Konrad Bedal Sabine Fechter
Hermann Heidrich (Herausgeber)
Haus und Kultur im Spätmittelalter
Berichte der Tagung "Ländliche Volkskultur im Spätmittelalter in neuer Sicht" des Fränkischen Freilandmuseums vom 24. bis 26. April 1996
Bad Windsheim 1998
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Inhalt
Helmut Hundsbichler Der Faktor Mensch in der interdisziplinären Kulturforschung. "Experimen-telle" Thesen aus mediävistischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Bärbel Kerkhoff-Hader Die Bildtafeln der Augsburger ,Gedächtniskunst' als Quelle für die spät-
Robert Koch
Dieter Rödel
Manfred Rösch
Konrad Bedal
Klaus Freckmann
Benno Furrer
Fred Kaspar
Walter und Wolfgang Kirchner
Josef Vareka
Ulrich Klein
Albrecht Bedal
Walter und Wolfgang Kirchner
Literaturverzeichnis
mittelalterliche Arbeits- und Dingkultur . . . . . . . . . . . . 19
Eiserne Schindelnägel aus geschichtliches Indiz .
archäologischen Fundkomplexen als bau-
Die Erfassung der mittelalterlichen Urbare im Bereich des Hochstifts
41
Würzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Pflanzenreste als historische Quellen spätmittelalterlicher Alltagskultur -Neue Untersuchungen in Westdeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Vielfältig und vielräumig. Bemerkungen zum spätmittelalterlichen bäuer-lichen Hausbau in Nordbayern- Bestand, Formen, Befunde . . . . 75
Die spätmittelalterliche ländliche Profanarchitektur im Rheinland-eine Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Fenster, Türe und Wandschrank in spätmittelalterlichen Wohnhäusern der Zentralschweiz (um 1200-1500) ..................... , 139
Ein neuer Anfang im Spätmittelalter? Zum mittelalterlichen ländlichen Hausbau in Norddeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Mittelalterlicher Hausbau in Matting 163
Der mittelalterliche ländliche Hausbau in Böhmen .... 193
Das "Schreinersch Haus" in Machtilshausen von 1488-90 201
Alter Kern unter junger Schale. Kurzbericht aus dem Hohenloher Freilandmuseum Schwäbisch-Hall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Ein spätmittelalterliches Bauernhaus in Gröden, Südtirol 213
223
7
Manfred Rösch
Pflanzenreste als historische Quellen spätmittelalterlicher Alltagskultur - Neue Untersuchungen
in Südwestdeutschland
Material und Methoden der Archäobotanik
Archäobotanik ist ein Teilgebiet der historischen Geobotanik und befaßt sich mit der Veränderung der Pflanzendecke unter dem Einfluß des Menschen,
insbesondere seit dem Beginn produzierender Wirtschaft, mit der Produktion von Kulturpflanzen und der Nutzung wildwachsender pflanzlicher Ressourcen zur Ernährung und für sonstige Zwecke.l Das Untersuchungsmaterial der Archäobotanik sind
Reste von pflanzen, die in Kulturböden archäologischer Fundstellen enthalten sind, aber auch Bestandteil der Bausubstanz von Gebäuden sein kön
nen. Wichtige Befundtypen für die Archäobotanik sind Gruben, Brunnen, Latrinen, bzw. deren Füllungen, oder auch Kulturschichten. Dort findet man die Pflanzenreste, je nach Bodenbedingungen, in unterschiedlichem Erhaltungszustand. Am häufigsten ist die Erhaltung in verkohlter Form, weil daran auch in gut durchlüfteten, biologisch aktiven Böden kein mikro
bieller Abbau erfolgt. Wo diese Zersetzung durch ständige Nässe (Grundwasserbereich), Trockenheit (Inneres von Gebäuden, Grüften), Kälte (Dauerfrostböden) oder Gifte (Metall
salze, Fäkalien in Latrinen) gehemmt oder unterbunden ist, bleiben Pflanzen auch in unverkohltem (feuchten oder getrockneten) Zustand erhalten. Über
liefert werden unterschiedliche Pflanzenteile, nämlich Früchte/Samen, Pollen, Holz, oder auch Blüten oder zarte vegetative Teile wie Blätter, die jedoch nur unter besonders günstigen Bedingungen erhaltungsfähig sind. Für die weitere Untersuchung müssen die Objekte aus dem Boden isoliert werden. Die Technik, mit der das geschieht, hängt ebenso wie die Weiterbehand
lung von ihrer Größe ab. Aus diesem Grund unterscheidet man zwischen botanischen Großresten und
Mikrofossilien. Großreste sind größer als 0,1 mm, mit bloßem Auge sichtbar, werden meist durch Naß-Sieben (Schlämmen) aus dem Bodenverband gelöst und bei Lupenvergrößerung verlesen und untersucht. Zu den Großresten zählen Früchte, Samen und vegetative Pflanzenteile, auch Holz oder Holzkohle. Die wichtigste Gruppe bei den botanischen Mikrofossilien sind die Pollen, der Blütenstaub. Die Pollenanalyse, eine eigel")ständige Methode der Geobotanik mit großer Bedeutung geht weit über die Archäobotanik hinaus, und soll uns hier nicht weiter beschäftigen.2
Das Schlämmen und Auslesen der botanischen Großreste aus Bodenproben nennt man technische Aufarbeitung. Nach deren Abschluß steht das Material für eine wissenschaftliche Bearbeitung bereit. Diese beginnt mit der Artbestimmung aufgrund morphologisch-anatomischer Kriterien und mit Hilfe rezenter Vergleichssammlungen, sowie mit der quantitativen Erfassung. Eine (foto)grafische und verbal-beschreibende Dokumentation der Funde als Grundlage einer späteren Materialvorlage schließt sich an. Eine Liste oder Tabelle von Pflanzen dokumentiert zunächst einen Artenbestand für einen archäologischen oder Baubefund, im weiteren für einen Fundplatz, ein Haus, eine Siedlung. Zugleich ist diese Bestandsaufnahme die Basis jeder weiterführenden Interpretation. Die Interpretation kann sehr unterschiedliche Fragestellungen verfolgen und muß mindestens ebenso viele Aspekte und Prämisse im Gesamtkontext berücksichten. Fundierte, gewissenhafte, zugleich realitätsnahe und logisch durchdachte Interpretation archäobotanischer Fundkomplexe ist mehr als eine Kunst, es ist ein ständiger Annäherungsversuch an eine nie faßbare historische Realität.3
59
Was bezweckt und vermag die Archäobotanik des Spätmittelalters und der Neuzeit?
ln der Vor- und Frühgeschichte sind- sieht man vom römischen Intermezzo ab - archäologische Bodenfunde die wichtigsten, ja oft einzigen historischen Quellen. Ab dem Hochmittelalter treten zunehmend schriftliche und bildliehe Quellen hinzu. ln der Neuzeit sprudeln diese Quellen in qualitativer und quantitativer Hinsicht so reichlich, daß zu Recht die Frage gestellt werden darf, wozu man eigentlich in alten Latrinen wühlen soll, wo doch alles aufgeschrieben und nachlesbar sei, was die Menschen angepflanzt und verzehrt haben. Auf diesem Einwurf soll mit einer allgemeinen Überlegung und drei Fallbeispielen eingegangen werden. Die Annäherung an historische Realität auf klassischhistorischem Wege ist unter der Maßgabe der Rekonstruktion letztendlich ebenso zum Scheitern verurteilt wie der Weg über Realien. Die Verfolgung beider Wege kann immerhin näher zur Wahrheit führen, wie in der Mathematik ein Punkt nicht allein über eine, sondern nur durch mindestens zwei sich schnei dende Geraden definiert und erreicht werden kann.4 Fall 1: Pflanzendarsteilungen sind in der bildenden Kunst des Mittelalters nicht selten. Grundsätzlich stellen sie gute Quellen zur Kenntnis damaliger Zierpflanzen und Gartenkultur dar.s Ihre Auswertung stößt allerdings auf folgende Schwierigkeiten: - Die Pflanzen sind oft so idealisiert dargestellt, daß eine eindeutige Identifikation auch dem Fachmann schwerfällt -Analog zu anderen Gestaltungselementen in mittelalterlichen Kunstwerken ist letztlich unklar, ob der Künstler die Pflanze aus seinem oder dem nahen Klostergarten kennt, ob er sie auf einer Auslandsreise gesehen, gar lediglich von ihr gehört oder sie aus einem anderen Werk abgemalt hat. - ln vielen Fällen ging es nicht um Darstellung einer Realität sondern um symbolträchtige Darstellungen, was den Realitätskern des Dargestellten sehr unklar macht. - Die Abgleichung solcher ikonographischer Belege mit Realien aus dem historischen Boden dürfte daher dem Kenntnisstand über den Umgang mit Zier-, Heilund symbolbehafteten Pflanzen zuträglich sein. Fall 2: Die mittelalterliche Gartenkultur, gepflegt in Burg, Bürger- und später auch Bauerngärten, soll ihren Ursprung in den Klostergärten genommen haben, ausgehend von den Gärten der Benediktiner der
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späten Karolingerzeit, die diese Kunst aus Italien eingeführt haben sollen und erstmals z.B. im St. Galler Klosterplan sowie im "Hortulus" des Walahfrid Strabo dokumentiert haben6. Die römische Kunst des Gartenbaus soll mit diesen am Ende der Antike aus Mitteleuropa verschwunden sein. Den "primitiven", nicht schriftkundigen Germanen traute man die Pflege dieser kulturellen Errungenschaft nicht zu, zumal weder schriftliche noch archäologische Quellen diesbezüglich Hinweise gaben. Neue Bodenfunde aus Baden-Württemberg belegen nun eindeutig, daß die Alamannen schon in merowingischer Zeit Obst, Gemüse und Gewürze kannten und nutzten, die sie in Gärten anpflanzten, denn diese Pflanzen sind in mitteleuropäischen Klima in freier Natur nicht überlebensfähig7. Es liegt nahe, daß die Germanen diese Errungenschaften von den Römern übernahmen, denn wer nicht lesen und schreiben lernen will, weil er vielleicht darin keinen Sinn sieht, muß deshalb nicht . zwangsläufig auch gut gewürzte, abwechslungsreiche Kost verschmähen. Als Fazit kann gelten, daß bisweilen auch mit der Existenz von nicht Aufgeschriebenem gerechnet werden muß.8 Fall 3: Vom Hochmittelalter bis ins 19. Jahrhundert war im Rahmen unterschiedlicher Felderwirtschaften der Roggen als Wintergetreide in Deutschland die wichtigste Brotfrucht ln einem Aufsatz mit dem Titel "Der Dinkel und die Alemannen" grenzte Robert Gradmann 1900 durch historisch-archivalische Studien Südwestdeutschland als traditionelles Dinkelgebiet von der umgebenden Roggenlandschaft ab.9 Diese Ansicht wurde auch von der Archäobotanik übernommen und die wenigen mittelalterlichen Bodenfunde in diesem vorgegebenen Rahmen interpretiert.10 Mittlerweile zeigen zahlreiche hochmittelalterliche Funde, daß damals auch in Südwestdeutschland Roggen, und nicht Dinkel, das wichtigste Brotgetreide war11 (Abb. 1 ). Eine kulturelle Grenze, die ein Roggen- von einem Dinkelgebiet schied, verlief, falls überhaupt faßbar, nicht am Main, sondern an der oberen Donau oder gar am Hochrhein oder noch weiter südwestlich. Sie könnte vielleicht mit heute noch bestehenden Weiß-/Schwarzbrotgrenzen in Zusammenhang gebracht werden. Eine Zunahme des Dinkels in Württemberg zeichnet sich erst in der Frühen Neuzeit ab und kann mit Marktmechanismen erklärt werden, als nach dem Dreißigjährigen Krieg das entvölkerte Südwestdeutschland mit agrarischer Überproduktion zur Kornkammer der dicht bevölkerten und wohlhabenden Schweiz wurde, wo man hel-
Mals S ätn. Bronze EisenzRömer FMA HMA SMNNZ
Abb. 1: Stetigkeit der Getreidearten in Südwestdeutschland zwischen Steinzeit und Neuzeit.
les Brot bevorzugte.1 2 Als Fazit kann gelten, daß historische Quellen eben nur für ihre Zeit gelten und nicht in die Vergangenheit extrapoliert werden dürfen, wie dies mit der neuzeitlichen Dinkelverbreitung geschah, denn das hieße einen möglichen Wandel ignorieren. Archäobotanische Bodenfunde können dabei historische Wissenslücken stopfen. Die Beschäftigung mit spätmittelalterlichen oder jüngeren Materialien hat in der Archäobotanik keine lange Tradition. Die Zahl der Untersuchungen ist noch gering, aber sie nimmt schneller zu als in anderen Epochen: Der Zweig ist jung, doch er grünt und treibt aus.13
Nutzpflanzen des Spätmittelalters in Südwestdeutsch land
Pilanzen waren und sind die wichtigsten Ressourcen des Menschen, sowohl zur Ernährung als auch als Bau- und Werkstoff oder als Energieträger.14 Die Nutzung erstreckte sich seit alters sowohl auf wildwachsende Arten (Sammelpflanzen) ebenso wie auf angebaute und kultivierte (Kulturpflanzen). Fast alle wildwachsenden einheimischen Pflanzen sind in irgendeiner Weise nutzbar.15 Der direkte Nachweis einer früheren Nutzung ist jedoch nicht einfach. Bei den meisten Kulturpflanzen steht ihr Status aufgrund der Domestikation in anderen Gebieten außer Frage. Schwieriger ist oft zu entscheiden, ob bei geringer Häufigkeit gezielter Anbau vorliegt oder nur eine Beimengung verwilderter Exemplare bei anderen Kulturpflanzen. Nachfolgend beschränkt sich die Übersicht auf Kulturpflanzen. Ihr liegen 22 spätmittelalterliche Fundplätze aus Südwestdeutschland zugrunde 16 (Abb. 2, Tab. 1 ). Diese Fundplätze sind sehr heterogen. Klassifiziert man nach Siedlungstypen, so sind Städte immerhin siebzehnmal vertreten, Klöster und ländliche Siedlungen dagegen je nur zweimal; dazu kommt eine einzige Burg. Unverkohlte Erhaltung, meist in
Abb. 2: Botanische Untersuchungen an spätmittelalterlichem Material aus Südwestdeutschland.
61
Nr. Kürzel Ort Kreis Fundplatz Alter Kontext Befund Bearbeiter(in) 1 BBB Bruchsal KA Bischofsburg 12-14 Burg Kulturschicht Maier 1988 2 CAH Calw-Hirsau CW Kloster 13/14 Kloster Latrine Rösch unpubl. 3 vsz Villingen vs Rietzentrum 13/14 Stadt Latrine Rösch unpubl. 4 KNK Konstanz KN Hertie 13/14 Stadt Latrine Küster 1992 5 KIK Kirchheim/T eck ES Krautmarkt 14 Stadt Latrine Rösch 1988 6 VSR Villingen VS Rietgasse 14 Stadt Latrine Rösch unpubl. 7 vsz Villingen VS Rietzentrum 14 Stadt Latrine Rösch unpubl. 8 LUR Unterregenbach SHA Basilika 14 Weiler Speicher Rösch unpubl. 9 MTJ Mengen/Donau SIG Tal Josaphat 14 Stadt Latrinen Rösch unpubl.
10 WIK Wiesloch MA Küferstraße 14 12-15 Dorf Ku I tu rsch icht Rösch unpubl. 11 HDK Heidelberg HO Kornmarkt 13/15 Stadt Latrinen Rösch unpubl. 12 WEG Werbach-Garnburg TBB Alte Kirchen 13/15 Dorf Keller Rösch unpubl. 13 vsz Villingen VS Rietzentrum 14/15 Stadt Latrine Rösch unpubl. 14 vsz Villingen vs Rietzentrum 15 Stadt Latrine Rösch unpubl. 15 HDU Heidelberg HO Universitätsbibl. 15 Kloster Latrine Rösch 1993 16 MTJ Mengen/Donau SIG Tal Josaphat 15 Stadt Latrinen Rösch unpubl. 17 SIF Sindelftngen BB Obere Vorstadt 15 Stadt Kulturschicht Körber-Grohne 1978 18 HDS Heidelberg HO Spitalfreidhof SMA Stadt Latrine Rösch unpubl. 19 BÖK Bönnigheim LB Am Köllesturm SMA Stadt Latrine Rösch unpubl. 20 SMI Schwäbisch Hall SHA St. Michael 1495 Kirche Grundstein Rösch unpubl. 21 SHG Schwäbisch Hall SHA Pfarrgasse 9 14/15 Haus Latr., Wände Rösch i.Dr. 22 ULG Ulm UL Donaustr. 13/14 Stadt Latrinen Wietold 1993
Tab. 1: Spätmittelalterliche Fundplätze mit botanischen Untersuchungen in Südwestdeutsch land.
Latrinen, findet sich überwiegend in städtischem Kontext. Hier ist anzumerken, daß bei verkohlter Erhaltung Getreide und Leguminosen (Hülsenfrüchte) gut nachweisbar sind, Ölpflanzen schlechter, dage
gen Gemüse, Gewürze und Obst fast gar nicht. Demzufolge können mögliche Unterschiede in den
Ernährungsgewohnheiten zwischen Stadt und Land aufgrund der unterschiedlichen Quellenlage beim derzeitigen Forschungsstand kaum beurteilt werden. Die Artnachweise sind in Tab. 2 zusammengestellt.
62
Dabei ist angegeben, ob eine Art an einem Fundplatz gefunden wurde oder nicht (presence/absence), und welche Stetigkeit sie daher insgesamt hat.17 Die Ste
tigkeit in der Geobotanik gibt an, in wieviel Vegetationsaufnahmen, Proben oder Fundplätzen eine Art vorkommt, und zwar bezogen auf die Gesamtzahl
und ausgedrückt meist in Prozent.18 Die Kulturpflanzen sind in der Tabelle nach Nutzungsgruppen geordnet und innerhalb dieser nach der Stetigkeit ihres Vorkommens.
Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 1~ 16 17 18 19 20 21 22 A B Ortaklirzel LUR WEQBBB C~HD VSZ KNKI UL~ KIK VSR VSZ MTJ WIK HDKIVSZ VSZ MTJ SIF HD!l BOKI SMI SH~ Ort Unterregenbach Heldeiberg Ulm Villingan Heldeiberg Sindelfingen SHA-St. Michael
Werbach VIIIlogen Villingen Villingen Heldeiberg SHA-Pfarrgaese 9 Bruchsal Konltanz Mengen/Coneu Viitingen Bönnigheim
Calw-Hiraeu Kirchhelmffeek Wiesloch Menaen/Donau Datierung 14
Siedlungstyp Do
Getreide Hafer 1 Dinkel 1 Roggen 1 Ger.ste 1 Rispenhirse Nacktweizen 1 Einkorn 1 Kolbenhirse Emmer 1 Buchweizen Reis 0 1-/Fasarpftanzen Schlafmohn Rübsen 1 Gebauter Lein Hanf Leindotter HUfsenfrüchte Unse 1 Erbse Ackerbohne Gemüae/Gewürze Petersilie Dill Mangold Kohl Fenchel Ho_Efen Gurke Kümmel Sellerie 1 Sehnenkraut Fuchsschwanz Gartenmelde Koriander Pieflor Rotlk:h Senf Yoo BaaiOkum Garten Salbei Kerbel Kre ... UebstOckel Me/lase Route Schildampfer SchWtl.rzer Senf S inat Wermut Winter Bohnenkr. Obs1,JNUaM Weintraube Süßkirsche Birne FeiRe Apfel Pflaume Walnuß Kornellklrsehe Maulbeere Sauerkirsche Zwetschge Eßkastanie Johannisbeere Quitte Granate fel Mandel Miapel Stachelbeere ~rikose Kirachpflaume Pflralch Sanddorn Stelnweicheel Zier /Heil / Färbepflanzen GewOhnliche Akelei Färber Hundskamille Garten Nelke Blaustern Hiebsträne Kranz Lichtnelke Lavendel Nachtviole Ringelblume Schieierteraut Silberling
A Zahl der Fundstellen mit posftivem Nachweia B Stetigkelt der Artaufgrund der Or68e von A
12-14 15 13114 14 13/15 13/14 13/14 Do
1 1 1 1 1 1
1
BurgKlo Klo St
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
1 1 1
1
1 1 1 1
1 1 1
1
1 1 1 1 1 1
1 1 1 1 1
1 1 1
1 1
1
1 1 1 1 1 1 1
1 1 1 1 1 1 1
1
1
1
1
1
1
Do Dorf Klo I(Joster St Stadt Ha Hau•
13/14 St St St
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
1 1 1 1 1 1
1 1 1 1
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
1 1 1 1
1 1
1 1
1 1
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
1 1 1 1 1
1
1
1
1 1 1 1 1 1 1
1 1 1
to torehe
14 14 14
St St St
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
1 1 1 1 1 1 1 1
1
1 1 1
1 1 1 1 1 1 1
1 1
1
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
1 1
1
1
1
12 15 14/15 15 SMA 15 13/1~ 15 15 SMA 14
St St St St St St St St Ki Ha
Get reide 1 1 1 1 1 1 1 1 15 68 Avena 1 1 1 1 1 13 59 Triticum spelta
1 1 1 1 1 1 13 59 Sec•!• cerea/e 1 1 1 1 10 45 Hordeum vulgar• 1 1 1 8 36 Panicum miliaceum
1 1 1 7 32 Triticum asstivum/durum 1 1 1 7 32 Triticum monococcum 1 1 5 23 Setarls italica
1 1 5 23 Triticum dicoccum 1 1 4,5 FaaotJVrum esculentum
1 1 4,5 Oryz11 sstiva 01-/Faeerpflanzen
1 1 1 1 1 1 1 14 64 Papavar samniferum 1 1 1 1 1 10 45 Bras$ca tBPlfSSp.campestris 1 1 1 1 9 41 Unum usltatissimum
1 4 18 Cannabis satiVII 1 3 14 Camelina sativa
HUiaenfrüchte 1 1 5 23 Len.s culln~~ris
1 5 23 Pisum sativum 1 4,5 Vicia taba
Gem üse/Gewürze 1 1 1 1 11 50 PatroHiinum crispUm 1 1 9 41 Anethum graveolans 1 1 7 32 Beta vuiQaris 1 1 1 6 27 BraS$1ca o/aracea 1 1 6 27 Foeniculum vulgara
1 1 1 6 27 Humulus lf.!pu/us 1 5 23 Cucumls utivus 1 1 1 5 23 Carum esrvl
1 1 5 23 Apium graveoltms 1 4 18 Sature)!_ hortensia 1 2 9,1 Amaranthus lividua
2 91 Alriplex hortensie 1 2 9,1 Coriandrum utivum
1 2 91 Plper n/g_rum 1 2 9,1 Raphanus satlvue 1 2 9,1 SinaDI• olba
1 - ·~ . ~,1 Hys.opua ofticin.Jis 1 1 4,5 Ocymum basilicum
1 1 4,5 Safvia officinalls 1 4,5 Anthriscus cerefolium 1 4,5 LBpidium sativum
1 1 4,5 Levisticum officina/tJ 1 1 45 Melissa officinalis 1 1 4,5 Rute graveolens
1 4,5 Rumex scutatus 1 45 Brsssica f!lg_f!J.
1 1 4,5 Spinazia oleracea 1 1 4,5 Artemisia ab6inthium
1 1 4,5 Satureja montana Obst/Nüsse
1 1 1 1 1 1 14 64 VitisvinifanJ 1 1 1 1 1 1 1 13 59 Prunus svium
1 1 1 1 11 50 Pyrus cf. communis 1 1 1 1 11 50 Ficus carica 1 1 1 1 1 10 45 Malus cf. domesfies
1 1 1 1 1 10 45 Prunus insitita 1 1 1 1 1 8 36 Juglans re~ 1 1 1 5 23 Comusmas 1 1 1 5 23 Morus n_igra 1 1 5 23 Prunus Cflfaws 1 1 1 4 18 Prunus domestica 1 3 14 Castanea sativa 1 1 3 14 Rlö•s n/grum 1 1 3 14 CYSfonia oblof!JJ!! 1 2 9,1 Punlca granatum
2 9,1 Prunus dulcis 1 2 9,1 Mupilus germanica 1 2 9,1 Riblls uw crlspa 1 1 4,5 Prunus srmeniaca
1 4,5 Prunus ceraslf•r• 1 4,5 Prunus per:sica 1 4,5 Hippophae rhamnoide' 1 4,5 Prunus mahaleb
Zier /Heil / Färbepflanzen 1 1 3 14 Aaulleoia vultJBris
1 3 14 Anthemis tinctorla 2 9,1 Oianthus barbatus 1 4,5 Scilla 1 4,5 Coix lacrima• -Jobi 1 4,5 Lychnis coronaria 1 4,5 Lavendula offlcina/is 1 45 Hesperis matronalis 1 4,5 Calendula o!ficlna/is 1 4,5 Gyp.oph#a JHAniculata 1 4,5 Lunariaannua
63
Ud.Nr. 8 12 1 2 15 3 4 5 6 7 9 10 11 13 14 16 17 18 19 20 21 22 rtskürzel WR WE BBB Ci'H HO jVl>L KNK KIK VSR vsz MTJ WIK HO ~ vsz MTJ SIF HO BOK SMI SH u~ ISUrrrne rtskürzel
011 Unt ege nbac Hai lber Villln gen Hei lber Sin lfin n SHA SI. ich el Wer laCh Viii - Vilfi gen Villi gen Hel Ibo SI-lA PI ~gas 9
Bru sa Kon anz Men :ten na Villi Qen BOn jghe Ulm Cal -Hi ~ Kirc hei 1'fecl Wie och Man en ona
Datierun 13/1 13/1 13/1 14/1 Datierung 14 13/1 12- 4 15 13/1 14 14 14 14 12- 5 15 15 15 SM~ SMI 15 14 13/1 Datierung _§ledlun!J§typ Do Do Bur Klo Klo SI SI SI St SI 1»1 St St :>1 St SI SI :>t St Ki Hau Taxon Taxon Getreide Getreide Hafer 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 15 68 Avenas . Dinkel 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 13 59 Triticum spe~a Roggen 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 13 59 Secae cereale Gerste 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 10 45 Hordeum wlgare
, Rispentirse 1 1 1 1 1 1 1 1 1 8 36 Panicum mlllaceum Nacktweizen 1 1 1 1 1 1 1 1 1 7 32 Triijcum aestivum/durum, Einkorn 1 1 1 1 1 1 1 1 7 32 Trit•cum monOCOOOJm K Kolbenhirse 1 1 1 1 1 5 23 SetMa ttallca Emmer 1 1 1 1 1 1 5 _23 Triticum dlooccum Buchweizen 1 1 45 FaQO"""m esculentum Reis 1 1 4,5 0 zasativa 01-/Faserpflanzen -/Faserollanzen Schlafmohn 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 14 04 Papaver somnilarum Rübsen 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 10 45 Brassca rapa ssp.campest
_Gebauter ~in 1 1 1 1 1 1 1 1 1 9 41 Unum usitatissimum Hanf 1 1 1 •-:. 1 4 18 Cannabis SSI!va ~indotter 1 1 1 3 14 Camellna sativa Hülsenlnlchle Hülsenfrüctte Unse 1 1 1 1 1 1 1 5 23 ~ns culinwls Erbse 1 1 1 1 1 5 23 Plsum satlvum Ackerbohne 1 /• 1 45 1 afaba Gemüse/Gewürze Gemüee@würze Petersilie 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 11 50 Petroselinum crispum Dill 1 1 1 1 1 1 1 1 ... 1 9 41 Anethum graveolens Mangal_il 1 1 1 1 1 1 1 7 32 Beta wlgaris Kohl 1 1 1 1 1 .:·. 1 6 27 Brassica olaracea Fench Ei 1 1 1 1 1 . 1 6 27 Foericulum wl are Hopfen 1 1 1 1 1 1 6 27 Humulus lupulus Gurke 1 1 1 1 1 5 23 CuQ.missai[\IUS Kümmel 1 1 1 1 •: 1 5 23 arumcarvi Sellerie 1 1 1 1 1 1 5 23 Atllum raveolens Bohnenkraut 1 1 1 1 4 18 Setureja hortensiS uchsscnwanz 1 1 2 91 Amararihus lividus
Gartenmelde 1 1 .:. 2 9,1 Atr1 ex h011ensis Koriander 1 1 2 9,1 _Q<lriandrum saliwm Plefer 1 1 2 91 Piperrigrum Senf 1 1 2 9,1 _§i_naj)lsalba Ysop 1 1 2 9,1 Hyssopus olllcinalis Basilikum 1 1 4,5 Ocymum basilicum Garten Salbei 1 1 4,5 Salvia oflcinalls Kerbel 1 1 4,5 Anthriscus oerefdium Kresse 1 1 45 ~~dum sallvum Uebstöckal 1 1 4,5 Levlsticum officinale Melisse 1 1 4,5 Melissa officinalis Raute 1 1 45 Ruta QraveOiens Schildampter 1 1 4,5 Rumex scutatus Schwarzer Senf 1 1 4,5 Brasscanjgra Spinat 1 1 4,5 S ·naz;a oleraoea Wermut 1 1 45 Artemisla absinthiom Wnter-Bohnenkr. 1 1 4,5 ! Sature ·a montana Obst/Nüsse Obst Walntraube 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 14 64 Vitis cl. vin~era Süßkirsche 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 13 59 runus avium Bime 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 11 50 I Pyrus cl. communis Feige_ 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 11 50Flcuscarlca A el 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 10 45 Maus cl. dornestica Pllaume 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 10 45 Prunus insitita Wanuß 1 1 1 1 1 1 1 1 8 36 Ju!Jans re ·a Komeilkirsche 1 1 1 1 1 5 23 Cornus mas Matibsere 1 1 1 1 1 5 23 Morus nigra Sauerldrsche 1 1 1 1 1 5 23 Prunus cerasus Zwetschoe 1 1 1 1 4 18 Prunus dornestica Eßkastanie 1 1 1 3 14 Castanea sativa Johannisbeere 1 1 1 3 14 Albes ni rum Quitte 1 1 1 3 14 t.;yooniaobionga Granatapfel 1 1 2 9,1 Punica_granatum Mandel 1 1 2 9,1 1 Prunus dulcis Mispel 1 1 2 9,1 Mespilus germanica Slachelbsere 1 1 .._ 2 9,1 Albes wa cn~ Aorikose 1 1 4,5 Prunus armeriaca Kirschptlaume 1 1 45 I Prunus cerasilara Pfirsich 1 1 4,5 Prunus persica Sanddorn 1 1 4,5 Hi Otllnae rhamnoldes Sleinweichsal 1 1 4 5 Prunus rrmaeb Zier-JHei -/F8rbePIIanzen 1 mr-Jrärbepnanzen GewOhriidne Akelei 1 1 1 3 14 Aquile ia vulgarls Färber-Hundskamlle 1 1 1 3 14 Anthemis flnctona Garten Nelke 1 1 2 9,1 Oianthus barbatus Blaustem 1 1 4,5 Scilla S!l-Hiebsträne 1 1 4,5 \Xix lacrlmae- Obi Kranz Uchtnalke 1 ' 1 4,5 Lychnis coronaria ~ndel 1 1 4 5 L.avendula olllclnalls Nachtviole 1 1 4,5 Haspens matronals Rindelblume 1 1 4,5 Gaendula offidnalis SchiBierkraut 1 1 4,5 Gypso_ltlila l""'iculata Silberting_ 1 1 4 5 wnaria annua
Tab. 2: Kulturpflanzen im späten Mittelalter in Südwestdeutsch land, Nachweise durch Bodenfunde in 22 Fundplätzen.
64
Beim Getreide hat der in der Dreifelderwirtschaft als Sommerfrucht angebaute Hafer die höchste Stetigkeit (Abb. 3). Hafer bildete die Grundlage für Breispeisen und wurde in Notzeiten auch dem Brotmehl beigemengt.19 Er hat von allen Getreiden den höchsten Fettgehalt. Ob er, außer in Adelskreisen, auch als Vieh- insbesondere Pferdefutter verwendet wurde, kann angesichts der generell angespannten mittelalterlichen Ernährungslage bezweifelt werden. Die Tatsache, daß er nun die im Hochmittelalter häufigeren Wintergetreide Dinkel und Roggen überflügelt hat, dürfte mit den spätmittelalterlichen Klimaverschlechterungen zusammenhängen, denn bei schlechterem Klima erhöht sich das Risiko von Mißernten im Winterfeld stärker als im Sommerfeld.20 Die beiden nächstfolgenden Getreide, Roggen und Dinkel, liegen in der Stetigkeit gleichauf. Es sind die beiden wichtigen, als Brotfrucht geschätzten Wintergetreide. ln manchen Gegenden wurden sie sogar im Gemenge angebaut, das als Rauhmischleten bezeichnet wurde.21 Beide Arten unterscheiden sich durchaus in ihren Eigenschaften: Dinkel liefert ein besonders eiweißreiches Mehl, das sich vorzüglich für Backwaren, aber auch für Teigwaren eignet. Er ist sehr winterhart und bevorzugt kühl-feuchtes Klima, ist aber nicht besonders ertragreich. Roggen liegt im Ertrag etwas höher, stellt noch geringere Ansprüche an die Bodenqualität, liebt insbesondere leichte, sandige Böden, hat ein besonders langes und zähes Stroh, will aber ein gut vorbereitetes Saatbett.22 Der Eiweißgehalt seines dunklen, schweren Mehls ist eher niedrig. Seine Backfähigkeit beruht auf der Quellung von Zuckerstoffen in saurem Milieu (Sauerteig). Nach diesen Getreiden des Winterfelds folgen, jedoch mit einigem Abstand, mit Mehrzeitiger Gerste und Rispenhirse wieder zwei Arten des Sommerfelds. Bei der Hirse ist sogar denkbar, daß sie außerhalb der Zeigen (Felder) in Ländern angebaut wurde. Beide taugen wiederum fast nur zu Breispeisen, da ihr Mehl nicht backfähig ist. Wie der Roggen gehören sie zu den Getreiden mit geringem Eiweißgehalt Gerste diente wohl auch zum Bierbrauen, insbesondere wenn es sich um - Mehrzeitige - Spelzgerste handelte. Die heute ausschließlich für die Braumalzgewinnung angebaute Zweizeitige Gerste war - obwohl zu den ältesten Kulturpflanzen der Alten Weit zählend - im Mittelalter in Mitteleuropa noch nicht gebräuchlich.23
80
70
60
~ 50
~40 00 ." ~
"' 30
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10 ~ I Hafer Roggen Rispenhirse Einkorn Emmer Reis
Dinkel Gerste Nacktweizen Kolbenhirse Buchweizen
Abb. 3: Stetigkeifen der Getreide im späten Mittelalter in Südwestdeutsch land.
Nur an jedem dritten Fundplatz wurden Einkorn und Nacktweizen nachgewiesen, nur an jedem fünften Emmer und Kolbenhirse. Einkorn, eine der ältesten und ursprünglichsten Getreidearten überhaupt- ein diploider Spelzweizen - wurde hierzulande bis ins 19. Jahrhundert angebaut, meist als "Notnagel" im Frühjahr in die schlecht stehende Wintersaat eingebracht, um doch noch zu einer ausreichenden Ernte zu kommen. Das zähe Stroh wurde zum Anbinden der Reben verwendet. Die ertragsarme Pflanze liefert ein besonders eiweißreiches, schmackhaftes Mehl. Saatweizen, heute weltweit Nr. 1 als Kulturpflanze, war in unseren Regionen bis ins 19. Jahrhundert zweitrangig, weil die alten Landrassen dieser anspruchsvollen Kulturpflanzen wohl nicht besonders klimahart waren und daher stark schwankende Erträge lieferten. Zudem wissen wir bis in die Zeit des Mittelalters aufgrund von grundsätzlichen Bestimmungsproblemen meist nicht, ob nun der hexaploide Saatweizen oder tetraploider Hart- oder Rauhweizen vorliegt, weshalb man meist umfassend von Nacktweizen oder freidreschendem Weizen spricht.24 Kolbenhirse, heute nur noch als Vogelfutter bekannt, wurde als menschliche Nahrung seit der Späten Bronzezeit geschätzt und war auch im Späten Mittelalter noch in Gebrauch. Die geringste Bedeutung unter den klassichen Getreiden hatte damals bereits der Emmer, ebenfalls ein Mitglied des Weizen-Clans. Noch seltener waren lediglich Reis und Buchweizen. Reis tritt als Importware ab dem späten Mittelalter in städtischem Kontext auf und gilt als Hinweis auf wohlhabende Lebensumstände, weil er unter hiesi-
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Stetigkeiten ahand von 21 Fundkomplexen
ÖI-/Faserpflanzen
Hülsenfrüchte
Gemüse/Gewürze
Obst/Nüsse
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>10%
Tab. 3: Kulturpflanzen im späten Mittelalter in Südwestdeutsch land, Übersicht (ohne Getreide).
gen Klimabedingungen nicht angebaut werden konnte, sondern eingeführt werden mußte. Buchweizen, nicht wie die anderen Getreide ein Gras angebaut, sondern ein Knöterichgewächs zentralasiatischer Herkunft, hat mit dem Reis nur das späte Erscheinen gemein: Es ist eine Feldfrucht nährstoffärmster Böden auf Sand oder auf Mooren, wie sie in Südwestdeutsch land nur in spät besiedelten Mittelgebirgsregionen (Buntsandstein) vorkommen. Deshalb war er hier nie von großer Bedeutung.
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Von den fünf Öl- und Faserpflanzen des Spätmittelalters hat der Schlafmohn die höchste Stetigkeit, gefolgt von Rübsen (Brassica rapa) und Gebautem Lein (Tab. 2 u. 3). Nachweise von Hanf und Leindotter sind selten. Dieser Eindruck dürfte beim Hanf nicht die wahre wirtschaftliche Bedeutung wiedergeben, denn Hanf war vornehmlich Faserpflanze: die Nutzung der ölhaltigen Samen zu Nahrungszwecken war zweitrangig, und ihre Nachweischance relativ gering. Auch beim Lein stand die Fasernutzung im Vorder-
grund. ln stärkerem Maße als heute war bei den Ölpflanzen die direkte Nutzung der Samen als Nahrungsbestandteil üblich, denn die effektive Weiterverarbeitung zu Ölen und Fett~n erfordert eine Technik, die am Ende des Mittelalters noch am Beginn ihrer Entwicklung stand. Von den drei nachgewiesenen Hülsenfrüchten fällt die in früheren Zeiten sehr wichtige Ackerbohne in der wirtschaftlichen Bedeutung gegenüber Erbse und Linse zurück (Tab. 2 u. 3). Die aus der Neuen Welt stammende Gartenbohne fehlt natürlich noch.25 Die Liste der Gemüse- und Gewürzpflanzen ist umfangreich (Tab. 2 u. 3). Neben vielen heute noch ge
bräuchlichen Arten finden sich auch solche, die man in unseren Tagen kaum mehr kennt. Wie seit langem bekannt, war das Mittelalter eine würzfreudige Zeit, was nicht nur Speisen, sondern auch Getränke wie Wein und andere betraf.26 Purismus war nicht ange
zeigt; erlaubt war, was schmeckte. Gewürze dienten nicht nur dazu, die kostbaren und oft nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehenden Stoffe Salz und Zucker zu ersetzen, nein, sie sollten auch den üblen Geruch verdorbenen Fleisches übertünchen und dem Wein seine Säure nehmen.27 So finden sich
auch die hauptsächlich als Gewürze verwendeten Kräuter Petersilie und Dill am stetesten, danach Fenchel, Bohnenkraut, Hopfen und Kümmel. Dazwischen tummeln sich mit Mangold/Rübe, Gurke, Kohl und Sellerie auch einige Gemüse, wobei gerade beim Sellerie die Früchte durchaus auch als Gewürz Verwendung fanden. Als Gemüse wurde der heute noch
in Italien bevorzugte Staudensellerie genutzt, nicht der bei uns übliche Knollensellerie. Beim Hopfen denkt man natürlich sofort an Bier. Zwar waren Met und bierartige Getränke schon bei den Kelten und Germanen beliebt, doch hatte ihnen im Mittelalter meistenorts der Wein den Rang abgelaufen.28 Dazu wurde Hopfen als alleinige Bierwürze erst mit den bekannten Reinheitsgeboten aus dem bayerischen
Raum in der Frühen Neuzeit hoffähig. Zuvor war hier allerlei und nicht nur gesundheitlich Unbedenkliches möglich und üblich.29
Neben Rettich und Senf, uns allen wohl vertraut, tauchen mit Gartenmelde (Atriplex hortensis) und Fuchsschwanz (Amaranthus lividus) auch Gemüse auf, die heute kaum noch gebraucht werden. Und Koriander, heute nur noch für Lebkuchen verwendet, war früher ein weit verbreitetes Universalgewürz.
Eine ganze Reihe von immerhin zwölf Gemüse- und Gewürzpflanzen sind auch spätmittelalterlich bislang
nur an jeweils einem Fundplatz aufgetaucht. Es sind die heute noch gebräuchlichen Pflanzen Basilikum, Gartenkerbel, Gartenkresse, Liebstöckel, Pfeffer, Spinat und Zitronenmelisse, sowie- heute weitgehend vergessen - Raute (Ruta graveolens), Schildampfer (Rumex scutatus), Schwarzer Senf (Brassica nigra), Absinth (Artemisia absinthium) und Winter-Bohnen
kraut (Satureja montana). Die Zahl der spätmittelalterlichen Obstarten ist nicht viel kleiner als die der Gemüse und Gewürze (Tab. 2
u. 3). An erster Stelle steht die Weintraube, deren Kerne in den häuslichen Latrinen von Frischobst oder
kernhaltigen Rosinen stammen dürften. Die Masse der Produktion dürfte jedoch als Wein oder besser als weinartiges Getränk durch die Kehlen geflossen sein und sich somit weitgehend dem botanischen Nachweis entzogen haben. Paradoxerweise liegen aus der Untersuchung einer linearbandkeramischen Siedlung in Vaihingen an der Enz Hinweise auf das weitere Schicksal der Traubenkerne aus spätmittelalter-lich/frühneuzeitlicher Weinproduktion vor.30 Dort treten nämlich in den Grubenfüllungen neben verkohlten Belegen von Einkorn und Emmer häufig un
verkohlte und ziemlich schlecht erhaltene Trauben
kerne auf, die aufgrundder dortigen Bodenbedingungen kaum sieben Jahrtausende überdauert haben dürften, zumal nach allem derzeitigen Wissen die Neolithiker wirklich noch keine Weintrauben kelter
ten. Die Kerne stammen vielmehr aus mittelalterlich/neuzeitlichem Trester, der zunächst als Viehfutter diente. Mit dem Stallmist als Dünger gelangten die Kerne dann auf die Felder und wurden im Bereich
des Fundplatzes von Bodentieren in die bandkeramischen Gruben eingearbeitet. Diese Geschichte ist nicht nur kurios, sondern auch lehrreich, weil sie zeigt, wie man im Mittelalter auch noch die kläglichsten Abfälle in wirtschaftlich sinnvolle Stoffkreisläufe einband, anstatt sinnlos Müll zu produzieren. Zum Obst zurückkehrend, sind als weitere wichtige Obstarten Süßkirsche, Birne, Feige und Apfel zu nennen. Bei der Feige stellt sich wieder die oft diskutierte Frage, ob sie importiert oder vor Ort angebaut wurde. Zwar wäre es kein Problem, mit einem oder zwei handelsüblichen Päckchen Smyrna-Trockenfeigen eine normale mittelalterliche Latrine mit der üblichen Konzentration an Feigenkernen zu versehen, was einen Fernimport durchaus plausibel machen könnte, doch steht andererseits außer Frage, daß in begünstigten Klimaten Mitteleuropas von ca. 8,5 oc Jahresmittel aufwärts Feigen problemlos zur Reife gelan-
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gen. Insbesondere wenn sie an geschützen Plätzen stehen und vor Konkurrenz geschützt werden, können die Feigenrassen in nicht extrem wintermilden Gebieten zwangsläufig zu laubwerfenden Gehölzen werden und dennoch Früchte hervorbringen. Von den Nüssen hat die Walnuß die höchste Stetigkeit. Die Stetigkeiten geben hier die wirtschaftliche Bedeutung sicher nicht angemessen wieder. Man muß nämlich unterscheiden zwischen Obstresten, die nach Genuß über Darmpassage regelmäßig in die Ablagerungen gelangen wie Feige oder Traube, Obstarten, die nur mit Küchenabfällen sporadisch abgelagert werden wie Pfirsich- oder Pflaumensteine, und schließlich solche Abfälle, die in der Regel überhaupt nicht abgelagert, sondern anderweitig genutzt werden. Dazu gehören Nußschalen, die als hervorragendes Material zum Entfachen eines Herdfeuers nur selten undperZufall in Latrinen gelangten.J1 Ihre nahrungswirtschaftliche Bedeutung ist also höher zu veranschlagen, als ihre Nachweishäufigkeit nahelegen möchte. Von den weiteren, seltener nachgewiesenen Obstund Nußarten sind Sauerkirsche, Eßkastanie, Zwetschge, Mandel, Quitte, Johannisbeere, Stachelbeere, Aprikose und Pfirsich heute noch beliebt, wogegen Schwarze Maulbeere (Morus nigra), Granatapfel (Punica granatum), Mispel (Mespilus germanica), Kirschpflaume (Prunus cerasifera), Sanddorn (Hippophae rhamnoides) und Steinweichsel (Prunus mahaleb) vergessen sind oder ein Außenseiterdasein fristen. Kulturpflanzen, die nicht der Ernährung dienen, sind ebenfalls in einigen Fällen als Realien nachgewiesen, doch besteht hier im Vergleich zu den bildliehen und schriftlichen Quellen ein deutlich er Informationsrückstand. Als spätmittelalterliche Zierpflanzen können Akelei, Garten-Nelke, Blaustern, Kranz-Lichtnelke, Lavendel, Nachtviole, Schleierkraut und Silberling gelten, dazu der Buchsbaum. Die FärberHundskamille war als Färbepflanze eine Wirtschaftspflanze, und die Ringelblume wurde sicherlich als Heilpflanze angebaut. Das Hiobstränen-Gras spielte ebenso wie der Mönchspfeffer eine Sonderrolle, hier zum Gewinn natürlicher Paternosterperlen, dort als biochemische Unterstützung bei der Einhaltung des Keuschheitsgelübdes. 32 Nicht angebaute, sondern wild gesammelte Nahrungspflanzen sind in dieser Übersicht nicht berücksichtigt, obwohl sie bis in die frühe Neuzeit, vor allem bei ärmeren Bevölkerungsschichten große
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Wertschätzung und Bedeutung genossen. Am häufigsten waren Haselnuß, Hagebutte, Holunder, Schlehe, Wald-Erdbeere, Him-, Brom-, und Heidelbeere. Während diese Obstarten heute - sofern überhaupt am Markt erhältlich - aufgrund der schwierigeren und personalintensiveren Gestehungs- und Vermarktungsbedingungen eher zu den teueren Obstsorten zählen, waren sie früher Armeleute-Kost.
Pflanzliche Rohstoffe in der spätmittelalterlichen Wirtschaft
Pflanzen spielten nicht nur stets in der menschlichen Ernährung eine zentrale Rolle, sie waren als universaler Rohstoff in Technik, Wirtschaft und Handwerk von viel größerer Bedeutung als heute, wo sie teilweise durch andere, auch künstlich erzeugte Stoffe ersetzt werden. Auch waren Holz und Holzkohle, also pflantliche Produkte, vor dem Industriezeitalter die alleinigen Energieträger, die dann später durch fossile ersetzt wurden. Auch diese, sei es Kohle, Erdöl, Erdgas, sind ja eigentlich pflanzliche Produkte. Im Gegensatz zu den ständig nachwachsenden Rohstoffen früherer Zeiten, mit deren Verbrauch lediglich die Zinsen verzehrt wurden, wird mit den fossilen Energiequellen, das über Jahrmillionen angesparte irdische Kapital angezapft und in wenigen Jahrhunderten verpraßt Als ein Beispiel, wie pflanzenreste aus archäolgischem Kontext nicht unbedingt etwas mit Ernährung zu tun haben, sondern in diesem Fall mit dem nur noch in archäologischen Spuren faßbaren Bau, sei ein um 1400 abgebranntes steinernes Gebäude aus Rädermark-Oberraden in Südhessen angeführt.J3 Es wurden dort neben wenigen verkohlten Getreidekörnern und Unkräutern hauptsächlich ÄhrenspindelGlieder des Roggens und Fragmente von Getreidestroh, beides ebenfalls verkohlt, gefunden. Die Deutung liegt nahe, es handle sich hier nicht um Überreste von Nahrungs- oder Erntevorräten und bei dem Gebäude um ein landwirtschaftliches Ökonomiegebäude, sondern vielmehr seien diese Reste Überbleibsel des Strohdachs, das bei dem Brand natürlich fast vollständig von den Flammen verschlungen worden war. Besseren Einblick in die Bedeutung und vielfältige Verwendung von pflanzlichem Material beim Hausbau, nicht nur als Holz für tragende Konstruktionen oder Flechtwerk, sondern auch als Dämm- und lsola-
tionsmaterial bekommt man aus noch stehenden Häusern. Mittlerweile sind solche, in .Riegel-, Ständer- oder Blockbauweise errichteten Gebäude aus ländlichem oder städtischem Kontext bis ins 13. Jahrhundert zurückzuverfolgen.34 Für die Archäobotanik von besonderem Interesse sind in solchen Häusern die Lehmfüllungen von Lehmflechtwänden, daneben Wellerhölzer, dazu lose Schüttungen von pflanzlichem Material in Zwischenböden _35
Bei diesen ist jedoch die genaue Datierung und auch der Nachweis der Gleichaltrigkeit des deponierten Materials schwierig, da mit späterem Hineinfallen von Material durch Bretterritzen, mit nachträglichem Einbringen durch Abheben von Bodendielen gerechnet werden muß. Dazu kommt eine lebhafte Bioturbation, vor allem durch ungebetene Mitbewohner, diverse Nagetiere, die sich in solchen Schichten durch zahllose Kotpillen verewigt haben. Lose Fehlbodenfüllungen können auch als relativ junge Konstruktionsmerkmale gelten, da sie wegen der leichten Entflammbarkeit bei offenem Rauchabzug durch den Dachstuhl zu gefährlich wären, sondern nur bei Rauchabzug über Kamine möglich sind. Die Lehmfüllungen enthalten als Magerung feines pflanzliches Material, meist vorwiegend Getreidedrusch, dessen Herkunft und Zusammensetzung noch weitgehend ungeklärt ist, da zu wenig Untersuchungen vorliegen. Es ist also unklar, ob stets nur Druschreste verwendet wurden und an.dere Pflanzen
als Beikräuter auf den Äckern zu deuten sind, oder ob man vielleicht Material von anderen Standorten beimengte. Die Pflanzenteile waren in der Lehmumhüllung nicht nur bestens konserviert und vor Störungen geschützt, sie können auch als gut und zuverlässig datierbar gelten, da nachträgliche, sekundäre Ausfachung alter Riegelbauten wohl selten vorkommt und auch erkennbar wäre. ln der Regel dürften die Lehmausfachungen so alt wie das Fachwerk selbst sein. Bei den bislang untersuchten Wellerhölzern wurde dagegen ausgedroschenes Stroh um Latten gewickelt und mit Lehm verstrichen. Die Pflanzen repräsentieren also ein konkretes Getreidefeld, stellen somit eine echte Paläo-Biocoenose dar.36
Da man sich natürlich nicht die Mühe machte, das Stroh von Unkäutern zu reinigen, lassen sich außer dessen Länge auch die Verunkrautung der Felder ermitteln. Diese war bei den ins 18. Jahrhundert datier-
Schwäbisch Hall, St. Michael Pflanzenfunde aus dem Grundatein von 1495
(75,9%)
888 Roggen, Körner ~Dinkel, Vcescn mSaathafer, Ährchen
~Einkorn, Ährchen r..zl Emmer, Gerste, Saatwei:t {22 UnkrAutee Unkrlutcr: Stinkenden HundSkamille, Kornrade, Hederich, Fuchsschwanz. Raubhaarige und Vier
Abb. 4: Die Getreideprobe aus dem Grundstein von 1495 aus St. Michael in Schwäbisch Hall. Diagramm der Artenzusammensetzung.
ten, mit Roggenstroh hergestellten Wellerhölzern aus der Pfarrgasse 9 in Schwäbisch Hall beträchtlich. Im Gegensatz dazu war die im Grundstein von St. Michael in Hall von 1495 niedergelegte Getreideprobe sehr rein, wohl deshalb, weil man sie sorgfältig präparierte, um der Nachwelt ein ordentliches Bild der Haller Landwirtschaft zu präsentieren. Die wichtigen Getreide wurden dabei angemessen beteiligt (Abb. 4): Roggenkörner und Dinkelveesen waren am häufigsten. ln geringer Menge waren Saathafer und Einkorn dabei, nur in Spuren Gerste und Saatweizen. Hierbei kann allenfalls die schwache Beteiligung der Gerste und das Fehlen von Hirse überraschen. Bei den losen Schüttungen sind ausgedroschene Dinkei-Veesen besonders häufig, weil diese offenbar baubiologisch besonders günstige Eigenschaften als Dämm-Material aufweisen: Sie sind leicht, stabil, luftgefüllt und von gleichmäßiger Körnung. Diese Eigenschaften machte und macht man sich auch bei Kissen und Deckenfüllungen zunutze ("Spreuersäcke"). Dies schlug sich sogar noch in Bestattungen nieder. So war das Kopfkissen einer Säuglingsbestattung aus dem 17. Jahrhundert in der Gruft der Grafen von Sulz in Tiengen am Hochrhein mit Dinkeldrusch gefüllt.37
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Landwirtschaft und Umwelt - Stadt und Land
Landwirtschaft bildet seit sieben Jahrtausenden die Grundlage mitteleuropäischer Kultur. Landwirtschaft ist abhängig von den naturräumlichen Voraussetzungen- Böden, Klima, Vegetation - und sie verändert diese zugleich. Andererseits sind Landwirtschaft und die Ernährung, der sie dient, soziokulturelle Erscheinungen, in denen soziale Zusammenhänge zum Ausdruck kommen. Diese Abhängigkeiten und Wechselwirkungen kamen in keiner Epoche stärker zutage als im Mittelalter. Das soll nachfolgend an wenigen Beispielen dargestellt werden. Wichtigste archäologische Quellen hierfür sind Latrinen aus städtischem Kontext, die im Mittelalter nicht nur menschliche Fäkalien aufnahmen, sondern umfassende Entsorgungseinrichtungen waren (Abb. 5). Aus Heidelberg am Neckar liegen Untersuchungen mehrerer Latrinen vor, die zwischen dem 14. und frühen 17. Jahrhundert datieren, und die aufgrund
Abb. 5: Funktionsschema einer mittelalterlichen Latrine.
70
archäologischer Funde und historischer Quellen jeweils ein anderes soziales Umfeld wiedergeben (Abb. 6).38 Davon kommt dem Befund vom Collegium academicum (Abb. 6, Nr. 3) sicherlich die sozial am stärksten herausgehobene Stellung zu, handelte es sich doch um einen überaus wohlhabenden Apothekerhaushalt Ebenfalls als wohlhabend sind die Bewohner der Bürgerhäuser am Kornmarkt (Nr. 4, 5) einzustufen. Demgegenüber sollte die Latrine des Augustinerklosters (Nr. 1) abfallen. Schwer einzuordnen war der Befund des frühen 17. Jahrhunderts, vom Tiefmagazin, als dieses Areal kein Kloster mehr war, sondern bereits zur Universität gehörte (Nr. 2). Die Zusammensetzung der Obstreste gibt bei 3 ein Übergewicht der Weintraube und zahlreiche Feigen kerne. Feigen sind auch am Kornmarkt häufig, doch treten die Weintrauben zurück und Wildobst ist viel häufiger. Ähnlich ist das Obstspektrum des Augustinerklosters. Feigen sind hier jedoch sehr selten, dafür ist die Maulbeere auffallend häufig. Alles in allem dürften die Heidelberger Augustinermönche nicht viel
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schlechter ernährt gewesen sein als wohlhabende Heidelberger Bürger. ln der Universitätslatrine ist dagegen wild gesammeltes Obst, vor allem Heidel- und Walderdbeeren am häufigsten, und anspruchsvolles Kulturobst findet sich nur in Spuren. Wie bereits dargelegt, spricht - im Gegensatz zu heutigen Verhältnissen - das hochwertige Kulturobst für höheren sozialen Status, denn um in seinenGenuß zu gelangen, mußte man entweder Gärten oder Geld besitzen, wogegen Wildobst für jedermann wohlfeil zu haben war, wenn man die Zeit und Mühe des Sammelnsauf sich nahm, was in früherer Zeit keine zur Diskussion stehende Frage gewesen sein dürfte. Demnach waren diese Universitätsangehörigen des frühen 17. Jahrhunderts von allen erfaßten Bevölkerungsschichten die pekuniär am schlechtesten gestellten. Leider waren weitere Umstände zur möglichen Identifizierung dieser Leute nicht bekannt, weshalb offen bleiben muß, was für eine Stellung sie im Universitätsbetrieb innehatten. DerVergleich der beiden, vielleicht 150 Jahre auseinanderliegenden Befunde vom Tiefmagazin der Universitätsbibliothek läßt weitere Unterschiede sichtbar werden, die nicht sozial bedingt sind (Abb. 7): Die klimatisch anspruchsvollen Kulturpflanzen Kolbenhirse, Gurke, Weintraube und Schwarze Maulbeere nehmen zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert um 50 bis 100% ab, der klimatisch unempfindliche Kümmel dagegen um mehr als 1 00% zu. Die Erklärung dafür ist die als Kleine Eiszeit bekannte Klimaverschlechterung, die im späten 15. Jahrhundert einsetzte und im frühen 17. Jahrhundert einen Höhepunkt erreichte.39 Damals wurde der Anbau der erwähnten Arten auch in der klimatisch begünstigten nördlichen Oberrheinebene problematisch. Die Klimaverschlechterung bedeutete nicht nur niedrigere Temperaturen, sondern insbesondere auch höhere Niederschläge, und damit verstärkte Bodenerosion sowie Auswaschung von Boden-Nährstoffen, was die Ertragslage der Landwirtschaft empfindlich verschlechterte.40 Das zeigen in Heidelberg die Ackerunkräuter, die als Verunreinigung von Getreideprodukten in die Latrine gelangten (Abb. 7): Die Zeiger für flachgründige Böden nehmen beträchtlich zu, Zeiger für Versauerung und Verhagerung treten jetzt erst auf. Dahinter können sich zwei Phänomene verbergen: Erstens die Standortverschlechterung der schon bestehenden Feldflächen und zweitens eine Ausdehnung des Ackerbaus auf weniger günstige, flachgründige oder saure Böden, um mit diesen zu-
~ Feige ~Maulbeere ~ Weintraube B:2j Süßkirsche ~ Ap(ei/Birne EZJ Wildobst
1 Tie!maz.in,l.Jttrine, lS. Jhd. 2 Tiefmagazin, Keller, 17. Jhd. 3 Collegium academicum, 1SJ16. Jhd. 4 u. S Kornmarkt, 14./15. Jhd.
Abb. 6: Obstfunde aus Heidelberger Latrinen als Indikator der sozialen Verhältnisse.
. wlrmeliebend: Kolbenhine, Gurke, Weint
100
so
-so
·100
~Kolbenhirse ~Gurke ~Weintraube ESZI Schwarze Maulbeere ~ Kümmel
6
· 3
ISJhd.
B8l Säurezeiger ~Zeiger für Flachgründigkeit
Abb 7: Veränderung von Wild- und Kulturpflanzenspektren aus Heidelberger Latrinen zwischen dem 75. und 17. }hd. als Indikatoren für die Klimaverschlechterung der Kleinen Eiszeit. a) Kulturobst b) Ackerunkräuter
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sätzlichen Flächen die gesunkenen Erträge auszugleichen. Unsere Beschäftigung mit dem Mittelalter sollte frei sein von romantischer Verklärung, frei auch von Überheblichkeit, aber getragen von der Frage, was uns die Vergangenheit zu sagen hat. Wie können heutige Tatbestände und Probleme aus der Vergangenheit erklärt werden, und welche Lebenshilfen erhalten wir beim Blick zurück? Lernen wir aus alten Fehlern? ln diesem Zusammenhang soll es vor allem um Ökologie und Ökonomie gehen und dazu sollen abschließend mittelalterliche und heutige Stoff- und Energieflüsse verglichen werden (Abb. 8). Auch im Mittelalter waren es keine geschlossenen Kreisläufe, die zur Erhaltung eines status qua führten. Es gab Orte mit ständigem Stoffentzug, solche, wo sich Entzug und Eintrag die Waage hielten und Orte mit Stoffanreicherung. Im ländlichen Umfeld verarmten die peripheren und extensiv genutzten Gebiete - Wald oder was noch davon übrig war und Allmend -zusehends, während sich auf den Feldern wohl längerfristig ein Gleichgewichtszustand einstellte. Die Zufuhr über Dung, Plaggen o.ä. wurde kompensiert durch den Ernteentzug, und hier machte sich vor allem der Abfluß in "consumer sites" (Städte,
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Herrschaften) bemerkbar. Dort w iederum kam es zu einer Anreicherung an unterschiedlichen Stellen mit mehr oder weniger nachteiligen ökologischen Folgen (Latrinen, Gewässer, Hortisole mit Schwermetallanreicherung). Wie bereits angedeutet, reagierte dieses System sehr empfindlich auf Veränderung der natürlichen Rahmenbedingungen, beispielsweise auf Klimaschwankungen. Wie schon einleitend bemerkt, soll das Mittelalter nicht glorifiziert und seine teilweise anrüchigen ökologischen Probleme niCht unter den Tisch gekehrt werden .Der Vergleich mit der Gegenwart zeigt jedoch, daß heute die Produktionsund Entsorgungsprozesse äußerlich 'cleaner' und vor allem weniger augenfällig vonstatten gehen, sofern sie nicht von den Medien ans Bewußtsein einer diesbezüglich mehr und mehr abgestumpften Öffentlichkeit gezerrt werden. Er macht aber auch in erschreckender Weise deutlich, wie sich die geographischen Dimensionen vom Kleinräumig-Nachbarschaftliehen ins Globale und Unüberschaubare erweitert haben, und dies mit teilweise grotesk anmutenden Folgen, die mittlerweile einer immer breiteren Öffentlichkeit bewußt werden, aber nicht mehr Thema dieses Beitrags sein können.
Anmerkungen
1 Willerding 1978; Willerding 1992. 2 Faegri/lversen 1989; Berglund 1986; Lang 1994. 3 Vgl. z.B.: Behre/Jacomet 1991; Willerding 1988; Wilmanns
1988. 4 Willerding 1984. 5 Hennebo 1987; Fischer-Benzon 1894. 6 Stoffler 1978; Hennebo 1987, 1 7ff. 7 Stork/Rösch 1993. 8 Vgl. die Diskussion zum Verhältnis von Mündlichkeit und
Schriftlichkeit in der Volkskunde, z.B. Raible 1988. 9 Gradmann 1901.
1 0 Küster 1989. 11 Rösch/Jacomet/Karg 1992. Zwar liegen im Hochmittelalter
Roggen und Dinkel in der Stetigkeit gleichauf, wie Abb. 5 zu entnehmen ist, betrachtet man jedoch, wie in o. e. Publikation die Mengenverhältnisse an den einzelnen Fundplätzen, so ergibt sich, zumindest nördlich der Donau, ein klares Übergewicht des Roggens.
12 Rösch/Jacomet/Karg 1992, 212ff. 13 Willerding 1987. 14 Willerding 1991. 1 5 Hegi 1906. 16 Von diesen Untersuchungen liegen publiziert vor: Maier
1988; Küster 1992; Rösch 1988; Rösch 1993; KörberGrohne 1978.
17 Jacomet/Brombacher/Dick 1989; Jones 1991. 18 Braun-Bianquet 19643; Dierschke 1994; Dierßen 1990;
Wilmanns 1984. 19 Angaben über Eigenschaften und frühere Nutzung der
wichtigen Kulturpflanzen finden sich bei: Körber-Grohne 1987; Abel 1978b; Franke 19812; Geisler 1991.
20 Hildebrandt/Gudd 1991. 21 Schuster 1990. 22 Geisler 19882. 23 Miller 1991; Körber-Grohne 1987; Die ältesten Nachweise
zweizeiliger Gerste in Südwestdeutschland stammen aus dem 16. Jhd. n. Chr. (unpublizierte Daten Labor für Archäobotanik LDA Baden-Württemberg).
24 Maier 1996; Kislev 1981. 25 Funde der Gartenbohne in Fehlbodenfüllungen des 16.
Jahrhunderts von Schwäbisch Hall zeigen jedoch, daß diese neuweltliche Kulturpflanze rascher als beispielsweise die Kartoffel Eingang in Bürgergärten fand: Rösch/Karg/Sillmann 1994.
26 Mauruschat 1975; Mennell1988. 27 Es gilt auch, zu bedenken, daß Rübenzucker eine Erfindung
des späten 18. Jahrhunderts ist und Rohrzucker als ein Neuwelt-Import eine neuzeitliche Errungen schaft. Zuvor standen als Süßstoffe lediglich Honig und getrocknetes Obst zur Verfügung. Das waren wahrlich keine süßen Zeiten. Umso höher war natürlich der Stellenwert der raren, natürlichen Süßstoffe, wie der des Honigs, zu veranschlagen.
28 Körber-Grohne 1985. 29 Behre 1984. 30 Rösch 1994. 31 Culikova 1991. 32 Küster 1992. 33 Rösch/Jacomet/Karg 1992, Tab. 2 u. 3, sowie Abb. 4. 34 Bedal 1978.
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35 Willerding 1993; Willerding 1991; Rösch/Karg/Sillmann 1994.
36 Willerding 1979. 37 Fingerlin 1992; Rösch/Jacomet/Karg 1992, Tab. 2 u. 3. Die
Untersuchung pflanzlichen Materials aus stehenden Gebäuden ist ein sehr junger Zweig der Archäobotanik. Daher liegen bislang kaum publizierte Untersuchungen vor. Im Labor für Archäobotanik des LDA Baden-Württemberg sind derzeit Materialien aus spätmittelalterlichen Häusern aus Schwäbisch Hall und Reutlingen, sowie aus dem Freilandmuseum Bad Windsheim in Bearbeitung.
38 Maier 1983; Zenner/Bopp o.J.; Rösch 1993. 39 Flohn 1985; Lamb 1989; Pfister 19852. 40 Abel 1978a; Parry 1978; Wigley/lngram/Farmer 1981.
Abbildungsnachweis
Greig 1981 (Abb. 5) Rösch (Abb. 1, 2, 3, 4, 6, 7, B;Tab. 1-3)
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