Lippke (2012.2), Rez. Kutter, AOAT 346 [ZDPV 128-1]

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FLL
Notiz
Florian Lippke, 2012.1, Rezension: Kutter, J., nūr-ilī. Die Sonnengottheiten in den nordwestsemitischen Religionen von der Spätbronzezeit bis zur vorrömischen Zeit (AOAT 346), in: ZDPV 128/1, 82-88.

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KUTTER, JULIANE, nur ilf. Die Sonnengottheiten in den nordwestsemitischen Religionen von der Spätbronzezeit bis zur vorrömischen Zeit. Alter Orient und Altes Testament 346. Münster: Ugarit-Verlag, 2008. IV und 523 Seiten sowie 23 Tafeln mit 39 Abbildungen. 8°. Gebunden. € 92,--. ISBN 978-3-86835-002-9.

Die vorliegende Arbeit schließt eine Lücke im Forschungsbereich der altorientalischen Wissenschaften -insbesondere auf dem Feld der altorientalischen Philologien und der Religionsgeschichte der Levante. Hatten zunächst sukzessive der Mondgott (THEUER 2000) und die Wettergottgestalten (SCHWEMER 2001) eingehend Betrachtung gefunden (weitere grundlegende Monographien analoger Fragestellung bei KUT­TER, S. 11 Anm. 5, so für den französischen Bereich BONNET 1996 und XELLA 1991), fehlte bisher noch eine solche Abhandlung in Bezug auf die Sonnengottheiten. Diese ist nunmehr mit dem Fokus auf die nordwestsemitischen Religionen vorgelegt worden.

Die über fünfhundertseitige Analyse zeichnet sich zunächst durch die Weite des Spektrums aus: Neben den in den Hauptkapiteln behandelten Kulturbereichen der Levante (siehe unten) überzeugt die Arbeit durch die intensive Integration sumerischer, akkadischer, keilschriftlich-hethitischer und hiero­glyphen-luwischer Sprachzeugnisse (nebst anderen). Gerade vom philologischen Standpunkt aus ist die Abhandlung präzise, gewissenhaft und kenntnisreich ausgearbeitet; zugleich beschränkt sie sich aber nicht auf die Philologie. Hinzu treten nämlich in nicht minderem Maße die aus dieser Basis abgeleiteten kultur- und religionsgeschichtlichen Erkenntnisse.

Die Publikation gliedert sich in fünf Hauptkapitel: Nach einer Einführung (1. Problemaufriss, S. 11-15) werden sukzessive die Kulturbereiche Ugarits (Kapitel2, S. 17-209), der phönizischen (Kapitel 3, S. 211-294) und aramäischen Stadtstaaten (Kapitel 4, S. 295-354) sowie Israel/Judas (Kapitel 5, S. 355 -417) abgehandelt. Bemerkenswert ist die Ausführlichkeit des zweiten Kapitels (Ugarit), das- für sich genommen - bezüglich Umfang und Innovation schon eine eigene Qualifikationsschrift hätte be­gründen können. Demgegenüber fällt das letzte Kapitel (Israel! Juda) äußerst summarisch und thetisch aus. Dies ist natürlich für die dezidiert auf den biblischen Kanon ausgerichteten Fragen zu bedauern, darf aber nicht zu einem substanziellen Monitum stilisiert werden. Die Verfasserirr weist auf diese Schwer­punktsetzung schon eingangs hin.

Im Rahmen des ersten Kapitels (Problemaufriss) legt die Verfasserirr den Ansatz und die Vorgehens­weise ihrer Arbeit gerrauer dar. Wichtig und wegweisend ist hier der Rekurs auf die Zeichensysteme (vgl. hierzu die Diskussion des religiösen Symbolsystems: KEELIUEHLINGER 2010, 7ff.455 und andere, aber auch im theologischen Horizont JANOWSKI 2001; 2002; 2009 und öfter). Hierdurch sind alle folgenden Ausführungen in der Mitte der aktuellen religionsgeschichtlichen Diskussion verankert (zur methodisch­hermeneutischen Einordnung vgl. LIPPKE in Vorb., § la). Der von der Verfasserirr beschrittene methodi­sche Weg zeigt sich in (nahezu) allen Hauptkapiteln: Zu Beginn steht jeweils eine historische Einordnung, die sich zugleich als kulturgeschichtliche Situationsbestimmung versteht (Ugarit, S. 17-18, Phönizien, S. 211-212, Aramäer, S. 295- 296). Konsequent schließt sich hieran jeweils die grundlegende Frage nach der Quellenbasis an. Diese ist methodisch notwendig, zeigt sie doch zugleich ein Bewusstsein für die Frage nach der Reichweite, Auskunftsfähigkeit sowie Belastbarkeit der Belege (Ugarit, S. 18ff., Phöni-

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zien, S. 212-213, Aramäer, S. 296). Der dritte Schritt fragt entsprechend nach der genauen Profilierung der Sonnengottheit im jeweiligen Pantheon mit den entsprechend ausgeführten Belegen (Ugarit, S. 21ff., Phi)nizien, S. 213ff., Aramäer, S. 297ff.).

Im zweiten Kapitel bietet die Verfasserin, wie oben angedeutet, zunächst eine treffende historisch­kulturelle Einordnung, die erfreulicherweise auch die neueren Datierungen von D. ARNAUD und A.-S. DALIX zugrunde legt (S. 17). Zu Recht geht die Verfasserin bei der Beschreibung der Quellen über die engen Beschränkungen der älteren Forschung (auf Mythen und Epen) weit hinaus und betont, Überle­gungen H. NIEHRs und D. PARDEEs aufnehmend (S. 18-19), die Bedeutung der Briefe, Verträge und Wirtschaftstexte nebst den Götterlisten und Ritualen. Durch diese Grundsatzentscheidung ist einer aus­gewogenen Berücksichtigung des ugaritischen Quellenmaterials der Weg gebahnt. Genauerhin werden die Götterlisten KTU 1.47; 1.118 und 1.148,1-9 diskutiert. Bemerkenswerterweise werden in diesem Un­terkapitel nicht nur die Einträge zur Sonnengottheit selbst einer genauen Betrachtung unterzogen. Viel­mehr werden auch umfassende Interpretationen der jeweiligen Listen vorgelegt, die Abfolgen und Ge­samtanlage berücksichtigen. Auch wenn sich in anderen Textgattungen für die Sonnengottheit von Ugarit eine höhere/bedeutsamere Position erheben lässt, ist dies für die Götterlisten nicht nachweisbar. Sapsu wird vielmehr, der altorientalischen Tradition entsprechend, nicht unter den führenden Gottheiten und stets nach dem Mondgott erwähnt (S. 34.72).

Wie schon bei den Götterlisten zuvor geschehen, so werden auch die Belege der Gattung "Ritual­texte" stets in ihrem Kontext analysiert. Dabei spielen auch die archäologischen Fundumstände eine Rolle (vgl. z. B. S. 76); der Erhaltungszustand, im Sinne einer Quellenkritik, wird ebenfalls vorbildlich bei­gegeben. Diese Berücksichtigung der Kontextinformationen bleibt auch für die restlichen Kapitel der Monographie ein eindrucksvolles Kennzeichen. Es findet neben den seltener diskutierten Quellen KTU 1.39; 1.102; 1.45; 1.41187; 1.43; 1.108; 1.78 auch der recht prominente Ritualtext KTU 1.161 Beachtung. Dieser wird mit intensiver Diskussion der Forschungspositionen in Bezug auf die Gesamtfrage behandelt (S. 76-87). Selbstverständlich fehlen in dem Entwurf die Mythen und Epen nicht. Analysiert werden ausgewählte Passagen aus dem Kirta- und Aqhatu-Epos (KTU 1.14-16 und 1.17-19), für die Einord­nung der mythischen Texte wird der Baal-Zyklus (KTU 1.1- 6) anhand von acht Einzelstellen heran­gezogen. Wie angedeutet werden die relevanten Briefe KTU 2.42; 2.44; 1.38 nebst den Urkunden KTU 2.19 und 6.24 ausgewertet. Beobachtungen zum Onomastikon und der Ikonographie Ugarits schließen sich an (stillende Göttin [Elfenbeinpanel RS 16.065 + 28.031], EI-Stele [RS 8.295], Glyptik auf Zylin­dersiegeln [RS 9.273, Ini-Tessub-Siegel RS 17.158, anthropomorphe Realisierung der Sonnengottheit AO 20 138] und Kultständer [RS 78.041 + 81.3659], insgesamt Abb. 1-6). Zur Diskussion um die Diastase zwischen Sonnen- und Wettergott, vgl. LIPPKE in Vorb., § 2a.

In ihrem Fazit zum zweiten Kapitel weist die Verfasserin zu Recht auf die bedeutende Stellung der Sonnengöttin im ugaritischen Pantheon hin. So diskutiert sie die Nähe Sapsus zu den hochrangigen Göttinnen Anat und Atiratu und bringt im weiteren Verlauf ikonographische, literarisch/epigraphische und archäologische Befunde in ein kohärentes Gesamtsystem Im Rahmen der archäologischen Diskus­sion verfährt die Verfasserin zurückhaltend reflektiert, indem sie zum einen die literarischen Hinweise auf ein Heiligtum der Gestirnsgottheiten in U garit zwar anerkennt, aber nicht zugleich eine Identifizie­rung mit noch anstehenden Strukturen auf dem Tell Ra's Samra wagt. Neben dem Zutrauen in die literarischen Belege stehen auch relativierende Urteile, die nicht in jedem sps-Beleg gleich einen Tem­pelhinweis sehen (so S. 193). Allerdings wird zugleich wiederum der archäologische Befund im Königs­palast (cours deux (II) und zone funerere [Räume 28.38]) detailliert präsentiert und adäquat diskutiert. Insgesamt sieht die Verfasserin in der Figur Sapsus drei funktionelle Aspekte realisiert: I. Wahren des Rechts und der Weltordnung, 2. Unterwelt (Psychopomp und Garantin der Totenpflege) und 3. Frucht­barkeit. In der Tatsache, dass die Sonnengöttin den Wettergottzyklus beschließt, sieht die Verfasserin den Ausgangpunkt einer Übertragung des Mythos in die Sphäre der Wirklichkeit (mit der Sonnengottheit als Brückenelement). Gerade in diesem Kontext könnte eine Evaluierung des Verhältnisses von Mythos und Geschichte äußerst ertragreich sein.

Kapitel 3 beginnt, der bekannten Unterteilung in KAI folgend, mit den "Inschriften des Mutterlan­des"; Sidonitica (Sarkophaginschriften des Tabnit [KAI 13] und des Eschmunazor [KAI 14, jetzt auch BONNET/NIEHR 2010, 52-55 und NIEHR im Druck]), ein epigraphisch auswertbares Rollsiegel aus Byblos sowie die Astarte-Quadrate aus Busfan d-Seh (zur Transkription vgl. LIPPKE in Vorb., §3a) werden abgehandelt. Hervorzuheben ist die Diskussionv um eben diese letztgenannten, bemerkenswerten epigraphischen Zeugnisse, die horizontal wie vertikal sinnvolllesbar sind (S. 218-221). Es handelt sich um eine viel zu selten betrachtete, komplexe Fundgattung, die glücklicherweise H.-P. MATHYS im Rah-

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men zweier Abhandlungen (2005; 2008; letztere noch nicht bei KUTTER aufgenommen) nach kompeten­ter Analyse ausführlich publiziert hat (siehe jetzt auch BONNETINlEHR 2010, 80). Es sei zusätzlich angemerkt, dass die Existenz solcher magischer Quadrate traditionsgeschichtlich über vielerlei Zwi­schenstufen bis in die islamische Zeit hinein nachweisbar ist (als rezentes Exponat vgl. B + 0 E 2010.3a/b, in: HERRMANN/STAUBLI 2010, 206-207). Im weiteren Verlauf diskutiert die Verfasserin auf fünfzehn Seiten (S. 222-236) den Befund der längsten erhaltenen phönizischen Inschrift (Karatepe, KAI 26) mit einer ausführlichen Übersicht zur Beleglage des Nomens 'lm. Gleichfalls solide Ausführungen zum berühmten Amulett von Arslan Ta§ (KAI27, inzwischen auch BONNETINlEHR 2010, 240ff.) schlie­ßen sich an; vgl. hierzu auch den eingeschobenen Exkurs (4.). Zum Corpus der besprochenen Belege kommen die bekannte Phialeninschrift aus Zypern (4. Jh.) sowie ausgewählte nordafrikanische Belege. Besonderes Augenmerk liegt hier auf den Zeugnissen aus Karthago (CIS I 3780.4963). In einem weiteren Unterkapitel werden die Monatsbezeichnung "Opfer für Samas" mit Belegen aus Kition (CIS I 13, siehe hierzu schon STADE 1881), Lapethos (KAI43,3), Pyrgie (KAI 277) sowie den Inschriften des Bod'astart von Sidon verhandelt. Nach der Auflistung des Onomastikons folgt die intensive ikonographische Dis­kussion, die neben den Belegen aus Byblos (Ye~awmilk, KAI 10), den Grabstelen aus 'Umm al­'Amad/Tyros/Arwad (zu 'Umm al-'Amad: BONNETINlEHR 2010, 148) und der Amrit-Stele (AO 22247) auch die religionsgeschichtlich besonders wichtige Fundgruppe der Naiskoi mit Flügelsonnenmotiv ab­handelt (Sidon [AO 2060], Byblos [AO 4825], 'Umm al-'Amad [AO 4909]). Ob diese Fundstücke mit den leeren Götterthronen und letztlich gar mit der bildlosen Verehrung des alttestamentlichen Gottes JWHW korrelierbar sind, muss noch diskutiert werden. Das Panoptikum der Belege endet der Vollständigkeit halber mit der Vorstellung "weitere[r] solare[r] Elemente in der Ikonographie" (Sonnenbarke auf der Praeneste-Schale und Tanitzeichen). Das Tanitzeichen (inzwischen: BONNETINlEHR 2010, 85) aus Grün­den der Kontinuität am Rande der Diskussion mit einzubeziehen kann nur als konsequent bezeichnet werden. Vor diesen Beobachtungen ist noch ein Kapitel eingefügt, das die anthropomorphen Darstellun­gen der Sonnengottheit systematisierend diskutiert. Hier werden wiederum die Funde aus Arslan-Ta§ und Nimrod (Elfenbeine) sowie die Stempelsiegel und die Praeneste-Schale ins Feld geführt. Insgesamt werden dem Kapitel die Abh. 7-24 im Tafelteil beigegeben.

In ihrem Fazit zum Kapitel modifiziert die Verfasserin (S. 291-292) die äußerst zurückhaltenden Dikta E. LIPINSKis und C. BONNETS, die eine Engführung der Sonnengottheit auf Richter- und Unter­weltkonnex betonten. Zu Recht stellt KUTTER ihre Analysen zu den phönizischen Befunden konsequent unter die Perspektive der Sonnengottheit in dienender Funktion (..Jsms: dienen). Sie charakterisiert diese als "Diener des Kosmos" (unter anderem auch ikonographisch versinnbildlicht durch die Flügelsonne über dem Lebensbaum, S. 292). Zudem bringt KUTTER die an Karatepe und Arslan Ta§ erarbeiteten Ergebnisse des apotropäischen Charakters der Sonnengottheit sinnvoll in die Diskussion ein. In Bezug auf die Totenversorgung, die deutliche Überschneidungen und Anknüpfungspunkte mit den Ergebnissen der übrigen Kapitel aufweist, gelingt es der Verfasserin, das zur Verfügung stehende Material zu vernetzen. Im Rahmen der Onomastik attestiert sie der Sonnengottheit, dem altorientalischen Befund insgesamt entsprechend, eine Hirten- und Schutzfunktion (als Diener). Auch das Kuriosum der zwei grundsätzlich voneinander verschiedenen phönizischen Sonnengottvorstellungen (männlich/weiblich) wird verhandelt;

vgl. LIPPKE in Vorb., §3b). Im vierten Kapitel werden nach anfänglicher Einordnung die epigraphischen Denkmäler aus

Sam'al/Zincirli (KAI 214/215), Sfire (KAI 222), Nayrab (KAI 225) und Tell 'Ä/fs (KAI 202, "Zakkur­inschrift") abgehandelt. Neben den Erläuterungen zu Sam'al/Zincirli (S. 298-308) nimmt die Diskus­sion der Achiqarsprüche den größten Raum (S. 325-337) ein. Weitere Inschriften (Kese~ek Köyü [YBC 2435], Gözne [KAI 259] und die luwischen Belege [Tell Ahmar 2,5,6, Aleppo 2 und andere]), das aramäische Onomastikon und die ikonographischen Quellen· (insgesamt Abb. 25- 32; eine Stele aus Sam'al, mehrere ausgewählte Wettergottstelen von Til Barsip (Tell Ahmar) und Karkemisch, das Mond­gott-Sonnengott-Relief Karkamis B 33, die Stele Karkamis A 16c. und ein Stempelsiegelkonoid mit Beischrift) werden diskutiert. Die in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte astronomische Bronzeschale der Sammlung Sh. Moussaieff wird mit gebührendem Abstand unter der Überschrift "sonstige ikonogra­phische Zeugnisse" vorgestellt (vgl. hierzu LIPPKE in Vorb., §4a). Zur philologischen Einordnung der Inschriften und zur neu aufgefundenen Stele des Kuttamuwa vgl. LIPPKE in Vorb., §4b.

In ihrem Fazit zu den aramäischen Quellen hebt KUTTER ganz deutlich die Einflüsse Mesopotamiens und der hethitisch-luwischen Vorstellungen hervor. Klar treten die betrachteten aramäischen Staaten als Entitäten hervor, die sich durch die Rezeption überlappender Symbolsysteme herausgebildet haben: Eine Integration von Gottheiten benachbarter Kulturen ist keine Seltenheit. Gleichzeitig konstatiert die Ver-

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fassetin die Nähe der Sonnengottheit zu den bedeutendsten Exponenten des jeweiligen Pantheons: Die ~ähe des Samas zu tJadad (in KAI 214 und den Achiqarsprüchen) sowie die Verbindung von Samas und Sahar in der Zakkurinschrift werden ins Feld geführt. Aufgrundall dieser Beobachtungen schreibt KuT­TER dem Astralkult einen prominenten Stellenwert zu, den sie unter anderem mit Frühformen der Sola­risierung zu erklären sucht. Weiterhin diskutiert die Verfasserin die enge Bezogenheit von Mond- und Sonnengottheit aufeinander: Diese tritt im aramäischen Pantheon mit Samas und Sahar in Erscheinung. Unterschiedliche Reihenfolgen dieser Götter auf Denkmälern können nach KUTTER mit unterschiedlichen Bezugspanthea erklärt werden. Der Sonnengott der Aramäer tritt in vielen Textgattungen, allerdings besonders häufig im Rahmen von Fluchformeln auf. Dies ist laut der Verfassetin mit dem Konnex des Sonnengottes zur juridischen Sphäre gut erklärbar. Beide Aspekte sind als Gründe anzuführen, die das Vorko=en des Sonnengottes auf einer Nayrab-Stele KAI 225 (vgl. inzwischen auch NIEHR 2010) erklären. Bezüglich der aramäischen Religion der hellenistischen Zeit verweist KUTTER nachdrücklich auf den zunehmenden Einfluss des Sonnengottes (entsprechend dem vorauszusetzenden Weltbild). Ge­rade für die nochmals an Bedeutung gewinnende Uranisierung/Solarisierung bringt sie, Grundlagen H. NIEHRs aufgreifend, die archäologische Fundstätte von Baalbek (vgl. BONNETINlEHR 2010, 302ff.) in die Diskussion ein, ohne dass allerdings Palmyra oder Hatra ungenannt blieben. Die diskutierten Grabstelen (siehe oben), die als Erinnerungsmarker fungieren, klassifiziert KUTTER als ikonographisch aufschluss­reich (so unter anderem KAI 225), auch wenn ganz generell nicht jede Flügelsonne direkt mit der Gottheit zu identifizieren sei. Die abgebildete Sonnengottheit spielt nach den Ausführungen der Verfas­serin eine entscheidende Rolle bei der Überbrückung der Grenze von Leben und Tod; in diesem Sinne wird durch die Brückenfunktion gerade auch eine Begegnung zwischen Verstorbenen und Lebenden eröffnet. Zu den Implikationen.der aramäischen Inschrift vom Tell Der 'Allä vgl. LIPPKE in Vorb., §4c.

Kapitel 5 kann als ausführlicher und umsichtiger Überblick zur südlevantinischen Sonnengotttradi­tion klassifiziert werden. Vor allem überzeugt auch hier das (verhältnismäßig) breite Spektrum der her­angezogenen Quellen. So werden in Kapitel 5.2 "Quellenbelege für eine vorisraelitische Sonnengottheit in Jerusalem" (nämlich Orts- und Personennamen, Ikonographie und Kultpraxis des Jerusalemer Tempels - Letzteres in Bezug auf den Gott :jedeq - die Tempelausrichtung und der Tempelweihspruch) vorgelegt. Die systematische Aufstellung überzeugt; gleichzeitig bleibt in Bezug auf die Ortsnamen zu fragen, ob nicht auch eine Auswertung der historischen Topographie weiterführend gewesen wäre: Denn gerade einige prominente smS/~rs-haltige Ortsnamen sind im Nord-Osten der Schefela zu verorten. Diese Ag­glomeration legt eine intensivere Verehrung des Sonnengottes in dieser Region nahe; es zeigt sich damit auch wieder ein Aspekt, der auf die Wichtigkeit der Schefela im Rahmen der Religionsgeschichte Pa­lästinas/Israels verweist (vgl. hierzu LIPPKE 2010, 580ff.). In den weiteren Unterkapiteln behandelt die Verfassetin die "Unterordnung der Sonne unter JHWH" (5.3), den "Terminus smS' in feststehenden Re­dewendungen" (5.4), "JHWH als ,Sonnengott'" (5.5) und schließlich "Solare Elemente in den ikono­graphischen Zeugnissen aus Israel und Juda" (5.6) sowie die "solare[n] Elemente (speziell) im hebräi­schen Onomastikon" (5.7). Man könnte einwenden, dass dieser Teil wenig große, innovative Erkenntnisse beisteuert. Jedoch sollte maximal konstatiert werden, dass die vorgestellten Erkenntnisse und Folgerun­gen nicht so bahnbrechend sind, wie in den Kapiteln zuvor. Dies kann aber auch der komplexen ent­stehungsgeschichtlichen Lage der alttestamentlichen Traditionsliteratur geschuldet sein, die größere, ge­nauere oder präzisere Aussagen zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht erlaubt. Der Wert dieses Kapitels sollte, gerade wegen der systematischen Durchdringung des Stoffes, nicht a priori abgetan werden. Man täte Verfassetin und Stoff gleichermaßen Umecht. Letztlich enthält das fünfte Kapitel trotz alledem eine treffende Analyse der Elfenbeinarbeit aus Megiddo Stratum VII und eine eigene Interpretation des "sa­lomonischen" Tempelweihspruches. Die "Siegel mit solarer Symbolik" (lmlk-Stempel) werden ebenso gewürdigt, wie der Kultständer von Taanach, die bekannte Jehud-Drachme (BMC Palestine XIX 29, jetzt auch DE HULSTER 2009) und die Reiterfiguren aus judäischen Gräbern. Jedoch werden diese Themen nur angeschnitten, wie leider auch die Bezeugungen des "Gott[es] im Lotusnimus" aus Bethlehem (verzierte Tridacna-Muschel, deren Vergleichsstücke viel zu selten in die Diskussion Eingang finden) und die Adlerikonographie im Jerusalemer Tempel nach Flavius Josephus (insgesamt Abb. 33-39 zum 5. Ka­pitel). Von den biblischen Textzusanunenhängen werden folgende näher beleuchtet und erläutert: 1 Kön 8,12-13 (3 Kön 8,53 LXX); Ps 74,12-17; Hi 9,7-10; Ps 19,5-7; Qoh 1,3.8 sowie 2,16-17; 3,16 und 2,22-23; Hos 6,5; Zeph 3,5; Am 9,1-4; Jer 16,16-18; Ps 76,9-10; Hos 7,11-12; Dtn 33,14; Jes 42,1-4; 60, 19-20; Hab 3,3-4; Dtn 33,2; Ps 102,26-28; Ps 5,3-4; die Textfunde von Ketef Hinnom, Mal 3,20-21; Ps 84,12 (Reihenfolge im Text!). Als Fazit hält KUTTER fest, dass "solare Züge in der gesamten greifbaren Epoche" nachzuweisen sind (S. 414). Im Kontext der schon in den früheren Kapiteln

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beschriebenen Solarisierung sei zum einen die Entdivinisierung der Sonne, zum anderen die Übernahme der Sonnengott-Attribute durch den Gott des Alten Testaments besonders zu berücksichtigen. Es bleibt gleichwohl nach der Sichtung der Ergebnisse noch ein weites Feld für die alttestamentlich-theologische Erschließung und Einordnung des Phänomens der "göttlichen Sonne im Alten Testament", das der Be­arbeitung harrt.

Sieben Exkurse sind je an sinnvollen Stellen in den Haupttext der Monographie eingefügt. Die behandelten Fragestellungen und weitere Diskussionspunkte sind unter LIPPKE in Vorb., §5a verzeichnet.

Das Werk wird abgerundet durch "6. Literatur, Abkürzungen und Abbildungsnachweise" (S. 419-504). Das beinahe 80 Seiten umfassende Literaturverzeichnis (6.1) zeugt von der intensiven Einarbeitung, die KUTTER in ihr Projekt investiert hat. An Ausführlichkeit ist es kaum zu überbieten. Es gehört zur Aufgabe des Rezensenten trotz alledem noch einen Titel zu benennen, der gerade in Bezug auf die Integration der altorientalischen Aspekte (unter anderem in der hellenistischen Zeit) hätte bereichern können: Die Standardpublikation von W. FAUTH (1995), die in vielerlei Hinsicht das frühere (auch gerade prähellenistische!) Material berücksichtigt, ist nicht genannt und nicht behandelt. Eine ausführliche Ab­kürzungsliste (6.2, S. 496-503) und Abbildungsnachweise (6.3, S. 504) schließen sich an, gefolgt von den gewissenhaft strukturierten Indices (7., S. 505-521). So wird neben einem Sach- auch ein Götter-, Orts-/Regionen- und Textstellenregister beigegeben. Letzteres ist wiederum entsprechend dem weiten Fokus der Arbeit detailliert (nach Sprachen) gegliedert.

In einem angefügten Nachtrag (S. 522-523) bezüglich der Publikation von SCHWEMER 2007 weist die Verfasserin auf die Anknüpfungsfähigkeit ihrer Ergebnisse zu den "Ritualen und Beschwörungen gegen Schadenzauber" hin. Sie ~ann in diesem Fall besonders die juridische Funktion, wie auch die apotropäische Komponente des Samas plausibilisieren und zeigt damit erneut die Tragfähigkeit und Reichweite ihrer Analyse und der gezogenen Folgerungen.

Der Abbildungsteil mit dreiundzwanzig Tafeln in guter Qualität bündelt das ikonographische Reper­toire und schafft so einen Überblickskatalog, der bisher ein Desiderat darstellte. Musste man zuvor aus den einschlägigen Werken das relevante Material zur Frage herausfiltern, so ist der ikonographische Rumpfbestand nun mit diesem Dossier vorgelegt. Hervorzuheben ist die gut gewählte Abbildungsgröße der Elfenbein-Schnitzerei aus dem Hortfund von Megiddo (Abb. 33) sowie das Paneel gleichen Materials vom gleichen Fundort (Abb. 34), welches als Gesamtszene (und nicht wie viel zu häufig in zwei Teil­stücken) berücksichtigt wird. Zur ikonographischen Methodik und weiteren Implikationen zur Diastase zwischen Sonnen- und Wettergott vgl. LIPPKE 2011, §8a.

Selbstverständlich ist die Druckfassung des Manuskripts nicht vollkommen frei von kleinen ortho­graphischen Versehen; eigentlich sind diese vernachlässigbar, nicht sinnentstellend und hier nicht um­fassend darzulegen (vgl. z.B. "wienen" [S. 126.290] oder "Abb. 32" anstelle von "Abb. 31" [S. 344]).

Die hier diskutierte Monographie stellt ein in vielerlei Hinsicht überzeugendes Werk dar: Sie berück­sichtigt aktuelle Forschungskontexte, trägt entscheidend zur Erschließung der literarischen, epigraphi­schen und (zum Teil) ikonographischen Quellen bei. Neue Einsichten begegnen in der Abhandlung zwangsläufig in kurzen Abständen und die Arbeit ist im Duktus klar und nachvollziehbar bei gleichzei-tiger Berücksichtigung eines hohen Maßes an Sekundärliteratur. Empfehlenswert und lehrreich ist die Lektüre allemal. Im Grunde kann man von einem Referenzwerk sprechen, welches auch schon im jüngst erschienenen Lehrbuch BONNETINlEHR 2010 an mindestens zehn Stellen genannt wird. Es bleibt als Wermutstropfen zu benennen, dass diese Publikation wohl die einzige aus der Feder der Verfasserin darstellen wird. Die vorgelegte Leistung bleibt ungeachtet dieser Tatsache - um einem Anglizismus zu frönen- im wahrsten Sinne des Wortes "a shining example" (ein leuchtendes Vorbild).

Bern FLORIAN LIPPKE

Bibliographie BONNET, C.

1996 Astarte. Dossier documentaire et perspectives historiques (Contributi alla storia della religione Fenicio-Punica 2; Collezione di studi fenici 37; Rom).

BüNNET, C./H. NIEHR 2010 Religionen in der Umwelt des Alten Testaments, II. Phönizier, Punier, Aramäer (Kohl­

hammer Studienbücher Theologie 4/2; Stuttgart).

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FAUTH, W. 1995 Helios megistos. Zur synkretistischen Theologie der Spätantike (Religions in the Grae­

cocRoman World 125; Leiden, New York, Köln). HERRMANN, C./T. STAUBLI

2010 1001 Amulett, altägyptischer Zauber, monotheisierte Talismane, säkulare Magie. Mit Beiträgen von S. BERGER-LOBER et al. (Freiurg Schweiz, Stuttgart).

HULSTER, I. J. DE 2009 A Yehud Coin with a Representation of a Sun Deity and Iconic Practice in Persian

Period Palestine. An Elaborationon TC 242.5/BMC Palestine XIX 29 (Online-Resour­ce, http://www.monotheism.uni-goettingen.de/resources/dehulster_tc242.pdf - Zugriff: 11. 06. 20 12).

JANOWSKI, B. 2001

2002

2009

Das biblische Weltbild. Eine methodologische Skizze, in: B. JANOWSKI/B. EGO (ed.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte (Forschungen zum Alten Testament 32; Tübingen), 1-26. Theologie des Alten Testaments. Plädoyer für eine integrative Perspektive, in: A. LE­MAIRE (ed.), Congress Volume. Basel 2001 (Supplements to Vetus Testamenturn 92; Leiden), 241-276. Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, 3. Auflage (Neukirchen­Vluyn).

KEEL, 0./C. UEHLINGER 2010 Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Ka­

naans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen, 6. Auf-

LIPPKE, F. 2010

in Vorb.

MATHYS, H.-P. 2005

2008 NIEHR, H.

2010

SCHWEMER, D. 2001

2007

STADE, B. 1881

THEUER, G. 2000

lage (Fribourg Schweiz). ·

GGG (Göttinnen, Götter und Gottessymbole) im forschungsgeschichtlichen Kontext, zugleich ein Nachwort zur 6. Auflage, in: KEELIUEHLINGER 2010, 565-592 (= V.IRAT. Veröffentlichungen der Ideagora für Religionsgeschichte, Altertumswissen­schaften & Theologie II/1 [Online-Resource, http://nbn-resolving.de/um:nbn:de:bsz: 21-opus-52890]). Weitere Miscellanea zu den nordwestsemitischen Sonnengottheiten, V.IRAT. Veröffent­lichungen der Ideagora für Religionsgeschichte, Altertumswissenschaften & Theologie II/2, 5-13.

Die phönizischen Inschriften, in: R. A. STUCKY, Das Eschmun-Heiligtum von Sidon. Architektur und Inschriften. Mit Beiträgen von A. LOPRIENO et al. (Antike Kunst. Bei­heft 19; Basel), 273-318. Das Astarte-Quadrat (Zürich).

Die Grabstelen zweier Priester des Mondgottes aus Neirab (Syrien) im Licht alter und neuer Funde, in: S. ERNST/M. HÄUSL (ed.), Kulte, Priester, Rituale. Beiträge zu Kult und Kultkritik im Alten Testament und Alten Orient. Festschrift für Theodor Seid! zum 65. Geburtstag (Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament 89; St. Ottilien), 41-59.

Die Wettergottgestalten Mesopotamiens und Nordsyriens im Zeitalter der Keilschrift­kulturen. Materialien und Studien nach den schriftlichen Quellen (Wiesbaden). Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts, II. Rituale und Beschwörungen gegen Schadenzauber (Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft in Assur E 9; Wis­senschaftliche Veröffentlichungen der Deutschen Orient-Gesellschaft 117; Wiesbaden).

Zur phönicischen Epigraphik, Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft 1, 343-346.

Der Mondgott in den Religionen Syrien-Palästinas. Unter besonderer Berücksichtigung von KTU 1.24 (Orbis Biblicus et Orientalis 173; Freiburg Schweiz, Göttingen).

ZDPV 128 (2012) 1

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XELLA, P. 1991

Rezensionen

Baal Hammon. Recherehes sur l'identite et l'histoire d'un dieu phenico-punique (Col­lezione di studi fenici 32; Contributi alla storia della religione Fenicio-Punica 1; Rom).