Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela "Yo soy Betty la...

28
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ............................................................................................................................. 1 1.1. Vorgehen der Arbeit ....................................................................................................... 2 2. Das Genre Telenovela ........................................................................................................... 3 2.1. Geschichte und Wurzeln der lateinamerikanischen Telenovela ........................................ 3 2.2. Die Telenovela als Produkt der Kulturindustrie ............................................................... 4 2.3. Struktur und Identifikation .............................................................................................. 6 3. Geschlechterkonstruktion und „Doing Gender“ ..................................................................... 7 3.1. Eva Illouz: die Liebe, die Schönheit und der Kapitalismus ............................................. 9 4. Die Telenovela Yo soy Betty, la fea ..................................................................................... 13 4.1. Synopsis ....................................................................................................................... 13 4.2. Geschlechterkonstruktion in Yo soy Betty, la fea .......................................................... 14 4.2.1 Das Motiv der Schönheit: eine neue Protagonistin ................................................... 14 4.2.2. Ort der Handlung: EcoModa, die Welt der Mode und der Models .......................... 16 4.2.3. Weitere Figuren und ihre Beziehungen – die Front der Schönen und Hässlichen .... 16 4.2.4. Erotisches Kapital in Yo soy Betty, la fea ............................................................... 19 4.2.5. Die Liebe in Yo soy Betty, la fea ............................................................................ 20 4.2.6. Der Triumph des cuartel de las feas ....................................................................... 23 5. Fazit – Erfolg durch Identifikation und Anerkennung .......................................................... 24 6. Literaturverzeichnis............................................................................................................. 26

Transcript of Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela "Yo soy Betty la...

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ............................................................................................................................. 1

1.1. Vorgehen der Arbeit ....................................................................................................... 2

2. Das Genre Telenovela ........................................................................................................... 3

2.1. Geschichte und Wurzeln der lateinamerikanischen Telenovela ........................................ 3

2.2. Die Telenovela als Produkt der Kulturindustrie ............................................................... 4

2.3. Struktur und Identifikation .............................................................................................. 6

3. Geschlechterkonstruktion und „Doing Gender“ ..................................................................... 7

3.1. Eva Illouz: die Liebe, die Schönheit und der Kapitalismus ............................................. 9

4. Die Telenovela Yo soy Betty, la fea ..................................................................................... 13

4.1. Synopsis ....................................................................................................................... 13

4.2. Geschlechterkonstruktion in Yo soy Betty, la fea .......................................................... 14

4.2.1 Das Motiv der Schönheit: eine neue Protagonistin ................................................... 14

4.2.2. Ort der Handlung: EcoModa, die Welt der Mode und der Models .......................... 16

4.2.3. Weitere Figuren und ihre Beziehungen – die Front der Schönen und Hässlichen .... 16

4.2.4. Erotisches Kapital in Yo soy Betty, la fea ............................................................... 19

4.2.5. Die Liebe in Yo soy Betty, la fea ............................................................................ 20

4.2.6. Der Triumph des cuartel de las feas ....................................................................... 23

5. Fazit – Erfolg durch Identifikation und Anerkennung .......................................................... 24

6. Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 26

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

1

1. EinleitungAuf den globalisierten Märkten der Kulturindustrie 1 existiert kein Produkt, das

dem Label „Made in Latin Amerika“ mehr entsprechen und Ehre machen würde als die

weltweit bekannten und gefeierten Telenovelas aus Lateinamerika. Sie sind als Produkt

der lateinamerikanischen Kulturindustrien ein regelrechter Exportschlager, ja, das

Exportprodukt schlechthin (Guerra 2001). So verwundert es wenig, dass die

erfolgreichste, bekannteste und beliebteste Telenovela aller Zeiten ebenfalls aus

Lateinamerika, genauer gesagt, aus Kolumbien stammt. Im Jahr 2010 wurde „Yo soy

Betty, la fea” (1999-2001) aus der Feder des kolombianischen Drehbuchautoren

Fernando Gaitán, produziert und ausgestrahlt im kolombianischen Privatsender RCN

Televisión, mit einem Eintrag als erfolgreichste Telenovela aller Zeiten in das

Guinnesbuch der Rekorde ausgezeichnet 2. Während ihrer Erstausstrahlung von Oktober

1999 bis Mai 2001 erreichte die Telenovela Einschaltquoten von über 50%; Betty, die

Protagonistin verwandelte sich in eine Art Nationalheldin, die alle Zuschauer in ihren

Bann zog. Medienberichten zufolge nahmen die Austrahlungen sogar Einfluss auf die

die Aktivitäten der kolumbianischen Guerrilla 3, die zu den Sendezeiten ihre Waffen

ruhen liessen4. Doch nicht nur in Kolumbien erreichte „Yo soy Betty, la fea“

bahnbrechende Erfolge. Laut dem Internet-Lexikon Wikipedia wurde die Telenovela in

mehr als 180 Ländern weltweit ausgestrahlt, in mehr als 25 Sprachen übersetzt und

mindestens 28 mal adaptiert (u.a. Verliebt in Berlin, 2006) 5. Die Auftaktepisode und das

Finale des kolombianischen Originals der Telenovela erreichten in Youtube, obwohl

erst seit weniger Monaten online, bereits weit mehr als 900 000 Aufrufe 6.

Genau diese rekordhafte Beliebtheit der Telenovela, die sich unter anderem in

den auf Youtube geposteten Kommentaren a lá „beste Telenovela aller Zeiten“ 7, den

angeführten Einschaltquoten und Auswirkungen auf das öffentliche Leben ausdrücken,

machen „Yo soy Betty, la fea“ zu einem so attraktiven und vielfältigen

Forschungsobjekt der Literatur- und Kulturwissenschaften. So steht die Telenovela auch

1 Der Begriff geht zurück auf Max Horkheimer und Theodor Adornos Essay Kulturindustrie – Aufklärungals Massenbetrug ,enthalten in Dialektik der Aufklärung (Horkheimer/Adorno (1988, [1969]))2 El diario del otún (2010)3 Zum Hintergrund siehe Schumacher (1998); Leonard (1996)4 Villanova (2012)5 Wikipedia , Artikel “Yo soy Betty, la fea”, zuletzt aufgerufen am 15.12.146 Capitulo completo 1 und 156 Yo soy Betty, la fea, www.Youtube.com7 Ana Delgado schreibt beispielsweise auf Youtube als Kommentar zur ersten Episode : „Muy buena!La mejor novela q vi en mi vida :-)!“ Es folgen mehrere hundert Kommentare mit ähnlichem Inhalt, vorallem Lob und Zuspruch.

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

2

in der hier vorliegenden Arbeit im Mittelpunkt der Betrachtungen, vor allem jedoch ein

Aspekt, der - dies sei hier einmal vorweg genommen – in „Yo soy Betty, la fea“ so ganz

anders dargestellt ist, als in den traditionellen Telenovelas: die Repräsentation von

Männern und Frauen, also von Geschlecht. Mein Interesse gilt der Art und Weise, wie

die Geschlechter und die Geschlechterdifferenz konstruiert und reproduziert werden.

Nun sind die Dimensionen, in denen die Geschlechter hergestellt werden, sehr

vielfältig und überaus wirkmächtig, denn, wie schon Simone de Beauvoir feststellte:

„wird man nicht als Frau geboren, sondern zur Frau gemacht.“ (Beauvoir 2007). In der

vorliegenden Arbeit möchte ich mich damit beschäftigen, wie verschiedene Regime und

Dimensionen dazu beitragen, dass wir uns in vermeintlich natürlicher Weise als Männer

und Frauen identifizieren, entweder – oder. Dazu konzentriere ich mich vorrrangig auf

zwei Dimensionen, die mir in der Telenovela als besonders zentral erscheinen und

wiederum Aufschluβ geben können darüber, warum die Telenovela so bahnbrechend

erfolgreich war. Als erste zentrale Dimension der Geschlechterkonstruktion werde ich

den Aspekt der „Schönheit“ als Teil des geschlechtsspezifischen bzw.

geschlechterkonstruierenden Verhaltens betrachten. Als ganz bedeutsamens Motiv der

Telenovela möchte ich untersuchen, wie Schönheit repräsentiert und verhandelt wird,

was sie für die Handlung der Telenovela sowie für ihr Publikum bedeutet. Das zweite

zentrale Motive der Telenovela, das ich hier untersuchen möchte, ist die romantische

Liebe. Obwohl in der Soziologie und Geschlechterforschung bisher eher wenig

betrachtet, stellt gerade der Bereich der Gefühle eine Dimension dar, in der die

Geschlechter konstuiert und geschlechtsspezifisch abgebildet bzw. wahrgenommen

werden und sich reproduzieren, was ich anhand der Telenovela veranschaulichen

möchte.

1.1. Vorgehen der ArbeitIm ersten Teil meiner Arbeit (Kapitel 2) werde ich zunächst das Genre

Telenovela aus kulturwissenschaftlicher und medienkritischer Perspektive vorstellen.

Anschlieβend (Kapitel 3) werde ich den theoretischen Rahmen entwickeln, innerhalb

dessen ich die Telenovela „Yo soy Betty, la fea“ (Gaitán 1999-2001) analysiere. Hierzu

führe ich kurz in die Geschichte und den Begriff der Geschlechterkonstruktion und des

„Doing Gender“ ein. Anschlieβend werde ich die Hauptthesen der israelischen

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

3

Soziologin Eva Illouz (Illouz 2007b, 2011, 2007a) über „Emotionale Ungleichheit“

(Illouz 2011), „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ (Illouz 2007b) und den „Konsum

der Romantik“ (Illouz 2007a) entwickeln, die mir im zweiten Teil der Arbeit (Kapitel 4)

zur Analyse der eingangs angeführten zentralen Motive der Schönheit und der Liebe

dienen sollen. Meine Analyse basiert auf den auf Youtube abrufbaren 156 Kapitel der

Serie „Yo soy Betty, la fea“ , eine leicht gekürzte Variante des Originals, das aus

ingesamt 169 Kapiteln besteht. Der letzte Teil meiner Arbeit (Kapitel 5) beinhaltet

meine Schluβfolgerungen.

2. Das Genre Telenovela“Si algo en nuestros días resulta innegable, es el enorme efecto de la telenovela, malallá de sus muchas carencias, fallas, defectos, aberraciones, etc., causa dentro de la

dinámica social y comercial del mundo contemporáneo.” (Guerra 2001: 15)

2.1. Geschichte und Wurzeln der lateinamerikanischen Telenovela Sie ist bemerkenswert und, obwohl lange negiert, mittlerweile gut erforscht –

sowohl aus historischer als auch aus kulturtheoreticher Perspektive – die Geschichte

und Bedeutung der lateinamerikanischen Telenovela – oder, viel eher, ihr Siegeszug 8.

Die erste, als solche bekannt gewordene Telenovela stammt aus Kuba, “El derecho de

nacer” aus dem Jahre 1950. Als Kreation des kubanischen Autoren Félix B. Caignet

wurde sie auf der Grundlage der gleichnamigen Radionovela produziert (Raimondi

2011). Angesichts des sich schnell einstellenden Erfolgs entwickelte sich Havanna in

den 50er Jahren zur „Wiege der Telenovela“ für Produzenten, Autoren und

Schauspieler, die sich auf das neu entstehende Genre spezialisierten (ebd. S.4), welches

sich wiederum rasant über den gesamten Kontinent ausbreitete. Neben der bereits

erwähnten Radionovela stellten die so genannten Soap Operas aus den USA –Serien im

Episodenformat – einen direkten Vorgänger der Telenovelas das, aus denen heraus sie

sich entwickelte9. Wie (Guerra 2001) ausführlich darstellt, beruhen Aufbau, Handlung

8 Vgl Mazziotti (2006); Cervantes (2005); Guerra (2001); Martín Barbero (1987); Méndez (2001);Raimondi (2011), allen voran Martín Barbero 19879 Die Soap Operas wurden bereits in den 30er Jahren eigens zu Werbezwecken von Seifenherstellernerdacht und produziert, vgl. Guerra (2001): „Los primeros intentos de produccion de telenovelas fueronrealizados directamente por empresas fabricantes y distribuidoras de detergentes, jabones y cremas

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

4

und Figurengestaltung auf weiteren literarischen Vorbildern, die der Telenovela

vorangegangen sind. Ganz besondere Beachtung muss hier dem Melodrama aus dem

postrevolutionären Frankreich des 18. Jahrhunderts geschenkt werden. Aus ihr entlehnte

die Telenovela die archetypischen Figuren, ihre Konstellation und einen grossen Teil

der Handlung: die immer weibliche Protagonistin, die auf der Suche nach ihrer wahren

Identität gegen den Schurken (Antagonisten), der sich wiederum als Edelsmann ausgibt,

kämpfen muss, und schlieβlich vom männlichen Protagonisten (dem Prinzen) erkannt,

gerettet und vor allem geliebt wird (Martín Barbero 1987). Darüber hinaus vereint die

Telenovela Elemente der "literatura fantástica infantil, [...] la novela gótica, la novela

romántica, la radio-novela […]“ (Guerra 2001).

2.2. Die Telenovela als Produkt der KulturindustrieBesondere Beachtung erfährt die Telenovela als „ spezifisch

lateinamerikanisches Produkt der Massenmedien“ (Mazziotti 2006) vor allem in den

lateinamerikanischen Kulturwissenschaften, genauer gesagt innerhalb einer breiten und

kontroversen Debatte über den Einfluss der Massenmedien auf die lateinamerikanischen

Gesellschaften (Szurmuk et al. 2009). Auch wenn die Einschätzungen ihrer Bedeutung

stark divergieren, so sind sich die meisten der Theoretiker 10 dennoch einig, dass ihre

radikale Ausbreitung zunächst einmal die Integration eines Groβteils der Bevölkerung,

nämlich der verarmten Massen, in die jeweiligen nationalen und kapitalistischen

Kulturen bedeutete – in doppelter Hinsicht, als Publikum sowie als Protagonisten, deren

unmittelbare und alltägliche Erfahrungen, wie Armut, Ungerechtigkeit, Diskriminierung

und Marginaliät etc. Einzug hielten in die Erzeugnisse der Kulturindustrien und damit in

das nationale Selbstverständnis 11:

“La industria cultural […], cuyo objetivo principal es vender productos a travésde los medios de comunicación, tiene una función claramente ideológica: inculcar enlas masas al mismo sistema y asegurar su obediencia a los intereses del mercado. […]

dentales. Con el tiempo, la oferta de artículos de tocador e higiene personal se ha incrementadosignificativamente en sus transmisiones diarias.” (Guerra 2001: 63)10 Die Theoretiker, auf die sich innerhalb der Debatten berufen wird, gehören in erster Linie nicht denlateinamerikanischen Kulturwissenschaften (Szurmuk et al. (2009)) an: u.a. Horkheimer/Adorno (1988,[1969]), die der Frankfurter Schule angehören, auf die sich wiederum später auch die Mitglieder desCenter for Contemporary Cultural Studies (CCCS) in Birmingham, u.a. Raymond Williams, Stuart Hall undRichard Hoggart berufen.11 Oder wie Canclini es nennt, das Imaginario. Vgl. García Canclini (1997)

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

5

[L]a cultura de masas cumple con su papel al integrar a la clase trabajadora a lasociedad capitalista” (Ruétalo 2009).

Unter Bezugnahme auf die Entwicklung des französischen Melodramas, aus

dem sich die Telenovela als Fernsehformat entwickelte, bewertet Martín Barbero

hingegen diese Integration als durchaus positiv:

“[…] lugar de llegada de una memoria narrativa y gestual populares y lugar deemergencia de una escena de masa, esto es, donde lo popular comienza a ser objeto deuna operación de borradura de las fronteras que arranca con la constitución de undiscurso homogéneo y una imagen unificada de lo popular, primera figura de la masa.”(Martín Barbero 1987: 125)

Ibrahim Guerra (2001) wiederum verortet den Zweck der Telenovelas ebenso

wie Ruétalo in ihrer kapitalistischen Funktion. Ihre Existenz ist ihm zufolge ein rein

kapitalistisches Unterfangen, Telenovelas werden aus einem wirtschaftlichen Interesse

ihrer Produzenten heraus fabriziert, um möglichst viel zu verkaufen – und zwar indem

sie so viele Produkte wie möglich innerhalb der Werbeblöcke, die die Produktion der

Telenovela überhaupt erst rentabel machen, anpreisen. Zweitens, sollen die Telenovelas

die Zuschauer anregen, genau diese Produkte zu kaufen, die in den Werbeblöcken

gezeigt werden und drittens, sollen sich die Zuschauer mit den Werten identifizieren,

die in der Telenovela etabliert werden:

“A través de las diferentes opciones de persuasión que promueve, […] latelenovela con circunstancias simples, directas y casi siempre explicitas, aunque elmensaje también se filtra por otras vías, apela directamente al subconsciente deltelevidente, con la intención de crear en éste un cambio radical en sus hábitos y en susnormas de conducta, que incluyen, en primer término, las del consumo de ideas y deproductos comerciales. […] La telenovela no sólo recrea y divierte, sino que, ademásposee elementos, obvios o no, que mueven al televidente, a suponer como reales lasacciones de los personajes dentro de sus argumentos, y por lo tanto, como adecuadospara ser tomados como modelo de conducta y comportamiento individual y social.”(Guerra 2001: 23–24)

Offensichtlich geht diese Rechung der Rentabilität tatsächlich auf, denn die

Kulturindustrie ist diejenige, die bereits seit Jahren mit einem überdurchschnittlichen

wirtschaftlichen Wachstum zählen kann (Getino 2001).

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

6

2.3. Struktur und IdentifikationTelenovelas erzählen eine abgeschlossene Handlung in einer bestimmten Anzahl

von Episoden, meist sind es mehr als 100. Wie bereits erwähnt, haben Telenovelas,

ähnlich der Melodramen, eine recht strikte und vor allem einfache Figurenkonstellation

die aus archetypischen, ganz einfach kodifizierten Figuren besteht: die immer weibliche,

schöne und arme Protagonistin, den hinterhältigen, vermeintlich edlen Antagonisten,

den männlichen Protagonisten. Eine der "reglas básicas de estructuración dramtática"

(Guerra 2001) ist, dass die Protagonistin in mehr als 75% der Szenen erscheint.

Während all dieser Zeit bis zur vorletzten Episode repräsentiert die Protagonistin ein

Muster von Leid und Angst, die im vollkommenem Gegensatz zur Darstellung der

Frauen in den Werbeblöcken stehen:

La telenovela […] apela a la necesidad de la existencia de una víctima sobre laque hacer recaer culpas ajenas. Se reflejan sobre esta víctima los mas íntimos temoresgenéricos de los sectores de los cuales va dirigida la narración en la que participa, yestos a su vez, al reconocer estas irregularidades, se ven en la necesidad decompensarlas con el uso de los recursos que le garantizan independencia,autosuficiencia y satisfacción emocional. Con tal estrategia no hacen más queestablecer un círculo vicioso de consumo indiscriminado, […]. (Guerra 2001: 31)

Die Protagonistin erfüllt eine Vorbildfunktion, die in gewisser Weise den

lateinamerikanischen Katholizismus inkorporiert in die Darstellung von mystischer

Schicksaalsergebenheit, die wiederum eine Haltung erzeugt, die es ermöglicht, soziale

Disrkiminierung, Herrschaft der Eliten, Geschlechterungleichheiten, ungleiche

Arbeitsteilung etc. als naturgegegen zu betrachten und folglich zu ertragen. (Guerra

2001: 24). Die Zuschauer identifizieren sich mit den Problemen der Protagonistin, weil

sie sich in ihr wiedererkennen, was meiner Meinung nach auch mit mit dem Begriff der

Anerkennung 12, wie ihn Judidt Butler und Axel Honnet verwenden, beschrieben werden

kann. Denn das Leiden wird thematisiert, ja, es ist ein zentrales Element der Telenovela

und wird durch seine Darstellung in gewisser Weise legitimiert und schlieβlich

aufgewertet und anerkannt (in doppeltem Sinne.) 13 Die Lösungen für das Leiden und die

12 „Der basale Mechanismus dieser intersubjektivitätstheoretischen Konzeptualisierungen des Subjekts istder der Anerkennung. Erst durch die Anerkennung durch andere Mitglieder einer Gemeinschaft könnenSubjekte die Eigenschaften und Fähigkeiten ausbilden, die sie zu individuellen Persönlichkeiten oder zuvollgültigen Rechtssubjekten machen“ (Deines (2007) 2007:141) .In Bezug auf die Telenovela auchMazziotti (2006)) , die sie als „Drama de reconocimiento“ unter Berufung auf Peter Brooks bezeichnet.13 Laut Martín Barbero (1987) besteht genau darin das emanzipative Potential der Telenovelas 13,nämlich in der Repräsentation und damit Wahrnehung der Existenz der armen Massen: “la afirma yhace posible a las clases populares reconocerse en ella. Y desde ella, melodramatizando todo, vengarse a

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

7

Probleme der Protagonistin wiederum halten Guerra (2001) zufolge die Werbeblöcke

bereit: Konsum der angepriesenen Mittel. Andererseits sind sie Teil dessen, was die

Geschichte der Telenovela zum Guten wenden lässt: Erfolg ist das Ergebnis

moralischen Handelns. Vor allem auf die zentrale Rolle der Indentifikation und der

Anerkennung werde ich an späterer Stelle noch einmal aufgreifen.

3. Geschlechterkonstruktion und „Doing Gender“Kommen wir nun zu dem Aspekt, der im Zentrum meiner Analyse der

Telenovela „Yo soy Betty, la fea“ steht: die Repräsentation von Männern und Frauen in

der Telenovela. Doch bevor wir über die Darstellung von Männern und Frauen sprechen

können, ist es erforderlich, sich vor Augen zu rufen, wie Geschlecht überhaupt

konstruiert und reproduziert wird, also welche Vorgänge stattfinden, damit wir die

Figuren (und uns selbst) als Männer oder Frauen erkennen. Zu allerest möchte ich

erklären, was man unter dem Begriff Geschlechterkonstruktion versteht und wie ich ihn

verwende. „Grundlegend für den Begriff der Geschlechterkonstruktion und die

inzwischen vielfältigen Konzepte, die sich mit der kulturellen bzw. sozialen

Konstruktion von Geschlecht befassen, ist eine Perspektive, die dem Alltagswissen [...]

unserer Gesellschaft diametral entgegengesetzt ist“ , so beginnt Angela (Wetterer 2008)

ihre Ausführungen über die Reproduktionsweisen der Zweigeschlechtlichkeit. Unserem

Alltagswissen entspricht es, „die Geschlechtszugehörigkeit von Personen und die

Zweigeschlechtlichkeit des Menschen als natürliche Vorgabe sozialen Handelns und

sozialer Differenzierung zu betrachten.“ (Wetterer 2008). Daraus folgt,

„dass es zwei und nur zwei Geschlechter gibt; dass jeder Mensch entweder daseine oder das andere Geschlecht hat; dass die Geschlechtszugehörigkeit von Geburt anfeststeht und sich weder verändert noch verschwindet; dass sie anband der Genitalienzweifelsfrei erkannt werden kann und deshalb ein natürlicher, biologisch eindeutigbestimmbarer Tatbestand ist, auf den wir keinen Einfluss haben- all das sindBasisregeln unserer "Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit" 14

Dieses Alltagswissen wird maβgeblich bestimmt von den Naturwissenschaften,

allen voran der Biologie und der Medizin, die die „Naturhaftigkeit“ der

Geschlechterunterscheidung untermauern. Doch schon innerhalb der Frauenforschung

su manera, secretamente, de la abstracción impuesta por la mercantilización a la vida, de la exclusiónpolítica y la desposesión cultural.” (Martín Barbero 1987:245).14 Hagemann-White (1984) zitiert nach Wetterer (2008)

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

8

der 70er Jahre und den sich daraus entwickelnden Geschlechterstudien versuchte man,

die Verknüpfung von Natur (der Körper, des Geschlechts, der Hormone und

Chromosomen) und der sozialen Rolle und Position von Frauen in der Gesellschaft zu

trennen, indem die Kategorien von Sex als biologischem Geschlecht und Gender als

sozialem Geschlecht eingeführt wurden (Gildemeister 2008). Dieser Ansatz ist darauf

ausgerichtet, die Geschlechterdifferenz „ dieser oder jener Art und Reichweite “

(Wetterer 2008) zu analysieren, wohingegen die Theorie der Geschlechterkonstruktion

sich darauf konzentriert, die Prozesse der Geschlechterunterscheidung zu

rekonstruieren.

„Die für sie zentrale Frage lautet, wie Frauen und Männer zu verschiedenenund voneinander unterscheidbaren Gesellschaftsmitgliedern werden und zugleich dasWissen miteinander teilen, dass dies natürlich, normal und selbstverständlich ist“(Wetterer 2008).

Ein wichtiger Baustein der Theorie der Geschlechterkonstruktion besteht in dem

Konzept des „Doing Gender“, das vor allem durch die Philosophin Judith Butler (1998)

bekannt wurde. Eingeführt wurde es von West/Zimmerman um zu beschreiben, dass die

Geschlechtszugehörigkeit von Personen in Alltagsinteraktionen permanent hergestellt

wird15. Des weiteren konnten kulturanthropologische Forschungen belegen, dass die

Einteilung in zwei Geschlechter anhand der Genitalien nicht universell ist und nicht von

allen Erdenbewohnern geteilt wird 16. U.a. aus diesen Beobachtungen heraus fragte

Gayle Rubin bereits 1975 nach den Ursachend der zweigeschlechtlichen Klassifikation

und kam zu dem Ergebniss, dass eine bedeutende Institution der

Geschlechterkonstruktion die Arbeit sei, also die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung. 17

Vor allem aber die Pionierin der Körpersoziologie und Historikerin Barbara Duden

(Duden 1998) iluminierte den Zusammenhang bzw. die Abhängigkeit der

Naturwissenschaften von sozialen Deutungsmustern und damit die Wahrnehmung und

Konzeptionalisierung von Geschlecht und Geschlechterdifferenz in der Biologie und der

Medizin, die jedoch immer nur innerhalb eines bestimmten kulturellen Kontextes und

zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt Bedeutung erlangen. Wenn uns nun also

die Naturwissenschaften unterbreiten, dass Männer und Frauen vollkommen

unterschiedliche und gegensätzliche Wesen sind, dann beruht dies nicht auf den

Ergebnissen ihrer Studien, sondern diese wiederum beruhen auf den sozialen

15 West/Zimmerman (1987) zitiert nach Wetterer (2008):12416 Zurückzuführen auf Margete Mead zitiert nach Wetterer (2008):12417 Rubin (1975) zitiert nach Wetterer (2008):125

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

9

Deutungsmustern aus denen heraus die Naturwissenschaften ihre Kategorien beziehen. 18

Die Darstellung von Männern und Frauen in der Telenovela kann somit einen Teil der

Produktion und Reproduktion der Geschlechter und der Zweigeschlechtlichkeit

darstellen. Interessant wird es zu analysieren, wie diese Darstellung stattfindet, also

welche Modelle von Männern und Frauen die Telenovela vorschlägt, auf- oder

abwertet.

Zwischenfazit: Der Theorie der Geschlechterkonstruktion folgend, gehe ich

davon aus, dass die Unterscheidung in Männer und Frauen nicht naturgegeben ist und

auch nicht auf einer hormonellen oder sonstwie körperlich verorteten Kategorie „sex“

beruht, sondern das Ergebnis von permanenten Vorgängen dem „doing gender“, dem

Zusammenspiel aus Interaktionen und Institutionen (u.a. der Arbeitsteilung, Sprache,

Naturwissenschaften etc.) ist. Sich als Mann oder Frau wiederzuerkennen (enweder-

oder!) ist nicht zuletzt ein Akt der Identifikation mit hochkomplexen

Verhaltensmustern, die wir inkorporieren und reproduzieren, womit wir die

Zweigeschlechtlichkeit, und damit auch die Geschlechterungleichheit erneut herstellen.

Dieser Prozess der Konstruktion und Reproduktion des Geschlechts findet in

vielen Dimensionen unseres Alltags gleichzeitig statt. Zwei bisher wenig erforschte und

dennoch absolut wirkmächtige Dimensionen sind die der Gefühle, der Liebe auf der

Ebene der Interaktionen, und, auf der Ebene des Verhaltens – oder wie Judith Butler

(Butler 2003) es benennt, der Performanz – die Dimension der Schönheit, des äuβeren

Erscheinungsbildes. Wie ich in Kapitel 4 zeigen werde, sind genau diese beiden

Dimensionen als Hauptmotive der Telenovela besonders relevant. Um mich ihnen

theoretisch anzunähern, werde ich im Folgenden die Theorien der Soziologin Eva Illouz

vorstellen, die sich ausgbiebig mit genau diesen Dimensionen der

Geschlechterkonstruktion auseinandergesetzt hat.

3.1. Eva Illouz: die Liebe, die Schönheit und der Kapitalismus Eva Illouz (2007a, 2007b, 2011) widmet sich in ihrer Forschung dem Einfluss

des Kapitalismus auf die Gefühle, allen voran auf die Liebe unter besonderer

Berücksichtigung der Produktion und Reproduktion von sozialen und

vergeschlechtlichten Ungleichheiten: „Letztlich geht es mir darum, mit der Liebe zu

18 Vgl. Duden

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

10

machen, was Marx mit den Waren gemacht hat: zu zeigen, dass sie von konkreten

gesellschaftlichen Verhältnissen geformt und hervorgebracht wird; zu zeigen, dass die

Liebe auf einem Markt ungleicher konkurrierender Akteure zirkuliert; und die These

aufstellen, dass Menschen über gröβere Kapazitäten als andere verfügen, um die

Bedingungen zu definieren, unter denen sie geliebt werden.“ (Illouz 2011: 19)

Ihre erste grundsätzliche Feststellung lautet, dass die Liebe, die romantischen

Gefühle und ihre Ausdrucksformen, vor allem aber ihr Zustandekommen, mit dem

Einsetzen der Moderne einer groβen Transformation unterliegen (Illouz 2011). Dabei

kennzeichnet sie die Wahl als zentrales Moment der Moderne, „weil sie, zumindest in

den Arenen der Wirtschaft und Politik, den Gebrauch nicht nur der Freiheit, sondern

auch von zwei Vermögen verkörpert, die den Gebrauch der Freiheit rechtfertigen,

nämlich jener der Rationalität und der Autonomie .“ (Illouz 2011: 40) Die Wahl

wiederum wird beeinflusst von einer Ökologie19 und einer Archtiketur20 der Wahl

(Illouz 2011). Ihre zentrale These entwickelt sie aus dem Argument heraus, dass die

Transformation der Liebe in der Moderne mit den Bedingungen zu tun hat, unter denen

romantische Wahlentscheidungen getroffen werden:

„Die Transformation, der die romantische Wahl unterworfen war, ist mit dem Prozes verwandt,den Karl Polanyi für die wirtschaftlichen Verhältnisse beschrieben und als „groβeTransformation“ bezeichnet hat. Mit der „groβen Transformation “ der ökonomischenVerhältnisse ist jener Prozes gemeint, durch den der kapitalistische Markt dieWirtschaftstätigkeit aus der Gesellschaft und ihren moralischen/normativenRahmenbedingungen herauslöste, die Wirtschaft auf selbstregulierende Märkte umstellte undschlieβlich die Gesellschaft der Wirtschaft unterordnete. Was wir als „Triumph“ derromantischen Liebe in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern bezeichnen, bestand vorallem darin, das die individuelle Liebeswahl aus dem moralischen und sozialen Gewebe derGruppe herausgelost wurde und selbstregulierende Kontaktmärkte entstanden. Die modernenKriterien zur Beurteilung eines Liebesobjekts sind von öffentlich geteilten moralischenRahmenbedingungen entbunden. Diese Freisetzung war die Folge eines inhaltlichen Wandelsder Kriterien der Partnerwahl – die zugleich physischer/psychologischer wurden – sowie einesWandels im Prozess der Partnerwahl selbst – der subjektiver und individualisierter wurde.“(Illouz 2012: 80f., Hervorhebung i.O.)

Das Ergebnis dieser groβen Transformation ist also die Entstehung von

Heiratsmärkten, auf denen alle Akteure miteinander um die Liebe und das

Zustandekommen von Beziehungen miteinander konkurrieren. Unter dem Einfluss der

Kosmetikindustrie, der Modebranche und den Massenmedien entstehen und zirkulieren

Bilder von (käuflicher) Attraktivität, und, verstärkt durch die normative Deregulierung

19 Umweltfaktoren , die das Wahlverhalten präformieren20 Mechanismen, die subjektbezogen und kulturell geprägt sind, die die Beurteilung des Gegenübersbeeinflussen

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

11

der Bewertungsmodi, verursachen sie eine Unterordnung der Bewertungskriterien unter

sexuelle Kategorien wodurch schliesslich die Sexualität21 an sich zu einem zentralen

Bewertungsmasstab wird (Illouz 2011). Illouz beschreibt einen Übergang von der

(vormodernen) Vorstellung von Schönheit als Einheit von körperlichen und geistigen

Eigenschaften hin zu Sexyness, wobei Sexualitat zu einem „diffusen Statusmerkmal“

(Illouz 2011) wird. Dies bringt eine ganze Reihe von Konsequenzen mit sich, u.a. dass

die Anziehungskraft zunehmend von visuellen Faktoren abhängig gemacht wird

während gleichzeitig eine Uniformierung und Standardisierung von Sexyness im Sinne

von sexueller Attraktivität über mediale Bilderproduktionen stattfindet.

In letzter Konsequenz kommt es zur Ausbildung und Aufwertung einer neuen,

auf sexuellen Feldern zirkulierenden Kapitalsorte (Bourdieu 2007): das erotische

Kapital.: „Erotisches Kapital lässt sich als die Qualität und Quantität von Atributen

eines Individuums zusammenfassen, die bei einem anderen eine erotische Reaktion

auslösen.“ (Illouz 2011) Mit anderen Worten, ist erotisches Kapital eine Mischung aus

Sexyness, einer oberflächlichen Form von Schönheit und dem impliziten Versprechen

von sexueller Erfahrung. Erotisches Kapital kann wie andere Kapitalsorten aus der

Umwandlung von beispielsweise ökonomischem Kapital hervorgehen, darüber hinaus

ist es in andere Kapitalsorten konvertierbar. Hierbei spielt vor allem die Umwandlung

von erotischem Kapital in bessere Bildungsabschlüsse (kulturelles Kapital) oder höheres

Einkommen (ökonomisches Kapital) eine Rolle. Illouz weist darauf hin, wie essentiell

erotisches Kapital vor allem für Frauen auf dem Arbeitsmarkt und dem Heiratsmarkt ist:

„In kapitalistischen Gesellschaften kontrollieren Männer den Grossteil des Eigentums und der

Kapitalflüsse, was Ehe und Liebe entscheidend für das soziale und ökonomische Überleben von

Frauen macht. [...] die Deregulierung der Heiratsmärkte [verhilft] in diesem Sinne den

Männern zu neuen Formen der Kontrolle des sexuellen Feldes.“ (Illouz 2011: 108).

Erotisches Kapital kann schlieβlich auch durch unterschiedliche

Sexualitätsstrategien akkumuliert werden. Hierbei stellt Illouz die Behauptung auf, dass

Männer und Frauen, beruhend auf sozialen wie emotionalen Bedürfnissen verschiedene

Strategien anwenden: während eine serielle Sexualität einer maskulinen Strategie

entspricht, wenden Frauen eher eine Exklusivitätsstrategie an (Illouz 2011). Doch nicht

21 Gemeint ist aber hier nicht die Frage nach der geschlechtlichen Wahl der Sexualpartner_innen, alsoder Homo- oder Heterosexualität, sondern die Frage nach dem WIE der Sexualität, also Sexualität alsCharakteristikum einer Person.

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

12

nur die Sexualstrategien werden von Männern und Frauen anders verfolgt, im

Umkehrschluss bringen die verschiedenen Strategien die Geschlechter erst hervor: „[...]

unter dem Einfluss von Ökologie und Architektur der sexuellen Wahl entstehen neue

Ungleichgewichte zwischen Männern und Frauen. Für Männer ist die Sexualität zur

wichtigsten Arena geworden, in der sie ihren Männlichkeitsstatus (Autorität, Autonomie

und Solidarität unter Männern) ausüben.“ (Illouz 2011)

Doch nicht nur die verschiedenen Sexualstrategien und die Anwendung des

erotischen Kapitals bringen die binären Geschlechteridentitäten von Männern und

Frauen hervor. In „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ (Illouz 2007b) stellt Illouz ganz

in unserem Sinne fest, dass die Spaltung und Untersscheidung zwischen Männern und

Frauen auf kulturell bestimmten, emotionalen Gegebenheiten beruhen - und dadurch

reproduziert werden: "Wer ein wahrhafter Mann sein will, muss Mut, kühle Rationalität

und diziplinäre Aggressivität zur Schau stellen. Feminität dagegen verlangt nach

Freundlichkeit, Mitgefühl und Heiterkeit. Die durch geschlechtspezifiche Spaltungen

produzierten sozialen Hierarchien enthalten implizite emotionale Spaltungen, ohne die

Männer und Frauen ihre Rollen und Identitäten nicht reproduzieren würden.“ (Illouz

2007: 11). Die Vergeschlechtlichung der Gefühle führt demnach zur Hierarchisierung

der Emotionen (Illouz 2007b), innerhalb derer als männlich geltende Gefühle oder

Arten und Weisen des Gefühlsausdruckes höher bewertet werden als die als weiblich

geltenden Gefühle und ihre Ausdruckformen.

Zwischenfazit: Durch die groβe Transformation der Wahl in der Moderne

werden bisherige Bewertungskriterien dereguliert und individualisiert. Es bilden sich

regelrechte Heiratsmärkte heraus, auf denen alle Akteure miteinander konkurrieren. Der

Wandel von Schönheit zu Sexyness bringt eine neue Währung hervor: das erotische

Kapital, das vor allem Frauen auf den Heirats- und Arbeitsmärkten eine soziale

Mobilität gewährt (oder verwährt). Sowohl in der Akkumulation des erotischen Kapitals

als auch im Ausdruck von Gefühlen werden die Geschlechter unterschiedlich

identifiziert und reproduziert, was zu neuen Ungleichheiten zwischen Männern und

Frauen führt.

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

13

4. Die Telenovela Yo soy Betty, la feaJosé Luis Mendez (2001:2) stellt vollkommen zutreffend fest: “Betty la fea se

diferencia de la telenovela tradicional en prácticamente todo.” Weiter argumentiert er,

dass die einzige Gemeinsamkeit von „Yo soy Betty, la fea“ und den traditionellen

Telenovelas die Tatsache ist, das Betty la fea auf einem Drehbuch basiert, das den

dramaturgischen Regeln kommerzieller Medien folgt (ebd.). Doch abgesehen davon,

unterscheidet sich “die Königin der Telenovelas” in Struktur, Form, Inhalt, der

dramatischen Konzeption ihrer Figuren, Sinn und Vermittlung ihrer Botschaften (ebd.).

Bedingt wird diese groβe Differenz zur traditionellen Telenovela durch ihr komplett

gegensätzliches Verhältnis zur Realität: „[...]. Contrario a la clásica telenovela

latinoamericana en la que tanto la estructura como el mensaje y el universo imaginario

están concebidos para proporcionar una evasión de la realidad, Yo soy Betty la fea

está sólidamente afianzada con la realidad y lejos de ayudarnos a escapar de ella nos

obliga a verla frente a frente con el único atenuante del humor.” (Méndez 2001: 2–3).

Wie sich diese neue Realitätsnähe darstellt und was sich aus ihr entwickelt, werde ich in

den folgenden Abschnitten erörtern.

4.1. Synopsis Beatrice Pinzon Solano, genannt Betty, ist eine junge und überaus intelligente

Frau aus einem bescheidenen Elternhaus der unteren Mittelschicht. Zu Beginn der

Telenovela erhält sie trotz ihres Aussehens – Betty ist weder schön noch elegant

gekleidet - den Posten der Sekretärin der Leitung in der kolombianischen Modefirma

EcoModa, obwohl die Arbeit als Sekretärin weit unter dem Niveau ihrer profunden

Kenntnisse und Studienabschlüsse ist, die sie eher als Führungskraft qualifizieren. Betty

wird in der Firma von vielen Personen wegen ihres Erscheinungsbildes angefeindet und

verspottet. Doch in den Sekretärinnen 22, vom Designer Hugo Lombardi als das „Kartell

der Hässlichen“ getauft, findet Betty schnell Freundinnen und Verbündete. Für ihren

Chef Armando Mendoza avanciert Betty durch ihre Loyalität und Kompetenz zur

unersetztbaren Assistentin, die er besser behandelt als der restliche Firmenvorstand. So

verliebt sich Betty heimlich in Mendoza, was dieser ausnutzt um Betty bei einer

moralisch fraglichen Operation zur Rettung von EcoModa als Komplizin zu gewinnen

indem er ihr vorspielt, in sie verliebt zu sein. Als der Schwindel auffliegt, bricht Betty

22 Mit Ausnahme von Patricia Fernandez selbetverständlich, worauf ich später noch eingehen werde

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

14

zusammen, übergibt Betty dem Vorstand einen Bericht über den tatsächlichen Stand

von Ecomoda und kündigt. Während der Zusammenarbeit mit Doña Catalina beim

Schönheitswettbewerb in Cartagena durchläuft Betty eine innere und äuβere

Verwandlung und kehrt anschliessend auf das Bitten des Vorstands als Präsidentin zu

Ecomoda zurück, da dies die einzige Möglichkeit ist, die Firma vor dem drohenden

Ruin zu bewahren. Betty erhält die Chance, als Präsidentin die Firma durch eine

innovative Strategie neu auszurichten, was ihr groβen Erfolg einbringt. Armando

Mendoza, dem aufgeht, dass er sich bereits in „Betty la fea“ vor ihrer Verwandlung

verliebt hatte, kämpft um ihre Liebe, die er am Ende gewinnt.

4.2. Geschlechterkonstruktion in Yo soy Betty, la feaEinen ganz wesentlichen Unterschied zur traditionellen lateinamerikanischen

Telenovela (Méndez 2001) markiert die Gestaltung und Entwicklung der männlichen

und weiblichen Figuren, sprich die Konstruktionen von Geschlecht in „Yo soy Betty, la

fea“ (Gaitán 1999-2001). Wie ich es eingangs bereits angerissen hatte, halte sie für

einen auβergewöhnlichen und betrachtungswürdigen Aspekt, der uns Aufschluss

darüber geben kann, warum die Telenovela solch einen massenhaften Zuspruch erhielt.

Ich werde mich im Folgenden darauf konzentrieren, die Geschlechterkonstruktionen

und ihren Wandel innerhalb der Hauptmotive der Telenovela, Schönheit und Liebe,

herauszuarbeiten.

4.2.1 Das Motiv der Schönheit: eine neue ProtagonistinWie schon der Titel, Vorspann und Titellied der Telenovela es überaus klar und

unmissverständlich jeder Betrachtung vorweg nehmen, handelt es sich bei der

Protagonistin Betty nicht wie in den traditionellen Telenovelas um ein armes, aber

dennoch unheimlich schönes (und begehrenswertes) Mädchen (Guerra 2001), sondern

um „Betty, la fea“.

Die Figur der Beatrice Pinzon Solano verkörpert somit einen vollkommen neuen

Typus von weiblicher Protagonistin. Zwar leidet auch sie, und erfüllt damit

gewissermaβen die dramaturgische Notwendigkeit des Leidens (Guerra 2001), aus der

heraus sich der Grundkonflikt der Telenovela ableitet, doch ist dieses Leid im Falle von

Betty ein ganz reales, irdisches: ihre „Hässlichkeit“ und alle sich daraus entwickelnden

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

15

Konflikte. Wie (Méndez 2001) bemerkt, stellt Hässlichkeit kein neues Motiv der

Literatur dar – bekannt ist es aus dem Märchen „Das hässliche Entlein“ von Hans

Christian Anderson23 oder dem berühmten Melodrama „Cyrano de Bergerac“ von

Edmond Rostand24 - aber im Gegensatz zur koventionellen dramaturgischen Bedeutung

in den Telenovelas, wo Hässlichkeit ein eindeutiges Kennzeichen der Bösen und die

Schurken ist, charakterisiert sie in „Yo soy Betty, la fea“ unsere Protagonistin. Betty

entspricht in keiner Weise der unentdeckten Prinzessin, die von Geburt an (unerkannt)

adelig und damit der Eliten zugehörig ist, sondern ist eine ganz durchchnittliche Frau

aus der unteren Mittelklasse mit einem ganz realen Konflikt, dem Hauptkonflikt der

Telenovela. Bekannter Weise ist Hässlichkeit ebenso wie Schönheit eine

gesellschaftliche Konstruktion und unterliegt einem historischen Wandel 25. Im Falle

von Betty, la fea sieht sie so aus: Betty trägt eine groβe Brille, Zahnspangen, bewegt

sich unsicher und wenig elegant, hat eine schrille Lache, eine quakende und oft zittrige

Stimme, und trägt Mode und Frisur, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen:

„La fealdad de Betty es primero que todo, el resultado de una imagen socialmente

construida. La imagen de Betty desafía los convencionalismos prevalecientes de la

moda de su época, pero también una apariencia construida a partir de unos valores y

actitudes convencionales. El problema con esos valores y actitudes es que ya pasaron

de moda.” (Méndez 2001: 27)

Mendez zufolge liegt der Ursprung von Bettys Hässlichkeit in diesem

Anachronismus, der ihrer Familie und deren Konventionen entspringt und sie zu einem

gewissen Grad Opfer ihrer eigenen Familie werden lässt (ebd. S.43). Dieser

Interpretation würde ich teilweise widersprechen. Zwar können wir als Ursprung von

Bettys eigenwilligem Stil diesen vollkommen veralteten Konventionalismus der Pinzon

Solanos ausfindig machen – Bettys Mode wirkt eher wie die einer Figur aus den 50er

Jahren was dem dem Alter ihrer Eltern entsprechen würde – aber Betty ist nicht das

Opfer ihrer Familie oder der Herrschaft ihres Vaters. Vielmehr geht Betty Hässlichkeit

und die Identifikation mit ihrem Äusseren aus ihren Beziehungen hervor, was ich im

Folgenden erklären möchte.

23 Andersen (2011 [1843])24 Rostand (1977 [1897])25 Vgl. Aafjes (2008) , vor allem Berry (2008)

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

16

4.2.2. Ort der Handlung: EcoModa, die Welt der Mode und der ModelsDie Diskrepanz zwischen der Protagonistin und ihrer Umgebung könnte nicht

gröβer sein, als Betty zu Beginn der Telenovela als Sekretärin des Präsidenten in der

Modefirma EcoModa zu arbeiten beginnt, also in ein Feld (Bourdieu 2007) eintritt, in

dem sie sich nicht auskennt und wie ein Fremdkörper erscheint. EcoModa ist Teil einer

Mode- und Schönheitsindustrie, einer rigorosen Welt (=ein Feld), in der Eleganz, Stil,

äuβeres Erscheinungsbild und Klasse im Sinne der Distinktion (ebd.) zählen, in denen

die Mode von Models – vor allem weiblichen – präsentiert wird, die allesamt den

körperlichen Ansprüchen der Designer entsprechen und damit das Schönheitsideal der

makellosen, jungen, attraktiven, schlanken Frau mit symetrischem Gesicht und langen

Beinen, schnalem Hüften und wohlgeformten Brüsten reproduzieren: „[...] se trata de

jovenes incorporadas plenamente al mundo de la moda, cuyos valores y actitudes, así

como su maner de vestir, de comportarse, sus perfumes y sus modales fuerin moleados

para que correspondieran exactamente a lo que exige la industria para cual trabajan.“

(Méndez 2001:12). Zu dieser Welt gehören u.a. Claudia Elena Vasquez, der Miss

Colombia von 1996, Adriana Arboleda, erfolgreiches Model aus Kolumbien und die

peruanischen Moderatorin Gisela Valcárcel, deren Gasstauftritte in der Telenovela einen

Teil der Realitätsnähe erzeugen. Betty ist dieser Welt als drastischer Gegensatz

gegenübergestellt: „Betty es en lo fundamental la antítesis de ese mundo. Aunque

trabaja para una empresa de modas, vive fuera de moda, no se preocupa por la

vestimenta, no se sabe maquillar.” (Méndez 2001: 13).

Auf der Grundlage des Motivs der Schönheit - und damit des Grundkonflikts der

Protagonistin - entwickelt der Drehbuchautor (Gaitán 1999-2001) einen Teil der

Figurenkonstellation und somit jene Beziehungen, innerhalb derer die Hässlichkeit von

Betty verschiedene Bedeutungen erlangt.

4.2.3. Weitere Figuren und ihre Beziehungen – die Front der Schönen undHässlichen

Auf ihren ersten Antagonisten trifft Betty in der Figur Daniel Valencias, Sohn

des bereits verstorbenen Mitbegründers von EcoModa Don Valencia, Bruder von

Marcela Valencia und ebenfalls Aktionist der Modefirma. Er wurde bei der Wahl des

neuen Präsidenten nach Verabschiedung von Don Roberto von seiner Schwester

überstimmt, wodurch die Präsidentschaft an Armando Mendoza fiel. Seine offene

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

17

Feindschaft und Rivalität gegenüber von Armando Mendoza übeträgt er auf dessen

Sekretärin Betty, die er bei jeder Gelegenheit wegen ihres Erscheinungsbildes beleidigt

und erdniedrigt, weil sie ihm mit ihren profunden Kenntnissen der Ökonomie und

Finanzen weit überlegen ist (Gaitán 1999-2001), ja er sieht sogar voraus, dass Betty die

nächste Präsidentin sein wird (ebd. Ep. 24‘11). Er intregiert gegen sie und sabotiert, wo

er kann. Betty steht ihm zunächst ängstlich gegenüber, überwindet aber mit

zunehmender Selbstsicherheit ihre Angst.

Einen weiteren Gegenspieler trifft Betty in dem Designer von Ecomoda Hugo

Lombardi: „a ésta no se acepta ni en el ascensor”, sagt er abfällig über Betty, als diese

tollpatschig gegen die geschlossene Tür des Aufzugs stösst. Er nennt sie nicht beim

Namen sondern abwertend „ésta“, wiederholt beschimpft er sie als „monstruo“ während

er sich selbst als „cátedra de moda“ bezeichnet. Hugo Lombardi verhält sich so, als ob

das äuβere Erscheinungsbildes Bettys eine Beleidigung für ihn wäre, ein „Angriff auf

seine Ästhetik“. In Bettys Beziehung mit dem Modeschöpfer, der gewissermaβen Werte

und Anspruch der Mode- und Schönheitsindustrie verkörpert und eine Stimme gibt,

drückt sich das Verhältnis der Modewelt zu den weniger privilegierten Frauen wie Betty

aus: Diskriminierung und Ausgrenzung. Betty begegnet diesen Erniedrigungen aus

einer gewissen Gewohnheit und Erfahrung heraus zunächst mit einer Haltung von

passiver Duldung und Unterordnung, was sich allerdings im Laufe der Telenovela

verändert.

Auch Daniel Valencias Schwester und Verlobte von Armando Mendoza,

Marcela Valencia, stellt eine Antagonistin Bettys dar. Sie wähnt in Betty eine

Verbündete von Armando Mendoza, von dem sie glaubt, dass er sie mit einer anderen

Frau betrügt. Zwar leugnet sie bis zum Schluss die Möglichkeit, dass Armando sich von

Betty, la fea angezogen fühlen könnte, dennoch beobachtet sie die zunehmende

Vertrautheit zwischen Armando und seiner Sekretärin mit Misstrauen. Betty gegenüber

markiert sie von Beginn an ihre Überlegenheit als Klassenunterschied : „Ella no tiene

clase“ (ebd. Ep. 17) und begegnet ihr mit Abneigung bis hin zu Feindseligkeit (Mendez

2001:64).

Zu den Antagonisten Bettys gehört schlieβlich auch Patricia Fernandez, „la

peliteñida“, die den Posten der zweiten Sekretärin von Armando aufgrund ihrer

Freundschaft mit Marcela bekommt. Sie ist hübsch, arrogant, integrant und Betty vor

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

18

allem in der Intelligenz unterlegen, spioniert für Daniel Valencia, sabotiert ebenso wie

dieser, präsentiert die Arbeit Bettys als ihre eigene, und kann ihr doch nie wirklichen

Schaden zufügen. Umso mehr beleidigt sie Betty und erniedrigt sie wegen ihres

Aussehens, was Betty allerdings mit zunehmendem Selbtbewuβtsein abwehrt.

All diese Antagonisten verbindet die Gemeinsamkeit, dass sie sich von Betty

und ihrer Kompetenz bedroht fühlen - denn tatsächlich ist Betty ihnen überlegen - und

sich deshalb dem ersten, zur Verfügung stehenden Mittel bedienen, das es ihnen

ermöglicht, Betty zu verspotten, zu erniedrigen und damit sich selbst aufzuwerten und

folglich ihre Überlegenheit zu markieren: Bettys Hässlichkeit.

Doch nicht alle Angehörige von EcoModa sind Betty gegenüber feindlich

gesinnt: Verbündete findet Betty in den Sekretärinnen der Geschäftsführung, in Berta,

Sandra, Ines, Sofia, Mariana und Aura Maria. Im Gegensatz zu den

Vorstandsangehörigen und Patricia Fernandez, beurteilen und verspotten sie Betty nicht

sondern heissen sie feierlich im „cuartel de las feas“, wie Hugo Lombradi sie getauft hat

(Gaitán 1999-2001), willkommen. Diese Beleidigung Hugo Lombardis eignen sie sich

selbstbewusst an und bezeichnen sich als : „feas pero unidas“ . In diesem Sinne stehen

die Sekretärinnen für eine ganze Reihe von Werten, die sich von denen der Modefirma

und ihrer Geschäftsführung und der sozialen Klasse, für die sie stehen, absetzten:

Freundschaft, Zusammenhalt und Solidarität. „[Somos] las del cuartel, las que estamos

entre la riqueza pero un milímetro de la pobreza” , beschreibt Aura Maria die

Angehörigen des Kartells (Gaitán 1999-2001) und verortet damit den Ursprung ihrer

Hässlichkeit. So stellt auch Mendez fest: “Las integrantes del cuartel de las feas no son

[...], mujeres feas, sino pobres. La fealdad a la que se refiere Hugo Lombardi no es

fisiologica, sino social. Toda mujer que no forme parte del circulo de los ricos y de los

poderosos, que no pueda gastar grandes sumas de dinero en ropa, perfume y

maquillaje, ni frecuente restaurantes caros y lugares exclusivos es por definición del

modisto de Ecomoda, fea.” (Méndez 2001: 71). Folglich ist die „Hässlichkeit“ der

Sekretärinnen, ihr Mangel an Schönheit im oben genannten Sinne und wie er in der

Modefirma Ecomoda existiert und allgemein anerkannt wird, eine Frage der Klasse.

Aus der Reihe der Antagonist_innen, die diesen Schönheitsbegriff Hugo Lombardis

erfüllen und dem „cuartel de las feas“ ergeben sich die Fronten der „Schönen“ und der

„Hässlichen“. Den Zusammenhang von Schönheit, Klasse und Geschlecht werde ich

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

19

nun unter Verwendung der in Kapitel drei eingeführten Theorien von Eva Illouz

erläutern.

4.2.4. Erotisches Kapital in Yo soy Betty, la fea Zunächst einmal möchte ich betonen, dass die Disrkiminierung, die Betty

erfährt, real ist, auch wenn sich hinter ihr verschiedene Konflikte und Motive ihrer

Antagonisten verbergen. Wie wir gleich in der ersten Episode erfahren, hat sie sich

bereits auf mehrere Posten beworben, ist allerdings immer wegen ihres Aussehens

abgelehnt worden. Diese Erfahrung bestätigt, was Eva Illouz als Soziologin in ihrer

Forschung belegt hat: nämlich dass eine ganz neue Form von Kapital, nicht nur das

kulturelle (Bildung) oder soziale (Freundschaften und Seilschaften) darüber bestimmt,

ob eine Frau – wie sie herausarbeitete sind es vor allem Frauen, die sich mit diesem

Kapital behaupten müssen –auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich sein kann: das erotische

Kapital.

Ganz offensichtlich fehlt es Betty und den anderen Sekretärinnen des Kartells an

erotischem Kapital, darüber hinaus aber auch an den entsprechenden ökonomischen

Ressourcen, sprich, ökonomischem Kapital, um dieses in erotisches Kapital

umzuwandeln. Auch wenn Bettys Fähigkeiten sie für Führungsposten qualifizieren, so

kann sie diese aufgrund eines Mangels an erotischem Kapital nicht aspirieren. Bettys

Ausgangsposition auf dem Arbeitsmarkt und dem Heiratsmarkt sind verheerend

schlecht, denn gerade von Frauen, die einen sozialen Aufstieg durch Arbeit anstreben,

wird in noch stärkerem Maβe verlangt, den Idealen von Schönheit, Eleganz und Klasse

zu entprechen (Vgl. Illouz 2011:108).

Den entscheidenden Hinweis auf die Rolle des Geschlechts bei der

Hervorbringung und Bewertung der neuen Kapitalsorte erhalten wir ebenfalls von

Illouz. Ihr zufolge unterscheiden sich Männer und Frauen nämlich massgeblich in der

Strategie zur Akkumulation von erotischem Kapital, und schliesslich auch in der

Bewertung, besser gesagt, der Möglichkeit den Wert des erotischen Kapitals

festzulegen. In der Telenovela sind diejenigen, die die Ausgrenzung des Cuartels de las

feas determinieren, vorrangig männlich. Den Standart des erotischen Kapitals vermittelt

nämlich Illouz zufolge die Mode-, Schönheits- und Werbeindutrie, im Falle von „Yo

soy Betty, la fea“, also EcoModa, allen voran Hugo Lombardi. Ihm folgen die

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

20

Angehörigen des Firmenvorstandes Daniel Valencia, Armando Mendoza und Mario

Calderon, die neben ihrer sozialen Klassenzugehörigkeit Illouz zufolge allesamt

„sexuelle Kapitalisten“ sind (ebd.). Zu diesen werden sie, indem sie die Strategie der

seriellen Sexualität verfolgen und sich darüber eine neue Dominanz über die Frauen auf

den sexuellen Feldern verschaffen. Das Kräfteverhältnis, in dem die Bewertung und der

Stellenwert von erotischem Kapital hervorgebracht wird, ist folglich - gemäss der

Analyse von Illouz - auch in der Telenovela dominiert von Männern.

Zwischenfazit: Auch in der Telenovela „Yo soy Betty, la fea“ exisiert zu Beginn

eine Geschlechterungleichheit, durch die die Möglichkeit und die Bedingung über

erotisches Kapital zu verfügen und es anzureichern bzw. umzuwandeln für Männer und

Frauen verschieden sind. Dadurch werden die Geschlechter als unterschiedlich

gekennzeichnet und reproduziert.

4.2.5. Die Liebe in Yo soy Betty, la fea Doch bei dieser anfänglichen Ungleichheit und Dominanz der Männer und der

Schönen bleibt es glücklicherweise nicht. Die Figuren und ihre Beziehungen erleben

eine Entwicklung, deren hauptsächlicher Motor, wie in den traditionellen Telenovelas,

die Liebe ist. Yo soy Betty la fea ist voll mit Diskursen über die Liebe, vor allem in

Hinicht auf die Unterscheidung der Geschlechter in der Liebe. Dieses Bewusstsein

teilen nicht nur die sexuellen Kapitalisten Calderon und Mendoza. Für erstgenannten ist

die Verlobung von Mendoza mit Marcela Valencia nichts weiter als eine Strategie zur

Sicherung der Präsidentschaft (Gaitán 1999-2001). Besonders aussagekräftig sind die

Worte Calderons, mit denen er kundtut, dass Frauen mehr lieben, umso mehr sie leiden:

„Las mujeres mientras mas sufran, más aman. Ellas, cuando lloran, viven, se sienten

realizadas como mujeres [...], no trabajan, no estudian, no comen, no duermen […], y

ahí en este momento, en esa avalancha de llanto, lo dicen, lo admiten: amo a este

desgraciado.” (Gaitán 1999-2001). Doch nicht nur mit Worten wird die Liebe von

Männer und Frauen in der Telenovela als verschieden gekennzeichnet – und damit die

Geschlechter in der Dimenion der Gefühle als verschieden konstruiert und reproduziert

– sondern auch in dem Erleben und Ausdrücken von Gefühlen.

Diese Unterscheidung sticht besonders bei der Figur der Protagonistin und ihrem

„principe azul“ Armando Mendoza hervor. Bettys Empfindungen und die Art und

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

21

Weise, wie sie ihre Liebe ausdrückt, können Illouz (2007b) zufolge als durch und durch

weiblich betrachtet werden. Einerseits gibt Betty sich Mendoza gegenüber als

schüchtern, unterwürfig, ja beinah hörig, aber auch altruistisch und führsorglich, in den

Beschreibungen ihrer Empfindungen andererseits spricht sie von bedingungloser

Hingabe, sie glaubt, dass sie die richtige Frau für Mendoza ist, aber nicht über die

Mittel verfügt, es ihm zu zeigen (Gaitán 1999-2001). Folglich verhält sie sich

unaufdringlich, schüchtern – aber immer präsent und gewillt, jedes Hindernis zu

überwinden, um Mendoza bei seinen Geschäften zu helfen. Diese Art der Darstellung

von Bettys Liebe führt zu einer Affirmation des Gemeinplatzes, dass Frauen bis zur

völligen Aufopferung lieben können, was Calderon und Mendoza ausnutzen, um sich

Bettys bedingungslose Loyalität zu sichern, als das Schicksaal von EcoModa in ihren

Händen liegt.

Armando Mendoza hingegen liebt auf eine völlig andere Art und Weise, was wir

nach der Theorie von Illouz als typisch männlich bewerten können. Seine Verlobung

mit Marcela Valencia beschlieβt er vor dem Hintergrund der Rivalität mit Daniel

Valencia um die Präsidentschaft, seine Liebe ihr gegenüber enhält demnach ein

strategisches Element. Er plant keine Liebe auf Lebenszeit, stattdessen ist sie

zweckbestimmt und nicht ausschliesslich. So stellt er zu Beginn der Telenovela Betty

als seine Sekretärin ein, damit sie ihm den Rücken freihalten kann für Verabredungen

mit weiteren Frauen, die er neben der Verbindung mit Marcela treffen möchte. Dies

macht ihn wie schon gesagt, zum sexuellen Kapitalisten, der seine Klasse und Macht

ausnutzt, um diese in erotische Erfahrungen zu tauschen, er verfügt demnach zunächt

über mehr Möglichkeiten, die Bedingungen zu definieren (gegebüber Marcela und

Betty) unter denen er geliebt wird. Teil seiner Hybris ist der Plan, Betty zu verführen,

um sie dadurch vollkommen zu manipulieren und die Firma erhalten zu können – auch

hierbei zeigt sich die Beurteilung von „weiblicher“ Liebe – Illouz zufolge im

Umkehrschlus die Liebe derjenigen, die weniger Möglichkeiten haben, die

Bedingungen zu definieren, woraufhin sie mehr leiden.

Bei der Ausführung des Planes beginnt Mendoza allmählich, sich in Betty zu

verlieben, jedoch ohne dass er sich dessen wirklich bewusst wäre, noch dass er es

zugeben könnte. Anders als Betty, die ihre tiefsten inneren Gefühle einem Tagebuch

anvertraut, drückt Mendoza seine wirklichen Gefühle nicht aus. Noch bevor er sich und

Betty eingestehen kann, dass er sich wirklich verliebt hat, entdeckt Betty den

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

22

Schwindel, verlässt die Firma und informiert den Vorstand über den tatsächlichen,

ruinösen Stand von EcoModa. Auf den Verlust seiner wirklichen Liebe reagiert

Mendoza nun aggressiv, verletzt und selbstzerstörerisch, er versucht, den Schmerz mit

Alkohol zu betäuben, ist unkontrolliert und orientierungslos. Auf diese Art su lieben,

bedeutet, sich permanent als „männlich“ zu konstruieren und Männlichkeit als

spezifisches emotionales System26 zu reproduzieren.

De facto bleiben die Geschlechterrollen von Betty und Armando bis zu ihrer

Versöhnung im vorletzten Kapitel in den traditionellen Schemata von „Männer lieben

so“ und „Frauen lieben anders“ verhaftet, von denen Illouz darlegt, dass sie in der

Realität existieren und die Geschlechter in der Dimension der Gefühle durch die

Sozialisation verschieden konstruieren und reproduzieren (Illouz 2007a, 2007b). Daraus

können wir ableiten, dass die Darstellung der Geschlechter im Bereich der Gefühle in

einem grossen Teil der Telenovela eine Affirmation der Zweigeschlechtlichkeit

repräsentiert.

Doch schlieβlich erfahren diese traditionellen Geschlechterrollen eine

Auflösung, denn am Ende ist es Betty, die die so genannten Bedingungen definiert,

unter denen Armando sie lieben darf. Ihren Höhepunkt findet diese Umkehrung

während der Versöhung von Betty und Armando im vorletzten Kapitel. Denn hier

weicht „Yo soy Betty, la fea“ ganz erheblich von den traditionellen Telenovela ab, in

denen der Protagonist am Ende seine Protagonistin in der Rolle des „principe azul“

beschützt und errettet und vor dem Bösen verteidigt. Ganz im Gegenteil: „Armando ya

no es nadie sin Betty. Necesita de ella para salvar su empresa, para poder dirigierla

exitosamente y para recuperar su seguridad y su autoestima. Su actitud invierte

radicalmente la relación hombre-mujer de la novela rosa, en donde el varón es siempre

proveedor, protector, padre y esposo de una mujer que lo ama.” (Méndez 2001:43)

So ist es nicht Armando, der Betty rettet, sondern Betty, die ihn und EcoModa vor dem

Ruin bewahren. Die Liebeserklärung Armandos anzunehmen und zu erwidern, ist allein

Bettys Entscheidung. Hinsichtlich der von Illouz konstatierten Dominanz der sexuellen

Felder und der Bedingungend der Liebe können wir in Betty la fea eine Umkehrung der

Gechlechterrollen erkennen.

26 Hirschauer (2013)) spricht von unterschiedlichen Systemen und Institutionen, die dieZweigeschlechtlichkeit hervorbringen. Dem möchte ich unter Berufung auf Illouz hinzufügen, dasss auchdie Gefühle eine zweigeschlechtliche Systematik aufweisen.

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

23

4.2.6. Der Triumph des cuartel de las feasBetty durchlebt ebenso wie Armando eine innere und äuβere Transformation.

Doch im Gegensatz zu Mendez (2001) möchte ich behaupten, dass den Anlass zu ihrem

Wandel nicht die Liebe liefert, sondern deren Negation, Bettys Erfahrung von Leid und

Enttäuschung, dem Leid, das zu einem dauerhaften Mangel an Selbtbewusstein führte

und in dem Betrug von Mendoza kulminierte. Aus diesem Leid heraus entwickelt Betty

die Bereitschaft und schlieβlich den Willen, um wie ein „Phönix aus der Asche“

(Mendez 2001:mm) aufzuerstehen, alte Strukturen und Verhaltenssmuster hinter sich

lassend.

Doch Bettys Transformation besteht nicht allein in ihrer Verschönerung noch

endet sie damit. Was Betty wiedergewinnt, ist ihr Selbstbewuβtsein, und zwar nicht wie

Armando aus der Liebe Bettys heraus, also in Abhängigkeit von einer anderen Person,

sondern aus sich selbst heraus und mit Unterstützung von Donia Catalina. Und

schliesslich erhält Betty die Chance, ihr Talent und Können unter Beweiss zu stellen.

Denn obwohl es für die einzelnen Mitglieder des Vorstands von EcoModa, unter ihnen,

Bettys Gegenpielerin und Gegenspieler Marcela und Daniel Valencia und Hugo

Lombardi, nicht in Frage kommt, ist die einzige Möglichkeit, EcoModa vor dem Ruin

zu bewahren, die Ernennung Bettys zur Präsidentin: “En Betty por el contrario, lo que

ocurre es una inversion de roles tradicionales en el que una mujer de una categoria

social económicamente inferior desplaza de sus posiciones gracias a su talento y a su

inteligencia a los propietarios y a los directores anteriores de una empresa productora

de ropa elegante [...].” (Méndez 2001:43) Dies stellt, wie Méndez zutreffen konstatiert,

eine vollkommene Umkehrung der Geschlechterrollen der traditionellen Telenovelas

dar.

“[…], en Yo soy Betty la fea se invierte la historia tradicional de la novela rosa en laque el "principe azul" se enamora de la joven bella, pero probre y la libera de supobreza llevándola de su mano por el reino de la opulencia y fetichismo de lamercancía. En la reina de las telenovelas latinoamericanas la protagonista no es por lomenos originalmente bella sino fea. Además, a quien se libera no es a la joven pobresino el rico ejecutivo. Pero no para llevarlo de la mano por el reino de la opulencia y elfetichismo de la mercancia, sino para liberarlo de la bancarrota, de su propiaineptitud, de la incapacidad de llevar solo la carga de una empresa que requiere eltalento financiero de una persona como Betty.” (Méndez 2001: 39)

In ihrer Position als Präsidentin ersinnt Betty eine neue Verkaufsstrategie, die

sich an die Mehrheit der Frauen, also gerade diejenigen, die nicht den Maβen der

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

24

Models entsprechen, richtet. Damit verändert Betty grundlegend die Spielregeln im Feld

der Mode, indem sie Schönheit demokratisiert und dem Schönheitsbegriff ein neues

Verständnis zugrundelegt.

Genau in dieser Veränderung liegt meiner Meinung nach das bemerkenswerte

und emanzipatorische Potential der Telenovela. Denn die neue Verkaufsstrategie

schenkt allen Frauen, auch den als weniger attraktiv geltenden, Beachtung und integriert

sie, statt sie wie bisher auszugrenzen, sie erfahren Anerkennung. Das neue

Schönheitsbild, das letzen Endes vermittelt, dass jeder Mensch schön sein kann – und in

seiner Eigenart per se schön ist und es verdient, fair behandelt zu werden – findet den

Höhepunkt seiner Darstellung im Triumpf des „cuartel de las feas“ bei der Präsentation

der neuen Kollektion, bei der Ines, Mariana, Aura Maria, Berta und Sofia selbst auf dem

Laufsteg und damit im Rampenlicht stehen – und somit das neue Schönheitsideal von

EcoModa verkörpern. Patricia Fernandez und Marcela Valencia hingegen gehen aus

dem Krieg der Schönen und Hässlichen als Verliererinnen hervor und verlassen die

Firma.

5. Fazit – Erfolg durch Identifikation und AnerkennungIbrahim Guerra zufolge ist die Identifikation “[...] el recurso más poderoso de la

telenovela.”(Guerra 2001:64–65). Der Groβteil der Bevölkerung Kolumbiens gehört der

unteren Mittelklasse an oder sogar bescheideneren Schichten. Wie die

Demokratisierung des Melodramas richten sich Telenovelas an genau diese armen

Bevölkerungsschichten, nicht nur, um ihnen das Märchen vom möglichen sozialen

Aufstieg zu erzählen, sondern auch um sie von ihrer eigenen Misere abzulenken (ebd.).

Doch wie Méndez (2001) feststellt, geht es in Betty la fea nicht um Ablenkung von der

eigenen Misere sondern um die Thematisierung und damit Anerkennung mit einem

ganz realen, die auf die Mehrheit der Bevölkerung zutreffenden Konflikt, dem Mangel

an Schönheit und (erotischem) Kapital. So formuliert die Telenovela eine Kritik am

uniformierten und unerreichbaren Schönheitsideal, der Diktatur der Mode- und

Schönheitsindustrie, die eine immer gröβere Diskrepanz zwischen der Mehrheit der

Personen (die immer dicker werden) und den immer dünneren Modells 27, die das

Schönheitsideal verkörpern, verursacht und zur Entfremdung der Menschen von sich

27 Aafjes (2008); Berry (2008); Hirschauer (2013)

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

25

selbst führt28. Diesem Schönheitsideal stellt „Yo soy Betty, la fea“ eine neuartige

Protagonistin und ihre Verbündeten gegenüber, und schafft damit eine ganz besondere

Nähe zur Realität der alltäglichen Erfahrung der Zuschauer_innen: die der

Marginalisierung durch den Mangel an Schönheit und (erotischem) Kapital.

Neben dieser Anerkennung im Sinne sozialer Sichtbarkeit und der

Demokratisierung des Schönheitbegriffs stellt die Umkehrung der traditionellen

Geschlechterrollen eine weitere zentrale Besonderheit der Telenovela dar. Zwar findet

über weite Strecken der Telenovela eine Affirmation und damit Reproduktion der

Zweigeschlechtlichkeit vor allem im Bereich der Gefühle statt, doch diese wird am im

Laufe der Telenovela umgekehrt, traditionelle Geschlechterrollen werden subvertiert

und damit die binäre Gegensätzlichkeit aufgehoben. Den Schlüssel zum Erfolg der

neuen Protagonistin liefern Bildung, Intelligenz, Loyalität und harte Arbeit, durch die

am Ende Diskiminierung und Geschlechterungleichheit abgewendet werden können.

„Sin duda creo que es la mejor telenovela que hemos de ver en nuestra vida,

porque sin necesidad de cosas vulgares o exageraciones, sino con cosas sencillas y

cotidianas como es la mayoría de las veces en la vida real, logró atrapar el corazón”

schreibt eine Zuschauerin29 als Kommentar zur letzten Folge von Yo soy Betty la fea

stellvertretend für Millionen von begeiterten Zuschauer_innen weltweit.

28 Hirschauer (2013):156 „Idealbilder machen uns zu Mängelwesen.“29 Tita Lunatic, https://www.youtube.com/watch?v=wBzAvbhJMLQ

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

26

6. LiteraturverzeichnisAafjes, Marieke (2008): Belleza Producida y Cuerpos Maleables. Un estudio sobre la belleza

física y la práctica de cirugía estética en Buenos Aires . Master´s dissertation. Ciudad deBuenos Aires.

Andersen, Hans Christian (2011 [1843]): Das hässliche Entlein. Zürich: NordSüd.Beauvoir, Simone de (2007): Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau . Reinbek bei

Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl.Berry, Bonnie (2008): The power of looks. Social stratification of physical appearance.

Aldershot, Burlington, VT: Ashgate.Bourdieu, Pierre (2007): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft .

Frankfurt am Main: Suhrkamp.Butler, Judith (2003): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp.Cervantes, Ana Cecilia (2005): La telenovela colombiana: un relato que reivindicó las

identidades marginadas. In: Investigación y Desarrollo, vol. 13, n° 2.Deines, Stefan (2007): Soziale Sichtbarkeit. Anerkennung, Normativität und Kritik bei Judith

Butler und Axel Honneth. In: Bertram, Georg et al. (Hrsg.): Sozialität und Anerkennung(2007). Paris: L’Harmattan, 143–161.

Duden, Barbara (1998): Die Ungeborenen. Vom Untergang der Geburt im späten 20.Jahrhundert. In: Schlumbohm, J./Duden, B./Gelis, J. (Hrsg.): Rituale der Geburt, 149–168.

El diario del otún (2010): La fea, en los Guinnes Records. In: El diario del otün, 13.02.2010[http://www.eldiario.com.co/seccion/VARIEDADES/la-fea-en-los-guinness-records-100212.html].

Gaitán, Fernando (1999-2001): Yo soy Betty la fea.García Canclini, Néstor (1997): Imaginarios urbanos. [Buenos Aires]: Eudeba.Getino, Octavio (2001): Aproximación a un estudio de las Industrias Culturales. Incidencia

económica, social y cultural para la integración regional[http://www.oei.es/cultura2/getino.htm, Abruf am 11.12.2014].

Gildemeister, Regine (2008): Soziale Konstruktion von Geschlecht: „Doing gender“. In: Wilz, S.M. (Hrsg.): Geschlechterdifferenzen - Geschlechterdifferenzierungen. Ein Überblick übergesellschaftliche Entwicklungen und theoretische Positionen . Wiesbaden: VS, Verl. fürSozialwiss., 167–198.

Guerra, Ibrahim (2001): Telenovela y consumo comercial en América Latina. Desde "El derechode nacer" hasta "Betty, la fea" . Caracas: Comala.com, Ediciones x Demanda.

Hagemann-White, Carol (1984): Sozialisation: Weiblich-männlich? Opladen.Hirschauer, Stefan (2013): Die Praxis der Geschlechter(in)differenz und ihre Infrastruktur. In:

Graf, J./Ideler, K. (Hrsg.): Geschlecht zwischen Struktur und Subjekt. Theorie, Praxis,Perspektiven. Opladen: Budrich, 153–171.

Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. (1988, [1969]): Dialektik der Aufklärung. PhilosophischeFragmente. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.

Illouz, Eva (2007a): Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche desKapitalismus. [Frankfurt am Main]: Suhrkamp.

Illouz, Eva (2007b): Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2004 .Frankfurt/M: Suhrkamp.

Illouz, Eva (2011): Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung . Berlin: Suhrkamp.

Geschlechterkonstruktionen, Liebe und Schönheit in der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“

27

Leonard, Ralf (1996): Kolumbien im Zustand innerer Erschütterung. In: Grabbert, K. (Hrsg.):Offene Rechnungen. Lateinamerika, Analysen und Berichte , 202–211.

Martín Barbero, Jesús (1987): De los medios a las mediaciones. Comunicación, cultura yhegemonía / Jesús Martín-Barbero . México: Ediciones G. Gili.

Mazziotti, Nora (2006): Telenovela, industria y prácticas sociales . Buenos Aires: Grupo EditorialNorma.

Méndez, José Luis (2001): El irresistible encanto de Betty la fea . San Juan, P.R.: EdicionesMilenio.

Raimondi, Marta Mariasole (2011): La telenovela en América Latina: experiencia de lamodernidad en la región y su expansión internacional. Madrid.

Rostand, Edmond (1977 [1897]): Cyrano von Bergerac. Romantische Komödie in fünf Aufzügen .Stuttgart: Reclam.

Rubin, Gayle (1975): The Traffic in Women: Notes on the ,Political Economy' of Sex. In: Reiter,R. (Hrsg.): Towards an Anthropology of Women. New York, London.

Ruétalo, Victoria (2009): Industria cultural. In: Szurmuk, M./Irwin, R. M./Rabinovich, S. (Hrsg.):Diccionario de estudios culturales latinoamericanos. México, D.F.: Instituto Mora; SigloVentiuno Editores.

Schumacher, Peter (1998): Kolumbien: Reden vom Frieden - mitten im Krieg. In: Gabbert, K.(Hrsg.): Die Macht und die Herrlichkeit. Lateinamerika. Analysen und Berichte . Bad Honnef:Horlemann, 197–207.

Szurmuk, Mónica/Irwin, Robert McKee/Rabinovich, Silvana (Hrsg.) (2009): Diccionario deestudios culturales latinoamericanos. México, D.F.: Instituto Mora; Siglo Ventiuno Editores.

Villanova, Luis Javier (2012): La Historia Detras del Mito. Yo Soy Betty, La Fea . Mexiko: TVAzteca.

West, Candance/Zimmerman, Don (1987): Doing Gender. In: Gender & Society, 1, 1, 125–151.Wetterer, Angelika (2008): Konstruktion von Geschlecht. Reproduktionsweisen der

Zweigeschlechtlichkeit. In: Becker, R./Kortendiek, B. (Hrsg.): Handbuch Frauen- undGeschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie . Wiesbaden: VS, Verlag fürSozialwissenschaften.

Wikipedia: Yo soy Betty, la fea [http://es.wikipedia.org/wiki/Yo_soy_Betty,_la_fea, Abruf am15.12.2014].