Sabine Müller, Ptolemaios I. und das Ölwunder (Arr. an. 4,15,8), in: Iliescu, V./Nedu, D. (Hg.),...

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Graecia, Roma, Barbaricum. In memoriam Vasile Lica coordonatori/coordinators: Vladimir Iliescu Decebal Nedu Andreea-Raluca Barboş Galaţi 2014

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Graecia, Roma, Barbaricum. In memoriam Vasile Lica

coordonatori/coordinators: Vladimir Iliescu Decebal Nedu Andreea-Raluca Barboş

Galaţi 2014

Descrierea CIP a Bibliotecii Naţionale a României Omagiu. Lica, Vasile Graecia, Roma, Barbaricum. In memoriam Vasile Lica coord.: Vladimir Iliescu, Decebal Nedu, Andreea-Raluca Barboş nota ed.: prof. Cristian-Dragoş Căldăraru Galaţi – Editura Muzeului de Istorie Galaţi, 2014 ISBN 978-606-93336-9-3 I. Iliescu, Vladimir (coord.) II. Nedu, Decebal (coord.) III. Barboş, Andreea-Raluca (coord.) IV. Căldăraru, Cristian Dragoş (ed.) 94(498) Lica, V. 929 Lica, V.

Copertă şi machetă grafică: Decebal Nedu, Liliana-Carmen Palade Editura Muzeului de Istorie Galaţi 2014 ISBN 978-606-93336-9-3

Vasile Lica

25 ianuarie 1953 – 8 noiembrie 2010

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Ptolemaios und das Ölwunder (Arr. an. 4,15,7-8)*

Sabine MÜLLERChristian-Albrechts-Universität zu Kiel

o traurig der Anlass zu diesem Band ist und so sehr ich wünschte, Vasile hätte ihn selbst lesen können, hoffe ich dennoch, ein Thema gewählt zu haben, das

ihn als engagierten Alexanderforscher interessiert hätte: ein Beispiel für Ptolemaios’ Selbststilisierung in den Fragmenten seiner Alexandergeschichte.

Im Kontext von Alexanders Bemühungen 328 v. Chr., der sogdisch-baktrischen Revolte Herr zu werden – was ihm letztlich nur gelang, indem er durch Einheiraten eine Bresche in die Allianz der aufständischen Fürsten schlug –,

1 verortet Arrian ein

Naturwunder: "Als er bei dem Fluss Oxos sein Lager bezog, sprudelte plötzlich unweit von Alexanders Zelt eine Wasserquelle auf und daneben eine weitere Quelle mit Olivenöl (elaion). Nachdem dieses Götterzeichen (teras) Ptolemaios, Sohn des Lagos, dem Somatophylax, gemeldet worden war, berichtete Ptolemaios Alexander davon. Alexander aber opferte wegen des Vorzeichens (phasma) so, wie ihm seine Seher rieten. Und Aristandros prophezeite, das Zeichen (semeion) der Olivenölquelle verhieße, dass große Mühen bevorstünden, weise aber auch auf den Sieg nach den Mühen hin."

2

Die Elemente der Götterzeichen und Weissagung könnten auf Aristobulos als Quelle hindeuten, der ein ausgesprochenes Faible für Wundergeschichten hatte.

3 In

jedem Fall scheint Strabons Bericht zum Ölfund auf Aristobulos’ Überlieferung zu beruhen.

4 Hingegen geht Arrians Bericht wohl auf Ptolemaios, seinen zweiten

Hauptgewährsmann, zurück.5 Dafür spricht, dass er in der Übermittlerfunktion einzig

bei Arrian auftaucht, nicht in den Parallelquellen, die von dem Ölfund berichten. Die Botenrolle verdeutlicht Ptolemaios’ Nähe zu Alexander. Da der Herrscher

durch seine einflussreichen Offiziere abgeschirmt wurde, somit nicht jeder Zugang zu ihm hatte, wird mit der Episode Ptolemaios’ Zugehörigkeit zu Alexanders inner circle,

* Vasile Lica danke ich für immer für seine Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Freundschaft. Für die Möglichkeit zur Diskussion des Aufsatzthemas und Unterstützung danke ich Francesca Angiò, Waldemar Heckel, Johannes Heinrichs, Tim Howe, Marek Jan Olbrycht und Gerhard Wirth. 1. Vgl. Müller 2012, 295-297; Müller 2003, 61-62; Olbrycht 2010, 359-360; Briant 2010, 54-58; Heckel 2009, 242; Wiesehöfer 2005, 151; Wirth 1993(a), 108-109. 2. Arr. an. 4,15,7-8. 3. Vgl. Hammond 1993, 104-105; Wirth 1964, 216; Mederer 1936, 164-165. 4. Strab. 11,11,5. 5. Vgl. Bosworth 1995, 108, 111; Hamilton 1969, 158; Strasburger 1934, 41; Berve 1926, 331; Jacoby, FGrHist II D, 516. Gegen Hammond 1993, 105.

S

Sabine Müller

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zur makedonischen Führungsspitze, aufgezeigt.6 Vermutlich war den Adressaten von

Ptolemaios’ Schrift überdies klar, dass Alexanders Erfahrungen mit Philotas im Umgang mit der Dimnos-Verschwörung – zumindest so, wie der obskure Vorfall in offizieller Sprachregelung dargestellt wurde, die auch Ptolemaios übernahm –

7 ihn

gelehrt hatten, eine so verantwortungsvolle Position nur seinen engsten Vertrauten zu übergeben. Vor diesem Hintergrund musste Ptolemaios’ Vermittlerfunktion ein Zeichen von Alexanders höchster Wertschätzung darstellen. Diese Nähe zum Herrscher war nicht nur unter Alexanders Regierung, sondern auch in der Diadochenzeit wichtiges symbolisches Kapital, das Ptolemaios somit für sich in Anspruch nahm.

In der Forschung hat die Episode um das Ölwunder bislang primär im Kontext der Debatte um die ungeklärte geographische Lage des Oxos und die Verwechslung mit dem Ochos Beachtung gefunden.

8 Die Symbolik der aufsprudelnden Quellen,

insbesondere im Hinblick darauf, dass Arrian dabei höchstwahrscheinlich Ptolemaios wiedergibt, wurde noch nicht in einer speziellen Studie behandelt.

Im Folgenden wird daher untersucht, in welcher literarischen Tradition die Darstellung des Naturwunders steht und welches propagandistische Potential ihr innewohnte. Dabei wird auch die Wortwahl elaion (Olivenöl) statt der üblichen griechischen Bezeichnungen für Rohöl (asphaltos oder naphtha),

9 das eindeutig mit

der aus dem Boden sprudelnden Flüssigkeit gemeint ist, diskutiert.10

Vorangestellt ist eine Analyse von Ptolemaios’ legitimierender literarischer Selbststilisierung in seiner fragmentarisch erhaltenen Alexandergeschichte, in deren Kontext die Ölwunderepisode zu verorten ist.

Ptolemaios’ Selbststilisierung in seiner Alexanderschrift Die Datierung von Ptolemaios’ Alexandergeschichte, über deren Titel und

Umfang nichts bekannt ist, ist ungewiss. Unbestritten ist jedoch ihre politisch-legitimatorische Tendenz. Gemäß Arrian verfasste Ptolemaios die Schrift nach der Adaption des Titels basileus, somit nach 306/5 v. Chr.

11 Geht man von einem frühen

Publikationsdatum kurz nach der Diademannahme aus,12

war Ptolemaios daran gelegen, sein Königtum, das nicht auf Geblütsrecht und Herrschaftskontinuität, sondern auf Eroberung und militärischer Durchsetzungskraft beruhte, durch seine

6. Bosworth 1995, 111. Vgl. Arr. an. 3,36,2, 4,13,7. 7. Arr. an. 3,26,1-3. Zu Philotas’ Untergang vgl. Heckel 2009, 218-219; Heckel 2008, 88-92; Heckel 1992, 27-33; Müller 2003, 81-104; Wirth 1993(a), 297-299; Bosworth 1988, 101-102. 8. Vgl. Olbrycht 2012 (im Kontext der Diskussion des Quellenwerts des Apollodoros von Artemita); Heckel 2008, 92-94; Bosworth 1995, 110 (mit der Vermutung, es handle sich um den Kunduz); Hammond 1993, 103. Strab. 11,11,5, 11,7,3 (mit Verweis auf Apollodoros) kennt einen baktrischen und einen hyrkanischen Oxos. 9. Vgl. Forbes 1936(b), 70-71. 10. Es liegen zwar Interpretationen der als Parallelquellen gedeuteten Zeugnisse bei Plutarch (Sansone 1980) und Curtius (Atkinson 1994) vor, die jedoch noch nicht in Verbindung mit dem Symbolgehalt der Arrianstelle analysiert wurden. 11. Arr. an. 1 Prooemium. Vgl. Berve 1926, 334-335. 12. Vgl. Errington 1969.

Ptolemaios und das Ölwunder (Arr. an. 4,15,7-8)

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Teilnahme an Alexanders Eroberungszügen und seine Nähe zu ihm – zwei primäre Legitimationsfaktoren der Diadochen –

13 zu betonen. Sollte er in der Endphase seiner

Regierung geschrieben haben, wie mehrheitlich angenommen wird,14

spielte sicherlich zudem die dynastische Sicherung und Legitimation seiner Nachfolge – mit seinem jüngeren Sohn Ptolemaios II. als designiertem Kandidaten – eine Rolle.

15

Ptolemaios’ literarische Überhöhung Alexanders stand im Einklang mit seiner Politik, sein Herrschaftsgebiet zum ideologischen und kulturellen Mittelpunkt der makedonisch beherrschten Welt zu stilisieren. Es war ihm gelungen, die wichtigste Reliquie der frühen Diadochenzeit, Alexanders für den Transport nach Aigai mumifizierte Leiche, in Syrien abzufangen. Gemäß Diodor ließ er sie auf makedonische Weise – wohl nach makedonischem Zeremoniell oder in einem Klinengrab – in Memphis bestatten.

16 Die Grablegung des Argeadenherrschers

übernahm traditionell dessen Amtsnachfolger;17

Ptolemaios rückte sich somit ins rechte Licht.

18 Aufgrund divergierender Quellenaussagen ist umstritten, ob er selbst

oder erst Ptolemaios II. die Mumie nach Alexandria überführen ließ.19

In jedem Fall wurde der tote Alexander unter Ptolemaios I. in der Residenz nicht nur als ktistes, sondern auch in einem separaten griechischen Alexanderkult verehrt.

20 Die verklärte

idealisierte Erinnerung an ihn, wie Ptolemaios’ Sprachregelung sie vorgab – eine Kunstfigur aus Zügen von Achilles, Dionysos als Eroberer des Ostens und Herakles,

21

13. Vgl. Müller 2011(c), 162-163. 14. Wann Ptolemaios indes mit dem Schreiben begann, muss ungeklärt bleiben. Zur Übersicht über Positionen der jüngeren und älteren Forschung vgl. Ellis 2002, 17; Pearson 1960, 193. Teilweise wird vermutet, dass er als Reaktion auf Kleitarchos geschrieben habe. Dessen Schrift wird frühestens in die Spanne 312/10-308 v. Chr. datiert. Vgl. Zambrini 2007, 216; Baynham 2003, 11. Allerdings ist zu bedenken, dass Kleitarchos unter Ptolemaios in Alexandria schrieb, daher wohl kaum Inhalte vertrat, die der Politik Ptolemaios’ diametral gegenüberstanden, sondern eher versucht haben wird, dies zu vermeiden und sich vielmehr an seiner Sprachregelung zu orientieren. 15. Ptolemaios I., der polygam gelebt hatte, hatte noch andere Söhne, von denen sich vor allem Ptolemaios Keraunos Hoffnungen auf den Thron gemacht hatte und in Alexandria offenbar auch eine faction am Hof besaß, die ihn unterstützte (Diog. Laert. 5,78-79). Um seinen Ambitionen entgegenzuwirken, hatte Ptolemaios I. seinen Wunschkandidaten Ptolemaios II. 285 v. Chr. bereits zu seinem Mitregenten erhoben (Porphyrios FGrHist 260 F 2,2-3; Paus. 1,6,8; Just. 16,2,7-9; Nep. 21,3,4). Dennoch sah dieser sich bei seiner Thronbesteigung 282 v. Chr. mit der Konkurrenz seiner Halbbrüder konfrontiert (Paus. 1,7,1). Vgl. Müller 2009, 29-32, 105-111. 16. Diod. 18,28,4-5. Vgl. Alonso 2009, 277, m. A. 5; Wirth 1959, 1610. Zur Entführung und Bestattung der Mumie durch Ptolemaios: Paus. 1,6,1-3; Curt. 10,10,20; Ael. VH 12,64; Strab. 17,1,8; Arr. Succ. 25; Just. 13,4,6; Ps-Kall. 3,34,5; Marmor Parium FGrHist 239 B 11. 17. Vgl. Erskine 1995, 41. 18. Vgl. Müller 2008, 17. 19. Gemäß Diod. 18,28,3-4 und Strab. 17,1,8 war es Ptolemaios I., gemäß Paus. 1,6,3 Ptolemaios II. Vgl. Müller 2009, 248-249, m. A. 611; Ellis 2002, 29, 34-35. 20. Vgl. Müller 2009, 247-248; Müller 2008, 17; Hölbl 1994, 87. Das Amt des Priesters wurde hochkarätig mit Ptolemaios’ Bruder Menelaos besetzt. 21. Sie galten als erster und zweiter mythischer Eroberer des Ostens: Arr. Ind. 1,4-8, 5,8, 7,5-9, 9,10.

Sabine Müller

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versehen mit makedonischen Herrschaftsidealen – wurde am Ptolemäerhof unter seinen Nachfolgern weitergeführt.

22

In der Diadochenzeit, in der Alexanders memoria sowohl im positiven als auch im negativen Sinn entscheidend geprägt wurde,

23 war Ptolemaios offenbar bemüht,

den sicherlich bereits zu Alexanders Lebzeiten von oppositionellen makedonischen Kreisen und griechischen Kritikern auf ihn übertragenen Tyrannentopoi entgegenzuwirken. Sie hatten das Stereotyp des durch seine Siege und vermeintliche östliche Dekadenz korrumpierten Gewaltherrschers vorgeprägt, der sich in Hybris den makedonischen nomoi entfremdet und Maßlosigkeit in allen Belangen – Politik, Selbsteinschätzung, Lebensführung, Sexualleben, Ess-, Trink- und Schlafgewohnheiten – entwickelt habe.

24 Auch wenn Arrian, der seine

Alexandergeschichte in der Zweiten Sophistik schrieb, seinen eigenen Beitrag zur (Über-)Formung seines Porträts leistete, als er sein Alexanderbild mit Idealzügen eines römischen Kaisers seiner eigenen Zeit anreicherte,

25 lassen sich in seiner

Anabasis Alexandrou noch die Konturen von Ptolemaios’ Alexanderporträt erkennen:

26 Er setzte dem Tyrannenstereotyp ein idealisiertes, abstraktes Gegenbild

entgegen. In diesem Zug geriet Ptolemaios’ Alexander zu einer nicht minder lebensfernen Kunstfigur in Superlativen: ein überragender, tapferer, aufopferungsvoller Feldherr und gerechter, umgänglicher, den Göttern gegenüber pietätvoller Herrscher von philosophischer Mäßigung.

27 Prekäre Episoden, die

Ptolemaios’ geschöntes Alexanderporträt beeinträchtigen konnten – die Eliminierungen von Führungspersonen und militärische Debakel – wurden

22. Dies zeigt etwa Alexanders Verherrlichung in der höfischen Dichtung: So glorifizierte Theokritos ihn als olympischen Tafelnachbarn des Herakles (17,15-20) und Poseidippos als göttlich beschirmten tapferen Feldherrn, der homerisches Feuer im Blick gehabt habe (Ep. AB 65, Z. 2). In der pompé Ptolemaios’ II. spielte er eine wichtige Rolle (Athen. 5,201 D). Vgl. Müller 2009, 199-202. 23. Vgl. Wirth 1993(b), 10-12; Wirth 1990; Wirth 1989. Je nachdem, ob es politisch opportun erschien, sich auf Alexander zu berufen, zumindest in eklezistischer Weise, oder partiell von ihm abzugrenzen wie etwa im Fall von Kassander. Vgl. Wirth 1993(b), 10-11; Wirth 1990, 206-210. 24. Dieses Tyrannenbild ist etwa sichtbar bei Arr. an. 4,14,2-3; Curt. 5,1,36-39; 6,2,1-4. 6,1-9; Ephippos, FGrHist 125, F 5 (Athen. 12,538 A). Phobos-Motiv (zur Tyrannenfurcht: Aristot. Pol. 1313 A-1314 A; Plat. Polit. 579 B; Xen. Hier. 6,4-8): Plut. Alex. 50-51, 75,1-2; Curt. 6,2,2-4, 8,1,22-52. Trunksucht: Curt. 5,7,1-11, 9,10,28-29; Ael. VH 2,41, 12,26; Menander, Der Schmeichler, F 2; Athen. 10,436 F-437 B; Plut. Alex. 23,4, 70,1; Arr. an. 4,14,2. Sexuelle Unmäßigkeit und Depravation: Curt. 6,2,1-4. 5,23. 6,8, 7,9,19, 8,4,24-30, 10,1,25-29; Epiktet. 2,22,17; Athen. 13,603 A; Just. 12,12,11; Luk. DM 14,4; Calumn. 17; Götterfrevel: Epikt. 2,22,17. Grausamkeit und Ungerechtigkeit: Arr. an. 4,14,2-3, 7,4,3; Plut. Alex. 11,5-6, 74,1-4; Just. 11,4,7, 12,5,1-2; Ephippos, FGrHist 125, F 5 (Athen. 12,538 A); Curt. 4,6,26-30; 6,5,19-21. 8,1-11,7; 8,1,49-52. 8,21-9,1; 9,10,28-29; Luk. DM 12,3; Liv. 9,18,4-5. Streben nach eigener Göttlichkeit: Arr. an. 4,9,9; Curt. 4,7,8-29, 6,6,1-3; Just. 11,11,1-8; Luk. DM 13,2, 13,1, 14,1; Val. Max. 9,5, ext.1. Siehe auch Wardman 1955, 96. 25. Gegen: Pearson 1960, 188. 26. Vgl. Wirth 1964, 212, 223. Zur Selbstdarstellung Arrians durch sein Thema: Wirth 1993(b), 15. 27. Erkennbar bei Arr. an. 7,28,1-4.

Ptolemaios und das Ölwunder (Arr. an. 4,15,7-8)

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retuschiert, Alexander wurde entschuldigt und die Verantwortung anderen angelastet.

28

Um sein artifizielles Alexanderideal aufrechterhalten zu können, betonte Ptolemaios mit panhellenischer Färbung besonders den Aspekt der militärischen Erfolge: Alexander als Sieger über persische und indische Ethnien. Dies ergab nicht nur zur Zeit seiner – wenig erfolgreichen –

29 Hellaskampagne politischen Sinn; auch

unter seinem Nachfolger Ptolemaios II. wurde die panhellenische Sprachregelung als Teil der Repräsentation gegenüber Griechenland aufrechterhalten und in glorifizierender Weise an die Hellaspolitik seines Vaters erinnert.

30

Dagegen ließ Ptolemaios Alexanders achaimenidisch orientierte Vielvölkerreichspolitik und Herrschaftsrepräsentation, die durch die Eroberungen zwangsläufig nötig geworden war, strategisch im Hintergrund, weil sie zu viel Kritik in makedonischen Führungskreisen erzeugt hatte.

31 Damit offenbart sich eine Kluft

zwischen Ptolemaios als Historiograph und Ptolemaios als Realpolitiker: In Ägypten berücksichtigte er nicht minder den multi-ethnischen Charakter seines Reichs, operierte je nach Kultur seiner heterogenen Rezipienten mit unterschiedlichen Schauseiten seiner Repräsentation und respektierte indigene Traditionen.

32

Die perserfeindliche Tendenz in den Fragmenten seiner Alexandergeschichte33

war erstens Teil der griechischen historiographischen literarischen Tradition, in die er sich stellte, und wird zweitens als doppelter Tribut an konservative makedonisch-griechische Kreise und integrierte ägyptische Führungspersonen (etwa Manetho) zu werten sein.

34 In Ägypten hatte sich seit den Eroberungen durch die Großkönige seit

525 v. Chr. ein genereller Unmut gegenüber den Persern entwickelt.35

28. Philotas und Parmenion: Arr. an. 3,26,1-4; Kallisthenes: Arr. an. 4,14,1-3; Mallerstadt: Arr. an. 6,9-10. Vgl. Ellis 2002, 17; Pearson 1960, 210. 29. Diod. 20,37,1-2. 30. Dies ist etwa sichtbar anhand des Bildprogramms eines Zugteils seiner großen pompé in Alexandria: Dort wurden Personifizierungen der "befreiten" ionischen Griechenstädte und Korinths zusammen mit Statuen von Alexander und Ptolemaios gezeigt (Athen. 5,201 D-E). Vgl. Müller 2009, 187-188, 200; Rice 1983, 102-107, 191. Siehe auch Ellis 2002, 60. 31. Teilweise wird vermutet, dass er selbst trotz seiner Vertrauensstellung bei Alexander nicht alle Neuerungen befürwortet hatte, auch nicht seine Verheiratung mit der persischen Adligen Artakama in Susa 324 (Arr. an. 7,6,2-3), vgl. Heckel 2009, 56; Braund 2003, 24; Ellis 2002, 15. Inwieweit Ptolemaios persönliche Ressentiments gegen die Perser hegte, wie Curt. 10,6,13-14 anklingen lässt, lässt sich indes nicht sagen. 32. Vgl. Hölbl 1994, 27-31, 75-82. 33. Vgl. Müller 2011(a), 107-108; Böhm 2009, 179-180. 34. Dabei werden die makedonischen adligen factions sich weniger an den persischen adaptierten Formen gestört haben. Auch wenn die griechisch-römische Literatur dies aus einer perspektivisch verengten Außensicht anders darstellt, war der makedonische Hof seit der persischen Oberhoheit ab circa 510 v. Chr. achaimenidisch beeinflusst. Vieles war der makedonischen Führungsschicht daher bekannt, zumal auch noch unter Philipp II. persische Adlige in Pella weilten. Von einem kulturellen Austausch seit Amyntas I. und Alexander I. ist auszugehen. Was die makedonischen Adelsfamilien unter Alexander III. alarmierte, war daher nicht Alexanders Adaption persischer Repräsentationsformen, sondern die Ausweitung seiner Herrscherposition vom ursprünglichen Konzept des primus inter pares zum Autokraten, die auf

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Ptolemaios kannte Alexander vielleicht von Jugend an, mag mit ihm am Hof aufgewachsen und nicht nur ein politischer philos, sondern ein persönlicher Freund gewesen sein, der als sein Vertrauter in die höchsten Führungskreise aufstieg.

36

Gerade von Ptolemaios hätte man daher ein weniger stilisiertes, blutleeres, lebensfernes Alexanderporträt erwartet: Doch die zwischenmenschliche Komponente, die Perspektive des persönlichen Freundes, fehlt.

37 Stattdessen beschreibt er

Alexander in abstrakter Weise als ein Gegenmodell zum griechischen Tyrannenbild. Fern von Realitätsnähe und Glaubwürdigkeit erscheint Ptolemaios’ Alexander daher als überlebensgroßes Ideal und weiteres Kunstbild. Dieser artifizielle Charakter lässt sich am ehesten mit der legitimatorischen Tendenz von Ptolemaios’ Schrift erklären: Anscheinend taugte Alexander, wie er ihn selbst erlebt hatte und sich an ihn erinnerte, nicht für seine politischen Zwecke. Daher musste er sich einen "neuen", eigenen, realitätsfernen Alexander schaffen.

Wie kaum anders zu erwarten kommt in Ptolemaios’ Schrift auch seine eigene Person nicht zu kurz. Curtius, der das Werk kannte,

38 charakterisiert Ptolemaios’

Methode der Selbststilisierung treffend: "scilicet gloriae suae non refragatus" (er neigte nicht dazu, seinen Ruhm zu verdunkeln).

39 So scheint Ptolemaios sich bei

markanten Geschehnissen des Alexanderzugs häufig in tragender Rolle dargestellt zu haben: an den Persischen Pässen, bei Bessos’ Gefangennahme, der Meldung über das von Hermolaos geplante Attentat, der Bezwingung der indischen Aspasier und bei Arigaion, und der Erstürmung des Aornos-Felsens.

40 Dabei schmälerte Ptolemaios

keineswegs den Ruhm seines Legitimationsgenerators Alexander, sondern stilisierte sich zu seiner rechten Hand und zum geeigneten Nachfolger,

41 ähnlich einer

Entwicklungsgeschichte, die seine persönliche Befähigung und göttliche Prädestination zur Herrschaft nachzeichnete.

Kosten des adligen politischen Einflusses ging. Als Stein des Anstoßes wurde in Kreisen der Opposition aber vermutlich dennoch pauschal von einer Wandlung Alexanders zum "Perserkönig" gesprochen. 35. Vgl. Müller 2009, 313-314; Vittmann 2003, 120-154. 36. Arr. an. 6,28,4; Plut. Alex. 10,2-3. Vgl. Heckel 2009, 235; Heckel 1992, 222. 37. Von Berve 1926, 334 recht euphemistisch als "kluge Zurückhaltung" gedeutet. Siehe auch Pearson 1960, 192, 210-211, der allerdings wenig überzeugend folgert, Ptolemaios habe Alexander nicht für seine politische Legitimation gebraucht. Siehe dagegen Lianou 2010, 125-128. 38. Es ist indes umstritten, in welcher Form, ob nur aus zweiter Hand oder direkt. Vgl. Pearson 1960, 190. Allerdings erscheint das Argument, dass die fehlenden expliziten Zitationen unwahrscheinlich machten, dass er es selbst eingesehen habe, nicht überzeugend. Es spricht nichts dagegen, dass Curtius Ptolemaios’ Schrift kannte und benutzte. 39. Curt. 9,5,21. 40. Persische Pässe: Arr. an. 3,18,9. Im Gegensatz zur Version bei Polyain. 4,3,27 mit Hephaistion und Philotas im Fokus. Vgl. Heckel 2009, 236, 336, A. 643; Bosworth 1980, 328; Berve 1926, 170. Bessos: Arr. an. 3,29,7-30,5 (im leichten Gegensatz zu Aristobulos’ Version). Vgl. Heckel 2009, 236; Ellis 2002, 11. Hermolaos: Arr. an. 4,13,7. Im Unterschied zu Curt. 8,6,22. Heckel 1992, 225, m. A. 51 vermutet, Ptolemaios habe Leonnatos bewusst nicht erwähnt. Aspasier und bei Arigaion: Arr. an. 4,24,3-5. 8-25,4. Aornos: Arr. an. 4,29. Vgl. Howe 2008, 227-228; Ellis 2002, 12; Berve 1926, 331. 41. Vgl. Howe 2008, 215-216.

Ptolemaios und das Ölwunder (Arr. an. 4,15,7-8)

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Zu Ptolemaios’ literarischen Stilmitteln scheint dabei ebenfalls zu gehören, dass er in besonders prekären Situationen nicht dabei gewesen sein will.

42 So betont er im

Bericht zur verunglückten Belagerung der Stadt der Malloi, die mit Disziplinlosigkeit der Truppen einherging und Alexander fast das Leben kostete, im Widerspruch zu anderen Quellen,

43 er sei nicht beteiligt gewesen, da er "eine eigene Heerestruppe

angeführt habe, mit der er gegen andere Barbaren gekämpft habe."44

Diese äußerst vage Angabe erscheint untypisch für Ptolemaios, der sonst Einheiten, Aufträge und Operationsorte genau benennt, besonders, wenn es um seine eigenen ging.

45 Das

erweckt den Verdacht, dass es eine spätere Ausrede war, um sich von dem militärischen Debakel zu distanzieren.

46 Darauf könnte auch die Abwesenheit von

Hephaistion in Ptolemaios’ Bericht hinweisen. Da beide zu den führenden Offizieren im Indienfeldzug gehörten,

47 erscheint ihr Fehlen bei der schwierigen Belagerung

zumindest als merkwürdig. Laut Arrian seien sie in einem Abstand von mehreren Tagen vorgerückt, um etwaige Flüchtlinge aus dem Mallergebiet abfangen zu können.

48

Überdies glänzen beide in Ptolemaios’ Bericht offenbar bei einigen innenpolitischen Problemsituationen mit Abwesenheit.

49 Dies könnte damit

zusammenhängen, dass Ptolemaios sich nicht potentiellen Vorwürfen aussetzen

42. Vgl. Müller 2011(b), 444. 43. Arr. an. 6,11,8; Curt. 9,5,21. Es handelt sich in Curtius’ Fall um Kleitarchos und Timagenes, deren Glaubwürdigkeit indes nicht allzu hoch eingeschätzt wird. Dennoch könnte diese Information zutreffen. 44. Arr. an. 6,11,8. Bei Curt. 9,5,21 heißt es: Er sei auf eine Mission geschickt worden (missum in expeditionem). 45. Vgl. Pearson 1960, 191. 46. Vgl. Müller 2003, 191-192. Dafür spricht zudem, dass Perdikkas eine Teilschuld am Disaster zugeschrieben wird (Arr. an. 6,6,4-6. 9,1-2). Ihm schreibt Ptolemaios mehrfach Inkompetenz als militärische Führungskraft zu. Vgl. dazu auch Errington 1969, 239. 47. Hephaistion, der auf dem Rückweg stets den Hauptteil der Truppen anführte, gilt teilweise als Verantwortlicher für das misslungene Unternehmen bei den Malloi, vgl. Wirth 1993(a), 346, A. 300. Ptolemaios mag aber ebenso in einer leitenden Position gewesen sein. Zum unspezifischen Charakter von Arrians Bericht der Belagerung der Stadt der Malloi, vgl. Pearson 1960, 208. Auch bezüglich des problematischen Zugs durch die Gedrosische Wüste, bei dem Hephaistion einer der Kommandeure war (Arr. an. 6,22,3), verliert Ptolemaios anscheinend kein Wort mehr über ihn. Ellis 2002, 13 vermutet sogar, dass Ptolemaios ebenfalls dabei gewesen war. In diesem Fall würde sein Schweigen durchaus dem Muster entsprechen und ins Bild passen. 48. Arr. an. 6,5,5. 49. Ebenso verwunderlich erscheint das offenbare Fehlen von Ptolemaios und Hephaistion bei den in weiten makedonischen Kreisen negativ aufgenommenen Ereignissen wie Alexanders Hochzeit mit Roxane (Curt. 8,4,24-30; Arr. an. 4,19,5-6) und dem Mord an Kleitos, für den Aristobulos (Arr. an. 4,8,9) indes Ptolemaios’ Anwesenheit bezeugt. Siehe auch Curt. 7,1,45-46. Vgl. Berve 1926, 331. Da Arrian Perdikkas und Ptolemaios beide als kurzfristige Streitschlichter nennt, ist es unwahrscheinlich, dass er sich dabei auf Ptolemaios bezieht. Seinen Gegner in den Diadochenkriegen, Perdikkas, stellte Ptolemaios wie erwähnt nicht besonders positiv dar. Es könnte sich wiederum um Ptolemaios’ literarische Strategie handeln, seine und Hephaistions Anwesenheit zu verschweigen. Vgl. Müller 2011(b), 444. Siehe auch Heckel 2009, 236.

Sabine Müller

[182]

wollte, dass er und Hephaistion als Alexanders engste Freunde ihn nicht besser beraten oder von seinen umstrittenen Taten abgehalten hatten.

Von seinen Mit-Offizieren scheint Hephaistion ohnehin eine Sonderrolle in Ptolemaios’ Schrift gespielt zu haben. Ptolemaios lässt Perdikkas nicht sonderlich gut aussehen.

50 Antigonos, Lysimachos und Seleukos rückt er so in den Hintergrund, dass

der Eindruck entsteht, sie seien aus dem Nichts gekommen und hätten unter Alexander nichts Nennenswertes geleistet. Dagegen bewahrt Ptolemaios ein positives Gedenken an Hephaistion und versucht nicht, seine Bedeutung im Alexanderreich und für Alexander zu verschleiern. Obwohl Hephaistion durch seinen frühen Tod 324 v. Chr. nie ein Rivale um Alexanders Erbe wurde – seine memoria demnach nur insofern politisch relevant werden konnte, wenn man sie eigens dafür instrumentalisierte –, nahm Ptolemaios ihn gegen Vorwürfe von Unfähigkeit oder Opportunismus in Schutz. Der propagandistische Gewinn daraus war wohl gering. Zwar bestand im kulturellen Gedächtnis eine Verbindung zwischen Alexander und Hephaistion, aber Ptolemaios hätte sich damit begnügen können, darauf hinzuweisen, dass sie Vertraute gewesen waren. Offenbar geht er aber darüber hinaus und bewahrt Hephaistion vor dem Image des schlechten Ratgebers. Seine Gründe mögen persönlicher Natur gewesen sein. So ist anzunehmen, dass beide sehr gut befreundet gewesen waren, Ptolemaios sich auch über Hephaistions frühen Tod hinaus loyal zeigte und ihm ein positives Denkmal setzen wollte.

51 Allerdings hatte diese loyale,

vielleicht auch ein wenig sentimentale Freundesliebe Grenzen, die durch Ptolemaios’ Selbststilisierung gesetzt waren: Ptolemaios rangierte in seiner Bedeutung für Alexander neben und teilweise auch über Hephaistion; er ließ sich von keinem Offizier in den Schatten stellen.

52 Anscheinend beschrieb er Hephaistion mehr als

50. Arr. an. 1,8,1. 21,1-3. Vgl. Bosworth 1980, 311-312; Atkinson 1980, 454; Errington 1969, 237-242; Berve 1926, 335. Dagegen siehe Roisman 1984, 375-385. Akzeptiert von Ellis 2002, 21. 51. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang, dass der ungewöhnliche Name Hephaistion im ptolemäischen Ägypten offenbar in der Bevölkerung kursierte (Sel. Pap. I 97). 52. Dies zeigt sich vermutlich auch anhand der Schilderung seines Aufstiegs nach der Beseitigung von Parmenion und Philotas, in deren Kontext der somatophylax Demetrios hingerichtet wurde, dessen frei gewordenen Eliteposten Ptolemaios bekam (Arr. an. 3,27,5). Auch führte er ab 329 drei Hipparchien der Hetairenreiterei und Philotas’ Pezhetairentaxis an. Vgl. Berve 1926, 330. Bei Arr. an. 3,27,4 sind jedoch nur Hephaistion und Kleitos als neue Hipparchen unmittelbare Nutznießer von Philotas’ Sturz. Dabei betont Ptolemaios offenbar, dass Alexander die Hipparchie nicht wegen Hephaistions Unerfahrenheit mit hohen militärischen Posten, fehlender Autorität bei den Truppen oder mangelnden Qualifikationen teilte, sondern einzig aufgrund der schlechten Erfahrung mit Philotas. Dies mag der offiziellen Version entsprochen haben. Der wahre Grund war vermutlich, dass Hephaistion zwar Alexanders volles Vertrauen genoss, nicht jedoch das von Philotas’ ohnehin wohl aufgebrachten Elitetruppen. So verhinderte Alexander vermutlich ein Autoritätsproblem Hephaistions, indem er ihm, auch zur Beschwichtigung von factions um Philipps einstige Führungsleute, Kleitos zur Seite stellte. Rettete Ptolemaios Hephaistions Ehre, war er noch mehr darum bemüht, den – zutreffenden – Verdacht zu zerstreuen, er habe ebenfalls von Philotas’ Tod profitiert. Während Curt. 6,11,35-38 Demetrios’ Hinrichtung in einem Zug mit der Philotas-Affäre nennt, ist sie bei Arr. an. 3,27,5 als "Nachklapp" zeitlich vom Kernbericht getrennt, was Ptolemaios nicht als unmittelbaren Nutznießer erscheinen lässt.

Ptolemaios und das Ölwunder (Arr. an. 4,15,7-8)

[183]

Alexanders zweiten Mann im Bereich Organisation und Logistik, sich selbst als Alexanders rechte Hand auf dem militärisch-kriegerischen Gebiet. Sein Publikum hätte diese kämpferische Expertise eher als monarchische Qualität betrachtet; in den makedonischen Strukturen musste sich der Herrscher durch Schlachtenerfolge profilieren und legitimieren.

53

Vor dem erörterten Hintergrund der legitimatorischen Tendenzen von Ptolemaios’ Schrift ist somit wahrscheinlich, dass der Episode über das Ölwunder mit ihm in tragender Rolle ein symbolischer Gehalt zugrunde liegt.

54

Kallisthenes und das Motiv des Quellwunders Das Motiv der Quelle, die bei Alexanders Ankunft zu sprudeln beginnt, findet

sich bei Kallisthenes, Alexanders Hofhistoriographen. Ein erstes Beispiel ist vermutlich das im Kontext der Einnahme Lykiens nach der Schlacht am Granikos 334 v. Chr. verortete Quellwunder:

55 "Es gibt in Lykien bei der Stadt Xanthos eine Quelle,

die, wie gesagt wird, zu dieser Zeit von selbst aus der Tiefe zu sprudeln begann und überfloss. Dabei wurde eine Bronzetafel mit uralten Schriftzeichen zutage gefördert, mit denen verkündet wurde, dass die Herrschaft der Perser von einem Hellenen beendet werden würde."

56

Plutarchs Begriff automatos für die plötzlich aufsprudelnde Quelle "is used for phenomena for which there is no visible cause",

57 oft kombiniert mit dem

schicksalshaften Wirken der Tyche. In dieser Episode dient das Quellwunder dazu, Alexander als prädestinierten Heilskönig darzustellen, dessen vorbestimmte Ankunft von der Natur, Abbild der göttlich eingerichteten Ordnung, begrüßt wurde. Gemäß der Logik dieser Narrative war die göttliche Ordnung unter persischer Herrschaft gestört worden.

Kallisthenes hatte guten Grund, im offiziellen Bericht Alexanders Prädestination zu betonen, denn die Realität sah anders aus: Die Eroberung der ionischen Städte war teilweise schwierig; vielfach zeigten sich die Ionier von der panhellenisch kolorierten makedonischen Propaganda ihrer angeblichen Befreiung vom "persischen Joch" nicht überzeugt. Insbesondere Milet und Herodots Heimatstadt Halikarnassos leisteten hartnäckigen Widerstand gegen den selbst ernannten Heilsbringer aus Pella.

58 Die

"Befreiung" vollzog sich daher nur unter erheblichem Blutvergießen. Vermutlich diente Kallisthenes’ Bericht über das Quellwunder bei Xanthos zur Retuschierung der wenig geglückten makedonischen Retterpose in Ionien vor der griechischen Öffentlichkeit.

53. Vgl. Müller 2011(c), 159-162. 54. Nicht ohne Grund lautet eine These, seine Rolle bei der Übermittlung der Botschaft vom Ölfund sei seine eigene Erfindung. Vgl. Heckel 2009, 236. Dagegen vgl. Berve 1926, 331, der an die Historizität der Geschichte glaubt. Ebenso Ellis 2002, 11-12, der sämtliche Versionen zu einer Narrative verbindet. 55. Zu Kallisthenes als Autor der Episode vgl. Will 2009, 28. 56. Plut. Alex. 17,2. 57. Gow 1950, 376. Vgl. Hamilton 1969, 43. 58. Strab. 14,1,7. Vgl. Hamilton 1969, 43.

Sabine Müller

[184]

Zudem ist zu überlegen, inwieweit auch das Motiv der Übergabe von Erde und Wasser hineinspielte. Dieser Gestus erfolgte bei der Unterwerfung unter die persische Hoheit. Griechische Städte – nicht zuletzt Athen 507/6 v. Chr. – und der makedonische Herrscher Amyntas I. um 510 v. Chr. hatten persischen Gesandten Erde und Wasser gegeben.

59 Literarisch war der griechisch-makedonischen Welt dieser

formale Gestus durch Herodot bekannt.60

In der Symbolik umstritten, wird die Gabe teilweise als Grundlage für weitere Verhandlungen gedeutet,

61 zumeist jedoch als

Übergabe der Kontrolle über Land und Wasser – Flüsse, Seen, Brunnen, Zisternen, Quellen – an den Perserkönig.

62 In diesem Sinne würde das Aufsprudeln der Quelle

bei Alexanders Erscheinen ein Äquivalent und Komplement zu seiner Landnahme darstellen und ihn als legitimen Herrscher über das Perserreich ausweisen, dies bereits in Anlehnung an die achaimenidische Herrschaftstradition. Kallisthenes hatte in vergleichbarer Weise im Kontext von Alexanders Zug entlang der Pamphylischen Küste das Meer eine Proskynese vor ihm vollziehen lassen und so an die Begrüßungszeremonien vor dem persischen Großkönig erinnert.

63

Eng verwandt mit dem Motiv, wonach bei Alexanders Ankunft eine versiegte Quelle zu sprudeln begann und ihn als siegreichen Heilsbringer auswies,

64 ist das

Motiv des verstummten Orakels, das bei seinem Eintreffen wieder zu sprechen anfängt. Kallisthenes operierte damit im Fall des berühmten Apollonorakels von Didyma bei Milet; abermals ist auch eine plötzlich aufsprudelnde Quelle im Spiel.

65

Ebenso wie das Ölwunder trug sich der Vorfall vor dem Hintergrund des sogdisch-baktrischen Aufstands zu.

66 In Sogdien statuierte Alexander vermutlich ein drohendes

Exempel an die Adresse der Aufständischen, indem er die Branchiden, Priester des Apollontempels von Didyma,

67 töten ließ. Kallisthenes gestaltete daraus jedoch eine

panhellenisch motivierte späte Rache, weil die Vorfahren der Branchiden in den Perserkriegen angeblich die Orakelschätze an Xerxes ausgeliefert und Milet verraten hätten.

68 Diese chronologisch unstimmige Propaganda widerspricht Herodots Zeugnis

59. Zu Athen vgl. Wiesehöfer 1999, 30. Zu Amyntas I. siehe Hdt. 5,18; Just. 7,4,1. Vgl. Müller 2011(a), 111; Olbrycht 2010, 343-344; Wiesehöfer 1999, 30; Kuhrt 1988, 91. 60. Hdt. 6,48,2. 49,1; 7,131. 133,1. 138,2. 61. Vgl. Kuhrt 1988, 87-99. 62. Vgl. Keaveney 1996, 39. 63. Kallisthenes FGrHist 124 F 31. Vgl. Plut Alex. 17,3-4. Vgl. Will 2009, 28-29; Hamilton 1969, 44; Mederer 1936, 3-4, der eine bewusste Parallele zu Xen. An. 1,4,18 vermutet. 64. Von Göttern begünstigte Personen erlebten in der antiken Darstellung oft Wunderzeichen, die mit Wasser in Gestalt von Quellen, Flüssen, Seen und Meer zu tun hatten, vgl. Mederer 1936, 6. 65. Strab. 17,1,43. Er kritisiert dabei Kallisthenes. Strabons Haltung zu den Alexanderhistoriographen ist allgemein kritisch: Er beurteilt sie als Schmeichler und Geschichtenerzähler (11,6,4. 7,4, 15,1,5). 66. Curt. 7,5,13 verortet die Episode kurz nach Alexanders Erreichen des Oxos. 67. Strab. 11,11,4. Geht man davon aus, dass der Vorfall historisch war, ist anzunehmen, dass die Branchiden, die Einfluss auf die öffentliche Meinung hatten, sich nicht unbedingt makedonienfreundlich im Kontext der Revolte gezeigt hatten. 68. Strab. 11,11,4, 17,1,43; Curt. 7,5,28-35.

Ptolemaios und das Ölwunder (Arr. an. 4,15,7-8)

[185]

und zeigt, dass Kallisthenes auch vor Geschichtsfälschung nicht zurückschreckte.69

Obwohl der als panhellenisch deklarierte Teil des Feldzugs offiziell mit der Entlassung der griechischen Truppenteile im Sommer 330 geendet hatte,

70 operierte

er weiterhin mit panhellenischen Motiven, vielleicht besonders zur literarischen Kaschierung der makedonischen Schwierigkeiten in Sogdien und Baktrien.

Kallisthenes zufolge verließ Apollon aufgrund des Frevels in den Perserkriegen das Orakel und die Quelle versiegte. Bei Alexanders Ankunft sprudelte sie jedoch wieder auf; zeitgleich begann das Orakel erneut zu sprechen. Passenderweise waren die ersten Orakelsprüche Verheißungen über Alexanders zukünftige Siege und seine Abstammung von Zeus.

71

Auch dem Quellwunder bei Arrian folgt eine Weissagung über Alexanders anstehenden kriegerischen Erfolg. Die Parallele zum Quellwunder bei Xanthos und bei Milet ist deutlich. Allen drei Fällen liegt folgendes Muster zugrunde: Alexander trifft ein, eine Quelle beginnt plötzlich zu sprudeln, es folgt eine Prophezeiung über seine künftigen Siege gegen die Perser. Da die Quellwunder-Episoden bei Milet und Xanthos wohl beide von Kallisthenes stammen, ist möglich, dass er dieses Motiv noch einmal verwendete und auch die ursprüngliche Version des Ölwunders verfasste, die demnach bereits Alexander verbreiten ließ.

72 Es würde sich um eine der letzten

fassbaren Spuren von Kallisthenes’ Hofgeschichtsschreibung vor seiner Beseitigung 327 v. Chr. handeln.

73 Ptolemaios brachte wohl seine persönliche Note ein, indem er

seine Übermittlerrolle betonte oder vielleicht erst hinzufügte. Bei Plutarch finden sich zwei parallele Überlieferungen. In Babylonien staunten

die Makedonen über eine Erdspalte, aus der Feuer und naphtha, das Asphalt ähnelte, quoll.

74 Einige Babylonier demonstrierten Alexander die Wirkung des leicht

entflammbaren naphtha, indem sie den Weg zu seinem Quartier damit besprengten und es bei Einbruch der Dunkelheit anzündeten, so dass die Flammen Licht spendeten. Während die einheimische Bevölkerung den Umgang mit der ihr

69. Hdt. 6,19,1-3. Demnach war es kein Verrat; das Orakel wurde von den Persern bei der Eroberung der Stadt geplündert und niedergebrannt. Kallisthenes war sicherlich mit Herodots Version vertraut, ebenso wohl mit Phrynichos’ Stück über die Eroberung Milets durch Dareios I. (Strab. 14,1,7). Der Fall Milets trug sich 494 v. Chr. zu, in dessen Regierungszeit. Kallisthenes verlagerte die Episode vermutlich in die Herrschaft seines Nachfolgers Xerxes, weil dieser in panhellenischer Propaganda als Erzbösewicht und Tempelschänder schlechthin galt. Vgl. Müller 2011(a), 127-128. 70. Arr. an. 3,19,5-6. 71. Strab. 17,1,43. Seleukos machte sich später um das Orakel verdient: OGIS 214; Paus. 1,16,3, 8,46,3; App. Syr. 56. Apollon galt seit Antiochos I. als Stammvater der Seleukiden (Just. 15,4,3-6) und erschien als Standardreversmotiv, sitzend auf dem Omphalos, auf den Silberprägungen. Vgl. Müller 2009(b), 74-75; LeRider, de Callataÿ 2006, 45-49. 72. Ptolemaios scheint sich öfters auf Kallisthenes’ Werk gestützt zu haben als häufig angenommen. 73. Das letzte explizite Fragment stammt aus dem Jahr 329 v. Chr. (Branchidenmassaker: Strab. 11,11,4, 17,1,43; Curt. 7,5,28-35). Hinter der Rechtfertigung von Alexanders Hochzeit mit Roxane 328 v. Chr. bei Ptolemaios und Aristobulos (Arr. an. 4,19,5) könnte auch der offizielle Bericht des Kallisthenes stehen. 74. Plut. Alex. 35,1-2.

Sabine Müller

[186]

vertrauten Ressource beherrschte, verursachte ein athenischer Diener Unheil, indem er einen Sänger mit naphtha beschmierte, anzündete und damit fast umbrachte.

75

David Sansone zufolge diente Plutarch der Exkurs über die ambivalente Natur des naphtha – leicht entflammbar, feurig, ebenso hilfreich wie destruktiv – als Metapher für Alexanders cholerisches Temperament.

76 Wie das naphtha habe Alexander eine

gute Seite besessen, wenn er sich gemäßigt habe, und eine zerstörerische, tyrannische, wenn es ihm an sophrosyne gemangelt habe.

77

In einer zweiten Episode, die 328 am Oxos verortet ist, entdeckte der makedonische Zeltaufseher Proxenos beim Vorbereiten des Stellplatzes für Alexanders Zelt eine Quelle, die so reines, mildes Öl zutage förderte, dass es wie Olivenöl gewesen sei, obwohl es dort gar keine Olivenbäume gegeben habe. Die Seher legten dies als günstiges Zeichen für den Feldzug aus, der zwar ruhmvoll, aber auch voller Mühen sein werde: Die Götter hätten den Menschen das Öl als Linderung für ihre Strapazen geschenkt. Alexander selbst habe in einem Brief an Antipatros freudig davon berichtet: Es sei eins der größten Zeichen gewesen, die ihm die Götter gesandt hätten.

78 Teilweise wird der Brief als authentisch betrachtet,

79 zumal auch Athenaios

einen Brief Alexanders zitiert, in dem er über den Fund einer Quelle mit einer Substanz wie Olivenöl berichtet.

80 Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass die bei

Athenaios erwähnte Quelle in Kleinasien verortet ist und Plutarch überdies mit einer in hellenistischer Zeit verfassten, unhistorischen Sammlung von Briefen gearbeitet haben mochte, so dass generell bei den in seiner Alexandervita zitierten Briefen Skepsis angebracht ist.

81

Strabon zufolge waren es mehrere Leute, deren Namen er nicht nennt, die beim Graben nahe des Ochos eine Ölquelle fanden.

82 Curtius’ Behandlung des bitumen im

Kontext seiner Schilderung von Babylon ist an Herodots Babylonbericht orientiert.83

Er thematisiert in einem anderen Zusammenhang den Fund einer Quelle am Oxos: Es handelt sich indes um eine Wasserquelle, die von Soldaten auf der Suche nach Trinkwasser in Alexanders Zelt gefunden wurde.

84 Mokant fügt er hinzu, die Soldaten

hätten die Quelle beim Graben zu spät bemerkt und deswegen behauptet, sie sei spontan gesprudelt. Dies sei Alexander recht gekommen, weil es wie ein Geschenk der Götter ausgesehen habe. Tatsächlich beinhaltete diese Quelle genau die Flüssigkeit,

75. Plut. Alex. 35,2-5. Bei Strab. 16,1,15 ist es Alexander selbst, der dieses gefährliche Experiment mit dem Bediensteten durchführt. 76. Plut. Alex. 4,3-4. 77. Vgl. Sansone 1980, 63-73. 78. Plut. Alex. 57,4-5. Vgl. Phot. Bibl. 396a 22-34. 79. Vgl. Hammond 1993, 105, m. A. 10. 80. Athen. 2,42 F. 81. Vgl. Pearson 1954, 448-449. 82. Strab. 11,11,5. 83. Vgl. Atkinson 1994, 43. Curtius verweist darauf, dass die Mauern Babylons mit dem Material befestigt wurden (5,1,16). Dies wurde durch archäologische Untersuchungen bestätigt, vgl. Atkinson 1994, 41. Siehe auch Arr. an. 7,17,1, hier mit dem Terminus asphaltos. 84. Curt. 7,10,14. Olbrycht 2012, 10 vermutet, Curtius habe die Ölquelle vergessen zu erwähnen.

Ptolemaios und das Ölwunder (Arr. an. 4,15,7-8)

[187]

die zu der Zeit dringend gebraucht wurde, da der Oxos sich als zu schlammig zum Trinken erwies,

85 war demnach wieder zum Götterzeichen stilisiert.

Es fällt auf, dass Arrian als einziger von einer spontanen Quelle ausgeht, zudem von einer Quelle aus Wasser und aus Öl. Während Plutarch, Strabon und Photios von einer bereits aktiven Ölquelle berichten, findet sich bei Curtius zwar das Phänomen der Initialzündung bei Alexanders Erscheinen, doch handelt es sich um Wasser. Zudem stellt Curtius das spontane Sprudeln in süffisanter Rationalisierung als bloße Ausrede der Soldaten dar, die vertuschen wollten, dass sie nicht sorgfältig genug gearbeitet hatten, und beraubt die Episode damit des Wunderhaften.

Es stellt sich die Frage, ob schon bei Ptolemaios die Kombination von Öl- und Wasserquelle vorlag oder ob er nur von der Ölquelle berichtete. Aufschlussreich scheint, dass die Weissagung des Aristandros sich einzig auf die Ölquelle bezieht. Brian Bosworth sieht in Arrian den Urheber der Verbindung der beiden narrativen Elemente: "Arrian appears to conflate two separate phenomena, the appearance of a spring of water and the discovery of a seapage of petroleum. Both probably occurred, but perhaps not in such close conjuction as Arrian implies."

86 Diese Lösung liegt nahe.

In jedem Fall bediente sich Ptolemaios des kallisthenischen Motivs der bei Alexanders Eintreffen plötzlich aufsprudelnden Quelle, Hinweis auf die Ankunft eines Heilskönigs.

Bei Arrian folgt das Ölwunder kurz nach dem Mord an Kleitos, Hermolaos’ Verschwörung und Kallisthenes’ Hinrichtung und ereignet sich vor dem Vormarsch nach Sogdien und Spitamenes’ Heersammlung. Angesichts dieser Krisensituation und der als exemplarische Symptome von Alexanders Depravation im kulturellen Gedächtnis eingegangenen Eliminierungen schien es vielleicht angeraten, dem Publikum zu verdeutlichen, dass die Götter immer noch auf Alexanders Seite standen.

Die Symbolik des Öls Die systematische Förderung von Rohöl war eine moderne Errungenschaft.

87 In

der Antike waren nur die leicht entflammbaren Erdöle bekannt, die durch Bodenspalten zutage traten. In den betreffenden Gebieten existierten Erdölvorkommen, so dass an dem historischen Kern, dass die Makedonen bei ihrem Zug durch Asien eine oder auch mehrere solcher Quellen sahen, kaum zu zweifeln ist.

88 Indes ist die Tradition in vielschichtiger Weise symbolisch überformt. Neben der

bereits behandelten Bedeutung der Quelle als Götterzeichen ist ein zentraler Aspekt die Natur des gesprudelten Öls.

Erdöle wurden im Griechischen naphtha oder asphaltos, im Lateinischen bitumen (liquidum) genannt.

89 Sie wurden, vor allem im Nahen Osten, als Baumaterial für

85. Vgl. Hammond 1993, 104. 86. Bosworth 1995, 111. 87. Vgl. Forbes 1936(a), 1. 88. Vgl. Forbes 1936(a), 28. Siehe Plin. NH 2,235. 89. Vgl. ebda., 70-71. Die antike Terminologie für die verschiedenen Öle ist vage und uneinheitlich. Vgl. Forbes 1936(b), 68-69. Er sieht den Grund dafür darin, dass die antiken Autoren teilweise nicht vertraut mit Erdöl waren oder sich eher für die Fundorte als für den Rohstoff interessiert hätten.

Sabine Müller

[188]

Gebäude verwendet, für Straßenasphalt, als wasserabweisendes Imprägniermittel,90

Schmieröl, Schutzfarbe und -lack für Wände, Keramik und Skulpturen, Reparaturkitt, Zementersatz, für Fackeln, magische Rituale, Medizin und zum Heizen.

91

Erdölmischungen als Baumaterial "represented something which men referred to as a symbol of stability",

92 solide und hilfreich gegen Erschütterungen und

Wasserschäden: Die babylonischen Bauwerke, die mit solchen Mischungen versiegelt, beschichtet und errichtet wurden, galten in der griechischen Welt als grundstabil und unerschütterlich.

93 Da sie oft für das Fundament und die Böden genommen wurden,

94

könnte die Symbolik zugrunde liegen, dass Ptolemaios’ Reich auf stabilem Grund errichtet wurde und gegen Umwälzungen, Unruhen, innere Turbulenzen und äußere Angriffen gefeit war.

Allerdings scheint dies nicht die primäre Intention gewesen zu sein: Statt der Termini naphtha oder asphaltos benutzen Arrian und Strabon den Begriff für Olivenöl, elaion. Plutarch, Photios und Athenaios schreiben zumindest, es sei eine olivenölartige Substanz gewesen.

95 Wenngleich etwa elaion in den späteren Papyri aus

dem Fayum auch für andere Ölsorten verwendet wird,96

ist doch anzunehmen, dass bei Ptolemaios’ Ölwundernarrative der Terminus bewusst im ursprünglichen Wortsinn benutzt wurde. Elaion beinhaltete vielfältige symbolische Deutungsmöglichkeiten.

Kulturelle Aspekte Olivenöl wurde in der antiken mediterranen Welt in den Bereichen Ernährung,

Körperpflege, Medizin und Kult sowie als Lampenfüllung verwendet.97

In großen Mengen wurde es für den Sport im Gymnasion benötigt, zu besonderen Anlässen aromatisiertes Öl.

98 Als typisch griechische Institution für die körperliche

Ertüchtigung von Epheben und Neoi im Alter von 18 bis 30 Jahren,99

assoziiert mit

90. Vgl. Forbes 1936(a), 85. In der Akkadischen Sargonlegende heißt es, dass der Korb, in dem Sargon von seiner Mutter als Säugling auf dem Euphrat ausgesetzt wurde, mit einer solchen Bitumenmasse bestrichen war. Vgl. Forbes 1936(a), 86. Zum Text siehe Studevent-Hickman, Morgan 2006, 23-24. 91. Vgl. Forbes 1936(a), 42-91. 92. Forbes 1936(a), 61. 93. Vgl. Forbes 1936(a), 61. 94. Vgl. ebda., 69. 95. Plut. Alex. 57,5; Phot. Bibl. 396a 22-34; Athen. 2,42 F-43 A. 96. Vgl. Pease 1937, 2004. 97. Vgl. Amouretti 1986, 183-195 (Sie geht davon aus, dass eine griechische städtische Familie von vier Personen plus drei Sklaven jährlich 200 Liter Öl verbrauchte; vgl. dazu Mattingly 1988, 159); Groß 1975, 245; Pease 1937, 2012-2020. Da Ölpflanzungen einen großen Wert darstellten, gehörte ihre Vernichtung zu den üblichen Kriegshandlungen. Vgl. Groß 1975, 245; Pease 1937, 2007. 98. Vgl. Ameling 2007, 145, 151-152; Amouretti 1986, 183-185. Die Verschwendung von teurem Öl durch nicht zweckmäßigen Gebrauch im syrischen Apameia durch einheimische Besucher des Gymnasion wird angeprangert in Athen. 5,210 F. 99. Vgl. Ameling 2007, 130-131.

Ptolemaios und das Ölwunder (Arr. an. 4,15,7-8)

[189]

militärischen und sozialen Aspekten,100

war das Gymnasion ein Forum der Bewahrung der eigenen Kultur des Fremdherrschers und seiner Führungsschichten in eroberten Gebieten.

101 Als repräsentatives Element einer Polis stellte es für hellenistische

Herrscher ein nahe liegendes Objekt der Euergesie dar.102

Die Ölspende, einmalig oder auf Dauer, rangierte hoch unter den publikumswirksamen Wohltaten.

103 Als

Element der Identitätsstiftung entstanden Gymnasien schon unter den ersten Ptolemäern im gesamten Reich.

104 In diesem Sinn mag die Ölquelle für die

zivilisatorische Leistung Ptolemaios’ und seine Rolle als Förderer und Bewahrer griechisch-makedonischer Kultur gestanden haben. Dieser Ideologie entsprechend wurde wohl schon unter ihm, verstärkt indes unter Ptolemaios II., Alexandria mit Museion und Bibliothek zur Kulturmetropole der hellenistischen Welt aufgebaut.

Religiöse Aspekte Marie-Claire Amouretti misst der Bedeutung von Öl im religiösen Bereich eine

besonders wichtige Rolle zu.105

So wurden etwa Kultstatuen mit Öl behandelt.106

Die erste kosmesis erhielt eine Statue noch in der Bildhauerwerkstatt: eine Reinigung mit olivenölhaltiger Emulsion und als letztes eine Beschichtung mit Parfümölen.

107 Diese

Behandlung fand danach regelmäßig statt.108

Die Anwendung von Duftölen mag ästhetischer, kultischer und praktischer Natur gewesen sein; der Schutz vor Holzfäule wird bei Pausanias erwähnt.

109 Sie wird zudem auf die Vorstellung rekurriert haben,

dass die Götter einen angenehmen Duft verströmten.110

Dieses Zeichen von Göttlichkeit taucht auch in der Legendenbildung nach Alexanders Tod auf: Einer Tradition zufolge sei seine Leiche trotz der heißen Sommertage in Babylon nicht

100. Vgl. Kah 2007, 47-90; Groß-Albenhausen 2007, 320. 101. Vgl. Groß-Albenhausen 2007, 322. 102. Vgl. Ameling 2007, 135. 103. Vgl. ebda., 141. So spendete etwa Eumenes II. von Pergamon als Dauereinrichtung Öl an ein von Siedlern im phrygischen Tyriaion gegründetes Gymnasion, wohl aus der eigenen königlichen Kasse. Seleukos I. richtete eine Ölstiftung für ein Gymnasion in Antiocheia ein (Jos. Ant. Jud. 12,119-120). Vgl. Bringmann 2007, 324, 329; Ameling 2007, 132, 139. Siehe auch Cramme 2001, 47-48. 104. Vgl. Habermann 2007, 336-339. Sogar Dorfgymnasien gab es. Auch die militärische Ausbildung spielte eine Rolle. So ist inschriftlich ein Dekret von Ptolemaios, noch als Satrap, aus dem Jahr 321 für Kyrene erhalten, in der für das Gymnasion ein Unterweiser im Bogenschießen erwähnt ist (SEG, 9, 1938, 1, Z. 43-45). Vgl. Kah 2007, 57, 89. 105. Vgl. Amouretti 2007, 195. 106. Vgl. Petrovic, Petrovic 2003, 182-183. Dies ist ebenso für einige Skulpturen hellenistischer Herrscher und Mitglieder ihres Hauses bezeugt, vgl. ebda., 183, m. A. 20. 107. Zudem Natron und Bienenwachs, vgl. ebda., 283, A. 16. 108. Vgl. Petrovic, Petrovic 2003, 183. 109. Paus. 9,41,7. 110. Plut. Mor. 357 A, 831 D; Ap. Rhod. 4,430. Vgl. Petrovic, Petrovic 2003, 183, A. 22; Sansone 1980, 66. In Pos. Ep. 36 AB wird auch der süß duftende Schweiß der Thea Philadelphos Arsinoë II., Tochter Ptolemaios’ I., erwähnt.

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verwest, sondern habe, ebenso wie sein Körper zu Lebzeiten,111

einen süßen Wohlgeruch verströmt.

112

Mit dem Ölbaum wurden die Gottheiten Athena,113

Zeus,114

Apollon115

und Herakles in Verbindung gebracht,

116 die auch eine Rolle in Ptolemaios’

Selbstdarstellung und der Repräsentation seiner Nachfolger spielten. Athena Promachos, die für panhellenische Motive stand oder an die Stadtgöttin von Pella erinnern sollte,

117 erscheint auf dem Revers seiner als Satrap geprägten

Tetradrachmen, deren Avers ein Porträt Alexanders mit Elefantenexuvie und Ammonshorn zeigt.

118 Der Adler des Zeus mit Blitzbündel in den Krallen, ein

argeadisches Münzbildmotiv, erschien auf dem Revers der Tetradrachmen mit dem Aversporträt Ptolemaios’ als basileus mit Diadem und Ägis. Dieser Adler wurde zu einem ptolemäischen Standardbildmotiv, nicht nur auf den Silberprägungen.

119

Apollon erscheint bereits auf argeadischen Münzen und erlaubte explizit eine Verbindung zu Philipp II., der im Dritten Heiligen Krieg als Rächer seiner Orakelstätte aufgetreten war.

120 Für Apollon, Beschützer vor dem Bösen, soll

Alexander im Indienfeldzug geopfert haben, als er erfuhr, dass seine Flotte unter Nearchos nicht verschwunden war.

121 An Apollon wurde Ptolemaios II. in der

höfischen Dichtung angeglichen.122

Herakles galt wohl seit Alexander I. als argeadischer Stammvater.

123 Sein Porträt wurde daher auch Standardmotiv der

makedonischen Münzprägung.124

Über die argeadische Linie wurde von den Ptolemäern, vielleicht schon unter Ptolemaios, eine genealogische Verbindung zu Herakles als Stammvater propagiert.

125 Mit ihm als Begründer der Nemeischen

111. Plut. Alex. 4,5. Vgl. Müller 2009, 217; Koulakiotis 2006, 50; Hamilton 1969, 11-12. 112. Aristot. De mir. Ausc. 51. Vgl. Pease 1937, 2001. 113. Vgl. Pease 1937, 2015-2016. 114. Vgl. Pease 1937, 2018. Zur Rolle von Zeus bei den Ptolemäern vgl. Lianou 2010, 130. 115. Kallim. Hymn. 4,262. Leto hält sich bei der Geburt Apollons an einem Ölbaum fest. 116. Vgl. Pease 1937, 2018. 117. Vgl. Hazzard 1995, 23. 118. Vgl. Mørkholm 1991, 63. 119. Zu den Tetradrachmen, die mit dem unveränderten Bildmotiv bis zum Ende des Ptolemäerreichs weitergeprägt wurden, vgl. Mørkholm 1991, 66. Weitere Adlerabbildungen: Athen. 4,196 F-97 A. Zudem wurde der ptolemäischen Gründungslegende ungewissen Entstehungsdatums zufolge Ptolemaios als Baby von seinem bösen Stiefvater Lagos ausgesetzt, worauf Zeus sein Botentier, den Adler, zu ihm schickte, der das Kind vor dem Unwetter schützte und nährte (Suda s.v. Lagos; Ael. NA 12,21). Vgl. Müller 2009(b), 72-73. Zum Ägis tragenden Zeus: Il. 17,593. 120. Just. 8,2,3. 121. Arr. Ind. 36,3; Plut. Alex. 24,3-4 zufolge gab es auch eine Assoziation mit Alexander bei der Belagerung von Tyros. 122. Kallim. Hymn. 4,165-169. Vgl. Müller 2009, 189, 243-244. 123. Hdt. 8,137,1. Die Verbindung wurde über Herakles’ Nachkommen Temenos gezogen. 124. Vgl. Heinrichs 2012, 119-124. 125. OGIS 54, Z. 4-5; Theokr. 17,25-27; P. Oxy. 27,2465. Vgl. Müller 2009(a), 160, 198; Müller 2009(b), 65; Huttner 1995, 108, 111. Die Mutter von Ptolemaios, Arsinoë, sollte der Argeadenlinie entstammen. Einer anderen Tradition zufolge, deren Datierung ungewiss ist, war Ptolemaios

Ptolemaios und das Ölwunder (Arr. an. 4,15,7-8)

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Spiele,126

der zudem die Ölbäume in Olympia gepflanzt haben soll,127

ist auch die Bedeutung des Olivenöls für die panhellenischen Spiele assoziiert: Öl oder auch Olivenbaumzweige waren die Preise der siegreichen Athleten.

128 Gerade die Ptolemäer

rühmten sich, seit Ptolemaios I. eine starke Tradition als Sieger in panhellenischen Wettkämpfen zu haben.

129

In Ägypten wurden gemäß Strabon erst seit der makedonischen Herrschaft und nur in den stärker griechisch-makedonisch besiedelten Gebieten Oliven angebaut,

130

was auch wieder für die kulturelle Leistung spricht, die sich Ptolemaios auf die Fahne schreiben konnte. Zugleich konnte noch eine Brücke zum ptolemäischen Urvater Dionysos geschlagen werden, der schon in der Selbstdarstellung Ptolemaios’ als Satrap und auch als König eine wichtige Rolle in seiner Funktion als mythischer erster Eroberer des Ostens spielte:

131 Weinreben, die Pflanzen des Dionysos, galten als

verwandt mit Ölbäumen.132

In diesem Kontext konnte das Ölwunder den Reichtum verheißen, den Ptolemaios seinem Reich und dessen Bewohnern bringen würde: jener segensreiche Überfluss, ein Aspekt des Dionysos in der ptolemäischen Herrschaftsrepräsentation.

133 Die Anknüpfung an die Argeaden war auch gegeben:

Vermutlich spielte Dionysos schon im makedonischen Gründungsmythos, der wohl unter Alexander I. in Umlauf gebracht wurde, eine zentrale Rolle für die Reichbildung.

134

angeblich ein außerehelicher Sohn Philipps II., somit Alexanders Halbbruder (Paus. 1,6,2; Curt. 9,8,22). Vgl. Lianou 2010, 128; Müller 2009(b), 72. 126. Paus. 5,7,9. 127. Pind. Ol. 3,16ff. 128. Pind. Ol. 3,16ff.; Paus. 5,7,7; Strab. 8,3,30. Vgl. Amouretti 1986, 194-195; Pease 1937, 2018-2020. 129. Nachhall findet dies in den Epigrammen des höfischen Dichters Poseidippos von Pella, der unter Ptolemaios II. und Ptolemaios III. in Alexandria tätig war: Pos. Ep. 78-79 AB, 82-83 AB, 87-88 AB. Vgl. Müller 2009, 229-242. 130. Strab. 17,1,35. In der Kyrenaika hingegen gab es schon früher Olivenanbau: Theophr. H. Pl. 4,3,1. 131. Vgl. Müller 2009(a), 159-165, 194-195. So erscheint ein Alexanderporträt mit Dionysosattributen auf den Tetradrachmen, die Ptolemaios als Satrap prägen ließ, vgl. Mørkholm 1991, 63. Ptolemaios mit Diadem ist wohl als Jagdgefährte des Dionysos auf heroischer Eberjagd auf einem Mosaik aus Setif abgebildet, vgl. Donderer 1988, 793-796. Zu Dionysos als ptolemäischem Stammvater: OGIS 54, Z. 1-6; P. Oxy. 27,2465; Satyros FGrHist 631, F 31. 132. Aristot. Phys. 2,8. Vgl. Pease 1937, 2008. 133. Rohölfischerei am Toten Meer war unter Ptolemaios in seiner Hand und scheint ihm wichtig gewesen zu sein, denn er verteidigte dieses Terrain gegen Antigonos (Diod. 19,98). Vgl. Forbes 1936(a), 17. 134. 138,2-3. Darauf, dass Dionysos mit der Gottheit gemeint ist, die, assoziiert mit Helios, den "bösen" Herrscher mit Verblendung schlug, so dass er sein Herrschaftsheil unwillentlich an Perdikkas abtrat (Hdt. 8,137,4), spricht der Hinweis in Hdt. 8,138,2-3, dass Perdikkas und seine Brüder ihr Reich dort begründeten, wo einst der Silen gefangen worden war.

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Panhellenische Aspekte Herodot überliefert die Tradition, wonach der Ölbaum aus Athen kam.

135 Gemäß

athenischer Erzählungen stand ein Ölbaum, den einst Athena gesetzt hatte, im Tempel des Erechtheus auf der Akropolis und wurde von den Persern unter Xerxes verbrannt. Zwei Tage später schlug der verbrannte Stumpf aber schon wieder einen frischen Trieb.

136

Es ist möglich, dass damit gerechnet wurde, dass Ptolemaios’ Publikum diese Legende kannte und mit dem Ölwunder assoziierte. Sowohl die primären als auch die sekundären Alexanderhistoriographen orientierten sich an Herodot, der in der griechisch-makedonischen Welt neben Xenophon und Ktesias als Autorität für das Perserreich galt.

137 Sie sahen die neu eroberte Welt, wie Oswyn Murray formuliert, aus

seinen Augen,138

allen voran Kallisthenes, der Alexander zu Beginn des Persienfeldzugs nahezu zu einem herodoteischen Anti-Xerxes stilisierte.

139 Auch

Ptolemaios scheint sich an dieses literarische Vorbild gehalten zu haben. Die Darstellung argeadischer und ptolemäischer Errungenschaften in der höfischen Dichtung zeigt jedenfalls die Kenntnis herodoteischer Motive.

140

Während es die Perser demnach angeblich nicht schafften, den Ölbaum der Athena zu vernichten, und damit von den Göttern einen negativen Fingerzeig erhielten, verhielt sich dies im Falle Alexanders umgekehrt. Bei seinem Eintreffen zerstörte er die Ölressourcen nicht; stattdessen sprudelten sie von selbst. Die Götter signalisierten, dass sie seine Eroberung unterstützten und von seiner Herrschaft Segen für die Bevölkerung zu erwarten war. Dies entspricht auch der Bedeutung des Ölbaums als Friedenssymbol.

141 Die historische Realität sah indes anders aus;

Alexander und seine Truppen hinterließen vielerorts zerstörten Boden, schadeten der Zivilbevölkerung, plünderten und töteten.

Fasst man den ideologischen Subtext der Episode um das Ölwunder bei Arrian zusammen, ist Alexander zum Kulturbringer, panhellenischen Helden und Segensspender stilisiert, Ptolemaios zu seinem diesbezüglichen Nachfolger.

Die Symbolik von ponoi in Aristandros’ Weissagung Es bleibt zu fragen, ob nur Aristobulos mit seiner erwähnten Vorliebe für

Wundergeschichten von Aristandros’ Weissagung berichtete und Arrian diesen Teil der Episode von ihm übernahm.

142 Indes ist es gut möglich, dass Arrian sich auch

dafür auf Ptolemaios stützte.

135. Hdt. 5,82. Vgl. Just. 2,6,5; Ael. VH 3,38. 136. Hdt. 8,55. Vgl. Theophr. H. Pl. 2,33; Paus, 1,27,2. 137. Vgl. Müller 2011(a), 129-130. 138. Vgl. Murray 1972, 205. 139. Vgl. Müller 2011(a), 123-127. 140. Vgl. etwa Pos. Ep. 31 AB, 35 AB, 65 AB. 141. Vgl. Pease 1937, 2018. 142. Aristandros hat hier und bei seiner Ausdeutung des Kleitos-Mords (Plut. Alex. 50,3) seinen letzten Auftritt. Bosworth 1995, 111 schließt sich daher der These von Berve 1926, 62 an, er sei um 327 gestorben. Zu Aristandros’ Laufbahn vgl. Nice 2005.

Ptolemaios und das Ölwunder (Arr. an. 4,15,7-8)

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Für Ptolemaios’ Zwecke war Aristandros’ Prophezeiung durchaus geeignet. Sie war kompatibel mit einem zentralen Element der Legitimation der Diadochen: die Mühen, die am Ende zum makedonischen Sieg führen.

143

Diese Betonung der Anstrengungen auf dem Schlachtfeld entsprach nicht nur dem primären Legitimationsfaktor der Argeaden: militärischer Exzellenz und persönlichem Kampfeinsatz an vorderster Front.

144 Auch für die Diadochen war die

Profilierung durch kriegerische Leistung zentral: mittels der Erinnerung an ihre vergangenen Taten unter Alexander und Siegen in den Auseinandersetzungen um sein Erbe. Daher ist zu folgern, dass Ptolemaios in seiner Version des Ölwunders wahrscheinlich auch Aristandros’ Seherspruch erwähnte, um seinen eigenen Anteil an den Kriegsmühen zu unterstreichen.

Die Bedeutung der persönlichen militärischen Exzellenz zeigt sich auch noch in der höfischen Kultur unter Ptolemaios II. und Ptolemaios III. So lässt Poseidippos von Pella in einem Epigramm eine junge Makedonin mit dem sprechenden Namen Hegeso von der vergöttlichten Arsinoë II., Tochter Ptolemaios’ I., träumen: Als Kriegerkönigin mit Speer und Schild kehrt sie schweißbedeckt vom Schlachtfeld zurück, um eine "Pause nach den Mühen" einlegen.

145 Vor dem behandelten

Hintergrund erscheinen diese poetischen Formeln als sehr argeadisch. Fazit Arrians Bericht über die spontan bei Alexanders Erscheinen aufsprudelnde

Quelle von elaion, die Ptolemaios dem Herrscher meldete und von Aristandros als Siegeszeichen gedeutet wurde, wird den Fragmenten von Ptolemaios’ Alexanderschrift entstammen. Vermutlich gab Ptolemaios dabei die offizielle Version wieder, wie sie Alexander durch Kallisthenes hatte in Umlauf bringen lassen, und ergänzte sie um die Betonung seiner eigenen Rolle.

Das Ausmaß der Selbststilisierung innerhalb seines verlorenen Werks lässt sich anhand dieser bislang eher vernachlässigten Episode gut ablesen. So ist die Symbolik vielschichtig propagandistisch einsetzbar. Das spontane Sprudeln versinnbildlichte die Reinstallation der göttlichen Ordnung durch den Heilskönig. Die Angleichung des Erdöls an Olivenöl erlaubte erstens Alexanders Stilisierung zum Kulturbringer, zweitens zum panhellenischen Helden und drittens den Verweis auf spezielle Beziehungen zu göttlichen Patronen. Ptolemaios’ Übermittlerrolle gestaltete ihn in all

143. In ähnlicher Weise verweist eine weitere Episode über einen Spruch des Aristandros auf die Mühen des Feldzugs: Bevor Alexander 334 zum Feldzug aufbrach, begann im makedonischen Stammland Pierien eine hölzerne Kultstatue des Orpheus in seinem Tempel zu schwitzen (Plut. Alex. 14,5. Vgl. Arr. an. 1,11,2). Vgl. Müller 2009, 218. Schwitzende Kultstatuen, ein nicht ungewöhnliches literarisches Motiv, bedeuteten gemäß antiker Vorstellung ein Zeichen von Zerstörung im Krieg (Pos. Ep. 30 AB). Vgl. Baumbach, Trampedach 2004, 148. Aristandros deutete das Omen indes so, dass den Hofkünstlern, Dichtern und Sängern eine Menge Schweiß und Mühen bevorstanden, um Alexanders Taten zu besingen. Zugleich bedeutete dies aber auch Schweiß und Mühen für den Herrscher und seine Leute selbst, um diese Taten siegreich zu vollbringen. 144. Diod. 32,2; Suda s.v. basileia. Vgl. Müller 2011(c), 162-163; Austin 2000, 133-134. 145. Pos. Ep. 36 AB, Z. 4.

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diesen Belangen zu Alexanders prädestiniertem Nachfolger. Aristandros’ Weissagung mit der Betonung von ponoi spiegelte den argeadischen Legitimationsfaktor des siegreichen persönlichen Kampfeinsatzes wider, der auch für die Diadochen galt.

So konnte Ptolemaios die mutmaßlich von Kallisthenes stammende ursprüngliche Version des Quellwunders für seine Zwecke "recyceln".

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Graecia, Roma, Barbaricum.In memoriam Vasile Lica

Galaţi 2014