The “Technik der Psychoanalyse” (technique of psychoanalysis) of Otto Rank: A resource for...
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Originalarbeit
Zusammenfassung in den 20er Jahren vollzog Otto rank eine erweiterung des psychoanalytischen behandlungsraumes um die vorsprachliche beziehungs- und Selbsterfahrung aus der Zeit vor, während und nach der geburt. Damit war gemeint, dass die vorsprachliche frühe Erfahrung auf der Gefühls- und Empfindungsebene in der analytischen Situation hintergründig mit präsent ist. Die besondere betonung der frühesten ebene der Mutterbeziehung wurde in der damals noch patriarchalisch geprägten gesellschaft als unangemessen und ungerechtfertigt empfunden. in den letzten Jahrzehnten sind jedoch aus den verschiedensten therapeutischen Settings beobachtungen gemacht worden, die die beobachtungen ranks zu bestätigen schei-nen. ebenso bedeutsam ist, dass die empirische Forschung zur frühen Hirnentwick-lung und zu den Folgeerscheinungen von frühem traumatischen Stress die formative bedeutung der Frühentwicklung in ganz neuem licht erscheinen lässt. Hinzu kom-men neue einsichten in die evolutionsbedingten besonderheiten der menschlichen Frühentwicklung, wobei es insbesondere um die psychologischen Konsequenzen der „physiologischen Frühgeburtlichkeit“ geht. Hierdurch ergibt sich ein neuer rahmen für das Verständnis der frühen entwicklung und für die einschätzung der beobachtungen und Schlussfolgerungen ranks. Sie stellen sich aus heutiger Sicht als eine wertvolle ergänzung zu der in den letzten Jahrzehnten erfolgten psychoana-lytischen erforschung der nachgeburtlichen Mutter-Kind-beziehung dar. Sie bergen das Potenzial zu einem vertieften Verständnis der vorsprachlichen ebene der psy-choanalytischen behandlungssituation.
Forum Psychoanal (2010) 26:129–149DOi 10.1007/s00451-010-0036-6
Die „Technik der Psychoanalyse“ von Otto RankEine Ressource für die heutige Psychoanalyse
Ludwig Janus
Dr. med. l. Janus ()Schröderstr. 85, 69120 Heidelberg, Deutschlande-Mail: [email protected]
Online publiziert: 4. Mai 2010© Springer-Verlag 2010
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The “Technik der Psychoanalyse” (technique of psychoanalysis) of Otto Rank a resource for contemporary psychoanalysis
Abstract in the 1920s, Otto rank broadened the psychoanalytic treatment space by the prelingual relational and self-experience in the time before, during and after birth. this meant that early prelingual experiences at the level of emotions and sen-sations is always covertly present in the analytic situation. the special emphasis on the earliest relationship to the mother was perceived in the patriarchal society of the time as inadequate and unjustifiable. But the last decades provided perceptions in different therapeutic settings which seem to confirm the observations of Rank. Just as important are the findings of the empirical research in early brain development and in after effects of early traumatic stress which show the shaping role of early development in a completely new light.
there are also new insights into particularities of early human development due to evolution, especially about the psychological consequences of the “physiological premature birth”. From this knowledge a new framework arises for the understand-ing of early development and for the assessment of the observations and conclu-sions of rank. From a contemporary viewpoint this provides valuable contributions to the psychoanalytic research of the last decades into early after birth mother-child relationships. they bear the potential for a deeper understanding of the prelingual level of the psychoanalytic treatment situation.
Die Entwicklung der perinatalen Thematik in der Psychoanalyse
nach den großen Zerwürfnissen und Dissidenzen in den anfangsjahren der Psycho-analyse, wie sie sich mit den namen von adler und Jung verbinden, kam es in den 20er Jahren zu Versuchen, die psychoanalytische behandlungstechnik systemati-scher zu erfassen (s. z. b. Ferenczi u. rank 1924). Der Problembereich, an dem es zu den so genannten Dissidenzen gekommen war, war die theoretische und prakti-sche bedeutung der frühen vorsprachlichen Mutterbeziehung gewesen, wobei ich mit „vorsprachlich“ den vorgeburtlichen und geburtlichen bereich mit meine. Dabei hatte adler die Ohnmachtsseite und deren Kompensation im „männlichen Protest“ betont, während Jung die regenerativen Potenziale der frühen Muttererfahrung her-vorgehoben hatte. Mit seiner arbeit „einführung des narzissmus“ (1914) antwortete Freud auf diese ansätze und formulierte sein Konzept der Differenzierung eines vor-geburtlich geprägten primären narzissmus und eines nachgeburtlichen sekundären narzissmus.
Waren diese Konzepte noch im Wesentlichen theoretisch, ging es Ferenczi u. rank mit ihren Überlegungen in „entwicklungsziele der Psychoanalyse“ (1924) darum, konkrete behandlungstechnische Konsequenzen aus den neuen einsichten zu ent-wickeln. Die analytische Situation wurde nicht nur als Feld ödipaler Konflikte auf-gefasst, sondern ebenso als Feld der Wiederkehr frühester vorsprachlicher ereignis-hafter erinnerungen gesehen. Diese Wiederkehr vollzog sich in dem, was rank, von dem das entscheidende zweite Kapitel stammte, das „analytische erlebnis“ nannte.
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therapeutisch ging es um das Verstehen dieses vorsprachlichen erlebens, soweit es von der Persönlichkeitsentwicklung aufgrund von ungünstigen bedingungen ausge-schlossen war.
Für rank war die Wiederkehr von geburtsfantasien am ende der behandlung, wie sie schon Freud im „Wolfsmann“ beschrieben hatte, ein ausgangspunkt, wie er es dann in Das Trauma der Geburt entwickelte (rank 1924). Der historische Schritt, den rank hier über Freud hinaus tat, bestand darin, dass er in den Fantasien die Wiederkehr von Empfindungen und Gefühlen aus der realen Geburtserfahrung in der analytischen Situation erkannte, wie sie durch das behandlungsende aktiviert waren (rank 1924, S. 8).
im erscheinungsjahr von ranks Das Trauma der Geburt, 1924, erschien auch das erstlingswerk eines damals noch ganz unbekannten Psychoanalytikers mit namen gustav Hans graber unter dem titel „Die ambivalenz des Kindes“ (1924), in dem er die ambivalenz in der lebenseinstellung bei einigen Patienten auf unverarbeitete Schwierigkeiten beim Übertritt von der vorgeburtlichen in die nachgeburtliche Welt zurückführte. graber wurde später eine der zentralen Figuren in der erforschung der Folgewirkungen vorgeburtlicher und geburtlicher erfahrung. Sein gesamtwerk wurde auf einer tagung 2004 in Salzburg mit dem titel Pränatale Wurzeln der Indi-viduation gewürdigt (reiter 2005).
Die Folgewirkungen von vorgeburtlichen traumen beschrieb als erster der unga-risch-amerikanische analytiker nandor Fodor in seinem buch The Search for the Beloved – Clinical Investigation of Birth and Prenatal Conditioning (1949), das seine arbeiten, die in verschiedenen psychoanalytischen Zeitschriften erschienen waren, zusammenfasste. er war der erste, der die einsichten von rank, graber und wenigen anderen systematisch zum ausgangspunkt seiner behandlungspraxis machte. Dies demonstrierte er in seinem buch mit vielen kasuistischen beispielen und in seinem um die pränatale Dimension erweiterten ansatz in der trauminterpretation (Fodor 1951). Fodor ist so etwas wie der Kliniker der pränatalen Psychologie.
trotz dieser ingeniösen anfänge blieb das thema der psychodynamischen Valenz vorgeburtlicher und geburtlicher erfahrungen in der Psychoanalyse randständig, wenn es auch eine größere anzahl von einzelarbeiten gibt, die ich an anderer Stelle zusammengefasst habe (Janus 2000a, 2000b, 2004). im Zentrum des analytischen interesses standen hingegen die nachgeburtlichen erfahrungen und ihre Folgewir-kungen, wie sie von Melanie Klein und Winnicott beispielhaft erfasst wurden. beob-achtungen zur Wirksamkeit noch früherer erfahrungen fanden nur punktuell auf-merksamkeit, wie etwa die anregungen von Meiello (1999) zu den vorgeburtlichen aspekten des Hörens oder von Piontelli (1992) zu den Ultraschallbeobachtungen während der Schwangerschaft und den anregenden nachuntersuchungen der vor-geburtlich beobachteten Kinder, die eine große Kontinuität des Verhaltens und der reaktionen zeigten. eine größere systematische bedeutung gewannen solche einzel-beobachtungen aber nicht, obwohl damit die prägende bedeutung der vorgeburtli-chen erfahrung und deren Präsenz im nachgeburtlichen beziehungsverhalten in einer anschaulichen Weise dokumentiert waren.
Das thema der bedeutung vorgeburtlicher und geburtlicher erfahrungen wan-derte in den 70er Jahren gewissermaßen aus dem bereich der Psychoanalyse aus
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und wurde von einigen Vertretern der humanistischen Psychologie wie arthur Janov, Stanislav grof u. a. weitergeführt. Wichtige zeitgenössische Vertreter für den Selbst-erfahrungsbereich sind terence Dowling (1987) und William emerson (1997, 2000) und für die bezüge zur empirischen Forschung und praktischen Umsetzung thomas Verny (2003; Verny u. Kelly 1981).
Doch gab es auch in der Psychoanalyse einige Persönlichkeiten, die die thema-tik weiter verfolgten, wie die ungarischen analytiker györgi Hidas u. Jenö raffai (2006), der amerikanische Psychoanalytiker John Sonne (1996) und die in los ange-les arbeitenden Psychoanalytiker lynda Share (1994, 1996) und bernard bail (2007). Vor einigen Jahren thematisierte leikert (2001) die perinatale Verlustthematik am beispiel des Orpheus-Mythos. einen Überblick über die neuere literatur habe ich an anderer Stelle gegeben (Janus 2004). neuerdings ist die Valenz der vorgeburtlichen tiefendimension im psychoanalytischen Verständnis der Musik bedeutsam geworden (Parncutt u. Kessler 2007; Oberhoff 2010). Die Musik erscheint hier als „virtuelle Person“, die letztlich die pränatale Mutter repräsentiert. in Frankreich erschien in den letzten Jahren eine ganze reihe von büchern von Psychoanalytikern zur Prä-senz vorgeburtlicher erfahrung im Unbewussten. ich nenne hier nur beispielhaft Le Foetus dans notre Inconscient (2004) von Jean bergeret und Marcel Houser und den Sammelband Anthropologie du foetus, der einen guten Überblick gibt (bergeret et al. 2006).
trotz aller dieser einzelarbeiten blieb die reaktion der Mehrzahl der Psycho-analytiker zurückhaltend und zwiespältig. Doch hat sich durch die ergebnisse der Hirnforschung, der entwicklungsneurobiologie, der Psychotraumatologie und der gedächtnisforschung sowie das erweiterte Wissen um die evolutionsbedingten besonderheiten der menschlichen Schwangerschaft und geburt ein neuer Verständ-nisrahmen zur einschätzung der Valenz der beobachtungen und Schlussfolgerun-gen ranks ergeben. Zunächst werden darum im Folgenden die hier relevanten neuen gesichtspunkte kurz charakterisiert.
Quantitativ-empirische Daten zur Psychobiologie der frühen Entwicklung
in den letzten Jahren hat die erforschung der entwicklung des menschlichen gehirns von den embryonalen anfängen an große Fortschritte gemacht. Der entscheidende gesichtspunkt ist der, dass sich diese entwicklung in abhängigkeit vom umgeben-den Milieu vollzieht, sodass die synaptische Feinarchitektur des gehirns die Milieu-bedingungen gewissermaßen widerspiegelt. Das gilt insbesondere für die durch das Stammhirn gesteuerten elementarreaktionen und die durch das Mittelhirn gesteu-erten affektiven reaktionen. Da die Myelinscheiden der nerven noch nicht voll ausgebildet sind, ist die nervenleitgeschwindigkeit zwar noch langsamer als später, aber keineswegs nicht vorhanden, wie man früher zum teil gemeint hatte. Die rele-vante literatur hat vor Kurzem Verny (2003) zusammengefasst. Konkret heißt das, dass sich das Kind vor der geburt im emotionalen und verhaltensmäßigen Milieu der Mutter entwickelt und hierdurch zutiefst in seiner sensorischen, motorischen und emotionalen entwicklung geprägt wird. Was man von der Welt zu erwarten oder nicht zu erwarten hat, wird vor der geburt gewissermaßen vorformatiert. Oder anders
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ausgedrückt: Das basale Selbst- und lebensgefühl entwickelt sich vor der geburt. Die Kinder kommen mit diesen Vorprägungen in die geburt und zur Welt. Die vor-geburtliche Zeit ist auch eine Zeit komplexen und insbesondere sensorischen und affektiven lernens, ohne das eine bewältigung der geburt und der nachgeburtlichen anpassung auch gar nicht möglich wäre. Die relevante literatur hat Chamberlain (1998) zusammengefasst.
Die genannten befunde bedeuten natürlich auch, dass traumatische erfahrungen vor und während der geburt Folgewirkungen haben können, wozu es seit den 50er Jahren eine ausgedehnte Forschung bei tieren gibt, die zeigt, dass vorgeburtlicher Stress lebenslange auswirkungen in Form von sozialen auffälligkeiten und ein-schränkungen in den Verhaltensmöglichkeiten hat. beim Menschen verbietet sich eine solche experimentelle Forschung, aber der Vergleich von Kindern von Müttern unter starkem Stress mit Müttern mit nur geringer Stressbelastung ergab vergleich-bare Ergebnisse über lang anhaltende Folgewirkung in Form von Stressempfindlich-keit, reizbarkeit, Unruhe und geringer belastbarkeit (Van den bergh 2005; Huizink 2005).
Für die Psychoanalyse speziell bedeutsam sind Untersuchungen, die die quanti-tative mit der ebene qualitativer beobachtungen kreativ verbinden. Dies gilt etwa für die Untersuchung der Folgewirkung von „Ungewolltheit“ des Kindes in einer Untersuchung in tschechien, wobei „Ungewolltheit“ durch dreimalig abgelehnten Schwangerschaftsunterbrechungswunsch operationalisiert war, was eine negative Prägung in richtung lebensunzufriedenheit, sozialer Schwierigkeiten und erhöhter Disposition zu Kriminalität zur Folge hatte (Matejczek 1994). immer noch beacht-lich ist die Studie des Psychoanalytikers Hau, einem der Pioniere der pränatalen Psy-chologie, zu den seelischen Folgewirkungen der belastungen der Schwangerschaften unter den bedingungen des Zweiten Weltkrieges, deren Folgen sich in einem anstei-gen depressiver und schizoider Störungen bei Jugendlichen und jungen erwachsenen bei den im Krieg geborenen auswirkten (Hau 1968).
Neue Aspekte aus der Gedächtnisforschung
Über diese Hinweise zur lebensgeschichtlichen bedeutung von Schwangerschaft und geburt hinaus ist die Frage bedeutsam, wie und in welcher Weise vorgeburt-liche und geburtliche erfahrungen im späteren erleben und Verhalten präsent sein könnten. Hierzu ist der beitrag der modernen gedächtnisforschung wichtig. Die gedächtnisforschung hatte sich früher wesentlich auf das semantische und symboli-sche gedächtnis bezogen. in den letzten Jahrzehnten trat jedoch die erforschung des episodischen gedächtnisses, das ereignisse speichert, in den Vordergrund (Schacter 1999). Dieses hat die eigenschaft, dass es nicht aktiv erinnerbar ist, sondern sich in einer entsprechenden Situation „vergegenwärtigt“. Was auf der semantischen ebene die erinnerung ist, ist auf der erlebensebene die Vergegenwärtigung, die aber nicht als Vergangenheit erkannt wird, sondern als element der aktuellen Situation erscheint: ein Hund kann mir unmittelbar gefährlich erscheinen, weil mich früher ein Hund gebissen hat. Die „erinnerung“ daran ist aber für das aktuelle erleben nicht notwendig, weil sich die frühere gefährdung im eindruck der gefährlichkeit „ver-
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gegenwärtigt“ hat. So kann ein Kind angst vor Spritzen oder weißen Kitteln haben, weil sich ein angsterleben als Säugling im anblick der Spritze oder der weißen Kittel „vergegenwärtigt“, ohne dass sich das Kind an dieses erlebnis aus der Säuglingszeit erinnern kann. Die Vergegenwärtigung ist die erinnerung auf der außersprachlichen ebene. Diese Zusammenhänge haben prinzipielle bedeutung. Frühe vorsprachliche erfahrungen aus der Zeit vor, während oder nach der geburt lassen sich in der regel nicht direkt erinnern, aber sie können sich in Empfindungen, Gefühlen und Bild-eindrücken ereignishaft vergegenwärtigen. Da wir üblicherweise vom semantischen gedächtnis ausgehen, wird die bedeutung dieser Vergegenwärtigungen systematisch unterschätzt, und es hat lange Zeit gedauert, bis sie in der gedächtnisforschung und in der Psychologie erkannt wurden. ich habe den begriff der „Vergegenwärtigung“ in anführungszeichen gesetzt, um ihn als terminus für die besondere Form der vor-sprachlichen erinnerung einzuführen.
Dies hat auch bedeutung für die Symboltheorie. in der Psychoanalyse hatte klas-sischerweise das Verdrängte symbolbildendes Potenzial. bei den vorsprachlichen erfahrungen geht es aber nicht um Verdrängtes, sondern um vorsprachliche erfah-rung, die auf der sprachlichen oder der symbolischen ebene nie repräsentiert war, oder, wie rank und Ferenczi sich ausdrückten, die „nie bewusst“ war. Diese erfah-rungen können, wie gesagt, nicht direkt erinnert werden, aber sie können sich verge-genwärtigen, ohne dass dies eine Symbolisierung wäre: Die Faszination von Höhlen hängt in diesem Verständnis damit zusammen, das sich im Höhlenerlebnis uterine Empfindungen und Gefühle vergegenwärtigen können. Im Erleben kann dann die Höhle uterine Qualität gewinnen, und zwar aus der Unmittelbarkeit der Vergegen-wärtigung von vorgeburtlichen Empfindungen. Diese Vergegenwärtigungserfahrung kann dann wieder auf einer späteren ebene symbolisiert werden, Höhle etwa als Symbol der jenseitigen Heimat oder als symbolischer Ort der Präsenz eines höheren Wesens. Der Zusammenhang mit der uterinen Urerfahrung ist aber von dieser sym-bolischen ebene her undurchschaubar.
eine weitere wichtige Wissenserweiterung zum Kenntnisstand in den 20er Jahren betrifft die evolutionsbedingten besonderheiten der menschlichen Frühentwicklung, die darum im folgenden abschnitt kurz dargestellt werden müssen.
Anthropologische Besonderheiten der menschlichen Frühentwicklung
Die menschliche Frühentwicklung hat besonderheiten, die psychologisch bedeutsam sind. Hierzu hatte schon Freud festgestellt: „Der biologische [Faktor] ist die lang hingezogene Hilflosigkeit und Abhängigkeit des kleinen Menschenkindes. Die Intra-uterinexistenz des Menschen erscheint gegen die meisten tiere relativ verkürzt; es wird unfertiger als diese in die Welt geschickt. Dadurch wird der Einfluss der realen außenwelt verstärkt, die Differenzierung des ichs vom es frühzeitig gefördert, und die gefahren der außenwelt in ihrer bedeutung erhöht und der Wert des Objekts, das allein gegen diese gefahren schützen und das verlorene intrauterinleben ersetzen kann, enorm gesteigert. Dies biologische Moment stellt also die ersten gefahrensi-tuationen her und schafft das bedürfnis, geliebt zu werden, das den Menschen nicht mehr verlassen wird“ (Freud 1926, S. 168 f.). aus dieser einsicht hat Freud aber
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keine behandlungstechnischen Konsequenzen gezogen, wie dies Ferenczi u. rank (1924) bereits versucht hatten.
aus der späteren biologischen Forschung können wir hier weitere Differenzie-rungen vornehmen. Aus biologischer Sicht sind Menschen eigentlich Nestflüchter, müssten also im Krabbelalter geboren werden, werden aber als nesthocker geboren (Portmann 1969). Menschen kommen also in einem noch fetalen Körper als „physio-logische Frühgeburten“ zur Welt und durchlaufen deshalb eine verlängerte baby-zeit. Der vorzeitig verlorene uterine Schutz wird durch die besondere Familiarität und die intensität der eltern-Kind-beziehungen und insbesondere der Mutter-Kind-beziehung ausgeglichen. Menschenbabys können sich an ihrer Mutter real nicht fest-halten und sich dadurch sichern, sondern sie finden Halt in einer Intensivierung der beziehung zur Mutter, und zwar durch Mimik, gestik, augenkontakt und intensive lautäußerungen, worüber affenbabys so nicht verfügen (Morgan 1995). Die eltern kreieren also für ihr Kind im günstigen Fall einen beziehungsintensiven Schutz- und ergänzungsraum, der den Mutterleibsschutz ersetzt, aus dem heraus das Kind dann in einem zweiten Schritt, in einer „psychischen geburt“, wie Mahler (1999) dies beschrieben hat, geboren wird. Sie hatte den evolutionsbiologischen Hintergrund ihrer beobachtungen noch nicht realisieren können. Man könnte hier in analogie zu Freuds Konzept des „zweizeitigen ansatzes der geschlechtsentwicklung“ in der ödipalen Zeit und der Pubertät von einem „zweizeitigen ansatz der Primärindivi-duation“ mit der biologischen geburt nach neun Monaten und der seelischen geburt in der ersten Hälfte des zweiten lebensjahres sprechen. Dazwischen liegt der psy-chobiologische Übergangsraum des „physiologischen Frühjahrs“, wo wir mit einem eigentlich noch fetalen Körper als baby schon auf der Welt sind und nur in dem von den eltern gebildeten Schutz- und ergänzungsraum überlebensfähig sind.
Konsequenzen für die Kulturpsychologie
Die kulturpsychologische Konsequenz aus dieser evolutionsbiologischen besonder-heit ist die, dass wir diese Urerfahrung als erwartung ins spätere leben hineintragen. Menschliche Kultur besteht in diesem Verständnis wesentlich in der erschaffung sol-cher Schutz- und ergänzungsräume, sei es nun in der Familie, der sozialen gruppe, der nation und den religiösen sowie anderen gemeinschaften. Wir beheimaten uns in einer eigentlich fremden und widrigen Welt durch eine projektive Vergegenwärtigung der vorgeburtlichen Urheimat in der außenwelt, die aus dieser projektiven erwar-tung heraus gewissermaßen für uns gemacht und eingerichtet erscheint. Menschen geben der realen Welt immer auch eine zusätzliche auf die jenseitige Welt, das heißt eigentlich auf die pränatale Welt, bezogene bedeutung, wie es sich auch im magi-schen, mythischen, religiösen und mystischen Weltbezug widerspiegelt. nicht die pränatale Psychologie ist „mystisch“, sondern der Weltbezug des Menschen hat einen mystischen aspekt. Diese Zusammenhänge sind das thema der Sphären-bücher von Sloterdijk, der die grundlegende bedeutung von rank und graber nachdrücklich gewürdigt hat. in bezug auf die religion hat er seinen gedanken zugespitzt, wenn er im achten Kapitel von Sphären I unter dem terminus das „gemeinsame innen“ die
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Vorbildfunktion der religiösen beziehung zu gott in der vorgeburtlichen beziehung sieht und damit die pränatale Mutter an einer zentralen Stelle zur Sprache bringt (Sloterdijk 1998, S. 549 ff., s. auch Sloterdijk 2009).
Doch greift dies schon den kulturpsychologischen gedanken ranks vor, zu denen ich später kommen werde. Hier sollen zur Orientierung noch einige behandlungs-praktische erfahrungen zu den Folgewirkungen von vorgeburtlichen und geburtli-chen traumatischen belastungen mitgeteilt werden, die zum teil nicht aus dem ana-lytischen bereich stammen, aber letztlich auf die anregungen von rank und Fodor zurückgehen. Weil diese beiden aber außerhalb der engeren Psychoanalyse gesehen werden, scheint ihre thematik auch in der Psychoanalyse nicht so präsent, obwohl sie praktisch sehr relevant ist.
Behandlungspraktische Erfahrungen zu den Folgewirkungen früher traumatischer Belastungen
in den letzten Jahren wurde eine reiche Kasuistik dazu gesammelt, wie sich trauma-tische belastungen vor und während der geburt in der späteren entwicklung auswir-ken und zu welchen typischen neurotischen oder psychosomatischen Symptomen sie führen können (s. die Übersicht bei Janus 2004). besonders unmittelbar sind dabei immer die beispiele aus der Kindertherapie (s. z. b. leyh 1997). traumatische belas-tungen bei der geburt können unmittelbare Folgewirkungen in Form von Unruhe-zuständen, Berührungsempfindlichkeit, Erschreckbarkeit, Essstörungen usw. haben. Eine weitere Folge ist eine stärkere Krankheitsanfälligkeit. Das Kind findet im güns-tigen Fall mit seinen eltern leidliche Kompensationsmöglichkeiten. typisch sind dann aber frühkindliche Symptome in Form von Dunkelangst, albträumen, angst vor Wasser, verschiedene phobische Ängste, neigung zu Kopfschmerzen, atemstö-rungen usw. Diese Störungsdispositionen können sich später mit lebensgeschichtli-chen Konflikten der verschiedensten Art verknüpfen und können dann ein Ingredienz von Selbstwert- und Beziehungskonflikten sein. Therapeutische Hilfestellungen bietet insbesondere die körperorientierte regressionstherapie von William emerson (1997, 2000), wobei der ausdruck regressionstherapie missverständlich ist, denn im Bereich des Symptoms oder körperlicher geburtsbedingter Berührungsempfind-lichkeiten befindet sich der Patient in spontaner hierauf bezogener Regression oder, anders ausgedrückt, unter dem Einfluss von geburtsbedingten Schockzuständen (emerson 1997, 2005). in psychoanalytischen oder tiefenpsychologischen Settings werden solche geburtsbedingten Folgewirkungen oft indirekt mitbehandelt, könnten aber bei eindeutigerer Klärung der Zusammenhänge direkter thematisiert und thera-peutisch begleitet werden (s. Janus 2000b). Einen besonders spezifischen psychoana-lytisch-psychotraumatologischen Zugang haben Hochauf (1999, 2007) und Unfried (1999) entwickelt.
Vorgeburtliche beeinträchtigungen wie Verluste und Stress der Mutter, Depres-sion der Mutter, erkrankungen, abtreibungsversuche usw. beeinträchtigen oft das Selbst- und lebensgefühl eines Menschen insgesamt. Dies lässt sich insbesondere an beispielen aus psychotherapeutischen behandlungen bei ungewollten Kindern
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zeigen (Häsing u. Janus 1994; levend u. Janus 2000). eindrucksvoll ist hier auch die reiche Kasuistik des amerikanischen Psychoanalytikers John Sonne (1996).
abtreibungsversuche können sich später in Suizidtendenzen auswirken. Dieser Zusammenhang wird nach meinem eindruck oft unterschätzt, denn er war vor der einführung der Pille nicht selten. So hat etwa Hollweg (1998), der systematisch dar-auf achtete, bei etwa 50 seiner Patienten im laufe seiner langen behandlungspraxis einen Hintergrund von abtreibungsversuchen feststellen können. es soll hier nicht auf einzelheiten eingegangen werden, sondern die Zusammenhänge sollen nur so weit benannt werden, dass deutlich wird, dass die Kasuistik zu traumatischen vor-geburtlichen und geburtlichen belastungen so ausgedehnt ist, dass deren beachtung in der Praxis bedeutsam ist. Für das psychoanalytisch orientierte Setting habe ich zur behandlungspraxis eine Übersicht gegeben, auch um zu belegen, dass es durchaus möglich ist, diese frühe ebene in der analytischen Situation zugänglich zu machen (Janus 2000b). Denn wegen der großen Zahl der körper- und regressionstherapeuti-schen beobachtungen und berichte kann es teilweise so erscheinen, dass die analyse wegen ihrer Orientierung am Verbalen hier keine wissenschaftlichen und behand-lungspraktischen Möglichkeiten bietet.
auf dem Hintergrund des in der beschriebenen Weise erweiterten Wissens um die frühe entwicklung soll nun die rank-behandlungsperspektive neu betrachtet werden.
Das seinerzeit „zu“ Revolutionäre an Ranks Behandlungstechnik
Der herausfordernde Schritt ranks bestand, wie schon gesagt, darin, dass er in den geburtsfantasien am behandlungsende die Wiederkehr von elementen der realen geburtserfahrung in der analytischen Situation sah. Das implizierte die behauptung, dass wir alle unsere geburt auf einer affektiven ebene erlebt haben. Weil man sich aber hieran nicht bewusst erinnern kann, erschien diese annahme damals zugleich schockierend sowie auch unglaubwürdig und „weit hergeholt“. Mit dem Konzept der Vergegenwärtigung und auch im Hinblick auf die oben berichteten behandlungsprak-tischen erfahrungen aus verschiedenen psychotherapeutischen Settings scheint dies heute jedoch nachvollziehbar. Dass das Kind bei der geburt etwas erlebt, ist heute, wenn wir nur an die lebendige Mimik des Kindes vor der geburt im 3D-Ultraschall, die Mimik der Frühgeborenen und an die ausdrucksvolle Mimik des Kindes nach der geburt denken, augenscheinlich. Die Mimik und das Verhalten von neugebo-renen spiegeln ganz unmittelbar die art ihrer geburtserfahrung wider, und zwar in einer sehr ausdrucksvollen Weise. Das reicht vom neugierig-erstaunten Schauen und freundlichem lächeln bis zu entsetzten und verzweifelten Schreien bis zu schockarti-ger erstarrung. im Spiegel unserer einfühlsameren Mentalität erscheint die frühere Annahme eines fühllosen Reflexwesens abwegig. Insofern sind diese Beobachtung und Schlussfolgerung ranks heute nachvollziehbar und nicht mehr revolutionär.
Der zweite historische Schritt ranks bestand in der logischen Schlussfolgerung, dass, wenn das ende der analyse als geburt erlebt werden konnte, die analyse selbst also vom Unbewussten als eine Mutterleibssituation erlebt worden war. Das
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implizierte, dass unsere vorgeburtliche Situation in einer urtümlichen Weise von uns allen erlebt worden ist und dieses erleben sich in dem besonderen arrangement der „analytischen Situation“ wiederbeleben kann oder eben vergegenwärtigen kann. es ist ja eine Situation, die man in einer existenziellen not aufgesucht hatte, wo man in dieser Welt nicht zurechtkam und in früherer Zeit vielleicht zu einem Heiligen gebetet hätte, sich also auf eine projektive pränatale magische Hoffnungen bezogen hätte.
Mit diesen annahmen hatte rank eine brisanz in der tiefendynamik menschlicher beziehungen bloß gelegt, die ihn sein weiteres leben beschäftigen sollte. in einer art kreativem rausch gab er neben der dreibändigen behandlungstechnik, die jetzt wieder vorliegt (rank 2006), in Genetische Psychologie die Darstellung einer ent-wicklungspsychologie, in Wahrheit und Wirklichkeit eine theorie der Psychotherapie unter den neuen gesichtspunkten, in Seelenglaube und Psychologie eine Darstellung unseres Verständnisses von der geschichtlichen entwicklung des seelischen erlebens und schließlich in Kunst und Künstler eine Darstellung des besonderen Weltbezuges von uns als Menschen, wie er in der Kreativität von Künstlern zum ausdruck kommt. Kunst und Künstler, 1932 in Deutsch geschrieben, erschien noch im gleichen Jahr in englischer Übersetzung unter dem titel Art und Artist und wurde jetzt erstmals wieder in der Originalfassung herausgegeben (rank 1932).
Mit dieser Fülle an Publikationen hatte rank die Verarbeitungsmöglichkeiten sei-ner Kollegen überfordert, aber auch die Verständnismöglichkeiten seiner Zeit. Der damaligen Mentalität schien es, wie schon gesagt, wenig wahrscheinlich, dass das Reflexwesen Säugling etwas erlebte, noch unwahrscheinlicher musste erscheinen, dass es schon vor der geburt ein erleben gab und die geburt von uns allen erlebt worden ist. Den Hintergrund für diese Verleugnung sehe ich in den historischen traumatischen Sozialisationen. Um dies zu verdeutlichen, ist ein kurzer historischer exkurs notwendig.
Historischer Exkurs zu den elterlichen Beziehungen
Wenn sich auch die eltern-Kind-beziehungen vom Mittelalter bis zur neuzeit kon-tinuierlich verbessert haben, das heißt, weniger traumatisch belastet waren und bezogener wurden (DeMause 2000; Frenken 2003), so war doch die erziehung am anfang des letzten Jahrhunderts aus heutiger Sicht noch äußerst autoritär und gewalt-tätig. Das Schlagen der Kinder war selbstverständlich und ebenso das alleinlassen und Durchschreienlassen der Säuglinge. archaische Ohnmachtserlebnisse und ent-sprechende Wut, wie adler sie beschrieben hatte, gehörten zur üblichen Situation, ebenso wie die mythische Überhöhung des Vaters, wie Freud sie beschrieben hatte, und ebenso die mythische Überhöhung der Mutter, wie Jung sie erfasst hatte. Der Säugling galt der Wissenschaft als Reflexwesen und entsprechend, von heute aus gesehen, unglaublich unbezogen und faktisch grausam war der Umgang mit neu-geborenen und babys noch bis in die 70er Jahre. ein persönliches erleben dieser Zeit und noch davor schien undenkbar.
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Schwierigkeiten der Auseinandersetzung mit den Gesichtspunkten Ranks
in diesen bedingungen sehe ich einen wichtigen grund, dass der rank-ansatz, der gerade emotionales erleben von anfang an implizierte, auch in den psychoanalytischen gruppen nur ganz wenigen vermittelbar war. einige Vertreter der damaligen künst-lerischen avantgarde hingegen, wie Salvador Dali und Henry Miller, griffen jedoch die neuen einsichten enthusiastisch auf.
in der berliner gruppe soll es nach mündlicher tradition eine gruppe von analy-tikern gegeben haben, die sich mit der bedeutung des geburtstraumas beschäftigten, die „geburtsbrigade“, deren Spur sich jedoch in den Wirren der geschichte verlo-ren hat. in der geschützten und besonderen Situation der londoner gruppe konnten einige anregungen ranks im rahmen der kleinianischen Psychoanalyse weiterleben (grosskurth 1993), wenn auch der bezug zu rank nicht explizit gemacht wurde und Melanie Klein die traumatischen aspekte der geburt nur abstrakt als „aktivatoren des todestriebes“ konzipierte. in der Schweiz konnte sich die von rank ausgehende traditionslinie im Werk gustav Hans grabers weiterentwickeln (reiter 2005) und in der von ihm mit angel garma, argentinien, und igor Caruso, Österreich, gegrün-deten internationalen Studiengemeinschaft für Pränatale Psychologie und Medizin (iSPPM, http://www.isppm.de) eine Fortsetzung finden.
Nun, die Zeiten haben sich geändert, und wir uns mit ihnen. Das Reflexwesen Säugling ist zum „kompetenten Säugling“ mutiert, und das vorgeburtliche Kind schmückt als Ultraschallfoto das Familienalbum. Mit der dreidimensionalen Ult-raschalltechnik können wir heute die sehr menschliche Mimik der Kinder vor der geburt beobachten. Das „Seelenleben des Ungeborenen“ ist kein new-age-haftes Fantasma mehr, sondern etwas Plausibles, was auch in einen bezogenen Umgang mit der Schwangerschaft praktisch eingang gefunden hat (Janus u. linder 2008). Diese veränderte Mentalität erlaubt ein Verlassen der alten abwehr und eine Offenheit für einen Diskurs zu der lebensgeschichtlichen bedeutung frühester erfahrung. Hierbei könnte das Werk ranks eine wesentliche ressource sein, weil rank mit der Unbe-fangenheit des erstentdeckers die topographie dieser tiefenebene des erlebens ins auge fasste.
Ranks neues Paradigma
Paradigmatisch hatte rank in abgrenzung gegen Jung und Freud formuliert: „Wir können auf die annahme einer Vererbung psychischer inhalte einstweilen verzichten, denn das perinatale Seelische, das eigentliche Unbewusste, erweist sich also als das im wachsenden ich unverändert fortlebende embryonale, welches die Psychoanalyse als die letzte metapsychologische einheit im begriff des geschlechtlich neutralen ‚es‘ zusammengefasst hat“ (rank 1924, S. 186). Die hierin enthaltene Kritik an Jung und Freud besteht darin, dass Jung mit dem Konzept der archetypen und Freud mit dem Konzept der Urfantasien das lebendige vorgeburtliche erleben gewissermaßen in den angeborenen bildern still gestellt hätten. Wir leben nicht im nachklang der angeborenen archetypen, sondern im nachklang unserer vorgeburtlichen, geburt-lichen und nachgeburtlichen erfahrungen, aus denen wir „zu früh“ herausgerissen
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wurden und die deshalb einerseits ein Sehnsuchtsziel bleiben, nach dem wir immer wieder suchen, und die andererseits immer wieder neu verarbeitet werden müssen, wenn sie in lebensgeschichtlichen belastungen oder Schwellensituationen wieder aktiviert werden. Die romantiker sprachen von der ewigen Sehnsucht aller reisen, die „immer nach Hause“ gehen sollten, und Heidegger hatte vom „Heimweh“ als einem grundmotive aller Philosophie gesprochen. Und die religionen verweisen als tröstung für alles leid in dieser Welt auf die jenseitigen Welten und schützende hilf-reiche Wesen. Diese Sehnsucht nach einem heilenden Zuhause und einer tröstenden jenseitigen Welt lässt sich nun im Sinne ranks als Widerspiegelung oder Vergegen-wärtigung der heilsamen aspekte der vorgeburtlichen Welt verstehen. Diese Motive und bilder in Märchen und Mythen haben die Menschen die ganze Weltgeschichte hindurch begleitet. Durch die aufklärung waren sie als aberglaube entlarvt worden und kehrten in der innerlichkeit des modernen Seelenlebens wieder, aber eben nicht als zeitlose archetypen, wie Jung formulierte, sondern, wie man mit rank sagen könnte, als immer wieder neue Vergegenwärtigungen aus der eigenen Urerfahrung vor, während und nach der geburt.
Konsequenzen für das Verständnis der „analytischen Situation“
Und diese Motive sind eben auch im Hintergrund der „analytischen Situation“ wirksam, einem von rank geprägten terminus und titel des ersten bandes seiner behandlungstechnik. Die primärnarzisstische Verbundenheit und die damit verbun-dene kraftvolle Hoffnung ist Ursprung der Übertragung, wie grunberger (1976) es unabhängig und ohne bezug zu rank gefasst hatte. Sie ist gleichzeitig Medium für die Auseinandersetzung mit den lebensgeschichtlichen Konflikten und Ausgangspunkt für einen kreativen neuen lösungsentwurf. Modern wird von der analyse als einer „kreativen beziehung“ gesprochen. Das würde genau der Sicht ranks entsprechen, allerdings mit einer betonung der tiefendimension. Die Präsenz der Ursprungsebene in der analytischen Situation vor aller Sprachlichkeit ist ein Kernelement dessen, was rank das „analytische erlebnis“ nannte.
eine besondere Dramatik gewinnt diese Situation dadurch, dass in der „analyti-schen Situation“ und der durch sie bewirkten inneren Wahrnehmungssteigerung und -intensivierung auch die Dramatik des geburtserlebens und Vorgeburtserlebens in einer latenten Weise und mehr oder weniger ausgeprägt präsent ist. Das gilt unaus-weichlich für die abschlussphase, die darum in der behandlungstechnik bei rank eine so zentrale rolle einnimmt.
rank (1924) hatte in Das Trauma der Geburt an der trennungs- und Veränderungs-ängstlichkeit am ende einer behandlung die erlebnispräsenz von realen geburts-gefühlen in der analytischen Situation entdeckt und auf die aktualisierung trauma-tischer aspekte der geburt zurückgeführt. Dabei stieß er auf eine grunddynamik menschlichen erlebens in Situationen der Veränderung, deren kollektivpsychologi-sche Vergegenwärtigungstendenz und bedeutung er an beispielen aus der Verarbei-tung in Märchen, Mythen, in der Kunst und religion an vielfältigen beispielen zu zeigen versuchte. geburt kann den Verlust eines vorgeburtlichen Paradieses bedeu-ten, ein abenteuer zu neuen Ufern, einen Kampf ums Überleben oder einen Helden-
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kampf gegen einen übermächtigen gegner; geburt kann auch der Fall ins nichts sein, der Verlust des sicheren bodens, der unüberbrückbare abgrund oder der Verlust des Selbst. all diese erlebniszusammenhänge sind vorsprachlich und körpernah, sie werden zwar erlebt, können aber nicht direkt reflektiert werden. Sie können aber in Form von Empfindungen, Gefühlen, Bildern, Erlebnisbereitschaften und in Träumen im späteren erleben wieder auftauchen. Mythen, Märchen und das kindliche Spiel mit entsprechenden themen können im Sinne ranks in wichtiger Hinsicht eine erste bildhafte Reflexion der Ursprungserfahrung vor und während der Geburt aufgefasst werden. es geht um das eingeschlossensein in einer Höhle oder in einem jenseitigen Schloss, es geht um einen Kampf mit vergiftenden und lebensbedrohenden Mächten und eine Befreiung. Es geht um Wegfindung in einem Dschungel und das Heraus-finden aus einem Labyrinth.
es sind dies themen, die nicht nur in der projektiven vergegenwärtigenden gestal-tung von Mythen und Märchen auftauchen, sondern ebenso zentrale elemente psy-chologischen Konflikterlebens sind. Durch die aktuellen Konflikte werden vorsprach-liche erlebniselemente in der oben beschriebenen Weise aktiviert, wie auch aus den berichteten Behandlungserfahrungen belegt ist: Eine Konfliktsituation kann im Spie-gel eines als Schock erlebten geburtsstillstands aussichtslos erscheinen oder auch als vernichtend im Spiegel einer vorgeburtlichen existenzbedrohung. eine aktuelle Konfliktdynamik mit der Dramatik der Urerfahrung der Geburt zusammenzubringen, war seinerzeit revolutionär, und zwar zu revolutionär deshalb, weil in einer damals noch weithin patriarchalisch orientierten gesellschaft die bedeutung elementarer erfahrung mit der Mutter ein tabu war, weil die gesellschaft in ihrer Wahrnehmung und ihrem erleben auf die zentrale bedeutung des Männlichen oder Väterlichen hin ausgerichtet war. Dies war so bestimmend, dass die übermächtige bedeutung des Vaters auch noch den Horizont des Freud-Denkens ausmachte, obwohl er mit der entdeckung des Unbewussten gleichzeitig überschritten wurde, wobei jedoch die weibliche und mütterliche Dimension des Unbewussten verschleiert und abstrahiert wurde. ich habe latente Präsenz der Mutterimago in den Konzepten Freuds an ande-rer Stelle dargestellt (Janus 1989).
Was 1924 „zu“ revolutionär war und als Dissidenz eingeordnet wurde, müsste nach jahrzehntelanger erforschung der bedeutung der frühen Mutter in der Psychoanalyse nun nicht mehr als revolutionär erscheinen und darum auch nicht mehr als Dissidenz neutralisiert werden. es könnte eine Diskussion der bisher marginalisierten gesichts-punkte beginnen, wie dies ja auch in ansätzen schon geschehen ist (s. z. b. Menaker 1982; Janus 1987; lieberman 1994; leitner 1998) und geschieht (z. b. Janus u. Wirth 2005; Janus 2006).
aus der logik des neuen Verständnisses der geburtsdynamik erfolgte ein neues Verständnis der vorgeburtlichen erlebnisdynamik. Die vorgeburtliche Situation ist durch intensives aufeinander-bezogen-Sein, Zusammensein und abhängigkeit gekennzeichnet. Die basis späterer beziehung ist in der Sicht ranks, grabers und Fodors die vorgeburtliche beziehung, die insbesondere in der analytischen Situa-tion zugänglich wird, ja die analytische Situation ist gerade dadurch charakterisiert, dass sie vorgeburtliche bezogenheit und ihre abkömmlinge zugänglich macht. Was sonst in menschlichen beziehungen als Hintergrund in einer unbewussten Weise prä-sent ist, darf in der innigkeit der analytischen Situation spürbar werden. im Medium
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der in der analytischen Situation aktualisierten vorgeburtlichen beziehung können sich die Überwindung von neurotischen Verzerrungen und eine heilsame Wandlung hin zu einer neuorientierung vollziehen. rank hat dies an einem ausführlichen Fall-beispiel im ersten band seiner behandlungstechnik demonstriert (rank 1926/2006, S. 63–127):
Es geht dabei um die Analyse einer Trennungsempfindlichkeit bei einer Patien-tin, die eine traumatische geburt in der Vorgeschichte hatte und ihre Mutter im 12. lebensjahr verlor. in den Übertragungsgefühlen manifestieren sich prä-natale Befindlichkeiten und Verbundenheiten, aus deren Potenzial heraus die seelische Charakteristik der geburtserfahrung und ihrer Verarbeitung und die bedeutung des Mutterverlustes im 12. lebensjahr entwickelt und verarbeitet werden kann. im imaginär-bedeutungsvollen beziehungsraum der analyti-schen Situation gelingt ein Sprechen und in-die-Sprache-bringen von eigent-lich vorsprachlichen, vorgeburtlichen und geburtlichen erfahrungen. es gelingt der Patientin zum beispiel zu rekonstruieren, dass sie die geburtstraumatisch bedingte Verunsicherung durch ein sehr intensives tanzen in der Kindheit kompensieren konnte, wobei man in dem tanzen eine Wiederverknüpfung mit guten vorgeburtlichen bewegungserfahrungen sehen kann. Der Verlust der Mutter im 12. lebensjahr führt zu einem rückfall in die geburtstraumatische Trennungsempfindlichkeit, die sie in ihrem Leben immobilisiert. Die Analyse dieser Zusammenhänge ermöglicht ihr die Überwindung einer blockierung in ihrem leben und einen wichtigen individuationsschritt, der sich vorbildhaft am durchlebten abschluss der analyse vollzieht, indem die trennung ohne Selbst-verlust vollzogen werden kann.
Doch stehen wir alle im bann einer tradition, die keinen wirklichen bezug zu dieser frühen lebensebene hatte. Darum kann es hilfreich sein, sich zur Wahrnehmungs-erweiterung mit der pränatalen Dimension in Märchen und Mythen und in der Kunst zu beschäftigen, wie rank das erschlossen hat.
Meist handeln Märchen und insbesondere die Zaubermärchen von jenseitigen Wel-ten, in denen es leben spendende gewässer und bäume gibt, wie ebenso grenzen-lose Verlassenheit, Mangel und todesgefahr etwa durch ein Verschlungenwerden, bis dann nach einem Durchwandern dunkler gänge die befreiung erkämpft werden kann (rank 1924, S. 104; Janus 1997c, S. 177, 2000a, S. 266, u. a.).
Präsenz vorgeburtlicher und geburtlicher Erfahrung in Märchen und Mythen
Die Präsenz vorgeburtlicher, geburtlicher und nachgeburtlicher thematik in Mythen kann vielleicht am Zentralmythos der Psychoanalyse, dem Ödipus-Mythos, anschau-lich gemacht werden: Ödipus war ein vom Vater massiv ungewolltes Kind. Die Schwangerschaft vollzog sich im bann dieser ablehnung. Der Vater zwang in diesem Sinne auch die Mutter, das Kind nach der geburt wegzugeben, wozu noch eine Ver-stümmelung an den Füßen kam. aus der Sicht heutiger einfühlungsfähigkeit kann man sich nur wundern, dass der erste teil des Mythos in seiner lebensgeschichtli-
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chen Bedeutung nicht wahrgenommen und reflektiert wurde, weil die spätere Geschi-chte in wesentlicher Hinsicht eine rekapitulation und ein Verarbeitungsversuch dieser traumatischen Primärsituationen ist. Klinisch sind für solche traumatischen Frühbedingungen mörderische, inzestuöse und autoaggressive tendenzen typisch (brekhman 2006). Merkwürdig ist das Fortleben dieser Verleugnungstradition, wenn der ödipale Konflikt als Entwicklungskonflikt des drei- bis fünfjährigen Kindes gesehen wird, ohne die Vorgeschichte zu beachten und zu gewichten (s. auch Janus u. Wirth 2005, S. 410 ff.). Dies kann in behandlungen die Folge einer sehr unvollstän-digen erfassung der Problematik haben und eine einschränkung der therapeutischen Kompetenz bedeuten.
Hier kann, wie gesagt, die beschäftigung mit der pränatalen Dimension von Mär-chen und Mythen hilfreich sein. Die Zaubermärchen schildern typischerweise trans-formative regressionen im Zusammenhang mit dem Pubertätsprozess (Janus 1996). Der Märchenheld fällt, wie die Jugendlichen, aus der geborgenheit des elternhauses heraus und sucht sich zunächst in Ursprungserfahrungen neu zu finden. Das sind in den Märchen pränatalsymbolische Jenseitsreisen zum Wasser des lebens (Frucht-wasser) und zum baum des lebens (Plazenta), um nach dieser Ursprungserfahrung, nach dem bestehen von heldischen Kämpfen als neu geboren zu werden. Diesem Muster folgen auch die initiationsriten in den Stammeskulturen, wie sie eliade (1961) in seinem buch Das Mysterium der Wiedergeburt beschrieben hat. Der biologische Pubertätsprozess aktiviert also vorgeburtliche und geburtliche erfahrungen, wie sich dies an den Märchen ablesen lässt, aber sich natürlich auch in der behandlung von Jugendlichen darstellen kann (Scheffler 1990).
geht es also in den Märchen um die Darstellung der Pubertätsindividuation in prä- und perinatalsymbolischen bildern und Handlungsfolgen, so geht es in den Mythen um die kollektivpsychologische begründung der Wesenheit der jeweiligen gesellschaft, die sich in der pränatalen Urerfahrung als einer Jenseitserfahrung, die allen gemein ist, mythisch begründet. es geht wieder um die pränatal determinierten Motive des heiligen Wassers, des heiligen raumes, des lebens- oder Weltenbaumes und der anschauung, dass die Welt von höheren Wesen für uns eingerichtet ist und wir unter deren Schutz und Obhut stehen. es geht dabei nicht nur, wie in der analyti-schen tradition manchmal dargestellt, „nur“ um unbewusste Fantasien, sondern auch um dahinterstehende reale, gemeinsame, vorsprachliche, vorgeburtliche und geburt-liche erfahrung.
Dabei kann es ganz konkret um den jeweiligen Umgang mit Schwangerschaft und geburt gehen, wie die beispiele der Sioux und Yeruda zeigen, die erikson (1965) beschrieben hat. bei den Sioux stehen sadistische abstillrituale in Wechselwirkung mit einer aggresssiv-jägerischen einstellung und bei den Yeruda Hungerrituale vor und nach der geburt mit einer depressiv-abwartenden lebenseinstellung. aber auch auf hochkultureller ebene lassen sich die Widerspiegelungen der Umgangsqualität mit geburt und Säuglingszeit in den Mythen aufzeichnen, wie renggli (2001) dies in seinem buch Der Ursprung der Angst – Antike Mythen und das Trauma der Geburt am beispiel sumerischer Mythen dargestellt hat. Dies leitet über zur bedeutung der pränatalen Dimension in der Kulturpsychologie.
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Pränatalpsychologische Aspekte der Kulturpsychologie
Die großen kulturpsychologischen entwürfe, insbesondere von Freud und Jung, fan-den meines erachtens wesentlich auch deshalb keine wirkliche Fortsetzung, weil das thema der vorgeburtlichen und geburtlichen erfahrungen nicht ausreichend integriert werden konnte und weil rank als außerhalb der Psychoanalyse Freuds ste-hend gesehen wurde, obwohl er aus meiner Sicht ein genuiner Fortsetzer der ansätze Freuds war, eben durch eine erweiterung der Perspektive um die lebensdimension der vorgeburtlichen lebenszeit und der geburt. ranks vielfältige kulturpsychologi-sche anregungen zur Kulturpsychologie von Der Künstler, Die Lohengrinsage, Die Geburt des Helden, Das Inzestmotiv in Dichtung und Sage bis zum kulturpsycho-logischen teil in Das Trauma der Geburt und in Seelenglaube und Psychologie u. a. wurden nicht mehr rezipiert. So kam es, dass eine psychoanalytische Kulturpsycho-logie mit einbeziehung der vorgeburtlichen Zeit und der geburt von lloyd DeMause (2000) in den USa quasi neu entwickelt wurde, wobei es ihm vor allem um ein Verstehen des historischen Prozesses ging, weshalb er von Psychohistorie sprach. ein wesentliches thema ist bei ihm das gesellschaftliche ausagieren der geburts-dynamik in sozialen Krisen und insbesondere in Kriegen. typischerweise stehen am anfang von Kriegen überwältigende geburtsfantasien im Sinne von eingeschlossen-sein, Umzingeltsein, Vergiftetwerden, bedrohtwerden, Keine-luft-Haben usw. (ein-zelheiten s. bei DeMause 1996, 2006).
an diesen kollektiven inszenierungen vorgeburtlicher und geburtlicher erfah-rungen lässt sich deren eigenart erfassen und tiefer verstehen. Man kann seine Wahr-nehmung für die seelische Wirklichkeit früher vorsprachlicher erfahrung sensibili-sieren und schulen, um entsprechendes auch in der analytischen Situation oder der psychotherapeutischen Situation wahrnehmen zu können.
eine leitlinie des historischen Prozesses ist die entwicklung einer größeren ich-autonomie und einer rücknahme magisch-mythischer Projektionen früher vorsprachlicher erfahrungen. Dies steht in Wechselwirkung mit der zunehmenden Fähigkeit des Menschen, die Umwelt für seine bedürfnisse zu nutzen und konstruk-tive Ordnungen des Zusammenlebens zu entwickeln. Diese entwicklung kulminiert in der aufklärung mit der rücknahme der genannten Projektionen und der Über-nahme eigener Verantwortung. Man begründet sich nicht mehr in gott, sondern in der eigenen Person, womit der Startpunkt für die entwicklung von psychologischem Verstehen in den romanen des 19. Jahrhunderts und in der tiefenpsychologie des 20. Jahrhunderts gegeben ist. Die erkundung der frühen vorsprachlichen Zeit ist in dieser Sicht so etwas wie der Schlusspunkt einer langen psychohistorischen entwick-lung. Wir brauchen uns nicht mehr in der großartigkeit und der Kraft jenseitiger Welten begründen, sondern können unsere Wurzeln in der großartigkeit und der Kraft unseres vorgeburtlichen Ursprungs finden. Die Tür zu den kindlichen Anfängen, die von Freud mit der entdeckung des Unbewussten geöffnet worden war, wurde von rank mit der integration von geburt und vorgeburtlicher Zeit in unsere lebensge-schichte durchschritten. Das ödipale Unbewusste wurde um das vorgeburtliche und geburtliche Unbewusste vertieft, womit der Ödipus-Mythos erst wirklich psychoana-lytisch erschlossen erscheint. Der menschheitsgeschichtliche Fortschritt des Ödipus-Mythos besteht darin, dass prä- und perinatale traumatisierungen nicht einfach nur
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zu einem beschädigten leben führten oder in rituellen Opferungen ausagiert werden, sondern durch die gestaltung im Mythos und dessen Weiterentwicklung im Drama durch Sophokles in einem epochalen seelischen Wachstumsprozess auf die ebene emotionaler auseinandersetzung um liebe und Hass und Schuld und gewalt trans-formiert werden. Damit sind wir bei der bedeutung der künstlerischen gestaltung angelangt, mit deren Psychodynamik rank lebenslang befasst war und die er schließ-lich auf der basis der neuen Perspektiven in Das Trauma der Geburt zusammenfas-send konzipierte. Dies wird darum der Vollständigkeit wegen kurz referiert.
Die pränatale Dimension in der Kunst
Da nun die Kunst in wesentlicher Hinsicht die magischen und mythischen aspekte einer gesellschaft sinnbildlich und anschaulich erfasst und darstellt, ist es nach dem vorher gesagten nur folgerichtig, in ihr eine pränatale Dimension zu vermuten. rank formuliert hierzu zusammenfassend: „Das Kunstwerk stellt also … auch in seiner Wirkung und nicht nur in seiner Schöpfung eine einheit her, die in diesem Falle eine seelische einheit zwischen dem Künstler und dem empfänger bedeutet. Diese ein-heit ist nur eine temporäre und symbolische, aber die daraus entspringende befriedi-gung deutet darauf hin, dass es sich nicht nur um die vorübergehende Identifizierung zweier individuen handelt, sondern um die potentielle Wiederherstellung einer einmal bestandenen und verlorenen einheit mit dem all. Die individuell-psychologischen Wurzeln dieses einheitsgefühls habe ich seinerzeit im ‚trauma der geburt‘ in dem vorgeburtlichen Zustand gefunden, dessen Wiederherstellung das individuum im Sinne der Unsterblichkeitssehnsucht anstrebt. … Den individuellen Drang nach Wie-derherstellung dieser verlorenen einheit habe ich seinerzeit als einen wesentlichen Faktor zur Schaffung menschlicher Kulturwerte angezeigt“ (rank 1932, S. 125).
aus Platzgründen wird diese thematik mit diesem Zitat von rank nur paradig-matisch benannt. in einer eigenen Darstellung haben der Kölner Maler Klaus evertz und ich Folgerungen für das Verständnis der modernen bildnerischen Kunst das 20. Jahrhunderts dargestellt, die man in wichtiger Hinsicht als direkte erkundung der nachwirkungen der vorsprachlichen und vorgeburtlichen lebenswelt verstehen kann (evertz u. Janus 2002, s. auch Janus u. evertz 2008). bei Dali zum beispiel, des-sen Kunst nach seinen angaben ihren kreativen impuls aus der Unglückserfahrung seiner vorgeburtlichen erfahrung mit einer depressiven Mutter bezog, ist das direkt ausgesprochen, und bei Munch als einem anderen beispiel ist es in den bildern des Madonna-Zyklus deutlich, in dem ein fetales Kind mit seiner depressiven Mutter gezeigt ist (Janus 1997, S. 205 ff.).
Abschließende Bemerkungen
Die beiden letzten Sätze zur vollständigeren bedeutung des Ödipus-Mythos geben die Quintessenz dieses beitrages. Dabei geht es nicht nur um die Verdienste bestimm-ter Forscherpersönlichkeiten, sondern in gleicher Weise um die entwicklung der Mentalität in unserer gesellschaft. in der Psychoanalyse Freuds, die sich noch im
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Horizont der mitteleuropäischen Monarchien entwickelte, ging es wesentlich um die nöte und die anpassungsmöglichkeiten in einer hierarchisch gegliederten gesell-schaft. notwendigerweise bildete hier die Dynamik der Vaterbeziehung den angel-punkt. Die Psychoanalyse ranks steht hingegen in Wechselwirkung zu den sich nach dem ersten Weltkrieg entwickelnden westlichen Demokratien. es geht um kreative Selbstverwirklichung und verantwortliche Verankerung in wechselseitiger bezogen-heit. Hierfür bilden die frühe elternbeziehung und insbesondere die Mutterbeziehung einen angelpunkt. auch hier geht es um eine rücknahme von Projektion und eine begründung in sich selbst auf einer neuen ebene. ging es in der aufklärung vor allem um das selbst verantwortliche Denken, geht es in der tiefenpsychologischen aufklärung um die Übernahme der Verantwortlichkeit für die eigenen gefühle und für seine beziehungen. Die besondere Schwierigkeit bestand darin, dass diese aspekte in der vorsprachlichen emotionalen beziehung zu den eltern und insbeson-dere zur Mutter wurzeln. Prägend sind dabei die anthropologische besonderheit der physiologischen Frühgeburtlichkeit und die hieraus folgende Schaffung von ergän-zungsräumen, in deren Mittelpunkt intensive bezogenheit steht, und die damit ver-bundene wechselseitige bestätigung. Unter guten bedingungen kann sich das an sich ganz hilflose Baby kräftig und machtvoll fühlen und dieses Selbstbewusstsein in sein späteres leben kreativ hineintragen. rank sah in unserem ich-gefühl den nachfolger des vorgeburtlichen Selbstgefühls und zentrierte in seiner therapie darauf, dieses und damit den eigenen Willen zu entwickeln. ging es bei Freud um die annahme der eigenen triebe und Wünsche und deren integration in ein durch die tradition bestimmtes Selbst- und Über-ich-Konzept, so geht es bei rank darüber hinaus um die kreative entwicklung eigener ich-ideale und deren willensmäßige realisierung. eine solche kreative entwicklung kann sich im Medium der aktualisierung früher vorsprachlicher beziehung und ihrer mutativen Potenziale in der analytischen Situa-tion vollziehen. in diesem Sinne kann die Technik der Psychoanalyse von Otto rank eine anregende ressource für die heutige Psychoanalyse sein. Hierzu sollen diese ausführungen ein beitrag sein.
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Die „technik der Psychoanalyse“ von Otto rank
Ludwig Janus, Dr. med., Jg. 1939, Psychoanalytiker, (DPg/DgPt), niedergelassen in eigener Praxis in Heidelberg seit 1975, langjähriger Präsident der internationalen Studiengemeinschaft für Pränatale und Perinatale Psychologie (iSPPM) und der gesellschaft für Psychohistorie und Politische Psychologie (gPPP). arbeitsschwerpunkte: geschichte der Psychoanalyse, lebensgeschichtliche bedeutung von vor-geburtlichen und geburtlichen erfahrungen und Kulturpsychologie.