Warschauer Aufstand. Fakten und Hintergründe [1994]
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Marlms Krzoska
WARSCHAUER AUFSTAND.
FAKTEN UND HINTERGRUNDE
1.) Einleitung;
Herr Botschaftssekretär, meine sehr verehrten Damen und Her
ren, »Der 1. August 1944 ruft uns in Erinnerung, welch uner
meßliches Leid von Deutschen über Polen gebracht wurde. Wie
in einem Vergrößerungsglas treten Terror und Vernichtung,
Ausrottung und Erniedrigung vor unsere Augen ... Der 1. August
1944 ist zugleich ein unauslöschliches Symbol für den Freiheits
willen des polnischen Volkes .. . Er ist zum Sinnbild für das kämp
fende Polen geworden, das sich nie mit Demütigung, Rechtlo
sigkeit und drohender Vernichtung abgefunden hat...Kein Land
hatte im Zweiten Weltkrieg vergleichbar hohe Opfer zu beklagen
wie Polen ... Wir beziehen sie alle in unser Gedenken ein und
nehmen ihren Tod als Mahnung und Verpflichtung für die Zu
kunft zugleich.« Mit diesen Worten wandte sich
Bundespräsident Herzog am 1. August dieses J abres an die
Bevölkerung Warschaus und bat abschließend um Vergebung, .
für all das, was ihr von Deutschen angetan wurde. Diese Rede,
die man - glaube ich - heute schon mit Recht als historisch be
zeichnen kann, und die positiven Reaktionen darauf in Polen
haben gezeigt, wie wenig normal das deutsch-polnische Verhält
nis heute, neunundvierzig Jahre nach Ende des Krieges noch
sein kann. Der Warschauer Aufstand ist im deutschen
historischen Denken praktisch rJcht existent; wenn überhaupt
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ein Aufstand bekannt ist, dann der im Warschauer Ghetto des
Jahres 1943. In Polen dagegen steht die Erhebung in der Tradi
tion der nationalen Aufstände seit dem Ende des 18. J ahrhun
derts und zählt zu den wichtigsten Ereignissen dieses J ahrhun
derts im politischen Bewußtsein. Wie kam es zu diesem verzwei
felten Aufbegehren, das sich militärisch gegen die Deutschen
und politisch gegen die Sowjets richtete?
2.) Polen im Zweiten Weltkrieg:
Der deutsche überfall auf Polen, der am 1. September1939 be
gann, war durch das geheime Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin
Paktes eine Woche zuvor ermöglicht worden, in dem Ostmittel
europa in eine deutsche und eine sowjetische Interessenssphiire
aufgeteilt worden war. In den folgenden Jahren entwickelte sich
ein brutales Besatzungsregime, das sich zum Ziel gesetzt hatte,
die Polen auf die Stufe eines Hi1fsvolks herabzudrücken. Gegen
die planmäßigen Vemichtungsaktionen organisierte sich rasch
Widerstand in verschiedenen Formen, auf die hier nicht näher
eingegangen werden kann.
Neben militärischen Aktionen waren besonders das interne
Kommunikationsnetz im Untergrund und die Ausbildung eines
Teils der Jugend in geheimen Gymnasien und Universitäten
wichtig. Nach dem Juni 1941 organisierte sich auch
kommunistischer Widerstand innerhalb der Polnischen
Arbeiterpartei (PPR). Sie schloß sich in übereinstimmung mit
der Linie Stalins aber nicht dem konservativen Widerstand an.
Das Verhältnis zwischen der Londoner Exilregierung und der
Sowjetunion war trotz aller Bemühungen der Westmächte nach
der Entdeckung der Morde von Katyll nicht mehr zu kitten.
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..
In übereinstimmung mit den unabhängigkeitlichen Traditionen
war es höchstes Ziel und Grundsatz des polnischen Widerstan
des in den Jahren 1939-44, eine große nationale Erhebung im
für Polen günstigen Moment des Krieges durchzuführen. Der
Wiederaufnahme des offenen Kampfes sollte die konspirative
Tätigkeit vorausgehen. Um die Uneinigkeit in den eigenen Rei
hen zu beenden, beschloß die Exilregierung 1942 eine zentrale
Armeeorganisation, die sog. »Armia Krajowa« (AK, Heimatar
mee) zu gründen. In der Folgezeit wurden verschiedene
Aufstandskonzepte entwickelt, die aufgrund der militärischen
Lage immer wieder modifiziert werden mußten.
Anfang 1944 entschied man sich schließlich für eine neue Stra
tegie, die unter dem Tarnnamen »Operation Gewitter« (oper
acja buna) durchgeführt werden sollte. Im ganzen Land sollten
die Deutschen gestört und angegriffen werden. Die Aktion soll
te im Osten beginnen und sich mit dem Frontverlauf nach We
sten vorschieben. Die Kämpfe sollten sich vor allen Dingen auf
das flache Land, auf Dörfer und kleine Städte erstrecken, aber
nicht bei oder in größeren Ortschaften unternommen werden.
Den besser bewaffneten städtischen Einheiten der AK sollte
dabei die Aufgabe zufallen, die bei einem Rückzug zu erwarten
den Ausschreitungen von NS-Behörden und SS, Wehrmacht
und exi1russischen Einheiten gegenüber der Zivilbevölkerung ab-'
zuwehren und dann die Städte nach dem deutschen Abzug zu
sichern. Es handelte sich somit um keinen allgemeinen Auf
stand, sondern um ein Netz lokaler Erhebungen, die nicht
gleichzeitig zu erfolgen brauchten. Kämpfe mit den Sowjets
sollten um jeden Preis vennieden werden, die Aktion »Gewit
ter« selbständig zu Ende geführt werden. Der Befehl beinhalte-
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te, daß der Zeitpunkt der Auslösung der Operation äußerst
wichtig sein würde. Ein zu früher Beginn - ohne Unterstützung
durch die Rote Armee - würde zu einer totalen Niederlage füh
ren. Dieser Plan erwies sich angesichts des im Januar 1944 be
ginnenden sowjetischen Einmarsches als nicht durchführbar. Die
vorgesehene Zusammenarbeit mit den Sowjets klappte ebenfalls
nicht. Spätestens bei den Kämpfen um Wilna zeigte sich, daß
ein Großteil der AK -Soldaten anschließend von den Sowjets
interniert oder umgebracht wurde.
Die Entscheidung, Warschau in den Kampf miteinzubeziehen,
fiel relativ spät. Zunächst war geplant, die Hauptstadt mit
Rücksicht auf die waffenlose Bevölkerung und die historischen
Gebäude auszusparen. Man wollte während der Aktion Burza
lediglich wenige, für die Wehnnacht unwichtigere Stadtteile be
setzen, um heftige Reaktionen der Deutschen zu vermeiden. Die
Gründe für die Änderung dieser Taktik lagen in verschiedenen
Bereichen: 1.) im Ideellen: Warschau sei schon im September
1939 heldenhaft verteidigt worden, dort befinde sich der Sitz der
Untergrundregierung, es sei ein Symbol des Widerstandes, des
halb dürfe es nicht untätig bleiben. 2.) im Politischen: Polen
müsse seinen Beitrag zum Kampf mit den Deutschen liefern,
um später als Mitsieger anerkannt zu werden 3.) im Militäri- .
schen: Der sowjetische Vorstoß bis über die Weichsel schien
unmittelbar bevorzustehen, die deutsche Front schien schwach
zu sein. Obwohl alliierte Hilfe aus der Luft nicht zu erwarten
war, wollte man den Sowjets zuvorkommen 4.) im Psychologi
schen: Die bevorstehende deutsche Niederlage erzeugte eine
Stimmung der Vergeltung; die AK befürchtete einen spontanen
Aufstand, im Zuge dessen eventuell auch kleinere (prosowje-
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tische Verbände) die Macht an sich reißen könnten.
3. Der Aufstandsausbruch:
Im Juli 1944 überschritten sowjetische Soldaten den Bug und
erreichten erstmals polnisches Gebiet. In Moskau entstand
daraufhin das Polnische Komitee der Nationalen Befreiung
(PKWN), das über Chelm am 2. August nach Lublin übersie
delte. Dies verschlechterte die politische Lage der AK
entscheidend, die von den Westmächten zudem gedrängt wurde,
mit den Sowjets zusammenzuarbeiten.
In Warschau befand man sich in einer fatalen Situation. Wenn
man nicht kämpfte, stand die Einnalune durch die Rote Armee
ohne polnischen Widerstand bevor, wenn man kämpfte, setzte
man sich dem Vorwurf aus, die Allianz der Großmlichte zu
geflihrden.
Noch am 14. Juli meldete der Oberbefehlshaber der Heimatar
mee, General Tadeusz Komorowski »Bor« .1 nach London,
daß bei der gegenwärtigen Stärke der Deutschen im Lande ein
Aufstand keinerlei Chance hlitte. Einige Woche später hatte er
allerdings seine Meinung dahingehend geändert, daß er fest
stellte, Warschau solle vor Einmarsch der Roten Armee von
eigenen Verbänden befreit werden. Komorowski war vor dem.
Krieg nicht politisch tätig gewesen und stand in dem Ruf, eine
schwache Persönlichkeit zu sein. In dem Moment, als die
Entscheidung fiel, Warschau miteinzubeziehen, schien es so, als
würden die Deutschen ihre Truppen allmählich aus der Stadt
1 Mit einem » . « markierte Namen oder Begriffe werden entweder L-n Personenverzeichnis oder im Glossar erklärt.
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abziehen, weil die Heeresgruppe Mitte im Osten weitgehend zu
sammengebrochen war. Tatsächlich formierten sie sich aber nur
neu im Rahmen der 9. Armee. Lediglich ein Teil der zivilen
Kräfte wurde abgezogen. Das Attentat auf Hitler am 20. Juli
nährte außerdem die Hoffnung, die deutsche Führung werde
wie schon im Ersten Weltkrieg nun rasch auseinanderbrechen.
Einen Tag später berichtete Komorowski nach London, daß ab
dem 25. Juli ein allgemeiner A1armzustand für einen Aufstand
in Warschau gelte. Am 27. Juli hatte der deutsche Rundfunk
gemeldet, daß sich in den nächsten Tagen 100 000 Menschen
einfinden sollten, um die Befestigungen rund um Warschau zu
verstärken. Einige polnische Militärs fürchteten nun eine bevor
stehende Evakuierung der Hauptstadt. Man zögerte dennoch
mit dem Beginn des Aufstands, weil die Munitionsvorräte nur
für drei bis vier Tage reichten und der Ausgang der deutsch
sowjetischen Panzerschlachten im Osten nicht klar war. Am 29.
Juli verkündete die kommmunistische Polnische Volksarmee,
daß die AK die Hauptstadt verließe. Radio Moskau rief in pol
nischer Sprache die Bevölkerung Warschaus zum Aufstand auf.
Die Entscheidungswege der polnischen Seite waren unklar. Ge
genseitige Rivalitäten verhinderten klare Verantwortlichkeiten.
Ministerpräsident Stanisfaw Mikofajczyk " ein Vertreter der
Bauempartei, der auf einen Ausgleich mit Moskau setzte, besaß .
eine Blankovollmacht des Ministerrats, den Aufstand auszulö
sen, hatte die Entscheidung aber den Leuten vor Ort zugescho
ben. Der Oberbefehlshaber im Exil, General Kazimien Sosn
kowski " war ein enger Mitarbeiter Püsudskis gewesen und war
deshalb entschieden antikommunistisch eingestellt. Er sprach
sich gegen einen Aufstand aus, befand sich aber in Italien. Die
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Direktiven, die somit in Warschau ankamen, waren nicht ein
deutig und hinterließen eher Ratlosigkeit. Die Verantwortlichen
waren sich darüber einig, daß es einen Aufstand geben mußte,
nicht aber über seinen Zeitpunkt. Noch am Morgen des 31. Juli
scmen für die nächsten Tage nichts Besonderes bevorzustehen.
Es zeichnete sich zwar ab, daß sich die sowjetischen Truppen
der Weichsel näherten, die Mehrheit der versammelten Anführer
der Heimatarmee lehnte aber einen sofortigen Aufstandsbeginn
ab. Zu der nachmittäglichen Besprechung stieß jedoch der
Kommandant des Warschauer Bezirks der AK, Antoni
Chrusciel »Monter« ., hinzu, der bisher zu den Gegnern
raschen Handelns gehört hatte, und meldete, daß sowjetische
Panzer schon in Praga stünden und daß man sofort mit dem
Aufstand beginnen müßte. Diese Forderung wurde von anderen
Generälen energisch unterstützt. Komorowski gab daraufhin,
ohne die Verifizienmg des Berichtes von Chrusciel anzuordnen,
den Befehl zum Aufstand für den nächsten Tag, 17 Uhr. Als
sich eine knappe Stunde später herausstellte, daß es sich in
Praga wohl nur um sowjetische Aufklärer handelte, war es zu
spät, die Entscheidung zurückzunehmen.
4. Die erste Woche:
Eine der wesentlichen Vorbedingungen jeder Art von Aufstand
war in Warschau nicht gegeben: das Oberraschungsmoment. Die
Deutschen rechneten zumeist mit einer größeren Widerstands
aktion, auch waren sie - vermutlich durch Agenten - über den
Termin des Ausbruchs grob informiert. In Warschau lebten zu
diesem Zeitpunkt noch etwa eine Million Menschen. Bewaffnete
Soldaten der AK gab es Anfang August ptwa 15 000, ihnen
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I standen 30 000 kämpfende Deutsche gegenüber.
Die Aufständischen hatten die Stadt in verschiedene militärische
Bezirke eingeteilt. Am wichtigsten waren sicherlich Altstadt und
Innenstadt. Ober letztere hielten alle anderen Bezirke Kontakt
miteinander. In der Altstadt war die Kierblldzia-Brücke am
Schloß von entscheidender Bedeutung; sie konnten die Polen
nie einnehmen, so daß die Deutschen die ganze Zeit über einen
Keil hielten, der von der Brücke bis zum Pilsudski-Platz reichte.
Dieser Keil erleichterte später die Aufspaltung der Aufstands
gebiete in kleinere Kessel. Generell gelang es nicht, auch nur
eine der Brücken in die Hand zu bekommen; eine Koordinie
rung des Aufstandes auf beiden Weichselseiten kam deshalb
nicht zustande. Größere Erfolge gab es in der Innenstadt, wo
einzelne Viertel und ein Teil der wichtigen Gebäude besetzt
werden konnten, etwa das Rathaus. Fehlschlugen dagegen die
Angriffe auf das Gestapo-Hauptquartier in der Aleja Szucha
und auf den Hauptbahnhof. Lediglich die Eroberung des Pru
dential-Hochhauses gelang. Weitere Primiirziele wie die Einnah
me des Flugplatzes von Okllcie und die Besetzung deutscher
Vorrats- und Waffenlager wurden gar nicht oder nur in völlig
unzureichendem Maße erreicht.
Die Taktik der Deutschen bestand aus dem Einsatz überlegener
Waffen, vor allem schwerer Artillerie, und Bombardierungen aus
niedriger Flughöhe. Militärisch gesehen war der Aufstand schon
nach wenigen Tagen gescheitert. Die polnische Verlustrate dabei
war iiußerst hoch und dürfte in den ersten Stunden etwa 2000
Mann (von insgesamt etwa 15 (00) betragen haben. Viel ver
heerender war jedoch, daß etwa 5000 Aufständische noch am 2.
August die Stadt verließen, um Verstecke aufzusuchen. Zurück
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blieb die weitgehend eingeschlossene Masse der Kämpfer in der
Innenstadt.
Nach den Worten Komorowskis sah die Konzeption des Auf
standes so aus, daß die Hauptkämpfe nur zwei bis drei Tage
dauern sollten, der Aufstand sollte nach höchstens einer Woche
durch das Eingreifen der Sowjets beendet sein. Es zeigte sich
aber, daß diese keine Anstalten machten, ihre ursprüngliche
Planung zu ändern. Der Hauptstoß der Roten Annee ging in
Richtung Balkan. Der Vorstoß des III . sowjetischen Panzer
korps diente wohl nur der Sondierung. Es kann allerdings kein
Zweifel daran bestehen, daß die Rote Annee Warschau hätte
einnehmen können, wenn sie es gewollt hätte.
Die deutsche Seite reagierte heftig auf den Aufstandsausbruch.
Dabei lag die zentrale Steuerung bei Himmler, der sich für seine
Fehleinschätzung, in Warschau stünde kein Aufstand bevor,
revanchieren wollte. Er setzte hauptsächlich Polizei- und Ersatz
einheiten aus Posen (Poznan), sowie SS-Einheiten aus Lyck
(Elk) und Tschenstochau (Cz'ilstochowa) zur Verstärkung der
Wehrmacht ein. Bei letzteren handelte es sich um gefangenge
nommene russische Soldaten (Sturmbrigade RONA). Fast die
Hälfte der neu eingetroffenen etwa 6500 Mann sprach nicht
deutsch. Neben Russen waren unter ihnen sehr viele Ukrainer,
an deren antipolnische Nationalgefühle appelliert wurde. Himm
ler ließ als erste Maßnahme den im KZ Sachsenhausen sitzen
den ehemaligen AK-Führer General Rowecki »Grot« • erschie
ßen. Dann ging er zu Hitler und teilte diesem mit:
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»Geschichtlich gesehen ist es ein Segen, daß die Polen das machen. Ober die fünf, sechs Wochen kommen wir hinweg. Dann aber ist Warschau, die Hauptstadt, der Kopf, die Intelligenz dieses 16-17 Millionenvolkes de; Polen aus ge-
r J löscht«. (Rede vor den Wehrkreisbefehlshabern und Schul
kommandeuren in J!igershöhe am 21. September 1944).
Gleichzeitig befahl Himmler allen von ihm eingesetzten und
unterstellten Verbänden:
»Alle Polen in Warschau, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht sind zu erschießen, Gefangene dürfen nicht gemacht werden. Warschau ist dem Erdboden gleichzumachen, um Europa zu zeigen, was es bedeutet, einen Aufstand gegen Deutsche zu unternehmen« (Bericht des Stabsarztes der Brigade Dirlemanger, nach Kirchmllier, S. 245/46).
Ab dem 4. August waren die deutschen Gegenmaßnahmen ko
ordiniert. Dabei trat das Paradoxon ein, daß der Aufstand be
reits zu Ungunsten der Polen entschieden war, als die Kämpfe
erst richtig begannen. Nun wurde Straße für Straße gekämpft.
Sinnbild des deutschen Terrors wurde die Vorgehensweise in
den Stadtteilen Wola und Ochota.
In Wola wurden alle Bewohner der Häuser, die sich gar nicht
innerhalb der Karnpfzone befanden, zum Verlassen des Hauses
aufgefordert. Sie wurden anschließend nach »hinten« geschickt.
Entgegen ihren Erwartungen wurden sie nach wenigen hundert
Metern jedoch nicht in Sammellager für einen weiteren Ab
transport gebracht, sondern auf Fabrik-, Kirch- und Hinterhöfe
und in Gärten getrieben, die als Massenexekutionsstätten dien
ten.
Alle, die das Unglück hatten, gerade dorthin gebracht zu wer
den, wurden - meist durch Genickschuß oder MG - umge
bracht. Die meisten der arn 5. August in Wola auf diese Weise
umgekommenen Menschen waren weder »aufständisch« noch
»bandenverdächtig«, sondern einfache Zivilisten. Kämpfe hatten
in diesem Gebiet entweder gar nicht stattgefunden oder waren
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r I bereits zwei bis drei Tage beendet.
Im Hof der ehemaligen Nudelfabrik wurden zwischen 2000 und
4000 Polen erschossen. In der Ursus-Fabrik in der Wolska
Straße wurden etwa 5000 Menschen erschossen. Eine Zeugin
berichtete:
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»Bis zum 5. August blieb ich im Keller. An diesem Tag zwischen 11 Uhr und 12 Uhr sagte man uns, daß wir ihn verlassen sollten. Es entstand ein fürchterliches Gedränge und eine Panik. Ich war allein, weil mein Mann nicht aus der Stadt zurückgekommen war. Ich blieb zurück mit meinen drei vier, sechs und zwölf Jahre alten Kindern und selbst im letzten Monat schwanger. Ich blieb, weil ich hoffte, daß man mir zu bleiben erlauben würde und war die letzte, die den Keller verließ. Alle Hausbewohner waren schon zur Ursus-Fabrik gebracht worden ... und mir wurde befohlen, auch dorthin zu gehen ... A1s ich dort ankam konnte man Schüsse, Schreien, Betteln und Weinen vom Hof hören - es bestand kein Zweifel, daß dort Massenhinrichtungen stattfanden. Die Menschen, die vor dem Eingang standen, wurden in Zwanziger-Gmppen hereingelassen - oder vielmehr geschoben ... Es gab keine Chance, gerettet zu wurden oder sich freikaufen zu können. Deutsche und Ukrainer waren um uns hemm. Ich ging als letzte und blieb zurück, immer in der Hoffnung, daß sie eine schwangere Frau nicht erschießen würden. In der Fabrik sah ich einen Haufen mit Leichen, der ungefähr einen Meter hoch war. Davon gab es mehrere. Auf bei den Seiten des Hofes lagen unzlihlige Tote. Ich erkannte unter ihnen ermordete Freunde und Nachbam ... Unsere Gruppe wurde in Vierer-Gruppen aufgeteilt. Wenn vier den Stapel erreichten, wurden sie mit einem Genickschuß umgebracht, fielen um usw. Ich war unter den letzten vier. Ich bat die Ukrainer um mich hemm, mich und meine Kinder zu retten. Sie fragten, ob ich etwas hätte, um mich freizukaufen. Ich hatte einen beträchtlichen Goldbeitrag bei mir und gab ihn ihnen. Sie nahmen ihn und wollten mich wegbringen, aber der Deutsche, der die Hinrichtungen leitete, sah uns und erlaubte das nicht. Als ich ihn anflehte und seine Hände küßte, schob er mich zur Seite und schrie: 'Schneller'. Ich ging zur
r I Hinrichtungsstelle, hielt in der rechten Hand die beiden
kleinen Hiinde meiner jüngsten Kinder und in der linken die meines Iiltesten Sohns .. Der erste Schuß traf ihn, der zweite mich und der dritte meine jüngeren Kinder. Ich fiel auf die linke Seite, der Schuß, der mich traf, tötete mich nicht.« (Documentae Occupationis Teutonicae, Bd. 2, S. 43-46).
Die Augenzeugin lag unter dem Leichenstapel bis zum nächsten
Tag.
Ein besonders grauenvolles Schicksal erlitten die Menschen der
in Wola gelegenen Spitliler. Die Kranken, die sich nicht selbst
bewegen konnten, wurden am 5. August größtenteils in ihren
Betten erschossen. Das Krankenhauspersonal, vom Chefarzt bis
zu den pflegenden Nonnen, hatte das gleiche Schicksal. Furcht
bare Vorgiinge spielten sich dabei in dem am 5. August gegen
11 Uhr von Exilrussen besetzten Radium-Institut Curie-Sklo
dowska in Ochota ab, das vorwiegend mit krebskranken Frauen
belegt war, von denen die Mehrzahl mit ihren Pflegerinnen ver
gewaltigt und ermordet wurde. Die Massenerschießungen des 5.
August wurden am Abend vom zuständigen deutschen Be
fehlshaber, Genera1m~or von dem Bach, zwar gestoppt, die
Ermordung von männlichen Zivilisten ging aber weiter. Die Lei
chen tausender hingerichteter Polen wurden von Landsleuten
unter Zwang zu großen Stapeln zusammengetragen und ver- .
brannt. Die wenigen Polen, die überlebten und gefangengenom
men wurden, wurden in verschiedene Obergangslager gebracht
(Pruszk6w, Ursus, St. Adalbert-Kirche in Wola), wo ihnen alle
Habseligkeiten abgenommen wurden. Sie blieben ohne Essen,
Trinken, medizinische Versorgung und wurden meist in
Arbeitslager nach Deutschland verbracht. Die Gesamtzahl der
Toten in Wola dürfte bei etwa 35 000 gelegen haben.
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5. Der weitere Kampfverllluf:
Die Angaben der kämpfenden Deutschen über die zllhlenmäßi
ge Stärke der Aufständischen führten dazu, daß ab Mitte Au
gust in steigendem Maße Waffen von außen zugeführt wurden
(u.a. Sturmgeschütze, Mörser und Flammenwerfer), die sich
aber im Häuserkampf nur unzureichend bewlihrten. Am 14.
August wurde die »Korpsgruppe von dem Bach« gebildet, der
alle zur Aufstandsbeklimpfung eingesetzten Verbände der Wehr
macht, SS und Polizei und auch die Zivilverwaltung unterstellt
wurden. Mit dieser Entscheidung begann nach der Rückerobe
rung der Vorstädte der Kampf um die Altstadt. Hier lagen sich
auf beiden Seiten etwa 7000 Mann gegenüber. Die Polen waren
allerdings ohne schwere Waffen und konnten in das enge Viertel
kaum Nachschub hineinbekommen. Es gab hier keine Aus
weichmöglichkeiten und auch die Bauweise der Häuser war den
Verteidigern selten dienlich. Einziger Fluchtweg blieb das Kana
lisationssystem. So verließ auch am 25. August das Hauptquar
tier der AK die Altstadt, weil man erkannte, daß sie nicht mehr
lange zu halten sein würde. Die Kapitulation dieses Bezirks
erfolgte am 2. September. Die 1500 überlebenden Kämpfer und
die von ihnen zumeist getragenen 500 Verwundeten verließen
das Gebiet ebenfalls durch das Kanalsystem. Am 6. September
fiel das Weichselviertel (Powisle).
Mitte September kam noch einmal Hoffnung auf. Nachdem
zuvor schon erste Kapitulationsverhandlungen geführt worden
waren, eroberte die Rote Armee am 15. September Praga. Die
genaue Motivation dafür zu diesem Zeitpunkt ist bis heute nicht
bekannt. Wahrscheinlich wollte man demonstrativ der verhee
renden psychologischen Wirkung begegnen, die der Widerstand
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r gegen alliierte Hilfen ausgelöst hatte . An der Spitze des An
griffes standen polnische Soldaten der kommunistischen Ber
ling-Armee '. Dennoch gab es keinerlei Absprachen mit der
Aufstandsführung. Am 13. und 14. September wurden die
Weichselbrücken von den Deutschen gesprengt. Die Sowjets
und Polen versuchten nun, bei Saska K~pa die Weichsel zu
überqueren, wobei erstere recht passiv blieben, nachdem sie
eine gewisse Frontbegradigung erreicht hatten. Die teilweise auf
dem Westufer der Weichsel errichteten Brückenköpfe konnten
durch die ausbleibende Unterstützung der Sowjets nicht lIinger
als einen Tag gehalten werden. Diese hatten den gewünschten
Propagandaerfolg im Westen, zeigten aber auch weiterhin kein
Interesse am Gelingen der Operation.
6. Die Haltung der Allüerten:
London erfuhr am 26. Juli vom Aufstandsplan. Botschafter
RaczyTIski • versuchte nun, die militärische Unterstützung der
Briten zu erhalten. Außenminister Eden beantwortete das Ge
such um britische Bomberunterstützung negativ, die Reichweite
der Flugzeuge sei nicht groß genug. Die Russen wurden von
Mikolajczyk erst 24 Stunden vor Aufstandsbeginn von den Plii
nen unterrichtet. Auch nach Ausbruch des Aufstands war·
Großbritannien nicht bereit, ihn militärisch zu unterstützen. Die
Gespräche, die Mikolajczyk in Moskau mit Stalin führte, blieben
ebenso ohne Ergebnis, da Polen der neuen Ostgrenze nicht
zustimmen wollte. Die Nachricht vom Aufstand, die am
Nachmittag des 2. August in London eintraf, rief bei englischen
und polnischen Offiziellen Konsternierung hervor, da man zu
diesem Zeitpunkt nicht damit gerechnet hatte. Die Unterstilt-
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zung blieb gering. Von den 14 Flugzeugen (7 exilpolnische, 7
britische), die Warschau in der Nacht vom 4. auf den 5. August
anflogen, um Waffen abzuwerfen, konnten nur zwei einen Teil
ihrer Ladung loswerden, 5 gingen verloren. Daraufhin beschlos
sen die britischen Verantwortlichen, diese Art Hilfe einzustellen.
In den folgenden Tagen starteten vereinzelt noch polnische
Maschinen. Das Londoner Kriegskabinett kam bei Beratungen
am 9. August zu dem Ergebnis, daß Hilfe für die Aufständi
schen am ehesten von Seiten der Sowjets möglich sei, sie dort
aber nicht unbedingt forciert werde.
Die britische Polenpolitik war zu dieser Zeit von der Auffassung
geprägt, daß in einem N achkriegse\l1'opa Polen durchaus zu
einer sowjetischen Sicherheits zone gehören könne, wenn es ein
gewisses Maß an Selbständigkeit behalten würde. Deshalb war
man nicht bereit, über eine beschränkte UnterstUtzung der Re
gierung Mikofajczyk hinauszugehen. Das Kriegskabinett bat
Moskau und Washington um Unterstützung filr den Warschauer
Aufstand. Etwa gleichzeitig erklärte Stalin, daß er den »unver
antwortlichen Aufstand« nicht unterstützen wolle. So war es
auch für amerikanische Flugzeuge unmöglich, auf russischen
Flughäfen zwischenzulanden.
Am 24. August teilte Roosevelt Churchill mit, er sehe keine
Möglichkeit, den Polen zu helfen. Man war in der Folge vor
allem bemüht, atmosphärischen Störungen im Verhiiltnis zur
Sowjetunion aus dem Weg zu gehen. Die ungünstigen Ergebnis
se der Versorgungs!lüge führten dazu, daß sie nach dem 1.
September endgiUtig eingestellt wurden . Angesichts des Falls
der Warschauer Altstadt wuchs die Verzweiflung in polnischen
Regierune;skreisen, Mikolajczyk drohte mit Rilcktritt. Am 9.
24
September erklärte Stalin überraschend seine Bereitschaft, so
wjetische Flugplätze für westalliierte Maschinen zu öffnen, was
wahrscheinlich seinen Vorstellungen einer Kompromißlösung
entsprach. Die am 18. September erstmals von den Amerika
nern durchgeführte Hilfsaktion endete mit einem großen Miß
erfolg. Von 107 abgeworfenen Ladungen fielen nur 19 in clie
Hände der Aufstänclischen. Aufgrund der sich weiter ver
schlechternden Lage wurden clie Flüge nicht fortgesetzt. Die
Meinungsverschiedenheiten der Alliierten bezüglich Polens wur
den in der Auffassung Churchills deutlich, daß es nur von der
Roten Armee befreit werden könne. Er setzte auf eine Verstän
digung zwischen der »Londoner« und der »Lubliner«
Regierung unter Führung Mikolajczyks. Generell kann man
davon ausgehen, daß clie Westmächte nur wenig Interesse für
die Entwicklung in Polen aufbrachten, ihre militärischen PriOli
täten lagen anderswo.
7. Alltag im aufständischen Warschau:
Hinsichtlich der Stromversorgung, Kanalisation, Installation und
Gasversorgung waren schon vor Aufstandsausbruch Vorberei
tungen getroffen worden. Bis zur Einnahme am 5. August lie
ferte das E-Werk im Weichselviertel planmäßig Strom.
Anschließend mußten seine Aufgabe Akkumulatoren überneh
men, die in den Fabriken wiederaufgeladen wurden und mit
denen vor allem Krankenhäuser, mechanische Werkstätten der
Armee, Mühlen, Wäschereien und Wasserpumpen versorgt bzw.
betrieben wurden. Ab Ende August war der Strom ge brauch
strikt reglementiert, clie Einhaltung der Bestimmungen soUte der
jeweilige Hausmeister überwachen.
25
p
Das größte Problem war die Wasserversorgung der Hauptstadt.
Zentrale Wasserwerke und Pumpen waren überwiegend in deut
scher Hand; die Hauptlast fiel somit auf die kleineren Pump
stationen in den Vierteln. Man versuchte die ganze Zeit über,
Lecks in den Rohren zu reparieren. Zudem sollten alte und
neue Brunnen die Wasserversorgung der Bevölkerung sicher
stellen. Der Brunnenbau gestaltete sich jedoch aufgrund des
fehlenden Materials und der Unkenntnis der Lage der Wasser
rohre als schwierig.
Post, insbesondere Feldpost. wurde während des Aufstands von
kleinen Pfadfindern zugestellt. Dies geschah auf deren eigene
Initiative hin. Die Briefkästen wurden zweimal täglich geleert;
außer im Bezirk Zentrum wurden Briefe auch nach Zoliborz,
Mokot6w, Czerniak6w und in die Altstadt zugestellt. Es galten
allerdings einige Einschränkungen hinsichtlich Gewicht, Art des
Briefes und Inhalt; letzterer unterlag einer Art Militärzensur,
über die Kämpfe durfte nicht geschrieben werden. Im August
wurden täglich bis zu 10 000 Briefe geschickt. Im September
funktionierte das System nur noch im Zentrum; die Bevölkerung
wohnte weitgehend in Kellern und konnte über unterirdische
Gänge Kontakte aufnehmen.
Die Feuerbekämpfung erwies sich als schwierig, da man nur
über wenige Feuerwehrautos verfügte. Mitunter konnten nur
Spaten, Äxte und Eimer zum Einsatz kommen.
Die in der Stadt vorhandenen Grundprodukte wie Mehl, Schrot
und Gemüse wurden registriert und durften zunächst nicht ver
kauft werden; gleiches galt für das Vieh, das auch nicht ge-I I schlachtet werden durfte . Die Aufforderungen, Läden zu öffnen,
I andere Produkte zu verkaufen und nicht zu horten, wurden
I 26
r I
I I I I I I
nicht von allen eingehalten. Manche erhofften sich auf dem
Schwarzmarkt höhere Preise. Geld verlor rasch an Bedeutung
und wurde durch Tauschhandel und Spekulation ersetzt. Fette,
Zigaretten, Wodka und Wasser wurden zu den wertvollsten Gü
tern. Die Kommunikation verlief sowohl über überirdische Passagen
durch miteinander verbundene Häuser und Höfe als auch
unterirdisch durch Twmel und speziell konstruierte Keller. Die
Kanalisation blieb Kurieren und Gruppen mit Sondererlaubnis
vorbehalten.
Das normale Arbeitsleben wurde mit Aufstandsbeginn weitge
hend eingestellt. Die Häuserkomitees waren dafür zustl!.ndig,
Arbeitstrupps zusammenzustellen, um bestimmte Tätigkeiten
auszuführen. Ab 18. August waren alle Ml!.nner zwischen 17 und
50 (mit einigen Ausnahmen) zu solchen Diensten verpflichtet.
Dies stieß oft auf Protest und ließ sich so nicht durchführen.
Die Lieferung von Waren in die Hauptstadt kam naturgeml!.ß
zum Stillstand. Man mußte auf bestehende Lager und private
Bestl!.nde zurückgreifen. Vor Aufstandsbegilm dachte man, die
Vorräte für die Armee würden drei Tage, mit den von den
Deutschen zu erobernden Bestl!.nden für weitere sieben Tage
ausreichen. Es zeigte sich bald, daß die Vorräte aus der Okku- .
pationszeit weit größer waren, als man zunächst angenommen
hatte. Man richtete öffentliche Suppenküchen, vor allem für die
Obdachlosen, ein und versuchte, die Bevölkerung nach den
jeweiligen Vorräten in Gruppen einzuteilen. Brot sollte rationiert
werden. Von den ungefähr 150000 Menschen, die iln Septem
ber iln Bezirk Zentrum lebten, konnte sich eine große Anzahl
noch selbst versorgen. Erst in der zweiten Septemberhälfte ver-
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schlechterte sich die Situation dramatisch. Außer Gerste war so
gut wie nichts mehr vorhanden, die Gefahr des Verhungerns
bestand aber nicht lmmittelbar, auch wenn die Lager der
Regierung leer waren.
Besonderer Wert wurde auf die Einhaltung von Hygienevor
schriften gelegt, um Seuchen zu verhindern. Treppenhäuser und
Durchgänge sollten ständig gereinigt, Bürgersteige und Straßen
gewässert, Milli verbrannt und die Reste vergraben werden. Die
Bevölkerung wurde aufgefordert, die persönliche Hygiene si
cherzustellen. Trinkwasser sollte immer abgekocht werden, Es
sen immer gekocht, Obst und Gemüse sorgfrutig gewaschen.
Beerdigungen sollten rasch und wenn möglich in Särgen statt
finden. Die während des Aufstands hliufig auftretenden Fälle
von Ruhr waren eher ein Ergebnis der unzureichenden Ernäh
rung als fehlender Hygiene.
Während des Aufstandes erschienen über 130 verschiedene
Publikationen, darunter Tages- und Wochenzeitungen, Magazi
ne etc. Die Mehrzahl von ihnen wurde von den Organen, die
der AK nahestanden, veröffentlicht. Hinzu kamen zwei Radio
sender, der militärische und das zivile PoIskie Radio sowie ein
offizieller Megaphonservice. Die Patrouillen des Informations
und Propagandabüros (BiP) sollten die Bevölkenmg zusätzlich
mit Nachrichten versorgen. Die Zeitungen hatten vier verschie
dene Aufgaben: sie verbreiteten Nachrichten, sie versorgten die
Einwohner mit einer Informationsquelle für die Organisation des
A1Itagslebens, sie wurden als Propagandaform benutzt und hat
ten das Ziel, die Moral der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Im
Laufe des Aufstandes zeigte sich, daß die Zeitungen der linken
Parteien beliebter wurden als diejenigen, die die Positionen der
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Exilregierung vertraten.
Von Seiten der Aufstandsführung wurde die Anweisung gege
ben, so oft wie möglich zu beten und zur Hl. Messe zu gehen.
Alle möglichen Orte wurden zu provisorischen Kirchen. Der
Glaube und seine Ausübung trug in wesentlichem Maße zur
Stärkung der Moral bei.
8. Kapitulation und Zerstörung Warschaus
Gegen Ende September übernahm deutscherseits die 9. Armee
die Hauptlast der Aufstandsbekämpfung. Am 23. September fiel
Czerniak6w. Dramatisch wurde die Situation in Mokotöw, wo
der fliehenden Bevölkerung der Weg durch die Kanalisation
teilweise versperrt war und das am 27. September kapitulieren
mußte . Besonders eindrucksvoll stellte dieses Drama der be
kannte Regisseur Andrzej Wajda in seinem Frühwerk » Kanal«
aus dem Jahre 1956 dar. Auch die anderen Stadtteile hatten
keine Chance mehr. Zoliborz, wo schwache Einheiten der kom
munistischen Armia Ludowa mitkämpften, kapitulierte am 30.
September
Anfang Oktober brach der Aufstand dann endgültig zusammen.
Die in der Innenstadt verbliebenen kleineren AK-Einheiten
mußten am 2. Oktober kapitulieren. Die komplette Stadt wurde
evakuiert. Die meisten AK - Kämpfer entzogen sich der Internie
rung und tauchten unter.
Etwa 250 000 Einwohner wurden ins Lager Pruszk6w gebracht,
andere als Zwangsarbeiter ins Reich geschickt. Anschließend
begannen die Deutschen, Warschau systematisch zu zerstören.
Sie folgten damit einem Befehl Hitlers, der dies als Rache für
den Aufstand angeordnet hatte. Als am 17. Januar 1945 die
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Rote Armee einmarschierte, waren 93% aller Gebäude zerstört.
Die Gesamtzahl der Opfer Hißt sich nicht mehr genau rekon
struieren. Man kann aber davon ausgehen, daß etwa 150 000
Zivilisten durch Luftangriffe, Artilleriebeschuß, Seuchen und
Massenexekutionen ums Leben kamen, hinzu kamen etwa 16
000 Soldaten der AK. Auf deutscher Seite wurden etwa 20 000
Menschen getötet oder verwundet.
Das Scheitern des Aufstands hatte für die Polen verheerende
psychologische Folgen. Dem kommunistischen Einfluß wurde
nun kaum noch Widerstand entgegengesetzt. Dem neu ernann
ten Oberbefehlshaber der AK, General Leopold Okulicki "
gelang es nicht mehr, die Kräfte im Lande fest zu organisieren;
die von den Sowjets gestützte Provisorische Regierung wurde
zur dominierenden Kraft im Lande. Nachdem im Frllhjahr 1945
die Rote Armee ganz Polen besetzt hielt und die 15 wichtigsten
AK-Führer, unter ihnen Okulicki und Jankowski " nach Mos
kau verschleppt, dort zu langjährigen Haftstrafen verurteilt und
teilweise ermordet wurden, regte sich kaum noch Widerstand.
Der Weg zum sozialistischen Satellitenstaat >>Volkspolen« war
frei.
9. ZusBDlInenfassung:
Der Warschauer Aufstand vom 1. August bis 2. Oktober 1944
bildete den verzweifelten Versuch großer Teile der polnischen
Bevölkerung, sich von der fast fünfjiihrigen Besatzung doch
noch zu befreien, bevor die sowjetischen Truppen die
Hauptstadt erreichen wilrden. Die militärischen Führer der Hei
matarmee sahen in der Erhebung, die in der polnischen Auf
standstradition seit dem Ende des 18. Jahrhunderts stand, die
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letzte Möglichkeit, den Russen als Herr im eigenen Haus ent
gegentreten zu können. Dabei unterschlitzte man allerdings die
den Deutschen verbliebenen militlirischen Möglichkeiten und
deren Kampfbereitschaft. Gleichzeitig überschlitzte die Führung
der AK die Möglichkeit auswlirtiger Hilfe, sei es durch Luft
angriffe der Westa11iierten, die technisch nicht durchzuführen
waren, sei es durch den Einmarsch der Roten Armee, die zwar
schon sm Ostufer der Weichsel stand, aber andere militlirische
Ziele verfolgte.
Der Aufstand scheiterte somit schon im Ansatz, wurde dennoch
aber über zwei Monate durchgehalten und ist dadurch zu einem
Symbol polnischen Widerstandes geworden. Die letztendliche
Niederlage bedeutete jedoch zugleich das Ende einer national
polnischen Option für die Zukunft. Die Vernichtung eines gro
ßen Teiles der Warschauer Intelligenz erleichterte es den
Kommunisten, mit Hilfe Moskaus die Macht in einem Land zu
erobern, daß praktisch keine marxistische Tradition besaß. Der
Aufstand war nach einer frühen Bewertung der Wochenzeitung
»Tygodnik Powszechny« von 1945 »ein politischer Fehler, ein
militlirischer Unsinn - und eine psychologische Notwendigkeit.
Denn Warschau war zu diesem Zeitpunkt ein Pulverfaß, das
ansonsten wohl unkontrolliert explodiert wäre. Symptomatisch
für die Haltung vieler junger Klimpfer war der Satz des Dichters
Krzysztof Kamil Baczyßski, der schon in den ersten Tagen des
Aufstands fiel : »Jetzt müssen wir sterben, damit Polen leben
kann.«
Für uns Deutsche stellt sich die Frage, warum dieses Ereignis
über 50 Jahre so wenig bekannt sein konnte, obwohl die wäh
rend des Aufstandes begangenen deutschen Kriegsverbrechen
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..
durchaus die Dimensionen anderer unheilvoller Symbole dieser
Art, in Lidice und Oradour, in Marzabotto und Babi- Y ar •
haben.
Markus Krzoska (' 1967) studierte Osteuropäische Geschichte
und Politik in Mainz; derzeit Doktorarbeit zum Thema »Zyg
munt Wojciechowsld als Historiker, Publizist und Politiker« an
der FU Berlin.
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