwald/H. Pantermehl/R. Schreg (Hrsg.), Hochmittelalterli-che Keramik am Rhein. Eine Quelle für Produktion und Alltag des 9. bis 12. Jahrhun-derts. RGZM-Tagungen 13 (Mainz 2012) 143–160; U. Gross, Keramikgruppen des 8. bis 12. Jahrhunderts am nördlichen Oberrhein. Zur Frage von Verbreitungsgebieten und Produktionsstätten. In: ebd. 63–76; R. Schreg, Keramik des 9. bis 12. Jahrhunderts am Rhein. Forschungsperspektiven für Produktion und Alltag. In: ebd. 1–19 hier 5–13.

74 Vgl. dazu beispielsweise Sanke 2004 (Anm. 38) 138–182.75 Vgl. allgemein Schreg 2012 (Anm. 73) 6.76 Vgl. H. Stilke/A. Hein/H. Mommsen, Neutronenaktivierungsanalysen an mittelalter-

licher Keramik aus Mayen und an Tatinger Ware. Ber. Arch. Mittelrhein u. Mosel 6, 1999, 403–418; H. Mommsen, Tonmasse und Keramik: Herkunftsbestimmung durch Spurenanalyse. In: G. A. Wagner (Hrsg.), Einführung in die Archäometrie (Berlin 2007) 179–192; M. Maggetti, Naturwissenschaftliche Untersuchung antiker Keramik. In: A. Hauptmann/V. Pingel (Hrsg.), Archäometrie. Methoden und Anwendungsbei-spiele naturwissenschaftlicher Verfahren in der Archäologie (Stuttgart 2008) 91–109. – Zu neuen Verfahren, insbesondere mittels portabler Geräte zur Röntgenfluoreszenz-analyse, vgl. M. Helfert/D. Böhme, Herkunftsbestimmung von römischer Keramik mittels portabler energiedispersiver Röntgenfluoreszenzanalyse (P-ED-RFA) – Erste Ergebnisse einer anwendungsbezogenen Teststudie. In: B. Ramminger/O. Stillborg (Hrsg.), Naturwissenschaftliche Analysen vor- und frühgeschichtlicher Keramik I: Methoden, Anwendungsbereiche, Auswertungsmöglichkeiten. Univforsch. Prähist. Arch. 176 (Bonn 2010) 11–30; S. Behrendt/D. P. Mielke/R. Tagle, Provenienzanalysen im Vergleich. Neue Wege zur archäometrischen Untersuchung phönizischer Kera-mik. Madrider Mitt. 53, 2012, 187–219; D. P. Mielke/S. Behrendt/O. Mecking, Neue Ho-rizonte in der Archäometrie. Arch. Deutschland 2013, H. 1, 64–65.

SAFM 8_04022015_korr.indd 179 04.02.2015 16:27:35

180 Haase, Werther u. Wunschel180

den grundherrschaftlichen Besitzungen des Klosters Prüm in Verbindung gebracht77. Angesichts der vielfältigen Überlagerung grundherrschaftli-cher Strukturen im verkehrsgeografisch begünstigten Rheinabschnitt zwi-schen Neckar- und Moselmündung scheinen allerdings Zweifel an dieser Deckungsgleichheit angebracht78. In dieser Region ist den Schriftquellen zufolge außerdem nicht nur mit grundherrschaftlichen, sondern auch mit handelsorientierten Verteilungsmechanismen zu rechnen79. Von Töpfern ( figuli), die ihre Waren per Schiff auf dem Rhein transportierten, um sie zu verkaufen, und bei St. Goar Schiffbruch erlitten, berichten beispielsweise die 839 aufgezeichneten Miracula sancti Goaris80. Für den Main berichtet Einhard im frühen 9. Jahrhundert von Händlern, die Getreide erwarben, um es an-derswo zu verkaufen81. Zweifel an einer Erklärung der Fundverteilung der Mayener Ware durch Transportdienste des Klosters Prüm weckt auch das starke Fundaufkommen der Ware im Raum Karlburg am Main, wohin das Kloster Prüm keine grundherrschaftlichen Bezüge hatte82. Es muss daher mit alternativen Verteilungsmechanismen und auch einer Distribution über mehrere Stationen unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure gerechnet werden.

77 Gross 2009 (Anm. 73) 162; Grunwald 2012 (Anm. 73) 153; Gross 2012 (Anm. 73) 63.78 Vgl. exemplarisch: Geschichtlicher Atlas von Hessen (Marburg/Lahn 1960–78) Kar-

te 19 und 20. – Probleme bereitet auch die fehlende quantitative Kartierung.79 Vgl. McCormick 2010 (Anm. 36) 643–656. – Die These von Thomas Meier, der das

grundherrschaftliche System in Süddeutschland für eine „closed agrarian economy based on the manorial system without markets“ hält (Meier 2011 [Anm. 46] 296), ist zumindest für das Main- und Oberrheingebiet kritisch zu hinterfragen.

80 Wandalbert von Prüm, Vita et miracula Sancti Goaris. Hrsg. v. H. E. Stiene. Lat. Spra-che u. Lit. Mittelalter 11 (Frankfurt a. Main 1981) Kap. XXI; A. Hack, Schiffsreisende im frühen Mittelalter. In: Ettel u. a. 2014 (Anm. 68) 105–106.

81 McCormick 2010 (Anm. 36) 655.82 Vgl. I. Schwab, Besitzungen der Abtei Prüm im 9. Jahrhundert. Gesch. Atlas Rheinlan-

de, Beih. 7,1 (Köln 1982); P. Ettel, Karlburg – Roßtal – Oberammerthal. Studien zum frühmittelalterlichen Burgenbau in Nordbayern. Frühgesch. u. Provinzialröm. Arch. 5 (Rahden/Westf. 2001) 57–70; Ders., „Scherben bringen Glück“ – kulturhistorische und soziale Erkenntnisse anhand der Keramik aus Karlburg. In: G. Eggenstein u. a. (Hrsg.), Eine Welt in Bewegung. Unterwegs zu Zentren des frühen Mittelalters. Aus-stellungskat. Paderborn u. Würzburg (München 2008) 102–106; R. Obst, Die Besied-lungsgeschichte am nordwestlichen Maindreieck vom Neolithikum bis zum Ende des Mittelalters. Würzburger Arbeiten Prähist. Arch. 4 (Rahden/Westf 2012) 190; 242–250.

SAFM 8_04022015_korr.indd 180 04.02.2015 16:27:35

181Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 181

Klarer im archäologischen Quellenmaterial greifbar ist bisweilen die Dis-tribution exklusiver Objekte aus Klosterwerkstätten. Zu nennen wären Ein-zelanfertigungen der Goldschmiedewerkstätten und Skriptorien. Ein im Kloster Lorsch hergestelltes prunkvolles Evangeliar nennt als Empfänger beispielsweise Bischof Folcwich von Worms (826–838), womit indirekt der Weg des Objektes aus dem Kloster in die Bischofsstadt greifbar wird83. Für die Herstellung des Evangeliars waren allerdings Pergament, Edelmetall, Farben und andere Rohmaterialien notwendig, die nicht im Kloster selbst gewonnen werden konnten. Das Objekt beleuchtet damit seinerseits ein komplexes Distributionsnetzwerk, das im Detail kaum greifbar ist. Woher stammen beispielsweise die Häute für das Pergament? Mögliche Annähe-rungen könnten, wie auch für andere organische Materialien, über natur-wissenschaftliche Untersuchungen – besonders Isotopenanalysen – erfolgen. Auch für im Kloster konsumierte Massenwaren wie Getreide oder Schlacht-vieh ist eine Provenienzzuweisung auf diesem Wege denkbar und könnte der Archäologie völlig neue Aspekte der Güterdistribution erschließen84. Gibt es beispielsweise im Kloster Fulda Rinderknochen aus dem Nördlinger Ries – einem wichtigen Viehzuchtgebiet innerhalb der klösterlichen Grund-herrschaft – oder wurde von dort vielleicht sogar Pergament ins Fuldaer

83 M. Exner, Buchmalerei im Kloster Lorsch. Frühmittelalterliche Miniaturen aus dem Skriptorium des Reichsklosters. In: Kloster Lorsch 2011 (Anm. 38) 334–335.

84 Dazu exemplarisch L. V. Benson u. a., Isotope sourcing of prehistoric willow and tule textiles recovered from western Great Basin rock shelters and caves – proof of concept. Journal Arch. Science 33, 2006, 1588–1599; E. Dufour u. a., Oxygen and strontium isotopes as provenance indicators of fish at archaeological sites: the case study of Sagalassos, SW Turkey. Journal Arch. Science 34, 2007, 1226–1239; R. Bendrey/T. E. Hayes/M. R. Palmer, Patterns of Iron Age horse supply: an analysis of strontium isotope ratios in teeth. Archaeometry 51, 2009, 140–150; M. Vohberger, Lokal oder eingewandert? Interpretationsmöglichkeiten und Grenzen lokaler Stron-tium- und Sauerstoffisotopensignaturen am Beispiel einer Altgrabung in Wenigum-stadt (Diss. Univ. München 2011) 26–27, <http://edoc.ub.uni-muenchen.de/12741/1/Voh-berger_Marina.pdf> (22.7.2014); G. Grupe/C. von Carnap-Bornheim/F. Söllner, Stable strontium isotope mapping for provenance studies in archaeology – different material, different signals? Bull. Schweizer. Ges. Anthr. 17,1–2, 2011, 67–76; T. D. Price u. a., Iso-topes and mobility: Case studies with large samples. In: E. Kaiser/J. Burger/W. Schier (Hrsg.), Population Dynamics in Prehistory and Early History. New Approaches Us-ing Stable Isotopes and Genetics. Topoi, Berlin Stud. Ancient World 5 (Berlin 2012) 311–322.

SAFM 8_04022015_korr.indd 181 04.02.2015 16:27:35

182 Haase, Werther u. Wunschel182

Skriptorium geliefert85? Lässt sich der Transport von Getreide aus dem Ren-ninger Becken ins Kloster Weißenburg, von dem Schriftquellen berichten, archäologisch nachweisen86?

In Sonderfällen lässt sich auch aufgrund der Lage des Klosters aus ein-zelnen Fundgruppen auf Distributionsprozesse schließen. Ein Beispiel ist das Inselkloster Frauenwörth im Chiemsee und die dort geborgenen früh-mittelalterlichen Schlachtabfälle. Auf der Insel selbst konnten keine größe-ren Herden gehalten werden87. Den archäozoologischen Analysen zufolge wurde das Schlachtvieh, besonders Schafe/Ziegen, Schweine und Rinder, vermutlich lebend geliefert und im Klosterareal verarbeitet und konsu-miert88. Es muss also ein regelmäßiger Viehtransport vom Festland zum In-selkloster stattgefunden haben.

Eine besondere Bedeutung im Zuge der Güterdistribution klösterlicher Grundherrschaften kam zweifellos der Lagerung und Speicherung von Gü-tern zu. In verschiedenen Zusammenhängen wurde bereits auf die Saisona-lität vieler Konsumgüter und Produktionsprozesse verwiesen89. Nur selten lassen sich Speicherbauten allerdings eindeutig einem Kloster oder einer spezifischen Grundherrschaft zuordnen. Exemplarisch sei auf einen Raum zur Getreidelagerung im Kloster San Vincenzo verwiesen, der im 9. Jahr-hundert dieser Nutzung zugeführt wurde90. Liegen ergänzend Schriftquel-len vor, ist vereinzelt auch eine Zuordnung von Speicherbauten außerhalb des Klosters zu einer spezifischen Grundherrschaft möglich, so im Falle der ergrabenen Silogruben in der bereits genannten Siedlung Villiers-le-Sec des Klosters St. Denis91. Auch die Transportmöglichkeiten waren jahres-zeitlichen Schwankungen unterworfen, nicht zuletzt durch Veränderungen von Wasserständen, Schnee, Regen und Zufrieren von Gewässern – oder witterungsbedingten Straßenschäden92. Dies sollte für das Verständnis der

85 Vgl. U. Weidinger, Untersuchungen zur Wirtschaftsstruktur des Klosters Fulda in der Karolingerzeit. Monogr. Gesch. Mittelalter 36 (Stuttgart 1991) 299–300.

86 R. Schreg, Dorfgenese in Südwestdeutschland – Das Renninger Becken im Mittelalter. Materialh. Arch. Baden-Württemberg 76 (Stuttgart 2006) 82.

87 Sorge 2006 (Anm. 54) 335–342.88 Sorge 2006 (Anm. 54) 349.89 Vgl. allgemein Meier 2011 (Anm. 46) 290–295.90 Vgl. Hodges 2012 (Anm. 34) 81.91 Cuisenier 1988 (Anm. 38) 218–222; Gentili 2010 (Anm. 45) 123–126.92 Dazu allgemein für das Frühmittelalter McCormick 2010 (Anm. 36) 444–468.

SAFM 8_04022015_korr.indd 182 04.02.2015 16:27:35

183Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 183

Dynamik des Distributionssystems in Zukunft stärker in archäologische In-terpretationsansätze einbezogen werden.

Infrastruktur in der klösterlichen Grundherrschaft

Abschließend ist der Frage nachzugehen, welche Infrastruktur den Dis-tributionssystemen innerhalb klösterlicher Grundherrschaften zu Grunde lag. Lassen sich archäologisch spezifisch klösterliche Infrastrukturelemente oder Einflüsse auf Bau und Unterhalt von Verkehrsinfrastruktur nachwei-sen? Ein vitales Interesse an leistungsfähigen Verbindungen zu Land und zu Wasser für die Versorgung des Klosters mit Konsumgütern ist aufgrund der in den Schriftquellen dokumentierten weit verzweigten Besitzungen voraus-zusetzen. Archäologisch betrachtet gibt es allerdings keine spezifisch klös-terliche Verkehrsinfrastruktur, die sich von derjenigen anderer Nutzer ohne zusätzliche Quellen unterscheiden ließe. Außerhalb des Klosters gelegene Infrastruktureinrichtungen können daher nur durch eine Verknüpfung mit historischen Quellen oder einen besonderen topografischen Bezug mit klös-terlicher Grundherrschaft in Verbindung gebracht werden93.

Landwegtrassen lassen sich nur in Ausnahmefällen einer konkreten klösterlichen Grundherrschaft zuordnen. Dies gelingt für Streckenabschnit-te innerhalb des Klosters, als Beispiel sei auf den Befund einer aufwändig mit Kieslagen befestigten Straße der Karolingerzeit aus dem Kloster St. Gal-len verwiesen94. Ist der grundherrschaftliche Bezug einer Siedlung wie in Villier-le-Sec bekannt, liegt für ergrabene Wegetrassen eine Nutzung im Rahmen der Güterdistribution des Klosters nahe95. Die Transportmittel ha-ben sich in der Regel nicht erhalten; Zug- und Lasttiere lassen sich jedoch bisweilen durch archäozoologische Untersuchungen von Knocheninventa-

93 Dazu allgemein aus historischer Perspektive für das Alpenvorland W. Störmer, Fern-straße und Kloster. In: W. Störmer, Mittelalterliche Klöster und Stifte in Bayern und Franken (St. Ottilien 2008) 367–406 (Erstabdruck in: Zeitschr. Bayer. Landesgesch. 29, 1966, 297–343).

94 M. P. Schindler, Archäologischer Jahresbericht 2010. Kantonsarchäologie St. Gallen. Jahresber. 2010, 161.

95 Vgl. Gentili 2010 (Anm. 45) 123. – Dazu jüngst auch I. Lafarge/C. Gonçalves-Buissart/C. le Forestier, Les habitats ruraux du haut Moyen Age en Seine-Saint-De-nis, Etat des lieux. Archéopages 34, 2012, 48–57.

SAFM 8_04022015_korr.indd 183 04.02.2015 16:27:35

184 Haase, Werther u. Wunschel184

ren indirekt wahrscheinlich machen96. Eine Schwierigkeit der Güterdistribu-tion innerhalb der Grundherrschaften bildete die Überquerung von Flüssen. In Einzelfällen wurden dafür auf klösterliche Initiative Brücken angelegt, so beispielsweise in San Vincenzo über den Fluss Volturno zur Gewährleistung eines dauerhaften Zugangs zum Klosterareal97. Relativ zahlreich treten Klös-ter im 9./10. Jahrhundert außerdem mit Reparaturpflichten an Brücken oder als Inhaber von Brückenzöllen in Erscheinung98. Schriftquellen beschreiben wiederholt auch die Kontrolle von Fährstationen durch Klöster99. Erst in jüngster Zeit setzt sich die Archäologie mit dieser Thematik auseinander, ohne dass allerdings bislang Zusammenhänge mit klösterlichen Grund-herrschaften beurteilt werden könnten100. Ein Zwischenglied zwischen Fährstationen und Binnenhäfen bilden die Anlegeplätze von Inselklöstern. Aufgrund ihrer topografischen Lage ist in diesen Fällen eine Verbindung von Hafenbefund und Kloster gut möglich101. Als Beispiel sei auf die bislang leider nur in Ausschnitten greifbaren frühmittelalterlichen Hafenbefunde

96 Vgl. Carannante u. a. 2007 (Anm. 50) 39–40. – Historisch dazu W. Ch. Schneider, Ani-mal laborans. Das Arbeitstier und sein Einsatz in Transport und Verkehr der Spätan-tike und des frühen Mittelalters. In: L’Uomo di fronte al mondo animale nell’Alto Medioevo 1. Settimane Stud. Centro Italiano Stud. Alto Medioevo 31 (Spoleto 1985) 457–578.

97 Hodges 2012 (Anm. 34) 81.98 Vgl. P. Szabó, Antikes Erbe und karolingisch-ottonische Verkehrspolitik. In: Fenske/

Rösener/Zotz 1984 (Anm. 35) 125–145 hier 129–137.99 Vgl. D. Hägermann, Wandel der klösterlichen Grundherrschaft im 11. Jahrhundert?

Beobachtungen an dem Urbar des Benediktinerinnenklosters Kitzingen in Unter-franken. In: W. Rösener (Hrsg.), Grundherrschaft und bäuerliche Gesellschaft im Hochmittelalter. Veröff. Max-Planck-Inst. Gesch. 115 (Göttingen 1995) 162–183 hier 169; K. Elmshäuser, Facit Navigium. Schiffahrt auf Seine, Marne, Mosel und Rhein in Quellen zur frühmittelalterlichen Grundherrschaft. In: K. Elmshäuser/D. Ellmers (Hrsg.), Häfen, Schiffe, Wasserwege. Zur Schiffahrt des Mittelalters. Schr. Dt. Schiff-fahrtsmus. 58 (Hamburg 2002) 22–53 hier 35; Störmer 2008 (Anm. 93) 385–389; C. Haa-se, Was »Karl« geladen hatte. Transportgüter auf frühmittelalterlichen Wasserwegen anhand der Schriftquellengattung Urbar. In: Ettel u. a. 2014 (Anm. 68) 107–109.

100 Vgl. exemplarisch L. Kröger, Einbäume des Maingebietes – Fähren als verbindendes Element eines mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wegesystems. In: F. Bittmann u. a. (Hrsg.), Flüsse als Kommunikations- und Handelswege. Marschenratskolloqui-um 2009, 05.–07. November 2009, Deutsches Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven. Sied-lungs- u. Küstenforsch. südl. Nordseegebiet 34 (Rahden/Westf. 2011) 115–128.

101 Zu Inselklöstern allgemein Th. Meier, Das Kloster im See. Überlegungen zu einem mittelalterlichen Lagetyp. Siedlungsforsch. 27, 2009, 113–161.

SAFM 8_04022015_korr.indd 184 04.02.2015 16:27:36

185Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 185

des Klosters Reichenau im Bodensee verwiesen102. In einigen wenigen Fällen lassen sich auch Flusshäfen mit Klöstern in Verbindung bringen. So konnte für das Kloster Corvey eine Anlegestelle des 9. Jahrhunderts an der Weser innerhalb der Klostermauern wahrscheinlich gemacht werden103. Eine Nut-zung im Rahmen der Güterdistribution des Klosters Lorsch lässt sich aus den Schriftquellen für einen karolingerzeitlichen Hafenbefund in Zullestein am Rhein nachweisen104. Letztgenannter Fundplatz zeigt allerdings exemp-larisch auch die Dynamik innerhalb der Nutzergruppen und die Probleme einer eindeutigen Zuordnung: Aufgrund einer günstigen Überlieferung ist bekannt, dass sich der Hafen Zullestein vor der Schenkung an das Kloster Lorsch im Besitz eines Adeligen befand105. Ob mit dem Besitzerwechsel bau-liche Veränderungen einhergingen, ob das Kloster nun Exklusivnutzer war oder ob auch weiterhin andere Nutzergruppen mit ihren Schiffen anlanden konnten, ist fraglich. Abschließend ist festzuhalten, dass die Bodenarchive ohne ergänzende Schriftquellen keine Beurteilung des Beitrags klösterlicher Grundherrschaften zur Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur im Früh-mittelalter zulassen.

Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur klösterlicher Grundherrschaft im Frühmittelalter – abschließende

Bemerkungen zu Methodik und Perspektiven der Forschung

Der vorliegende Beitrag nähert sich der Güterdistribution und Verkehrs-infrastruktur klösterlicher Grundherrschaft im Frühmittelalter von histo-rischer und archäologischer Seite an. Beide Wissenschaften beleuchten mit ihren spezifischen Quellen unterschiedliche Facetten des Themenkomple-

102 Dazu A. Zettler, Die frühen Klosterbauten der Reichenau. Ausgrabungen – Schriftquellen – St. Gallener Klosterplan. Arch. u. Gesch. 3 (Sigmaringen 1988) 143–148; M. Untermann, Die archäologische Erforschung der Insel Reichenau. In: M. Untermann/K. Kramer (Hrsg.), Klosterinsel Reichenau im Bodensee. UNESCO-Weltkulturerbe. Arbeitsh. Landesdenkmalamt Baden-Württemberg 8 (Stuttgart 2001) 157–171 hier 171.

103 Vgl. Stephan 2000 (Anm. 38) 39.104 Dazu S.-H. Siemers, Das Tor zur Welt – Lorschs Rheinhafen Zullestein. In: Kloster

Lorsch 2011 (Anm. 38) 66–75 mit Verweis auf ältere Literatur.105 Johanek 1987 (Anm. 64) 54.

SAFM 8_04022015_korr.indd 185 04.02.2015 16:27:36

186 Haase, Werther u. Wunschel186

xes. Ein Grundproblem des archäologischen Zugangs liegt bereits in der Terminologie begründet: „Grundherrschaft“ ist als historisches Konstrukt archäologisch nicht unmittelbar nachweisbar106. Eine entsprechende In-terpretation und Zuordnung ermöglicht in aller Regel erst eine Synchro-nisierung mit Schriftquellen. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass die archäologische Perspektive auf grundherrschaftliche Distributions- und Verkehrsstrukturen primär vom Kloster ausgeht, das in den Quellen expli-zit greifbar ist. In der historischen Quellengruppe der Urbare, die beson-ders gut über grundherrschaftliche Zusammenhänge informiert, bildet das Kloster dagegen häufig nur einen Teilaspekt, im Mittelpunkt steht sein wirt-schaftliches Hinterland. Einem archäologischen Zugang vom Zentrum steht also ein historischer Ansatz von der Peripherie aus gegenüber. Aufgrund der genannten Nachweisprobleme grundherrschaftlicher Strukturen im archäologischen Quellenmaterial muss die Fragestellung zwangsläufig von den historischen Quellen ausgehen; sie liefern den allgemeinen Interpreta-tionsrahmen. Gleichzeitig enthalten sie jedoch nur in seltenen Fällen De-tailinformationen auf Mikroebene, beleuchten oft nur einen Ausschnitt der jeweiligen Grundherrschaft – und sind nicht vermehrbar. Die Archäologie hingegen kann durch die Informationsfülle auf der Ebene einzelner Funk-tionseinheiten der Grundherrschaft und die Generierbarkeit ihrer Quellen das historische Quellenbild wesentlich erweitern und ermöglicht neue Fra-gen und Perspektiven. Ein einfaches räumliches „Übereinanderlegen“ von Informationsebenen, beispielsweise der Verteilung von Besitzungen eines Klosters und spezifischen keramischen Waren, erscheint dabei allerdings wenig zielführend. Ebenso lässt sich die Hoffnung, anhand historischer Quellen die Informationen zu einem konkreten archäologisch bekannten Fundplatz gezielt zu erweitern oder anhand archäologischer Untersuchun-gen gezielt ganz bestimmte Ergebnisse zu historisch vielversprechenden Orten zu gewinnen, in der Praxis selten erfüllen. Genauso erweist sich der Versuch, archäologisch wichtige Fundgruppen auch in den Schriftquellen bestätigt zu finden oder historisch überlieferte Transportgüter auch archäo-logisch nachzuweisen, in der Regel als vergeblich. Die für die Archäologie so bedeutende Keramik findet in den Urbaren keine Erwähnung, das dort so häufig genannte Getreide lässt sich archäologisch bislang kaum erkennt-

106 Dazu grundlegend Meier/Kropp 2010 (Anm. 61).

SAFM 8_04022015_korr.indd 186 04.02.2015 16:27:36

187Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 187

nisbringend auswerten. Vielversprechender erscheint dagegen gerade für dieses Problem der Einsatz naturwissenschaftlicher Verfahren am archäolo-gischen Quellenmaterial – besonders zur Provenienzanalyse – in Bereichen, in denen eine räumliche oder funktionale Synchronisierung mit der histori-schen Überlieferung möglich ist. Zumindest in Ansätzen lässt sich für eini-ge klösterliche Grundherrschaften das Erkenntnispotential einer derartigen Forschungsstrategie erkennen. Auf dieser Basis wäre eine Erweiterung und Vertiefung der Vorstellungen zur Funktionsweise frühmittelalterlicher Dis-tributionssysteme und Infrastruktureinrichtungen im Spannungsfeld von Schriftquellen und Sachkultur möglich. Voraussetzung auf Seiten der Ar-chäologie ist allerdings, dass die entsprechenden Quellen bei Ausgrabungen systematisch gesichert werden – was gerade im Hinblick auf botanische und zoologische Kleinstfunde nach wie vor nicht immer geschieht107.

Eine exakte räumliche oder sachliche Überschneidung der historischen und archäologischen Überlieferung ist zudem nur in seltenen Fällen zu er-warten und die Verzahnung oder direkte Verknüpfung beider Wissenschaf-ten anhand eines konkreten Untersuchungsgegenstandes oft nur schwer zu bewerkstelligen. Erst ein umfassenderer, überregionaler, systematischerer Blick auf die Fragestellung und den Themenkomplex ermöglicht ein gegen-seitiges Verständnis für die tatsächlichen Potenziale beider Wissenschaften und die Chancen einer historisch-archäologischen Zusammenarbeit. Nur die Kombination historischer und archäologischer Erkenntnisse sowie ein mehrstufiger Prozess der Rückkoppelung dieser Ergebnisse auf die jeweils andere Disziplin ermöglicht eine ertragreiche interdisziplinäre Forschung. Als ein erster Schritt soll der hier geleistete Quellenüberblick versuchen, den Blick für das Aussagepotential vernachlässigter archäologischer Quellen-gruppen zu schärfen und so Perspektiven für die zukünftige Erforschung grundherrschaftlicher Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur zu er-schließen.

107 Dazu bereits nachdrücklich Meier/Kropp 2010 (Anm. 61) 108–109.

SAFM 8_04022015_korr.indd 187 04.02.2015 16:27:36

188 Haase, Werther u. Wunschel188

Zusammenfassung

Allgemeine Einigkeit herrscht darüber, dass die Zusammenarbeit unterschiedli-cher Fachrichtungen der Forschung neue Wege und Erkenntnisse eröffnet. Wie eine solche Kooperation umzusetzen ist und dass sie mehr sein muss als ein ad-ditives Nebeneinander der Disziplinen, wird selten explizit berücksichtigt. Der Themenkomplex Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur frühmittelalter-licher Kloster-Grundherrschaft dient dazu, unterschiedliche Zugangsweisen von Geschichtswissenschaft und Archäologie sowie die Aussagemöglichkeiten ihrer jeweiligen Quellen darzustellen. Indem ausgewählte Passagen des Prümer Urbars analysiert werden und ein breites archäologisches Quellenspektrum zu Produktion, Konsum und Distribution aufgefächert wird, lassen sich Chancen und Probleme der Verknüpfung archäologischer und historischer Überlieferung verdeutlichen. Hierdurch wird aufgezeigt, wie eine sinnvolle interdisziplinäre Zusammenarbeit gelingen kann.

Summary

There is a general consent that the cooperation of scientific disciplines offers the opportunity to generate new methods and insights. But the question of how to implement this so that the cooperation is more than just disciplines coexisting is rarely addressed.The research on goods distribution and transport infrastructure in the context of monastic manorialism in the Early Middle Ages, aims to present different approaches of History and Archaeology and the inherent information of their respective sources.By analyzing selected parts of the “Prümer Urbar” (manorial roll/urbarium of Prüm Abbey) and by presenting a broad spectrum of archaeological sources regarding production, consumption and distribution of goods, opportunities and risks of linking archaeological and historical evidence can be identified. Moreover, it is outlined how an advantageous interdisciplinary cooperation can be achieved.

SAFM 8_04022015_korr.indd 188 04.02.2015 16:27:36

189Güterdistribution und Verkehrsinfrastruktur im Frühmittelalter 189

Carolin Haase M.A.Friedrich-Schiller-Universität Jena

Historisches InstitutFürstengraben 13

07743 [email protected]

Dr. des. Lukas WertherFriedrich-Schiller-Universität Jena

Bereich für Ur- und FrühgeschichteLöbdergraben 24 a

07743 [email protected]

Andreas Wunschel M.A.Friedrich-Schiller-Universität Jena

Bereich für Ur- und FrühgeschichteLöbdergraben 24 a

07743 [email protected]

SAFM 8_04022015_korr.indd 189 04.02.2015 16:27:36