Die Auswirkungen von Transportkorridoren auf indigene Kultur und kulturelles Erbe. Annäherung an...

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Die Auswirkungen von Transportkorridoren auf indigene Kultur und kulturelles Erbe Annåherung an eine Definition von Einflusszonen Ole Grøn, Christian Nellemann und Nils Røv Einleitung Der vorliegende Beitrag diskutiert den Einfluss von Transportkorridoren wie StraBen, Eisenbahnlinien und schiffbaren Fliissen auf das kulturelle Erbe und die indigene Kultur des umgebenden Gebietes. Das Hauptaugenmerk soll hierbei aber nicht auf die unmittelbar mit dem Bau solcher infrastruktureller Einrichtungen einhergehenden Einfliisse gelegt werden, sondern auf die se- kundåren und indirekten Folgen ihres Vorhandenseins. Dadurch soll ein rea- listisches Modell der Variationsbreite des Einflusses von Infrastrukturele- menten auf inre Umgebung erarbeitet werden, das als Ausgangspunkt fik eine verlåssliche und anwendbare Definition von Einflusszonen dienen soll. Wåhrend es generell akzeptiert wird, dass der Einfluss linearer Infrastruktur- elemente auf den Tier- und Pflanzenbestand in groBem MaBstab und mit adåquater Pråzision als vergleichsweise unkomplizierte Funktion der Distanz dargestellt werden kann (Nellemann et al. 2000; Nellemann et al. 2001), wurde die Anwendbarkeit åhnlicher Modelle zur Beschreibung des Drucks, dem das kulturelle Erbe und die AuBerungen einer lebenden Kultur in der Umgebung von Transportkorridoren ausgesetzt sind, bislang angezweifelt. Die in diesem Beitrag pråsentierten Resultate scheinen jedoch darauf hinzu- deuten, dass ebendies sehr wohl der Fall ist. Einleitend seien zwei Arbeitshypothesen formuliert. 1. Ist es m8glich, die Auswirkungen von Transportkorridoren auf das kul- turelle Erbe indigener Kulturen durch ein relativ unkompliziertes Modell darzustellen? 2. Wird der Einfluss der Transportkorridore, bedingt durch unzureichende Kenntnis der Sekundåreffekte, tendenziell unterschåtzt? Dieser Beitrag bestreitet keineswegs die Existenz ausgesprochen komplexer Wechselwirkungen zwischen kulturellen Phånomenen und 0kologischen Daten (vgl. Behrens 1996). Darin besteht auch kein Widerspruch zu der ers- ten der genannten Hypothesen. 172

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Die Auswirkungen von Transportkorridoren auf indigene Kultur und kulturelles Erbe

Annåherung an eine Definition von Einflusszonen

Ole Grøn, Christian Nellemann und Nils Røv

Einleitung

Der vorliegende Beitrag diskutiert den Einfluss von Transportkorridoren wie StraBen, Eisenbahnlinien und schiffbaren Fliissen auf das kulturelle Erbe und die indigene Kultur des umgebenden Gebietes. Das Hauptaugenmerk soll hierbei aber nicht auf die unmittelbar mit dem Bau solcher infrastruktureller Einrichtungen einhergehenden Einfliisse gelegt werden, sondern auf die se-kundåren und indirekten Folgen ihres Vorhandenseins. Dadurch soll ein rea-listisches Modell der Variationsbreite des Einflusses von Infrastrukturele-menten auf inre Umgebung erarbeitet werden, das als Ausgangspunkt fik eine verlåssliche und anwendbare Definition von Einflusszonen dienen soll. Wåhrend es generell akzeptiert wird, dass der Einfluss linearer Infrastruktur-elemente auf den Tier- und Pflanzenbestand in groBem MaBstab und mit adåquater Pråzision als vergleichsweise unkomplizierte Funktion der Distanz dargestellt werden kann (Nellemann et al. 2000; Nellemann et al. 2001), wurde die Anwendbarkeit åhnlicher Modelle zur Beschreibung des Drucks, dem das kulturelle Erbe und die AuBerungen einer lebenden Kultur in der Umgebung von Transportkorridoren ausgesetzt sind, bislang angezweifelt. Die in diesem Beitrag pråsentierten Resultate scheinen jedoch darauf hinzu-deuten, dass ebendies sehr wohl der Fall ist. Einleitend seien zwei Arbeitshypothesen formuliert. 1. Ist es m8glich, die Auswirkungen von Transportkorridoren auf das kul-

turelle Erbe indigener Kulturen durch ein relativ unkompliziertes Modell darzustellen?

2. Wird der Einfluss der Transportkorridore, bedingt durch unzureichende Kenntnis der Sekundåreffekte, tendenziell unterschåtzt?

Dieser Beitrag bestreitet keineswegs die Existenz ausgesprochen komplexer Wechselwirkungen zwischen kulturellen Phånomenen und 0kologischen Daten (vgl. Behrens 1996). Darin besteht auch kein Widerspruch zu der ers-ten der genannten Hypothesen.

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Entfernung zur Stbrungsquelle (km)

Abbildung I: Verhåltnis zwischen der Entfernung zu Stbrungsquellen und der Wahrscheinlichkeit eines Einflusses auf Tier- und Pflanzenwelt (Nellemann et al.

2000; Nellemann et al. 2001)

Wenn weitere Forschungen die interdisziplinåre Verwendbarkeit des hier vorgestellten Modells beståtigen, kdnnte es einen wichtigen Beitrag, zum Verståndnis der Auswirkungen linearer Infrastrukturelemente leisten. Dar-iiber hinaus kbnnte es eine realistische und verwendbare Definition des Kon-zepts der „Einflusszone" (engl.: impact zone) ermbglichen, das bislang einer sinnvollen Definition in Hinblick auf die Phånomene und Prozesse, die es bezeichnen soll, entbehrt. Im Folgenden werden einige Beispiele fiir die Auswirkungen von Transport-korridoren auf das kulturelle Erbe und die Kultur der Umgebung diskutiert.

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Auswirkungen auf Tier- und Pflanzenwelt

sehr hoch hoch niedrig sehr niedrig

IPE "Wild n is"

0 50km 11.1111.11...1..1111•1111.11

Wie sich zeigen wird, sind die Einfltisse weitreichender als man erwarten wiirde.

Der Einfluss von Infrastruktur auf Kultur

Unter den Faktoren, die indigene Bev8lkerungen beeinflussen, nehmen line-are Infrastrukturelemente eine zentrale Rolle ein. Abbildung II illustriert die wachsenden Auswirkungen des StraBensystems auf die Tierwelt in Finnmark im Norden Norwegens zwischen 1940 und 2000. Da die Tiere die Nåhe der Verkehrswege meiden, reduziert sich die zur Verfilgung stehende Weidefld-che. Durch diesen weltweit zu beobachtenden Vorgang verliert die Umge-bung von StraBen fiir viele auf natiirliche Ressourcen angewiesene indigene Gruppen an Bedeutung. Vorsichtige Prognosen gehen davon aus, dals im Jahr 2050 keinerlei Weideflåchen fur Rentierherden der Sami in Finnmark vorhanden sein werden (Nellemann et al. 2001).

Abbildung II: Die Entwicklung des StraBennetzes in Finnmark (Norwegen) zwischen 1940 und 2000 und die Auswirkungen auf Tier- und Pflanzenwelt

(Nellemann et al. 2001)

Durch die Auswirkungen auf die Tierbestånde beeinflussen lineare Infra-strukturelemente indirekt auch das Leben der von diesen Ressourcen abhån-

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gigen indigenen Beviilkerung. Zusåtzlich kann man von einer direkten kultu-rellen Beeinflussung ausgehen, da die indigenen Gruppen durch das Vor-handensein von Transportkorridoren verstårkt mit industrieller Kultur in Beriihrung kommen.

Russen (1)

Jakuten (64)

0 Burjaten (66)

• Russen (1)

♦ Jakuten (64)

D Burjaten (66)

Ewenken (68)

Abbildung Verteilung der verschiedenen ethnischen Gruppen im siidlichen Zentralsibirien (nach Filatov et al. 1997)

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Der nordwestliche und zentrale Teil des Untersuchungsgebietes in der Bai-kalregion wird vor allem von ewenkischeni Jågern und Hirten bewohnt, de-ren verstreutes Siedlungsmuster keine Pråferenzen fiir die Nåhe zu zentralen Transportkorridoren aufzuweisen scheint. Die Jakuten und Burjaten, deren traditionelle Wirtschaftsform der Pastoralismus war, haben sich an ein melir oder minder sesshaftes, von Landwirtschaft bestimmtes Leben angepasst. Dies gult vor allem fiir den sildlichen Teil des Gebietes, in dem die Burjaten eine wichtige Rolle spielen, hingegen sind die Jakuten im Nordosten zu ei-nem grbBeren Teil Pastoralisten geblieben. Ein betråchtlicher Teil dieser ethnischen Gruppen hat sich erfolgreich in die industrielle Kultur integriert und siedelt nun primår in der Nåhe von Transportkorridoren. Die russische Beviilkerung als „Tråger" der Industriekultur lebt vorwiegend im fik land-wirtschaftliche Nutzung besonders geeigneten Silden des untersuchten Ge-bietes, wo ihr Siedlungsmuster eine eindeutige Konzentration entlang der Hauptverkehrsadern erkennen låsst.

Abbildung IV: Der Prozentsatz von Wirtschaftsgebåuden in den Siedlungen, die mit nicht-traditionellen Materialien wie Planen oder Teerpappe anstatt traditioneller

Rinde gedeckt sind; dargestellt als Funktion des Abstandes zur nåchsten regulåren StraBe am Beispiel von ewenkischen Rentierjågem im niirdlichen Transbaikalien

Obwohl sich die Zuordnung von Individuen zu verschiedenen ethnischen Gruppen keines-wegs unproblematisch gestaltet (vgl. Anderson 2000), besteht kein Zweifel an der Gilltigkeit der aus Abbildung 111 hervorgehenden Tendenzen. Dennoch ist das Datenmaterial aufgrund seines administrativen Charakters nur bedingt als Grundlage fiir eine detailliertere Analyse geeignet.

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Die offensichtliche Verbindung zwischen Industriekultur und Transportkor-ridoren ist nicht iiberraschend, da die Infrastruktur vorwiegend den Bediirf-nissen der Industrialisierung diente. Erwåhnenswert ist, dass die Integration einer ethnischen Gruppe in die Industriekultur in direktem Zusammenhang zu zentralen infrastrukturellen Einrichtungen steht. Bei einer Betrachtung der materiellen Kultur der Indigenen wird schnell deutlich, wie stark der Ein-fluss der modernen Industriekultur mit steigender Distanz zu zentralen Transportkorridoren abnimmt. Wåhrend unserer Feldforschung bei den Ewenken im nrdlichen Transbai-kalien2 konnten wir beobachten, dass in gr8Beren Abstånden von linearen Infrastrukturelementen weitaus håufiger traditionelle Baumaterialien Ver-wendung finden als in deren Nåhe. Die Verwendung von Lårchenrinde oder der Gebrauch nichttraditioneller Materialien wie Planen oder Teerpappe, die als Dach beziehungsweise Deckmaterial verwendet werden, ist ein Indikator filr den Einfluss von Infrastruktur auf die materielle Kultur. Wir beriicksich-tigten nur erhaltene Bauten, die nicht als Wohngebåude dienten, so zum Bei-spiel Rentierunterstånde, Råucherkammern, Hundehtitten oder Dåcher fik offene Feuerstellen. Wåhrend die traditionellen mit Rinde und Håuten be-deckten Behausungen heute gånzlich durch Zelte aus Leinwand oder man-cherorts durch permanente Gebåude mit einem Dach aus Faserzement ersetzt wurden, kann man bei nicht bewohnten Bauten eine „konservativere" Aus-wahl von Materialien konstatieren, bei der der Dbergang zu modernen Bau-stoffen gradueller und langsamer und dadurch fiir diese Untersuchung aussa-gekråftiger ist. Das Datenmaterial wurde in drei Gebieten im nbrdlichen Transbaikalien in unterschiedlichen Abstånden zur Baikal-Amur-Magistrale erhoben (Abbil-dung IV). Am Nibtka-See befinden sich 18 registrierte Bauten, von denen drei nicht mit Rinde gedeckt sind. In Cynaskaja Naled wurde bei zwei von fiinf Bauten keine Rinde verwendet. In der Gegend um das Dorf Capo-Ologo (inklusive der Siedlungen am Cikalovskij-See) weist kein einziger der zahl-reichen Bauten ein Dach aus Birke auf. Die Liste der Beispiele, auf die sich die Untersuchung stiltzt, ist nicht lang, aber die beobachtete Tendenz wird durch die Anzahl an Båumen, deren Rinde entfernt wurde, beståtigt. Das Gebiet mit seinen bis zu ca. 3.000 m hohen Bergen ist alles andere als isotropisch. Die Fahrt von der Eisenbahn zum 45 km entfernten Cynaskaja Naled nimmt mit einem schweren Lastwagen vier Stunden in Anspruch, und ein amphibisches Raupenfahrzeug, ein so genanntes „weasel", bentigt fur die 110 km bis zum Nibtka-See drei bis vier Tage, wenn die Fliisse nicht zu reiBend sind, um iiberquert zu werden. Man muss sich demnach bewusst sein, dass die in Abbildung IV angeffihrten Distanzen weitaus grbBeren Ab-

2 Das Datenmaterial zu Transbaikalien wurde in Zusammenarbeit mit Oleg Kuznecov vom In-stitut fik Sozialanthropologie der Technischen Universitdt Cita erstellt.

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Eisenbahnen

standen in einer flachen Landschaft entsprechen. Die Kurve in Abbildung IV scheint jedoch die Situation, die wir in dem Gebiet beobachten konnten, wiederzuspiegeln: jene Familien, die in gn5f3erer Entfernung zur Stra13e be-ziehungsweise Eisenbahn leben, sind in flirer Auswahl von Baumaterialien weniger von der Industriegesellschaft beeinflusst als Familien in der Nåhe der Transportkorridore.

Stromleitungen

Pipelines

Stationen und Siedlungen

Abbildung V: Modell der verschiedenen Formen direkten kulturellen Einflusses durch unterschiedliche Arten linearer Infrastruktur

Wålu.end indirekte Auswirkungen auf Tierbestånde bei allen Arten von line-aren Infrastrukturelementen beobachtet werden kbnnen, scheint die indigene

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Bevdlkerung ausschliel3lich von Transportkorridoren, nicht jedoch von Stromleitungen und Pipelines direkt beeinflusst zu werden. Im Fall von Ei-senbahnen kann man davon ausgehen, dass sich der kulturelle Einfluss in der Umgebung der Stationen auswirkt; bei StraBen hingegen ist der Einfluss auch an der Strecke zwischen den Siedlungen ersichtlich (Abbildung V). Eine systematische Darstellung der Auswirkungen auf die spirituelle Kultur der indigenen Bevdlkerung ist ungleich schwieriger als die Beschreibung der Verånderungen im Bereich materieller Kultur. Leicht zu beobachtende Ver-haltensweisen, die traditionellen Glaubensvorstellungen entspringen — zum Beispiel das rituelle Deponieren der Knochen erlegter Tiere (Grøn/ Kuzne-tsov 2003) oder die rituelle Speisung der Gottheit im Herdfeuer — stellen ver-wendbare Indikatoren dar.

Direkte Auswirkungen von Straflen auf archåologische Baudenkmåler

Um die Auswirkungen von StraBen auf pråhistorische Monumente aufzuzei-gen, wurde eine Studie basierend auf online verfiigbarem Datenmaterial (in-klusive Landkarten im MaBstab 1: 25.000) des dånischen Kulturgeschichtli-chen Zentralregisters (Dan.: DKC, Det Kulturhistoriske Centralregister) durchgefiihrt.3 Dynemark ist aus zweierlei GrUnden besonders geeignet fiir eine solche Untersuchung: Zum einen hat das Land seit 1873 systematisch eines der weltweit besten Register fiir erhaltene und zerstdrte pråhistorische Baudenkmåler erstellt (Ebbesen 1985). Zum anderen ålmelt kaum eine an-dere Landschaft so sehr einer isotropischen Oberflåche, sodass die Auswir-kungen der Infrastruktur weitgehend unabhångig von topographischen Ein-fliissen analysiert werden kdnnen. Um 1800 wurde ein effizienter gesetzlicher Schutz fur pråhistorische Bau-denkmåler nitig, bedingt durch die Intensivierung der Landwirtschaft, die VergrdBerung der landwirtschaftlichen Nutzfiåche, dem gesteigerten Inte-resse fiir Ur- und Friihgeschichte aufgrund des romantischen und nationalis-tischen Ideengutes und dem Abnehmen des Aberglaubens der Bauern, der bislang Beschådigungen der Baudenkmåler teilweise verhindert hatte (Ebbe-sen 1985; Klindt-Jensen 1975). Da aber eine solche Gesetzgebung nicht vor 1937 eingefiihrt wurde (Ebbesen 1985), erlitten zahlreiche Baudenkmåler im Laufe des 19. und friihen 20. Jahrhunderts erhebliche Schåden. Besonders die Hiigelgråber wurden stark in Mitleidenschaft gezogen, da sie eine leicht auszumachende und gut zugångliche Quelle sowohl von niitzlichem Bau-material (groBe Steine und Kies) als auch von wertvollen Fundstiicken dar-stellten. Die dånische StraBenverwaltung erhielt 1793 die Erlaubnis, alle

3 Besonderer Dank gebiihrt Henrik Jarl Hansen von DKC, der den Autoren Online-Zugang zu den Datenbanken ermdglichte.

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nicht von den Landeigenliimern fiir andere Zwecke gekennzeichneten Steine fiir den StraBenbau und fiir Reparaturen zu requirieren (Tanderup/ Ebbesen 1979: 48). , In der folgenden Analyse wurden alle jene StraBen beriicksichtigt, die in den von DKC verwendeten digitalen Karten durch ununterbrochene Linien dar-gestellt sind4, nicht jedoch die strichliert eingezeichneten unbefestigten We-ge und Pisten. Um die Repråsentativitåt der Prozentangaben (in Abbildung VI) in den „weiter entfernten" Intervallen zu erh6hen, die nur vergleichs-weise wenige Eintråge aufweisen, wurden diese gr6Ber eigerichtet als die Intervalle nåher an Null. Dass dadurch die horizontale Aufl6sung reduziert wird, stellt kein groBes Problem dar, weil sich die Werte entlang der y-Achse bei gr6Beren x-Werten generell weniger unterscheiden als bei kleineren. Da es in der Periode, in der die meisten Schåden angerichtet wurden, legal war, groBe Steine von megalithischen Hligelgråbern zu entfernen und da der tiberwiegende Teil der gr6Beren Steine in der dånischen Morånenlandschaft bereits in pråhistorischer Zeit gesammelt worden war, kann man von einer direkten Proportionalitåt zwischen der Zugånglichkeit zu den Megalithen und dem AusmaB der Schåden ausgehen. Um den Grad der Beschådigung der Megalithe zu beschreiben, wurden zwei Kategorien verwendet: 1.) intakte oder teilweise erhaltene Megalithe sowie 2.) vollståndig zerst6rte Megalithe. Wenn sich groBe Steine von einer oder mehreren Kammern, dem Eingang beziehungsweise den Eingången oder Steinwållen noch in situ befinden, wird die Struktur der ersten Kategorie zu-geordnet, ansonsten gehiirt sie zur zweiten Kategorie. Diese Unterscheidung stellt die Steinkonstruktion in den Mittelpunkt des Interesses anstatt der Ffillung zwischen der oder den Kammern und den Steinwållen. Die auf den Daten von 262 megalithischen Hiigelgråbern auf Langeland basierende Gra-fik A (Abbildung VI) ist besonders repråsentativ. Grafik B (Abbildung VI), basierend auf Daten von 65 Hiigelgråbern aus dem stidlichen Jiltland, zeigt die gleiche Tendenz. Beide Kurven beståtigen, dass leichte Zugånglichkeit zu einem Megalith mit einem hbheren Grad von Beschådigung einhergeht. Davon unabhångige Schåden scheinen im Rahmen von Urbarmachung von Land angerichtet worden zu sein. Es ist kaum iiberraschend, dass der letzt-genannte Faktor einen styrkeren Einfluss auf die Untersuchung A ausiibt, da Langeland fruchtbaren Boden aufweist, der weitaus besser fiir Ackerbau ge-eignet ist als die karge, versandete Erde um Bov und Holbøl.

4 Jene StraBen entstanden zwischen 1761 und 1861 in Zusammenhang mit der Flurbereini-gung und der Neuverteilung von Land (Jørgensen 1996).

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100 %

50 %

0%

Z=65

-‹*

A

0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 m

B

0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 m

Abbildung VI: Prozentsatz vollståndig zerstdrter megalithischer Htigelgfiber, dargestellt als Funktion des Abstandes zur nåchsten StraBe. Beispiel A von

Langeland, Beispiel B aus dem stidlichen Jtitland (Pfarrbezirke Bov und Holbøl)

Dieses Beispiel betont die Konsequenzen, die die unterschiedliche Zugång-lichkeit zu den schweren, aber gut verwendbaren Baumaterialien von prå-historischen Monumenten auf deren Erhaltung hat. Die schmale Zone, in der sich die Beschådigungen håufen (innerhalb von 600 m von der nåchsten StraBe), muss in Relation zum Gewicht der Steine und den daraus resultie-renden Transportschwierigkeiten gesehen werden. Da der GroBteil des Stra-Bensystems erst zwischen 1764 und 1861 entstand (Jørgensen 1996), besteht

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100%

50%

0%

keine nennenswerte Verbindung zwischen der Lage der Strallen und der Ver-teilung der Megalithe. Obwohl die erwhhnten Baudenkmåler nun durch die dånischen Gesetze zur Bewahrung des kulturellen Erbes geschiitzt sind, besteht fiir die weniger gut erhaltenen Ståtten nach wie vor die Gefahr „professioneller Beschådigung" im Rahmen von Bauarbeiten. Man kann davon ausgehen, dass derartige Schåden vor allem in der Nåhe existierender Stral3en auftreten werden sowie an Orten, an denen neue Verkehrswege gebaut werden. Der beschriebene Prozess wird sich voraussichtlich in Zukunft fortsetzen, wenn auch bedeu-tend langsamer. Ahnliche Beobachtungen finden wir anderswo. Eine Studie aber die Schåden an registrierten archåologischen Denkmålern im ndrdlichen Norwegen kom-mt zu dem Schluss, dass der Grata der Beschådigungen von Offroad-Fahr-zeugen verursacht wurde. Da auch solche gelåndegångigen Fahrzeuge auf gute Zufahrtsmdglichkeiten angewiesen sind, konstatierte man eine Konzen-tration der Schåden entlang von Stral3en (Myrvoll 2001).

Schluss

Dieser Artikel vertritt die Ansicht, dass sich die zahlreichen verschiedenen Arten von Einfliissen, die mit Transportkorridoren in Verbindung stehen, relativ einfach darstellen lassen, selbst wenn sie von komplexen Phåno-menen ausgeldst werden. Das Model!, das im GLOBIO-Report zur Darstel-lung des Einflusses der Infrastruktur auf natiirliche Rohstoffe verwendet wird (Nellemann et al. 2001), kbnnte auch in der Bewertung der Auswir-kungen auf kulturelle beziehungsweise demographische Prozesse und der mit den Transportkorridoren verbundenen Schåden an kulturellem Erbe Ver-wendung finden. Obwohl verschiedene Arten von Infrastruktur verschiedene Typen von Einfluss ausilben kbnnen (Abbildung V) und obwohl wir die Vor-gånge, die den beobachteten Prozessen zugrunde liegen, nicht im Detail ana-lysieren und verstehen kiinnen, ermdglicht die Methode eine nuancierte und realistische Darstellung der Abnahme des Einflusses mit steigender Distanz zum jeweiligen Transportkorridor. Bislang ist der Begriff „Einflusszone" wenig mehr als ein weitgehend be-deutungsloser administrativer Terminus. Der in diesem Artikel prdsentierte Ansatz ermdglicht es jedoch, eine neue Definition zu entwickeln, die in Ver-bindung mit pråzisem Datenmaterial einen kohårenten Zugang zu den ver-schiedenen Formen der Beeinflussung nattirlicher und kultureller Gegeben-heiten ermdglicht. Eine naheliegende Konsequenz wåre die Vergrdf3erung der Einflusszonen in einem kulturellen Kontext. Da die Ausbeutung von Mi-neralien und die Energiegewinnung gegenwårtig zu einem schnellen Ausbau von Infrastruktur in bislang isolierten Gebieten fiihrt, ist die Entwicklung von Hilfsmitteln und Modellen, die eine bessere Grundlage fiir politische und administrative Entscheidungen bieten, von essentieller Bedeutung. Bis-

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herige Einschåtzungen scheinen die weitreichenden Konsequenzen des Ein-flusses von Infrastruktur gr8litenteils unterschåtzt zu haben.

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Beitråge zum zirkumpolaren Norden Contributions to Circumpolar Studies

herausgegeben von edited by

Prof. Dr. Peter Schweitzer (University of Alaska Fairbanks/Universitåt Wien)

Band/Volume 1

LIT