4/2018 - BRAK-Mitteilungen

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BRAK MIT TEILUNGEN Zeitschrift für anwaltliches Berufsrecht BEIRAT RA Prof. Dr. Christian Kirchberg, Karlsruhe, Vorsitzender Prof. Dr. Matthias Kilian, Köln RA JR Heinz Weil, Paris www.brak-mitteilungen.de PVST 7997 Hier bestellen: otto-schmidt.de/zpo32 Der aktuelle Zöller: AUGUST 2018 49. JAHRGANG 4/2018 S. 161–216 AKZENTE E. Schäfer Ganz am Anfang ZUR DISKUSSION Chr. Wolf Cui bono? – Hannoversche Thesen zur Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts AUFSÄTZE O. Kury Für ein modernes anwaltliches Gesellschafts- und Berufsrecht M. Steiner Anwaltliche Werbefreiheit im grenzenlosen Europa? AMTLICHE BEKANNTMACHUNGEN Beschlüsse der 6. Sitzung der Satzungsversammlung BERUFSRECHTE UND PFLICHTEN BVerfG Rechtmäßige Durchsuchung einer internationalen Anwaltskanzlei (Anm. A. Dierlamm) BGH Pflicht zur Herausgabe von Handakten

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BRAKMITTEILUNGENZeitschrift für anwaltliches Berufsrecht

BEIRATRA Prof. Dr. Christian Kirchberg, Karlsruhe, VorsitzenderProf. Dr. Matthias Kilian, KölnRA JR Heinz Weil, Paris

www.brak-mitteilungen.de

PVST 7997

Hier bestellen: otto-schmidt.de/zpo32

Der aktuelle Zöller:

AUGUST 201849. JAHRGANG

4/2018S. 161–216

AKZENTEE. SchäferGanz am Anfang

ZUR DISKUSSIONChr. WolfCui bono? – Hannoversche Thesen zur Reformdes anwaltlichen Gesellschaftsrechts

AUFSÄTZEO. KuryFür ein modernes anwaltliches Gesellschafts-und BerufsrechtM. SteinerAnwaltliche Werbefreiheit im grenzenlosen Europa?

AMTLICHE BEKANNTMACHUNGENBeschlüsse der 6. Sitzung der Satzungsversammlung

BERUFSRECHTE UND PFLICHTENBVerfGRechtmäßige Durchsuchung einer internationalenAnwaltskanzlei (Anm. A. Dierlamm)BGHPflicht zur Herausgabe von Handakten

INHALT

Alle Entscheidungen und Aufsätze in unserer Datenbankwww.brak-mitteilungen.de

AKZENTE

E. SchäferGanz am Anfang 161

ZUR DISKUSSION

Chr. WolfCui bono? – Hannoversche Thesen zur Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts 162

AUFSÄTZE

O. KuryFür ein modernes anwaltliches Gesellschafts- und Berufsrecht – Der richtungsweisende Reformvorschlag der BRAK 165

M. SteinerAnwaltliche Werbefreiheit im grenzenlosen Europa? 171

M. SchultzDie Entwicklung des Zivilverfahrensrechts 176

A. Jungk/B. Chab/H. GramsPflichten und Haftung des Anwalts – Eine Rechtsprechungsübersicht 183

AUS DER ARBEIT DER BRAK

T. NitschkeDie BRAK in Berlin 188

H. Petersen/D. Barca-CysiqueDie BRAK in Brüssel 191

V. Horrer/K.-L. Ting-Winarto/R. Khalil HassanainDie BRAK International 192

Erratum 193

AMTLICHE BEKANNTMACHUNGEN

Beschlüsse der 6. Sitzung der 6. Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer am 16.4.2018 in Berlin 193

Sitzung der Satzungsversammlung 194

BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG

Detaillierte Übersicht der Rechtsprechung auf der nächsten Seite IV

INHALT BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

III

BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG

BERUFSRECHTE UND PFLICHTENBVerfG 27.6.2018 2 BvR 1562/17 Keine Beschwerdebefugnis einzelner Anwälte bei Kanzlei-

durchsuchung 194BVerfG 27.6.2018 2 BvR 1287/17,

2 BvR 1583/17Keine Grundrechtsfähigkeit einer internationalen Anwalts-kanzlei 194

BVerfG 27.6.2018 2 BvR 1405/17,2 BvR 1780/17

Rechtmäßige Durchsuchung einer internationalen Anwalts-kanzlei (m. Anm. A. Dierlamm) 195

BGH 17.5.2018 IX ZR 243/17 Pflicht zur Herausgabe von Handakten 205AnwG Berlin 5.3.2018 1 AnwG 34/16 Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften als Berufs-

rechtsverstoß 208

FACHANWALTSCHAFTENAnwG Köln 8.1.2018 4 AnwG 40/17 R Keine Werbung als „Fachanwalt im Marken-, Wettbewerbs- und

Urheberrecht“ (LS) 213

SYNDIKUSANWÄLTEBGH 18.4.2018 AnwZ (Brfg) 20/17 Zulassung eines Personaldirektors als Syndikusrechtsanwalt (LS) 213BGH 12.3.2018 AnwZ (Brfg) 15/17 Zulassung einer Schadenanwältin als Syndikusrechtsanwältin (LS) 213AGH Nordrhein-Westfalen

14.5.2018 1 AGH 81/16 Zulassung eines Leiters der Clearingstelle eines öffentlich-rechtlichen Senders (LS) 214

Bayerischer AGH 9.4.2018 BayAGH III 4-8/17 Zulassung eines juristischen Redakteurs als Syndikusrechts-anwalt (LS) 214

Bayerischer AGH 26.3.2018 BayAGH I 1-4/17 Keine Zulassung für ruhende Tätigkeit 214SG München 1.2.2018 S 31 R 1310/17 Rückwirkung der Befreiung von der gesetzlichen Rentenversiche-

rungspflicht auf den Beginn der Beschäftigung (LS) 216

NOTARRECHTBGH 23.4.2018 NotZ (Brfg) 6/17 Amtswidrige Werbung eines (Anwalts-)Notars (LS) 216

SONSTIGESBGH 1.3.2018 I ZR 264/16 Kritische Äußerung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts

(LS) 216

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 INHALT

IV

IMPRESSUMBRAK-MITTEILUNGEN UND BRAK-MAGAZIN Zeitschrift für anwaltliches BerufsrechtHERAUSGEBERIN Bundesrechtsanwaltskammer, Littenstr. 9, 10179 Berlin, Tel. (0 30)28 49 39-0, Telefax (0 30) 28 49 39-11, E-Mail: [email protected], Internet: http://www.brak.de.REDAKTION Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ. (Schriftleitung), Rechts-anwalt Christian Dahns, Frauke Karlstedt (sachbearbeitend).VERLAG Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln(Bayenthal), Tel. (02 21) 9 37 38-997 (Vertrieb/Abonnementverwaltung), Telefax(02 21) 9 37 38-943 (Vertrieb/Abonnementverwaltung), E-Mail [email protected] Sparkasse KölnBonn (DE 87 3705 0198 0030 6021 55); Postgiroamt Köln (DE40 3701 0050 0053 9505 08).ERSCHEINUNGSWEISE Zweimonatlich: Februar, April, Juni, August, Oktober, Dezember.BEZUGSPREISE Den Mitgliedern der Rechtsanwaltskammern werden die BRAK-Mitteilungen im Rahmen des Mitgliedsbeitrages ohne Erhebung einer besonderenBezugsgebühr zugestellt. Jahresabonnement 109 € (zzgl. Zustellgebühr); Einzelheft21,80 € (zzgl. Versandkosten). In diesen Preisen ist die Mehrwertsteuer mit 6,54%(Steuersatz 7%) enthalten. Kündigungstermin für das Abonnement 6 Wochen vorJahresschluss.

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DRUCKAUFLAGE dieser Ausgabe: 167.850 Exemplare (Verlagsausgabe).

DRUCK Schaffrath, Geldern. Hergestellt auf chlorfrei gebleichtem Papier.

URHEBER- UND VERLAGSRECHTE Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sindurheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in frem-de Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Geneh-migung des Verlages in irgendeiner Form durch Fotokopie, Mikrofilm oder andereVerfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverar-beitungsanlagen verwendbare Sprache übertragen werden. Das gilt auch für dieveröffentlichten Entscheidungen und deren Leitsätze, wenn und soweit sie von derSchriftleitung bearbeitet sind. Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eige-nen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzel-kopien hergestellt werden.

IVW-Druckauflage 2. Quartal 2018: 167.460 Exemplare.

ISSN 0722-6934

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AKTUELLE HINWEISE

PERSONALIEN

DR. KLIMSCH NEUER PRÄSIDENT DER RAK FREIBURGDas Präsidium der RAK Freiburg setzt sich nach derWahl in der Mitgliederversammlung am 22.6.2018 so-wie der darauffolgenden Vorstandsitzung am 23.6.2018wie folgt zusammen:

RA Dr. Markus Klimsch, Präsident, FreiburgRA Dieter Gröning, Vizepräsident, Waldshut-TiengenRAin Beate Winkler, Schriftführerin, FreiburgRA Uwe Dinkat, Schatzmeister, Lörrach

IM BUNDESGESETZBLATT VERKÜNDET

6. Verordnung zur Änderung der EuropawahlordnungBGBl. I v. 23.5.2018, S. 570

3. Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien-GesetzesBGBl. I v. 28.6.2018, S. 862

Gesetz zur Änderung des Gesetzes, betreffend die Einfüh-rung der ZivilprozessordnungBGBl. I v. 28.6.2018, S. 863

Verordnung über die Ausgestaltung der Gesellschafterlis-te (Gesellschafterlistenverordnung GesLV)BGBl. I v. 28.6.2018, S. 870

IM EU-AMTSBLATT VERKÜNDET

Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates v. 25.5.2018 zur Än-derung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des ver-pflichtenden automatischen Informationsaustauschs imBereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüber-schreitende GestaltungenABl. L 139/1, 5.6.2018

Richtlinie (EU) 2018/843 des EP und des Rates v.30.5.2018 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/849 zurVerhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zweckeder Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zurÄnderung der Richtlinien 2009/138/EG und 2013/36/EUABl. L 156/43, 19.6.2018

Richtlinie (EU) 2018/912 des Rates v. 22.6.2018 zur Än-derung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsa-me Mehrwertsteuersystem in Bezug auf die Verpflich-tung, einen Mindestnormalsatz einzuhaltenABI. L 162/1, 27.6.2018

AUS DEN ZEITSCHRIFTEN

BRAK-Mitteilungen und Anwaltsblatt sind für jeden be-rufsrechtlich Interessierten Pflichtlektüre. Nachfolgend

AKTUELLE HINWEISE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

V

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dokumentiert das Institut für Anwaltsrecht an der Uni-versität zu Köln Aufsatzliteratur zum Berufsrecht derRechtsanwälte, Notare und Steuerberater, die in denzurückliegenden Wochen in anderen Periodika undSammelwerken veröffentlicht worden ist. Aus Platzgrün-den muss eine wertende Auswahl getroffen werden.

Zusammengestellt vom Institut für Anwaltsrecht durchJulia Schmid.

Kontakt zur Literaturschau: [email protected]

Anwalt und Kanzlei (AK) Nr. 5: Mareck, Datenschutz: Sofunktioniert die DS-GVO-konforme Aktenvernichtung inder Kanzlei (79); Noe, Büroorganisation: Läuft im Bü-ro... aber auch sparsam? (88); Nr. 6: Mareck/Mareck,Datenschutz: 11 Spezialfragen zum internen Kanzlei-Datenschutzbeauftragten (96); Klinkenberg, Finanzpla-nung: Finanzprobleme frühzeitig erkennen und späterschuldenfrei in den Ruhestand gehen (102).

Anwalts Gebühren Spezial (AGS) Nr. 4: Schneider, Erstat-tungsausschluss der Mehrkosten bei Anwaltswechsel(157).

Anwaltsrevue (Schweiz) Nr. 5: Steiger, Neues EU-Daten-schutzrecht: Was gilt für Anwaltskanzleien? (205);Nr. 6/7: Sutter, Die Erosion des Anwaltsgeheimnisses(293); Raedler/Chappuis, Les enquetes internes et lesecret professionnel de l’avocat: la fin d’une epoque?(297).

Berliner Anwaltsblatt (BerlAnwBl.) Nr. 5: Heussen, Feh-ler, die dem Anwalt schaden (153); Theurer, Die 5 größ-ten Fehler im anwaltlichen Zeitmanagement, und wieSie sie vermeiden (157); Kramer/Hoppe, Fehlervermei-dung beim Einsatz von BYOD (Bring Your Own Device)und Home-Office in der Anwaltskanzlei (182); Nitschke,Elektronisches Mahnverfahren mit und ohne beA (188);Nr. 6: Ruge, 7 Jahre Schlichtungsstelle der Rechtsan-waltschaft (210).

Betriebswirtschaft im Blickpunkt (BBP) Nr. 6: Mareck,Datenschutz. So funktioniert die DSGVO-konforme Ak-tenvernichtung in der Kanzlei (149).

Das Juristische Büro (JurBüro) Nr. 4: Klüsener, Verfah-rensgebühr bei Einziehung und verwandten Maßnah-men (RVG VV Nr. 4142) (169).

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AKTUELLE HINWEISE

VI

BRAKMITTEILUNGEN

AUGUST 2018 · AUSGABE 4/201849. JAHRGANG

AKZENTEGANZ AM ANFANG

Ekkehart Schäfer

Zum letzten Mal hören Sie an dieser Stelle von mir, liebeKolleginnen und Kollegen. Wie vielen bekannt sein wird,lege ich aus sehr persönlichen Gründen mein Amt als Prä-sident der BRAK vorzeitig nieder, und ich habe entschie-

den, dies mit Wirkungzur nächsten ordent-lichen Hauptversamm-lung am 14.9.2018zu tun. Das fiel nichtleicht. Denn in deranwaltlichen Selbst-verwaltung so langeJahre an verantwort-licher Stelle mitzuar-beiten, habe ich im-mer als großes Privi-leg empfunden.

Ganz am Anfang die-ses Weges, ich wardamals als junger an-gestellter Anwalt inmeiner heutigen Ra-vensburger Kanzlei

tätig, stand die ebenso knappe wie nachdrückliche An-sage meines damaligen Chefs, seines Zeichens Vor-stand des örtlichen Anwaltsvereins: Schäfer, Sie kandi-dieren für den Kammervorstand. Nun gut, wenn derChef das sagte, musste ja etwas dran sein... Und sowurde ich in den Vorstand der RechtsanwaltskammerTübingen gewählt. Das war 1986.

In den vielen Jahren seitdem – ich wurde zwischenzeit-lich Präsident der Tübinger Kammer, später Vizepräsi-dent der BRAK und schließlich ihr Präsident – habe ichvor allem eines gelernt: Uns Rechtsanwältinnen undRechtsanwälte ist eine ganz besondere gesellschaft-liche Aufgabe zugewiesen: den Zugang zum Recht fürjedermann zu gewährleisten. Und wir dürfen nicht mü-de werden, diese Rolle immer wieder zu betonen und,wenn nötig, auch vehement zu verteidigen.

Der Erfüllung dieser Aufgabe muss auch die Selbstver-waltung der Anwaltschaft dienen. Denn global gesehenist eine unabhängige Anwaltschaft mit einer unabhän-gigen Selbstverwaltung keineswegs so selbstverständ-lich, wie uns das in Deutschland erscheint. Das wurdemir immer wieder bewusst, wenn ich die BRAK bei Ver-anstaltungen internationaler Anwaltsorganisationenvertreten durfte. Hier kann die BRAK ihre Erfahrungen

mit anderen Anwaltschaften teilen, aber auch aus de-ren Erfahrungen lernen. Hervorzuheben sind in diesemZusammenhang die Austauschprogramme mit jungendeutschen und israelischen Kolleginnen und Kollegen,welche die BRAK initiiert hat. Miterleben zu dürfen, wiesie, über alle historisch bedingten Berührungsängstehinweg, Verständnis für ihre jeweilige berufliche Rolleund Situation entwickeln – das war wirklich etwas sehrbesonderes.

Auch national gesehen ist die Gewährleistung des Zu-gangs zum Recht für jedermann nicht immer das, wasden meisten beim Stichwort „Rechtsanwalt“ als ersteseinfällt. In der öffentlichen Wahrnehmung wird das Bildder Anwaltschaft oft überlagert, insbesondere von einervorrangig ökonomischen Betrachtung, etwa als vor al-lem auf Gewinnmaximierung bedachte Geschäfte-macher in Robe – man denke hier nur an die medialenVorwürfe, bei Inkrafttreten der Datenschutzgrundver-ordnung rieben sich die „Abmahnanwälte“ schon dieHände. Oder bei dem Bild des Anwalts als Notfall-Ret-ter vor Gericht, den man erst aufsucht, wenn das sprich-wörtliche Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Dasswir auch vorsorgliche Beratung leisten, Verträge gestal-ten, Konflikte vermeiden oder schlichten helfen, wird inder Öffentlichkeit häufig nicht gesehen. All das machtaber uns Anwältinnen und Anwälte aus. Das schiefeBild geradezurücken, auch das ist Aufgabe der anwalt-lichen Selbstverwaltung.

Und nicht zuletzt: Die Kernwerte der Anwaltschaft – Un-abhängigkeit, Verschwiegenheit, Freiheit von Interessen-konflikten – sind es, in denen unsere besondere Rolle imRechtsstaat zum Ausdruck kommt. In all den Jahren mei-ner ehrenamtlichen Tätigkeit musste ich lernen, dass wirdiese Werte immer wieder aufs Neue zu verteidigen ha-ben. Denn gesetzgeberische Begehrlichkeiten, insbeson-dere in Richtung Verschwiegenheitspflicht, gab es undgibt es immer wieder, hier seien aktuell nur die Stichwor-te Steuervermeidung oder Geheimnisschutzgesetz ge-nannt. Es wird also auch weiterhin viel zu tun geben.

Und dafür braucht es Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, und Ihre ganz persönlichen Situationen „ganz amAnfang“, die Sie in der anwaltlichen Selbstverwaltungmitwirken lassen. Ich verspreche Ihnen: Es ist ein großerGewinn!

IhrEkkehart Schäfer

AKZENTE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

161

ZUR DISKUSSIONCUI BONO?HANNOVERSCHE THESEN ZUR REFORM DES ANWALTLICHEN GESELLSCHAFTSRECHTS

PROF. DR. CHRISTIAN WOLF*

* Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäi-sches und Internationales Zivilprozessrecht und geschäftsführender Direktor desInstituts für Prozess- und Anwaltsrecht (IPA) an der Leibniz Universität Hannover.

Die Diskussion um die Reform des anwaltlichen Gesell-schaftsrechts nimmt Fahrt auf. Nachdem die BRAK imMai ihren Reformentwurf1

1 BRAK-Stn. Nr. 15/2018; zum Hintergrund Kury, BRAK-Mitt. 2018, 165 ff. (in diesemHeft).

vorgelegt hat, hat zwischen-zeitlich auch Martin Henssler für den DAV einen Diskus-sionsvorschlag erarbeitet.2

2 Henssler, AnwBl. Online 2018, 564.

Doch wem nutzen die vor-gestellten Reformkonzepte? Behalten sie die anwalt-lichen core values im Blick, nutzen sie den Rechtsanwäl-ten und verbessern sie den Zugang zum Recht für dasrechtsuchende Publikum? Der Autor formuliert – in elfThesen – Prüfsteine, an denen sich die Reformkonzeptemessen lassen müssen.

VORBEMERKUNG

Ausgehend von der so genannten Horn-Entscheidungdes BVerfG3

3 BVerfGE 141, 82 ff.

wird die Reform des anwaltlichen Gesell-schaftsrechts aktuell diskutiert. Die Entscheidung desBVerfG beansprucht als Datum nur beschränkte Bin-dung.4

4 BVerfGE 141, 82 Rn. 40.

Das BVerfG hat die von ihm bejahte Vorlagefra-ge darauf beschränkt, ob § 59a I BRAO, soweit er einenZusammenschluss von Rechtsanwälten mit Ärzten undApothekern in Form einer Partnerschaftsgesellschaftuntersagt, mit der Berufsfreiheit vereinbar ist. Wedergewinnt die Horn-Entscheidung Bindungswirkung in Be-zug auf andere Formen von Berufsausübungsgesell-schaften, wie Aktiengesellschaften, noch in Bezug aufden Zusammenschluss mit anderen Berufen.

Allerdings hat die Begründungsstruktur der Horn-Ent-scheidung die Phantasien zu einer sehr weitgehenden„Modernisierung“ des anwaltlichen Gesellschaftsrechtsselbst angeregt. Zwar setzt sich die Entscheidung desBVerfG ausführlich mit dem Schutz des Mandats-geheimnisses durch Verschwiegenheitsverpflichtung,Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmever-bot auseinander und vergleicht das Schutzniveau derÄrzte und Apotheker mit dem der Rechtsanwälte. We-sentlich knapper fällt der Vergleich der Unabhängig-keit aus. Bezüglich des Verbots der widerstreitendenInteressen, welches sich im Berufsrecht der Apothekerund Ärzte nicht widerspiegelt, verweist die Entschei-dung auf die Verpflichtung der Rechtsanwälte nach

§ 30 S. 1 und § 33 II BORA, sich mit anderen sozietäts-fähigen Berufen nur zusammenschließen zu dürfen,wenn diese sich verpflichten, das anwaltliche Berufs-recht zu beachten.

Völlig unerörtert bleibt in der Horn-Entscheidung dieVerpflichtung des Rechtsanwalts zur Prozesskostenhilfe(§ 48 BRAO), zur Pflichtverteidigung (§ 49 BRAO) undzur Beratungshilfe (§ 49a BRAO). Selbst wenn man dieMitwirkung an der in der RVO angelegten Quersubven-tionierung nicht zu den harten Berufspflichten zählenmag, Prozesskostenhilfe, Pflichtverteidigung und Bera-tungshilfe sind in jedem Fall Kernbestand der anwalt-lichen Grundpflichten. Spannend wäre zu sehen, wieder Rechtsanwalt, der sich mit Unternehmensberaternzu einer interprofessionellen Berufsausübungsgesell-schaft zusammengeschlossen hat, nach §§ 30 S. 1, 33II BORA die Durchführung von Beratungshilfemanda-ten durchsetzen will. Fürs Erste wäre eine empirischeUntersuchung, wie die Lasten aus Prozesskostenhilfe,Pflichtverteidigung und Beratungshilfe innerhalb derAnwaltschaft verteilt sind, schon sehr aufschlussreich.Die Steuerungsfunktion der Entlohnungsstruktur der an-waltlichen Tätigkeit gehört zu den in der Diskussion völ-lig vernachlässigten Themen.

Will man sich bei der Begründung des anwaltlichen Ge-sellschaftsrechts nicht mit dem Schlagwort der Moder-nisierung und den überfälligen Reformen abfinden,kommt man um eine Beantwortung der Frage cui bononicht umhin. Aus der Sicht des rechtsuchenden Bürgersist entscheidend, ob die Reformvorschläge den gleichenZugang zum Recht absichern, verbessern oder ver-schlechtern. Die nachfolgenden Thesen verstehen sichdaher nicht als Kritik an den bislang vorgestellten Re-formkonzepten oder gar als umfassender Gegenent-wurf. Es sind lediglich Prüfsteine, um die cui bono-Fragebesser eingrenzen und diskutieren zu können. Cui bonoalso? Jedenfalls nicht der ganz überwiegenden Anzahlder Rechtsanwälte, schenkt man einer von Matthias Ki-lian durchgeführten Studie des Soldan Instituts5

5 Kilian, AnwBl. 2018, 352.

Glau-ben. Lediglich 3 % (in Worten: drei!) würden sich zu in-terprofessionellen Berufsausübungsgemeinschaften zu-sammenschließen wollen.6

6 Die Statistik erschließt sich nicht auf den ersten Blick, weil sie mit zwei unterschied-lichen Grundwerten arbeitet. Bezogen auf alle Befragten (also das repräsentativeÄquivalent aller Anwälte) haben z.B. 0,5 % der Befragten Interesse an einer Zu-sammenarbeit mit Unternehmensberatern bekundet. Innerhalb der Gesamtsummeder Rechtsanwälte, welche sich insgesamt für interprofessionelle Berufsausübungs-

Wohl ein absolutes Minder-heitenprogramm!

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 ZUR DISKUSSION

162

z.B. 23 % Interesse an einer Zusammenarbeit mit Unternehmensberatern bekun-det, also 0,69 % aller Befragten (erster Grundwert). Unklar, aber für die Bewertungkaum mehr relevant, ist, ob nicht noch weniger Anwälte sich für die interprofessio-nelle Zusammenarbeit interessieren. Die drei Prozent ergeben sich aus der Addi-tion der unterschiedlichen Interessenbekundungen, wie 0,5 % Interessenbekun-dung für Unternehmensberater und 0,2 % für Architekten. Soweit es zu Mehrfach-nennungen gekommen ist, kann die Zahl auch deutlich unter den 3 % liegen.

THESEN

These 1: Die Rechtsanwälte sind mit einer Reihe vonPrivilegien/Verpflichtungen ausgestattet. Diese sicherndie anwaltliche Tätigkeit ab. Ohne diese Privilegien/Ver-pflichtungen wäre eine anwaltliche Rechtsdienstleis-tung nicht denkbar. Hierzu gehören vor allem die an-waltliche Verschwiegenheitspflicht, das Beschlagnah-meverbot und das Zeugnisverweigerungsrecht (§§ 53,97 StPO). Weiter sind hierzu das Verbot der Vertretungwiderstreitender Interessen und die Unabhängigkeit(§ 43a I und IV BRAO) zu zählen.

These 2: Die anwaltlichen Verpflichtungen (core values)lassen sich vertraglich nicht oder nicht hinreichend ab-sichern. Dies versteht sich für das Beschlagnahmever-bot und das Zeugnisverweigerungsrecht von selbst,aber auch die anderen core values, wie das Verbot derVertretung von widerstreitenden Interessen, sind jeden-falls nicht von jedem Mandanten gegenüber seinem An-walt vertraglich durchsetzbar. Nur dem ökonomischstarken Mandanten mit hohem Honoraraufkommensteht die Möglichkeit zur Seite, durch Konventional-strafen die Einhaltung z.B. der Verschwiegenheitspflichtabzusichern. Die Einhaltung der berufsrechtlichen Ver-pflichtungen (core values) wird derzeit insbesondereauch durch die Berufsaufsicht der Kammern für alleMandanten abgesichert.

These 3: Die Sicherung des gleichen Zugangs zumRecht zählt gleichfalls zu den core values des anwalt-lichen Berufsrechts. Ein demokratischer und sozialerRechtsstaat setzt zwingend gleichen Zugang zum Rechtund gleiche Chancen vor Gericht für alle voraus. Rechtwird käuflich, wenn Recht bekommen eine Frage desGeldes wird.

„Es ist ein zentraler Aspekt der Rechtsstaatlichkeit, dieeigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung von Rechtsan-sprüchen grundsätzlich zu verwehren. Die Parteien wer-den auf den Weg vor die Gerichte verwiesen. Dies be-dingt zugleich, daß der Staat Gerichte einrichtet undden Zugang zu ihnen jedermann in grundsätzlich glei-cher Weise eröffnet. Daher ist es geboten, Vorkehrun-gen zu treffen, die auch Unbemittelten einen weitge-hend gleichen Zugang zu Gericht ermöglichen.“7

7 BVerfGE 81, 347.

These 4: Die Qualität anwaltlicher Leistung ist nichtwirkungslos, sie beeinflusst die gerichtliche Entschei-dung. Deshalb hat jeder Anspruch auf eine entspre-chende Qualität der anwaltlichen Leistung. Systemischunterschiedliche anwaltliche Leistungsfähigkeit im Pro-zess verletzt das Prinzip der gleichen Chancen vor Ge-richt.

Dabei sind hohe anwaltliche Stundensätze Ausdruckhoher anwaltlicher Leistungsfähigkeit und Wirkungs-mächtigkeit: „Unser Rechtssystem wiederum fußt aufder Gleichheit aller vor dem Gesetz, doch können sichmanche Bürger und Unternehmen sehr, sehr teureRechtsanwälte leisten. Und wenn das bei Strafsachenund vor Zivilgerichten keine Folgen hätte, müßten dieseteuren Anwälte ja schon längst vom Markt verdrängtworden sein.“8

8 Colin Crouch, Die bezifferte Welt, 2017,186.

These 5: Unter den Bedingungen eines demokratischenund sozialen Rechtsstaats muss der Anwaltsmarkt soorganisiert werden, dass die Qualität der anwaltlichenDienstleistung nicht von der finanziellen Leistungsfähig-keit des Mandanten abhängig ist. Es ist die Paradoxieder anwaltlichen Tätigkeit, dass diese zwar staatsfernausgeübt werden muss, gleichzeitig aber teilnimmt ander Staatsaufgabe der Rechtsgewähr. StaatlicheRechtsgewähr wird nach dem Prinzip von Geeignetheit,Erforderlichkeit und Angemessenheit erbracht, privat-rechtlicher Wettbewerb nach dem Prinzip des Gewinn-strebens und des Preisangebots.9

9 S. Paul Kirchhof, Gemeinwohl und Wettbewerb, 2005, 8.

These 6: Der gleiche Zugang zum Recht wurde bislangdurch das RVG, die Quersubventionierung und die§§ 48 ff. BRAO sichergestellt. Die Quersubventionie-rung beruht auf einem ethisch fundierten Selbstver-ständnis der Rechtsanwaltschaft, sich als freier Berufnicht vom reinen Gewinnstreben leiten zu lassen. Durchdas System der Pauschalierung der Honorare wurdendie Art der Erledigung und das Gewinnstreben in gewis-ser Weise entkoppelt.10

10 Rolf Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, 2007, 23.

These 7: Investoren sind völlig zu Recht in erster undmeist ausschließlicher Linie der Kapitalrendite, demshare holder value verpflichtet. „Im Investor-Kapitalis-mus ist es weder nötig noch möglich, die sehr abstrakteTätigkeit dieser „Geldmacher“ [Investoren] im Hinblickauf weiterreichende, etwa nicht-ökonomische Zweckezu begründen.“11

11 Jürgen Kocka, Geschichte des Kapitalismus, 2017, 97 f.

Fremdkapital verhält sich daher kon-tradiktorisch zu § 2 BRAO. Die Logik des Investors istmit der Logik des freien Berufs nicht kompatibel. Freibe-rufliche Tätigkeit setzt auf intrinsische Motivation.

These 8: Anwaltliche Ethik verwirklicht man nicht durchSonntagsreden und Ethikdebatten. Vielmehr bedarf eseines regulativen Rahmens, welcher ein ethisches Ver-halten ermöglicht und dem einzelnen Rechtsanwaltnicht lediglich die Wahl zwischen heroischer Selbstauf-opferung und rücksichtsloser Selbstsucht lässt.12

12 Peter Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, 1998, 86.

Wedermit einer Ethikdebatte noch mit einem Compliance Offi-cer lässt sich daher die Selbstzumutung eines fehlerhaf-ten ökonomischen Handlungsrahmens korrigieren.

These 9: Für die Aufkündigung der Verpflichtung zurQuersubventionierung durch die Anwaltschaft müssteman einen Preis zahlen: Entweder man gäbe den An-

WOLF, CUI BONO?

ZUR DISKUSSION BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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spruch des gleichen Zugangs zum Recht und der Chan-cengleichheit vor Gericht auf und unterwürfe auch dasRecht dem marktwirtschaftlichen Prinzip, oder man or-ganisierte die Quersubventionierung um die Anwalt-schaft herum, z.B. durch Rechtsschutzversicherungen.Hierzu könnte es auch notwendig werden, eine Fremd-kapitalbeteiligung für Rechtsschutzversicherungen anAnwaltskanzleien zu erlauben.

Für die Rechtsschutzversicherungen stellt dies das letz-te noch unerschlossene Potential im technischen Versi-cherungsgeschäft dar. Als Teilhaber der Anwaltsgesell-schaft würden sie am Gewinn, welchen die Anwaltsge-sellschaft mit der Deckungssumme der Rechtsschutz-versicherung erwirtschaftet, selbst partizipieren. Im Ge-genzug könnte man die Rechtsschutzversicherung inRichtung Pflichtversicherung und Kontrahierungszwangneu regulieren.

These 10: Hingegen dürfte Legal Tech grundsätzlichnicht die Notwendigkeit von Fremdkapital begründen.In der Old Economy sind Anwälte zwar Autoren vonFachliteratur, verlegen die Werke aber nicht selbst, son-dern kaufen diese von Verlagen. Dies wird künftig füranwendungsbezogene Software auch der Fall sein. An-wälte arbeiten mit Word oder mit der einschlägigenKanzleisoftware, ohne diese selbst entwickelt zu haben.Hierunter wird künftig auch Software, wie z.B. zur e-dis-covery von CloudNine, fallen.

Im Gegensatz hierzu werden Rechtsdienstleistungen inMasseverfahren, wie bei flightright.de, künftig wie In-kassounternehmen zu betreiben und zu behandeln sein.Hierzu wird es einer eigenen Regelung im RDG bedür-fen. Die Aufsicht über die Legal Tech-Unternehmen wirdschon aufgrund von deren Leistungsfähigkeit und deserforderlichen technischen Verständnisses zentralisiertwerden müssen. Hierfür bietet sich das Bundesamt derJustiz an. Eine Änderung des anwaltlichen Gesell-schaftsrechts und Fremdkapital sind hierzu nicht erfor-derlich. Auch für den Inkassobereich wurde bislang die-se Forderung nicht erhoben.

These 11: Jede Reform des anwaltlichen Gesellschafts-rechts muss fünf Fragen beantworten:

(1) Lässt sich die neu zu schaffende Unternehmens-struktur in Form von Berufsausübungsgesellschaftenmit den anwaltlichen core values vereinbaren, oderwird nicht insbesondere das Beschlagnahmeverbothierdurch gefährdet? Schon heute ist das Beschlagnah-meverbot nicht auf Syndikusrechtsanwälte erstreckt.Führen derartige Berufsausübungsgesellschaften mitArchitekten und Ingenieuren, Unternehmensberatern

und vergleichbaren Berufen nicht zu weiteren Ein-schränkungen des Beschlagnahmeverbots?

(2) Sichern die Reformen einen gleichen Zugang zumRecht und die gleichen Chancen vor Gericht ab, oderführen diese zu mehr Ungleichheit? Sind die anwalt-lichen core values mit anwaltlicher Unabhängigkeit, derPflicht zur Verschwiegenheit und dem Verbot der Vertre-tung widerstreitender Interessen hinreichend beschrie-ben, oder gehört hierzu nicht vor allem das Gebot derQuersubventionierung?

(3) Welche Auswirkungen haben die geplanten Berufs-ausübungsgesellschaften mit ihren neuen Möglichkei-ten der Zusammenarbeit auf die derzeit bereits beste-henden Formen der Berufsausübungsgemeinschaft mitSteuerberatern und Wirtschaftsprüfern? Gehen die Vor-schläge über die den Wirtschaftsprüfern und Steuerbe-ratern eröffneten Möglichkeiten der Zusammenarbeithinaus? Welche Rückwirkungen hat dies, insbesonderefür das Anwaltsnotariat?

(4) Wie wird die Einhaltung der core values durch dieAufsicht der Rechtsanwaltskammern in interprofessio-nellen Berufsausübungsgesellschaften garantiert, wennNicht-Kammermitglieder entscheidenden Einfluss aufdie Unternehmensführung haben? Wie stehen Kammer-aufsicht und Gewerbeaufsicht in einem solchen Fall zu-sammen? Höhlt nicht die Erstreckung der Kammerauf-sicht und der Kammermitgliedschaft auf Nicht-Anwältedie anwaltliche Selbstverwaltung aus? Wäre es mög-lich, dass ein beratender Betriebswirt (Unternehmens-berater) Präsident einer Rechtsanwaltskammer oderder Bundesrechtsanwaltskammer wird? Welche Rück-wirkungen hätte dies auf das berufliche Selbstverständ-nis und die core values der Anwaltschaft (Jones-Day-Entscheidungen des BVerfG!)?13

13 BVerfG, Beschl. v. 27.6.2018 – BRAK-Mitt. 2018, 195 ff. mit Anm. Dierlamm (in die-sem Heft).

Ist es nicht bereits einStrukturfehler, wenn es für die Einhaltung des Berufs-rechts eines Compliance Officer bedarf?

(5) Ist multi-disciplinary practice international die Regeloder die Ausnahme? Welche Zusammenschlüsse sindinternational möglich, welche nicht? Wie steht es mitder internationalen Anschlussfähigkeit von sehr breitaufgestellten (vom Steuerberater bis zum Unterneh-mensberater) interprofessionellen Berufsausübungsge-sellschaften? Welche Erfahrung wurde mit solchen in-terprofessionellen Berufsausübungsgemeinschaften imAusland – soweit vorhanden – im Hinblick auf den glei-chen Zugang zum Recht gemacht?

WOLF, CUI BONO?

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 ZUR DISKUSSION

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AUFSÄTZEFÜR EIN MODERNES ANWALTLICHES GESELLSCHAFTS-UND BERUFSRECHTDER RICHTUNGSWEISENDE REFORMVORSCHLAG DER BRAK

RECHTSANWALT OTMAR KURY*

* Der Autor ist Vorsitzender des BRAO-Ausschusses der BRAK und Mitglied der Sat-zungsversammlung; er war von November 2007 bis April 2018 Präsident der Han-seatischen Rechtsanwaltskammer.

Am 27.4.2018 verabschiedete die Hauptversammlungder Bundesrechtsanwaltskammer ihren Reform- undGesetzgebungsvorschlag für ein modernes anwalt-liches Gesellschaftsrecht. Der Beitrag soll der Anwalt-schaft die Erwägungen des BRAO-Ausschusses und derBRAK vorstellen und der Erläuterung der im Mai 2018publizierten Gesetzestext-Synopse1

1 Vgl. BRAK-Stn.-Nr. 15/2018 (Mai 2018), abrufbar unter www.brak.de.

der BRAK dienen.

I. VORBEMERKUNG

Niemand stellt in Frage, dass das anwaltliche Gesell-schaftsrecht der umfassenden Reform bedarf. Indessenfindet sich kaum ein anderes berufsrechtliches Themain einem von derart unüberbrückbar widersprüchlichenRechtsmeinungen und überraschenden Entscheidungenoberster Gerichte geprägten Umfeld wieder. Deshalbscheint es mir geboten, einen genaueren Blick auf jenespezifischen, berufsausübungs-gesellschaftsrechtlichenFragen zu werfen, die die derzeitige, sehr schnelllebigeberufsrechtliche Interessenlage kennzeichnen und diedie Reformdiskussion beherrschen.

So besehen gebührt nicht nur den mit der in der Europäi-schen Union vorangetriebenen Deregulierung erwachse-nen Sorgen der deutschen Anwaltschaft eine Anmerkung(1.), sondern auch jenen verfassungs- und europarechts-widrigen gesellschaftsrechtlichen Beschränkungen, dienoch immer Teil des geltenden Rechts nach § 59c ff.BRAO sind (2.). Besondere Beachtung verlangt im Übri-gen der rechtsmethodische Gedanke der Kohärenz, deraus der europäischen und deutschen Rechtsprechungnicht mehr hinweggedacht werden darf (3.).

1. DEREGULIERUNG UND SORGENDie über die Anwaltschaft mit Wucht hereingebrocheneDeregulierung spielt in der berufsrechtlichen Diskus-sion seit Jahren eine bedeutende Rolle. Sie wird durcheinen Teil der Anwaltschaft als so massiv und bedroh-lich empfunden, dass die Konzentration vieler auf jenescheinbar sicheren, noch existenten tradierten Berufs-rechtsregelungen verständlich erscheint.

Noch immer fremdelt ein großer Teil der Anwaltschaftmit dem schon im Jahr 2000 eingeführten Gesetz über

die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutsch-land, jenem EuRAG, in das die verbindlichen Dienstleis-tungs- und Niederlassungsrichtlinien aufgenommenwurden, und denen ein guter Teil der Anwaltschaft skep-tisch gegenübersteht.

Hinzu tritt eine gelegentlich durchaus überzogene,scharfe Kritik am Berufsrecht, die nicht förderlich seinkann. Von manchen als Flickenteppich geschimpft, wirdes von anderen als Bastion der Reglementierung gegei-ßelt. Wieder andere verweisen nüchtern auf die Recht-sprechung der Deutschen Obergerichte, die vieles, jaallzu vieles von jenen Rechtsburgen schleifte, in denensich die Anwaltschaft nicht unwohl gefühlt hatte.

Führte die Entscheidung des BSG zur Frage der Unab-hängigkeit der Rechtsanwälte in ständigen Dienstver-hältnissen2

2 Vgl. BSG, Urt. v. 3.4.2014 – B 5 RE 13/14 R, BRAK-Mitt. 2014, 265.

zunächst zu einem Schock und dann zu demdurch den Gesetzgeber geschaffenen Anwaltstypus desSyndikusrechtsanwalts, so brachen weitere Entschei-dungen über die Anwaltschaft herein, mit denen dasBVerfG die Regelungen zur Rechtsanwalts- und Patent-anwalts-GmbH3

3 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.1.2014 – 1 BvR 2998/11 u. 1 BvR 236/12, BRAK-Mitt.2014, 87.

oder zur Zulässigkeit von Partner-schaftsgesellschaften zwischen Rechtsanwälten, Ärztenund Apothekern4

4 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 –1 BvL 6/13, BRAK-Mitt. 2016, 78.

auf die Probe stellte, und der Anwalt-schaft ein weiteres Mal vorgab, wie das Gericht die Ver-fassung interpretiere.

Trotz aller sorgetragenden Bedenken bleibt die unum-stößliche Erkenntnis, dass alleine ein Hinweis auf Ge-meinwohlinteressen das derzeit geltende Berufsrechtnicht mehr absichern kann.

2. ZUR VERFASSUNGS- UND EUROPARECHTS-WIDRIGKEIT BERUFSGESELLSCHAFTSRECHTLICHERBESCHRÄNKUNGENNiemand darf annehmen, das gesamte berufsrecht-liche Gesellschaftsrecht müsse sich nicht zwingend amMaßstab des Europarechts, des Verfassungsrechts unddes sich daraus ergebenden Gebots der Verhältnismä-ßigkeit von Eingriffen in die Grundfreiheiten der Art. 49,56 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäi-schen Union (AEUV) und der Berufsfreiheit gem. Art. 12 IGG orientieren – und zwar ausnahmslos.

AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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a) EUROPARECHTLICHE REGELUNGEN

Auf der europarechtlichen Ebene zählen die Niederlas-sungs- und Dienstleistungsrichtlinien zum Primärrecht.Damit hat das deutsche Berufsrecht Art. 49, 56 AEUVzu verinnerlichen und zu beachten.

Art. 49 AEUV gebietet, dass die Beschränkung der frei-en Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mit-gliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitglied-staats nur nach den benannten einschränkenden Be-stimmungen möglich ist. Die Vielzahl der zu beachten-den Regeln beeindruckt. Dazu zählt, dass auch dieGründung von Tochtergesellschaften diesen strengen,die Niederlassungsfreiheit sichernden Anordnungen un-terworfen ist. Art. 56 AEUV lautet im Nucleus, dass dieBeschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs inner-halb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, diein einem anderen Mitgliedstaat als dem des Leistungs-empfängers ansässig sind, nach Maßgabe der dannaufgeführten, wiederum umfassenden Bestimmungenverboten ist.

Das aus diesen Regelungen abgeleitete sog. Schranken-quartett gebietet, dass deutschen Berufsrechtsregelun-gen nur dann die Vereinbarkeit mit dem Europarechtzuerkannt wird, wenn sie nicht diskriminierend, auszwingenden Gründen des allgemeinen Interesses ge-rechtfertigt und zur Zielverwirklichung geeignet undnicht überschießend sind.

b) DEUTSCHES VERFASSUNGSRECHT

Auch das Deutsche Verfassungsrecht gibt deutlicheGrenzen vor, die die Beschränkung der im Grundgesetzgarantierten Berufsfreiheit verbietet. Die Entscheidungdes BVerfG vom 14.1.20145

5 BRAK-Mitt. 2014, 87.

zu § 59e II 1 BRAO, wo-nach diese Bestimmung wegen der Verletzung desGrundrechts der Berufsfreiheit nichtig sei, soweit beieiner Rechtsanwalts- und Patentanwalts-GmbH zuguns-ten einer der beteiligten Berufsgruppen deren Anteils-und Stimmrechtsmehrheit, sowie deren Leitungsmachtund Geschäftsführermehrheit vorgeschrieben werde,zeigt uns auf, worauf wir zu achten haben.

Auch die Entscheidung des BVerfG vom 12.1.2016,6

6 BRAK-Mitt. 2016, 78.

mitder das Sozietätsverbot aus § 59a I 1 BRAO das Grund-recht der Berufsfreiheit verletze, soweit es Rechtsanwäl-ten eine gemeinschaftliche Berufsausübung mit Ärztenoder Apothekern im Rahmen einer Partnerschaftsgesell-schaft untersage, beschreibt die Rechtslage verpflich-tend klar. Auch das BVerfG operiert mit der europa-rechtlichen Schrankenkontrolle – die, wenn man so will,den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz spiegelt: Ein grund-rechtseinschränkendes Gesetz muss geeignet, erforder-lich und angemessen sein, um den vom Gesetzgeber er-strebten Zweck zu erreichen.

c) MASSSTAB FÜR EINSCHRÄNKUNGEN DERANWALTLICHEN BERUFSFREIHEIT

Einschränkungen der Freiheit des freiberuflich tätigenRechtsanwalts sind an diesen europa- und verfassungs-rechtlichen Grundsätzen zu messen. Sie sind nur in kon-kreten, einzelnen Fällen beschränkbar, wobei zur Be-schränkung ausschließlich besondere Gemeinwohlgrün-de anerkannt werden. Zu diesen können die Belangeder Rechtspflege, die Sicherung der Qualität von an-waltlichen Dienstleistungen aus zwingenden Gründendes Gemeinwohles und das Interesse am Verbraucher-schutz zählen.

3. ZU EINEM MÄCHTIGEN RECHTSGEDANKEN: DERSTETS ZU BEDENKENDE GRUNDSATZ DER KOHÄRENZDer Begriff der Kohärenz – eine Bestimmung des Pri-märrechts der EU – hat sich auch in dogmatischer Hin-sicht in die Rechtsprechung des BGH und des BVerfG soweit vorgearbeitet, dass er heute zu den wesentlichenGrundsätzen zählt, dem alle gesetzgeberischen Erwä-gungen und selbstverständlich auch das anwaltlicheBerufsrecht unterworfen sind. Entwickelt wurde der me-thodische Ansatz in der Rechtsprechung des EuGH. Po-litische Bedeutung erlangte er über die Verträge vonMaastricht, die Säulenstruktur der EU und den Vertragvon Lissabon. Danach kann eine nationale Regelungnur dann im Sinne der sogenannten Schrankenpolitikder Grundfreiheiten zur Erlangung des erstrebten Zielsgeeignet, dadurch begründet, aber auch gerechtfertigtsein, wenn gerade dieses Ziel, was erstrebt werden soll,vom Mitgliedstaat in der entsprechenden, zugrundelie-genden Rechtsmaterie in widerspruchsfreier Art – unddamit kohärent – verfolgt werde.

Wer nun der Auffassung wäre, deutsche Gesetzgebungsei stets kohärent, irrte. Hellwig7

7 Vgl. Hellwig, AnwBl. 2016, 776 f.

hat davon gespro-chen, dass das Berufsgesellschaftsrecht in der BRAO inweiten Teilen vor dem Grundgesetz und den europäi-schen Grundfreiheiten keinen Bestand mehr habe, undsich auch auf die mangelnde Kohärenz bezogen. Mankann das anwaltliche Gesellschaftsrecht an Paradebei-spielen deutscher Kanzleien und Sozietäten unter Be-rücksichtigung dieser Kohärenz-Dogmatik recht hübschausleuchten, um festzustellen, wie inkohärent auch diedeutsche Gesetzgebung gewesen ist. Zwei Beispiele mö-gen das belegen:

a) War der Gesetzgeber konsequent und kohärent, alses um das Tätigkeitsgebot in § 59e I 2 BRAO ging, wo-nach Gesellschafter einer Rechtsanwalts-Gesellschaftdort beruflich tätig sein müssen?

Nein. Wir lassen auf Briefbögen und nach dem An-schein auch solche Berufsträger Sozietätsmitgliedersein, die ihr Büro überhaupt nicht betreten oder viel-leicht nur Nachschau halten, ob wirtschaftlich alles bes-tens steht. Wie viele Kanzleien existieren, in denen„Counsel“ auftreten, und wie viele Bundesminister a.D.,

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AUFSÄTZE

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sonstige Honoratioren und Altpartner finden sich aufBriefbögen, die sich in der Rechtsberatung in der Kanz-lei überhaupt nicht mehr betätigen? Das zeigt, dass derGesetzgeber das Erfordernis einer eigenen Mitarbeitnicht ernst nimmt. Dasselbe kann man im Übrigen imHinblick auf das von einigen angemahnte Fremdkapi-talbeteiligungsverbot ansprechen, das sich jedenfallsbei solchen Konstellationen nicht absichern lässt. Auchdas Beispiel der Sternsozietät illustriert, dass einRechtsanwalt in einer Vielzahl von Sozietäten Mitglied– oder besser: inaktiver Mitverdiener – sein kann.

b) Hat der Gesetzgeber das Verbot der Verbindung vonRechtsanwälten mit Nicht-Anwälten, mit Dritten, soausgestaltet, dass es durch nichts gefährdet wordenwäre? Nein. Er hat das Gegenteil veranlasst. Sein Sün-denfall war die Zulassung von Sozietäten mit Wirt-schaftsprüfern, Patentanwälten oder Steuerberaterni.S.d. §§ 59e I, 59a I 1 u. 2 BRAO. Ein Blick in das Aus-land zeigt, dass solchen Berufen häufig keine Anwalts-sozietätsfähigkeit zuerkannt wird.

Kohärenzkontrolle bedeutet mithin, dass sich berufs-rechtlich beschränkende Regelungen, die in Art. 12 GGeingreifen würden, durch den nationalen Gesetzgebernicht begründen oder halten lassen, wenn die Gesetzes-materie keine Kohärenz, d.h. keine einheitliche Ausrich-tung an dem gewollten Ziele erkennen lässt. Damit istdie Rechtsprechung des EuGH und des BVerfG zueinem Sturm geworden, dem die Deutsche Anwalt-schaft derzeit – pardon – mit ihren in der Rechtsmehr-heit vertretenden Auffassungen meist nur ein leichtesHütchen entgegenhalten kann.

Ein Letztes: In dem aktuellen, relevanten Mitteilungsbe-richt der Europäischen Kommission vom 10.1.2017, deran das Europäische Parlament, den Rat, den Europäi-schen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Aus-schuss der Regionen gerichtet war, heißt es über die Re-formempfehlungen für die Berufsreglementierung: „AlleMitgliedstaaten sollten die Anforderungen hinsichtlichder Rechtsform und Beteiligungen, Unvereinbarkeitsre-gelungen und multidisziplinäre Einschränkungen prü-fen“, wobei ausdrücklich an Deutschland der Hinweiserging, „für mehr Transparenz zu sorgen“.

So liegen die Fakten und Ausgangstatsachen, die fürden BRAO-Ausschuss die wesentlichen Gesichtspunktewaren, die die Arbeiten und Erörterungen des Gesetzge-bungsentwurfs der BRAK prägen.

II. ZU DEN KONKRETEN REFORMVORSCHLÄGENDER BRAK

Um es vorweg zu nehmen – eines konnte der BRAO-Ausschuss als immens große Schwierigkeit bei seinenErörterungen nicht aus dem Wege räumen:

Wer die Modernisierung des Rechts der anwaltlichenBerufsausübungsgesellschaften versucht, wird ständigmit dem hohen Reformbedarf im Recht der Personenge-

sellschaften im klassischen Gesellschaftsrecht konfron-tiert. Zu diesem System führte Hellwig8

8 Vgl. Hellwig, AnwBl. 2016, 776 f.

aus, dass es an-tiquiert, inkohärent und nicht mehr praxisgerecht sei,und er sieht Bedarf für eine grundlegende Neuordnung.Der Ausschuss und die BRAK gehen einen vermitteln-den, evolutionären Weg, erkennen aber im Hinblick aufdie Entscheidungen der Gerichte das europäische Rechtund die Regelungen in anderen EU-Mitgliedstaaten diezwingende Notwendigkeit der Vorlage eines richtung-weisenden Reformmodells des beruflichen Gesell-schaftsrechts.

Meine Darstellung des Reformvorschlags zum anwalt-lichen Gesellschaftsrecht, die im engen Zusammenhangmit der bereits publizierten Gesetzestext-Synopse steht,gliedert sich in neun kleine Kapitel:

1. Die Neufassung der Überschrift des 2. Abschnittsdes dritten Teils der BRAO, der die Rechte und Pflich-ten des Rechtsanwalts und die berufliche Zusam-menarbeit regelt,

2. die Beschreibung des Tatbestandsmerkmals Gesell-schafter,

3. die Zulassung neuer Gesellschaften; insbesonderedie KG,

4. die Zulassung von Tochtergesellschaften,

5. die Sicherung der Verschwiegenheitspflicht und desVerbots der Wahrnehmung widerstreitender Interes-sen bei Interessenkollisionen in anwaltskonzernähn-lichen Gebilden,

6. die Aufklärungspflicht hinsichtlich der Konzernstruk-turen,

7. Fragen zur Fremdkapitalbeteiligung,

8. Hinweise zu den übrigen Einzelregelungen und

9. die Geltung des EuRAG – zur Umsetzung der Richtli-nien.

KAPITEL 1Zur Benennung des 2. Abschnitts des dritten Teilsder BRAO, der bislang mit „Rechtsanwaltsgesell-schaften“ überschrieben ist:

Mit der neuen Überschreibung „Berufsausübungsgesell-schaften“ wird dem Umstand Rechnung getragen, dassneben den Rechtsanwaltsgesellschaften im 2. Abschnittnunmehr auch sonstige Berufsausübungsgesellschaftenin §§ 59n bis 59o des Entwurfs (nachfolgend nur noch E)geregelt werden. Zur Klarstellung geben u.a. die Überle-gungen zum Fremdkapitalbesitzverbot Anlass.

KAPITEL 2Zum Tatbestandsmerkmal und zum Begriff des Ge-sellschafters:

Da die Erörterung der Frage, wer in welcher Form Ge-sellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein kann,

KURY, FÜR EIN MODERNES ANWALTLICHES GESELLSCHAFTS- UND BERUFSRECHT

AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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keine unlösbaren Probleme aufwirft, betrachte ich denGesellschafter vor den neuen Gesellschaftsformen – umdie Darstellung zu vereinfachen. Nach § 59e E tritt an-stelle der verfassungswidrigen Regelungen des § 59a I 1BRAO die Formulierung „Angehörige sozietätsfähigerBerufe“.

a) Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft sol-len Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsgesellschaften undAngehörige sozietätsfähiger Berufe sein, die sich – unddiese Konkretisierung ist notwendig – in der Gesell-schaft zur gemeinschaftlichen Berufsausübung im Rah-men der beruflichen Befugnisse verbunden haben. DieBeschränkung auf Steuerberater, Wirtschaftsprüfer,u.Ä. wäre mit der Rechtsprechung nicht mehr zu verein-baren.

b) Entgegen anderen Auffassungen sind der BRAO-Aus-schuss und die BRAK der Meinung, dass das Merkmalder Verbindung zur gemeinschaftlichen Berufsaus-übung im Sinne des § 59a BRAO die wesentliche Zuläs-sigkeitsvoraussetzung zur Anerkennung der Gesell-schaftereigenschaft sein muss. Was es im Übrigen zumTätigkeitsgebot zu sagen gibt, ist bereits zuvor im Zu-sammenhang mit den überflüssigen gesetzgeberischenSchreibleistungen in § 59e I 2 BRAO erörtert worden.

c) Zur notwendigen Sperrminorität der Gesellschafter,zur Übertragung von Kapitalanteilen und zur Ge-schäftsführung und Vertretung komme ich im Kapitelzum Thema Fremdkapital zurück, um die wichtigen Zu-sammenhänge dort hervorzuheben.

KAPITEL 3Zur Zulassung der RA-G und zur Beteiligung an be-ruflichen Zusammenschlüssen nach § 59c E; zu denneuen Rechtsformen der Rechtsanwaltsgesellschaf-ten:

a) Zu den ganz wesentlichen Änderungsvorschlägenzählt, dass neben den Kapitalgesellschaften – RA-GmbH und RA-Aktiengesellschaft –, deren Unterneh-mensgegenstand die unabhängige Beratung und Ver-tretung in Rechtsangelegenheiten ist und die alsRechtsanwaltsgesellschaft zugelassen werden können,nunmehr nach § 59c II E auch die Kommanditgesell-schaft (KG) zugelassen werden soll, und zwar auch sol-che KGs, deren Komplementär eine Rechtsanwaltsge-sellschaft ist (beispielsweise eine Rechtsanwalts-GmbH).

b) Die Diskussion über die Erweiterung der in § 59c Ebenannten Gesellschaften nahm im Ausschuss vielRaum ein. Das hängt mit der Entscheidung zusammen,in § 59c II E auch die KG zuzulassen. Mehrere Gründebedingen diesen Reformvorschlagsteil:

Zum einen beobachten wir eine schwindende Bedeu-tung der Unterscheidung zwischen Personen- und Kapi-talgesellschaften, nachdem die Außen-GbR Rechtsfä-higkeit erlangt hat. Die Entscheidung des Bundesge-richtshofes9

9 Vgl. BGHZ 146, 341.

zeigt, dass beim zentralen Strukturmerk-

mal der Vermögenszuordnung kaum noch inhaltlicheUnterschiede zwischen einer gesellschaftsrechtlichenGesamthand und einer juristischen Person zu erkennensind. Zum anderen lassen sich die Gesellschaften zwartypisieren, aber die wesentlichen praktischen Bedeutun-gen zeigen sich letztlich nur noch im Insolvenzrecht undvor allem im Ertragssteuerrecht. Während juristischePersonen selbst Steuersubjekte sind, findet bei Perso-nengesellschaften eine transparente Besteuerung aufder Ebene der mitunternehmerisch tätigen Gesellschaf-ter statt. Das zeigen § 1 I KStG versus § 15 I 1 Nr. 2,§ 18 I Nr. 1 EStG auf.

Unterschiedliche Argumente waren zu gewichten:

aa) De lege lata kann eine Rechtsanwaltsgesellschaftnicht in der Rechtsform der KG zugelassen werden. Dasverbietet § 161 I HGB, da der Gesellschaftszweck einerKG auf den Betrieb eines Handelsgewerbes ausgerich-tet sein muss. § 2 II BRAO schreibt indessen fest, dassdie Tätigkeit des Rechtsanwalts kein Gewerbe ist.

Aus diesem Grunde ist in § 59c II 2 E konstituierend ein-gefügt, dass die dort genannte Gesellschaft abwei-chend von § 161 I HGB kein Handelsgewerbe ausübt.Die nach geltendem Recht fehlschlagende Gesell-schaftsform würde unter Berücksichtigung der neuenAbweichungsregelung des Reform-Entwurfes zugelas-sen werden können. Es bedarf dieses Kunstgriffes, derdie handelsrechtliche und die berufsrechtliche Zweckbe-stimmung unterschiedlich definiert.

bb) Für die Zulassung der KG sprechen vor allem zweiGesichtspunkte:

Zum einen ist die deutsche Gesetzeslage europarecht-lich insuffizient und behindert die Freizügigkeit derRechtsanwälte, die nach der Niederlassungs- undDienstleistungsrichtlinie geboten ist. So sind Zweigstel-len in Deutschland für polnische und niederländischeGesellschaften derzeit – europarechtswidrig – nochnicht möglich. Mit der Zulassung wird zugleich diedurch die Kammern gewünschte, begrenzte Sozietätsfä-higkeit mit anderen Berufen und damit die einge-schränkte Bedingung, Anteile halten zu können, durchdiese Gesellschaftsform unterstützt. Zugleich kannauch der von der Europäischen Kommission geübtenGleichsetzung von Rechtsform und Beteiligungsverhält-nissen entgegengewirkt werden. Was Ausländer im In-land dürfen, darf Inländern im Inland im Übrigen nichtverboten werden. Die Anti-Diskriminierungs-Richtliniemacht es daher (zwingend) erforderlich, die KG auchfür die deutsche Anwaltschaft zu öffnen.

Zum anderen überzeugt bei der KG die wirksame Be-schränkung der Haftung – beispielsweise über eine An-walts-GmbH als Komplementärin. Die Beschränkunggilt dabei nicht nur für die berufliche, sondern für diegesamte Haftung des Berufsträgers. Damit wird erst-mals eine effektive Vermeidung der persönlichen Haf-tung der Kommanditisten für alle Verbindlichkeiten er-möglicht, wenn als Komplementär beispielsweise eineAnwalts-GmbH gewählt werden würde.

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BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AUFSÄTZE

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c) Gegen die Einführung der KG, die für Rechtsanwältewohl nur mit einer GmbH-Komplementärin, nicht abermit einem persönlich haftenden Gesellschafter attraktivsein dürfte, sprechen fünf Gesichtspunkte; ein gewichti-ger und vier eher durchschnittliche:

– Ob § 59c II 2 E die Fiskalgesetzgebung und Recht-sprechung beeindrucken würde, und solche Gesell-schaften nicht der Gewerbesteuerpflicht unterworfenwären, ist eine offene Frage und zugleich eine der of-fenen Flanken, die für das Einsickern einer gewerbe-steuerlichen Veranlagung der Anwaltschaft insge-samt verantwortlich werden könnte.

– Ein weiterer Nachteil, der aber durch die Gestaltunggebleicht werden kann, liegt in der Steuerbelastungbei der KG. Durch die doppelte Besteuerung – aufder Ebene der Gesellschaft, und im Ausschüttungs-fall auf der Ebene der Gesellschafter, ergibt sich einehöhere Steuerlast als bei der Kapitalgesellschaft.

– Ebenfalls nachteilig – aber beherrschbar – ist die Bi-lanzierungspflicht, die an die Stelle der vertrautenEinnahme-Überschussrechnung tritt. Ferner greift dieBesteuerung mit der Rechnungsstellung, und nichtnach dem Zuflussprinzip.

– Im Übrigen verlangt die Publizitätspflicht der KG,dass sich jeder Wettbewerber, Mandant und Ange-stellter eine Vorstellung von der wirtschaftlichen Leis-tungsfähigkeit und den Verhältnissen in der Kanzleibilden können muss.

– Schließlich ist insolvenzrechtlich zu beachten, dassbei Haftungsfällen eventuell Rücklagen zu bildensind, die wiederum zur bilanziellen Überschuldungund damit zur Insolvenzantragspflicht führen können.

KAPITEL 4Zur Tochtergesellschaft:

a) Der Ausschuss hat sich einstimmig dafür ausgespro-chen, die Beteiligung von Rechtanwalts- an Tochterge-sellschaften und Zusammenschlüssen zur gemein-schaftlichen Berufsausübung zuzulassen. Vorausset-zung ist, dass Tochtergesellschaft und Zusammen-schluss den Anforderungen der §§ 59c ff. E genügen.Anlass für die Einführung einer Tochtergesellschaft ist,dass § 49 I 2 i.V.m. § 54 AEUV – abweichend vonArt. 11 der Niederlassungsrichtlinie – auch Tochterge-sellschaften als Ausprägung der Niederlassungsfreiheitder nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaatesgegründeten Gesellschaft, die ihren Sitz, ihre Hauptver-waltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb derUnion unterhalten, vorsehen. Damit ist die Beschrän-kung der Gründung solcher Tochtergesellschaften ver-boten. Die Versagung einer Tochtergesellschaft wäre delege ferenda europarechtswidrig.

b) Diese Feststellung ist beseelt von dem Gedanken, wiees im Hinblick auf die Auskunftspflichten in einem kon-zernähnlichen Gebilde (Mutter – Tochter/Mutter – En-kel) um die Verschwiegenheitspflicht gem. § 203 StGB

und die Interessenkollisionen bestellt ist. Das führt inden Kern des folgenden Kapitels.

KAPITEL 5Die Sicherung der Verschwiegenheitspflicht und desVerbots der Wahrnehmung widerstreitender Inte-ressen:

Der Ausschuss hat sich im Hinblick auf europarecht-liche Vorgaben, so die Entscheidung des EuGH vom17.12.2015 zum Thema „Steuerberatung über dieGrenze“10

10 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.12.2015 – C-342/14, NJW 2016, 857.

und den von Henssler zum Thema europäi-sche Anwaltsgesellschaften11

11 Vgl. Henssler, AnwBl. 2016, 201-207.

publizierten Vorstellun-gen für die Zulässigkeit von Tochtergesellschaften undkonzernähnlichen Strukturen ausgesprochen.

a) Um das im Interesse der Auftraggeber strafrechtlichgeschützte, besonders hohe Gut der Vertraulichkeit desGeheimnisses im Sinne der allgegenwärtigen, wertvol-len Berufsbildkennzeichnung zu pflegen, hielt der Aus-schuss zwingend die Schaffung des § 59m III E für ge-boten, wonach die Mitglieder der geschäftsführendenOrgane, sonstige Vertreter der Gesellschaft sowie dieMitglieder der durch Gesetz oder Gesellschaftsvertragvorgesehenen Aufsichtsorgane und anderer Gremiender Rechtsanwaltsgesellschaft zur Verschwiegenheitverpflichtet werden.

Die Bestimmung ist notwendig, weil beispielsweise dieErteilung eines Auftrags an eine Tochtergesellschaft we-gen der Auskunftsrechte der Gesellschafter nach § 51aGmbHG es mit sich brächte, dass entsprechende Ge-heimnisse auch der Muttergesellschaft offenbart wer-den müssten. Ein Geheimnis wäre schon der Umstand,dass ein Mandatsverhältnis zwischen Tochter und Auf-traggeber bestünde. Ein Geheimnis darf aber durchden, dem es zur Verschwiegenheit anvertraut wurde,nicht ohne Ermächtigung des Auftraggebers an einenDritten – gleichviel ob er selbst als Berufsträger der Ver-schwiegenheitspflicht unterfiele, oder ob das nicht derFall wäre – weitervermittelt werden.

Zwar kann § 59m E den Anwendungsbereich des § 203StGB insoweit nicht ändern, die Bestimmung erzieltaber nach außen mit Wirkung an den Konzerngrenzendie Geheimhaltung innerhalb des Anwaltsunterneh-mensgebildes. Allerdings ist mehr erforderlich: Hinsicht-lich § 59m III E wird in § 203 StGB eine weitere, korres-pondierende Harmonisierungsregelung eingeführt wer-den müssen, um die jetzt gegebene Strafbarkeit – Über-tragung von Informationen ohne Zustimmung des Auf-traggebers im Konzern – abzuwenden.

Bedacht wurde, dass in § 203 I Nr. 3 StGB die dort auf-geführten Normadressaten um den Gesellschafter er-gänzt werden müssen, der damit auch unter die straf-bewehrte Verschwiegenheitspflicht fiele.

b) Was das Thema der Interessenkollision anbelangt,verweist § 59m E für Rechtsanwaltsgesellschaften auf

AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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die Vorschriften des 3. Abschnitts des 2. Teils undnimmt u.a. § 45 III BRAO in den Kanon der genanntenBestimmungen auf. Damit wird schon das Vorbefas-sungsverbot – wie bei Sozietäten oder anderen zur ge-meinschaftlichen Berufsausübung Verbundenen – aufdie Rechtsanwaltsgesellschaft erstreckt. Diese Erstre-ckung hält der Ausschuss für genügend, um dem Ver-bot der Wahrnehmung widerstreitender Interessenbei auftretenden Kollisionen wirksam entgegenzusteu-ern.

KAPITEL 6Zur Aufklärungspflicht bei Konzernstrukturen:

Aufklärungspflichten über Konzernstrukturen, wie sie in§ 59c III 2 E aufgenommen wurden, sind ebenso uner-lässlich. Zwar wurde zunächst die Auffassung vertreten,eine Aufklärungspflicht über Konzernstrukturen solleman nicht befürworten. Denn sie sei auch in anderenBereichen des Geschäftslebens oder der freien Berufenicht anzutreffen. Indessen hat die Entscheidung desBVerG vom 12.1.2016 zur Rechtsanwalt-Arzt-Apothe-ker-„Wohngemeinschaft“12

12 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 –1 BvL 6/13, BRAK-Mitt. 2016, 78.

verdeutlicht, dass man stetsfragen müsse, wem der Auftraggeber sein Geheimnisanvertraue. Zugleich muss der Rechtsanwalt schon beider Mandatsanbahnung verdeutlichen, dass das Ge-heimnis allen anvertraut werde. Die berufsrechtliche Er-streckung der Verschwiegenheitspflicht auf sozietätsfä-hige Berufe sei möglich, nicht aber auf nicht-sozietätsfä-hige Berufe.

Im Ergebnis haben wir entschieden, dass es der nun-mehr in § 59c III 2 E aufgenommenen Anordnung zwin-gend bedürfe. Bestehen Beteiligungen, sind alle Gesell-schaften und Zusammenschlüsse verpflichtet, auf allenGeschäftsbriefen i.S.v. § 80 AktG, § 35 GmbHG auf diebestehende Beteiligungsstruktur in geeigneter Weisehinzuweisen. Wer sich an die Mahnung des Rates derEU erinnert, die ich zuvor zitierte, wird an dieser – derTransparenz und Rechtsklarheit dienenden – Bestim-mung gewiss Gefallen finden.

KAPITEL 7Neuregelungen, die die sogenannte Fremdkapital-beteiligung berühren:

Lassen Sie mich jene Überlegungen vorstellen, die imZusammenhang mit einer Fremdkapitalbeteiligung ste-hen und die in unterschiedlichen Bestimmungen derEntwurfsfassung Raum erhielten und lebendig werden.

a) § 59c III E, der bereits erörtert wurde, beschränkt dieGesellschafter der Mutter- wie der Tochtergesellschaftauf sozietätsfähige Berufsträger. Wenn sich eineRechtsanwaltsgesellschaft an einer Tochtergesellschaftoder Zusammenschlüssen zur gemeinschaftlichen Be-rufsausübung i.S.v. § 59c III E in zulässiger Weise betei-ligt und den entwurfsgemäß geltenden §§ 59c ff. ge-nügt, besteht im Hinblick auf eine Fremdkapitalbeteili-

gung, die ungewollt und systemwidrig wäre, kein durch-greifendes Problem.

b) § 59e E regelt de lege lata, dass Gesellschafter einerRechtsanwaltsgesellschaft dort beruflich tätig sein müs-sen. Der Ausschuss hat in § 59e E anstelle des bisheri-gen Tätigkeitsgebots die Verbindung zur gemeinschaft-lichen Berufsausübung i.S.v. § 59a BRAO zur Zulässig-keitsvoraussetzung der Gesellschaftereigenschaft ge-macht. Das hatte ich bereits angesprochen. Damit kor-respondieren Beteiligungen mit der entsprechenden So-zietätsfähigkeit und dadurch ist nach der Auffassungdes Ausschusses das Problem gelöst.

c) Die in § 59e II E aufgenommene Anordnung, dassRechtsanwälten oder Rechtsanwaltsgesellschaftenmehr als ein Viertel der Kapitalanteile und der Stimm-rechte zustehen müssen, ist eine Absicherungsbestim-mung für das damit erstrebte Ziel, wonach Rechtsan-wälte den Charakter der Gesellschaft in nennenswerterWeise prägen sollen. Im Übrigen soll durch den Gesell-schaftsvertrag oder die Satzung geregelt werden, dassdie Bestimmungen des Berufsrechts durch alle nicht an-waltlichen Berufsträger anerkannt, respektiert und ge-achtet werden müssen, um Bestrebungen, den prägen-den Charakter der Rechtsanwaltsgesellschaft feindlichzu ändern, zu verhindern.

d) Auch die Bestimmung des § 59e V E sichert über dieAnordnung, bei der Übertragung von Kapitalanteilenmüsse die Zustimmung der Gesellschafterversammlungeingeholt werden, die Entscheidungsfreiheit der Berufs-träger, wer künftig in die Sozietät aufgenommen wer-den soll. Ich hebe ausdrücklich hervor: Erforderlich istdie Zustimmung der Gesellschafterversammlung undnicht etwa die Zustimmung der Gesellschaft. Dasmacht einen großen Unterschied, weil die Mehrheitsver-hältnisse in der Gesellschaft durchaus andere sein kön-nen, als die, die sich bei der Gesellschafterversamm-lung zeigen.

KAPITEL 8Knappe Hinweise zu den übrigen Entwurfsregelungen:

Eine gute Zahl der weiteren Entwurfsregelungen, diebisher nicht angesprochen wurden, erschließt sich beider Durchsicht der der Begründung beigefügten Synop-se bereits auch aus dem Vergleich der bestehenden mitder Entwurfsgesetzeslage. Ich lasse deshalb § 59f E– die Regelungen zur Geschäftsführung und Vertretung –unerörtert, weise aber ausdrücklich auf die zu Nr. 2. im2. Abschnitt der BRAO unter der neuen Überschrift „Be-rufsausübungsgesellschaften“ in §§ 59n, 59o E ange-sprochenen, sonstigen Berufsausübungsgesellschaftenhin. Solche Berufsausübungsgesellschaften können aufAntrag zugelassen werden, damit sie Postulationsfähig-keit und die Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskam-mer erlangen können.

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KAPITEL 9Zu den der Synopse vorangestellten grundsätzlichenAusführungen; hier zum Hinweis auf das EuRAG:

§ 8 IV des EuRAG-Änderungsentwurfs stellt für alle klar,wie im Mitgliedstaat – hier die Bundesrepublik Deutsch-land – die nach der Niederlassungsrichtlinie 98/5 EGeingeräumte Möglichkeit einer Beschränkung der ge-meinschaftlichen Berufsausübung in Deutschland um-gesetzt wird. Diese neu gefasste Bestimmung haltenwir aus den Gründen der Notwendigkeit einer Klarstel-lung für geboten.

III. CONCLUSIO

Mit dem ohne Gegenstimmen auf der BRAK-Hauptver-sammlung angenommen Entwurf des BRAO-Ausschus-

ses bekleidet die BRAK nunmehr eine Führungspositionin der Diskussion, um auch zu verdeutlichen, dass dasanwaltliche Berufsrecht, an den Vorstellungen undÜberzeugungen der deutschen Anwaltschaft orientiert,weiterentwickelt werden soll und nicht durch die Ent-scheidungen verschiedenster Gerichte. Da die Materiekompliziert ist, verdient sie die breite Aufmerksamkeitund intensivste Diskussion der Rechtsanwältinnen undRechtsanwälte in Deutschland.

Für die mehrjährige engagierte Arbeit des BRAO-Aus-schusses erlaube ich mir, seinen Mitgliedern, FrauSchulze-Althoff und den Herren Dr. Fischer-Zernin,Dr. Haselbach, Kramer, Dr. Mollnau, Pohl, Schaeffer,Dr. Siegmund, Dr. Zwade, Herrn GeschäftsführerDahns, Frau Geschäftsführerin Buchmann und HerrnVizepräsidenten der BRAK, Dr. Wessels, im Namen allermeinen vorzüglichen Dank auszusprechen.

ANWALTLICHE WERBEFREIHEIT IM GRENZENLOSEN EUROPA?RECHTSANWALT DR. MICHAEL STEINER*

* Der Autor ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Richter am Anwaltsgericht Berlin.

Wenn man die Rechtsprechung verfolgt, kann man fest-stellen, dass sich die Zulässigkeitsgrenzen anwaltlicherWerbetätigkeit ständig verschieben. Die genauere Aus-einandersetzung mit dem Thema führt aber zu demüberraschenden Ergebnis, dass der rechtliche Rahmender Anwaltswerbung durchaus noch Konturen aufweist,auch wenn, dies darf vorausgeschickt werden, der Blickins Gesetz die Rechtsfindung kaum noch erleichtert.Der Autor gibt eine Einordnung anhand der aktuellenRechtsprechung.

I. WAS BISHER GESCHAH ...

Bekanntermaßen hat sich die Rechtslage in Sachen An-waltswerbung in großen, aber gut nachvollziehbarenSchritten in den letzten 15 Jahren stark verändert.

1. RECHTSLAGE NACH EINFÜHRUNG DES § 43b BRAOVor der verfassungsgerichtlichen Verwerfung der Stan-desrichtlinien1

1 BVerfGE 76, 171.

war dem Rechtsanwalt das Betreibenvon Werbung grundsätzlich verboten, wenn sie nichtausnahmsweise erlaubt war. Mit Beschluss vom14.7.1987 hat das BVerfG bekanntermaßen die Stan-desrichtlinien mangels gesetzlicher Grundlage für ver-fassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber hatte das Be-rufsrecht der Rechtsanwälte daher neu zu regeln, waser durch das am 9.9.1994 in Kraft getretene Gesetz zurNeuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und

der Patentanwälte vom 2.9.19942

2 BGBl. 1994 I, 2278.

tat. Unter anderemformulierte er dort die Grenzen anwaltlicher Werbungdurch Einführung des § 43b BRAO neu.

Gemäß dem (bis heute unveränderten) Wortlaut des§ 43b BRAO ist Werbung einem Rechtsanwalt nur er-laubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Formund Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Ertei-lung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. Dass dieVorschrift zwei Verbotstatbestände enthält, ist für dasVerständnis der hier darzustellenden Rechtslage vonbesonderer Bedeutung.

2. GRUNDSATZ DER WERBEFREIHEIT MIT AUSNAHMENDer BGH hatte sich im Jahr 2001 in seinen Entschei-dungen Anwaltswerbung II3

3 BGHZ 147, 71 – Anwaltswerbung II.

und Anwaltsrundschrei-ben4

4 BGH, NJW 2001, 2886 – Anwaltsrundschreiben.

mit den neuen Grenzen bzw. neuen Möglichkeitenanwaltlicher Werbung auseinanderzusetzen.

Dabei hatte der BGH klargestellt, dass Rechtsanwältendie Werbung für ihre berufliche Tätigkeit im Grundsatznicht verboten, sondern erlaubt sei. Das Gesetz zurNeuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte undPatentanwälte vom 2.9.19945

5 BGBl. 1994 I, 2278.

habe die Rechtslage hin-sichtlich der Außenwerbung von Rechtsanwälten durchdie Einführung des § 43b BRAO verändert. Die Werbe-freiheit sei als Teil der Berufsausübungsfreiheit, so derBGH, unter Berufung auf die bis dahin ergangene

STEINER, ANWALTLICHE WERBEFREIHEIT IM GRENZENLOSEN EUROPA?

AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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Rechtsprechung des BVerfG6

6 Vgl. BVerfGE 85, 248 – Ärztliches Werbeverbot; BVerfGE 94, 372 – Apothekenwer-bung; BVerfG, BRAK-Mitt. 2000, 137.

durch Art. 12 I GG ge-währleistet.7

7 BGHZ 147, 71 – Anwaltswerbung II; BGH, NJW 2001, 2886 – Anwaltsrundschrei-ben.

§ 43b BRAO eröffne nicht etwa eine an-sonsten nicht bestehende Werbemöglichkeit, sondernkonkretisiere lediglich die verfassungsrechtlich garan-tierte Werbefreiheit.“8

8 BGHZ 147, 71 – Anwaltswerbung II.

Dabei hatte sich der BGH in denzitierten Entscheidungen sowohl mit dem Verbotstatbe-stand der in Form und Inhalt unsachlichen Werbung alsauch mit dem Verbotstatbestand der Bewerbung umein Einzelmandat zu befassen.

3. SACHLICHKEITSGEBOTEs gehe nicht mehr um das schlichte Verbot reklame-haften Anpreisens, sondern um das Gebot, dass dieWerbung über die berufliche Tätigkeit in Form und In-halt sachlich unterrichte. Soweit früher das unaufgefor-derte direkte Herantreten an potentielle Mandanten alsgrundsätzlich verboten angesehen wurde, dürfe nun-mehr nach § 43b BRAO Werbung nur nicht mehr aufdie Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet sein.9

9 BGHZ 147, 71 – Anwaltswerbung II.

Dem Sachlichkeitserfordernis der Werbung des Rechts-anwalts entspreche Werbung demnach, wenn sie überdie berufliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts informiertbzw. wenn sie die interessierte Öffentlichkeit darauf auf-merksam macht, dass der werbende oder beworbeneals Rechtsanwalt tätig ist.

Enthält die Werbung darüber hinaus weitere Informa-tionen, müssen diese mit der Berufstätigkeit in ausrei-chendem Zusammenhang stehen, was sie nur tun,„wenn sie für die Entscheidung der Rechtsuchenden, obdieser Rechtsanwalt gegebenenfalls beauftragt werdensoll, bei vernünftiger und sachbezogener Betrachtungvon Bedeutung sein können“.10

10 BGHZ 147, 71 – Anwaltswerbung II.

Gegen das Sachlich-keitsgebot kann Werbung für anwaltliche Tätigkeit ihrerForm nach dann verstoßen, wenn in ihrem Zusammen-hang weitere Leistungen angeboten werden (wie z.B.kostenloses Essen und Trinken bei einer Veranstaltung),die geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreisedazu zu bewegen, Kontakt mit dem Anwalt nicht wegenmöglicher Informationen zur reinen anwaltlichen Leis-tung, sondern vor allem wegen dieser weiteren angebo-tenen Leistungen aufzunehmen. Das kostenlose Ange-bot ansonsten entgeltlicher Leistungen kann eine sach-lichkeitsgebotswidrige Anlockwirkung entfalten und da-mit unzulässig sein.11

11 BGHZ 147, 71 – Anwaltswerbung II.; vgl. auch AGH Nordrhein-Westfalen, Beschl.v. 3.6.2016 – 2 AGH 1/16 Rn. 13.

Sachlichkeit erfordert berufsbezogene Tatsachenbe-hauptungen. Solche können auf deren Richtigkeit über-prüft werden und verstoßen daher grundsätzlich nichtgegen das auf den Inhalt bezogene Sachlichkeitsgebot.Dagegen könne bei Werturteilen über die eigeneDienstleistung, so der BGH, deren Berechtigung nicht

beurteilt werden, weil sie weitgehend von subjektivenEinschätzungen abhänge. Solche sind regelmäßig nichtmit dem Sachlichkeitsgebot vereinbar.“12

12 BGHZ 147, 71 – Anwaltswerbung II.

Bei seinenAusführungen nahm der BGH Bezug auf die bereits er-gangenen eigenen Entscheidungen und auf die desBVerfG: Letzteres hatte schon in seiner grundlegendenEntscheidung vom 14.7.198713

13 BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987 – 1 BvR 362/79 Rn. 34, NJW 1988, 194.

klargestellt, bei Wertur-teilen über anwaltliche Leistungen bestehe die Gefahr,dass durch nicht überprüfbare Werbeaussagen unrich-tige Erwartungen entstünden, weil Rechtsuchende dieLeistungen eines Rechtsanwalts in der Regel nur schwereinschätzen könnten.14

14 Ebenso BGHZ 115,105 – Anwaltswerbung.

Dieser Gesichtspunkt hat übri-gens auch „europarechtlichen“ Rang. Auch der EuGHhat die Beschränkung freiwettbewerblicher anwalt-licher Tätigkeit unter dem Gesichtspunkt für zulässig er-achtet, dass der Verbraucher vor der Asymmetrie derInformationstiefe zwischen ihm und dem Anwalt ge-schützt werden muss.15

15 EuGH, C-94/04 u. C-202/04, NJW 2007, 281.

4. VERBOT DER EINZELMANDATSBEWERBUNGZum zweiten Verbotstatbestand, nämlich der Bewer-bung um ein einzelnes Mandat, präzisierte der BGH da-mals den Rahmen dahingehend, dass es nicht mehr ge-gen die neue Rechtslage verstoße, wenn RechtsanwältePersonen, zu denen kein Mandantschaftsverhältnis be-stehe oder bestanden habe, gezielt ansprächen. Der§ 43b BRAO verbiete grundsätzlich nur noch die Wer-bung um einzelne Mandate. Diese Auffassung entspre-che dem gesetzgeberischen Willen.16

16 Vgl. Begr. zum RegE eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechts-anwälte und der Patentanwälte, BT-Drs. 12/4993, 28.

Zulässig sei Wer-bung, mit der sich der Rechtsanwalt an Personen wen-de, bei denen er keinen konkreten Handlungs- oder Be-ratungsbedarf, sondern – beispielsweise wegen einererfolgten Gesetzesänderung – ein bloß generelles Inter-esse an seiner Leistung erwarte. Der BGH hat es dabeials zulässig erachtet, einem Adressaten einen mög-lichen konkreten Handlungs- oder Beratungsbedarf erstmit den in der Anwaltswerbung enthaltenen Angabenseiner konkreten Fallgestaltung überhaupt bewusst zumachen. In einer solchen Situation fehle es an einer ge-zielten persönlichen und daher gegebenenfalls als auf-dringlich empfundenen Kontaktaufnahme.17

17 BGH, NJW 2001, 2886 – Anwaltsrundschreiben.

In seinen beiden Entscheidungen Anwaltswerbung IIund Anwaltsrundschreiben stellte der BGH aber nochklar, dass eine für sich genommen zulässige Werbungum mögliche Auftraggeber sich dann als unzulässigeWerbung um einzelne Aufträge darstellen kann, wennder Umworbene in einem konkreten Einzelfall der Bera-tung oder Vertretung bedarf und der Werbende dies inKenntnis der Umstände zum Anlass für seine Werbungnimmt.18

18 BGH, NJW 2001, 2886 – Anwaltsrundschreiben.

Eine solche Werbung, so der BGH, sei als un-zulässig anzusehen, weil sie in gleicher Weise wie die

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BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AUFSÄTZE

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offene Werbung um die Erteilung eines Auftrags im Ein-zelfall in einer oft als aufdringlich empfundenen Weiseauszunutzen versuche, dass sich der Umworbene ineiner Lage befinde, in der er auf Hilfe angewiesen seiund sich möglicherweise nicht frei für einen Anwalt ent-scheiden könne.

II. RECHTSLAGE NACH ABLAUF DER UMSET-ZUNGSFRIST DER RICHTLINIE 2006/123/EG

1. DAS KOMMANDITISTENBRIEF-URTEIL DES BGHIn seinem Urteil vom 13.11.2013 – Kommanditisten-brief19

19 BGH, BRAK-Mitt. 2014, 35 – Kommanditistenbrief.

hat sich der BGH für ein (Neu-)Verständnis des§ 43b BRAO entschieden. Ausschlaggebend hierfür warder Ablauf der Umsetzungsfrist für die Wettbewerbs-richtlinie 2006/123/EG vom 12.12.2006. Gegenstanddieser Entscheidung war ein Rundschreiben von Rechts-anwälten an potentielle Mandanten gerade in Kenntnisderen konkreten Beratungsbedarfs. In dieser Entschei-dung folgte der BGH denjenigen Stimmen in der Litera-tur und der Tendenz mancher Instanzgerichte,20

20 KG, BRAK-Mitt. 2010, 274; LG Bremen, Urt. v. 12.9.2013 – 9 O 868/13.

die dieWerbung gegenüber potentiellen Mandanten nichtschon dann als unzulässig angesehen hatten, wenn derRechtsanwalt in Kenntnis eines konkreten Beratungsbe-darfs des potentiellen Mandanten diesen persönlich an-spricht. In Abkehr von seiner bisherigen Rechtspre-chung entschied das Gericht, dass ein Verbot der Wer-bung (nunmehr) zusätzlich voraussetze, dass die Wer-bung in ihrer individuellen Ausgestaltung geeignet sei,ein Schutzgut des § 43b BRAO konkret zu gefährden.

Nach Auffassung des BGH soll es auch zulässig sein,auf den Verlust erheblicher Vermögenswerte hinzuwei-sen, und zwar dahingehend, dass dieser Verlust unmit-telbar drohe. Auch über die Tatsache, dass bereits an-dere Betroffene in gleicher oder ähnlicher Lage gericht-lich in Anspruch genommen worden seien, darf der wer-bende Anwalt informieren.21

21 BGH, BRAK-Mitt. 2014, 35 – Kommanditistenbrief; vgl. auch OLG Köln, Urt. v.17.1.2014 – I-6 U 167/13 Rn. 32.

Der BGH stellt dabei klar,dass gemäß Art. 24 I RL 2006/123/EG absolute Verbo-te der kommerziellen Kommunikation für reglementier-te Berufe unzulässig sind. Ein Verbotsgrund kann sichnur noch im Einzelfall aus der Form, aus dem Inhaltoder aus dem verwendeten Mittel der Werbung erge-ben. Allein der Umstand, dass ein potentieller Mandantin Kenntnis von dessen konkretem Beratungsbedarf an-gesprochen werde, genüge diesen Anforderungen derneuen Rechtslage in Europa eben nicht (mehr).22

22 BGH, BRAK-Mitt. 2014, 35 – Kommanditistenbrief

2. VERBLEIBENDE GRENZEN DER ANWALTSWERBUNGa) VERBLEIBENDE SCHUTZGÜTER

Grenzenlos bleibt die Werbefreiheit für die reglemen-tierten Berufe aber nicht. Nach Art. 24 II RL2006/193/EG, so der BGH, müssen die Mitgliedstaaten sicherstel-

len, dass die kommerzielle Kommunikation insbesonde-re weder die Unabhängigkeit und die Würde noch dieIntegrität des betroffenen Berufsstandes gefährdet unddas Berufsgeheimnis wahrt. Aus dem Wort „insbeson-dere“ folgt allerdings, dass weitere Schutzgüter nebenden in Art. 24 II 1 der Richtlinie genannten hinzutretenkönnen, die ein Verbot rechtfertigen können.

Daraus schließt der BGH weiter, dass ein Werbeverbotauch zum Schutz des potentiellen Mandanten vor einerBeeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit durchBelästigung, Nötigung und Überrumpelung gerechtfer-tigt sein kann.23

23 BGH, BRAK-Mitt. 2014, 35 – Kommanditistenbrief; so auch AGH Nordrhein-West-falen, Urt. v. 9.5.2014 – 1 AGH 3/14.

Aus der gesetzlichen Anordnung einerVerhältnismäßigkeitsprüfung ergibt sich ferner, dasseine Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmenist. Dabei sind neben der Beeinträchtigung der Unab-hängigkeit der Würde oder der Integrität der Rechtsan-waltschaft auch Art und Grad der Beeinträchtigung derEntscheidungsfreiheit des Verbrauchers durch Form, In-halt oder das verwendete Mittel der Werbung zu be-rücksichtigen.24

24 BGH, BRAK-Mitt. 2014, 35 – Kommanditistenbrief; so auch BGH, BRAK-Mitt. 2015,99 – Spezialist für Familienrecht.

b) ABWÄGUNG BEI GEZIELTER ANSPRACHE DESVERBRAUCHERS

Es kommt bei der vorzunehmenden Abwägung geradedarauf an, ob und wieweit die Interessen des Verbrau-chers deshalb nicht beeinträchtigt sind, weil er sich ineiner Situation befindet, in der auf Rechtsrat angewie-sen ist und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtetesachliche Werbung Nutzen bringen kann. Werbungdurch einen Rechtsanwalt wird nicht (mehr) dadurchunzulässig, dass der Anwalt die Werbung gerade dorteinsetzt, wo ihm bekannt ist, dass aktueller Bedarf ananwaltlicher Beratung besteht. Nach (neuer) Auffas-sung des BGH kann gerade in einer solchen Situationanwaltliche Kontaktaufnahme dem Interesse des Ver-brauchers an einer bedarfsgerechten sachlichen Wer-bung entsprechen.25

25 BGH, BRAK-Mitt. 2014, 35 – Kommanditistenbrief.

Insbesondere also das gezielte An-sprechen bei konkretem Beratungsbedarf, das nach bis-heriger Rechtsprechung für eine Unzulässigkeit derWerbung sprach, wird nach Auffassung des BGH unterder Geltung der europäischen Regelungen für die Wer-bung der Angehörigen der reglementierte Berufe ein fürdie Zulässigkeit der Werbung sprechendes Kriterium.

Die Grenze ist aber wiederum dort erreicht, wo die Wer-bung den Verbraucher in einer Situation trifft, in derihm eine überlegte und informationsgeleitete Entschei-dung nicht mehr möglich ist. Art und Grad der Beein-trächtigung des potentiellen Mandanten bleiben daherPrüfkriterien, die die Werbung dennoch unzulässig ma-chen können.26

26 BGH, BRAK-Mitt. 2014, 35 – Kommanditistenbrief.

Der Wortlaut des § 43b BRAO, der dieWerbung um ein Einzelmandat verbietet, muss dahin-gehend europarechtskonform ausgelegt werden, dass

AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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die Werbung um das einzelne Mandat nur noch dannverboten ist, wenn der potentielle Mandant nicht mehrfrei und auf vernünftigen Erwägungen beruhend ent-scheiden kann, ob und an welchen Anwalt er das Man-dat vergibt.

c) „ÜBERLEBEN“ DES SACHLICHKEITSERFORDERNISSES

Die zitierte Entscheidung des BGH muss daher in derkonkreten Rechtsanwendung das Verständnis und dieHandhabung des Tatbestandsmerkmals des Verbotsder auf die Erteilung eines konkreten Auftrags im Einzel-fall gerichteten Werbung verändern,27

27 Vgl. auch Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl. 2018, § 3a UWGRn. 1.153.

bedeutet abernicht per se eine Verringerung der Anforderungen ansachliche Inhalte und Form. Form und Inhalt der Wer-bung müssen weiterhin dahingehend sachlich abge-fasst und dürfen nicht irreführend sein, dass die Ent-scheidungsfreiheit des potentiellen Mandanten nichtunzulässig beeinträchtigt wird. Am Sachlichkeitsgebothält der BGH also ausdrücklich fest.28

28 BGH, BRAK-Mitt. 2014, 35 Rn. 24 – Kommanditistenbrief.

Insoweit ist ausdieser Entscheidung des BGH nicht abzuleiten, dass un-ter der Geltung der Richtlinie 2006/123/EG eine Auf-weichung der bisherigen Kriterien zur Sachlichkeit, alsozum ersten Tatbestandsmerkmal des § 43b BRAO,stattgefunden hätte.

III. INHALT DES SACHLICHKEITSGEBOTS

1. VERBOT DES BEDRÄNGENS DES VERBRAUCHERSDie „Nachricht“, dass sich an den allgemeinen Anforde-rungen des Sachlichkeitsgebots durch die Entscheidungdes BGH von 2013 nichts geändert hat, macht die Be-antwortung der Frage, was noch „sachliche“ Werbungist, nicht per se einfacher. Welche Formen der Werbungbereits so unsachlich sind, dass sie mangels direktemBezug zur anwaltlichen Tätigkeit geeignet sind, das Ver-trauen in das Ansehen, in die Zuverlässigkeit und in dieBereitschaft des Anwalts, nicht ausschließlich Gewinn-erzielungsabsichten zu verfolgen, zu erschüttern, mussfür jeden Einzelfall geprüft werden.

Aus der Entscheidung des BGH vom 10.7.201429

29 BGH, NJW-RR 2015, 492 – Werbeschreiben bei Kapitalanlagen.

kannman zunächst durchaus ein Bedrängungsverbot ablei-ten. Unsachlich und damit unzulässig ist die Werbung,wenn der Rechtsanwalt versucht, durch ein entspre-chendes Anschreiben Ängste zu wecken oder zu schü-ren, so dass der Adressat keine andere Alternativemehr sieht, als die vom Anwalt angebotene Lösungoder dessen Mandatierung zu wählen.30

30 BGH, NJW-RR 2015, 492 – Werbeschreiben bei Kapitalanlagen.

Dabei bestehtdas Bedrängungsverbot aus den Komponenten derGröße der Gefahr und der verbleibenden Zeit, auf Ge-fahren zu reagieren. Der Rechtsanwalt dürfe mit sei-nem Schreiben keine Situation schildern, in der die Ge-fahr des Verlustes erheblicher Vermögenswerte unmit-telbar drohe und eine überlegte und informationsgelei-

tete Entscheidung für oder gegen das Angebot desRechtsanwalts nicht mehr möglich sei oder nur unter er-heblich erschwerten Bedingungen getroffen werdenkönne.31

31 BGH, NJW-RR 2015, 492 – Werbeschreiben bei Kapitalanlagen.

Insoweit konsequent kommt z.B. der AGH Nordrhein-Westfalen in einem Urteil vom 20.1.2017 zu demSchluss, dass die Zulässigkeitsgrenzen nur durch eineVerhältnismäßigkeitsprüfung und eine umfassende Inte-ressenabwägung im Einzelfall ausgelotet werden kön-nen.32

32 AGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 20.1.2017 – 1 AGH 38/16.

Im konkreten Fall hat der AGH Nordrhein-West-falen ein Schreiben des Rechtsanwalts an einen potenti-ellen Mandanten deswegen für unzulässig gehalten,weil in dem Schreiben dem Adressaten gegenüber einSzenario aufgebaut worden ist, das aus erheblichenForderungen des Finanzamts und der Sozialversiche-rungsträger gegen die Gesellschaft bestand, an der derAdressat beteiligt war, ohne dass im Einzelfall über-haupt gesichert feststand, ob entsprechende Verbind-lichkeiten der Gesellschaft, an der der Adressat betei-ligt war, bestehen.33

33 AGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 20.1.2017 – 1 AGH 38/16.

2. KORREKTE INFORMATIONAllerdings geht die Abwägung nicht schon dann auto-matisch zu Lasten des werbenden Anwalts aus, wenndieser den Boden „harter Fakten“ verlässt.

Das Sachlichkeitsgebot gebietet nicht, so schon derBGH in seiner weiterhin hier maßgeblichen Entschei-dung vom 27.1.2005, dass sich der Rechtsanwalt aufdie Mitteilung nüchterner Fakten beschränken müsse.34

34 BVerfG, Beschl. v. 26.8.2003 – 1 BvR 1003/02, Beschl. v. 26.10.2004 – 1 BvR 981/00 Rn. 54 – Steuerberaterkammer; BGH, NJW 2004, 440 – Arztwerbung im Inter-net; BGH, BRAK-Mitt. 2005, 199 – Optimale Interessenvertretung; Köhler/Born-kamm/Feddersen, § 3a UWG Rn. 1.159.

Tatsachenbehauptungen müssen aber auf Richtigkeitüberprüfbar sein.35

35 BGHZ 147, 71 – Anwaltswerbung II; vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 3a UWGRn. 1.164.

Auch Werturteile können zulässigsein, wenn sie in einem inneren Zusammenhang mitSachangaben stehen und keine übermäßige reklame-hafte Übertreibung darstellen.36

36 BGH, BRAK-Mitt. 2005, 199 – Optimale Interessenvertretung.

Dabei gilt es zu beach-ten, dass sich auch Rechtsanwälte auf Argumente stüt-zen können, die in der „realen“ Werbewelt gelten. In derEntscheidung vom 27.1.2005 hat der BGH es unbean-standet gelassen, dass das Berufungsgericht den Be-griff „optimale Interessenvertretung“ nicht als unsach-liche Übertreibung gewertet habe, weil das Wort opti-mal aufgrund seiner vielfachen Verwendung in der Wer-bung vom Empfänger nicht mehr als absoluter Superla-tiv empfunden werde, so dass insoweit keine reklame-hafte Übertreibung stattfinde.37

37 BGH, BRAK-Mitt. 2005, 199 – Optimale Interessenvertretung.

Gelogen werden darf, wie ausgeführt, nicht. Die Anga-ben müssen wahr38

38 AGH Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 3.6.2016 – 2 AGH 1/16; AnwG Köln, Beschl.v. 20.1.2016 – 3 AnwG 14/15 R.

und dürfen nicht objektiv falsch39

39 BGH, BRAK-Mitt. 2015, 99 – Spezialist für Familienrecht; AnwG Köln, Beschl. v.20.1.2016 – 3 AnwG 14/15 R.

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AUFSÄTZE

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oder müssen jedenfalls objektiv nachprüfbar40

40 BGH, Urt. v. 5.12.2016 – AnwZ (BfG) 31/14 – Spezialist für Erbrecht, BRAK-Mitt.2017, 42.

sein. ImRahmen der Werbung, so z.B. der AGH Nordrhein-Westfalen, darf auf keine Tätigkeit verwiesen werden,die nicht den Tatsachen oder den gesetzlichen Regelun-gen entspricht.41

41 AGH Nordrhein-Westfalen, BRAK-Mitt. 2011, 154.

So darf der Anwalt nicht mit dem Titel„Testamentsvollstrecker“ oder „Vorsorgeanwalt“ wer-ben. Ersteres darf er nicht, weil es sich um ein nur imEinzelfall übertragenes Amt, letzteres nicht, weil es sichnicht um einen gem. § 7 I BORA abgrenzbaren Teilbe-reich anwaltlicher Tätigkeit handelt, aus dem der Ver-braucher ableiten könnte, auf welchem Gebiet der An-walt über spezielle Kenntnisse verfügt.42

42 AGH Nordrhein-Westfalen, BRAK-Mitt. 2011, 154.

Die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten auf einemKanzleibriefbogen ist insoweit wiederum nicht zu bean-standen, obwohl sie nur auf einer erforderlichen eige-nen Einschätzung des Rechtsanwalts beruht.43

43 BGH, BRAK-Mitt. 1997, 172 ff.; AGH Nordrhein-Westfalen, BRAK-Mitt. 2011, 150.

Liegtaber ein objektiv nachprüfbarer Sachverhalt zu Grunde,so muss dieser korrekt wiedergegeben werden.44

44 AGH Nordrhein-Westfalen, BRAK-Mitt. 2011, 150.

Diesgilt für z.B. für den Fall, dass der Rechtsanwalt in einemSchreiben vorträgt, er bearbeite schwerpunktmäßig daseine oder andere Rechtsgebiet. Begriffe wie „vorwie-gend“ oder „hauptsächlich“ sind erlaubt, soweit dieRechtsgebiete nicht tatsächlich im Berufsalltag desRechtsanwalts von nur durchschnittlicher oder sogaruntergeordneter Bedeutung sind. „Auf diese Weise“, soder BGH, „erhalten potentielle Mandanten in angemes-sener Form eine Information darüber, ob der Anwaltsich in wesentlichem Umfang mit dem Rechtsgebiet be-fasst, auf dem sie rechtskundige Hilfe suchen“.45

45 BGH, BRAK-Mitt. 1997, 172 ff.

Unzu-lässig ist Werbung konsequenterweise dann, wenn derAnwalt mit Leistungen wirbt, die er nicht erbringenkann oder will46

46 AGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 9.5.2014 – 1 AGH 3/14 Rn. 41.

oder Lösungen anpreist, die nicht in sei-nem Einflussbereich liegen.47

47 BGH, BRAK-Mitt. 2015, 45 Rn. 18 – Werbung auf Kaffeetassen.

2. „FORM FOLLOWS FUNCTION“Neben dem Inhalt ist auch die Form des werbenden Auf-tretens des Anwalts Bestandteil des Abwägungsvor-gangs, der zur Feststellung der Zulässigkeit oder Unzuläs-sigkeit der werbenden Maßnahme erforderlich ist. Un-sachlich bleibt die Werbung daher, wenn sie darauf ab-zielt, gerade durch ihre reißerische Ausgestaltung dieAufmerksamkeit des Betrachters zu erregen, mit der Fol-ge, dass ein etwa vorhandener Informationswert in denHintergrund gerückt wird oder gar nicht mehr erkennbarist.48

48 BVerfG, BRAK-Mitt. 2015, 144 (Nichtannahmebeschluss) – Werbung auf Kaffeetas-sen; BVerfG, NJW 2003, 2816 ff. – Anwaltswerbung mit Sporterfolgen; AGH Nord-rhein-Westfalen, Beschl. v. 3.6.2016 – 2 AGH 1/16 Rn. 21; BGHZ 147, 71 – An-waltswerbung II; BGH, BRAK-Mitt. 2002, 231 – Vanity-Nummer; AnwG Köln, BRAK-Mitt. 2015, 102 Rn. 14 – Pin-up Kalender; BGH, BRAK-Mitt. 2015, 45 Rn. 18 – Wer-bung auf Kaffeetassen; AGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 9.5.2014 – 1 AGH 3/14.

Es gilt den Eindruck zu vermeiden, der Rechtsanwaltverfolge nur (noch) ein Gewinnerzielungsinteresse.49

49 BGH, BRAK-Mitt. 2015, 45 – Werbung auf Kaffeetassen; BVerfG, NJW 2004, 2656– Spezialist für Verkehrsrecht.

In diesem Sinne hat der BGH das Tragen einer Robe imGerichtssaal mit dem Aufdruck des Namens und derDomain der Homepage für unzulässig erklärt.50

50 BGH, BRAK-Mitt. 2017, 37 – Werbedruck auf Anwaltsrobe.

Die Ro-be verkörpere die Stellung des Anwalts als unabhängi-ges Organ der Rechtspflege und sei als Werbeflächeungeeignet. Auch der Einsatz von „Pin-up“-Kalendernmit Abbildungen nur leicht bekleideter Damen unterder Adresszeile des Anwalts erzeugt nach Auffassungdes Anwaltsgerichts Köln den Eindruck, das Interessedes Anwalts sei deutlich mehr am Gewinn als an pro-funder Anwaltstätigkeit ausgerichtet.51

51 AnwG Köln, BRAK-Mitt. 2015, 102 – Pin-up Kalender.

Mit seinem Ar-gument, es handle sich um „zielgruppenorientierte Wer-bung“, konnte sich der Kollege nicht durchsetzen.52

52 AnwG Köln, BRAK-Mitt. 2015, 102 – Pin-up Kalender.

Gleichzeitig darf der Anwalt seine Leistung auch nicht„verschleudern“, um Kunden zu gewinnen. Dazu gehörtvor allem auch, dass der Anwalt nicht unentgeltlichDienste anbieten darf, die ansonsten einen gesetzlichgeregelten Gebührentatbestand erfüllen. Dabei ist esallerdings zulässig, mit kostenloser Erstberatung zuwerben, da die Erstberatung nicht als Gebührentatbe-stand gesetzlich geregelt ist.53

53 AGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 9.5.2014 – 1 AGH 3/14, Rn. 33-36; AGH Nord-rhein-Westfalen, Beschl. v. 3.6.2016 – 2 AGH 1/16; BGH, Urt. v. 3.7.2017 – AnwZ(Bfg) 42/16, BRAK-Mitt. 2017, 2.

Der sachliche Informationswert darf nicht aufgrund derAufmachung der Werbung völlig in den Hintergrund ge-raten.54

54 BVerfG, BRAK-Mitt. 2015, 144 (Nichtannahmebeschluss) – Werbung auf Kaffeetas-sen; AGH Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 3.6.2016 – 2 AGH 1/16.

Werbung mit plakativen Bildern (Leiche aufdem Seziertisch, erotische Szene im Büro), so der AGHNordrhein-Westfalen, kann das Ansehen der Anwalt-schaft als seriöse Sachwalter gefährden.55

55 AGH Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 3.6.2016 – 2 AGH 1/16.

4. DIE SICHT DES VERBRAUCHERSWichtig bei der Abwägung ist die Erfassung des Empfän-gerhorizonts. Bei der Beurteilung, ob die Werbeaussageirreführend ist oder dazu führen kann, den Empfängerder Werbebotschaft in einem wesentlichen Punkt zu täu-schen, der den Entschluss zu einer geschäftlichen Ent-scheidung beeinflussen kann, ist auch bei der Anwalts-werbung die Auffassung der Verkehrskreise zugrunde zulegen, an die sich die Werbung richtet.56

56 KG, BRAK-Mitt. 2016, 243.

Bei der Ermitt-lung des zur Beurteilung der Irreführungsgefahr maßgeb-lichen Verkehrsverständnisses ist auf den durchschnittlichinformierten und verständigen Verbraucher abzustellen.Der Grad der Aufmerksamkeit dieses Verbrauchers istaber wiederum abhängig von der jeweiligen Situationund vor allem von der Bedeutung, die die beworbenenWaren oder Dienstleistungen für ihn haben.57

57 KG, BRAK-Mitt. 2016, 243; BGH, NJW 2001, 3193 Rn. 35 – Anwalts- und Steuer-kanzlei.

Aus den europäischen Materialien ergibt sich, dass derBegriff des Durchschnittsverbrauchers nicht auf einer

STEINER, ANWALTLICHE WERBEFREIHEIT IM GRENZENLOSEN EUROPA?

AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

175

statistischen Grundlage beruht. Vielmehr müssten sichdie nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden beider Beurteilung der Frage, wie der Durchschnittsver-braucher in einem gegebenen Fall typischerweise rea-gieren würde, auf ihre eigene Urteilsfähigkeit unter Be-rücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofsverlassen.58

58 Erwägungsgrund 18 der RL 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und desRates v. 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegen-über Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der RL 84/450/EWG desRates, der RL 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlamentsund des Rates sowie der VO (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlamentsund des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken).

Der entscheidende Richter muss sich dem-nach in den Verbraucher hineinversetzen und sozusa-gen durch die europarechtliche Brille blicken.

IV. ZUSAMMENFASSUNG

Problematisch an der aktuellen Rechtslage ist sicher-lich, dass der Wortlaut des § 43b BRAO nur noch ganz

eingeschränkt Auskunft über die tatsächlichen Grenzenvon Inhalt und Form anwaltlicher Werbung gibt. Die Be-werbung um ein konkret im Raum stehendes Mandatist nunmehr erlaubt. Der Anwalt darf dabei aber nichtversuchen, die juristische Notlage des Verbrauchersauszunutzen. Die Werbung muss weiterhin sachlichund berufsbezogen sein. Ein Verbotsgrund kann sichnur noch im Einzelfall aus der Form, aus dem Inhaltoder aus dem verwendeten Mittel der Werbung erge-ben. Die Schutzgüter, deren Beeinträchtigung eine Ein-schränkung der kommerziellen Kommunikation recht-fertigen kann, sind die Unabhängigkeit, die Würde, dasAnsehen und die Integrität der Rechtsanwaltschaft59

59 Art. 24 II 1 RL 2006/123/EG; EuGH, EuZW 2011, 681 – C-119/09; BGH, BRAK-Mitt. 2017, 37 – Werbedruck auf Anwaltsrobe.

sowie das Berufsgeheimnis und die Interessen der Ver-braucher.60

60 BGH, BRAK-Mitt. 2014, 35 – Kommanditistenbrief; AGH Nordrhein-Westfalen, Urt.v. 9.5.2014 – 1 AGH 3/14; BGH, BRAK-Mitt. 2017, 37 Rn. 21 – Werbedruck aufAnwaltsrobe.

DIE ENTWICKLUNG DES ZIVILVERFAHRENSRECHTSRECHTSANWALT BEIM BGH DR. MICHAEL SCHULTZ*

* Der Autor ist Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe und Mitglied desBRAK-Ausschusses ZPO/GVG.

Der Bericht betrifft den Zivilprozess in der Form, die erseit der Reform im Jahr 20011

1 BGBl. 2001 I, 1887.

gefunden hat und die diehöchstrichterliche Rechtsprechung in den folgendenJahren geprägt hat.2

2 Vgl. nur die Darstellung von Greger, JZ 2004, 805 ff.

Er nimmt die Rechtsprechung derletzten Jahre zu zentralen Fragen in den Blick und unterden gesetzlichen Änderungen auch die Musterfeststel-lungsklage, die soeben Gesetz wurde.3

3 BGBl. 2018 I, 1151.

Der Autor wirdkünftig im jährlichen Turnus über die Entwicklung desZivilverfahrensrechts berichten.

I. EINGANGSINSTANZ

Der Zivilprozess beginnt regelmäßig mit der Klage, diezulässig sein muss, damit eine Entscheidung in der Sa-che ergehen kann. Außerdem hemmt jedenfalls eine zu-lässige Klage den Lauf der Verjährung.4

4 Zu Konstellationen, in denen eine unzulässige Klage die Verjährung hemmt, s.BGH, NJW 2011, 2193 Rn. 13.

Immer im Augebehalten sollte ein Kläger, dass er einen Zulässigkeits-mangel noch bis zum Schluss der mündlichen Verhand-lung in der Berufungsinstanz beheben kann.5

5 BGH, NJW-RR 2017, 1341, Leitsatz Rn. 9.

1. KLAGEGEGENSTANDDie höchstrichterliche Rechtsprechung wirkt Tendenzenentgegen, die aus ihrer Sicht zu hohe Anforderungen andie Angabe des Klagegegenstands (§ 253 II Nr. 2 ZPO)stellen:

Ein Kläger, der vorträgt, Waren geliefert und in Rech-nung gestellt zu haben und nicht bezahlt worden zusein, bestimmt den Gegenstand des Anspruches hinrei-chend und muss sich nicht vorhalten lassen, die Waren-lieferung nicht näher gekennzeichnet zu haben6

6 BGH, NJW-RR 2017, 380 Rn. 13, 14.

; seineKlage ist auch nicht deswegen unzulässig, weil er dieRechnungen nur mit Betrag und Datum genannt, sieaber nicht vorgelegt habe.7

7 BGH, NJW-RR 2017, 380 Rn. 15.

Demgegenüber hatte dieVorinstanz noch die Vorlage der Rechnungen gefordert.Nach wie vor muss die Klage den Anspruch individuali-sieren, kann diesen Zweck allerdings auch ohne Vorlagevon Anlagen erreichen.8

8 Vgl. aber auch BGH, NJW 2016, 2747 Rn. 19, zu einem Fall, in dem die notwendi-ge Individualisierung nur mit Hilfe der in der Klageschrift in Bezug genommenenAnlagen erfolgen konnte.

Das Maß der notwendigen Identifizierbarkeit darf auchfür Klagen im Bereich des Mietrechts nicht überspanntwerden. Fordert der Vermieter etwa die Zahlung vonNebenkostenvorauszahlungen, ist seine Klage auchdann nicht unzulässig, wenn bereits eine Betriebskos-tenabrechnung vorliegt;9

9 BGH, WuM 2018, 278 Rn. 25.

dass er sein Begehren nicht

SCHULTZ, DIE ENTWICKLUNG DES ZIVILVERFAHRENSRECHTS

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AUFSÄTZE

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auf die Verurteilung des Mieters zur Nachzahlung deroffenen Nebenkosten richtet, führt nicht zur Unzulässig-keit seiner Klage, sondern berührt deren Begründet-heit.10

10 BGH, WuM 2018, 278 Rn. 26.

Diese Folgerungen leitet der BGH daraus ab,dass § 253 II Nr. 2 ZPO dem Beklagten den Willen desKlägers zur Durchsetzung seiner Forderung verdeut-lichen solle. Deshalb reiche es aus, wenn die Forderungidentifizierbar sei.11

11 BGH, WuM 2018, 278 Rn. 24.

Um die aus § 253 II Nr. 2 ZPO zu ziehenden Folgerun-gen geht es auch in den Fällen, die unter dem Stichwortder „Saldoklage“ erörtert werden. Macht der Klägerden noch offenen Betrag eines einheitlichen Gesamtan-spruchs geltend, der sich aus verschiedenen gleicharti-gen Einzelforderungen zusammensetzt, muss er nichtaufschlüsseln, welche Zahlung auf welche Einzelforde-rung angerechnet wird.12

12 BGH, NJW 2013, 1367 Rn. 17.

Es mache keinen Unterschied,ob der Kläger die monatlich geschuldeten Beträge imEinzelnen aufliste und die erbrachten Zahlungen kon-kreten Monaten zuordne oder ob er die im streitigenZeitraum entstandenen Forderungen addiere und hier-von die Gesamtzahlungen in Abzug bringe.

Von dieser Konstellation unterscheidet sich der Fall, indem der Kläger einen Gesamtbetrag verlangt, der sichaus mehreren Forderungen unterschiedlicher Art zu-sammensetzt. Sind Zahlungen des Schuldners erfolgtoder Gutschriften erteilt, ist es zwar „wünschenswert“,dass der Kläger sein Klagebegehren aufklärt und so kla-re Verhältnisse schafft.13

13 BGH, WuM 2018, 278 Rn. 22.

Der BGH hat aber ausgespro-chen, dass eine zulässige Klage nicht den Vortrag vo-raussetzt, auf welche der unterschiedlichen Forderun-gen erfolgte Zahlungen oder Gutschriften zu verrech-nen seien; es sei unschädlich, wenn der Kläger sichnicht ausdrücklich oder nicht vollständig über die An-rechnung erfolgter Zahlungen oder erteilter Gutschrif-ten erkläre. Eine solche Klage sei keine „unzulässige Sal-doklage“.

Indirekt bestätigt die Konkretisierung des allgemeinenErfordernisses eines bestimmten Antrags, die sich in § 8I Nr. 1 UKlaG findet, die Richtigkeit der mäßigendenhöchstrichterlichen Rechtsprechung. Denn eine nachdem UKlaG erhobene Klage muss die beanstandetenBestimmungen der allgemeinen Geschäftsbedingungenim Wortlaut enthalten, um die Unzulässigkeit der Klagezu vermeiden.14

14 BGH, NJW 2017, 3222 Rn. 18; so schon BGHZ 194, 208 Rn. 9.

Dagegen ist es eine Frage der Begrün-detheit, ob die beanstandete Klausel tatsächlich Ver-wendung findet.15

15 BGH, NJW 2017, 3222.

2. FESTSTELLUNGSKLAGEGroße Bedeutung in der Praxis hat die Feststellungskla-ge, die ihre prozessuale Grundlage in § 256 I ZPO hat.Die Vorschrift ermöglicht dem Kläger etwa, den Laufder Verjährung in vollem Umfang zu hemmen, wenn er

den Schaden entweder noch gar nicht oder nur teilwei-se beziffern kann. Ganz allgemein bietet sie die Mög-lichkeit, bestimmte prozessentscheidende Fragen zuklären, von denen abhängt, ob der Beklagte später dieLeistung erbringen muss, um die es dem Kläger letzt-endlich geht. Allerdings bringt die Feststellungsklageverschiedene prozessuale Probleme mit sich, die nahe-zu in jedem Verfahren, in dem ein Feststellungsantraggestellt wird, zu Auseinandersetzungen führen.

a) Rechtsverhältnis

So taucht immer wieder die Frage auf, ob der gestellteAntrag sich auf die Feststellung des Bestehens oderNichtbestehens eines Rechtsverhältnisses richtet.16

16 Gegenstand kann auch ein vergangenes Rechtsverhältnis sein, wenn noch Rechts-folgen für Gegenwart und Zukunft denkbar sind, BGH, NJW-RR 2016, 1404 Rn. 13.

DerBGH hat seine Rechtsprechung fortgeführt, die die Fest-stellung der Wirksamkeit einer Kündigung für unzuläs-sig hält.17

17 BGH, NJW-RR 2017, 1260 Rn. 13; so schon BGH, WM 2000, 539, 541 Rn. 44.

Ob eine Kündigung wirksam sei, entscheidezwar darüber, ob ein Rechtsverhältnis bestehe odernicht bestehe, sei aber für sich genommen keiner ge-sonderten Feststellung zugänglich. Der Bausparer, dereine ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung derBausparkasse für unwirksam halte, muss seine Klagedaher auf die Feststellung der Wirksamkeit des Bau-sparvertrages richten. Entsteht Streit darüber, ob derDarlehensnehmer seine Vertragserklärung wirksam wi-derrufen hat, ist der Antrag unzulässig, die Wirksamkeitdes Widerrufs festzustellen;18

18 BGH, NJW-RR 2018, 563 Rn. 12; st. Rspr.

dieser Antrag betrifftnämlich ebenfalls nur eine Vorfrage.19

19 Vgl. zu den Widerrufsfällen weiter unten unter I 2. d).

b) Feststellungsinteresse

Zulässig ist ein Feststellungsantrag außerdem nur,wenn der Kläger ein rechtliches Interesse an der Fest-stellung hat. Ob dieses Interesse vorlag, war in einemFall zu entscheiden, in dem der Kläger die Feststellungdes Fortbestands einer Vereinbarung erreichen wollte,an der nicht nur er, sondern auch ein Dritter beteiligtwar. Das Berufungsgericht hatte angenommen, dass esin einem solchen Fall an einem schutzwürdigen Feststel-lungsinteresse fehle, solange der Kläger nicht auch dieweitere Vertragspartnerin in Anspruch nehme.20

20 Nach feststehender Rspr. kann Gegenstand einer Feststellungsklage gem. § 256 IZPO auch ein Rechtsverhältnis sein, das zwischen einer Partei und einem Drittenbesteht; vgl. BGH, NJW 1993, 2539, 2540 Rn. 9; WM 1990, 2128, 2130 Rn. 13;Voraussetzung für die Zulässigkeit einer auf ein solches Drittrechtsverhältnis ge-richteten Feststellungsklage ist, dass das Drittrechtsverhältnis zugleich für dieRechtsbeziehungen der Parteien untereinander von Bedeutung ist und der Klägerein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Klärung hat.

DieserAuffassung hat der BGH eine Absage erteilt und daraufhingewiesen, dass das Feststellungsinteresse schondann vorliege, wenn der Beklagte das Recht des Klä-gers ernstlich bestreite.21

21 BGH, NJW-RR 2017, 1317 Rn. 16.

Hinzunehmen sei, dass unter-schiedliche Entscheidungen ergehen könnten, solangezwischen den Vertragspartnern des Feststellungsklä-gers keine notwendige Streitgenossenschaft (§ 62 I

AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

177

ZPO) bestehe. Möchte eine Miteigentümergemein-schaft Klarheit über den Fortbestand eines Mietverhält-nisses zu einzelnen ihrer Mitglieder schaffen, kann sieFeststellungsklage erheben und es dabei bewenden las-sen, nur diejenigen zu verklagen, die das Bestehen desMietverhältnisses in Abrede nehmen.22

22 BGH, WuM 2018, 352 Rn. 20: selbst bei Vorliegen einer notwendigen Streitgenos-senschaft.

Ein rechtlichesInteresse kann auch daran bestehen, Zweifel über dieReichweite einer Urteilsformel zu beseitigen.23

23 BGH, NJW 2018, 235 Rn. 31; mit dieser Entscheidung setzt der BGH seine frühereRspr. fort.

Weil das Feststellungsinteresse häufig Anlass zu Erörte-rungen bietet, sollte der Feststellungskläger die Mög-lichkeit einer Zwischenfeststellungsklage nach § 256 IIZPO im Auge haben, die zwar auch ein Rechtsverhältnisvoraussetzt, das zudem vorgreiflich sein muss, die aberein rechtliches Interesse an der Feststellung nicht vo-raussetzt.

c) Wahrscheinlichkeit eines Schadens

Die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags setzt jeden-falls dann die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verlet-zungshandlung zurückzuführenden Schadenseintrittsvoraus, wenn mit der Klage Ersatz eines reinen Vermö-gensschadens verlangt wird.24

24 BGHZ 211, 189 Rn. 36; BGH, WM 2016, 780 Rn. 43; Urt. v. 28.5.2013 – XI ZR420/10 Rn. 41.

Geht es um die Verlet-zung eines absoluten Rechts, soll die Möglichkeit einesSchadenseintritts ausreichen.25

25 BGH, NJW 2001, 1431, 1432 Rn. 7; vgl. weiter BGH, NJW-RR 2007, 601 Rn. 5.

Diese Rechtsprechung hat der BGH jetzt insofern bestä-tigt und konkretisiert, als er für Fälle, in denen es um dieVerletzung eines durch § 823 I BGB oder § 7 I StVG ge-schützten Rechtsguts geht, keinen Grund gesehen hat,die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftigeSchäden von der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts ab-hängig zu machen.26

26 BGH, NJW 2018, 1242 Rn. 49.

Mithin kann die Praxis für dieseFälle sicher zugrunde legen, dass die Zulässigkeit einerFeststellungsklage – und auch deren Begründetheit –nicht die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts vo-raussetzt.

d) Vorrang der Leistungsklage

Ständiger Rechtsprechung entspricht es, dass eine Fest-stellungsklage grundsätzlich27

27 Anders, wenn bei Klageerhebung nur ein Teil des Schadens bezifferbar ist, vgl.BGH, NJW-RR 2016, 759 Rn. 6.

nicht zulässig ist, wennder Kläger bessere Rechtsschutzmöglichkeiten hat undeine Leistungsklage erheben28

28 Anders, wenn die Feststellung zu einer endgültigen Erledigung führt, vgl. BGH,Beschl. v. 22.8.2017 – VIII ZR 279/15 Rn. 16 m.w.N.

kann.29

29 Vgl. BGHZ 213, 179 Rn. 52.

Vorrangig ist dieLeistungsklage auch in den Widerrufsfällen.30

30 Zu solchen Fällen bereits o. Fn. 16.

Gegen-über dem (positiven) Feststellungsantrag, der Darle-hensvertrag habe sich in ein Rückgewährschuldverhält-nis umgewandelt, ist die Leistungsklage vorrangig;31

31 BGH, NJW-RR 2017, 815 Rn. 11 ff.

ist

eine endgültige Bereinigung des Streits gesichert, kanndie Feststellungsklage allerdings ausnahmsweise zuläs-sig sein.32

32 BGH, NJW-RR 2017, 815 Rn. 16.

Begehrt der Darlehensnehmer die Feststel-lung, dass der Darlehensgeber aufgrund des Widerrufskeine Ansprüche mehr hat, formuliert er also einen ne-gativen Feststellungsantrag, greift der Vorrang der Leis-tungsklage nicht ein,33

33 BGH, NJW 2017, 2340 Rn. 16.

weil das auf negative Feststel-lung gerichtete Begehren mit einer Leistungsklage nichtausgedrückt und durchgesetzt werden kann.

e) Neue Feststellung trotz Rechtskraft

Nach §§ 197 I Nr. 3, 201 S. 1 BGB verjähren rechtskräf-tig festgestellte Ansprüche in 30 Jahren nach Rechts-kraft. Der BGH hatte es mit einem Fall zu tun, in demSchäden noch nach Ablauf der 30-jährigen Verjäh-rungsfrist eintreten konnten.34

34 BGH, BauR 2018, 985 Rn. 16.

Zu entscheiden war, obdie längst getroffene rechtskräftige Feststellung der Zu-lässigkeit einer erneuten Feststellungsklage entgegen-stand. Der BGH hat diese Frage verneint, die erneuteFeststellungsklage also für zulässig gehalten, weil es einunabweisbares Bedürfnis für eine Ausnahme von derSperrwirkung der materiellen Rechtskraft gebe, wennSchäden noch nach Ablauf der 30-jährigen Verjäh-rungsfrist eintreten können.

3. GÜTEANTRAG UND MAHNANTRAGIn Konkurrenz zu der Klage stehen der Güteantrag undder Mahnantrag, die der prozessualen Auseinanderset-zung vorangehen können und die – insofern wie die Kla-ge35

35 Vgl. o. Fn. 3.

– die Verjährung auch dann hemmen können,wenn sie unzulässig sind.36

36 Vgl. zum unzulässigen Mahnantrag BGH, NJW 2012, 995 Rn. 8; zum unzulässigenGüteantrag Münchener Kommentar/Grothe, 7. Aufl., § 204 BGB Rn. 36.

Gleichwohl gibt die Rechtsprechung zu den Anforderun-gen, die ein Antragsteller erfüllen muss, um einen Güte-antrag oder einen Mahnantrag zu Papier zu bringen,der den Lauf der Verjährung hemmt, dem AntragstellerAnlass zu der Überlegung, ob er besser den Weg derKlage beschreitet, an deren Individualisierung dieRechtsprechung maßvolle Anforderungen stellt (vgl.oben unter 1).

Stellt er nämlich einen Güteantrag, muss er nicht nurdie formalen Anforderungen einhalten, die die Verfah-rensvorschriften für die Tätigkeit der jeweiligen Güte-stelle fordern,37

37 BGHZ 206, 41 Rn. 21.

und auch nicht nur dem Antragsgegnerkenntlich machen, welchen Anspruch er geltend macht,damit der Antragsgegner prüfen kann, ob und wie ersich verteidigen will.38

38 BGHZ 206, 41 Rn. 22.

Mit diesen Anforderungen be-gnügt sich die Rechtsprechung nämlich nicht. Sie for-dert weiter, dass nicht nur der Antragsgegner, sondernauch die Gütestelle das Verfahrensziel39

39 BGHZ 206, 41 Rn. 25; BGH, Beschl. v. 24.3.2016 – III ZB 75/15 Rn. 16.

und die Grö-

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AUFSÄTZE

178

ßenordnung des verfolgten Anspruchs40

40 BGHZ 206, 41; BGH, Beschl. v. 24.3.2016 – III ZB 75/15 Rn. 16.

erkennen kön-nen müssen. In Anlageberatungsfällen soll es also nichteinmal genügen, die Höhe der Einlage zu nennen, umdie Verjährung des Anspruchs zumindest in dieser Höhezu hemmen.41

41 BGH, Beschl. v. 24.3.2016 – III ZB 75/15 Rn. 17.

Diese strengen Anforderungen an die In-dividualisierung eines Güteantrags werden kritisch ge-sehen;42

42 Etwa Knops/Spiegelberg, WuB 2016, 15, 17; Lindner, jurisPR-BGHZivilR 20/2015,Anm. 1 unter C; Borowski, VuR 2015, 469, 470.

eine Feststellungsklage hemmt die Verjährungdes gesamten Schadensersatzanspruchs bereits dann,wenn sie weder die Größenordnung des Schadens nocheinzelne Schadenspositionen nennt.43

43 Vgl. etwa BGH, NJW-RR 2016, 759 Rn. 6 ff.

Auch der Mahnantrag birgt auf der Grundlage der ak-tuellen Rechtsprechung Risiken, die eine Klage nichtaufweist. Die Anforderungen an die Individualisierungdes Anspruchs ähneln allerdings denen einer Klage.Der Antragsteller muss seinen Anspruch so beschrei-ben, dass er Grundlage eines der materiellen Rechts-kraft fähigen Vollstreckungsbescheids sein kann, unddem Antragsgegner die Beurteilung ermöglichen, ob ersich gegen den Anspruch zur Wehr setzen möchte.44

44 BGHZ 206, 41-52 Rn. 19; der Antragsteller kann dem Mahnantrag Unterlagen bei-fügen, die dem Schuldner vorliegen, und muss nicht befürchten, dass dieser ihmentgegenhält, ein außenstehender Dritter habe nicht erkennen können, um welcheForderungen es geht, vgl. BGH, Beschl. v. 25.4.2017 – VIII ZR 217/16 Rn. 12.

Diese Anforderungen zu beachten, genügt indessennicht.

Der BGH hat sich zu der Auffassung bekannt, dass derAntragsteller das Mahnverfahren missbraucht, wenn ersich vorwerfen lassen muss, im Mahnantrag fälschlichangegeben zu haben, der Anspruch sei von keiner Ge-genleistung abhängig oder die Gegenleistung sei be-reits erbracht.45

45 Vgl. etwa BGH, Urt. v.10.12.2015 – III ZR 128/14 Rn. 18; GWR 2015, 387 Rn. 18 ff.;NJW 2012, 995 Rn. 11, 12. Auch die Einreichung eines Güteantrags soll rechts-missbräuchlich sein, wenn der Antragsgegner schon im Vorfeld in eindeutiger Wei-se mitgeteilt hat, dass er nicht bereit sei, an einem Güteverfahren mitzuwirken undsich auf eine außergerichtliche Einigung einzulassen, BGH, NJW 2016, 233 Rn. 34.

Gegenleistungen in diesem Sinne sol-len nicht nur solche sein, die ein Zurückbehaltungsrechtnach den §§ 273, 320 BGB begründen, sondern sämt-liche Ansprüche, die Zug um Zug zu erfüllen sind, alsoauch der Anspruch auf den sog. großen Schadenser-satz, bei dem Schadensersatz nur Zug um Zug gegenHerausgabe eines erlangten Vorteils beansprucht wer-den darf.46

46 BGH, GWR 2015, 387 Rn. 21.

Diese Rechtsprechung hat erhebliche Folgen, weil es zukeiner Hemmung der Verjährung kommen soll; auch dieVerjährung des Anspruchs auf kleinen Schadensersatzwird nicht gehemmt.47

47 BGH, NJW 2015, 3162, 3163 Rn. 21; NJW 2015, 3160, 3161 Rn. 24.

Ähnliche Risiken birgt eine Klagenicht, mit der der Kläger zu Unrecht beantragt, den Be-klagten zu verurteilen, großen Schadensersatz zu leis-ten, ohne hinzuzusetzen, er verlange die Leistung nurZug um Zug gegen Herausgabe der – inzwischen mögli-cherweise wertlosen – Gegenleistung. Denn ein solcherKläger verlangt lediglich mehr, als ihm zusteht. Ein Klä-ger, dessen Klageantrag eine Verurteilung Zug um Zug

gegen Herausgabe des Vorteils nicht enthält, riskiert le-diglich, dass der Richter gegebenenfalls von Amts we-gen einen Zug-um-Zug-Vorbehalt ausspricht.48

48 BGH, NJW 2015, 3160, 3161 Rn. 25.

II. BERUFUNG

Die Berufungsinstanz ist nach wie vor geprägt von derRechtsprechung zur ZPO-Reform.49

49 Vgl. o. Fn. 2.

1. BINDUNG AN ERSTINSTANZLICHE FESTSTELLUNGENImmer wieder zu erörtern ist die Bindung des Beru-fungsrichters an erstinstanzliche Feststellungen. DieZPO-Reform wollte die Berufung zu einem Instrumentder Fehlerkontrolle und Fehlerkorrektur machen,50

50 BT-Drs. 14/3750, 38, 40 f.; vgl. auch BGH, NJW 2017, 736 Rn. 16.

dassie allerdings auch vor der Reform schon war. Gemeintwar, dass der Berufungsrichter in stärkerem Maß an inerster Instanz festgestellte Tatsachen gebunden seinsollte; insofern wollte die ZPO-Reform Fehlerkorrekturenalso einschränken, was in offenem Gegensatz zu demProgrammsatz („Instrument der Fehlerkontrolle undFehlerkorrektur“) stand.

Wenn Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit be-stehen, muss der Berufungsrichter neue Feststellungentreffen (§ 529 I Nr. 1 ZPO). Würdigt der Berufungsrich-ter die Aussage eines in erster Instanz vernommenenZeugen51

51 BGH, Beschl. v. 18.10.2017 – I ZR 255/16 Rn. 9; vgl. weiter BGH, Beschl. v.2.8.2017 – VII ZR 155/15 Rn. 13 ff.

oder der angehörten Partei52

52 BGH, MDR 2018, 53 Rn. 9.

anders, hat erZweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststel-lungen und muss erneute Feststellungen treffen. DenZeugen oder die Partei muss er dann nochmals verneh-men. Zur erneuten Tatsachenfeststellung ist das Beru-fungsgericht auch dann verpflichtet, wenn aus seinerSicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende –Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Be-weiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinenBestand haben wird.53

53 BGH, NJW-RR 2017, 75 Rn. 24.

Ausgeschlossen ist der Berufungsführer gem. § 531 IZPO mit Angriffs- und Verteidigungsmitteln, die im ers-ten Rechtszug zurückgewiesen worden sind. An einererstinstanzlichen Zurückweisung fehlt es, wenn dasErstgericht ein Gutachten schlicht nicht eingeholt hat,etwa weil ein Auslagenvorschuss nicht gezahlt wordenist.54

54 BGH, NJW 2017, 2288 Rn. 13.

Hat der Erstrichter Vorbringen nach Schluss dermündlichen Verhandlung gem. § 296a ZPO nicht be-rücksichtigt, fehlt es ebenfalls an einer Zurückweisung,die § 531 I ZPO voraussetzt.55

55 BGH, NJW 2018, 1686 Rn. 17, st. Rspr.

Vorbringen, das nicht nach § 531 I ZPO ausgeschlossenbleibt, ist im Berufungsverfahren, wie sich aus § 531 IIZPO ergibt, nicht ohne weiteres zu berücksichtigen.

SCHULTZ, DIE ENTWICKLUNG DES ZIVILVERFAHRENSRECHTS

AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

179

§ 531 II ZPO fordert vom Berufungsrichter, was häufignicht beachtet wird, nur eine Entscheidung über die Zu-lassung neuen Vorbringens. Vorbringen, das bereits inerster Instanz schlüssig gewesen ist, ist nicht neu. Nichtneu sind dann auch Konkretisierungen, Verdeutlichun-gen und Erläuterungen, zu denen es erstmals in der Be-rufungsinstanz kommt.56

56 BGH, r+s 2018, 130 Rn. 14.

2. ZURÜCKWEISUNG DURCH BESCHLUSSDiese Maßstäbe gelten auch dann, wenn das Beru-fungsgericht die Berufung durch Beschluss nach § 522II ZPO zurückweist. Der BGH hat die Auffassung einesBerufungsgerichts korrigiert, das sich auf den Stand-punkt gestellt hatte, es müsse neue Angriffs- und Vertei-digungsmittel, die an sich nach § 531 II ZPO zuzulassenwären, nicht beachten, wenn die Berufung durch Be-schluss zurückgewiesen werde;57

57 BGH, NJW 2017, 736 Rn. 12 ff.

wie der BGH klarge-stellt hat, darf das Berufungsgericht nicht durch dieWahl des Verfahrens darüber entscheiden, welche Tat-sachen es zugrunde legen müsse.

Geklärt hat der BGH, dass ein Berufungsgericht die Be-rufung durch Beschluss zurückweisen und auch denHinweis, so verfahren zu wollen, erteilen darf, bevoreine Berufungserwiderung vorliegt; dem Berufungsbe-klagten muss auch keine Frist zur Erwiderung gesetztworden sein.58

58 BGH, NJW-RR 2018, 304 Rn. 12.

Das so abgesegnete Verfahren bleibtgleichwohl bedenklich; auch wenn – wie der BGH meint– Wortlaut und Entstehungsgeschichte keine anderenFolgerungen zulassen sollten, kann der Berufungsführerein solches Verfahren nämlich so verstehen, als erledigedas Gericht die Aufgaben der anderen Prozesspartei.Daher bleibt zu hoffen, dass die Praxis Zurückhaltungübt. Ohnehin erkennt auch die Rechtsprechung desBGH das berechtigte Interesse des Berufungsgegnersan, sich zur Berufung zu äußern,59

59 BGH, NJW 2018, 557 Rn. 10: Kosten für den nach einem Hinweisbeschluss gestell-ten Antrag auf Zurückweisung der Berufung dienen der notwendigen Rechtsvertei-digung.

was eindrucksvoll da-durch bestätigt wird, dass einer bedürftigen Partei Pro-zesskostenhilfe bewilligt werden müsste, bevor über dieBerufung entschieden wird.60

60 BGH, NJW-RR 2017, 1273 Rn. 8.

3. BERUFUNGSGRÜNDEEine zulässige Berufung setzt Berufungsgründe voraus(§§ 522 I, 520 III 2 Nr. 2–4 ZPO). Immer wieder kommtes vor, dass die Berufungsbegründung sich nur mit ein-zelnen von mehreren Streitgegenständen oder nur miteinzelnen Teilen eines teilbaren Streitgegenstands aus-einandersetzt. In diesen Fällen ist die Berufung im Hin-blick auf die nicht angesprochenen Teile unzulässig.61

61 BGH, NJW-RR 2018, 386 Rn. 9.

Noch härter sind die Folgen, wenn das Erstgericht dieAbweisung der Klage auf mehrere voneinander unab-hängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungenstützt und der Berufungsführer nur eine dieser tragen-

den Erwägungen angreift. Dann ist sein Rechtsmittelnämlich insgesamt unzulässig.62

62 BGH, WM 2018, 350 Rn. 7; st. Rspr.

Selbstverständlich hatder Richter zu prüfen, ob der geführte Angriff auch denanderen Klageabweisungsgrund zu Fall bringt.63

63 BGH, WM 2018, 350 Rn. 7.

4. UNTERSCHRIFT DES ANWALTSZu den notwendigen Formalien gehört es weiter, dassder Anwalt die Berufungsbegründung unterschreibt(§ 520 V, § 130 Nr. 6 ZPO).64

64 Fehlt der Urschrift die Unterschrift, kann der handschriftliche Beglaubigungsver-merk auf der beglaubigten Abschrift genügen, vgl. BGH, Beschl. v. 10.4.2018 –VIII ZB 35/17 Rn. 15.

Nicht einmal die Unter-schrift reicht allerdings aus, wenn der Anwalt sich zusehr von dem von ihm unterschriebenen Text distanziertund so den Eindruck entstehen lässt, dass er nicht dievolle Verantwortung für den Inhalt übernimmt.65

65 BGH, NJW-RR 2017, 686 Rn. 9.

5. HINWEIS AUF BEABSICHTIGTE ZURÜCKWEISUNGEntscheidet der Berufungsrichter sich dafür, den Hin-weis zu erteilen, die Berufung zurückzuweisen, muss erGelegenheit zur Äußerung geben. Reagiert der Beru-fungsführer auf einen Hinweis, dass der Berufungsan-trag zu unbestimmt sei, mit einem Hilfsantrag, darf derBerufungsrichter den Hilfsantrag nicht analog § 524 IVZPO als wirkungslos behandeln.66

66 BGH, NJW 2017, 2623 Rn. 11; offen geblieben ist, ob § 524 IV ZPO überhauptanalog anzuwenden ist, vgl. Rn. 8.

Besondere Vorsicht ist geboten, wenn der Berufungsfüh-rer dem Berufungsgericht vorhalten will, mit seinemHinweisbeschluss bestimmtes Vorbringen übergangenzu haben. Die Übergehung soll er noch in der Beru-fungsinstanz rügen müssen; sonst könne der Verletzungdes rechtlichen Gehörs auch mit der Nichtzulassungs-beschwerde und mit der Revision nicht mehr abgehol-fen werden.67

67 BGH, Beschl. v. 9.5.2018 – I ZR 125/17; ebenso bereits BGH, NJW-RR 2016, 699Rn. 4, 5.

Diese Rechtsprechung geht sehr weit undauch zu weit; dass die betroffene Partei den Berufungs-richter auf Vortrag hinweisen muss, den er von sich aushätte sehen müssen und nicht hätte übergehen dürfen,ist nicht mehr einzusehen und auch nicht mit dem„Rechtsgedanken“ des § 295 ZPO zu rechtfertigen.

III. VERFAHREN ALLGEMEIN

Soweit es um die Vorschriften geht, die nicht spezifischdie erste oder die zweite Instanz betreffen, sind eineveränderte Sichtweise des Prozessrechts und überdieseinzelne Aspekte anzusprechen.

1. VERFAHRENSGRUNDRECHTEDie ZPO-Reform hat sich auf den Zivilprozess in einerWeise ausgewirkt, die damals nicht absehbar war: DerBGH blickt immer auch mit einer „verfassungsrecht-lichen Brille“ auf das Verfahren der Vorinstanzen. Es fin-

SCHULTZ, DIE ENTWICKLUNG DES ZIVILVERFAHRENSRECHTS

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AUFSÄTZE

180

det sich kaum noch eine Entscheidung, die das Verfah-ren kritisiert und es dann dabei belässt, sich mit demreinen Prozessrecht zu befassen. Gemeint sind die Ver-fahrensgrundrechte (vor allem Art. 103 I GG,68

68 Art. 103 I GG verpflichtet das Gericht etwa, Vortrag zur Kenntnis zu nehmen, dazuz.B. BGH, Beschl. v. 30.4.2014 – XII ZR 124/12 Rn. 14, Hinweispflichten nachzu-kommen, dazu z.B. BGH, Beschl. v. 13.12.2016 – VI ZR 116/16 Rn. 6, oder Beweis-angebote zu berücksichtigen, dazu z.B. BGH, Beschl. v. 1.3.2018 – IX ZR 179/17Rn. 6.

Art. 2 IGG i.V.m. Art. 20 III GG,69

69 Art. 2 I GG und Art. 20 III GG gewährleisten effektiven Rechtsschutz, dazu beispiel-haft BGH, Beschl. v. 16.1.2018 – VIII ZB 61/17 Rn. 9, und geben einen Anspruchauf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren, dazu beispielhaft BGH, Beschl. v.1.3.2018 – IX ZR 179/17 Rn. 15.

und Art. 3 I GG70

70 In seiner Ausprägung als Recht auf eine willkürfreie Entscheidung, dazu beispiel-haft BGH, Urt. v. 27.6.2014 – V ZR 51/13 Rn. 20.

),71

71 Einen Überblick gibt Geisler, AnwBl. 2017, 1046 ff.

die esvor der ZPO-Reform natürlich auch schon gab. Sie prä-gen das Verfahrensrecht maßgeblich, seit die Verlet-zung von Verfahrensgrundrechten als Grund für die Zu-lassung einer vom Berufungsgericht nicht zugelassenenRevision anerkannt ist (§ 543 II Nr. 2 Alt. 2 ZPO: Siche-rung einer einheitlichen Rechtsprechung). Der BGH be-hält auch nach Zulassung der Revision die verfassungs-rechtlich geprägte Betrachtung bei, obwohl er es im Re-visionsverfahren nicht (mehr) müsste. Dieses Verfahrenhat nicht nur Vorteile, weil aus dem Blick gerät, dass dieZPO nicht nur die von Verfassungs wegen gebotenenVerfahrensgarantien bietet.

2. FREIE BEWEISWÜRDIGUNGDass der Zivilprozess vom Grundsatz der freien Beweis-würdigung (§ 286 ZPO) geprägt ist, ist bekannt. Nichtso bekannt ist, wie frei der Tatrichter ist. Er darf auchohne Beweiserhebung einer Partei glauben, nachdemer sie nur gem. § 141 ZPO angehört hat.72

72 BGH, NJW-RR 2018, 249 Rn. 12.

Zu der Über-zeugung, der angehörten Partei sei zu glauben, darf derTatrichter auch dann kommen, wenn die Voraussetzun-gen für eine Parteivernehmung nicht vorliegen oderwenn gegenläufige Zeugenaussagen vorliegen. An die-se Grundsätze sollte sich der Anwalt erinnern, der einePartei vertritt, die erkennbar in Beweisnot ist, und derfür möglich hält, dass eine Anhörung der eigenen Parteidie notwendige Überzeugung beim Richter schafft.

3. BEWEISERHEBUNGDer Würdigung erhobener Beweise vorgelagert ist dieFrage, ob Beweis zu erheben ist. Von der Einholungeines Sachverständigengutachtens zu einer materiell-rechtlich bedeutsamen Frage darf der Tatrichter nur ab-sehen, wenn er die für die Beurteilung erforderliche be-sondere Sachkunde hat und wenn er die Parteien da-rauf hinweist, dass er von der Hinzuziehung eines Sach-verständigen absehen wolle.73

73 BGH, Beschl. v. 9.1.2018 – VI ZR 106/17, so schon BGH, GesR 2016, 351 Rn. 12.

Will die Partei sich etwain der Berufung dagegen wenden, dass der Richter ers-ter Instanz abweichend verfahren ist, muss sie auchausführen, was sie vorgebracht hätte, wenn sie vomErstrichter erfahren hätte, er sei sachkundig und wollekein Sachverständigengutachten erheben.

Liegt ein Sachverständigengutachten vor, hat die Parteigem. §§ 397, 402 ZPO das Recht, den Sachverständi-gen zu befragen. Das Gericht muss einem Antrag aufLadung des Sachverständigen auch dann stattgeben,wenn es die Begutachtung für überzeugend hält.74

74 BGH, NJW-RR 2017, 762 Rn. 3; st. Rspr.

Umdem Risiko zu entgehen, dass der Richter den Antragfür missbräuchlich hält, sollte die Partei, die mit demGutachten nicht einverstanden ist, dem Gericht mittei-len, weshalb sie Unklarheiten und Erläuterungsbedarfsieht (§ 411 IV ZPO). Außerdem könnte sich lohnen,auch nach umfassender Erörterung eines Sachverstän-digengutachtens – oder auch nach Anhörung eines Zeu-gen – eine Frist zur Stellungnahme zum Beweisergebniszu beantragen; einem solchen Antrag muss das Gerichtstattgeben, wenn die Partei Zeit braucht, um angemes-sen vorzutragen,75

75 BGH, Urt. v. 14.6.2018 – III ZR 54/17 Rn. 26; vgl. schon BGH, VersR 2011, 1158Rn. 5.

was sie natürlich darzulegen hat.

4. VERWERTUNG VON DASHCAM-AUFNAHMENKürzlich hat der BGH über die Verwertbarkeit soge-nannter Dashcam-Aufnahmen entschieden.76

76 BGH, Urt. v. 15.5.2018 – VI ZR 233/17.

Ein Klä-ger wollte einen Unfallhergang mit Videoaufzeichnun-gen beweisen, die von einer in seinem Fahrzeug instal-lierten Kamera – einer Dashcam – stammten. Der BGHist zunächst der Ansicht beigetreten, dass jedenfallseine permanente und anlasslose Aufzeichnung des ge-samten Geschehens auf und entlang der Fahrstreckegem. § 4 I BDSG nicht zulässig sei.77

77 BGH, Urt. v. 15.5.2018 – VI ZR 233/17 Rn. 19.

Trotzdem seien dierechtswidrig gefertigten Aufzeichnungen verwertbar.Das Interesse des Beweisführers an der Durchsetzungseiner zivilrechtlichen Ansprüche und sein im Grundge-setz verankerter Anspruch auf rechtliches Gehör unddas Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspfle-ge überwögen das allgemeine Persönlichkeitsrecht desBeweisgegners in seiner Ausprägung als Recht auf in-formationelle Selbstbestimmung und als Recht am eige-nen Bild.78

78 BGH, Urt. v. 15.5.2018 – VI ZR 233/17 Rn. 40 ff.

IV. GESETZLICHE ÄNDERUNGEN

Der Gesetzgeber hat das Zivilverfahrensrecht im Be-richtszeitraum wenig geändert;79

79 Aufgrund des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zurweiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs v. 5.7.2017 (BGBl. 2017 I,2208) haben insb. die §§ 130b, 169 und § 298a ZPO Änderungen erfahren. DasGesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten v.10.10.2013 (BGBl. 2013 I, 3786) hat insb. die §§ 130a, 174 ZPO geändert. DasGesetz zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weite-rer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe v. 12.5.2017 (BGBl. 2017 I,1121) hat u.a. § 130 ZPO geändert.

er möchte die Muster-feststellungsklage einführen.

1. SACHVERSTÄNDIGENRECHTSeit Oktober 2016 ist das Sachverständigenrecht in ei-nigen Punkten geändert,80

80 BGBl. 2016 I, 2222.

um zu erreichen, dass die

AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

181

Gerichte qualifizierte Sachverständige ernennen, die ih-re Gutachten zügig erstatten. Anlass war die öffentlicheKritik an Gutachten in familiengerichtlichen Verfahren.

Ob die gesetzgeberischen Maßnahmen, die von der Ver-weisung in § 30 I FGG erfasst werden, ausreichend effek-tiv sein werden, bleibt abzuwarten: § 404 II ZPO n.F. er-wähnt nunmehr die auch schon vorher gegebene Mög-lichkeit, dass das Prozessgericht die Parteien zur Persondes Sachverständigen hören kann. § 407a I ZPO n.F.möchte dem Missstand begegnen, dass der Sachverstän-dige nach Auftragserteilung zunächst einmal untätigbleibt, und verpflichtet ihn zur unverzüglichen Prüfung,ob er den Auftrag innerhalb der vom Gericht gesetztenFrist erledigen kann. Außerdem hat er dem Gericht un-verzüglich Gründe mitzuteilen, die Misstrauen gegen sei-ne Unparteilichkeit rechtfertigen (§ 407a II ZPO). § 411III 2 n.F. stellt jetzt klar, dass das Gericht nicht nur einemündliche Erläuterung, sondern auch eine schriftliche Er-läuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnenkann, was indessen immer schon möglich war.

2. NICHTZULASSUNGSBESCHWERDEDie Geltung der Übergangsvorschrift des § 26 Nr. 8 EG-ZPO ist nochmals bis zum 31.12.2019 verlängert wor-den.81

81 BGBl. 2018 I, 863.

Vorerst bleibt es also dabei, dass eine Partei einBerufungsurteil hinnehmen und nicht mit der Nichtzu-lassungsbeschwerde angreifen kann, das sie nicht mitmehr als 20.000 Euro beschwert. Der Gesetzgeber wirdsich überlegen müssen, ob er es bei der Wertgrenze be-lässt – und sie dann in die ZPO aufnimmt. Letztlich si-chert sie, was häufig nicht klar genug gesehen wird,den Fortbestand des Berufungsverfahrens in seiner jet-zigen Form.

3. MUSTERFESTSTELLUNGSKLAGEDer Gesetzgeber hat die Musterfeststellungsklage indas 6. Buch der ZPO aufgenommen, das durch dasFGG-Reformgesetz82

82 Vgl. BT-Drs. 16/638.

frei geworden war. Die neuen Vor-schriften (§§ 606 bis 613 ZPO) treten am 1.11.2018 inKraft und ermöglichen Verbrauchern, ihre Rechte ge-gen Unternehmer durchzusetzen, ohne den Aufwand inKauf zu nehmen, der entstünde, wenn sie individuellvorgingen, und der sie von der Durchsetzung ihrer An-sprüche abhalten könnte („rationales Desinteresse“).83

83 Vgl. BT-Drs. 19/2507, 11.

Klagebefugt sind nur qualifizierte Einrichtungen, die dieKlage gegen den Unternehmer zu richten haben und dieFeststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tat-sächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Be-stehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechts-verhältnissen (Feststellungsziele) zwischen Verbrauchernund einem Unternehmer begehren (§ 606 I 1 ZPO n.F.)können. Der einzelne Verbraucher kann dann Ansprücheoder Rechtsverhältnisse zum Klageregister anmelden, indas die Musterfeststellungsklage einzutragen ist

(§§ 607, 608 ZPO n.F.); seine Anmeldung hemmt die Ver-jährung seines Anspruchs (§ 204 I Nr. 1a BGB n.F.).

Liegt das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil vor,kann und muss der Verbraucher Klage erheben. Das fürseine Klage zuständige Gericht ist an das Musterfest-stellungsurteil gebunden (§ 613 I ZPO n.F.). Von vornhe-rein bemerkenswert ist das Vertrauen, das der Gesetz-geber darauf setzt, dass die für sehr viele Fälle maßgeb-lichen Fragen in einem einzigen Prozess im Instanzen-zug geklärt werden. In der Vergangenheit war es eherso, dass erst eine Vielzahl von Prozessen entweder zueiner Aufklärung des für viele Fälle maßgeblichen Sach-verhalts führte oder, manchmal Jahre später, eine Än-derung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Fol-ge hatte.84

84 Vgl. etwa die Rechtsprechungsentwicklung des BGH zur Pflicht, über Innenprovisio-nen aufklären zu müssen, BGH, EWiR 2004, 541 Rn. 34 ff.; ZIP 2011, 2246 Rn. 42;BGHZ 201, 310, Ls. Rn. 22.

Anders als das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz(KapMuG) ist die Musterfeststellungsklage nicht auf be-stimmte Ansprüche beschränkt und beginnt auch nichtmit einer Klage des Betroffenen. Das Motiv für die Ein-führung der Musterfeststellungsklage ist das bereits er-wähnte „rationale Desinteresse“ des Verbrauchers, dasihn ohne die Musterfeststellungsklage von der Verfol-gung seiner Rechte abhalten könnte. Das Gesetz be-schränkt den Anwendungsbereich allerdings nicht aufdiese Fälle. Das führt dazu, dass der Anwendungsbe-reich einerseits zu eng und andererseits zu weit ist:

Denn einerseits sollen Feststellungsziele nur Ansprücheoder Rechtsverhältnisse zwischen Verbrauchern undUnternehmern betreffen können (§ 606 I 1 ZPO n.F.),obwohl auch Nichtverbraucher von Massenschadenser-eignissen betroffen sein könnten, die ebenfalls vernünf-tige Gründe haben könnten, von der Verfolgung ihrerAnsprüche abzusehen.85

85 So die Stellungnahmen der BRAK vom Juni 2018, S. 3, und des DAV vom Mai2018, S. 9.

Dass der Betroffene selbstnicht Musterkläger sein kann,86

86 Das beanstandet der DAV in seiner Stellungnahme, S. 8.

dürfte allerdings konse-quent sein, wenn man von seinem rationalen Desinte-resse ausgeht. Andererseits steht die Musterfeststel-lungsklage dem Verbraucher auch dann zur Verfügung,wenn kein rationales Desinteresse festzustellen ist undes dem Verbraucher um die Verfolgung von gewichti-gen Ansprüchen geht, die er individuell durchaus durch-zusetzen versuchen würde.

Einen weiteren Webfehler des Gesetzes stellt es dar,dass ein Wettlauf verschiedener Musterkläger eintretenkann. Denn das Gesetz sieht lediglich vor, dass auchqualifizierte Einrichtungen, die an sich klagebefugt sind,nach Rechtshängigkeit der ersten Musterfeststellungs-klage eines anderen Musterklägers keine andere Mus-terfeststellungsklage mehr erheben können (§ 610 I 1ZPO n.F.). Ein Wettlauf der verschiedenen Musterklägerwürde nur vermieden, wenn das Gericht wie im Kap-MuG den geeignetsten Musterkläger auswählen dürfte.87

87 So die Stellungnahme des DAV, S. 12, 13.

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AUFSÄTZE

182

Mit der Anmeldung zum Klageregister verliert der Ver-braucher sein Klagerecht, solange die Musterfeststel-lungsklage rechtshängig ist (§ 610 II ZPO n.F.). Hat erfrüher eine Klage erhoben, die die Feststellungszieleund den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungskla-ge betrifft, und hat er seinen Anspruch oder seinRechtsverhältnis zum Klageregister angemeldet, mussdas Gericht sein Verfahren aussetzen. Der Verbraucherwird sich daher fragen, welche Vorteile die Anmeldungzum Klageregister für ihn bringt, wenn es ihm auf ande-re Weise gelingen sollte, die Verjährung seines An-spruchs zu hemmen. Er wird sich also überlegen müs-sen, ob er die Ergebnisse eines Musterfeststellungsver-fahrens auch ohne Anmeldung und ohne die von ihr ab-hängige Bindung nutzen kann.

Weitere Unsicherheiten entstehen daraus, dass dieAnmeldung dem Verbraucher nur nützt und auch die

Verjährung nur hemmt, soweit die im Musterfeststel-lungsverfahren benannten Feststellungsziele und derdortige Lebenssachverhalt auch in seinem Verhältniszum Unternehmer von Bedeutung sind (§ 613 IZPO n.F.). So wird sich die Frage stellen, ob die Feststel-lungsziele der Musterfeststellungsklage denselben zu-grunde liegenden Lebenssachverhalt betreffen, wennder Sachverhalt nur vergleichbar ist. Näher liegt, dasses um dieselbe Pflichtverletzung gehen muss. Dannwürde es etwa nicht genügen, dass das Musterfeststel-lungsurteil die Veränderung einer bestimmten Motors-teuerungssoftware feststellt, falls der Verbraucher An-sprüche wegen der Veränderung einer anderen Mo-torsteuerungssoftware desselben Herstellers bean-standet. Fehlt die notwendige Identität, läuft der Ver-braucher also Gefahr, dass seine Ansprüche trotz An-meldung verjähren.

PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS –EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHTRECHTSANWÄLTIN ANTJE JUNGK, RECHTSANWÄLTE BERTIN CHAB UND HOLGER GRAMS*

* Die Autorin Jungk ist Leitende Justiziarin, der Autor Chab Leitender Justiziar beider Allianz Deutschland AG, München; der Autor Grams ist Rechtsanwalt undFachanwalt für Versicherungsrecht in München.

In jedem Heft der BRAK-Mitteilungen kommentieren dieAutoren an dieser Stelle aktuelle Entscheidungen zumanwaltlichen Haftungsrecht.

HAFTUNG

„RECHENSCHAFTSPFLICHT“ BEZÜGLICH HANDAKTE1. Der Begriff „Rechenschaft“ i.S.v. § 666 BGB um-fasst die über die Herausgabepflicht hinausgehendePflicht des Beauftragten, in verkehrsüblicher Weisedie wesentlichen Einzelheiten seines Handelns zurAuftragsausführung darzulegen und dem Auftrag-geber die notwendige Übersicht über das besorgteGeschäft zu verschaffen. Dabei sind dem Auftragge-ber auch Belege, soweit üblich und vorhanden, vor-zulegen; diese Vorlagepflicht des Rechtsanwalts istdie Grundlage für den Anspruch des Auftraggebersauf Einsicht in die Handakten. Dabei kann sich dieVorlagepflicht auch auf diejenigen Bestandteile derHandakten des Rechtsanwalts beziehen, die nichtherausgegeben zu werden brauchen, sondern beimAnwalt verbleiben können.

2. Der Auftraggeber ist nicht gehalten, ein besonde-res rechtliches oder tatsächliches Interesse an derAkteneinsicht gegenüber dem beauftragten Rechts-anwalt darzulegen.

3. Die Auskunfts- und Rechenschaftspflicht desRechtsanwalts kann auch dann bestehen, wenn der

Herausgabeanspruch des Auftraggebers gem.§ 667 BGB i.V.m. § 50 II 4 BRAO bereits durch Erfül-lung erloschen ist; dies gilt sogar hinsichtlich sol-cher Unterlagen, die der Mandant zwar bereits er-halten hat, die aber bei ihm nachträglich verlorengegangen sind. (Os. des OLG)OLG Brandenburg, Urt. v. 11.4.2018 – 11 U 123/16

Die Klägerin, eine juristische Person, hatte zunächst He-rausgabe sämtlicher Handakten aus allen Mandatenvon der beklagten Rechtsanwaltssozietät auf derGrundlage des § 667 BGB i.V.m. § 50 BRAO verlangt.Bezüglich der Herausgabeansprüche erfolgte im Beru-fungsverfahren eine Teilrücknahme. Es ging dann nochauf der Grundlage des § 666 BGB um Einsichtnahme indie Handakten inklusive des gesamten mit verschiede-nen Organen und Organmitgliedern der Mandantin ge-führten Schriftverkehrs sowie der Notizen über Bespre-chungen mit allen Beteiligten. Hintergrund waren offen-bar Querelen zwischen den betreffenden Organen (esging in den Mandaten u.a. um Entlastung von Organenetc.), die dazu geführt hatten, dass Informationen vonEinzelnen zurückgehalten wurden.

Ein Herausgabeanspruch bezüglich der Handakte ergibtsich aus § 667 BGB, wobei in der früheren Rechtspre-chung § 50 BRAO inzident mit herangezogen wurde.1

1 So schon BGH, NJW 1990, 510.

Seit der Neufassung des § 50 II BRAO im Jahr2017 ergibt er sich auch unmittelbar aus diesem. Die be-rufsrechtliche Herausgabepflicht bezieht sich allerdingsnur auf „Dokumente, die der Rechtsanwalt aus Anlassseiner beruflichen Tätigkeit vom Auftraggeber oder für

JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT

AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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ihn erhalten hat“, betrifft somit nur einen Teil der Hand-akte. § 667 BGB betrifft „alles, was er zur Ausführungdes Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesor-gung erlangt“. Das ist nach ständiger Rechtsprechung,2

2 Seit BGH, NJW 1990, 510.

die auch das erstinstanzliche LG Potsdam heranzieht,mehr als der nach § 50 II BRAO herauszugebende Teilder Handakte, nämlich z.B. auch Notizen des Rechtsan-walts über Gespräche mit dem Mandanten. Nicht hin-gegen sind danach Unterlagen, die persönliche Eindrü-cke des Anwalts wiedergeben, oder vertrauliche Hinter-grundinformationen, die er gesammelt hat, umfasst.

Das LG hatte damit – und auch wegen des von der Bekl.erhobenen Erfüllungseinwands in Bezug auf den bereitsherausgegebenen Teil der Akten – den Auskunftsan-spruch abgewiesen. Das OLG lässt zwar ebenfalls die„persönlichen Eindrücke“ und „Hintergrundinformatio-nen“ außen vor, bejaht aber dennoch ein über den Her-ausgabeanspruch hinausgehendes weitgehendes Aus-kunfts- und Einsichtsrecht. Es sei nicht erforderlich, einbesonderes rechtliches oder tatsächliches Interesse ander Akteneinsicht darzulegen. Auch wenn bereits Unter-lagen herausgegeben wurden, dürfe sich der Mandantdurch Einsichtnahme davon überzeugen, dass er alles er-halten habe. Eine Beschränkung des Auskunftsanspruchskönne sich nur aus Treu und Glauben ergeben, was hiernicht ersichtlich sei. Auch die Schweigepflicht stehe demnicht entgegen. Sie könne nur gelten, wenn zwischendem Anwalt und dem einzelnen Organmitglied eine be-sondere Vertrauensbeziehung bestanden habe.3

3 Hier hat der Anwalt allerdings eine potenzielle Interessenkollision zu beachten, vgl.dazu Jungk, AnwBl. 2017, 324.

Die Abwägung der Interessen des Rechtsanwalts und desMandanten an dem Einsichtsrecht in die Handakte kannim Einzelfall schwierig sein. Die Praxis zeigt, dass derleiAuskunfts- und Herausgabeansprüche zuweilen durchausquerulatorischen Charakter haben und ausschließlich zurVorbereitung der Geltendmachung von Haftpflichtan-sprüchen gegen den Anwalt dienen sollen. Andererseitsgeht es natürlich im Mandat in erster Linie um die Inte-ressen des Mandanten. Hatte der Anwalt – wie hier – aufSeiten des Mandanten mit verschiedenen Personen zutun und resultieren hieraus Informationsdefizite, dürftedas Interesse des Mandanten an umfassender Auskunftwohl überwiegen. Das OLG hat dies hier auch bejaht. (ju)

AUSLEGUNG EINES HAFTUNGSVERGLEICHSZur Auslegung eines im Rechtsstreit über Schaden-ersatzansprüche wegen anwaltlicher Pflichtverlet-zung abgeschlossenen Vergleichs, durch den „sämt-liche wechselseitigen Ansprüche aus dem streitge-genständlichen Mandat (...) in abschließender Wei-se erledigt sind“.OLG Saarbrücken, Urt. v. 9.5.2018 – 5 U 48/17

Erscheint der Leitsatz noch eher einfach, so entpupptsich die Lektüre des Urteils bereits im unstreitigen Tatbe-stand als ziemlich kompliziert. Ausgangspunkt des Falles

war eine im Jahr 1976 abgeschlossene Berufsunfähig-keits-Zusatzversicherung. Der Versicherer gewährte abdem Jahr 1985 Leistungen, stellte diese aber später wie-der ein, so dass es zu verschiedenen Punkten zu Streitmit dem Versicherer kam. Später hielt der Kläger seinemAnwalt vor, dass dieser im Prozess gegen den Versiche-rer Fehler gemacht habe. Deshalb beauftragte er einenanderen Anwalt zum einen damit, eventuell noch offeneAnsprüche gegen den Versicherer zu verfolgen oder –falls das nicht mehr möglich sei – Regressansprüche ge-gen den zunächst beauftragten Anwalt zu prüfen. Im An-schluss daran behauptete er, dass es auch bei der Bear-beitung dieses Mandats zu Fehlern gekommen sei undverklagte daraufhin auch diesen Anwalt, den Beklagtenim hier zu entscheidenden Prozess. Jener Prozess hatteim 2010 begonnen und endete im Jahr 2011 mit einemVergleich, der im Kern bereits im Leitsatz zitiert ist.

Die Frage war nun, wie weit die Abgeltungsklausel die-ses Vergleichs reicht. Der Kläger brachte vor, dass derseinerzeitige Vergleich lediglich die Ansprüche wegender Prüfung der denkbaren Forderungen gegen den Ver-sicherer erfasst habe, nicht aber Fehler bei der Prüfung,ob der zuvor tätige Anwalt in Regress zu nehmen sei.Der OLG-Senat legt die Abgeltungsklausel aber, wieschon zuvor das LG, weiter aus.

Bei der Bestimmung, was als Mandat zu verstehen sei,könne man zunächst einmal die Grundsätze des § 15RVG heranziehen. Danach sei die dort angesprochene„Angelegenheit“ auch dann noch als Einheit zu betrach-ten, wenn die anwaltlichen Leistungen in einem innerenZusammenhang stünden und in Inhalt und Zielsetzungso weitgehend übereinstimmten, dass von einem ein-heitlichen Rahmen gesprochen werden könne. In diesenRahmen könnten auch mehrere getrennte Prüfungsauf-gaben passen. Eine Angelegenheit könne insbesonderemehrere Gegenstände im Sinne mehrerer konkreterRechtsverhältnisse erfassen. Das sei bei der Prüfungder primären Ansprüche einerseits und eventueller Re-gressansprüche andererseits der Fall. Im Übrigen müs-se der seinerzeit abgeschlossene Vergleich auch beiWürdigung aller Umstände bei Einnehmen eines objek-tiven Erklärungs- und Empfängerhorizonts so ausgelegtwerden, dass in beiderlei Hinsicht ein Schlussstrich ge-zogen werden sollte. Die Argumentation des Klägers,dass die Mandate auch getrennt an verschiedene An-wälte hätte vergeben werden können und dann sicherunterschiedliche Angelegenheiten gewesen wären, lässtdas OLG nicht gelten. Die Überlegungen zum objekti-ven Empfängerhorizont stünden untrennbar in Zusam-menhang mit der Tatsache, dass eben nur ein einzigerRechtsanwalt beauftragt wurde.

Der Fall zeigt zum einen, dass der gewählte Vergleichs-wortlaut den Anwalt durchaus weitgehend vor weiterenInanspruchnahmen schützt. Andererseits wird aberauch deutlich, dass in komplexeren Fällen wie der hierzu beurteilenden Regresskette ein Vergleich so klar unddeutlich wie möglich formuliert werden sollte – sonst istschon der nächste Regressfall vorprogrammiert. (bc)

JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AUFSÄTZE

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KEIN SCHADEN BEI PFÄNDUNG EINER KAUTIONWEGEN STEUERSCHULDENWenn ein Rechtsanwalt es unterlässt, seinen Man-danten darüber aufzuklären, dass eine für die Au-ßervollzugsetzung eines Haftbefehls geleistete Si-cherheit wegen bestehender Steuerschulden desMandanten vom Fiskus gepfändet werden könnte,stellt die spätere Pfändung und Überweisung desKautionsrückzahlungsanspruchs im Rahmen desGesamtvermögensvergleichs keinen Schaden desMandanten dar, wenn hierdurch zugleich seineSteuerschulden entsprechend getilgt wurden.OLG Saarbrücken, Urt. v. 24.4.2018 – 5 W 25/18

Der Rechtsanwalt wurde hier von seinem Mandanten(im Wege eines PKH-Antrags) auf Schadensersatz in An-spruch genommen, weil er den Mandanten nicht darü-ber aufgeklärt habe, dass seine Gläubiger auf eine vonihm gestellte Kaution zur Aufhebung eines Haftbefehlsüber 100.000 Euro zugreifen könnten. Die Stadt Saar-louis habe den Kautionsrückzahlungsanspruch desMandanten wegen dessen Steuerschulden gepfändetund sich überweisen lassen. Das Geld für die Kautionhabe er sich von einem Dritten geliehen und sei nuneinem entsprechenden Darlehensrückzahlungsan-spruch ausgesetzt. Das LG wies den PKH-Antrag wegenfehlender Erfolgsaussicht zurück; die Beschwerde desMandanten blieb auch beim OLG erfolglos.

Das OLG ließ offen, ob der Anwalt zu einer entspre-chenden Belehrung des Mandanten verpflichtet warund ob der Mandant in diesem Fall die Kaution nichtgestellt hätte. Dem Mandanten sei jedenfalls durch diePfändung kein Schaden entstanden. Für die Beurtei-lung, ob ein Schaden entstanden sei, sei nach §§ 249 ff.BGB ein Gesamtvermögensvergleich durch Gegenüber-stellung der tatsächlichen und der hypothetischen Ver-mögenslage anzustellen, der alle von dem haftungsbe-gründenden Ereignis betroffenen Positionen umfassenmüsse. Hier stehe dem Verlust des Kautionsrückzah-lungsanspruchs, mit dem der Mandant das Darlehengegenüber dem Dritten tilgen wollte, die Tilgung seinerSteuerschulden gegenüber. Das Gesamtvermögen ha-be sich per Saldo also nicht verändert. Der Mandantkönne auch keinen Schadensersatzanspruch wegen desVerlustes seiner Dispositionsbefugnis geltend machen.Diese habe als solche keinen wirtschaftlichen Wert. So-weit der Mandant argumentiere, ihm könne im Falleeiner Titulierung der Darlehensforderung des Drittenein Kostenschaden entstehen, sei ein (künftiger) Scha-den zwar nicht auszuschließen, jedoch fehle es insofernan der Darlegung ausreichender Anhaltspunkte.

Die Notwendigkeit der Erstellung eines Gesamtvermö-gensvergleichs entspricht der ständigen Rechtspre-chung des BGH.4

4 Z.B. BGH, NJW 2015, 1373; MDR 2011, 978; MDR 1998, 244.

Dem ist zuzustimmen. Ist die Darstel-lung der Vermögenslagen unvollständig, ist die Klageunschlüssig. (hg)

FRISTEN

AUSDRUCK DES ELEKTRONISCHEN FRISTENKALENDERSWEITERHIN ERFORDERLICHWerden die Eingaben in den EDV-Kalender nichtdurch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgängeüber den Drucker oder durch Ausgabe eines Fehler-protokolls durch das Programm kontrolliert, ist da-rin nach ständiger Rechtsprechung des Bundesge-richtshofs ein anwaltliches Organisationsverschul-den zu sehen. (eigener Ls.)BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – V ZB 138/17

Die Berufungsbegründungsfrist wurde versäumt, weil imelektronischen Fristenkalender statt des 8.2.2017 der8.2.2018 notiert wurde. Der Prozessbevollmächtigte be-kam keine Wiedereinsetzung, weil seine Büroorganisa-tion den Spezifika der elektronischen Kalenderführungnicht Rechnung getragen habe. Es wäre ein Kontrollaus-druck erforderlich gewesen, „um nicht nur Datenverar-beitungsfehler des EDV-Programms, sondern auch Ein-gabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwandrechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen“. Der Senatrekurriert mit dieser Aussage auf die Rechtsprechungseit dem Jahr 2009.5

5 BGH, NJW 2009, 3036.

Tatsächlich gehen diese Anforde-rungen aber auf das 20. Jahrhundert zurück.6

6 BGH, NJW 1995, 1756.

Wir befinden uns nun im Jahr 2018. Auch wenn derbeA-Start noch immer holpert: Digitale Akte und Kom-munikation sind heute Standard. Auch der elektroni-sche Fristenkalender gehört zu diesem Ensemble. Manmuss sich natürlich Gedanken machen, wie man dieDaten und die Datenübertragung angemessen absi-chert. Aber bitte, lieber BGH: Auch die Gerichte sindaufgefordert, den elektronischen Rechtsverkehr mit zuleben und zu gestalten! Das gebetsmühlenartig wieder-holte Dogma, die elektronische Handakte bzw. der elek-tronische Fristenkalender dürften „keine geringereÜberprüfungssicherheit bieten“ als die analogen Pen-dants, ist 20 Jahre alt.7

7 BGH, NJW 1999, 582.

Die Wahrscheinlichkeit, dassComputerprogramme abstürzen oder Daten nicht ge-speichert werden, ist selbstverständlich größer als dieje-nige, dass die Kanzlei mitsamt dem papierenen Fristen-kalender abbrennt. Diese Unsicherheit ist der digitalenEntwicklung immanent. Vernünftige präventive Vorkeh-rungen wie ausreichende Virenschutzprogramme8

8 OVG Münster, Beschl. v. 24.7.2014 – 13 A 1181/14.

oderSchadensbegrenzungsmaßnahmen durch zeitnahenSupport zu fordern, ist in Ordnung. Und natürlich kön-nen die Anforderungen an die Büroorganisation, die dieFolgen menschlichen Fehlverhaltens vermeiden helfensollen, auf das digitale Büro übertragen und entspre-chend angepasst werden. Möglicherweise wird dieRechtsprechung neue Sicherungsmechanismen verlan-gen, die den digitalen Gegebenheiten Rechnung tra-gen. Aber man kann doch bitte den wesentlichen Vorteilder digitalen Anwendungen nicht dadurch obsolet ma-

AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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chen, dass man weiterhin fordert, die digitalen Inhalteauszudrucken! Das 20. Jahrhundert ist vorbei, der elek-tronische Rechtsverkehr ist da!!! (ju)

VERLÄNGERUNG DER VERGLEICHSWIDERRUFSFRISTDURCH PARTEIVEREINBARUNG1. Die Prozessparteien können eine in einem Prozess-vergleich wirksam vereinbarte Widerrufsfrist vor de-ren Ablauf ohne Mitwirkung des Gerichts verlängern.

2. Ein im Prozessvergleich nicht enthaltenes Wider-rufsrecht kann von den Parteien nachträglich nurwirksam vereinbart werden, wenn die für den Pro-zessvergleich geltenden Förmlichkeiten eingehaltenwerden und die prozessbeendende Wirkung desVergleichs noch nicht eingetreten ist.BGH, Urt. v. 19.4.2018 – IX ZR 222/17, WM 2018, 1103 =ZInsO 2018, 1377

Die Prozessparteien hatten am 1.9.2016 in einem Ver-handlungstermin vor dem Landgericht einen Prozessver-gleich geschlossen, wonach die Beklagte an den Klägereine Zahlung in Höhe der Hälfte der Klageforderung zuleisten hatte. Der Kläger erhielt einen Widerrufsvorbe-halt bis zum 15.9.2016. Für die Beklagte war im Prozess-vergleich kein Widerrufsrecht vereinbart. Nach dem Ver-handlungstermin vereinbarten die Parteien außergericht-lich erstmals, dass auch die Beklagte den Vergleich wi-derrufen könne, und zwar bis zum 30.9.2016. Der Klägererklärte keinen Widerruf, die Beklagte widerrief den Ver-gleich fristgerecht. Das LG setzte daraufhin das Verfah-ren fort und verurteilte die Beklagte sogar in voller Höhe.Auf die Berufung der Beklagten hob das OLG das Urteilauf und stellte fest, dass der Rechtsstreit bereits durchden Vergleich vor dem LG beendet worden sei; für die Be-klagte sei gar kein prozessual wirksames Widerrufsrechtvereinbart worden. Die vom OLG zugelassene Revisiondes Klägers blieb erfolglos.

Der BGH bestätigte die OLG-Entscheidung, dass dieerstmalige Einräumung eines Widerrufsrechts einerPartei durch Vereinbarung außerhalb des Prozessver-gleichs nicht wirksam sei. Für die Wirksamkeit einer sol-chen Vereinbarung müssten die prozessualen Förmlich-keiten beachtet werden (Protokollierung in der münd-lichen Verhandlung, Vorlesen oder Vorspielen und Ge-nehmigung, Unterzeichnung des Protokolls, §§ 160 IIINr. 1, 162 I, 163 ZPO, oder Feststellung des Zustande-kommens des Vergleichs durch Beschluss, § 278 VIZPO). Ein Verzicht der Parteien auf diese Formvorschrif-ten sei unwirksam. Der BGH verwies auf die rechtlicheDoppelnatur des Prozessvergleichs sowohl als Prozess-handlung als auch als privates Rechtsgeschäft.

Von größerer praktischer Bedeutung dürfte die „obiter“geäußerte Rechtsauffassung des BGH sein, dass abereine außergerichtliche Vereinbarung der Parteien übereine Verlängerung eines im Prozessvergleich einer oderbeiden Parteien bereits eingeräumten Widerrufsrechtswirksam sei. Hierfür bedürfe es nicht zwingend einerMitwirkung des Gerichts, die möglicherweise auch nichtrechtzeitig erreicht werden könne. Diese Auffassung er-

scheint praxisgerecht und entspricht auch der ganzüberwiegend vertretenen Meinung.9

9 Z.B. OLG Hamm, BauR 2001, 833; OLG Karlsruhe, MDR 2005, 1368; Zöller/Gei-mer, ZPO, 32. Aufl. § 794, Rn. 10c; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 38. Aufl. § 224Rn. 1; a.A. z.B. VG Hamburg, MDR 1982, 962.

Ergänzend sei noch angemerkt, dass es bei einer Ver-säumung der Vergleichswiderrufsfrist keine Wiederein-setzung gibt, eben weil es sich hierbei um eine vertrag-lich vereinbarte Frist handelt, die nicht unter § 233 ZPOfällt.10

10 So der BGH in der hier besprochenen Entscheidung; ebenso BGH, MDR 1974, 220.

(hg)

UNZULÄSSIGE CONTAINERSIGNATUR1. Das Verbot, mehrere elektronische Dokumentemit einer gemeinsamen qualifizierten elektroni-schen Signatur zu übermitteln (§ 4 II ERVV), bedarfeiner auf sein Regelungsziel bezogenen einschrän-kenden Auslegung, um nicht gegen das Rechts-staatsprinzip (Art. 20 III GG) zu verstoßen.

2. Um die Integrität und Authentizität einer qualifi-zierten elektronischen Signatur uneingeschränkt si-cherzustellen, bedarf es des Verbots der Container-oder Umschlagsignatur jedenfalls nicht, wenn der Ab-sender mit ihr nur elektronische Dokumente verbin-det, die sämtlich ein Verfahren betreffen und die nachdem Eingang bei Gericht zusammen mit den bei derÜbermittlung angefallenen Informationen und mitdem Ergebnis der Signaturprüfung auf Papier ausge-druckt und zu den Gerichtsakten genommen werden.OLG Brandenburg, Beschl. v. 6.3.2018 – 13 WF 45/18, NJW 2018,1482 = BRAK-Mitt. 2018, 116 Ls.

Ein Kläger bzw. Rechtsmittelführer, der bei Nutzungdes elektronischen Rechtsverkehrs über das elektro-nische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP)eine seit 1.1.2018 unzulässige Container-Signaturverwendet, ist vom Gericht unverzüglich auf die feh-lerhafte Signatur hinzuweisen, damit er den Mangelfristwahrend beheben kann. (eigener Ls.)BSG, Beschl. v. 9.5.2018 – B 12 KR 26/18 B

Die mit der Einführung des elektronischen Rechtsver-kehrs zum 1.1.2018 in Kraft getretenen Gesetzesände-rungen einerseits, die Praxis des nicht zur Verfügungstehenden beA anderseits, haben zu erheblichen Unsi-cherheiten geführt. Viele Anwälte haben nicht zurKenntnis genommen, dass mit der Aussetzung des beAnicht automatisch alles bleibt wie zuvor. Insbesondereist es nach § 4 II der ERVV (Elektronischer Rechtsver-kehr-VO) grundsätzlich nicht mehr zulässig, mehrereDokumente mit einer gemeinsamen qualifizierten Si-gnatur zu versehen. Das war bis zum 31.12.2017 nacheinhelliger Auffassung in der Rechtsprechung11

11 BGH, NJW 2013, 2034.

mög-lich. Bei Versendung über das beA wird jede Datei auto-matisch separat signiert.12

12 Zu den Praxisproblemen wie Differenzierung zwischen Dokument und Datei s. Sieg-mund, NJW 2017, 3134.

Ohne beA hätten seit1.1.2018 aber keine Containersignaturen mehr verwen-det werden dürfen. Das OLG Brandenburg und das BSG

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AUFSÄTZE

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haben je unterschiedliche Wege gefunden, den Betrof-fenen aus der Patsche zu helfen.

Das OLG Brandenburg stellt darauf ab, dass ja nun in denGerichten, die am elektronischen Rechtsverkehr noch garnicht teilnehmen, ohnehin alles ausgedruckt wird. Die Be-gründung für das Verbot der Containersignatur sei aber,dass nach der Trennung der elektronischen Dokumente de-ren Authentizität und Integrität nicht mehr nachvollzieh-bar sei. Wenn hingegen aus der Papierakte erkennbar sei,welche Dateien gemeinsam übersandt wurden, seien die-se Bedenken unbegründet. Dass diese Auffassung nur einebegrenzte Halbwertszeit hat und von den offensichtlichenVorbehalten des Gerichts gegen den elektronischenRechtsverkehr getragen ist, ist offensichtlich.

Das BSG wollte dem Rechtsmittelführer ebenfalls helfen.Eine Möglichkeit bestünde in einem Hinweis nach § 65aVI SGG, der dem § 130a VI ZPO in der Fassung seit1.1.2018 entspricht. Danach ist dem Absender unterHinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und die gel-tenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglichmitzuteilen, wenn ein elektronisches Dokument für dasGericht zur Bearbeitung nicht geeignet ist. Hieran schei-tere es indes nicht, „zur Bearbeitung geeignet“ seien dieDokumente ja. Die „derzeitigen äußeren Rahmenbedin-gungen“ würden es jedoch erfordern, dass zur Gewähr-leistung effektiven Rechtsschutzes den Betroffenen Wie-dereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei.

Die Entscheidungen zeigen, dass auch die Gerichte mitdem elektronischen Rechtsverkehr noch nicht warm ge-worden sind und Mitleid mit den Anwälten haben. Ver-trauen sollte man auf eine dauerhaft kulante Handha-bung aber nicht! (ju)

EINGANG FRISTWAHRENDER SCHRIFTSÄTZE ALSTELEFAX BEI GERICHTEin fristwahrender Schriftsatz, der per Fax übermit-telt wird, ist grundsätzlich erst in dem Zeitpunkt ein-gegangen, in dem er vom Empfangsgerät des Ge-richts ausgedruckt wird. Wenn jedoch Anhaltspunk-te dafür vorliegen, dass die abgesandten Signale imEmpfangsgerät des Gerichts vollständig eingegan-gen sind und ihr Ausdruck nur infolge eines Fehlersoder fehlerhafter Handhabung des Empfangsgerätsnicht erfolgt ist, ist der Zugang zu fingieren.OLG München, Urt. v. 6.6.2018 – 20 U 2297/17

Die Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil gingnach Vortrag des Klägers per Fax am 18.4.2017 bei Ge-richt ein. An diesem Tag lief die Frist ab. Das Originalwar dann unstreitig am 20.4.2017 bei Gericht.

Der Kläger konnte aber sowohl den eigenen Sendebe-richt als auch das Journal des Empfangsgeräts bei Ge-richt vorlegen. Außerdem wurden in einer SendungSchriftsätze zu zwei verschiedenen Prozessen ver-schickt; der zum anderen Prozess gehörende Schriftsatzwurde korrekt ausgedruckt und der Akte zugeordnet.Daher sah es das OLG als naheliegend an, dass der ver-misste Schriftsatz zwar ausgedruckt, aber versehentlich

einem anderen Verfahren zugeordnet wurde oder in an-derer Weise im Bereich des LG verloren ging. Damitwar der Beweis rechtzeitigen Zugangs geglückt, ohnedass es auf andere Aspekte angekommen wäre.

Grundsätzlich aber sei ein per Telefax übermittelterSchriftsatz erst dann als bei Gericht eingegangen anzuse-hen, wenn das Empfangsgerät diesen auch vollständigausgedruckt habe. Der Senat verweist in diesem Zusam-menhang unter anderem auf eine Entscheidung des BGHaus dem Jahr 1988.13

13 BGHZ 105, 40.

Danach soll der entsprechendeSchriftsatz als rechtzeitig eingegangen gelten, auch wennder Ausdruck erst verspätet oder unleserlich erfolgt unddies der Sphäre des Gerichts zuzuordnen ist. Der BGHging also seinerzeit tatsächlich noch davon aus, dass nurder rechtzeitige Ausdruck genügt, fingierte den Zugangaber, wenn der Ausdruck wegen eines Fehlers im gericht-lichen Bereich nicht oder nicht rechtzeitig erfolgte.

Auch die Fiktion des rechtzeitigen Eingangs bewirkt dieFristwahrung, so dass kein Fall einer Wiedereinsetzungin den vorigen Stand vorliegt. Diese Unterscheidung istwichtig, weil schließlich nicht alle Fristen wiedereinset-zungsfähig sind. Nach Ansicht des OLG München wärehier mit dieser Fiktion zu operieren gewesen, wenn mannicht ohnehin zur Überzeugung gelangte, dass der Aus-druck rechtzeitig erfolgt war. Die Notwendigkeit, hierim Zweifel mit einer Zugangsfiktion zu arbeiten, scheintaber inzwischen ohnehin nicht mehr zu bestehen. DerBGH lässt es jetzt genügen, dass alle Sendesignalerechtzeitig empfangen wurden.14

14 BGH, v. 12.4.2016 - VI ZB 7/15, NJW 2016, 2510

Im Zeitalter rein elek-tronisch geführter Akten und der Übermittlung vonSchriftstücken per Mail-Anhang – siehe dazu schon wei-ter oben – kann es auf den Ausdruck auch wirklich nichtmehr ankommen. Die vom OLG noch erwähnte Fiktionführt eher zu Missverständnissen. Das Erfordernis einesAusdrucks sollte überholt sein. (bc)

ARBEITSÜBERLASTUNG UND WIEDEREINSETZUNGArbeitsüberlastung eines Rechtsanwalts ist ohneHinzutreten besonderer Umstände kein Wiederein-setzungsgrund.OVG Lüneburg, Beschl. v. 1.6.2018 – 5 ME 47/18

Für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigenStand nach der Versäumung bestimmter Prozessfristenist bekanntlich gem. § 233 ZPO15

15 Im hier vorliegenden Verwaltungsgerichtsverfahren gelten die ZPO-Vorschriftenkraft Verweisung gem. § 173 VwGO.

unabdingbar, dass dieVersäumung der Frist weder durch die Partei selbst noch,wegen der Zurechnungsnorm des § 85 II ZPO, durch ih-ren (Prozess-) Bevollmächtigten verschuldet wurde. Feh-lendes Verschulden muss gem. § 236 II 1 ZPO im Wieder-einsetzungsantrag dargelegt und glaubhaft gemachtwerden. Verschulden nicht-anwaltlicher Kanzleimitarbei-ter wird der Partei dagegen nicht zugerechnet.16

16 St. Rspr., z.B. BGH, NJW 1961, 1812.

Selbst wenn die Fristversäumung unmittelbar durch einenKanzleimitarbeiter verursacht wurde, muss der Anwalt

JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT

AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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aber noch im Einzelnen darlegen, dass ihn auch kein sog.Organisationsverschulden trifft, dass er also die Fristen-verwaltung in seiner Kanzlei durch allgemeine oder Einzel-Weisungen so organisiert hatte, dass bei Befolgung dieserWeisungen der zur Fristversäumung führende Fehler nichtpassiert wäre.17

17 St. Rspr., z.B. BGH, NJW 1988, 2804.

Auch dies ist im Wiedereinsetzungsan-trag konkret darzulegen und glaubhaft zu machen.

Wenn dem Anwalt der entscheidende Fehler selbst un-terläuft, ist es in der Praxis so gut wie ausgeschlossen,dass dies vom Gericht als nicht schuldhaft bewertetwird. Im vorliegenden Fall hatte der Anwalt persönlichdie Frist im Kalender versehentlich auf den 27.4. stattauf den 16.4.2018 notiert. Gleichwohl bekam er hierWiedereinsetzung, weil er sehr konkret darlegte, dasser sich in einer absoluten, nicht behebbaren Ausnahme-situation befunden habe (Einzelanwalt, einzige Sekretä-rin aufgrund eines Unfalls langfristig ausgefallen, diefrühere Ersatzkraft wegen Schwangerschaft nicht mehrtätig, vergebliche Bemühung um Ersatz- bzw. Aushilfs-kräfte, über 1.000 laufende Mandate plus Lehrauftrag,akute, ungewöhnliche Häufung von Anrufen, täglicheArbeitszeit durchschnittlich über zwölf Stunden etc.),wodurch er in seiner Konzentrationsfähigkeit beein-trächtigt gewesen sei, was zu einem unverschuldetenAugenblicksversagen geführt habe. Zur „Nachahmung“kann dieser Fall keinesfalls empfohlen werden. Mansollte auch nicht darauf vertrauen, dass andere Gerich-te dies ebenso bewerten würden. (hg)

BERUFSHAFTPFLICHTVERSICHERUNG

AUSKUNFTSANSPRUCH GEGENÜBER RECHTSANWALTS-KAMMEREin Auskunftsausspruch gegen die Rechtsanwalts-kammer über das Bestehen einer Berufshaftpflicht-versicherung des als Insolvenzverwalter tätigenRechtsanwalts besteht nicht (eigener Ls.).Bayerischer VGH, Beschl. v. 31.1.2018 – 21 C 17.1686, ZIP 2018,844

§ 51 VI 2 BRAO gibt dem Geschädigten ein Auskunfts-recht gegenüber der Rechtsanwaltskammer. Diesemuss – rechtliches Interesse des Anfragenden voraus-gesetzt – dem Betreffenden Auskunft über die Berufs-haftpflichtversicherung des Rechtsanwalts geben. Da-mit wird die Durchsetzung der Rechte des Geschädig-ten, die sich aufgrund der Vorschriften über die Pflicht-versicherung ergeben (insb. § 115 und § 117 VVG), ge-währleistet.

Hier nun war die Frage, ob das Auskunftsrecht auchdann besteht, wenn es um einen Rechtsanwalt geht,der aber konkret als Insolvenzverwalter bestellt und tä-tig war. Der Bayerische VGH sieht darin zu Recht dieAusübung eines Amts und ordnet diese nicht einer „an-waltlichen Tätigkeit“ zu. Zwar könne sich auch ein Insol-venzverwalter durch den Abschluss einer entsprechen-den Versicherung vor Inanspruchnahmen schützen, esbesteht dazu aber keine Verpflichtung. Der Auskunfts-anspruch gegen die Rechtsanwaltskammer beziehesich nur auf die Pflichtversicherung für Rechtsanwälte.Dem stehe auch nicht entgegen, dass nach den Allge-meinen Versicherungsbedingungen regelmäßig auchdie Insolvenzverwaltertätigkeit mit in den Versiche-rungsschutz des Anwalts eingeschlossen sei.

Insofern trennt also der Senat völlig richtig zum einenanwaltliche Tätigkeit von anderen Tätigkeiten außer-halb der für Anwälte berufstypischen Aufgaben nach§ 3 BRAO, zum anderen die von der Pflichtversicherungumfassten Teile der jeweiligen Berufshaftpflichtversiche-rung von den nicht der Versicherungspflicht unterlie-genden mitversicherten Tätigkeiten. Im Wesentlichensollte § 51 VI BRAO auch deshalb nicht mehr eine allzugroße Rolle spielen, weil Anwälte schon nach der DLIn-foV verpflichtet sind, ihre Versicherungsverhältnisse of-fenzulegen. Das wird aber bisweilen gerade in den Fäl-len nicht der Fall sein, in denen der Geschädigte auf dieAuskunft angewiesen ist. (bc)

AUS DER ARBEIT DER BRAKDIE BRAK IN BERLINRECHTSANWÄLTIN DR. TANJA NITSCHKE, MAG. RER. PUBL., BRAK, BERLIN

Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über dieTätigkeit der BRAK auf nationaler Ebene im Mai undJuni 2018.

WECHSEL IM BRAK-PRÄSIDIUMDr. Ulrich Wessels, Rechtsanwalt und Notar aus Hamm,wird ab Mitte September neuer BRAK-Präsident. Der Prä-

sident der RAK Hamm und derzeitige BRAK-Vizepräsidentwurde in der BRAK-Hauptversammlung am 28.5.2018zum Nachfolger von BRAK-Präsident Ekkehart Schäfer ge-wählt. Schäfer stellt, wie er Anfang Mai mitteilte, seinAmt aus gesundheitlichen Gründen mit Wirkung ab dem14.9.2018 (dem Tag der nächsten ordentlichen BRAK-Hauptversammlung) zur Verfügung – und damit ein Jahr

AUS DER ARBEIT DER BRAK

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AUS DER ARBEIT DER BRAK

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vor Ablauf der vierjährigen Wahlperiode. Die Nachwahlerfolgte auf Wunsch des scheidenden Präsidenten undauf Antrag mehrerer Kammern so frühzeitig, um demdesignierten Nachfolger eine ausreichende Einarbei-tung zu ermöglichen. Als neuer Vizepräsident ab dem14.9.2018 wurde der Karlsruher KammerpräsidentRechtsanwalt Andre Haug nachgewählt.

REFORMVORSCHLAG DER BRAK ZUMANWALTLICHEN GESELLSCHAFTSRECHTZu der von der Bundesregierung geplanten umfassendenReform des Rechts der Personengesellschaften hat dieBRAK als erste Organisation einen Vorschlag zum an-waltlichen Gesellschaftsrecht erarbeitet (BRAK-PE Nr. 12/2018 v. 8.5.2018; BRAK-Stn. Nr. 15/2018). Kernpunktesind die Zulässigkeit der Beteiligung von Rechtsanwalts-gesellschaften an anderen Zusammenschlüssen zur ge-meinschaftlichen Berufsausübung, die Öffnung der Zulas-sung als Rechtsanwaltsgesellschaft auch für Berufsaus-übungsgesellschaften, die keine Kapitalgesellschaftensind, sowie die Öffnung der Rechtsform der KG (ein-schließlich Rechtsanwaltsgesellschaft & Co. KG) auch fürdie Anwaltschaft. Ferner sollen die §§ 59c ff. BRAO, ins-besondere soweit sie die Beteiligung von Nicht-Anwältenbzw. nicht sozietätsfähigen Personen – also Fremdbesitz– betreffen, auf alle Arten von Berufsausübungsgesell-schaften angewandt werden. Die BRAK regt zudem an,die Reform entsprechend für das Gesellschaftsrecht allersozietätsfähigen Berufe umzusetzen, also insbesondereauch für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer.

REFORM DER VWGODie BRAK bringt ihre Expertise in die von der Justizmi-nisterkonferenz im November 2017 angestoßene Re-form der VwGO ein. Die von der Konferenz eingerichte-te Arbeitsgruppe „Verwaltungsprozess“ hat im Märzumfangreiche Änderungsvorschläge vorgelegt, zu de-nen die BRAK im Detail Stellung genommen hat (BRAK-Stn. Nr. 18/2018). Sie begrüßt u.a. die vorgeschlageneReform des Rechtsmittelrechts und schlägt hierzu ein-zelne Änderungen bzw. Ergänzungen vor. Kritisch siehtsie hingegen Vorschläge zur Beschränkung des Prozess-stoffs (innerprozessuale Präklusion) und zur Verfahrens-konzentration und -beschleunigung.

MUSTERFESTSTELLUNGSKLAGE:GESETZ IM SCHNELLVERFAHRENDas Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Mus-terfeststellungsklage tritt wie geplant im November inKraft.1

1 BGBl. 2018 I, 1151.

Der Bundesrat hat hierzu in seiner Sitzung am6.7.2018 den Weg freigemacht. Vorangegangen warein äußerst zügiges Gesetzgebungsverfahren: Die Bun-desregierung hatte ihren Gesetzentwurf am 9.5.2018vorgelegt. Innerhalb von etwa zwei Wochen beriet derRechtsausschuss des Bundestages, erfolgte die erste Le-sung im Bundestag, führte der Rechtsausschuss eine

Sachverständigen-Anhörung durch und erfolgten diezweite und dritte Lesung im Bundestag. Dabei wurdengegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf zahlrei-che Änderungen vorgenommen. Mit der Einführung die-ser schon lang diskutierten neuen Klageart soll Verbrau-chern eine kostengünstige Rechtsdurchsetzung ermög-licht werden, die gleichartige Schäden erlitten haben.

Mit dem Regierungsentwurf hat sich die BRAK ausführ-lich befasst (BRAK-Stn. Nr. 21/2018; s. auch BRAK-Stn.Nr. 32/2017). Sie begrüßt das Vorhaben, die Interessender Betroffenen zu bündeln, ohne dies über Sammelkla-gen mit erfolgsabhängiger Vergütung abzuwickeln undschlägt Änderungen und Ergänzungen vor, u.a. zum An-wendungsbereich und zur Feststellungswirkung. Ange-sichts der erheblichen Anforderungen an die Konkreti-sierung des Anspruchs zur Hemmung der Verjährungfordert die BRAK, hierfür entweder die Einschaltungeines Anwalts vorzuschreiben oder zumindest klare Vor-gaben zu den Anforderungen zu machen. Die BRAK kri-tisiert ferner, dass angemeldete Anspruchsteller trotzder daraus folgenden Rechtskraftwirkungen nicht indas Verfahren eingreifen können.

SCHUTZ VON GESCHÄFTSGEHEIMNISSEN:KRITIK AN GESETZENTWURFDen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzungder Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Ge-schäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowierechtswidriger Nutzung und Offenlegung hat die BRAKdeutlich kritisiert und erheblichen Nachbesserungsbe-darf aufgezeigt (BRAK-Stn. Nr. 17/2018). Die BRAKmahnt an, dass die geplanten Regelungen für Whistle-blower einer ausdrücklichen Ausnahme für Berufsge-heimnisträger bedürfen, soweit es sich um Mandanten-informationen handelt; anders sei die anwaltliche Ver-schwiegenheit nicht zu wahren. Ferner äußert die BRAKsich im Detail zu den verfahrensrechtlichen Regelun-gen. Sie kritisiert zudem die vorgesehene Streitwertmin-derung für die begünstigte Partei, die der Anwaltschaftein Sonderopfer abverlange.

EGZPO: ÜBERGANGSREGELUNG FÜR NICHT-ZULASSUNGSBESCHWERDEN VERLÄNGERTNichtzulassungsbeschwerden im Zivilprozess sind auchweiterhin nur zulässig, wenn der Wert der mit der Revi-sion geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euroübersteigt. Die entsprechende Übergangsregelung in§ 26 Nr. 8 EGZPO hat der Bundestag Anfang Juni ver-längert. Zuvor fand am 14.5.2018 im Rechtsausschusseine öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf statt, ander Rechtsanwalt beim BGH Dr. Schultz als Mitglieddes BRAK-Ausschusses ZPO/GVG teilnahm. Das Gesetzzur Änderung des Gesetzes betreffend die Einführungder Zivilprozessordnung trat bereits zum 1.7.2018 inKraft.2

2 BGBl. 2018 I 863.

AUS DER ARBEIT DER BRAK BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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INFORMATIONEN ZUR DSGVO FÜR RECHTS-ANWÄLTINNEN UND RECHTSANWÄLTEBereits am 24.5.2016 ist die EU-DSGVO in Kraft getre-ten. Sie gilt ebenso wie das neue BDSG seit dem25.5.2018. Auf ihrer Website3

3 https://www.brak.de/fuer-anwaelte/datenschutz/.

hat die BRAK eine Reihevon Informationen für Rechtsanwältinnen und Rechts-anwälte zum neuen Datenschutzrecht zusammenge-stellt, u.a. eine Checkliste und häufig gestellte Fragen(FAQ) sowie eine Beitragsserie in BRAK-Magazin4

4 Mathis, BRAK-Magazin 4/2018, 6; Wagner, BRAK-Magazin 3/2018, 8; Mathis/Dreßler, BRAK-Magazin 2/2018, 16.

undBRAK-Mitteilungen.5

5 Schöttle, BRAK-Mitt. 2018, 118; Herb, BRAK-Mitt. 2017, 209.

BStBK UND BRAK ZU JURISTISCHEN DIENST-LEISTUNGEN MIT GRUNDSTÜCKSBEZUGBei der steuerlichen Einordnung notarieller und anwalt-licher Dienstleistungen im Zusammenhang mit Grund-stücken gilt infolge einer Änderung der Mehrwert-steuer-Verordnung (VO Nr. 1042/2013) seit dem1.1.2017 eine geänderte Rechtslage. Die Praxis der Fi-nanzverwaltungen wurde erst Ende 2017 geändert.Hieraus entstand erhebliche Rechtsunsicherheit für dieRechts- und Steuerberatungspraxis, v.a. aber droht er-heblicher Aufwand für die rückwirkende Änderung derRechnungen für 2017. Bundessteuerberaterkammer(BStBK) und BRAK haben dies in einer gemeinsamenStellungnahme vom 12.6.2018 beim Bundesfinanzmi-nisterium moniert. Sie weisen nachdrücklich auf die re-sultierenden Probleme sowie auf weiterhin bestehendeUnklarheiten und Abgrenzungsprobleme hin. Zur Berei-nigung der Problematik fordern die beiden Kammernvom Ministerium eine Nichtbeanstandungsregelung.

SOLDAN MOOT: ENGAGIERTE KOLLEGINNEN UNDKOLLEGEN GESUCHTDer Soldan Moot zur anwaltlichen Berufspraxis (www.soldanmoot.de) geht in seine sechste Runde. Der Wett-bewerb für Jura-Studierende wurde von der Soldan Stif-tung zusammen mit dem Deutschen Juristen-Fakultä-tentag, dem DAV und der BRAK ins Leben gerufen. An-hand eines fiktiven Falls wird ein Zivilprozess simuliert,um den Studierenden frühzeitig einen Einblick in die an-waltliche Tätigkeit zu ermöglichen. Teams juristischerFakultäten aus ganz Deutschland treten in mehrerenVerhandlungen als Kläger oder Beklagte vor einer fikti-ven Zivilkammer des LG Hannover auf. Gesucht werdenengagierte Kolleginnen und Kollegen, die sich als Rich-ter, Juror oder Mentor für ein Team einsetzen. Interes-sierte wenden sich bitte an Rechtsanwältin KristinaTrierweiler ([email protected]).

beA GEHT WIEDER IN BETRIEBAuch im zurückliegenden Berichtszeitraum beschäftigtedas besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) dieBRAK auf vielfältige Weise. Das wichtigste Ergebnis vor-weg: Das beA geht wieder in Betrieb!

BRAK-PRÄSIDENTENKONFERENZ BESCHLIESSTWIEDERINBETRIEBNAHMEDass das beA in zwei Stufen wieder in Betrieb gehen soll,hatte eine außerordentliche Präsidentenkonferenz derBRAK am 27.6.2018 beschlossen (BRAK-PE Nr. 19/2018v. 27.6.2018). In der ersten Stufe soll ab dem 4.7.2018die neue beA Client-Security heruntergeladen werdenund die Erstregistrierung erfolgen können. Als Vorausset-zung dafür legten die Präsidentinnen und Präsidentender 28 Rechtsanwaltskammern fest, dass die Firma secu-net Security Networks AG – die von der BRAK mit der Be-gutachtung der Sicherheit des beA beauftragte IT-Spezia-listin – zuvor die Beseitigung zweier bestimmterSchwachstellen an der beA Client-Security bestätigt. Zum3.9.2018 soll, so der Beschluss weiter, das beA-Systemfreigeschaltet werden. Voraussetzung hierfür ist, dass se-cunet bis dahin die Beseitigung bestimmter Schwachstel-len bestätigt hat. Die übrigen Schwachstellen sollen imlaufenden Betrieb beseitigt werden.

DAS SECUNET-ABSCHLUSSGUTACHTENVorangegangen waren dem Beschluss eingehende Dis-kussionen der Kammerpräsidentinnen und -präsidentenam 27.6.2018 und in einer weiteren außerordentlichenSitzung am 28.5.2018. Dort hatte das BRAK-Präsidiumsie über den Stand der Nachbesserungsarbeiten der Fir-ma Atos am beA-System und über den Stand des secu-net-Gutachtens unterrichtet.

Das Abschlussgutachten lag zunächst in einer Vorver-sion vor, die Vertreter der Firma secunet am 4.6.2018dem BRAK-Präsidium vorstellten. Dabei ergab sich,dass noch einige Erläuterungen und Konkretisierungennotwendig waren (vgl. BRAK-PE Nr. 17/2018 v.5.6.2018), denn das Gutachten sollte – wie im Januarbeschlossen (vgl. BRAK-PE Nr. 2/2018 v. 18.1.2018) –Grundlage für die Entscheidung der BRAK-Präsidenten-konferenz über die Wiederinbetriebnahme des beA seinund musste daher für sie verständlich abgefasst sein.Nachdem die finale Fassung des Gutachtens vorlag, be-rief das BRAK-Präsidium umgehend die Präsidentenkon-ferenz für den 27.6.2018 ein, die dann über die weite-ren Schritte zur Wiederinbetriebnahme des beA zu ent-scheiden hatte.

Im Abschlussgutachten stellt secunet die Ergebnisseder von ihr durchgeführten technischen Analyse undKonzeptprüfung des beA vor und bestätigt das beA alsgeeignetes System zur vertraulichen Kommunikation imelektronischen Rechtsverkehr. Das Verschlüsselungs-konzept biete technisch gesehen hinreichenden Schutzfür die Vertraulichkeit der vom beA übermittelten Nach-richten. In dem Gutachten dargestellte Schwachstellensollen bis zur Wiederinbetriebnahme entsprechend dergutachterlichen Empfehlung beseitigt werden (vgl.BRAK-PE Nr. 18/2018 v. 20.6.2018). Das Gutachten hatdie BRAK auf ihrer Website veröffentlicht.6

6 https://bea.brak.de/sicherheit-im-bea.

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AUS DER ARBEIT DER BRAK

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PHASE 1 GESTARTETDie Firma secunet gab sodann grünes Licht hinsichtlichder beiden vor dem Start der Phase 1 noch zu beheben-den Schwachstellen (BRAK-PE Nr. 20/2018 v. 3.7.2018).Seit dem 4.7.2018 steht die beA Client-Security zumDownload bereit und die Erstregistrierung am beA istfür diejenigen möglich, die sich bisher noch nicht imbeA registriert haben. Informationen rund um den Re-

Start des beA hält die BRAK auf ihrer beA-Website7

7 https://bea.brak.de/.

be-reit; dort sind auch Support-Ansprechpartner für ver-schiedene Bereiche aufgeführt. Unterstützende Infor-mationen bietet auch der regelmäßige beA-Newsletter8

8 https://www.brak.de/bea-newsletter.

der BRAK.

DIE BRAK IN BRÜSSELRECHTSANWÄLTINNEN HANNA PETERSEN, LL.M, UND DOREEN BARCA-CYSIQUE, LL.M., BRAK, BRÜSSEL

Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über dieTätigkeit der BRAK zu europarechtlichen Themen imMai und Juni 2018.

AUSTRITTSVERHANDLUNGEN DER EU MITGROSSBRITANNIENIn ihrer Stellungnahme zu dem Entwurf eines Abkommensüber den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU(BRAK-Stn.-Nr. 22/2018) befasst sich die BRAK mit demStatus des europäischen Anwalts, der unter seiner Her-kunftsbezeichnung im Vereinigten Königreich niedergelas-sen ist, oder dem englischen Anwalt, der unter seiner ur-sprünglichen Berufsbezeichnung in einem EU-Mitglied-staat niedergelassen ist. Sie verlieren nach dem derzeiti-gen Stand des Entwurfes des Abkommens über den Aus-tritt des Vereinigten Königreichs das Recht, weiterhin un-ter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung im Recht desStaates, in dem sie rechtmäßig leben (und damit auch imRecht der Europäischen Union), zu praktizieren.

Die BRAK spricht sich deshalb dafür aus, dass auchkünftig die zum Zeitpunkt des Austritts des VereinigtenKönigreichs aus der EU niedergelassenen Rechtsanwäl-tinnen und Rechtsanwälte unter ihrer Herkunftsbezeich-nung im Vereinigten Königreich oder Anwälte aus demVereinigten Königreich in anderen EU-Mitgliedstaatenunter ihrer Herkunftsbezeichnung tätig sein können, so-fern sie dort auch ihren Wohnsitz haben. Es gelten hierdie gleichen Beschränkungen und Voraussetzungen wiefür die in den Berufsstand des Gastlandes integriertenRechtsanwälte. Die Frage der anwaltlichen Tätigkeitvon Anwälten aus dem Vereinigten Königreich, die sichnach dem Brexit in Deutschland niederlassen wollen,wird von dieser Stellungnahme nicht berührt.

RICHTLINIENVORSCHLAG ÜBER TRANSPARENTE UNDVERLÄSSLICHE ARBEITSBEDINGUNGENIn ihrer Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag übertransparente und verlässliche Arbeitsbedingungen(BRAK-Stn.-Nr. 16/2018) begrüßt die BRAK die mit die-ser Richtlinie verfolgten Ziele, sichere und verlässlicheBeschäftigung bei gleichzeitiger Wahrung einer Anpas-sungsfähigkeit des Arbeitsmarktes zu erreichen und ins-

besondere das Ziel, sowohl für eine verbesserte Trans-parenz der Arbeitsbedingungen als auch eine Stärkungdes Rechtsschutzes zu sorgen, um damit der in atypi-schen Formen der Beschäftigung häufig anzutreffendenInstabilität durch arbeitsrechtliche Mindeststandardsentgegenzuwirken.

Erhebliche Bedenken äußert die BRAK bezüglich dervorgesehenen Vermutungsregel bei fehlender oder un-zureichender Unterrichtung der Beschäftigten über ihreArbeitsbedingungen.

VERORDNUNGSVORSCHLAG ÜBER DAS AUF DIEDRITTWIRKUNG VON FORDERUNGSÜBERTRAGUNGENANZUWENDENDE RECHTDie BRAK begrüßt in ihrer Stellungnahme zum Verord-nungsvorschlag über das auf die Drittwirkung von For-derungsübertragungen anzuwendende Recht (BRAK-Stn.-Nr. 19/2018), dass nunmehr ein Vorschlag für eineEU-Regelung zu der in der ROM I-Verordnung ausge-klammerten Frage vorliegt. In der Sache entsprechen dieRegelungen ganz überwiegend dem aktuellen Stand dergeläufigen IPR-Praxis.

Die BRAK befürwortet insbesondere die Anknüpfung anden „gewöhnlichen Aufenthalt“ des Zedenten anstelledes im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom12.12.2001 verwendeten Hinweises auf das „Recht desStaates, in dem sich der Zedent befindet“. Zur Vermei-dung von Rechtsunsicherheit ist es nach Ansicht derBRAK allerdings erforderlich, die deutsche Fassung derArt. 4 I Unterabs. 2 und Art. 4 IV des Verordnungsvor-schlags an die Erwägungsgründe und an die englischeFassung der Kernartikel anzupassen.

OFFENLEGUNGSPFLICHTEN FÜR INTERMEDIÄRE –RAT VERABSCHIEDET DEN RICHTLINIENVORSCHLAGDer Rat der EU (ECOFIN) hat am 25.5.2018 den Richtli-nienvorschlag zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EUmit Maßnahmen zur Eindämmung grenzüberschreiten-der Steuervermeidungspraktiken angenommen. Einepolitische Einigung hatten der Rat und das EuropäischeParlament bereits im März 2018 gefunden. Zukünftigsollen Intermediäre wie Steuerberater, Buchhalter und

AUS DER ARBEIT DER BRAK

AUS DER ARBEIT DER BRAK BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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Rechtsanwälte, die grenzüberschreitende Steuerpla-nungsmodelle entwerfen und/oder anbieten, verpflich-tet werden, Modelle zu melden, die als potenziell ag-gressiv gelten. Der angenommene Text enthält eine Aus-nahme von der Meldepflicht für Angehörige der Rechts-berufe, wenn sie durch eine Meldung gegen das Berufs-geheimnis verstoßen würden. Der Rechtsanwalt mussin diesem Fall den Steuerpflichtigen über die dann aufihn fallende Meldepflicht unterrichten. Sanktionen sindfür den Fall vorgesehen, dass die Unterrichtung desSteuerpflichtigen nicht erfolgt. Die neuen Meldepflich-ten sollen ab 1.7.2020 anwendbar sein.

DIENSTLEISTUNGSPAKET – VERHÄLTNISMÄSSIGKEITS-RICHTLINIE VERABSCHIEDETDer Rat der EU und das Europäische Parlament haben imJuni 2018 die Richtlinie über eine Verhältnismäßigkeits-prüfung vor dem Erlass neuer Berufsregulierungen verab-schiedet. Mit der Richtlinie wird ein für alle Mitgliedstaa-ten einheitliches Verfahren zur umfassenden und trans-parenten Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Regulie-rungen bezüglich freier Berufe vor ihrem Erlass oder ihrerÄnderung eingeführt. In Art. 1 der Richtlinie wird aus-drücklich festgehalten, dass die Reglementierung der frei-en Berufe in der Zuständigkeit und im Ermessen der Mit-gliedstaaten liegt, sofern die Grundsätze der Nichtdiskri-minierung und Verhältnismäßigkeit eingehalten werden.

Die Endfassung der Richtlinie enthält, wie auch von derBRAK gefordert (BRAK-Stn.-Nr. 26/2017), nicht mehrdas von der Europäischen Kommission vorgeschlagenePrüfungskriterium der wirtschaftlichen Auswirkungeneiner geplanten Maßnahme. Auch die Beteiligung einerunabhängigen Kontrollstelle zur Gewährleistung derUnabhängigkeit und Objektivität der Verhältnismäßig-keitsprüfung wurde letztendlich gestrichen.

GEGENSEITIGE ANERKENNUNG VON SICHERSTEL-LUNGS- UND EINZIEHUNGSENTSCHEIDUNGENAm 20.6.2018 hat der Rat der EU den mit der Europäi-schen Kommission und dem Europäischen Parlamentausgehandelten Kompromisstext zum Verordnungsvor-schlag zur gegenseitigen Anerkennung von Sicherstel-lungs- und Einziehungsentscheidungen angenommen.Der Text sieht nur wenige und sehr streng regulierteAusnahmen der gegenseitigen Anerkennung vor, wiebeispielsweise Grundrechtsverstöße. Die BRAK hattesich in ihrer Stellungnahme (BRAK-Stn.-Nr. 24/2017) ge-gen den Verordnungsvorschlag ausgesprochen, da erdie bestehenden erheblichen Unterschiede zwischenden nationalen rechtlichen Regelungen der Vermögens-abschöpfung marginalisiert und zu gravierenden Wer-tungswidersprüchen und Friktionen innerhalb der zurAnerkennung entsprechender Maßnahmen verpflichte-ten Mitgliedstaaten führen wird.

ANTI-GELDWÄSCHE-RICHTLINIE VERABSCHIEDETAm 14.5.2018 hat der Rat der EU die 5. Anti-Geldwä-sche-Richtlinie formell angenommen. Die Richtliniesieht fünf Neuerungen vor: die Stärkung der Transpa-renz für E-Geldprodukte durch Senkung der Schwellen-beträge, für die keine Identitätsangabe erforderlich ist,die Einbeziehung von Umtausch-Plattformen für virtu-elle Währungen in den Geltungsbereich der 4. Geld-wäsche-Richtlinie, verstärkte Sorgfaltspflichten in Be-zug auf Länder mit hohem Risiko, der Ausbau der Be-fugnisse der zentralen Meldestellen (Financial Intelli-gence Units, FIUs) sowie die Schaffung von mehrTransparenz in Bezug auf wirtschaftliche Eigentümer.Für Anwälte gilt nun, dass die zentralen Meldestellenauch anlasslos Anfragen an eine Anwaltskanzlei sen-den können.

DIE BRAK INTERNATIONALRECHTSANWÄLTINNEN DR. VERONIKA HORRER, LL.M., UND KEI-LIN TING-WINARTO UND RECHTSANWALT RIADKHALIL HASSANAIN, BRAK, BERLIN

Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über dieTätigkeit der BRAK im internationalen Bereich im Maiund Juni 2018.

RECHTSANWALTSAUSTAUSCH CHINA – DEUTSCHLANDVom 27.5. bis 2.6.2018 fand in Dresden das neunte Se-minar im Rahmen des Rechtsanwaltsaustausches Chi-na – Deutschland statt. Die BRAK führt gemeinsam mitder Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusam-menarbeit GmbH sowie der All China Lawyers Associa-tion seit 2015 den Rechtsanwaltsaustausch durch. DasProjekt wird vornehmlich durch die Robert Bosch Stif-tung finanziert.

Das Seminar fand schwerpunktmäßig zu den Themen„Umweltrecht“ sowie das „Anwaltliche Berufsrecht“statt. Flankiert wurde das fachliche Programm von Be-suchen relevanter Institutionen und Gesprächen mit de-ren Repräsentanten. Unter anderem besuchte die Dele-gation das BVerwG in Leipzig und wurde dort vom Prä-sidenten Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Rennert empfangen.Danach nahm sich der Richter am BVerwG MartinSteinkühler Zeit, um die Behandlung von Großverfahrenmit umweltrechtlichen Bezügen zu diskutieren und an-schließend durch das sehr beeindruckende Gebäudedes BVerwG zu führen. Zudem fand ein Gespräch mitProf. Dr. Martin Schulte am Institut für Technik- und Um-

AUS DER ARBEIT DER BRAK

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AUS DER ARBEIT DER BRAK

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weltrecht statt. Er diskutierte mit den Kolleginnen undKollegen die Verbandsklage im Umweltrecht und dieÖffentlichkeitsbeteiligung im Planungsrecht (insbeson-dere beim Netzausbau für die erneuerbaren Energien).

Das nächste Seminar wird vom 2. bis 9.12.2018 in derProvinz Guangxi in China zu den Themen „Verwaltungs-recht mit dem Schwerpunkt Umweltrecht“ sowie „An-waltliches Berufsrecht“ stattfinden. Hierfür sucht dieBRAK noch interessierte Teilnehmerinnen und Teilneh-mer. Einzelheiten zur Ausschreibung können unterhttps://www.brak.de/ abgerufen werden. Die Bewer-bungsfrist endet am 31.8.2018.

BERUFSRECHTLICHES SEMINAR MIT DERBULGARISCHEN ANWALTSKAMMERAm 13.6.2018 führte die BRAK in Zusammenarbeit mitder Nationalen Bulgarischen Rechtsanwaltskammerund der Anwaltskammer von Varna ein Seminar zumanwaltlichen Berufsrecht durch. Die BRAK wurde vertre-ten durch den Präsidenten der RAK Brandenburg,Dr. Frank Engelmann, die Schlichterin der Schlichtungs-stelle der Rechtsanwaltschaft, Monika Nöhre, und daszuständige Mitglied der Geschäftsführung. Themen desSeminars waren das anwaltliche Berufsrecht inDeutschland, die Tätigkeit der europäischen Rechtsan-wälte in Deutschland, das Gerichtssystem und die Ge-richtsmediation in Deutschland sowie die Schlichtungs-stelle der Rechtsanwaltschaft. An der Veranstaltungnahmen ca. 60 bulgarische Rechtsanwältinnen undRechtsanwälte teil. Der Präsident des Obersten Ge-richts von Varna, Marin Marinov, empfing die deutscheDelegation am 12.6.2018 in seinem Büro. Er erklärtedie Zusammensetzung seines Gerichts und das Verfah-

ren der Richterauswahl und sprach über die Grundzügedes richterlichen Berufsrechts in Bulgarien.

AKTIVITÄTEN BETREFFEND NORDAFRIKAAnfang Mai diesen Jahres hat das zuständige Mitgliedder Geschäftsführung mit den für Tunesien, Algerienund Marokko zuständigen Mitarbeitern des Auswärti-gen Amtes erste Gespräche geführt und die begonneneTätigkeit der BRAK in Nordafrika vorgestellt. Diese stießbei den Mitarbeitern auf eine sehr positive Resonanz,zumal bei justizbezogenen Projekten der Ministerien inNordafrika in der Vergangenheit die Förderung staat-licher Strukturen im Mittelpunkt stand und die Stärkungder Anwaltschaft vernachlässigt worden ist.

Der Botschafter von Tunesien in Berlin, S.E. Ahmed Cha-fra, hat das zuständige Mitglied der Geschäftsführungpersönlich in der Tunesischen Botschaft in Berlin emp-fangen. Auch empfing der Konsul der Algerischen Bot-schaft, Adda Hadj-Chaib, das zuständige Mitglied derGeschäftsführung in Berlin. Bei dem Gespräch ging esvor allem um die Vorstellung der Tätigkeit der BRAK inNordafrika sowie speziell in Algerien um Fragen der er-leichterten Einreise. Ferner konnte die Zusammenarbeitmit der Stiftung für internationale rechtliche Zusam-menarbeit (IRZ) e.V. weiter ausgebaut werden. So konn-te im Juni dieses Jahres am Hauptsitz der IRZ e.V. inBonn-Bad Godesberg ein gemeinsames Strategiepapierausgearbeitet werden, welches zukünftige gemeinsameVeranstaltungen von BRAK und IRZ e.V. in Nordafrikadefiniert. Wie auch in den übrigen internationalen Tä-tigkeitsfeldern der BRAK wird hierbei eine weitgehendefinanzielle Förderung durch Drittmittel anvisiert (s. auchKhalil Hassanain, BRAK-Magazin 4/2018, 14).

ERRATUMIm Beitrag von Witte (BRAK-Mitt. 2018, 141) muss es richtig heißen: „11 Kammern verzeichneten einen Zuwachs“(nicht: 13 Kammern).

AMTLICHE BEKANNTMACHUNGENBESCHLÜSSE DER 6. SITZUNG DER 6. SATZUNGSVERSAMMLUNG BEIDER BUNDESRECHTSANWALTSKAMMER AM 16.4.2018 IN BERLIN

Beschlüsse zur Berufsordnung

§ 2 BORA wird wie folgt geändert:

§ 2 III lit. c erhält folgende Fassung:

c) im Rahmen der Arbeitsabläufe der Kanzlei, die außer-halb des Anwendungsbereichs des § 43e Bundesrechts-anwaltsordnung liegen, objektiv einer üblichen, von der

Allgemeinheit gebilligten Verhaltensweise im sozialenLeben entspricht (Sozialadäquanz).

§ 2 IV bis § 2 VI werden gestrichen.

§ 2 VII wird zu § 2 IV in folgender Fassung:

(4) Die Verschwiegenheitspflicht gebietet es dem Rechts-anwalt, die zum Schutze des Mandatsgeheimnisses er-

AMTLICHE BEKANNTMACHUNGEN BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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forderlichen organisatorischen und technischen Maß-nahmen zu ergreifen, die risikoadäquat und für den An-waltsberuf zumutbar sind. Technische Maßnahmen sindhierzu ausreichend, soweit sie im Falle der Anwendbar-keit der Vorschriften zum Schutz personenbezogenerDaten deren Anforderungen entsprechen. Sonstigetechnische Maßnahmen müssen ebenfalls dem Standder Technik entsprechen. Abs. 3 lit. c) bleibt hiervon un-berührt.

§ 2 VIII wird zu § 2 V in folgender Fassung:

Die Vorschriften zum Schutz personenbezogener Datenbleiben unberührt.

§ 3 BORA wird wie folgt geändert:

§ 3 I 1 BORA erhält folgende Fassung:

Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er eineandere Partei in derselben Rechtssache im widerstrei-tenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat

oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sin-ne des § 45 Bundesrechtsanwaltsordnung beruflich be-fasst war.

AusfertigungDie vorstehenden Beschlüsse werden hiermit ausgefer-tigt.

Berlin, 24.4.2018gez. Ekkehart SchäferVorsitzender derSatzungsversammlung

Markt Diedorf, 26.4.2018gez. Anne RiethmüllerSchriftführerin

Mit Schreiben vom 30.5.2018 teilte das Bundesministe-riums der Justiz und für Verbraucherschutz mit, dassdie Beschlüsse gem. § 191e der Bundesrechtsanwalts-ordnung geprüft wurden und rechtlich nicht zu bean-standen sind.

In-Kraft-TretenDie Änderungen treten am 1.11.2018 in Kraft.

SITZUNG DER SATZUNGSVERSAMMLUNG

Die 7. Sitzung der 6. Satzungsversammlung findet am 26.11.2018 in Berlin statt.

BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNGBERUFSRECHTE UND PFLICHTEN*LEITSATZ DER REDAKTION (ORIENTIERUNGSSATZ)

KEINE BESCHWERDEBEFUGNIS EINZELNERANWÄLTE BEI KANZLEIDURCHSUCHUNG

GG Art. 2 I, 2 I i.V.m. 1 I, 2 I i.V.m. Art. 20 III, 13 I, 14 I;BVerfGG §§ 23, 90 I, 92, 93a II; StPO §§ 97 I Nr. 3,103, 110, 160a; BDSG § 46 Nr. 1

* 1. Angestellte Rechtsanwälte oder einzelne Part-ner einer Rechtsanwaltskanzlei sind in Bezug auf dieGeschäftsräume der Kanzlei nicht Träger des Grund-rechts aus Art. 13 I GG; dieses steht nur der Sozietätbzw. allen Partnern gemeinschaftlich zu.* 2. Die Durchsuchung und Sicherstellung von Datenaus internen Ermittlungen, die ausschließlich auf-grund des Mandatsverhältnisses zusammengetra-gen oder erstellt wurden, betrifft die mit den inter-nen Ermittlungen befassten Rechtsanwälte nicht inihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestim-mung.

* 3. Die Sicherstellung mandatsbezogener Gegen-stände betrifft die mit der Bearbeitung eines Man-dats befassten angestellten Rechtsanwälte bzw. ein-zelnen Partner einer Sozietät nicht in ihrem Grund-recht aus Art. 14 I GG, sofern die Gegenstände al-lein im Eigentum der Sozietät stehen.BVerfG, Beschl. v. 27.6.2018 – 2 BvR 1562/17

Volltext unter www.brak-mitteilungen.de

KEINE GRUNDRECHTSFÄHIGKEIT EINERINTERNATIONALEN ANWALTSKANZLEI

GG Art. 19 III; BVerfGG §§ 23, 90 I, 92, 93a II; StPO§§ 97 I Nr. 3, 103, 110, 160a

* 1. Eine internationale Rechtsanwaltskanzlei in derRechtsform einer Partnership nach dem Recht desUS-Bundesstaats Ohio, deren Hauptverwaltungssitz

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG

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sich nicht in Deutschland oder in einem anderenMitgliedstaat der Europäischen Union befindet, istnicht Trägerin von Grundrechten, da sie keine inlän-dische juristische Person i.S.v. Art. 19 III GG ist.* 2. Einer ausländischen juristischen Person, derenrechtlich unselbstständige inländische Standortevon hoheitlichen Eingriffen betroffen sind, kann eineBerufung auf materielle Grundrechte ausnahmswei-se zugebilligt werden, wenn ihre inländischen Stand-orte organisatorisch eigenständig sind und sichdort der Mittelpunkt der inländischen Tätigkeit derjuristischen Person befindet.BVerfG, Beschl. v. 27.6.2018 – 2 BvR 1287/17, 2 BvR 1583/17

Volltext unter www.brak-mitteilungen.de

RECHTMÄSSIGE DURCHSUCHUNG EINERINTERNATIONALEN ANWALTSKANZLEI

GG Art. 2 I i.V.m. 1 I, 2 I i.V.m. Art. 20 III; BVerfGG § 93 II;StPO §§ 97 I Nr. 3, 103, 110, 160a I 1

* 1. Das Beweiserhebungsverbot nach § 160a I 1StPO, nach dem eine Ermittlungsmaßnahme unzu-lässig ist, die sich gegen einen Rechtsanwalt richtetund voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würde,über die dieser das Zeugnis verweigern dürfte, ist imBereich der Beschlagnahme bzw. der dieser voraus-gehenden Sicherstellung zur Durchsicht nicht an-wendbar; § 97 StPO ist insoweit vorranging.* 2. Ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 I Nr. 3StPO besteht nur im Rahmen des Vertrauensverhält-nisses zwischen einem Berufsgeheimnisträger unddem in einem konkreten Ermittlungsverfahren Be-schuldigten.* 3. Von Verfassungs wegen ist es nicht geboten,eine beschuldigtenähnliche Stellung einer juristi-schen Person, die einen Beschlagnahmeschutz aus§ 97 I StPO nach sich zieht, bereits dann anzuneh-men, wenn diese ein künftiges gegen sich gerichte-tes Ermittlungsverfahren lediglich befürchtet undsich vor diesem Hintergrund anwaltlich beratenlässt oder eine unternehmensinterne Untersuchungin Auftrag gibt.* 4. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Si-cherstellung von Unterlagen in einer Rechtsanwalts-kanzlei ist auch zu berücksichtigen, ob zwischendem von der Sicherstellung betroffenen Mandantenund der Kanzlei eine üblicherweise das Rechtsan-walt-Mandanten-Verhältnis bzw. das Verteidigungs-verhältnis kennzeichnende besondere Vertrauens-beziehung besteht; bei unabhängig geführten inter-nen Untersuchungen ist dies nicht der Fall.BVerfG, Beschl. v. 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17

ZUM SACHVERHALT:

Aus Anlass eines in den USA geführten strafrechtlichenErmittlungsverfahrens wegen Abgasmanipulationen an

Diesel-Pkw mandatierte die Volkswagen AG im Septem-ber 2015 die internationale Rechtsanwaltskanzlei JonesDay mit internen Ermittlungen, rechtlicher Beratung so-wie mit Vertretung gegenüber US-amerikanischen Straf-verfolgungsbehörden. Die Anwälte von Jones Day, u.a.aus deren Münchener Büro, sichteten zahlreiche Doku-mente und führten zahlreiche Befragungen innerhalbdes VW-Konzerns durch.

Die StA München II ermittelte wegen des Verdachts desBetrugs und strafbarer Werbung im Zusammenhangmit 3,0-Liter-Dieselmotoren der Audi AG, einer Tochterder Volkswagen AG, die der Kanzlei Jones Day selbstkein Mandat erteilt hatte. Später leitete die StA Mün-chen II auch ein Bußgeldverfahren gem. § 30 OWiG ge-gen die Audi AG ein. Die StA Braunschweig führt einweiteres Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit2,0-Liter-Dieselmotoren der Bf. gegen mehrere Beschul-digte. Das AG München ordnete am 6.3.2017 auf An-trag der StA München II die Durchsuchung der Mün-chener Geschäftsräume der Kanzlei Jones Day an. Beider Durchsuchung am 15.3.2017 wurden 185 Akten-ordner sowie umfangreiche elektronische Daten mitden Ergebnissen der internen Ermittlungen sicherge-stellt. Mit Entscheidungen v. 21./29.3.2017 bestätigtedas AG München die Sicherstellung auf den Wider-spruch der Kanzlei Jones Day.

Die gegen die Durchsuchungsanordnung und die Be-stätigung der Sicherstellung erhobenen Beschwerdender VW AG (wie auch der Kanzlei Jones Day und derdrei betroffenen Rechtsanwälte der Kanzlei Jones Day)blieben erfolglos: Das AG München half den Beschwer-den nicht ab; das LG München I verwarf die Beschwer-de der Bf. (ebenso wie die der Kanzlei Jones Day undder drei Rechtsanwälte). Auch die hiergegen erhobeneAnhörungsrüge der Bf. hatte keinen Erfolg. Auch die ge-gen die Bestätigung der Sicherstellung durch das AGMünchen gerichtete Beschwerde der Bf. hatte keinenErfolg. Das AG München half der Beschwerde nicht ab;das LG München I verwarf die Beschwerde. Hiergegenwandte sich die VW AG (ebenso wie die Kanzlei JonesDay) mit einer auf die Durchsuchungsanordnung undeiner auf die Bestätigung der Sicherstellung bezogenenVerfassungsbeschwerde; die drei betroffenen Rechtsan-wälte wandten sich gegen beide Maßnahmen mit einergemeinsamen Verfassungsbeschwerde. Die beiden Ver-fassungsbeschwerden der VW AG wurden zur gemein-samen Entscheidung verbunden.

AUS DEN GRÜNDEN:

[58] B. Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zurEntscheidung angenommen. Ihnen kommt wedergrundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu,noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechteder Bf. angezeigt (§ 93a II BVerfGG). Sie sind in Bezugauf den Durchsuchungsbeschluss des AG München v.6.3.2017 und die darauf folgende Beschwerdeent-scheidung des LG München I v. 8.5.2017 unzulässig;im Übrigen sind sie jedenfalls unbegründet, da die Bf.weder in ihrem Recht auf informationelle Selbstbe-

BERUFSRECHTE UND PFLICHTEN

BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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stimmung aus Art. 2 I GG noch in ihrem Recht auf einfaires Verfahren aus Art. 2 I i.V.m. Art. 20 III GG verletztist.[59] I. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Durchsu-chungsbeschluss des AG v. 6.3.2017 und die nachfol-gende Beschwerdeentscheidung des LG v. 8.5.2017 istmangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Von demmit der Durchsuchung verbundenen Eingriff in das

Kein Rechtsschutz-bedürfnis

Grundrecht aus Art. 13 GGist die Bf. nicht unmittelbarbetroffen, weil nicht ihreGeschäftsräume, sondern

die Kanzleiräume ihrer Rechtsanwälte durchsucht wor-den sind. Soweit der Durchsuchungsbeschluss dieGrundlage für die Sichtung der bei der Durchsuchungaufgefundenen Papiere und Dateien und für die vorläu-fige Sicherstellung dieser Unterlagen zum Zwecke derDurchsicht gem. § 110 StPO bildet (vgl. BVerfGK 1, 126,133; BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Zweiten Senatsv. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, Rn. 50), kann offenblei-ben, ob die Bf. durch diesen Beschluss unmittelbar inihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmungoder in ihrem Recht auf ein faires Verfahren betroffenworden ist. Insoweit ist der Beschluss jedenfalls im We-ge der nachfolgenden Bestätigung der Sicherstellunggem. § 98 II 2 StPO analog durch die Beschlüsse desAG v. 21. und 29.3.2017, die als Grundlage des Sich-tungsverfahrens an die Stelle des Durchsuchungsbe-schlusses getreten sind, prozessual überholt. Ein recht-lich geschütztes Interesse der Bf. an der verfassungs-rechtlichen Prüfung des Durchsuchungsbeschlusses istdaher nicht mehr ersichtlich (vgl. BVerfGE 139, 245,263 Rn. 52).[60] II. Soweit sich die Bf. gegen die Beschlüsse des AG v.21. und 29.3.2017 und die nachfolgende Beschwerde-entscheidung des LG v. 7.7.2017 wendet, mit denen dieSicherstellung von bei der Durchsuchung aufgefundenenSchriftstücken und Dateien durch die StA richterlich be-stätigt worden ist, ist die Bf. durch die angegriffenen Ent-scheidungen in ihrem Grundrecht auf informationelleSelbstbestimmung betroffen (1.). Der Grundrechtsein-griff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt (2.).[61] 1.a) Das Recht auf informationelle Selbstbestim-mung umfasst den Schutz des Einzelnen gegen unbe-grenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Wei-tergabe seiner persönlichen Daten. Es gewährleistet dieBefugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über diePreisgabe und Verwendung seiner persönlichen Datenzu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1, 43; 120, 274, 312;130, 151, 183; 142, 234, 251 Rn. 30; st. Rspr). Auch ju-ristische Personen können Träger des Grundrechts aufinformationelle Selbstbestimmung sein, das seine ver-fassungsrechtliche Grundlage in Art. 2 I GG findet (vgl.BVerfGE 118, 168, 203). Eine grundrechtlich erheblicheGefährdungslage besteht jedoch nicht schon immerdeshalb, weil eine staatliche Stelle Kenntnisse erlangt,die einen Bezug zu einer bestimmten juristischen Per-son und ihrer Tätigkeit aufweisen. Die informationelleMaßnahme muss vielmehr die betroffene juristische

Person einer Gefährdung hinsichtlich ihrer spezifischenFreiheitsausübung aussetzen. Maßgeblich kommt esdabei insbesondere auf die Bedeutung der betroffenenInformationen für den grundrechtlich geschützten Tä-tigkeitskreis der juristischen Person sowie auf denZweck und die möglichen Folgen der Maßnahme an(vgl. BVerfGE 118, 168, 204).

[62] b) Nach diesen Maßgaben liegt ein Eingriff in dasRecht der Bf. auf informationelle Selbstbestimmungdurch die Bestätigung der vorläufigen Sicherstellung ana-log § 98 II 2 StPO v. 29.3.2017 bzw. bereits die vorange-gangene Bestätigungsentscheidung v. 21.3.2017 vor.

[63] Dabei ist die Bf. hinsichtlich der Unterlagen undDaten, die die Rechtsanwälte der Kanzlei Jones Day imZuge der internen Ermittlungen zusammengetragenund erstellt haben, als Berechtigte anzusehen, da siediese Ermittlungen in Auftrag gegeben hat (vgl.BVerfGE 113, 29, 46 f.). Dies gilt auch für Informatio-nen, die überwiegend oder ausschließlich Vorgänge beiTochtergesellschaften der Bf. betreffen.

[64] Die Durchsicht der Daten und eine etwaig darananknüpfende Verwendung für weitere Ermittlungen sindgeeignet, die Bf. in ihrer spezifischen Freiheitsaus-übung, nämlich in ihrer wirtschaftlichen Betätigung, zugefährden. So könnten Erkenntnisse aus den sicherge-stellten Unterlagen und Daten nach einer anschließen-den Beschlagnahme beispielsweise durch Einführung ineine mögliche gegen Mitarbeiter der Bf. oder ihrer Toch-tergesellschaften geführte Hauptverhandlung oder in-folge einer Akteneinsicht durch Verletzte an das Lichtder Öffentlichkeit gelangen. Dadurch können Betriebs-und Geschäftsgeheimnisse bekannt werden oder diewirtschaftliche Betätigung der Bf. beeinträchtigendeRufschädigungen hervorgerufen werden.

[65] 2. Der Eingriff in das Recht auf informationelle

Eingriff gerechtfertigtSelbstbestimmung ist ver-fassungsrechtlich gerecht-fertigt.

[66] a) Beschränkungen des Art. 2 I GG bedürfen einergesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzun-gen und der Umfang der Beschränkungen klar und fürden Bürger erkennbar ergeben müssen (vgl. BVerfGE113, 29, 50).

[67] Darüber hinaus setzt insbesondere im Strafpro-zessrecht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz demstaatlichen Handeln Grenzen (vgl. BVerfGE 113, 29,52 f.). Durchsuchung und vorläufige Sicherstellung zumZwecke der Durchsicht müssen nicht nur hinsichtlichdes gesetzlichen Strafverfolgungszwecks erfolgverspre-chend sein. Vor allem muss gerade die zu überprüfendeZwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung derStraftat erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wennandere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügungstehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in einemangemessenen Verhältnis zu der Schwere der Straftatund der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE96, 44, 51; 113, 29, 53).

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[68] Bei der insoweit gebotenen Abwägung ist auf dereinen Seite das staatliche Interesse an einer wirksamenStrafverfolgung zu berücksichtigen. Die Sicherung desRechtsfriedens durch Strafrecht ist seit jeher eine wichti-ge Aufgabe staatlicher Gewalt. Die Aufklärung vonStraftaten, die Ermittlung des Täters, die Feststellungseiner Schuld und seine Bestrafung wie auch der Frei-spruch des Unschuldigen sind die wesentlichen Aufga-ben der Strafrechtspflege, die zum Schutz der Bürgerden staatlichen Strafanspruch in einem justizförmigenund auf die Ermittlung der Wahrheit ausgerichtetenVerfahren in gleichförmiger Weise durchsetzen soll (vgl.BVerfGE 107, 104, 118 f.; 113, 29, 54). Auf der anderenSeite stehen hier das Recht der Bf., grundsätzlich selbstüber die Weitergabe der in ihrem Auftrag gesammeltenund erstellten Unterlagen und Daten zu bestimmen, so-wie die Nachteile, die ihr durch den Datenzugriff derStrafverfolgungsbehörden entstehen oder drohen. Da-neben darf auch die Möglichkeit einer Gefährdung desrechtlich geschützten Vertrauensverhältnisses zwischenRechtsanwalt und Mandant und insbesondere der auchim öffentlichen Interesse liegenden Vertraulichkeit derKommunikation innerhalb dieses Verhältnisses (vgl.BVerfGE 113, 29, 54 f.) grundsätzlich nicht außer Achtgelassen werden.

[69] b) Gerichtliche Entscheidungen unterliegen nichteiner unbeschränkten tatsächlichen und rechtlichenNachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht imHinblick auf die Richtigkeit der Tatsachenfeststellungenund auf die Ordnungsmäßigkeit der Rechtsanwendung.Die Gestaltung des Strafverfahrens, die Auslegung derVorschriften des Straf- und Strafprozessrechts sowie ih-re Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sacheder dafür zuständigen Fachgerichte und der verfas-sungsgerichtlichen Nachprüfung entzogen, soweit nichtWillkür vorliegt oder spezifisches Verfassungsrecht ver-letzt ist (vgl. BVerfGE 18, 85, 92 f.; 34, 369, 379).

[70] Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter kei-nem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sichdaher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremdenErwägungen beruht. Willkür liegt danach erst dann vor,wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht be-rücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Wei-se missverstanden wird. Von einer willkürlichen Miss-deutung kann jedoch nicht gesprochen werden, wenndas Gericht sich mit der Rechtslage eingehend ausei-nandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sach-lichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273, 278 f.;96, 189, 203).

[71] Eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechtssetzt voraus, dass ein etwaiger Fehler der Fachgerichtegerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegt.Das ist in der Regel erst dann der Fall, wenn ein Fehlersichtbar wird, der auf einer grundsätzlich unrichtigenAnschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, ins-besondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruht,oder wenn eine fehlerhafte Rechtsanwendung bei ver-ständiger Würdigung der das Grundgesetz beherr-schenden Gedanken nicht mehr verständlich ist (vgl.

BVerfGE 18, 85, 92 f.; 56, 247, 248; 62, 189, 192 f.; 95,96, 128; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des ErstenSenats v. 10.12.2010 – 1 BvR 1739/04, Rn. 19). Aufeiner grundsätzlich unrichtigen Anschauung des Grund-rechts aus Art. 2 I GG beruhen gerichtliche Entschei-dungen, wenn sie dessen Schutzgehalt unbeachtet ge-lassen oder ihn nicht in einen angemessenen Ausgleichmit dem öffentlichen Interesse an einer möglichst voll-ständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren undeiner wirksamen Strafverfolgung gebracht haben. Indiesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dassArt. 2 I GG auch juristischen Personen die Befugnis ge-währleistet, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wannund innerhalb welcher Grenzen ihre individuellen Datenoffenbart werden. Es ist in den Blick zu nehmen, inwie-weit der Datenzugriff den Interessen der juristischenPerson zuwiderläuft und ihr dadurch Nachteile entste-hen oder drohen (vgl. BVerfGE 118, 168, 197; vgl. auchBVerfGE 100, 313, 376 zu Art. 10 GG).[72] c) Nach diesen Maßgaben sind die angegriffenenEntscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu bean-standen. Der mit der Sicherstellung der bei der Durch-suchung vorgefundenen Unterlagen und Daten zumZwecke der Durchsicht verbundene Eingriff in das Rechtder Bf. auf informationelle Selbstbestimmung findet

§ 110 StPOseine Rechtsgrundlage in§ 110 StPO. Gegen die Aus-legung und Anwendung

dieser Vorschrift durch die Fachgerichte ist verfassungs-rechtlich nichts zu erinnern. Es verstößt nicht gegen Ver-fassungsrecht, dass die Fachgerichte das Beweiserhe-bungsverbot aus § 160a I 1 StPO im Bereich der Be-schlagnahme (§ 94 StPO) beziehungsweise der dieservorausgehenden Sicherstellung zur Durchsicht nicht füranwendbar gehalten (aa) und § 97 I Nr. 3 StPO dahinausgelegt haben, dass ein Beschlagnahmeverbot nachdieser Vorschrift nur im Rahmen des Vertrauensverhält-nisses zwischen einem Berufsgeheimnisträger und demim konkreten Ermittlungsverfahren Beschuldigten be-steht (bb). Auch haben die Fachgerichte auf dieserGrundlage die Anwendbarkeit von § 97 I StPO wederwillkürlich noch unter Verkennung des Grundrechts derBf. aus Art. 2 I GG abgelehnt (cc) und den Grundsatzder Verhältnismäßigkeit gewahrt (dd).[73] aa) Es verstößt nicht gegen Verfassungsrecht,dass die Fachgerichte § 160a I 1 StPO, nach dem eineErmittlungsmaßnahme unzulässig ist, die sich gegeneinen Rechtsanwalt richtet und voraussichtlich Er-kenntnisse erbringen würde, über die dieser das Zeug-nis verweigern dürfte, im Bereich der Beschlagnahmebeziehungsweise der dieser vorausgehenden Sicher-stellung zur Durchsicht nicht für anwendbar gehaltenhaben.[74] (1) Die angegriffenen Entscheidungen folgen der

§ 97 StPO = Spezial-regelung fürBeschlagnahmen

herrschenden Ansicht inRechtsprechung und Litera-tur, nach der § 97 StPOeine Spezialregelung fürBeschlagnahmen darstellt,

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die § 160a I 1 StPO grundsätzlich verdrängt. Die An-sicht stützt sich auf § 160a V StPO, wonach die §§ 97,100c VI und 100g IV StPO unberührt bleiben. Der Ge-setzgeber habe mit § 160a StPO unter uneingeschränk-ter Beibehaltung der Sonderregelungen für Beschlag-nahmeverbote in § 97 StPO eine Regelung für alle an-deren Ermittlungsmaßnahmen schaffen wollen. Die Zu-lässigkeit von Beschlagnahmen bei Berufsgeheimnisträ-gern sei deshalb allein an § 97 StPO zu messen, undzwar auch dann, wenn dieser ein niedrigeres Schutzni-veau vorsehe (vgl. LG Mannheim, Beschl. v. 3.7.2017 –24 Qs 1/12 u.a., Rn. 133-160; LG Bochum, Beschl. v.16.3.2017 – II-6 Qs 1/16, NStZ 2016, 500, 502; LGHamburg, Beschl. v. 15.10.2010 – 608 Qs 18/10,NZWiSt 2012, 26, 28; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 160a Rn. 17; Gries-baum, in: Karlsruher Kommentar StPO, 7. Aufl. 2013,§ 160a Rn. 21; Wolter/Greco, in: SK-StPO, 5. Aufl.2016, § 160a Rn. 48a; Kölbel, in: Münchener Kommen-tar StPO, 1. Aufl. 2016, § 160a Rn. 8; Erb, in Löwe/Ro-senberg, StPO, 26. Aufl. 2014, § 160a Rn. 53 ff.; dersel-be, in: FS Hans-Heiner Kühne, 2013, 171 ff.; Jahn/Kirsch, NStZ 2012, 718 f.; Schneider, NStZ 2016, 309,310; Oesterle, Die Beschlagnahme anwaltlicher Unter-lagen und ihre Bedeutung für die Compliance-Organi-sation von Unternehmen, 2016, 187 ff.; a.A. etwaSchuster, NZWiSt 2012, 431, 432; Bertheau, StV 2012,303, 306).[75] Für die herrschende Ansicht sprechen Wortlautund Entstehungsgeschichte von § 160a StPO. Nachder Vorstellung des Gesetzgebers sollten die im gelten-den Recht speziell normierten besonderen Erhebungs-verbote im Bereich der Beschlagnahme und der akusti-schen Wohnraumüberwachung unberührt bleiben,§ 160a StPO – im Gesetzesentwurf noch als § 53b be-zeichnet –, zugunsten dieser speziellen Regelungenmithin keine Anwendung finden (vgl. BT-Drs. 16/5846,25 f. u. 38). Auch nach der Gesetzessystematik muss§ 97 StPO als Spezialvorschrift betrachtet werden, weildessen engere und ausdifferenzierte Regelungen an-dernfalls durch einen Rückgriff auf § 160a I 1 StPOausgehebelt würden. Das Gesetz zur Stärkung desSchutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwäl-ten im Strafprozessrecht v. 22.12.2010 (BGBl. 2010 I2261) hat daran nichts geändert. Wie sich aus den Ge-setzesmaterialien ergibt, beschränkte sich die Neure-gelung darauf, den Anwendungsbereich des § 160a I 1StPO auf Rechtsanwälte zu erstrecken, ohne die Geset-zessystematik im Übrigen anzutasten (vgl. BT-Drs. 17/2637, 1 und 6 f.).

[76] (2) Aus dem in § 160a V StPO angeordneten Vor-rang von § 97 StPO wird zugleich gefolgert, dass§ 160a I 1 StPO der Durchführung von Durchsuchun-gen bei Rechtsanwälten nicht entgegensteht, soweitdiese auf nach § 97 StPO zulässige Beschlagnahmenabzielen. Eine andere Auslegung des § 160a I 1 StPOsei methodisch unzulässig, weil sie die nach § 97 StPOgestatteten Möglichkeiten der Beweisgewinnung, dienach § 160a V StPO „unberührt“ bleiben sollten, de fac-

to unmöglich machen und damit das differenzierte Re-gelungsgefüge zwischen § 97 StPO und § 160a StPOzerstören würde (vgl. nur Erb, in Löwe-Rosenberg, StPO,26. Aufl. 2014, § 160a Rn. 62 ff.; ders., in: FS Hans-Hei-ner Kühne, 2013, 171, 177 f.; a.A. etwa Schuster,NZWiSt 2012, 431, 432; vgl. auch Siegrist, wistra 2010,427, 430; Szesny, CCZ 2017, 25, 28 f.).

[77] (3) Vor diesem Hintergrund und angesichts derumfassenden und sorgfältigen Begründung des LGMünchen I in seiner Beschwerdeentscheidung v.8.5.2017 kann insoweit eine willkürliche Rechtsanwen-dung nicht festgestellt werden.

[78] (4) Es ist auch von Verfassungs wegen nicht gebo-ten, den absoluten Schutz des § 160a I 1 StPO auf denBereich der Durchsuchungen einschließlich der vorläufi-gen Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht und aufBeschlagnahmen von Mandantenunterlagen einesRechtsanwalts auszudehnen. Die Normierung eines ab-soluten Beweiserhebungs- und -verwendungsverbotes in

Effektivität derStrafverfolgung

§ 160a I StPO beschränktdie verfassungsrechtlich ge-botene Effektivität der Straf-verfolgung (vgl. hierzu

BVerfGE 29, 183, 194; 77, 65, 76; 80, 367, 375; 100,313, 388 f.; 107, 299, 316; 122, 248, 272 f.; 129, 208,260; 133, 168, 199 Rn. 57; 139, 245, 267 Rn. 63) in er-heblichem Maße, weil sie in Anknüpfung an die Zugehö-rigkeit zu bestimmten Berufsgruppen Ermittlungsmaß-nahmen von vornherein untersagt und jede Verwen-dung dennoch erlangter Erkenntnisse unterbindet. Der-artige absolute Verbote können nach der Rechtspre-chung des Bundesverfassungsgerichts nur in engenAusnahmefällen zum Tragen kommen, insbesonderewenn eine Ermittlungsmaßnahme mit einem Eingriff inden Schutzbereich der Menschenwürde verbunden wä-re, die jeder Abwägung von vornherein unzugänglichist. Nur in solchen Fällen ist es zulässig – und unter Um-ständen auch verfassungsrechtlich geboten –, bereitseine Beweiserhebung generell zu untersagen und jedeVerwendung gleichwohl erlangter Erkenntnisse auszu-schließen (vgl. BVerfGE 129, 208, 262 f.). DerartigeGründe sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Zwarmag das Verhältnis zwischen Verteidiger und Beschul-digtem typischerweise Bezüge zur Menschenwürdega-rantie aufweisen (vgl. BVerfGE 129, 208, 264). Demträgt die Regelung des Beschlagnahmeverbots in § 97StPO jedoch ausreichend Rechnung. Darüber hinaus isteine Ausdehnung des absoluten Schutzes des § 160a I1 StPO auch auf sonstige anwaltliche Tätigkeiten nichtgeboten. Allein die Stellung des Rechtsanwalts als un-abhängiges Organ der Rechtspflege und seine Teilnah-me an der Verwirklichung des Rechtsstaates rechtferti-gen einen Verzicht auf Beschlagnahmen über den An-wendungsbereich von § 97 StPO hinaus nicht (vgl. allg.zum Verzicht auf Ermittlungsmaßnahmen BVerfGE 129,208, 264).

[79] bb) Soweit die Fachgerichte davon ausgegangensind, § 97 I Nr. 3 StPO begründe ebenso wie § 97 I

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG

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Nr. 1 und 2 StPO ein Beschlagnahmeverbot nur im Rah-men eines Vertrauensverhältnisses zwischen einem Be-rufsgeheimnisträger und dem im konkreten Ermitt-lungsverfahren Beschuldigten, ist Verfassungsrechtebenfalls nicht verletzt.

[80] Unzulässig ist eine Durchsicht nach § 110 StPO,wenn Beweismittel aufgespürt werden sollen, die nach§ 97 StPO von der Beschlagnahme ausgenommen sind(vgl. statt vieler Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt,StPO, 61. Aufl. 2018, § 103 Rn. 7 m.w.N. zur Durchsu-chung). Die Fachgerichte haben ein Beschlagnahmever-bot nach § 97 I Nr. 1, 2 und 3 StPO abgelehnt, weil derBf. in dem von der StA München II geführten Ermitt-lungsverfahren keine einem Beschuldigten entsprechen-de Stellung zukomme. Auch § 97 I Nr. 3 StPO schützenur das Vertrauensverhältnis zwischen einem Berufsge-heimnisträger und dem im konkreten Strafverfahren Be-schuldigten. Diese Auslegung von § 97 I Nr. 3 StPO istnicht willkürlich. Sie steht im Einklang mit dem Wort-laut, der Systematik, der Entstehungsgeschichte unddem Sinn und Zweck von § 97 I Nr. 3 StPO (1). Auch isteine Auslegung von § 97 I Nr. 3 StPO, nach der der Be-schlagnahmeschutz unabhängig von einem Berufsge-heimnisträger-Beschuldigten-Verhältnis besteht, vonVerfassungs wegen nicht geboten (2).

[81] (1) (a) Das Beschlagnahmeverbot nach § 97 I Nr. 1StPO erfasst schriftliche Mitteilungen zwischen dem Be-schuldigten und den nach § 52 StPO oder § 53 I 1 Nr. 1bis 3b StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Perso-nen. § 97 I Nr. 2 StPO erweitert die Beschlagnahmefrei-heit auf Aufzeichnungen, die die in § 53 I 1 Nr. 1 bis 3bStPO zeugnisverweigerungsberechtigten Personen überdie ihnen vom Beschuldigten anvertrauten Mitteilungenoder über andere Umstände gemacht haben, auf diesich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt. Ge-schützt wird durch § 97 I Nr. 1 und 2 StPO nur das Ver-trauensverhältnis zum Beschuldigten.

[82] (b) § 97 I Nr. 3 StPO erweitert das Beschlagnahme-

§ 97 I Nr. 3 StPOverbot auf andere Gegen-stände einschließlich derärztlichen Untersuchungs-

befunde, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrechtder in § 53 I 1 Nr. 1 bis 3b StPO genannten Personenerstreckt. Einfach-rechtlich ist umstritten, ob der Gesetz-geber damit einen Auffangtatbestand geschaffen hat,der andere Gegenstände nur erfasst, soweit das Ver-trauensverhältnis des Beschuldigten zu einem in derVorschrift genannten Berufsgeheimnisträger betroffenist, oder ob die Vorschrift ein Beschlagnahmeverbot füralle Gegenstände anordnet, auf die sich das Zeugnis-verweigerungsrecht der genannten Berufsgeheimnisträ-ger erstreckt.

[83] Nach herrschender Meinung in Rechtsprechungund Literatur schützt § 97 I Nr. 3 StPO nur das Vertrau-ensverhältnis zwischen dem Zeugnisverweigerungsbe-rechtigten und dem im konkreten Strafverfahren Be-schuldigten (vgl. LG Bochum, Beschl. v. 16.3.2016 – II-6Qs 1/16, NStZ 2016, 500; LG Bonn, Beschl. v.

21.6.2012 – 27 Qs 2/12, NZWiSt 2013, 21, 24; LGHamburg, Beschl. v. 15.10.2010 – 608 Qs 18/10,NZWiSt 2012, 26 f.; LG Hildesheim, Beschl. v.29.10.1981 – 12 Qs 192/81, NStZ 1982, 394, 395;OLG Celle, Beschl. v. 30.9.1964 – 3 Ws 362/64, NJW1965, 362, 363; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt,§ 97 Rn. 10a m.w.N.; Hauschild, in: Münchener Kom-mentar StPO, § 97 Rn. 8 und 64; Menges, in: Löwe/Ro-senberg, StPO, § 97 Rn. 21; Wohlers/Greco, in: SK-StPO, 5. Aufl. 2016, § 97 Rn. 10; a.A. Eschelbach, in:Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 3. Aufl. 2018,§ 97 Rn. 10; Gercke, in: FS Jürgen Wolter, 2013, 933,945; de Lind van Wijngaarden/Egler, NJW 2013, 3549,3552; Jahn, ZIS 2011, 453, 460; Gräfin von Galen, NJW2011, 945; Queling/Bayer, NZWiSt 2016, 417, 420;Szesny, CCZ 2017, 25, 26 f.). Der BGH hat die Fragebisher offengelassen (vgl. BGH, Urt. v. 23.7.1997 – 3StR 71/97, NStZ 1997, 562; Urt. v. 13.11.1997 – 4 StR404/97, NStZ 1998, 471, 472).

[84] (c) Die herrschende Auffassung, der sich die Fach-gerichte in den angegriffenen Entscheidungen ange-schlossen haben, ist von den üblichen Auslegungsmetho-den gedeckt. Sie ist deshalb jedenfalls nicht willkürlich.

[85] (aa) Der Wortlaut der Vorschrift erwähnt zwar den„Beschuldigten“ anders als in § 97 I Nr. 1 und 2 StPOnicht. Nach dem Regelungszusammenhang von § 97 INr. 1, 2 und 3 StPO muss jedoch auch § 97 I Nr. 3 StPOeinen Bezug zum Vertrauensverhältnis zwischen demZeugnisverweigerungsberechtigten und dem im konkre-ten Verfahren Beschuldigten voraussetzen. Denn § 97 INr. 3 StPO würde den Regelungsgehalt von § 97 I Nr. 1und 2 StPO letztlich vollständig absorbieren und beideVorschriften obsolet machen, wenn er den Beschlag-nahmeschutz auf sämtliche Gegenstände ausdehnenwürde, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht derin § 53 I 1 Nr. 1 bis 3b Genannten erstreckt (vgl. Men-ges, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2014, § 97Rn. 21; Erb, in: FS Hans-Heiner Kühne, 2013, 171 f.).

[86] (bb) Auch die Entstehungsgeschichte der Vor-schrift spricht dafür, dass mit § 97 I Nr. 3 StPO nur einAuffangtatbestand in sachlicher Hinsicht geschaffenwerden sollte, der ein Vertrauensverhältnis zum Be-schuldigten voraussetzt. § 97 I StPO hat seinen heuti-gen Wortlaut durch das 3. Strafrechtsänderungsge-setz v. 4.8.1953 (BGBl. 1953 I, 735) erhalten. In § 97 INr. 1 StPO wurden die schriftlichen Mitteilungen zwi-schen dem Beschuldigten und einer zeugnisverweige-rungsberechtigten Person aufgenommen, für die be-reits nach dem bisherigen § 97 StPO Beschlagnahme-schutz bestand (vgl. Menges, in: Löwe/Rosenberg,StPO, 26. Aufl. 2014, § 97 Entstehungsgeschichte).Die Einfügung von § 97 I Nr. 2 StPO erfolgte der Ge-setzesbegründung zufolge zur Beseitigung der Streit-frage, ob die Handakten eines Verteidigers oder An-walts und die Krankenblätter eines Arztes beschlag-nahmt werden dürfen (vgl. BT-Drs. 1/3713, 49). DieGesetzesbegründung stellt sodann erkennbar einenZusammenhang zwischen § 97 I Nr. 2 und Nr. 3 StPO

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her. Durch die Einfügung von § 97 I Nr. 3 StPO solltennun „auch sonstige Gegenstände“ dem Beschlagnah-meverbot unterliegen, soweit sich das Zeugnisverweige-rungsrecht darauf erstreckt (vgl. BT-Drs. 1/3713, 49).Beabsichtigt war mithin allein die gegenständliche Er-weiterung des bereits dem Grunde nach bestehendenBeschlagnahmeschutzes.

[87] (cc) § 97 StPO dient zwar dem Zweck, die Umge-hung und Aushöhlung des Zeugnisverweigerungsrechtsder in §§ 52, 53 StPO genannten Personen zu verhin-

Kein strikterGleichlauf

dern (vgl. BGH, Urt. v.3.12.1991 – 1 StR 120/90,NJW 1992, 763, 765). Einstrikter Gleichlauf von

Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbotwar jedoch nach dem oben Ausgeführten vom Gesetz-geber nicht gewollt.

[88] (2) Eine erweiternde Auslegung von § 97 I Nr. 3StPO, nach der der Beschlagnahmeschutz unabhängigvon einem Berufsgeheimnisträger-Beschuldigten-Ver-hältnis besteht, ist auch von Verfassungs wegen nichtgeboten (vgl. BVerfGK 2, 97, 100; BVerfG, Beschl. der3. Kammer des Zweiten Senats v. 11.7.2008 – 2 BvR2016/06 Rn. 23).

[89] (a) Dem Interesse jedes Mandanten am Schutz derseinem Rechtsanwalt oder einem anderen Berufsge-heimnisträger anvertrauten Informationen steht dasverfassungsrechtliche Gebot einer effektiven Strafverfol-gung und das öffentliche Interesse an vollständigerWahrheitsermittlung im Strafverfahren gegenüber.Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmever-bote stellen Ausnahmen von der Pflicht zur umfassen-den Aufklärung der materiellen Wahrheit dar und ber-gen die Gefahr in sich, dass die Gerichte ihre Entschei-dungen auf mangelhafter Tatsachengrundlage treffenmüssen. Sie beschneiden die Möglichkeiten justizförmi-ger Sachaufklärung und mindern damit den Rechtsgü-terschutz, den das materielle Strafrecht bezweckt (vgl.BVerfGE 33, 367, 383; 38, 312, 321; 77, 65, 76). DieBegründung und Erweiterung solcher Rechte und Ver-bote bedarf daher stets einer Legitimation, die vor demRechtsstaatsprinzip Bestand hat (vgl. BVerfGE 33, 367,383; 77, 65, 76).

[90] (b) Dass § 97 I StPO bei Beschlagnahmen außer-halb des Berufsgeheimnisträger-Beschuldigten-Verhält-nisses dem Strafverfolgungsinteresse Vorrang vor demGeheimhaltungsinteresse des Mandanten einräumt, istverfassungsrechtlich danach nicht zu beanstanden.Denn eine Auslegung von § 97 I Nr. 3 StPO, nach derein Berufsgeheimnisträger-Beschuldigten-Verhältnis ge-nerell nicht vorausgesetzt wird, würde zu einem weitrei-chenden Schutz vor Beschlagnahmen und darauf ge-richteten Durchsuchungen bei Berufsgeheimnisträgernführen. Sie wären bei unverdächtigen Berufsgeheimnis-trägern nur noch dann gestattet, wenn sie von vornhe-rein auf die Gewinnung von Gegenständen gerichtetwären, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrechtnicht erstreckt.

[91] Auch bestünde ein hohes Missbrauchspotenzial,

Missbrauchs-potenzial

sollte sich der Beschlagnah-meschutz auf sämtlicheMandatsverhältnisse unab-hängig von einer Beschul-

digtenstellung des Mandanten erstrecken. Beweismittelkönnten gezielt in die Sphäre des Rechtsanwalts verla-gert oder nur selektiv herausgegeben werden; auch dergutgläubige Rechtsanwalt könnte als „Safehouse“ fürSpuren noch nicht entdeckter Straftaten genutzt werden(vgl. beispielsweise Erb, in: FS Hans-Heiner Kühne, 2013,171, 180 f.). Insbesondere große Unternehmen könntenein vielfältiges Interesse daran haben, bestimmte Unter-lagen im Wege von internen Ermittlungen dem Zugriffder Strafverfolgungsbehörden zu entziehen (vgl. Schmitt,in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 97Rn. 10b; vgl. auch LG Mannheim, Beschl. v. 3.7.2012 –24 Qs 1/12 u.a., Rn. 73-86, zu § 160a StPO). Stichhalti-ge Verdachtsmomente für ein missbräuchliches Verhal-ten, die den Beschlagnahmeschutz gegebenenfalls ent-fallen lassen würden, dürften in solchen Fällen von denErmittlungsbehörden nur schwer darzulegen sein.

[92] cc) Auch gegen die Annahme der Fachgerichte,

Keine Beschuldigten-stellung

der Bf. komme eine Be-schuldigtenstellung im Sin-ne von § 97 I StPO nicht zu,ist aus verfassungsrecht-

licher Sicht nichts zu erinnern. Die Fachgerichte habeneine beschuldigtenähnliche Verfahrensstellung der Bf.in dem von der StA München II geführten Ermittlungs-verfahren mit willkürfreier Begründung verneint.

[93] (1) Insbesondere hat das LG München I zur Beur-teilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen sicheine juristische Person in einer beschuldigtenähnlichenVerfahrensstellung befindet, einen vertretbaren Maß-stab herangezogen. Es folgt im Ergebnis der wohl über-wiegend vertretenen Ansicht, die den Beschlagnahme-schutz juristischer Personen gem. § 97 I StPO zwarnicht davon abhängig macht, dass das Unternehmenbereits die förmliche Verfahrensstellung eines Beteili-gungsinteressenten innehat, die dafür aber voraussetzt,dass eine künftige Nebenbeteiligung nach objektivenGesichtspunkten in Betracht kommt (vgl. Oesterle, DieBeschlagnahme anwaltlicher Unterlagen und ihre Be-deutung für die Compliance-Organisation von Unter-nehmen, 2016, 239-243 u. 334; Schneider, NStZ 2016,309, 311; Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383, 386; Wim-mer, NZWiSt 2017, 252, 254; die förmliche Verfahrens-stellung eines Beteiligungsinteressenten setzen dage-gen voraus LG Bonn, Beschl. v. 21.6.2012 – 27 Qs 2/12, NZWiSt 2013, 21, 24 f.; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn. 10c). Für eine beschuldigtenähnlicheStellung wegen einer Nebenbeteiligung im Hinblick aufeine Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG fordert dasLG München I nicht einmal, dass bereits ein Straf- oderBußgeldverfahren gegen eine Leitungsperson des Un-ternehmens i.S.v. § 30 I OWiG eingeleitet wurde (an-ders als etwa Oesterle, a.a.O., 240 f.; Schneider, NStZ2016, 309, 312), setzt aber einen „hinreichenden“ Ver-

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dacht für eine durch eine konkrete Leitungsperson be-gangene Straftat oder Aufsichtspflichtverletzung i.S.v.§ 130 OWiG voraus. Allein die Möglichkeit oder Wahr-scheinlichkeit eines Verstoßes einer Leitungsperson solldagegen nicht genügen. In einem solchen Fall soll keine„hinreichende Sicherheit“ beziehungsweise „ausrei-chende Gewissheit“ für eine künftige Nebenbeteiligungder juristischen Person bestehen.[94] Die Voraussetzungen, die das LG München I füreine Anwendung von § 97 I StPO auf juristische Perso-nen aufstellt, werden in der Literatur vielfach entspre-chend oder ähnlich formuliert (vgl. Oesterle, a.a.O.,241; Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383, 386, Wimmer,NZWiSt 2017, 252, 254; Frank/Vogel, NStZ 2017, 313,315). Wenn gefordert wird, dass sich die Einleitungeines Verfahrens gegen die juristische Person objektivabzeichnet, weil Anhaltspunkte dafür bestehen, dassdie juristische Person als Adressatin einer Verbands-geldbuße oder als Einziehungsbeteiligte in Betrachtkommt, knüpfen diese Überlegungen in verfassungs-rechtlich nicht zu beanstandender Weise an die Voraus-setzungen der Anhörungspflicht nach § 426 I 1 StPOi.V.m. § 444 II 2 StPO n.F. (vgl. § 432 I 1 StPO i.V.m.§ 444 II 2 StPO in der bis zum 30.6.2017 gültigen Fas-sung) an.[95] Von Verfassungs wegen ist es dagegen nicht gebo-

Keine beschuldigten-ähnliche Stellung

ten, eine beschuldigtenähn-liche Stellung, die einen Be-schlagnahmeschutz aus§ 97 I StPO nach sich zieht,

bereits dann anzunehmen, wenn ein Unternehmen einkünftiges gegen sich gerichtetes Ermittlungsverfahrenlediglich befürchtet und sich vor diesem Hintergrundanwaltlich beraten lässt oder eine unternehmensinter-ne Untersuchung in Auftrag gibt (in diesem Sinne wohlLG Braunschweig, Beschl. v. 21.7.2015 – 6 Qs 116/15,NStZ 2016, 308, 309; Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28,30 f.; de Lind van Wijngaarden/Egler, NJW 2013,3549, 3553; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2379;Gercke, in: FS Jürgen Wolter, 2013, 933, 939 f.). Diesgilt umso mehr, als es ohne objektive Kriterien kaummöglich erscheint, die Grenzen des Beschlagnahme-schutzes zuverlässig zu bestimmen. Zudem setzt § 97 IStPO nach allgemeiner Ansicht auch bei natürlichenPersonen zumindest voraus, dass ein konkreter Ver-dacht der Strafverfolgungsbehörden gegen eine be-stimmte Person besteht (vgl. RGSt 50, 241, 242;Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn. 10; Hau-schild, in: Münchener Kommentar StPO, § 97 Rn. 8;Gerhold, in: BeckOK StPO, 29. Ed. Stand 1.1.2018, § 97Rn. 5; Eschelbach, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier,§ 97 Rn. 11).[96] (2) Die Fachgerichte mussten die Bf. auch nichtdeshalb als Beschuldigte behandeln, weil sie in dem Er-mittlungsverfahren der StA Braunschweig förmlich alsNebenbeteiligte wegen eines Ordnungswidrigkeitenvor-wurfs geführt wird und deshalb nach allen vertretenenAnsichten dort eine beschuldigtenähnliche Verfahrens-stellung einnimmt. Soweit die Bf. in diesem Zusammen-

hang die Ansicht vertritt, der Beschlagnahmeschutz aus§ 97 StPO müsse auch in Parallelverfahren gelten, daes nicht den Strafverfolgungsbehörden überlassen blei-ben dürfe, durch die Verbindung oder Trennung von Er-mittlungsverfahren oder die Einleitung eines oder meh-rerer Ermittlungsverfahren über die Reichweite desgrundrechtlichen Schutzes zu entscheiden, zeigt sienicht auf, warum dies im vorliegenden Fall von Verfas-sungs wegen geboten sein soll.

[97] (a) Über die Verbindung von Strafsachen und dieTrennung verbundener Strafsachen entscheiden im Er-mittlungsverfahren die StAen nach pflichtgemäßem Er-messen (vgl. nur Weßlau/Weißer, in: SK-StPO, § 2 Rn. 8und 16). Bei der Ermessensausübung sind alle Vor- undNachteile, die für die Strafrechtspflege auf der einenund für den Beschuldigten auf der anderen Seite zu er-warten sind, gegeneinander abzuwägen (vgl. Erb, in: Lö-we-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2016, § 2 Rn. 10). DasBVerfG hat im Hinblick auf die gerichtliche Verbindungvon Verfahren betont, dass das Recht des Beschuldig-ten auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren, seinRecht auf einen zügigen Abschluss des Strafverfahrensund das Übermaßverbot im Einzelfall das öffentliche In-teresse an einer Verfahrensverbindung aus Gründender Prozessökonomie überwiegen können (vgl. BVerfG,Beschl. der 3. Kammer des Zweiten Senats v. 12.8.2002– 2 BvR 932/02 Rn. 26). Diese Grundsätze können aufdie staatsanwaltliche Entscheidung über die Verbin-dung und Trennung von Verfahren übertragen werden.Auch die StAen haben bei ihrer Ermessensentscheidungdementsprechend insbesondere das Recht des Beschul-digten auf ein faires Verfahren in den Blick zu nehmen.Deshalb ist es grundsätzlich unbedenklich, den Be-schlagnahmeschutz aus § 97 I StPO nur dem im konkre-ten Verfahren Beschuldigten zugutekommen zu lassen.Allerdings muss im Einzelfall etwas anderes gelten,wenn der Schutz des § 97 I StPO ansonsten umgangenwürde (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.1997 – 4 StR 404/97,NStZ 1998, 471, 472).

[98] (b) Dass das Beschwerdegericht vorliegend einensolchen Ausnahmefall nicht angenommen hat, ist nichtzu beanstanden. Den Ermittlungsverfahren der StAenMünchen II und Braunschweig liegen unterschiedlicheLebenssachverhalte zugrunde. Die Entwicklung einerunzulässigen Abschaltvorrichtung für Audi-Dieselmoto-ren stellt gegenüber den Abgasmanipulationen an VW-Dieselmotoren eine eigene prozessuale Tat i.S.v. § 264StPO dar. Das LG München I führt dazu in seiner Ent-scheidung v. 8.5.2017 aus, dass sich ein Anfangsver-dacht zu verschiedenen Zeiten, für verschiedene Moto-ren verschiedener Hersteller mit Sitz an unterschied-lichen Orten ergeben habe. Auch wenn gegebenenfallsVerbindungen zwischen den Verfahren bestünden undmöglicherweise in beiden Fällen vereinzelt identischePersonen mitgewirkt hätten, handle es sich um unter-schiedliche Sachverhalte und damit um unterschied-liche Taten mit Ausgangspunkten an unterschiedlichenOrten unter dem Dach unterschiedlicher juristischerPersonen. Dass deshalb die Zuständigkeit verschiede-

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ner StAen begründet sei, stelle die logische Konsequenzdieser Sachlage dar.

[99] Die Darstellung des LG München I steht im Ein-klang mit dem Inhalt des dem Plea Agreement beige-fügten Statement of Facts, aus dem sich ergibt, dass essich bei den 2,0 Liter-Dieselmotoren und den 3,0 Liter-Dieselmotoren nicht nur um unterschiedliche Motorenhandelt, sondern auch die Personen der Entscheiderund Entwickler, deren Beweggründe sowie insbesonde-re die technischen Aspekte der Abgasnachbehandlungund der daran vorgenommenen Manipulationen ver-schieden waren (vgl. Nr. 32 bis 40 des Statement ofFacts). Die Trennbarkeit der Lebenssachverhalte zeigtsich auch darin, dass der Partner der Kanzlei Jones Day,Rechtsanwalt K., bei der Durchsuchung am 15.3.2017ausweislich des Durchsuchungsberichts angab, dassdie Kanzlei Jones Day für ihre internen Untersuchungenin Deutschland zwei Teams von Rechtsanwälten gebil-det habe, von denen eines allein für den Audi-Sachver-halt und das zweite für den die Bf. direkt betreffendenSachverhalt zuständig gewesen sei.

[100] Die Bf. setzt sich mit diesen Aspekten nicht sub-stantiiert auseinander. Nach der von ihr nicht angegrif-fenen Feststellung des LG München I hat die Audi AGdurch ihre eigene Strafanzeige bei der StA München IIselbst den maßgeblichen Anlass für die dortigen Ermitt-lungen gegeben, während die Ermittlungen der StABraunschweig nach dem Vortrag der Bf. in ihrer Be-schwerdeschrift v. 24.3.2017 im Ausgangspunkt auf ih-re Strafanzeige v. 24.9.2015 zurückgingen. Wenn dieErmittlungen vor diesem Hintergrund und angesichtsder unterschiedlichen Lebenssachverhalte von verschie-denen StAen in verschiedenen Ermittlungsverfahren ge-führt werden, kann gegen einen Verzicht auf die Verbin-dung dieser Verfahren aus verfassungsrechtlicher Sichtnichts erinnert werden.

[101] (c) Die Bf. muss auch nicht befürchten, dass Er-kenntnisse aus den bei der Kanzlei Jones Day sicherge-stellten Unterlagen und Daten, auf die sich das Zeug-nisverweigerungsrecht der Rechtsanwälte der KanzleiJones Day erstreckt, im Verfahren der StA Braun-schweig gegen sie verwertet werden. Für Unterlagenund Daten, die im Münchener Verfahren bei der KanzleiJones Day sichergestellt wurden und für die im Braun-schweiger Verfahren ein Beschlagnahmeverbot gem.§ 97 I StPO bestanden hätte, gilt im BraunschweigerVerfahren das Verwendungsverbot gem. § 160a I 2StPO, das im Bereich der Beschlagnahmen und Durch-suchungen nach allgemeiner Ansicht nicht durch§ 160a V StPO ausgeschlossen wird (vgl. nur Schmitt,

Verwendungsverbotin: Meyer-Goßner/Schmitt,§ 97 Rn. 50). Das Verwen-dungsverbot des § 160a I 2

StPO untersagt insbesondere auch den Gebrauch derErkenntnisse zur Verdachtsbegründung oder als Spu-renansatz (vgl. Kölbel, in: Münchener Kommentar StPO,1. Aufl. 2016, § 160a Rn. 14; Griesbaum, in: KarlsruherKommentar StPO, § 160a Rn. 9; Schmitt, in: Meyer-Goß-

ner/Schmitt, § 160a Rn. 4; Wolter/Greco, in: SK-StPO,§ 160a Rn. 26).

[102] (3) Das LG München I ist schließlich verfassungs-rechtlich unbedenklich zu dem Ergebnis gelangt, dassdie Verfahrensstellung der Audi AG für den Beschlag-nahmeschutz aus § 97 I StPO unerheblich sei. Von Ver-fassungs wegen ist es nicht geboten, Tochtergesell-schaften insoweit in den Schutz eines zwischen der Mut-tergesellschaft und einem Rechtsanwalt geschlossenenMandatsverhältnisses einzubeziehen und der Mutterge-sellschaft die Berufung auf ein Beschlagnahmeverbotaufgrund einer beschuldigtenähnlichen Stellung derTochtergesellschaft zuzubilligen.

[103] (a) Soweit das LG München I die rechtliche Selbst-ständigkeit der Bf. betont und mögliche Interessenkon-flikte anführt, steht dies im Einklang mit der Rechtspre-chung des BVerfG. So hat es bereits entschieden, dasssich der Beschlagnahmeschutz aus § 97 StPO beieinem Mandatsverhältnis mit einer juristischen Personnicht auf deren beschuldigte Organe erstreckt. Es hatdabei darauf abgestellt, dass sich die Interessen derVertreter von juristischen Personen und die Interessender vertretenen juristischen Personen selbst insbeson-dere bei Straftaten zulasten der Gesellschaft diametralentgegenstehen können (vgl. BVerfGK 2, 97, 100). Auchbesteht nach herrschender Ansicht in Rechtsprechungund Literatur zwischen den im Rahmen von Internal In-vestigations befragten Unternehmensmitarbeitern undden die Befragungen im Auftrag des Unternehmensdurchführenden Rechtsanwälten keine schützenswerteVertrauensbeziehung i.S.v. § 97 I StPO, da die Interes-sen des Unternehmens und die Interessen der befrag-ten Mitarbeiter völlig entgegengesetzt sein können (vgl.LG Hamburg, Beschl. v. 15.10.2010 – 608 Qs 18/10,NZWiSt 2012, 26 f.; Hauschild, in: Münchener Kom-mentar StPO, § 97 Rn. 64 m.w.N.; Wolter/Greco, in: SK-StPO, 5. Aufl. 2016, § 160a Rn. 48a; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn. 10b m.w.N.).

[104] Es erscheint aus verfassungsrechtlicher Sicht je-denfalls vertretbar, diese Argumentation auf das Ver-hältnis von Muttergesellschaft und Tochtergesellschaftinnerhalb eines Konzerns zu übertragen. Die Bf. be-nennt keine stichhaltigen Gründe, die es geboten er-scheinen lassen, den Beschlagnahmeschutz des § 97StPO auf Tochtergesellschaften zu erstrecken, die nichtselbst Auftraggeber der anwaltlichen Internal Investiga-tions sind. Solche Gründe ergeben sich auch nicht ausder von der Bf. zitierten Entscheidung des LG Braun-schweig v. 21.7.2015, die Tochtergesellschaften offen-bar – und ohne jegliche Begründung – in den Schutzdes § 97 StPO einbeziehen möchte (vgl. LG Braun-schweig, Beschl. v. 21.7.2015 – 6 Qs 116/15, NStZ2016, 308, 309).

[105] (b) Wenn das LG München I in seiner Beschwer-deentscheidung v. 7.7.2017 ausführt, es lägen keineneuen Gesichtspunkte vor, die eine gegenüber der Ent-scheidung v. 8.5.2017 andere Bewertung erfordernwürden, ist dies nach alledem nur folgerichtig. Zwar lei-

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tete die StA München II am 29.6.2017 ein Verfahrengem. § 130 OWiG gegen noch unbekannte Vorständeder Audi AG und auf dieser Grundlage zugleich ein Buß-geldverfahren gem. § 30 OWiG gegen die Audi AGselbst ein, weswegen sich die Audi AG in dem von derStA München II geführten Ermittlungsverfahren nachallen vertretenen Ansichten seit dem 29.6.2017 in einerbeschuldigtenähnlichen Verfahrensstellung befindet.Da es nach der vertretbaren Auffassung des LG Mün-chen I für den Beschlagnahmeschutz aus § 97 StPOnicht auf die Verfahrensstellung der Audi AG ankommt,war dies jedoch für seine Entscheidung nicht von Rele-vanz.

[106] dd) Die angegriffenen Entscheidungen habenschließlich die Verhältnismäßigkeit der Sicherstellungder bei der Kanzlei Jones Day aufgefundenen Unterla-gen und Daten zum Zwecke der Durchsicht nach § 110StPO ohne Verfassungsverstoß bejaht.[107] (1) Soweit die Bf. pauschal geltend macht, die Si-cherstellung zur Durchsicht sei „nicht in diesem Um-fang“ erforderlich, weil sonstige Ermittlungsmaßnah-men gegenüber der Audi AG ergriffen worden seien,legt sie bereits nicht dar, welche Maßnahmen sie im Ein-zelnen meint und zu welchen Ergebnissen diese Maß-nahmen geführt haben. Insbesondere setzt sie sich nichtmit den Ausführungen zur Erforderlichkeit in der Be-schwerdeentscheidung v. 8.5.2017 auseinander, auf diedie Beschwerdeentscheidung v. 7.7.2017 verweist. DasLG München I legt nachvollziehbar dar, dass insbeson-dere die Protokolle über die von den Rechtsanwälten derKanzlei Jones Day geführten Mitarbeiterinterviews alsBeweismittel von erheblicher Bedeutung sind, da sie dieBeurteilung von späteren Zeugenaussagen der Mitarbei-ter erleichtern. Gerade diese Protokolle stehen der StAjedoch nicht anderweitig zur Verfügung, sondern kön-nen nur durch die Sicherstellung und Beschlagnahmebei der Kanzlei Jones Day erlangt werden.[108] Soweit die Bf. inzident eine Verletzung des Rich-tervorbehalts des Art. 13 II GG aufgrund einer unzurei-chenden inhaltlichen Begrenzung des Durchsuchungs-beschlusses v. 6.3.2017 rügt und auf diese Weise offen-bar eine zu weit gehende Sicherstellung von Unterlagenund Daten und damit die fehlende Erforderlichkeit derMaßnahme geltend machen möchte, kann sie mit die-sem Einwand nicht durchdringen, da sie nicht Inhaberinder Kanzleiräume und daher nicht Trägerin des Grund-rechts aus Art. 13 GG ist.

[109] (2) Soweit die Bf. mit Blick auf die Verhältnismä-ßigkeit im engeren Sinne geltend macht, der hohe Un-rechtsgehalt der in Rede stehenden Straftaten und dieSchwere des Schuldvorwurfs seien im Durchsuchungs-beschluss v. 6.3.2017 lediglich behauptet, nicht aberkonkret dargelegt worden, lässt sie die ausführlichenDarlegungen in der Beschwerdeentscheidung des LGMünchen I v. 8.5.2017 außer Acht. Es bestand ein star-ker Anfangsverdacht, da die Bf. durch die Unterzeich-nung des Plea Agreement die in dem Statement of Factsniedergelegten Vorgänge, mithin auch die Vorgänge

um die von der Audi AG entwickelten und hergestellten3,0 Liter-Dieselmotoren, als zutreffend bestätigt hat.Das LG führt aus, dass der Vorwurf des tausendfachenBetrugs im Raum stehe. Nach den vorhandenen Er-kenntnissen sei planvoll und gezielt vorgegangen wor-den, wobei für die Täter erkennbar gewesen sei, dassein erheblicher materieller Schaden bei den einzelnenAutokäufern verbleiben werde. Selbst wenn man derAnsicht des LG, die überschlagsmäßige Schadensschät-zung könne sich am Verkaufspreis der Fahrzeuge orien-tieren, nicht folgen wollte, ist dennoch von einem ganzerheblichen Schaden auszugehen. Nachvollziehbar ge-langt das LG München I dementsprechend zu der Fest-stellung, dass mit der Schwere der Tatvorwürfe naturge-mäß ein erhebliches Aufklärungs- und Verfolgungsbe-dürfnis der Allgemeinheit einhergehe.

[110] (3) Sonstige Gesichtspunkte, die die vorläufige Si-cherstellung der Unterlagen und Daten zum Zweckeder Durchsicht als unangemessen erscheinen lassen,sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat das LG Mün-chen I den grundrechtlichen Schutz des Mandatsver-hältnisses zwischen der Bf. und der Kanzlei Jones Daybei der von ihm vorgenommenen Verhältnismäßigkeits-abwägung nicht außer Acht gelassen. Es hat diesemGesichtspunkt auch kein zu geringes Gewicht beige-messen, sondern durfte berücksichtigen, dass sich daszwischen der Bf. und der Kanzlei Jones Day bestehendeMandatsverhältnis gerade nicht durch eine besondereVertrauensbeziehung auszeichnet, wie sie einem Vertei-digungsverhältnis, aber auch dem klassischen Rechts-anwalt-Mandanten-Verhältnis üblicherweise innewohnt.Vielmehr führte die Kanzlei Jones Day nach der Bewer-tung des LG München I eine vollkommen unabhängigeUntersuchung durch.[111] Wenn sich die Bf. nun zu Unrecht und gegen ihrenWillen in der Rolle eines Ermittlungshelfers der StA sieht,verkennt sie, dass eine Verwendung der Erkenntnisse ausder Internal Investigation zu ihrem Nachteil gem. § 160aI 2 StPO nicht in Betracht kommt. Dass die vorläufige Si-cherstellung in einem nicht verfahrensbezogenen, über-mäßigen Umfang stattfand, hat die Bf.in nicht in ausrei-chendem Maße substantiiert vorgetragen.

[112] III. Die Verfassungsbeschwerden sind auch unbe-gründet, soweit die Bf. sich auf eine Verletzung ihresRechts auf ein faires Verfahren aus Art. 2 I i.V.m. Art. 20III GG beruft. Denn aus Art. 2 I i.V.m. Art. 20 III GG folgtjedenfalls kein weitergehender Schutz als aus Art. 2 IGG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelleSelbstbestimmung. Eine Verletzung des Rechts auf einfaires Verfahren kann nur dann festgestellt werden,wenn sich im Einzelfall eindeutig ergibt, dass rechts-staatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr ge-wahrt sind (vgl. BVerfGE 57, 250, 275 f.; 63, 45, 61; 64,135, 145 f.; 122, 248, 272; 133, 168, 200 Rn. 59;BVerfGK 2, 97, 99). Dies ist jedoch, wie dargelegt, nichtder Fall.

[113] Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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ANMERKUNG:Die Entscheidungen des BVerfG in den drei Beschwer-deverfahren sind aus anwaltlicher Sicht in Ergebnisund Begründung inakzeptabel. Nicht nachvollziehbarist, dass sich das Gericht an entscheidenden Stellenmaßgeblich auf das Erfordernis der „Effektivität derStrafverfolgung“ stützt, ohne im Rahmen der vorzu-nehmenden Abwägung näher auf die Bedeutung desVertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt undMandant für die Funktionsfähigkeit der freien Advoka-tur einzugehen.So heißt es in der Entscheidung, dass die Anwendungdes § 160a I 1 StPO auf den Bereich von Durchsu-chungen einschließlich der vorläufigen Sicherstellungund auf Beschlagnahmen „die verfassungsrechtlichgebotene Effektivität der Strafverfolgung in erheb-lichem Maße“ beschränke (2 BvR 1405/17 und 2 BvR1780/17 Rn. 78). Auch im Rahmen der Auslegung des§ 97 I Nr. 3 StPO wird dem „StrafverfolgungsinteresseVorrang vor dem Geheimhaltungsinteresse des Man-danten“ eingeräumt, eine andere Auslegung „würdezu einem weitreichenden Schutz vor Beschlagnahmenund darauf gerichteten Durchsuchungen bei Berufs-geheimnisträgern führen“ (a.a.O. Rn. 90).Die Beschlüsse legen nahe, dass das Vertrauensverhält-nis zwischen Rechtsanwalt und Mandant für das Ge-richt lediglich eine Streichposition war, die im Rahmender Abwägung zwar zu erwähnen sei, die aber ohnehindem gewichtigeren Strafverfolgungsinteresse weichenmüsse. Diese Gewichtung überrascht auch deshalb,weil das BVerfG noch in seinen Beschlüssen nach § 32 IBVerfGG v. 25.7.2017 in gleicher Sache ganz maßgeb-lich auf „das im Rahmen von Art. 13 I GG zu berücksich-tigende Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwaltund Mandant“ abgestellt hatte. Es entspricht ständigerRechtsprechung des BVerfG, dass der Schutz des Ver-trauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Man-dant zur Gewährleistung der freien Advokatur einen ho-hen verfassungsrechtlichen Rang genießt.So hatte das BVerfG u.a. in seiner Geldwäscheent-scheidung v. 28.7.2015 – 2 BvR 2558/14 u.a. die Be-deutung des Vertrauensverhältnisses für die freie Ad-vokatur und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflegeinsgesamt hervorgehoben. Die durch die freie Advoka-tur gewährleistete anwaltliche Berufsausübung istdurch die freie und unreglementierte Selbstbestim-mung des Rechtsanwalts geprägt. Da der Rechtsan-walt auch Organ der Rechtspflege ist, liegt der Schutzder freien Berufsausübung nicht nur im individuellenInteresse des Anwalts oder seines Mandanten, son-dern auch und vor allem im Interesse der Allgemein-heit. Ein Rechtsanwalt kann diese Aufgabe nur wahr-nehmen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischenRechtsanwalt und Mandant geschützt ist. Denn nurdann wird der Mandant sich seinem Rechtsanwalt an-vertrauen und ihm alle zur Interessenwahrung erfor-derlichen Informationen zur Verfügung stellen.Das BVerfG hat noch jüngst in der Entscheidung zumBKA-Gesetz v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09 u.a. maß-geblich auf den „verfassungsrechtlich gebotenen

Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechts-anwalt und Mandant“ abgestellt, wobei das Gerichthier gerade die vom Gesetzgeber herangezogene Un-terscheidung zwischen Strafverteidigern und in ande-ren Mandatsverhältnissen tätigen Rechtsanwälten alsAbgrenzungskriterium für einen unterschiedlichenSchutz als ungeeignet verworfen hat (a.a.O. Rn. 257).Von alledem findet sich in den vorliegenden Beschlüs-sen nichts. Dies musste dazu führen, dass die Abwä-gung an einem Abwägungsdefizit leidet und völligaus der Balance gerät.Eine Abwägung, die den Schutz der freien Advokaturals hohes verfassungsrechtliches Gut ignoriert oder je-denfalls zu einer Streichposition degeneriert, ist schonim Ansatz verfehlt und kann in Begründung und Er-gebnis nicht tragfähig sein. Dies gilt im vorliegendenSachverhalt in besonderer Weise, weil ein Mandats-auftrag, der – jedenfalls auch – auf die Aufklärungeines bestimmten Sachverhalts gerichtet ist, nur danneffektiv erfüllt werden kann, wenn der Mandant da-rauf vertrauen kann, dass die erteilten Informationengeschützt sind und nicht ohne seine Zustimmung anDritte weitergegeben werden. Die Bundesrechtsan-waltskammer hat in ihren Thesen zum Unternehmens-anwalt aus dem Jahr 2010 (BRAK-Stn. Nr. 35/2010)deutlich gemacht, wie wichtig die Aufklärung straf-oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Sachverhalteals Teil der Mandatstätigkeit des Unternehmensan-walts sein kann.Besonders irritierend ist der Hinweis des Gerichts, esbestehe „ein hohes Missbrauchspotential“, „Beweismit-tel könnten gezielt in die Sphäre des Rechtsanwalts ver-lagert oder nur selektiv herausgegeben werden“ (2 BvR1405/17 und 2 BvR 1780/17 Rn. 91). Hiermit werdennicht nur Mandanten, sondern auch und vor allem dieRechtsanwälte unter einen Generalverdacht gestellt,den Ermittlungsbehörden auf unzulässige Weise Be-weismittel entziehen zu wollen. Ein solcher Verdacht istunbegründet und durch nichts belegt. UnzutreffendeUnterstellungen sind in einer grundrechtlichen Abwä-gungsentscheidung fehl am Platze.Verfassungsrechtlich problematisch erscheint auchder Beschluss betreffend die Verfassungsbeschwer-den der betroffenen Rechtsanwälte (2 BvR 1562/17).Wenn das Gericht eine eigene Betroffenheit derRechtsanwälte in ihrem Grundrecht nach Art. 13 I GGmit der Begründung in Abrede stellt, diese seien „al-lein“ in ihrer Stellung als Rechtsanwälte und nicht inihrer eigenen räumlichen Privatsphäre betroffen, aufder anderen Seite aber die Verfassungsbeschwerdender Kanzlei mit der Begründung nicht angenommenwerden, die Beschwerdeführerin sei keine inländischejuristische Person i.S.v. Art. 19 III GG (2 BvR 1287/17und 2 BvR 1583/17), so führt dies im Ergebnis dazu,dass weder die Rechtsanwälte noch die Anwaltskanz-lei grundrechtlichen Schutz genießen – ein Ergebnis,das mit dem hohen verfassungsrechtlichen Rang derfreien Advokatur unvereinbar ist.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Alfred Dierlamm, Wiesbaden

BERUFSRECHTE UND PFLICHTEN

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG

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PFLICHT ZUR HERAUSGABE VON HANDAKTEN

BGB §§ 675, 611, 667; BRAO § 50; ZPO § 386 I, § 383 INr. 6

Ein Rechtsanwalt ist grundsätzlich verpflichtet, sei-nem Mandanten auf Verlangen die gesamte Hand-akte herauszugeben. Soweit der Anwalt die Heraus-gabe mit Rücksicht auf Geheimhaltungsinteressensonstiger Mandanten verweigert, hat er dies unterAngabe näherer Tatsachen nachvollziehbar darzu-legen.BGH, Urt. v. 17.5.2018 – IX ZR 243/17

AUS DEM TATBESTAND:

[1] Der Kl. ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag v.25.11.2014 über das Vermögen der U.G. mbH (nachfol-gend: Schuldnerin) am 26.3.2015 eröffneten Insolvenz-verfahren.

[2] Die Bekl., eine Rechtsanwaltsgesellschaft, vertratdie Schuldnerin in einem vor dem LG Mannheim unddem OLG Karlsruhe gegen S. und die R.S. GmbH & Co.KG geführten Rechtsstreit. Ferner übernahm die Bekl.die außergerichtliche Vertretung der Schuldnerin beider Geltendmachung von Zahlungsansprüchen gegenM.S. Die Mandate waren der Bekl. von dem Geschäfts-führer der Schuldnerin unmittelbar vor Stellung des In-solvenzantrages erteilt worden.

[3] Der Kl. forderte die Bekl. wiederholt ohne Erfolg auf,die Handakten beider Verfahren herauszugeben. DasAG hat die Bekl. unter Abweisung des weitergehendenBegehrens verurteilt, die Handakten mit Ausnahme sol-cher Schriftstücke herauszugeben, die von Dritten, zudenen ein gesondertes Mandatsverhältnis bestandoder besteht, im Rahmen dieses Mandatsverhältnissesverfasst oder übergeben wurden. Die dagegen einge-legte Berufung hat das LG zurückgewiesen. Mit der vondem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgtder Kl. sein Begehren weiter, die Bekl. zur uneinge-schränkten Herausgabe der Handakten zu verurteilen.

AUS DEN GRÜNDEN:

[4] I Die Revision führt zur Aufhebung des angefochte-nen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an dasBerufungsgericht.

[5] Das Berufungsgericht hat zur Begründung seinerEntscheidung ausgeführt:

[6] Der BGH gehe davon aus, dass den Rechtsanwaltim Grundsatz aus dem Anwaltsvertrag gegenüber demMandanten eine Herausgabepflicht hinsichtlich derHandakten treffe (BGHZ 109, 260, 264). Der Rechtsan-walt könne die Herausgabe und die Erteilung von Aus-künften verweigern, soweit er andernfalls gegen seineVerpflichtung zur Verschwiegenheit verstoße. Das Be-rufsgeheimnis bestehe nicht im eigenen Interesse desRechtsanwalts, wohl aber in dem des „Geheimnis-herrn“, der den Rechtsanwalt von seiner Verpflichtungentbinden könne (BGHZ 109, 260, 269).

[7] Erfolge eine solche Entbindung von der anwalt-lichen Schweigepflicht nicht, könnten Geheimhaltungs-interessen Dritter, zu denen ein gesondertes Mandats-verhältnis bestanden habe, ein Auskunftsverweige-rungsrecht begründen. In dieser Fallkonstellation sei esals ausreichend zu erachten, dass sich das Gericht aufdie anwaltliche Versicherung stütze, dass sich in denHandakten Schriftstücke von Personen befänden, zu de-nen ein separates Mandatsverhältnis bestanden habe.Der BGH habe es bei der prozessualen Würdigung vonWahrnehmungen eines Rechtsanwalts, die im Wesent-lichen seine eigene Tätigkeit beträfen, gebilligt, dassvon dem als richtig versicherten Vortrag ausgegangenwerden könne, solange nicht konkrete Anhaltspunkteausschlössen, den geschilderten Sachverhalt mit über-wiegender Wahrscheinlichkeit für zutreffend zu erach-ten. Deshalb könne von der Bekl. nicht mehr als die an-waltliche Versicherung verlangt werden, dass sich inden Handakten Schriftstücke von Personen befänden,zu denen Mandatsverhältnisse bestünden.[8] An die Darlegungslast der Bekl. könnten nicht dieAnforderungen angelegt werden, die der BGH im Falleder Auskunftsverweigerung des Rechtsanwalts gegen-über einem Insolvenzverwalter im Hinblick auf persön-liche Geheimhaltungsinteressen von Organmitgliederneiner Insolvenzschuldnerin aufstelle, die den Rechtsan-walt in eigener Sache mandatiert haben (BGHZ 109,260, 271). Dabei gehe der BGH davon aus, dass die In-teressen der Insolvenzschuldnerin, über die der Insol-venzverwalter disponiere, Vorrang vor den Interessender außerhalb des Mandatsverhältnisses stehenden Or-ganmitglieder habe. Hier lägen die Dinge anders. Eskönne differenziert werden zwischen dem Mandatsver-hältnis der Schuldnerin und der Bekl. einerseits unddem Mandatsverhältnis der Bekl. zu sonstigen Perso-nen andererseits.[9] Selbst wenn in der von dem BGH entschiedenen Sa-che zu den Organmitgliedern ein Mandatsverhältnis be-standen haben sollte, ändere dies an der Bewertungnichts. Die gesteigerten Darlegungsanforderungen seienvielmehr darin begründet, dass das Verhältnis der Organ-mitglieder zu dem Rechtsanwalt gegenüber dem Man-datsverhältnis zu der Insolvenzschuldnerin nachrangigsei. Den Organmitgliedern sei es verwehrt, ihren eigenenGeheimhaltungsbelangen gegenüber denen der Schuld-nerin den Vorrang einzuräumen. Diese Erwägungen grif-fen in dem hier zu entscheidenden Fall nicht durch, weilvon der Beklagtenseite nicht Geheimhaltungsinteressenvon Organmitgliedern, sondern die sonstiger Dritter alsArgument für die Auskunftsverweigerung ins Feld geführtwürden. Soweit der Kl. annehme, dass es sich bei denDritten ebenfalls um Organmitglieder der Schuldnerinhandle, sei dies gerade nicht erwiesen.[10] II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfungin wesentlichen Punkten nicht stand. Nach den bisheri-gen Feststellungen des Berufungsgerichts kann nichtvon einer nur eingeschränkten Pflicht der Bekl. zur He-rausgabe der von ihr für die Schuldnerin geführtenHandakten ausgegangen werden.

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[11] 1. Auf den Anwaltsdienstvertrag finden nach

§ 667 BGB i.V.m.§ 50 BRAO

§ 675 BGB auch die Vor-schriften der §§ 666, 667BGB Anwendung. Der An-spruch des Kl. auf Heraus-

gabe der die anwaltliche Tätigkeit des Bekl. betreffen-den Akten folgt aus § 667 BGB i.V.m. § 50 BRAO.[12] a) Zu den nach § 667 BGB herauszugebenden Un-terlagen gehören die Handakten des Rechtsanwalts(BGH, Urt. v. 30.11.1989 – III ZR 112/88, BGHZ 109,260, 264; v. 3.11.2014 – AnwZ 72/13, NJW-RR 2015,186 Rn. 11; RGRK/Steffen, BGB, 12. Aufl., § 667 Rn. 12;Soergel/Beuthien, BGB, 13. Aufl., § 667 Rn. 11; Dauner-Lieb/Langen/Schwab, BGB, 3. Aufl., § 667 Rn. 7; Erman/Berger, BGB, 16. Aufl., § 667 Rn. 8). Diese Herausgabe-pflicht wird auch in § 50 BRAO vorausgesetzt (vgl. Hens-sler/Prütting/Offermann-Burckart, BRAO, 4. Aufl., § 50Rn. 27, 35 ff.; Feuerich/Weyland/Träger, BRAO, 9. Aufl.,§ 50 Rn. 17; Tauchert/Dahns, in Gaier/Wolf/Göcken, An-waltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 50 BRAO Rn. 11; Klei-ne-Cosack, BRAO, 7. Aufl., § 50 Rn. 4). Dokumente, dieder Rechtsanwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeitvon dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat, hat ergem. § 50 I BRAO seinem Auftraggeber auf Verlangenherauszugeben. Dabei fallen die Unterlagen, die demAnwalt von seinem Auftraggeber ausgehändigt wordensind, unter die erste Alternative und der Schriftverkehr,den der Anwalt für seinen Auftraggeber geführt hat, un-ter die zweite Alternative des § 667 BGB. Aus der Ge-schäftsbesorgung erlangt ist daher insbesondere der ge-samte drittgerichtete Schriftverkehr, den der Rechtsan-walt für den Auftraggeber erhalten und geführt hat, alsosowohl die dem Rechtsanwalt zugegangenen Schriftstü-cke als auch Kopien eigener Schreiben des Rechtsan-walts. Die herauszugebenden Unterlagen umfassenauch Notizen über Besprechungen, die der Anwalt imRahmen der Besorgung des Geschäfts geführt hat (BGH,Urt. v. 30.11.1989, a.a.O., 265).[13] Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dasVermögen der Schuldnerin steht der Herausgabean-spruch aus § 667 BGB dem Kl. zu. Der Geschäftsbesor-gungsvertrag zwischen der Schuldnerin und der Bekl. istmit Insolvenzeröffnung erloschen (§§ 115, 116 InsO).Für ein Fortbestehen des Mandats nach der Ausnahme-regelung des § 115 II InsO fehlt es an tatsächlichen An-haltspunkten. Daraus folgt, dass die aus dem beende-ten Mandatsverhältnis entstandenen Ansprüche derSchuldnerin in die Insolvenzmasse fallen und der Ver-waltungs- und Verfügungsbefugnis des Kl. unterliegen(§ 80 InsO). Dies bedeutet, dass der Kl. unter den glei-chen Voraussetzungen und in demselben Umfang He-rausgabe oder Einsichtsgewährung der Handakte ver-langen kann, wie er es ohne die Insolvenz die Schuldne-rin bei einer anderweitigen Mandatsbeendigung selbstgekonnt hätte (BGH, a.a.O., 264).[14] b) Der Anwalt ist jedoch nicht stets zur umfassen-

Ausnahmenden Herausgabe der Hand-akte verpflichtet. Aus-nahmsweise können Eigen-

interessen des Anwalts oder GeheimhaltungsinteressenDritter Vorrang genießen.[15] aa) Eine Ausnahme hinsichtlich der Herausgabe-pflicht gilt für solche Unterlagen, die nicht lediglichüber das Tun im Rahmen der Vertragserfüllung Auf-schluss geben, sondern persönliche Eindrücke, die derAnwalt in den Gesprächen gewonnen hat, wiederge-ben. Aufzeichnungen des Anwalts über derartige per-sönliche Eindrücke sind oft nützlich; sie sind im Zweifeljedoch nicht für die Einsicht durch den Mandanten be-stimmt und eine solche wäre dem Anwalt auch nicht zu-mutbar. Ein Anwalt, der zur Herausgabe von Handak-ten verpflichtet ist, braucht daher nicht auch derartigeAufzeichnungen offenzulegen. Darüber hinaus wirddem Anwalt bei der Ausführung des Mandats ein ge-wisser Freiraum zuzuerkennen sein, vertrauliche „Hin-tergrundinformationen“ zu sammeln, die er auch undgerade im wohl verstandenen Interesse seines Mandan-ten sowie im Interesse der Rechtspflege diesem gegen-über verschweigen darf. Aufzeichnungen über derartigeVorgänge unterliegen nicht der Herausgabepflicht(BGH, a.a.O., 265).[16] bb) Zudem bestehen Verschwiegenheitspflichtendes auf Herausgabe der Handakte in Anspruch genom-

Interessen sonstigerMandanten

menen Rechtsanwalts mitRücksicht auf Interessenseiner sonstigen Mandan-ten. Die Verschwiegenheits-

pflicht findet ihre Grundlage in dem auf einem besonde-ren Vertrauensverhältnis beruhenden Anwaltsvertrag(Vill, in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Hdb.der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 2 Rn. 339; Weinland, inHenssler/Gehrlein/Holzinger, Hdb. der Beraterhaftung,2018, Kap. 3 Rn. 15). Der Rechtsanwalt ist zudem be-rufsrechtlich gem. § 43a II 1 BRAO zur Verschwiegen-heit verpflichtet. Diese Verschwiegenheitspflicht, diesich auf alles bezieht, was dem Anwalt in Ausübung sei-nes Berufs bekannt geworden ist, betrifft insbesondereKenntnisse aus einzelnen Mandatsverhältnissen, diesonstigen Mandanten nicht offenbart werden dürfen.Eine Verletzung der anwaltlichen Schweigepflicht kanneine Vertragshaftung des Rechtsanwalts aus § 280 IBGB, aber auch eine deliktische Haftung gem. § 823 IIBGB, § 203 I Nr. 3 StGB begründen (Heinemann, inGreger/Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht,4. Aufl., § 15 Rn. 3; Vill, a.a.O., § 2 Rn. 340; Weinland,a.a.O., Kap. 3 Rn. 18).[17] cc) Persönliche Geheimhaltungsinteressen von anBesprechungen mit dem Anwalt beteiligten dritten Per-sonen vermögen für diesen zumindest nicht ein unein-geschränktes Auskunftsverweigerungsrecht zu begrün-den. Dies hat der BGH für Gespräche entschieden, dieder Anwalt der späteren Schuldnerin mit deren Organ-mitgliedern geführt hat (BGHZ 109, 260, 271). Ein Aus-kunftsverweigerungsrecht kommt in einer solchen Kons-tellation nur dann in Betracht, wenn zwischen dem An-walt und dem einzelnen Organmitglied eine besondereVertrauensbeziehung bestanden hat, die individuell be-gründet worden ist, etwa dadurch, dass das betreffen-

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de Mitglied den Anwalt ausdrücklich um eine persön-liche Beratung gebeten hat. Nur für einen solchen Aus-nahmefall könnte es gebilligt werden, dass es sich beiden Beziehungen des Anwalts zu der Schuldnerin einer-seits und den Organmitgliedern andererseits um zweigetrennte, rechtlich selbständige Rechtsverhältnisse ge-handelt habe. An die dem Anwalt insoweit obliegendeDarlegungslast sind jedoch strenge Anforderungen zustellen, zumal eine solche Konstellation deswegen un-gewöhnlich wäre, weil die Gefahr eines Interessenkon-flikts mit dem ursprünglichen Auftraggeber nicht vonder Hand zu weisen ist (BGH, a.a.O., 272). Insoweit ob-liegt die Darlegungslast dem beklagten Rechtsanwalt(BGH, a.a.O., 273 f.).

[18] 2. Nach diesen im Schrifttum geteilten (Heine-mann, a.a.O., § 15 Rn. 17; Vill, a.a.O., § 2 Rn. 370; Fah-rendorf, in Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung desRechtsanwalts, 9. Aufl., Kap. 2 Rn. 684; Weinland,a.a.O., Kap. 3 Rn. 41), weiter gültigen Grundsätzen hatdie Bekl. ihrer Darlegungslast, mit Rücksicht auf Belan-ge Dritter einer nur eingeschränkten Herausgabepflichtzu unterliegen, nicht genügt.

[19] a) Soweit der Anwalt unter Berufung auf Ver-

Darlegungspflichtenschwiegenheitspflichten dieHerausgabe der Handakteverweigert, hat er den Dar-

legungspflichten eines Zeugen zu genügen, der einZeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nimmt (vgl.§ 386 I, § 383 I Nr. 6 ZPO). Ist der Grund der Herausga-beverweigerung nicht ohne weiteres erkennbar, ist dieAngabe näherer Tatsachen unerlässlich (RG JW 1903,241 Nr. 15). Das Gericht muss sich auf der Grundlageder Sachverhaltsangaben, ohne dass das Geheimnisaufzudecken ist, ein Bild davon machen können, umwas es geht (MünchKomm-ZPO/Damrau, 5. Aufl.,§ 386 Rn. 2). Deshalb müssen die Angaben so weit insEinzelne gehen, dass dem Richter ein Urteil über denWeigerungsgrund möglich ist (Stein/Jonas/Berger,ZPO, 23. Aufl., § 386 Rn. 1). Handelt es sich um eineAuskunftsverweigerung aus beruflichen Gründen, be-darf es der beweisgeeigneten Darlegung, dass es sichum Tatsachen handelt, die im Rahmen der Berufsaus-übung anvertraut oder bekannt geworden sind. Inso-weit ist in geeigneten Sachverhalten von der anerkann-ten Befugnis Gebrauch zu machen, eine vollständiganonymisierte Darstellung abzugeben, die keine Be-zugsherstellung zu den beteiligten Personen gestattet(AnwG Köln, AnwBl. 2009, 792, 793 a.E.). Im Blick aufdie Tatsachen, aus denen die Auskunftsverweigerunghergeleitet wird, ist nach Möglichkeit Beweis anzubie-ten. Im Streitfall käme die zeugenschaftliche Verneh-mung von Rechtsanwalt D. als zuständigem Sachbear-beiter in Betracht, der nicht zu den vertretungsberech-tigten Organen der Bekl. gehört. Diesen Darlegungsan-forderungen ist entgegen der Würdigung des Beru-fungsgerichts unabhängig davon zu genügen, ob derRechtsanwalt die Herausgabe der Handakte im Blickauf von ihm gefertigte persönliche Aufzeichnungen, In-teressen anderer Mandanten oder dritter Personen ver-

weigert, weil die Verschwiegenheitspflicht unterschieds-los gilt.

[20] b) Den Anforderungen an die Spezifizierung (Wiec-

Spezifizierungerforderlich

zorek/Schütze/Ahrens, ZPO,4. Aufl., § 386 Rn. 6) hatdie Bekl. durch die bloße,nicht näher unterlegte An-

gabe, dass Interessen anderer Mandanten durch dieHerausgabe der Akten beeinträchtigt werden können,nicht genügt. Es fehlt an jeglichen Angaben, inwieferndie Mandate der Schuldnerin Berührungspunkte zusonstigen Mandaten der Bekl. haben können. Darumkann nach bisherigem Sach- und Streitstand nicht da-von ausgegangen werden, dass die Bekl. die Herausga-be der Handakten mit Rücksicht auf die Geheimhal-tungsinteressen anderer Mandanten verweigern darf.

[21] aa) Die Vordergerichte durften im Streitfall nichtallein auf der Grundlage des Beklagtenvorbringens zuder Überzeugung gelangen, dass einer uneingeschränk-ten Herausgabepflicht der Akten Geheimhaltungsinte-ressen anderer Mandanten der Bekl. entgegenstehen.Dem Richter ist es zwar grundsätzlich erlaubt, alleinaufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiser-hebung festzustellen, was für wahr und was für nichtwahr zu erachten ist (§ 286 ZPO). Ein solches Verfahrendarf aber nur in Ausnahmefällen angewandt werden,wenn der vorgetragene Sachverhalt beider Parteienklar, widerspruchsfrei und überzeugend ist (BGH, Urt. v.6.10.1981 – X ZR 57/80, BGHZ 82, 13, 20 f.; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 286 Rn. 14; MünchKomm-ZPO/Prütting, 5. Aufl., § 286 Rn. 13; Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO, 9. Aufl., § 286 Rn. 2). Diese Vorausset-zungen sind im Streitfall nicht gegeben, weil die Bekl.widersprüchlich vorgetragen hat.

[22] (1) Die Bekl. hat sich vorgerichtlich lediglich daraufberufen, dass „in diesen Schriftstücken natürliche Perso-nen involviert“ seien, hinsichtlich derer eine Verschwie-genheitspflicht bestehe. Diese Darstellung hat die Bekl.im vorliegenden Rechtsstreit dahin ergänzt, dass derSchriftwechsel mit diesen Personen für die Schuldneringeführt worden sei. Ferner hat sie ausgeführt, der Inhaltder Handakte betreffend das Mandat gegen S. und dieR.S. GmbH & Co. KG bestehe, lasse man den Schrift-wechsel mit der Schuldnerin außer Betracht, aus denerstinstanzlich und zweitinstanzlich gewechseltenSchriftsätzen. Die Handakte aus dem Mandat gegenM.S. beschränke sich auf ein Anspruchsschreiben derBekl., durch das namens der Schuldnerin der Rücktrittvon Kaufverträgen über Eigentumswohnungen erklärtworden sei, sowie ein Antwortschreiben des von M.S. be-auftragten Rechtsanwalts. Erst in der mündlichen Ver-handlung vor dem AG hat die Bekl. geltend gemacht, inden Handakten seien Schriftstücke dritter Personen ent-halten, zu denen ein Mandatsverhältnis bestehe.

[23] (2) Angesichts des wechselnden, von dem Kl. be-strittenen Sachvortrags kann nicht davon ausgegangenwerden, dass die herauszugebenden Handakten drittePersonen betreffende Schriftstücke enthalten, die durch

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ein Mandatsverhältnis mit der Bekl. verbunden sind.Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die Bekl. zu-nächst lediglich ohne Bezug auf ein Mandatsverhältnisgeltend gemacht hat, dass „in diesen Schriftstücken na-türliche Personen involviert“ seien, hinsichtlich derereine Verschwiegenheitspflicht bestehe. Daraus kannschon nicht entnommen werden, ob die Schriftstückevon diesen Personen stammen oder diese Personen le-diglich im Rahmen der Mandate schriftsätzlich erwähntwurden. Überdies legen die erstinstanzlichen schrift-sätzlichen Darlegungen der Bekl. nahe, dass die Hand-akten tatsächlich nur das Mandatsverhältnis zu derSchuldnerin betreffende Unterlagen aufweisen. Die Er-klärung in der mündlichen Verhandlung vor dem AG, zudritten Personen sei ein Mandatsverhältnis begründetworden, entbehrt jeder auch nur abstrakten Konkretisie-rung. Da eine besondere Geheimhaltungspflicht erstnachträglich behauptet wurde, hätte sie zumindest plau-sibel gemacht werden müssen. Ferner kommt hinzu, dassdie Bekl. von der Schuldnerin in zwei Verfahren manda-tiert wurde. Es erscheint erklärungsbedürftig, dass ausge-rechnet mit diesen beiden Mandaten gesonderte Manda-te der Bekl. zu dritten Personen verknüpft sind.

[24] bb) Zudem ist eine erhöhte Darlegungspflicht derBekl. geboten, weil es die anwaltlichen Berufspflichtenverletzen kann, unterschiedliche Mandate betreffendeSchriftsätze in einer Handakte zu vereinigen.

[25] cc) Gemäß § 50 I BRAO muss der Rechtsanwaltdurch Anlegen von Handakten ein geordnetes Bild überdie von ihm entfaltete Tätigkeit geben können. Um die-ser Verpflichtung zu genügen, hat der Anwalt zu jedemMandat eine eigenständige Akte anzulegen. Die Pflichtzur Anlegung der Handakte ist lückenlos (Henssler/Prütting/Offermann-Burckart, BRAO, 4. Aufl., § 50 Rn.6, 11 f.; Feuerich/Weyland/Träger, BRAO, 9. Aufl., § 50Rn. 1; Tauchert/Dahns, in Gaier/Wolf/Göcken, Anwalt-liches Berufsrecht, 2. Aufl., § 50 BRAO Rn. 3). Die Normbezweckt die Sicherstellung der Mindestvoraussetzungeiner Verwaltungsstruktur für die anwaltliche Tätigkeiteinerseits und die Schaffung eines Beweismittels für denRechtsanwalt und seinen Mandanten andererseits. DieRegelung dient dem Schutz des Mandanten, der mit derHandakte ein Beweismittel für ein etwaiges Fehlverhal-ten des Anwalts erhält (Tauchert/Dahns, a.a.O.). DieFührung einer Handakte für unterschiedliche Verfahrenstellt darum regelmäßig einen Organisationsmangeldes Rechtsanwalts dar (vgl. BGH, Beschl. v. 14.1.1999 –III ZB 44/98, NJW-RR 1999, 716).

[26] dd) Bei dieser Sachlage war es der Bekl. ohne be-sonderen Anlass verwehrt, andere Mandate betreffen-de Schriftstücke in die Handakten einzufügen, welchedie Verfahren der Schuldnerin zum Gegenstand ha-ben. Vor diesem Hintergrund bedürfte es einer einge-henden Darlegung, warum die Bekl. für die unter-schiedlichen Mandate nicht gesonderte Handaktengeführt hat.

[27] III. Das angefochtene Urteil kann damit keinen Be-stand haben. Es wird aufgehoben (§ 562 I ZPO). Da die

Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, wird sie zurneuen Verhandlung und Entscheidung an das Beru-fungsgericht zurückverwiesen. Dieses wird nunmehraufgrund ergänzenden Sachvortrags der Bekl. darüberzu befinden haben, ob sie den Anforderungen an dieDarlegung einer Geheimhaltungspflicht genügt hat.

HINWEISE DER REDAKTION:Mit Urteil vom 3.11.2014 (BRAK-Mitt. 2015, 39) hatder BGH klargestellt, dass sich eine Berufspflicht zurHerausgabe von Handakten zwar nicht ausdrücklichaus § 50 BRAO ergibt, aber aus der Generalklauseldes § 43 BRAO i.V.m. §§ 675, 667 BGB und inziden-ter auch aus § 50 BRAO.

VERSTOSS GEGEN DATENSCHUTZRECHTLICHEVORSCHRIFTEN ALS BERUFSRECHTSVERSTOSS

BRAO §§ 43, 73 II Nr. 4, 118 II; BDSG §§ 4, 28 I 1 Ziff. 3

* 1. Ein Landesdatenschutzbeauftragter hat, ohnebesondere berufsrechtliche Pflichten zu berücksich-tigen oder zu bewerten, nur originäre Verstöße ge-gen das Bundesdatenschutzgesetz bzw. das Landes-datenschutzgesetz zu verfolgen. Er prüft ausschließ-lich nach diesen für jedermann geltenden Rechts-grundlagen, ob ein Verstoß gegen die Bestimmun-gen des Datenschutzrechts vorliegt, und ob ein fest-gestellter Verstoß der Verhängung einer Geldbußenach diesen Rechtsgrundlagen bedarf.* 2. Die Unabhängigkeit der anwaltlichen Berufs-ausübung ist durch eine unabhängige Aufsicht si-chergestellt, die Aufgabe des Vorstands der Rechts-anwaltskammern ist.* 3. Nur wenn ein Berufsträger in einem Straf- oderBußgeldverfahren von einem in dem gerügten Ver-halten liegenden Verstoß gegen datenschutzrecht-liche Vorschriften freigesprochen würde, wären dieRechtsanwaltskammer und auch das Anwaltsge-richt an diese Bewertung gebunden.AnwG Berlin, Beschl. v. 5.3.2018 – 1 AnwG 34/16

AUS DEN GRÜNDEN:Die Ast. ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarkt-recht. Sie wandte sich mit mindestens vier gleichlauten-den Schreiben (...) an Genussrechteinhaber und inso-weit Gläubiger der Xy AG, deren Namen und Adressensie vorher durch Akteneinsicht in die lnsolvenzakte beimAG D. ermittelt hatte. Genussrechteinhaber sind keineGesellschafter, so dass diese nicht im Handelsregistereingetragen sind.

Die Ast. formulierte in ihrem Schreiben: „Ihre Adressenhaben wir als Vertreter unserer Mandanten im Rahmeneiner Akteneinsichtnahme bei Gericht erhalten.“ EinigeSätze später heißt es in dem Schreiben: „Sofern Sie be-reits einen Anwalt beauftragt haben, werden lhre lnteres-

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sen bereits hinreichend gewahrt. Dann betrachten Sie un-ser Schreiben bitte als gegenstandslos. Andernfalls soll-ten Sie weiterlesen, da es um lhr Geld geht.“ Weiter emp-fahl die Ast. in jenem Schreiben den jeweils angeschriebe-nen Gläubigern, dass diese ihre Forderungen beim lnsol-venzverwalter anmelden sollten. Sie legte hierbei ihreRechtsauffassung dahingehend dar, dass entgegen derMeinung des lnsolvenzverwalters die den Genussrechte-inhabern zustehenden Forderungen nicht nachrangig sei-en. Zudem wies die Ast. in ihrem Schreiben darauf hin,dass die Genussrechteinhaber zusätzlich Schadensersatz-ansprüche geltend machen sollten, um die eigene Quotebei der Verteitung zu erhöhen. (...)

Sie behauptete in ihren Schreiben außerdem, dass dieEinberufung einer Gläubigerversammlung und die Bestel-lung eines gemeinsamen Vertreters gem. § 7 SchVG eingeeignetes Vorgehen sei, um im Rahmen des lnsolvenz-verfahrens die Rechte der Genussrechteinhaber wahrzu-nehmen. Hierdurch würde eine effektive und zügigeDurchführung des lnsolvenzverfahrens gewährleistet. (...)Den einzelnen Gläubigern, so schrieb die Ast. weiter, ent-stünden keine Kosten aus der Bestellung eines gemeinsa-men Vertreters, da diese aus der lnsolvenzmasse bezahltwürden. Sie relativierte diese Aussage dahingehend, dassdies allerdings dazu führe, dass die Quote des einzelnenGläubigers sich verringere. (...)

Sie empfahl den Adressaten ihres Schreibens insoweitdie Kanzlei, der sie angehört, zu beauftragen. Wörtlichschrieb sie dazu: „Warum sollten Sie unsere Kanzlei be-vollmächtigen? Unsere Kanzlei berät seit 1996 Anlegerzu allen Aspekten des Kapitalanlagerechts und gehörtmit zwölf Rechts- und Fachanwälten, die ausschließlichauf diesem Gebiet tätig sind, zu den führenden Anleger-schutzkanzleien in Deutschland. Unsere Rechtsanwältehaben bundesweit in Gläubigerausschüssen gearbeitet.Darüber hinaus haben wir uns auch in Sammelverfah-ren mit mehreren tausend Anlegern wie beisplelsweisegegenüber der Bankgesellschaft Berlin eine hervorra-gende Expertise erarbeitet und sind bestens mit der Ab-wicklung von Massenverfahren vertraut. Mit der in derAnlage beigefügten Vollmacht würden wir gegenüberdem Gericht auf die Durchführung einer Gläubigerver-sammlung der Genussrechtegläubiger drängen und imFalle der Durchführung für die Bestellung eines gemein-samen Vertreters stimmen. Durch die Erteilung der Voll-macht entstehen für Sie keine Kosten. Wir bitten umzeitnahe Rückmeldung.“

I. Der Antrag der Ast. auf anwaltsgerichtliche Entschei-dung ist gem. § 74a BRAO zulässig, insbesondere ist erinnerhalb der gesetzlichen Frist beim Anwaltsgerichteingegangen. Der Einspruch der Ast. gegen den Rüge-bescheid der Abteilung Ill des Vorstandes der RAK Ber-lin v. ..., wurde durch Beschluss der Abteilung IV desVorstandes der RAK Berlin, ..., v. ... zurückgewiesen. Die-ser wurde der Ast. am ... zugestellt, lhr Antrag auf ge-richtliche Entscheidung gem. § 74a BRAO ging am ...per Telefax beim Anwaltsgericht ein. Die Ast. hat gegen-über der RAK Berlin mit Schreiben v. ... in ihrer Ein-

spruchsbegründung v. ... sowie in einem Schriftsatz andas Anwaltsgericht v. ... ausführlich Stellung genom-men. Auf ihren Antrag v. ... wurde zunächst eine münd-liche Verhandlung für den ... anberaumt. Mit Schriftsatzv. ... ließ die Rechtsanwältin weitere Einwände vortra-gen, beanstandete die Zuständigkeit der RAK und bean-tragte ..., das Verfahren auszusetzen und dem Europäi-schen Gerichtshof zwei Fragen zur Vorabentscheidungvorzulegen betreffend die Auslegung des Art. 28 VI 1, 2der Richtlinie 95/46/EG.

Die Kammer hat hierüber beraten und am ... ausführ-liche Hinweise erteilt. In der (...) mündlichen Verhand-lung hat sich die Antragstellerin persönlich geäußert,insbesondere hat sie eingeräumt, rückschauend meinesie auch, dass man die gerügten Schreiben besser hätteformulieren können. Der Rechtsanwalt der Ast. legtedas an die Ast. gerichtete Schreiben des Berliner Daten-schutzbeauftragten v. ... vor, welches wiederum auf einan den Berliner Datenschutzbeauftragten adressiertesSchreiben der Ast. v. ... Bezug nahm. (...) Nachgereichtwurde von dem Rechtsanwalt das Schreiben der Ast. anden Datenschutzbeauftragten v. ... sowie ein weitererSchriftsatz v. ... mit Hinweisen auf ein White Paper derDSK (Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bun-des und der Länder) v. 29.6.2017 zur künftigen DS-GVO.

1. Die Zuständigkeit des AnwG Berlin, den Rügebe-scheid der RAK Berlin zu prüfen, ergibt sich aus § 74a IBRAO. Sie bestünde auch dann, wenn – wie die Ast. gel-tend macht – die RAK Berlin nicht für die Prüfung desVerhaltens der Ast. zuständig gewesen wäre.

2. Soweit die Ast. meint und in der mündlichen Ver-handlung v. ... noch einmal ausgeführt hat, dass dieRAK Berlin neben dem Datenschutzbeauftragten keineeigene Zuständigkeit besitze, jedenfalls keine Befugnis,wegen möglicher Verstöße der Rechtsanwältin gegenVorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes eine Rügezu erteilen, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Die

Kein Strafklage-verbrauch

Entscheidung des Daten-schutzbeauftragten bewirktgegenüber der berufsrecht-lichen Prüfung und Ahn-

dung keinen „Strafklageverbrauch“, da berufsrechtlicheSanktionen lediglich disziplinarischen und keinen be-strafenden Charakter haben (BVerfGE 21, 378, 384 ff.;BVerfGE 27, 180, 184 f.).Der Landesdatenschutzbeauftragte hat – ohne beson-dere berufsrechtliche Pflichten zu berücksichtigen oderzu bewerten – nur originäre Verstöße gegen das Bun-desdatenschutzgesetz bzw. das Berliner Datenschutz-gesetz auf Grundlage von § 38 BDSG, § 33 BlnDSG zuverfolgen. Er prüft ausschließlich nach diesen für jeder-mann geltenden Rechtsgrundlagen, ob ein Verstoß ge-gen die Bestimmungen des Datenschutzrechts vorliegt,und ob ein festgestellter Verstoß der Verhängung einerGeldbuße nach diesen Rechtsgrundlagen bedarf.

Die RAK ist hingegen gem. § 73 II Nr. 4 BRAO zustän-dig, die ErfüIIung der den Kammermitgliedern obliegen-

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den Pflichten zu überwachen und das Recht der Rügezu handhaben, wenn nach Auffassung der RAK berufs-rechtswidriges Verhalten vorliegt. lnsoweit fällt die Ein-haltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften alseine spezielle Ausformung der anwaltlichen Berufs-pflicht in die Zuständigkeit der RAK. Diese berufsrecht-liche Aufsicht unterfällt dem Aufgabenbereich derSelbstverwaltung und kann daher nicht durch Behördenerfolgen, die der Rechts- und Fachaufsicht unterschied-licher Ministerien unterstehen. Dies gilt umso mehr, alsder Schutz der anwaltlichen Berufsausübung vor staat-licher Kontrolle und Bevormundung auch grundrecht-lich abgesichert ist, BVerfG, Beschl. v. 8.11.1978 –1 BvR 589/72, BVerfGE 50, 16, st. Rspr.

Die Unabhängigkeit der anwaltlichen Berufsausübung

UnabhängigeAufsicht durch RAKn

ist durch eine unabhängigeAufsicht sichergestellt, wel-che Aufgabe des Vorstandsder RAKn ist. Das ent-

spricht auch – soweit datenschutzrechtliche Tatbestän-de zu prüfen sind – den Vorgaben der Richtlinie 95/46EG, die in Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 anordnet, dassderartige Prüfungen „in völliger Unabhängigkeit“ erfol-gen müssen. Darunter ist zu verstehen, dass die prüfen-de Stelle frei von Weisungen und Druck handeln kann,EuGH, Urt. v. 9.3.2010 – C-518/07 Rn. 18. Gerade dieswird durch die Aufsicht der RAKn gewährleistet.Nur wenn die Antragstellerin in einem Straf- oder Buß-geldverfahren von einem in dem gerügten Verhalten lie-genden Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschrif-ten freigesprochen worden wäre, wären die RAK undauch das AnwG an diese Bewertung gebunden, § 118 IIBRAO. Dies ist aber gerade nicht der Fall. In seinemSchreiben v. ... hat der Berliner Datenschutzbeauftragteausdrücklich festgestellt, dass Verstöße gegen die Be-stimmungen des § 28 III BDSG vorliegen. Die Behördehat mit der ausdrücklichen Ermahnung, die Antragstel-lerin möge künftig genau auf die Begrenzung werben-der Effekte in ähnlichen Schreiben achten, und offenbarin der Erwartung, dass die Antragstellerin dem nach-kommen werde, von der Verhängung eines Bußgeldesabgesehen und das Verfahren eingestellt. Damit bliebdie RAK zuständig, selbstständig zu prüfen, ob ein Ver-stoß gegen die Vorschriften des BDSG vorliegt, ob dane-ben oder zugleich ein Verstoß gegen berufsrechtlichePllichten gegeben ist und ob eine berufsrechtliche Sank-tion erfolgen soll.Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von derAst. zitierten Entscheidung des KG v. 20.8.2010 – 1 Ws(B) 51/07. lm Gegenteil wird dort die Verletzung desBDSG im Hinblick darauf, dass der betreffende Anwaltkeine Auskünfte gegenüber dem Datenschutzbeauf-tragten erteilt hat, im Ergebnis deswegen abgelehnt,weil neben dem Datenschutzrecht das anwaltliche Be-rufsrecht gilt und der Anwalt sich insoweit auf seineSchweigepflicht berufen kann. Dies spricht nicht gegendie Befugnis der RAK, mögliche Verstöße gegen die Ver-traulichkeit von Daten bzw. gegen materiell-rechtlicheVorschriften des BDSG dahingehend zu uberprüfen, ob

sie (auch) berufsspezifische Pflichtverletzungen darstel-len und ggf. zu ahnden sind.

II. Das an verschiedene Genussrechteinhaber versandte,

Verstoß gegenDatenschutz

gleichlautende Schreiben derAntragstellerin v. ... verstießgegen § 43 BRAO i.V.m.§§ 4, 28 BDSG. Die Antrag-

stellerin durfte die verwendeten personenbezogenen Da-ten nicht zu Zwecken der Eigenwerbung nutzen.

1. § 4 BDSG lässt die Erhebung, Verarbeitung und Nut-zung personenbezogener Daten nur zu, soweit der Be-troffene einwilligt oder ein Erlaubnistatbestand vorliegt.Eine Einwilligung der Genussrechteinhaber und Adres-saten des Schreibens v. ... in die Nutzung der personen-bezogenen Daten lag nicht vor. Für die Datenerhebungund -speicherung für eigene Geschäftszwecke sind dieVoraussetzungen in § 28 BDSG geregelt. Keiner derdortigen Erlaubnistatbestände ist gegeben.

Die Gläubigerdaten hat die Ast. nicht dem Handelsre-gister entnommen, sondern durch Einsichtnahme in dielnsolvenzakte erlangt. Die lnsolvenzakte stellt keine freizugängliche Quelle von Daten dar (§ 299 ZPO, § 4lnsO), so dass der Erlaubnistatbestand des § 28 I 1Ziff. 3 BDSG ausscheidet. Auch aus § 28 I 1 Ziff. 2 BDSGkann die Verwendung der personenbezogenen Daten inder Weise, wie sie in den Schreiben v. ... erfolgte, nichtgerechtfertigt werden. Diese Vorschrift lässt die Ver-wendung nur zu, soweit diese „zur Wahrung berechtig-ter lnteressen der verantwortlichen Stelle erforderlichist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass dasschutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Aus-schluss der Verwendung oder der Nutzung überwiegt“.Es ist schon nicht ersichtlich, dass die Schreiben v. ... un-ter Verwendung der aus der lnsolvenzakte ermittettenDaten zur Wahrung der berechtigten lnteressen derAst., deren Kanzlei oder der zu dieser bereits in einemMandatsverhältnis stehenden Personen „erforderlich”waren. Jedenfalls wäre bei dar Abwägung der lnteres-sen zu berücksichtigen, dass es sich um Daten handel-te, die durch die besondere anwaltliche Stellung, in Aus-nutzung der besonderen anwaltlichen Informations-bzw. Akteneinsichtsrechte, erlangt worden sind, und de-ren Verwendung äußerst limitiert ist.

Liegt eine werbliche Verwendung von Daten vor, dann

§ 28 III BDSGsind die speziellen Regelun-gen des § 28 III BDSG maß-geblich. § 28 III BDSG

schließt die Verwendung solcher personenbezogenerDaten, die weder aus allgemein zugänglichen Quellennoch aus einer bereits bestehenden Geschäftsbezie-hung stammen noch durch Einwilligung des Betroffenenerlangt sind, zu Werbezwecken weitgehend aus. Selbstwenn die Daten ggf. auch im Interesse der (bisherigen)Mandanten genutzt werden und sich die Ast. insoweitauf § 28 I 1 Nr. 1 BDSG berufen will, beispielsweise, umdurch die Vergrößerung der Gruppe von Betroffenen,die ihre Rechte geltend machen, für den oder die eige-nen bisherigen Mandanten eine bessere Ausgangslage

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zu erzeugen, rechtfertigt dies die Verwendung der per-sonenbezogenen Daten schon dann nicht, wenn die An-schreiben auch Werbung für die eigene Arbeit derKanzlei darstellen bzw. die Schreiben auch darauf ab-zielen, von den Adressaten mandatiert zu werden. § 28III BDSG ist eine abschließende Spezialregelung für dieNutzung personenbezogener Daten im Bereich der Wer-bung. Ein Rückgriff auf andere Erlaubnistatbestände istnicht möglich (Gola/Schomerus, BDSG, § 28 Rn. 42;Wolff/Brink, Datenschutzrecht, § 28 Rn. 112). Der § 28III BDSG sieht eine Relativierung des Schutzes der aufbesondere Weise erlangten Daten – etwa um aus-nahmsweise die Werbung im Interesse der Adressaten,Verbraucher, Anleger freizustellen – gerade nicht vor(OLG Köln, Urt. v. 17.1.2014 – I-6 U 167/13). Die Ver-wendung der Daten wird auch nicht dadurch gerecht-fertigt, dass die Daten an sich legitim erworben wurden(BGH, Urt. v. 5.2.2013 – II ZR 136/11; OLG Köln, Urt. v.17.1.2014, I-6 U 167/13).2. Nach Überzeugung der Kammer hat das Schreibenv. ... werblichen Charakter. Der Wortlaut und der Ge-samteindruck des Schreibens sprechen dafür, dass dieAst. als Verfasserin des oben zitierten Schreibens so-wohl objektiv als auch subjektiv versucht hat, weitereMandanten zu gewinnen. Das Schreiben beschränktsich nicht darauf, die objektive Rechtslage darzustellen,sondern enthält mehrfache Selbstanpreisung („gehörtzu den führenden Anlegerschutzkanzleien”, „hervorra-gende Expertise” u.a.). Es kommt entgegen den Ausfüh-rungen der Ast. im Schriftsatz v. 3.11.2017 gerade nichtauf den Nachweis einer Absicht an, sondern auf denäußeren Eindruck des Schreibens. Werbung ist insoweit„jeder Äußerung der Ausübung (... des) freien Berufs mitdam Ziel, ... die Erbringung von Dienstleistungen ... zufördern” (Art. 2 Nr. 1 der RL 84/450 EWG v. 10.9.1984in der Fassung der RL 97/55/EG v. 6.10.1997).Die Lockerung des anwaltlichen Werbeverbots erlaubtkeinen Verstoß gegen das Datenschutzgesetz, das dieVerwendung geschützter, personenbezogener Daten zuWerbezwecken nur eingeschränkt zulässt. Auch soweitWerbung und Direktwerbung zulässig ist, müssen die be-rufsbezogenen Angaben in der Werbung wahr sein (BGH,Urt. v. 24.7.2014 – I ZR 53/13). Die Darstellung im streit-gegenständlichen Schreiben v. ... widerspricht diesemSachlichkeits- und Wahrheitsgebot, vgl. insoweit auch§ 43b BRAO. Der Gesetzgeber hat mit dem § 43b BRAOden Zweck verfolgt, klarzustellen, dass der Rechtsanwalt/die Rechtsanwältin Werbung nur betreiben darf, soweites sich um eine lnformationswerbung handelt, die übersein Dienstleistungsangebot sachlich informiert (Feuer-ich/Weyland/Böhnlein, § 43b Rn. 27).a) Während in dem Schreiben v. ... angegeben wird,zwölf Fachanwälte seien „ausschließlich” auf dem Ge-biet des Kapitalanlagerechts tätig, heißt es in der Stel-lungnahme der Ast. v. ..., die Sozietät vertrete „schwer-punktmäßig unter anderem“ auf diesem Gebiet. Soweitdie Ast. hierzu in der mündlichen Verhandlung ausge-führt hat, dass in der Kanzlei insgesamt 14 Rechtsan-wälte tätig seien, von denen zwei mit den übrigen ver-

bleibenden zwölf Anwälten nur in Bürogemeinschaftverbunden seien, löst sich hierdurch die Unvereinbar-keit beider Behauptungen nicht auf. Die mangelndePräzision dieser Tatsachenbehauptung war bedenklich,da diese geeignet und auch darauf gerichtet war, dieEntscheidung des Adressaten zur Beauftragung derKanzlei der Ast. zu beeinflussen.b) Die Ast. behauptet in ihrem Schreiben v. ... außer-dem, den Gläubigern, die sie und ihre Kanzlei beauf-tragen würden, entstünden keine Kosten, da die Kos-ten des gemeinsamen Vertreters aus der lnsolvenz-masse bezahlt würden. Selbst wenn die Kosten der Be-auftragung des gemeinsamen Vertreters aus der Insol-venzmasse beglichen werden könnten, bleibt der Auf-traggeber aber selbst ebenfalls Kostenschuldner. An-haltspunkte dafür, dass durch die Beauftragung einesRechtsanwalts/einer Rechtsanwältin zum gemeinsa-men Vertreter nicht mindestens eine Geschäftsgebühri.S.d. Gebührentatbestands VV RVG 2300 entstehenwürde, bestehen nicht. Die Behauptung der Ast. ent-spricht überdies nicht der heutigen – nunmehr mit Ur-teil des BGH v. 12.1.2017 – IX ZR 87/16, höchstrichter-lich entschiedenen – Rechtsauffassung und war be-reits zum damaligen Zeitpunkt, im Jahr 2014, umstrit-ten (s. dazu die ausführl. Nachw. bei BGH a.a.O.Rn 10 ff., 28), so dass die Ast. mit dieser uneinge-schränkten Behauptung, die Kosten ihrer Beauftra-gung würden aus der lnsolvenzmasse beglichen, ohnenäheren Hinweis, dass dies umstritten oder höchst-richterlich noch nicht entschieden ist, aus Sicht derKammer ebenfalls gegen das Sachlichkeitsgebot des§ 43b BRAO verstoßen hat.Die vorstehenden Ausführungen waren nicht Gegen-stand der von der RAK Berlin erteilten Rüge v. ... Auchdie Tatsache, dass die Ast. mit ihrem Schreiben v. ... dieGenussrechteinhaber in einer Situation angeschriebenhat, in der sie auf konkreten Rechtsrat angewiesen wa-ren, jedenfalls aber aufgrund ihrer Situation ein erheb-liches Interesse an Rechtsrat oder rechtlicher Vertre-tung hatten, ist mit der Rüge v. ... nicht beanstandet, of-fenbar in Ansehung des Urteils des BGH v. 13.11.2013– I ZR 15/12, Kommanditfstenbrief. Ebenfalls kann da-hinstehen, ob die §§ 4 I, 28 BDSG Marktverhaltensre-geln i.S.d. § 3a UWG n.F. darstellen und die Antragstel-lerin daher wettbewerbswidrig i.S.d. § 3a UWG n.F. ge-handelt hat, wenn sie unzulässig Daten verarbeitetoder zu Werbezwecken verwendet.3. Mit der festgestellten Verletzung von §§ 4, 28 I 1

§ 43 BRAONr. 3 BDSG liegt zugleichein nicht unbeachtlicher Ver-stoß gegen anwaltliches

Berufsrecht vor. Nach § 43 BRAO hat der Rechtsanwaltseinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich inner-halb und außerhalb des Berufes der Achtung und desVertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts er-fordert, würdig zu erweisen. Diese Generalklausel istzwar durch die Regelungen in §§ 43a, 43b, 59b BRAOund die auf Grundlage des § 59b BRAO erlassene BO-RA spezialgesetzlich ergänzt worden. Sie ist aber als

BERUFSRECHTE UND PFLICHTEN

BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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Generalklausel bewusst aufrechterhalten worden imSinne einer Überleitungsnorm, die aus anderen gesetz-lichen Pflichten mit berufsrechtlicher Relevanz weiteresich ergebende Pflichten in das anwaltliche Berufsrechtüberträgt (Feurich/Weyland, § 43 Rn. 13; BVerfGE 26,186; BVerfGE 66, 337). Die Generalklausel des § 43BRAO greift ein, wenn berufsrechtliche Spezialregelnfehlen, aber gegen in anderen Normen auferlegtePflichten verstoßen würde (Feuerich/Weyland, § 43 Rn.12), soweit diese berufsrelevanten Regelungsinhalt auf-weisen und von der allgemeinen, in § 43 BRAO zumAusdruck kommenden Berufspflicht noch umfasst sind(Feuerlch/Weyland, § 43 Rn. 11; Henssler/Prütting,BRAO, § 43, Rn. 21). Damit stellt nicht jeder Verstoß ge-gen allgemeine Gesetze gleichzeitig eine Berufspflicht-verletzung i.S.v. § 43 BRAO dar, sondern nur dann,wenn das Verhalten mit der gewissenhaften Berufsaus-übung und der Stellung des Rechtsanwalts nicht verein-bar ist (AGH Berlin, Beschl. v. 29.10.2015 – I AGH 8/15). Entscheidend ist, dass deren Verletzung materiellberufsbezogen ist (Feuerich/Weyland, § 43 Rn. 14 so-wie § 113 Rn. 10). Die Vorschriften dar BRAO regeln ru-dimentär die anwaltlichen Pflichten im Umgang mit Da-ten, die Kontroll- und Aufsichtspflichten sowie die Sank-tionsmöglichkeiten und schließen die Anwendbarkeitdes BDSG nicht aus, vgl. u.a. KG v. 20.8.2010 – 1 Ws(B) 51/07.Die strikte Beachtung der datenschutzrechlichen Rege-lungen gehört nach Überzeugung des Gerichts zumKernbereich anwaltlicher Pflichten, der hier festgestellteVerstoß gegen §§ 4, 28 BDSG stellt zugleich einen Be-rufsrechtsverstoß i.S.d. § 43 BRAO dar.Der Rechtsanwalt/die Rechtsanwältin ist Geheimnisträ-ger i.S.d. § 203 StGB und dadurch besonders verpflich-tet, aber auch besonders privilegiert. In dieser Funktionbleibt die Weitergabe von Daten an Mitglieder der An-waltschaft nach dem BDSG sanktionslos. Durch dieZPO und die StPO räumt der Gesetzgeber dem Rechts-anwalt/der Rechtsanwältin als Vertreter seines/ihresMandanten und als Organ der Rechtspflege besondereUnterlagen- und damit Dateneinsichts- und Datenein-zugsrechte ein. All diese Rechte werden der Anwalt-schaft gerade im Vertrauen auf ihre lntegrität im Um-gang mit diesen (sensiblen) Daten bei der Vertretungvon Mandanteninteressen und der Durchsetzung derEinhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze im Verfahreneingeräumt. Soweit Rechtsanwälte/Rechtsanwältinnenin ihrer Kanzlei also personenbezogene Daten verarbei-ten, unterfallen sie einer besonderen Vertrauenserwar-tung des Mandanten und Dritter in die lntegrität desBerufsstandes und in die nicht rein kommerzialisierteAusübung ihrer Tätigkeit (vgl. BGH, Urt. v. 7.11.2016 –AnwZ (BrfG) 47/15, Rn. 21). Der Rügebescheid der RAKBerlin v. ... ist somit zu Recht ergangen.Ill. Für die von der Ast. beantragte Vorlage von Rechtsfra-gen an den EuGH gem. § 267 III AEUV gibt es keine Ver-anlassung. Das nationale Gericht ist, wenn die Vorausset-zungen gegeben sind, zur Vorlage verpflichtet, darf aberandererseits dem EuGH Rechtsfragen nur vorlegen, wenn

sie a) für die Auslegung europäischer Rechtsquellen er-forclerlich ist, auf deren Anwendung es b) im konkretenRechtsfall ankommt. Das ist nicht der Fall.1. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Regelun-gen der RL 95/46 EG eine Prüfung der RAKn ausschlie-ßen, ob datenschutzrechtliche Verstöße durch Rechts-anwälte vorliegen und ob sie einer berufsrechtlichenSanktion bedürfen. Ziel der RL 95/46 EG ist der mög-lichst effektive Schutz der Privatsphäre (Art. 1 I) durchMindestanforderungen an den Schutz von personenbe-zogenen Daten, die von jedem Mitgliedstaat umzusetzensind. Die Umsetzung erfolgt durch innerstaatlichesRecht. Nach Art. 28 I der Richtlinie sind die Mitgliedstaa-ten frei, „eine(r) oder mehrere(n) öffentlichen Stellen” ein-zurichten, um die Anwendung der zur Umsetzung dieserRichtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften in ih-rem Hoheitsgebiet zu überwachen. Art. 28 II, 2. Unter-abs. ordnet an: „Diese Stellen nehmen die ihnen zuge-wiesenen Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahr“.Dies kann schon dem Wortlaut nach nicht so verstandenwerden, dass die Tätigkeit einer Stelle die Tätigkeit eineranderen ausschließe, sondern es geht darum, dass dieStellen, die Datenschutzbelange zu prüfen haben, nichtdurch staatliche Eingriffe in ihrer Kontrolltätigkeit behin-dert werden, EuGH v. 9.3.2010 – C-518/07.Weiter ordnet die RL 2006/123/EG des EuropäischenParlaments und des Rates v. 12.12.2006 in Art. 24 II 1ausdrücklich an, dass die Mitgliedstaaten sicherzu-stellen haben, „dass die kommerzielle Kommunikationdurch Angehörige reglementierter Berufe die Anforde-rungen der berufsrechtlichen Regeln erfüIIt, die imEinklang mit dem Gemeinschaftsrechts je nach Berufinsbesondere die Unabhängigkeit, die Würde und dieIntegritat des Berufsstandes sowie die Wahrung desBerufsgeheimnisses gewährleisten sollen”, s. dazuauch BGH v. 7.11.2016 – AnwZ (BrfG) 47/15, Rn. 21.2. Die von der Ast. in die mündliche Verhandlung einge-brachte Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung, DS-GVO) kann für die Beurteilungder Rüge der RAK schon deshalb nicht herangezogenwerden, weil sie erst am 25.5.2018 in Kraft treten wird,vorliegend hingegen Verstöße v. ... und eine Rüge derRAK vom Oktober 2015 nach dem damals und heutegültigen Recht zu beurteilen waren und sind. Es ist aberauch zweifelhaft, ob die Datenschutz-Grundverordnungfür Fälle wie den vorliegenden zu einer wesentlichen Än-derung der Rechtslage führen wird. Zwar kann künftig(Erwägungsgrund 47 a.E.) „die Verarbeitung personen-gebundener Daten zum Zwecke der Direktwerbung alseine einem berechtigten Interesse dienende Verarbei-tung betrachtet werden“. Jedoch hat der Verwender beifehlender Einwilligung selbst eine Abwägung vorzuneh-men zwischen dem zu vermutenden Interesse des Ad-ressaten und dessen zu schützender Grundrechtsposi-tion auf Datenschutz bzw. informationelle Selbstbestim-mung. Nach Erwägungsgrund 47 der DS-GVO müssenfür die Prüfung der Zulässigkeit der Datenverwendungzu Werbezwecken gerade die vernünftigen Erwartun-gen der betroffenen Personen berücksichtigt werden.

BERUFSRECHTE UND PFLICHTEN

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG

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Insbesondere ist hierfür maßgeblich, ob aufgrund einerrechtlichen oder wirtschaftlichen Beziehung zwischenVerwender und Adressat der Adressat selbst damitrechnen musste oder konnte, dass seine Daten auch zuWerbezwecken verwendet werden. Eine solche wirt-schaftliche Beziehung liegt aber in Fällen dieser Artnoch gar nicht vor. Hinzu kommt: Die Tatsache, dassnur Anwälte als Mitglieder der Anwaltschaft berechtigtsind, in Gerichtsakten Einsicht zu nehmen, ist wiederumkonkreter Ausdruck einer grundrechtlich besonders ge-schützten Datengeheimnisposition des vom gericht-lichen Vorgang betroffenen Adressaten. Die an einemlnsolvenzverfahren beteiligten Gläubiger rechnen nichtdamit, dass die mit Gericht und lnsolvenzverwalter ge-führte Korrespondenz zum darüber hinausgehendenEmpfang von Werbung führt. Die Verwendung dieserbesonders geschützten Daten zu Werbezwecken dürfteunter keinem Gesichtspunkt zulässig sein.

HINWEISE DER REDAKTION:Die BRAK fordert die Einführung eines unabhängigenDatenschutzbeauftragten der Rechtsanwaltschaft. Die-ser soll für die Mitglieder aller Rechtsanwaltskammerndie datenschutzrechtliche Kontrollstelle entsprechendden europarechtlichen Vorgaben sein. Seine Kontrollesoll sich auf alle datenschutzrechtlichen Vorschriften ein-schließlich derer im Bereich der Telemedien und Telekom-munikation erstrecken. Für ihn sollen die für Kontrollstel-len gesetzlich vorgesehenen Aufgaben sowie Rechte undPflichten einschließlich der Zeugnisverweigerungsrechtegelten. Er soll Bußgelder nach den Bestimmungen desBDSG erheben und Maßnahmen zur Gewährleistungder Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften an-ordnen können. Soweit auch berufsrechtliche Maßnah-men nötig sind, sollen die Rechtsanwaltskammern unter-richtet werden, damit diese tätig werden.

FACHANWALTSCHAFTEN

KEINE WERBUNG ALS „FACHANWALT IMMARKEN-, WETTBEWERBS- UND URHEBERRECHT“

BRAO § 43b; BORA §§ 6 III, 7 II

* 1. Auch wenn ein Rechtsanwalt „Fachanwalt für ge-werblichen Rechtsschutz“ ist, darf er werblich nichtzusätzlich mit der Angabe „Fachanwalt im Marken-,Wettbewerbs- und Urheberrecht“ im Internet auftre-ten. Dies stellt einen Verstoß gegen § 7 II BORA dar.* 2. Wird der Internetauftritt der Kanzlei von dem In-haber allein verantwortet, ist der angestellte Rechts-anwalt verpflichtet, seinen Arbeitgeber auf Unter-lassung in Anspruch zu nehmen, da dieser gem. § 6

III BORA verpflichtet ist, zu verhindern, dass uner-laubt für ihn geworben wird.AnwG Köln, Urt. v. 8.1.2018 – 4 AnwG 40/17 R

Volltext unter www.brak-mitteilungen.de

HINWEISE DER REDAKTION:Eine Verwechslungsgefahr besteht generell bei einergroßen sprachlichen Nähe zum Begriff „Fachan-walt“. Als verwechslungsfähig können angesehenwerden Bezeichnungen wie „Fachrechtsanwalt“ (vgl.Zastrow, BRAK-Mitt. 2009, 55, 60), „Sonderfachan-walt“ (vgl. Engelmann/Suppe, BerlAnwBl. 2006, 257,260) oder möglicherweise auch „Fachmann“, „Fach-berater“ und „Fachanwaltskanzlei“.

SYNDIKUSANWÄLTE

ZULASSUNG EINES PERSONALDIREKTORSALS SYNDIKUSRECHTSANWALT

BRAO §§ 46, 46a

* 1. Ein angestellter Jurist, der als Geschäftsführerund Personaldirektor einer für Führungs-, Verwal-tungs- und Beratungsfunktionen zuständigen Gesell-schaft eines Transport- und Logistikkonzerns tätigist, kann als Syndikusrechtsanwalt zuzulassen sein.* 2. Dass der bei einem Unternehmen mit 180 Mitar-beitern in den Tätigkeitsbeschreibungen angespro-chenen und dort als wesentlich eingestuften anwalt-lichen Bearbeitung sämtlicher personalrelevanterrechtlicher Themen tatsächlich keine wesentliche

Bedeutung im Hinblick auf die Prägung zukommt,ist nicht schlüssig.BGH, Beschl. v. 18.4.2018 – AnwZ (Brfg) 20/17

Volltext unter www.brak-mitteilungen.de

ZULASSUNG EINER SCHADENANWÄLTINALS SYNDIKUSRECHTSANWÄLTIN

BRAO §§ 46, 46a

* 1. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur Sachver-haltsaufklärung grundsätzlich nicht, wenn es voneiner sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung ab-

BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

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sieht, die ein Beteiligter nicht ausdrücklich bean-tragt hat.* 2. Unternehmensinterne Compliance-Vorschriften,die keinen unmittelbaren fachlichen Bezug aufwei-sen, sondern lediglich den Verhaltenscodex im Un-ternehmen festschreiben, schränken die fachlicheUnabhängigkeit eines Syndikusrechtsanwalts nichtgrundsätzlich ein.* 3. Dass ein Syndikusrechtsanwalt bezüglich seinerVergütung in eine bestimmte Tarifgruppe nacheinem Manteltarifvertrag eingestuft ist, begründetkeine ernstlichen Zweifel an der Unabhängigkeit desBerufsträgers.BGH, Beschl. v. 12.3.2018 – AnwZ (Brfg) 15/17

HINWEISE DER REDAKTION:Bereits mit Beschluss v. 1.8.2017 (BRAK-Mitt. 2017,245) hat der BGH klargestellt, dass sich bestimmte„Vorgaben“ des Arbeitgebers zur Art und Weise derBearbeitung und Bewertung bestimmter Rechtsfra-gen nicht von „Vorgaben“ unterscheiden, die sichaufgrund einer für ein bestimmtes Rechtsverhältnisgeltenden Rechtslage ergeben.

ZULASSUNG EINES LEITERS DER CLEARINGSTELLEEINES ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN SENDERS

BRAO §§ 46, 46a

* 1. Die Vorschrift des § 7 Nr. 8 BRAO ist bei Syndi-kusrechtsanwälten restriktiv auszulegen.* 2. Die Gefahr, dass ein Rechtsuchender einenRechtsanwalt (auch) deshalb beauftragt, weil dessen„Staatsnähe“ ihm besondere Vorteile erbringen könn-te, besteht bei Syndikusrechtsanwälten gerade nicht,da sie lediglich für ihren Arbeitgeber tätig sind.AGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.5.2018 – 1 AGH 81/16

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HINWEISE DER REDAKTION:Diese Entscheidung liegt auf einer Linie mit einemUrteil des Hessischen AGH v. 13.3.2017 (BRAK-Mitt.2017, 193). Dieser hat entschieden, dass eine Tätig-keit im öffentlichen Dienst nicht generell dazu führt,dass eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ausge-schlossen ist. § 7 Nr. 8 BRAO sei auf Syndici jeden-falls nicht im bisherigen Umfang anwendbar.

ZULASSUNG EINES JURISTISCHENREDAKTEURS ALS SYNDIKUSRECHTSANWALT

BRAO §§ 46, 46a

* Ist ein Jurist mit der Erstellung von Rechtstipps-Videos bzw. juristischen Ratgebern sowie einer Mit-

wirkung in juristischen Ratgebervideos befasst,rechtfertigt dies für sich allein noch keine Zulassungals Syndikusrechtsanwalt.Bayerischer AGH, Urt. v. 9.4.2018 – BayAGH III 4-8/17

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HINWEISE DER REDAKTION:In diesem Fall ergab sich allerdings bereits aus demArbeitsvertrag, dass der Berufsträger nicht nur, son-dern auch zur „Erstellung bzw. Moderation und Prä-sentation von Rechtstipps-Videos“ angestellt wurde.Der weitere Aufgabenbereich wurde durch eine Er-gänzungsabrede zum Arbeitsvertrag dahingehendkonkretisiert, dass der Berufsträger bei seiner Arbeit-geberin auch anwaltlich tätig ist.

KEINE ZULASSUNG FÜR RUHENDE TÄTIGKEIT

BRAO §§ 46, 46a

* 1. Aus dem Wortlaut und der Systematik des Geset-zes sowie der Gesetzesbegründung ergibt sich ein-deutig, dass als Syndikusrechtsanwalt nur derjenigezugelassen werden kann, dessen zum Zeitpunkt derZulassungsentscheidung tatsächlich ausgeübte Tätig-keit den gesetzlichen Zulassungskriterien entspricht.* 2. Eine andere Sichtweise ergibt sich auch nicht imHinblick auf § 231 IV b SGB VI.Bayerischer AGH, Urt. v. 26.3.2018 – BayAGH I 1-4/17

AUS DEM TATBESTAND:Die Parteien streiten über die Zulassungsfähigkeit desKl. zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt füreine beendete Tätigkeit. (...)

AUS DEN GRÜNDEN:

I. Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden,§ 74 I 2 VwGO i.V.m. §§ 112c I, 215 III BRAO. GemäßArt. 15 II BayAGVwGO war ein Vorverfahren nach § 68VwGO nicht durchzuführen. Die Klageänderung ist zu-lässig, da die Bekl. eingewilligt hat, § 91 I VwGO.

II. Die Klage ist jedoch unbegründet und war abzuwei-sen. Der streitgegenständliche Bescheid v. 12.1.2017ist rechtmäßig und verletzt den Kl. – auch soweit derHilfsantrag zurückgewiesen wurde – nicht in seinenRechten, § 113 I 1 VwGO analog.

1. Die Voraussetzungen für die beantragte Zulassungals Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt) für die Zeit v.23.3.2016 bis zum 30.6.2016 sowie für die hilfsweisebeantragte Feststellung, dass der Kl. in der Zeit v.1.4.2007, hilfsweise ab dem 1.1.2016, bis zum30.6.2016 die Voraussetzung erfüllt hatte, um für seineTätigkeit bei der ... als Rechtsanwalt (Syndikusrechtsan-walt) zugelassen zu werden, liegen nicht vor.2.a) Aus dem Wortlaut (§ 46 II 1, III und IV, § 46a I 1Nr. 3 BRAO) und der Systematik des Gesetzes sowieder Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/5201) ergibt

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG

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sich eindeutig, dass als Syndikusrechtsanwalt nur der-jenige zugelassen werden kann, dessen zum Zeitpunktder Zulassungsentscheidung tatsächlich ausgeübteTätigkeit den gesetzlichen Zulassungskriterien ent-spricht (BGH, Urt. v. 29.1.2018 – AnwZ (Brfg) 12/17,WM 2018, 445 unter I 2 a, insb. Rn. 12; AGH Nord-rhein-Westfalen, Urt. v. 25.11.2016 – 1 AGH 50/16,AnwBl. Online 2017, 194 unter 2b insb. (3)). Dies er-gibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut: Gemäߧ 46a I Nr. 3 BRAO muss die Tätigkeit des Syndikus-rechtsanwalts den Anforderungen des § 46 II-V BRAOentsprechen.

Gemäß § 46 II 1 BRAO muss der Syndikusrechtsanwalt

ausgeübte Tätigkeiterforderlich

für seinen Arbeitgeber an-waltlich „tätig“ sein. Ge-mäß § 46 III BRAO liegteine anwaltliche „Tätigkeit“

i.S.d. § 46 II 1 BRAO nur vor, wenn das Arbeitsverhält-nis durch die in § 46 III Nr. 1–4 aufgeführten „Tätigkei-ten“ und Merkmale geprägt ist. Bereits die Gesetzesbe-gründung zu § 46 BRAO n.F. stellt auf eine „tätigkeits-bezogene“ Definition des Syndikusrechtsanwalts ab(vgl. BT-Drs. 18/5201, 19 insb. vorletzter Abs.). Auchdie Systematik der Neuregelung der BRAO führt zu die-sem Ergebnis. Das Kriterium des Tätigkeitsbezugs er-schließt sich nämlich auch aus der Regelung des § 46bIV BRAO und aus § 46 IV 2 BRAO (vgl. AGH Nordrhein-Westfalen, a.a.O.). Auch aus dem Wortlaut von § 46b II2 BRAO ergibt sich die Abhängigkeit der Zulassung vonder tatsächlich ausgeübten Tätigkeit des Betreffenden.Angesichts des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes,der Gesetzessystematik und des klar erkennbaren Wil-lens des Gesetzgebers, wonach Voraussetzung für dieZulassung als Syndikusrechtsanwalt eine zum Zeitpunktder Zulassungsentscheidung tatsächlich ausgeübte Tätig-keit ist, die den Anforderungen des § 46 II-V BRAO ent-spricht, kommt schließlich auch eine ergänzende Ausle-gung der §§ 46 f. BRAO dahingehend, dass nicht aus-schließlich auf die zum Zeitpunkt der Zulassungsentschei-dung tatsächlich ausgeübte, sondern auch auf eine zuvorausgeübte Tätigkeit abgestellt werden könne, nicht in Be-tracht (BGH, a.a.O. unter I 2a insb. Rn. 13/17).

b) Aus diesem Grund beruft sich der Kläger auch ohneErfolg auf § 46a IV 2 Nr. 2 BRAO. Zwar will diese Vor-schrift den Bewerber vor Unwägbarkeiten der Verfah-rensdauer schützen (vgl. BT-Drs. 18/9521, 112 unten).Sie setzt jedoch – wie gezeigt – voraus, dass der Bewer-ber die Tätigkeit im Zeitpunkt der Zulassungsentschei-dung tatsächlich noch ausübt.

c) Eine vorwerfbare verzögerliche Bearbeitung des klä-gerischen Antrags durch die Beklagte ist weder vorge-tragen noch ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus denPersonalakten, dass die Bearbeitung des Antrags be-reits vor dem 1.7.2016 aufgenommen wurde.

3. Eine andere Sichtweise ergibt sich auch nicht im Hin-

§ 231 IVb SGB VIblick auf § 231 IVb SGB VI.

a) Nach § 231 IVb SGB VIwirkt eine Befreiung von

der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach§ 6 I 1 Nr. 1 SGB VI, die unter Berücksichtigung der BRAOin der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung erteilt wurde,auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, fürdie die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird.Sie wirkt nach der genannten Bestimmung auch vom Be-ginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn währenddieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft ineinem berufsständischen Versorgungswerk bestand. DieBefreiung wirkt frühestens ab dem 1.4.2014. Sie wirkt je-doch auch für Zeiten vor dem 1.4.2014, wenn für diese Zei-ten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufs-ständisches Versorgungswerk gezahlt wurden. Der Antragauf rückwirkende Befreiung kann nur bis zum Ablauf des1.4.2016 gestellt werden.b) Ob § 231 IVb SGB VI aus Gründen der Gleichstellungdahin auszulegen ist, dass auch solchen Personen einerückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungs-pflicht zu erteilen ist, die ihre – befreiungsfähige – Syn-dikustätigkeit beendet haben, bevor sie als Syndikus-rechtsanwalt nach neuem Recht zugelassen werdenkonnten, kann dahinstehen. Selbst wenn dies zu vernei-nen sein sollte, hat ein Bewerber grundsätzlich keinerentenversicherungsrechtlichen Nachteile zu befürch-ten. Soweit nach der am 3.4.2014 ergangenen Recht-sprechung des BSG zu der vor dem 1.1.2016 geltendenRechtslage bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern beschäf-tigte Rechtsanwälte nicht gem. § 6 I 1 Nr. 1 SGB VI vonder Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenver-sicherung zu befreien waren (vgl. BSG, Urt. v. 3.4.2014– B 5 RE 13/14 R, NJW 2014, 2743 unter 6 =Rn. 28 ff.), haben zumindest Inhaber einer begünstigen-den Befreiungsentscheidung – bezogen auf die jeweili-ge Beschäftigung, für die die Befreiung ausgesprochenwurde – ein rechtlich geschütztes Vertrauen in den Be-stand dieser Entscheidung (BSG, a.a.O. Rn. 58).c) Auch wenn der Kl. nicht Inhaber einer auf seine abdem 1.4.2007 ausgeübte Tätigkeit bezogenen Befrei-ungsentscheidung ist, sondern bereits mit Bescheidder Bundesversicherungsanstalt für Angestellte v.18.11.1999 von der Rentenversicherungspflicht nach§ 6 I 1 Nr. 1 SGB VI befreit worden war, besteht unab-hängig von der Frage, ob der Vertrauensschutz (BSG,a.a.O. Rn. 58) auch auf die Fälle zu erstrecken ist, in de-nen der Betroffene von einem Antrag auf eine auf diekonkrete Tätigkeit bezogene Befreiung abgesehen hat,weil er vom zuständigen Rentenversicherungsträger dieAuskunft erhalten hat, dies sei wegen der bereits erfolg-ten umfassenden Befreiung nicht notwendig, keine ver-fassungswidrige „Lücke“ zwischen dem anwaltlichenBerufsrecht und dem Sozialrecht. Zwar sieht das an-waltliche Berufsrecht in der Zeit einer vorübergehendenberufsfremden Tätigkeit keine Erstzulassung als Syndi-kusrechtsanwalt vor, während im Unterschied hierzudas Sozialrecht eine durchgehende Befreiung von derVersicherungspflicht ermöglicht. Etwaige berufsrecht-liche Nachteile (keine Zulassung als Syndikusrechtsan-walt) werden jedoch durch das Sozialrecht und seineRegelungen zur Kontinuität der Befreiung von der Versi-

SYNDIKUSANWÄLTE

BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

215

cherungspflicht in der Regel aufgefangen (vgl. insge-samt zu II 3 BGH, Urt. v. 29.1.2018 – AnwZ (Brfg) 12/17, WM 2018, 445 unter I 2 c insb. Rn. 26 ff.).

HINWEISE DER REDAKTION:Bereits mit Urteil vom 29.1.2018 hatte der BGH(BRAK-Mitt. 2018, 105) entschieden, dass als Syndi-kusrechtsanwalt nicht zugelassen werden kann, werzum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung als Be-triebsrat von seiner beruflichen Tätigkeit vollständigbefreit ist. Der AGH Baden-Württemberg (BRAK-Mitt.2018, 109) hat hingegen entschieden, dass einer Zu-lassung als Syndikusrechtsanwältin nicht der Um-stand entgegensteht, dass sich die Berufsträgerin inElternzeit befindet und damit gegenwärtig die Tätig-keit einer Unternehmensjuristin nicht ausübt.

RÜCKWIRKUNG DER BEFREIUNG VON DERGESETZLICHEN RENTENVERSICHERUNGSPFLICHTAUF DEN BEGINN DER BESCHÄFTIGUNG

SGB VI §§ 6 I Nr. 1, 231 IVb 1

Die Rückwirkung der Befreiung von der gesetzlichenRentenversicherungspflicht auf den Beginn der Be-schäftigung gem. § 231 IVb 1 SGB VI setzt nicht vor-aus, dass bereits zum Beginn der Beschäftigungeine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk be-stand. Diese Voraussetzung gilt nur für vorausge-gangene Beschäftigungen, § 231 IVb 2 SGB VI.SG München, Urt. v. 1.2.2018 – S 31 R 1310/17

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NOTARRECHT

AMTSWIDRIGE WERBUNG EINES(ANWALTS-)NOTARS

BNotO §§ 2 S. 2, 29 I

1. Ein Notar ist nicht berechtigt, anstatt der ge-setzlich bestimmten Amtsbezeichnung („Notar“)eine andere Bezeichnung („Notariat“) zu verwen-den.

2. Zur amtswidrigen Werbung durch reklamehafteHinweise und wertende Selbstdarstellungen.BGH, Beschl. v. 23.4.2018 – NotZ (Brfg) 6/17

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HINWEISE DER REDAKTION:Die zuständige Kammer hatte dem klagenden An-waltsnotar die Weisung erteilt, die Bezeichnung „No-tariat & Kanzlei“ so zu ändern, dass erkennbar sei,dass er Rechtsanwalt und Notar ist.

SONSTIGES

KRITISCHE ÄUSSERUNG EINER KÖRPERSCHAFTDES ÖFFENTLICHEN RECHTS

GG Art. 5 I 1, Art. 19 III; UWG §§ 3 I, 4 Nr. 1, 8 I, IIINr. 1, 12 I 2; UWG a.F. § 4 Nr. 7

1. Eine Handwerksinnung kann sich als Körper-schaft des öffentlichen Rechts auf das Grundrechtder Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG berufen, so-weit sie nicht in ihrer Funktion als Teil der öffent-lichen Verwaltung, sondern als Vertreterin der be-rufsständischen und wirtschaftlichen Interessen ih-rer Mitglieder betroffen ist.2. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts musseine Handwerksinnung bei kritischen Äußerungendas Gebot der Sachlichkeit und Neutralität sowohlin inhaltlicher Hinsicht als auch bei den gewähltenFormulierungen wahren. Nimmt sie allerdings be-rufsständische und wirtschaftliche Interessen ihrer

Mitglieder wahr, geht damit eine Lockerung desSachlichkeitsgebots einher.BGH, Urt. v. 1.3.2018 – I ZR 264/16

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HINWEISE DER REDAKTION:Die BRAK und die Rechtsanwaltskammern sind be-rechtigt, sich nicht ausschließlich mit berufsrecht-lichen Fragen der Anwaltschaft zu befassen, sondernauch materiell-rechtliche Entwicklungen zu behan-deln. Äußerungen und Stellungnahmen der BRAK zuGesetzgebungsvorhaben sind deshalb auch dann zu-lässig, wenn sie nicht konkret die Belange der Rechts-anwaltschaft betreffen. Da die Anwaltschaft mit denGesetzen umgehen muss, ist sie mittelbar immer be-troffen. Abzugrenzen sind allgemeinpolitische Äuße-rungen. § 177 BRAO gibt der BRAK und den Rechts-anwaltskammern kein allgemeinpolitisches Mandat.

SONSTIGES

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG

216

Deutsches Steuerrecht (DStR) Nr. 20: Specht, Die größteHürde auf dem Weg zur digitalen Kanzlei: Der zu häu-fig analoge Datenaustausch mit Mandanten (BeilageSchwerpunkt IT-Special) (18); Nassall, Die moderneSteuerkanzlei: Wie Steuerberater vom New-Work-An-satz profitieren, (Beilage Schwerpunkt IT-Special) (22).

Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker: Ewer,Ausgewählte Prozessrechtsfragen bei verwaltungs-rechtlichen Anwaltssachen (601); Peter, Syndikusrechts-anwalt/Syndikusrechtsanwältin: zur berufsrechtlichenKonturierung eines Berufsbilds (659); Thole, Interessen-konflikte im Insolvenzverfahren (395).

Kanzleiführung professionell (KP) Nr. 5: Glotz/Scholz,Handlungsbedarf bei Steuerberatern. Das Geldwäsche-gesetz in der steuerberatenden Praxis (Beilage) (1); Gil-gan, Sicherung des Honorars. Die Bedeutung desSchuldanerkenntnisses im Gebührenrecht der Steuerbe-rater (84); Nr. 6: Mareck, Datenschutz. Müssen Steuer-berater mit ihren Mandanten Auftragsvereinbarungs-verträge schließen? (96).

Mitteilungen der RAK Köln (KammerForum) Nr. 2: Nasse,Fachanwalt im Recht der herrlichsten Nebensache derWelt (33).

Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR) Nr. 12: Segge-wiße, Gebührenrecht: Anwaltsgebühr bei nachträglichbeschränktem Rechtsmittel (724).

MultiMedia und Recht (MMR) Nr. 2: Wettlaufer, Ver-tragsgestaltung, Legal Techs und das Anwaltsmonopol.Bewertung von Angeboten automatisierter Vertragsge-staltung durch das RDG (55).

Neue Juristische Wochenschrift (NJW) Nr. 19: Pelz/Schorn, Geldwäscherechtliche Pflichten von Syndikus-rechtsanwälten – Infektionsgefahr für Arbeitgeber?(1351); Nr. 20: Freudenberg, Land ohne Anwälte (NJW-aktuell) (14); Schmidt, Kanzlei/Mandat: Datenschutz-Or-ganisation und -Dokumentation in der Anwaltskanzlei(1448); Nr. 21: Göcken, Aus der Anwaltschaft: Beruf oh-ne Zukunft? (NJW-aktuell) (17); Nr. 23: Schula, Elektroni-sche Anwaltskommunikation, (NJW-aktuell) (16); Klug-mann, Das Management rechtlicher Risiken in der An-waltskanzlei (1633); Deckenbrock, Die Haftung des An-walts für gerichtliche Fehler. Eine Neujustierung der Ver-antwortungsbereiche bei falschen Rechtsbehelfsbeleh-rungen (1636); Schmieder/Liedy, Der Versand durchDritte aus dem beA ohne qualifizierte Signatur (1640);Kilian, Brennpunkte des anwaltlichen Berufsrechts. DasBerufsrechtsbarometer 2017 des Soldan Instituts(1656); Nr. 25: Göcken, Sorge um das Anwaltsgeheim-nis, (NJW-aktuell) (17); Jahn, Lukrative Anwaltsstationen,(NJW-aktuell) (19); Seyfried, Anwälte – Pacemaker derDigitalisierung (NJW-aktuell) (28); Becker, Die Zukunftder deutschen Kanzlei-EDV liegt in der Cloud, (NJW-aktu-ell) (30); Nr. 27: Brügge, Rechtsschutzverpflichtung desBerufshaftpflichtversicherers, (NJW-aktuell) (16).

Neue Justiz (NJ) Nr. 2: Gruber, Prozessvertretung durchRechtslehrer und das Erfolgshonorar (56).

AKTUELLE HINWEISE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

VII

Neue Wirtschafts-Briefe (NWB) Nr. 22: Beyer, Strafbar-keitsschwellen für Steuerberater bei berufstypischemHandeln. Praxisbeispiele zum Strafbarkeitsprivileg(1625).

Praxis Steuerrecht (PStR) Nr. 6: Meyer/Behrendt, Geld-wäschegesetz: „Gatekeeper“-Berufe: Geldwäsche-Com-pliance für Rechts- und Steuerberater (140).

RVG professionell (RVG prof.) Nr. 6: Meinhard, PKH-/VKH-Prüfungsverfahren: Erstattungsansprüche im PKH-Prüfungsverfahren: Verschenken Sie keine Gebühren(106).

RVGreport Nr. 5: Hansens, Fortsetzung des Rechts-streits bei Tod des Mandanten durch dessen Erben(162); Nr. 6: ders., Gemeinsamer Katalog von DAV undBRAK. Vorschläge zur regelmäßigen Anpassung, struk-turellen Änderung, Ergänzung und Klarstellung desRVG (202).

Wissenswerte Informationen der RAK Nürnberg (WIR)Nr. 3: Wirsching, Anwaltschaft quo vadis? (98).

Zeitschrift für die Anwaltspraxis (ZAP) Nr. 9: Geipel, Ko-lumne: Stirbt der Prozessanwalt aus? (407); Nr. 11: Au-er-Reinsdorff, Anwaltsbüro: Datenverarbeitung und Da-tenschutz der Anwaltskanzlei, (Fach 23, S. 1127-1134)(565); Hansens, Anwaltsgebühren: Gebührentipps fürRechtsanwälte: Postentgeltpauschale; Wiedereinset-zung bei PKH-Anwaltsvergütung; Kostenfestsetzungs-verfahren, (Fach 24, S. 1625-1634) (573).

Zeitschrift für Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestell-te (RENOpraxis) Nr. 5: Minsini, Der Pfändungs- und Über-weisungsbeschluss in der Praxis – Teil 3 (106); Benker,Buchhaltung in der Anwaltskanzlei – Einführung (110).

DAI – VERANSTALTUNGSKALENDER

VERANSTALTUNGEN SEPTEMBER – OKTOBER 2018AgrarrechtDie Übergabe land- und forstwirtschaftlicher Betriebe26.10., München, RAK München

ArbeitsrechtErfolgreiche Prozessführung im Arbeitsrecht: Vergleich– Präklusion – Berufungsverfahren19.9., Bochum, DAI-Ausbildungscenter

Der GmbH-Geschäftsführer – Besonderheiten in Arbeits-,Handels- und Gesellschaftsrecht, Sozial- und Steuerrecht19.9., München, RAK München

Arbeitsrecht im Arbeitgebermandat21.9., Tübingen, Hotel Krone Tübingen

Arbeitsrechtliche Schwerpunktthemen – Sanierung undUmstrukturierung von Unternehmen19.–20.10., Bochum, DAI-Ausbildungscenter

Restrukturierung, Veräußerung und Erwerb des insol-venten Unternehmens23.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

Bank- und KapitalmarktrechtProspekthaftung und Anlegerschutz unter besondererBerücksichtigung der neuen gesetzlichen Entwicklungen25.9., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

Effektive Strategien im Anlegerschutzprozess11.10., Bochum, DAI-Ausbildungscenter

Bau- und ArchitektenrechtDie einstweilige Verfügung im neuen Bauvertragsrecht26.9., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

13. Jahresarbeitstagung Bau- und Architektenrecht12.–13.10., Berlin, Sofitel Berlin Kurfürstendamm

Beratung und Vertretung bei Generalplanerverträgen24.10., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

Anwaltliche Strategien bei der Kündigung und Abwick-lung von Bauverträgen26.10., Bochum, DAI-Ausbildungscenter

Vertiefungsseminar: Das neue Bauvertragsrecht imBGB – Vertragsgestaltung und Vertragsanwendung beiBauverträgen29.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

ErbrechtAktuelles zur Testamentsvollstreckung28.9., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

Auskunftsansprüche im Erbrecht effektiv geltend machen30.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

Grenzüberschreitendes Erbrecht30.10., Bochum, DAI-Ausbildungscenter

FamilienrechtVermögensauseinandersetzung der Ehegatten außer-halb des Güterrechts12.9., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

Schnittstellen zwischen Familienrecht und Gesellschafts-und Steuerrecht22.9., Bochum, DAI-Ausbildungscenter

Die Immobilie im Familienrecht10.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

Die Rechte des Kindes: Unterhalt, Personen- und Vermö-genssorge17.10., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

Verfahrensbeistand – Jugendamt: Chancen und Risikenim Kindschaftsverfahren19.10., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

Unterhalt und Wechselmodell – Umgangsrecht undWechselmodell26.10., Zweibrücken, Romantik Hotel Landschloss Fasa-nerie

Eheverträge und Scheidungsfolgenvereinbarungen rechts-sicher gestalten27.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

Gewerblicher RechtsschutzAbmahnung im Wettbewerbsrecht, Markenrecht undUrheberrecht22.9., Hamburg, Sofitel Hamburg Alter Wall

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AKTUELLE HINWEISE

VIII

Referent:

Prof. Dr. Jack Nasher

„DEAL!“

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Die Veranstaltung ist kostenlos.

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DATEV-Anwaltsforum

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erfolgreich bleiben

25. Oktober 2018

Hamburg

Impulssprecher: Prof. Dr. Jack Nasher

renommierter Spezialist für Verhandlungstechniken

Besuchen Sie uns am späten Nachmittag und

freuen Sie sich auf spannende Vorträge und einen

entspannten After-Work-Ausklang im Kollegenkreis.

Aktuelle Rechtsprechung zum Wettbewerbsverfahrens-recht24.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

Handels- und GesellschaftsrechtBeschlussmängelstreitigkeiten in der GmbH26.9., Bochum, DAI-Ausbildungscenter

Haftung von Organen einer Kapitalgesellschaft17.10., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

M&A in Krise und Insolvenz26.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

InformationstechnologierechtWettbewerbs- und datenschutzrechtliche Aspekte desEinsatzes von Social Media13.9., München, RAK München

Wettbewerbsrecht im Internet26.9., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter9.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

InsolvenzrechtGesellschafterdarlehen in der Insolvenz21.9., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

Update Massegenerierung: Insolvenzanfechtung undGeschäftsführerhaftung10.10., Bochum, DAI-Ausbildungscenter

Immobilienverwertung in der Insolvenz18.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

Internationales Wirtschaftsrecht und EuroparechtAktuelle Entwicklungen im Europäischen Kartellrecht18.9., München, RAK München

KanzleimanagementAnwaltliches Berufsrecht: Büroorganisation und An-waltshaftung24.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

Mediation und Außergerichtliche KonfliktbeilegungPsychologie für Juristen18.9., Bochum, DAI-Ausbildungscenter

27. Fachausbildung Mediation – Ausbildung Mediator/in(§ 5 I i.V.m. § 7a BORA) 90h – Ausbildung Zertifizierte/rMediator/in (§§ 5 II, 6 i.V.m. § 2 ZMediatAusbV) 120 hab 8.10., Berlin, Park Inn by Radisson Alexanderplatz

MedizinrechtIntensivseminar öffentliches Gesundheitsrecht5.–6.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

Aktuelles Medizinstrafrecht17.10., Bochum, DAI-Ausbildungscenter

Miet- und WohnungseigentumsrechtAktuelles Mietrecht 2018: Modernisierung, Kündigung,Betriebskosten und weitere aktuelle Fragestellungen14.9., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

Mietrecht kompakt 20185.10., Potsdam, Dorint Hotel Sanssouci Berlin-Potsdam

Prüfung von WEG-Jahresabrechnungen und ihre erfolg-reiche Anfechtung19.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

Mieterhöhungen richtig gestalten – fehlerhafte Mieter-höhungen erfolgreich abwehren23.10., München, RAK München

MigrationsrechtDas Asylbewerberleistungsgesetz in der migrations-rechtlichen Praxis30.10., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

SozialrechtWiederholungs- und Vertiefungskurs Sozialrecht 20186.–8.9., Kassel, Schlosshotel Bad Wilhelmshöhe

Sozialversicherungspflicht – Die Abgrenzung von Selbst-ständigen zu abhängig Beschäftigten mit besonderemBlick auf den GmbH-Geschäftsführer21.9., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

Update SGB II und SGB XII (HLU)16.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

SteuerrechtPraxisdialog Umsatzsteuer25.9., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

Praktische Umsatzsteuerthemen für den Rechtsanwalt11.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

Entgeltliche und unentgeltliche Übertragungen und Ver-fügungen12.–13.10., München, Hotel Vier Jahreszeiten Kempinski

AKTUELLE HINWEISE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018

IX

Termine, Dozenten und Anmeldung unter fachseminare-von-fuerstenberg.de/fortbildung

Ihre Vorteile:

die kompletten 15 Stunden

aktuelle Entscheidungen und

Entwicklungen im Rechtsgebiet

praxisnahe Darstellung der Inhalte

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Kollegen und Dozenten

Denken Sie an Ihre Fortbildung nach § 15 FAO!Für alle Fachanwälte:

Unsere Seminare nach § 15 FAO:

Erbrecht

Handels- & Gesellschaftsrecht

Insolvenzrecht

Steuerrecht

Kursorte: Düsseldorf, Hamburg,

Frankfurt & München bzw. Stuttgart

Umwandlungsrecht und Umwandlungssteuerrecht15.–16.10., Frankfurt am Main, Sofitel Frankfurt Opera

Die Besteuerung von Personengesellschaften25.–27.10., Frankfurt am Main, Steigenberger Frankfur-ter Hof

Update: Haftung im Steuerrecht25.10., München, RAK München

Freiberufliche Zusammenschlüsse in der steuerrecht-lichen Beratungspraxis31.10., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

StrafrechtAktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung im Straf-und Strafprozessrecht17.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

17. Süddeutsche Aussprachetagung: Tatsacheninstanzund Revision19.–20.10., Kempten, Allgäu Art Hotel

Effektive Verteidigung bei strafprozessualen Ermitt-lungsmaßnahmen (einschließlich digitaler Ermittlungs-methoden), Untersuchungshaft und Vermögensab-schöpfung27.10., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

Urheber- und MedienrechtSchnittstellen Geistiges Eigentum und Insolvenz8.10., Berlin, DAI-Ausbildungscenter

VergaberechtAktuelle Fragen des Vergaberechts25.10., Heusenstamm, DAI-Ausbildungscenter

Neue Entwicklungen im Bauvergaberecht30.10., Düsseldorf, RAK Düsseldorf

Verkehrsrecht3. DAI-Praxisforum Verkehrsrecht12.–13.10., Berlin, Sofitel Berlin Kurfürstendamm

Der Zeugenbeweis im Verkehrsunfall- und Verkehrs-strafprozess24.10., München, RAK München

Aktuelle Praxisprobleme der Personenschadensregulie-rung25.10., Bochum, DAI-Ausbildungscenter

VersicherungsrechtAktuelle Probleme in der versicherungsrechtlichen Recht-sprechung27.9., Düsseldorf, RAK Düsseldorf

VerwaltungsrechtFehler des Bebauungsplans und ihre gerichtliche Kon-trolle13.10., Bochum, DAI-Ausbildungscenter

BRAK-MITTEILUNGEN 4/2018 AKTUELLE HINWEISE

X

Der Assmann/Uwe H. Schneider gilt als eines der ganz großen Standardwerke im Kapitalmarktrecht. Die Neuaufl age erscheint nun – den weitreichenden Änderungen geschuldet – als Kommentar zum Wertpapierhandelsrecht.

Unter der Mitherausgeberschaft von Mülbert werden darin neben dem WpHG alle einschlägigen Europäischen Verordnungen erläutert: MAR, PRIIP, MiFIR, Leer-verkaufs-VO, EMIR. Mit dieser Zusammenstellung des deutsch-europäischen Kapital- marktrechts in seiner neuen komplexen Gestalt leistet der Kommentar und sein fachlich herausragendes Autorenteam wieder Pionierarbeit der Extraklasse – und das in einem Band!

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Pionierarbeit.

Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert Wertpapierhandelsrecht KommentarWpHG MAR PRIIP MiFIR Leerverkaufs-VO EMIR.Herausgegeben von Prof. Dr. Heinz-Dieter Assmann, LL.M., Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider und Prof. Dr. Peter O. Mülbert. Bearbeitet von 14 hochspezia-lisierten Autoren. 7. grundlegend neu bearbeitete und erweiterte Aufl age 2018, ca. 3.500 Seiten Lexikon-format, gbd. ca. 300,– €. Erscheint im Oktober. ISBN 978-3-504-40089-7

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